5. Oktober 2006

Renault Dauphine

Mit der Dauphine begann für

eine neue Ära. Der sparsame und

geräumige Viertürer mit Heckmotor

festigte nicht nur die Position als

wichtigste Marke in Frankreich, sondern

erwies sich als Türöffner für Amerika

und die ganze Welt. Damit begann der

Weg von Renault zum Global Player.

Kurzfassung

50 Jahre Ein Auto für die ganze Welt

• Geräumiger Viertürer erobert für Renault die USA • Produktion, Montage und Verkauf rund um die Erde • In elf Jahren über 2,1 Millionen Exemplare gefertigt Frankreich, Mitte der 1950er Jahre: Renault schwimmt auf einer Welle des Erfolgs: Die „Régie Nationale“ kämpft um den Titel des europäischen Automobilherstellers Nummer eins. Der kleine 4 CV verkauft sich in Frankreich wie warmes Baguette. Nur die Exportdaten befriedigen die Chefs in Billancourt nicht. Sie haben ein ehrgeiziges Ziel im Blick: die Vereinigten Staaten von Amerika. Am 6. März 1956 präsentiert Renault vor 20.000 Gästen im Pariser Palais de Chaillot die „Dauphine“. Sie soll die Welt erobern.

Die Konstrukteure wählten das damals übliche Konzept mit Heckmotor und Heckantrieb. Vorteil: optimale Traktion auch auf den damals weit verbreiteten schlechten Straßen. In Südeuropa, Südamerika und Afrika sind nicht asphaltierte Wege in ländlichen Gebieten zu dieser Zeit noch Standard. Die moderne Pontonkarosserie bietet viel Platz für Passagiere und Gepäck. Serienmäßige vier Türen erhöhen den Komfort und bieten einen echten Wettbewerbsvorteil.

Mit Farbe gegen das automobile Einerlei

Mit ihrer Vielseitigkeit, dem niedrigen Verbrauch und dem günstigen Preis belegt die Dauphine 1956 bereits die hohe Kompetenz von Renault im Kleinwagenbau. Und sie macht die Autowelt bunter: Während in den

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Fünfzigern das Gros der Fahrzeuge noch in protestantisch-freudlosem Look daherkommt, setzt der neue Renault mit Farbtönen wie „Rouge Montijo“ oder „Jaune Bahamas“ frische Akzente. Später kommen noch eine Luxusversion, eine Automatikausführung und diverse Sportvarianten hinzu. Die Dauphine erweist sich damit als würdige Vorläuferin des modernen Renault Clio, der diese Tugenden ins 21. Jahrhundert fortführt: Aktuell können in Deutschland die Kunden unter vier Ausstattungen und sieben Motorisierungen auswählen. Damit zählt der Clio zu den vielseitigsten Fahrzeugen seines Segments.

Vom 4 CV zum „Projekt 109“

Als Vater der Dauphine gilt der Renault Vorstandsvorsitzende Pierre Lefaucheux. Unter seiner Regie legt das Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg einen furiosen Neustart hin. Im Gegensatz zum Ministerium für Industrieproduktion, das Renault zum reinen Lkw-Produzenten um- wandeln will, setzt Lefaucheux konsequent auf den Bau von Personen- wagen. Er setzt 1947 den Bau des 4 CV durch und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Massenmotorisierung Frankreichs: Bereits 1954 feiert Renault das 500.000ste Exemplar.

Lefaucheux’ Traum ist jedoch in Amerika Fuß zu fassen, denn Renault und der französische Staat benötigen Devisen. Dazu braucht er einen Wagen, der größer, komfortabler und besser motorisiert ist als der 4 CV. Im Juli 1951 gibt er deshalb grünes Licht für das „Projekt 109“. Im Geheimen arbeitet eine kleine Gruppe Eingeweihter bereits seit Februar 1949 an dem Fahrzeug. Parallel dazu baut Renault sein Werk in Flins an der Seine aus. Hier soll das neue Modell entstehen. Lefaucheux erlebt den Serien- anlauf nicht mehr: Am 11. Februar 1955 verunglückt er bei einem Auto- unfall tödlich. Sein Nachfolger wird Pierre Dreyfus, der das Projekt mit dem gleichen Elan weiterverfolgt.

Autoadel mit 845 Kubikzentimetern

Bereits die Namenswahl demonstriert, dass Renault mit dem Neuling Großes vorhat: „Dauphine“ heißt übersetzt „Thronfolgerin“. Als Schöpfer des klangvollen Titels gilt Marcel Wiriath, Direktor der Bank Crédit Lyonnais und Mitglied des Renault Verwaltungsrats. Auf einem Bankett erklärt er: „Der 4 CV ist die Königin! Das neue Modell kann deshalb nur die Dauphine sein!“

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Das solcherart geadelte Auto wird von einem 845-Kubikzentimeter- Heckmotor mit 30 Brutto-PS angetrieben. Anders als beim Haupt- konkurrenten aus Deutschland ist der Vierzylinder wassergekühlt und dadurch deutlich leiser. Für die Frischluftzufuhr sorgen Einlässe vor den Hinterrädern. Die Kraftübertragung an die Hinterachse erfolgt über ein robustes Dreigang-Getriebe, die Höchstgeschwindigkeit wird mit 115 km/h gestoppt. Obendrein machen 380 Liter Kofferraumvolumen und 5,9 Liter Kraftstoffkonsum pro 100 Kilometer nach damaliger Messmethode die Kronprinzessin zum echten Familienauto.

Verkaufsschlager rund um den Globus

Während in Flins das Fließband anläuft, schickt Dreyfus unter größter Geheimhaltung die ersten Dauphine in die USA. Dort sollen sie den Vertragshändlern als „Lockvögel“ dienen. Und tatsächlich: Schon 1957 kaufen 28.000 Amerikaner eine Dauphine, 1958 sind es schon 57.000, und 1959 steigt die Zahl auf 102.000. Für den Transport gründet Renault eine eigene Gesellschaft und stattet sie mit genau jenen „Liberty-Schiffen“ aus, mit denen die USA im Zweiten Weltkrieg ihre Alliierten mit Lebensmitteln und Nachschub versorgt hatten.

Auch in Europa entpuppt sich die kleine Dauphine für Renault als Exportlokomotive. Nicht alle Exemplare stammen aus Frankreich. Die Régie lässt ihr Erfolgsmodell auch im Ausland produzieren: Montagewerke für die Dauphine finden sich in Belgien, Spanien, Irland und Groß- britannien. In Italien baut und vertreibt Alfa Romeo ab 1959 den Renault unter dem Namen „Dauphine-Alfa Romeo“. Kurz darauf startet die Fertigung in Brasilien, Argentinien und Mexiko. Der Gang nach Indien scheitert zwar, dafür fasst Renault in Afrika mit Montagestätten in Algerien, Kamerun, Dahomey (heute Benin), dem Tschad und der Zentralafrikanischen Republik Fuß.

Die Dauphine ebnet Renault den Weg zum Global Player

Der amerikanische Markt erweist sich allerdings als schwieriger als erwartet: Ab 1960 schlagen die amerikanischen Hersteller mit eigenen „Compacts“ zurück und machen damit Importen aus Europa mächtig Konkurrenz. Außerdem gerät der amerikanische Markt in ein wirtschaftliches Wellental. Hausgemachte Probleme kommen hinzu: Jetzt rächt sich der schnelle und unkontrollierte Aufbau des Händlernetzes.

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Während die Konzessionäre bald keine Kredite mehr bekommen, liefert Renault ungeachtet der Überhitzungserscheinungen im selben Tempo wie bisher Autos nach. Als Folge stehen Zehntausende unverkaufte Fahrzeuge auf Halde. Damit endet das amerikanische Abenteuer.

Erfolge in Europa und im Motorsport

In Europa bleibt die Dauphine eine feste Bank. Schon 1961 feiert Renault den Bau des 1,5-millionsten Fahrzeugs, die Montage der 100.000sten Auslands-Dauphine und den Export des 850.000sten Exemplars. Im selben Jahr erscheint die luxuriösere Variante „Ondine“. 1962 setzt Renault die Leistung auf 32 Brutto-PS herauf. Ebenfalls 1962 debütiert die limitierte Serie Dauphine 1093 mit 55-Brutto-PS-Maschine und Viergang-Getriebe, 1964 folgt die Automatikvariante mit hochmoderner Drucktastenvorwahl der Fahrstufen.

Auch im seriennahen Rennsport macht die Dauphine eine gute Figur. In der Hand kundiger Piloten wird sie zum Siegerwagen. Auf ihr Konto gehen erste Plätze bei der Mille Miglia, der Rallye Monte Carlo, den Zwölf Stunden von Sebring, der Tour de Corse und der Rallye Lüttich–Rom– Lüttich. Ab 1957 nimmt sich obendrein „Hexenmeister“ Amédée Gordini im Auftrag von Renault der Heckmotorlimousine an. Verschiedene werksgetunte Varianten tragen seinen Namen.

1967: Abschied von der Dauphine

Bereits 1962 bekommt die Dauphine mit dem Renault 8 einen moderneren Bruder mit Heckmotor zur Seite gestellt. Der Hersteller lässt daher schrittweise die Produktion seiner langjährigen Nummer eins auslaufen: 1965 kommt das Ende für die „normale“ Dauphine, im Dezember 1967 läuft das letzte Gordini-Modell vom Band. Nach 2.150.738 Exemplaren tritt damit das Auto ab, das Renault zur Weltmarke gemacht hat. Damit wird die Thronfolgerin zur wahren Königin.

RENAULT NISSAN ÖSTERREICH GmbH Presse & Öffentlichkeitsarbeit Laaer Berg-Strasse 64, A-1101 Wien Tel. 01/68010-103 Fax 109 e-mail: [email protected] Test und Fotos unter: www.media.renault.at

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Langfassung

Renault Dauphine Die wahre Königin

• Heckmotorwagen macht Renault zur internationalen Marke • Großzügiger Innenraum und viel Platz fürs Gepäck • Wirtschaftlich dank sparsamem Vierzylinder • Weltweit über 2,1 Millionen verkaufte Exemplare Am 6. März 1956 pilgern über 20.000 geladene Gäste erwartungsfroh ins Pariser Palais de Chaillot, gleich gegenüber dem Eiffelturm. Was Rang und Namen hat in der Hauptstadt, ist an diesem Dienstag unterwegs, denn Renault präsentiert seine jüngste Neuerscheinung. Der Wagen, den der französische Staatskonzern ins Rampenlicht schiebt, erntet spontanen Beifall. Die „Dauphine“ (Thronfolgerin) ist deutlich eleganter und größer als der Vorgänger 4 CV, der seit 1947 das Bild der Marke prägt. Noch wichtiger sind das geräumige 380-Liter-Kofferabteil im Bug, der großzügige Fußraum im Fond und der für den aufstrebenden Mittelstand erschwingliche Preis.

Das richtige Auto zur richtigen Zeit

Die Presse nimmt die Dauphine begeistert auf. „La Bombe Renault“ titelt das „Auto-Journal“ und fährt fort: „Renault zieht sein modernes Auto aus dem Ärmel.“ „Elle“ gönnt ihr eine Titelseite und „ Match“ macht mit „bisher unbekannten Bildern aus zwei Millionen Kilometern Testalltag“ auf. In der Tat ist die Dauphine das richtige Auto zur richtigen Zeit. Nach den kargen Nachkriegsjahren regt sich in Frankreich zarter Wohlstand. In den bürgerlichen Wohnstuben flimmern die ersten Fernseher, der Kühlschrank

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kommt in Mode, und die Renault Arbeiter erhalten eine dritte Woche bezahlten Urlaub. Im Kino staunt Frankreich und wenig später die ganze Welt über Jacques Cousteaus Abenteuer in der „Schweigenden Welt“ oder die Reize von Brigitte Bardot. Und noch ein zweites Gesicht Frankreichs startet 1956 mit einer Nebenrolle in der Komödie „Zwei Mann, ein Schwein und die Nacht von Paris“ eine internationale Karriere: der Komiker und Berufshektiker Louis de Funès.

Der Türöffner zur großen Welt

Auch die Schöpfer der Dauphine haben nicht nur Frankreich im Visier. Ihr „Kind“ soll Renault das Tor zur großen weiten Welt öffnen. Sowohl das Unternehmen als auch sein Eigentümer – der französische Staat – benötigen dringend Devisen. Und am meisten Geld lässt sich in den 1950ern in den Vereinigten Staaten von Amerika verdienen. Um auf der anderen Seite des Atlantiks Fuß zu fassen, braucht Renault aber ein größeres und komfortableres Auto als den 4 CV. Gerade einmal 316 Fahrzeuge dieses Typs exportiert die „Régie Nationale“ 1954 in die USA. Die Kunden sind zumeist ehemalige GIs, die den Kleinwagen während ihres Dienstes in Europa kennen und schätzen lernten.

Als Vater der Dauphine gilt der Renault Vorstandsvorsitzende Pierre Lefaucheux. Unter seiner Regie legt Renault nach dem Zweiten Weltkrieg einen furiosen Neustart hin. Im Gegensatz zum zuständigen Ministerium für Industrieproduktion, das Renault zum reinen Nutzfahrzeugproduzenten umwandeln will, setzt Lefaucheux auch auf den Bau von Personenwagen. Er setzt den 4 CV durch und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Massenmotorisierung Frankreichs: Bereits 1954 feiert Renault das 500.000. Exemplar.

Niedriger Preis als Voraussetzung

Die Dauphine startet ihre Karriere als „Projekt 109“. Im Juli 1951 gibt Lefaucheux den Entwicklern offiziell grünes Licht. Im Geheimen arbeitet eine kleine Gruppe bereits seit Februar 1949 an dem Fahrzeug. Als Vorgaben diktiert der Renault Chef seinen Technikern vier Türen, vier Sitze, einen großen Kofferraum, niedrige Unterhaltskosten und möglichst viele gemeinsame Teile mit dem 4 CV ins Heft. Hierdurch soll der Preis niedrig bleiben. Die Fahrleistungen spielen eine untergeordnete Rolle, denn laut Renault Marktforschung geben sich Anfang der 1950er Jahre 77

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Prozent der Befragten mit einer Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h zufrieden (und einem Glas Rotwein pro Tag). Bei den Arbeitern, die sich mit wachsendem Wohlstand zur immer wichtigeren Zielgruppe der Automobilindustrie entwickeln, begnügt sich die Hälfte sogar mit 90 km/h Spitze, solange das Auto – und der Rotwein – preiswert sind.

Nächtliche Versuchsfahrten

Bereits im Juli 1952 verlässt der erste Prototyp das Renault Entwicklungs- zentrum Rueil für nächtliche Tests auf der Straße. Von Tarnung keine Spur: Bis auf einige Kleinigkeiten entspricht das Design des „109“ schon der späteren Serie. Rund zwei Millionen Kilometer legen die Renault Testfahrer mit dem Neuling in Europa zurück. Hinzu kommt eine weitere Million auf dem unternehmenseigenen Testgelände Lardy. Das bleibt der französischen Automobilpresse natürlich nicht verborgen, die mit immer neuen Vorabbildern bei den Lesern Interesse weckt.

Feinschliff von Künstlerhand

Ihren letzten Feinschliff erhält die Karosserie des „109“ bei Ghia in Turin. Pietro Frua, der spätere Schöpfer legendärer Maserati-Modelle, verleiht dem gelungenen Blechkleid durch das Gitter über dem Kühllufteinlass vor dem hinteren Radkasten einen zusätzlichen Schuss Raffinesse. Ebenfalls revolutionär: Für die Farbgebung der Karosserie und die Auswahl der Polster beauftragt Renault die Malerin und Dekorateurin Paule Marrot und stellt damit seine Rolle als „Créateur d’automobiles“ schon zu jener Zeit unter Beweis. Die Professorin an der „Ecole des Arts Décoratifs“ wird nach einem Brief an Pierre Lefaucheux, in dem sie sich über die einfallslosen und tristen Farben der zeitgenössischen Autos beklagt, vom Fleck weg engagiert. Ihr Credo: Für jedes Modell gibt es eine Originalfarbe, die besonders gut mit der Form harmoniert.

Unter Paule Marrots Anleitung mixen Renault Chemiker Farben, die noch heute aktuell sind und so klangvolle Namen wie „Rouge Montijo“, „Bleu Hoggar“, „Jaune Bahamas“ und „Blanc Réjane“ tragen. Dazu wählt die Künstlerin die passenden Polsterstoffe aus. Von ihr stammt ebenfalls das Dauphine-Logo auf dem Kofferraumdeckel. Es zeigt – dem Namen entsprechend – eine Krone. Schließlich stellt Paule Marrot die Verbindung zu Jacques Arpels her, dem Chef des weltbekannten Juweliers Van Cleef & Arpels. Dieser entwirft für die 1961 präsentierte Luxusversion „Ondine“

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das Signet und das Dekor des Instrumententrägers.

Dauphine statt Corvette

Parallel zur Entwicklung des Wagens baut Renault sein erst 1951 eingeweihtes Werk in Flins an der Seine um eine Reihe neuer Hallen aus. Hier soll die Limousine entstehen. Gleichzeitig wachsen in Le Mans, wo das Unternehmen die Vorder- und Hinterachsen bauen wird, auf 12.000 Quadratmetern neue Fabrikhallen aus dem Boden. Bleibt noch die Wahl des Namens. Als Ergänzung zum großen Renault „Frégate“ ist zunächst „Corvette“ im Gespräch, weil in der Marinehierarchie die Corvette das kleinere Schiff ist. Allerdings kommt 1953 Chevrolet mit dem gleichnamigen Sportwagen zuvor. Auf einem improvisierten Bankett hat Marcel Wiriath, Direktor der Bank Crédit Lyonnais und Mitglied des Renault Verwaltungsrats, schließlich die zündende Idee: „Der 4 CV ist die Königin! Das neue Modell kann deshalb nur die Dauphine sein!“

Pierre Lefaucheux erlebt den Serienanlauf des Hoffnungsträgers nicht mehr: Am 11. Februar 1955 verunglückt er bei einem Autounfall tödlich. Sein Nachfolger wird Pierre Dreyfus, der das Projekt mit dem gleichen Elan weiterverfolgt und den Export zur „nationalen Notwendigkeit“ erklärt. Um die enge Verbindung Lefaucheux’ mit der Dauphine hervorzuheben, wird das Renault Werk in Flins auf seinen Namen getauft.

Französisches Wirtschaftswunder: der Motor

Mit 845 Kubikzentimetern und 30 Brutto-PS ist die Dauphine angemessen motorisiert. Ein VW Käfer jener Zeit ist auch nicht stärker. Anders als beim Hauptkonkurrenten aus Deutschland ist der Vierzylinder wassergekühlt und dadurch deutlich leiser. Der Kühler steht zwischen Motor und der Wand, die den Fahrgastraum vom Motorenabteil trennt. Die notwendige Frischluft erhält er durch Einlässe vor den Hinterrädern. Die Kraftüber- tragung an die Hinterachse bewerkstelligt ein Dreigang-Schaltgetriebe. Die Höchstgeschwindigkeit wird mit 115 km/h gestoppt. Mitte der 1950er Jahre kann sich dies durchaus sehen lassen, ebenso wie der mit 5,9 Liter pro 100 Kilometer bezifferte Verbrauch, der zu einem zündenden Werbeargument wird: „Wer eine Dauphine fährt, hat immer 5 Mark mehr in der Tasche“, proklamieren zeitgenössische deutsche Anzeigen. „43 miles per gallon“ versprechen großformatige Werbetafeln in Amerika.

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Mit ihrem Kraftstoffgeiz steht die Dauphine in direkter Linie mit dem aktuellen Renault Clio: Der verbraucht in der Version 1.5 dCi mit 63 kW/106 PS lediglich 4,4 Liter Diesel pro 100 Kilometer und zählt damit zu den sparsamsten Kleinwagen auf dem Markt.

Clevere Details sorgen für hohen Nutzwert

Die Nase vorne hat die Automobilsparbüchse aus Frankreich 1956 auch beim Kofferraum: Stolze 380 Liter fasst die tiefe Wanne im Bug der Limousine, deren Nutzbarkeit durch kein Reserverad beeinträchtigt wird: Der Ersatzreifen liegt in einem separaten Abteil unterhalb des Gepäck- raums und ist von außen durch eine Blechklappe unter dem Frontstoßfänger zugänglich.

Mit 3.950 Millimetern ist die Dauphine fast genauso lang wie der moderne Clio (3.986 Millimeter). 2.270 Millimeter Radstand garantieren einen großzügig bemessenen Innenraum. Weiteres Plus: Während VW Käfer, Opel Olympia Rekord oder Ford Taunus 12 M ihren Passagieren beim Erklimmen der Rückbank je nach Fitness ein kleines bis mittleres Gymnastikprogramm zumuten, bietet die Dauphine serienmäßig vier Türen. Der Wendekreis von 9,1 Metern macht sie darüber hinaus zum optimalen Stadtauto.

Spektakulärer Karrierestart

Noch während Pierre Dreyfus in Paris die Dauphine der Öffentlichkeit präsentiert, stehen bereits 129 Exemplare als Vorführmodelle bei Renault Partnern innerhalb und außerhalb Frankreichs bereit – ein für damalige Verhältnisse einmaliger Marketing-Coup. Außerdem schickt Renault gleich nach Produktionsbeginn vier Dauphine mit den Piloten Maurice Trintignant, Paul Frère, Gilberte Thirion und Louis Rosier bei der „Mille Miglia“ an den Start. Resultat ist ein ungefährdeter Klassensieg durch Gilberte Thirion. Im selben Jahr gewinnt die kleine Heckmotorlimousine in ihrer Kategorie auch die prestigeträchtige „Tour de Automobile“.

Die Aufsehen erregende Werbung hat Erfolg. Renault rennt mit der Dauphine beim Publikum offene Türen ein: Trotz Erhöhung der Produktionskapazitäten von anfänglich 350 auf 600 und dann auf 1.000 Fahrzeuge pro Tag müssen die Kunden immer längere Lieferfristen in Kauf nehmen. Innerhalb nur eines Jahres erreicht die Fertigung die

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100.000er-Marke. Wiederum ein halbes Jahr später sind bereits 200.000 Fahrzeuge verkauft. Weitere vier Monate, und Renault knackt die 300.000er-Grenze.

Erfolgreicher Sprung über den Atlantik

Ein Großteil der Fahrzeuge geht in den Export. Absolute Priorität genießen dabei die Vereinigten Staaten von Amerika. Renault Chef Dreyfus sieht dort einen Markt von 100.000 Kleinwagen pro Jahr. Noch während in Flins das Fließband anläuft, schickt er deshalb unter größter Geheimhaltung auch zahlreiche Dauphine in die USA, wo sie den dortigen Vertragshändlern als „Lockvögel“ dienen sollen. Der attraktive und günstige Wagen stößt jenseits des Atlantiks auf große Sympathie. Die Werber erfinden einen speziellen englisch-französischen Jargon und betonen das typisch Pariserische an der Dauphine: „The Dauphine? So French! So elegant! So beautiful!“

Und tatsächlich: 1957 kaufen 28.000 Amerikaner eine Dauphine, 1958 sind es schon 57.000, und 1959 klettert die Zahl auf 102.000. Parallel dazu steigt das Händlernetz auf 900 Stationen. Für den Transport gründet Renault eine eigene Gesellschaft und stattet sie mit sechs, später zwölf der alten „Liberty-Schiffe“ aus, mit denen die Amerikaner ab 1943 den europäischen Alliierten Lebensmittel und Nachschub lieferten. 1957 sticht ihr erstes Schiff von Le Havre aus in See. In der Hafenstadt an der Seine- Mündung richtet der Automobilhersteller auf 83.000 Quadratmetern einen der größten Parkplätze der Welt ein. Äußeres Merkmal der US- Exportversion sind die verstärkten Stoßfänger. Abgasvorschriften interessieren noch keinen Menschen.

Zugpferd für den Export

Auch in Europa entpuppt sich die kleine Dauphine für Renault als echte Exportlokomotive. 1957 führt der Hersteller fast ebenso viele Fahrzeuge aus, wie im Lande bleiben. Der Großteil davon entfällt auf die Dauphine. Doch nicht alle Renault Fahrzeuge werden auch in Frankreich gebaut. Das Unternehmen lässt sein Erfolgsmodell in vielen Märkten vor Ort produzieren. Ein Beispiel, das bis heute Schule gemacht hat: Montage- werke finden sich in Belgien, Spanien, Irland und Großbritannien. In Italien baut und vertreibt Alfa Romeo ab 1959 den Renault unter dem Namen „Dauphine-Alfa Romeo“. Kurz darauf startet die Lizenzfertigung in

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Brasilien, Argentinien und Mexiko. Der Gang nach Indien scheitert zwar an der politischen Weltlage, dafür fasst Renault in Afrika mit Montagestätten in Algerien, Kamerun, Dahomey (heute Benin), dem Tschad und der Zentralafrikanischen Republik Fuß. Damit ist Renault als Global Player erstmals etabliert.

Auch die heutigen Nachfolger des Typs Clio sind internationale Auto- mobile: Die jüngste Generation des vielseitigen Kleinwagens baut Renault im alten Dauphine Werk Flins und im türkischen Bursa. Das in Deutschland unter dem Namen Clio Campus vertriebene Vorgängermodell läuft in Slowenien, Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Mexiko und in der Türkei vom Band.

Werbewirksame Motorsport-Erfolge

Treibstoff für den Dauphine-Absatz liefern auch nach dem Premierenjahr viele Erfolge im Motorsport: 1957 erringt der kleine Renault den Vierfachsieg in seiner Klasse bei der Mille Miglia. Im Januar 1958 gewinnen Guy Monraisse und Jacques Féret unter schwierigsten Witterungsbedingungen sogar die Gesamtwertung bei der Rallye Monte Carlo. Nie zuvor war ein Wagen mit so kleinem Hubraum bei diesem Rennen so erfolgreich. Monraisse und Féret fahren im selben Jahr auch bei der Tour de Corse aufs Siegerpodest. 1959 folgen ein Doppelsieg in der Tourenwagenkategorie beim Marathon Lüttich-Rom-Lüttich und ein weiterer Klassensieg bei der Tour de France Automobile.

Gordini: Formel für Dynamik und Sport

Inspiriert durch die Erfolge im Motorsport, nimmt sich 1957 im Auftrag von Renault obendrein der „Hexenmeister“ Amédée Gordini der kleinen Heckmotorlimousine an und steigert ihre Leistung auf 37 Brutto-PS. 1959 legt der ehemalige Formel 1-Rennstallbesitzer und bereits zu Lebzeiten legendäre Motorenzauberer nach und bringt eine Variante mit 40 Brutto- PS heraus. Seinen Traum von einem V8 aus zwei zusammengesetzten Dauphine-Motoren muss er allerdings begraben. Die Dauphine-Gordini- Modelle gelten als legitime Vorläufer späterer Kompaktsportler wie dem Clio V6 und dem neuen Clio Renault Sport mit Anleihen aus der Formel 1.

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Transatlantisches Wechselbad

Im Februar 1960, nur vier Jahre nach Serienanlauf, feiert Renault die einmillionste Dauphine. Zum Vergleich: Um die gleiche Anzahl 4 CV zu produzieren, waren 14 Jahre notwendig. Das Jubiläumsfahrzeug geht in die USA und wird auf dem New Yorker Automobilsalon mit Champagner begossen. Ebenfalls 1960 finden im amerikanischen Squaw Valley die Olympischen Winterspiele statt. Als offizielles Fahrzeug fungiert die Dauphine – ein geschickter Marketing-Schachzug.

Doch so schnell sich der Erfolg in den USA einstellt, so schnell ist er auch wieder vorüber: Die amerikanischen Hersteller führen einen massiven Propagandakrieg gegen den Frankreich-Import und schlagen ab 1960 obendrein mit eigenen „Compacts“ zurück. Zudem gerät der amerikanische Markt in ein wirtschaftliches Wellental. Außerdem rächt sich der zu schnelle und unkontrollierte Ausbau des Händlernetzes. Während die Konzessionäre bald keine Kredite mehr bekommen, liefert Renault im selben Tempo wie bisher Autos nach. Als Folge stehen Zehntausende unverkaufte Fahrzeuge auf Halde. Damit endet vorerst das amerikanische Abenteuer. 1962 setzt Renault in den Vereinigten Staaten nur noch 32.000 Automobile ab.

„Aerostable“-Aufhängung schafft mehr Komfort

In Europa bleibt die Dauphine für Renault eine feste Bank. Schon 1961 feiert das Unternehmen den Bau des 1,5-millionsten Fahrzeugs, die Montage der 100.000sten Auslands-Dauphine und den Export des 850.000sten Exemplars. Technisch hat das Unternehmen sein Zugpferd in der Zwischenzeit durch viele Details aufgewertet. So spendiert es der Dauphine beispielsweise 1959 die so genannte „Aerostable“-Aufhängung. Zusätzlich zu den Schraubenfedern steigern dabei an der Vorderachse Gummiunterlagen für die Stoßdämpfer und an der Hinterachse Pneumatikelemente den Fahrkomfort bei erhöhter Zuladung.

Variantenreicher Endspurt

1961 stellt das Unternehmen seinem Bestseller die luxuriöser ausge- stattete Variante „Ondine“ zur Seite. Das Jahr 1962 erlebt eine regelrechte Dauphine-Offensive: So verabreichen die Ingenieure dem Zugpferd der

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Marke eine kleine Leistungsspritze: Die französische Thronfolgerin mobilisiert jetzt 32 statt 30 Brutto-PS. Zudem debütiert die limitierte Serie Dauphine 1093 mit 55-Brutto-PS-Maschine, Viergang-Schaltgetriebe und modernem Zwölf-Volt-Bordsystem. Kennzeichen sind zwei blaue Zier- streifen entlang der Mittelachse, der Drehzahlmesser an Stelle des linken Handschuhfachs sowie der bis 180 km/h reichende Tachometer. Die echte Höchstgeschwindigkeit beträgt zwar nur 140 km/h, dennoch ist die „1093“ damit die schnellste Serien-Dauphine. Seine wahre Bestimmung findet das Modell auf der Rallye-Piste und bei Rundstreckenrennen in Europa und Südamerika. Größter Erfolg ist der Sieg bei der Tour de Corse 1962.

1963 legt Renault die besser ausgestattete Dauphine Export mit dem Viergang-Schaltgetriebe der Serie 1093 auf, ein Jahr später erscheint die Dauphine Automatic. Die Besonderheit: Statt per Wählhebel lassen sich Fahr- und Parkstellung sowie Rückwärtsgang und Leerlauf per Drucktasten einstellen. Ab Modelljahr 1964 stattet Renault obendrein alle Dauphine- Varianten mit Scheibenbremsen rundum aus – ein Sicherheitsbonus, der auch heute längst nicht bei allen Kleinwagen selbstverständlich ist. Auch in Sachen Vielfalt erweist sich die Dauphine damit als würdige Vorläuferin des modernen Clio, den Renault in Deutschland aktuell in vier Ausstattungen, drei Getriebevarianten und mit sieben Motorisierungen anbietet. Damit zählt das Modell zu den vielseitigsten Fahrzeugen seines Segments.

Abschied nach über zwei Millionen Exemplaren

Das Ende der Dauphine-Ära ist fließend: Schon 1962 bekommt sie mit dem kantigen Heckmotormodell Renault 8 den designierten Nachfolger zur Seite gestellt. Der Hersteller lässt die Produktion seiner langjährigen Nummer eins in aller Ruhe auslaufen: 1965 kommt zunächst das Ende für die Basis-Dauphine, so dass nur noch die werksgetunten Gordini-Modelle im Angebot bleiben. Erst im Dezember 1967 ist auch Schluss für die sportliche Variante der Dauphine: Nach insgesamt 2.150.738 Fahrzeugen läuft das letzte Exemplar des Autos vom Band, das Renault zur Weltmarke gemacht hat. Damit wird die Thronfolgerin zur wahren Königin der Marke.

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