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Kultur

„Sie sind hinterLEGENDEN mir her“

Auf 15000 Leinwänden in der ganzen Welt läuft ab dieser Woche ein Dokumentarfilm über die letzten Tage von Jackson. Er entstand während der Proben für sein Comeback – und feiert einen Künstler, der längst ein Wrack war.

as Büro von Dieter Wiesner ist ein Memorabilia mit dem Schriftzug „King 45. Geburtstag von Jackson. An den Wän- schwarz möbliertes Hinterzimmer of Pop“. Alle wollen noch einmal groß den hängen Poster, „Dieter“ steht handge- Din einem Gewerbegebiet in Rodgau, an Jackson verdienen. „Seit der Maikl tot schrieben auf einem dieser Plakate, „Stop Erdgeschoss, Gebäude 2F. Auf dem Boden ist“, sagt Wiesner, „ist der größte Kosten- the tabloids“; auf einem anderen „You’re liegt eine Kiste mit Michael-Jackson-Hand- faktor weg.“ the best! Michael“. Stopp die Boulevard- taschen und Michael-Jackson-Stöckelschu- In einer Glasvitrine steht eine Michael- blätter. Du bist der Beste! Michael. hen, Kunstleder made in Germany, gelie- Jackson-Porzellanstatue, angefertigt in Auf einem Foto in einem Regal ist fert aus der Türkei, die jüngste Ladung Rumänien, ein Geschenk Wiesners zum Jackson zu sehen, wie er 2002 an einem

160 der spiegel 44/2009 Sänger Jackson auf seiner Neverland-Ranch 1991

DILIP MEHTA / AGENTUR FOCUS Fenster des Hotel Adlon in Berlin der Men- Er war jahrelang Jacksons Geschäfts- , der starb, am 25. Juni ge seinen Sohn zeigte. Jeder kennt diesen partner, später sein Manager und Bera- dieses Jahres. Moment des Wahnsinns, weil ihm damals ter. Und Wiesners Büro sieht aus, als Von diesem Michael Jackson erfährt fast das Baby aus den Händen rutschte, hätte sich bis heute daran nichts geän- man, wenn Wiesner den Safe, der unter aber das Bild ist nicht wie die anderen von dert. Die Bilder, Büsten und Memorabilia seinem Schreibtisch steht, öffnet. Dort hat außen aufgenommen, sondern aus dem zeigen die große, schöne Version von er Dokumente gesichert aus seiner Zeit Zimmer heraus. Man sieht Wiesner, wie Michael Jacksons Leben, seine Erfolge, mit Jackson. Verträge, Videos, Tonbänder er direkt hinter Jackson steht. seinen Ruhm. Aber sie zeigen nicht den mit Telefonaten, rund 20 Stunden sind

der spiegel 44/2009 161 auf Band gesammelt. Man hört das Jam- mern Jacksons, das Flehen, die Verzweif- lung, die Panik, Wiesner hat viele seiner Gespräche mit Jackson mitgeschnitten da- mals, weil er sich absichern wollte. Jackson konnte wankelmütig, vergesslich und ziem- lich irrational sein, er war unberechenbar für Leute wie Wiesner, die Geld mit ihm verdienen wollten und seine Nähe such- ten, und immer auch eine Gefahr. Der Jackson in diesen Mitschnitten lebt in einer Welt der Paranoia. Manchmal rief er Wiesner nachts um halb fünf an: „Lass das System nicht zwischen uns kommen“, flehte er dann. Und: „Sie sind hinter mir her, und hinter meiner Familie.“ Es sind Gespräche, in denen Wiesner gewarnt wird, niemandem zu trauen, nicht dem Kindermädchen, nicht den Leibwächtern, niemandem. Gespräche, in denen Jackson davon berichtet, Angst um sein Leben zu haben. Immer wieder spricht er davon, nie

wieder live auftreten zu wollen. „Dieter“, / REDUX ANGIE SMITH sagte er, „ich will mit 50 nicht mehr den Konzertmanager Phillips: Neunmal den Film gesehen, neunmal geweint tanzen.“ 50 Konzerte sollte es trotzdem in die- Zwölf Songs singt Jackson in diesem und er hat übrigens auch Michael Jacksons sem und im nächsten Jahr in London ge- Film, dazwischen gibt es Bilder, die ihn Trauerfeier im von Los An- ben, 50-mal wollte Michael Jackson den hinter den Kulissen zeigen. Ein paar die- geles für die Welt in Szene gesetzt. Moonwalk tanzen. Kurz vor der Premiere ser Aufnahmen wurden erst zwei Tage vor Bei diesen beiden Männern ist kein starb er in Los Angeles während der Pro- seinem Tod gedreht, und trotzdem gelingt Durchkommen. Hatte Jackson Zweifel? ben an einer Überdosis starker Beruhi- es dem Film auf wundersame Weise, ei- „Er hatte nie Zweifel“, sagt Payne. „Zwei- gungs- und Narkosemittel. Sie haben ihn nen Michael Jackson voller Kraft und fel hielt Michael für schädlich.“ gefilmt in diesen Wochen, und die Aufnah- Energie und Tatendrang zu zeigen – die Aber haben sie sich nicht manchmal Sor- men, die damals entstanden, werden ab berühmten Michael-Jackson-Gesten, das gen um Jacksons körperliche Verfassung diesem Mittwoch in 15000 Kinosälen auf Glitzerzeug. 120 Stunden Filmmaterial ha- gemacht? Er habe immer dafür gesorgt, der ganzen Welt gezeigt, allein in Deutsch- ben die Macher dafür durchforsten müs- dass ein Kühlschrank mit Früchten, Hühn- land sind es knapp 1000, es ist, als ließe sen. Die besten 112 Minuten haben sie chen und Salaten in der Nähe war, sagt Hollywood einen Riesenblockbuster auf genommen, 112 Minuten Michael Jackson Payne. „Michael konnte jederzeit zugrei- die Welt los, aber in Wahrheit geht es dar- als jene Zirkusnummer, die er eigentlich fen.“ Er habe sich darum gekümmert, dass um, dass der Konzertveranstalter nach nicht mehr sein wollte. Michael nicht dehydriere, erzählt Ortega. dem Tod von Michael Jackson sein Invest- Es ist Jacksons letzte Leibgarde, die hier Und Drogen, Medikamente? Ortega ment wieder reinholen will. ans Werk gegangen ist, Menschen wie der schüttelt den Kopf. Nein, nichts davon mit- „This Is It“ heißt der Film, und geplant Regisseur des Films . Oder bekommen. ist, dass er schon an seinem ersten Wo- der Choreograf , der mit ihm Dieter Wiesner, der Mann aus Rodgau chenende weltweit mehr als 150 Millionen für die London-Shows die Tanznummern bei Frankfurt am Main, gehörte früher auch Dollar einspielt. Insgesamt ist wohl mit einstudiert hat. Es sind Menschen, die sich einmal zu dieser Leibgarde. Er hat Jackson einer halben Milliarde zu rechnen. Zwei vorgenommen haben, eine Fassade des vor 15 Jahren kennengelernt, damals mach- Wochen soll er nur laufen, niemand weiß strahlenden Popstars Michael Jackson auf- te Wiesner Merchandising für Unterneh- genau, warum so kurz. rechtzuerhalten, die es längst nicht mehr men wie Lufthansa, Mercedes, Red Bull. Der Hauptproduzent des Films ist der gab. Sie müssen wissen, dass das, was sie Wiesner wollte ihm eine neue Idee ver- Konzertveranstalter AEG, die Anschutz über Jackson erzählen, nicht stimmt. Sie kaufen, den „MJ Mystery Drink“, eine Art Entertainment Group. AEG, das ist das müssen sogar wissen, dass das Gegenüber Red Bull, das nicht nach Gummibärchen Unternehmen, das die Shows in London weiß, dass das, was sie über Jackson er- schmeckt, sondern nach Pfirsich. produzieren wollte und nach dem Tod von zählen, nicht stimmt. Sie wirken wie der Jackson mochte den Drink. 1996, zwei Jackson auf ziemlich hohen Kosten saß. letzte Regierungssprecher von Saddam Jahre später, durfte Wiesner auf der Welt- Sie haben sich schon bald nach seinem Tod Hussein, der „Comical Ali“ genannt wur- tournee manchmal vorbeikommen, bald die Aufnahmen gesichert. de, weil er bis zum Schluss behauptete, schon hatte er ein eigenes Gästehaus auf Randy Phillips war der Konzertmana- Saddams Truppen hätten die Amerikaner Neverland, Unit Number One, direkt am ger für AEG, nun ist er der Hauptverant- vernichtend geschlagen. See, an dem die Kindereisenbahn vor- wortliche für den Film. Phillips hat früher Also sitzen Kenny Ortega und Travis beifuhr. Im Jahr 2002 wurde Wiesner so- auch einmal den Musiker Prince gemanagt, Payne vergangene Woche im Soho Hotel in gar Jacksons Manager, angeblich der Ein- damals, als der noch ein Konkurrent von London und kommen ihren Regierungs- zige in diesem Imperium, der Generalvoll- Jackson war. Er sagt, er habe den Film jetzt sprecherjobs nach. Sechzig Fernsehinter- macht bekam. Es ist eine bemerkenswerte neunmal gesehen, und neunmal habe er views hat Ortega in den letzten Tagen ge- Karriere vom Pfirsichgetränkverkäufer geweint. „Man kann“, sagt er, „Jackson geben. Und die Leute hören ihm zu, denn zum Manager des größten Popstars der bei seinem letzten Meisterwerk sehen. Es er ist Amerikas Mann für die ganz großen Welt. ist, als ob man Michelangelo dabei zu- Momente, für die Augenblicke, wenn es his- Dieter Wiesner, groß, untersetzt, grau- schaut, wie er die Decke der Sixtinischen torisch wird: Er inszeniert Superbowl-End- er Bürstenhaarschnitt, Typ Goldkettchen, Kapelle ausmalt.“ spiele, Olympia-Eröffnungszeremonien, Mitte fünfzig, aufgewachsen bei Darm-

162 der spiegel 44/2009 Sie trafen sich in Hamburg oder Paris, und als es in München einmal zur Verabschie- dung kam, weinten beide in der Tiefgara- ge des Hotels Bayerischer Hof. Innerhalb der Crew kamen immer häu- figer Fragen auf, was Jackson eigentlich mit all diesen Jungen mache und ob das ir- gendetwas Sexuelles sein könnte. In Mün- chen kam es nachts um drei zu einer Kri- senkonferenz der Crew. Was solle man machen, um diese Gerüchte in Schach zu halten? Einer schlug vor, diejenigen, die von sexuellem Missbrauch sprachen, ein- fach zu entlassen. Jacksons körperlicher Zustand ver- schlechterte sich von Konzert zu Konzert. Den ersten Tiefpunkt erreichte Jackson in Wien, es war der 2. Juli 1997. Einer aus Jacksons Entourage, der dabei gewesen ist, berichtet, wie der Star aus Paris kam und am Flughafen von seinem Fahrer abgeholt wurde. Jackson stolperte mit glasigen Au-

SONY PICTURES gen aus dem Jet. Er erkannte seine Crew Idol Jackson in „This Is It“ im Mai: Die Zirkusnummer, die er nicht mehr sein wollte nicht und wollte das Konzert absagen. Der Tourmanager, der Sicherheitschef und der stadt, wirkt nicht wie der seriöseste Ge- mer 1997, war Jacksons gesundheitlicher, Fahrer überredeten ihn schließlich aufzu- schäftsmann. finanzieller und künstlerischer Niedergang treten, doch am Abend auf der Bühne des Als er Zugang fand in das Universum auch für seinen engsten Kreis nicht mehr Ernst-Happel-Stadions bekam Jackson den von Michael Jackson, waren die ganz gro- zu übersehen. Es gibt Tour-Tagebücher aus Moonwalk nicht mehr hin. Und als er ei- ßen Zeiten eigentlich schon vorbei. Die dieser Zeit, Organisationspläne und Be- nen Song beendet hatte, sagte er ihn gleich Hits blieben aus, der Michael Jackson von richte von Mitgliedern der Crew damals, noch mal an. Er hatte vergessen, dass er 1994 erinnerte schon an eine Karikatur von die ein Bild eines Superstars im Zustand ihn gerade gespielt hatte. Diana Ross. der Auflösung zeigen. Es sollte Jacksons Nach diesem Konzert war klar, es muss- Im Jahr zuvor, 1993, war ihm vorgewor- letzte Tournee werden. te etwas passieren, am folgenden Tag ka- fen worden, einen 13-jährigen Jungen se- Alles musste noch mal größer und über- men zwei Ärzte aus München, sie wur- xuell missbraucht zu haben. Seit Jahren wältigender werden als je zuvor. Jacksons den auf keiner offiziellen Liste geführt, in schon hatte er Kinder zu sich nach Hause letzte Single „Stranger in Moscow“, die im den Hotels logierten sie unter den Pseud- eingeladen, alle glaubten, er meine es gut Sommer 1997 doch noch in den USA er- onymen B. Case und S. Case oder unter mit ihnen. Die Ermittler kamen schließlich schienen war, erwies sich als Flop, Platz 91 dem Namen Spare. Es sind Anästhesisten, zu Jackson, um seinen Penis zu fotogra- in den Charts. Der „“, in Euro- Narkosespezialisten, kaum jemand in der fieren. Er sollte ein Beweisstück sein, der pa noch ein Hit, wurde in den USA schon Crew wusste, warum genau diese beiden Junge hatte ihn genau beschrieben, be- gar nicht mehr veröffentlicht. Amerika Ärzte mit dabei waren. schnitten sei Michael Jackson, sein Penis wollte von seinem einst größten Popstar , Jacksons letzter Leib- habe Flecken an bestimmten Stellen, die nichts mehr wissen. arzt und derjenige, dessen letzte Spritze, Nun in Europa zählte die gefüllt mit dem Narkosemittel Propofol, große Geste, die manchmal schließlich Jacksons Tod herbeiführte, be- Jackson winkte aus größer wurde, als das Budget richtet den Ermittlern des Los Angeles Po- dem Auto den Palmen zu. es erlaubte, aber seine Mana- lice Departments, dass Jackson ihn um die- ger fanden Wege, an zusätzli- ses Propofol gebeten habe, es sei, habe „I love you all.“ ches Geld zu kommen, um die Jackson gesagt, „seine Milch“ gewesen. Tourneekosten zu decken. Sie Und er habe auch, berichtet Murray, ge- Folge einer Hautkrankheit. Jackson stritt verkauften beispielsweise jene knapp hun- sagt, Propofol schon von anderen Ärzten alle Vorwürfe ab. dert VIP-Plätze, die eigentlich für Personal bekommen zu haben, auch von deutschen, Bevor es zu einem Prozess kam, zahlte und Freunde vorgesehen waren, für 500 damals auf der Tour durch Europa. Propo- er 20 Millionen Dollar an die Familie des Euro oder mehr. Und weil Jackson einen fol ist ein häufig benutztes Narkotikum, es Jungen. Jackson gab damals viel preis von Privatjet forderte, liehen sie sich, so erzählt wird bei Operationen benutzt. In kleineren seinen Problemen. Er berichtete, er nehme es ein hochrangiges Mitglied der Crew, den Dosen entspannt und euphorisiert es nur, Medikamente, auf Empfehlung seiner von Silvio Berlusconi aus. Immer gab es in größeren Dosen versetzt es den Patien- Freundin Elizabeth Taylor hatte er in einer einen Weg, Jackson glücklich zu machen. ten in tiefen Schlaf, er träumt dann ange- Schweizer Klinik einen Entzug begonnen. Jackson hatte auch nach 1993 weiterhin nehm und fühlt sich gut, wenn er aufwacht. Das System Michael Jackson hatte bis- Kinder nach Neverland eingeladen, hielt Die beiden Münchner Ärzte waren nun lang auch deshalb funktioniert, weil er im- Händchen mit ihnen, schlief mit ihnen ge- immer dabei, in ihrem Gepäck ein Papp- mer diese treu ergebene Entourage um sich meinsam in einem Bett. Gleich bei der ers- karton mit Medikamenten. Sie waren da, herum wusste. Menschen, die unerschüt- ten Station des zweiten Tourneeteils in wenn Jackson nicht auftreten wollte oder terlich waren in dem Glauben an ihren Star Bremen traf Michael Jackson einen Jungen apathisch war. „Die haben den rauf und und sich auch von den Pädophilie-Vor- aus Norddeutschland wieder. Jackson hat- runter gespritzt“, sagt einer, der damals zu würfen nicht beirren ließen. te ihn über den Vater kennengelernt, der in Jacksons engsten Kreis gehörte. Doch während der „HISstory“-Tour, vor der Plattenindustrie tätig war. So oft wie Die Ärzte waren auch dabei, als Michael allem während ihres zweiten Teils im Som- möglich war der Junge auf der Tour dabei. Jackson nachts in Nizza über Zahnschmer-

der spiegel 44/2009 163 zen klagte. Die Suche nach einem Zahn- arzt dauerte lange, die Behandlung noch länger. Nach fünf Stunden holten der Fah- rer und der Sicherheitschef ihn ab. Jackson stand an eine Wand gelehnt in einem Vor- raum. Er konnte nicht gehen. Sie schleiften ihn die Treppe runter. Im Auto kicherte Jackson vor sich hin. Er schien jetzt gut gelaunt zu sein, und als der Van in die Croisette einbog, bat Jack- son den Fahrer, er möge das Dach öffnen. Er wolle seine Fans begrüßen. Es war sechs Uhr morgens, da waren keine Fans, nur Straßenfeger, Lieferanten und Palmen. Jackson winkte aus dem Auto den Palmen zu. „I love you all.“

Die „HIStory“-Welttournee war ein GERSTER GABY Kraftakt, aber die Stadien waren nur selten Ex-Jackson-Manager Wiesner: „Seit der Maikl tot ist, ist der größte Kostenfaktor weg“ ausverkauft. Die Idee, Michael Jackson als Künstler neu zu erfinden, war gescheitert. Nun geriet Michael Jackson in einen Strudel aus Krankheit, Geldnöten und Pro- zessen, er endete damit, dass Jackson ei- nen Vertrag für 50 Konzerte unterschrieb, die er nicht würde durchstehen können. Als Dieter Wiesner Ende 1997 zum ers- ten Mal Michael Jackson auf Neverland besuchte, war er schockiert über seinen Zustand und auch ein wenig enttäuscht. „Ich konnte gar nicht fassen, wie dieser Mann im Schlabberpulli die Welt auf den Kopf stellen konnte“, sagt Wiesner. Jack- sons Ärzte waren jetzt immer bei ihm, auf der Ranch, in seiner Wohnung, 40000 Dollar in der Woche, sagt Wiesner, hätten sie ihn gekostet. Jacksons langjähriger Ge- schäftspartner Myoung-ho Lee brachte ihn 1999 nach Seoul, um ihn dort zu entgiften, weil er auf einem Interkontinentalflug zu- sammengebrochen war. Sie konnten ihn entwöhnen, aber das Problem, sagt Lee, waren seine Schlafstörungen. „Er ist 48 Stunden am Stück wach und klappt dann

zusammen.“ FOCUS / AGENTUR MEHTA DILIP Nachts kam Jackson zu Wiesner in das Superstar Jackson 1991: „Mit 50 nicht mehr den Moonwalk tanzen“ Gästehaus auf Neverland. „Man muss wis- sen, wie man mit ihm spricht“, sagt Wies- Das Album „Invincible“ verkaufte sich erfanden eine Art Geheimsprache, Dollar ner. „Man muss sein Interesse wecken, um noch schlechter als erwartet, und als So- hießen ab jetzt nur noch „French Fries“. ihn herumtanzen. Er sprach seine eigene ny sich weigerte, mehr Geld für die Wer- Entwickelt hatte Wiesner den Plan zu- Sprache“, und er hatte ganze eigene Vor- bung auszugeben, beschimpfte Jackson sammen mit Ronald Konitzer, einem Ge- stellungen von einem Gespräch, das er oft Sony-Music-Chef Tommy Mottola als Ras- schäftspartner, der früher mal in Berlin im so begann: „Dieter, give me good news.“ sisten, der „sehr, sehr, sehr teuflisch“ sei. Baugeschäft tätig war. Das waren die Leu- Um die Jahrtausendwende wurde das Je weniger Geld reinkam, um so mehr te, die Jackson neu erfinden sollten, ein Geld langsam knapp, doch noch bekam Freunde und Partner verlor er. Sein Ge- Geschäftsmann aus Darmstadt und ein Jackson Kredite. Er verpfändete seinen schäftspartner Lee aus Korea verklagte ihn Bauunternehmer aus Berlin. Beatles-Musikkatalog. Mit dem neuen Geld und auch der deutsche Konzertmanager Die beiden schöpften Hoffnung, als es kaufte Jackson alles, was er bekommen Marcel Avram. gelang, einen Deal mit Mercedes einzufä- konnte, als wäre es das letzte Mittel, das Doch Dieter Wiesner war noch auf Jack- deln. Wiesners Idee war, dass im neuen ihm noch blieb, um Macht zu demonstrie- sons Seite, er sollte frisches Geld besor- SLK-Modell mit Umdrehen des Zünd- ren. Seinen Geschäftspartner Myoung-ho gen. Wiesner hatte viele Ideen, Jackson schlüssels Michael Jacksons Moonwalk auf Lee wies er an, 150000 Dollar an einen als Partner von Apple oder Mercedes, ein dem Display zu sehen ist. Es ging um viel Voodoo-Priester in Mali zu überweisen, Neverland II in Las Vegas, ein Michael- Geld, aber irgendwann wollte Jackson, der 42 Kühe für ihn opfern sollte. Jackson-Wein. Die beste und passendste dass Mercedes auch ein Modell nach ihm Doch schon 2001 hatte Jackson nicht war vielleicht, beim Comic-Imperium Mar- benennt. Es war klar, dass Mercedes das einmal mehr das Geld, um ein neues Al- vel groß einzusteigen. Wiesner nannte sei- nie machen würde, aber was sollten die bum zu finanzieren. Bei Sony, der Plat- nen Business Plan für Michael Jackson den beiden ihm sagen, sie wollten den Deal ret- tenfirma, nannten sie ihn nur noch „den „MJ Universe Plan“, doch er durfte mit ten, er brauchte das Geld. „Michael“, sag- Geldvernichter“ und „das Millionengrab“. niemanden darüber reden, er und Jackson te ihm Ronald Konitzer, sein neuer Wirt-

164 der spiegel 44/2009 Kultur schaftsberater, „hast du alle Konsequen- der Polizei, er wurde in Handschellen abge- zen bedacht? Was passiert, wenn ein Auto führt und kam noch am selben Tag gegen mit deinem Namen ein Kind überfährt? drei Millionen Dollar Kaution wieder frei. Kannst du damit leben?“ Jackson blieb da- Von da an, sagt Wiesner, war Jackson bei, der Deal platzte. ein anderer Mensch. Die Weißen waren Wie konnten sie jetzt noch an Geld für ihn fortan der Teufel. kommen? Jackson machte keine Musik „Dieter“, flüsterte Jackson. „Der Teufel mehr, es gab keine Einnahmen, sein Name hört zu.“ verschwand aus den Schlagzeilen, sie muss- „Was soll das, Michael?“ ten ein neues Image erfinden und kamen Jackson zeigte auf die Decke. Er war auf die Idee, das Fernsehen nach Neverland nicht verrückt geworden, aber die Nation einzuladen, um zu zeigen, wie aus Michael of Islam hatte ihn offenbar umgedreht. Jackson, dem King of Pop, ein globaler „Der Teufel hört, was wir sagen. Er sitzt Botschafter für Kinder geworden war. auf dem Dach.“ Der britische Fernsehjournalist Martin „Nein, Michael, Schluss jetzt“, sagt Wies- Bashir kam nach Neverland. Der Film wur- ner. „Du glaubst also, du wirst abgehört? de eine Katastrophe für Jackson. Er zeig- Keine Sorge, wir lassen den Raum durch- te ihn bei einer obszönen Shoppingtour in suchen.“ Das war es dann für Wiesner. Er Las Vegas, wo er Millionen ausgab, die er wurde von einem Tag auf den anderen gar nicht mehr besaß; er zeigte sich mit nicht mehr vorgelassen, kein einziger An- einem Jungen, er hielt seine Hand vor lau- ruf mehr, es war vorbei. fender Kamera und erzählte, sie schliefen Jackson stand jetzt allein da, und er zusammen in einem Bett. Jackson sagt in stand wegen der Anklage des Jungen aus diesem Film: „Warum kann man sein Bett dem Fernsehfilm vor Gericht. Der Prozess nicht mit jemandem teilen? Das Liebevolls- zog sich über eineinhalb Jahre hin. Im- te, was man tun kann, ist doch, dass man merhin, Tom Mesereau, einer der besten sein Bett mit jemandem teilt.“ Strafverteidiger des Landes, hatte Jacksons Jackson taugte nicht mehr zum Werbe- Verteidigung übernommen, und am 13. maskottchen. Er verstand die Welt da drau- Juni 2005 erreichte er einen Freispruch. Es hätte jetzt alles besser werden können für Jackson, Jackson zeigte an die Decke. doch es wurde schlimmer. Er „Der Teufel hört mit. war inzwischen vollkommen paranoid. Zu einem Freund, Er sitzt auf dem Dach.“ dem Komiker Dick Gregory, sagte er: „Sie wollen mich tö- ßen nicht mehr, die Welt außerhalb von ten. Ich kann nicht essen, sie versuchen, Neverland. mich zu vergiften.“ Und so kam es, wie es kommen musste: Jackson floh nach Bahrain, er hatte noch Ein halbes Jahr nach Ausstrahlung des nicht einmal mehr Geld für ein Dach über Films im amerikanischen Fernsehen durch- dem Kopf. Scheich Abdullah Bin Hamad suchten am 18. November 2003 mehr als 60 Bin Isa Al-Khalifa, der Prinz von Bahrain, Polizisten und Ermittler der Staatsanwalt- nahm ihn auf und gab ihm einen Platten- schaft von Santa Barbara die Neverland- vertrag, aber Jackson produzierte nichts Ranch. Der Junge aus dem Fernsehfilm hat- und musste wieder fliehen, bevor der te Jackson wegen Kindesmissbrauchs ver- Scheich Geld wollte. Es ging nach Irland, klagt, und auch das gesamte Management von da aus nach New Jersey und schließlich wurde angeklagt. Doch die Polizisten trafen nach Las Vegas, wo er eine Zehnzimmer- Jackson bei der Razzia nicht an. villa westlich vom Strip mietete. Er hatte Er war in Las Vegas, im Hotel Mirage. Er noch einmal neue Kredite bekommen. demolierte Möbel, schmiss den Frühstücks- Doch er musste ja die Alten abbezahlen tisch um, seine Kinder sagten kein Wort. und die Zinsen daraus, überall warteten Wiesner konnte ihn nur mühsam beru- offene, unbezahlte Rechnungen. Auch Wies- higen. Der Manager des Mirage meldete ner verklagte ihn inzwischen auf 60 Millio- sich: „Raus! Bitte bringen Sie ihn hier raus! nen Dollar Schadensersatz wegen Geschäf- Sonst lassen wir ihn rausbringen.“ ten, die nicht mehr zustande kamen. Am Wiesner buchte eine Suite im Caesar’s Ende einigten sie sich doch. Und eine Apo- Palace, aber als Jackson mit der Limousine theke in Beverly Hills wollte ausstehende vorfuhr, war plötzlich alles belegt. Der Rechnungen für Medikamente in Höhe von Jackson-Tross begann eine Odyssee, schließ- 101926,66 Dollar einklagen. Jetzt drohte lich kamen sie im Ritz Carlton am Lake Las Neverland die Zwangsversteigerung. Vegas unter. Dort lernte Wiesner den radi- Ein Unternehmen namens Colony Ca- kalen Schwarzenführer Louis Farrakhan von pital trat auf den Plan. Sie versprachen der Nation of Islam und dessen Schwieger- Geld, doch bestimmten einen neuen Ma- sohn Leonard Muhammad kennen. Wies- nager. Er heißt Dr. Thome Thome, eine ner holte Jackson, sie redeten über Jacksons mysteriöse Figur, ein Geschäftsmann aus Situation. „Sie wollten mit ihm beten, aber dem Libanon. Michael wollte auf sein Zimmer“, sagt Wies- Thome war der Mann, der Jackson ab- ner. Am nächsten Tag stellte sich Jackson wickeln sollte. Als Erstes ließ er Neverland

der spiegel 44/2009 165 Kultur ausräumen, den ganzen Kitsch aus zwei Jahrzehnten, Statuen, Spiele, Bilder, Tep- piche und Antiquitäten, sogar einen Flug- simulator. Sechs Bände fasste der Katalog des Auktionshauses, eine Art Flohmarkt des Irrsinns, der Ausverkauf von Michael Jackson, das Ende eines Mythos. Und Tho- me hatte gute Kontakte zur Anschutz En- tertainment Group, kurz AEG. Jackson war jetzt reif für AEG, es be- ginnt das letzte Kapitel im Leben des Mi- chael Jackson. Schon im Sommer 2007 wollte AEG den gefallenen Star dazu brin- gen, in der Londoner O2-Arena Konzerte zu geben, aber der sagte ab. Er wollte nicht mehr auftreten, und er konnte nicht mehr auftreten. Doch nun, Anfang 2009, als erneut die Versteigerung von Neverland drohte, blieb Jackson kein Ausweg mehr, als den Deal von AEG anzunehmen: 50 Konzerte in acht Monaten. Mindestens 100 Millionen Dollar Ticketeinnahmen versprachen sich die Organisatoren. Im Mai verschob die Konzertfirma den Start, es hieß, man benötige wegen der technischen Komplexität der Produktion mehr Zeit, aber natürlich gab es die Ge- rüchte über Jacksons Gesundheit. Von Angstzuständen und Alpträumen war die Rede und von Todesahnungen. Schon nach dem zweiten Probentag soll Jackson zu- sammengebrochen sein. Der US-Fernseh- sender Fox News meldete: „Michael Jack- son ist zum Skelett abgemagert und in so schlechter Verfassung, dass er möglicher- weise nicht mehr genug Kraft für den Moonwalk hat.“ Jackson war längst wieder abhängig von Medikamenten. In den Ermittlungsakten ist von neun verschiedenen Mitteln die Rede, die er in immer wilderen Mischun- gen zu sich nahm. Für die Rezepte verwen- dete er Decknamen, Jack London, Frank Tyson, Mic Jackson, Josephine Baker. Am letzten Abend seines Lebens prob- te er in Los Angeles noch einmal sechs Stunden, eine Kostümprobe. Dann fuhr er nach Hause, Holmby Hills, und bat seinen Leibarzt Conrad Murray ans Bett. Murray hatte ihm in den letzten Wochen bereits jede Nacht das Narkosemittel Propofol ge- geben, seine „Milch“, verdünnt mit dem Betäubungsmittel Lidocain, diesmal ver- suchte er es zunächst ohne Propofol. Nachts um halb zwei gab er Jackson eine Tablette Valium, aber Jackson schlief nicht. Danach bekam Jackson abwech- selnd die Beruhigungsmittel Lorazepam und Midazolam. Jackson blieb trotzdem wach bis 10.40 Uhr, in Los Angeles war schon längst wieder der Tag angebrochen, schließlich verabreichte ihm Murray noch 25 Milligramm Propofol, verdünnt mit Li- docain. Dann schlief Michael Jackson endlich ein und wachte nicht mehr auf. Lars-Olav Beier, Marc Hujer, Philipp Oehmke

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