SWR2 Klassiker

Die Rettung der Eine Sendung von Katharina Eickhoff

Sendung: Dienstag, 30. März 2021, 20.05 Uhr Redaktion: Bernd Künzig

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Die Wirtschaftskrise setzt mit Verzögerung ein, aber dann rollt sie wie ein Tsunami auch über die MET hinweg. Die lebte ja bis dahin von den Geldern jener reichen Leute, die bis eben noch den „Diamond Horseshoe“, das von Diamanten glitzernde Halbrund der teuren Logen im Opernhaus bevölkert haben, und die jetzt mit ihren wertlosen Geldscheinen nur noch die Villen tapezieren können, die ihnen schon bald nicht mehr gehören werden…

Luigi Arditi, “Il Bacio”, Konzertwalzer – 1‘ Lucrezia Bori, Sopran

Die hier im Jahr 1927 so fröhlich den Kuss-Walzer zwitschert, das ist Lucrezia Bori – die spanische Sopranistin ist seit Carusos Zeiten eines der Zugpferde der Metropolitan Opera, aber ihre ganz große Stunde schlägt in den Jahren der Krise, als der MET das Geld ausgeht und die Bori zur begnadeten Spenden-Eintreiberin wird: Der „Freundeskreis der MET“ wird unter ihrer tatkräftigen Hilfe ins Leben gerufen, und zusammen mit anderen Sängerinnen und Sängern gründet sie ein „Komitee zur Rettung der Metropolitan Opera“. Dessen Mitglieder sind ständig bei der NBC auf Sendung, Lucrezia Bori selbst verteilt Flyer und schreibt Briefe an mögliche Wohltäter, hält nonstop flammende Reden mit Spendenaufrufen und kleinen Gesangseinlagen, und organisiert Benefizkonzerte, bei denen Superstars wie Rosa Ponselle und Lauritz Melchior Apachen-Tänze und andere Zirkuskunststücke aufführen. Mit dieser gemeinsamen Anstrengung treiben die leidenschaftlichen Sänger und Sammler tatsächlich mehrere hunderttausend Dollar ein, - das Weiterspielen ist fürs Erste gesichert, und Rosa Ponselle kann mit ihrer Jahrhundert-Stimme weiterhin als „Norma“ über die Bühne schweben und ihr Publikum in Trance singen:

Vincenzo Bellini, Norma „Casta Diva“ - 4‘47 Rosa Ponselle, Sopran

Rosa Ponselle 1928 als Bellinis Norma – die „Casta Diva“-Arie war eins ihrer Paradestücke...

William James Henderson, damals der bedeutendste New Yorker Opernkritiker, schreibt nach Rosa Ponselles allererstem Auftritt als einundzwanzigjährige Opern-Novizin an der Metropolitan Opera in seinem Bericht für die New York Sun: „Die Oper hat in Rosa Ponselle

2 einen dramatischen Sopran von glänzenden Gaben. Es ist eine der üppigsten dramatischen Stimmen, die ich gehört habe. Sicher wird sie eines Tages auch noch lernen, wie man singt.“ Nun ja, sie hat es gelernt, wie man eben in dieser Aufnahme von 1928 hören konnte, auch wenn sie immer Angst vor den ganz hohen Tönen hat und deshalb zum Beispiel bei ihren legendären Auftritten als Norma den Kammerton im Orchester von 440 auf 435 Herz runterstimmen lässt – was in Wahrheit gar keinen so großen Unterschied macht, aber für Rosa Ponselle, die immer unter panischer Auftrittsangst gelitten hat, war es offenbar ein beruhigendes Gefühl. Rosa Ponselle hat mit ihrer einzigartigen, auch im tiefen Register herrlich vollen Stimme fast zwanzig Jahre lang völlig zu Recht unvorstellbare Triumphe gefeiert an der Metropolitan Opera - bis sie sich 1935 mit all ihrer beträchtlichen Leidenschaft in die Rolle der Carmen stürzt und dafür eine schallende Ohrfeige kassiert. Nicht vom Publikum, wohlgemerkt, sondern von der Kritik…

Georges Bizet, Carmen, 0‘30 „Près des remparts de Séville” Rosa Ponselle, Sopran Orchester der Metropolitan Opera, LTG Gennaro Papi

Die Besprechung der „Carmen“-Premiere durch den Kritikerpapst Olin Downes vom 28. Dezember 1935 kann man heute noch im Online-Archiv der New York Times nachlesen – es ist eine frauenverachtende, respektlose Hinrichtung. „Nie, heißt es da, „haben wir Miss Ponselle so schlecht singen hören. Es scheint als habe sie um jeden Preis auf Tonqualität, Intonation und vokalen Stil verzichtet, um stattdessen „dramatisch“ zu sein.“

Sie habe, behauptet Downes, sich über Takt und Rhythmus hinweggesetzt, nur um sich als Schauspielerin zu profilieren, die sie als Sängerin ja nun mal nicht sei, tanzen könne sie auch nicht– und die Kritik gipfelt dann in der unappetitlich misogynen Feststellung, dass die Frau ja im Vorfeld ein paar Kilo abgespeckt hätte und insofern wenigstens optisch ein bisschen was hergemacht hätte…Und das über Rosa Ponselle, eine der allezeit schönsten Frauen, die je an der MET gesungen haben. Der Mitschnitt einer dieser Aufführungen bestätigt Downes insofern, als die Ponselle hier tatsächlich mit einer anderen, nicht, ihrer Rosa-Ponselle-Stimme, singt. Aber die Publikumsreaktionen legen nahe, dass die Ponselle als grandiose Sängerschauspielerin einfach nur ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus war und eine riskant expressive Interpretation der Carmen geliefert hat, auch wenn das auf Kosten der Stimmschönheit ging – sie war eben nicht umsonst das große, das einzige Vorbild für Maria Callas.

Georges Bizet, Carmen “Les tringles des sistres tintaient” – 3’20 Rosa Ponselle, Thelma Votipka, Helen Olheim Orchester der Metropolitan Opera, LTG Gennaro Papi

„Carmen“ ist dann das Ende von Rosa Ponselles Karriere – die brutalen Kritiken haben sie damals derart verletzt, dass sie sich Knall auf Fall ins Privatleben zurückgezogen hat. Aber sie hat Spuren hinterlassen - Burt Lancaster zum Beispiel hat sich, als alter Hollywood- Veteran, an seine Anfänge in New York in jenen Zeiten der Wirtschaftskrise erinnert: „Als Student in hatte ich einen Stehplatz, um Rosa Ponselles „Carmen“ zu hören….Es war ihre stimmliche Kunst und ihr interpretatorisches Genie als singende Darstellerin, die eine immerwährende Inspiration für mich als Schauspieler waren.“

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In die Glanzzeit von Rosa Ponselle fällt auch die ganz große mediale Revolution an der MET, - am ersten Weihnachtstag 1931 kommt sie über die beglückten Opernfans in ganz Amerika, und diese Neuerung entpuppt sich als ein ungeheures Geschenk für die von der Depression niedergedrückten, sorgenvollen Amerikaner, sie vervielfacht den Ruhm der Metropolitan Opera im ganzen Land: Die Oper, die in der Wirtschaftskrise Geld braucht, verkauft die Rechte zur regelmäßigen Radio-Übertragung an die Rundfunkgesellschaft NBC. Und mit Rosa Ponselle als „Norma“ beginnt dann eines schönen Samstagnachmittags das, was als „Saturday afternoons at the Metropolitan“ in die Geschichte eingehen wird. Es sind Sternstunden des Radios: Jeden Samstag sitzen in den kommenden Jahrzehnten Abertausende an den Geräten und lauschen, wenn die Ponselle oder Lucrezia Bori die italienische Oper zum Strahlen bringen, wenn sich Elisabeth Rethbergs oder Frida Leiders schöne Stimmen mit dem Superhelden-Tenor von Lauritz Melchior kreuzen, und wenn unten am Pult Tullio Serafin oder Arthur Bodanzky das Orchester zu Höchstleistungen antreiben. Alle sorgfältig angekündigt und abgesagt vom legendären Milton Cross, der unglaubliche 44 Jahre lang, von 1931 bis zu seinem Tod 1975, die Radioübertragungen als Moderator begleitet hat. 17 000 Menschen haben im Jahr 1939 begeisterte Briefe geschrieben auf eine Umfrage mit dem Titel „Was mir die Metropolitan Opera-Übertragungen bedeuten“, - ein Telefonist aus Cleveland, Ohio schreibt da zum Beispiel: „An Samstagnachmittagen wird ein Apartment im 3. Stock zum Siebten Himmel, wo man lauscht, lebt und wächst.“

Giuseppe Verdi, Otello New York 1938 „Una vela!“ – „Esultate!“ – 7’40 Giovanni Martinelli, Tenor Chor und Orchester der Metropolitan Opera LTG

So beginnt Verdis „Otello“ in dieser Samstagnachmittags-Live-Übertragung aus der Metropolitan Opera aus dem Jahr 1938 – Als Otello: Giovanni Martinelli. Giovanni Martinelli hat nach Carusos frühem Tod im Jahr 1921 die meisten Caruso-Partien an der MET übernommen und war neben Beniamino Gigli d e r führende italienische Tenor am Haus, – Martinellis Stimme war lange nicht so herrlich dunkelsamtig wie die von Caruso, und sie war nicht so ätherisch wie die Giglis, aber er ist ein fantastischer Gestalter gewesen, und waren immerhin seine größten Fans. Und er war einfach unermüdlich: Über fünfzig Jahre stand Giovanni Martinelli auf der Bühne. Und er ist der MET auch in den frugalen Zeiten während der Wirtschaftskrise treu geblieben – was man nicht von allen Stars behaupten kann. Weil die Gagen empfindlich gekürzt werden müssen, schmeißen zwei Zugpferde des Ensembles empört hin und verlassen das sinkende Schiff: Das blonde Gift Maria Jeritza, bürgerlich Mizzi Jedlickova, deren bäuchlings auf dem Boden liegend gesungene Tosca-Arie enormen Eindruck hinterlassen hat, und – Beniamino Gigli, der auf der Bühne meistens ihr Duettpartner ist. Die Jeritza hat ihn mit Inbrunst gehasst, weil er beim klassischen Diven-Wettstreit, wer den hohen Ton am Ende länger aushalten kann, meistens gewonnen hat. In Sachen Gagenkürzung sind sie sich aber einig: Für diesen Hungerlohn kann man nun wirklich nicht singen. Giglis Stimme, süß-verführerisch in seinen besten Zeiten, hat die Amerikaner über den Verlust Carusos weggetröstet. Giovanni Martinelli und Giacomo Lauri-Volpi mochten fabelhafte und immer verlässliche Sänger sein – aber ihre Stimmen hatten eben nicht halb

4 so viel Zauber wie die Giglis, und deshalb ist er bis zu seinem Abgang der bestbezahlte Tenor an der Metropolitan Opera.

Jules Massenet Manon-Traum des Des Grieux: O dolce incanto – 3‘30 Beniamino Gigli

Beniamino Gigli als Des Grieux in der italienischen Fassung von Jules Massenets „Manon“ in SWR2 Klassiker. 1935 legt der legendäre Giulio Gatti Casazza nach 27 Jahren den Chefposten an der MET nieder und entschwindet aufs Altenteil nach Italien. Wagner, Verdi und Puccini waren die Säulen von Gattis erfolgreicher Regentschaft, sie waren, wie der MET-Chronist Kolodin schreibt: „Vater, Sohn und heiliger Geist der Metropolitan-Orthodoxie“ – und für das, was bei einer Opernaufführung wichtig ist, hat Gatti ein klares Ranking festgelegt: Erst kommen die Sänger. Dann kommt lange nichts. Dann kommt eine möglichst schöne Ausstattung. Dann kommen, irgendwo weiter hinten, die Dirigenten. Und dann braucht es auch einen Regisseur – aber der ist wirklich nicht so wichtig. Parameter, die, um genau zu sein, noch bis vor ein paar Jahren ziemlich genau so gegolten haben an der MET…

Allerdings gab es damals eben auch tatsächlich noch Sänger, die allein mit ihrer Stimme und Aura einen Abend tragen konnten. Sänger wie Jussi Björling – über den hat Charles Laughton, immerhin einer der größten Schauspieler des Jahrhunderts, den herrlichen Satz gesagt: „Als Mann wäre ich immer gern so gewesen, wie Jussi Björling klingt.“ Björling, der schüchterne Schwede und ehemalige Knabensopran, ist kein Bühnentier wie die Ponselle oder Giovanni Martinelli – aber wenn er den Mund aufmacht und seine strahlend schöne Stimme den Raum flutet, dann ist man einfach im Opern-Nirwana. Und das blieb so bis zu Björlings frühem Tod, und obwohl der Erfolgsdruck ihn zum Alkoholiker gemacht und seine Gesundheit zerstört hat. Der Bariton Robert Merrill, einer seiner liebsten Partner auf der MET-Bühne, hat erzählt, dass Björlings Singen mit lockerer Kehle ihn allein vom Zuhören so entspannt hat, dass er selbst automatisch besser gesungen hat. Jussi Björling kommt in den 30-er Jahren an die MET und steigt schnell zum Star auf – zur Legende wird dann aber später ein Abend im Februar 1947, als er in einem der Klassiker am Haus, Gounods „Roméo et Juliette“, auftritt. Paul Jackson hat in seinem tollen Schmöker „Saturday Afternoons at the Old MET“ die Radio-Übertragungen zwischen 1931 und 1950 mit Liebe protokolliert, er meint: „Diese Aufnahme, heißgeliebt von privaten Plattensammlern, ist eingegangen in die Reihe von Historischen Metropolitan Opera-Radio-Übertragungen.“ –

Charles Gounod, Roméo et Juliette, Ah, jour de deuil – 3‘45 Jussi Björling und andere, Orchester der MET, Emil Cooper

Man merkt’s am Beifall: Ein so perfektes Hohes C kam auch an der Metropolitan Opera, dieser Heimstatt des Hohen C, nur sehr selten vor.

Der 2. Februar 1935 wird dann ein denkwürdiges Datum für alle, die im Opernhaus oder an den Radios bei der NBC-Übertragung dabei sind,- da gibt nämlich die nordische

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Spätzünderin Kirsten Flagstad mit immerhin schon vierzig Jahren ihr MET-Debüt. Und einen dermaßen beglückenden, frei flutenden, herrlich reichen Wagner-Gesang hat man bis dahin noch nicht gehört. Das Debüt des „Wunders Flagstad“ in der „Walküre“ an diesem 2. Februar ist tatsächlich als Rundfunk-Mitschnitt vorhanden – die Qualität der Aufzeichnung ist nicht so besonders, aber die Stimme der Flagstad überwindet die Technik mühelos...

Richard Wagner, Walküre 1. Akt, Du bist der Lenz... – 1‘45 Kirsten Flagstad, MET Orchestra, Artur Bodanzky

Kirsten Flagstads Debüt wird dann übrigens gleich in der Pause von einer Fachfrau als historisch eingeordnet: Geraldine Farrar, die Glamour-Diva und schöne Primadonna aus Carusos Zeiten, Ex-Geliebte Toscaninis und inzwischen im Diven-Ruhestand, Geraldine Farrar also hat nämlich inzwischen im oberen Rang des Metropolitan Opera House eine ansprechend eingerichtete Loge samt Klavier und Mikrofon, von dort aus unterhält sie in den Pausen der Rundfunkübertragungen die Hörer mit Kommentaren, Reminiszenzen und sonstigen Plaudereien – und Kirsten Flagstad hat an diesem Debüt-Abend auch die Farrar enorm beeindruckt:, mit leicht verrutschter Metapher schwärmt sie „Ich wünschte, Sie könnten heute mit meinen Augen hören“… ...und nachdem sie ihrer Kommentatorenfunktion Genüge getan hat, greift Miss Farrar noch rasch in die Tasten und stimmt mit leicht angezählter, aber charmanter Operettenstimme „Valkyrie’s Greatest Hit“ an.

...Überhaupt, Wagner: Hätte der alte Wahnfritz – so Wagner über sich selber – hätte also der alte Wagner noch erlebt, was für eine ungeheure stimmliche Wucht und darstellerische Intensität die Aufführungen seiner Werke an der Metropolitan Opera in den 30-er und 40-er Jahren entwickelt haben, er wäre vor Glück und Stolz geplatzt. Die Wagner-Truppe ist es nämlich hauptsächlich, deren Erfolge das Haus aus der Finanzkrise holen. Was hat sich Wagner zu Lebzeiten abgeplagt auf der Suche nach Stimmen, die seine sängerischen Gewaltmärsche aushalten…In diesen Jahren in New York sind sie auf einmal da, irgendwie so, als hätten erst Menschen herangezüchtet müssen, die diese Töne in ihren Stimmen haben – Menschen wie Lauritz Melchior. Melchiors Stimme war gar nicht mal wirklich schön, und irgendwie klang sie auch nie nach einer klassischen Gesangsausbildung – sie war einfach ein Naturereignis. Aber dieser von den Amerikanern zärtlich geliebte Hüne aus Dänemark, der vor und nach den Vorstellungen ungeheure Mengen von Essen verdrückt hat und ein begeisterter Biertrinker war, konnte nicht bloß böllern. Er konnte, der riesigen Stimme zum Trotz, auch unschlagbar zärtlich klingen, sein Gesang wurde dann, wie Jürgen Kesting schreibt, zur „Viola d’amore“ - um gleich drauf wieder jedes Maß zu sprengen. Conrad L. Osborne, ein Gesangspädagoge, meint: „Melchior war der einzige, der dieses verdammte Zeug singen konnte, ohne Spuren von Bluthusten auf der Bühne zu hinterlassen.“ In Hochform ist Melchior zum Beispiel am 19. Februar 1940, wenn er als Siegmund nach Wotans Schwert ruft. Seine „Wälse! Wälse!“-Rufe sind unfassbar lang und mit Sicherheit einer der gloriosesten Momente, die das Publikum der Metropolitan Opera je erlebt hat. Paul Jackson, der getreue Geschichtsschreiber der MET-Übertragungen, schreibt in „Saturday Afternoons at the Old MET“, dass vermutlich noch nie zuvor etwas derart Großartiges aus dem Hals eines Heldentenors gekommen sei: „Probably nothing as splendid has ever issued from a Heldentenor’s throat!“

Wagner, Walküre, „Ein Schwert verhieß mir der Vater“ – 4‘50 Lauritz Melchior, Tenor MET Orchestra, LTG: Erich Leinsdorf

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Lauritz Melchior glorios als Siegmund in Wagners Walküre – eine Vorstellung aus dem Februar 1940 mit Erich Leinsdorf am Pult. Zu dieser Zeit ist die Metropolitan Opera nach der Wirtschaftskrise finanziell schon wieder über dem Berg – ihre Sängerinnen und Sänger haben sie in harten Zeiten vor der Schließung bewahrt. Und jetzt, wo aus Europa all die vielen wunderbaren Musiker auf der Flucht vor Hitler in Amerika ankommen, beginnt schon wieder die nächste goldene Ära der MET – aber das ist eine andere Sendung…Zum Schluss noch ein paar Takte von Arditis „Kuss-Walzer“ mit Lucrezia Bori, die seinerzeit das „Komitee zur Rettung der Metropolitan Opera“ angeführt hat – von dieser Rettung erzählte diese SWR2 Klassiker-Sendung, ich bin Katharina Eickhoff und sage schönen Dank fürs Zuhören!

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