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bulletin afrika- Nummer 170

Mai/Juni 2018 Fr. 5.–/Euro 5.– Literatur schreibt Geschichte neu Geschichte Literatur schreibt Editorial

Das Afrika-Bulletin Nr. 140 vom November 2010 wid- mete sich dem Thema «Literatur und Zeitgeschehen» – es war die erste Ausgabe, die in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Afrikastudien Basel (ZASB) entstand. Nach inzwischen dreissig gemeinsamen Bulletins be- fasst sich die vorliegende Nummer erneut mit Literatur, diesmal spezifisch mit «Literatur und Geschichte». Ak- tuelle Interpretationen der Vergangenheit visieren im- mer auch die gegenwärtige und künftige Gestaltung des privaten und öffentlichen Lebens an. Im Zentrum stehen dieses Mal Autoren aus dem französischen und portu- giesischen Sprachraum Afrikas. Nur schon dieses Aus- 2 Barbara Müller ist langjähriges wahlkriterium ist ein Hinweis auf die in kolonialer Zeit Mitglied des Afrika-Komitees geschaffenen Verhältnisse. und Koordinatorin der KEESA. Kontakt: coordination@ Erst die Übertragung ins Deutsche macht die Werke apartheid-reparations.ch. afrikanischer Autorinnen und Autoren für die hiesige Leserschaft zugänglich. Mit diesem Aspekt der Litera- turvermittlung befasst sich der Artikel von Chudi Bürgi. Die Auseinandersetzung mit der vorkolonialen, koloni- alen und postkolonialen Geschichte sei eine Konstante in der afrikanischen Literatur, wobei sich Literatur und Geschichte komplementär zueinander verhalten, meint Isabelle Chariatte. Der Autor Patrice Nganang erläutert im Gespräch mit Elisa Fuchs, weshalb er die Geschichte Kameruns zum Inhalt einer Trilogie gemacht hat. Die komplexe und umstrittene Figur des Herrschers Ngun- gunyane im vorkolonialen Mozambique hat Mia Couto als Hintergrund für seine Romantrilogie gewählt, die von Elisa Fuchs vorgestellt wird. Schliesslich gewährt Moho- Impressum modou Houssouba einen umfassenden Einblick in die lebendige und kreative Welt von Klein- und Kleinstver- lagen in einigen Ländern West- und Nordafrikas sowie Ausgabe 170 | Mai/Juni 2018 in der Diaspora. Entstanden als Selbsthilfebetriebe nach ISSN 1661-5603 dem Rückzug der grossen Verlage haben sie das Ver- Das «Afrika-Bulletin» erscheint vierteljährlich im 43. Jahrgang. dienst, afrikanisches Literaturschaffen einem einheimi- Herausgeber: Afrika-Komitee, Basel, und Zentrum für Afrikastudien Basel. schen Publikum zu erschwinglichen Preisen zugänglich Redaktionskommission: Veit Arlt, Susy Greuter, Elísio Macamo, zu machen. Barbara Müller und Hans-Ulrich Stauffer Vielleicht animiert Sie dieses Heft zur Lektüre des Das Afrika-Komitee im Internet: www.afrikakomitee.ch einen oder andern Werkes. • Das Zentrum für Afrikastudien im Internet: www.zasb.unibas.ch Barbara Müller Redaktionssekretariat: Beatrice Felber Rochat Afrika-Komitee: Postfach 1072, 4001 Basel, Schweiz Telefon: (+41) 61·692 51 88 | Fax: (+41) 61·269 80 50 E-Mail Redaktionelles: [email protected] E-Mail Abonnemente und Bestellungen: [email protected] Postcheck-Konto: IBAN CH260900 0000 4001 77543 Für Überweisungen aus dem Ausland: in CHF: Migros Bank, IBAN CH95 0840 1016 1437 3770 7 in Euro: Postkonto, IBAN CH40 0900 0000 9139 8667 9 (Bic SwiftCode: POFICHBEXXX; Swiss Post, PostFinance, CH-3000 Bern)

Mitarbeitende dieser Ausgabe: Veit Arlt (Red.), Nicole Bolliger, Chudi Bürgi, Isabelle Chariatte, Pius Frey, Andrea Fuchs, Elisa Fuchs, Susy Greuter (Red.), Mohomodou Houssouba, Caro van Leeuwen, Barbara Müller (Red.), Joschka Philipps, Pascal Schmid, Hans-Ulrich Stauffer (Red.). Druck: Rumzeis-Druck, Basel Inserate: Gemäss Tarif 5/99, Beilagen auf Anfrage Jahresabonnement: Fr. 30.–/Euro 30.– Unterstützungsabonnement: Fr. 50.–/Euro 40.– Im Mitgliederbeitrag von Fr. 60.–/Euro 50.– ist das Abonnement enthalten.

Redaktionsschluss Nummer 171: 15. Juli 2018 Schwerpunktthema: Illicit Financial Flows Schwerpunktthemen der nächsten Ausgaben: Wertschöpfungskette Kupfer, Uranabbau, Demokratische Republik Kongo. Interessierte an einer Mitarbeit sind eingeladen, mit der Redaktion Kontakt aufzunehmen. Unser Titelbild: Der Schriftsteller Patrice Nganang wurde im Dezember 2017 wegen seiner pointierten Aussagen in Kamerun inhaftiert und danach des Landes verwiesen. Siehe auch das Interview auf Seite 8 (Bild: Patrice Normand 2018). Afrikanische Weltliteratur in deutscher Sprache Es braucht engagierte Verlage

Im französischen und englischen Sprachraum lebt. Die Liste liesse sich lange verlängern – und nicht nur, wie hier genannt, mit Autorinnen und Autoren, die kann ein Grossteil der Werke afrikanischer Auto- in der Diaspora schreiben. Auf Deutsch ist uns also nur ren und Autorinnen in der Originalsprache gele- ein Teil der Literatur aus Afrika zugänglich. sen werden. Doch wie erreicht Literatur aus Afri- ka deutschsprachige Leserinnen und Leser? Mit On peut marcher la tête haute Für den Literaturkritiker Boniface Mongo-Mboussa dieser Frage beschäftigt sich Chudi Bürgi, die in ist die Literatur, die mit der Unabhängigkeit der afrika- ihrem Beitrag auf die Bedeutung von Übersetzun- nischen Länder entstanden ist, jene, auf die man am

meisten stolz sein könne (Le Monde, 25. April 2017). War Schwerpunktthema gen und das Engagement von Verlagen für die Li- es zunächst vor allem engagierte, politische Literatur, teraturvermittlung eingeht. so sind es mittlerweile auch experimentelle und inti- mere Töne, ausgelöst nicht zuletzt durch die starke Prä- 3 senz von Frauen. Mongo-Mboussa legt grossen Wert da- Am letzten April-Wochenende dieses Jahres fanden rauf, dass die afrikanische Literatur im Kontinent ver- zwei Veranstaltungen zu afrikanischer Literatur statt: ankert ist und sich zur Welt hin öffnet, sich mit dieser Die eine war der Salon Africain im Rahmen des Salon du auseinandersetzt. livre in Genf; wie jedes Jahr ein Treffpunkt für Autorin- Bei der Lektüre und bei den Veranstaltungen zu Li- nen, Verlage und Leser. Die andere war ein erstmals teratur, die ich von Beruf wegen besuche, entdecke ich stattfindendes African Book Festival in Berlin, das afri- manches, lerne und verstehe vieles und habe besonde- kanische Literatur und Migration zum Thema hatte. Genf re Begegnungen, so zum Beispiel letzten Januar bei den hat ausschliesslich französischschreibende Autorinnen Literaturtagen Frankfurt. Im Gespräch mit der keniani- und Autoren eingeladen, Berlin ausschliesslich englisch- schen Autorin Yvonne Adhiambo Owuor fällt plötzlich sprachige, ohne dass dies explizit ausgesprochen wurde. der Name José Eduardo Agualusa, und wir finden uns in der Begeisterung für den Roman «Teoria Geral do Es- Durch die Sprachen getrennt quecimento», den Yvonne als «General Theory of Obli- Als Leserin mit Erstsprache Deutsch beschäftigt vion» und ich als «Eine allgemeine Theorie des Verges- mich die Frage, was wir überhaupt in dieser Sprache zu sens» gelesen haben. Beide haben wir das Buch des lesen bekommen. Laut dem Verzeichnis übersetzter Li- Angolaners nur dank Übersetzungen und engagierten teratur (www.litprom.de) sind von den rund 800 Titeln Verlagen lesen können – Weltliteratur über Kontinente afrikanischer Literatur in deutscher Sprache etwa 600 und Sprachen hinweg. • aus dem Englischen, 130 aus dem Französischen und der Rest aus weiteren Sprachen (Portugiesisch, Afrikaans, Swahili usw.) übersetzt. Etwa ein Viertel sind Überset- zungen aus Südafrika. Es kann ja sein, dass wir auch in anderen Sprachen lesen, aber erst mit der Übersetzung ins Deutsche ist ein Buch hierzulande im Gespräch re- spektive in den Medien, und wird der Autor oder die Autorin für Lesungen eingeladen. Die Afrika-Reihe des Wunderhorn-Verlags bringt dankenswerterweise oft jün- gere Autorinnen auf Deutsch, beschränkt sich jedoch meist auf jeweils ein Buch. Wenige Autoren haben einen Verlag, der ihr Werk pflegt. Mia Couto (Mozambique) hat im Unionsverlag einen solch verlässlichen Partner (sie- he den Artikel auf Seite 8). Patrice Nganang (Kamerun) ist mit mehreren Büchern im Peter Hammer Verlag präsent (siehe den Artikel auf Seite 4). Auch Alain Ma- banckou (Congo Brazzaville) hat bei Liebeskind eine deutschsprachige Heimat. Übersetzungen sind für den Verlag immer ein zu- sätzliches finanzielles Risiko. Die Wahl eines Buches wird durch ‹Modeströmungen› (etwa junge Frauen der Diaspora), Aktualitäten (Kriege, Terror) oder Exotik (He- xerei, Vodoo) mitbestimmt. Mir fehlen da einige Autorinnen und Bücher. Ich be- dauere zum Beispiel, dass der satirische Roman «Con- go Inc – Le testament de Bismarck» von In Koli Jean Bo- fane (DRC) nicht übersetzt wurde, und dass die Titel des Schweiz-Kameruners Max Lobe nicht auf Deutsch verfügbar sind. Auch von Ananda Devi (Mauritius) gibt es kein einziges Buch auf Deutsch. Und der im franzö- sischen Sprachraum hochgeschätzte togolesische Au- Chudi Bürgi ist bei artlink, Büro für Kulturkooperation, zuständig tor Théo Ananissoh existiert als Autor auf Deutsch für Literatur. Sie ist Vorstandsmitglied von litprom.de. Kontakt: schlichtweg nicht, obwohl er seit langem in Deutschland [email protected]. Literatur als «prophetische Vision der Verga ngenheit» Wider eine zugeschriebene Geschichtslosigkeit

Isabelle Chariatte spannt in diesem Artikel einen weiten Bogen über die Entwicklung der afrikanischen Literatur seit ihren Anfängen. Sie konzentriert sich dabei auf die erhöhte Bedeutung, welche der Ge- schichte besonders bei frühen Autoren zukommt. Beispiele zieht sie vor allem aus der französischspra- chigen Belletristik bei, denn der Begriff «afrikanische Literatur» bleibt eine wenig sensible Verallgemei- nerung. Diese unterschlägt die kulturellen und sprachlichen Eigenarten in Afrika, sowie den individuellen Ausdruck der Schriftstellerinnen.

«Afrika hat keine Geschichte.» Gegen diese kolonia- Gesellschaftsformen und -strukturen auf. Später be- le Wahrnehmung des schwarzen Kontinents haben sich schreiben sie minutiös die aktuelle Entwicklung der neu- 4 unzählige Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Af- en afrikanischen Staaten. Wiederkehrende Themen ih- rika seit ihren Pionierzeiten aufgelehnt. Im Spannungs- rer Kritik sind Korruption, die Flucht Intellektueller aus feld zwischen dem Vermächtnis der ehemaligen Kolo- Afrika oder die negativen Folgen der IWF-Politik. Sie nialmächte und dem Willen, sich davon zu befreien, werden damit zu einem Sprachrohr für die Opfer chao- fühlen sie sich verpflichtet, die Lücken der Geschichte tischer zeitgenössischer Verhältnisse auf ihrem Konti- zu füllen, neue Perspektiven auf die Kolonialherrschaft nent. Autorinnen wie Mariama Ba, Véronique Tadjo, der Europäer aufzuzeigen, Worte für das Unsagbare Ahamadou Kourouma oder Emmanuel Dongala denun- jüngster Tragödien zu finden. Getrieben vom Drang, zieren mit Vehemenz die Willkür diktatorischer Regie- eine starke Stimme für ihren Kontinent zu sein, experi- rungen, die missliche wirtschaftliche Lage, die brutale mentieren Autorinnen und Autoren afrikanischer Her- Gewalt an der Zivilbevölkerung sowie den verheeren- kunft mit verschiedensten ästhetischen Formen und den Missbrauch von Kindern als Soldaten. Dafür wird Diskursen. Ihr Anliegen ist es, mittels Literatur die Ge- oft ein tragischer oder sarkastischer Ton gewählt. schichte neu zu schreiben – dies mit tiefem Ernst, beis- sendem Sarkasmus oder humorvoller Leichtigkeit. Literatur und Geschichte Ein Merkmal der ‹afrikanischen› Literatur bleibt die Widerstand als Voraussetzung ständige Auseinandersetzung mit der vorkolonialen, eigenen Ausdrucks kolonialen und postkolonialen Geschichte. Daher stellt Warum sind gerade in Afrika Literatur und Ge- sich die Frage: Wo verlaufen die Grenzen zwischen Ge- schichtsaufarbeitung eng miteinander verwoben ? Der schichtsschreibung und Literatur? Die Vorstellungs- Kolonialismus hat dem schwarzen Kontinent eine eige- kraft ist ein Raum unendlichen Schaffens, welcher Ver- ne Geschichte in Abrede gestellt und dabei sein soge- gangenes durch starke Bilder wieder zum Leben er- nanntes Zivilisationswerk anhand von Rassentheorien weckt, die Geschichte in ihrer Vielschichtigkeit auf- gerechtfertigt. Erste laute Proteststimmen erklingen An- zeigt und so wieder zugänglich macht. Nach dem Lite- fang des 20. Jahrhunderts in Amerika und Europa, zum raturkritiker Paul Ricoeur («Temps et récit») individuali- Beispiel mit W.E.B. Du Bois’ antirassistisch motiviertem siert die Fiktion das Tragische eines historischen Erleb- «The Souls of Black Folk» (1903), der ebenfalls von ihm nisses und macht es dadurch emotionell nachlebbar. initiierten Vereinszeitschrift «The Crisis» (1910) oder Unbekannte Opfer bekommen ein Gesicht und werden dem unter Kouyaté in Frankreich publizierten Magazin sichtbarer Teil der Geschichte. Literatur stellt den dra- «Le Cri des Nègres» (1926), das sich für die Rechte der matischen Charakter eines historischen Phänomens afrikanischen Arbeiterdiaspora einsetzt. Diese Vor-Né- als menschliche Tragödie dar. Im Jahre 1998 verlang- gritude kündigt die eigentliche Négritude der 1930er- ten die Schriftsteller Wole Soyinka, Edouard Glissant Jahre mit Aimé Césaire und Léopold S. Senghor an, wel- und Patrick Chamoiseau in einer Petition, dass der Skla- che ihrerseits von den afroamerikanischen Schriftstel- venhandel als Verbrechen gegen die Menschheit dekla- lern der «Harlem Renaissance» beeinflusst werden. In riert wird. Drei Jahre später bestätigte die UNO-Welt- ihren Gedichten und Texten rehabilitieren sie die «afri- konferenz diese Forderung offiziell. Glissant und seine kanischen» Werte als antithetisch, aber gleichwertig zu Mitstreiter plädieren dafür, das kollektive Gedächtnis den europäischen. Die engagierten Texte der Zeitschrift kontinuierlich zu pflegen und sehen in der Literatur ei- «L’Etudiant noir» (1935) zeigen, dass nicht bloss ein li- ne Möglichkeit dazu. Der Schriftsteller als Explorator terarisches Projekt, sondern ein umfassendes antikolo- und Garant der traumatischen Vergangenheit schafft nial-revolutionäres Afrikakonzept geschaffen wird, wel- eine «vision prophétique du passé» (Edouard Glissant) ches zur Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten füh- und ist dabei zugleich Historiker, Anthropologe und ren wird. Alle diese Schriftsteller betrachten die Koloni- Soziologe; er überschreitet somit die Grenzen des Lite- algeschichte als Ausgangspunkt ihrer Emanzipations- raten. Edouard Glissant sieht die «histoire à faire» als und Befreiungsideen. eine Geschichte, welche zu schaffen ist und sich alter- nativ zur offiziellen und eurozentrischen («histoire su- Geschichtsbewusstsein setzt sich fort bie») positioniert. Oft strebt die literarische Erzählung Nach den Unabhängigkeitserklärungen der 1960er- kein gradliniges Konstrukt an, sondern baut auf einer Jahre prangern Schriftsteller wie Ahamdou Kourouma, fragmentarischen Ästhetik auf. Der Bezug zur Vergan- Mongo Beti oder Cheikh Hamidou Kane lautstark die genheit vervielfacht sich in multiplen Perspektiven meh- Gewalt der ersten Begegnungen zwischen Europa und rerer Erzähler und deren subjektiven Wahrnehmun- Afrika an und zeigen die Zerstörung der überbrachten gen. Geschichte wird somit zu Erfahrung, Erinnerung, Literatur als «prophetische Vision der Verga ngenheit» Wider eine zugeschriebene Geschichtslosigkeit

aber auch Kritik, einem Drang, die vergessene, ver- te Deutsche» (2015) erschienen. Weit weg vom Exotis- steckte und verzerrte Vergangenheit ans Licht zu ho- mus arbeiten diese Autoren die Missetaten der deut- len. Unter vielen anderen sind Emmanuel Dongala, schen Kolonialmacht auf. Eine ähnliche Perspektive fin- Boubacar Boris Diop, Tierno Monenembo, Aboudrah- det man in Eric Vuillards «Congo» (2012), einem Roman, man Waberi oder Patrice Nganang Meister dieses kalei- der von der Ausbeutung zur Zeit der Berliner Konferenz doskopischen Blicks auf die Geschichte. Ein jüngstes und Leopold II. handelt. Beispiel ist Wilfried N’Sondé, der in seinem «Un océan, deux mers, trois continents» (2018) einem schwarzen Pfarrer aus dem 17. Jahrhundert vom Fluss Kongo über die Neue Welt bis hin zum Vatikan folgt. Die Annäherung von Literatur und Geschichte heisst jedoch nicht, dass das eine das andere ersetzt. Viel- mehr sind die beiden Disziplinen komplementär, viele Schriftsteller wie etwa Ahamdou Kourouma verschrän- ken den literarischen mit dem historischen Diskurs ab- sichtlich. Kourouma meint dazu: «Oui. Evidemment, je tends vers le document [ . . . ] j’écris pour les Européens, pour tous les Africains pour dire ce qu’il y a. C’est l’his- toire. Les faits historiques sont des faits; c’est la trame pour les joindre qui constitue la fiction.» Im anglopho- nen Afrika wurde dafür der Begriff «faction» entwickelt, d. h. die Verankerung der Fakten in der Erzählung («fic- tion»). Dabei werden Berichterstattungen in die Erzäh- lung integriert, es wird ein journalistischer Stil gesucht, und das literarische Schaffen strebt eindeutig auch die Funktion des Dokumentierens an. Ngandu Nkashama stellt in «En suivant le sentier sous les palmiers» (2009), seinem Roman zum Kongo-Krieg, den literarischen Stil dem dokumentarischen gegenüber. Die zwei Textgat- tungen begegnen sich, ohne sich zu vermischen, und Links: Ein jüngstes Beispiel ergänzen sich auf diese Weise: die pathetische und ly- für das kaleidoskopische Erzählen von Geschichte rische Stimme für den Schmerz und das Leiden, der Literatur aus Afrika, welche sich mit Geschichte be- durch afrikanische Schrift- dokumentarische Diskurs für die Beschreibung der Kri- schäftigt, hat eine starke Stimme, um ein breites Publi- steller ist der Roman «Un sensituation. Die Leserschaft ist gezwungen eine kriti- kum anzusprechen, zu sensibilisieren, aufzuklären. Die océan, deux mers, trois continents» von Wilfried sche Distanz einzunehmen, in der sowohl ihre Gefühle vielfältigen historischen und aktuellen Beziehungen zwi- N’Sondé (Bild: Mémoire wie auch ihre Vernunft angesprochen werden. schen den Ländern und Kontinenten verlangen, dass d’encrier 2018). Rechts: Auch europäische Literatur kann Geschichte einem breiten Publikum wir vom Anderen wissen. Es kann nur von Vorteil sein, Schriftsteller wie Christian zugänglich machen. Sie kann die Leser und Leserinnen die Perspektivenvielfalt von Geschichte anzuerkennen, Bommarius (Deutschland) für die Vernetzungen zwischen kolonialer Vergangen- denn die Globalisierung stellt uns vor eine gemeinsa- verschreiben sich einer postkolonialen Perspektive heit und Gegenwart sensibilisieren, wie es zum Beispiel me Zukunft. Je bewusster wir die Verflechtungen der (Bild: Berenberg Verlag Koli Jean Bofane bereits im Titel seines Romans «Congo Vergangenheit reflektieren, desto besser wird es uns 2015). Inc. Le testament de Bismarck» (2014) zu verstehen auch gelingen, konstruktiv und gemeinsam neue Wege gibt. Das Aufzeigen geschichtlicher Hintergründe von zu gehen. Literatur als «prophetische Vision der Ver- jüngeren komplexen Konflikten wie dem Genozid in gangenheit» hilft uns dabei. • Rwanda gibt ein umfassenderes Bild wieder als das vereinfachte eines ethnischen Konflikts; dies gelingt Scholastique Mukasonga in ihrem «Notre-Dame du Nil» (2012).

Neue Horizonte Die Eigenheit der ‹afrikanischen Literatur›, sich im- mer wieder mit der fernen oder nahen Geschichte des Kontinents zu beschäftigen, wird von einem Teil der heu- tigen Generation, den «négropolitains», bewusst zurück- gewiesen. Alain Mabanckou oder Sami Tchak etwa wol- len ihr literarisches Schaffen unabhängig ihrer kulturel- len Herkunft definieren und verweigern sich der Mis- sion, Sprachrohr ihres Herkunftskontinents zu sein. Demgegenüber stehen europäische Schriftsteller, die sich in der gleichen postkolonialen Perspektive wie ihre afrikanischen Kollegen mit der Geschichte Afrikas be- Isabelle Chariatte Fels ist Dozentin für französische Literatur- fassen. In Deutschland sind u. a. Gerhard Seyfrieds «He- wissenschaft am Departement Sprach- und Literaturwissenschaften rero» (2003/2004) oder Christian Bommarius’ «Der gu- der Universität Basel. Kontakt: [email protected]. Patrice Nganang und die Geschichte Kameru ns Den engen Raum von Kolonisation und Post-Kolonisation verl assen

Als Schriftsteller, der sich einen Namen mit Büchern über das Leben von Menschen im heutigen Kamerun gemacht hat, beleuchtet Patrice Nganang in seinen letzten drei Romanen wichtige Kapitel der Geschich- te des Landes. Er sieht seine Aufgabe als Schriftsteller auch darin, bei den Bürgern und Bürgerinnen seines Landes ein neues Bewusstsein zu schaffen, das eine Überwindung der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Missstände möglich macht. Elisa Fuchs sprach mit ihm über die Bedeutung der Ge- schichte für Gegenwart und Zukunft.

Was hat Sie dazu bewogen, sich in die Für «Die Zeit der Pflaumen» haben Sie acht Geschichte ihres Landes zu vertiefen und Jahre recherchiert. Sie hätten auch ein 6 darüber zu schreiben? historisches Werk schreiben können. Warum Patrice Nganang: Nachdem ich Romane zur Gegen- haben Sie sich für die Romanform entschieden? wart geschrieben hatte, wurde mir klar, dass nicht alles Patrice Nganang: Ein historisches Werk, eine Disser- zeitgenössisch sein muss. Was wir heute leben, hat sei- tation, das wäre nicht so nützlich für mein Anliegen, es nen Ursprung in einer Vergangenheit, die gar nicht so wäre zu akademisch. Ich glaube, dass der Schriftsteller weit weg ist. Ich habe mir die Frage gestellt: Welches ist eine spezifische Funktion im gesellschaftlichen Raum die Tiefenstruktur der Gegenwart, wie setzt sie sich zu- hat. Er ist der Schriftführer, das bedeutet, er studiert die sammen? Und gleichzeitig: welches ist die Theorie, das Archive, er spricht mit den Leuten und arbeitet dann mit Konzept, das die Gegenwart in Bewegung versetzen diesen Geschichten. Natürlich ist da Fiktion dabei, denn kann? Ein solches Konzept kommt nicht notwendiger- viele der Aussagen, die ich gesammelt habe, widerspie- weise von aussen, sondern wird von den Kamerunern geln nicht unbedingt die Wahrheit. Ein Mann, der schreck- selbst geschaffen. Ich denke an den «nou», ein kameru- liche Verbrechen begangen hat, wird mir nicht die gan- nisches Konzept von Geschichte. Es ist etwas, das pas- ze Wahrheit erzählen, denn er will seine kriminelle Ver- siert und das Leben der Menschen so verändert, dass sie gangenheit verstecken. Aber ich habe ihn wenigstens ein neues Paradigma annehmen. zum Reden gebracht. Es ist die Rolle der Historiker, eine Was mich in diesen drei Romanen interessiert, sind vertiefte Analyse zu machen. Aber ich kann denen, wel- diese auslösenden Momente, in denen die Leute ein neu- che die Geschichte schreiben müssen, verschiedene Pis- es Bewusstsein erlangen. Für «Der Schatten des Sultans» ten aufzeigen. ist das die Entdeckung einer aussergewöhnlichen Rea- In einem Roman ist es auch viel einfacher, die Kom- lität, die voll politischer, künstlerischer und genereller plexität des Kameruners, der Kamerunerin von heute Kreativität ist. Für «Die Zeit der Pflaumen» ist es die Ent- abzubilden. Der Kameruner ist seit den 1920er-Jahren, deckung der Freiheit, dieses französischen Ideals, das seit dem Zweiten Weltkrieg, kosmopolitisch. Sie oder kamerunische Soldaten zu verteidigen halfen. Als die er lebt in einem Dorf, aber gleichzeitig in der ganzen Franzosen nach dem Krieg den Afrikanern deutlicher Welt. Kamerunische Soldaten haben geholfen, Paris zu denn je zu verstehen gaben, dass dieses Ideal für sie befreien, vorher schon gab es Kameruner, die in Berlin nicht galt, erhielt die Idee der Unabhängigkeit des Lan- waren. Es gibt Kameruner in den USA. Eine Geschichte des Aufschwung. Im dritten Roman, der im August die- muss eine Vision von der Komplexität der heutigen ses Jahres erscheint, geht es um die Erfahrung der Bür- Afrikaner haben. ger des unabhängig gewordenen Kamerun, dass der Staat, der sich um sie kümmern sollte, das nicht tut, Wie werden ihre Bücher in Kamerun sondern dass sie einem kriminellen Staat gegenüber- aufgenommen? stehen. Patrice Nganang: Sie werden sehr gut aufgenom- men, denn die kamerunische Geschichte ist noch nicht Für diese Bücher haben Sie sehr viel erzählt. Die Bücher werden auch von einem kameruni- historische Recherche betrieben. schen Verlag herausgegeben und sind leicht zugäng- Patrice Nganang: Ja, ich habe noch nie so viel gear- lich. Das dritte Buch habe ich zusammen mit Kameru- beitet, ich durchforstete Archive in Europa, in den USA, nern geschrieben, über Facebook. Ich habe die Leute in Kamerun, ich sammelte Erfahrungsberichte, Aussa- aufgefordert, mit ihren Eltern zu sprechen, Fotos zu gen von Zeitzeugen. Die Schreibformen, die ich in die- machen, Dokumente zu finden. Sie haben mir Dokumen- sen drei Romanen verwende, schliessen die Unterstüt- te geschickt, zum Beispiel Laissez-Passer, die es erlaub- zung von Hunderten von Menschen ein. Für den dritten ten, bestimmte Gruppen, die Bamiléké oder die Bassa, Roman habe ich auch meinen Vater befragt. Zum Thema zu kontrollieren. So konnte man verhindern, dass sie in des Bürgerkriegs sind die Leute noch sehr verschlossen. ihr Heimatdorf gingen, wo der Genozid stattfand. Das Ich entdeckte unglaubliche Dinge, zum Beispiel, dass Echo in Kamerun ist aussergewöhnlich, für den Roman, das Dorf meines Vaters niedergebrannt und die meis- der im August herauskommt, gibt es bereits eine gros- ten Leute in ein Lager verfrachtet wurden. Darüber hatte se Nachfrage. Die Leute wissen, dass es ihre Geschich- er nie gesprochen. Schritt für Schritt entdeckte ich Neu- ten sind, sie erkennen sich in den Geschichten wieder. es. Die Geschichte wurde bisher noch nicht so erzählt, wie es ihren Erfahrungen entspricht. Patrice Nganang und die Geschichte Kameru ns Den engen Raum von Kolonisation und Post-Kolonisation verl assen

An den Anfang des zweiten Romans stellen Werten, wie dem Respekt des Lebens, der Freiheit, einen Sie folgende Erläuterung: Die ganze Welt Sinn geben. Das ist die Arbeit des Schriftstellers. ist mein Land. Kamerun ist mein Thema und Yaoundé mein Definitionsbereich. Was bedeutete es für Sie, sich mit der Figur Patrice Nganang: Ich habe immer über diese Stadt des Sultans Njoya auseinanderzusetzen, geschrieben, über Yaoundé. Ich nehme mir ein Quar- der Anfang des 20. Jahrhunderts eine Schrift tier nach dem andern vor und erzähle die Gegenwart erfunden, ein Stadtentwicklungskonzept und jetzt auch die Geschichte. Ich bin in Yaoundé gebo- ausgearbeitet, die Künste gefördert hat? ren und aufgewachsen und ich wurde vor kurzem aus Patrice Nganang: Ich bin Schriftsteller, die Schrift ist

Yaoundé ausgewiesen, durch den kamerunischen Staat. mein Instrument. Und da entdecke ich einen Afrikaner, Schwerpunktthema Er ist es, der mich in ein Flugzeug in die USA gesetzt der eine Schrift erfunden und Bücher geschrieben hat. hat, obwohl ich nach Zimbabwe fliegen wollte, wo sich Aber diese Bücher sind nicht zugänglich, sie sind in ei- meine Familie aufhielt. Für mich ist das der Beweis ei- nem Archiv. Er hat historische Bücher geschrieben, eine 7 ner vollständigen Absenz eines historischen Bewusst- Ars Erotica, eine Pharmakopöe. Das widerspiegelt et- seins. Vor 300 Jahren setzten Afrikaner andere Afrika- was, was ich mir vorher nicht hätte träumen lassen, ein ner in Schiffe und schickten sie nach Amerika. intellektuelles Afrika, ein sehr lebendiges Afrika und ei- Ich habe viel über Yaoundé zu sagen, und es wurde ne Person, die gegenüber ihrem eigenen Körper, ihrer mir bewusst, dass ich so die Geschichte der ganzen Welt eigenen Welt eine aussergewöhnliche Freiheit zeigte. erzählen kann. Auch die Schweiz spielt eine Rolle. In den Ein Afrika, das sich nicht über Konzepte von Rasse, Na- 1960er-Jahren, während des Bürgerkrieges, arbeiteten tion, Kolonisation definierte. Das versuche ich aufzu- viele Schweizer als Lehrer und Ärzte in Kamerun. Auch nehmen und auf die Gegenwart zu übertragen. Die Wert- in den 1940er-Jahren waren sie zugegen. Kamerun war schätzung dieser Vergangenheit trägt dazu bei, das zu immer zwischen zwei Lagern, die sich bekämpften, den schaffen, was ich neue Bürger nennen würde. • Deutschen und den Franzosen und Engländern. Die Schweiz ist also mittendrin. Und wegen ihrer Neutrali- tät war sie schon während des ersten Weltkriegs sehr präsent. Die Neutralität spielte auch eine Rolle nach der Romantrilogie zur Geschichte Kameruns Unabhängigkeit, als die Kameruner wollten, dass die Franzosen gehen. Stattdessen kamen evangelische Mis- sionare aus der Schweiz, Holland und Norwegen. Eine der grossen Figuren der kamerunischen Unabhängig- keitsbewegung, Felix Moumié, wurde im November 1960 in einem Restaurant in Genf vergiftet. Diese Sichtweise ermöglicht es, den engen Rahmen von Kolonisation und Post-Kolonisation zu verlassen. Man realisiert, dass das Beziehungsgeflecht sehr viel komplexer ist. Und wir haben noch nicht von der Bezie- hung Afrikas zum Holocaust, zum Genozid gesprochen. Da muss man sich fragen, warum afrikanische Staaten heute eine Tendenz zum Genozid haben, wenn sie einen Sündenbock gefunden haben. Gibt es einen historischen Hintergrund, um das zu verstehen ? ef. Patrice Nganang lässt in seinen letzten drei Elisa Fuchs ist Romanistin So begann die kamerunische Revolution, Romanen wichtige Momente der Geschichte sei- mit Schwerpunkt diejenige, die noch nicht zu Ende ist, heisst nes Landes lebendig werden. Dabei verknüpft Afrikanische Literatur und Konsulentin für es am Ende von «Die Zeit der Pflaumen». er brillant persönliche Schicksale, politische Aus- internationale kulturelle Wo steht sie heute? einandersetzungen und gesellschaftliche Ent- Zusammenarbeit. Kontakt: Patrice Nganang: In Kamerun wurden jene, die dem wicklungen. «Mont Plaisant» (2011; «Der Schatten [email protected].

Land Gutes wollten und sich für Veränderungen ein- des Sultans», 2012) erzählt aus der Perspektive Patrice Nganang, 1970 setzten, stets aus dem Land gejagt oder getötet, und von zwei Frauen die Geschichte von Sultan Njo- geboren und Autor Leute ohne Konsistenz, ja ohne die nötige Intelligenz, ya, von 1894 bis 1933 Herrscher des Königreichs zahlreicher Romane (auf Deutsch erschienen ist beherrschten den Staat. Heute sind die Anglophonen Bamun. «La Saison des Prunes» (2013; «Die Zeit der neben den erwähnten die Dissidenten, die eine Veränderung, eine Revolution Pflaumen», 2014) spielt zwischen 1940 und 1944. Büchern der mehrfach ausgezeichnete Roman wollen. Das Leben der Menschen in der Kleinstadt Edea «Hundejahre»), ist heute Es geht zuerst einmal darum, ein Bewusstsein zu veränderte sich durch den Einbezug in einen Professor für Literatur- und schaffen, und hier spielt der Schriftsteller eine zentrale fremden Krieg, nach dessen Ende sie feststellen Kulturtheorie an der State University New York. Rolle: Das Bewusstsein der Menschen als Bürger und mussten, dass die von Frankreich im Kampf ge- Bei seinem letzten Besuch in Bürgerinnen zu fördern durch Texte, durch Anregungen gen den Faschismus propagierten Ideale nicht Kamerun im Dezember 2017 für Historiker und dann durch Schulprogramme. Für für sie gemeint waren. Der dritte Band wird unter wurde er als Regierungsgegner verhaftet, mich persönlich ist es auch wichtig, eine Basis zu legen dem Titel «Empreinte de crabe» im August 2018 aber auf internationalen für Konzepte wie Verzicht oder freiwilliges Engagement erscheinen. Thema ist der kamerunische Bürger- Druck nach drei Wochen wieder freigelassen und in einer Gesellschaft, in der es die Raubtiere sind, die krieg nach der Unabhängigkeit. • darauf des Landes den Ton angeben. Der Nächstenliebe, grundlegenden verwiesen. Literarische Aufarbeitung eines historischen Mythos Ngungunyane – Antikolonialer Held oder erbarmungsloser Ty rann?

Der König des Gaza-Reichs im südlichen Mozambique setzte den Portugiesen heftigen Widerstand ent- gegen, als diese Ende des 19. Jahrhunderts angriffen. Während die Portugiesen, die Ngungunyane 1895 überwältigten, ihn als blutrünstigen Herrscher darstellten, überhöhte ihn die Frelimo nach der Unabhän- gigkeit als Widerstandskämpfer. Beides sind Mystifizierungen. Literatur gräbt tiefer. Elisa Fuchs schil- dert, wie Mia Couto und Ungulani Ba Ka Khosa in ihren Werken der Komplexität und den Widersprüchen der Geschichte nachgehen.

Mia Couto, der bekannteste Schriftsteller des Lan- ckenden Truppen bilden lediglich den Hintergrund, vor des, trat bisher vor allem als literarischer Chronist der dem sich zwei sehr unterschiedliche junge Menschen Gegenwart und der jüngsten Geschichte Mozambiques treffen. Die beiden berichten abwechslungsweise über 8 in Erscheinung, die er in starke, facettenreiche Erzäh- die Geschehnisse. Da ist einerseits der portugiesische lungen fasst, oft aus der Perspektive einfacher Men- Unteroffizier Germano de Melo, der wegen seiner Teil- schen, in einer innovativen Sprache und nahe an der nahme an Demonstrationen gegen den portugiesischen kulturell vielfältigen mosambikanischen Realität ge- König zum Dienst in Übersee abkommandiert wurde. schrieben. In seinen letzten drei Romanen wendet er Er soll, ganz alleine, den verlassenen und herunterge- sich einer historischen Persönlichkeit aus einer weiter kommenen Militärposten von Nkokolani wiederbeset- zurückliegenden Epoche zu: Ngungunyane herrschte zen. Ihm gegenüber steht Imani, ein junges Mädchen über das Gaza-Reich, das Ende des 19. Jahrhunderts die aus dem Dorf, die bei einem Missionar Portugiesisch südliche Hälfte des heutigen Mozambiques umfasste. Lesen und Schreiben gelernt hat. Sie dient dem sich Die Trilogie «As Areias do Imperador» (Die Strände des ziemlich verloren fühlenden Germano als Übersetzerin. Kaisers) – von der bisher der erste Band «Mulheres de Beide stehen zwischen den Kulturen. Imani, deren Cinza» unter dem Titel «Imani» (Unionsverlag 2017) auf Name «Wer ist da?» bedeutet, hat sich durch ihre Bil- Deutsch erschienen ist – erzählt die Geschichte Ngun- dung und erst recht dadurch, dass sie beim Portugie-

Szene aus dem Krieg gunyanes während der Zeit der militärischen Offensi- sen ein und aus geht, von der Gemeinschaft entfernt. im Fort «Nossa Senhora da ve, mit der Portugal seine Kolonialherrschaft über Mo- Anders als die Mädchen ihres Alters ist sie nicht verhei- Conceicao», Maputo zambique sicherstellen wollte. ratet, bewegt sich selbstbewusst zwischen den Welten. (Bild: http://codiveblog. blogspot.ch). Germano, zugleich fasziniert und abgestossen von der afrikanischen Realität, von der er sich vereinnahmt fühlt, ist zunehmend in seiner Identität verunsichert. Er ist durchaus kritisch dem portugiesischen Herrschaftsan- spruch und der Armee gegenüber, aber auch geprägt vom tiefsitzenden Rassismus der Kolonialmacht, deren Vertreter er bleibt. Nkokolani liegt im Gebiet der Chope, die sich mit den Portugiesen gegen Ngungunyane verbündet haben. Sie erhoffen sich von den Portugiesen Schutz gegen die An- griffe der VaNguni, den für ihre Brutalität berüchtigten Soldaten Ngungunyanes, der die meisten anderen Volks- gruppen im südlichen Mozambique schon unterwor- fen und in sein Reich integriert hat. Imanis älterer Bruder gehört zur kleinen Minderheit derer, die den VaNguni Sympathie entgegenbringen und sie als das kleinere Übel gegenüber den Portugiesen betrachten. Ihr etwas beschränkter jüngerer Bruder hingegen dient Germano als Hausbursche.

Beissende Kritik an der portugiesischen Kolonisation In Briefen, die er vermeintlich an einen verständnis- vollen Vorgesetzten schickt, erzählt Germano von sei- nem Alltag. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund be- züglich der Jämmerlichkeit der portugiesischen Koloni- Menschen zwischen zwei Welten sation. Ngungunyane selber tritt erst am Ende des zweiten Bandes («A Espada e a Azagaia»), kurz vor seiner Fest- «Derartig feiges Verhalten rechtfertigt lediglich nahme durch den portugiesischen Offizier Mouzinho den imperialistischen Anspruch der Engländer, de Albuquerque als Person in Erscheinung und dann im zu beweisen, dass Portugal nicht in der Lage dritten Band («O Bebedor de Horizontes»), der von sei- sei, seine afrikanischen Kolonien zu verwalten. ner Deportation nach Lissabon und seinem Exil auf den Ich weiss nicht, was ich mehr verabscheue – Azoren handelt, wo er 1906 starb. Doch der gefürchte- die englische Ambition oder die beschämende te Herrscher sowie die Bedrohung durch seine vorrü- Unterwürfigkeit unserer Amtsträger.» Literarische Aufarbeitung eines historischen Mythos Ngungunyane – Antikolonialer Held oder erbarmungsloser Ty rann?

Weiter kritisiert Germano die Unfähigkeit der por- tugiesischen Armee, die Profilierungssucht ihrer Offi- ziere, ihre Ignoranz und Arroganz gegenüber der loka- len Bevölkerung:

«Die Frage beginnt schon viel früher: warum diese uralte Faulheit, an der wir Portugiesen leiden, diese anderen Sprachen zu lernen? Warum haben wir nur Lust die Sprachen der Völker zu lernen, die wir als überlegen Schwerpunktthema betrachten?»

Von Imani erfahren wir die Geschichte ihrer Familie: 9 Vom Grossvater, der als Minenarbeiter nach Südafrika ging, vom Vater, der ein begabter Musiker, aber eine schwache Persönlichkeit ist, von der Stärke der Frauen, die sich in einer von Männern beherrschten Gesellschaft Die Demystifizierung von Ngungunyane, der nach mit ihren eigenen Mitteln behaupten, von den vergra- der Unabhängigkeit von der Frelimo-Regierung zum Na- benen Sonnen, die eines Tages als Sterne wieder aus- tionalhelden hochstilisiert wurde, hat bereits vor dreis- gegraben werden können, von den Waffen, die dafür sig Jahren ein anderer, international wenig bekannter sorgen, dass es Krieg gibt. mosambikanischer Autor unternommen. Ungulani Ba Zwischen Imani und Germano entwickelt sich eine Ka Khosa schildert in seinem schmalen Band «Ualalapi» vorsichtige und widersprüchliche Liebesbeziehung, – der leider nicht in andere Sprachen übersetzt wurde, immer wieder in Frage gestellt durch die Solidarität mit obwohl eine unabhängige Jury in Ghana ihn zu den 100 der eigenen Gruppe. Als Germano das Gewehr erhebt wichtigsten afrikanischen Büchern des 20. Jahrhunderts gegen die Männer – angeführt von Imanis Bruder – die wählte – Aufstieg und Fall von Ngungunyane in sechs nach dem von Ngungunyanes Soldaten angerichteten Episoden aus der Perspektive verschiedener Personen. Massaker wütend auf den Posten zu marschieren, Er bezieht sich dabei auf die orale Tradition, wo von den schiesst Imani dem Portugiesen in die Hände. Doch Alten am Feuer jeder seine eigene Version der Geschich- nachher begleitet sie den Schwerverletzten zusammen te erzählt. Was schreckliche Katastrophen auslöst, wie mit ihrem Vater und einer italienischen Besucherin auf etwa die Überschwemmung eines Dorfes durch das einer Piroge nach Manjacaze, der Hauptstadt von Ngun- Menstruationsblut einer Frau, und schliesslich das Reich gunyanes Reich. Dort betreibt der Schweizer Arzt Lieng- des «Löwen von Gaza» zum Einstürzen bringt, ist mehr me ein Krankenhaus. Und dort wird Imani auf Ngun- die eigene als die fremde Gewalt und Grausamkeit, die gunyane treffen, der sich – krank und von den Intrigen Zerstörung des Wertesystems, auf dem die Gesell- am Hof geschwächt – schliesslich kampflos den Portu- schaft aufgebaut ist. giesen ergibt. Die Anerkennung traditioneller Werte, von der Fre- limo-Regierung in den Jahren nach der Unabhängigkeit Demystifizierung Ngungunyanes meist unbesehen als überholt und obskurantistisch ab- Er habe keinen historischen Roman schreiben wol- getan, ist Ungulani Ba Ka Khosa ein Anliegen. «Ich sage len, erklärt Mia Couto in einem Interview (Diário de No- nicht, ob ich damit einverstanden bin oder nicht, aber tícias, 11. Oktober 2016). Was ihn interessiert, ist Ngun- diese Werte gehören zu meiner kulturellen Welt», er- gunyane in seiner menschlichen Schwäche. Obwohl die- klärt er in einem Interview (Jornal de Letras, Artes e ser sehr mächtig ist, zerbricht er an seiner Einsamkeit Ideias, No. 466, 1991). Dreissig Jahre später hat er die und seinem Unglück. Er hat 300 Frauen, aber die einzi- Geschichte nun noch einmal aufgenommen. In seinem ge, die er liebt, wird am Hof umgebracht. Es geht dem Roman «As mulheres de Ngungunhane», der 2018 in Schriftsteller um eine andere, differenziertere Darstel- Maputo sowie gleichzeitig, in einem Band zusammen lung der historischen Persönlichkeit, die von verschie- mit «Ualalapi», unter dem Titel «Gungunhana» bei Por- denen Seiten mystifiziert und ideologisch aufgeladen to Editora in Portugal erschienen ist, beleuchtet er den wurde. Und vor allem auch darum, den Bezug zur Ge- Herrscher des Gaza-Reichs aus der Perspektive der sie- genwart zu schaffen. «Meine wichtigste Absicht», sagt ben Frauen, die ihn ins Exil auf die Azoren begleiteten. er, «ist es aufzuzeigen, wie die Prozesse zur Vorberei- Ngungunyane ist nicht mehr nur eine historische tung eines Krieges schon viel früher anfangen, als erst, Persönlichkeit, je nach Standpunkt verfemt oder ver- wenn die Heere aufgestellt werden. Sie beginnen mit klärt, er ist eine literarische Figur geworden, die in ih- dem Bestreben, den Anderen zu entmenschlichen und rer ganzen Komplexität und Widersprüchlichkeit als ihm seine Seele abzusprechen. Auf beiden Seiten war Referenz für die Diskussion von Werten und Leitbildern es damals nötig, zu zeigen, dass der Andere nicht in der mosambikanischen Gesellschaft der Gegenwart menschlich ist, um dadurch die eigenen unmenschli- und der Zukunft dient. • chen Taten von Anfang an zu rechtfertigen». Der krude Rassismus, der die koloniale Beziehung begründet, wird Elisa Fuchs ist Romanistin mit Schwerpunkt Afrikanische Literatur schliesslich auch die Liebe zwischen Germano und Ima- und Konsulentin für internationale kulturelle Zusammenarbeit. ni, wenn nicht zerstören, so doch unlebbar machen. Kontakt: [email protected]. Afrika in Kürze

Die jetzige Regierung unter African Union Zimbabwe Präsident Mnangagwa besteht mit einigen Ausnahmen aus früheren Regierungsmitgliedern und zwei hoch- Freier Handel innerhalb Alter Wein in neuen Schläuchen? rangigen Militärs. Viele von ihnen ganz Afrikas? Am 22. November 2017 herrschte haben Mugabes Politik mitgetragen Ein Treffen der African Union (AU) in Harare der Ausnahmezustand. Mehr und mitgestaltet, allen voran Mnangag- in Kigali beschloss die Lancierung als eine Million Menschen feierten in wa. Die Hoffnungen auf eine Über- eines generellen Freihandels-Abkom- den Strassen den Rücktritt von Robert gangsregierung unter Einbezug der mens zwischen allen afrikanischen Mugabe. Es war eine machtvolle Opposition haben sich zwar nicht Staaten (die nordafrikanischen Na- Demonstration gegen den ewigen erfüllt, trotzdem erhielt die Regierung tionen eingeschlossen). 44 Nationen Präsidenten und seine Elite und ein sehr viel Goodwill. Umso grösser ist 10 haben diesen Beschluss unterzeichnet starkes Zeichen der Unterstützung für die Ernüchterung über ihre Untätigkeit. in der Erwartung, dass ein solches die neuen Machthaber. Sie liess eine Äusserungen von Mnangagwa, Abkommen Handel, Arbeitsplätze und Delegation der SADC von der geplan- die Wahlen 2008 seien frei und fair Produktion gewaltig steigern würde. ten Unterstützung für Mugabe ab- gewesen, lassen nichts Gutes ahnen. Allerdings kann es erst umgesetzt sehen. Dessen Rücktritt hatte Emmer- Dazu gehört auch, dass es bei den werden, wenn sich alle Mitglieder der son Mnangagwa, langjähriger Freund Vorbereitungen für die Wahlen im AU beteiligen. Das Ausscheren Nigerias Mugabes und Regierungsmitglied, Sommer 2018 bis jetzt keine Änderun- lässt Beobachter einen Flop befürch- zusammen mit dem Militär erzwungen. gen gibt, obwohl die Opposition seit ten, dabei geht es im ersten Schritt Rund drei Monate später, am 14. Feb- langem eine Bevorzugung der Regie- lediglich darum, Handelshemmnisse zu ruar 2018, gingen wieder Hunderttau- rungspartei Zanu-PF kritisiert. schleifen. Der Abbau von Zöllen wäre sende auf die Strasse, um den an Krebs Die Opposition ist durch den ein weiterer Schritt, der wohl viele verstorbenen Morgan Tsvangirai, Tod Tsvangirais, der von Vielen als ärmere Länder zögern liesse, deren Re- Vorsitzender der grössten Oppositions- Führer betrachtet wurde, zweifellos gierungseinkünfte zu einem guten partei MDC-T, zu betrauern. Dessen geschwächt und immer noch zersplit- Teil aus Zolleinnahmen bestehen. Der Beerdigung in Buhera wurde zu einer tert. Der beschworene Einigungs- grosse Entwurf propagiert auch einen grossen Demonstration. Beide Er- prozess kommt nur mühsam voran. gemeinsamen Markt und eine gemein- eignisse haben die Politlandschaft Der Nachfolger Tsvangirais, der 40- same Währung. Diese Vision rief den umgepflügt. Gleichzeitig zeigen die jährige Jurist Nelson Chamisa, wird als Widerstand der nigerianischen Han- Reaktionen der Bevölkerung klar, dass eloquent, charismatisch und beliebt delskammer und von Gewerkschaften sie eine Änderung der bisherigen beschrieben. Er war 1999 Mitgründer hervor. Ein gemeinsamer Markt würde Politik wünscht, und eine neue Re- von MDC, hatte in der Partei verschie- wohl auch Freizügigkeit der Arbeits- gierung gut beraten wäre, eine Politik dene Ämter inne und arbeitete eng kräfte bedeuten, was Angst vor Kon- zu Gunsten der Bevölkerung zu mit Tsvangirai zusammen. Den Kampf kurrenz weckt. Die westlichen Ana- betreiben. um dessen Nachfolge gewann er Dank lysten verweisen ungläubig auf die Leider wurden die Hoffnungen, der grossen Unterstützung durch die Jahrzehnte, während denen der gemein- die alle Bevölkerungskreise in die neue Parteibasis. Offen ist, ob er trotz seiner same Markt in Europa und der Euro Regierung setzten, bis heute nicht Jugend die älteren Vorsitzenden der heranwuchsen. Bedenklich stimmt erfüllt. Zwar fand die Regierung zu weiteren Oppositionsparteien für sich auch das Beispiel der Entwicklungs- Beginn die rechten Worte, versprach gewinnen kann. MDC-T selber sieht in gemeinschaft des Südlichen Afrikas viele Änderungen, und auch die seinem Alter grosse Vorteile, weil die (SADC). Diese lancierte 1980 ein ana- schikanösen Strassensperren ver- Mehrheit der Wähler und Wählerinnen loges Projekt, hat dieses jedoch schwanden. Seither passierte jedoch unter 35 Jahre alt ist. Chamisa zeigte nie auch nur bis zum Abbau der Zölle nichts mehr. Alle, auch die Wirtschaft, in der Zwischenzeit, dass er die Partei- vorangebracht (siehe Afrika-Bulletin warten und hoffen weiter. basis mobilisieren kann. An einer Nr. 143). Gerade im südlichen Afrika MDC-T Parlamentarier Eddie Cross Veranstaltung Ende März in der Zanu- besteht jedoch ein grosses Ungleich- wundert sich, warum die verspro- PF-Hochburg Murewa nahmen gewicht in der Exportkapazität chenen Änderungen bis heute nicht Tausende Mitglieder der MDC-T teil. • zwischen dem hoch industrialisierten realisiert wurden. 2009 setzte eine Südafrika und den weiteren SADC- gemeinsame Regierung von MDC-T und Staaten, während im Durchschnitt Zanu-PF schon kurz nach Regierungs- Afrikas lediglich 16 Prozent der Ge- antritt wichtige Änderungen in der samtausfuhren in andere afrikanische Wirtschaft um und hob Restriktionen Staaten geht. Immerhin wurde eine auf, was bald eine spürbare Erholung Vision skizziert, deren Umsetzung Zeit der Wirtschaft bewirkte. Der jetzige brauchen wird, die aber nicht ignoriert Finanzminister Chinamasa war schon werden kann. • damals im Amt. Im Unterschied zu heu- te wurde er von den MDC-T Mitgliedern Tendai Biti und Tsvangirai beraten. säkularen, staatlichen Bildungsplan hohe Beträge bei den Einnahmen Kenya einzuhalten. Im März starb nun ein fehlten, und von Kabila wird gemun- 93-jähriger Schulrat in der Haft eines kelt, dass er durch die Neuerung seine natürlichen Todes. Entgegen dem «Kriegskasse» für den Kampf um sein Nachwehen der Wahlen NZZ-Bericht war nicht er ein «National- Verbleiben im Präsidentenamt füllen Möglicherweise auf Anmahnung held», sondern allenfalls Bruder eines wolle. Mit Tanzania, Zambia und DRC des inzwischen abgesetzten amerikani- solchen. Nach seiner Beerdigung klagen somit bereits drei Regierungen schen Staatssekretärs Tillerson kam es strömten die Jugendlichen mit dem Ruf Afrikas die herrschenden Missverhält- in Nairobi zu einem Treffen zwischen «Allah Akbar !» erneut auf die Haupt- nisse, Profit-Verschiebung und Aus- Afrika in Kürze dem gewählten Uhuru Kenyatta und strasse. Mehrere Dutzend wurden in- plünderung ihrer Rohstoffschätze an dem Oppositionsführer Raila Odinga. haftiert. Es heisst, es sei eine 13-Jäh- und ergreifen Massnahmen dagegen. • Dieser war zum gerichtlich verordneten rige unter ihnen gewesen, und Eltern erneuten Wahlgang nicht angetreten, sei kein Zugang zu ihren Sprösslingen 11 da die Korrekturen am Wahlverfahren gewährt worden. Gemäss der Botschaft nicht genügten. Stattdessen liess in Berlin sind aufgrund von Video-Auf- Mozambique er sich in einer öffentlichen Zeremonie nahmen die Anführer und Steinewerfer von seinen Anhängern als Präsident identifiziert und einbehalten. Leider einschwören. Eine gewichtige Rolle im gab es in den internationalen Medien Entführung eines Journalisten Zustandekommen eines Dialogs keine weiteren Informationen. • Am Dienstag vor Ostern wurde der zwischen den Rivalen scheint ihren mozambikanische Fernsehkommen- Ehefrauen zuzukommen, die seit tator Ericino de Salema in Maputo am Januar gemeinsam dazu aufriefen. helllichten Tag von Unbekannten in Die beiden einstigen Konkurrenten DRC ein Auto gezerrt und entführt. Stunden versprachen sich Brüderlichkeit und später fanden ihn Passanten schwer eine Debatte, die das Volk wieder verletzt am Strassenrand ausserhalb einen soll. Ohne Rücksprache mit Neues Gesetz über der Stadt. De Salema hatte an einer seiner Partei sicherte sich Odinga die Rohstoff-Förderung Fernsehdiskussion heftige Kritik an der damit ein eigenes, gut bestücktes Amt Sehr unerwartet hat die kongolesi- Regierung geübt und den Rücktritt innerhalb der Regierung von Kenyatta: sche Regierung am 10. März 2018 das des Finanzministers gefordert. Dabei Mit Reisen in die Provinz soll er den Gesetz über die Rohstoff-Förderung bezog er sich auf die jüngsten Vor- Zusammenhalt der Nation und die wesentlich verschärft, wie es die Op- schläge der Regierung zur Rückzah- Loyalität der konkurrierenden Volks- position seit Jahren fordert. Im Dezem- lung der versteckten Schulden. Es geht gruppen – die sich anlässlich der ber 2017 war Dan Gertler, zuvor ein um den skandalösen Milliardenkredit Wahlen 2013 blutige Kämpfe mit guter Freund Kabilas und Vermittler der Credit Suisse und der russischen Tausenden von Toten lieferten – lukrativer Minen-Konzessionen für VTB an drei dem Geheimdienst gehö- sichern. Trotzdem fordert er nun eine internationale Korporationen – allen rende Unternehmen. Untersuchung von Kenyattas Wahl- voran Glencore und Randgold – in den Ein Sprecher von Amnesty in propaganda, für welche die ominöse USA wegen unlauterer Geschäfte, Kor- Maputo verurteilte die Entführung und Beratungsfirma Cambridge Analytics ruption und illegitimer Bereicherung weitere Angriffe auf Menschenrechts- beigezogen worden war. • angeklagt worden. US-Quellen schätz- verteidiger, die «eine Kultur der Angst» ten, dass der DRC allein zwischen 2010 begründeten. Er kritisierte das Schwei- und 2012 1,36 Milliarden USD durch gen der Regierung, deren Aufgabe den Verkauf von nationalen Ressourcen es sei, das Recht auf freie Meinungs- Eritrea unter Preis entgingen. Über 500 Millio- äusserung zu garantieren und jene nen USD sollen allein durch Glencore Menschen zu schützen, die davon auf Konten und Firmen Gertlers verteilt Gebrauch machten. Inzwischen haben Massenverhaftung worden sein, argumentiert die NGO sowohl Premierminister Carlos Bereits im November wurde eine Global Witness. Nun laufen die Minen- Agostinho do Rosario wie auch die Demonstration von Jugendlichen Korporationen gegen das neue Gesetz Parlamentsvorsitzende Veronica bekannt, welche nach der Verhaftung Sturm, das 60 Prozent mehr Tantiemen Macamo den Angriff scharf verurteilt. von Mitgliedern eines Schulrates in die für die DRC einbringen und die Kosten Do Rosario besuchte Salema im Spital. Stadt geströmt waren. Schon damals der Kobalt-Förderung vervierfachen Vor zwei Jahren war der Dozent scheint Militär zum Einsatz gekommen würde. Die CEOs geben sich zurzeit die und Publizist José Jaime Macuane nach zu sein und wurde das Internet zeit- Klinke des Regierungspalastes in einem kritischen Beitrag in der glei- weise gesperrt. Als Grund der Verhaf- Kinshasa in die Hand, um die Umset- chen Sendung entführt und mit Schuss- tung wurde angegeben, dass die Mit- zung des Gesetzes zu blockieren, wunden an den Beinen am selben Ort glieder des Schulrats sich Anweisungen und drohen mit Rückzug von neuen liegen gelassen worden. • der Regierung widersetzt hätten. Der Investitionen. Allerdings sind die privaten moslemischen Schule wurde kongolesischen Promotoren der Ge- die religiöse Unterweisung, die Tren- setzesänderung keineswegs über jeden nung der Geschlechter sowie die Verdacht erhaben: Dem Verwaltungs-

Verschleierung der Mädchen verboten, ratspräsidenten von Gécamines wird Zusammengestellt von Getrud Baud, Susy Greuter und sie wurde angewiesen, den vorgeworfen, dass in den Büchern und Barbara Müller. Streifblick auf das Verlagswesen in Afrika Afrikanische Literatur für den heimischen Markt

In der Debatte über das Verlagswesen in Afrika erkennt der Schriftsteller Mohomodou Houssouba ein seit Langem unverändertes Bild: Bücher bekannter afrikanischer Autoren werden häufig im Westen heraus- gegeben und zu Preisen verkauft, die für die Mehrheit der potenziellen Leserinnen und Leser in Afrika unerschwinglich sind. Es ist ein seltsames Paradox, das die verschiedenen Akteure der Buchbranche regel- mässig bewegt – Schriftstellerinnen, Herausgeber, Literaturkritikerinnen und Buchhändler. Erklärungsver- suche beziehen sich zumeist auf die ‹objektiven› Faktoren, die dem Problem zugrunde liegen: das Fehlen von Verlagshäusern und Druckereien von internationalem Standard, hohe Analphabetismus-Raten, niedrige Kaufkraft, mangelnde Werbe- und Vertriebsstrukturen, unzureichend professionelle Literatur- kritik und zu wenig vernetzte Buchhandlungen. Doch gibt diese Erklärung, obgleich einigermassen fun- 12 diert, die reale Situation des afrikanischen Buchsektors (noch) wieder?

Afrika erscheint wie ein Kontinent, in dem ein Ver- Im englischen Raum zieht sich Heinemann Ende der lagswesen kaum existiert. Um dieses Bild zu entwirren, 1990er-Jahre aus der Herausgabe afrikanischer Litera- muss man die Geschichte des Verlagswesens in der Re- tur zurück: der Stopp der African Writers Series und der gion bemühen. Tatsächlich ist die heutige Situation weit- Caribbean Writers Series ist ein schwerer Schlag für die gehend von der Vergangenheit geprägt. Die europäi- ganze afrikanische Literatur. In seiner Blütezeit hatte Hei- schen Mächte haben ein System entwickelt, das bis heu- nemann nicht nur viele Autoren veröffentlicht, sondern te die Produktion von Büchern auf ihren jeweiligen Ko- auch übersetzt und so die Verbreitung von Büchern von lonialraum ausrichtet. einem Sprachraum in den anderen erleichtert. Insgesamt sind die Verlagsmöglichkeiten für afrikanische Schrift- Die regionale Strategie nach stellerinnen deutlich reduziert. Die politische Gewalt, der Unabhängigkeit die in vielen afrikanischen Ländern in diesem entschei- Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeiten lag die Veröf- denden Jahrzehnt vorherrscht, zwingt viele Dissidenten fentlichung afrikanischer Literatur noch in den Händen unter den Autoren ins Exil, im Laufe der Jahre manchmal von grossen englischen Verlegern wie Heinemann und in verschiedene Länder. Manche finden sich in Nord- von regionalen Häusern wie dem East African Publishing amerika wieder, wo sie sich um Publikation bemühen House. Im frankophonen Raum wurden die meisten af- oder sogar ihre eigenen Verlage schaffen. Dies ist der rikanischen Autoren von französischen Verlagshäusern Fall bei den Zwillingen African World Press und Red Sea veröffentlicht. Die Entstehung einer Gruppe wie Pré- Press, die von Kassahun Checole, einem eritreischen sence Africaine – mit einer antikolonialen Drittwelt-Per- Migranten in den Vereinigten Staaten gegründet wur- spektive – änderte daran zunächst wenig. Dennoch bil- den. Viele andere Gruppen unterschiedlicher Grösse den sich nach der Unabhängigkeit zwei wichtige regio- operieren auch in Kanada. nale Verlegergruppen: In Yaoundé (Kamerun) werden Unter diesen Bedingungen erfuhr das afrikanische 1963 die Editions CLE gegründet, die sich auf christliche Verlagswesen einen Wandel, dessen interne Dynamik Literatur konzentrieren, aber auch allgemeine Literatur weltweit Nachwirkungen hatte. Wenn im Allgemeinen und Schulbücher publizieren. In Dakar tauchen als ge- anerkannte Autorinnen und Autoren zumeist noch im- meinsame Initiative von Senegal, Togo und Côte d’Ivoi- mer in Frankreich oder Grossbritannien publiziert wer- re die Nouvelles Éditions Africaines (NEA) auf und pro- den und dadurch Zugang zum globalisierten Markt duzieren von 1972 bis 1988. NEA spezialisieren sich auf finden, werden neuere Autoren in Afrika oder in der Bildungsmaterialien, veröffentlichen aber auch viele Ro- Diaspora durch neu geschaffene Verlagshäuser und -ko- manschriftsteller, Poeten und Dramaturgen und geben operativen verlegt, die eine Lücke füllen und deren Ini- grosse Talente wie Amadou Hampate Bâ heraus, die tiativen die Anliegen ihrer Befürworter widerspiegeln. später von den grossen französischen Verlagen erneut Eine kürzlich erschienene Reportage zur Verlagssi- verlegt werden. tuation, die anlässlich der Rentrée littéraire du Mali im Mit diesem eingehenderen Blick erscheint ein wei- Februar 2018 unternommen wurde, zeigt auf, dass das teres Paradox: Zu Beginn der post-kolonialen Phase wird Volumen des Verlagswesens stark ansteigt. Die Auto- eine regionale Strategie vorangetrieben – sicherlich in ren, Kritikerinnen und Leser aber erweisen sich mehr- der Einsicht, dass das Verlagswesen ein Niveau an Fi- heitlich als unzufrieden mit der Qualität der Bücher. In nanzierung und Professionalität erfordert, das den ein- gewisser Weise finden wir auf nationaler Ebene die Situ- zelnen Ländern fehlt. Besser also, die begrenzten Mit- ation der 1970er- und 1980er-Jahre, als die NEA noch tel zusammenzulegen, um einen angemessenen Spiel- einen beeindruckenden Katalog von Autoren und Auto- raum für Produktion und Vertrieb zu entwickeln. rinnen aus allen französischsprachigen Ländern West- afrikas veröffentlichte, von denen es dann allerdings Krise und Neubeginn nur wenige zu einem herausragenden Status brachten. Die Krise, welche das Verlagswesen in den Jahren Einige sagen, dies sei die Realität des Publizierens auf 1980 bis 1990 treffen wird, hat dieser Ausrichtung prak- der ganzen Welt. tisch ein Ende gesetzt. NEA teilt sich in zwei nationale Dennoch fällt die strukturelle Schwäche der afrika- Gruppen auf: NEA Côte d’Ivoire und NEA Senegal. Der nischen Buchbranche auf. Der lokale Markt bleibt von Verlag CLE überlebt, verliert jedoch den einstigen Elan. der Produktion ausserhalb des Kontinents dominiert. Streifblick auf das Verlagswesen in Afrika Afrikanische Literatur für den heimischen Markt

Sogar Schulbücher, die als eigener Markt betrachtet wer- den können, werden in erster Linie von französischen und britischen Verlagen geliefert.

Innovation und Initiativen Wie ist das zu beheben? In letzter Zeit mehren sich Initiativen sowohl innerhalb des Kontinents als auch in der vielfältigen Diaspora auf den anderen Kontinenten. Ohne dies erschöpfend einfangen zu wollen, können ge-

wisse Dynamiken angeführt werden, um es zu illustrie- Schwerpunktthema ren. 1. Die Wiedergeburt des kleinen Verlags zeigt sich in vielen Ländern. Der Zugang zu neuen Technologien hilft, 13 Kosten zu reduzieren und gleichzeitig die Qualität zu er- höhen. Obwohl fragil und manchmal sogar prekär, ist ihre Existenz ein Rettungsanker für viele Autorinnen auf dem Kontinent. Ein literarisches Genre wie die Poe- sie hängt praktisch vollständig von dieser Nische ab, um weiter existieren zu können. 2. Solidarisches Publizieren über Netzwerke wie Af- rilivres, African Books Collective, L’Oiseau Indigo-Book- witty ermöglicht die Co-Publikation von Werken, die im Buchhandlung am Rande Süden zu günstigeren Preisen verkauft werden. Dieses des Marché Washington in Gao (Bild: Mohomodou System erlaubt mittels von europäischen Häusern ab- len gibt es eine breite Palette von Verlagshäusern, die Houssouba 2016). getretenen Autorenrechten die Neu-Publikation durch für ihre Produktionen bekannt sind: Ganndal in Guinea afrikanische Verleger, welche der lokalen Kaufkraft für Publikationen in nationalen Sprachen, Ruisseaux Rechnung trägt. d’Afrique in Benin für Jugendliteratur, Amalion im Sene- 3. Das digitale Publizieren entwickelt sich zum Vor- gal für Gedichte. Viele weitere streben danach, ästhe- bild für die Produktion und den Vertrieb von Büchern tisch ansprechende Bände und E-Books zu publizieren. hoher professioneller Qualität. In Ghana zum Beispiel Auch in naher Zukunft steht das afrikanische Ver- wird der Markt der Diaspora angepeilt und dort insbe- lagswesen vor vielen, oft genannten Hindernissen. Doch sondere Familien, die nach Literatur für Kinder und Ju- hat sich in den letzten zehn Jahren eine neue Dynamik gendliche suchen, die ihre Herkunftskulturen widerspie- eingespielt, mit Verlagen, die sich fortschreitend etab- gelt. Dies stösst Publikationen in nationalen Sprachen lieren, und solchen, die neu eröffnet werden und ihre an, da solche Werke den Eltern helfen, ihre Mutterspra- Nische auf einem fragmentierten, aber vielversprechen- che der neuen Generation zu überbringen, die ausser- den Markt suchen. Die Qualität der Objekte bleibt eine halb des afrikanischen Kontinents aufwächst. grosse Sorge; sie leidet zu häufig unter dem Mangel an 4. Die Publikation in nationalen Sprachen verdient Fachkräften, die die verschiedenen Etappen der Buch- spezielle Erwähnung. Ein grosser Teil wird durch Ver- produktion verfolgen. lagshäuser in Afrika gesichert. Heute weist praktisch Die Situation ändert sich jedoch von Land zu Land jedes Land einige Verleger in diesem Bereich auf. Neben und von Region zu Region. Mit den Möglichkeiten, die der Vermittlung lokaler Traditionen umfassen sie die die grossen Verkehrssprachen wie Kiswahili oder Yoru- Übersetzung literarischer Werke, die ursprünglich in ba bieten und mit dem Potential von Industriezentren einer europäischen Sprache publiziert waren, wie auch in Südafrika und Nigeria verbessert sich trotz allem die von Werken, die direkt in einer nationalen Sprache ge- Situation für ein Verlagswesen im grossen Massstab. schrieben wurden. Mehrere Initiativen im Senegal prak- Früher oder später könnten diese Entwicklungen zu- tizieren beide Modelle für Publikationen in Wolof. sammenfliessen und Qualität und Quantität des afrika- 5. Eine Reihe von Verlagshäusern, stechen durch ihre nischen Verlagswesens massgeblich erhöhen. • umfassenden Kataloge hervor: Barzakh in Algerien, Ely- zad in Tunesien, Eburnie in Côte d’Ivoire. Andere unter- streichen ihren Ehrgeiz, mit westlichen Verlagshäusern zu konkurrieren, indem sie renommierte Autoren anwer- ben, denen sie eine rigorose und sorgfältige Verarbei- tung ihrer Werke garantieren. Letzteres gilt für Jimsaan, ein Verlagshaus, das durch die senegalesischen Auto- ren Boubacar Boris Diop, Felwine Sarr und Natfissatou Dia Diouf 2013 gegründet wurde und an eine Buch- handlung (Athéna) angeschlossen ist. Ihr Ziel ist es, den Zugang zu qualitativ hochwertigen Büchern aus dem Senegal und anderen Ländern nicht nur durch Mohomodou Houssouba ist Schriftsteller und promovierter Veröffentlichungen zu fördern, sondern auch durch Sprachwissenschaftler. Er leitet das Portal Songhay.org, das die Entwicklung dieser westafrikanischen Sprache lexikografisch Austausch in Räumlichkeiten, wie sie Buchhandlungen begleitet und die Lokalisierung von Software unterstützt. oder Literaturcafés bieten. Zwischen diesen beiden Po- Kontakt: [email protected]. Literatur

Buchbesprechungen

Aufbruchjahre an der Zwar nahm er – unterdessen gleichzeitig neugierig, was aus Makerere-Universität verheiratet und Vater – nach dem ihren Nachfahren wird. Gleichzei- ef. Ng˜ug˜ıĩ wa Thiong’o, einer Studium einen Brotjob als Ge- tig eröffnen sich Perspektiven der der bedeutendsten afrikanischen richtsberichterstatter und Geschichte, die, wenn überhaupt, Schriftsteller der Gegenwart, Journalist bei der «Nation» an. im Allgemeinwissen nur marginal beschreibt im dritten Band seiner Doch er erkannte bald, dass seine vorhanden sind. Zum Beispiel der Autobiographie seine Studien- Lebensaufgabe das literarische Widerstand der Asante gegen die jahre am Makerere University Schreiben ist, das nach der britischen Kolonialherren oder College in Kampala. Er schrieb Wahrheit, nach Motivationen und die Zwangsarbeit von Afroameri- sich dort 1959 als kolonialer Geschichten, Gründen und kanern in den Kohleminen von Untertan von Britisch-Ostafrika Abgründen hinter den Alltags- Alabama. Nach sieben Generatio- ein und ging 1964 als Bürger des realitäten forscht: «Schreiben ist nen endet der Roman schliesslich unabhängigen Kenya ab. Make- eine Arbeit, verlangt demütige in der Gegenwart. rere war die einzige höhere Hingabe.» • Das Buch berührt und zeigt Bildungseinrichtung im damali- eindrücklich auf, wie die Ge- Ng˜ug˜ı wa Thiong’o: Geburt eines gen britischen Ostafrika, und Traumwebers. München 2016 (A1 Verlag). schichte und das, was man Schick- es war der Treffpunkt vieler sal nennen mag, die Menschen zukünftiger Führer der Anfang formen und beeinflussen. • der 1960er-Jahre die Unabhängig- Historische Innensichten Yaa Gyasi: Heimkehren. Köln 2017 (DuMont). keit erlangenden Länder der auf Ghana und die USA Region. Julius Nyerere studierte cvl. Es beginnt mit zwei dort ebenso wie Milton Obote, Schwestern, die sich nicht Begegnung mit der der spätere Premierminister kennen. Und es entspinnen sich Vergangenheit von Uganda. zwei Familiengeschichten, die ef. Der kamerunische Autor Für Ng˜ug˜ı, der als Sohn einer unterschiedlicher nicht sein Max Lobé lebt seit seinem 18. Le- alleinstehenden Bäuerin auf dem könnten, gleich beginnen und bensjahr in der Schweiz, und Dorf aufwuchs und es dank sich am Ende wieder kreuzen. seine ersten beiden Romane seiner Mutter, die – selber Anal- Yaa Gyasi beschreibt in ihrem handeln vom Leben hier, in einem phabetin – den Wert von Bildung Debüt eine beeindruckende Ge- «heissen» Quartier von Genf zum erkannte, bis an die Universität schichte über ihre Heimat Ghana Beispiel («39, rue de Berne»). Für schaffte, war es die Entdeckung sowie ihre Wahlheimat, die USA. seinen dritten Roman «Confiden- einer neuen Welt. Die intellek- Goldküste, 18. Jahrhundert: ces», für den er 2017 den Prix tuelle Auseinandersetzung mit Effia und Esi haben dieselbe Amadou Kourouma erhielt, kehrte den meist europäischen Professo- Mutter, wachsen aber getrennt er nach Kamerun zurück, um ren schärfte sein Bewusstsein auf. Effia wird mit einem schotti- den Spuren der Vergangenheit für subtile Formen von Rassismus schen Sklavenhändler verheiratet nachzugehen, dem weitgehend und für die Hartnäckigkeit des und lebt fortan privilegiert in totgeschwiegenen grausamen Ko- kolonialen Denkens, das sich Cape Coast an der Küste. Esi wird lonialkrieg, den Frankreich in den auch in manchen schwarzen versklavt und mit dem Schiff über 1950er-Jahren in Kamerun führte, Köpfen eingenistet hatte. Zum den Atlantik in die USA verschifft, und auf den er an einer von Studentenleben gehörten aber wo sie auf einer Baumwollplan- seiner Cousine in Paris organi- auch die ausgelassenen Tanz- tage arbeiten muss. Mit jedem sierten Konferenz aufmerksam und Gesellschaftsabende, die von Kapitel tastet sich die Autorin zur wurde. den verschiedenen Wohnheimen nächsten Generation vor und Die 80-jährige Mâ Malinga veranstaltet wurden. Von greift dabei historische Begeben- berichtet dem neugierigen besonderer Bedeutung für Ng˜ug˜ı heiten beider Länder auf. An der jungen Besucher aus Europa von war die 1962 in Makarere Goldküste und dem späteren Ruben Um Nyobé und vom Kampf durchgeführte panafrikanische Ghana sind dies unter anderem für «Kundé» (die Freiheit). Mâ Schriftstellerkonferenz, an der die Anglo-Asante Kriege und die Malinga erzählt in gemächlichem er bekannte Autoren und Auto- Unabhängigkeit, in den USA die Rhythmus, mäandernd, manch- rinnen wie Ezechiel Mphalele, Sklaverei, der Bürgerkrieg und mal humorvoll, manchmal Chinua Achebe, Wole Soyinka die Rassentrennung. schonungslos direkt und lädt ihn oder Grace Ogot kennen lernte. So ergibt sich eine Reihe von zwischendurch immer wieder Auch der Traumweber, der Kurzgeschichten zu einzelnen dazu ein, von ihrem Palmwein zu Schriftsteller Ng˜ug˜ı, wurde in Personen, die sich auf einander trinken. In ihren Erzählungen Makerere geboren, wo er sein beziehen. Jedes Mal fühlt man wird ein ganzes Dorf lebendig: erstes Theaterstück und seine sich als Leserin oder Leser in die der spindeldürre alte Dorfchef, ersten zwei Romane schrieb. Protagonisten hinein und ist der nochmals eine junge Frau Musik

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geheiratet hat, die energische Ngo Bahiya, die neben ihrem kleinen Sohn auch ihren Mann versorgen muss, der als Verrück-

ter aus dem Indochinakrieg Literartur Musik und zurückgekommen ist, die alte Mâ Niango, die noch die Deutschen erlebt hat und mit Ausdrücken 15 wie «Dummkopf» oder «Dach- ziegel» um sich wirft. Um Nyobe, der charismatische Anführer der Unabhängigkeitsbewegung UPC (Union des Populations du Cameroun) ist der «Mpodol» (derjenige, der für die andern Hugh Am 23. Januar 2018 ist der spricht) und geniesst einen (4. April 1939 – 23. Januar 2018) grosse Trompeter, Sänger, Kom- breiten Rückhalt in der Bevölke- Schon eine der ersten Platten ponist und Produzent nach langer rung. So wird das ganze Dorf auf der mitspiel- Krankheit von dieser Welt ge- Teil der heftigen Auseinanderset- te, gilt als ein Meilenstein des gangen. 44 Alben hinterlässt zungen, denn die Franzosen schwarzen südafrikanischen Jazz: Hugh Masekela. Einige davon versuchen mit allen Mitteln – von «Verse 1» der Band Jazz Epistles gelten als Klassiker. Dazu kommen der Verteufelung Um Nyobes in bestehend aus Kippie Moeketsi, seine weiteren Arbeiten und der Sonntagspredigt bis zum Jonas Gwangwa, Abdullah Ibra- Projekte mit verschiedensten Heranziehen von Soldaten aus him (Dollar Brand), Johnny Gertze Musikern und Musikerinnen. andern Ländern Afrikas – die und Makhaya Ntshoko, respekti- Als eigentlichen Abschied hat Kontrolle zu behalten und ve Early Mabuza. Das war 1959, uns Masekela noch eine wunder- sperren schliesslich die ganze kurz vor dem Massaker von Sharp- bare Platte eingespielt: «No Bevölkerung in Lager. ville, das einen grossen Teil der Borders». Neben südafrikanischen Der Kolonialkrieg ging nach südafrikanischen Jazzmusiker ins Einflüssen tönen auch kongolesi- der Unabhängigkeit als Bürger- Exil gehen liess. Viele gaben sich sche Rhythmen und nigeriani- krieg weiter – dies ist das Thema als eigentliche Botschafter der scher Afrobeat durch. Dazu gibt von Patrice Nganangs neuestem Befreiungsbewegung, als kultu- es engagierte Texte und ein Zu- Roman (siehe Seite 7). Die UPC, relle Kämpfer gegen die Apart- sammenspiel mit verschiedenen die insbesondere in den Regionen heid. Hugh Masekela gründete Sängerinnen, Sängern und Rap- der Bassa und der Bamileke eine das Musicians and Artists Assi- pern. So ist Masekela im Duo mit breite Basis hatte, blieb verboten stance Programme, South Africa. seinem Sohn Selema (aka Aleke- und ihre Anhänger wurden brutal Er war sehr aktiv und wurde ein sam) zu hören. Auch der unver- verfolgt. • erfolgreicher und innovativer wüstliche Oliver Mtukudzi aus Musiker im amerikanischen Exil. Zimbabwe ist auf einem Track zu Max Lobe: Confidences. Genf 2016 (Éditions Zoé). 1967 trat Masekela am legendär- hören oder der Sänger J’Some- en Monterey Pop Festival auf und thing vom weissen südafrikani- arbeitete später unter anderem schen Pop Trio Mi Casa. Ein Album, mit Jimi Hendrix, Janis Joplin und das es in sich hat ! Paul Simon zusammen. In den Gerade jetzt ist auch noch eine USA landete er mit «Grazing in CD-Box erschienen mit drei be- The Grass» einen Nummer-1-Hit. deutenden Alben von Hugh Masekela kann als eigentlicher Masekela aus den 1990er-Jahren. Pionier der Weltmusik bezeichnet «Sixty», «Black to the Future» werden und produzierte das und «Notes Of Life». Dieses dritte legendäre Festival «Zaire 74» Album aus dem Jahr 1995 war Die Besprechung (Rumble In The Jungle). die erste Platte, die Masekela, verfasste Pius Frey. Bezugsadresse für CDs: Masekelas «Soweto Blues» in nach 30 Jahren Exil, wieder in Süd- Buchhandlung der Version seiner einstigen afrika aufnehmen konnte. • Comedia, Ehefrau Miriam Makeba gilt als Katharinengasse 20, 9004 St. Gallen. wichtiger Anti Apartheid Song Hugh Masekela. . 15 Tracks. [email protected]. und «Bring Him Back Home» Semopa Entertainment. www.comedia-sg.ch, Hugh Masekela. 3 CD-Box. Sixty. Black to mit umfassendem forderte als ultimativer Hit die the Future. Notes of Life. Total 36 Tracks. Angebot aktueller CDs mit Freilassung Nelson Mandelas. Floating World. Musik aus Afrika. Die Bisha Mining Company verarbeitet kupfer- und zinkhaltiges Gestein (Bild: Hans-Ulrich Stauffer 2018).

Vortrag: (V-)erkanntes Eritrea. LeserInnenservice Erfolge und Rezepte — Donnerstag, 21. Juni 2018, 19.30 Uhr Ich bestelle beim Afrika-Komitee BelleVue – Ort für Fotografie «Südafrikanische Küche», 2., erw. Auflage (Fr. 29.– + Fr. 4.– Porto) Breisacherstrasse 50 (im Hinterhof) Oliver Mtukudzi, «The Other Side», CD (Fr. 27.– + Fr. 2.– Porto) 4057 Basel Afrika-Bulletin 169: Unabhängige Justiz – ein Paradox? — Afrika-Bulletin 168: Rohstoffreichtum – Segen oder Fluch? Das Afrika-Komitee lädt ein zu einem Vortrag von Afrika-Bulletin 167: Afrikanisches Kino – Hans-Ulrich Stauffer. Ein Vierteljahrhundert nach der Chancen und Herausforderungen Unabhängigkeit scheint Eritrea ein isoliertes und hoff- Afrika-Bulletin 166: Die Schuldenfalle nungsloses Land zu sein. Zehntausende junger Men- Afrika-Bulletin 165: Aktuelle Brennpunkte schen haben das Land verlassen. Der Regierung wer- Afrika-Bulletin 164: Eritrea – was steckt hinter dem Flüchtlingsstrom? den Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, perio- Afrika-Bulletin 163: Afrikas Flüsse im Laufe der Zeit disch kommt es zu Scharmützeln mit Äthiopien. Dies prägt unser Bild von Eritrea. Doch trifft dieses Bild zu? Ich abonniere das «Afrika-Bulletin» Mehrfach war Hans-Ulrich Stauffer in den letzten Jah- Ich werde Mitglied des Komitees (Fr. 60.–/Euro 50.– Jahr, inkl. Bulletin) ren in Eritrea. Soeben ist er von einer Reise ins Bergbau- Jahresabonnement (Fr. 30.–/Euro 30.–) gebiet von Bisha zurückgekehrt. Über hundert Gesprä- Unterstützungsabonnement (Fr.50.–/Euro 40.–) che hat er geführt und Hintergründe recherchiert. In seinem Vortrag geht Stauffer nicht nur auf die De- Ich möchte mehr über das Afrika-Komitee wissen fizite in der Politik und im Wirtschaftsleben, sondern Jahresbericht 2016 auch auf die wechselvolle Geschichte des Landes und Plattform des Afrika-Komitees die sichtbaren Fortschritte im Aufbau ein. Die letzten Ich kann für das Afrika-Bulletin werben, Jahre von «no war – no peace» haben in vielen Bereichen sendet mir Probeexemplare zum Verteilen zu einer Stagnation geführt. Doch gleichzeitig hat sich der Rohstoffabbau zu einem Entwicklungstreiber ent- Name wickelt. Was sind die Herausforderungen, welche Chan- cen bieten sich? •

Strasse Hans-Ulrich Stauffer ist Gründungsmitglied des Afrika-Komitees und Autor des Buches «Eritrea – der zweite Blick» (Zürich 2017, PLZ/Ort Rotpunkt-Verlag).