Ende Der Spielzeit
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DEFGH Nr. 179, Samstag/Sonntag, 5./6. August 2017 HF2 DIE SEITE DREI 3 or ein paar Wochen hat der schmeicheln, tatsächlich hat er die eigene deutsche Fußballnationalspie- Zunft entwertet, Politiker und Fachleute. ler Julian Draxler einen offenen Ein Subtext mit gefährlicher Sprengkraft: Brief geschrieben. Auf der Web- Die Schwäche der gesellschaftlichen Elite seite des Deutschen Fußball- erst macht den Fußball so groß. VBundes kann man ihn nachlesen, es gibt Irgendwann trug Stoiber eine Brille, die ihn auf Deutsch und auf Russisch. Damit genauso aussah wie die von Beckenbauer. er diejenigen erreicht, die er erreichen soll: Derart überhöht wandelten sich die Fuß- die russischen Fußballfans. Wenn russi- baller, auch Franz Beckenbauer. War er sche Funktionäre und andere Russen mit- nicht mal ein Mann des Volkes? Aber als er lesen, ist das sicher auch nicht verkehrt. später zu den Zuständen beim Stadionbau Draxler, Kapitän jener Mannschaft, die in Katar gefragt wurde, platzte sein Hoch- in diesem Sommer für Deutschland beim mut wie Galle aus ihm hervor, und die Confed Cup in Russland gespielt hat, ist Hybris seiner Branche, im Beckenbauer- einer dieser hochbegabten und hochbe- tonfall Braaasch. „Ich habe noch nicht zahlten Stars, denen das Interesse an den einen einzigen Sklaven in Katar gesehen“, GeschehnissendraußeninderWelteigent- sagte er: „Die laufen alle frei rum, weder in lich nicht verloren gegangen sein kann. Als Ketten, gefesselt oder mit Büßerkappe am Draxler noch in Wolfsburg spielte, habe er Kopf.“ Schließlich die ultimative Abnabe- mal vier Fernseher gekauft, stand im lungvon allen Politikeraussagen und Men- Spiegel. Jeweils einen für Wohnzimmer, schenrechtlerwarnungen und Expertener- Schlafzimmer und die zwei Gästezimmer. kenntnissen. Keine Zeit für Franzeleien Beim wiederholten Lesen von Draxlers mehr, es sprach jetzt über Politik: ein Fuß- Brief stellt sich ein interessanter Effekt baller, den devote Politiker jahrelang dazu ein: Udo Jürgens beginnt im Hintergrund ermuntert hatten, in ihrem Namen zu re- zu singen, dazu brummelt der deutsche den. Er sagte: „Vom arabischen Raum habe Kader der WM 1978 in Argentinien. ich mir ein anderes Bild gemacht, und ich Draxler betont 2017 die enormen Aus- glaube: Mein Bild ist realistischer.“ maße Russlands, „wir haben erlebt, wie Die alternativen Fakten des Franz groß dieses Land ist.“Jürgens besingt 1978 Beckenbauer: Period,hätteinderbleier- in seiner Hymne die Weite der Anreise: nen Gegenwart an dieser Stelle Sean Spicer „Buenos días, Argentina, er war lang, mein gesagt, der lügende Ex-Pressesprecher Weg zu dir.“ Den Schwärmer Draxler um- des dreisten, feigen und skandalumweh- fängt bisweilen Melancholie: „Unser Som- ten US-Präsidenten Trump. Übrigens mer in Russland geht zu Ende.“ So wie da- Trump: Gianni Infantino, Chef des skandal- mals Jürgens: „Wenn die rote Sonne glüht, umwehten Weltverbandes Fifa, beklagte rauscht von Ferne der La Plata.“ Draxler im Frühsommer viele „Fake News“ rund hebt hervor, dass noch einiges zu ent- um die Fifa. Das ist O-Ton Trump. Und Di- decken gewesen wäre: „Es gibt so viel ego Maradona, einer der tollsten Fußballer mehr zu sehen im riesigen Russland.“Eben- FOTOS: DPA, AP ILLUSTRATION: STEFAN DIMITROV aller Zeiten, hat bei einer Gala in Zürich so Jürgens: „Wenn der Abend niedersinkt, alles getan, um die Fifa strahlen zu lassen. sollt ihr leise mir erzählen, wie das Lied der Pampas klingt.“ Jetzt fehlt nur noch einer, 1978 fand die Weltmeisterschaft in Ar- der Erdoğans Türkei besingt. gentinien statt, nach dem Putsch zwei Jah- rezuvorherrschtedortdasMilitär,Regime- Bitte sehr: Lukas Podolski gegner verschwanden, wurden gefoltert, umgebracht. Amnesty International hatte Maradona: War der nicht auch mal ein den deutschen Nationalspielern die Bro- Mann des Volkes? Weil er sich das Porträt schüre „Fußball ja – Folter nein“ ins Haus von Che Guevara auf den weichfleischigen geschickt, aber natürlich spielten sie trotz- Oberarm hat tätowieren lassen? Aber ge- dem in Argentinien und sangen für Argenti- nauso wie Papier geduldig sein kann, ist nien ein Lied. Denn es wäre zu viel verlangt auch die Haut von Maradona geduldig. gewesen, ein Turnier zu boykottieren, nur Was draufsteht, sagt nichts aus über den weil am Spielort gerade Aktivisten ins Mann, der drinsteckt. Konzentrationslager gesperrt oder be- So ist Fußball im Sommer 2017. Einer täubt und ins Flugzeug verfrachtet und tönt wie Trump. Einer präsentiert sich mit über dem Meer abgeworfen werden. Kadyrow. Einer schwärmt von Putins Russ- land. Fehlt noch einer, der Erdoğans neue Ist Ronaldinho ein Träumer Türkei besingt. Bitte sehr: Lukas Podolski, oder ein Idiot? Und: Was wäre der nächste Mann des Volkes. Podolski, bis zum Sommer Profi bei Galatasaray Istan- eigentlich schlimmer? bul, tritt in einem Werbespot für die Türkei auf. Tore fallen, Slogans werden eingeblen- Was hätte eine Fußballdelegation trotz- det, „35 Millionen glückliche Touristen“. dem tun können, der daran gelegen wäre Am Ende sagt Podolski mit der heiseren zu beweisen, dass ihre Mitglieder nicht Jovialität eines kölschen Kneipenwirts: Schweinsblasen statt Köpfe mit sich her- „Come to Turkey!“ umtragen, und Geldsäcke statt Herzen? Eine Aufforderung, der nicht Folge „Keine Anbiederei beim Regime!“, emp- leisten sollte, wer sichergehen will, nicht fahl der fußballnärrische Schriftsteller im Gefängnis zu landen. Wo 35 Millionen und Rhetoriker Walter Jens, keine „blin- glückliche Touristen sind, sind Zehntau- den Aktionen, die zugunsten des Regimes sende Beamte entlassen worden, Men- ausmünzbar sind“. Diese Aufforderung schen werden eingesperrt, der Präsident ging schon damals ins Leere, weil der DFB- befeuert die Wiedereinführung der Todes- Präsident Hermann Neuberger, mit Blick strafe. Podolski ist genug gestraft damit, auf Argentinien, sagte: „Ich bin mit dem dass man ihn mit 80 noch Poldi nennen Begriff Diktatur sehr vorsichtig.“Der Stür- wird, er muss auf seine alten Tage kein Re- merWorm: „Das ist ’ne Sache der Regierun- gimekritiker werden. Aber wer hat ihm ge- gen. Die müssen handeln und entscheiden. sagt, dass er ein Propagandist sein soll? Da haben wir überhaupt nichts mit zu tun.“ Sport und Politik, noch mal zum An- Der Stürmer Fischer: „Die politischen fang. 1978 berichtete aus Argentinien für Zustände in Argentinien interessieren das ZDF der politische Reporter Hanns mich überhaupt nicht.“ Joachim Friedrichs, er war noch nicht der Das war 1978. bewunderte „Tagesthemen“-Anchorman, Bezogen auf die Gegenwart des Confed nur Hauptabteilungsleiter Sport, aber dem Cups in Russland, und das ist bemerkens- eigenen Anspruch schon verpflichtet. Ein wert, stößt der Ratschlag „keine Anbiede- Vorbericht im ZDF, von ihm verantwortet, rei“ allerdings auf genauso wenig Reso- bejubelte die Zustände nicht. Diese journa- nanz. Putins Russland ist nicht Videlas listische Selbstverständlichkeit bedurfte Argentinien, schon klar. Aber auch in Russ- Ende der Spielzeit einer Erklärung: „Auch als Sportredakteur land werden Kritiker umgebracht und ein- kann meine Aufgabe nicht nur darin beste- gesperrt, vor Beginn des Cups wurde der hen, stupide die Tore zu zählen“,hat Fried- Oppositionelle Nawalny kassiert. Beim Der Profifußball hat sich schon lange von allen ethischen Werten entfernt. Neu ist aber richs gesagt, das Zitat stammt aus Sprin- Stadionbau schuften nordkoreanische die Entschlossenheit, mit der er sich auf die dunkle Seite zubewegt gers BamS, die einen Reporter in Buenos Arbeitssklaven, trotz Protesten von Men- Aires hatte, der diese journalistische Selbst- schenrechtlern. Einen Schwenk zur Debat- verständlichkeit infrage stellte. WM ist te über Arbeitsmigranten, bei gleichzeitig von holger gertz schließlich Fetenzeit, deutsches Bier und blühender Korruption, gibt es im Schrieb deutsche Würste. „Betreiben Sie eigentlich des Fußballers Draxler nicht, stattdessen politische Agitation oder Fußball-Bericht- steht da: „Wir haben architektonisch beein- erstattung?“, fragte der BamS-Reporter druckende Stadien bespielt.“ den ZDF-Mann. Und teilte ihm mit: „Ihre Wenn einer keine Kritik üben will, war- elle gefoltert und ermordet. Er sagte: „Wir schaften, vor der ersten halbwegs freien haben die diplomatischen Beziehungen zu auch auf das Barcelona-Trikot von Neymar Zuschauer,HerrFriedrichs,undunsereLe- um verzichtet er nicht wenigstens darauf, haben keine Schwulen. Und wenn es sie Wahl im November 1982 stand über der Katar abgebrochen, dem Emirat wird vor- geflockt war. Allerdings auf der Rückseite. ser haben diese Art tendenziöser Inter- die Dinge so irrsinnig naiv schönzureden? gibt, nehmt sie mit nach Kanada, weit weg Nummer 8 auf dem Hemd von Doutor Só- geworfen, nicht nur den PSG zu unterstüt- Der Profifußball hat sich in diesem Som- views und Berichte, die sich nur am Rande Wannistesnurbequem,die Weltdadrau- von uns, damit unser Blut gesäubert wird.“ crates: „Dia 15 Vote“ – Geh’ am 15. wählen! zen, sondern auch den Terrorismus: Beson- mer von ethischen Werten und zivilgesell- mit Fußball beschäftigen, nämlich satt.“ ßen auszublenden, von welchem Punkt an Ist Ronaldinho ein Träumer oder ein Sócrates ist tot, Lineker, Lienen, Thu- ders aus Richtung der Saudis klingt dieser schaftlichen Errungenschaften endgültig Im Fußball wiederholt sich vieles, das wird es zynisch? Wie politisch ist der Fuß- Idiot? Weiß Ronaldinho, mit wem er sich ram sind inzwischen keine Aktiven mehr. Vorwurf bemerkenswert und dreist. Der und umfassend gelöst. Es ist der Endpunkt ist auch sein Reiz. Eine letzte Sequenz aus ball? Besser: Wie unpolitisch darf er sein?