SWR2 Musikstunde

Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette (5)

Von Katharina Eickhoff

Sendung: 17. Juli 2020 9.05 Uhr Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2020

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SWR2 Musikstunde mit Katharina Eickhoff 13. Juli 2020 – 17. Juli 2020 Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette

Es war eine Szene wie aus einem Chaplin-Film: Da steht ein Mann in einem zerlumpten Anzug, aber mit blütenweißen Handschuhen im New Yorker Straßenverkehr auf dem Mittelstreifen der Madison Avenue und dirigiert. Das Orchester, das er leitet, gibt es nicht, und der seltsame Mensch wird dann auch umgehend von der Polizei eingesammelt und der Psychiatrie überstellt. Das war im Jahr 1946. Die nächsten zehn Jahre hat Paul Abraham, einst ganz kurz erfolgreichster Operettenkomponist neben Lehar und Kálmán, in einer amerikanischen Anstalt verbracht. Als er 1956 nach Europa zurückkehrt, weiss er kaum mehr, wie er heißt und erkennt seine eigene Musik nicht. Paul Abrahams Geschichte, um das gleich mal festzuhalten, geht nicht gut aus, seins ist eins von vielen Emigrantenschicksalen, die die Nationalsozialisten auf dem Gewissen haben. Paul Abraham hat, im Gegensatz zu so manchem seiner Kollegen, überlebt, das schon - aber er hat einen hohen Preis dafür gezahlt.

Paul Abraham Ich bin ja heut so glücklich Renate Müller SWR

„Ich bin ja heut so glücklich“ sang Renate Müller 1931 im Film „Die Privatsekretärin“ – den Paul-Abraham -Schlager haben in den 30-ern dann tatsächlich Horden von Sekretärinnen vor sich hingeträllert, derweil die Sängerin, Renate Müller immer unglücklicher geworden ist. „Müller, den Namen muss man sich merken“, schrieb mit Augenzwinkern immerhin einst der große Kritiker Alfred Kerr, aber Renate Müller hatte das Pech, dass Josef Goebbels sich ihren Namen nur zu gut gemerkt hat und sie – Eva Braun war noch nicht aktuell – mit seinem Führer verkuppeln wollte. Renate Müller hat abgelehnt, und zwar noch nicht mal dankend, hat Goebbels bei nächster Gelegenheit nicht mit Heil Hitler, sondern mit Grüß Gott begrüßt, und an ihrem jüdischen Lebensgefährten festgehalten. Da haben Goebbels’ Leute ihr das Leben zur Hölle gemacht, sie bespitzelt und eingeschüchtert – am Ende war Renate Müller, die Süße mit der frechen Schnauze, nurmehr ein drogenabhängiges Nervenbündel und ist schon mit 31 Jahren nach einem Sturz aus dem Fenster gestorben. Von Paul Abraham handelt die letzte Folge aus der Reihe „Kein Ball mehr im Savoy“, aber auch, wie schon die anderen Sendungen in dieser Woche, von den Schicksalen seiner Interpreten in diesen erst leuchtenden und dann so dunklen letzten Jahren der Operette. Paul Abraham hieß eigentlich Ábrahám Pál, 1892 ist er in Apatin zur Welt gekommen, das liegt heute in Serbien, gehörte damals aber zu Österreich-Ungarn. Paul Abrahams Vater war stellvertretender Bankdirektor, seine Mutter Klavierlehrerin, und der anfangs noch brave Sohn hat die zwei Richtungen dann getreulich

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3 fortgeführt, indem er in Budapest eine doppelte Ausbildung gemacht hat: eine Banklehre und parallel dazu ein Musikstudium an der königlich-ungarischen Musikakademie. Dort war er wohl ein richtiges Wunderkind, hat alles im Schnelldurchlauf abgehakt und galt als große musikalische Hoffnung. Der junge Abraham war ein ganz wohlanständiger E-Musik-Komponist, 1916 hat man sein Cellokonzert aufgeführt, dann ein Streichquartett, das sogar noch 1922 bei den Salzburger Festspielen gegeben wurde, eine Serenade, ein Requiem – hätte Johannes Brahms noch gelebt, er hätte väterlich-beifällig dazu genickt. Auch Opernpläne hat es gegeben, und alles hätte weiter diesen ehrbaren Gang gehen können – wäre nicht der Erste Weltkrieg gekommen. Irgendwann wird auch Paul Abraham eingezogen, und als er am Ende des Kriegs aus dem Feld zurückkommt, ist’s eine schlechte Zeit für Musiker – also besinnt sich Abraham auf seine Zweitausbildung und wird: Geldmensch. Manchmal hat er welches, oft verliert er’s wieder, er ist ein Spieler, sitzt in den Casinos der großen K.u.K-Metropolen und verjuxt das Geld, das er in den nervösen Nachkriegsjahren bei windigen Bankgeschäften gemacht hat. Es muss eine wilde Zeit gewesen sein für Abraham in diesen frühen Goldenen Zwanziger Jahren, mit Aufschwüngen und Abstürzen, Frauen, und der ein-oder anderen berauschenden Substanz, untermalt von den plötzlich überall präsenten Jazzkapellen – diese neuen Rhythmen, die da nach dem Krieg mit aller Macht aus Amerika nach Europa schwappen, lassen Paul Abraham dann auch nicht mehr los, der jazzige Unterton ist es, der seine Operetten später so zeitgemäß und unverwechselbar macht.

Paul Abraham Do-do Oscar Denes SWR

Oscar Denes war da der Jazzer mit der reichlich ungarischen Färbung – eine Nummer aus „“, Paul Abrahams erstem Operettenerfolg, für den er Oskar Dénes, den Budapester Operettensuperstar, nach Berlin geholt hat – aber das ist jetzt ein bisschen vorgegriffen, Abraham muss ja erst mal noch zum Operettenkomponisten werden. In den zwanziger Jahren in Budapest geht für Paul Abraham, den Börsenjongleur, erst mal gar nichts mehr: Als er gerade mit einem Kompagnon eine Bank gegründet hat, kommt die Inflation, die Bank geht pleite, und weil er nicht bezahlen kann, wandert Paul Abraham ins Gefängnis. Was er in den Jahren danach gemacht hat, weiß kein Mensch so recht, vermutlich wollte Abraham das später auch nicht mehr so genau wissen. Sein Damaskus-Erlebnis – so zumindest hat er’s später kolportiert – wird dann jener Nachmittag, an dem es ihn in ein Schallplattengeschäft weht, wo man, O-Ton Abraham, gerade einen „fürchterlichen Schmachtfetzen“ auf dem Grammophon liegen hat, von dem aber, wie man ihm sagt, schon Millionen von Exemplaren verkauft worden sind. Da, so Paul Abraham, beim Hören dieses Schmachtfetzens, sei ihm klargeworden, dass seine Zukunft im Operettenland liegt.

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Ralph Erwin: Ich küsse Ihre Hand, Madame Richard Tauber (Tenor) Dajos Béla Künstlerorchester Leitung: Béla Dajos

Nein, das hat nicht Paul Abraham komponiert, aber dieses Stückchen von Ralph Erwin hat Abraham seinerzeit ein Licht aufgehen lassen, was seine eigene Zukunft betraf. Gesungen hat es an jenem Tag im Plattenladen übrigens auch schon dieser Herr hier, Richard Tauber, Lehárs, und nicht nur Lehárs, Lieblingstenor, den dann 1933 aber bekanntlich auch sein Freund Lehár nicht davor bewahrt hat, von der SA als „Judenlümmel“ verprügelt zu werden – Richard Tauber hat, im Gegensatz zu so vielen Kollegen, 1938 gerade noch den Absprung geschafft und ist nach England emigriert. Vorher allerdings hat er auch noch so manches von Paul Abraham aufgenommen, womit sich der Kreis jener Geschichte schließt, die ein paar Jahre zuvor im Plattenladen ihren Anfang genommen hat. Und nicht zuletzt, weil der große Tauber es gesungen hat, wurde das hier dann Paul Abrahams vielleicht größter Hit:

Paul Abraham: Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände (Good , , night), Aus: Viktoria und ihr Husar (Operette in 3 Akten) Richard Tauber (T) Odeon-Künstlerorchester Leitung: Frieder Weißmann SWR

Richard Tauber sang da jedermanns Lieblingsstück aus „Viktoria und ihr Husar“ – Paul Abrahams Durchbruch als Operetten-Erfolgs-Komponist. In Budapest hat er in den späten Zwanzigern nach der Zeit im Knast seine Börsenkarriere ad acta gelegt und erst mal als Operettendirigent angeheuert, dabei aber schon fleißig Filmmusiken und Couplets geschrieben, und schließlich kommt dann in Budapest sein erstes abendfüllendes Stück raus, das erst mal nur „Viktoria“ heißt und auch auf Ungarisch schon ziemlich erfolgreich ist. Aber als er es dann nach Deutschland verkauft, geht die „Viktoria“ durch die Decke. Paul Abraham hat da einen echten Coup gelandet, indem er das Libretto für die deutsche Fassung von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda hat überarbeiten lassen, damals zweifellos die führenden Operettentexter in Deutschland – von Alfred Grünwald war in den letzten zwei Sendungen hier viel die Rede, er war der bevorzugte Librettist von Emmerich Kálmán. Fritz Löhner-Beda wiederum hat die Weimarer Republik mit genialen Chansontexten beliefert, außerdem hat er kurz vorher mit Franz Lehár „Land des Lächelns“ rausgebracht, bekanntlich eine der erfolgreichsten Operetten aller Zeiten, und von Fritz Löhner-Beda stammen unvergessliche Zeilen daraus wie „Dein ist mein ganzes Herz“ oder „Immer nur lächeln und immer vergnügt“. 4

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Lehár war ja, weiß man, neben Wagner und Bruckner Hitlers Lieblingskomponist, und wenn der Führer also mal so richtig sentimental sein wollte, dann hat er sich einen Löhner-Beda aufgelegt. Lehár hat seinen Texter über alle Maßen geschätzt, hat aber dann später auch nicht helfen können oder wollen, als man Löhner-Beda mit dem ersten Prominententransport über Dachau erst nach Buchenwald und schließlich nach Auschwitz deportiert hat, wo er von einem Aufseher totgeschlagen wird. In der Bar zum Krokodil, Ausgerechnet Bananen, O Donna Clara, Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren – das alles hat Fritz Löhner-Beda in Freiheit gedichtet. In Buchenwald dichtet er: „O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist. Wer dich verließ, der kann es erst ermessen, wie wundervoll die Freiheit ist! O Buchenwald, wir jammern nicht und klagen, und was auch unser Schicksal sei, wir wollen trotzdem Ja zum Leben sagen, denn einmal kommt der Tag, dann sind wir frei!“

Das ist das sogenannte „Buchenwaldlied“, das Fritz Löhner-Beda zusammen mit dem Wiener Kabarettisten Hermann Leopoldi beim Lagerwettbewerb eingereicht hat. Singen mussten es die Gefangenen dann zu einer alten Marschmelodei bei einem Sonderappell in einer eiskalten Nacht im Flutlicht bei Schneetreiben auf dem Lagerhof.

Ernst Busch: Buchenwaldlied 10116 BMG/Aurora 21 68943-2

Zurück ins Jahr 1930: Nach dem rauschenden Erfolg von „Viktoria und ihr Husar“ und der immer weiter ausufernden Nachfrage nach seinen Songs auf Schallplatte ist Paul Abraham plötzlich reich. Das trifft sich gut, weil er nämlich schon das Geld mit vollen Händen zum Fenster rausgeworfen hat, als er noch gar keines hatte. Als er aus Budapest zu Verhandlungen für „Viktoria und ihr Husar“ nach Berlin kommt und noch keinen Produktionsvertrag und keinen Löhner-Beda und nur ein paar allerletzte Mark in der Tasche hat, mietet er sich erst mal im Adlon ein und lädt einen Freund, den er zufällig trifft, zum Champagner-Diner ein. Aber kaum ist das Stück in Leipzig und Wien ein Hit geworden, fließen die Tantiemen, erstrecht, als das Ganze schon 1931 verfilmt wird, mit dem Bayreuth- und Metropolitan-Opera-Bariton Michael Bohnen als US-Gesandtem Cunlight. Abraham kauft sich in Berlin ein schlossartiges Domizil an der Fasanenstraße, stopft es mit kostbaren Möbeln voll und lädt zu legendären Feten, die auch bei ihm, wie bei den Kálmáns, „Gulasch-Parties“ heißen - man ist ja schließlich stolzer Ungar. Es gibt aber nicht bloß Gulaschkanone, sondern Kaviar, der Champagner fließt, und wenn wieder einer von den plötzlich erstaunlich vielen lieben Freunden in Nöten ist, dann hilft Paul Abraham großzügig aus. Es kommt ja auch in diesen Jahren viel Geld

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6 rein, nicht zuletzt durch die Filmmusiken, die er anfangs noch für die UFA geschrieben hat. „Melodie des Herzens“ war 1929 nicht bloß einer der ersten Tonfilme, es war vor allem einer der ersten Musikfilme, und just die kleine Melodie, die Paul Abraham dann Everybody’s Darling Willy Fritsch zugeteilt hat, wurde im Deutschland der frühen 30-er Jahre zum Superhit:

Paul Abraham: Bin kein Hauptmann, bin kein großes Tier, Melodie des Herzens (Film, 1929) Willy Fritsch (voc) Jancsi Balogh Zigeunerorchester Leitung: Jancsi Balogh SWR

Die Chance, beim frisch eröffneten Tonfilm ein ganz großes Tier zu werden, schlägt Abraham dann allerdings aus, weil er so viel mit seiner „Viktoria“ zu tun hat – die UFA hätte ihn sich gerne einverleibt, aber Abraham will lieber Operettenkönig sein und sagt ab, und so hat Werner Richard Heymann den Job bekommen, Heymann, der dann unter anderem mit seinen Songs für die „Drei von der Tankstelle“ unsterblich wurde. Wobei – das nur am Rande von wegen unsterblich – auch Heymann zu denen gehört, die dann wenige Jahre später um ihr nacktes Leben rennen und emigrieren müssen. Auch Heymann hat kein einfaches Schicksal gehabt in Amerika, aber er hat zum Glück im Gegensatz zu Paul Abraham weder den Verstand noch seinen Humor verloren – als er nach dem Krieg nach Deutschland zurückkommt und im Gästebuch seines Hotels ein paar Seiten zurückblättert, prangt da eine Eintragung vom Stürmer-Herausgeber und Ober-Antisemiten Julius Streicher. Heymann hat sich direkt drunter verewigt, indem er seinen eigenen größten Hit zitierte:

„DEN gabs nur einmal, DER kommt nicht wieder Aber tausend Streicher Spieln noch meine Lieder“...

So viel Geistesgegenwart hat Paul Abraham nicht mehr besessen, als er 1956, nach Jahren in der amerikanischen Psychiatrie, nach Europa zurückkam – im Wartesaal des Hamburger Flughafens hat man ihn mit einer kleinen Musikkapelle empfangen, die eins seiner Lieder spielte – Abraham hat es nicht mehr als seine Musik erkannt. „Eine neue Operette?“, hat er gesagt, und: „Interessant. Ein bisschen altmodisch.“

Paul Abraham: Bin nur ein Jonny, Aus: Die Blume von Hawaii (Operette in 3 Akten) Harald Paulsen (voc) Orchester Leitung: Paul Abraham 6

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Das singen sie heute noch, von Udo Lindenberg bis Helge Schneider: Bin nur ein Jonny – das hier war Harald Paulsen, der zunächst mal ruhmreich als allererster Mackie Messer in der Uraufführung von Brechts und Weills „Dreigroschenoper“ in die Geschichte eingegangen ist, und dann noch ruhmlos, weil er sich mit Antritt Hitlers zum begeisterten Nationalsozialisten gemausert hat, der seine halbe Theaterkollegenschaft denunziert hat. Der Song stammt aus „Die Blume von Hawaii“, Paul Abrahams zweitem großen Operettenhit in Deutschland. Das Stück kommt 1931 unter Abrahams Leitung in Leipzig raus und ist noch erfolgreicher als „Viktoria und ihr Husar“. „Die Blume von Hawaii“ hat die übliche fantastisch-dusselige Handlung, Liebeswirren zwischen hawaiianischen Eingeborenen und amerikanischen Besatzern, die Inselprinzessin Laya flirtet mit dem Kapitän Stone, entscheidet sich aber am Ende doch für ihren hawaiianischen Verlobten namens Lilo-Taro, dazwischen werden ein paar politische Intrigen ausgefochten und jede Menge Blütenketten verteilt, und es gibt genügend Anlässe für ein paar zünftige Jazzband-Einsätze, weil ja Jim Boy, der farbige Sänger, mit von der Partie ist – bin nur ein Jonny sang er damals, als eben alle Schwarzen für die Weißen, vor allem die Deutschen Weißen, noch Jonnys waren, auch wenn sie in Wahrheit Tom, Dick oder Harry hießen. Das jazzige Stück hat damals natürlich genau den Ton der Zeit getroffen, ein bisschen Exotismus und viel heiße Rhythmen, das Orchester war genaugenommen eine Jazzkapelle, ein paar Bläser, zwei Klaviere, zwei Banjos, Harfe und Schlagzeug, und die Streicher hatten fast nur noch Alibi-Funktion...außerdem hat am Libretto auch wieder der Erfolgsgarant Fritz Löhner-Beda mitgewerkelt – der konnte damals gar nichts falsch machen. 1931 war wie gesagt Premiere in Leipzig, schon zwei Jahre später war die UFA-Verfilmung fertig, und die hawaiianische Prinzessin war dabei in wahrheit eine ungarische Operettendiva: .

Paul Abraham: Du traumschöne Perle der Südsee, Aus: Die Blume von Hawaii (Operette in 3 Akten) Martha Eggerth (S) Odeon-Künstlerorchester Leitung: Frieder Weißmann SWR

…mit Marta Eggerth, die Paul Abraham als Teenagersängerin in Budapest kennenlernt, und die er dann in Deutschland groß rausbrachte. Marta Eggerth hat bis 2013 in New York gelebt und ist unfassbare hundertundein Jahre alt geworden! Sie kommt 1930 aus Budapest über Wien nach Berlin und Leipzig und wird ziemlich schnell der Liebling der Operettenbranche, - bei Filmdreharbeiten hat sie dann den Operntenor Jan Kiepura kennengelernt, aber als die zwei 1936 heiraten, da darf Marta Eggerth in Berlin schon gar nicht mehr auftreten – sie hat jüdische Vorfahren. Eggerth und Kiepura, ein Traumpaar im Leben und in der Operette, sind, wie fast die ganze Operettenszene, zuerst nach Wien ausgewichen, und dann, nach dem Anschluss Österreichs, wie so viele ihrer Kollegen um ihr Leben gerannt: Sie haben

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8 den Absprung in die USA gerade noch rechtzeitig geschafft. Am Ende war Marta Eggerth Trägerin des „Großen silbernen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich.“ – und man weiß nicht recht, ob man das nun angemessen oder lächerlich finden soll. Wesentlich angenehmere Zeiten in Wien und Berlin hat in den Jahren der Naziherrschaft eine andere erfolgreiche Abraham-Interpretin, die in Augsburg als Tochter eines Installateurs geborene Magda Schneider. Magda Schneider hat in den 30-ern eine hübsche Karriere beim Tonfilm in den klassischen Telefonistinnen-Rollen gemacht, und sie hat es auch sonst angenehm getroffen, denn sie ist mit Wolf Albach-Retty verheiratet, der der Vater von Romy Schneider ist, ansonsten aber vor allem ein glühender Nazi, den Goebbels dann später zum Dank für treue Gefolgschaft auf die sogenannte „Gottbegnadeten-Liste“ setzen lässt- eine Verstrickung, mit der seine Tochter dann ihr Leben lang nicht fertig wird. Versteht sich also zusammenfassend, dass es Magda Schneider leicht fiel, vom gemütlichen Wien zu singen – aufgenommen hat sie den etwas altmodischen Song für den Film „Ein bisschen Liebe“ allerdings schon 1932 in Berlin, und Paul Abraham selbst hat das Orchester geleitet.

Paul Abraham: So küßt man nur in Wien, Aus: Ein bißchen Liebe für dich (Zwei glückliche Herzen) (Film) Magda Schneider (voc) Metropol Künstler-Orchester Leitung: Paul Abraham SWR

Nach „Viktoria und ihr Husar“ und der „Blume von Hawaii“ ist Paul Abraham scheinbar nicht mehr aufzuhalten. Bei der Premiere seiner dritten Produktion, „“, ist 1932 ganz Berlin bis hin zu Kanzler Schleicher und seinen Ministern anwesend, und beim Küssen geht es dann auch nicht mehr so züchtig zu wie noch bei Magda Schneider…

Paul Abraham: Wenn wir Türken küssen, Aus: Ball im Savoy (Operette in 3 Akten) Oscár Dénes (voc) Odeon-Künstlerorchester Leitung: Paul Abraham SWR

Auf der Bühne in „Ball im Savoy“ steht wieder der geniale Oskar Dénes, eben gehört, als sagenhaft türkischer Botschaftsattaché Mustafa Bey, der sechs geschiedene Ehefrauen sein Eigen nennt. Dazu , die in Budapest und Wien als Koloratursopran angefangen hat – entdeckt von Erich Kleiber übrigens! - und in der Zauberflöte eine vielgefragte „Königin der Nacht“ gewesen ist, die aber dann auf Operette umgesattelt hat und in Berlin „Die Alpár“ wurde, eine der größten Operettendiven ihrer Zeit. „Nach Mitternacht zieht Gitta Alpar mit dem gesamten 8

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Ensemble und mit bunten Lampions durch den arenenartigen Zuschauerraum – und alle singen gemeinsam das Lied „Toujours l’amour“, so schwärmt eine Zeitung am Tag nach der umjubelten Premiere. Die Weimarer Republik ging unter in diesen Wochen, aber wenigstens tat sie’s singend.

Paul Abraham: Toujours l'amour, Aus: Ball im Savoy (Operette in 3 Akten) Gitta Alpar (S) Odeon-Künstlerorchester Leitung: Paul Abraham SWR

„Ball im Savoy“ ist im Dezember 1932 eine Sensation – und gut einen Monat nach der Premiere ist Adolf Hitler Reichskanzler. Paul Abraham arbeitet zunächst hektisch weiter und führt weiter sein rauschhaftes Leben, um sich vom nahenden Unheil abzulenken, - aber die Depressionen, zu denen er schon immer neigte, werden stärker, und dass man ihm, dem Operettenrevuekönig, - dem Juden - , irgendwann den Zutritt zu seiner eigenen Operette verweigert, erschüttert ihn natürlich in den Grundfesten. Dann geht alles ganz schnell. Im März kommt das Ermächtigungsgesetz, kurz drauf werden Abrahams Werke auf den Index gesetzt und sein Vermögen beschlagnahmt, er selber kann zunächst nach Budapest fliehen. Vorher hat er übrigens seinem Chauffeur den Schlüssel zu einem Safe gegeben, in dem noch ein ganzer Stapel von unveröffentlichten Abraham-Kompositionen lag. Der Chauffeur hat sich einen trübseligen Platz in der Musikgeschichte gesichert, indem er diese Kompositionen, kaum dass Abraham weg war, an diverse deutsche Komponisten verkauft hat, die die Sachen unter ihrem Namen veröffentlicht haben. In Ungarn kann Abraham noch ein paar Jahre weiterarbeiten,- aber die Einschläge kommen näher, und als Österreich untergeht und die Nazis sich auch in Budapest ausbreiten, flieht er 1939 nach Paris. Paul Abraham hat ziemlich viele Frauen gehabt, aber die Frau, mit der er in Paris techtelt, ist von historischem Interesse: Sie heißt Yvonne Louise Ulrich – die Schriftstellertochter aus Warschau hat noch daheim reich geheiratet und hat dann in Paris die Emigrantengemeinde unterstützt, wo alle sie Einzi nennen, weil sie oft die Einzige ist, die noch helfen kann. In diesen Emigrantenkreisen hat sie erst Paul Abraham, und später Robert Stolz kennengelernt. Sie lässt Paul Abraham Abraham sein und teilt dann als tatkräftige Einzi Stolz mit ihrem Mann erst das Exil und dann den Erfolg,- der Robert Stolz ja umso mehr zu gönnen ist, als er sich, obwohl er das gekonnt hätte, nie von den Nazis vereinnahmen ließ. Er hat im Gegenteil Widerstand geleistet und vielen Juden geholfen - und dann rein aus Gewissensgründen seine Heimat verlassen. Robert Stolz hatte dabei wenigstens die Hilfe seiner vermögenden Frau – Paul Abraham hat irgendwann nichts mehr. Als es auch in Paris zu gefährlich wird für einen jüdischen Musiker, flieht er über Casablanca und Havanna schon fast völlig mittellos in die USA, und dort geht es dann im Eiltempo bergab. Ausgerechnet Paul Abraham, der echteste Jazzer unter den Operettenkomponisten, hat in der amerikanischen Musikszene überhaupt nicht Fuß fassen können. Aber Paul 9

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Abrahams Amerika war eben nicht das echte Amerika, und darauf reagierte man im echten Amerika allergisch ...

Paul Abraham: My little boy, Aus: Die Blume von Hawaii (Operette in 3 Akten) Fritz Steiner (voc) (voc) Metropol-Tanzorchester Leitung: Paul Abraham SWR

Harald Paulsen und die ungarische Diva Rosy Barsony mit „My little boy“ aus „Die Blume von Hawaii“. Abraham hat Anlauf um Anlauf gemacht, aber der Broadway wollte ihn nicht haben. 1945 hat er mit seinem alten Librettisten Alfred Grünwald noch mal eine Operette angefangen, „Tamburin“ sollte sie heißen – sie ist nie aufgeführt worden. Von da an ist Abrahams Verhalten immer seltsamer geworden. Er lädt Freunde zu seiner angeblichen Hochzeit ein, als die mit Geschenken am angegebenen Ort erscheinen, weiß er nichts mehr davon, 1946 dann wird er aus seinem Hotel geworfen, nachdem er den Liftboy 42 mal in den 17. Stock hat fahren lassen – zuguterletzt kommt dann jener Tag, als er mitten auf der Madison Avenue ein unsichtbares Orchester dirigiert. Sein Anzug ist zu der Zeit schon zerschlissen, er selbst in erbarmungswürdigem Zustand, aber er trägt immer noch seine weißen Handschuhe, die in Zeiten des Triumphs sein Markenzeichen als Dirigent waren – und die ursprünglich mal gegen seine Bazillenphobie helfen sollten. Paul Abraham ist dann in eine psychiatrische Klinik eingeliefert worden, Diagnose: Psychose und Viertes Stadium einer verschleppten Syphilis. 1956 haben einige ehemalige Emigranten und Freunde in Hamburg das Paul- Abraham-Komitee gegründet, das den kranken einstigen Operettenkönig dann nach Deutschland zurückgeholt hat. Der Arzt, der ihn in Hamburg behandelte, hat unter Hitler ganz groß Karriere gemacht, und vermutlich war es ganz gut, dass Paul Abraham das nicht mehr umrissen hat. Seine Demenz war irreversibel, und bis zu seinem Tod hat er geglaubt, er lebe noch in New York und bereite sich gerade auf die Premiere eines seiner Stücke am Broadway vor. 1960 ist er dann in Hamburg gestorben, an den Folgen einer Krebsoperation. Der deutsche Staat hat ihm davor im Monat 500 Mark „Wiedergutmachungsrente“ gezahlt – Die Operetten-Renaissance in Wirtschaftswunder-Deutschland ist an Abrahams Werk so ziemlich vorbeigegangen – und das war womöglich gut so, weil seine Sachen so nicht Teil des großen Missverständnisses waren, das all die Operetten- Stars jener Jahrzehnte angerichtet haben, von Marika Rökk über Rudolf Schock bis zu Anneliese Rothenberger… Abrahams Stücke sind frisch geblieben und werden in den letzten Jahren, nach einer ersten sensationell komischen Produktion von Ball im Savoy in Berlin an der Komischen Oper, immer öfter wieder gespielt.

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Paul Abraham: Blume von Hawaii - Ausschnitt Ensemble der Stuttgarter Staatsoper

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