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________________________________________________________________________________ 2 MUSIKSTUNDE mit Trüb Montag, 6. 6. 2011 „Die im Dunkeln sieht man nicht? (1) Franz Waxman“ MUSIK: INDIKATIV, NACH CA. ... SEC AUSBLENDEN Jascha Heifetz war einer der – wenn nicht der – Jahrhundertgeiger des Zwanzigsten. Geboren wurde er 1901 in Wilna, das heute zu Litauen gehört, damals aber noch eine Domäne des Russischen Zarenreichs war. Mit 16 Jahren emigrierte das ehemalige Wunderkind samt Familie in die USA, wo es zuerst in San Francisco und dann in New York lebte – und dann in Beverly Hills, dem Nobelstadtteil von Los Angeles, Heimat der Filmstars. Der Geiger hatte sich gerade von seiner ersten Ehefrau Florence Vidor getrennt und seine zweite geheiratet, Frances Spiegelberg, mit der er nun – anno 1947 – in die ehemalige Villa des Stummfilmstars John Gilbert zog. Ich weiß – dafür, dass es eigentlich um etwas anderes geht, erzähle ich das ziemlich ausführlich. Aber einer der neuen Nachbarn der Heifetzens war der deutsche Filmkomponist Franz Waxman mit seiner Frau, und eine Freundschaft zwischen beiden Paaren etablierte sich rasch. Zum Beispiel wurde es Sitte, dass die Waxmans Silvester bei den Heifetzens feierten; und dass Franz jedes Jahr eine neue Komposition für Kammerensemble mitbrachte, je nachdem, wer außer Heifetz und Waxman instrumental noch mithalten konnte. Gleich das erste Silvester nach dem Einzug brachte ein Klavierquartett zusammen, dem der Filmkomponist Variationen schrieb; darin verändert er das quintessentielle Silvesterlied der Angelsachsen, „Auld Lang Syne“, im Stile Mozarts, Beethovens, Bachs – und im Stil von, wie es in der Partitur heißt, „Schostakofjew“. Dieser 31. Dezember 1947 muss ein feuchtfröhlicher Abend gewesen sein, der Zweite Weltkrieg war gewonnen, das eheliche Leben beiderseits intakt – und Ludwig van Beethoven, der ja viele schottische Weisen instrumentiert hatte, nur gerade diese nicht, schien sich auf lustige Art mit „Auld Lang Syne“ abzuplagen. MUSIK: WAXMAN, AULD LANG SYNE VARIATIONS, TRACK 6 (4:38) Zwar keine Filmmusik von Franz Waxman, aber eine der für seinen Freund Jascha Heifetz zu Silvester 1947 komponierten Variationen über das schottische Volkslied „Auld Lang Syne“; der später von einem Kritiker mal als „Beethoven der Filmmusik“ titulierte Waxman gestaltete hier die sentimentale Silvester-Weise im Stil von – Beethoven. Das St. Clair Trio und der Bratscher James Van Valkenburg spielten. 3 Franz Waxman wurde 1906 in Oberschlesien geboren, eine deutscher Jude, der damals natürlich noch „Franz Wachsmann“ war, wie: Mann aus Wachs, und erst in USA zu Wäxmän wurde, mit x und nur einem n am Ende. Der Knabe war auf dem Klavier erkennbar höchstbegabt, aber für den strengen Vater kam ein Musikstudium nicht in die Tüte. Er schickte den Sohn zu einem verwandten Bankier, auf dass Franz eine Bankenlehre absolviere. Den hielt es aber nicht hinterm Schalter, fremdes Geld zählen, Schecks prüfen, abstempeln und ausbezahlen – das war nicht seine Welt. Er schrieb sich ein an der Berliner Hochschule für Musik und hatte Glück, dass Ferruccio Busoni einer seiner Lehrer wurde. Als der Vater hörte, Franz schludere am Schalter, wenn er denn überhaupt da sei und nicht gerade „krank“, sperrte Wachsmann senior erbost dessen Wechsel. Franz war plötzlich auf sich allein gestellt. Und was tat man im Berlin der späten Zwanzigerjahre, wenn man ein musikalisches Höchsttalent war? Man schloss sich einer der zahlreichen Tanzkapellen an, von denen Wachsmann die berühmteste landete: die Weintraub Syncopators. Einer der häufigen Gäste des Etablissements war der Filmproduzent Erich Pommer. Der virtuos jatzende Pianist gefiel ihm, deshalb heuerte er ihn an, eine Filmmusik von Friedrich Holländer zu arrangieren. Der Film hieß: „Der blaue Engel“, Regie: Josef von Sternberg, die Hauptdarsteller: Emil Jannings – und Marlene Dietrich. MUSIK: HOLLÄNDER/WACHSMANN, ICH BIN DIE FESCHE LOLA, TRACK 2 (2:39) Die fesche Lola, die eigentlich gar nicht singen kann, aber das macht sie erstklassig – Marlene Dietrich im Film „Der blaue Engel“ mit dem Signetlied der Lola, die ihr Licht nicht unter den Scheffel stellt, sondern es dazu benützt, männliche Motten sich selber verbrennen zu lassen. Getextet und komponiert hat den Schlager Friedrich Holländer, der Arrangeur und Dirigent war Franz Wachsmann. Nach der blauen Lola, dem feschen Engel, vertonte Wachsmann noch eine Handvoll deutsche Filme, die alle zu Recht vergessen sind. 1933 dann dämmerte es dem jüdischen Produzenten Erich Pommer, dass in Deutschland nicht mehr gut Kirschen essen wäre, und er ging mit dem ebenfalls ausreisewilligen Arier Fritz Lang ins noch nicht besetzte Frankreich, um „Liliom“ zu verfilmen, das Theaterstück des Ungarn Férenc Mólnar. Fritz Lang floh, weil Goebbels ihm den Vorsitz der Reichsfilmkammer angeboten hatte – und weil die Ehe mit seiner Frau Thea von Harbou, eigentlich einer begabten Drehbuchautorin, auch wegen Harbous Nazinähe vor dem Aus stand. Und wen nahm man mit nach France? Den ebenfalls gefährdeten Franz Wachsmann; aber nicht nur, weil er Jude war – sondern auch ein Könner. Er komponierte „Liliom“, dann ging's weiter nach Hollywood. 4 Wachsmanns – oder inzwischen: Wäxmäns – erste große Hollywood-Musik war die zu „The Bride of Frankenstein“, Frankensteins Braut, einer Fortsetzung des rasend erfolgreichen Films „Frankenstein“ mit Boris Karloff. Die Geschichte, in einer fiebrigen Nacht am Comer See von der Engländerin Mary Woollstonecraft Godwin im Kreis der Freunde Byron und Shelley erfunden, erzählt von dem Arzt Dr. Frankenstein, der gerne Gott wäre: Aus Leichenteilen versucht er, den „idealen Menschen“ zusammenzustückeln. Das geht natürlich grausam schief, denn, wie wir alle wissen: Der Mensch versuche die Götter nicht. Auf jeden Fall erschafft Dr. Frankenstein ein Monster. Das aber immer noch so viel Menschliches an sich hat, dass es nicht allein sein will – dass es eine Braut braucht. Nur leider will die dann mit dem Monster nichts zu tun haben; sie verliebt sich vielmehr in ihren Schöpfer, in Dr. Frankenstein ... Der Film von James Whale zeigt das alles als große Laboratoriumsorgie. Reagenzien glucksen, Maschinen rülpsen, Blitze zucken. Und Franz Waxman, der Komponist, illuminiert es mit spätromantischen Klängen, von einem quasi-elektronischen Instrument, dem Theremin, und Windmaschinen zum spukhaft-drohlichen Event befördert. Am besten brachte Waxmans Kollege David Raksin diese ganz neuartige Filmmusik auf den Punkt: Sie sei, eingedenk der aus Toten zusammengesetzten Ungeheuer, die „Leichenbestatter-Version von Tristan und Isolde“. MUSIK: WAXMAN, THE BRIDE OF FRANKENSTEIN, TRACK 4 (7:24) Franz Waxmans erster großer Hollywood-Erfolg, die Musik zu James Whales Horrorfilm „Frankensteins Braut“, der Titel hieß „Erschaffung des weiblichen Monsters“ und wurde nachgespielt vom National Philharmonic Orchestra unter Charles Gerhardt. „Frankensteins Braut“ brachte dem Komponisten seine erste Festanstellung, als Musikdirektor des Studios Universal. Dort überwachte Waxman in knapp zwei Jahren die Musikbegleitung von 50 Filmen, er selber vertonte zwölf. Dann warb ihn die damals erste Adresse von Hollywood ab: Metro-Goldwyn-Mayer gab ihm einen Sieben-Jahres-Vertrag. Aus jener Zeit stammt auch die bekannteste Waxman-Musik – nur weiß natürlich kein Mensch, dass sie von ihm ist. MUSIK: WAXMAN, FANFARE FOR METRO-GOLDWYN-MAYER, TRACK 2 (0:12) ... richtig, die Titelmusik des damals nobelsten Hollywood-Studios, Metro-Goldwyn-Mayer, mit Leo dem Löwen, der allerdings immer mal wieder verstarb und durch einen jüngeren Artgenossen ersetzt wurde – während Waxmans Fanfare ziemlich unverändert blieb. 5 Seinen ersten Oscar gewann Franz Waxman 1950 für „Sunset Boulevard“, Billy Wilders noir- Meisterwerk. Es ist ein oft kalter, aber oft auch mitfühlender Blick auf die Träume und Alpträume der Glitzerwelt, in den Worten eines zeitgenössischen Kritikers „der erste ehrliche Film, der je in Hollywood produziert wurde“. Darin spielt Gloria Swanson mehr oder weniger sich selbst: einen alternden Stummfilmstar, der noch auf sein Comeback im Tonfilm hofft. Die Filmfigur, genannt Norma Desmond, lebt in einem Mausoleum ihrer großen Vergangenheit, einer ihrer früheren Regisseure – Erich von Stroheim – frisst jetzt als ihr Butler sein Gnadenbrot. Ein junger, aber erfolgloser Drehbuchautor wird angeheuert, um für Norma Desmond „Projekte“ auszuhecken, er wird dann auch ihr um Jahrzehnte jüngerer Geliebter – und am Ende von ihr erschossen. Als die Polizei sie holen kommt, ist Norma Desmond vollends in den Wahn gekippt. Ihre Comeback-Rolle als Salome erwartend, schreitet sie majestätisch eine Treppe ihres Hauses herab und informiert einen Polizisten, den sie für einen ihrer Regisseure hält: „Ich bin jetzt bereit für die Großaufnahme, Mr. De Mille!“ Schon vorher hatte sie, auf ihre vergangene Größe angesprochen, indigniert erwidert: „Ich bin immer noch groß – nur die Filme wurden klein.“ Die Musik zu „Sunset Boulevard“ ist eine der dramatischsten von Franz Waxman, schillernd in den noir-Farben dunkelgrau bis tiefschwarz. Ein spätromantisches Symphonieorchester klangmalt die ganze Großmannssucht, die innere Unruhe und Getriebenheit der Epoche wie des Ortes, ihr Subtext ist der nahenden Untergangs. Bei den beiden Hauptfiguren, der Stummfilmdiva Norma Desmond und dem gescheiterten Drehbuchautor, nutzt der Komponist Wagner'sche Leitmotivik – den Tango für Norma, weil sie ihn einst mit dem Stummfilm-Verführer Rudolph Valentino getanzt hatte; für Joe Gillis, den jungen Autor, ist es der Bebop, eine Form des