Kärnten Band Dokumentation 2018 34

Dialog und Kultur. Beiträge zum Europäischen Volksgruppenkongress 2017, zur Kärntner Menschenrechtsenquete 2017 und Sonderthemen

Larisa Krizan Breljak Nils-Erik Forsgård Matejka Grgič Annemarie Herzl Isabell Koinig Berndt Körner Josef

Das Volksgruppenbüro beim Amt der Kärntner Landesregierung veranstaltet seit 34 Band 1990 jährlich den Europäischen Volksgruppenkongress. Dieser ist eine Plattform, Lausegger Sergiy Nezhurbida Jani Oswald Wolfgang um Themen und Fragestellungen mit Volksgruppenbezug erörtern und diskutie- Platzer Thomas Pseiner Antonio Rocco Raul Rognean ren zu können. Gerald Tatzgern Elisabeth Tichy-Fisslberger Hanzi Seit 2017 werden die Kärntner Menschrechtstage durchgeführt, in deren Rah- Tomažič Hellwig Valentin Paul Videsott Alexander men verschiedene menschenrechtsrelevante Themen Behandlung finden. Wrabetz Georg Zwerenz Larisa Krizan Breljak Nils-Erik

Mit der Reihe „Kärnten Dokumentation“ werden Beiträge nationaler und interna- Forsgård Matejka Grgič Annemarie Herzl Isabell Koinig tionaler Fachleute schriftlich festgehalten. Die Bände dienen einem interessier- Berndt Körner Josef Lausegger Sergiy Nezhurbida ten Publikum als Nachschlagewerke und sind ein zeithistorisches Produkt des Landes Kärnten. Jani Oswald Wolfgang Platzer Thomas Pseiner Antonio Rocco Raul Rognean Gerald Tatzgern Elisabeth Tichy-Fisslberger Hanzi Tomažič Hellwig Valentin umentation Kärnten Do k umentation Paul Videsott Alexander Wrabetz Georg Zwerenz

ISBN 3-901258-25-6

www.ktn.gv.at Band 32 KÄRNTEN DOKUMENTATION

Volksgruppen – sprachliche Vielfalt – ökonomischer Vorteil

Klagenfurt am Wörthersee 2018 Band 34 KÄRNTEN DOKUMENTATION

Dialog und Kultur. Beiträge zum Europäischen Volksgruppenkongress 2017

Beiträge zur 1. Kärntner Menschenrechtsenquete 2017

Beiträge zu 40 Jahre überregionale Zusammenarbeit im Alpen-Adria-Raum

und Sonderthemen

Herausgeber: Peter Karpf | Werner Platzer | Wolfgang Platzer | Mirjam Polzer-Srienz | Udo Peter Puschnig Redaktion: Sabine Frenzl | Martina Janja Ogris Band 34 KÄRNTEN DOKUMENTATION

Dialog und Kultur. Beiträge zum Europäischen Volksgruppenkongress 2017

Beiträge zur 1. Kärntner Menschenrechtsenquete 2017

Beiträge zu 40 Jahre überregionale Zusammenarbeit im Alpen-Adria-Raum

und Sonderthemen

Herausgeber: Peter Karpf | Werner Platzer | Wolfgang Platzer | Mirjam Polzer-Srienz | Udo Peter Puschnig Redaktion: Sabine Frenzl | Martina Janja Ogris © Land Kärnten Amt der Kärntner Landesregierung Abteilung 1 – Landesamtsdirektion Volksgruppenbüro Bahnhofplatz 5, 9020 am Wörthersee Grafische Umsetzung und Layout: Alice Burger Grafik+Typografie, Klagenfurt Druck: Christian Theiss GmbH, 9431 St. Stefan im Lavanttal

Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier

Die inhaltliche Verantwortung liegt ausschließlich bei den Autoren

ISBN 3-901258-25-6

Klagenfurt am Wörthersee 2018 Inhalt

Alexander Wrabetz Mediale Repräsentation von Identität im digitalen Zeitalter 11

Isabell Koinig Potenziale, Herausforderungen und Grenzen der Digitalisierung für Volksgruppen 13

Paul Videsott Digitale Medien als Chance für die Minderheitensprachen 32

Hanzi Tomažič Volksgruppe 4.0 – Der Einfluss der digitalen Revolution auf die Kärntner Slowenen 45

Matejka Grgič Jezikovno načrtovanje 2.0: nove tehnologije, digitalni viri in spletna orodja 53

Antonio Rocco Aplikacija RTV CapoDistria: italijanski programi Radiotelevizije Slovenija na spletu in v mobilnih omrežjih 66

Nils-Erik Forsgård Digitalization as a Losing Game The Case of the Swedish-speaking Finns 72 Beiträge zur 1. Kärntner Menschenrechtsenquete am 7. Dezember 2017 in Klagenfurt am Wörthersee „Aspekte und Bekämpfung des Menschenhandels in Kärnten“

Elisabeth Tichy-Fisslberger Menschenhandel im Alltag 80

Berndt Körner Die Sicherung der europäischen Außengrenzen - neue Aufgaben für Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache 87

Gerald Tatzgern Migration und Schlepperei – Menschenhandel: Zusammenhänge? 95

Georg Zwerenz Arbeitsausbeutung geht uns alle an 104

Annemarie Herzl Interventionen bei Erkennung und Betreuung von Opfern des Menschenhandels/Frauenhandels in Kärnten 112

Beiträge zu 40 Jahre überregionale Zusammenarbeitim Alpen-Adria Raum

Josef Lausegger Regionalismus als Barriere gegen den Nationalismus am Beispiel der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria 118

Hellwig Valentin Für eine Region des Friedens und des Wohlstandes. 126

Wolfgang Platzer Überregionale kulturelle Zusammenarbeit im Alpen-Adria Raum am Beispiel von Literatur und Musik von 2006 bis 2013 133 Thomas Pseiner Fünf Jahre Alpen-Adria-Allianz: Zwischenbilanz und Ausblick 139

Larisa Krizan Breljak Durch einen strategischen Ansatz zu einer neuen Entwicklungsvision 150

Sonderthemen

Jani Oswald Rede anlässlich der Eröffnung der Kulturwoche / Kulturni teden 2018 in Neuhaus 154

Sergiy Nezhurbida Multiethnic Society as a System 159

Raul Rognean Grenzen zwischen politischen Eliten und Bürgern. Fallbeispiel: die Rumänisch-Orthodoxe Kirche als „Zöllner“ 166

Band 32 KÄRNTEN DOKUMENTATION

Beiträge zum XXVIII. EUROPÄISCHEN VOLKSGRUPPENKONGRESS des Landes Kärnten 2017 am 17. November 2017 in Klagenfurt am Wörthersee

„Volksgruppen im Zeitalter einer digitalisierten Welt“

Alexander Wrabetz*

Mediale Repräsentation von Identität im digitalen Zeitalter

Was macht uns zu den Menschen, die wir sind? Wie finden wir unsere Identität? Egal ob Zeitungen, Radio, Fernsehen oder Online-Angebote – nationale Medien erfüllen eine aktive identitätsstiftende Funktion in unserer Gesellschaft. Dabei spie- geln sie die Identität des jeweiligen Landes wider und prägen sie gleichsam. Gerade in Zeiten der Digitalisierung und Globalisierung steigt das Bedürfnis nach einer medialen Heimat. Ein funktionierendes Medienökosystem mit starken nationalen Medienangeboten wird angesichts der Dominanz von Google, Facebook und Co. immer wichtiger für den gelingenden gesellschaftlichen Zusammenhalt, für die kulturelle Identität und die mediale Eigenständigkeit eines Landes. Für Österreich, als kleines Land in einem großen gemeinsamen Sprachraum, gilt dies umso mehr.

Öffentlich-rechtliche Medien spielen aufgrund ihres gesetzlichen Auftrags und dank hoher Reichweiten eine besondere Rolle. Der ORF bietet in seinen Hörfunk- und Fernsehprogrammen sowie im Internet, auf der Videoplattform ORF-TVthek, mit- tels ORF-TVthek-App und im Teletext ein vielfältiges Angebot für die sechs autochthonen Volksgruppen, für die im Bundeskanzleramt ein Volksgruppenbeirat besteht. Die Volksgruppenprogramme des ORF sind jedoch nicht nur gesetzlicher Auftrag sondern zentraler Bestandteil des Selbstverständnisses des ORF. Das un- terscheidet ihn deutlich von seinen privaten Mitbewerbern. Nur der ORF wendet jedes Jahr sieben Millionen Euro für seine Volksgruppenprogramme auf. Zudem konnte das Programmangebot seit 2006 von 147 Stunden um +75% auf 257 Stunden im Jahr 2016 deutlich ausgeweitet werden.

Die ORF-Landesstudios im Burgenland, Wien, Kärnten und der Steiermark sind die Volksgruppen-Kompetenzzentren des ORF für die Sendungen für Kroaten im Burgenland, Ungarn in Wien und Burgenland, Tschechen in Wien, Slowaken in Wien, Roma im Burgenland sowie Slowenen in Kärnten und Steiermark. Auch deshalb sind die Landesstudios unverzichtbar, weil sie gerade in der globalisierten Welt durch ihre Nähe zum Publikum an Bedeutung gewinnen, auch als Heimat der Volksgruppenprogramme. Die von ihnen gestalteten TV-Magazin-Sendungen („Dober dan, Koroška“, „Dobar dan Hrvati“, „Adj’Isten magyarok“, „Servus, Szia, Zdravo, Del tuha“ und „České Ozvĕny / Slovenské Ozveny“) sind über den Kultur-

* Dr. Alexander Wrabetz, Generaldirektor des ORF – Österreichischer Rundfunk, Wien, Österreich

11 und Informationsspartenkanal ORF III auch österreichweit empfangbar. In ORF 2 setzt sich unter anderem das Magazin „Heimat, fremde Heimat“ jeden Sonntag intensiv mit Volksgruppen-, Minderheiten- und Integrationsthemen auseinander. Für das Radio gestalten die einzelnen Landesstudios bis zu 34 Hörfunksendungen in der Woche, in Kärnten und der Steiermark bietet Radio AGORA zudem 8 Pro- grammstunden täglich in slowenischer Sprache. Pro Jahr sehen 2,7 Millionen Men- schen die Volksgruppenprogramme im ORF-Fernsehen. Auch online werden die entsprechenden Programmangebote immer stärker nachgefragt: Die Plattform volksgruppen.ORF.at verzeichnet im Schnitt bereits 140.000 Seitenaufrufe pro Monat.

Der ORF versucht, die Vielfalt unserer Gesellschaft in allen möglichen Facetten abzubilden. Zweisprachigkeit begreift der ORF als wertvollen kulturellen Schatz einer pluralistischen Gesellschaft, als Bestandteil des Reichtums unseres Landes, der in einer globalisierten Welt zunehmend wichtiger wird.

Das Bekenntnis zu den Volksgruppen – und innerhalb der European Broadcasting Union beschäftigen sich 170 Radio- und Fernsehprogramme mit Volksgruppen oder werden von ihnen, mit ihnen und für sie gemacht – ist ein wesentlicher Teil des europäischen Erfolgsmodells der Vielfalt. Genauso ist auch der öffentlich- rechtliche Rundfunk, der die Vielfalt widerspiegelt, ein Teil dieses Erfolgsmodells. Das Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist also auch ein Bekenntnis zu den Volksgruppen.

12 Isabell Koinig*

Potenziale, Herausforderungen und Grenzen der Digitalisierung für Volksgruppen

In dem vorliegenden Beitrag wird die Digitalisierung im Allgemeinen zuallererst beleuchtet und im Anschluss daran ein kurzer historischer Überblick über die wichtigsten Entwicklungen geliefert. Danach wird kurz die Digitalisierung in Österreich diskutiert, bevor das Kernargument des Vortrags – die Potenziale, Herausforderungen und Grenzen der Digitalisierung – aufgegriffen wird. Diese Aspekte werden zuerst relativ allgemein behandelt und in einem zweiten Schritt in Bezug zum Tagungsthema „Volksgruppen im Digitalen Zeitalter“ gesetzt.

Allgemeine Einführung

Der Begriff Digitalisierung kann auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert werden (Gabler Wirtschaftslexikon, 2018). In den meisten Fällen wird jedoch eine technische Sichtweise herangezogen. Danach bezeichnet Digitalisierung einerseits die Überführung von Informationen von einer analogen in eine digitale Speicher- form, andererseits beinhaltet diese Interpretation auch die Übertragung von bislang von Menschenhand erledigten Aufgaben und Leistungen auf den Computer (Grün- derszene.de, 2017).

Was vor 60 Jahren mit der Entwicklung der ersten Computer begann, verändert seitdem die Welt nachhaltig. Es kann auch von einer Transformation gesprochen werden – möglicherweise sogar von einer Revolution, wenn die Menge der trans- formierten Daten berücksichtigt wird: Im Jahr 2002 waren erst rund 25 % aller Inhalte digital verfügbar, wohingegen im Jahr 2007 bereits 94 % aller verfügbaren Daten digitalisiert waren (Technische Universität Dortmund, 2017).

Digitalisierung umfasst das Vordringen neuer, digitaler Technologien in alle Lebens- bereiche und beschreibt somit einen Veränderungsprozess, der sowohl Individuen, Unternehmen als auch die Gesellschaft im Allgemeinen betrifft. Von diesen Ent- wicklungen sind besonders die Bereiche Wirtschaft, Kultur, Bildung und Politik betroffen (Big Data Insider, 2017). So verändern sich durch den digitalen Wandel z.B. Angebot und Nachfrage auf Arbeitsmärkten, die politische Willensbildung oder auch die rechtlichen Rahmenbedingungen (Hess, 2016).

* MMag.a Dr.in Isabell Koinig, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der AAU – Alpen-Adria- Universität Klagenfurt, Klagenfurt am Wörthersee, Österreich

13 Ursprung der Digitalisierung

Das wohl früheste bekannte Beispiel von Digitalisierung sind Universalcodes, wie z.B. die Brailleschrift, welche 1825 vom Franzosen Louis Braille entwickelt wurde und es blinden Menschen erlaubt, von hinten in das Papier eingepresste Punkt- muster mit den Fingerspitzen in Form von Erhöhungen zu ertasten und somit Bedeutungen zu erkennen (Braille.ch, 2009). Ein weiteres Beispiel ist das Morsen, welches 1937 von Samuel Morse erfunden wurde. Er entwickelte hierfür einen elektromagnetischen Schreibtelegrafen sowie einen dazugehörigen Code – also einen Zeichensatz zur Übermittlung von Buchstaben und Zahlen (Numerisation- europe.eu, 2012). Später folgten weitere Geräte, die demselben Prinzip folgten, wie z.B. Fernschreiber, Telefax und E-Mail (Morethandigital, 2018).

Die Digitalisierung in ihrer heutigen Form nahm ihren Ursprung in der Umwandlung von analogen Informationen, physischen Objekten oder Ereignissen in digitale Repräsentationen, mit dem Ziel, diese zu speichern, zu verteilen oder weiter zu verarbeiten (Big Data Insider, 2017). Zum ersten Mal war von Digitalisierung im Zuge der Umwandlung von Fotografien, Tonaufnahmen, Filmen oder Dokumenten in Bits und Bytes die Rede (Big Data Insider, 2017). In der heutigen Zeit wird diese Phase meist übersprungen und alle Daten sind sofort in digitaler Form ver- fügbar, was durch die fortschreitende Technologisierung und Entwicklung moder- ner Informationstechnologien (z.B. von Smartphones, Kommunikationsnetzen, Internetanwendungen und Datenbanken) ermöglich wird (Heindorf, 2010).

Die nachfolgende Zeitreihe liefert einen Überblick über die wichtigsten Eckpunkte der Digitalisierung (siehe Abbildung 1):

Abbildung 1: Eckpunkte der Digitalisierung (eigene Darstellung)

• 1963: Mit der Erfindung der Digitalkamera wurde zum ersten Mal von digitaler Fotografie gesprochen (Der Technikblog, 2018).

• 1965 war es erstmals möglich, eine Verbindung zwischen zwei Computern herzustellen (Dieter, 2007).

14 • 1971 wurde die erste Email versendet. Im selben Jahr kam auch der Ken- bak-1, der erste Digitalcomputer, auf den Markt (Dieter, 2007; Der Technik- blog, 2018).

• 1975: RFID – kurz für radio-frequency identification – bezeichnet eine Tech- nologie für Sender-Empfänger-Systeme zum automatischen und berührungs- losen Identifizieren und Lokalisieren von Objekten mit Hilfe von Radiowellen. Das System kam erstmals 1975 zur Anwendung (NFC.org, 2018).

• 1978 wurde die erste Spam Email versandt (EDN, 2018).

• 1983: Das weltweit erste kommerzielle Handy wurde von Motorola entwickelt und hatte die Form eines übergroßen Walkie-Talkies. Der Verkaufspreis lag 1983 bei knapp USD 4.000 (BR, 2017; Bild.de, 2013).

• 1989: Das World Wide Web – kurz WWW – entstand 1989 als Projekt an der Forschungseinrichtung CERN und führte zur Begründung des Internets, wie es heute bekannt ist (CERN, 2018).

• 1992: Die Vorläufer der heutigen Touchscreen wurden bereits 1992 vorgestellt (PC Welt, 2012).

• 1993: Der Begriff NATEL fand 1978 als Abkürzung für Nationales Autotelefon zum ersten Mal Erwähnung, gewann aber erst im Jahr 1993 internationale Beachtung, als das erste kommerzielle digitale GSM (Global System for Mobile Communications) Netz in der Schweiz startete. Zu dieser Zeit war ein Empfang jedoch sehr stark eingeschränkt (Dieter, 2007).

• 1995: Das erste Global Positioning System (GPS), ein globales Navigationssa- tellitensystem zur Positionsbestimmung, wurde 1995 veröffentlicht. Im selben Jahr wurden erste Cloud Systeme vorgestellt (PC Welt, 2012).

• 1997 markierte das Geburtsjahr von Google. Die Einführung der Suchmaschi- ne revolutionierte die Suche im Internet und legte den Grundstein für die heutige Web-Navigation (Watson.ch, 2018).

• 1999: Das erste Mobilfunkmodem wurde 1999 entwickelt und markierte den Beginn des Zeitalters mobiler Endgeräte (PC Welt, 2016).

• 2003: Im Jahr 2003 wurde der kostenlose Instant-Messaging-Dienst Skype eingeführt, der sich seit 2011 im Besitz von Microsoft befindet (IT Business, 2012).

15 • 2004 wurde das soziale Netzwerk Facebook begründet und markierte den Beginn der Social-Media-Ära (Focus, 2012).

• 2005: Am 15. Februar 2005 wurde Youtube gegründet. Ziel der Gründung war es, NutzerInnen stärker in die Programmgestaltung miteinzubinden. Seit 2006 befindet sich Youtube im Besitz von Google (Süddeutsche Zeitung, 2015).

• 2006: Die Mikro-Blogging-Plattform Twitter wurde im März 2006 gegründet (Wired, 2011).

• 2009 stellte das Gründungsjahr des Instant-Messaging-Dienstes Whatsapp dar, der 2014 von Facebook erworben wurde (Gründerszene.de, 2016).

• 2010: Der erste Tablet-Computer wurde erfolgreich eingeführt (Chip.de, 2015).

• 2012 fanden erste Tests mit selbstfahrenden Fahrzeugen auf öffentlichen Stra- ßen statt (Zeit.de, 2012).

• Und 2014 markierte das Jahr, in dem die ersten 3D-Drucker auch in Privat- haushalten aufzufinden waren (Tagesspiegel, 2014).

Diese Zeitreihe der Entwicklungen macht deutlich, dass die Menge der Entwick- lungen im Verhältnis zur Zeitspanne drastisch zugenommen hat. Neue Dienste und Services entstehen in immer kürzerer Zeit und NutzerInnen müssen sich immer schneller an neue Gegebenheiten anpassen – sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld. Im Folgenden wird der Stand der digitalen Entwicklung in Österreich kurz aufgezeigt.

Digitalisierung in Österreich

Mitte des letzten Jahrhunderts begann die vierte industrielle Revolution – jene Revolution, im Zuge derer Technologien miteinander verschmolzen, und die Gren- zen zwischen der physikalischen, biologischen und digitalen Welt miteinander verschwommen sind. Diese Revolution ist besonders durch drei Charakteristika gekennzeichnet: Schnelligkeit, Reichweite und systematische Wirkung (Handels- blatt, 2016).

Jedes Land ist dazu aufgerufen, Strategien und Wege zu finden, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und diese zum Vorteil des nationalen, wirtschaftlichen Wachstums voranzutreiben (Die Presse, 2017). Einer OECD Studie zufolge, welche vor Kurzem veröffentlich wurde, besteht in Österreich allerdings noch Nachholbe- darf, denn – so erklärt der Kurier am 17. Juli 2017 – Österreich ist ein „Nachzügler“

16 in Bezug auf die Digitalisierung. Im Detail heißt es dort: „Die Anpassung an die globale digitale Revolution verlief in Österreich langsamer als in den am meisten fortgeschrittenen OECD-Ländern“ (Der Kurier, 2017).

Aktuell rangiert Österreich auf dem 9. Platz des OECD-Rankings – eine Verbesserung gegenüber dem 12. Platz aus dem Jahr 2016 (Wiener Zeitung, 2017). Österreich schneidet dabei nur in der Kategorie Gesellschaft besser ab als der Durchschnitt. Beim Gütekriterium Digitalisierung landet Österreich jedoch nur auf dem 19. Platz. In diesem Bereich liegen besonders die skandinavischen Länder, die USA, Groß- britannien und Australien voran. Deswegen müsste Österreich sicherstellen, nicht den Anschluss an digitale Vorreiter wie Finnland, Schweden, die Niederlande oder Dänemark zu verlieren (Der Standard, 2017). Die österreichische Bundesregierung scheint sich dieser Problematik bewusst zu sein und setzt mit ihrer DIGITAL ROADMAP Maßnahmen, um die Position Österreichs im internationalen Vergleich zu verbessern (BMDW, 2016). In Österreich soll das Strategiepapier, das von mehr als 100 Experten erarbeitet wurde und mehr als 150 Maßnahmen beinhaltet, Ver- besserung bringen. Ziel ist es, die „digitale Kluft zu schließen“ und den technischen Fortschritt nicht zum Jobkiller werden zu lassen, sondern als „Produktionspeitsche“ zu verstehen (Kleine Zeitung, 2017).

Die DIGITAL ROADMAP selbst basiert auf 12 Leitprinzipien, welche die zentralen Entwicklungen in den Bereichen Gesellschaft, Alltag, Arbeitswelt und Wirtschaft ansprechen (Digital Roadmap, 2016). Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Ausbau der digitalen Infrastruktur, dem Schließen der digitalen Kluft durch digitale (Weiter-)Bildung sowie der 5. Mobilfunk-Generation (kurz 5G; Der Standard, 2017). Die ROADMAP setzt die folgenden 12 thematischen Schwerpunkte: Politik und Verwaltung, Bildung, Infrastruktur, Forschung und Innovation, Wirtschaft, Arbeit und Arbeitsplätze, Gesundheit, Pflege und Soziales, Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Klimaschutz, Mobilität und Verkehr, Medien, Zivilcourage und Kultur, Integration und Inklusion sowie Sicherheit, Schutz und Vertrauen (Digital Roadmap, 2016).

Im Folgenden werden nun exemplarisch ein paar Beispiele für die im ROADMAP angesprochenen bzw. geplanten Strategien angesprochen: • Im Bereich Bildung soll die Vermittlung digitaler Kompetenzen an Schüler sowie der reflektierte und verantwortungsvolle Umgang mit neuen Technologien gefördert werden (Digital Roadmap – Bildung, 2016). • Für den Bereich Arbeit und Arbeitsplatz sollen vermehrt Online- (Berufs-) Weiterbildungskurse zur Vermittlung digitaler Kompetenzen angeboten werden (Digital Roadmap – Arbeit, 2016). • In Bezug auf Gesundheit, Pflege und Soziales ist die Implementierung und Weiterentwicklung der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) sowie die Konzeption eines elektronischen Impfpasses, eines elektronischen Mutter-

17 Kind-Passes sowie eines elektronischen Rezepts (E-Rezept) geplant. Zudem sollen die Assistenzsysteme zur Unterstützung von älteren Menschen und Menschen mit besonderen Bedürfnissen ausgebaut werden (Digital Roadmap – Gesundheit, 2016). • Für den Bereich der Medien, Zivilcourage und Kultur sind nicht nur der Aus- bau des digitalen Angebots von Kunst- und Kultureinrichtungen vorgesehen, sondern auch die Vereinfachung des Zugangs zu digitalen Angeboten (Digital Roadmap – Medien, 2016). • Für den Bereich der Integration und Inklusion soll vor allem der Ausbau multilingualer Serviceplattformen zur Bereitstellung von Informationen und Lernmaterialien vorangetrieben werden (Digital Roadmap – Integration, 2016).

Mit Hilfe der in der ROADMAP vorgestellten Ziele und Maßnahmen soll es Österreich möglich sein, die Potenziale der Digitalisierung für sich zu nutzen und seine Position im internationalen Vergleich zu stärken. „Wir wollen Österreich in die Gruppe der Innovation Leader bringen. Dafür ist die Digitalisierung in allen Bereichen der zentrale Faktor für die kommenden Jahre. Mit der Digital Roadmap als Navigationskarte haben wir das Steuer für Österreichs Reise in die digitale Zukunft fest in der Hand“, so Staatssekretär Harald Mahrer (BMDW, 2016).

Die OECD befürwortet die ROADMAP, rät aber die Straffung der darin themati- sierten Strategien an: Diese sollten nicht nur mit Zeitplänen und messbaren Zielvorgaben versehen werden, sondern auch die digitalen Kompetenzen von kleinen Unternehmen fördern – ein Bereich, bei dem in Österreich großer Auf- holbedarf besteht. Im Rahmen der österreichischen Breitbandstrategie 2020 raten die OECD-Experten weiters dazu, den Wettbewerb für Breitbanddienst- leistungen zu erhöhen und den Markteintritt für neue Anbieter zu erleichtern (Futurezone.at, 2017). Außerdem sollten ein effektiverer Datenschutz, die Si- cherheit im Netz ebenso wie der Verbraucherschutz gefördert werden. Um so- genannte „Crowdworker“ – darunter versteht man Hilfskräfte, die für geringe Beträge einfache Aufgaben am Computer oder Notebook erledigen (AK Wien, 2017) – besser zu vertreten und zu schützen, sollte auch das Arbeitsrecht in Österreich angepasst werden, so die Meinung der OECD-Experten (Der Standard, 2017).

Wichtig sei außerdem, Digitalisierung nicht isoliert zu denken. So fordert Muna Duzdar, Staatssekretärin für Diversität, Öffentlichen Dienst und Digitalisierung, Maßnahmen auf internationaler Ebene. „Die Digitalisierung macht natürlich an nationalen Grenzen nicht halt. Man muss sich mit neu entstehenden Arbeits- formen – Stichwort Clickwork und Crowdwork – auseinandersetzen und nach europäischen Lösungen suchen. Den sozialen und arbeitsrechtlichen Schutz gilt es abzusichern. Daher treten wir für eine europäische Crowdwork-Richtlinie

18 ein, die die wichtigsten und grundlegendsten Regelungen und Absicherungen für die ArbeitnehmerInnen umfasst“, so Muna Duzdar (Report, 2017).

Nachdem nun die österreichische Situation beleuchtet wurde, werden im Fol- genden die Potenziale und Herausforderungen der Digitalisierung diskutiert.

Potential und Herausforderungen der Digitalisierung

Die grundlegenden Vorteile der Digitalisierung liegen in der Schnelligkeit und Universalität der Informationsverbreitung. Bedingt durch kostengünstige Hard- und Software und die immer stärkere Vernetzung über das Internet entstehen in hohem Tempo neue Möglichkeiten, aber auch Gefahren.

Vorab einige Vorteile der Digitalisierung:

• Wenn Informationen in digitaler Form vorliegen, lassen sie sich mithilfe von Datenverarbeitungssystemen nicht nur mehrfach verwenden, wiedergeben und speichern, sondern auch rasch verbreiten bzw. verteilen (WKO.at, 2018). • Da Informationen maschinell lesbar sind, können sie schneller verarbeitet und durchsucht werden, was erhebliche Zeiteinsparungen mit sich bringt (Finanznachrichten, 2018). • Werden Komprimierungsalgorithmen auf die Daten angewendet, kann de- ren Speicherbedarf erheblich reduziert werden (Chip.de, 2018). • Im Gegensatz zu analogen Informationen kommt es bei digitalen Daten im Zuge mehrfacher Verarbeitung oder Verteilung über Kommunikationsnetz- werke nicht zu Verfälschungen und Fehlern (Big Data Insider, 2017). • Ein weiterer Vorteil digitaler Daten ist die Möglichkeit der Langzeitarchivie- rung ohne Qualitätsverlust, auch wenn diese laufend auf neue Speicher- medien übertragen werden müssen (Digitale Sammlungen, 2006). Dies unterscheidet sie erheblich von analogen Daten, die bei einer Migration kontinuierlich an Qualität einbüßen. Zudem können relativ einfach (Sicher- heits-)Kopien von digitalen Daten erstellt werden (Wittpahl, 2017). • Im Zuge der Digitalisierung kommt es auch zu einer Veränderung der Kosten- struktur. Eine Kostenreduktion betrifft oft die Kopierbarkeit und den Transport von Daten (z.B. über das Internet). So werden die Kosten für jede weitere digitale Kopie (Produktionsgrenzkosten) nach der Erstellung des Originalinhal- tes oft als eher gering erachtet (Business24.ch, 2015). • Für Unternehmen bedeutet Digitalisierung eine Effizienzsteigerung und damit eine Verbesserung ihrer Wirtschaftlichkeit. Der Grund hierfür ist, dass betrieb- liche Abläufe durch den Einsatz von neuen Informations- und Kommunikations- technologien schneller und kostengünstiger abgewickelt werden können (WKO.at, 2018).

19 • Sobald sie einmal zentral im Internet zur Verfügung gestellt worden sind, kön- nen digitale Daten jederzeit und überall verteilt werden. Dies führt zu einer breiteren Verfügbarkeit der Inhalte (Zukunftsinstitut, 2012). • Neue Technologien und Services sind zudem ortsunabhängig, d.h. der Konsum, das Kommentieren und die Erstellung von Medieninhalten ist an keinen be- stimmten Standort gebunden, sondern kann laufend – beispielsweise on the go – geschehen (RKW Kompetenzzentrum, 2017). • Zudem erlaubt der offene Charakter des Internets es jedem, der daran interessiert ist, Inhalte zu sehen, zu erstellen, zu ändern, zu teilen oder herun- terzuladen (PC Welt, 2013). Ein Beispiel hierfür ist Wikipedia, das umfangreichs- te Lexikon der Welt. Die Online-Enzyklopädie bietet freie, also kostenlose und zur Weiterverbreitung gedachte lexikalische Einträge in Form von Artikeln (Kallass, 2015). Laut Gründer Jimmy Wales ist das Ziel von Wikipedia, „eine frei lizenzierte und hochwertige Enzyklopädie zu schaffen und damit lexikali- sches Wissen zu verbreiten“ (Hirschmann, 2016). Die einzelnen Artikel werden dabei von freiwilligen Autoren verfasst, laufend verändert, ergänzt und disku- tiert (Hirschmann, 2016).

Obwohl Digitalisierung einige Vorteile mit sich bringt, so gibt es doch einige Risiken bzw. Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt:

• Die Möglichkeit der vereinfachten und verlustfreien Reproduktion von Daten in digitaler Form hat zu zahlreichen Konflikten zwischen den Erstellern und Nutzern digitaler Inhalte geführt. Industrie und Verwertungsgesellschaften reagieren folglich auf die veränderten Bedingungen mit einer verstärkten urheberrechtlichen Absicherung von geistigem Eigentum und der technologi- schen Implementierung von Kopierschutz (FAZ, 2012). • Obwohl Digitalisierung zu einer Kostenreduktion führt, kommt es gleichzeitig auch zu Kostenanstiegen. Unternehmen müssen eine hohe Sicherheit der Datenübertragung und eine große Zuverlässigkeit der Computeranlagen ge- währleisten, was sich kostensteigernd auswirkt. Sie tätigen auch oft hohe Investitionen in zukünftige Technologien, die dann möglicherweise wenig bis keine Rentabilität bringen (Agile Unternehmen.de, 2017). • Die Digitalisierung fordert auch das Rechtssystem heraus. Die „Theorie des unscharfen Rechts“ geht davon aus, dass sich das Recht in einem digitalisier- ten Umfeld grundlegend ändert (Boehme-Neßler, 2008). Relevante Themen sind dabei vor allem geeignete Haftungsregeln, datenschutzrechtliche Fragen, neue Anforderungen an die IT-Sicherheit sowie eine verstärkte Selbstregu- lierungsverpflichtung (WKO.at, 2017). Da Gesetzgebungsverfahren aber rela- tiv langwierig sind, wird beispielsweise in Deutschland darüber nachgedacht, flexiblere Regelungsinstrumente (entweder alternativ oder ergänzend zu formalen Gesetzen) anzuwenden (Handelsblatt, 2018).

20 • Durch die überwiegende Speicherung von Daten auf Computern besteht ins- besondere für Unternehmen, Politiker, Verbände, aber auch für Privatpersonen, die Gefahr, dass Hacker deren persönliche oder betriebliche Daten teilen, stehlen und verkaufen (Handelsblatt, 2015). Im schlimmsten Fall enden diese Hackerangriffe in Online-Erpressung, im Zuge welcher Hacker den Geschädig- ten anbieten, ihnen ihre Daten gegen Zahlung eines Lösegeldes in Form von BitCoins zurückzugeben (Tiroler Tageszeitung, 2018). • Online Mitgliedschaften in sozialen Medien sowie die vermehrten Konsumaktivi- täten im Internet haben zu einer Gesellschaft von „gläsernen Menschen“ geführt (FAZ, 2013). Hinter diesem Begriff verbirgt sich die negativ empfundene vollstän- dige „Durchleuchtung“ der Menschen und ihres Verhaltens (Die Presse, 2015). Somit besteht die Gefahr, dass die Daten der UserInnen ohne deren Wissen oder Zustimmung zu kommerziellen Zwecken verwendet werden (Becker, 2012).

Einige dieser Risiken wurden auch von Bundeskanzler Christian Kern angesprochen, der davor warnt, nicht so „naiv“ zu sein, die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung zu übersehen (Der Standard, 2017). Seine Bedenken betreffen dabei vor allem den Arbeitsmarkt sowie das Sozial- und Steuersystem (Wiener Zeitung, 2017). Laut einer im April 2017 veröffentlichten Untersuchung des Instituts für Höhere Studien gefährdet die fortschreitende Digitalisierung der Wirt- schaft und Arbeitswelt mittelfristig rund 9 % oder 360.000 aller Arbeitsplätze in Österreich. Auf Hilfsarbeiter und Handwerker entfallen gemeinsam über 50 % der bedrohten Jobs (Der Standard, 2017).

Ob Digitalisierung Arbeitsplätze schafft oder diese obsolet werden lässt, scheint nicht geklärt: Eine aktuelle A.T. Kearney-Studie geht davon aus, dass in Österreich alleine in den nächsten 25 Jahren mehr als 40 % der Arbeitsplätze aufgrund neuer Technologien in Gefahr seien (News, 2016). Andere Quellen gehen wie- derum davon aus, dass bis 2030 alleine im Bereich der Informations- und Kom- munikationstechnik bis zu 40.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden (Die Presse, 2016). Ob die Annahme von US-Sachbuchautor Martin Ford, welcher davon ausgeht, dass „Informationstechnologie und künstliche Intelligenz alle Be- reiche quer durch die Wirtschaft durchdringen [werden]“, eintrifft, bleibt also ab- zuwarten (Der Standard, 2016).

Nachdem jetzt die Vor- und Nachteile der Digitalisierung relativ pauschal ange- sprochen worden sind, werden in einem nächsten Schritt potenzielle Anwen- dungsmöglichkeiten für Volksgruppen aufgezeigt. Vorab sei aber angemerkt, dass die Autorin keiner Volksgruppe angehört und auch die einzelnen Fremdsprachen nicht beherrscht, was ihre Recherche über bestehende Anwendungen etwas erschwert hat. Jedoch wurde ein Versuch unternommen, Beispiele verschiedener europäischer Volksgruppen zusammenzutragen und deren Potentiale auszuloten.

21 Anwendungsmöglichkeiten für Volksgruppen

• Eine erste Möglichkeit sind sogenannte digitale Erinnerungskulturen. Im Allgemei- nen bezeichnet der Begriff Erinnerungskultur den Umgang jedes Einzelnen, der Gesellschaft oder einer Volksgruppe mit seiner/ihrer Vergangenheit und Geschich- te (Kulturrat.de, 2018). Neue Medien haben das Potenzial, das digitale Gedächtnis zu stützen und zu stärken. In seiner Konzeptionalisierung der Erinnerungskultur 2.0 geht Erik Meyer davon aus, dass neue Medien verstärkt „das Verständnis der Vergangenheit bestimmen und neue Formen von Geschichtsvermittlung und Ge- denken begründen“ (Erll, 2011). Während Erinnerungen bisher in Form von Bildern oder Geschichten eingefangen wurden (wie am Beispiel der Ladiner1), so werden die Angebote sukzessive interaktiv erweitert, z.B. durch virtuelle Führungen2. • Neue Entwicklungen sprechen sogar davon, Anwendungen der Augmented Reality zu Zwecken des Erinnerns zu nutzen und so Geschichte „erfahrbar“ und „sichtbar“ zu machen (Kurier, 2017; Computerwelt, 2018). Es gibt bereits erste Apps, die mittels Geolokation und 3-D-Simulation längst zerstörte Gebäude an ihrem alten Standort erscheinen lassen (Wired, 2018). Dies ist jedoch nur ein erster Schritt und Wissenschaftler würden sich auch Weiterentwicklungen wün- schen – beispielsweise könnte über diese oder ähnliche Apps auch ein Zugriff auf virtuelle Archiv- und Museumsmaterialien ermöglicht werden (z.B. Project ARM, 2018). In Österreich werden Apps bereits zu diesem Zweck genutzt. Ein bekann- tes Beispiel ist die Zwischen den Häusern App des Jüdischen Museums3, welche die Besucher zu einem zweiten Standort des Museums entlang 17 historischer Orte im öffentlichen Raum lotst. Ein weiteres Beispiel wäre The Vienna Project4, welches auf einer virtuellen „Karte der Erinnerung“ historische Bezüge von 38 Orten darstellt. • Neue Medien ermöglichen auch eine Langzeitarchivierung (Digitale Sammlungen. de, 2006). Für Volksgruppen bedeutet dies, dass Informationen zur Kultur, wich- tigen Vertretern, Bräuchen und Sitten etc. online gesammelt und den einzelnen Mitgliedern (oder auch Nichtmitgliedern) zugänglich gemacht werden können. Ein Beispiel hierfür wäre der Verein Ketani, der über die Sinti und Roma Geschichte, berühmte Persönlichkeiten und vieles mehr informiert5. Eine ähnliche Seite wird von den deutschen Minderheiten in Dänemark betrieben6. Einige Seiten streben auch die Erhaltung der Sprache an und führen deswegen Online-Sprachservices bzw. Wörterbücher ein, wie beispielsweise die Ladiner7 oder die Siebenbürger Sachsen8.

1 http://www.istladin.net/ld/archivie-storich [Zugriff am 02.07.2018] 2 http://www.istladin.net/ld/tour-virtuale-museo-ladin-de-fascia [Zugriff am 02.07.2018] 3 http://www.jmw.at/app/jewishvienna [Zugriff 02.07.2018] 4 http://theviennaproject.org/ [Zugriff 02.07.2018] 5 http://www.sinti-roma.at/author/pritesh/ [Zugriff am 02.07.2018] 6 http://www.nordschleswig.dk/leben [Zugriff am 02.07.2018] 7 http://www.istladin.net/ld/servijes-linguistics [Zugriff am 02.07.2018] 8 https://www.siebenbuerger.de/medien/sprachaufnahmen/ [Zugriff am 02.07.2018]

22 • Die Digitalisierung forciert auch eine Vernetzung der Volksgruppen unterein- ander (Trend.at, 2018). Hierfür wäre das Romano Centro als Beispiel zu nennen, welches aus Roma unterschiedlicher Gruppen besteht und sich die Aufgabe gesetzt hat, gemeinsam eine Verbesserung der Lebensbedingungen von Roma zu erzielen und deren Diskriminierung zu unterbinden. Über wichtige Themen wird in einer Online-Zeitschrift informiert, ebenso gibt es einen Eventkalender, der kommende Roma-Veranstaltungen ankündigt9. Eine ähnliche Mission ver- folgt der dRoma Blog10. • Im digitalen Zeitalter sind auch die volksgruppeneigenen Medien stark am zunehmen, können diese doch über das Internet rasch und weit verbreitet werden (WKO.at, 2018). Diese widmen sich zumeist Themen, die für die Volks- gruppe relevant sind, und dienen der Stärkung der Volksgruppenidentität und -kultur. Prominente Beispiele hierfür sind die Roma Sender RADIJO ERBA und ERBA TV11 sowie der mehrsprachige TSCHIBTSCHA Radio und TV-Web-Blog12. Diese und andere Sender sind darauf ausgerichtet, die Präsenz der Volksgrup- pe sowie deren Muttersprachen zu fördern. In diesem Zusammenhang sollen auch Akzeptanz für die Werte der Volksgruppe geschaffen und Vorurteile ab- gebaut werden. Für Kärnten wäre radio AGORA 105,513 exemplarisch anzu- führen. Ein Beispiel für eine Volksgruppenzeitung ist Der Nordschleswiger14, eine Zeitung der deutschen Volksgruppe in Dänemark, welche nicht nur online sondern auch als E-Paper verfügbar ist. Über zwei Online-Zeitungen verfügt auch die deutsche Volksgruppe in Rumänien: Die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänen15 und die Hermannstädter Zeitung16. Zwei weitere Kärntner Bei- spiele wären die Nedelja17, eine slowenische Wochenzeitung der Diözese Gurk sowie die Novice18, eine slowenischsprachige Wochenzeitung. • Auch das Thema der volksgruppenspezifischen Bildung wird durch digitale Medien stärker betont. So bieten beispielsweise die Roma Initiativen wie die Stärkung von Roma am Arbeitsmarkt19, Lernhilfe und Elternarbeit20 sowie Zu- kunftsmöglichkeiten in der Arbeitswelt für Roma-Jugendliche21. • Wettbewerbe, welche besonders die Literatur einer spezifischen Volksgruppe fördern, sind ebenfalls eine effektive Maßnahme, um die Zugehörigkeit zur

9 http://www.romano-centro.org/ [Zugriff am 02.07.2018] 10 http://www.roma-service.at/dROMablog.shtml [Zugriff am 02.07.2018] 11 https://verein-karika.jimdo.com/radijo-erba-radio-oberwart-erba-tv-oberwart-tv/ [Zugriff am 02.07.2018] 12 https://verein-karika.jimdo.com/medienprojekt-tschibtscha-radio-tv-web-blog/ [Zugriff am 02.07.2018] 13 http://agora.at/ [Zugriff am 02.07.2018] 14 https://www.nordschleswiger.dk/index.php/de [Zugriff am 02.07.2018] 15 http://www.adz.ro/ [Zugriff am 02.07.2018] 16 http://www.hermannstaedter.ro/ [Zugriff am 02.07.2018] 17 http://www.kath-kirche-kaernten.at/nedelja/ [Zugriff am 02.07.2018] 18 http://www.novice.at/ [Zugriff am 02.07.2018] 19 http://www.romano-centro.org/index.php?option=com_content&view=article&id=174%3Aromano-zuralipe&ca tid=12%3Aprojekte&Itemid=4&lang=de [Zugriff am 02.07.2018] 20 http://www.romano-centro.org/index.php?option=com_content&view=article&id=3%3Alernhilfe&catid=12%3 Aprojekte&Itemid=4&lang=de [Zugriff am 02.07.2018] 21 https://verein-karika.jimdo.com/workshop-zukunftsm%C3%B6glichkeiten-in-der-arbeitswelt-f%C3%BCr-roma- jugendliche/ [Zugriff am 02.07.2018]

23 Gemeinschaft zu stärken. So vergeben beispielsweise die Sorben – ein west- slawisches Volk mit Sitz in Sachsen und Brandenburg – den Zejler-Preis22 (den Preis für sorbische Sprache). • Vorab wurde Wikipedia als Beispiel für kollektive Intelligenz genannt. Diese kommt auch bei Volksgruppen zum Einsatz. Die Plattform Slolit.at23 ist ein Weblexikon der slowenischen Literatur in Kärnten. Die Datenbank liefert Ba- sisdaten zu den kärntnerslowenischen Autorinnen und Autoren des 20. und 21. Jahrhunderts aus unterschiedlichen Bereichen, wie beispielsweise Belle- tristik, Erinnerungsliteratur und Prosa. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Pro- jekt Rastko24 – eine digitale Bibliothek der serbischen Kultur. Dahinter verbirgt sich ein gemeinnütziges, nichtstaatliches Projekt für die elektronische Publika- tion und Förderung serbischer und mit Serbien verwandter Kunst und Kultur.

Dies waren nur einige von zahlreichen Beispielen, wie Digitalisierung zur Sichtbar- keit von Volksgruppen beitragen kann. Weiters erwähnt wären noch die zahlreichen Social Media Plattformen, wie z.B. Facebook oder Twitter, welche die Vernetzung und den Austausch auch über große Distanzen hinweg ermöglichen.

Grenzen der Digitalisierung

Die Digitalisierung ist inzwischen in beinahe alle Bereiche des alltäglichen Lebens vorgedrungen und überall fest verwurzelt. Niemand kann und will sich den eige- nen Arbeitsplatz oder den Alltag ohne Computer, Mobiltelefon, etc. vorstellen. Nichtsdestotrotz sind technologische Entwicklungen nicht ohne Gefahren. Ab- schließend werden also auch noch einige Grenzen der Digitalisierung erwähnt: • Die meisten Menschen empfinden die internationale Vernetzung über die Online-Welt als großen Vorteil. Jedoch bringen gerade soziale Netzwerke ein verändertes Nutzerverhalten mit sich (Zeit.de, 2018). Im Zeitalter von Online- Netzwerken muss man heute nicht mehr zwangsläufig das Haus verlassen, um mit Mitmenschen in Kontakt zu treten – man setzt sich einfach vor den Computer. Dadurch haben sich aber auch die Kommunikationsinhalte verändert: Kommunikation dreht sich weitgehend um bruchstückhafte Informationen, die für stabile zwischenmenschliche Beziehungen weitgehend belanglos sind. Vor allem Kinder und Jugendliche sind daher gefährdet, in eine soziale Ersatzwelt zu fallen, in welcher jeglicher zwischenmenschlicher Kontakt abhandengekom- men ist (Tagesspiegel, 2018). Im Zuge dessen nimmt die soziale Isolation zu (Stern, 2017). Deswegen ist es notwendig, die soziale Kompetenz und das Bewusstsein von Kindern und Jugendlichen für die Welt außerhalb von Social Media zu stärken (Kurier, 2017).

22 https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/13795-VwV-Zejler-Preis [Zugriff am 02.07.2018] 23 http://www.slolit.at/start/ [Zugriff am 02.07.2018] 24 http://www.rastko.rs/ [Zugriff am 02.07.2018]

24 • Die virtuelle Welt selbst wird zunehmend aggressiver und gefährlicher (Die Pres- se, 2016). Seit der Nutzung von sozialen Netzwerken werden immer mehr junge Menschen Opfer von Cyberbullying, das in vielen Fällen zu schweren Depressionen bis hin zu Selbstmord führen kann (Der Standard, 2017). Auch hier besteht noch Handlungsbedarf seitens der Regierungen. • Die Menge der im Internet verfügbaren Informationen nimmt laufend zu (FAZ, 2010). Plattformen wie Wikipedia bieten UserInnen kurze und bündige Zusam- menfassungen von Informationen, die für jedermann verständlich aufbereitet sind. Dadurch können auch Menschen, die keine Möglichkeit zu einer akademi- schen Ausbildung erhalten, ihr Allgemeinwissen durch etablierte Online-Infor- mationsseiten erweitern. Jedoch ist der Wahrheitsgehalt bzw. der Ursprung der Information oft nicht ersichtlich – somit sind einige Daten mit Vorsicht zu genie- ßen (Oberösterreichische Nachrichten, 2017). • Gerade in letzter Zeit ist verstärkt von Fake News (von absichtlichen Falschmel- dungen), die besonders über Social Media verbreitet werden, die Rede (NOZ, 2018). Die Zunahme ist besonders auf die Anonymität sowie fehlende Sankti- onen im Internet zurückzuführen. Da Social Media Plattformen wie Facebook den Inhalt der einzelnen Veröffentlichungen nicht prüfen, muss die staatliche Sankti- onierung von Falschnachrichten individuell diskutiert werden (Die Welt, 2017).

Die Digitalisierung bietet zahlreiche Vorteile – jedoch dürfen auch die Nachteile der fortschreitenden Technologisierung nicht unberücksichtigt bleiben. In diesem Zu- sammenhang ist es wichtig, die Potenziale der Digitalisierung auszuloten und si- cherzustellen, dass diese der „gesamten Gesellschaft zu Gute kommt“ (Govum, 2017). Gleichzeitig sei es wichtig, so Staatssekretärin Muna Duzdar, „den Schutz der BürgerInnen nicht außer Acht lassen“ und den drohenden Gefahren aus dem Netz „aktiv zu begegnen“ (Govum, 2017). Denn nur so kann das Internet als Raum der Demokratie und Freiheit genutzt werden. Ein erster Schritt wurde vor kurzem mit der Initiative #GegenHassimNetz gesetzt, im Zuge welcher eine Melde- und Beratungsstelle geschaffen wurde, die sich der Opfer von Hasspostings und ihrer Anliegen annimmt (SPÖ, 2017). Dies sei aber jedoch erst ein Anfang, weitere Projekte seien für die Zukunft angedacht.

Das gegenwärtige Dilemma lässt sich gut mit einem Zitat von Peter Trawnicek (Country Manager Österreich von VMware) zusammenfassen: „Unsere Welt ändert sich sehr rasch. Diejenigen, die darauf reagieren, überleben. Die anderen verschwin- den wie die Dinosaurier“ (Report, 2016).

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31 Paul Videsott*

Digitale Medien als Chance für die Minderheitensprachen1

1. Die kulturelle Vielfalt als Reichtum Europas

Dass die kulturelle Vielfalt den Reichtum Europas bedeutet, steht außer Streit. Auch die Europäische Union hat sich in einer Reihe von Grundsatzaussagen dazu be- kannt2: • „Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen“ (Art. 22 der Grundrechte-Charta der EU vom 7. Dezember 2000); • in varietate concordia „In Vielfalt geeint“ (Leitspruch des am 29. Oktober 2004 in Rom unterzeichneten EU-Verfassungsvertrags); • „Sie [die Union] wahrt den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas“ (Art. 3 Abs. 3 des EU-Vertrags von Lissabon vom 13. Dezember 2007).

Tabelle 1: Die Mehrheits- und Minderheitensprachen Europas mit Sprecherquoten

* Dr. Paul Videsott, Dekan der Fakultät für Bildungswissenschaften und Professor für Romanische Philologie an der Freien Universität Bozen, Direktor des Südtiroler Volksgruppen-Instituts, Bozen/Bolzano, Italien

1 Der Artikel ist eine überarbeitete Version des Vortrags auf dem XXVIII. Volksgruppenkongress. Er erscheint auch in EJM 11, 3-4 (2018). 2 Zitate entnommen aus Pan 2016, 253.

32 • Diese kulturelle Vielfalt Europas kommt in erster Linie in einer Vielzahl von Sprachen und Minderheiten zum Ausdruck.3 Laut der aktuellsten Aufstellung4 gibt es in Europa 105 Sprachen und 362 Minderheiten, woraus sich folgende Aufteilung zwischen Mehrheits- und Minderheitensprachen (mit ihren jewei- ligen Sprecherquoten) ergibt:5

Die größte Gruppe europäischer Sprachen in dieser Typologie ist mit 69 die Grup- pe der sogenannten „staatenlosen Sprachen“.6 In der folgenden Tabelle 2 sind sie – ausgenommen jene mit außereuropäischem Kerngebiet7 – mit ihren ISO-Sprach- codes angeführt8 und ihrer Größe nach angeordnet:

Tabelle 2: Die staatenlosen Sprachen Europas mit ihren Sprecherzahlen und ISO-Sprachcodes.

Pos. Sprache Sprecher ISO 639-1 ISO 639-2 ISO 639-3 1 Katalanisch (inkl. Valencianisch) 10.013.788 ca cat cat 2 Tatarisch 5.683.714 tt tat tat 3 Romanes (Romani) 3.965.668 rmo 4 Okzitanisch 2.105.714 oc oci oci 5 Baschkirisch 1.584.554 ba bak bak 6 Tschuwaschisch 1.446.465 cv chv chv 7 Tschetschenisch 1.431.360 ce che che 8 Tscherkessisch (Adygejisch) 1.108.019 kbd; ady 9 Sardisch 1.000.000 sc srd srd 10 Awarisch 912.090 av ava ava 11 Mordwinisch 752.867 mdf mdf 12 Baskisch 731.175 eu eus eus 13 Darginisch 589.386 dar dar 14 Walisisch (Kymrisch) 562.000 cy cym cym 15 Udmurtisch (Wotjakisch) 554.500 udm udm 16 Tscheremissisch (Mari) 547.605 chm mhr/mjr

3 Pan 2016, 253. 4 Pan/Pfeil/Videsott 2016, 31-45. 5 Pan/Pfeil/Videsott 2016, 66. 6 Laut Europäische Kommission (1996, 65) sind unter „staatenlose Sprachen“ autochthone Sprachen zu verstehen, die im Gegensatz zu den „Nationalsprachen“ in keinem Staat die Muttersprache der Titularnation sind und entweder überhaupt keine oder nur regionale Amtssprachen sind (Pan/Pfeil/Videsott 2016, 63). 7 Die 9 Sprachen mit außereuropäischem Kerngebiet, die Minderheiten in europäischen Staaten bilden, sind: Arabisch, Armenisch, Aserisch, Georgisch, Iranisch, Kasachisch, Kurdisch, Lasisch und Usbekisch (vgl. Pan/Pfeil/ Videsott 2016, 65; für die Zahlenangaben vgl. Pan/Pfeil/Videsott 2016, 46-60). 8 Die ISO-Sprachcodes sind Teil einer internationalen Norm (ISO 639) der Internationalen Organisation für Normung (ISO), mit der Kennungen für Namen von Sprachen (Sprachkürzel, Sprachcodes, Sprachencodes) definiert werden. Sie dienen zur eindeutigen Identifikation von Sprachen und ihrer entsprechenden Kennzeichnung in Dokumenten. Die Präsenz eines ISO-Spachcodes ist jedenfalls ein Hinweis auf eine relevante (schriftliche) Verwendung einer Sprache.

33 17 Friesisch 534.000 fry/frr/stq 18 Ossetisch 528.515 os oss oss 19 Kabardinisch 516.826 kbd kbd 20 Kumückisch 503.060 kum kum 21 Friaulisch 500.000 fur fur 22 Lesgisch 473.722 lez lez 23 Inguschisch 444.833 inh inh 24 Bretonisch 370.000 br bre bre 25 Aromunisch 290.857 rup rup 26 Kaschubisch 232.547 csb csb 27 Komi-Syrjänisch 228.235 kv kom kpv 28 Karatschaisch 218.403 krc krc 29 Kalmückisch 183.372 xal xal 30 Lakkisch 178.630 cau lbe 31 Gagausisch 175.690 tut gag 32 Jiddisch 150.000 yi yid yid 33 Korsisch 150.000 co cos cos 34 Tabasaranisch 146.360 cau tab 35 Balkarisch 112.924 krc krc 36 Nogaisch 103.660 nog nog 37 Komi-Permjakisch 94.456 kv kom koi 38 Schottisch-Gälisch 87.000 gd gla gla 39 Frankoprovenzalisch 75.000 roa frp 40 Karelisch 60.815 krl krl 41 Samisch (Lappisch) 60.641 smi 42 Rätoromanisch 60.561 rm roh roh 43 Sorbisch 60.000 wen hsb/dsb 44 Färingisch 48.515 fo fao fao 44 Färingisch 48.515 fo fao fao 45 Grönländisch-West (Inuit) 47.115 kl kal kal 46 Rutulisch 35.240 cau rut 47 Agulisch 34.160 cau agx 48 Ladinisch 32.650 roa lld 49 Ladino (Judenspanisch) 25.000 lad lad 50 Goranski 18.229 // 51 Tsachurisch 12.769 cau tkr 52 Assyrisch 11.084 aii 53 Wepsisch 5.936 fiu vep

34 54 Grönländisch-Ost (Ivi) 3.500 // 55 Karaimisch 1.992 tut kdr 56 Manx-Gälisch 1.823 gv glv glv 57 Tatisch 1.585 ttt 58 Kornisch 600 kw cor cor 59 Ingrisch (Ischorisch) 266 fiu izh 60 Liwisch 250 fiu liv Summe 39.809.726

Diese 60 staatenlosen Sprachen bilden 145 Minderheiten:9

Tabelle 3: Minderheiten von staatenlosen Sprachen Europas und ihre geopolitische Streuweite10

Geopolitische Volksgruppen/Minderheiten Streuweite Roma/Sinti 36 Juden 20 Tataren 9 Aromunen/Wlachen 6 Karaimer, Samen 4 Gagausen, Goranen, Katalanen, Okzitanen 3 Basken, Friesen, Mordwinen, Tscherkessen, Tschuwaschen 2 Agulier, Assyrier, Awaren, Balkaren, Baschkiren, Bretonen, Darginer, Färinger, Frankoprovenzalen, Friauler, Grönländer-Ost (Ivi), Grönländer-West (Inuit), Ingrier, Inguschen, Kabardiner, Kalmücken, Karatschaier, Karelier, Kaschuben, Komi-Permjaken, Komi-Syrjänen, Kornen, Korsen, Kumücken, Ladiner, Lakken, 1 Lesgier, Liwen, Manx-Gälen, Nogaier, Osseten, Rätoromanen, Rutuler, Sarden, Schottisch-Gälen, Sorben, Tabasaraner, Taten, Tsachurier, Tscheremissen (Mari), Tschetschenen, Udmurten, Waliser, Wepsen Summe Minderheiten staatenlose Sprachen 145

Statistisch umfasst jede dieser „staatenlosen“ Sprachminderheiten durchschnittlich 275.000 Mitglieder (= 39.809.726/145). Fast vier Fünftel davon sind aber in Wirklichkeit deutlich kleiner (vgl. Pan/Pfeil/Videsott 2016, 35-36). Und damit ha- ben sie objektive Schwierigkeiten, die immer wieder genannten traditionellen Instrumente der Sprachpflege und Sprachverbreitung (Bücher, Printmedien11, klassisches Fernsehen) effizient einzusetzen. Gerade hier liegt aber insbesondere

9 Tabelle adaptiert aus Pan 2016, 260. 10 Unter „geopolitischer Streuweise“ ist die Anzahl der (europäischen) Staaten gemeint, in denen eine durch die entsprechende Sprache gebildete Minderheit präsent ist (vgl. Pan 2016, 260). 11 Auf die Diskussion, ob die schriftliche, formale Verwendung von traditionell nur gesprochenen und informell gebrauchten Minderheitensprachen diesen eher schadet als nützt, soll hier nicht eingegangen werden (zum Kontext der Diskussion vgl. jüngst Tacke 2017). Dieser Nutzen wird hier als gegeben angesehen, weil die heutige Welt auch eine Welt der Schriftlichkeit ist. Ohne Bestrebungen, Minderheitensprachen auch mit Funktionen einer Distanzsprache zu verwenden, schließt man diese von der Hälfte der sprachlichen Funktionen aus (vgl. Videsott 2011, 27). Damit kommt bei deren Sprechern erst recht die Frage auf, ob es noch Sinn macht, Zeit und Mühe in die Minderheitensprache zu investieren.

35 für die kleinsten Minderheitensprachen der große Vorteil der Digitalisierung bzw. der digitalen Medien.

2. Digitale Medien und Minderheitensprachen

Unter „Digitale Medien“ versteht man all jene Medien, die mit digitalen Codes ar- beiten. Dazu gehören e-books, digitales Radio, digitales Fernsehen, Mobiltelefone, Tablets, Whiteboards usw. Das weitaus wichtigste, da verbreitetste digitale Medium, ist das Internet, dessen Auswirkungen nach der Entwicklung der Schrift und der Erfindung des Buchdrucks immer wieder einer dritten kulturellen Revolution gleich- gesetzt werden.

Während die traditionellen Medien die Minderheitensprachen oftmals eher unter Druck gesetzt haben, weil sie in diesen vielfach nicht verfügbar waren, bietet das Internet für die gleichen Minderheitensprachen zahlreiche Chancen und Möglichkei- ten, die mit den Vorteilen dieses Mediums zusammenhängen. Die wichtigsten seinen im Folgenden überblicksartig zusammengestellt: • Deutlich anders hingegen die klassischen Medien: Um eine Zeitung, eine Radio- sendung (bzw. ein ganzes Radioprogramm) oder eine Fernsehsendung/ein Fernsehprogramm zu produzieren, braucht es aufwändige technische Appara- turen und spezialisiertes Personal; dementsprechend kostenintensiv sind diese Medien. Anders ausgedrückt: Ein Einzelner kann heutzutage kaum eine Zeitung herausgeben, ein Radio betreiben oder eine Fernsehsendung produzieren. Ein Einzelner kann aber Internetseiten online stellen und betreiben. Dies ist angesichts der erwähnten Kleinheit vieler Minderheiten ein entscheidendes Argument.

• Auch aus einem zweiten Blickwinkel bietet das Internet eine niedrigere Ein- stiegshürde als klassische Medien: In früheren Zeiten war Textproduktion in vielen Minderheitensprachen fast gleichbedeutend mit einer literarischen oder journalistischen Aktivität.12 Sie setzte also eine gewisse Ausbildung voraus. Das Internet bietet hingegen neue Kommunikationsräume, die einen Ausgleich dar- stellen können für diejenigen Domänen, wo die Minderheitensprache im Rückzug begriffen ist.13

• Die oft konzeptionelle Mündlichkeit vieler Texte in den elektronischen Medien kommt dem Einsatz von Minderheitensprachen in diesem Bereich sehr zugute, da hier die Sprachverwendung in der Regel nicht sanktioniert wird.14

12 Visser 2008, 152. 13 Visser 2008, 152. 14 Es wurde bereits mehrmals nachgewiesen, dass z.B. in SMS und WhatsUp-Nachrichten Minderheitensprachen und Dialekte überdurchschnittlich häufig eingesetzt werden.

36 • Das Internet ist ein „ubiquitäres“ Medium. Bei Internetzugang (mittlerweile weltweit vorhanden) ist ein Inhalt ohne weitere Zwischenschritte einseh- bar. Gedruckte Zeitungen, Radio und Fernsehen müssen erst verbreitet werden – doch Minderheitensendungen sind in der Regel gerade nicht jene, die über Satellit gesendet werden.15 Das Internet erreicht hingegen alle Minderheitenangehörigen – keine Diaspora ist zu weit entfernt. Mit dem Internet können Minderheitensprachen weltweit bekannt und zugänglich gemacht werden. Oft sind Sprachgebiete von Minderheiten nicht zentral gelegen und ihr geographischer Raum ist fragmentiert – das Internet kennt diese Art der geographischen Begrenzung nicht.16 Deswegen bietet es die Möglichkeit des Austausches zwischen Menschen, die in „natürlichen“ Kommunikationsräumen wohl nicht miteinander in Kontakt treten würden.17

• Zu den minderheitenrelevanten Inhalten, die mittlerweile über das Internet verbreitet werden können, gehören nicht nur (sofern vorhanden) die „klas- sischen“ Medien, sondern auch eine Reihe von linguistischen Hilfsmitteln, wie Wörterbücher, Grammatiken, Datenbanken, Audioarchive usw. Das Internet hat für all diese Medien die Dimension des Raumes aufgehoben.

• Das Internet schließlich kann neue Sprechergruppen für die Minderheiten- sprachen anziehen. Bekanntlich ist das Problem vieler Minderheitensprachen nicht, dass die älteren Sprecher sie nicht mehr verwenden wollen, sondern, dass die jüngeren Generationen keinen richtigen Zugang mehr zu ihnen finden. Das Internet allein ist natürlich für die Revitalisierung einer prekären Sprachverwendung nicht ausreichend, aber bei entsprechend vorhandener Sensibilisierung kann es ein sehr hilfreicher Katalysator in dieser Richtung sein.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Internet den Minder- heitensprachen eine Sichtbarkeit gegeben hat, die sie ansonsten in diesem Ausmaß nie erreicht hätten. Das geht auch aus nachfolgender Tabelle 4 hervor, welche die Präsenz der jeweiligen Minderheitensprachen in der (Tages)Presse, Fernsehen, Rundfunk und Internet dokumentiert und aus welcher hervorgeht, dass diese Präsenz Medium für Medium (in der genannten Reihenfolge) schritt- weise zunimmt, um im Internet fast generalisiert zu sein:

15 Die ladinischen TV-Programme des regionalen RAI-Senders wurden z.B. in der Provinz Trient außerhalb des ladinischen Siedlungsgebiets jahrelang sogar aufwändig verdunkelt. 16 Visser 2012, 79. 17 Visser 2008, 162.

37 Tabelle 4: Präsenz von staatenlosen Minderheitensprachen in ausgewählten Medientypen18

Sprache (Tages)Zeitung Fernsehen Radio Internet- seiten vorhanden 1 Katalanisch Avui, Diari de Balears, TV3 Catalunya Ràdio + (inkl Valencia- El 9 Nou, El Periódico nisch) de Catalunya, El Punt, Regió7, Segre 2 Tatarisch ATR Radio Azatliq Tatar, Tat + Media, Tatar Radiosi 3 Romanes Romani Duma TV Šutel, Gipsy Radio + (Romani) Oglinda TV, Radio Romano, ROMEA TV Radio Patrin 4 Okzitanisch Jornalet France 3 france bleu Périgord, + (Viure Al País) RCF Radio, Jordanne FM, Radio Vicomté, RG 3, Radiòs occitanas 5 Baschkirisch Bashkortostan + 6 Tschuwaschisch Chuvash National Chuvash National Radio + Broadcasting (Чăваш наци радиовĕ), Company Tăvan Radio (Чăваш наци телерадиоко мпанийĕ) 7 Tschetschenisch + 8 Tscherkessisch + (Adygejisch) 9 Sardisch L'Unione sarda T.C.S. Telecos- Radio Nuoro + tasmeralda, Centrale Radio Cuore, Sardegna Uno, Radio Sintony, Infochannel TV, Radio Macomer Nova Televisione Centrale, Radio Press Telesardegna 10 Awarisch + 11 Mordwinisch + 12 Baskisch Berria EiTB (Basque Infozazpi irratia, Euskal + Radio-television), Irrati Telebista, Euskadi ETB 1 Irratia, Euskadi Gaztea, EiTB Musika 13 Darginisch + 14 Walisisch , BBC Wales, BBC Radio Cymru, + (Kymrisch) HTV, Cymru FM, ITV Local Radio Beca 15 Udmurtisch Udmurt Dunne My Udmurtiya + (Wotjakisch)

16 Tscheremissisch + (Mari) 17 Friesisch Omrop Fryslân +

18 Die Daten zu den klassischen Medien wurden teilweise von Jan Ebnicher gesammelt, dem dafür herzlich gedankt sei.

38 18 Ossetisch Ræstdzinad, Hursærin, Alania FM + Xurzærin, 19 Kabardinisch TRT + 20 Kumückisch Ёлдаш + 21 Friaulisch Telefriuli, Radio Onde Furlane + Telepordenone, Telemare 22 Lesgisch + 23 Inguschisch + 24 Bretonisch France 3 Breta- Radio Breizh, + gne, TV Breizh, Arvorig FM, TVRennes35, Radio Kerne France 3 Ouest 25 Aromunisch Scanteao Radio Shtip, Radio, Ku- + (MRT 2) manovo, Radio Krusevo 26 Kaschubisch + 27 Komi-Syrjänisch + 28 Karatschaisch + 29 Kalmückisch + 30 Lakkisch + 31 Gagausisch Gagauz Radio Gagauz Radio + Televisionu (GRT) Televisionu (GRT) 32 Jiddisch + 33 Korsisch France 3 Corse, Alta Frequenza, Corsica + France 3 Via Stel- Radio, France Bleu la, Télé Paese Corse, Frequenza Mora, Frequenza Nostra, Radio Pays, Radio Voce Nustrale 34 Tabasaranisch + 35 Balkarisch + 36 Nogaisch Ленин йолы + 37 Komi-Permja- + kisch 38 Schottisch- Dàna BBC Alba, BBC Radio nan Gàidheal + Gälisch Gàidhlig, 39 Franko- + provenzalisch 40 Karelisch Yle Uudizet karjalakse + 41 Samisch (Lap- Ávvir NRK Sami Radio + pisch) 42 Rätoromanisch La Quotidiana Radio TV Ru- Radio Rumantsch + mantscha 43 Sorbisch Serbske Nowiny + 44 Färingisch +

45 Grönländisch- + West (Inuit)

39 46 Rutulisch + 47 Agulisch + 48 Ladinisch RAI Ladinia RAI Ladinia + 49 Ladino + (Judenspanisch) 50 Goranski - 51 Tsachurisch + 52 Assyrisch + 53 Wepsisch + 54 Grönländisch- - Ost (Ivi) 55 Karaimisch + 56 Manx-Gälisch Manx Radio, Traa dy + Liooar, Jamys Jeheiney, Claare ny Gael, Shiaght Laa 57 Tatisch + 58 Kornisch Radyo an Gernewegva + (RanG), An Nowodhow 59 Ingrisch + (Ischorisch) 60 Liwisch +

Ein Internetinhalt, von dem die Minderheitensprachen besonders profitiert haben, ist Wikipedia. Die Internet-Enzyklopädie hat es sich sogar zu einer Art Markenzei- chen gemacht, in besonders vielen Sprachen – und damit auch Minderheitenspra- chen – online zu gehen. Manche Minderheitensprachen weisen sogar mehr Wi- kipedia-Seiten als Sprecher auf, wie aus folgender Tabelle 5 hervorgeht:

Tabelle 5: Anzahl von Wikipedia-Seiten in den staatenlosen Minderheitensprachen und Verhältnis Seiten/Sprecher19

Sprache Wiki- Position Aufrufe/h Sprecher Position Sprecher Wiki- Seiten Seiten/ Sp. Katalanisch 556.835 1 14.378 10.013.788 1 0.06 Baskisch 283.864 2 2.923 731.175 12 0.39 Tschetschenisch 164.397 3 301 1.431.360 7 0.11 Walisisch 92.551 4 826 562.000 14 0.16 (Kymrisch) Okzitanisch 83.758 5 579 2.105.714 4 0.04 Tatarisch 72.812 6 461 5.683.714 2 0.01 Bretonisch 63.185 7 795 370.000 24 0.17

19 Daten zitiert aus https://stats.wikimedia.org/EN/Sitemap.htm (abgerufen am 17.11.2017)

40 Friesisch* 49.971 8 835 534.000 17 0.09 Tschuwaschisch 40.793 9 361 1.446.465 6 0.03 Baschkirisch 39.946 10 460 1.584.554 5 0.03 Tscheremissisch 20.301** 11 341 547.605 16 0.04 (Mari) Sorbisch 15.498*** 12 384 60.000 43 0.26 Schottisch-Gälisch 14.672 13 259 87.000 38 0.17 Jiddisch 14.220 14 472 150.000 32 0.09 Färingisch 12.621 15 302 48.515 44 0.26 Ossetisch 10.561 16 218 528.515 18 0.02 Samisch 7.445 17 203 60.641 41 0.12 (Lappisch) Sardisch 5.811 18 164 1.000.000 9 0.01 Wepsisch 5.644 19 160 5.936 53 0.95 Korsisch 5.466 20 145 150.000 33 0.04 Komi-Syrjänisch 5.395 21 167 228.235 27 0.02 Kaschubisch 5.228 22 145 232.547 26 0.02 Manx-Gälisch 4.961 23 1.823 56 2.72 Ladino (Juden- 4.552 24 163 25.000 49 0.18 spanisch) Udmurtisch (Wot- 4.183 25 157 554.500 15 0.01 jakisch) Lesgisch 3.866 26 138 473.722 22 0.01 Kornisch 3.811 27 134 600 58 6.35 Komi-Permjakisch 3.496 28 88 94.456 37 0.04 Rätoromanisch 3.487 29 119 60.561 42 0.06 Friaulisch 3.314 30 144 500.000 21 0.01 Frankoproven- 2.660 31 140 75.000 39 0.04 zalisch Awarisch 2.389 32 128 912.090 10 0.00 Kalmückisch 2.266 33 117 183.372 29 0.01 Karatschaisch 2.043 34 133 218.403 28 0.01 Balkarisch 2.043 35 133 112.924 35 0.02 Karelisch 1.858 36 60.815 40 0.03 Grönländisch-West 1.691 37 109 47.115 45 0.04 (Inuit) Kabardinisch 1.600 38 80 516.826 19 0.00 Inguschisch 1.348 39 444.833 23 0.00 Mordwinisch 1.327 40 86 752.867 11 0.00

* Aufgegliedert auf die drei Hauptvarietäten West-, Nord- und Saterfriesisch: 39.132+6.987+3.852 Seiten und 464+210+161 Aufrufe/h. ** Aufgegliedert auf die zwei Hauptvarietäten Wiesen- und Bergmari: 10.535+9.766 Seiten und 133+208 Aufrufe/h. *** Aufgegliedert auf die zwei Hauptvarietäten Ober- + Niedersorbisch: 12.382+3.116 Seiten und 217+167 Aufrufe/h.

41 Gagausisch 1.262 41 175.690 31 0.01 Aromunisch 1.247 42 66 290.857 25 0.00 Lakkisch 1.241 43 98 178.630 30 0.01 Liwisch 1.022 44 250 60 4.09 Romanes (Romani) 620 45 61 3.965.668 3 0.00 Kumückisch 616 46 503.060 20 0.00 Darginisch 358 47 589.386 13 0.00 Ladinisch 171 48 32.650 48 0.01 Ingrisch (Ischo- 127 49 266 59 0.48 risch) Tatisch 56 50 1.585 57 0.04 Karaimisch 36 51 1.992 55 0.02 Nogaisch 17 52 103.660 36 0.00 Agulisch 12 53 34.160 47 0.00 Assyrisch 8 54 11.084 52 0.00 Tabasaranisch 5 55 146.360 34 0.00 Rutulisch 5 56 35.240 46 0.00 Tsachurisch 5 57 12.769 51 0.00 Tscherkessisch 1 58 1.108.019 8 0.00 (Adygejisch) Goranski // 59 18.229 50 Grönländisch-Ost // 60 3.500 54 (Ivi)

Aus den Zahlen in der Tabelle 5 geht hervor, dass einige Sprachen mehr in ihre Wikipedia-Präsenz „investiert“ haben als andere: Baskisch, Walisisch, Bretonisch, Friesisch u.a. sind im Ranking der Wikipedia-Seiten deutlich besser platziert als in dem der Sprecheranzahl, während umgekehrt Sprachen wie Romanes, Adygaiisch, Kumückisch, Darginisch u.a., trotz relativ großer Sprecherzahlen, in Wikipedia kaum präsent sind. Den potenzierenden Effekt des Internets sieht man am deutlichsten bei Kleinstsprachen wie Liwisch, Kornisch oder Manx-Gälisch, die um ein Vielfaches mehr Wikipedia-Seiten als Sprecher haben: offensichtlich animiert ein Medium wie Wikipedia in diesen Sprachen ganz besonders zum Schreiben.

Bei allem Lob für das Internet sollen aber die Schattenseiten dieses Mediums nicht verschwiegen werden.

• Es stimmt, dass das Internet zum Schreiben animiert. Doch häufig sind digitale Texte „unfertig“, produziert von anonymen, nicht institutionell eingebundenen und häufig über keine entsprechende Ausbildung verfügenden Textproduzen- ten. Nicht immer erkennt die Sprachgemeinschaft solchen Texten irgendein Prestige zu, was bei den traditionellen Medien (insbesondere gedruckten

42 Texten) in der Regel anders ist: Ihnen wird ein größeres Maß an Glaubwürdigkeit zuerkannt.20

• Zweitens hat das Internet zwar die Dimension des Raumes aufgehoben, dafür aber jene der Zeit um ein Vielfaches potenziert. Die Halbwertszeit der Inhalte im Internet nimmt teilweise bedenkliche Ausmaße an. Ein Beispiel von vielen: Von den 324 Internetseiten, die 2016 in der deutschen Ausgabe des Handbuchs der europäischen Volksgruppen21 zitiert wurden, waren kaum ein Jahr später – Ende 2017 – nur mehr 284 online (also 12% weniger). Dieser Kahlschlag betrifft zwar Seiten in Mehrheits- und Minderheitensprachen fast gleichmäßig, jedoch ist der Informationsverlust bei letzteren meist ungleich größer, weil es sich dort in der Regel um einmalige Seiten handelt, deren Informationen sich nicht auf anderen Seiten wiederholen, was bei Seiten in Mehrheitssprachen eher vorkommt.

• Schließlich kommt es auch vor, dass Institutionen (insbesondere öffentliche) und Verbände aus Solidarität Seiten in Minderheitensprachen ins Netz stellen. Danach werden diese aber nicht mehr regelmäßig gewartet, sodass die enthal- tenen Informationen schnell obsolet werden. Damit wird aber der Internetauftritt in der Minderheitensprache an sich obsolet.22

• Insgesamt überwiegen aber für Minderheitensprachen die Vorteile einer Inter- netpräsenz die erwähnten Nachteile bei weitem. Die Globalisierung wird von vielen Minderheiten als Gefahr empfunden. Doch gerade das Leitmedium der globalisierten Zeit, das Internet, bringt für Minderheitensprachen bisher unge- ahnte Möglichkeiten der Verwendung, der Dokumentation und der Präsentation dieser Sprachen.23 Insofern kann das Internet sogar die Wiederherstellung von „Heimat“, Gemeinschaft und Lokalität mit sich bringen, also zur Glokalisierung im besten Sinne des Wortes beitragen.

20 Visser 2015, 60 21 Pan/Pfeil/Videsott 2016. 22 Eine Schlussfolgerung drängt sich diesbezüglich auf: wenn Minderheiten gewisse Inhalte wirklich für die Nachwelt konservieren wollen, sind sie gut beraten, sich nicht ausschließlich dem Internet anzuvertrauen: digitalia volant, imprimata manent. 23 Die folgenden Beispiele sollen dies für das Dolomitenladinische anhand ausgewählter Beispiele zeigen: Ladinische Institutionen: http://www.ladinia.net/ [Deaktiviert]; Autonome Provinz Bozen/Südtirol (Bürgermetz): http://www.provincia.bz.it/la/; Ladinische Medien: La Usc di Ladins: http://www.lausc.it/; Noeles.info: http:// www.noeles.info/; Rai Ladina: http://www.raibz.rai.it/ladin.php; Wikipedia Dolomitenladinisch: http://incubator. wikimedia.org/wiki/Special:PrefixIndex/Wp/lld/; Sprachausstattung: Wörterbücher: Dizionar dl ladin standard: http://dls.ladintal.it/; Gadertalisch: http://itavalbadia.ladinternet.it/; https://www.micura.it/de/dizionars/vb/ dl; Grödnerisch: http://dizionario-italiano-gardenese.ladinternet.it/; https://www.micura.it/de/dizionars/ gh/dl; Fassanisch: http://dilf2.ladintal.it/; BLAD – Lexikalische Datenbank: http://blad.tall.smallcodes.org/ applications/dictionary/siteHistoric/index.jsp?_VP_V_ID=4254988; Thesaurus des Dolomitenladinischen: http://vll.smallcodes.com/; Spell-Checker: http://cold.ladintal.it/applications/dictionary/spellchecker/index.jsp; Sprachdokumentation und Spracharchivierung: Corpus Ladin: http://vll.ladintal.it; ALD - Atlant Linguistich dl Ladin y di dialec vejins – Sprachatlas des Dolomitenladinischen und angrenzender Dialekte: http://ald.sbg.ac.at/ ald/ald-i/; Ladinische Mediathek: http://www.scrin.net/web/menu.asp

43 Bibliographie

Born, Joachim: Wikipedia. Darstellung und Chancen minoritärer romanischer Varietäten in einer virtuellen Enzyklopädie. In: Döring, Martin/Osthus, Dietmar/Polzin-Haumann, Claudia (Hrsg.), Sprachliche Diversität: Praktiken – Repräsentationen – Identitäten. Akten der Sek- tion Potenziale linguistischer Diversität in den romanischen Sprachen des XXIX. Deutschen Romanistentages Saarbrücken (25.–29.9.2005) (= Abhandlungen zur Sprache und Litera- tur, 16). Bonn: Romanistischer Verlag, 173-189.

Europäische Kommission (Hrsg.) (1996): Euromosaic. Produktion und Reproduktion der Minderheiten-Sprachgemeinschaften in der Europäischen Union. Luxemburg.

Pan, Christoph; Pfeil, Beate Sybille; Videsott, Paul (2016): Die Volksgruppen in Europa. Handbuch der europäischen Volksgruppen. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Wien; Berlin: Verlag Österreich; Berliner Wissenschafts-Verlag.

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Tacke, Felix (2017): Minderheitensprachen und Öffentlichkeit. In: EJM 10, 190-207.

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Spracharchivierung: Corpus Ladin: http://vll.ladintal.it; ALD - Atlant Linguistich dl Ladin y di dialec vejins – Sprachatlas des Dolomitenladinischen und angrenzender Dialekte: http://ald.sbg.ac.at/ald/ald-i/; Ladinische Mediathek: http://www.scrin.net/web/menu.asp

44 Hanzi Tomažič*

Volksgruppe 4.0 – Der Einfluss der digitalen Revolution auf die Kärntner Slowenen

Spoštovane dame in spoštovani gospodje, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich würde gerne mit zwei Vorbemerkungen beginnen, für alle, die nicht so mit der Terminologie der digitalen Welt vertraut sind.

Warum Volksgruppe 4.0?

Mit den Ziffern hinter Bezeichnungen wird die eigentlich noch kurze Geschichte des Internets (25 Jahre) in verschiedene Entwicklungsphasen der digitalen Revo- lution eingeteilt. Obwohl ein Vierer vorne steht, sind es eigentlich genau genom- men drei Abschnitte.

Da sind die Anfänge, sozusagen das Internet 1.0 – die Früh- und Entwicklungs- phase der weltweiten Vernetzung, beginnend Anfang der neunziger Jahre. So um das Jahr 1995 kommt das Internet – im Groben gesprochen bei uns an – die Infrastruktur wird ausgebaut, es entstehen erste Webpräsenzen, Begriffe wie www – also das World Wide Web – oder Google werden Allgemeingut. Diese erste Phase dauert an die 10 Jahre. Um das Jahr 2005 kommt der Begriff Web 2.0 auf. Er beschreibt weniger die Technik, sondern mehr die Art und Weise, wie Kommu- nikation im Web funktioniert. Es ist das Mitmach-Internet, wo jeder auch Sender sein kann, nicht nur Empfänger. Es ist das Internet, das wir heute Social Media nennen und Facebook, YouTube, Twitter sind die Träger dieser neuen Zeit. Und nun also das Internet 4.0, oder genauer gesagt, Industrie 4.0, denn wir stehen erst am Anfang dieser Phase, die so große Umwälzungen bringen wird, dass man sie nur mit den geschichtlichen industriellen Revolutionen vergleichen kann. Es geht vereinfacht gesagt um das Internet der Dinge. Die „smarten“ (intelligenten) Ge- räte vernetzen sich untereinander und es kommt zur Digitalisierung fast sämtlicher Lebensbereiche. Die enge Vernetzung zwischen Mensch, Maschine, Produkten und Dienstleistungen verändert unsere Lebens- und Arbeitswelt dauerhaft und grundlegend. War das Internet 1.0 sozusagen noch an den Rechner, an den Com- puter gebunden, rückte das Web 2.0 die mobile Kommunikation in den Vorder- grund und mit dem Smartphone als zentralem Dreh- und Mittelpunkt der Vernet- zung kommt das Internet den Menschen wortwörtlich näher. Mit dem Internet

* Hanzi Tomažič, ehemaliger Chefredakteur der slowenischsprachigen katholischen Wochenzeitung Nedelja, Klagenfurt a.W., Österreich

45 der Dinge wird die Vernetzung unsichtbar, weil sie einfach überall ist, von den Sensoren in meinem Kühlschrank bis zur Direktanbindung von Gesundheitsdaten an medizinische Einrichtungen, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Ich werde meinen Vortrag in slowenischer Sprache in drei Teile aufteilen, um an- hand dieser Phasen einen Überblick über die Webaktivitäten der slowenischen Volksgruppe zu geben und zu überprüfen, was aus den Hoffnungen, die an dieses neue Medium gebunden waren, geworden ist. Am Ende werde ich einen Ausblick auf die nahe Zukunft wagen und ganz zum Schluss gibt es noch einen konkreten Vorschlag an die Landesregierung.

Ich werde dabei auf technische Hilfsmittel – sprich eine Projektion – aus folgendem Grund verzichten. Seit ich mich mit diesem Thema auseinandersetze – und das ist praktisch mein ganzes Leben lang – spüre ich in den Reaktionen eine Mischung aus „Na, der Kelch dieses modische Zeugs wird schon an mir vorübergehen“ und „Ja, das ist etwas für Spezialisten“. So wurde ich, dessen technisches Verständnis enden wollend ist und der die Geräte als notwendiges Hilfsmittel ansieht, schnell zum „Computerfreak“, zum „Internetnerd“, der einem doch bitte helfen möge, dass die Mails in diesem Kasterl funktionieren. Ja, natürlich spielt Technik auch eine Rolle, aber viel spannender ist die ungeheure Kraft der gesellschaftlichen Umwäl- zungen, die mit diesem Internet 1.0, 2.0, 4.0 einhergehen und uns alle mit dem damit verbundenen Wandel der Gesellschaft tief im Kern unserer Identität berührt.

Za narodne skupnosti sta komunikacijsko gledano dokaj pomembni dve stvari: kako so vidne in kako so povezane.

Ko se je sredi devetdesetih let vedno bolj uveljavljal splet kot novi medij, je bilo kar nekaj upanja, da se bo s tem izboljšala tudi medijska situacija koroških Slovencev. Prizadevanja za celodnevni dvojezični oz. slovenski radijski spored in za televizijske oddaje v slovenščini na avstrijski radiotelevizij so bila dolga leta upravičeno med najpomembnejšimi političnimi zahtevami predstavnikov slovenske narodne skupnosti. Sploh, ker je v narodnozavednem jedru vse do osemdesetih let prevladovalo mnenje, da manjka prisotnost ne samo v avdiovizualnih medijih, temveč da je slovenska narodna skupnost potisnjena na rob tudi v vseh večjih tiskanih medijih na Koroškem. Na vseh treh področjih so se zadeve dejansko v zadnjih treh desetletjih znatno izboljšale – imamo celodnevni radio, polurno priljubljeno televizijsko oddajo Dober dan, Koroška/Štajerska in tudi večina tiskanih medijev je načeloma veliko bolj odprta do slovenske narodne skupnosti.

Internet pa je ponujal enostavno priložnost za samostojno sooblikovanje medijskega prostora. Na spletu sta namreč odpravljena dva dejavnika, ki sta do takrat otežila

46 komuniciranje – distanca in velikost. Vsaka informacija na spletu je oddaljena en sam klik in je brez dodatnih distribucijskih stroškov na razpolago povsod po svetu. Za razširjanje informacij pa ne potrebuješ več velike in drage medijske strukture, saj ima danes marsikateri majhni bloger, ki na Youtubu oddaja iz svoje spalnice, več sledilcev in s tem tudi več dejanske moči kot pa velike medijske hiše.

Iz tega izhodišča se je napajalo upanje, da bo lažje informirati nemško govoreče sodeželane in jim približati zgodovino, kulturo in jezik brez filtra večinskih medijev. Tako smo v pionirskih spletnih časih poznih devetdesetih let pod okriljem Krščanske kulturne zveze začeli s prvimi poskusi. Nastale so spletne strani z osnovnimi podatki o zgodovini in aktualnem kulturnem, političnem in gospodarskem življenju koroških Slovencev. Pod taktirko multimedijskega strokovnjaka Miha Dolinška je nastala spletna iniciativa copi.at, ki je skušala s posebno vizualno podobo približati zlasti mlajšim lepoto slovenščine in njenih narečij. Še danes aktivni pa sta dve strani, ki sta mi še posebej pri srcu, ne zato, ker jih je izdelala naša firma, temveč ker sta za vsakogar, ki se malo zanima za koroške Slovence, dokaj koristni. To je www.koroska.at, ker najdemo seznam vseh dvojezičnih krajevnih imen na Koroškem in pa www.koledar.at, ki je poskus čim več iz tako bogatega kulturnega dogajanja spraviti v en skupen terminski koledar.

Summa summarum po dveh desetletjih spleta med koroškimi Slovenci lahko rečemo, da se veliki upi sicer niso povsem uresničili, da pa je urejen in kolikor toliko ažurni spletni nastop pri vseh centralnih ustanovah koroških Slovencev danes samoumeven.

Tu se nimamo kaj skrivati. Kar si bi želel, je, da bi bilo več spajanja naše bogate kulture in lepote slovenskega jezika z možnostmi razvite spletne tehnike, od prenosov v živo do eksperimentov z virtualno realiteto. Tu čakamo na generacijo mladih medijskih strokovnjakov, kulturnikov, filmskih ustvarjalcev, ki jih je v naši narodni skupnosti medtem tudi že kar nekaj. Ja, in osebno imam rad blogerje, npr. Marjana Wakouniga na spletni strani Slovenske gospodarske zveze. Zelo škoda se mi zdi, da sta utihnila dva blogerska pionirja med slovenskimi politiki, Marjan Sturm s svojimi Marjanizmi in Vladimir Smrtnik s svojo kolumno na spletni strani Enotne liste. Ob spletnem nastopu slovenskega oddelka ORF, ki je tako po obsegu, po ažurnosti in dosledni dvojezičnosti prva spletna ponudba koroških Slovencev, se kaže, kako je pomembno, da obstajajo tudi ustanove, kjer so za spletno urejanje posebej zaposleni sodelavci in splet ni nekaj, kar se še pač zraven uredi.

Vidimo tudi, da so neomejenost, razpršitev in specializacija na spletu hkrati blagor in prekletstvo. Splet nam odpira – če hočemo in iščemo – vpogled v vse mogoče svetove, in navsezadnje so narodne skupnosti pač »special interest« ponudba v neskončnih galaksijah spleta. Tehnika za oddajane in produciranje je poceni ali pa

47 zastonj, plačujemo pa z drugo valuto – s pozornostjo posameznika. Za medijsko konzumacijo odmerjeni čas gre na račun klasičnih medijev, in sicer na račun vseh, ne samo časopisov, temveč tudi televizije in radia, kar je v manjšinskem kontekstu morda še bolj problematično, saj so ti mediji doslej le ustvarjali občutek skupnosti. Tudi ne moremo trditi, da smo zdaj bolj informirani in povezani z matično državo Slovenijo. Dolgoletna prizadevanja na Koroškem za ponudbo slovenskih dnevnikov danes ni več logistični problem, saj brez težav lahko beremo elektronske izdaje dnevnikov in kljub temu si upam trditi, da je število tistih, ki redno prebirajo medije iz Slovenije dokaj skromno.

Kaj pa z vidnostjo dvojezičnosti v deželi? Še ena prednost spleta je namreč, da prostor – v nasprotju s časopisom ali brošuro – ni omejen, tako da ni dileme, če imaš še informacije v kakem drugem jeziku. Nič lažje torej, kot da na Koroškem svoji spletni ponudbi dodaš še informacije v drugem deželnem jeziku. Bežen sprehod po spletnih straneh osrednjih političnih, kulturnih, gospodarskih in verskih ustanov na Koroškem kaže dvojno sliko: medtem ko so portali koroških Slovencev brez izjeme dosledno dvojezični, skoraj na nobeni od uradnih spletnih strani dežele, zbornic, izobraževalnih ustanov, na žalost tudi nobeni od političnih strank, z izjemo portala koroške katoliške Cerkve in koroške Caritas, po navadi ni niti najmanjše povezave z informacijami v slovenščini. Na spletni strani dežele Koroške je sicer povezava z osnovnimi informacijami tudi v slovenščini (poleg italijanščine in angleščine), ki pa je po zadnji posodobitvi pristal dokaj neobičajno na dnu strani. Sicer pa ima Biro za slovensko narodno skupnost že dolgo časa svojo lastno domačo stran z zgledno urejeno dvojezičnostjo in – če je že kdo pozabil – tudi številne obrazce za podpore. Obrazce za dvojezično komuniciranje z uradi kot zelo praktičen servis ponuja tudi spletna stran Narodnega sveta koroških Slovencev.

V primerjavi s tem imajo npr. na Južnem Tirolskem osrednjne deželne ustanove praviloma tudi verzijo v italijanščini, predvsem pa tudi v ladinščini. In to tudi na občinski ravni. Pri nas je tu le nekaj svetlih izjem, ki jih lahko naštejemo na prste ene roke, pa še tu in tam se za slovensko različico razprostirajo prazne strani ali pa kar ponovitve vsebin v nemškem jeziku. Tu je gotovo dovolj potenciala za izboljšanje. Sicer pa je v sami strukturi spleta zadeva taka, da se vidna dvojezičnost pogosto zreducira na eno samo skromno povezavo in to tudi na spletnih straneh, ki imajo sicer bogato dvojezično ponudbo, pač strogo jezikovno ločeno. Tako se na prvi pogled vidna dvojezičnost lahko elegantno skrije. Zato bi bilo treba razmisliti, da bi ob 100-letnici koroškega plebiscita bolj zavestno ustvarili to ali ono spletno stran brez te ločitve, z dejansko jezikovno mešano vsebino, da bi tudi na spletu dvojezičnost že optično prišla malo bolj do veljave. Tu lahko danes visoko razvita tehnika dejansko pomaga, saj je npr. na Youtubu izjemno lahko napraviti podnapise v različnih jezikih.

48 Ali je druga faza razvoja interneta, vzpon družbenih medijev, prinesel kake bistvene premike prav glede na potrebe narodnih manjšin? To bi si zdaj rad skupaj z vami malo podrobneje ogledal.

Ob spletnih nastopih koroških občin se prav nazorno kaže, zakaj klasične spletne strani zgubljajo v primerjavi z novimi gospodarji interneta, družbenimi mediji in tu predvsem proti velikanu teh medijev – Facebooku. Že na prvi pogled se vidi, da so strani tehnično zastarele, okorne za upravitelje in neprijazne do uporabnikov, povrh pa še neprimerne za mobilno uporabo. Temu nasproti pa Facebookova ponudba, s katero brez stroškov in brez tehničnega znanja lahko neposredno prideš na zaslone tisočih in tisočih uporabnikov in tako na mah ustvariš informacijski kanal, ki je blizu ljudem in kjer lahko komentirajo in delijo svoje všečke. To sta med drugim spoznala oba na samostojnih slovenskih listah izvoljena južnokoroška župana, ki Facebook spretno uporabljata za mešanico samopromocije, za dokumentarno objavljanje fotografij ter informiranje občanov, povrh pa dajeta še malo vpogleda v zasebno življenje. Skratka, nekaj, kar ustvari bližino in česar v tej obliki ne bi mogel storiti ne na spletni strani občine, še manj pa prek klasičnih medijev.

Podobno velja tudi za nastope raznih slovenskih krajevnih društev, političnih in gospodarskih ustanov na Facebooku. Tu bi rad izpostavil le eno stran, ki šteje zame med najzanimivejše medijske eksperimente v naši manjšinski medijski sceni, to je Facebook nastop Slovenskega atletskega kluba SAK. Po številu sledilcev, ki jih je zdaj nekaj čez tritisoč, prekaša tiskano naklado slovenskih tednikov in tudi v primerjavi z drugimi koroškimi nogometnimi društvi je v prvi deseterici, dosti je interaktivnosti na strani in iz komentarjev lahko sklepamo, da ima stran naročeno precejšnje število nemško govorečih. Tako že na strani publike vlada vesela mešanica dvojezične Koroške, h kateri se tu in tam priseli še kak jezik vzhodnobalkanskih sosedov. Pa tudi sicer dihajo prispevki lahkoto neobremenjenega sprehajanja med jeziki: pogovori z igralci, trenerji, gledalci so samo umevno enkrat v slovenščini, enkrat v nemščini. Urednik, ki prihaja iz sveta tiskanih medijev in se je vse multimedialne spretnosti moral tudi šele priučiti, pač brez strahu experimentira z možnostmi tega medijskega formata. Letos je začel celo z oddajami v živo in s svojim neposrednim in sproščenim načinom pritegne celo gledalce, ki se sicer za nogomet zanimajo samo ob robu. Vsekakor je Facebook nastop SAK ena najbolj učinkovitih in zanimivih oblik promocije sproščene dvojezičnosti na Koroškem, in dvojno koristen, ker doseže v posebni meri tudi mlado publiko.

Iz neprestanega toka Facebookovih novic si lahko zainteresirani že sestavi majhen panoptikum dvojezičnega življenja na Koroškem. Preseneča me pa, da na Facebooku ni duha ne sluha o notranjih slovenskih prepirih. Moram seveda povedati, na moji Facebookovi strani!

49 Kajti: vsak ima drugačen Facebook, saj si vsak sam z izbiro prijateljev in strani, ki jih naroči, sestavi svoj čisto individualni tok novic. In v tem vidijo strokovnjaki upravičeno eno največjih nevarnosti socialnih medijev, ki v resnici niso tako socialni, kot bi lahko sklepali iz imena. Vsak si ustvari svoj osebni mehurček. Če to postane prvi ali celo edini vir informacij – in za nekatere to dejansko velja – potem se hitro zgubi čut za celoto, kar je za tako majhno skupnost, kot so Slovenci na Koroškem, lahko dodatna slabitev. Resnici na ljubo je treba povedati, da je sistem Facebookovih mehurčkov že tudi prepusten – na eni strani za plačane prispevke s točno izbranimi od stranke zaželenimi ciljnimi profili, na drugi strani pa s sistemom deljenja novic. In s tem imajo tako Facebook, Twitter in Youtube neprimerljiv mobilizacijski potencial – v dobrem in slabem. Vsi poznamo mahinacije okrog zadnjih državnozborskih volitev, »fake news« (lažne novice), teorije zarote in hujskanje proti vse mogočim, tako da te še posebej kot pripadnika narodne manjšine kar srhljivo strese. Obratno pa je s pomočjo družbenih medijev mogoče doseči mobilizacijo brez organizacijskih aparatov, pa tudi nesluteno stopnjo sočutja in solidarnosti. Le dva primera iz prakse: Ko so okrog odločanja o novi koroški deželni ustavi slovenski študentje spontano organizirali protestni shod pred deželno vlado, so to naredili mimo ustaljenih organizacijskih in medijskih struktur koroških Slovencev, samo s pomočjo socialnih medijev. In ko so svoj kulturno izražen pevski protest na galeriji za obiskovalce v koroškem deželnem zboru še dobro posneli in postavili na Facebook, so s tem dosegli več razprave in pozornosti kot z vsako tiskovno izjavo in protestno resolucijo. Ali čisto nekaj drugega: ko je lani maja na tako tragičen in boleč način od nas odšel nepozabni Fabjan Hafner, je Nedelja le dobro uro po tem, ko se je začela razširjati vest, postavila na svojo Facebookovo stran Fabjanovo fotografijo in eno njegovih pesmi, ki se je brala kot oporoka. Odmevi na to so bili tudi zame presenetljivi – novica se je delila po principu snežne kepe, nešteto je bilo komentarjev in statistka je izmerila, da si je novico prebralo desetkrat več uporabnikov kot ima tiskana Nedelja naročnikov. Čutila se je žalost celotne narodne skupnosti ob pretresljivi novici in hkrati tudi sočutje nemško govoreče Koroške. Videli pa smo tudi, kako s posebnim sporočilom z lahkoto presežeš ozki lastni krog in ustvariš nekaj večjega, navsezadnje s pomočjo Facebookovih algoritmov.

Nagovoril bi rad še en razvoj: na socialnih medijih je opazen trend k prevladi fotografij in v vedno večji meri tudi videovsebin. Slovenci imajo v tem očitno gotovo znanje, saj je ravno ta teden izvoljeni predsednik Republike Slovenije po svetu znan predvsem kot »Instagram predsednik« zaradi svoje obsesije, da vso svojo dejavnost predstavlja kot fotografsko inscenacijo. Druga strokovnjakinja pa je Melania, prva dama Združenih držav Amerike, ki s skrbno insceniranimi fotografijami na Twitterju skuša ustvariti nekaj protiuteži do dnevnih twitterskih norij s 140 znaki svojega moža Donalda.

50 Filmi in fotografije imajo svojo moč in včasih se sprašujem, kaj bi bilo, če bi v času »ortstafelsturma« v sedemdesetih letih že imeli ta tehnična sredstva. Kako bi vsepovsod prezentne kamere pametnih telefonov vse posnele, kakšne fotografije in filmi bi šli v svet in kako bi to vplivalo na takratni konflikt? Miselni eksperiment, ki kaže, kako ta stalna prisotnost potencialnih oddajnikov vpliva na dogajanje samo.

Hkrati pa pojemanje pisne komunikacije vodi v jezikovni analfabetizem. Ta razvoj se je v zadnjih štirih letih vidno dramatično pospešil, mi je odpisala ena vidnejših kulturnih delavk, ki se veliko ukvarja z mladinskim delom v naših kulturnih društvih. Pogovarjala sva se kajpada po Facebooku, potem ko sem javno vprašal svoje sledilce, kaj naj danes tukaj zbranim povem.

Zdaj pa smo torej na začetku naslednjega kroga. Internet se razširja povsod in se seli v vse. Je že del naše življenjske resničnosti, če pomislimo, kaj vse že delamo in merimo s pomočjo pametnih telefonov. Denarni posli, organiziranje potovanj, naročanje knjig, merjenje športnih aktivnosti, nadzorovanje domačih aparatov. To niso vizije za prihodnost, temveč že življenjska realnost, že zdajšnje aplikacije na mojem telefonu.

Tehnologija spreminja našo mobilnost in način našega dela in niso daleč časi, ko bo umetna inteligenca strojev, robotov, senzorjev tako izpopolnjena, da bo izrinila človeško delovno silo in bo izginilo na milijone delovnih mest. Znanstvene študije pravijo, da bo že v naslednjih dvajsetih letih izginila polovica delovnih mest, ki jih danes poznamo. To še ne pomeni množično revščino, saj bo družba kot taka prisiljena na novo razmisliti, kako razdeliti presežek dramatično večje produktivnosti, hkrati pa bodo na novo ovrednotena in plačana dela, ki so bila doslej brez plačila ali častna, v izobraževanju, na socialnem in kulturnem področju.

Vprašanje je, kako se bomo kot narodna skupnost znali odzvati na te spremembe. Zato industrija 4.0 potrebuje čim prejšnji razmislek, kako se bo na to odzvala narodna skupnost 4.0.

Moja teza je: reakcija koroških Slovencev na procese prve industrijske revolucije je bila ustanovitev samostojnih kulturnih in izobraževalnih krajevnih društev in zadrug ter lastnih medijev, še malo prej pa ustanovitev Mohorjeve družbe z idejo o izobraževanju s pomočjo knjig.

Ko se je v drugi polovici prejšnjega stoletja dodobra razvila tako imenovana storitvena družba, je bila za koroške Slovence izobrazba – to pomeni ustanovitev Slovenske gimnazije – vstopnica v to dobo.

Ta cikel, iz katerega je zdesetkano jedro narodne skupnosti črpalo svojo atraktivnost prav zaradi visokega deleža izobražencev, se zdaj počasi izteka.

51 Zato se splača čim prej poiskati nekaj takega, kar bi lahko imenovali digitalno agendo narodnih manjšin, ki bo nam omogočila preživetje tudi v novih časih. Tako sta večja pozornost za podeželski prostor in izgradnja širokopasovnega interneta prav gotovo dva izmed najboljših zaščitnih ukrepov za manjšine.

Mi pa se moramo vprašati, ali bomo začutili svoje prednosti, ki jih imamo kot pripadniki narodne manjšine: zavedanje o lastni identiteti, občutek za različnost, zakoreninjenost in domačnost, pa svojo mrežo realnega povezovanja, učenja in šolanja v slovenskih kulturnih društvih. To so lastnosti, ki bodo nekaj štele v svetu, ko bosta sprememba mobilnosti in pomen dela preobrazila družbo. Začnimo danes in ne jutri.

Morda kar s tem, da podprete spletno Evropsko državljansko pobudo Minority SafePack, ki želi zbrati milijon podpisov za raznolikost v Evropi.

Meine Damen und Herren,

digitale Veränderungsprozesse gehen in der Regel einher mit mehr Angst als mit dem Erkennen von neuen Möglichkeiten. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um zum Schluss dem Land Kärnten für die bevorstehenden Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum der Kärntner Volksabstimmung eine Anregung zu geben. Der Technologiewandel kann auch Ausgangspunkt für Problemlösungen sein, die wir so bis jetzt noch nicht gesehen haben.

Vor einem Monat hat die nicht gänzlich unbekannte Firma Google ein spannendes Produkt vorgestellt. Google Pixel Buds – kabellose Ohrhörer, die in Kombination mit einem Smartphone Folgendes versprechen: Simultanübersetzung in Echtzeit für eine zweisprachige Kommunikation und das in 40 verschiedenen Sprachen. Nun bin ich überzeugt, dass das alles nicht so toll und einwandfrei funktioniert wie mit unseren Übersetzern und Übersetzerinnen aus Fleisch und Blut hier im Saal. Aber es ist mobil und es kostet einem Bruchteil dieses Settings hier. Es ist vielleicht nur ein Anfang, aber es illustriert unser Thema, und „on the long run“ – sorry liebe Über- setzer – wird wohl auch dieses Berufsbild verschwinden. Damit ist noch lange nicht gesagt, dass mir das gefällt und die Gesellschaft wird diskutieren müssen, was man will und was nicht. Aber solche oder ähnliche Produkte werden uns im Alltag er- möglichen, was wir sonst nur zu besonderen Anlässen haben und gerade der Volks- gruppenkongress ist darin ja vorbildlichst: nämlich, dass jeder in seiner Muttersprache reden kann und der andere ihn versteht.

Deshalb schlage ich vor, dass die Landesregierung 100 dieser Ohrhörer kauft, einen Kreativitätswettbewerb ausschreibt und diese dann verlost, verschenkt, verteilt. Damit sieht, wer sehen will und hört, wer hören will.

52 Matejka Grgič*

Jezikovno načrtovanje 2.0: nove tehnologije, digitalni viri in spletna orodja

V prispevku bom obravnavala vlogo novih tehnologij in socialnih omrežij pri jezikovnem načrtovanju, predvsem v kontekstu manjšinskih jezikov, omejila pa se bom predvsem na primer slovenskega jezika v Italiji. Dostopanje do tovrstnih virov in orodij predstavlja namreč ključen dejavnik pri širjenju, promociji in razvoju manjšinskih jezikov oz. nacionalnih jezikov v manjšinskem položaju. Splet je virtualen prostor, ki potencialno omogoča kakovostno izpostavljenost vsakemu jeziku tudi v okoljih, kjer ta jezik ni prevalentni/dominantni sporazumevalni kod, hkrati pa je zbirališče digitalno obdelanih in prosto dostopnih podatkov o jeziku in njegovi rabi. Ustrezna implementacija spletno dostopnih tehnologij, virov in orodij lahko torej zavira procese, ki vodijo v fosilizacijo, slabitev in opuščanje manjšinskega jezika oz. v jezikovno folklorizacijo in separatizem (secesionizem).

Ali v manjšinskem okolju dejansko prihaja do uspešne implementacije takih tehnologij, je v veliki meri odvisno od dejavnikov, ki niso neposredno povezani s stroko. Ozaveščenost, usmerjenost in volja odločevalcev so ključni elementi, ki zagotavljajo razvoj in širjenje digitalizacije ali – po drugi strani – ovirajo tovrstne prakse.

V prispevku bom podrobneje predstavila nekatere izzive jezikovnega načrtovanja v dobi velikih tehnoloških in družbenih sprememb, tudi ob primeru projekta spletne platforme SMeJse (Slovenščina kot manjšinski jezik). Platforma je bila vzpostavljena z namenom, da se spodbuja razvoj jezikovnih veščin v slovenskem jeziku tudi na območjih, kjer slovenščina ni primarni sporazumevalni kod, in širi zavest o različnih pojavih medjezikovnega stikanja. Cilj projekta je zagotavljanje uravnovešene funkcionalne dvojezičnosti govorcev slovenskega jezika v Italiji.

Ključne besede: manjšinski jeziki, sociolingvistika, Slovenci v Italiji, slovenščina, jezikovni viri in tehnologije, mreže govorcev, diglosija

Ugotovitev, da je človeštvo že pred skoraj osemnajstimi leti vkorakalo iz 20. v 21. stoletje, zveni dokaj trivialno. A vendar je ta ugotovitev potrebna – tudi in predvsem, ko govorimo o (manjšinskih) jezikih. Hitrost, s katero se posodabljajo tehnologije,

* Dr. Matejka Grgič, SLORI – Slovenski raziskovalni inštitut (Slowenisches Forschungsinstitut), Triest/Trieste/Trst, Italien

53 si sledijo družbene spremembe – npr. migracijski tokovi – in se spreminjajo identitetne opcije, ki so na voljo (zahodnemu) človeku, postavlja znanstvene paradigme prejšnjega stoletja pod velik vprašaj.

Prav tako se velik vprašaj izrisuje nad politikami na področju jezikovnega načrtovanja, ki naj bi izhajale iz zgoraj omenjenih sprememb, jih celo predvidevale in usmerjale – ali vsaj spremljale.

Sociolingvistična razmerja – npr. med večino in manjšino, centrom in periferijo, normo in rabo v jeziku –, ki so do nedavnega veljala za doseženi status quo, so danes le še bled spomin na neko prazgodovino … pa čeprav oddaljeno le par desetletij. Nove tehnologije, dostopanje do ogromnih količin različnih in različno verodostojnih informacij, hitrost povezav z osebami in obdelav podatkov so le nekateri dejavniki, ki naj bi danes vplivali na jezikovno načrtovanje tudi in predvsem manjšinskih skupnosti. Ali se teh sprememb sploh zavedamo? Smo z njimi seznanjeni? Jih (v zadostni meri) upoštevamo pri oblikovanju novih jezikovnih usmeritev na področju zaščite in promocije manjšinskih jezikov? In, če jih ne: kakšne in katere bodo posledice neustreznih, zastarelih jezikovnih politik v svetu, ki se spreminja z vrtoglavo hitrostjo?

Sprememba sociolingvističnih paradigem: primer diglosije

Ko govorimo o manjšinskih jezikih, pogosto omenjamo na primer diglosijo kot enega najznačilnejših sociolingvističnih pojavov na območju stikanja večinskega in manjšinskega jezika (Ferguson, 1959; Fishman, 1967). V zadnjih tridesetih letih pa se je paradigma diglosije vsaj med nekaterimi tipologijami manjšinskih jezikov1 v Evropi popolnoma spremenila … oz. obrnila na glavo.

Do nedavnega je veljalo, da so bili pripadniki manjšin v »uglednejših« (formalnih, institucionalnih) okoliščinah prisiljeni uporabljati zgolj večinski/dominantni jezik, ki pa ga po navadi niso obvladali v zadostni meri, da bi se lahko v njem suvereno sporazumevali; manjšinski/podrejeni jezik, v katerem so se suvereno sporazumevali, pa so smeli zaradi socialne stigme uporabljati le doma oz. v neformalnih okoljih. Kot posledica tega dvojnega nesorazmerja (v sporazumevalni zmožnosti govorcev in v kontekstih rabe) naj bi se v okoljih, ker je diglosija prisotna, začenjale pojavljati oblike

1 Ko govorimo o manjšinskih jezikih, obravnavamo v resnici zelo heterogeno skupino jezikov oz. pravzaprav položajev, v katerih se jeziki uporabljajo. Če se omejimo zgolj na Evropo, lahko opazimo, da se termin uporablja za: a. regionalne jezike (npr. za furlanščino, katalonščino, frizijščino …), ki so na določenih območjih po številu govorcev lahko celo večinski; b. jezike migrantskih skupnosti; c. jezike čezmejnih avtohtonih manjšinskih skupnosti (npr. slovenske v Italiji in Avstriji), ki so v določenem okolju manjšinski, v drugem pa večinski, prevalentni in državni jeziki; č. jezike neteritorialnih skupnosti (npr. jidiš, romski jezik), d. jezike oseb s posebnimi potrebami (npr. znakovni jezik gluhonemih) itd. Te razlike moramo upoštevati pri raziskovalnem delu, izobraževanju, strokovnem delu z jeziki (npr. prevajanju in tolmačenju) in, nazadnje, tudi pri jezikovnem načrtovanju oz. jezikovni politiki.

54 (samo)izključevanja govorcev iz določenih sporazumevalnih kontekstov, obenem pa tudi slabitev, pešanje oz. erozija manjšinskega jezika. Med ključne vzroke klasične diglosije prištevamo pomanjkanje šolanja v manjšinskem jeziku, sredstev javnega obveščanja in možnosti za javno rabo manjšinskega jezika.2 Pričakovali bi torej, da bo odprava teh vzrokov izničila diglosijo in zagotovila uravnoteženo dvojezičnost govorcev ter razvoj danega jezika v vseh kontekstih rabe.

V zadnjih desetletjih pa so raziskovalci opazili, da diglosija (kljub evropskim in nacionalnim normativnim okvirom, ki vsaj omogočajo šolanje, medijsko objavljanje in javno sporazumevanje v manjšinskem jeziku) ostaja in obstaja, a v drugačnih, diametralno nasprotnih paradigmah (Grosjean, 2010; Saxena, 2014; Schiffman, 1993). Danes se na primer nekako paradoksalno dogaja, da pripadniki (zaščitenih) manjšin obvladajo knjižne, formalne zvrsti svojega jezika, ne pa tudi pogovornih. Dogaja se, da se pripadniki manjšinskih skupnosti povsem enakovredno sporazumevajo s pripadniki večinskih skupnosti – seveda, v večinskem jeziku! – ne pa tudi s tistimi pripadniki svoje skupnosti, ki živijo v matični oz. referenčni državi3, saj niso razvili jezikovnih veščin za suvereno rabo manjšinskega jezika v neformalnih, neinstitucionalnih in na splošno »nešolskih« okoliščinah. Predvsem pa se pojavlja vprašanje: so pripadniki manjšin sposobni uporabljati svoj jezik v kontekstih in domenah, ki predstavljajo nova elitna okolja – to so socialna omrežja, blogi, klepetalnice in druge oblike spletnega sporazumevanja?

Skratka, klasična diglosija je danes postavljena na glavo. Govorci (zaščitenih) manjšinskih jezikov smejo svoj jezik uporabljati v vseh okoljih, ki so do nedavnega veljala za elitna – in nemalokrat se odločajo, da ga v teh okoljih dejansko uporabljajo, tudi kot javno obliko izkazovanja lastne identitete. Pač pa se isti govorci vse pogosteje odločajo, da bodo v svojem zasebnem življenju ali v neformalnih javnih okoliščinah raje uporabljali večinski jezik: preprosto zato, ker so pri rabi večinskega jezika bolj suvereni. Z vidika dolgoročnih posledic je še najbolj zaskrbljujoče dejstvo, da govorci manjšinskega jezika uporabljajo (zgolj) večinski jezik v okoljih, ki v današnjem svetu veljajo za nove elitne kontekste: na družbenih omrežjih, v virtualnem sporazumevanju itd. Visoko usposobljen govorec nekega jezika danes

2 Z diglosijo se je ob primeru slovenskega jezika v Italiji največ ukvarjala M. Kaučič Baša, ki je pojem tudi uvedla za preučevanje statusa in položaja jezika na območju poselitve slovenske narodne manjšine v Italiji (prim. Kaučič Baša, 1997). 3 Ko govorimo o avtohtonih »čezmejnih« manjšinskih skupnosti, kakršni sta na primer slovenski manjšini v Italiji in Avstriji (prim. op.1, točka c.), pogosto uporabljamo termina zamejstvo in matična država; predvsem slednji ni povsem natančen oz. je lahko zavajajoč. Matična država je namreč tista država, iz katere »izhaja« določena skupnost – v primeru Slovencev v Italiji ali Avstriji pa ne gre za skupnosti, ki sta se preselili iz Slovenije, ampak za skupnosti, ki sta na svojem naselitvenem območju avtohtoni. Termin matična država je še bolj sporen takrat, ko ne govorimo o skupnosti govorcev, ampak o samih jezikovnih pojavih; v teh primerih raje uporabljamo termin referenčna država – s tem mislimo na prostor, kjer ima določen jezik status uradnega, državnega in prevalentnega sporazumevalnega koda. Načelo referenčne države se uporablja npr. v terminologiji, predvsem v primeru večstandardnih jezikov (npr. italijanščine, ki ima dva standarda – italijanskega in švicarskega – ali nemščine, ki ima štiri standarde – nemškega, avstrijskega, švicarskega in luksemburškega).

55 namreč ni samo tisti, ki se zna sporazumevati z etablirano oblastjo, ki razume strokovne spise in bere poezijo, ampak tudi in predvsem tisti, ki je dober vplivnik (influencer) ali upravitelj družbenih omrežij (social media manager) – kar se meri v doslej neznanih merskih enotah: všečkih (likes), sledilcih (followers) in delitvah (shares).

Spremenila sta se torej dva dejavnika: percepcija družbenih okolij in sporazumevalna zmožnost govorcev manjšinskega jezika. Če je po eni strani res, da je absolutna oz. uravnotežena dvojezičnost redka,4 je po drugi strani tudi res, da se je ravnovesje med sporazumevalno zmožnostjo govorcev v manjšinskem in večinskem jeziku prevesilo v prid slednjemu, kar je bilo še pred nekaj desetletij prej izjema kot pravilo. Skratka, če povzamemo in skrajno poenostavimo: pred nekaj desetletij so pripadniki manjšinskih skupnosti »slabo« govorili večinski jezik, svojega (manjšinskega) pa niso smeli uporabljati; danes lahko pripadniki manjšinskih skupnosti vsaj formalno povsod uporabljajo svoj jezik, a se raje odločajo za večinskega, ker ga »znajo boljše«.

Sporazumevalna zmožnost, šolski model in (samo)izključevanje govorcev

V povojnih letih in desetletjih, ko se je na primer oblikoval prenovljeni sistem slovenskih šol v Italiji, so načrtovalci izhajali iz predpostavke, da (slovenski) učenci in dijaki, ki prihajajo v te šole, suvereno uporabljajo vsaj neformalne in lokalne zvrsti slovenskega jezika – te zvrsti naj bi nato v šoli le še nadgradili z učenjem knjižne slovenščine (Kaučič Baša, 2004; Bogatec, 2015). Hkrati pa so načrtovalci upoštevali dejstvo, da so ti učenci in dijaki prihajali v šolo z nizko stopnjo sporazumevalne zmožnosti v večinskem, torej italijanskem jeziku. V času, ko je imela italijanščina status uglednega, prestižnega, »visokega« jezika in je bila slovenščina le jezik podrejene, »hlapčevske« družbene skupine,5 je bila taka neuravnotežena dvojezičnost seveda nadvse problematična, saj je vodila v različne oblike izključevanja in samoizključevanja govorcev manjšinskega jezika v odnosu do govorcev večinskega jezika.

Stanje se je v zadnjih desetletjih tako zelo spremenilo, da je zdaj že postavljeno na glavo. Domnevamo, da je za večino učencev in dijakov slovenskih šol na Tržaškem in Goriškem ter dvojezične šole v Špetru italijanščina že primarni

4 Pogosto govorimo na splošno o dvo- ali večjezičnosti, zanemarjamo pa dejstvo, da obstaja več vrst tega pojava. Glede na sporazumevalno zmožnost govorcev lahko govorimo o absolutni dvojezičnosti (takrat, ko govorci suvereno uporabljajo oba jezika v vseh sporazumevalnih okoliščinah), funkcionalni dvojezičnosti (takrat, ko govorci v nekaterih sporazumevalnih okoliščinah raje uporabljajo en jezik, v drugih pa drugega) in poljezičnosti (če govorci poznajo več jezikov, a nobenega dovolj suvereno za sporazumevanje v različnih življenjskih okoliščinah). Glede na razmerje med jezikoma ali jeziki, ki jih pozna posamezni govorec, govorimo o (ne)uravnoteženi dvojezičnosti – glede na to, ali govorec pozna in uporablja oba jezika približno enako suvereno – in o (ne)ekvivalentni ali (ne)sorazmerni dvojezičnosti – glede na to, ali govorec uporablja oba jezika na isti ravni kot enojezični govorci posameznega jezika. 5 Od tod tudi žaljivka s‘ciavo (suženj, hlapec), s katero so nekateri pripadniki večinskega naroda zmerjali pripadnike slovenske manjšine v Italiji. Zdi se, da raba te žaljivke danes peša.

56 sporazumevalni kod – in to ne glede na njihov prvi jezik;6 slovenščina, ki je medtem pridobila družbeni ugled in formalnopravni status (Jagodic et al., 2016), pa naj bi bila za te učence in dijake sekundarni sporazumevalni kod: uporabljajo jo med poukom, sicer pa se sporazumevajo v italijanščini ali v mešanici slovenščine in italijanščine. Pri tem velja opozoriti na dejstvo, da se med govorci slovenskega jezika v Italiji lokalni idiomi in mešanice v različni meri pojavljajo v vseh sporazumevalnih okoliščinah – tudi tam, kjer bi sicer pričakovali standardni (četudi ne nujno knjižni) jezik7 oz. rabo nelokalnih zvrsti jezika. Neuravnoteženi dvojezičnosti v prid večinskemu jeziku se je tako dodala še nesorazmerna dvojezičnost8, kar pa postavlja skupnost govorcev pred nove izzive.

Če je namreč res, da neuravnotežena dvojezičnost v prid manjšinskemu jeziku vodi v (samo)izključevanje govorcev tega jezika iz večinskih skupnosti, je po drugi strani res, da nesorazmerna dvojezičnost lahko vodi v (samo)izključevanje govorcev manjšinskega jezika iz skupnosti, kjer je ta jezik večinski, dominanten in referenčen. Da poenostavimo: dokazano je, da se govorci manjšinskega jezika izključujejo iz večinskih skupnosti, če večinskega jezika ne obvladajo dovolj suvereno (Lippi- Green, 1997); na podlagi te ugotovitve lahko sklepamo, da se govorci jezika, ki je na nekem območju manjšinski, začenjajo (samo)izključevati iz skupnosti, za katere je ta isti jezik večinski, prevalenten oz. dominanten, če imajo občutek, da jezika ne obvladajo v zadostni meri. Obe dinamiki samoizključevanja imata seveda negativne družbene, kulturne in nazadnje tudi jezikovne posledice – gre, skratka, za začaran krog, ki vodi v dodatno pešanje že itak deficitarnega jezika. Vprašanje je seveda, ali so se ti procesi med govorci slovenskega jezika v Italiji že začeli. Se ti govorci že izključujejo iz skupnosti, za katere je slovenščina prevalentni sporazumevalni kod (z drugimi besedami: iz skupnosti Slovencev iz Slovenije)? Se že zapirajo v zgolj lokalne skupnosti oz. se raje/lažje priključujejo skupnostim govorcev italijanskega kot pa slovenskega jezika? Raziskave so zaenkrat že pokazale, da se govorci

6 Pogosto ne ločujemo med prvim jezikom in primarnim sporazumevalnim kodom: izhajamo namreč iz lažne predpostavke, da bi morali govorci celo življenje in v vseh okoliščinah najbolj suvereno uporabljati jezik ali jezike, ki so se ga/jih naučili najprej oz. vsekakor v zgodnjem otroštvu. Tej lažni predpostavki pravimo »mit rojenega govorca«. Številne raziskave so dokazale, da imamo ljudje res največ možnosti, da visoko sporazumevalno zmožnost dosežemo v svojem prvem jeziku (ali prvih jezikih); a to se lahko zgodi le pod pogojem, da smo temu jeziku (ali tem jezikom) ustrezno izpostavljeni. Če je izpostavljenost prvemu jeziku nezadostna, nekontinuirana ali nedosledna, se lahko zgodi, da govorec doseže višjo sporazumevalno zmožnost v kakem drugem jeziku, ki ga je usvojil naknadno oz. vsekakor po 3. letu starosti. Jeziku, ki ga govorec v določenem življenjskem trenutku uporablja najbolj suvereno v večini sporazumevalnih okoliščin, pravimo primarni sporazumevalni kod (Grgič, 2016). 7 Standardni jezik je jezikovna zvrst ali idiom, ki velja za nevtralnega, splošno sprejetega in lokalno nezaznamovanega v običajnih sporazumevalnih okoliščinah. Gre torej za neke vrste ekvidistančen idiom ali bolje za jezikovno prakso, ki se je ustalila z rabo. V nekaterih okoliščinah (npr. v institucionalnih, formalnih okoljih) je to lahko knjižni jezik, pogosteje pa prevzame vlogo standardnega jezika neka knjižno-pogovorna različica z lokalnimi elementi. Standardni jezik običajno ni eksplicitno kodificiran (tako kot knjižni jezik, ki ga določajo normativni viri), ampak se implicitno regulira z rabo; na standardizacijo jezika vplivajo tudi zunanji dejavniki, npr. razširjenost medijev, ekonomska razvitost regij, vzpostavljanje političnih elit itd. 8 O ekvivalentni ali sorazmerni dvojezičnosti govorimo takrat, ko govorec uporablja oba jezika na isti ravni, kot ju uporabljajo enojezični govorci. Če to načelo uporabimo na primeru manjšinskih jezikov avtohtonih čezmejnih skupnosti (prim. op. 1, točka c.), potem velja, da je potencialni ekvivalentni govorec slovenskega jezika v Italiji tisti, ki ta jezik obvlada na primerljivi ravni kot povprečni govorec slovenskega jezika v Republiki Sloveniji.

57 slovenskega jezika v Italiji izrazito in skoraj izključno identificirajo z lokalnimi različicami in idiomi slovenskega jezika oz. z jezikovno mešanico, značilno za to območje (Pertot in Kosic, 2014).

Mešanica slovenščine in italijanščine (t. i. »itavenščina«), ki nastaja na tem območju, kaže tipičen algoritem mešanja in preklapljanja kodov, pri katerem je italijanščina zelo jasno dominantni, slovenščina pa recesivni jezik (Grgič, 2016b). Opozoriti gre predvsem na dejstvo, da so skoraj vse nove besede, ki prihajajo v ta kod, italijanske, kar pomeni, da se slovenski jezik v Italiji ne napaja iz slovenskega jezikovnega kontinuuma, ampak iz italijanskega. Razlogov za to je več.

Do nedavnega so bili raziskovalci, ki so podobne pojave preučevali tudi drugod po svetu, prepričani, da je glavni vzrok takega enosmernega vplivanja oz. nesorazmernega jezikovnega stika višji socialni status in prestiž večinskih oz. dominantnih jezikov. Ta domneva je še danes aktualna, vendar pa moramo temu dejavniku dodati vsaj še enega: marginalizacijo.

Marginalizacija jezikovnih praks je v bistvu nasprotje jezikovnega stika, če smemo poenostaviti: je namreč posledica (samo)izključevanja govorcev iz določenih skupin in skupnosti, kot smo videli že zgoraj. V primeru manjšinskih jezikov torej ne govorimo samo ali vedno o marginalizaciji manjšinskih lokalnih idiomov v odnosu do večinskih (npr. slovenščine v Italiji v odnosu do italijanščine), pač pa lahko govorimo – konkretno – o marginalizaciji zamejske slovenščine v odnosu do slovenščin, ki se uporabljajo v Sloveniji in/ali drugod po svetu. Skratka, v našem primeru govorimo o (samo)izključevanju govorcev slovenskega jezika v Italiji v odnosu do govorcev slovenskega jezika v Republiki Sloveniji oz., če smo natančnejši, o marginalizaciji sporazumevalnih praks v slovenskem jeziku v Italiji v odnosu do sporazumevalnih praks v slovenskem jeziku v Republiki Sloveniji. Jezikovni stik, ki je eden ključnih dejavnikov za razvoj jezika, je v danem primeru prisoten skoraj izključno na relaciji med italijanščino in slovenščino (v smeri od italijanščine proti slovenščini), medtem ko je bistveno manj izrazit med slovenščino v Italiji in slovenščino v Sloveniji (Grgič, 2016b).

Mreže govorcev

Da se jezik razvija znotraj mrež govorcev, je bilo dokazano že v 60. letih prejšnjega stoletja; da je vsak govorec vključen v več mrež, da ima v različnih mrežah različno vlogo in da so odnosi znotraj mrež zelo spremenljivi – ter da vsi ti dejavniki ključno vplivajo na jezik posameznika – je bilo jasno kakih 20 let pozneje (Milroy, 1980).

Danes so mreže, v katere je vključen posameznik, v veliki meri virtualne. V času, ko do virtualnega sveta ne dostopamo le občasno, za zabavo, ampak je virtualni

58 svet naš osnovni vir informacij, znanj, gradiv, orodij, vsebin in odnosov, je torej z vidika izpostavljenosti jeziku9 vedno manj pomembno, v katerem jeziku se pet minut pogovarjamo z nekim javnim uslužbencem ali v katerem jeziku preberemo pet knjig obveznega čtiva v šoli. Neprimerno več časa smo namreč z jezikom (ali z jeziki) v virtualnem stiku – in ta virtualni svet ima čedalje večji družbeni prestiž. Virtualni svet je tudi vse pogosteje in za vse več govorcev primarni vir informacij. Če je res (in dokazano je, da je res), da jezik nastaja in se razvija v mrežah govorcev, potem se velja vprašati, v katerih, kolikih in kakšnih mrežah s(m)o danes govorci manjšinskih jezikov. In, nadalje: v katerem jeziku dostopamo oz. dostopajo govorci manjšinskih jezikovnih skupnosti do (spletnih) podatkov?

Na podlagi raziskav, ki so še vedno v teku, lahko postavim utemeljeno hipotezo, da pripadniki vsaj nekaterih manjšinskih skupnosti (npr. govorci slovenskega jezika v Italiji) najpogosteje vzpostavljajo mreže med sabo, nadalje s pripadniki večinske skupnosti (npr. z govorci italijanskega jezika v Italiji), v bistveno manjši meri pa s pripadniki skupnosti v matični državi (npr. govorci slovenskega jezika v Sloveniji). Stiki med pripadniki različnih slovenskih manjšinskih skupnosti v zamejstvu in zdomstvu so z vidika virtualnega mreženja po mojih doslej zbranih podatkih neznatni, prav taki pa so tudi stiki s pripadniki obeh narodnih manjšin v Sloveniji (italijansko in madžarsko) ali drugih skupnosti v tem prostoru – na primer z Romi, Judi, Furlani in različnimi migranstkimi skupnostmi. Skratka: mreže govorcev manjšinskega jezika so izrazito lokalne, in to tudi takrat, ko imajo ti govorci na razpolago ustrezne tehnološke rešitve, ki bi omogočale vključevanje (tudi) v širše mreže, in ko je njihov jezik razširjen tudi zunaj meja zgolj lokalne skupnosti.

Če te hipoteze preslikamo na področje slovenščine kot manjšinskega jezika in predpostavljamo, da je skupnost govorcev slovenskega jezika v Italiji vzorčen primer za druge sorodne skupine, lahko nadalje domnevamo, da pripadniki slovenskih skupnosti v zamejstvih »ustvarjajo« slovenski jezik le znotraj svoje lokalne mreže; s pripadniki večinskih skupnosti razvijajo svoj večinski jezik, ki nato vpliva na lokalno rabo slovenskega jezika. Lokalni idiomi (narečja, pogovorni jeziki, lokalni slengi …) se namreč nujno napajajo iz vsaj enega jezikovnega kontinuuma; če niso v stiku s svojim jezikovnim kontinuumom, se pač morajo napajati iz kakega drugega.10 Če

9 Več o izpostavljenosti jeziku: http://www.smejse.it/2017/05/10/kaj-je-jezikovna-izpostavljenost/. 10 Ta pojav je še posebej očiten ob t. i. jezikovnem secesionizmu, torej ob percepciji, da so nekatera narečja samostojni jeziki in ne del nekega jezikovnega kontinuuma. Tak primer je v Italiji rezijansko narečje, ki ga govorci percipirajo kot samostojni jezik in zavračajo kakršnekoli stike s slovenskim kontinuumom – celo v šoli imajo pouk »rezijanščine« in ne slovenščine. Taka percepcija sicer sama po sebi ni problematična, problematična pa postane takrat, ko upoštevamo dejstvo, da gre npr. pri rezijanščini že danes za dediščinski idiom, ki ga aktivno govori manj kot 1.000 govorcev, med katerimi je večina starejša od 65 let. Če se tak idiom ne napaja iz širšega jezikovnega kontinuuma, je zelo verjetno, da bo v roku ene generacije postal jezikovni fosil – to je idiom, ki ga »zna« komaj nekaj stotin govorcev, še ti pa poznajo v glavnem le ritualizirana besedila (pesmi, izštevanke, pozdrave, voščila …) in idioma ne uporabljajo za potrebe vsakdanjega sporazumevanja. Za jezikovne fosile je tudi značilno, da ne ustvarjajo novih besed in rab, ampak le ohranjajo stare, »pristne« elemente, ki pa so za potrebe vsakdanjega sporazumevanja večinoma neuporabni.

59 se lokalni slovenski idiomi na območjih, kjer je slovenščina manjšinski jezik, ne napajajo iz slovenskega jezikovnega kontinuuma, se morajo nujno iz večinskih: v Italiji iz italijanskega, v Avstriji (domnevno) iz nemškega itd.

Če bi raziskave potrdile gornje domneve o izraziti lokalnosti mrež manjšinskih skupnosti, bi bili izgledi za razvoj slovenskega jezika v t. i. zamejstvih negativni. Pomenilo bi namreč, da se jezik manjšinskih skupnosti vedno bolj oži (kot se ožijo mreže, v katere so govorci vključeni) in da postaja vedno bolj samo lokalni idiom, ki nima nobenih stikov z idiomom prostora, kjer je slovenski jezik prevalenten ali referenčen oz. z drugimi lokalnimi idiomi istega kontinuuma. S tem procesom bi se jezik zamejskih skupnosti vedno bolj oddaljeval od siceršnjega slovenskega jezikovnega kontinuuma: postajal bi vedno bolj »samoreferenčen« (naravnan sam nase) in samozadosten (avtarkičen). Da se razumemo – problem ni variantnost, ki je v jeziku ne samo običajna, ampak tudi dobrodošla (Tagliamonte, 2012); problem je kolikost in kakovost te variantnosti, se pravi razmerje med lokalnim in »globalnim«.

Skupnosti ustvarjajo jezik in jezik ustvarja skupnosti – tudi v virtualnem svetu

Če so govorci jezika vključeni le v lokalne skupnosti, se lahko vzpostavijo procesi t. i. jezikovnega separatizma in secesionizma. O teh procesih govorimo, ko se določene skupine govorcev ne prepoznavajo več v celotnem jezikovnem kontinuumu, ampak samo še v nekaterih lokalnih različicah, ki imajo zanje status Abstand jezika11 (Trudgill, 2004) – taka primera sta vindišarska teorija na Koroškem in rezijanska teorija v Furlaniji - Julijski krajini. A jezikovni separatizem ni omejen pojav; širi se in uspeva povsod tam, kjer so mreže govorcev ozke oz. kjer je posamezni govorec vključen le v zelo omejeno število pretežno lokalnih mrež.12 Zato lahko domnevamo, da se bodo take secesionistične teorije uveljavljale tudi v prihodnje in to celo na območjih, ki jih doslej še niso zajele – če se seveda mreže, v katere so vključeni govorci manjšinskega jezika, ne bodo širile.

Enkratno priložnost za širitev družbenih in jezikovnih mrež nam danes nudi splet – svet, v katerem je virtualno realno in realno virtualno. Tu ni mejnih prehodov, ni težav z logistiko, dostavo knjig in tiskanih medijev ali frekvencami radijskih programov; so pa drugačne meje, drugačne zahteve, drugačna pravila igre. Spodbujanje spletnega mreženja med govorci, tudi v smislu koriščenja spletnih

11 Abstand jezik je idiom, ki ga govorci percipirajo kot dovolj različnega od ostalih idiomov nekega jezikovnega kontinuuma, da ga začnejo obravnavati kot samostojen jezik. Zaradi političnih, zgodovinskih, ekonomskih in drugih družbenih razlogov lahko ta proces vključuje tudi idiome, ki po svojih strukturnih značilnostih niso Abstand jeziki, a jih govorci kot take percipirajo in v tem smislu »razširijo« (Ausbau) njihovo vlogo. Nemško terminologijo (Abstand, Ausbau in Dachsprache), ki se še danes uporablja v strokovni literaturi, je uvedel Kloss, 1967. 12 Procese jezikovnega separatizma in secesionizma spodbujajo in podpirajo še drugi dejavniki, kar lahko opazujemo na primeru nekdanje srbohrvaščine v državah bivše Jugoslavije (Kordić, 2004). V tem prispevek se bom omejila na pojav separatizma in secesionizma pri čezmejnih avtohtonih manjšinskih skupnostih.

60 vsebin in storitev v deficitarnem jeziku, je danes ključni element vsake učinkovite in uspešne jezikovne politike. Pri tem pa je bistvenega pomena, da se mreže govorcev ne oblikujejo vzdolž državnih meja: za pripadnike manjšinskih skupnosti je izjemno pomembno, da gravitirajo na območje, kjer je njihov jezik prevalentni sporazumevalni kod širše skupnosti. V nasprotnem primeru lahko virtualni svet postane le še ena meja med centrom in periferijo, normo in rabo ter prostorom, kjer je slovenščina prevalentna (t. i. matico), in območji, kjer je deficitarna (t. i. zamejstvi in zdomstvi).

Splet pa ni samo prostor, kjer se srečujemo in mrežimo. Splet je tudi prostor, od koder pridobivamo podatke, kjer dostopamo do storitev in blaga, kjer delamo, se izobražujemo, zabavamo … in vzpostavljamo ne nazadnje tudi stike z realnim, fizičnim svetom. Prek spleta plačujemo položnice, rezerviramo počitnice, promoviramo svoje raziskave in kupujemo knjige, gledamo filme in poslušamo glasbo, se naročamo na pregled pri zdravniku in spremljamo čakalne dobe v specialističnih ambulantah, izbiramo obleke in se dogovarjamo za dostavo hrane na dom, obiskujemo tečaje tujih jezikov, izpolnjujemo napoved dohodnine, opremljamo stanovanje in načrtujemo ogled muzeja, v katerega bomo šli čez mesec dni. Če vse to delamo (samo) v večinskem jeziku, se prostor, kjer se lahko razvija naš manjšinski jezik, neusmiljeno krči, sporazumevalna zmožnost govorcev pa posledično upada.

Skratka: premik težišča iz realnega v virtualni svet je za manjšinske jezike lahko priložnost … ali pa tudi ne. Oženje spletnih mrež govorcev in krčenje potreb, za katere se manjšinski jezik uporablja, lahko zelo hitro (kot so pač hitre spremembe sporazumevalnih paradigem v današnjem svetu) privede do dodatnega oženja in krčenja (slabitve) jezika (Schmid, 2010), ki ga neka skupnost govorcev lahko nazadnje suvereno uporablja le še na lokalni ravni oz. v omejenih sporazumevalnih praksah.

Pred zaključkom pa moramo omeniti še en pomemben vidik, ki ga načrtovalci jezikovnih politik pogosto zanemarjajo, čeprav je zanje ključen.

Splet je tudi vir metajezikovnih podatkov – torej informacij o jezikovnih rabah, normah in trendih. Informacij za vsakdanjo rabo, t. i. priročniških informacij, danes ne dobivamo več iz knjig. Knjige imamo za užitek, za ljubezen, za branje na plaži ali pred kaminom … ali pa za dekoracijo, poslovno darilo, arhivski dokument in še za marsikaj drugega. Do podatkov, ki jih potrebujemo sproti – ob učenju, delu … ali samo ob rabi določenega jezika – pa želimo danes dostopati hitro, neposredno, kjerkoli in kadarkoli. Poleg tega želimo in zahtevamo, da so podatki, do katerih dostopamo, stalno posodobljeni, verodostojni in uporabni. Podatke želimo tudi

61 komentirati, deliti, dopolnjevati, jih shranjevati, izvažati in nalagati v lastne aplikacije.13 In nazadnje: ozaveščeni uporabniki zahtevamo, da so priročniki, nastali na podlagi raziskav, ki se financirajo z javnim denarjem, tudi javni, prosto dostopni in odprtokodni. Teh značilnosti noben tiskan vir ne more imeti; imajo pa jih seveda lahko spletni viri, do katerih danes dostopamo kar s svojega telefona.

Zato je ključno, da take spletne vire razvijamo – tudi za potrebe skupnosti, ki živijo na območjih izrazitega jezikovnega stikanja oz. na območjih, kjer je določen jezik deficitaren.

Kljub nekaterim častnim izjemam v slovenskem prostoru danes pogrešamo vire, ki bi ustrezali kriterijem sodobnega jezikovnega opisa in priročništva, kar vpliva tudi na rabo in razvoj jezika v zamejstvih in zdomstvih. Poleg tega pa zunaj meja Republike Slovenije pogrešamo kapilarno ozaveščanje govorcev, njihovo izobraževanje in usposabljanje, ki bi omogočalo dostopanje do spletnih informacij o jeziku, jezikovnih rabah in sporazumevalnih praksah. Kombinacija teh dveh dejavnikov dodatno pospešuje normativistične težnje in percepcijo elitnosti, težavnosti, zapletenosti, nedostopnosti in nedosegljivosti »pravega« slovenskega jezika, kar govorce le še odvrača od njegove rabe (Gorjanc, 2017).

Namesto sklepa: primer portala za promocijo manjšinskega jezika – projekt SMeJse14

Jezikovna politika, načrtovanje in oblikovanje relevantnih virov ne morejo in niti ne smejo biti v pristojnosti enega samega subjekta: zanje je potreben institucionalni in družbeni konsenz, pa tudi ustrezna raziskovalna in strokovna infrastruktura, ki je ena sama ustanova ne more imeti. Po drugi strani pa drži, da se morajo tudi posamezne ustanove aktivno zavzeti, da – kolikor se le da – zapolnijo institucionalno praznino na tem področju.

Slovenski raziskovalni inštitut (SLORI) in Dijaški dom S. Kosovela iz Trsta sta prav zato zasnovala spletni portal SMeJse – Slovenščina kot manjšinski jezik (www. smejse.it), ki je predvsem zbirališče novih in že obstoječih orodij, gradiv in informacij za razvoj jezikovnih veščin in spretnosti v slovenskem jeziku. Portal je pač vstopna točka, ki uporabnikom omogoča vpogled v druga spletna mesta in dostopanje do virov podatkov.

Namen projekta je spodbujanje različnih rab živega slovenskega jezika na območju italijansko-slovenskega jezikovnega stikanja, predvsem v Italiji – s ciljem, da se

13 Tem potrebam in zahtevam uporabnikov virov podatkov pravimo tudi wikipedizacija, saj gre za paradigmo, ki jo je uvedla Wikipedija (https://sl.wikipedia.org). 14 Za podrobnejši opis znanstvenoraziskovalnih izhodišč spletnega portala SMeJse prim. Grgič, 2017 (http:// slovenscina2.0.trojina.si/arhiv/2017-2/2017-2-05/).

62 zagotovi visoka sporazumevalna zmožnost v vseh zvrsteh in različicah slovenskega jezika, uravnotežena dvojezičnost in razvoj tudi lokalnih idiomov, a znotraj slovenskega jezikovnega kontinuuma.

Projekt izhaja iz predpostavke, da se jezikovne spretnosti in veščine ne razvijajo izključno v didaktično strukturiranem okolju (torej v šolah ali na tečajih), ampak predvsem spontano, z izpostavljenostjo jeziku in raznolikosti njegovih rab. Če je govorec jeziku izpostavljen le v omejenem prostoru in okoliščinah, je njegov jezik nujno omejen – posledica tega je lahko (samo)izključevanje govorcev iz skupnosti, za katere menijo, da jim jezikovno ne pripadajo oz. znotraj katerih niso suvereni pri sporazumevanju. Takšni procesi lahko še pospešijo »folklorizacijo«15 in fosilizacijo jezika, njegovo slabitev in opuščanje, vzporedno pa tudi stigmatizacijo in sramotenje govorcev.

Spletna platforma SMeJse je dostopna različnim ciljnim skupinam (od predšolskih otrok do odraslih uporabnikov, od splošne do strokovne javnosti: http://www. smejse.it/ciljne-skupine/). Nekatere vsebine bodo prevedene tudi v italijanski in angleški jezik. Struktura spletne platforme omogoča hitro in preprosto sprotno dopolnjevanje ter objavljanje vsebin tudi na socialnih omrežjih. S tem nudi ustrezen e-prostor za promocijo raznolikih dejavnosti, ki so ciljno namenjene spodbujanju jezikovnih veščin in sporazumevalnih spretnosti v slovenskem jeziku, ki pa ob tem ustrezajo tudi standardom strokovnosti, inovativnosti in uporabnosti.

Na spletni platformi se trenutno zbirajo hiperpovezave (npr. http://www.smejse.it/ orodjarna/), hkrati pa nastajajo tudi avtorske objave (npr. http://www.smejse.it/ spletna-predavalnica/): gre za poljudnostrokovne članke s področja večjezičnosti in jezikovnega stikanja, pa tudi za učne enote, ki jih pripravlja skupina profesorjev in vzgojiteljev (npr. http://www.smejse.it/ucilnica/). To gradivo se osredotoča na pojave jezikovnega stikanja: menimo namreč, da moramo te pojave predstaviti različnim ciljnim skupinam, a brez negativne stigmatizacije, ki so je bila do nedavnega deležna narečja, jezikovne mešanice in sploh vse nestandardne različice jezika. V prihodnosti načrtujeta vodilna partnerja še vzpostavitev spletne svetovalnice, ki bo specifično namenjena pojavom jezikovnega stikanja, in drugih oblik spletnega izpostavljanja jeziku, ki bodo ne samo omogočale, ampak tudi spodbujale mreženje različnih govorcev, dostopanje do specifičnih virov in deljenje informacij o različnih jezikovnih rabah.

15 Ta besedna zveza se med govorci slovenskega jezika v Italiji pogosto uporablja, zato jo navajamo tudi na tem mestu. Zaradi svoje nestrokovnosti ima v splošnem diskurzu različne pomene in pomenske odtenke. Tu jo uporabljamo kot poljudnejšo sopomenko za strokovni termin dediščinski jezik (heritage language). Pri tem izhajamo iz nekoliko ožje definicije od tiste, ki je splošno v rabi (Benmamoun et. al., 2010): dediščinski jezik pojmujemo kot manjšinski oz. deficitarni jezik, ki ga govorci le delno usvojijo in ga uporabljajo v zelo omejenih sporazumevalnih okoliščinah, po navadi povezanih s tradicijo, obredjem in ljudskimi običaji. Pri tem izpostavljamo, da imajo govorci do dediščinskega jezika po navadi zelo pozitiven odnos in se z njim tudi (delno) identificirajo, kljub temu pa ne dosegajo visoke sporazumevalne zmožnosti in ne razvijajo veščin, ki bi omogočale suvereno rabo tega jezika v potencialno vseh sporazumevalnih okoliščinah.

63 Ob tem pa gre seveda poudariti, da so tovrstni projekti žal obsojeni na obrobno vlogo, če ne postanejo del celovitih, tehtnih in strokovno utemeljenih politik jezikovnega načrtovanja, ki se ograjujejo od ideoloških predstav in se soočajo z realnimi izzivi sodobnega sveta. Z enim samim spletnim portalom, ki ga vzdržujeta le dva projektna partnerja, težko pride do ključnih prebojev, ki bi omogočali visoko sporazumevalno zmožnost v manjšinskem jeziku, uravnoteženo dvojezičnost in razvoj lokalnih idiomov znotraj slovenskega jezikovnega kontinuuma. Je pa lahko tak portal, predvsem s svojimi izhodišči, primer dobre prakse, ki bi jo veljajo razširiti in implementirati na ravni nacionalne jezikovne politike.

Bibliografija: Benmamoun, E.; Montrul, S.; Polinsky, M. (2010) »White paper: Prolegomena to heritage linguistics«. Harvard University, 12: 26–43 (dostop: https://scholar.harvard.edu/mpolinsky/ files/hl_white_paper_june_12.pdf, 6. 8. 18). Bogatec, N. (2015) »Šolanje v slovenskem jeziku v Italiji«. Razprave in gradivo: revija za narodnostna vprašanja / Treatises and documents: journal of ethnic studies, 74: 5-21. Ferguson, Ch. A. (1959) »Diglossia«. Word 15: 325-340. Fishman, J. (1967) »Bilingualism with and without Diglossia; Diglossia with and without Bilingualism«. Journal of Social Issues, 23: 29-38. Gorjanc, V. (2017) Nije rečnik za seljaka. Beograd: Biblioteka XX vek. Grgič, M. (2016a) »The identification and definition of the minority community as an ideological construct: the case of Slovenians in «. Razprave in gradivo: revija za narodnostna vprašanja / Treatises and documents: journal of ethnic studies, 77: 87-102. Grgič, M. (2016b) »Lo sloveno in Italia: fenomeni di contatto linguistico tra pragmatica, percezione e ideologia«. Ricerche slavistiche, 60: 387-415. Grgič, M. (2017) »Teoretska izhodišča in metodološki okvir pri izdelavi uporabnikom prijaznega spletišča: primer platforme SMeJse – slovenščina kot manjšinski jezik«. Gorjanc, V. et al. (ur.) Slovenščina v dvojezičnih okoliščinah. Slovenščina 2.0, 5(2): 85-112 (http:// slovenscina2.0.trojina.si/arhiv/2017-2/2017-2-05/). Grosjean, F. (2010) Bilingual: Life and Reality. Cambridge (Massachusetts); London (England): Harvard University Press. Jagodic, D.; Kaučič Baša, M.; Dapit, R. (2016) »Situazione linguistica degli sloveni in Italia«. Bogatec, N.; Vidau, Z. (ur.) Una comunità nel cuore dell‘Europa: gli sloveni in Italia dal crollo del Muro di Berlino alle sfide del terzo millennio. Roma: Carocci. 70-95. Kaučič Baša, M. (1997) »Where do Slovenes speak Slovene and to whom? Minority language choice in a transactional setting«. International journal of the sociology of language, 124: 51-73. Kaučič Baša, M. (2004) »Ohranjanje slovenščine pri Slovencih na Tržaškem in Goriškem: nekaj elementov za tezo o vzrokih opuščanja manjšinskih jezikov«. Slovenščina v šoli, 9(3): 12-19.

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65 Antonio Rocco*

»Aplikacija RTV CapoDistria: italijanski programi Radio- televizije Slovenija na spletu in v mobilnih omrežjih«

Dovolite mi, da na začetku svojega izvajanja, spregovorim na kratko o tem od kod prihajam, da vam razložim zanimivo zgodovino Radia in Televizije Koper – Capodistria ter, da vam povem, kaj danes smo in kaj delamo. To se mi zdi še posebej pomembno v trenutku, ko razmišljamo, kako razvijati odnos narodnih skupnosti do novih medijev.

Koper se je po drugi svetovni vojni, zaradi političnih in gospodarskih razmer, pred– vsem pa kot obmejno stičišče slovenske in italijanske kulture, narodov in manjšin, razvil v pomembno in edinstveno informacijsko središče, ki sta mu poseben pečat dala najprej Radio Koper – Capodistria, nato pa še TV Koper – Capodistria.

Radio Koper – Capodistria in TV Koper – Capodistria se danes povezujeta v regionalni RTV center Koper – Capodistria, ki ustvarja, pripravlja in oddaja radijski in televizijski program v slovenščini, radijski in televizijski program za italijansko narodno skupnost, radijski in televizijski program za slovensko manjšino v Italiji ter pripravlja oddaje za nacionalne radijske in TV programe. V njem delujejo štiri uredništva štirih programov – dveh radijskih (Radio Koper in Radio Capodistria, italijanski program), na ločenih frekvencah in dveh televizijskih programov v slovenskem in italijanskem jeziku, na istem kanalu.

S svojimi oddajami, opravljajo izredno pomembno vlogo pri obveščanju in povezovanju manjšin, razvijanju dobrososedskih odnosov z Italijo in Hrvaško ter odpiranju Slovenije v svet, pa tudi vedno bolj pomembno regionalno in dopisniško funkcijo.

Radio Koper se je prvič oglasil 24. 5. 1949 zvečer z imenom Radio jugoslovanske cone Trsta – Radio Trieste zona Jugoslava, redno pa je začel oddajati naslednje jutro 25. 5. 1949. Bil je last podjetja D.D. Radiofonia S.A., ki ga je ustanovila takratna jugoslovanska vojaška uprava Cone B bivšega Svobodnega tržaškega ozemlja. Po ukinitvi STO se je leta 1954 združil z Radiom Ljubljana, oglašati pa se je začel z imenom Radio Koper, naslednje leto pa so njegovo ime dopolnili v Radio Koper – Capodistria. Do leta 1954 je oddajal program v slovenščini, italijanščini in hrvaščini.

* Antonio Rocco, Stellvertretender Generaldirektor für die Radio- und TV-Programme für die autochthone italienische Minderheit, RTV Slovenija, Koper/Capodistria, Slowenien

66 Od 1954 do 1979 je bil program pretežno v italijanščini, dva kratka slovenska bloka sta bila le v jutranjem in večernem času. Leta 1979 sta se programa ločila in dobila vsak svojo oddajniško mrežo.

Radio Koper-Capodistria je kot obmejna in manjšinska radijska postaja v zgodovini tega območja odigral izredno pomembno vlogo pri zbliževanju sosednjih narodov, posebej v času hladne vojne. Dolga leta je bil ena izmed treh najbolj poslušanih radijskih postaj v Italiji, njegov signal pa je segal celo do obal Afrike. Po osamosvojitvi Slovenije je koprski radio postal organizacijska enota Javnega zavoda RTV Slovenija, ki je ukinila oddajniški sistem v Italiji in čezmejni program preusmerila samo v manjšinski in regionalni, programa pa sta se po večkratnem spreminjanju imen dokončno preimenovala: slovenski v Radio Koper, italijanski pa v Radio Capodistria.

Radio Koper, slovenski program, ni zgolj lokalni ali regionalni radio. Zaradi zgodovinske vpetosti v dogajanje ob meji in posebne pozornosti do manjšine je predvsem radio posebnega nacionalnega pomena. Radio Koper je tudi ena izmed najpomembnejših kulturnih ustanov na nacionalno najbolj izpostavljenem območju.

Radio Koper je najbolj poslušan radijski program na Primorskem, poslušajo ga na obeh straneh slovensko-italijanske meje. Veliko poslušalcev ima tudi v hrvaški Istri. V Sloveniji je med desetimi najbolj poslušanimi radijskimi postajami.

Radio Capodistria, italijanski program, na drugi strani, s svojo dejavnostjo presega golo izvajanje ustavnih pravic italijanske narodne skupnosti. Deluje že dolgo kot subjekt, ki ga ni mogoče izvzeti iz celotne medijske podobe našega čezmejnega področja. Je subjekt, ki je danes odprto okno v svet, naš samosvoj svet, ustvarjen iz dialoga med različnostmi. Radio italijanske narodne skupnosti je zaradi svoje zgodovinske vloge, zaradi svoje geopolitične umeščenosti, enkraten primer dejavnega in ustvarjalnega sožitja v okolju, ki je po svoji zgodovini in svojem izboru večkulturno in čezmejno. To je tudi eden od razlogov, zaradi katerih je danes Radio Capodistria predvsem evropski radio, ki kot tak tudi mora soustvarjati s svojim okoljem. Ob spoštovanju tradicije, zavedajoč se zapletenosti današnjega časa in v nenehnem razvoju, poskušamo najti ključ za kakovosten razvoj naših programov.

Televizija je začela oddajati leta 1971 in je, tako kot radio, hitro postala zelo priljubljena doma in v sosednji Italiji. V Kopru danes delujeta dva televizijska programa. Regionalni TV program Koper – Capodistria ima po Statutu in Zakonu o RTV Slovenija natančno opredeljeno vlogo opravljanja svojih temeljnih funkcij, priprave in oblikovanja regionalnega programa vseh zvrsti, ki ga oddaja na svojem kanalu, dopisniškega dela za informativne in kulturne oddaje TV Slovenija in pripravo programa, ki povezuje slovensko manjšino v Italiji z matico. Med osnovne smernice sodi krepitev narodnostne identitete, promocija regije, Slovenije in slovenske

67 manjšine preko avtorskih oddaj in vzpostavljanja partnerstva z regionalnimi TV centri v EU. Regionalni TV program posreduje svoje oddaje na lastnem kanalu, obenem pa se z mnogimi oddajami pojavlja na I. in II. nacionalnem programu TV Slovenija. Program teče od ponedeljka do nedelje v pasu med 18.00 in 19.00 uro, ob ponedeljkih in četrtkih pa tudi v večernem pasu med 22.30 in 24.00 uro. Enourni programski pas je skromen, pa vendar zadovoljuje želje kar najširšega kroga gledalcev, saj lastna frekvenca zagotavlja ustrezen doseg regionalnih TV programov po vsej Primorski regiji, v zamejstvo, preko kabelskega sistema skoraj po vsej Sloveniji in preko satelita po vsem svetu.

Temeljni vsebinski poudarek v TV programu za italijansko narodno skupnost je na celovitem spremljanju življenja in dela italijanske narodne skupnosti ter delovanja vseh njenih ustanov. Njegove naloge so ustvarjanje in razvoj sožitja, ki omogoča aktivno vključitev narodne skupnosti v vse kulturne in druge dejavnosti širšega družbenega okolja, kulturno izmenjavo in povezovanje z večinskim narodom, kulturno izmenjavo in povezovanje z manjšinskimi narodi in italofonski skupnosti. Oddajamo v pasu med 14.00 in 18.00 uro ter med 19.00 in 24.00 uro, skupno približno deset ur dnevno.

Za narodni skupnosti je zelo pomembno, da imajo dostop do sredstva javnega obveščanja. Radio in televizija sodita med močnejše integrativne dejavnike narodne skupnosti. Klasičnim medijem so se danes pridružili t. i. novi mediji.

Prihodnje leto bo prva spletna stran na Radioteleviziji Slovenija, »www.rtvslo.si« praznovala 23 let. Od samega začetka sta imela svoje strani tudi italijanska narodnostna programa. Šlo je takrat v glavnem za enostavno predstavitev oddaj in sporedov v slovenskem jeziku. Sčasoma smo razvili tudi internetne strani v italijanščini in domeni »www.rtvslo.si/radiocapodistria.si« in »www.rtvslo.si/ tvcapodistria.si« ter smo ponudili možnost spremljanja naših programov v živo (»live streaming«) preko interneta ter oddaje iz lastne produkcije, odložene v multimedijskem arhivu. Določene oddaje in projekti na radiu oddajamo tudi s posebnim avdio/video pretakanjem na naših spletnih straneh (»webradio«).

V skladu s smernicami EBU-ja, da naj se javne radiotelevizije razvijajo iz mono- v multimedijske organizacije, je RTV Slovenija konec leta 2001 ustanovila Multimedijski center. Osnovne naloge MMC-ja so ustvarjanje vsebin za nove medije, razvijanje multimedijskih aplikacij, interaktivna podpora radijskim in televizijskim oddajam, spremljanje razvoja na multimedijskem področju. V okvir MMC-ja sodijo: Uredništvo za nove medije ter oddelki Avdio-Video (RTV 4D), Infokanal ter Podnaslavljanje oddaj za gluhe in naglušne.

V okviru portala www.rtvslo.si deluje tudi portal »Slovenci v sosednjih državah - stičišče aktualnih informacij o življenju in delovanju pripadnikov slovenskih manjšin

68 v Italiji, Avstriji, na Madžarskem in na Hrvaškem«, ki ga ureja, prav iz Kopra, naša kolegica Barbara Kampos.

Razvijanje skupne ponudbe vsebin televizijskega in radijskega programa za italijansko narodno skupnost na novi aplikaciji »Capo4Distria« bo osnova tudi za širšo prisotnost naših vsebin na prenovljeni internetni strani televizijskega in radijskega programa ter, seveda, na družbenih omrežjih še posebej na Facebooku. Za krepitev digitalne platforme (aplikacija 4D) načrtujemo ustanovitev uredništva za nove medije za katerega bi bilo potrebno zagotoviti kadrovske, tehnološke in logistične zmogljivosti.

Aplikacija RTV Capodistria bo prilagojena različica uspešne aplikacije RTV 4D, ki jo je RTV Slovenija objavila v letu 20131. RTV Capodistria bo na voljo na spletu (https://capodistria.rtvslo.si/) in kot mobilna aplikacija »Capo4Distria« (iOS/Apple, Android). Design aplikacije je skladen z designom krovne aplikacije RTV 4D.

Prek aplikacije bodo na voljo vsebine italijanskih programov Radiotelevizije Slovenija:

• novice, ki jih pripravljajo novinarji Radia in Televizije Capodistria za svoje pro- grame, • RTV prenosi v živo – Radia ter Televizije Capodistria in izbranih posebnih dogod- kov, vključno s podrobnim sporedom obeh programov, • arhiv oddaj in prispevkov Radia ter Televizije Capodistria.

RTV Capodistria – spletni portal

1 Aplikacija RTV 4D je na voljo na spodnjih povezavah: spletni portal RTV 4D – http://4d.rtvslo.si; mobilne aplikacije: iOS/Apple, Android, Windows Phone

69 V okviru aplikacije je na voljo iskalnik ter možnost prilagoditve prikaza glede na interes uporabnika. Podprto bo tudi prikazovanje italijanskih podnapisov, v kolikor se bo TV Capodistria odločila za podnaslavljanje oddaj (npr. za potrebe gluhih, naglušnih ali starejših).

Tema jezikovnih manjšin in novih medijev je zapleteno vprašanje. Justin Kings, bivši urednik BBC-jevega londonskega radia, meni, da družbena omrežja, ne glede na njihovo razširjenost, ne morejo nadomestiti klasičnih medijev. V novih medijih najdemo ogromno t. i. lažnih vesti ali »fake news«, kot radi rečemo danes. Pri tem ostaja ključno delo novinarjev, ki s svojo strokovnostjo ločujejo, kaj je pomembno in kaj ni ter informacijo dajejo v pravi kontekst.

Seveda je vprašljivo, kako se novinarstvo razvija danes, ujeto med tradicionalne medijske industrije in nove izrazne možnosti, ki jih digitalna omrežja ponujajo. Katere sposobnosti mora imeti poklicni novinar za preživetje v okolju, v katerem nima več monopol na novice? Kakšni so novi jeziki, s katerimi se mora seznaniti?

Jasno je, da si novinar danes ne more več privoščiti, da je računalniški neuk ter, da mora upoštevati socialna omrežja kot prvovrstno delovno orodje in vir informacij.

Tehnološke inovacije, zlasti v zvezi z elektronskimi mediji, radia in televizije v prvi vrsti, so prej ali slej vplivale na »jezik« in na »podobo« teh medijev. Pojav barvne televizije v sedemdesetih letih dvajsetega stoletja je očiten primer. Skoraj sočasen prehod radia s srednjega vala na mrežo UKV, je omogočil npr. nastanek v Italiji tako imenovanih »radio libere« (»svobodnih« radijskih postaj) in nato komercialnih radijskih postaj. Pojav satelita in nedavno digitalne prizemne televizije (DVB-T) je močno povečal število razpoložljivih televizijskih kanalov. Število »brezplačnih« (»free«) kanalov, »plačljivih« (»pay«) ali programov »na zahtevo« (»on demand«) se je pomnožilo. Izziv sedanjosti je mobilnost: vse je vedno na voljo na vseh platformah. Nove informativne vsebine morajo imeti lastnosti »digital 1st & mobile 1st«, torej morajo biti mišljene in realizirane prvotno v digitalni obliki ter pripravljene za predvajanje na različnih mobilnih napravah.

Radio Capodistria in TV Koper – Capodistria sta zelo kmalu spoznala pomen »biti« tudi na novih tehnoloških platformah. V imenu multimedije (izraz, ki je, mimogrede, do nedavnega bil zelo popularen in ga danes praktično ne uporabljamo več), smo v preteklosti realizirali številne projekte ter objavili in distribuirali našo najboljšo produkcijo, na začetku na avdio in video kasetah (VHS), potem na CD-jih, CD- ROM-ih in DVD-jih. Kasneje smo se usmerili proti satelitu.

V Kopru se zavedamo, da bi brez razvoja partnerstva in sodelovanja z izdajatelji drugih manjšinskih medijev tvegali izolacijo in nevarno zaostajanje na tehničnem

70 in na drugih področjih. Iz te zavesti se je leta 1999 rodila ideja o čezmejni televiziji. V projektu so vključena slovenska in italijanska uredništva Deželnega sedeža RAI v Trstu in Regionalnega RTV centra Koper – Capodistria. Sodelovanje je prineslo veliko koristi za obe strani: več kot 400 ur letno izmenjave programov, številne koprodukcije in skupni dvojezični projekti, nekateri zelo pomembni, kot je bila slovesnost ob vstopu Slovenije v EU v Gorici in Novi Gorici v letu 2004 ali pastoralni obisk svetega očeta v Ogleju (Aquileia). Predvsem pa je Čezmejna televizija omogočila razvoj slovenskega manjšinskega programa na tretji mreži RAI »bis« v Furlaniji-Julijski krajini (zdaj se je mreža razširila na celotno deželo) in italijanskega programa v Kopru. Ob tej priložnosti bi spomnil tudi, da smo na TV Koper – Capodistria v sodelovanju z Deželnim sedežem ORF iz Celovca (Klagenfurt) emitirali italijansko verzijo mesečnika »Servus, Srečno, Ciao«.

Kar zadeva Internet, po prvih korakih s spletno stranjo TV Capodistria (www.rtvslo. si/tvcapodistria), proti koncu devetdesetih let, in malo kasneje, z vzpostavitvijo spletne strani Radia Capodistria (www.rtvslo.si/radiocapodistria) na portalu RTV Slovenija, sta se naša medija tudi uradno pojavila na svetovni mreži. Danes sta zelo dejavna tudi s svojima profiloma na Facebooku. Naslednji korak je, kot smo omenili, razvoj mobilne aplikacije. V načrtu imamo še razvoj druge aplikacije z vsebinami, ki bodo prilagojene mlajši publiki.

Zelo verjetno je, da novi mediji ne bodo popolnoma nadomestili starih. To ne pomeni, da smo brezskrbni in pasivno opažamo kaj se dogaja. Bivša evropska komisarka za digitalno agendo Neelie Kroes je zapisala, da si nihče – od politikov do založnikov in producentov vsebin – ne more privoščiti, da se ne bi aktivno odzval na izzive digitalne transformacije. Pri tem je pomembno dogovoriti skupna načela v cilju branjenja vrednot medijskega pluralizma, ki je ključnega pomena za demokracijo.

Svet »novih medijev« je le del širšega dogajanja, to je svet, kjer so spremembe nekaj vsakdanjega. V teh globalnih spremembah je treba ustrezno postaviti medije narodnih skupnosti, saj obstaja resno tveganje njihove nadaljnje marginalizacije, če ne le njihovega dokončnega izginotja. Nove naložbe, strokovno usposabljanje novinarjev in drugih sodelavcev: vse to stane, a sredstev je, kot vemo, vse manj. Pri tem nam ni vedno jasno, v katero smer bodo šle spremembe. Naše izbire so tvegane a vendarle ne smemo zaostajati! To je naša usoda: biti del globalnega dogajanja in hkrati ohraniti našo specifiko. To je ogromen izziv za velike narode, kaj še le za narodne manjšine!

71 Nils-Erik Forsgård*

Digitalization as a Losing Game The Case of the Swedish-speaking Finns

I would like to open my contribution here today by referring to two recent studies concerning digitalization and my home country Finland.

The first study, a so called Digibarometer that was performed by a Finnish research institute, states that Finland is the number one country when it comes to digitalization, in comparison with 22 other countries. The other Nordic countries Norway, Sweden and Denmark took the following positions in this Finnish survey. This so called digibarometer measures the degree of digitalization in a given country on 3 different levels: regarding so called preconditions, regarding current utilization and regarding the effects of utilization. These levels are then mirrored against developments within 3 different sectors, namely companies, citizens and the public sector.

According to this year´s survey, Finland has globally the best preconditions to take an advantage of deepening digitalization. When it comes to current utilization Finland ranks fifth and in the effects of utilization third. In the private sector Finland is the clear frontrunner, followed by Denmark and South Korea.

So, this was research presented by a Finnish company a few months ago. Just last week there was another research result, presented by the US company Boston Consulting Research Group. This research focused more on the business side of digitalization. The report states that Finland, in a global perspective, is losing ground when it comes to digitalization and especially when it comes to such things as shopping on the web. According to this American report Finland was one of the front runners in the early stages of digitalization, when it came to such things as creating the first wave of internet banking and the first web shops.

But things have changed. Finland is rapidly losing ground. In this darkening development Finland is not alone. All the other Nordic countries are also said to be losing ground to the US and to China, mainly due to the same reasons as in Finland.

* Dr. Nils Erik Forsgård, Direktor, Think-Tank Magma, Helsinki/Helsingfors, Finnland

72 What does this implicate? Well one of the examples put forward by BCG is for instance pricing of products. According to BCG many firms and banks in the US already take care of their pricing via algorithms, whilst in Finland it is still human beings that take care of pricing. The same goes for credits in banks. In the US credits for house building are based on advanced algorithms that do not need human beings as middlehands at all.

So, why is Finland losing ground? According to a Finnish specialist in digitalization it boils down to two things: first of all to a risk avoiding business culture and secondly to old fashioned ways of doing business. I am quite sure that this report would strike many Finns as very strange. Many of the prerequisites for digitalization have been in place in Finland for many years already, not least thanks to Nokia:

1) there are fast broadband-connections almost all over the country,

2) there are consumers that are used to mobile activities,

3) the level of education is pretty high and, as already stated,

4) Finland had a good start in the early stages of digitalization, thanks to Nokia.

But still Finland seems to be lagging in the global competition based on wave number two or perhaps three when it comes to digitalization. Which leads me to an initial conclusion: digitalization is not just about mobile phones or other hand held devices. It is as much about visions and attitudes.

It seems to me that there are only one or two fields where there is a general consensus that digitalization has changed things very quickly. The first is data communications as such, the explosion of mobile phones etc. The second is the media landscape in general. And this is where digitalization seems to currently affect minorities in Europe the most. And when I say this I mean it both in a positive and in a negative manner. Digitalization carries many good things but it also carries challenges for vulnerable minorities.

My introduction here today will be about the Swedish speaking minority in Finland but I guess that many of the things that I say can be applied to, or extended to, other minorities in Europe as well.

So, let me just very briefly refresh your memory regarding the Swedish speakers in Finland 5% of the total population. Swedish is a national language in Finland

73 and from a strictly legal point of view, from a de jure point of view, we, the Swedish speakers do not form a minority. The largest minority in Finland would be the Russian speakers.

But from a de facto point of view the Swedish speaking minority is a minority in Finland. One of the main differences between Swedish speaking Finns and many other minorities in Europe is a geographical one. It is a basic fact that many minorities in Europe live in secluded valleys or in suburbs to big cities or in villages or something like this. But we, the Swedish speaking Finns live in two main areas, in a total mix with the Finnish-speaking population.

The two main areas I mention here could be called the southerly settlement and the northern settlement.

So we have a southerly area of settlement which lies east and west of Helsinki. It comprises approximately 185.000 Swedish speakers and it also includes the Åland Islands and the Turku Archipelago. A very high amount of the Swedish speakers live in urban centers or cities.

There is also a northern area of settlement, called Ostrobothnia, with about 100.000 Swedish speakers. The southern area is more urban, whilst the northern area is more rural in its character. I will not say much more about the circumstances for the Swedish speakers here, but the facts I have mentioned are important also in order to understand the effects of digitalization on the Swedish speaking minority.

What has to be stressed here is that the Swedish-speaking population of Finland constitutes a linguistic minority. What keeps the Swedish speakers together is basically the Swedish language. It is from this language that the Swedish-speaking culture emanates.

Finnish is the dominant language in most towns and at most employers in Finland. However, it can also be said that approximately 50% of all Swedish speakers live in areas in which Swedish is the majority language and in which they can use Swedish in all or almost all important contexts. One of the major challenges in Finland today, for us, is to avoid Swedish becoming a school and a home language.

There are also some other major challenges. In terms of percentage the Swedish speaking population is shrinking, not least

1) due to a quickly growing Finnish-speaking population

2) due to immigration

74 and 3) due to a large emigration of young Swedish speakers to Sweden.

What then is the effect, or are the effects, of digitalization on the Swedish speaking minority in Finland? Well, on a general level it has been said that not more than 5 % of the world’s languages will survive the ongoing flow of digitalization. It sounds pessimistic, but I guess there is a kind of truth to it. Digitalization has become something of a double-edged sword for minorities: it provides us with cost effective possibilities to organize services in our own language, but at the same time we are suffering from competition levelled out by the large languages, not least English.

This trend seems to be accentuated in the case of the Swedish speaking Finns, a case where digitalization might be quite a losing game in the long run. Let me explain. The main problem for us in Finland is not digitalization per se, but it is the fact that we seem to have ourselves to blame for many of the challenges.

The Swedish speaking Finns today can, on a general level, be said to be multilingual. They live their lives in 3 languages, Finnish, Swedish and English. Amongst the elderly this is not necessarily the case. Many elderly do not even speak Finnish. There is also a small percentage amongst people under 45 that do not speak a very good Finnish – or speak Finnish at all.

What we see amongst the Swedish-speakers today is quite a troublesome development. Statistics and surveys show that 92 % of the Finnish-speaking Finns use the Finnish language media as their major news sources. 8 percent of the Finnish speakers use English language pages as their main media sources.

The trend amongst the Swedish speakers is dramatically different. Only 44 % of them use mainly Swedish language sites, whilst 32 % use sites in Finnish and 24 % use sites in English. This survey includes the total population in Finland. In comparison with other European ethnic or linguistics minorities is the tendency amongst Swedish speaking Finns to use sites in English particularly high.

And when we take a look at the differences between the southerly settlement and the northern settlement the trend gets a new dimension. The Swedish speakers and the bilinguals in the southerly settlement area are in this case particularly disloyal when it comes to Swedish language news sites. More than 45 % prefer English language news sites to Swedish or Finnish language sites. And amongst 17-19 years old the situation is almost dramatic: only 7 percent state that they use Swedish language sites for news gathering.

75 This situation in Helsinki and in other areas in the south can be compared to the situation in the northern settlement where English language sites are less popular and where sites that emanate in Sweden are much more popular. In other words: younger Swedish speakers in the south rely on the English language, whilst Swedish speakers in the north tend to be more loyal to their own language.

What are the reasons for this?

Well, one obvious reason is the fact that Swedish speakers in the south since childhood are socialized to the Finnish language to a much higher extent than the northern Swedish speakers. Another major factor is the interrelation between TV- language and internet language. In comparison to the situation in or in Germany we in Scandinavia do not dub the movies, we use subtitles. English is therefore a natural part of the daily life since early childhood.

In this context it has to be noted that the main source for news for Finns under 45 years is the Internet. For people older than 45 the same goes for traditional television. The largest Swedish-language daily in Finland, called Hufvudstadsbladet (HBL), reports that since 2015 the digital version of the paper is larger than the print version. This per se is not surprising, but the main source for revenues is still the printed paper. So, even though the technical and mental positioning today seems to be all about digitalization – well, still the financial equation does not add up. The willingness in the general audience to pay for digital news is still very low and the costs for printing and distributing the traditional paper is growing rapidly. It can also be noted that over 60 % of the readers of the printed version of Hufvudstadsbladet are older than 60 years, and furthermore also that a majority of the subscribers are Finnish speaking. Only 15 % of the subscribers to HBL are younger than 40.

When it comes to the usage of the national broadcasting company YLE and its services in Swedish the trend is the opposite: people under 45 are basically no longer watching broadcasted news via television. They prefer net based services.

The trend away from the printed paper tends to accentuate the effects of digitalization. The printed paper used to be a source for common news and happenings amongst the Swedes, particularly in the south. This is no longer the case. The fading away of the printed paper tends to open the gates for a linguistic transformation from Swedish to English or Finnish on the web. And this is of course potentially a problem for a linguistic minority as the Swedish speaking Finns.

The lack of linguistic loyalty in the southerly settlement, and then especially amongst people under 40 years, already has had some dramatic consequences: the business conglomerate KSF-Media, which is responsible for financially upholding Hufvudstadsbladet and several other Swedish speaking papers in the south, made a total loss of over 7 million euros in the fiscal year 2015. The other Swedish speaking media conglomerate, called HSS-Media, which is active in the northerly settlement, has, after a few bad years, finally managed to make a turn around and is now again profitable. The reason to me seems obvious: the loyalty towards the Swedish language in the north is much higher, not least because the population there is much more homogenous than in the south.

So, in the case of the Swedish speaking Finns it seems that digitalization especially within media is creating a growing divide between the southern settlement and the northern settlement. This per se does not have to be dramatic or have dramatic effects. Both areas are quite well off and successful in their own ways. And the world is, after all, a changing place.

But the growing divide also accentuates or highlights the socio-economic and intellectual differences between a highly urban southern settlement and a more rural northern settlement. Or to put it in other words – digitalization might easily contribute to a growing division or split between the Swedish speakers in Finland. And we all know that one of the big challenges in Europe today are the growing differences between big cities and the surrounding country, whether the divide runs from south to west or from north to south.

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Beiträge zur 1. Kärntner Menschenrechtsenquete am 7. Dezember 2017 in Klagenfurt am Wörthersee

„Aspekte und Bekämpfung des Menschenhandels in Kärnten“ Elisabeth Tichy-Fisslberger*

Menschenhandel im Alltag

Vor etlichen Monaten erschienen in den Medien Schlagzeilen wie etwa diese: „Zwei Migranten für 730 € zu haben“. Sie basierten auf Handybildern von nächt- lichen Szenen in Tripolis, die festhielten, wie Männer aus Subsahara-Afrika buch- stäblich versteigert wurden. Es kam zu einem internationalen Aufschrei, nicht nur, weil die meisten Zeitgenossen Sklavenhandel für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus längst vergangener Zeit halten, sondern auch weil Sklaven- handel ja auch in Libyen verboten ist. Nur: wo kein Kläger da kein Richter, und wo keine staatliche Kontrolle besteht, sondern nur ein ständiger Kampf verschiedens- ter Fraktionen, da haben Kriminelle leichtes Spiel.

Libyen war lange Zeit so etwas wie eine „Lunge“, von deren Atem die Wirtschaft vieler afrikanischer Staaten profitierte. Aus allen Richtungen waren Menschen nach Libyen gekommen, um in der Ölwirtschaft Geld zu verdienen. Als das nicht mehr funktionierte, wollten sie nach Hause zurück. Daran aber wurden sie von kriminel- len Organisationen gezielt gehindert: in aller Regel ging es darum, die Verwandten dieser unglücklich gestrandeten Menschen zu erpressen.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzte Anfang 2018, dass etwa 700.000 Menschen in Libyen gestrandet seien. So ganz genau wusste das niemand, aber an der Größenordnung hat sich wohl auch seither nicht viel geändert.

Menschenhändler der oben beschriebenen Art kommen üblicherweise aus den Ländern, in denen dieser Handel floriert, und aus deren Nachbarländern, deren Verhältnisse sie genau kennen und ausnützen.

Was sie tun, gehört zu den schlimmsten Schattenseiten unserer globalisierten Welt – so wie Menschenhandel – ganz allgemein gesprochen – ein Zeichen für die vielen Brüche und Umbrüche ist, die wir zur Zeit erleben:

• Kriege, • humanitäre und ökologische Katastrophen, • gravierende staatliche Unzulänglichkeiten in vielen Ländern mit Schlupf- löchern, die von kriminellen Netzwerke geschickt ausgenützt werden,

* Elisabeth Tichy-Fisslberger, Botschafterin bei den internationalen Organisationen in Genf, von 2007 bis 2017 Nationale Koordinatorin zur Bekämpfung des Menschenhandels, Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, Wien, Österreich

80 • endemische Korruption, deren Protagonisten sich keine Gelegenheit entge- hen lassen, • das Entstehen von immer mehr „failed states“ – gescheiterten Staaten, • die Vervierfachung der Weltbevölkerung in nur einem Jahrhundert, ohne, dass die entsprechenden Infrastrukturen „mitgewachsen“ wären, • das Zusammentreffen von uralten Traditionen und digitalem Zeitalter auf relativ engem Raum, • Gesellschaften, die trotz rasanter äußerer Entwicklungen patriarchalisch geblieben sind und Menschen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihres Geschlechts diskriminieren, • Terrorismus – auch in unserer Nachbarschaft • und letztlich das Vorhandensein vieler größerer und kleinerer krimineller Trittbrettfahrer, die alle diese Phänomene nützen, um ihre Geschäfte mit der Ware Mensch zu machen.

Zu Menschenhandel kommt es oft gerade dann, wenn mehrere solcher Fehlent- wicklungen aufeinandertreffen.

Wenn Menschen so unfassbar arm sind, dass sie selbst bzw. ihre Körper oder ihre Arbeitskraft ihre einzige „Währung“ sind, sind sie unter Umständen bereit, jedes auch noch so große Risiko einzugehen, um ein vermeintlich besseres Leben zu finden, weil sie glauben, dass es nicht mehr schlimmer werden kann, und weil sie nicht über das bisschen Bildung oder Erfahrung verfügen, das ihnen helfen würde, falsche Versprechungen als solche zu erkennen und nicht in die Falle derer zu tappen, die ihre Leichtgläubigkeit mit unfassbarer Brutalität und Skrupellosigkeit missbrauchen.

Die Opfer des Menschenhandels sind fast immer sehr verletzbar – verletzbarer als andere – etwa weil sie, da wo sie leben, ausgegrenzt oder diskriminiert werden, weil sie behindert oder krank sind oder dem – in manchen Ländern wirklich sehr schwachen – Geschlecht angehören.

Vielleicht stellen Sie sich jetzt die Frage: Was hat das eigentlich mit uns zu tun? Die Antwort darauf muss leider lauten: „Mehr als die Fragesteller auf den ersten Blick vermuten würden.“

Wenn die Welt zwei bis drei Flugstunden von Europa aus den Fugen geraten ist, und die Menschen dort nichts anderes als weg wollen, dann sehen wir die Folgen auch in unseren Breiten.

Wir wissen von den verschiedensten Spielformen des Menschenhandels – auch in den relativ gut organisierten und abgesicherten europäischen Ländern. Die

81 häufigste davon ist die Zwangsprostitution, also die sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Frauen. Sie betrifft 70-80% aller Fälle von Menschenhandel.

Die zweithäufigste Form des Menschenhandels ist die Arbeitsausbeutung, d.h. die – oft gar nicht oder nur sehr schlecht bezahlte – Ausbeutung der Arbeitskraft von Menschen in Branchen, in denen die Arbeitnehmer keine besondere Ausbildung brauchen und für die Öffentlichkeit kaum sichtbar operieren.

Arbeitsausbeutung ist seltener als Zwangsprostitution. Sie ist aber von besonde- rem Interesse für unser Thema „Menschenhandel im Alltag“, weil sie diejenige Form des Menschenhandels ist, mit der „Normalbürger“ in unseren Breiten am ehesten in Kontakt kommen können:

• etwa wenn Bauunternehmer einen ganzen „Rattenschwanz“ von Sub- unternehmen beschäftigen, und der letzte in dieser Kette seine Arbeitnehmer ausbeutet: es könnte sich um Gebäude handeln, die jeder von uns schon einmal betreten hat; • wenn in der Landwirtschaft schlecht bezahlte Arbeitnehmer nur für die Erntezeit aus dem Ausland geholt und dann sogleich wieder zurückgeschickt werden: jeder von uns könnte ein Käufer sein, dem besonders mühsam zu erntendes Obst oder Gemüse erstaunlich billig angeboten wird; • wenn die Verwendung von Zwangsarbeit in der einen oder anderen Lieferkette dafür sorgt, dass bestimmte Waren unfassbar preiswert verkauft werden: es wird fast niemanden geben, der nicht schon einmal mit Billigketten des untersten Preissegments zu tun hatte; • wenn Pflegekräfte aus dem Ausland geholt und – unter Missachtung aller Bestimmungen – unter Tarif bezahlt werden und den privaten Haushalt, in dem sie arbeiten, kaum je verlassen dürfen: es könnte sein, dass es solche Fälle auch in Ihrer Nachbarschaft gibt; • wenn Sie einem Bettler Geld geben, könnte es sein, dass er den entsprechen- den Erlös nicht behalten darf, sondern an andere abliefern muss; • es gibt auch Menschen, die zum Stehlen gezwungen werden und ihre Beute Abend für Abend abliefern müssen: ich wünsche Ihnen nicht, dass Sie diesen begegnen. • Auch unter den Agenturen verschiedenster Art – Arbeitsvermittlungs-, Model-, Heiratsagenturen – können sich Menschenhändler herumtreiben, die ihre Opfer unter Vortäuschung falscher Tatsachen in ihr Unglück locken – auch in unseren Breiten. • Das Internet tut oft noch ein Übriges: da gibt es Webseiten für „Mail order brides“ und viele andere kriminelle Geschäfte, die den Strafbehörden oft eine Nasenlänge voraus sind. Ganz zu schweigen vom Dark net – und die digitalen Währungen kommen diesen Geschäften zumeist auch zugute.

82 Derlei „Geschäftsmodelle“ können dazu führen, dass man auch in Österreich auf unfassbar grausame Geschichten stößt:

MEN-Via, eine nicht-staatliche Organisation mit Sitz in Wien, die männliche Opfer des Menschenhandels betreut, kann von derartigen Fällen erzählen: etwa von einem Mann, der mit einem abgeschnittenem Finger in einem Plastiksack anonym beim AKH abgesetzt wurde, oder von einem anderen Mann mit einem verletzten Bein, der – ebenfalls anonym – mit einer Scheibtruhe zu einem österreichischen Busbahnhof gebracht wurde, weil man ihn auf diese Weise möglichst unbemerkt in ein entferntes Land zu bringen hoffte. In beiden Fällen handelte es sich um Arbeitsunfälle, für die – mangels Unfallsversicherung – niemand die Verantwortung übernehmen wollte.

In Konfliktregionen, die oft nicht weit von hier liegen, kann es zu noch brutaleren Erscheinungsformen des Menschenhandels kommen: zum Beispiel zu Geisel- nahmen, um Geld zu erpressen, zum Anwerben von Kindersoldaten, oft indem man sie ihren Eltern für eine unvorstellbar geringe Summe abkauft oder zu Organ- handel – einem der lukrativsten Geschäfte überhaupt: In Indien haben viele Rikscha-Fahrer eine große Narbe am Rücken, sie beweist zumeist, dass die Rikscha mit einer Niere bezahlt wurde. Auch mit diesen Menschen könnte jeder von uns in Kontakt kommen – z.B. im Urlaub. Manche Menschenhändler bringen es sogar fertig, ihre Opfer zu Selbstmordattentätern zu machen.

Der Weg vom Menschenhandel zu anderen Gewaltverbrechen ist mitunter nicht sehr weit. Dem völlig skrupellosen und brutalen Einfallsreichtum der Täter sind keine Grenzen gesetzt, und so entstehen immer wieder neue grausame Trends. Zum Beispiel haben sich die Kriminellen wie Blutegel an die großen Migrations- ströme unserer Zeit geheftet.

Studien zeigen, dass die Gefahren einer Überfahrt über das Mittelmeer vielen Betroffenen vor Antritt ihrer Reise durchaus bewusst sind: Interviews mit äthiopischen und eritreischen Frauen zeigen, dass sich diese wegen des hohen Vergewaltigungsrisikos schon im vorhinein „ausreichend mit Verhütungsmitteln und Abtreibungspharmaka versorgen“. Abgründe tun sich auf.

Insgesamt wissen wir über die Vorgangsweisen, vor allem aber über die Netzwerke der Menschenhändler und ihre Verzweigungen immer noch sehr wenig. Es handelt sich um die vermutlich am wenigsten beleuchtete Form der organisierten Großkrimi- nalität in unserer Gesellschaft – was freilich nichts daran ändert, dass Menschenhandel allen Schätzungen zufolge die zumindest drittlukrativste Variante des organisierten Verbrechens nach Drogenhandel und illegalem Waffenhandel ist. Für die Täter ist er aufgrund der hohen Dunkelziffer aber mit dem geringsten Risiko verbunden.

83 Wenn sich die Bekämpfung des Menschenhandels für Polizei und Justiz als be- sonders schwierig erweist, so liegt das nicht etwa daran, dass es nicht genug Rechtsinstrumente gäbe. Im Gegenteil: es gibt sie auf allen Ebenen – der natio- nalen, der regional-europäischen wie auch der internationalen.

Der älteste – heute freilich nur noch in historischer Sicht interessante – Rechtsakt in diesem Zusammenhang ist die Wiener Kongressakte aus 1815, die den Skla- venhandel erstmals international ächtete. Auch in der ersten Hälfte des 20. Jahr- hunderts gab es vereinzelte Konventionen.

Die erste internationale Definition des Menschenhandels der Nachkriegszeit ent- hält das sog. Palermo-Protokoll „zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels“, das im Jahr 2000 im Kontext der „UN-Konvention gegen die grenzüberschreitende organi- sierte Kriminalität“ verabschiedet wurde.

Diese Definition sieht 3 charakteristische Wesensmerkmale des Menschenhandels vor:

• eine Handlung – wie etwa das Anwerben, Beherbergen, Aufnehmen, Beför- dern, Anbieten oder Weitergeben eines anderen Menschen; • ein unlauteres Mittel – wie etwa die Anwendung von Zwang oder Drohungen und • einen bestimmten Zweck, nämlich die Ausbeutung der entsprechenden Person.

Das Palermo-Protokoll verpflichtet alle Staaten dazu, Menschenhandel unter Strafe zu stellen und Massnahmen zu setzen, um diesen so gut wie möglich zu unterbinden.

Die Bestimmungen wurden später durch nationales österreichisches wie auch regional europäisches Recht präzisiert und differenziert: Die Konvention des Europarats aus 2005 „zur Bekämpfung des Menschenhandels“ sieht erstmals neben den strafrechtlichen Bestimmungen auch Regeln zum Umgang mit den Opfern vor. Diese haben u.a. Anspruch auf Unterbringung und Verpflegung, medizinische Versorgung, Zugang zu Bildung sowie rechtliche und psychologi- sche Betreuung in Gerichtsverfahren.

Die „Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer“ enthält noch detailliertere Regeln zu einer breiten Palette von Fragen, wie dem Umgang mit Tätern einerseits und Opfern andererseits – inklusive der Verpflichtungen des Staats in diesem Zusammenhang. Menschenhandel ist der

84 erste Tatbestand der grenzüberschreitenden Kriminalität, der von der Europäischen Union umfassend geregelt wurde. Menschenhandel ist auch eines der wenigen Delikte, das in der Europäischen Grundrechtecharta ausdrücklich erwähnt wird.

Die Medien machen zumeist keinen Unterschied zwischen illegaler Migration, Schlepperei und Menschenhandel. Kein Wunder – die Unterscheidung kann im Einzelfall äußerst schwierig sein.

Nichtsdestoweniger hätten die Medien aber die Aufgabe, die Öffentlichkeit besser darüber aufzuklären, dass vor allem hinsichtlich der Rechtsfolgen grundlegende Unterschiede zwischen diesen Phänomenen bestehen:

Flüchtlinge, die in ihren Ländern aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden, erhalten aufgrund der Genfer Flüchtlingskonven- tion und anderer auf ihr basierender Rechtsinstrumente Asyl und – damit ver- bunden – eine Reihe weiterer Rechte, wie etwa auf Aufenthalt und Inländergleich- behandlung.

Illegale Migranten, die weder Asyl noch den sogenannten subsidiären Schutz erhalten (letzterer wird Menschen gewährt, die vorübergehend nicht in ihr Land zurückkehren können), müssen das Land in aller Regel wieder verlassen.

Opfer des Menschenhandels aber haben einen völkerrechtlich verankerten An- spruch darauf, dass sie in dem Land, in dem sie sich befinden, bleiben können und dort auch in verschiedenster Hinsicht unterstützt und betreut werden (siehe oben).

Eine effiziente Bekämpfung des Menschenhandels bedarf – über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehend – eines „smart mix“ von Maßnahmen, in den im Idealfall auch die Wirtschaft mit einbezogen werden müsste. Menschenhandel ist eines der schmutzigsten Geschäfte, die man sich vorstellen kann – aber er ist eben auch das: ein Geschäft – und ein solches entsteht zumeist dort, wo Anreize – manchmal auch falsche Anreize – vorhanden sind.

Und doch ist vieles am Menschenhandel in einer grauenhaften Art einzigartig und somit besonders schwer zu bekämpfen – unter anderem aus folgenden Gründen:

Anders als die meisten Waren können Menschen immer wieder verkauft werden – und das geschieht oft leider auch tatsächlich.

Die Täter sind noch skrupelloser und brutaler als viele andere Kriminelle – und sie gewinnen fast immer. Die wirklichen Drahtzieher werden fast nie erwischt und die

85 „kleinen Fische“, die gelegentlich gefasst werden, bezeichnen Kriminalisten gern als Eidechsenschwänze – lizard tails – die wachsen nämlich nach.

Für die Menschenhändler aller Art – von Kleinkriminellenbanden bis zu Mafia- organisationen, Terror- und Guerillagruppen, Bürgerkriegsparteien, sonstigen Kom- battanten und mitunter sogar korrupten staatlichen Institutionen – sind die Opfer – nicht anders als Waffen oder Drogen – eine „Ware“, mit der sie sehr viel Geld verdienen können. Daran haben sie sich gewöhnt.

Die Erträge des Menschenhandels landen oft wieder in einem kriminellen Kreislauf: mitunter werden sie illegal in Waffen investiert – oder in Drogen, mit denen dann wiederum weitere kriminelle Handelsnetze geschaffen werden. So entsteht eine „Infrastruktur“ für immer mehr um sich greifende Formen der organisierten Krimi- nalität.

Die internationale Gemeinschaft muss alles in ihrer Macht Stehende tun, um die- ses Teufelskarussell zu durchbrechen. Das ist ohne Zweifel eine Herkulesaufgabe. Sie wird des Problems nur Herr werden, wenn sie dieses an der Wurzel anpackt, aber das ist leichter gesagt als getan. Denn die große Frage lautet: wie?

Verbote allein reichen nicht aus, wie die Geschichte immer wieder gezeigt hat: In Zeiten von Krisen und Konflikten florierte zumeist auch der Menschenhandel – zum Beispiel nach den beiden Weltkriegen. Da funktionierte er zumeist in die umge- kehrte Richtung – von ausgebrannten europäischen Staaten in Richtung Südame- rika.

Präventionsmaßnahmen, wie sie in allen internationalen Rechtsinstrumenten vor- gesehen sind, sind unerlässlich, aber ebenfalls nicht ausreichend. Sie können zur Aufklärung breiterer Bevölkerungskreise beitragen, zu einer besseren Ausbildung der relevanten staatlichen Organe und vielleicht zur Abschreckung potentieller Täter mit „einer geringeren“ kriminellen Energie.

Die kriminellen Großkartelle aber wird man nur abschrecken können, wenn es gelingt, das Geschäftsmodell Menschenhandel weniger lukrativ zu machen – und dazu würde es auch einer gewissen Mitwirkung der Gesamtwirtschaft bedürfen, z.B. einer größeren Achtsamkeit bei Lieferketten, einer stärkeren Transparenz bei Subunternehmensstrukturen oder bei den Details verschiedenster Geldströme.

Der Rechtsstaat wird diesen Kampf auch weiterhin aufnehmen müssen – schon allein weil seine Bürger nicht in einer Welt leben wollten, in der nicht zumindest der Versuch unternommen würde.

86 Berndt Körner*

Die Sicherung der europäischen Außengrenzen - neue Aufgaben für Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache

Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, wurde auf den Grundlagen der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union errichtet, die über ein Jahrzehnt lang die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der EU- Mitgliedstaaten koordiniert hat.

Während die Mitgliedstaaten nach wie vor die Hauptverantwortung für den Schutz ihrer Außengrenzen tragen, unterstützt nunmehr die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache die Kontrolle an den Land-, Luft- und Seegrenzen, indem sie die von den Mitgliedstaaten durchgeführten Aktionen an den Außengrenzen der Europäischen Union verstärkt, bewertet und koordiniert. Die Agentur koordiniert auch den Einsatz technischer Ausrüstung (Schiffe, Hub- schrauber und Boote) und speziell ausgebildeter Grenzschutzbeamter in EU-Län- dern, die einem erhöhten Migrationsdruck ausgesetzt sind. Um die heutigen Aufgaben und das derzeitige Mandat von Frontex besser zu verstehen, ist es wichtig, kurz auf die jüngste Geschichte der Europäischen Union zurückzublicken. Einer der Meilensteine in der Entwicklung der Europäischen Union in diesem Zu- sammenhang war zweifelsfrei die Schaffung des Schengen-Raums im Jahr 1995. Mit dem Schengener Abkommen wurde mit der Umsetzung eines Konzeptes begonnen, an dessen Ende unter anderem die völlige Reisefreiheit im Schengen- Raum und eine strenge Kontrolle der Aussengrenze vorgesehen war. Schrittweise erweitert und mit dem Vertrag von Amsterdam in den Rechtsbestand der Europäischen Union übernommen, wurde der Schengen-Raum in der Folge zum größten freien Personenverkehrsraum weltweit, der es europäischen Bürgern ermöglicht, über die nationalen Grenzen von 26 europäischen Mitgliedstaaten (22 EU-Mitgliedsländer und 4 assoziierte Nicht-EU-Mitglieder) hinweg zu reisen. Drei weitere Länder sind zwar schon Mitglieder des Schengen-Raumes, jedoch wurde das Vertragswerk für sie noch nicht umfassend in Kraft gesetzt. Die Entscheidung, die Binnengrenzen im Schengen-Raum zu beseitigen, erleich- terte den Handel und das Reisen und gilt – trotz bestimmter Schwierigkeiten – auch heute noch als eine der Erfolgsgeschichten der europäischen Integration.

* Mag. Berndt Körner, stellvertretender Leiter FRONTEX (Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache), Warschau, Polen

87 Durch diese Entscheidung wurde eine einzige – gemeinsame – EU-Außengrenze geschaffen und somit ist praktisch die Verantwortung für die Außengrenzkontrol- le auf alle europäischen „Grenzländer“ übergegangen. Der Schengen-Raum umfasst 42.673 km Seegrenzen, 7.721 km Landgrenzen und eine Unzahl internationaler Flughäfen und Flugfelder. Ein derart großer Raum ohne Kontrollen von Binnengrenzen birgt enorme Vorteile, verlangt jedoch nach besonderen Kontrollen an den Außengrenzen und bringt natürlich auch Bedro- hungen mit sich – darunter beispielsweise Aspekte der grenzüberschreitenden Kriminalität. Österreich trat, nach Erledigung des Beitrittsverfahrens und am 12. Juni 1994 erfolgter Volksabstimmung am 1. Jänner 1995 der Europäischen Union bei. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, wo die Europäische Union und Schengen noch zwei unterschiedliche Prozesse waren. Österreich hat – unabhängig davon – schon am 23. Juli 1993 die Schengener Vertragsstaaten um die Einräumung des Beobachterstatus mit der Perspektive des Beitritts zu den Schengener Vereinbarungen ersucht, was mit Beschluss des Exekutivausschusses in Berlin am 27. Juni 1994 gewährt wurde. Mit der Unter- zeichnung der Beitrittsakte am 28. April 1995 wurde Österreich Vertragsstaat der Schengener Gruppe und damit berechtigt, an allen Entscheidungen der Schen- gener Gruppe umfassend mitzuwirken. Im Verlaufe der nächsten zwei Jahre hat sich Österreich durch die Anpassung der innerstaatlichen Systeme und Regelwer- ke und den Abschluss von entsprechenden Verträgen auf die Inkraftsetzung vor- bereitet. Die Grenzkontrolle zu Deutschland und Italien wurde zwischen Dezember und März 1997 stufenweise abgebaut und der 1. April 1998 war dann der erste Tag ohne Grenzkontrolle zu diesen beiden Staaten, wogegen an den Grenzen zur Schweiz, zum Fürstentum Liechtenstein, zu Tschechien, zur Slowakei, zu Ungarn und zu Slowenien eine entsprechende Außengrenzkontrolle etabliert wurde. Mittlerweile sind auch diese Staaten der Europäischen Union beigetreten (oder sind assoziierte Schengen-Mitglieder), und somit gehören Wartezeiten an allen Abschnitten der Landgrenze der Vergangenheit an. Grenzkontrollen in Österreich bestehen seither grundsätzlich nur noch an den Flughäfen mit internationalem Verkehr. Der Europäische Rat für Justiz und Inneres hat seither den Rechtsbestand und die Zusammenarbeit in den Bereichen Grenzkontrolle, Migration, Asyl und Sicherheit umfassend weiter entwickelt. Im Bereich der Grenzverwaltung führte dies zum Beispiel zur Schaffung der soge- nannten External Border Practitioners Common Unit – eine Gruppe, die sich aus den Mitgliedern des Strategischen Ausschusses für Einwanderungs-, Grenz- und Asyl- fragen (SCIFA) und den Leitern der nationalen Grenzdienste zusammensetzte. Die Aufgabe dieser Common Unit bestand darin, nationale Projekte von Ad-hoc- Zentren zur Grenzkontrolle zu koordinieren und die Umsetzung von EU-weiten

88 Pilotprojekten zu überwachen sowie gemeinsame Operationen im Zusammenhang mit dem Grenzmanagement durchzuführen. Zwei Jahre nach der Einrichtung dieser „Ad-hoc-Zentren“ hat dann der Europäi- sche Rat beschlossen, noch einen Schritt weiter zu gehen. Mit dem Ziel, die Verfahren und Arbeitsmethoden dieser Common Unit weiter zu verbessern, führ- te die Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004 zur Einrichtung der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten des Europäischen Parlaments Europäische Union (Frontex: Akronym für französisch frontières extérieures, ‚Außengrenzen‘). Damals kam es somit erstmals zur Schaffung einer Agentur zur Koordination der Maßnahmen der Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der Europäischen Union. Die Agentur wurde gegründet, um jene Länder in der EU zu unterstützen, die über Außengrenzen verfügen, damit einer besonderen Verantwortung unterliegen und auch am stärksten von Migrationsströmen betroffen sind. Frontex setzt seit- her Schiffe, Hubschrauber, Boote, Streifenwagen und spezialisierte Grenzschutz- beamte ein, um diesen Staaten bei der Grenzkontrolle zu helfen. Es war klar, dass ein gemeinsamer Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen auch einer gemeinsamen Politik für das Management der Außengrenzen bedarf. Die Agentur führte gemeinsame Aktionen mit den Mitgliedsstaaten an den Außengrenzen durch und erarbeitete Grundlagen für eine gemeinsame Ausbildung der Grenzbeamten. Migration ist ein dynamisches Phänomen. Nicht nur hat die Globalisierung in allen Bereichen zugenommen, sondern hat sich in den letzten Jahren auch der Migra- tionsdruck an den Außengrenzen – bedingt durch bewaffnete Konflikte an vielen Orten der Erde, durch wirtschaftliche Gegebenheiten, durch die oftmals diskutier- te demographische Entwicklung, aber auch durch Umwelteinflüsse – umfassend verändert. Heute überqueren jedes Jahr rund 900 Millionen Reisende die Außengrenzen der EU. Die meisten von ihnen reisen nach Europa, um dort Urlaub zu machen, Geschäfte zu tätigen oder zu studieren. Das Jahr 2015 und die sogenannte „Migrationskrise“ waren in vielen Bereichen ein Wendepunkt, ist es damals doch zu schätzungsweise einer Million irregulären Grenzübertritten gekommen, was, auf drastische Weise, die Grenzen des dama- ligen Systems aufgezeigt hat. Es galt daher, in vielen Bereichen gegenzusteuern, um durch geeignete Maßnah- men zurück zu Schengen, zum Konzept eines Raumes der Reisefreiheit, der durch eine entsprechend gesicherte Außengrenze begrenzt wird, zu kommen. Als eine der Maßnahmen wurde die Verordnung, mit der seinerzeit Frontex ein- gerichtet wurde, durch die Verordnung (EU) 2016/1624 vom 14. September 2016 zur Einrichtung der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache ersetzt. Wenn man die Gründe analysiert, die zur Erlassung der neuen Verordnung geführt haben, vermeint man oft, diese vor allem in der Migrationskrise zu finden.

89 Diese hat sicherlich dazu beigetragen, jedoch wurde damals auch nach 10 Jahren Bestand von Frontex eine Gesamtevaluierung der Agentur durchgeführt, die je- denfalls auch Grundlage für die neue Verordnung gewesen ist. Eine der wesentlichsten Neuerungen in der aktuellen Verordnung ist, dass die integrierte europäische Grenzverwaltung nunmehr „in gemeinsamer Verantwor- tung von der Agentur und den für die Grenzverwaltung zuständigen nationalen Behörden (...) wahrgenommen wird. Den Mitgliedstaaten kommt nach wie vor die vorrangige Zuständigkeit für den Schutz ihrer Abschnitte der Außengrenzen zu“, wobei Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, die Űberwachung und Kontrolle der Land-, Luft- und Seegrenzen unterstützt, indem sie gemeinsame Aktionen an den Außengrenzen der Europäischen Union koordi- niert. Weiters wurde, der Erweiterung der Kompetenzen folgend, vereinbart, den Per- sonalstand der Agentur bis 2020 auf 1.000 Grenzkontrollbeamte aufzustocken. Diese 1.000 Grenzkontrollbeamten arbeiten in den Bereichen Risiko- und Schwach- stellenanalyse, im Lagezentrum, im Bereich der Planung, Durchführung, dem Monitoring und der Abrechnung von gemeinsamen Aktionen an den Land-, See- und Luftaußengrenzen, im Bereich der Rückführung und im Bereich der allgemei- nen Verwaltung der Agentur. Von diesem Personalstand zu unterscheiden ist jenes Personal, mittels dem die bereits angeführten gemeinsamen Aktionen durchgeführt werden. Dieses Personal, im Schnitt zwischen 1.300 und 1.700 pro Woche, wird, zusammen mit der erforderlichen Ausstattung, von den Mitgliedstaaten zur Ver- fügung gestellt. Die Einsätze werden dann über die Agentur koordiniert. Mit der Verordnung wurde erstmals auch ein System eines europäischen integ- rierten Grenzmanagements geschaffen. Dies stellt, neben der Schaffung der europäischen Grenz- und Küstenwache, die erstmals den Gedanken einer „shared responsibility“ postuliert, eine der wesentlichsten Neuerungen dar, wurde doch – nach bisher rein deklarativen Ratsschlussfolgerungen - erstmals detailliert und rechtsverbindlich dargestellt, aus welchen Komponenten sich ein europäisches integriertes Grenzmanagement zusammensetzt. Die nunmehrige Arbeit ist, Instrumente wie das Vier-Filter-Modell, Risikoanalyse als Basis, Grenzkontrolle und -überwachung, Qualitätskontrolle und die Unterstüzung in der Rückkehr so umzusetzen, dass daraus für die europäische Grenz- und Küstenwache, somit für die Agentur und die Mitgliedstaaten, ein modernes, dem Stand der Technik ent- sprechendes europäisches Grenzmanagement entsteht. Es wurde weiters das Institut der Schwachstellenanalyse geschaffen, mittels dem – gemeinsam mit den Mitgliedstaaten – jährlich die Kapazitäten der Mit- gliedsstaaten zur Sicherung ihrer Außengrenzen evaluiert und Empfehlungen zur Verbesserung ausgesprochen werden. Gemeinsames Ziel dieser Schwachstellen- analyse ist es, ein effektives Migrationsmanagement und eine verbesserte innere Sicherheit zu ermöglichen und somit im Endeffekt zur Gewährleistung des Prinzips der Freizügigkeit innerhalb des Schengen-Raums beizutragen.

90 Zur engeren Vernetzung zwischen der Agentur und den Mitgliedstaaten, aber auch zur Unterstützung der letztgenannten bei der Durchführung der Schwach- stellenanalyse gilt es nunmehr auch, ein Netz von Frontex-Verbindungsbeamten aufzubauen. Um den Einsatz effizient zu gestalten, wurde das Gebiet der Mit- gliedstaaten in entsprechende Unterabschnitte („cluster“) eingeteilt, wurden mittlerweile die Personalaufnahmen durchgeführt und wird nunmehr – sukzes- sive – mit der Entsendung von Verbindungsbeamten der Agentur in die vorge- sehenen Cluster begonnen. Um innerhalb einer kurzen Zeit (fünf Tage) eine jederzeitige Verfügbarkeit von Grenzkontrollbeamten zu garantieren, wurde das Gebot der solidarischen Unter- stützung in Fällen außergewöhnlicher Belastung weiterentwickelt und wurde erstmals ein Soforteinsatzpool mit Mitgliedern von europäischen Grenz- und Küs- tenwacheteams geschaffen, wobei eine Mindestanzahl von 1.500 Beamten sicherzustellen war. Zu diesem Zwecke wurden erstmals auch verbindliche Quo- ten festgelegt, die von den Mitgliedstaaten mindestens zu entsenden sind. Die zu entsendenden Beamten sind entsprechend auszubilden und ein allfälliger Ein- satz ist auch zu trainieren, was in Form von jährlichen Einsatzübungen stattfindet. Zur entsprechenden Unterstützung des genannten Soforteinsatzpools wurde auch ein Pool mit technischer Ausrüstung geschaffen, die dem Soforteinsatzpool als Unterstützung beizustellen ist. Hier werden jährlich Mindestkontingente fest- gelegt, die von den Mitgliedstaaten einzumelden und dann im Bedarfsfall dem Soforteinsatzpool zur Verfügung zu stellen sind. Dem Gedanken einer oftmals wiederkehrenden Knappheit der Einsatzmittel Rech- nung tragend, wurde für die Agentur auch die Möglichkeit geschaffen, eigene Einsatzmittel zu beschaffen (Leasing, Kauf, Beschaffung gemeinsam mit einem oder mehreren Mitgliedstaaten oder zusammen mit einer oder mehreren Part- neragenturen). Dazu wurde mittlerweile eine eigene Strategie entwickelt und wurden – unter strikter Beachtung der EU-Vergaberichtlinien – erste Beschaf- fungen durchgeführt. Geplant ist, durch eigene Beschaffungen und durch Be- schaffungen der Mitgliedstaaten (mit Mitteln der Europäischen Union erhöht kofinanziert) Einsatzmittel in einem Umfang bereitzustellen, sodass operative Notwendigkeiten jederzeit entsprechend bedient werden können. Wesentlich erweitert wurde auch das Mandat von Frontex im Bereich der Rück- führung. So wurde die Agentur beauftragt, Rückführungen von Drittstaatsange- hörigen, die entsprechende Rückführungsentscheidungen erhalten haben, ent- sprechend zu unterstützen. Für die Durchführung von solchen gemeinsamen Rückführungsoperationen wurden entsprechende Verträge abgeschlossen und wurden, neben der erforderlichen IT-Infrastruktur, insgesamt drei Pools (Escorts, Monitore und Rückführungsspezialisten) geschaffen, mittels derer Mitgliedstaaten, im Falle von Bedarf, entsprechende Unterstützung beigestellt werden kann. Die genannten Maßnahmen haben – seit dem Inkrafttreten der Verordnung – auch schon zu sichtbaren Fortschritten geführt. So wurden 2017 – koordiniert von

91 Frontex – 341 Flüge durchgeführt, wobei insgesamt über 14.700 Drittstaatsan- gehörige rückgeführt wurden. Dies bedeutet, dass europaweit von allen Rück- führungen rund 10% durch Frontex koordiniert wurden. Wichtig – und in diesem Zusammenhang immer zu beachten – ist allerdings, dass immer beide Teile – die Mitgliedstaaten durch die Durchführung rechtsstaatlicher Verfahren und die Agen- tur durch die entsprechende organisatorische Unterstützung – an der Verwirk- lichung der gesetzten Ziele mitwirken müssen. Neu geschaffen wurden schließlich auch Regelungen zur europäischen Zusam- menarbeit bei Aufgaben der Küstenwache. So arbeitet Frontex mit der Europä- ischen Fischereiaufsichtsagentur EFCA und der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs EMSA eng im Austausch, der Zusammenführung und der Analyse von Informationen aus Schiffsmeldesystemen zusammen. Eine weitere Zusammenarbeit entwickelt sich aus der Bereitstellung von Überwa- chungs- und Kommunikationsdiensten auf der Grundlage modernster Technolo- gien, einschließlich Weltraum- und Bodeninfrastrukturen und durch die gemein- same Nutzung von Ausrüstungsgegenständen. Besonders bewährt haben sich bisher insbesondere Mehrzweckeinsätze, die Frontex gemeinsam mit EFCA durchgeführt hat. Im Zusammenhang mit der Durchführung von Grenzkontrollmaßnahmen im maritimen Bereich stellt sich natürlich immer wieder auch die Frage nach der Mitwirkung von Frontex an der Seenotrettung. Hiezu ist eingangs festzuhalten, dass heute ein sehr großer Teil der Migrations- bewegungen von kriminellen Netzwerken organisiert wird, das heißt dass von den betroffenen Personen oftmals sehr viel Geld aufgewendet wird, um von ihren Ausgangspunkten – oftmals über große Distanzen – zu den Zielorten zu gelangen. Geschätzt wird, dass kriminelle Netzwerke pro Jahr mehr als vier Milliarden Euro Profit machen, indem sie zum Beispiel Migranten an Bord gefährlicher Boote setzen, um sie zu den europäischen Küsten zu schleusen, sie in Containern auf den Ladeflächen von Lastkraftwagen zu verstecken, oder sie mit verfälschten Dokumenten auszustatten. Die Suche und Rettung von Menschen in Lebensgefahr ist nicht nur legitim, es ist auch eine rechtliche und humanitäre Pflicht für jeden, der sich auf See befindet. Die Suche und Rettung auf See ist integraler Bestandteil des aktuellen Mandats von Frontex, es ist auch ein spezifischer Teil von jedem Einsatzplan von gemein- samen Operationen die von der Agentur koordiniert werden. Alleine 2017 haben Einsatzmittel von Frontex geholfen, das Leben von 34.392 Menschen in Opera- tionen in Italien und Griechenland zu retten. Die umfassende Beachtung von Grundrechten – in allen von Frontex koordinier- ten Aktionen – ist selbstverständlich integraler Bestandteil einer effektiven Grenz- verwaltung. Solche Einsatzpläne gehen aber natürlich weit über Such- und Rettungseinsätze hinaus. Der Schwerpunkt der genannten Einsatzpläne liegt auf Grenz- und

92 Migrationsmanagement und dabei auch auf Bekämpfung der grenzüberschrei- tenden kriminellen Netzwerke. Deswegen ist es auch wichtig, dass alle zum Beispiel an der Seenotrettung be- teiligten Institutionen und Behörden zusammenarbeiten. Es gilt, Berichte und Erkenntnisse, die zur Beweissicherung beitragen können, zu sammeln und um- fassend auszuwerten, um zum Abbau dieser Netzwerke mit beizutragen. Dass dies durchaus erfolgreich betrieben werden kann, zeigen auf freiwilliger Basis durchgeführte Interviews, die im vergangenen Jahr dazu geführt haben, dass – neben Aktualisierungen in der jeweiligen Lagebeurteilung – auch über 300 Tref- fer in den diversen Datenbanken erzielt werden konnten, was auch zu entspre- chenden Festnahmen führte. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Grenzkontrolle weder ein Allheilmittel für Migrationssteuerung, noch ein Ersatz für Migrationspolitik sein kann. Nur durch ein globales Herangehen an die Ursachen für Migration und ein ge- meinsames Arbeiten kann es gelingen hier zu Lösungen zu kommen. Es ist notwendig, die Herkunftsländer zu stabilisieren und in diesen Ländern massiv in Bildung und Entwicklung zu investieren. Es wird gelten, mit den globalen Bedro- hungen anders als bisher umzugehen und es wird auch gelten, die Zusammen- arbeit mit den Transitländern zu verstärken, um die bestehenden kriminellen Schleusungsnetzwerke zu bekämpfen sowie auch die Migranten zu identifizieren und zu registrieren – aus Gründen der Sicherheit und zur Feststellung von Schutz- bedürftigkeit. Und schließlich wird auf politischer Ebene auch zu überlegen sein, mit der Schaf- fung von legalen Kanälen der Zuwanderung unter Umständen anders als bisher umzugehen. Migration ist ein Prozess, der im Zusammenwirken mit allen Maßnahmenträgern gestaltet werden muß. Durch eine umfassende Grenz- und Migrationskontrolle kann ein Beitrag dazu geleistet werden, an der Aussengrenze des europäischen Raumes der Freizügig- keit, der Sicherheit und des Rechtes irreguläre Grenzübertritte zu verhindern. Durch in diesem Zusammenhang gesetzte Maßnahmen wird dazu beigetragen, dass grenzüberschreitende Kriminalität, wie zum Beispiel Menschenhandel oder Schmuggel von Drogen, illegalen Waffen und anderen Gütern, wirksam bekämpft werden, und es wird auch ein wachsender Beitrag dazu geleistet, dass nicht aufenthaltsberechtigte Personen in ihre Herkunfts- oder Transitstaaten rückgeführt werden. Um in einer globalisierten Welt mit dem Bereich Migration wirksam umzugehen, wird es aber eines Zusammenwirkens von weit mehr Kräften, eines weit höheren Einsatzes von Finanzmitteln und einer viel umfassenderen Strategie bedürfen.

93 Literaturverzeichnis:

Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Sep- tember 2016 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Änderung der Ver- ordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Ver- ordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates und der Entscheidung des Rates 2005/267/EG Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mit- gliedstaaten der Europäischen Union Matzka, M. und Wrulich, A.: „Österreich und die Schengener Verträge“, 2. Auflage, herausgegeben vom Bundesministerium für Inneres (1995)

94 Gerald Tatzgern*

Migration und Schlepperei – Menschenhandel: Zusammenhänge?

Einleitung

Der Profit der international agierenden Schlepperbanden und Menschenhändler- ringe ist enorm – laut Schätzungen drittstärkster Einkommenszweig der organi- sierten Kriminalität. Die organisierte Schlepperkriminalität ist nach dem Drogen- handel und dem Waffenhandel eine der gewinnträchtigsten Kriminalitätsformen der Gegenwart. Laut Schätzungen von UNHCR, EUROPOL und INTERPOL werden durch die Förderung der rechtswidrigen Einreise bzw. durch Schlepperorganisati- onen allein in Europa jährlich zwischen fünf und sieben Milliarden Euro erwirtschaf- tet. Geschleppte zahlen bis zu 15.000 Euro pro Person und Schleppung, in Ein- zelfällen auch bis zu 30.000 und 40.000 Euro, je nach Herkunftsland. Diese Beträge müssen in Europa meist abgearbeitet werden (Prostitution, Drogenhandel, einfache Arbeiten in Restaurants, Cafés, innerhalb der Community, Landwirtschaft).1

Menschenhandel als Form der modernen Sklaverei

Schätzungen von UNODC, IOM und weiteren internationalen Organisationen zu- folge werden jährlich mehrere Millionen Menschen im Rahmen des internationalen Menschenhandels ausgebeutet. Ob in der Sexdienstleistungsbranche, dem Kin- derhandel, der Arbeitsausbeutung, als Haushaltshilfen oder durch Zwang zu kri- minellen Handlungen kann nur vermutet werden. In Österreich nimmt der Men- schenhandel als Kriminalitätsform laut polizeilicher Kriminalstatistik zwar eine untergeordnete Rolle ein, jedoch tatsächlich dürfte die Dunkelziffer von Opfern des Menschenhandels und die begangenen Straftaten deutliche höher liegen.2 Im Jahr 2017 (2016) wurden insgesamt 34 (23) polizeiliche Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Menschenhandels (§104a StGB) und 23 (28) polizeiliche Ermitt- lungsverfahren wegen Verdachts des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels (§ 217 StGB) abgeschlossen und bei der zuständigen Staatsanwaltschaft zur An- zeige gebracht. In diesen polizeilich abgeschlossenen Verfahren wurden 66 (57) Tatverdächtige wegen Menschenhandels und 75 (41) Tatverdächtige wegen grenzüberschreitenden Prostitutionshandels ermittelt. Die Opfer dieser Straftaten stammten vorwiegend aus Rumänien, China sowie aus Bulgarien.

* Gerald Tatzgern, BA, MA, Brigadier, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung des Menschenhandels und der Schlepperei im Bundeskriminalamt, Bundesministerium für Inneres, Wien, Österreich

1 European Union Serious and Organized Crime Threat Assessment 2017, Report Organized Crime (SOCTA/ OCTA), https://www.europol.europa.eu/activities-services/main-reports. 2 Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes Österreich, http://www.bmi.gv.at/cms/BK/publikationen/start.

95 Menschenhandel ist eine Menschenrechtsverletzung, die Frauen, Männer und Kinder gleichermaßen betreffen kann. Kinder sind eine besonders schützenswer- te Personengruppe. Als Menschen- bzw. Kinderhandel gilt gemäß UN-Menschen- handelsprotokoll „die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen (…) zum Zweck der Ausbeutung“. Dies geschieht zumeist durch „die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit“. Vielfach werden Kinder ihren Eltern oder Obsorgeberechtigten einfach „abgekauft“. Bei Kindern handelt es sich auch dann um Menschenhandel, wenn keines der genannten Druckmittel angewandt wurde. Eine allfällige „Einwilligung“ des Kindes oder der Obsorgeberechtigten ist nicht relevant. Kinder sind Mädchen und Buben bis zum vollendeten 18. Lebensjahr.

Diese Definition hat Österreich in die nationale Gesetzgebung übernommen. Aus- beutung umfasst laut § 104a des österreichischen Strafgesetzbuches (StGB) die sexuelle Ausbeutung, die Ausbeutung durch Organentnahme, die Ausbeutung der Arbeitskraft, die Ausbeutung zur Bettelei sowie die Ausbeutung zur Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen. Der grenzüberschreitende Prostitutionshandel ist im § 217 StGB geregelt.

Aufgrund seiner geografischen Lage im Zentrum Europas gilt Österreich als Des- tinations- aber auch Transitland. In Folge des Anstieges der Migrationsbewegun- gen nach Europa ist auch die Ausbeutung von Migrantinnen und Migranten, ins- besondere von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses gerückt.

Die Haupterscheinungsform des Menschenhandels in Österreich ist die sexuelle Ausbeutung. In den letzten Jahren wurde durch das Bundeskriminalamt Österreich der Schwerpunkt am Erkennen von möglichen Opfern in der Arbeitsausbeutung und der Ausbeutung zum Zwecke der Bettelei gelegt. Hier war signifikant, dass Personen aus Rumänien und Bulgarien sowie aus Serbien, Bosnien und Herzegowina, von den Philippinen, aus Ungarn in verschiedenen Bereichen als mögliche Opfer in Frage kamen. Weitere pro-aktive kriminalpolizeiliche Maßnahmen werden regelmäßig umgesetzt. Besonders schutzwürdig ist die Gruppe der un- begleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF). Hier kann die Abhängigkeit von anderen Personen (könnten Schlepper oder Menschenhändler sein) besonders hoch sein. Bis dato liegen keine dokumentierten Fälle von Menschenhandel zum Nachteil von UMF vor, obwohl auch pro-aktive Ermittlungsschritte gesetzt werden.

Generell kann angemerkt werden, dass sich der Kampf gegen den Menschenhan- del in Form der Arbeitsausbeutung und der Bettelei als sehr schwierig darstellt, da Arbeitgeber und auch mögliche Betroffene wenig Kooperationswillen zeigen. Es

96 gilt hier, besonders auf die Bedürfnisse der Minderjährigen einzugehen. Ständig werden gesellschaftliche Sensibilisierungsmaßnahmen erweitert und fortgesetzt. Menschenhandel ist eine massive Menschenrechtsverletzung!

In den vergangenen Jahren war erkennbar, dass die Schlepper- und Menschen- handelsorganisationen eine enorme Entwicklung bei der kriminellen Zusammen- arbeit, insbesondere bei der Nutzung von technischen Ressourcen und des Inter- nets gemacht haben. Sämtliche Soziale Medien spielen mittlerweile eine wesentliche Rolle bei den kriminellen Netzwerken. Sie bewerben ihre Kriminali- tätsformen und versuchen auch, auf diese Weise „falsche Träume“ zu verkaufen. Menschen begeben sich auf unglaublich gefährliche Reisen und sind enormen Gefahren ausgesetzt. Besonders Frauen und Kinder bilden hier eine extrem vul- nerable Gruppe. Nicht selten kommt es bereits auf der Fluchtroute zu Übergriffen gegen Frauen und junge Mädchen. Die Traumatisierung und die Opferrolle begin- nen also nicht erst in den Zielländern.

Zuständigkeit

Das Bundeskriminalamt untersteht der Generaldirektion für die öffentliche Sicher- heit (Sektion II) im Bundesministerium für Inneres und hat im Jahr 2003 die ope- rative Tätigkeit aufgenommen. Das BK unterstützt als Zentralstelle in Österreich alle Landeskriminalämter und nachgeordneten Polizeidienststellen durch Assis- tenzdienste, Supportleistungen und Controlling. Es basiert auf dem Bundesgesetz über die Einrichtung und Organisation des Bundeskriminalamtes (Bundeskriminal- amt-Gesetz – BKA-G)3. Die Zentralstelle zur Bekämpfung des Menschenhandels, des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels und der Schlepperei ist für die Steuerung, Koordination, das Führen von Ermittlungen in den Bereichen der Be- kämpfung folgender Bereiche zuständig:

• Schlepperkriminalität • Menschenhandel (Kinderhandel, Organhandel, Bettelei, sexuelle Ausbeutung, Arbeitsausbeutung, Ausbeutung zum Zwecke der Begehung von Straftaten) • grenzüberschreitender Prostitutionshandel • Visa-Erschleichung • Aufenthaltsehe (Scheinehe) • Aufenthaltsadoption (Scheinadoption)

Außerdem wird in dieser Zentralstelle die Bundesweite Polizeiliche Menschen- handelshotline unter der Telefonnummer +43 677 61 34 34 34 oder E-Mail [email protected] betrieben.

3 https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/2002_22_1/2002_22_1.pdf

97 Rückblick

Am 18. Mai 1904 unterzeichneten auf Initiative einer Reihe von Nichtregierungs- organisationen und Frankreichs 13 europäische Staaten das „Internationale Ab- kommen zur Bekämpfung des Frauenhandels“. Ein erster wesentlicher Schritt Frauenhandel als Verbrechen einzuordnen. Eine lange Reihe internationaler Ab- kommen folgte diesem historischen Meilenstein. Das Pariser Abkommen aus dem Jahre 1904 spielte eine wichtige Rolle für die weitere Entwicklung des Kampfes gegen den Frauenhandel, und das durchaus auf globaler Ebene. Es waren neben der französischen Regierung engagierte Einzelpersonen und zivilgesellschaftliche Organisationen, die am Zustandekommen dieses Abkommens wesentlichen Anteil hatten. Initiativen aus der Mitte der Zivilgesellschaft brachten das Thema Frauenhandel auf die politische Agenda in den Nationalstaaten wie auf inter- nationaler Ebene. Mehr noch: Die Bekämpfung des Frauenhandels entwickelte sich im ausgehenden 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert zu einem der ersten (und erfolgreichsten) Bereiche internationaler Kooperation.4

Rechtsgrundlagen

§ 114 FPG Schlepperei

Schlepperei begeht, wer die rechtswidrige Einreise oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz fördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleis- tetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern und ist vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.5 Es muss hier hervorgehoben werden, dass die Per- sonen, die geschleppt worden sind, nicht unbedingt das österreichische Bundesge- biet betreten müssen, vielmehr ist das strafbare Handeln des Schleppers mit dem Tatort des österreichischen Bundesgebietes in Verbindung zu bringen. Schlepperei begeht also auch jemand, der von Österreich aus Schleppungen von Weißrussland nach Polen (= EU-Mitgliedsstaat) für einen Vermögensvorteil organisiert.

Unter Verwaltungsstrafe ist aber auch gestellt, wer wissentlich die rechtswidrige Einreise oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs fördert.6

Es handelt sich um Personen, die, auf welche Weise auch immer, die rechtswid- rige Einreise von Fremden nach Österreich fördern. In diese Gruppe fallen Personen,

4 Weidel, Christiana (2016): Internationales Abkommen gegen Frauenhandel – Eine Zeitreise. Tagungsbericht SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (1), 85-93. 5 § 114 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) (BGBl Nr. 100/2005) idgF. 6 § 120 Abs. 3 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) (BGBl Nr. 100/2005) idgF.

98 die unmittelbar die Schleppung durchführen, aber auch Personen, die Unterkünf- te oder Fahrzeuge zur Verfügung stellen, Dokumente fälschen, als Geldgeber, Kundschafter oder Kuriere in Erscheinung treten oder die Schleppung organisieren. Sie stehen mit Personen in den meisten Ländern auf der Schlepperroute in Kontakt und bereiten so die Reise selbst und auch die jeweilige Unterbringung der Ge- schleppten vor.

Geschleppte Person

Im Sinne des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) sind geschleppte Personen Fremde, die die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzen und mit Hilfe eines Schleppers in das Bundesgebiet reisen, unabhängig davon, ob sie beim illegalen Grenzübertritt oder im Bundesgebiet aufgegriffen werden und auf welchem Teil ihres Reiseweges sie durch einen Schlepper unterstützt werden. Die Unter- scheidung zu Personen, die rechtswidrig in das Bundesgebiet eingereist sind oder schon rechtswidrig aufhältig waren, ist nicht immer leicht zu treffen. Die Einschät- zung erfolgt nach dem Schwergewicht der Unterstützungsleistung von Schleppern, gleichgültig ob die kriminelle Hilfe im Bundesgebiet, in einem Nachbarstaat oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erfolgt. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass Fremde, deren rechtswidrige Einreise oder Durchreise durch die Tat gefördert wird, nicht als Beteiligte (§ 12 StGB) zu bestrafen sind. Es handelt sich also bei den Geschleppten nicht um Opfer, sondern um straffreie Beteiligte.7

§ 104 a StGB Menschenhandel

Das Zusatzprotokoll der Vereinten Nationen zur Verhütung, Bekämpfung und Be- strafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität definiert Menschenhandel wie folgt:

„Menschenhandel meint die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder den Empfang von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Ge- währung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavenähnliche Praktiken, Leibeigen- schaft oder die Entnahme von Körperorganen.“ Im österreichischen Strafgesetzbuch

7 § 114 Abs. 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) (BGBl Nr. 100/2005) idgF.

99 wird der Menschenhandel im § 104a StGB8 geregelt. Hier wird grundsätzlich die Straftat gegen eine minderjährige Person oder eine volljährige Person unter Einsatz unlauterer Mittel unterschieden. Strafbar ist, wer eine Person mit dem Vorsatz, dass die Person sexuell, durch Organentnahme, in ihrer Arbeitskraft, durch Bette- lei oder die Begehung von strafbaren Handlungen ausgebeutet werde, anwirbt, beherbergt oder sonst aufnimmt, befördert oder einem anderen anbietet oder weitergibt.

Als unlautere Mittel werden die Täuschung über Tatsachen, die Ausnützung einer Autoritätsstellung, einer Zwangslage, einer Geisteskrankheit oder eines Zustands, der die Person wehrlos macht, die Einschüchterung und die Gewährung oder Annahme eines Vorteils für die Übergabe der Herrschaft über die Person, gesehen. Menschenhandel spielt sich innerhalb nationaler Grenzen und auch über Grenzen hinweg ab. In der Regel werden Menschen von weniger entwickelten zu besser entwickelten Regionen verbracht. So werden beispielsweise Menschen aus Moldawien vornehmlich in die Türkei, nach Russland oder in die Vereinigten Arabischen Emirate gehandelt.

Prozess des Menschenhandels

I. Tatobjekt

1. minderjähriger Mensch 1. jeder Mensch (unter 18 Jahren)

II. Rekruerung– Anwerbung – Beherbergung – Befördern – Einem anderen anbieten – Weitergeben

1. ..kaufen einer Person, 2. ..jemanden 3. ..jedes Gewähren 4. ..jedes Verbringen von 5. ..ausdrückliche 6. .jede Art der Halbwahrheiten verpflichten, einer Unterkun einem zum anderen Ort Erklärung zur Überlassung Weitergabe oder erzählen, Lügen, Nutzen ausbeuten zu oder in Empfang oder Organisaon von einer Person für Übertragung von von Verletzlichkeit lassen… nehmen… Fahrkarten… Ausbeutungszwecke… Personen (Tausch, Kauf)

III. unlautere Miel (bei volljährigen Personen)

1. Täuschung über 2. Ausnützen einer 3. Ausnützen 4. Ausnützen einer 5. Einschüchterung 6. Vorteil Gewähren oder Tatsachen Autoritätsstellung einer Zwangslage Geisteskrankheit Annehmen für Übergabe der Herrscha

IV. Ausbeutung

1. bedingter Vorsatz 2. erweiterter 2a. Sexuelle 2b. Ausbeutung 2c. Ausbeutung 2c. 2c. Ausbeutung hinsichtlich sämtlicher Vorsatz auf Ausbeutung durch durch Ausbeutung durch Begehung objekver Ausbeutung Organentnahme Arbeitskra durch Beelei von Stra aten Tatbestandsmerkmale

V. Qualifikaonen

1. Gewalt oder Gefährliche 2. Schwere Gewalt 3. Lebensgefahr 4. Besonders schwerer Drohung Nachteil (Erkrankung, Tod, berufliche Nachteile)

VI. eventuelle zusätzliche Sachverhalte

1. Korrupon 2. 3. Erpressung 4. Freiheitsentzug 5. Vergewalgung Dokumenten fälschung

8 § 104a StGB Strafgesetzbuch, Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch - StGB) idF vom 16.04.2017.

100 Migration und Kinderhandel

Kinder- und Jugendrechte müssen besonders in Zusammenhang mit Migration geschützt werden. Menschenhändler schrecken vor nichts zurück. UMF – Unbe- gleitete Minderjährige Flüchtlinge gelten als besonders vulnerable Gruppe, also jene Gruppe von Menschen, die besonders „anfällig“ für die Ausbeutung im Rah- men des Menschenhandels sind.

Der Menschenhandel in Österreich zeigt sich in folgendem Bild:

• Haupterscheinungsform: sexuelle Ausbeutung • Österreich ist Destinations- und Transitland • Hauptherkunftsländer : - sexuelle Ausbeutung: Rumänien, Ungarn, Bulgarien, Nigeria, China - Arbeitsausbeutung: Serbien, Bosnien, Philippinen, Rumänien, Ungarn - Bettelei: Rumänien, Bulgarien, Slowakei - Begehung von Straftaten: Bosnien u. Herzegowina

Kinder und Jugendliche tauchen in einigen Formen der Ausbeutung auf, jedoch können nur wenige Fälle von Menschenhandel aufgedeckt werden. Sehr oft ist ein Abhängigkeitsverhältnis zur Aufsichtsperson oder einem Elternteil die größte Hürde, gegen diese Personen auszusagen.

Opfer des Menschhandels minderjährige Opfer des Menschhandels

Die in den Medien kolportierten Zahlen – angeblich etwa 10.000 abgängige UMF europaweit - beruhen lediglich auf einer (vorsichtigen) Schätzung durch Europol. Wie von Europol bekanntgegeben, liegen dieser Schätzung nur die Zahlen von Italien (etwa 5000) und Schweden (etwa 1000) zu Grunde. Diese Schätzung wurde von Europol mittlerweile als nicht nachweisbar relativiert.

101 Bis dato liegen in Österreich keine dokumentierten Fälle von Menschenhandel zum Nachteil unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (UMF) vor.

Seitens des Bundeskriminalamtes wurden in diesem Zusammenhang nicht nur Verdachtsmeldungen überprüft, sondern auch proaktive Ermittlungsschritte ge- setzt, die ebenfalls keinerlei Hinweise auf Menschenhandel zum Nachteil von UMF ergeben haben. Diese Ermittlungen werden seit 2015 geführt und werden laufend fortgesetzt.

In diesem Zusammenhang werden auch Sensibilisierungsgespräche und Schu- lungen mit allen in Frage kommenden Betroffenen durchgeführt, wie z.B. Bedarfs- träger der Exekutive, Kinder- und Jugendhilfeträger, BFA, Erstaufnahme- und Sammelzentren sowie NGOs.

Von der im Rahmen der Task Force Menschenhandel eingerichteten Arbeitsgrup- pe Kinderhandel wurde eine Handlungsorientierung zur Identifizierung von und zum Umgang mit potentiellen Opfern von Kinderhandel (Information und Arbeits- grundlage) erstellt. Der Hauptzweck ist allen relevanten Berufsgruppen (Polizei, Justiz, Bundesamt für Fremden- und Asylwesen, Kinder- und Jugendhilfeträger, Gesundheitseinrichtungen etc.) eine praxisbezogene Anleitung für eine bestmög- liche Vorgehensweise mit potentiellen Opfern von Kinderhandel zur Verfügung zu stellen.

Menschenhandel in Österreich

Fälle von Menschenhandel zur Ausbeutung durch Organentnahme wurden bis dato in Österreich nicht registriert. In Österreich gilt die sexuelle Ausbeutung als Haupterscheinungsform, aber es werden auch Fälle von Arbeitsausbeutung, Aus- beutung in der Bettelei und Ausbeutung durch Begehung von Straftaten verzeich- net. Aufgrund seiner geografischen Lage im Zentrum Europas gilt Österreich als Destinations- aber auch Transitland.

Bei Menschenhandel und grenzüberschreitendem Prostitutionshandel handelt es sich in der Regel um sogenannte Kontrolldelikte. Grundsätzlich ist festzustellen, dass in diesem, von einem extrem hohen Dunkelfeld gekennzeichneten Delikts- bereich, kaum Anzeige erstattet wird, da es sich oft um Rotlicht- oder Milieukri- minalität handelt. Ein weiterer Grund dafür liegt in der oftmals illegalen Beschäfti- gung bzw. dem illegalen Aufenthalt der Opfer. Die Bereitschaft zur Kooperation mit der Exekutive ist selbst von Zeugen bzw. Dritten in der Regel nicht sehr groß. Der Kampf gegen den Menschenhandel ist ein multidisziplinäres Unterfangen, bei dem präventive, repressive, unterstützende und koordinierende Aufgaben zusam- menwirken müssen. Die Globalisierung hat nicht nur Wirtschaft und Politik vernetzt,

102 sondern auch die Kriminalität, wodurch das lukrative Geschäft mit Menschenhan- del nach wie vor steigt.

In Folge des Anstieges der Migrationsbewegungen nach Europa ist natürlich auch die Ausbeutung von Migrantinnen und Migranten, insbesondere von unbegleite- ten minderjährigen Flüchtlingen in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses gerückt.

Polizeiliche Kriminalstatistik 20179 Im Jahr 2017 (2016) wurden insgesamt 34 (23) polizeiliche Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Menschenhandels (§104a StGB) und 23 (28) polizeiliche Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des grenzüberschreitenden Prostitutions- handels (§ 217 StGB) abgeschlossen und bei der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht. In diesen polizeilich abgeschlossenen Verfahren wurden 66 (57) Tatverdächtige wegen Menschenhandels und 75 (41) Tatverdächtige wegen grenzüberschreitenden Prostitutionshandels ermittelt. Die Opfer dieser Straftaten stammten vorwiegend aus Rumänien, China sowie aus Bulgarien.

9 Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes Österreich, http://www.bmi.gv.at/cms/BK/publikationen/start.

103 Georg Zwerenz*

Arbeitsausbeutung geht uns alle an

1. Einleitung

Lange Zeit wurde Menschenhandel in erster Linie mit Frauenhandel oder der Ausbeutung von Frauen in der Prostitution sowie mit Kinderhandel in Zusammen- hang gebracht. Erst in den letzten Jahren rückte auch der Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung stärker in den Fokus. Dies zeigte sich etwa daran, dass die Medien immer wieder über Fälle von Arbeitsausbeutung berichteten, oder aber auch durch die Einrichtung der vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz geführten Arbeitsgruppe „Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung“ im Rahmen der österreichischen Task Force zur Bekämpfung des Menschenhandels. Dieser vom Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres geführten und 2004 gegründeten Task Force Menschen- handel unterstehen daher nun seit Ende 2012 drei Arbeitsgruppen; die Arbeits- gruppen Kinderhandel und Prostitution wurden bereits knapp nach Gründung der Task Force Menschenhandel ins Leben gerufen.

Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO/ILO) und die Internationale Organisa- tion für Migration (IOM) schätzten für das Jahr 2016, dass weltweit 40 Millionen Menschen Opfer der modernen Sklaverei seien: 25 Millionen in Zwangsarbeit und 15 Millionen in Zwangsehen. In den letzten fünf Jahren waren laut IAO und IOM insgesamt 89 Millionen Menschen zeitweise oder dauerhaft Opfer der verschie- denen Formen der modernen Sklaverei (ILO: Global estimates of modern slavery: forced labour and forced marriage; Genf, 2017).

Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung nennt als ihr Ziel 8.7. die Ergreifung sofortiger und wirksamer Maßnahmen, um Zwangsarbeit abzuschaffen, moderne Sklaverei und Menschenhandel zu beenden sowie das Verbot und die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, einschließlich der Einziehung und des Einsatzes von Kindersoldaten, sicherzustellen und bis 2025 jeder Form von Kin- derarbeit ein Ende zu setzen. Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung steht der Förderung eines dauerhaften, breitenwirksamen und nachhaltigen Wirt- schaftswachstums, produktiver Vollbeschäftigung und menschenwürdiger Arbeit entgegen.

* Georg Zwerenz, Arbeitsgruppe „Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung“, Referat VII/B/10a für Internationale Sozialpolitik, Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, Wien, Österreich

104 Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung ist ein weltweites Problem, das auch vor Österreich nicht Halt macht. Betroffene Branchen sind unter anderem das Baugewerbe, die Land- und Forstwirtschaft, Gastronomie und Tourismus, Rei- nigung sowie die Arbeit in Haushalten.

Ein wesentlicher Faktor für Arbeitsausbeutung ist die Armut, unter der die Betroffe- nen häufig leiden: Dadurch, dass diese in ihrem Herkunftsland kein ausreichendes Einkommen für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Angehörigen erzielen können, sind die bereit, auch zu ausbeuterischen Lohn- und Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Nicht selten aber werden diese auch vor Beginn der Arbeitsaufnahme über die von ihnen zu erbringende Tätigkeit und ihre Arbeitsbedingungen sowie Entlohnung ge- täuscht. Hinzu kommt, dass die Betroffenen überhaupt nicht oder nicht ausreichend über die ihnen zustehenden Rechte als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer in Österreich informiert sind. Niederschwellige Informationsangebote zu den rechtlichen Arbeitsbedingungen in Österreich, wie etwa die Entsendeplattform (www.entsendeplattform.at) und das Migrationsportal (www.migration.gv.at), aber auch Informationsmaterial der Opferschutzeinrichtungen oder der Sozialpartner sollen dieses Defizit an Wissen verringern.

2. Der Straftatbestand des Menschenhandels im Österreichischen Strafgesetzbuch

Der Straftatbestand des Menschenhandels im Strafgesetzbuch (§ 104a StGB) um- fasst drei Elemente: Es ist zunächst eine Handlung erforderlich, die in einem Anwer- ben, Befördern, Beherbergen oder Aufnehmen, Weitergeben oder Anbieten beste- hen kann. Weiters muss die Handlung einen bestimmten Zweck verfolgen, nämlich die sexuelle Ausbeutung, die Ausbeutung der Arbeitskraft, die Ausbeutung zur Bettelei, die Ausbeutung zur Begehung von Straftaten oder die Ausbeutung durch Organentnahme. Schließlich muss auch ein unlauteres Mittel wie Täuschung, Ein- schüchterung, gefährliche Drohung, Gewaltanwendung, Ausnützung der Autoritäts- stellung oder einer Zwangslage, Ausnützung einer Geisteskrankheit oder von Wehr- losigkeit sowie die Annahme oder Gewährung eines Vorteils für die Übergabe der Herrschaft über die Person vorliegen.

Der Begriff „Ausbeutung der Arbeitskraft“ ist im Gesetz nicht definiert, allerdings finden sich in den parlamentarischen Materialien zur Strafgesetzbuch-Novelle 2013 (Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013; Erläut RV 2319 Blg. NR 24. GP, 5f) hilf- reiche Erläuterungen: „Ganz grundsätzlich sind unter Ausbeutung der Arbeitskraft Praktiken zu verstehen, die zwar noch nicht als Sklaverei oder sklavereiähnlich (vgl. § 104 StGB) anzusehen wären, die aber doch ein rücksichtsloses Ausnützen des Opfers darstellen, das gegen dessen lebenswichtige Interessen gerichtet ist. Dies liegt etwa dann jedenfalls vor, wenn dem Opfer für seine Arbeit oder Dienstleistung über längere Zeit hindurch keine oder nur völlig unzureichende Geldmittel überlas-

105 sen werden sollen oder wenn die nach der Gesetzeslage erlaubte oder zumutbare Arbeitszeit über einen längeren Zeitraum exzessiv ausgedehnt oder das Opfer un- ter unzumutbaren Arbeitsbedingungen zur Erbringung der von ihm geforderten Leistung verhalten werden soll. Ganz allgemein geht der Entwurf davon aus, dass erhebliche und nachhaltige Unterschreitungen gesetzlicher bzw. kollektivvertraglicher Mindeststandards die vitalen Interessen des Opfers verletzen. (….) Eine nicht über- mäßige, wenn auch länger währende Unterschreitung des Kollektivvertragslohnes oder eine nicht übermäßige Überschreitung der Arbeitszeit werden noch nicht in Betracht kommen, wohl aber erhebliche und nachhaltige Unterschreitungen von gesetzlichen bzw. kollektivvertraglichen Mindeststandards. Eine die vitalen Interessen des Opfers verletzende Unterschreitung gesetzlicher oder kollektivvertraglicher Min- deststandards kann auch im Fehlen der Dokumentation der Arbeitsleistung und Entlohnung erblickt werden.“

In der österreichischen Rechtsordnung finden sich weitere einschlägige Straftatbe- stände im Fremdenpolizeigesetz 2005 (§ 116 FPG: Ausbeutung eines Fremden) und im Ausländerbeschäftigungsgesetz (§ 28c AuslBG: Strafbarkeit der Beschäfti- gung von Ausländern ohne Aufenthaltsrecht).

3. Identifikation von Betroffenen des Menschenhandels zum Zweck der Arbeitsausbeutung

In der Praxis ist es oft nicht leicht einzuschätzen, ob Arbeitsbedingungen vorliegen, die den Vorgaben des Arbeitsrechts gerade noch entsprechen, oder diese bereits eine Verwaltungsübertretung darstellen – etwa wenn Höchstarbeitszeiten überschritten oder andere Bestimmungen des Arbeitsschutzes nicht eingehalten werden – oder gar solche, die bereits strafrechtlich zu verfolgen sind, weil sie von Ausbeutung geprägt sind.

Zur Identifikation von Fällen von Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung können Indikatoren sehr nützlich sein. Eine besonders umfangreiche Liste mit Merkma- len, die typischerweise Fälle von Menschenhandel aufweisen, wurde von der Interna- tionalen Arbeitsorganisation und der Europäischen Kommission gemeinsam erstellt (Operational indicators of trafficking in human beings – Results from a Delphi survey implemented by the ILO and the European Commission, ILO/EC 2009). Dort finden sich Indikatoren zur Identifizierung von sexueller Ausbeutung, Arbeitsausbeutung und der Ausbeutung von Kindern.

Mit Indikatoren, die speziell auf die Tätigkeit von Kontrollbehörden abgestimmt sind, hat sich die Arbeitsgruppe „Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung“ in den Jahren 2013 und 2014 befasst und schließlich eine entsprechende Liste erstellt, die sich auf einige prägnante Indikatoren konzentriert, die in weiterer Folge kurz dargestellt werden:

106 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass für eine Verdachtslage des Menschenhan- dels zum Zweck der Arbeitsausbeutung jedenfalls nicht alle Indikatoren gemeinsam erfüllt sein müssen; manchmal kann schon das Vorliegen eines einzelnen ausrei- chend sein.

a. Arbeitsbedingungen:

Die Betroffenen müssen unter extrem schlechten Arbeitsbedingungen ihre Leis- tungen erbringen: Es fehlt am entsprechenden Schutz (fehlende Schutzausrüstung und Schutzkleidung), zum Teil müssen gefährliche Arbeitsgeräte benutzt werden, für welche die Betroffenen nicht über die erforderliche Ausbildung verfügen. Wei- ters werden die vorgeschriebenen Arbeitspausen nicht oder nicht ausreichend eingehalten. Gerade in den Branchen Bau, Land- und Forstwirtschaft oder Touris- mus sind die Beschäftigten immer wieder direkt im Betrieb oder in der Nähe untergebracht. Nicht selten erweisen sich diese Unterkünfte als Massenunter- künfte ohne entsprechende Sanitäreinrichtungen und allgemein mit schlechten hygienischen Zuständen.

b. Situation anlässlich der Kontrolle:

Beim Auftreten einer Kontrollbehörde wird immer wieder ein auffälliges Verhalten der zu Kontrollierenden gegenüber der Behörde wahrgenommen: Die Betroffenen sind entweder ängstlich, devot oder aber auch aggressiv. Gelegentlich ist ein offenkundiges Redeverbot für die Betroffenen erkennbar – eine zuvor auser- korene Person, deren Aufgabe in der Verschleierung der Situation liegt, übernimmt dann bei der Kontrolle das Kommando. In vielen Fällen zeigt sich neben mangeln- den Sprachkenntnissen der Betroffenen auch deren Ortsunkenntnis. Häufig wissen diese nicht, wo sie sich befinden, da sie sich die ganze Zeit nur am Arbeitsort aufhalten; auch die Kenntnisse über die eigene Arbeitgeberin oder den eigenen Arbeitgeber sind häufig mangelhaft. Dazu kommt auch ein fehlendes Wissen über den Inhalt des eigenen Arbeitsvertrages und über die in Österreich zustehenden Rechte und Pflichten einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers. In seltenen Fällen gibt es auch Anzeichen von Misshandlungen oder (nicht entsprechend behandelten) Verletzungen.

c. Dokumente:

Die bei der Kontrolle vorzulegenden Dokumente fehlen, sind falsch oder verfälscht. Auffällig kann auch sein, wenn die Reisedokumente oder Ausweise der Betroffenen vom Beschäftigter selbst oder zentral von einer von diesem beauftragten Person verwahrt werden.

107 d. Arbeitszeit:

In Fällen von Arbeitsausbeutung werden die Betroffenen häufig zur Erbringung von extrem langen Arbeitszeiten gezwungen; dies betrifft zum einen wesentliche Überschreitungen der täglich zugelassenen Arbeitszeit, zum anderen aber auch für ein klassisches Arbeitsverhältnis untypische Arbeitszeiten während der Nacht oder an Wochenenden und Feiertagen. Nicht selten werden den Behörden dann falsche, „geschönte“ Arbeitszeitaufzeichnungen vorgelegt, die den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, und meist sogar von den Betroffenen – in Unwissenheit darüber, was hier überhaupt unterschrieben wird – schriftlich bestätigt werden.

e. Entlohnung:

Opfer von Arbeitsausbeutung erhalten häufig einen zu niedrigen Lohn oder wer- den überhaupt nicht entlohnt. Nicht selten sehen sich die Betroffenen gar nicht als Opfer von Ausbeutung, auch wenn nur ein Bruchteil des ihnen in Österreich zustehenden Lohnes ausbezahlt wird. Zum einen kann das daran liegen, dass die Betroffenen mit der österreichischen Rechtslage und den Mindestlohnbestimmun- gen (meist in Kollektivverträgen festgehalten) nicht vertraut sind, zum anderen sind die Betroffenen darauf angewiesen, zumindest irgendein Einkommen zu er- zielen: Viele von ihnen würden in ihrem Herkunftsland noch weniger verdienen, vorausgesetzt, dass sie dort überhaupt einen Arbeitsplatz finden. Häufig ist das in Österreich erzielte Einkommen die Hauptstütze für die im Herkunftsland verblie- bene Familie. Typisch ist oft auch, dass vom Lohn – über das rechtlich Erlaubte hinausgehend – hohe Beträge für die Unterbringung, die Verpflegung, die Arbeits- kleidung oder den Transport zur und von der Arbeit abgezogen werden. Nicht selten werden auch horrende Gebühren über längere Zeit für die bloße Vermittlung des Arbeitsplatzes abverlangt.

4. Die Rolle der Kontrollbehörden und Mitwirkung der Bevölkerung bei der Identifizierung möglicher Opfer von Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung

Bei der Identifizierung potenzieller Opfer von Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung spielen die Kontrollbehörden und Kontrolleinrichtungen eine wesentliche Rolle. Hierzu zählen neben der Polizei etwa die Finanzpolizei, die Arbeitsinspektion, die Land- und Forstwirtschaftsinspektionen der Bundesländer, die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) oder die Kontrollorgane der Sozialversicherungsträger. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Einrich- tungen sind häufig die ersten und nicht selten die einzigen, die – im Zuge ihrer Kontrolltätigkeiten – ausbeuterische Machenschaften zu Gesicht bekommen und beenden können.

108 Die Sensibilisierung der Kontrollbehörden, aber auch der Justiz zum Thema Men- schenhandel und Arbeitsausbeutung muss daher fortgesetzt und intensiviert wer- den. Bereits seit längerem gibt es Schulungen im Bereich der Polizei, der Justiz und der Finanzpolizei. Seit 2015 werden nun auch für die Arbeitsinspektion jedes Jahr entsprechende Schulungen angeboten. In diesen Schulungen soll den in der Kontrolle und der Strafverfolgung Tätigen vermittelt werden, Fälle von Menschen- handel zum Zweck der Arbeitsausbeutung zu identifizieren, Unterstützung für die Betroffenen zu gewährleisten und die Strafverfolgung zu erleichtern. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die stärkere Vernetzung der Kontrollbehörden einerseits untereinander aber andererseits auch mit den Einrichtungen zur Betreu- ung von Betroffenen. Die Arbeitsgruppe „Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung“ sieht in der Sensibilisierung und der Stärkung der Zusammen- arbeit eine ihrer wesentlichsten Aufgaben.

Auch wenn immer wieder betont wird, dass Menschenhandel ein Kontrolldelikt sei und Fälle von Ausbeutung vor allem im Zuge von Kontrollen identifiziert und danach strafrechtlich verfolgt werden sollen, zeigt eine Studie aus Deutschland, dass erst eine verhältnismäßig geringe Zahl an Fällen von Arbeitsausbeutung durch die Behörden selbst aufgedeckt wird. Die 2015 im Rahmen des Projektes „unsichtbar – Bündnis gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung“ veröffent- lichte Studie „Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung – Eine Aus- wertung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsakten und gerichtlicher Entscheidun- gen“ (Friedrich-Ebert-Stiftung – Forum Berlin, 2015) hält zwar fest, dass Menschenhandel gemeinhin als Kontrolldelikt angesehen werde, jedoch in nahe- zu der Hälfte der untersuchten Fälle die Betroffenen selbst oder Zeuginnen und Zeugen sich an die Polizei gewendet und damit Situationen von Arbeitsausbeutung identifiziert hätten.

Diese Erhebung zeigt, dass die Behörden besonders stark auch auf die Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen sind. Kontrollbehörden können nicht überall sein und sofort alle Missstände aufdecken. Es ist daher auch jede Einzelne und jeder Ein- zelne aufgerufen, verdächtige Beobachtungen der Polizei zur Kenntnis zu bringen. Das Bundeskriminalamt hat für diesen Zweck bereits vor einigen Jahren eine eigene Menschenhandels-Hotline eingerichtet, bei der niederschwellig und notfalls auch anonym Verdachtsfälle von Menschenhandel an die zuständigen Expertinnen und Experten des Bundeskriminalamtes gemeldet werden können (Telefon: 0677 61 34 34 34; E-Mail: [email protected])

5. Betreuungseinrichtungen für Betroffene des Menschenhandels

Seit fast 20 Jahren betreut LEFÖ-IBF, die Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, Frauen und Mädchen, die Opfer des Menschenhandels wurden.

109 Zum Angebot zählen die Bereithaltung von Not-Unterkünften, muttersprachliche Betreuung sowie psychosoziale, psychologische, soziale, Gesundheits- und Lebensberatung, die Gewährleistung medizinischer Versorgung, Beratung und Intervention hinsichtlich Aufenthalts- und Arbeitsrecht, Begleitung zu polizeilichen Einvernahmen, Prozessbegleitung oder Deutsch- und Weiterbildungskurse. Gera- de die Betreuung der Betroffenen in deren Muttersprache leistet einen besonde- ren Beitrag für die Rehabilitation der Opfer. LEFÖ-IBF hat dabei die Voraussetzun- gen geschaffen, in 47 verschiedenen Sprachen beraten zu können.

LEFÖ-IBF hat 2016 insgesamt 288 betroffene Frauen und Mädchen betreut, darunter wurden 63 in den Notwohnungen und 16 in einer Übergangswohnung untergebracht. 51 Prozent der Betroffenen stammen aus osteuropäischen EU- Staaten; 62 Prozent waren von sexueller Ausbeutung und 23 Prozent von Arbeitsausbeutung (insbesondere in Haushalten) betroffen. Die Kontaktaufnahme zu den betroffenen Frauen erfolgte in der Hälfte der Fälle durch die Polizei (LEFÖ-IBF: Tätigkeitsbericht, 2016). (http://www.lefoe.at/index.php/ibf.html)

Männliche Betroffene des Menschenhandels erhalten Unterstützung bei der Be- ratungseinrichtung MEN VIA. Diese Einrichtung wurde im Jahr 2014 gegründet und bietet Beratung und Betreuung von Betroffenen, nach Möglichkeit mutter- sprachlich, sowie psychologische Beratung, Gesundheits- und Lebensberatung, Unterstützung bei medizinischer Versorgung, Beratung und Intervention hinsicht- lich Aufenthalts- und Arbeitsrecht, Begleitung zu polizeilichen Einvernahmen, psy- chosoziale Prozessbegleitung und die Unterbringung in einer Schutzwohnung.

MEN VIA hat von Jänner 2017 bis August 2017 51 Männer betreut, sieben davon waren in der Schutzwohnung untergebracht. Die am stärksten betroffenen Bran- chen sind der Bau (47 Prozent der identifizierten Betroffenen) sowie die Land- und Forstwirtschaft (13 Prozent). (http://www.men-center.at/via.html)

Schließlich bietet UNDOK, die Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender, kostenlose mehrsprachige Information und Beratung zu arbeits- und sozialrechtlichen Fragen im aufenthaltsrechtlichen Kontext, aber auch Unterstützung bei der Geltendmachung vorenthaltener Ansprüche aus undo- kumentierten Arbeitsverhältnissen. (http://www.undok.at)

6. Schlussbemerkungen

Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung ist kein Problem, das weit entfernt und irgendwo in der Welt auftritt, sondern auch wir in Österreich sind davon betroffen. Betroffene müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten und die Täterinnen und Täter können gleichzeitig hohe Profite erzielen.

110 Die Kontroll- und Strafverfolgungsbehörden in Österreich leisten wichtige Arbeit bei der Bekämpfung dieser Form der organisierten Kriminalität.

Aber auch für jede Einzelne und jeden Einzelnen gilt: Anstatt wegzuschauen und das Problem zu verdrängen, sollten die Blicke geschärft werden. Verdächtige Be- obachtungen können auch von jedermann auf einfachem Wege über die Men- schenhandels-Hotline an die Spezialistinnen und Spezialisten der Polizei gemeldet werden.

111 Annemarie Herzl*

Interventionen bei Erkennung und Betreuung von Opfern des Menschenhandels/Frauenhandels in Kärnten (Beitrag Landeskriminalamt Kärnten, Ermittlungsbereich Menschenhandel/Schlepperei)

Neben sehr vielen und wichtigen Beiträgen anderer Organisationen/Personen darf ich Ihnen als Vertreterin der Polizei die Herausforderungen zum Thema Menschen- handel/Prostitution, Opfererkennung/Opferschutz, kurz näherbringen, denen wir als Kriminalbeamte im Landeskriminalamt tagtäglich gegenüberstehen.

Ja – es gibt Menschenhandel! Auch bei uns, auch in unserer heutigen Zeit! Und das nicht so selten wie es vielleicht auf dem ersten Blick scheinen mag. Aber sehr vieles spielt sich hier außerhalb unserer Wahrnehmung, im Dunkeln unserer Ge- sellschaft ab. Trotzdem sind wir als Polizei – und wir alle als Gesellschaft – immer wieder mit teils weitreichenden Auswirkungen in diesem Zusammenhang kon- frontiert. Auch viele kleinere und größere Delikte (Urkundendelikte, Körperverlet- zung, Diebstahl, Betrug…) werden im Polizeialltag „aufgearbeitet“, ohne dass da- hinter eine tieferliegende kriminelle Struktur (wie hier konkret der Bereich des Menschenhandels) erkannt wird.

Grundsätzlich muss einfach einmal festgehalten werden – es gibt einen Bedarf nach Sexarbeit, also kann (wer auch immer) mehr oder weniger viel Geld mit Prostitutionsausübung verdienen. Es ist daher auch sinnvoll, ein ausreichendes Angebot an legalen Rotlichtbetrieben zu haben, damit nicht die illegale Prostitu- tion forciert und unkontrollierbare Bedingungen und damit einhergehende schlim- mere Missstände – auch in Bezug auf Menschenhandel – geschaffen werden.

ABER: Es ist auch eine Tatsache, dass es sehr wenige Anzeigen gibt – d.h. sehr wenige Sexarbeiterinnen kommen zur Polizei, wenn sie zur Prostitution gezwun- gen, bedroht, geschlagen, missbraucht werden.

Das hat mehrere Gründe:

• Fast alle Sexarbeiterinnen wollen einfach nur schnell Geld verdienen und dann eine Familie gründen, Kinder haben und ein ganz normales Leben führen.

* Mag.a Annemarie Herzl, Gruppeninspektorin, Ermittlungsbereich Menschenhandel/Schlepperei, Landeskriminalamt Kärnten, Klagenfurt am Wörthersee, Österreich

112 • Mangels entsprechender Ausbildung und

• passender alternativer Angebote im Heimatland, scheint für viele Sex- arbeiterinnen die Prostitution die einzige Möglichkeit zu sein, (ausreichend) Geld verdienen zu können.

• Häufig schämen sich Sexarbeiterinnen für das was sie tun, der Familie zu Hause erzählen sie nicht die Wahrheit über ihre Arbeit.

• Sie fühlen sich allein,

• können häufig die Sprache nicht sprechen und haben kein Vertrauen zur Polizei, weil sie (in ihren Heimatländern) keine guten Erfahrungen gemacht haben,

• oder ihnen von ihren Zuhältern bewusst Angst gemacht wird.

Die Zuhälter nutzen diese Situation gezielt und geplant aus, zum Beispiel mit der sogenannten

• Loverboy-Methode: Dabei sprechen die Zuhälter ihre potentiellen Opfer, oft sehr junge Mädchen (z.B. in Rumänien – ein Großteil der Sexarbeiterinnen in Kärnten stammt aus Rumänien), an. Die Mädchen verlieben sich und glauben den schönen Versprechungen, die ihnen von ihrem „Herzbuben“ und späterem „Beschützer“ gemacht werden: „Du musst das nur für eine kurze Zeit machen, wenn du gut arbeitest, können wir uns bald gemeinsam eine Wohnung zu Hause kaufen und sind eine richtige Familie, du bist die einzige die ich liebe.“

Auch wenn diese Liebe manchmal recht schnell verflogen ist, die Mädchen wer- den dann von den Zuhältern finanziell und psychisch unter Druck gesetzt und kommen aus diesem Kreislauf sehr schwer wieder heraus. Unsere Aufgabe als Kriminalbeamte besteht dann etwa darin, herauszufinden, wie vielen Mädchen derselbe Zuhälter diese schönen Geschichten erzählt hat, damit ein potentielles Opfer ev. auch überzeugt werden kann, Anzeige zu erstatten bzw. Täter zur Ver- antwortung gezogen werden können.

Erkennung und Betreuung von Opfern des Menschenhandels/Frauenhandels

Die KriminalbeamtInnen, welche im Ermittlungsbereich Menschenhandel/Rotlicht arbeiten, nehmen selbst immer wieder Kontakt – besonders mit ganz jungen – Sexarbeiterinnen auf. Wir sprechen sie (mit Dolmetsch) an, hören zu, beobachten ihr Verhalten/Auftreten, versuchen einfach Vertrauen zu schaffen. Wir kontrollieren

113 auch regelmäßig die Bordelle, „nette Freunde“ der Sexarbeiterinnen werden kon- trolliert/befragt, im Umfeld Erhebungen gemacht, Informationen gesammelt, aus- gewertet und analysiert.

Das kann oft sehr mühsam und auch frustrierend sein – man erkennt zum Beispiel ein Opfer, aber die Frau sagt trotzdem, dass es ihr gut geht, dass „er eh nur gut auf sie aufpasst“ und sie freiwillig hier arbeitet. Und natürlich bringt es nichts, als Kriminalbeamte dann noch weiter Druck aufzubauen!

Vor Gericht besteht zusätzlich eine sehr anstrengende und belastende Situation für die Opfer. Allerdings ist die Opferaussage für eine Verurteilung des/der Täter unerlässlich und meistens gibt es neben der Opferaussage kaum andere Beweise!

Um aber Menschenhandel oder grenzüberschreitenden Prostitutionshandel wirk- sam zu bekämpfen, braucht es konsequente Kontrollarbeit und entsprechende Strukturermittlungen und Milieukenntnis. Eine enge nationale und internationale Zusammenarbeit ist unerlässlich!

Was aber tun wir konkret in Kärnten zur Bekämpfung des Menschenhandels?

In unserem Ermittlungsbereich im LKA bemühen wir uns nun schon seit einigen Jahren um eine konsequente und konstruktive Zusammenarbeit mit den Opfer- schutz- und Beratungseinrichtungen und allen betroffenen Behörden – der Justiz, den Gesundheitsämtern, dem Frauenreferat, den Bewilligungsbehörden, Finanz- behörden, Pflichtversicherungen etc.

Das LKA lädt ein-, zweimal jährlich zu einem „Runden Tisch“, wo Vertreter ver- schiedener Behörden, der Opferschutzeinrichtungen und der Polizei gemeinsam aktuelle Problemstellungen zum Thema diskutieren.

Gemeinsam mit dem Frauenreferat und der Caritas (Sr. Silke Mallmann) wurde bereits vor Jahren ein Folder für Opfer des Menschenhandels erarbeitet, der die wichtigsten Informationen und Kontaktnummern enthält und auch in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Dieser Folder liegt zum Beispiel bei allen Gesundheits- ämtern auf, wohin die Sexarbeiterinnen (dzt. in 6-wöchigen Abständen) zur Untersuchung gehen müssen.

Bei diesen Untersuchungen sind verpflichtend auch Beratungsgespräche mit den Sexdienstleisterinnen zu führen. Durch all diese regelmäßigen Kontakte sollte die Möglichkeit zur Entwicklung einer Vertrauensbasis geschaffen werden, wodurch wiederum ein leichteres/früheres Erkennen im Hinblick auf Menschenhandels- opfer möglich sein kann.

114 Beim Landeskriminalamt gibt es zusätzlich zu den Notrufnummern eine eigens für Opfer eingerichtete 24-h-Helpline, die durchgehend von einem Sachbearbeiter des Ermittlungsbereiches Menschenhandel/Schlepperei betreut wird. So kann ge- währleistet werden, dass sofort besonders sensibilisierte KriminalbeamtInnen mit den Sexarbeiterinnen sprechen.

115 Beiträge zu 40 Jahre überregionale Zusammenarbeit im Alpen-Adria Raum Beiträge zu 40 Jahre überregionale Zusammenarbeit im Alpen-Adria Raum Josef Lausegger*

Regionalismus als Barriere gegen den Nationalismus am Beispiel der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria

1. Einleitung

Am 20. November 1978 wurde die Arbeitsgemeinschaft der Länder und Regionen der Ostalpengebiete (Alpen-Adria) in Venedig gegründet. Ihre Aufgabe war „die gemeinsame informative fachliche Behandlung und Koordinierung von Fragen, welche im Interesse der Mitglieder liegen“.

Es wurde unkompliziert nach Wegen der Kooperation gesucht und jedwede Konfrontation und gegenseitige Kränkung gemieden. Man versuchte einfach, gemeinsam zu handeln.

Obzwar Kärnten und seine Nachbarn an einer neuralgischen Nahtstelle der euro- päischen Integration, am Eisernen Vorhang mit allen Belastungen und Vorurteilen gelegen waren, hatte man nicht den Versuch unternommen, zunächst einen Dialog über die belastende Geschichte, die historischen Traumen und die aktuellen Minderheitenfragen zu führen und die politischen Gegensätze aufzulösen. Derartige Versuche hätten zweifellos die nachbarschaftlichen Beziehungen zusätzlich belas- tet und Konfrontationen nach sich gezogen. Man respektierte die Partner jenseits der Staatsgrenzen und die sozialen, kulturellen, geschichtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten und Verschiedenheiten. Die gewählte Kooperation stimmte mit der Strategie des so genannten Brüderlichen Dialogs überein, den der französische Friedensnobelpreisträger des Jahres 1958, Dominique Pire, kreiert hatte. Die Aus- übung dieses Dialogs geschieht stufenweise und beginnt mit einer gemeinsamen nützlichen „Arbeit“, die von unterschiedlichen Leuten praktiziert wird. Demnach ist die gemeinsame Handlung fruchtbarer, wenn sie die Linderung des mensch- lichen Elends zum Ziel hat. Laut Dominique Pire solle man sich dabei mehr um Ähnlichkeiten und nicht um Unterschiede kümmern, „sind wir doch untereinander sehr viel ähnlicher als verschieden“.1 Damit hat man sich auch von ethnisch- nationalen Identitäten entfernt, die ja auf Unterschiede und Abgrenzungen fixiert sind.

* Dr. Josef Lausegger, von 1988 bis 2001 Leiter der Alpen-Adria Evidenzstelle, von 2001 bis 2004 1. Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria. Jurist, St. Veit an der Glan, Österreich

1 Dominique Pire, Baut den Frieden! Wir sind alle verantwortlich, Freiburg im Breisgau, 1967, S. 100, 101, 105; Die Thesen des Brüderliche Dialoges wurden in den 1960er-Jahren in Grundlsee im Rahmen der Johannes Ude-Friedensseminare verbreitet.

118 Der grenzüberschreitende Alpen-Adria-Regionalismus wirkt(e) in dieser Hinsicht als Barriere gegen Nationalismus und Fremdenhass.2 Das nationale Konfliktpotential resultiert daraus, dass die Identitätsfindung als Differenz zum jeweils „Anderen“ definiert wird. Dem Nationalbewusstsein ist somit ein permanentes Gegeneinander zugrunde gelegt, entscheidend ist das Trennende. Man braucht einen gemein- samen Feind und Konfrontationen.3 Da es sich beim Nationalbewusstsein um ein fundamentales, kollektives Netzwerk („Volksgemeinschaft“, „narodna skupnost“) handelt, spaltet es die regionale Zusammengehörigkeit. Regionalbewusstsein in seinem positiven Sinn bedeutet hingegen Heimatgefühl, Patriotismus, Summe der Individualität. Diese verbindende landsmannschaftliche Gemeinsamkeit muss natürlich allen beheimateten Bevölkerungsschichten, ungeachtet der Religion, Sprache, Nationalität, Staatsbürgerschaft, Rasse und Kultur zugestanden werden. Auch die neuen Minderheiten und die Zuwanderer, die bei uns bleiben wollen, gehören zu uns.4

Im Jahre 1993 war anstelle eines Nationalbewusstseins für Univ.-Prof. Andreas Moritsch sogar eine „Regionale Alpen-Adria-Identität“ denkbar.5 Diese Hoffnungen haben sich leider (noch) nicht erfüllt, obwohl viele Stimmen die Überwindung völkisch-nationaler Positionen, dazu gehört auch die Volksgruppenidee, dringend empfehlen.

2. „Alpen-Adria“ ist kontinuierlich zu einem Synonym für eine pragmatische grenzüberschreitende, friedensstiftende Begegnung zwischen benachbarten Regionen geworden. Bereits in den frühen 1960er-Jahren erkannte die Par- lamentarische Versammlung des Europarates, dass die europäische Einigung eigentlich an den Grenzen beginnen müsste und das Testfeld der europäischen Verständigung somit an den staatlichen Grenzen gelegen ist.6 Auch Kärnten hat die Nachbarschaftskontakte insbesondere nach dem Amtsantritt des Landes- hauptmannes Hans Sima ab dem Jahre 1965 intensiviert. Hinsichtlich der Rolle Kärntens im Raum Alpen-Adria verweise ich auf die Publikation des Historikers Hellwig Valentin.7 Einen Überblick über die Organisation, Kooperation und die Resolutionen der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria gewährt die Broschüre „Extra

2 Siehe auch: Josef Lausegger, Regionalismus – eine Alternative zum Nationalismus, in: Kärntner Jahrbuch für Politik, 1995, S. 57 ff. 3 „Identität bedarf Alterität: Um zu wissen, wer man ist, muss man wissen, wer man nicht ist. Der Einzelne, aber auch Kollektive wie die Mehrheit oder Minderheit benötigen daher eine klare Festlegung jener Teile, die nicht zu einem Selbst oder der eigenen Gruppe gehören, um sich anhand dieser Grenzlinien zu definieren und andere auszuschließen“, schreibt Ass.-Prof. Jürgen Pirker, in: Kärnten liegt am Meer, 2012, S. 449. In derselben Publikation (S. 379) bestätigt Franz Josef Smrtnik das Gesagte aus eigener Erfahrung: „Ich spüre selbst, dass, sobald du keinen Widerstand hast oder zumindest keinen Gegner, wirst du ruhig und dann bemühst du dich auch nicht so sehr. Das heißt in den letzten 15 oder 20 Jahren gab es fast keine Konfrontationen und keine Demonstrationen mehr und das lähmt die slowenische Volksgruppe.“ 4 Vgl. hingegen den Artikel 5 der neuen Kärntner Landesverfassung, womit sich das Land Kärnten (nur) zu einer Vielfalt bekennt, wie sie in Kärnten in der slowenischen Volksgruppe zum Ausdruck kommt. 5 Nedelja, 31.10.1993; Übersetzung des Landespressedienstes, Nr. 234/93. 6 Alois Larcher, Europäische Gruppierungen von Regionen, Provinzen, Bundesländern etc., Österreichische außenpolitische Dokumentation, Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, 1991. 7 Siehe: Hellwig Valentin, Kärntens Rolle im Raum Alpen-Adria, 1998.

119 4“, herausgegeben vom Generalsekretariat der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria im Jahre 2003. (Autor: Josef Lausegger)

Retrospektiv betrachtet dürften folgende Alpen-Adria-Ereignisse von besonderem Interesse sein: • Positiv waren ab dem Jahre 1967 die guten Kontakte zwischen Kärnten und Slowenien bzw. zwischen dem Kärntner Hans Sima (SPÖ) und dem kommunistischen, slowenischen Regierungschef Stane Kavčič. Auch die slowenische Minderheit in Kärnten war für Slowenien in dieser Phase kein Streitobjekt mehr. Diese zukunftsorientierte, grenzüberschreitende Annäherung konnten die beiden Politiker nicht zu Ende führen und mussten zurücktreten. Die Hintergründe der Kooperation zwischen Hans Sima und Stane Kavčič erscheinen aufklärungsbedürftig.

• Zu Beginn der 1980er-Jahre wurde zwischen Kärnten und Slowenien ein Kontaktkomitee eingerichtet. Dieses politische Gremium fungierte über zwei Jahrzehnte und wurde vor kurzem reaktiviert.

• Die Initiativen zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria sind von der Steiermark und von Venetien ausgegangen. Der damalige steirische Lan- desamtsdirektor, Dr. Alfons Tropper, fungierte als Spiritus Rector. Nach der Vorsitzführung im Biennium 1987/88 übernahm aber Kärnten eine führende Rolle (Evidenzstelle, Generalsekretariat).

• Die Erklärung von Millstatt vom 4. Juni 1988 wurde auch von Repräsentanten der Staaten Österreich, Jugoslawien, Ungarn, Italien und Deutschland unter- zeichnet. Die Minister betonten, dass die Alpen-Adria einen bedeutenden Beitrag zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens leiste und im europäischen Interesse liege. Diese Absichtserklärung beeinflusste zweifellos die weitere politische Entwicklung insbesondere in Jugoslawien und Ungarn. Einen ent- scheidenden Einfluss übte der damalige österreichische Außenminister Alois Mock (ÖVP) aus. Die Arbeitsgemeinschaft hat den slowenischen, kroatischen, aber auch ungarischen Politikern eine Möglichkeit geboten, diplomatische wie wirtschaftliche Kontakte zum Westen zu knüpfen und auszubauen. Jugos- lawische Geheimdienstexperten gingen sogar davon aus, dass das Projekt Alpen-Adria als Deckmantel zur Legitimierung der Sezession gedient habe.8

• Am 3.Juli 1991 wurde in Klagenfurt kurzfristig ein informelles Treffen der Regierungschefs der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria organisiert. In einer

8 Vgl.: Alfred Elste – Wilhelm Wadl, Titos langer Schatten. Bomben- und Geheimdienstterror im Kärnten der 1970er Jahre. Unter Mitarbeit von Hanzi Filipič und Josef Lausegger, 2015, S. 750.

120 Resolution zur Krise in Jugoslawien erklärte sich die Arbeitsgemeinschaft mit den Republiken Kroatien und Slowenien solidarisch und unterstützte ihre beiden Mitglieder nachhaltig. Der bayrische Ministerpräsident Max Streibl nahm erst- mals persönlich an einer Sitzung der Arbeitsgemeinschaft teil. Er berichtete, dass er bei seinem USA-Besuch Präsident Georg Bush bereits über die Vorgänge in Jugoslawien informiert und den Eindruck gewonnen habe, dass die USA bereit seien, umzudenken. Bayern stehe voll hinter Kroatien und Slowenien und habe Bundeskanzler Kohl empfohlen, auf diese Linie einzuschwenken.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch aus dem „Meraner Manifest“ vom 8. November 1984 zitieren. Dieses Dokument wurde von den Regierungschefs der Arge-Alp und der Arge-Alpen-Adria angenommen und stellt ein äußerst eindrucksvolles Bekenntnis zur grenzüberschreitenden, gutnachbarlichen Koope- ration dar: „Die Regierungschefs (…) erklären in ihrem unbeirrbaren Willen, als Bürger der Staaten, in denen sie leben, nach besten Kräften in allen Bereichen grenzüberschreitend als gute Nachbarn zusammenzuarbeiten, stets die Wege zueinander offen zu halten, immer miteinander im Gespräch zu bleiben, beson- ders wenn Schwierigkeiten auftreten sollten und alles in ihrem Rahmen Mögliche zu tun, um Trennendes durch Verbindendes zu ersetzen, dass kein Land durch ein anderes Schaden erfährt, dass es den Bewohnern dieser Länder ohne Ansehung der Weltanschauung, der Nationalität oder einer unterschiedlichen Gesellschaftsordnung leicht gemacht wird, sich zu verstehen, um den Weg der Zusammenarbeit, der Erhaltung des Friedens in Europa als gute Freunde gemein- sam zu gehen“. Man könnte zwar das Deutsch dieser zitierten Erklärung erheblich verbessern, inhaltlich wird aber die damalige positive Stimmung auf eine unüber- treffliche Weise geschildert. Ähnliche Absichtserklärungen vermissen wir heute. Die gegenwärtigen grenzüberschreitenden Projekte im Rahmen der Kohäsionspolitik der EU können dieses Miteinander nur lückenhaft fortsetzen, da nun die finanzi- ellen und nicht die zwischenmenschlichen und pazifistischen Ziele wichtig sind.

3. Im Unterrichtsbehelf „Zweisprachige Erziehung und Bildung in Kärnten“ wird die ethnisch-nationale Perversion wie folgt verständlich gemacht: „Nationale Abgren- zungen seit Beginn der 19. Jahrhunderts brachten es mit sich, dass Sprache nicht mehr nur als Verständigungsmittel und als künstlerische Ausdrucksform dient. Sprache hat seither leider auch die Funktion eines Machtmittels; sie soll Vorurteile und Feinbilder zementieren und man missbraucht sie zu Zwecken eines ethnischen Bekenntnisses und zur Ausgrenzung des jeweils anderen“.9 Dies gilt sowohl für den Minderheitennationalismus als auch für den Nationalismus der Mehrheiten. Diese beiden nationalen Gegensätze bedingen einander. Ein allfälliger Nationalismus der Mehrheitsbevölkerung muss daher geschwächt und nicht zur

9 Herausgeber: Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten, Wien, 2000, S. 11.

121 Herstellung einer „Waffengleichheit“ der Nationalismus der Minderheit gestärkt werden.10 Europa ist voll von diesen gefährlichen völkisch-nationalen Gegensätzen und Spaltungsversuchen. Die sogenannten Mutterstaaten agieren destabilisierend: Der Einfluss der Türkei auf die bei uns lebenden türkischen Landsleute wird von den Medien äußerst kritisch dargestellt. Auch Russlands Präsident Putin, der sich nach der Ukraine nun den drei baltischen Republiken zuwenden will, denn die russische Minderheit klage angeblich über Diskriminierung, wird deshalb berechtigt kritisiert werden.11 Die störenden Einflüsse von „Mutterstaaten“ werden aber leider mit zweierlei Maß gemessen. Wenn man sich gegen Parallelgesellschaften wehrt und die Finanzierung aus dem Ausland mit großem Misstrauen begegnet, dann dürfte dies nicht nur für die türkischen und russischen Minderheiten12, sondern generell für alle österreichischen Minderheiten gelten. Slowenien erklärte sich aber im Artikel 5 der Verfassung sogar zuständig, für die slowenischen Minderheiten im benachbarten Ausland Sorge zu tragen, ohne dafür von europäischen Institutionen oder von Österreich gerügt worden zu sein.

In den postkommunistischen Reformstaaten ergab sich ein Rückschlag in Richtung Nationalismus, wo das entstandene Machtvakuum beinahe „eruptionsartig mit dem schmutzigen Abwasser verschiedenartiger nationalistischer Ideologien aufgefüllt wurde, die Europa nach einem langwierigen mühsamen Prozess der Verständi- gung abermals zu entzweien drohen“, schrieb Milo Dor im Jahre 1992.13 Auch in Kärnten fühlt sich die ethnozentristische bzw. nationalistische Gruppierung der Kärntner Slowenen durch den slowenischen Staat, der eine sehr ausgrenzende und nach Innen homogenistische Politik der nationalen Identität betreibt, gestärkt, konstatierte Vladimir Wakounig im Jahre 1999.14 Der Nationalismus ist eben eine unheimlich starke Kraft und vielleicht die größte Gefahr für die sehr jungen Bürger- gesellschaften Osteuropas, schrieb Paul Lendvai im Jahre 1999.15 Kärnten ist auch wegen seiner geografischen Lage mit diesen nationalen Spannungen konfrontiert.

Wie tritt aber der fundamentale, ethnische/völkische Nationalismus in Erscheinung? Für den Terminus Nationalismus gibt es keine allgemein akzeptable Definition. Meines Erachtens gehören insbesondere folgende Verhaltensweisen zu den tra- ditionellen nationalistischen Erkennungsmerkmalen:

10 Sabine Riedl, Politikwissenschaftlerin, betont, dass der Nationalismus der Minderheiten auch zu einem Nationalismus der Mehrheit verleitet: „Denn sobald Minderheiten nach ethnischen Kriterien zu einer Gruppe zusammengefasst werden, erhebt sich die Frage nach der Ethnizität der Mehrheitsbevölkerung. Spiegelbildlich zur ethnischen Identität der nationalen Minderheiten wird sich auch die Mehrheit nach bestimmten kulturellen, sprachlichen oder religiösen Kriterien orientieren“. Quelle: Minderheitenkonflikte in Europa, 2006, S. 257. 11 Kronen Zeitung, 8.6.2018, S. 8. 12 Kleine Zeitung, 9.6.2018, S. 4 ff. 13 Milo Dor, Das Gespenst des Nationalismus, Lesezirkel Nr. 1/1992, Beilage zur Wiener Zeitung. 14 Vladimir Wakounig, in: Antirassistische Pädagogik in Europa, Klagenfurt,1999. 15 Siehe: Paul Lendvai, Kleine Zeitung, 9.11.1999.

122 • Ablehnung des Regionalismus bzw. Föderalismus

• Kampf ums Deutschtum oder Slowenentum und Ächtung der „Verräter“

• Empfindungen für ein nationales, möglichst großes „Mutterland“ (Mutterstaat)

• Konzentration auf einen bestimmten Gegner, „Feind“

• Ansätze einer Rassenideologie (=physiologische Begründung der Volkszuge- hörigkeit)

• demonstrative Massenveranstaltungen („Rudelbildung“)

• Mythos von „verlorenen“ Gebieten

• Weckung des Nationalstolzes bereits im Kindesalter (Elitebildung)

• Helden werden zu Mahnern nationaler Pflichterfüllung

• Gründung politischer Parteien mit völkischer Weltanschauung

• Das Individuum muss sich der Gruppe (Volk, Volksgruppe…) unterordnen

Diese Merkmale waren der multilateralen Alpen-Adria-Kooperation fremd. Im Wesentlichen handelt es sich um Verhaltensweisen, die für den Nationalismus heute und in der Vergangenheit typisch sind und die europäische Integration bremsen. Ohne Ausstieg aus ethnischen Konzepten dürfte die europäische Einigung zum Scheitern verurteilt sein.

4. Die geopolitische Lage der Alpen-Adria ergibt eine einzigartige Vielfalt mit großen Chancen und Herausforderungen aber ebensolchen Gefahren für die europäische Stabilität des Raumes und daher auch für die europäische Integration als solche. Namhafte Persönlichkeiten setzen sich für eine Überwindung des Nationalismus und Stärkung des Regionalbewusstseins ein. So vertritt Robert Menasse nach- drücklich die Idee eines „Europas der Regionen“ und fragt sich, was an der Idee einer Überwindung des Nationalismus nach all unseren Erfahrungen mit dem Nati- onalismus falsch sein soll.16 Das Europa der Zukunft könne nur ein Europa kleinerer und größerer, intensiv miteinander kommunizierender Regionen ohne trennende Grenzen sein. Diese Regionen werden besonders in Mitteleuropa multiethnisch sein, hoffte im Jahre 1992 der bekannte Kärntner Historiker Andreas Moritsch: „Was

16 Robert Menasse, Nicht mehr, noch nicht, Die Presse, 13.6.2015, Spectrum II.

123 meine Sparte, die Geschichtswissenschaft, zur längst fälligen Bewusstseinsverän- derung beitragen kann, ist die Einziehung der ab- und ausgrenzenden nationalen Geschichtsbilder und die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalismus als einem historischen Phänomen. Das sollten wir gemeinsam mit unseren Kollegen aus dem östlichen Europa machen“. Seine Prognose: „In einem national viel- gestaltigen, entgrenzten Europa können Mehr- oder Minderheiten, Gast- oder Muttervölker und letztlich auch Volksgruppen keine maßgebenden politischen Kategorien mehr sein“.17 Andreas Moritsch ist allzu früh verstorben. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalismus findet in Kärnten leider nicht mehr statt. Gelegentlich wird in Kärnten die grenzüberschreitende Kooperation sogar für eine völkisch-nationale Vernetzung missbraucht. Auch Sektionschef Gerhard Hesse, Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, stellte die Frage, ob man sich „an der überkommenden Volksgruppendefinition (…) abarbeiten oder einen anderen Weg beschreiben sollte“.18 Marjan Sturm, Obmann des Zentral- verbandes slowenischer Organisationen, versprach schon im Jahre 1995: „Wenn man sieht, was in Jugoslawien passiert, so müssen wir daraus die Lehren ziehen. Die europäische Herausforderung bedeutet für uns: nicht national auf-, sondern abrüsten.“ Man müsse wegkommen von sturen nationalen Trennlinien, hin zur Überschreitung ethnischer Grenzen, so Sturm.19 Der deutsche Politikwissenschaftler Prof. Samuel Salzborn warnte in seiner Dissertation „Ethnisierung der Politik“ vor einer Renaissance der Volksgruppenidee. Damit sei nämlich eine immense Bedro- hung der europäischen Nachkriegsordnung gegeben, da damit auch die völkische Theorie des Nationalsozialismus rezipiert und politisch umgesetzt werden soll. Das Volksgruppenrecht sei „migrations- und migrantenfeindlich“. Salzborn beruft sich dabei beispielsweise auf Artikel 4 der Hauptgrundsätze der einflussreichen europäischen Volksgruppenorganisation FUEV (heute: FUEN), wonach das Hei- matgebiet der Volksgruppen nicht durch Unterwanderung seinen ethnischen und sprachlichen Charakter verlieren darf. Der Experte unterscheidet zwischen dem menschenrechtlichen Minderheitenschutz und der kollektiven Volksgruppenidee wie folgt: „Auf der einen Seite der Konfliktlösungsmodelle findet sich der zumeist mit dem Terminus des Minderheitenschutzes versehene menschenrechtliche Ansatz, der sich am Individuum orientiert und sich auf dieses als Rechtssubjekt bezieht. (…) Entgegen dem individuellen Schutz der Menschen vor Diskriminierung wird in der Volksgruppentheorie ein kollektivrechtliches System mit politischen Sonderrechten für völkisch definierte Gruppen befürwortet“.20 Diese wichtige Unterscheidung zwischen der kollektiven, völkischen Volksgruppenidee und

17 Andreas Moritsch, Von der Dynastie zur Nation. In: Lesezirkel Extra (Wiener Zeitung vom 11.2.1992). Andreas Moritsch, Modernisierung und nationale Differenzierung bis 1848, in: Austria Slovenica, 1996, S. 57. 18 Gerhard Hesse, Autochthonie und neue Minderheiten-Grundlagen und Perspektiven für die Reform des österreichischen Volksgruppengesetzes. In: Kärnten Dokumentation, Band 28/29; S. 37 ff. 19 Kleine Zeitung, 9.8.1995, S. 4. 20 Samuel Salzborn, Ethnisierung der Politik, Theorie und Geschichte des Volksgruppenrechts in Europa, 2005; S. 15,16,73, 254,735; die Studie wurde vom österreichischen Professor Anton Pelinka wissenschaftlich betreut.

124 dem menschenrechtlichen Ansatz eines individuellen, demokratischen Minder- heitenschutzes findet in der Minderheitenpolitik zu wenig Beachtung. Es wird nicht selten im Sinn einer Volksgemeinschaft (narodna skupnost) vorgegangen. Regionale Gemeinsamkeiten leisten zweifellos einen Beitrag zur Überwindung ethnisch-nationaler Spannungen. Mit der Betonung einer gemeinsamen regiona- len Identität, in der auch neue Minderheiten und Zuwanderer ihren Platz finden können, sollte das Ziel einer friedlicheren Koexistenz gelingen. Das Bekenntnis zum deutschen Volk ist nach den bitteren Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges rapide gesunken. Laut einer Studie des Geografischen Institutes der Universität Laibach ist auch bei vielen Slowenen in Österreich ein ausgeprägtes Bekenntnis zur regionalen Identität gegeben.21 Untersuchungen ergaben laut der Expertin Štefka Vavti, dass insbesondere bei den slowenischen Jugendlichen eine dop- pelte oder multiple Identifikation mit zum Teil nur noch symbolischer Ethnisierung und somit eine Abkehr von den alten Mustern festzustellen ist.22 Die ethnische und nationale Identität scheinen bei slowenischen Jugendlichen in Kärnten an Bedeutung zu verlieren, heißt es auch in einer weiteren aktuellen Studie.23 Die Politik scheint diese völkisch-nationale Abkehr noch nicht positiv zu bewerten. Auch die Kärntner Konsensgruppe hat mit ihrer Zielsetzung einer Friedensregi- on Alpen-Adria den Nationalismus in Kärnten erheblich geschwächt. Es besteht durchaus die Hoffnung, dass eine Überwindung ethnisch-nationaler Strukturen erreicht und auch in europäischer Hinsicht ein positiver Beitrag geleistet werden kann. Erst danach kann auch mit einer Integration der neuen Minderheiten und Zuwanderer gerechnet werden. Diese Integration vollzieht sich erfahrungsgemäß zunächst im Wege der substaatlichen Regionen, erst danach wird die staatliche Zugehörigkeit positiv akzeptiert.24 Die Akzeptanz von substaatlichen Regionen und deren grenzüberschreitender Vernetzung ist für Europa eine Überlebensfrage.

Die Alpen-Adria-Idee könnte weiterhin als gutes Beispiel und Orientierungshilfe dienen.

21 Jernej Zupančič, Slovenci v Avstriji, Ljublana 1999. Die Umfrage ergab sogar, dass mehr Kärntner Slowenen ihre Identität als „Österreicher“ oder „Kärntner“ empfinden denn als „Slowenen“. 22 Novice, 16.12.2009. 23 Identitetne opredelitve mladih v slovenskem zamejstvu, 2018, S. 130; Herausgeber: Milan Obid. 24 Sogar Fußball-Nationalspieler identifizieren sich weiterhin mit ihrem Herkunftsstaat und Minderheiten neigen dazu, die staatlichen Symbole ihres „Mutterlandes“, und nicht des Wohnsitzstaates, zu verehren.

125 Hellwig Valentin*

Für eine Region des Friedens und des Wohlstandes.

Die Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Raum Alpen- Adria und ihre Zielsetzungen

Grenzen sind nicht nur Barrieren, die der Abgrenzung dienen, sie sind auch Zeichen des Respekts und der Akzeptanz. Es ist daher nicht die Absicht der grenz- überschreitenden Zusammenarbeit, die staatlichen Grenzen, diese „Narben der Geschichte“, zu beseitigen. Vielmehr geht es darum, die negativen Auswirkungen zu überwinden, die mit den Grenzziehungen verbunden sind. Denn die Bewohner der Grenzgebiete sollen sich nicht „Rücken an Rücken“ gegenüberstehen, sondern „von Angesicht zu Angesicht“. Dabei kommt der Zusammenarbeit zwischen den Regionen und Gemeinden diesseits und jenseits der Grenzen eine besondere Bedeutung zu. Die Erfahrung zeigt, dass sich viele Fragen gemeinsam mit den unmittelbaren Nachbarn, die man kennt und denen man vertraut, leichter lösen lassen als über die Staatsregierungen. Denn die Wege der Staatspolitik und der Diplomatie sind oft langwierig und verschlungen.

Historische Voraussetzungen

Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Raum Alpen-Adria, die seit nunmehr 40 Jahren in einer institutionalisierten Form erfolgt, kann auf Beziehungen aufbauen, die viele Jahrhunderte zurückreichen. Ein Großteil der Gebiete, die heute zum Raum Alpen-Adria gerechnet werden, gehörte über lange Zeit zum Territorium der Donaumonarchie. Im Ersten Weltkrieg wurde der Alpen-Adria-Raum von der Kriegsfurie erfasst, denken wir an die blutigen Isonzo-Schlachten und das Ringen um die „Steinerne Front“ in den österreichisch-italienischen Grenzbergen. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall des habsburgischen Vielvölkerstaates im Jah- re 1918 verteilte sich der gemeinsame Lebensraum auf zahlreiche Nationalstaaten. Die Grenzen dieser sogenannten Nachfolgestaaten des Kaiserreichs waren vielfach umstritten und verursachten neue Spannungen zwischen den Nachbarn. Zudem befanden sich innerhalb dieser Nationalstaaten sprachlich-ethnische Minderheiten, was zu teils heftigen Konflikten im Innern und nach Außen führte.

Von einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im modernen Sinn konnte in der Zwischenkriegszeit kaum die Rede sein. Während des Zweiten Weltkrieges

* Univ. Doz. Dr. Hellwig Valentin, von 2004 bis 2009 2. Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria, Historiker in Klagenfurt am Wörthersee

126 gerieten die Bewohner des Alpen-Adria-Raumes in einen Strudel von Gewalt und Chaos. Ein Land nach dem anderen wurde in das Kriegsgeschehen einbe- zogen. Unterdrückung, Verfolgung und Widerstand forderten tausende Opfer. Die Wunden, die in dieser Zeit geschlagen wurden, waren tief und schmerzhaft. Ein Händereichen über die Grenzen hinweg schien in den ersten Jahren nach Kriegsende 1945 zunächst in weite Ferne gerückt. Zudem erschwerten Vergel- tungsaktionen und erneut auftretende Grenzkonflikte das Näherkommen. Hinzu kam, dass die Grenzen bald nicht nur Trennlinien zwischen den Staaten waren, sondern auch Barrieren zwischen den politisch-ideologischen Systemen. Der „Kalte Krieg“ warf seine Schatten auf den Raum Alpen-Adria.

Nie wieder Krieg!

In dieser Situation reifte bei den Menschen im alpen-adriatischen Zentralbereich, also an der Dreiländerecke zwischen Italien, dem damaligen Jugoslawien und Österreich, die Überzeugung, sich nicht länger den Unbilden der „großen Politik“ auszusetzen, sondern das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Niemals wieder dürfe der Alpen-Adria-Raum Schauplatz eines Krieges werden – darüber waren sich die Gutgesinnten in den Grenzgebieten rasch einig. Auf unterschiedlichen Wegen suchte man nach direkten Kontaktmöglichkeiten mit den Nachbarlän- dern. In Friaul-Julisch Venetien, Slowenien und Kärnten bildete sich Ende der 1960er-Jahre der Alpen-Adria-Begriff als Synonym für die grenzüberschreitende Kooperation in diesem Raum heraus.

Den Akteuren war darum zu tun, im regionalen Bereich das zu verwirklichen, was auf nationaler Ebene nur unter Schwierigkeiten möglich schien: nämlich Freundschaft zwischen den Menschen unterschiedlicher politischer, sprachlicher und kultureller Zugehörigkeit zu schließen – und zwar über alle Grenzen hinweg. Belastungen aus der Vergangenheit sollten im Interesse einer gemeinsamen Zukunftsentwicklung soweit wie möglich zurücktreten. Wegbereiter dieser auf- keimenden Beziehungen war die Kultur, gefolgt vom Sport. Dann schaltete sich die Politik ein, schließlich erkannten auch Wirtschaftskreise die neuen Möglich- keiten. Es ist bemerkenswert, dass die ersten Kulturkontakte zwischen Kärnten und Slowenien bereits im Jahre 1950 stattfanden – zu einer Zeit, als noch keine formellen Beziehungen zwischen Österreich und Jugoslawien bestanden. Das Näherkommen auf regionaler Ebene eilte somit der staatlichen Diplomatie voraus.

Beobachter sind der Ansicht, dass durch die frühen grenzüberschreitenden Kontakte im engeren Alpen-Adria-Raum der Abschluss des österreichischen Staatsvertrages im Jahre 1955 positiv beeinflusst wurde. Damit wurde einer friedlichen Entwicklung dieses Raumes der Weg bereitet, zumal die Grenzen Österreichs mit seinen Nachbarn, die zum Teil längere Zeit umstritten waren,

127 nunmehr völkerrechtlich anerkannt wurden. Auf Grund der guten Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen Klagenfurt, Laibach/Ljubljana und Triest wurde der Entschluss gefasst, diese Form der überregionalen Zusammenarbeit auf den gesamten Ostalpenraum auszudehnen und auf eine organisatorische Basis zu stellen. Die Anregung zur Gründung der neuen Gemeinschaft kam im September 1974 von der Steiermark, weitere Initiativen setzten Kärnten und Venetien. Als Vorbild diente die 1972 in Tirol gegründete „Arbeitsgemeinschaft Alpenländer“, kurz Arge Alp genannt. Mit der Steiermark, Friaul-Julisch Venetien, Kärnten, Kroatien und Slowenien hatte sich bis Herbst 1975 der Kreis der beitrittswilligen Mitglieder im Großen abgezeichnet.

Eine weitere Vorstufe der Arbeitsgemeinschaft der Ostalpenländer war die Ende der 1960er-Jahre begründete Zusammenarbeit zwischen Kärnten, Slowenien, Friaul-Julisch Venetien und Kroatien im Rahmen des Quadrigons. Im Vordergrund stand dabei die Abstimmung der Vorhaben in den Bereichen Tourismus und Raumplanung. Es gab aber in dieser Frühphase Kooperationen, die weit über diesen Rahmen hinausreichten. So diskutierten im Dezember 1974 Vertreter von Friaul-Julisch Venetien, Kroatien, Slowenien, Kärnten und der Steiermark in Graz die Möglichkeit der Schaffung eines „kleinen Grenzflugverkehrs“. Eine Zeit lang gab es zwischen Kärnten und der Steiermark ein Tauziehen darüber, wer die Fäden der Gründung der künftigen Arbeitsgemeinschaft in die Hand bekommen sollte. Man fand schließlich eine salomonische Lösung: Die Steiermark stellte den Gründungsvorsitzenden und in Kärnten entstand die zentrale Alpen-Adria- Geschäftsstelle, das spätere Generalsekretariat.

Institutionalisierte Kooperation

Nach einer vorbereitenden Sitzung in Graz erfolgte am 20. November 1978 die Gründung der neuen Gemeinschaft. Als „Geburtsort“ wurde Venedig gewählt, da man sich von der Lagunenstadt eine stärkere Resonanzwirkung erwartete. Diese „Arbeitsgemeinschaft der östlichen Alpenländer“, wie sie zunächst hieß, hatte acht Vollmitglieder in Deutschland, Italien, Österreich und dem damaligen Jugoslawien. Bald sollte sich die Bezeichnung „Alpen-Adria“ durchsetzen, wozu es übrigens keines formellen Beschlusses bedurfte. Der seit Ende der sechziger Jahre gebräuchliche Begriff für die Zusammenarbeit der Nachbarländer Friaul- Julisch Venetien, Kärnten und Slowenien lebte nun in größerem Rahmen weiter. Eine Organisationsstruktur mit Vollversammlung, Kommission der Leitenden Beamten, Fachkommissionen, Arbeits- und Projektgruppen wurde geschaf- fen. Als Arbeitssprachen wurden Deutsch, Italienisch, Kroatisch und Slowenisch festgelegt, später kam Ungarisch hinzu. Der Vorsitz in der „Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria“ wechselte in alphabetischer Folge alle zwei Jahre.

128 Das Entstehen der Arbeitsgemeinschaft wurde durch einige politische Konstellatio- nen in den beteiligten Staaten begünstigt. So wurde das österreichisch-italienische Verhältnis durch die Vereinbarung des Südtirol-Pakets im Jahre 1969 entkrampft. Der Vertrag von Osimo 1975 sorgte für eine Entspannung der Beziehungen zwischen Italien und Jugoslawien. Das Verhältnis zwischen Österreich und Jugo- slawien war zwar wegen der Probleme in Verbindung mit der slowenischen Volksgruppe angespannt, eine nachhaltige Belastung der Beziehungen erfolgte jedoch nicht. Darüber hinaus war man sowohl in Jugoslawien nach der Entmach- tung der sogenannten „nationalistischen Kräfte“ in Zagreb 1971, als auch in Italien, wo 1975 regional sehr unterschiedliche Wahlresultate registriert wurden, offenbar bereit, den Teilrepubliken bzw. Regionen mehr Bewegungsspielraum einzuräumen.

Im gesamteuropäischen Interesse

Die Staatsregierungen haben noch einige Zeit skeptisch diese „regionale Außen- politik“ im Alpen-Adria-Raum beobachtet. Aber knapp zehn Jahre nach der Gründungsversammlung in Venedig, im Juni 1988, begrüßten die Vertreter der Zentralregierungen jener Staaten, die an der Arbeitsgemeinschaft beteiligt sind, im Rahmen einer Vollversammlung in Kärnten die Tätigkeit der Alpen- Adria. In ihrer „Millstätter Erklärung“ betonten die Regierungsvertreter von Italien, Deutschland, Ungarn, Jugoslawien und Österreich, dass diese Zusammenarbeit „im gesamteuropäischen Interesse“ liege. Dieses gemeinsame Bekenntnis der Repräsentanten von Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen bedeutete eine enorme Aufwertung der grenzüberschreitenden Kooperation in diesem Raum. Der besondere Erfolg lag darin, die Staatsregierungen in aller Öffentlichkeit auf den Alpen-Adria-Gedanken „einzuschwören“. Den Regionen wurde zugleich die Chance geboten, ihre Wünsche in die zwischenstaatliche Politik einfließen zu lassen.

Eine Plattform der internationalen Politik war die Alpen-Adria auch Anfang der 1990er-Jahre, als die Arbeitsgemeinschaft massiv die Unabhängigkeitsbe- strebungen der Mitgliedsländer Slowenien und Kroatien im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens unterstützte. Eine außerordentliche Vollversammlung, die im Juni 1991 in Klagenfurt stattfand, beschloss eine Resolution, in der die Weltöffentlich- keit aufgefordert wurde, „das Selbstbestimmungsrecht, die Unabhängigkeit und die Souveränität der Republiken Slowenien und Kroatien anzuerkennen“. Später rückte der Gedanke in den Vordergrund, Alpen-Adria als Brücke zwischen den EU-Ländern und jenen Gebieten zu nutzen, die noch nicht der Europäischen Gemeinschaft angehören. Mit dem EU-Beitritt Kroatiens im Jahre 2013 waren alle Alpen-Adria-Länder Mitglieder der Europäischen Union.

129 Die Arbeitsgemeinschaft hatte im Laufe der Zeit bis zu 19 Mitglieder, um 1990 umfasste das Gebiet der Alpen-Adria eine Fläche, die größer war als die damalige Bundesrepublik Deutschland. Später ging die Anzahl der Mitgliedsländer aus unterschiedlichen Gründen kontinuierlich zurück. Vielfach war man der Mei- nung, dass mit dem Beitritt aller Alpen-Adria-Länder zur Europäischen Union die historische Mission der Arbeitsgemeinschaft erfüllt sei. Andererseits ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf regionaler Ebene für den Zusammen- halt eines Europa des Friedens und des Wohlstandes von besonderer Wichtigkeit und auch in Zukunft unverzichtbar.

Die Volksgruppen als Brücke

Über 200 Fachberichte zu verschiedenen aktuellen Themen hat die Arbeitsge- meinschaft im Laufe ihres Bestehens veröffentlicht. Hervorgehoben sei die 1988 erschienene Dokumentation über die Lage der ethnischen Minderheiten im Alpen-Adria-Raum, die 2004 in aktualisierter und erweiterter Form neu aufgelegt wurde. Die Brückenfunktion der Volksgruppen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wurde in dem Dokument besonders hervorgehoben. Frei- lich können die Volksgruppen nur dann als tragfähige Brücken zwischen den Nachbarn wirken, wenn Mehrheit und Minderheit im eigenen Land friedlich zusammenleben und offene Fragen einvernehmlich gelöst werden. Denn wie im Alltag geht man nicht gern zu Besuch, wenn im Haus der Nachbarn gestritten wird. Die Experten der Arbeitsgemeinschaft beschäftigten sich weiters mit Fragen der Verkehrserschließung und der touristischen Zusammenarbeit, mit Problemen der Landwirtschaft und des Gesundheits- und des Sozialwesens sowie mit den Möglichkeiten eines intensivierten Austausches auf den Gebieten der Kultur, des Sports und der Jugendarbeit.

Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria wurden mehr als 600 gemeinsame Projekte durchgeführt. Dabei konnte immer wieder zu konkreten Problemlösungen beigetragen werden. Mit Erfolg hat sich die Arbeitsgemein- schaft für den Ausbau der transnationalen Verkehrsverbindungen eingesetzt, man denke an die Errichtung des Karawankenstraßentunnels oder die Fertigstellung der „Alpen-Adria-Autobahn“ zwischen Villach und Udine. Im Vordergrund der Projektarbeit standen vor allem die Themen Tourismus, Kultur, Sport, Jugend, Volksgruppen, Frauen, Gesundheit, Behinderte usw. Höhepunkte der Jahresarbeit waren die großen Sportveranstaltungen der Jugend aus den Alpen-Adria-Län- dern, die alternierend im Sommer und Winter unter reger Beteiligung stattfanden. Diese Alpen-Adria-Jugendspiele, die zu Recht mit Olympiaden im regionalen Maßstab verglichen werden, gehörten zu den größten Jugendsportveranstal- tungen in Europa.

130 Für Frieden und Völkerverständigung

Die grenzüberschreitenden Projekte haben nicht nur eine materielle Seite, son- dern auch eine politisch-pädagogische. Durch die gemeinsame Projektarbeit soll ein Beitrag zur Verwirklichung der allgemeinen Zielsetzungen der länderüber- greifenden Zusammenarbeit geleistet werden: Es geht um Friedenssicherung, Eintreten für Völkerverständigung und nationale Gleichberechtigung, Förderung der sprachlich-kulturellen Vielfalt und Stärkung der regionalen Identitäten in einem Europa der Regionen. Zudem sollen der materielle Wohlstand und die soziale Sicherheit der Menschen in den Grenzregionen gewährleistet werden.

Im Jahre 2006 unterzog sich die Arbeitsgemeinschaft einer Strukturreform mit dem Ziel, die formalen Abläufe zu erleichtern, die Kommunikation zu verbes- sern und die Zusammenarbeit stärker auf die Realisierung konkreter Projekte zu konzentrieren. Nach diesen organisatorischen Neuerungen ging man in der Alpen-Adria daran, die Arbeitsgemeinschaft für die Herausforderungen der Zukunft fit zu machen. Im Vordergrund stand dabei die Frage, wieweit die Mög- lichkeiten genutzt werden können, die von der Europäischen Union im Bereich der grenzüberschreitenden Kooperation geboten werden, im besonderen in Hinblick auf die Realisierung gemeinsamer strategischer Projekte. Resultat dieser Bestrebungen war die Gründung der Alpen-Adria-Allianz im Jahre 2013 als Nachfolgeorganisation der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria. Das Generalsekre- tariat des neuen Netzwerkes verblieb in Klagenfurt, womit die Kontinuität der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Alpen-Adria-Raum unterstrichen wurde.

Der Reiz der Arbeitsgemeinschaft lag seit ihrer Gründung darin, dass unter dem Alpen-Adria-Dach Regionen aus kommunistisch orientierten Staaten, NATO-Län- dern und neutralen Staaten miteinander verbunden waren. Die Zusammenarbeit im Raum Alpen-Adria hat mitgeholfen, dass die politisch-ideologischen Barrieren, die im „Eisernen Vorhang“ ihren sichtbaren Ausdruck fanden, überwunden werden konnten. Der Abbau der Grenzbehinderungen zwischen Österreich, Slowenien und Ungarn Ende 2007 machte die grenzüberschreitende Koope- ration nicht überflüssig, sondern erleichterte das Näherkommen. Nach wie vor geht es darum, den Alpen-Adria-Raum als eine Region des Friedens und des Wohlstandes für die dort lebenden Menschen zu erhalten. Wenngleich wir glücklicherweise in einer seit vielen Jahren andauernden Friedensphase leben, muss man bedenken, dass sich das leicht ändern kann. Denn die einzige Lehre aus der Geschichte, die sich immer wieder bestätigt, ist die, dass alles, was einmal passiert ist, wieder geschehen kann – im Guten wie im Schlechten. Der Einsatz für ein friedliches Miteinander über alle Grenzen hinweg ist daher eine dauernde Aufgabe.

131 Beitrag zur europäischen Integration

Die grenzübergreifende Kooperation auf regionaler Ebene trägt zweifellos zur Festigung der verschiedenen regionalen Identitäten bei und fördert zugleich die Herausbildung einer europäischen Identität. Auch wenn es widersprüchlich erscheinen mag: Es ist das Prinzip der sprachlich-kulturellen Vielfalt, das die Staa- ten Europas zusammenhält. Jede Tendenz zur Vereinheitlichung im Bereich von Sprache und Kultur würde die Gefahr des Auseinanderdriftens der europäischen Nationen heraufbeschwören. Die Zusammenarbeit zwischen den Regionen diesseits und jenseits der Grenzen ist daher nicht nur für die Entwicklung der grenznahen Gebiete und die Unterstützung der gesamtstaatlichen Beziehungen wichtig. Diese Kooperation ist vielmehr auch für die europäische Integration und somit für eine friedliche Zukunft des Kontinents von großer Bedeutung.

Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit leistet einen Beitrag dazu, dass die angestrebte Bürgernähe der EU-Politik Realität wird und sich nicht von der Lebenswirklichkeit der Menschen zu weit entfernt. Es sind die Regionen, die von allen öffentlichen Stellen am schnellsten die Antworten auf alle Fragen vermitteln können, die den Menschen am Herzen liegen. Und eine funkti- onierende Partnerschaft zwischen den Regionen ist die beste Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung und Erweiterung. Nicht zuletzt vom Erfolg der grenzübergreifenden Zusammenarbeit im regionalen Bereich wird es abhängen, ob das europäische Einigungswerk und mithin die Sicherung des Friedens in diesem Weltteil langfristig gelingt.

Die Kooperation im Raum Alpen-Adria ist geradezu ein Kristallisationspunkt der europäischen Integration, eine Art Mini-Mitteleuropa, oder – um mit dem Triestiner Autor Claudio Magris zu sprechen – ein Laboratorium, in dem das Wesen Europas ausgearbeitet wird – und zwar eines Europa des Friedens, das seinen Bewohnern ein gutes und glückliches Leben sichert.

Literaturhinweise

Andreas Moritsch (Hrsg.), Alpen-Adria. Zur Geschichte einer Region, Klagenfurt/Celovec- Ljubljana/Laibach-Wien/Dunaj 2001. Hellwig Valentin, Kärntens Rolle im Raum Alpen-Adria. Gelebte und erlebte Nachbarschaft im Herzen Europas (1965-1995), Klagenfurt 1998. Hellwig Valentin, Vloga manjšin v prostoru Alpe-Jadran (Die Rolle der Volksgruppen im Raum Alpen-Adria), in: Razprave in gradivo, Ljubljana 2005, št 47, S. 266ff.

132 Wolfgang Platzer*

Überregionale kulturelle Zusammenarbeit im Alpen-Adria Raum am Beispiel von Literatur und Musik von 2006 bis 2013

Einleitung

Die Kultur stand bereits ganz am Anfang der grenzüberschreitenden Zusam- menarbeit im späteren Alpen-Adria Raum. So reichen die ersten kulturellen Kontakte dreier Nachbarregionen – dem österreichischen Bundesland Kärnten, der italienischen autonomen Region Friaul-Julisch Venetien und der jugoslawischen Teilrepublik Slowenien – bis in das Jahr 1948 zurück. Bereits vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Österreich und Jugoslawien gastierte die Laibacher Oper 1950 in Klagenfurt. Im Laufe der nächsten Jahre verdich- tete sich das immer enger werdende Geflecht der Zusammenarbeit zwischen den Regionen. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit, die bald weit über die Kul- tur hinausging, bildete sich ab 1965 der Begriff „Alpen-Adria Raum“ heraus. Durch einen immer stärker werdenden Gedankenaustausch auch auf politischer Ebene wurden viele Aktivitäten möglich. So gab es die Ausstellungsreihe „Intart“, die Künstlern der drei Regionen die Möglichkeit bot, ihre Werke in den jeweils anderen Regionen auszustellen.

1978 erfolgte in Venedig die Gründung der „Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria“. Die Zusammenarbeit der ursprünglich drei Regionen wurde somit auf den gesam- ten Ostalpenraum ausgedehnt, die überregionale Zusammenarbeit bekam einen institutionellen Rahmen. Zu ihren besten Zeiten arbeiteten in mehreren Kommis- sionen 17 Regionen aus 7 Ländern zusammen.1 Der Vorsitz wechselte alle zwei Jahre, die zentrale Geschäftsstelle – das spätere Generalsekretariat – wurde in Klagenfurt eingerichtet. Den Vorsitz in der Kommission für Kultur übernahm bis zu ihrem Austritt im Jahr 2012 die Region Veneto. Hier wurden die förderungswür- digen Projekte ausgewählt, die in der Kommission der leitenden Beamten dann beschlossen wurden. Über die Jahre hinweg kamen so über 300 Kulturprojekte zu Förderungen. Seit der Umwandlung der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria in die Alpen-Adria Allianz im Jahr 2013 wird der Thematic Coordination Point for Art and Culture von der Steiermark betreut. Seither wurden auch bereits 82 Kulturprojekte subventioniert. Kultur ist in jedem Fall weiterhin ein essentieller

* Mag. Dr. Wolfgang Platzer, von 2009 bis 2013 3. Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria. Amt der Kärntner Landesregierung, freier Radiomacher bei radio AGORA 105.5, Klagenfurt am Wörthersee, Österreich

1 Österreich: Kärnten, Steiermark, Burgenland, Oberösterreich; Italien: Veneto, Friaul-Julisch Venetien, Lombardei; Slowenien; Kroatien; BRD: Bayern; Schweiz: Tessin; Ungarn: Baranya, Györ-Moson-Sopron, Zala, Vas, Somogy

133 Fixpunkt der Zusammenarbeit im derzeitigen Alpen-Adria Gebiet, das 12 Regi- onen in 4 Ländern umfasst.2

Kulturelle Initiativen der Alpen-Adria Geschäftsstelle in Kärnten seit 2006

Im Jahr 2006 ging von der Alpen-Adria Geschäftsstelle in Klagenfurt die Initiative aus, verstärkt die Kultur der anderen Alpen-Adria Mitglieder zu präsentieren. Als „Transportmittel“ hierfür wurde einerseits Musik in Form von Jazz, andererseits Literatur gewählt.

a) Literatur aus dem Alpen-Adria Raum

Gerade die Literatur ist ein wichtiges Bindeglied. In jeder der Mitgliedsregionen gibt es eine Vielzahl von Autoren, die mit ihrer Lyrik oder Prosa das Spezifische ihrer jeweiligen Herkunftsregionen darzustellen vermögen. Besonders spannend wird es dann, wenn sie eine Thematik einer anderen Mitgliedsregion der Arbeitsgemein- schaft Alpen-Adria wählen und somit wahrlich grenzüberschreitend schreiben. In Form von Alpen-Adria Lesungen wurde die Vielfalt der Literatur in diesem Raum gewürdigt. Die Idee, Lesungen mit Schriftstellern aus den Mitgliedsregionen der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria und ebensolche Jazz Konzerte zu veranstalten, fand auch die Unterstützung der Politik.

Den Auftakt bildete im November 2006 eine Lesung mit Lajos Parti Nagy aus dem ungarischen Komitat Baranya. Unterstützt wurde Nagy von seinem Übersetzer György Buda. Gleich am Anfang der Serie der Lesungen stand die Zusammen- arbeit mit dem Verleger Lojze Wieser, dem viele der Kontakte zu den Autoren zu verdanken waren. Die Slowenien-Lesung fand mit Jani Virk, Fabjan Hafner und Lojze Wieser statt. Predrag Matvejević, der damals Vize-Präsident des inter- nationalen Pen-Clubs war und die Literaturwissenschaftlerin Alida Bremer waren die Hauptproponenten der Kroatien- Literaturveranstaltung.

Aus Anlass des dreißigjährigen Gründungsjubiläums der Arbeitsgemeinschaft Alpen- Adria wurde 2008 beim Klagenfurter Wieser Verlag in der Reihe EUROPA ERLESEN von Wolfgang Platzer und Lojze Wieser der Band „ALPEN-ADRIA“ herausgebracht. Dabei war es das Anliegen der Herausgeber, nicht nur die Auto- ren der in Klagenfurt stattgefundenen Lesungen miteinzubeziehen, sondern ein möglichst breit gefächertes Bild der Literatur der vorgestellten Region – ganz in der Tradition der EUROPA ERLESEN-Reihe – zu vermitteln.

2 Österreich: Kärnten, Steiermark, Burgenland; Ungarn: Vas; Kroatien: Istrien, Karlovac, Krapina-Zagorje, Koprivnica Križevci, Međimurje, Primorje-Gorski kotar, Varaždin; Slowenien wird durch den Verband der slowenischen Städte und Gemeinden vertreten

134 b) Alpen-Adria Jazz Nights / Alpen-Adria Music Nights (2006–2009)

Ein weiterer Schwerpunkt der Aktivitäten der von der Alpen-Adria Geschäftsstelle in Kärnten organisierten Kulturveranstaltungen lag in den Jahren 2006 bis 2009 in der Durchführung von Konzerten. Den Auftakt bildete im Klagenfurter Jazz- Keller Kamot die slowenische Formation SIX-TO-GO (übrigens fand dieses Konzert gemeinsam mit der Slowenien-Literaturlesung statt), die das Publikum mit Swing, aber auch eigenen Modern Jazz-Nummern unterhielten. Jazz aus Kärnten bot die Band FEINIX rund um den Organisten Tonč Feinig, bei der grooviger Jazz-Rock mit funkigen Anklängen geboten wurde. Im Jänner 2008 fand dann ein Experiment statt. Auf Initiative der Geschäftsstelle organisierte der Klagenfurter Saxofonist Michael Erian eigens für die Reihe der „Jazz Nights“ eine Gruppe mit Musikern aus dem Alpen-Adria-Raum. Ohne die Möglichkeit viel zu proben, lieferten die vier Musiker Michael Erian (Saxofon/Kärtnen), Jure Pukl (Saxofon/Slowenien), Renato Chicco (Orgel/Slowenien und Italien) sowie Andras Mohay (Schlagzeug/Ungarn) als ALPEN-ADRIA JAZZ ENSEMBLE ein viel umjubeltes Konzert. Dabei bezogen die Musiker die Inspiration für ihre Stücke aus ihren Herkunftsländern.

Das Ergebnis der ersten drei Jazz-Veranstaltungen, die übrigens alle im Klagenfurter Jazzkeller Kamot stattfanden, war die CD „ALPEN-ADRIA JAZZ NIGHTS – Live at the Kamot“ mit Ausschnitten aus diesen drei Konzerten. Diese CD war ebenso wie der EUROPA ERLESEN-Band ALPEN-ADRIA dem dreißigjährigen Jubiläum der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria gewidmet. Die CD wurde im November 2008 am Ort der Aufnahmen mit Live-Auftritten der beteiligten Gruppen dem Publikum vorgestellt. Für das Alpen-Adria Jazz Ensemble war diese Präsentation auch der Auftakt einer Tournee, die sie aus Anlass des runden Geburtstages der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria in alle 13 damaligen Mitgliedsregionen führte. Von der Geschäftsstelle Steiermark wurde ein Mitschnitt des Konzerts, das im Grazer Jazz-Lokal Stockwerk stattfand, ebenfalls als CD herausgebracht.

In Kärnten wurde das dreißigjährige Jubiläum der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria aber nicht nur mit Jazz gefeiert, sondern der Herbst 2008 wurde aus diesem Anlass zum Musikherbst unter dem Motto „30 Jahre Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria – 30 Jahre gemeinsam“. In diesem Rahmen spielte Ende Oktober 2008 der aus Triest stammende Bluesgitarrist Mike Sponza mit seinen „K. u. K. Blues All Stars“ im Kamot groß auf. Auch diese Band vereinigte Musiker aus den Alpen-Adria Regionen und war ein weiteres Beispiel für gemeinsames Musizieren über die Grenzen hinweg. Im Veldener Konzertkeller „Bluesiana“ spielte der aus Villach stammende Lieder- schreiber Ed Schnabl mit seiner Band seine einfühlsamen Kompositionen. Weitere Veranstaltungen des Musikherbsts waren ein Auftritt der Formation EXTRA3 rund um den Drummer Emil Krištof, ein Auftritt der BLUESBREAKERS im Kamot sowie ein Clubbing mit DJs aus Kärnten, Friaul-Julisch Venetien und Slowenien.

135 Im Winter bzw. Frühjahr des Jahres 2009 fanden noch eine weitere Alpen-Adria Music Night sowie zwei abschließende Jazz Nights statt: Jean Nolan, ein aus Slowenien stammender und in Kärnten aufgewachsener Liedermacher und Gitarrist trat mit seinen „Boys“ im Kamot auf. In der gleichen Lokalität fanden im Februar bzw. Ende Mai noch die Jazz Nights - einerseits mit dem aus Kroatien stammenden Vibraphonisten Boško Petrović sowie dem Slowenen Vid Jamnik - andererseits mit dem friulanischen Saxophonisten Nevio Zaninotto statt.

Eine besondere Ehre wurde dem Alpen-Adria Jazz Ensemble im Juli 2009 zu teil. Es wurden zum Black Sea Jazz Festival in Batumi/Georgien eingeladen, wo sie neben der Elite der georgischen Jazzmusiker gemeinsam mit Stars wie Airto Moreira und Flora Purim auftraten. Das gesamte Konzert wurde live im georgischen Fernsehen übertragen und war einer der Höhepunkte des Festivals.

Eine wichtige Literaturveranstaltung, die von der Arbeitsgemeinschaft Alpen- Adria von 2008 bis zum Austritt der italienischen Mitgliedsregionen aus der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria im Jahr 2012 gefördert wurde, war die Lite- raturveranstaltung „Flussi Diversi“, die in Caorle im Veneto stattfand. Hier kamen immer Ende Mai bzw. Anfang Juni für einige Tage Poeten aus der gesamten Region und darüber hinaus zusammen, um ihre Werke einem breiteren Publikum vorzustellen. Es soll hier auch nicht unerwähnt bleiben, dass über einige Jahre hinweg eine modifizierte Version des Alpen-Adria Jazz Ensembles unter dem Namen „Alps-Adriatic Jazz Orchestra“ (Michael Erian – Saxofon/Österreich, Klemens Marktl – Schlagzeug/Österreich, Marc Abrams – Bass/USA und Italien sowie Agostino Di Giorgio – Gitarre/USA und Italien) für die musikalischen Akzente während dieses Festivals der Poesie sorgte.

Das Alpen-Adria Jazz Festival 2013

Als sich im Jahr 2013 die Gründung der Arbeitsgemeinschaft zum 35. Mal jährte und die Neugründung der überregionalen Zusammenarbeit in diesem Raum in Form der Alpen-Adria-Allianz kurz bevorstand, fanden die musikalischen Feierlichkeiten mit dem Alpen-Adria Jazz Festival vom 11. – 13. Oktober 2013 in Klagenfurt statt. Dieses Festival fand seine Inspiration sowohl in ihren jeweiligen Herkunftsländern, als auch in einem „Crossover“ im Rahmen musikalischer Bewegungen.

Die Initiatoren des ersten Alpen-Adria Jazz Festivals sind schon seit vielen Jahren dem Jazz verbunden. Tonč Feinig trat mit einer seiner Formation (Feinix) bereits 2007 bei den Alpen-Adria Jazz Nights auf und ist weit über die Grenzen Kärntens hinaus als Jazzpianist und Komponist bekannt. Wolfgang Platzer gestaltete von 2009 bis 2016 mit dem „Alpen-Adria Jazz Club“ beim freien radio AGORA 105,5 eine eigene, diesem Raum gewidmete Jazzsendung. In den meisten der Alpen-

136 Adria-Regionen bzw. Ländern gibt es seit vielen Jahren regelmäßig Jazz-Festivals. Diese sind aber fast immer internationalen Jazzgrößen, vor allem aus den USA und anderen europäischen Ländern sowie jeweils lokalen Musikern gewidmet.

Beide trugen auch schon seit längerer Zeit die Idee eines Festivals speziell für Musiker aus dem Alpen-Adria Raum mit sich herum. Diese Idee wurde beim gemeinsamen Zusammensitzen nach einem Alpen-Adria Jazz Club, bei dem Tonč Feinig bei Wolfgang Platzer zu Gast war, artikuliert und in den darauffolgenden Monaten ausformuliert. Die Grundidee war, speziell Jazzmusikern aus dem (grö- ßeren) Alpen-Adria Raum eine Bühne zu geben, um so konzentriert die Vielfalt der verschiedenen Jazzrichtungen darstellen zu können. Damit wird auch schon deutlich, dass dieses Festival auch einen weiterumfassenden Jazzbegriff verfolg- te. Es sollte nicht nur Platz sein für die verschiedensten Stilrichtungen des Jazz, sondern auch darüber hinausgehende Musikstile miteinbeziehen.

Als Organisation hinter dem Festival wurde der Kulturverein/kulturno društvo Projekt Beton, der in Suetschach/Sveče in der Gemeinde Feistritz im Rosental/Bistrica v Rožu beheimatet ist, gewählt. Dieser Verein widmete sich schon vor 25 Jahren der Veranstaltung kultureller Ereignisse und wurde für dieses Festival wiederbelebt. Von der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria und dem Kulturreferat des Landes Kärnten wurden die Festivalveranstalter großzügig unterstützt.

Als Festivalort wurde von den beiden Veranstaltern Klagenfurt ausgesucht, wobei der Eröffnungsabend im Veranstaltungslokal Raj stattfand. Dort fand am Abschluss- tag auch eine Matinee statt. Der Veranstaltungsort für den zweiten Abend war die Theaterhalle 11 in Klagenfurt. Von Anfang an war auch klar, dass neben den musikalischen Darbietungen auch Platz für eine Ausstellung mit Fotos von Kon- zerten, die im Alpen-Adria Raum stattgefunden hatten, sein sollte. Ebenso sollte nach Möglichkeit auch der kulinarische Aspekt des Alpen-Adria Raums hervorge- hoben werden. Neben Liveübertragungen bzw. Aufzeichnungen der stattfindenden Konzerte bei radio AGORA 105,5 wurde ein mehrsprachiger Katalog mit den Fotografien der Ausstellung „Jazz im Alpen-Adria Raum“ und der stattgefundenen Konzerte und eine CD mit Mitschnitten der Konzerte veröffentlicht.

Das Konzept hinter dem Festival war, die Kreativität und Vitalität der Musikszene in diesen Regionen zu präsentieren und dem interessierten Publikum diese Reich- haltigkeit bewusst zu machen. Das Hauptaugenmerk galt dem wichtigsten Aspekt des Jazz: Improvisation. Zum Festivalkonzept gehörte, wie bereits erwähnt, auch eine Ausstellung dreier Fotografen aus dem Alpen-Adria Raum, die sich mit Jazz- Fotografie beschäftigen. Dies waren Jože Požrl und Urška Lukovnjak aus Slowenien sowie Mark Duran aus Klagenfurt. Sie waren auch bei den Konzerten dabei, und ihre Ergebnisse sind im Festivalkatalog zu bewundern. Als Late Night Show gab

137 es nach den Konzerten noch Musik zum Abtanzen: Jazz-und Funk-Schmankerln von DJ Ubu aus Slowenien.

Am ersten Abend traten im Raj zwei Ensembles aus Slowenien auf. Das Festival eröffnete mit Nina Strnad eine der besten und vielversprechendsten jungen Voka- listinnen aus Slowenien gemeinsam mit ihrer Band. Danach spielte mit KRAMP eine der Bands des slowenischen Bassisten, Gitarristen, Komponisten und Produzenten Robert Jukič auf. Der zweite Abend in der Theaterhalle 11 wurde von RADIO ERIAN XL eröffnet. Das Ensemble rund um den Kärntner Saxofonisten Michael Erian versteht sich als Musikerkollektiv. Der italienische Akkordeonist Simone Zanchini präsentierte bei seinem Konzert ausschließlich Eigenkompositionen. Dabei steht für ihn das Finden neuer Klangmöglichkeiten im Mittelpunkt. In der Matinee am Sonntag, die wieder im Raj stattfand, überzeugten ZERO DENIRO das Publikum durch ihr virtuoses Spiel.

Auch dem kulinarischen Aspekt des Alpen-Adria Raumes wurde besondere Beachtung geschenkt. Neben einer Verkostung slowenischer Weine und Kars- ter Schinkens bei der Eröffnung und am Rande des Konzerts am 2. Abend in der Theaterhalle 11 wurden im Raj Spezialitäten aus dem Alpen-Adria Raum angeboten.

Abschlussbemerkung

In der Alpen-Adria Allianz sind literarische Tätigkeiten weiterhin auch von wichtiger Bedeutung. So findet regelmäßig ein Treffen von Jungliteraten des Alpen-Adria Raums, das „Alps-Adriatic Young Writers Festival“ in der kroatischen Gespanschaft Koprivnica Križevci statt. Auch der Jazz hat sich mittlerweile einen festen Platz in den meisten Mitgliedsregionen gesichert. Der Schreiber dieser Zeilen verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, dass es auch der Jazz – ganz im Bewusstsein der Schwierig- keiten bei der Finanzierung solcher Veranstaltungen – wieder auf die Agenda der überregionalen Zusammenarbeit im Alpen-Adria Raum schafft.

Quellen:

Hellwig Valentin: Kärnten und der Raum Alpen-Adria. In: Europa Erlesen Alpen Adria (Hg.: Wolfgang Platzer / Lojze Wieser), Wieser Verlag, Klagenfurt 2008, S. 19-26 Wolfgang Platzer / Lojze Wieser: Post Scriptum. In: Europa Erlesen Alpen Adria (Hg.; Wolfgang Platzer / Lojze Wieser), Wieser Verlag, Klagenfurt 2008, S. 239-243 Anton „Tonč“ Feinig / Wolfgang Platzer: das 1. Alpen Adria Jazz Festival 2013 in Klagenfurt. In: Ausstellungskatalog zur Fotoausstellung des Alpen Adria Jazz Festivals. Klagenfurt 2014, S. 9-19

138 Thomas Pseiner*

Fünf Jahre Alpen-Adria-Allianz: Zwischenbilanz und Ausblick

Von 1978 bis 2013 wirkte die Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria an einem Kristallisationspunkt europäischer Integration und bildete einen wesentlichen Eckpfeiler in der Gestaltung der regionalen Außenbeziehungen des Bundes- landes Kärnten. Am 22. November 2013 wurde die Arbeitsgemeinschaft in die Alpen-Adria-Allianz transformiert. Vierzig Jahre institutionalisierter Kooperation im Alpen-Adria-Raum sollen Anlass für einen Rückblick, eine Zwischenbilanz und einen Ausblick auf mögliche Zukunftsszenarien geben.

Die Anfänge

Der Begriff „Alpen-Adria“ als Synonym für die freundschaftlichen Beziehungen zwi- schen Friaul-Julisch Venetien, Slowenien und Kärnten bürgerte sich wohl um 1967 ein.1 Kultur und Sport standen am Anfang der Kooperation und beide Themenfelder sind bis in die Gegenwart bedeutend in der grenzüberschreitenden Zusammen- arbeit. Bereits 1958 fand ein erster Dreiländer-Wettkampf der Junioren-Ruderer statt.2 Ab 1965 wurden auf Ebene der Regionalverwaltungen erste Arbeitskreise für Kultur und Wissenschaft, Verkehrsfragen, Tourismus, Wasserwirtschaft, Lan- desplanung sowie Landschaftsschutz eingerichtet. 3 1967 beschlossen die drei regionalen Partner ein umfangreiches Programm zum Kulturaustausch, welches in der Folge in den INTART-Ausstellungen gipfelte.4 1969 wurde die Kooperation schließlich auf Kroatien ausgeweitet, womit das „Quadrigon“ begründet war, in dessen Rahmen 1975 ein erster gemeinsamer Raumplanungsbericht sowie ein viersprachiger Veranstaltungskalender erarbeitet wurden.5 Aus heutiger Perspektive erscheint dieses Aviso als bemerkenswerte Pionierleistung, wenn man bedenkt, dass ein Alpen-Adria-Veranstaltungskalender in der Sonntagbeilage der „Kleinen Zeitung“ den Lesern in Kärnten und der Steiermark erst seit wenigen Jahren regelmäßig zur Verfügung steht.

* Mag. Pseiner, von Juli bis November 2013 4. Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria und seit November 2013 1. Generalsekretär der Alpen-Adria Allianz, Amt der Kärntner Landesregierung, Klagenfurt am Wörthersee, Österreich

1 Hinsichtlich der unmittelbaren Nachbarschaftsbeziehungen Kärntens dürfte der damalige Landeshauptmann Hans Sima vom Rundfunkjournalisten C.F. Peturnig zur Verwendung des Begriffs „Alpen-Adria“ angeregt worden sein. Siehe Hellwig Valentin: Kärntens Rolle im Raum Alpen-Adria. Gelebte und erlebte Nachbarschaft im Herzen Europa 1965-1995. (Klagenfurt 1998), S. 12. 2 Siehe ebd., S.10. 3 Siehe Hans Sima: Europäische Politik im Raume Alpen-Adria. In: Kärnten im Herzen Europas. Ein Tätigkeitsbericht (Klagenfurt 1968), S. 9; zit. Nach Valentin. Kärntens Rolle im Raum Alpen-Adria, S. 11. 4 Siehe ebd., S. 15. 5 Siehe ebd., S. 32 ff.

139 Die Gründung der „ARGE Alp“ – einer Kooperative der Regionen der Westal- pen – im Jahr 1972, hat sich auf den Ostalpenraum insofern positiv ausgewirkt, als dass das Bundesland Steiermark ab 1974 die Initiative zur Gründung einer „Arbeitsgemeinschaft der östlichen Alpenländer“ ergriff, für welche in der Folge die Bezeichnung „Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria“ gebräuchlich werden sollte.6

Von Angesicht zu Angesicht statt Rücken an Rücken

Letztendlich wurde die Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria am 20. November 1978 in Venedig mit der offiziellen Bezeichnung „Arbeitsgemeinschaft der Länder und Regi- onen der Ostalpengebiete“ gegründet.7 Die Steiermark hatte den Gründungsvorsitz inne und mit der Einrichtung einer „zentralen Evidenzstelle“ beim Amt der Kärntner Landesregierung im Jahr 1988, welche ab 2001 als Generalsekretariat fungierte, nahm und nimmt Kärnten eine bis heute bestehende Drehscheibenfunktion im Alpen-Adria-Raum ein.8 Die Arbeitsgemeinschaft wuchs in den 1990er-Jahren auf bis zu 19 Mitgliedern aus sieben Staaten an und reichte geographisch vom Schweizer Kanton Tessin im Westen bis ins ungarische Komitat Baranya im Osten sowie vom Freistaat Bayern im Norden bis zur Republik Kroatien im Süden.

Kärntens damaliger Landeshauptmann Leopold Wagner forderte bereits 1984 im Rahmen einer Vollversammlung in Triest ein, dass sich die Tätigkeit der Arbeitsge- meinschaft nicht nur auf die Funktionärsebene, sondern in ihren Auswirkungen auf die Bevölkerung erstrecken solle.9 Gerade in den Themenfeldern Sport und Kultur gelang es, der ansässigen Bevölkerung den Mehrwert der Kooperation im Alpen- Adria-Raum unmittelbar vor Augen zu führen, bekamen doch vor allem junge Athleten und Kulturschaffende durch die entsprechenden Alpen-Adria-Projekte oft erstmals die Gelegenheit zu internationalen Begegnungen und Vergleichen. Eine besondere Bedeutung nahmen dabei die alternierend abgehaltenen „Alpen- Adria Winter- bzw. Sommersportspiele der Jugend“ ein. Insgesamt wurden in den 35 Jahren des Bestehens der Arbeitsgemeinschaft an die 1.000 gemeinsamen Vorhaben in Themenfeldern wie Gleichbehandlung, Inklusion, Jugend, Katastro- phenschutz, Kultur, Landwirtschaft, Raumordnung, Sport Tourismus, Umweltschutz, Verkehr, Volkgruppenfragen sowie Wirtschaftskooperation umgesetzt und etwa 200 Publikationen zu unterschiedlichsten Fachfragen publiziert.10

6 Siehe ebd., S. 37 ff. 7 Siehe Josef Lausegger (Hg.): Extra 4 – Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria: Organisation, Kooperation, Resolutionen. Deutsche Fassung (Klagenfurt 2003), S. 21. 8 Siehe ebd., S. 50 ff. 9 Siehe ebd., S. 47. 10 Siehe Wolfgang Platzer/Thomas Pseiner: Von der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria zur Alpen-Adria-Allianz: Überregionale Zusammenarbeit im Wandel der Zeit. In: Peter Karpf/Thomas Kassl/Werner Platzer/Wolfgang Platzer/Udo Peter Puschnig (Hgg.): Kärnten Dokumentation Band 30 (Klagenfurt 2014), S. 186 f.

140 Zweifelsfrei hatte die Arbeitsgemeinschaft durch ihr Wirken Anteil an den politi- schen Entwicklungen, die das Antlitz Europas für immer verändern sollten: Von 1978 bis in die frühen 1990er-Jahre trugen die Aktivitäten der Alpen-Adria das Ihre zur Überwindung der Grenzen im damals noch ideologisch geteilten Europa bei. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Verselbständigung Kroatiens und Sloweniens stand die EU-Integration der Mitglieder prioritär im Arbeitsprogramm. Außerhalb der EU verblieb nur der Ende 2005 aus der Arbeitsgemeinschaft aus- geschiedene Schweizer Kanton Tessin. Mit dem Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union am 1. Juli 2013 war ein zentrales Ziel der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria erreicht.

Transformation

Die Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria nahm bis zum Ende der Teilung Europas eine beachtenswerte Brückenfunktion quasi im „Herzen des Kontinents“ ein. Mit dem Fortschreiten des europäischen Einigungsprozesses kam es zu Bedeutungs- verschiebungen: Anlässlich des Zerfalls der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien traten im Juli 1991 die Regierungschefs der Arbeitsgemeinschaft zu einer außerordentlichen Vollversammlung in Klagenfurt zusammen. Die Gründung der selbständigen Staaten Slowenien und Kroatien wurde natürlich außerordentlich begrüßt und die unabhängigen Republiken verblieben schließlich als Vollmitglieder in der Arbeitsgemeinschaft. Allerdings einigte man sich darauf dass, sobald in diesen Staaten politische Regionen entstehen sollten, die Mitgliedschaft an diese zu über- tragen wäre.11 Aufgrund der Tatsache, dass die Republik Slowenien bis heute keine regionale Verwaltungsebene kennt und neben der gesamtstaatlich-ministeriellen Ebene nur Gemeindeverwaltungen existieren, bleiben hinsichtlich der Planung und Umsetzung interregionaler Projekte Kreativität und allseits guter Wille gefragt.

Im Zuge des europäischen Integrationsprozesses entstanden Förderkulissen und -programme, die zum Zeitpunkt der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Alpen- Adria noch völlig undenkbar waren. Auch neue Institutionen, wie etwa der 1992 durch den Vertrag von Maastricht eingerichtete Ausschuss der Regionen (AdR), boten fortan neue Foren zur Artikulation regionalpolitischer Interessen. Die EU- Programme der Europäischen Territorialen Kooperation (INTERREG) sowie das neu geschaffene Rechtsinstrument EVTZ (Europäischer Verbund für territoriale Zusam- menarbeit) stellten im Laufe der Zeit ebenfalls neue Kooperationsformen dar, die zum Gründungszeitpunkt der Alpen-Adria noch nicht existierten. Damit änderte sich selbstverständlich auch die Bedeutung interregionaler Arbeitsgemeinschaften, welche sich neu orientieren mussten.12

11 Siehe ebd., S. 188. 12 Siehe ebd., S. 189.

141 Bereits im Jahr 2001, als die Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria noch 17 Mitglieder zählte, argumentierte der Kärntner Historiker Andreas Moritsch, dass die Arbeits- gemeinschaft Alpen-Adria territoriale Ausmaße angenommen habe, die weit über das Maß politischer Praktikabilität hinausgingen: „Für eine vertiefte transnationale Zusammenarbeit, mit der die regionale Bevölkerung bereit wäre, sich zu identifi- zieren, ist dieser territoriale Bogen jedoch entschieden zu weit gespannt.“13

Das Entstehen neuer territorialer europäischer Kooperationsräume (z.B. Alpenraum, Central Europe, Adriatisch-Ionischer Raum) bedingte in der Folge auch Änderungen im Mitgliederkreis der Arbeitsgemeinschaft: Bereits 1999 gab das Bundesland Salzburg seinen Beobachterstatus auf und die italienische Region Emilia-Romagna verließ die Arbeitsgemeinschaft. 2005 sollte der Freistaat Bayern folgen.

Dass die Arbeitsgemeinschaft bestrebt war, am Puls des europäischen Zeitgeistes zu bleiben, zeigt die Strukturreform, welche 2006 beschlossen wurde: Formale Abläufe wurden erleichtert, die Kommunikation weiter optimiert und die projektori- entierte Zusammenarbeit sollte fortan verstärkt auf Mittel der Europäischen Union zurückgreifen. Einigen Mitgliedern ging diese Veränderung wohl nicht weit genug und weitere Reformversuche waren aufgrund des Prinzips der Einstimmigkeit in der Vollversammlung nicht beschlussfähig. Etwa zur gleichen Zeit wurde mit den entstehenden Makroregionen ein neuer strategischer Rahmen für interregi- onale Zusammenarbeit geschaffen. Die Europäische Kommission definiert eine Makroregion als Gebiet, „das mehrere Verwaltungsregionen umfasst, aber genü- gend gemeinsame Themen aufweist, um ein einheitliches strategisches Konzept zu rechtfertigen“ (EK KOM(2009) 248/3).14 Die Idee einer alpen-adriatischen Makroregion war unter den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria nicht mehrheitsfähig und hätte wohl auch wenig Chance auf eine Unterstützung durch die Europäische Kommission gehabt. In der Folge zeichneten sich in Zentral- europa drei makroregionale Strategien ab: Jene des Alpenraums (EUSALP), einer Donauraumstrategie (EUSDR) und der adriatisch-ionischen makroregionalen Stra- tegie (EUSAIR), welche auch von geographisch entsprechenden transnationalen Kooperationsprogrammen unterstützt werden sollten. Eine Überschneidungsflä- che der drei Makroregionen bildet im Wesentlichen das Territorium der Republik Slowenien. Auch das mittels einer EU-Verordnung im Jahr 2006 neu geschaf- fene Rechtsinstrument „Europäischer Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ)“, welches interregionale Kooperation erleichtern sollte, wurde zusehends als moderne Alternative zur Kooperation im Rahmen einer grenzübergreifenden Arbeitsgemeinschaft betrachtet. Daher zogen sich aus diesem Grund mehrere

13 Andreas Moritsch: Geographische Voraussetzungen der Geschichte der Alpen-Adria-Region. In: Andreas Moritsch (Hg.): Alpen-Adria. Zur Geschichte einer Region (Klagenfurt/Ljubljana/Wien 2001), S. 13. 14 https://www.oerok.gv.at/eu-kooperationen/portal-makroregionale-strategien/makroregionale-strategien- allgemein.html

142 ungarische Komitate aus der Alpen-Adria zurück und Ende 2011 folgten auch die italienischen Mitglieder, zumal Friaul-Julisch Venetien und die Region Veneto ihre Kooperation mit dem Land Kärnten im Rahmen des EVTZ „EUREGIO Senza Confini – Ohne Grenzen“ zu vertiefen beabsichtigten.

Schließlich fanden sich mit 1. Jänner 2013 noch sechs Mitglieder in der Arbeits- gemeinschaft Alpen-Adria: Das Burgenland, Kärnten, die Republiken Kroatien und Slowenien, die Steiermark sowie das Komitat Vas.15

Die Alpen-Adria-Allianz

Die verbleibenden Mitglieder wollten die Kooperation mit einer möglichst niederschwelligen, dynamischen und flexiblen Netzwerkstruktur fortsetzen, welche sowohl öffentlichen Gebietskörperschaften als auch privaten Organisationen und NGOs zur projektorientierten Zusammenarbeit unter vorrangiger Nutzung der entsprechenden EU-Programme offen stehen sollten. Die Republik Kroatien beabsichtigte, sich im Laufe des Transformationsprozess zurückzuziehen und den eintrittswilligen Gespanschaften die Mitgliedschaft zu überlassen. Auch Slowenien wollte die Kooperation von der gesamtstaatlich-ministeriellen Ebene auf einen anderen Akteur verlagern. In Ermangelung einer regionalen Verwaltungsebene sollte der „Verband der Städte und Gemeinden Sloweniens – Skupnost občin Slovenije“ eintreten. Dieses neu zu begründende Netzwerk würde den Namen „Alpen-Adria-Allianz“ erhalten.16

Die offizielle Gründung erfolgte auf Einladung von Landeshauptmann Dr. Peter Kaiser im Rahmen der letzten Vollversammlung der Regierungschefs der Arbeits- gemeinschaft Alpen-Adria am 22. November 2013 in Klagenfurt am Wörthersee. Gründungsmitglieder waren die österreichischen Bundesländer Kärnten, Steiermark, Burgenland, die kroatischen Gespanschaften Istrien, Karlovac, Krapina-Zagorje, Koprivnica-Križevci, Međimurje sowie Varaždin, Slowenien vertreten durch den Skupnost občin Slovenije (SOS - Verband der Städte & Gemeinden Sloweniens) und das Komitat Vas aus Westungarn. Im März 2014 kam mit der Gespanschaft Virovitica Podravina aus Kroatien ein zwölftes ordentliches Vollmitglied hinzu, wel- ches bis Ende 2015 in der Allianz verblieb. Mit 1. Jänner 2018 trat schließlich die Gespanschaft Primorje-Gorski kotar, deren Metropole Rijeka im Jahr 2020 „Europäische Kulturhauptstadt“ sein wird, als jüngstes Mitglied in das Kooperati- onsnetzwerk ein.

15 Siehe Platzer/Pseiner: Von der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria zur Alpen-Adria-Allianz, S. 188 ff. 16 Siehe ebd. S. 191 ff.

143 Die konkrete projektorientierte Zusammenarbeit wird von den „Thematic Coor- dination Points“ (TCPs) koordiniert, welche gegenwärtig zu den Themen Energie und Umwelt, Europa, Gesundheit, Gleichbehandlung, Höhere Bildung, Inklusion, Katastrophenschutz, Kunst und Kultur, Ländliche Entwicklung und Kulturerbe, Lebenslanges Lernen, Sport, Tourismus sowie Wirtschaft eingerichtet sind. Die TCPs für Gesundheit, Gleichbehandlung und Inklusion werden gegenwärtig von Kärnten aus koordiniert. Sie unterstützen die Akteure einerseits bei der Entwicklung und Umsetzung von Projekten, andererseits sind TCPs auch Kommunikationsplatt- formen und Servicestellen für die Suche nach geeigneten Projektpartnern sowie nach Finanzierungsmöglichkeiten für konkrete Vorhaben. Ein TCP kann sowohl von einer öffentlichen als auch einer privaten Einrichtung eingerichtet werden, wobei sowohl die Personal- als auch Infrastrukturkosten vom jeweiligen Mitglied zu tragen sind. Somit ist es im Rahmen der Alpen-Adria-Allianz grundsätzlich möglich, jedes Thema projektorientiert zu behandeln, sofern sich ein Mitglied bereit erklärt, einen entsprechenden TCP einzurichten.

Als Erstansprechpartner für alle Interessenten existieren bei allen Mitgliedern die „Alpen-Adria-Contact Points“. Diese regionalen Koordinationsstellen sind Ser- vice- und Informationsstellen für Akteure des Kooperationsnetzwerkes und direkte Ansprechpartner für Projektwerber. Sie unterstützen dadurch die Arbeit der TCPs.

Beim Amt der Kärntner Landesregierung ist neben dem Contact Point auch das Generalsekretariat der Alpen-Adria-Allianz eingerichtet und bildet die gemeinsame Koordinations- und Organisationsstelle des Netzwerks, womit dem Land Kärnten weiterhin eine wichtige Drehscheibenfunktion zukommt.

Für die Genehmigung von Projektvorschlägen und die Gewährung von finanziellen Zuschüssen aus dem gemeinsamen Budget, welches sich aus den Mitgliedsbei- trägen errechnet, ist der Lenkungsausschuss zuständig. Dieser setzt sich aus dem Generalsekretariat, allen Contact Points der ordentlichen Mitglieder sowie den Leitern der Thematic Coordination Points (TCPs) zusammen und tagt mindestens zweimal jährlich. Die wichtigste Aufgabe des Lenkungsausschusses ist die Geneh- migung von Zuschüssen für gemeinsame Projekte. Gefördert werden gegenwärtig vorrangig die Vorbereitungs- und Einreichkosten von EU-kofinanzierten Projekten sowie, im Falle einer vorherigen Genehmigung, auch anfallende Implementie- rungskosten. Auch die schon zu Zeiten der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria bewährten People to People-Projekte werden weiterhin aus dem gemeinsamen Budget unterstützt.

Der Alpen-Adria-Rat ist die politische Versammlung der Vertreter aller ordentlichen und stimmberechtigten Mitglieder. Der Vorsitzende des Rates wird für die Dauer von zwei Jahren gewählt. Das Gremium tritt alle zwei Jahre zusammen und legt

144 die grundsätzliche inhaltliche Ausrichtung der Tätigkeiten der Alpen-Adria-Allianz fest. Die Arbeit des gesamten Netwerks wird alle vier Jahre durch den Alpen- Adria-Rat evaluiert. Nach einmaliger Verlängerung des Mandats führte das Land Kärnten, vertreten durch Landeshauptmann Dr. Kaiser, bis 31. Dezember 2017 den Vorsitz in diesem Gremium. 2018 übernahm schließlich die kroatische Gespanschaft Varaždin die Präsidentschaft.17

Zwischenbilanz und Ausblick

Seit März 2014 trat der Lenkungsausschuss der Alpen-Adria-Allianz inzwischen zehnmal zusammen und genehmigte in Summe 210 gemeinsame Projekte von denen 19 auch aus den EU-Programmen „Creative Europe“, „Europe for Citizens“ und „Erasmus+“ gefördert wurden und werden. Als Beispiel für die „finanzielle Hebelwirkung“ der Alpen-Adria-Allianz kann das vom Lenkungsausschuss im April 2015 genehmigte Kulturprojekt „Echoes from invisible Landscapes“ herangezogen werden, dessen Vorbereitungskosten aus dem gemeinsamen Budget mit € 3.000,– unterstützt wurden. Nach Erteilung der Förderzusage aus dem Programm „Creative Europe“ wurden den Projektpartnern, zu denen auch das Institut für Kulturanalyse der Alpen-Adria-Universität sowie der Wieser Verlag zählen, schließlich € 200.000,– an EU-Förderungen zuteil. Gemessen an der Teilnehmerzahl ist das jährlich in Klagenfurt stattfindend Begegnungsforum „INCLUSIA“ die größte von der Alpen-Adria-Allianz geförderte Veranstaltung in Kärnten: Im Rahmen der „INCLUSIA“ treffen sich jedes Jahr im April rund 1.000 junge Menschen mit und ohne Beeinträchtigung aus dem gesamten Alpen-Adria-Raum und darüber hinaus an den teilnehmenden Klagenfurter Schulen zu gemeinsamen Aktivitäten.

Wie schon eingangs erwähnt sind die TCPs Kunst und Kultur sowie Sport sehr aktiv, genauso wie Ländliche Entwicklung und Kulturerbe, Lebenslanges Lernen, Inklusion oder Katastrophenschutz. Kultursymposien, Ausstellungen, der jährlich stattfindende Alpen-Adria-Weinwettbewerb „Golden Wines“, sportliche Wettkämpfe, Jugend- begegnungen oder Fachkonferenzen zu unterschiedlichen Themen kennzeichnen das alpen-adriatische Arbeitsjahr. Ein alljährlich in der kroatischen Gespanschaft Koprivnica Križevci stattfindender Workshop für im Rahmen des EU-LEADER- Programms kooperierende Lokale Aktionsgruppen (LAGs), ließ bereits ein „Netzwerk im Netzer“ entstehen und diesem Beispiel könnten weitere folgen, da die Mitglieder Interesse an einer stärkeren alpen-adriatischen Vernetzung der jeweiligen „Europe Direct“-Informationsstellen bzw. der regionalen Entwicklungsagenturen bekundeten. Die generelle Erhöhung der Sichtbarkeit der Alpen-Adria-Allianz ist ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt der Varaždiner Präsidentschaft. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist auch eine Vernetzung der Brüsseler Verbindungsbüros der Mitglieder angedacht,

17 Siehe Protokoll der Sitzung des Alpen-Adria-Rates vom 22.11.2017, S. 6 f.

145 um die Wahrnehmbarkeit des Netzwerks bei den Europäischen Institutionen zu optimieren.

Schwieriger hingegen gestaltete sich die grenzüberschreitende Zusammenar- beit beispielsweise in den Themenfeldern Energie und Umwelt, Tourismus sowie Wirtschaft. Die Koordinatoren dieser TCPs sehen das Problem vorderhand im sehr niedrigen gemeinsamen Budget der Alpen-Adria-Allianz, welches sich aus den jährlichen Mitgliedsbeiträgen – derzeit belaufen sich diese auf knapp € 50.000,– zusammensetzt. Um möglichst vielen kroatischen Gespanschaften den Eintritt zu erleichtern, wurden diese Beiträge in der Gründungsphase der Allianz bewusst niedrig angesetzt und vom Alpen-Adria-Rat später sehr wohl moderat erhöht. Bedenkt man, dass einige Mitglieder der Alpen-Adria-Allianz auch in Europäi- schen Verbünden für territoriale Zusammenarbeit (EVTZs), wie etwa dem EVTZ „EUREGIO Senza Confini – Ohne Grenzen“ oder dem EVTZ PANNON vertreten sind, wo ein Vielfaches an Mitgliedsbeiträgen einzuzahlen ist, so muss im Vergleich dazu das gemeinsame Budget der Alpen-Adria-Allianz als geradezu lächerlich klein erscheinen. Der bereits 2015 von der Steiermark eingebrachte Vorschlag, das gemeinsame Budget auf € 100.000,– anzuheben, wäre eventuell ein richtiger Schritt zu großvolumigeren Projekten, die letztendlich auch der gesamten Alpen- Adria-Allianz zu einer noch größeren Wahrnehmbarkeit und Sichtbarkeit verhelfen würden.18 Ein größeres Budget könnte möglicherweise auch eine Vertiefung der Zusammenarbeit im Rahmen transnationaler EU-kofinanzierter Projekte ermögli- chen. Bisher hat einzig der TCP für Tourismus ein Projekt im Rahmen des „Central Europe“-Programms eingereicht, welches leider nicht genehmigt wurde.

Der Wunsch einiger Gründungsmitglieder, durch die Zusammenarbeit im Rahmen der Alpen-Adria-Allianz eine strategische Verbindung der bestehenden transnatio- nalen Kooperationsräume Donauraum, Adriatisch-Ionischer Raum sowie Alpenraum entstehen zu lassen, wird wohl nur mit einem spürbar verstärktem finanziellen Einsatz machbar sein.

Wenngleich aus heutiger Perspektive die Alpen-Adria-Allianz nicht mehr diesel- be Bedeutung wie die Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria zur Zeit des Falles des Eisernen Vorhangs bzw. des Zerfalles Jugoslawiens erringen dürfte, so sind die Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte projektbezogene Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern besser denn je:

• Noch nie war die Mitgliederstruktur so homogen wie jetzt: Wenngleich österreichische Bundesländer, kroatische Gespanschaften und ungarische Komitate aufgrund der nationalen Verfassungen mit unterschiedlichen Rechten

18 Siehe Protokoll der Sitzung des Alpen-Adria-Rates am 25.11.2015, S. 5.

146 ausgestattet sind, handelt es sich doch insgesamt um regionale Verwaltungs- einheiten, die eine Kooperation „auf Augenhöhe“ leichter möglich machen, als etwa zwischen Nationalstaaten und Regionen, was sich im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria mit der Zeit immer schwieriger gestaltete. Auch slowenische Gemeinden, NGOs und private Institutionen nehmen mit großem Engagement an den Aktivitäten der Alpen-Adria-Allianz teil, da diese an den allermeisten der bisher genehmigten 210 Projekte beteiligt sind.

• An Kooperationsthemen und gemeinsamen Herausforderungen, wie etwa dem demographischen Wandel und seinen gesamtgesellschaftlichen Folgen, der Entwicklung von ländlichen Gebieten, dem Arbeitsmarkt der Zukunft, der Digitalisierung oder dem Klimawandel, mangelt es den Regionen Zentraleuropas gewiss nicht. Natürlich gilt es stets objektiv zu hinterfragen, welche Thematiken im Rahmen der Alpen-Adria-Allianz optimal behandelbar sind und für welche Herausforderungen geeignetere Foren existieren.

• Die Chancen, dass sich der Mitgliederkreis der Alpen-Adria-Allianz erhöhen wird, sind weiterhin intakt: Radimir Čačić, Präfekt der Gespanschaft Varaždin und Vorsitzender des Alpen-Adria-Rates bis Ende 2019, beabsichtigt weitere kroatische Gespanschaften zum Eintritt zu überzeugen. Ebenso sollen auch die italienischen Regionen Friaul-Julisch Venetien und Veneto sowie die serbische autonome Provinz Vojvodina zu einem Festakt am 20. November 2018 – dem theoretischen 40. Gründungstag der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria – ein- geladen werden.

• Die Verfahrensregeln der Alpen-Adria-Allianz sehen alle vier Jahre eine Evaluation aller Tätigkeiten und Themenbereiche des Kooperationsnetzwerks vor, welche 2017 erstmals vorgenommen wurde. Das Ergebnis war durchaus vielversprechend: Die überwiegende Mehrheit der Mitglieder wünscht eine stär- kere strategische Ausrichtung des Netzwerks, welche auch in den zukünftigen gemeinsamen Projekten zum Ausdruck kommen soll. Einzig der vom Burgen- land koordinierte TCP für Mobilität wurde mangels Projektaktivitäten aufgelöst.

Der Alpen-Adria-Raum ist und bleibt Begegnungsgebiet großer europäischer Sprachgemeinschaften: der romanischen, der slawischen, der germanischen sowie der finno-ugrischen.19 Er ist ein Beispiel für den erfolgreich gestalteten Wandel von der Konfrontation zur Kooperation. Im weitesten Sinne bildet er heute auch eine Schnittfläche der oben genannten drei europäischen makroregionalen Stra- tegien. Die Alpen-Adria-Allianz und der EVTZ „EUREGIO Senza Confini – Ohne Grenzen“ bilden zwei völlig unterschiedliche Plattformen zur projektorientierten

19 Siehe Moritsch: Geographische Voraussetzungen, S. 11.

147 interregionalen Zusammenarbeit in diesem für die weitere Integration Europas wichtigen Teil des Kontinents, welche für ihre jeweiligen Mitglieder – den politi- schen Willen vorausgesetzt – aufgrund ihrer verschiedenartigen Ausrichtung eine ideale Ergänzung bilden können. Beide Institutionen sind gleichsam „Sprösslinge“ der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria und im Laufe der nunmehr seit 40 Jahren bestehenden institutionalisierten Kooperation im Alpen-Adria-Raum entstanden. Die umfassende mediale Verwendung des Begriffs „Alpen-Adria“ beweist, dass er nichts an Aktualität verloren hat und sich das Händereichen über die Grenzen in Zukunft – wie auch immer der institutionellen Rahmen heißen mag – weiter intensivieren wird.

Quellen- und Literaturverzeichnis:

Originalquellen:

Factsheet zur Alpen-Adria Allianz auf http://www.alps-adriatic-alliance.org/downloads/ Präambel und Verfahrensregeln der Alpen-Adria-Allianz auf http://www.alps-adriatic-alliance. org/downloads/ Protokolle der Sitzungen des Alpen-Adria-Rats vom 22.11.2013, vom 25.11.2015 sowie vom 22.11.2017

Literatur:

Josef Lausegger: Regionalismus – eine Alternative zum Nationalismus. In: Karl Anderwald/ Hellwig Valentin (Hgg.): Kärntner Jahrbuch für Politik 1995 (Klagenfurt 1995), S.57-85. Ders.: (Hg.): Extra 4 – Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria: Organisation, Kooperation, Reso- lutionen. Deutsche Fassung (Klagenfurt 2003). Andreas Moritsch: National – provinziell – regional? Kärnten und die Alpen-Adria-Region. In: Karl Anderwald/Hellwig Valentin (Hgg.): Kärntner Jahrbuch für Politik 1995 (Klagenfurt 1995), S.45-56. Ders.(Hg.): Alpen-Adria. Zur Geschichte einer Region (Klagenfurt/Ljubljana/Wien 2001). Wolfgang Platzer: Regionen im europäischen Kontext – Arbeit über Grenzen hinweg. In: Peter Karpf/Werner Platzer/Udo Puschnig (Hgg.): Grenzen : Grenzenlos – 1918/20 : 2010 (= Kärnten Dokumentation Sonderband 03) (Klagenfurt am Wörthersee 2010), S.68-87. Wolfgang Platzer/Thomas Pseiner: Von der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria zur Alpen- Adria-Allianz: Überregionale Zusammenarbeit im Wandel der Zeit. In: Peter Karpf/Thomas Kassl/Werner Platzer/Wolfgang Platzer/Udo Peter Puschnig (Hgg.): Kärnten Dokumentation Band 30 (Klagenfurt am Wörthersee 2014), S.185-194. Miroslav Polzer: Globale Herausforderungen, gesellschaftlicher Wandel und Innovation im

148 Alpen-Adria-Raum. In: Peter Karpf/Thomas Kassl/Werner Platzer/Wolfgang Platzer/Udo Peter Puschnig (Hgg.): Kärnten Dokumentation Band 33 (Klagenfurt am Wörthersee 2017), S.45-52. Mario Rausch/Walter Wratschko (Hgg.): Wohin geht die Reise? Vom Neben und Miteinander im Alpen-Adria-Raum (=Club Tre Popoli: Perspektiven für das Zusammenleben – unterwegs in eine gemeinsame Zukunft; Klagenfurt am Wörthersee 2016) Katharina Rechberger: Regional Governance – Funktionsweisen und Erfolgsfaktoren für transregionale Netzwerke, analysiert am Beispiel der „Alpen-Adria-Allianz“ (Bachelorarbeit, FH Oberösterreich; Linz 2015) Marjan Sturm: Kärnten 2020 – eine Herausforderung für unsere Erinnerungskultur – Frie- densregion Alpen-Adria. In: Peter Karpf/Thomas Kassl/Werner Platzer/Wolfgang Platzer/ Udo Peter Puschnig (Hgg.): Kärnten Dokumentation Band 32 (Klagenfurt am Wörthersee 2016), S.153-158. Hellwig Valentin: Kärntens Rolle im Raum Alpen-Adria. Gelebte und erlebte Nachbarschaft im Herzen Europas 1965-1995. (Klagenfurt 1995) Ders.: Drehscheibe im Zentrum Europas. Kärntens Nachbarschaftspolitik im Alpen-Adria- Bereich mit besonderer Berücksichtigung der Jahre 1965 bis 1995. In: Karl Anderwald/ Peter Karpf/Hellwig Valentin (Hgg.): Kärntner Jahrbuch für Politik 1998 (Klagenfurt 1998), S.91-139. Ders.: Kärnten und der Alpen-Adria Raum. Mit besonderer Berücksichtigung der Arbeits- gemeinschaft Alpen-Adria. In: Karl Anderwald/Peter Karpf/Hellwig Valentin (Hgg.): Kärntner Jahrbuch für Politik 2000 (Klagenfurt 2000), S.255-276. Ders.: Die Rolle der Volksgruppen im Raum Alpen-Adria. In: Peter Karpf/Udo Puschnig (Hgg.): Kärnten Dokumentation Band 20/21 (Klagenfurt 2006), S.227-232. Ders.: Kärnten und der Raum Alpen-Adria. In: Wolfgang Platzer/Lojze Wieser (Hgg.): EUROPA ERLESEN – ALPEN-ADRIA (Klagenfurt 2008), S.19-26.

Websites:

Alpen-Adria-Allianz: http://www.alps-adriatic-alliance.org/ Österreichische Raumordnungskonferenz – ÖROK: https://www.oerok.gv.at/

149 Larisa Krizan Breljak*

Durch einen strategischen Ansatz zu einer neuen Entwicklungsvision

Im Jahr 2018 feiert Kroatien 5 Jahre seit dem EU-Beitritt. In demselben Jahr finden noch zwei wichtige Feiern statt: Einerseits feiert die Gespanschaft Varaždin zusammen mit anderen Mitgliedsregionen 5 Jahre Mitgliedschaft in der Alpen- Adria-Allianz andererseits 40 Jahre der interregionalen Zusammenarbeit im Alpen-Adria-Raum. Bis 2013 war die Republik Kroatien als Staat Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria. Mit dem EU-Beitritt überließ die nationale Ebene allen kroatischen Gespanschaften die Entscheidung über ihren indivi- duellen Beitritt in die reformierte Form der Alpen-Adria Zusammenarbeit, der Alpen-Adria Allianz. Das war ein starkes Signal von der nationalen Ebene für die kroatischen Regionen, dass sie unabhängig weiter in dieser Organisation selbst ihre Interessen vertreten werden können.

Die Arbeitsgemeinschaft und die Allianz haben sich in der letzten 40 Jahren als ein Kennzeichen des Mitlebens und der Zusammenarbeit der Einwohner im Alpen- Adria- Raum affirmiert. Der Leitfaden dabei war die Kreation der Umgebung, die motivierend für die Zusammenarbeit und das gegenseitige Kennenlernen der Einwohner, die auf einem relativ kleinem geografischen Raum viele Gemeinsam- keiten teilen, wäre. Gerade durch die Entwicklung der gemeinsamen Projekte wurden der Beitritt und der Integrationsprozess der „jungen“ EU-Mitgliedsstaaten erleichtert, die später ein Teil der europäischen Familie geworden sind. Das Lernen voneinander und übereinander wurde zum Motto der guten Nachbarverhältnisse.

Im November 2017 hat die Gespanschaft Varaždin, angeführt von dem Gespan Radimir Čačić, als erste kroatische Region, den Vorsitz der Allianz übernommen. Die Vision des Vorsitzens ist vor allem, dass die Allianz als ein gutes Beispiel der interregionalen Plattform weiterentwickelt wird. Zu der Meinung des Vorsitzen- den, Herrn Čačić, es sei notwendig, sich auf einen engeren Kreis der Hauptziele zu konzentrieren und konkrete Projekte zu entwickeln, wobei der Mitgliedsbeitrag nur als Initialsumme für EU-Förderprogramme betrachtet werden sollte. Damit würde die Allianz attraktiver für potenziell neue Mitgliedsregionen aus Kroatien, Italien, Ungarn und anderen Regionen, mit denen wir die gemeinsamen Werte Mitteleuropas teilen. Es ist unser Wunsch die vorherigen italienischen Regionen in die Mitgliedschaft zurückzubringen und den geographischen Raum sowohl auf mehrere neue kroatische Regionen, als auch auf Nachbarstaaten im Osten

* Larisa Križan Breljak, stellvertrende Leiterin der Abteilung für Wirtschaft, Finanzen und europäische Angelegenheiten der Gespanschaft Varaždin, Varaždin, Kroatien

150 zu erweitern, denen die Allianz im Transitionsprozess und durch die verfügbaren Heranführungsinstrumente viel helfen kann.

Durch die Synergie in der Arbeit der politischen Ebene, der regionalen Koor- dinatoren und thematischen Koordinatoren wird die neue Vision der Allianz entwickelt. Am Anfang werden wir die Punkte des gemeinsamen Interesses definieren und dann die Arbeit und Energie auf konkrete und messbare Resultate richten. Die Vision und gemeinsame Ziele werden in einem neuen strategi- schen Entwicklungsplan definiert, die in der Konferenz anlässlich der 40 Jahre der Alpen-Adria-Zusammenarbeit im November 2018 in Varaždin vorgestellt werden. Etwas früher, im Oktober in Brüssel, wird die Allianz die Erfahrungen mit anderen interregionalen Organisationen teilen, und zwar während der Europäi- schen Woche der Regionen und Städte. Der Titel des Panels ist „Interregionale Organisationen – die Plattform für die Stärkung der regionalen Entwicklung“.

Wir sind unseren Vorgängern sehr dankbar, die 1978 feste Grundlagen der Allianz entwickelt haben, die uns heute ermöglichen, die Richtung der Entwicklung der Allianz zu redefinieren. Ihre Initiative und Arbeit hat uns heute die Möglichkeit gegeben, das Beste aus dem Zusammenleben und der Zusammenarbeit zu ergreifen, zum Wohl aller Einwohner des Alpen-Adria-Raums.

Die Allianz wird das Beispiel einer starken mitteleuropäischen interregionalen Organisation bleiben, die durch gemeinsame konkrete Aktivitäten ihren Ein- wohnern eine hohe Qualität des Lebens, gute Arbeitsplätze und eine starke mitteleuropäische Kulturidentität ermöglicht. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass die Staaten erfunden und zerstört werden können sowie die Mauern zwi- schen ihnen. Aber, was unzerstörbar ist, ist das Gefühl der Gemeinsamkeit, die Bereitschaft zu helfen und zusammenzuarbeiten, besonders zwischen Nationen, die gemeinsame Werte teilen.

Wir freuen uns auf weitere erfolgreiche Jahre und auf die Zusammenarbeit mit unseren Partnerregionen in der Alpen-Adria Allianz!

151

Sonderthemen Jani Oswald*

Rede anlässlich der Eröffnung der Kulturwoche / Kulturni teden 2018 in Neuhaus

Spoštovane dame in gospodje, častni gostje,

sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Festgäste,

v imenu Slovenske prosvetne zveze vas ob otvoritvi 24. Slovenskega kulturnega tedna danes zvečer na Suhi v Podjuni prav lepo pozdravljam. Ta niz prireditev s pestrim programom najrazličnejših kulturnih ustvarjalcev, namenjen predvsem nemško govorečim sodeželanom, je postal lepa tradicija in stalnica v koroškem kulturnem koledarju in prav razveseljivo je, da je iz leta v leto deležna vse večje pozornosti.

Slovenski obiskovalci današnjega večera mi boste oprostili, da se bom glede na ciljno publiko obračal na vas predvsem v nemškem jeziku, ne upoštevajoč, da je sicer naša špraha kajpada weltšpraha, vendar nisem prepričan, ali so se je tudi vsi navzoči v zadostni meri naučili, kljub vseh mogočih konsenznih skupin in delovnih krožkov dobrega sosedovanja, zatorej: ich begrüße Sie im Namen des Slowenischen Kulturverbandes SPZ zur diesjährigen Kulturwoche und es freut mich persönlich ganz besonders, dass ich heute anlässlich der Eröffnung der 24. Folge dieser Traditionsveranstaltung einige Gedanken mit Ihnen teilen darf!

Als Ausgangspunkt meiner kurzen Überlegungen möchte ich dabei die vielfach gemachte Feststellung nehmen, wonach sich die Volksgruppenproblematik in Kärnten endlich deutlich entspannt hat. Die nationalistischen Fronten in der Jahrzehnte andauernden Provinzposse um Ortstafeln und kulturelle Grenz- ziehungen sind weitgehend überwunden, obsolet geworden, erscheinen nach- träglich absurd, alte Gräben zwischen den Volksgruppen wurden vorerst einmal zugeschüttet. Wir freuen uns alle darüber.

Der Deutschnationalismus im Land hat zweifellos abgenommen, ich frage mich freilich, ob seine Betreiber dazugelernt haben? Und wenn ja, was? Es ist zu hoffen, sie haben nicht nur gelernt leiser zu treten und auf bessere Gelegenheiten zu warten.

* Dr. Jani Oswald, Jurist, Lyriker, Festredner für den Slowenischen Kulturverband (SPZ), Köstenberg und Wien, Österreich

154 Hat sich auf der anderen Seite die in sich gekehrte Volksgruppe geöffnet, sich endlich entpuppt, wurde die manch einem lästige kleine Raupe Nimmersatt wenn schon nicht zum allseits bewunderten Schmetterling, so doch zu einem auch für Nicht-Angehörige interessanten Organismus oder befindet sie sich weiter am Weg zur musealen Größe, falls man dieses Wort für eine zahlenmäßig kleine Minderheit überhaupt strapazieren darf?

Haben sich die Verhältnisse also nachhaltig geändert oder haben sich lediglich die Perspektiven der einstigen sogenannten Gegner verschoben und sind dabei ihre Standpunkte mehr oder weniger gleich geblieben, freilich unter Umbenennung der jeweiligen wechselseitigen Parolen?

Beides scheint denkbar.

Vielleicht hilft zur leichteren Orientierung und besserem Überblick ein kleiner Blick: südwärts in den Alpen-Adria-Raum.

Fuhr man vor 25 Jahren nach Friaul, zeigte sich dessen Hauptstadt stolz als »Udine« und nichts weiter. Einige Jahre später gab es auf der Ortstafel ver- schämt ein klein hinzugefügtes »Udin«, im Größenverhältnis an die seinerzeit berüchtigte Bleiburg/Pliberk-Ortstafel unweit von hier erinnernd, die der damalige, nunmehr selige unselige Landeshauptmann und sein Verkehrs- landesrat, dem später gerichtlich die Fähigkeit aberkannt wurde, Konsequen- zen seines eigenen Handelns abzuschätzen, als öffentliche Gaudi um einige Meter versetzten.

Heute, ganz ohne Spaß: »Udine/Udin«, gleichrangig und gleich groß neben- einander. Ebenso die vielen zweisprachigen Wegweiser im Collio, ebenso die Autobahnabzweigungen auf dem Weg nach Triest und dortselbst mancherorts zweisprachige topografische Aufschriften italienisch/slowenisch – das alles trotz der noch subkutan weiterglosenden irridentistischen Traditionen in dieser Gegend, beachtlich!

Beachtenswert übrigens auch, dass es im Friaul niemandem einfallen würde, als Beifügung zur örtlichen Zweisprachigkeit noch eine Sprache des Nachbar- landes hinzuzufügen, wie das in Kärnten mit dem Italienischen zuweilen in Mode gekommen ist; ich denke wir brauchen keine Alpen-Adria-Camouflage, aber das ist eine andere Geschichte ...

Was mich heute mehr interessiert, ist die Frage: Wer war, neben der Minderheit selbst, eine der treibenden Kräfte für die Wiederbelebung des Friulanischen und dessen Präsenz im öffentlichen Raum? Es war die Lega Nord mit ihrem

155 Lokalsprachenkonzept! Eine Wegbereiterin der Multikulturalität? Dieselbe Lega Nord, die sich vehement gegen Immigration, gegen den solidarischen Sozial- ausgleich zwischen dem italienischen Norden und Süden ausspricht, dieselbe Lega, die ständig durch antieuropäische, xenophobe und rechtsnationalistische Sprüche auffällt! Das klingt vielleicht ein wenig verwirrend.

Blicken wir der Servus-Srečno-Ciao-Route weiter folgend nach Ljubljana, erbli- cken wir dort eine nicht unbeträchtliche nationalistische Strömung, ebenso gegen jegliche Spielarten von Multikulturalität gerichtet, gegen Immigration, gegen kulturelle Pluralität, antifeministisch, versteht sich, nicht zufällig von Viktor Orbans Partei aus Ungarn mitfinanziert, gegen eine offene Zivilgesellschaft gerichtet, gegen alles Ex-Jugoslawische, aber gar nicht deutschfeindlich, wie man es von slowenischen Nationalisten vielleicht denken würde oder gar anti- österreichisch, obwohl aus ihren Reihen traditionell besonders starke Unterstüt- zer der Anliegen der Kärntner Slowenen kommen, handelt es sich bei Kärnten doch um die historische Wiege des Slowenentums, die es hochzuhalten gelte.

Ein weiterer Widerspruch oder haben wir Kärntner Slowenen einfach nur die falschen Freunde?

Und wenn wir schließlich zumindestens noch mit dem rechten Auge kurz zur österreichischen Bundespolitik schielen, sehen wir immerhin in der Regierung eine Partei am Ruder (oder besser gesagt am Rudern), die sich als besonders »österreichisch« und heimatlich, will heißen Brüssel-feindlich, hervortut, eine Partei, deren Repräsentanten noch vor 25 Jahren die österreichische Nation als Missgeburt bezeichneten, eine Partei, die aufgrund ihrer bis in den National- sozialismus reichenden personellen Wurzeln traditionell antikirchlich ausgerichtet war, heute scheinbar staatstragend, vermeintlich die Werte des christlichen Abendlands verteidigend ...

Passt das alles zusammen?

Schon der oberflächliche Rundblick zeigt, dass sich tatsächlich die Perspektive verschoben zu haben scheint. Der Raum ist offenbar ein anderer geworden. Die Standpunkte der einzelnen Protagonisten in diesem veränderten öffentlichen Raum gilt es neu zu verorten. Das ist bekanntlich eine besondere Domäne der Historiker und Politikwissenschaftler. Oft helfen uns beim Öffnen der Augen und Erweitern der Sinne – auch des politischen Raumverständnisses – aber noch mehr die Kulturschaffenden mit ihrer Intuition und ihren gelegentlich unorthodoxen Zugängen, sofern sie sich einem gesellschaftsbezogenen Kulturverständnis ver- pflichtet fühlen. Oder es hilft einfach nur der Hausverstand – man kennt schließlich seine Pappenheimer ...

156 Zurück zu den Kulturschaffenden: im diesjährigen Programm findet sich eine Reihe Auftretender, die die Dinge beim Namen nennen, uns die Augen und Herzen öffnen und keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, auf welcher Seite sie stehen – als pars pro toto sei nur der Frauenchor des SPD Rož mit seinem Multimediaprogramm Shiva šiva genannt.

Und so sollte es uns schließlich nicht sehr schwer fallen, trotz aller Perspektiven- verschiebungen zu erkennen, dass viele noch immer dort stehen, wo sie immer standen: Demokraten, Antidemokraten, Progressive, Reaktionäre, Nationalisten, Internationalisten, Freidenker, Dogmatiker, Philanthropen, Misanthropen – oder in heutiger, geläufigerer Terminologie: Europäer, Antieuropäer, Separatisten, Populisten, Idealisten und die ewigen Spielverderber Realisten.

Diesem veränderten öffentlichen Raum oder sagen wir lieber: dem veränderten gesellschaftlichen Diskurs ist es wohl in erster Linie zu verdanken, dass dem klein- lichen Kärntner Nationalitätenstreit während der letzten Jahre zunehmend die Luft ausging. Aber wir sollten uns damit nicht zufrieden geben. Im größeren Raum, der auch für uns heute Abend in Suha/Neuhaus kein virtueller Raum sein sollte, geht es zwar derzeit um Themen von vielleicht größerem Ausmaß, an denen sich die Geister scheiden: „Anlandeplattformen“ in Lybien, Balkanrouten, selbst wo es keinen Balkan gibt, europäischer Zusammenhalt ja oder nein, Pressefreiheit, Menschenrechte, und es sind Themen, die uns allesamt sehr wohl betreffen.

Was heißt das für die slowenische Volksgruppe in Kärnten? Erinnern wir uns, dass vor nicht allzu langer Zeit die sogenannte Slowenenfrage, publik gemacht durch verschiedene Solidaritätskomitees in beinahe allen Bundesländern, eine wichtige Frage für die allgemeine demokratische Bewegung in Österreich darstellte. Sie war integrativer Bestandteil des Forderungskataloges der – wir würden heute sagen: Zivilgesellschaft.

Wäre es denn nicht die Verpflichtung der slowenischen politischen und kulturellen Organisationen gewesen z.B. gerade jetzt die Stimme zu erheben, wenn etwa die Pressefreiheit durch obskure Mails aus dem Innenministerium unterminiert wird, um einen aktuellen Fall der letzten Tage aufzugreifen? Wo waren die slo- wenischen Funktionäre, die etwas dazu gesagt hätten? Haben sie geschwiegen, weil es nicht unmittelbar die eigene Volksgruppe betrifft? Man möge bitte ein wenig weiter denken: heute sollen, wenn es nach einigen Herrschaften ginge, Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus von bereits Verdächtigen(!) aktiv an ausgewählte Medien kommuniziert werden, morgen sind es möglicherweise das Religionsbekenntnis und die ethnische Zugehörigkeit – wann und wie war das schnell mit den Juden und Roma und...? Ich will hier bewusst unsere Phantasie nicht weiter strapazieren, die Angelegenheit ist auch für den Bundespräsidenten

157 bereits abgehakt, denn der Innenminister, führender Kopf des erwähnten Ruder- vereins, hat zurückgerudert.

Eines freilich ist klar: wer Solidarität erwartet, und sie wie am Beispiel der jüngeren Geschichte der Kärntner Slowenen erfahren hat, sollte sie auch aktiv erwidern, selbst wenn es – noch – nicht um die eigenen unmittelbaren Interessen geht.

Und so sage ich offiziell im Namen des Slowenischen Kulturverbandes SPZ, völlig unabgesprochen und mit keinem seiner Funktionäre abgestimmt: jeden Versuch der Aushöhlung unserer demokratischen Grundwerte, wie z.B. die Presse- und Informationsfreiheit, jeden Versuch einer subtilen oder offenen Hetze gegen Men- schen welcher An- und Zugehörigkeit auch immer, verstehen wir als Angriff auf unsere eigene kulturelle, nationale und nicht zuletzt staatsbürgerliche Integrität. Wir verwehren uns dagegen, egal von welcher halb- oder ganz- oder nichtöffentlichen Stelle das kommt!

Sie werden sich jetzt vielleicht denken: aber das hat ja nichts mit Kultur zu tun. Und ob das mit Kultur zu tun hat!

Der Schriftsteller Bert Brecht – auch so ein Flüchtling, der später sogar den öster- reichischen Pass bekommen hat (der Kickl hätte das wohl niemals durchgehen lassen) – dieser übliche Verdächtige hat bekanntlich gemeint, dass zuerst das Fressen und dann erst die Moral komme. In zugegebenermaßen weit hergeholter Analogie könnten wir sagen, dass zuerst das Menschenrecht kommt und dann erst die Musik. Und wenn man es uns nehmen sollte, werden wir es halt wieder herbeisingen, so wie es unsere Vorfahren mit ihren Widerstands- und Partisanenliedern getan haben. Ich wünsche uns ein schönes Konzert und eine interessante Kulturwoche, dragi rojaki! Dovolite, da ob koncu svojega razmišljanja na kratko povzamem:

Naš kulturni prostor se nenehno spreminja in vprašanje razvoja evropskih avtohtonih manjšin je danes treba drugače ovrednotiti, ga umeščati v širši družbeni kontekst, zlasti v zvezi z vprašanjem migracije in nastajanjem novih manjšin. To nas sili, da se opredelimo, na kateri strani družbenega dogajanja naj stojimo kot narodna skupnost, prav v smislu »Očiščenja in pomlajenja«, ki ga je zahteval pred stoletjem letos vse- povsod praznovani Ivan Cankar v Trstu. (Smo se mu dostojno poklonili tudi mi koroški Slovenci?) Navezujoč na njegovo Pohujšanje v dolini Šentflorjanski si želim, da nas ne bi zavajali krivi preroki in slabo izbrani prijatelji. Usmerjajmo svoje kulturne dejavnosti v raznolikost, odprtost, toleranco in spoštovanje človekovih pravic in dostojanstva, ne glede na to, kdo se proglaša kot naš zaveznik. Da se ne bi nekega dne znašli na napačni strani zgodovine. Prav to si želim ob odprtju 24. Kulturnega tedna.

Hvala za vašo pozornost, danke für Ihre Aufmerksamkeit!

158 Sergiy Nezhurbida*

Multiethnic Society as a System

Introduction

Humans in their daily lives encounter a multitude of surrounding objects, perceive and describe them. We would like to focus on values. Common values are the foundation of uniting people within groups where they socially interact. Common values form the basis for people creating a society in a certain territory and at a certain point in time.

The societies can be classified according to the nature of values, their connections and members. The existence of two or more groups of people distinguished by objective and subjective criteria (common language, culture, economy, region, consciousness, appearance, mentality, etc.) within a society will suffice to designate it as a distinct type, viz. a multiethnic one. It can be argued that multiethnic society is the prevailing type in the world nowadays, nearly all contemporary national societies are multiethnic [excluding Faroe Islands, Gaza Strip, Wallis and Futuna, North Korea (racially homogeneous – there is a small Chinese Community and a few ethnic Japanese), South Korea (homogeneous – except for about 20,000 Chinese)].1

The ethnic structure of any present-day national society is peculiar, dynamic and thus alterable. The latter, in turn, necessitates the prognostication of its future state enabling us to understand what it can become and whether it will last at all. The solution to this problem is both theoretically and practically challenging. The success of the endeavor rests on numerous factors, including the ones influencing the high probability of the prognostication as well as a valid approach to the prognostic research. Let us examine the latter.

Various approaches can be adopted to study society. We are particularly interested in the systems approach allowing us to consider society as a system, i.e. a complex of interacting elements.2 Employing the systems approach we can describe the multiethnic society as a complex of interacting ethnic groups (categories of people who identify with each other based on similarities such as common ancestry, language, history, society, culture and nation), which is marked by system-wide

* Sergiy Nezhurbida, Ass. Professor, LL.D., member of the Coordination Bureau on Criminology Issues of Ukrainian National Academy of Legal Sciences, Czernowitz, Ukraine

1 The World Factbook 2016: https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/fields/2075.html#71 2 Von Bertalanffy, Ludwig (1969). General System Theory: Foundations, Development, Applications. New York: George Braziller, p. 55.

159 regularities. They are defined by the following notions of the system which we can ‚superimpose‘ on multiethnic society, whose political organization is the state.

1. System

Multiethnic society (MES) is a system, i.e. a complex of interacting elements – ethnic groups. MES is a higher order system element (in other tasks it can be a subsystem or an element of a broader system). For instance, the Austrian MES can be an element (subsystem) of the European Union MES or the worldwide MES, and concurrently be interconnected with the MES of other countries. Naturally, the MES whose political organization is the state has its boundaries and external environment.

2. Boundaries and Environment

Irrespective of the political organization or the absence of such, a MES has its boundaries since the opposite excludes the notion of the system itself. The boundaries of a MES are important in determining whether it is open or closed. The MES boundaries (and not exclusively the boundaries) influence the system‘s capacity to ‚receive‘ (‚import‘) and ‚give‘ (‚export‘): a) the representatives of an ethnic group (this could be the freedom of the members of an ethnic group to move both inside and into/out of the MES; state guarantees of a representative of any ethnic group having and enjoying specific social, economic, political, civil (personal) and cultural benefits; ensuring that the representatives of ethnic groups have the ability to make their own choices and act in accordance with their interests and goals); b) the ‚means‘ for self-identification of the representatives of an ethnic group (guaranteed unrestricted use of the language of an ethnic group, mass media that are culturally related to the ethnic group, the protection of its cultural heritage, etc.); c) information on the ethnic group (unobstructed dissemination of knowledge about facts, events, things, ideas and concepts that in a certain context characterize the ethnic group; support of cultural exchange programs, social and cultural events held by the representatives of an ethnic group, publications on the history of an ethnic group, etc.).

Illustration 1: System of Multiethnic Society

160 In the modern world, the overwhelming majority of MES‘s are open systems. A closed system is exemplified by the MES of the former USSR (the system with more than 100 distinct ethnic groups), since ‚receiving‘ (‚importing‘) and ‚giving‘ (‚exporting‘) objects a, b, and c were not natural and were carried out by the state to suit its ideological ends.

A MES is particularly connected with the environment, since it ‚receives‘ (‚imports‘) and ‚gives‘ (‚exports‘) objects a, b, and c. A MES directly depends on the environment, and influences it as well. The environment is a general concept and presents a collection of objects not included in the given system, but with which the system can interact. This collection of objects may also be a separate system. A case in point is the interaction of the Austrian MES with the Council of Europe as an international organization (whose stated aim is to uphold human rights, democracy and the rule of law in Europe), i.e. ‚an object‘ which is a part of the system of Intergovernmental Organizations (also known as international governmental organizations (IGOs) – organizations that are made up primarily of sovereign states: for example, the United Nations (UN), Organization for Security and Co-operation in Europe (OSCE), Council of Europe (COE), International Labour Organization (ILO) and International Police Organization (INTERPOL)). Hence there is a particular unity of the MES with its environment.

3. Elements

MES is a coherent set of interrelated elements – ethnic groups. An ethnic group itself, and especially as an element of a MES, is unique. It has its own history, traditions, as well as the necessary ‚means‘ for self-identification. Among its numerous capacities is the one to organize itself. An ethnic group‘s level of self- organization determines its future, its ‚survival‘ chances. Thus, for example, the Austrian ethnic group in the United States is self-organized by creating the Austrian- American Councils.3 Furthermore, MES ethnic groups can be elements of other systems. For instance, the ‚Austrian ethnic group in the UK‘ through the Austrian Club in London forms a part of the system called ‚Austrians Abroad‘4 (the ‚umbrella‘ organization for more than 170 Austrian clubs worldwide, publisher of the quarterly magazine ‚ROTWEISSROT‘, runs the online communityaustrians.org ).5

3 The Austrian-American Councils: http://www.austrianinformation.org/january-february-2009/the-austrian- american-councils-of-the-united-states.html 4 According to the Austrian Federal Ministry for Europe, Integration and Foreign Affairs, currently some 574,000 fellow-Austrians live abroad, more than three quarters in Germany (257,000), Switzerland (65,000), the USA (35,000), the United Kingdom (25,000), Australia (25,000), the Republic of South Africa (11,000) and Argentina (17,000). 5 The World Federation of Austrians Abroad (Auslandsösterreicher-Weltbund): http://www.weltbund.at/

161 Illustration 2: Austrians in the World (Austrians living abroad)6

An ethnic group as a MES element is also a system. Thus, the Austrians‘ ethnic group in Australia as a system is represented by numerous elements – ethnic groups of Austrians living in megalopolises and states.7

Illustration 3: Austrians in Australia8

6 Austrian Federal Ministry for Europe, Integration and Foreign Affairs: Travel and stay: Living abroad: Meeting point – Austrians abroad: https://www.bmeia.gv.at/en/travel-stay/living-abroad/meeting-point-austrians- abroad/ 7 The World Federation of Austrians Abroad (Auslandsösterreicher-Weltbund): http://www.weltbund.at/suche_ per_internet.asp 8 Austrian Federal Ministry for Europe, Integration and Foreign Affairs: Travel and stay: Living abroad: Meeting point – Austrians abroad: https://www.bmeia.gv.at/en/travel-stay/living-abroad/meeting-point-austrians- abroad/

162 Each MES consists of a certain number of ethnic groups – groups with a diffe- rent number of representatives. This, in turn, affects the specificity of the MES structure, which is the correlation of ethnic groups. A MES also has its own hierarchy of ethnic groups. The hierarchy and structure of a MES exhibit variability, because ethnic groups themselves are variable in their ‚quantity‘ and ‚quality‘. This can be attributed to the effect of internal and external factors on an ethnic group. The internal factors include the demographic crisis within the ethnic group, mixing with representatives of another ethnic group, the loss of the language of the ethnic group, other elements of identification through the fault of the ethnic group, and so on. The external factors include genocide9 (the Holocaust, the Armenian Genocide, etc.) or the opposite – the creation or existence of various favorable conditions in another system, which leads to the emigration of the representatives of ethnic groups.10 A war can be such a factor. Thus, as a result of the Six-Day War in the Middle East between Israel on the one hand and Egypt, Syria, Jordan, Iraq, and Algeria on the other, which lasted from June 5 to June 10, 196711, there was an upsurge in the national consciousness of Jews in the USSR, leading to the relaxation of the USSR policy relating to repatriation to Israel. Consequently, between 1969 and 1975, about 1,000,000 repatriates from the USSR arrived in Israel. These factors are not exhaustive.

The hierarchy and structure of a MES in their entirety affect its architecture. Thus, the ‚quantity‘ and ‚quality‘ of ethnic groups of a MES affect its ‚benefit‘, ‚strength‘ and ‚beauty‘, i.e. the functional, structural and aesthetic qualities of the ‚architecture‘ of the MES. However, let‘s not forget about the most important feature of the elements of the system – their interconnections.

4. Interconnections

Ethnic groups, within a MES, come into contact with each other. The reasons are different, ranging from curiosity to aggression. Contacts can take many forms, and the types of contacts are numerous: formal and informal, friendly and hostile, short-term and long-lasting, cultural, religious, scientific, sports, etc. In general, we can talk about the existence of interethnic reciprocity, i.e. contacts of a diverse nature between ethnic groups. The result of this interaction is a change in the characteristics (individual and social) of the ethnic group participating in the contact. The characteristics of the individual members of this group change as well. And most importantly, there is an integration of certain qualities and properties of ethnic groups (and their representatives).

9 Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (approved and proposed for signature and ratification or accession by General Assembly resolution 260 A (III) of 9 December 1948): https://www.ohchr.org/en/professionalinterest/pages/crimeofgenocide.aspx 10 Pollack, Martin (2010). Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus Galizien. Zsolnay, Wien. 11 Oren, Michael B. (2002). Six Days of War: June 1967 and the Making of the Modern Middle East. Oxford University Press. 480 p.

163 Ethnic interaction has several forms. The first form of ethnic interaction is the so- called unilateral influence of one ethnic group (more active, and therefore dominant) on the other. In the second case, the relations of ethnic groups can be equal (helping and supporting each other, working towards the same goal, pursuing joint tasks). And thirdly, the relationship between ethnic groups is the key to their survival (physical, cultural, spiritual etc.). This happens when several ethnic groups join forces to defend their interests or to counter the interests of another ethnic group. The nature of such opposition can be different, ranging from mental and intellectual, and ending with military. Thus, ethnic interaction occurs in the forms of ‚influence‘, ‚assistance‘, and ‚joint opposition‘. And, of course, they are based on ‚interconnections‘.

But what should be the cornerstone of the interconnections between the MES ethnic groups for the MES to exist and function successfully as a system? It would be safe to say that the interrelations between the ethnic groups of a MES should be realized on the basis of tolerance of ethnic groups to the world view, way of life, behavior and customs of other ethnic groups of the MES – the principle of tolerance, as formulated in Article 1 of the Declaration of Principles on Tolerance12:

„Tolerance is respect, acceptance and appreciation of the rich diversity of our world‘s cultures, our forms of expression and ways of being human. It is fostered by knowledge, openness, communication, and freedom of thought, conscience and belief. Tolerance is harmony in difference. It is not only a moral duty, it is also a political and legal requirement. Tolerance, the virtue that makes peace possible, contributes to the replacement of the culture of war by a culture of peace.“

The ‚model of tolerance‘ is a powerful ‚means‘ for organizing the interconnections between ethnic groups. But it is very difficult to achieve it as an ‚ultimate goal‘, and it is even harder to maintain it as a permanent model of organizing the relations. Keeping it operational is indeed an extremely challenging process. It requires from the ethnic groups (and their representatives) to understand the purpose of the MES and seek to accomplish it.

5. Purpose

The concept of purpose has different meanings. We view the purpose of the system as its desired future state. The emphasis is laid on the desired state because it reflects the subjective views of the leader on the future state of the system and, accordingly, the subjective views of the majority of the population of the system that elected this leader. But sometimes the desired state eventually differs from the

12 Declaration of Principles on Tolerance (November 16, 1995): http://www.un-documents.net/dpt.htm

164 real one, since the process of achieving a subjective goal is influenced by numerous factors, among which we can distinguish the characteristic ones: external factors, system management failures, force majeure circumstances experienced by the system, poor knowledge of the current state of the system and its capacities before setting goals, poor forecasting, etc. What is the purpose of a MES?

The purpose of a MES is the state of the society in which its ethnic groups (its members) experience HAPPINESS, whose system components are: 1. Joy (emotional side of happiness); 2. Satisfaction with Life (the cognitive side of happi- ness - a reflective appraisal, a judgement, of how well things are going, and have been going); 3. the absence of negative affect.13

Conclusion

Based on the above model of MES as a system, it can be argued that HAPPINESS as an ‚objective goal‘ in a MES is attainable only if its ethnic groups really desire to achieve this state and translate it into action, while respecting the principle of tolerance as the basis for the formation and functioning of interconnections.

13 Argyle, Michael (2013). The Psychology of Happiness. 2nd Edition. London: Routledge.

165 Raul Rognean*

Grenzen zwischen politischen Eliten und Bürgern. Fallbeispiel: die Rumänisch-Orthodoxe Kirche als „Zöllner“ „Reddite que sunt Cesaris, Cesari, et que sunt. Dei, Deo“ (Novum Testamentum Mathāion. 22:21)

Die heutige Europäische Union beruht auf demokratischen Prinzipien, strebt nach Transparenz und versucht die politische Eliten näher an die Bürger zu bringen. Hier stellt sich die Frage nach den Grenzen zwischen den politischen Eliten und den Bürgern, und ob diese überhaupt noch vorhanden sind. Falls ja, dann muss man diese zunächst verstehen und betrachten, wer diese Grenzen denn überhaupt im heutigen Kontext, dem sogenannten Staatenverbund, zieht.

Die vorliegende Arbeit wird solche Art von Grenzen behandeln. Beginnend mit der Beziehung zwischen Kirche und Staat verwendet diese Forschung das Fall- beispiel Rumäniens im orthodoxen Raum.

Mein Ziel ist es zu zeigen, inwieweit der heutige Dialog zwischen den weltlichen Behörden und der Rumänisch-Orthodoxen Kirche Grenzen zwischen den politi- schen Eliten und den Bürgern zieht, und wieso sich die Kirche als eines der Ge- sichter des Prozesses des politischen Engagements verstehen muss, aber unter den Prämissen der Trennung von Kirche und Staat.

Das Verhältnis von Kirche und Staat ist in Europa alles andere als einheitlich zu definieren.

Die Europäische Union selbst wird als ein Verein der Vielfalt betrachtet, aber auch der religiösen Kontraste. Abstrakt gesehen wird Europa auch als das „Christliche“ betrachtet, obwohl die europäische Integration und das christliche Denken schein- bar in zwei getrennten exklusiven Welten zu finden sind. Wird das „Europa“ selbst auf einen sogenannten „christlichen Staat“ reduziert? Laut Joseph Weiler1 ist das unmöglich und nicht realistisch.

Es ist nicht zu verneinen, dass das Christentum eine entscheidende Rolle für Europa spielte, aber hier darf man nicht die Rolle der anderen Religionen minimieren, wie beispielsweise die des Judentums oder des Islams. Das

* Dr. Raul Rognean, Geschäftsführer des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt, Sibiu/ Hermannstadt, Rumänien 1 Joseph Halevi Horowitz, WEILER (2007): A Christian Europe? Europe and Christianity rules of commitment, Centre for European Studies: Springer, European View. Bd.6, S. 143-150.

166 Christentum selbst beruht nämlich auf Kontrasten, auch wenn man das Christentum grob nur in Katholiken, Protestanten und Orthodoxe einordnen würde. Nicht zu vergessen ist auch die Vielfalt an religiösen Orientierungen selbst innerhalb der katholischen Kirchen2 oder die zahlreichen protestantischen Glaubensgemeinden und die verschiedenen autokephalen Patriarchate innerhalb der Orthodoxie. Diese Vielfalt an religiösen und sozial-politischen Orientierungen innerhalb der christlichen Kirchen führt zu Kontrasten in der Beziehung zwischen Kirche und Staat. Diese Beziehung ist in den osteuropäischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union viel radikaler ausgestattet als in den westlichen EU-Ländern. In einem sogenannten Hoheitsgebiet der Orthodoxie ist das Verhältnis zum Staat nämlich stark länderspe- zifisch ausgeprägt. Die länderspezifischen Merkmale entstehen durch den Anspruch auf die Autonomie der Kooperation auf nationaler Ebene, die sich aus der Unabhän- gigkeit ergeben und als autokephal definiert werden.

Wie viel institutionalisierte Religion verträgt der Staat im heutigen politischen Zeit- geist der Europäischen Union?

Von dieser Frage ausgehend will diese Forschung anhand des Fallbeispiels Rumänien schildern, inwieweit die orthodoxe Kirche den Limes zwischen den Massen und der politischen Eliten zieht. Mit dieser offenen Frage will diese Arbeit die Rolle der Kirche nicht minimieren, denn der Beitrag der Religion in der Gegen- wart und für das Individuum selbst ist hierbei nicht anzuzweifeln, unabhängig von der positiven oder der negativen Bewertung; es soll weder behauptet werden, dass der laizistische Staat ein perfektes Modell darstellt noch dass das Verhältnis zwischen der Kircheninstitution und der des weltlichen Staates überall in Europa in gleichem Maße geregelt sein müsste. Sondern das Ziel ist es, durch diese offe- ne Frage die richtige Dosis zu finden, um die Beziehungen diagnostisch betrach- ten zu können, um verstehen zu können und erst danach den ersten Schritt in Richtung Heilung machen zu können. Wie kann sich der Bürger bilden, um zu begreifen, dass politische Teilnahme sich nicht nur auf den Wahlgang beschränkt, sondern „viele Gesichter hat: von der der Unterschriftenaktion bis zur Demonst- ration, von punktuellen themenspezifischen Aktivitäten bis zur langjährigen Gewerkschaftsarbeit“.3 Dass das freiwillige Engagement in Verbänden oder Ver- einen dazugehört. Das mitten drin selbst die Kirche eine wichtige Rolle spielt und dazu zählt, mit ihren kirchlichen Verbänden oder sozialen Trägern, die in der heu- tigen Europäischen Union als immer wichtiger werdenden Stützpfeilern eines demokratischen Gemeinwesens gezählt werden.

2 Bsp.: Die Griechisch-katholische Kirche in Rumänien. 3 Ungleiche Verteilung politischer und zivilgesellschaftlicher Partizipation, am: 28.12.2010, in: bpb.de, unter: http://www.bpb.de/apuz/33571/ungleiche-verteilung-politischer-und-zivilgesellschaftlicher-partizipation?p=all (Stand: 01.06.2013)

167 Die Idee von politischer Bildung und politischen Engagement des Bürgers beruht heutzutage in Rumänien auf den Prinzipien eines sogenannten „Nach-89er-Neo- liberalismus“ und ist noch immer ein sensibles Thema. Insbesondere wenn die politische Partizipation von der Rumänisch-Orthodoxen Kirche4 durch ihre spezifische Symphonie5 mit dem Staat beeinfluss wird.

Um die heutige Lage zu verstehen wird der historische Hintergrund beleuchtet. Die Geschichte und die Untersuchung, die Akzeptanz und Auseinandersetzung mit dem gemeinsamen historischen Hintergrund spielt eine wichtige Rolle. Diese Rolle wurde in Rumänien nach der Wende minimalisiert, indem die ehemaligen Mitglieder der Nomenklatur versucht haben, die politische Elite zu bleiben.

Die Rolle der Sowjetunion im Ostblock und die Diktatur von Ceausescu spielten eine wichtige Rolle für das heutige Verständnis der orthodoxen Symphonie ge- genüber den politischen Eliten. Die Grenzziehung zwischen Bürger und Politiker durch die Eliten der Rumänisch-Orthodoxen Kirche ist hinter den Kulissen des kommunistischen Regimes und der Nomenklatur zu untersuchen. Die Unter- drückung der freien Meinungsäußerung zum Beispiel brachte für die religiöse Freiheit starke Einschränkungen und setzte die Mauer zwischen den Bürgern und der religiösen Praxis. Der Atheismus wurde vehement gepredigt, und einige Kulthäuser und Kirchen wurden in Museen für den Atheismus umgewan- delt oder abgerissen, um Platz für die öffentlichen Gebäude zu machen. Der Glaube wurde verbannt, die Institution aber blieb. Die Institution der Kirche wurde selbst von Ceausescu als wichtiges Propagandamittel anerkannt und benutzt. Alle noch im Amt befindlichen Geistlichen wurden zu „Dienern“ des betreffenden Regimes. Das Patriarchat wurde von den guten Beziehungen zur Kommunistischen Partei Rumäniens (PCR) geprägt; viele Priester dienten u. a. auch dem Geheimdienst.6

Teoctist Arăpaşu7 wurde von der orthodoxen Synode gewählt und von Ceauses- cu im Jahre 1986 zum Patriarch der Rumänisch-Orthodoxen Kirche ernannt.8 Wich- tig bei seiner Ernennung waren auch die langen und vor allem guten Beziehungen zur kommunistischen Partei. Gleich nach den Wahlen schrieb Teoctist einen Brief an Ceausescu: „Wir sind alle, mit unseren Seelen, die Bewunderer Ihrer Tapferkeit und Hoheit“ … „Euer Genie, ein Wappen des Friedens, … geehrt sei auch Ihre

4 Kurz: ROK. Rum: Biserica Ortodoxa Romana, kurz: BOR 5 Die orthodoxe Symphonie ist kurz gefasst der Zusammenklang bzw. „die Kohabitation“ von Kirche und Staat. Dadurch wird die Rolle der Kirche als Berater des Staates gerechtfertigt. Bezüglich der Symphonie muss aber klargestellt werden, dass diese stark von orthodoxen Theologen selbst kritisiert wird und mehr als eine Notwendigkeit des Zeitgeistes als eine Kooperation verstanden wird. 6 dt. Abteilung für Staatssicherheit, rum. Departamentul Securității Statului, oder Securitate. Ab 1948 rum. Geheimdienst, bis 1990. 7 (1915-2007). Patriarch der BOR. zwischen 1986-1990, 1990-2007 8 am 9. November gewählt und am 19. November 1986 offiziell eingesetzt

168 Begleiterin, Elena Ceausescu, eine Wissenschaftlerin von weltweitem Ruhm“.9 Drei Jahre später, gleich nach Aufbruch der Revolution in Temeswar, schickte Teoctist wieder einen Brief an Ceausescu, indem er die persönliche Freude zu dessen Wiederwahl10 in der Parteiführung äußerte: „Eine Wahl des Willens des Volkes, ein Ausdruck des einmütigen Willens des ganzen Volkes“.11 Weiter ehrte er Ceausescu: „Eine respektvolle Hommage an die brillante Arbeit die Sie im Land tun, für das Wohl und das Glück aller Menschen“.12 Bei der Revolution in Bukarest versuchte Teoctist die Bürger unter Kontrolle zu halten, indem Zettel mit dem Hinweis auf Ruhe und Frieden und der Vorbereitung für die kommenden Weih- nachten verteilt wurden: „Christen, wir feiern in drei Tagen Weihnachten, wir sol- len es zu Hause in Ruhe feiern“.13 Michel Kubler14 sah die Rolle der Rumänisch- Orthodoxen Kirche während der Revolution und dann des Putsches von 1989 „als passiv“, als minimal und zu „ihren Gunsten“ an. Erst nach der Gefangennahme von Ceausescu und dem darauf folgenden inszenierten Prozess äußerte sich die Kirche als ein Unterstützer der neuen Regierung, als der Erlöser des Volkes und Mitspieler mit der neu gegründeten politischen Fraktion und späteren Partei, der Front der Nationalen Befreiung:15

„Wir sollen Gott danken, für die erworbene Freiheit.“

„In jeder Kirche des Landes soll man beten für die Freiheit des Volkes, Gott soll die Front der Nationalen Befreiung unterstützen und sein Wille soll auf Erden geschehen!“

So gewannen die „neuorganisierten“ politischen Eliten Rumäniens das Wohlwol- len der Rumänisch-Orthodoxen Kirche. Diese Eliten waren jedoch ehemalige

9 Arhivele Naţionale Istorice Centrale (ANIC), (dt. Rumänisches Nationalarchiv für Geschichte): fond C.C. al P.C.R. - Cancelarie, dosar 85/1986, ff. 2r.-3r, siehe auch: dosar 220 (8)/1989, ff. 23, 25; dosar 183 (9)/1989, f. 30; dosar 190 (22 vol. II)/1989, ff. 5-6, 39 10 Die Wahlen des XIV. Kongresses der Kommunistischen Partei Rumäniens. 20.-24.11.1989 11 ANIC, fond C.C. al P.C.R. – Cancelarie, dosar 109/1989, f. 1 Der Brief wurde veröffentlicht unter: Buletinul oficial al Patriarhiei Romane (14.11.1986): Telegrama domniei sale, domnului Nicolae Ceausescu, Presedintele Republicii Socialiste Romania (dt. Brief an Herrn Nicolae Ceusescu, Präsident der Sozialistischen Republik Rumänien),Bd. 11,12 12 Dennis, Deletant (1998), Ceauşescu şi Securitatea. Constrângere şi disidenţă în România anilor 1965-1989, (dt. Ceausescu und die Securitate. Zwang und Dissens in Rumänien während 1965-1989). Übersetzt aus dem Englischen von: Georgeta, Ciocâltea, Bukarest: Editura Humanitas, S. 224 Mihai, Bărbulescu/Dennis, Deletant/Keith, Hitchins/Şerban, Papacostea/Pompiliu, Teodor (1998): Istoria României,(dt. Die Geschichte Rumaniens), Bukarest: Editura Enciclopedică, S. 564-565 cf. Mihai Popescu Stoeneşti, „Biserica şi (ne)legiuirile dictaturii. Fragmente din interviul acordat în exclusivitate de către P.F.P. Patriarh Teoctist”, în România Liberă, 31 XII 1989, p. 4 13 Biserica Ortodoxă Română în anii 1989-1990. Raporturile dintre ierarhie şi statul român, (dt. Die Rumänisch- Orthodoxe Kirche zw. 1989-1990. Die Beziehungen zwischen der Hierarchie und dem rumänischen Staat), am 16.03.2006, in: gabrielcatalan (blog), unter: http://gabrielcatalan.wordpress.com/2012/03/16/biserica- ortodoxa-romana-in-anii-1989-1990-raporturile-dintre-ierarhie-si-statul-roman/ (Stand: 01.06.2013) 14 Sophie, Lebrun: L‘Eglise orthodoxe, passive pendant la revolution roumaine: Alorsque son role dans la revolution roumaine fut inexistant, la position de l‘Eglise orthodoxe sous le règne de Ceausescu reste obscure., in: L’EXPRESS, 22.12.2009, ref. an: Michel Kubler, in kath. Zeitung: La Croix, unter: http://www.lexpress. fr/actualite/monde/europe/l-eglise-orthodoxe-passive-pendant-la-revolution-roumaine_837791.html (Stand/1.06.2013) 15 rumänisch: Frontul Salvarii Nationale

169 Mitglieder der Nomenklatur. Die Front der Nationalen Befreiung, die von Ion Ilies- cu als Präsident der Partei geführt wurde, der Petre Roman als Interims-Minister- präsident vorstand und andere: fast alle waren hochrangige Mitglieder der kom- munistischen Partei gewesen. Die Front der Nationalen Befreiung rechtfertigte sich kurz als ideologisch links ausgerichtet und stand für Atheismus und eine radikale Trennung von Kirche und Staat.

Meinungsäußerung, Parteimitgliedschaft und die Freiheit für Parteibildung, wie auch religiöse Freiheit waren nach der Wende Bestandteile demokratischer An- sätze.

Rumänien vollzog lediglich einen Systemwechsel, aber keinen Elitenwechsel. Durch die Hinrichtung von Ceausescu wurde die Bühne für eine Neuorganisierung dieser Eliten und ihrer Kontinuität vorbereitet, obwohl jetzt alles unter den Prämissen der Demokratie geschah.

Ein Ziel dieser Eliten war es zu überleben und Teil des Staatsapparates zu werden. Rumänien sollte eine Republik mit einem Präsidenten seitens der Front der Nationalen Befreiung unter der Führung von Ion Iliescu werden. So wurde der ehemalige König von Rumänien Mihai I nicht nach Rumänien gelassen. Erst muss- te er bereits am Berner Flughafen zurückkehren und im Dezember 1990 wurde er am Bukarester Flughafen aufgehalten. 1992 durfte er für ein paar Stunden Rumänien besuchen, wurde aber danach in Rumänien zu einer „persona non grata erklärt.16 Er erwarb erst 1996 wieder die rumänische Staatsbürgerschaft.

In Rumänien spricht man nach der Wende von einem Systemwechsel, die politi- schen Eliten aber blieben mehr oder weniger die gleichen. Unter diesen Umstän- den streben auch die Eliten der orthodoxen Kirche nach Kontinuität.

Nach der Wende stellte man die Frage: was geschieht jetzt mit der Religion? Der Franzose Jean-François Kahn schrieb: „Die unter Repressalien leidende Religion kann sich mit der unterdrückten Nation verbünden.“17 So machten sich einige Kirchen nationalistische Ideale und Bestrebungen zu eigen und wurden damit zu einem der Hauptträger des politischen Protestes, der durch die Anwesenheit ihrer katholischen oder orthodoxen Priester bzw. evangelischen Pfarrer abgesegnet wurde.

Die Kirche war sich ihrer Freiheit bewusst und genoss ab diesem Moment wieder ihre besondere Symphonie mit dem Bürger, strebte aber weiterhin nach ihrer

16 Zwischen 1993-94 17 Jean-François, Kahn, Ms. (unveröff.), 1990

170 Symphonie mit den weltlichen Behörden, im Sinne ihres autokephalen Tomos. Vom Ritus ihrer Autokephalie her ist die Rumänisch-Orthodoxe Kirche monarchisch. In Rumänien versuchte die orthodoxe Kirche sich als Erlöser darzustellen und die neue Kirche der Nation zu werden.18 Die ersten Fragen, die sich die Kirchen stell- ten, waren: Mit wem regieren wir jetzt? Welche Partei soll man vertreten? In Rumänien stellte man sich die Frage: Rückkehr zur Monarchie oder Wiederaufbau Rumäniens als demokratische Republik? Selbstverständlich gab es hier wesentlich mehr Einflussfaktoren als nur die religiösen, aber die Kirche unterstütze letztendlich die Präsidentschaft, weil die Erbfolge des ehemaligen Königs von Rumänien Mihai I. weiblichen Geschlechtes waren. Die Frage, die sich die Rumänisch-Ortho- doxe Kirche stellte war, wie man von einer Frau geführt werden könnte?19 Die Kirche hatte sogar während des zweiten Teils der Revolution von 1989, also nach dem 23./24. Dezember, öffentlich die Front der Nationalen Befreiung unterstützt. Im Monat Dezember desselben Jahres versuchten die politischen Eliten Kritik an Teoctist auszuüben. Nach Meinung einiger Journalisten war das „ein letzter Versuch seitens der FSN, die Kirche loszuwerden und sich als laizistisch zu definieren“.20 Es wurde veröffentlicht, dass Teoctist die Zerstörung von Kirchen unter dem Ceausescu Regime bewilligt hatte, insbesondere für den Bau des Casa Poporului (Haus des Volkes, wird heute als Parlamentsgebäude genutzt), dass er Mitglied des Geheimdienstes gewesen war und er wurde sogar der Homosexualität be- schuldigt. Im Frühjahr trat dann Patriarch Teoctis unter dem Druck der Presse zurück.

In einem Bericht über die orthodoxe Kirche in Rumänien konnte man lesen: „Der Patriarch und eine Anzahl von Bischöfen, die mit dem Ceauşescu Regime zusam- mengearbeitet hatten, wurden gezwungen zurückzutreten. Man setzte eine Kom- mission zur Wiederbelebung der Kirche ein. Viele ehemalige Ungläubige wenden sich jetzt der Religion zu und füllen die Kirchen. . . Der byzantinisch-katholischen Kirche Rumäniens, die vor 40 Jahren gezwungen wurde sich aufzulösen, ist es gestattet worden, sich neu zu organisieren.“21

Teoctist wurde aber von der Synode im April 1990 zurückberufen, weil die Be- völkerung ihn unterstütze und dessen Rücktritt zu Unmut unter den Gläubigen

18 Dies war nicht nur - in Rumänien oder bei der Rumänisch-Orthodoxen Kirche so, auch die katholische Kirche hatte sofort Schritte unternommen, um von den neuen Regierungen gesetzlich anerkannt zu werden. Der Osservatore Romano berichtete beispielsweise, dass „am 9. Februar 1990 ein Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Ungarn unterzeichnet wurde“. In diesem Abkommen hatten sich die beiden Seiten darauf verständigt, wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. 19 Siehe auch: Ion, Voicu: Istoricul Filip-Lucian Iorga, de ziua Regelui: Parlamentul României nu a aprobat nici o dată actul abdicării Majestăţii Sale Regele Mihai I, in: De Ce News, 09.11.2010, unter: http://www.dcnews. ro/2010/11/istoricul-filip-lucian-iorga-de-ziua-regelui-parlamentul-romaniei-nu-a-aprobat-niciodata-actul- abdicarii-majestatii-sale-regele-mihai-i/ (Stand: 1.06.2013) 20 Raul, Rognean: Beziehung von Staat und Kirche. Einordnungsmöglichkeiten der Orthodoxie, univ. Diss., Universitat Babes Bolyai, Klausenburg, 2011. S. 34-39. 21 Orthodox Unity, Juli 1990

171 geführt hatte. Ob schuldig oder nicht, die Rumänische Orthodoxe Kirche wurde von der Bevölkerung unterstützt. Das war ein letzter Beweis für die politischen Eliten, dass die Kooperation, die Kommunikation und Symphonie mit der Kirche die Massen bei den Wahlen radikal beeinflussen kann. Die neue Regierung mach- te den Schritt einer säkularisierten Partei in Richtung Orthodoxie. Die Kirche un- terstützte die Republik und deren Rolle sollte durch die Verfassung anerkannt werden. Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche sollte dabei das Recht haben, sich durch ein spezielles Gesetz indirekt als nationale Kirche rechtfertigen zu können. In Rumänien gibt es aber keine offizielle Staatsreligion, die Rumänisch-Orthodoxe Kirche genießt aber die Privilegien eines eignen Gesetzes, wobei ihre national- bildende Rolle anerkannt wird. So kann die Kirche vom Staat finanziert werden. Die orthodoxe Kirche verankerte ihren Platz durch dieses Gesetz und ihre Sym- phonie mit den öffentlichen Behörden gegenüber anderen Konfessionen.

Für die Rumänisch-Orthodoxe Kirche war es relativ einfach den religiösen Plura- lismus zu akzeptieren, eben weil historische und traditionelle Aspekte neu belebt wurden. Das schwierige dabei war aber nicht den Pluralismus einer traditionell historischen Religion zu akzeptieren, sondern die sogenannten neoreformierten Religionen zu akzeptieren. Dies betraf Probleme der religiösen Freiheit in den 1990er Jahren in Rumänien. Hier einige Beispiel: Militärpflicht mit der Unterstützung seitens der Rumänisch-Orthodoxen Kirche oder obligatorischen religiösen Unter- richt in den Schulen, Gründung von staatlichen Ethikkommission innerhalb des Regierungsapparates unter direkter Obhut der Rumänisch-Orthodoxen Kirche22, Unterricht am Samstag oder Samstagsprüfungen, die Rechtfertigung von den Kreuzen in Schulklassen23 usw.

Durch die Orientierung Rumäniens an der Europäischen Union wurde die Sym- phonie aber gemindert. Die Richtlinien des Beitritts verliefen hier vor dem Beitritt schon bei der Heranführung und dem Angebot der Integration und der Mitglied- schaft. So wurden auch viele religiöse Probleme in Rumänien vor dem Beitritt mehr oder weniger gelöst.

Problematisch sind die bis heute erhaltenen Grenzen, die die orthodoxe Kirche um die politischen Eliten zieht, wie auch die erhaltene und neugegründete Ethik- kommissionen innerhalb des Staatapparates, welche für religiösen Integrität sorgen und direkt an die Synode berichten. Zu beobachten ist eine enge Verbindung zwischen führenden Geistlichen, Politikern und Geschäftsleuten, die besonders bei

22 HotNews 28.10.2014 – online - https://www.hotnews.ro/stiri-esential-18397523-sectia-asistenta-religioasa- din-ministerul-interne-raporta-direct-sfantul-sinod-bisericii-ortodoxe-romane.htm 23 Dieses Problem wurde in Rumänien bis heute nicht gesetzlich gelöst, es hängt von jeder Schulinstitution an sich ab, ob man ein Kreuz aufhängt oder nicht. Die orthodoxe Kirche setzt sich aber stark gegen eine gesetzliche Entfernung der Kreuze in den Schulen ein.

172 offiziellen Feierlichkeiten zu beobachten sind. Man hat in solchen Fällen den Ein- druck, dass alle beteiligten Parteien ihren eigenen Vorteil aus der Situation zu ziehen suchen. So vergrößerten Geistliche ihren Einfluss, indem sie sich zusammen mit angesehenen Politikern zeigten, und die Politiker bemühten sich dadurch ihr eigenes Image zu verbessern, indem sie an die religiösen Gefühle der Öffentlich- keit appellierten. Die Kirche versteht sich dabei als ein Zöllner, der die Beziehung zwischen Bürger und weltlichen Behörden vermittelt und zwar durch ihre Offen- barung der Symphonie: „die Offenbarung hat auch eine politische Bedeutung. Sie ist ein Drama, das sich auf dem irdischen Schauplatz abspielt“24, die Kirche selbst ist eine „Pforte, welche die Offenbarung des weltlichen Staates schützt“.25

Eben diese politische „offenbarte Beziehung“ zwischen Kirche und Staat führte dazu, dass bis 2014 nur ein Orthodoxer die Möglichkeit hatte, Staatsoberhaupt zu werden, obwohl all das nicht gesetzlich geklärt war. Iliescu zum Beispiel be- suchte die Kirche nicht, ließ aber der Kirche freie Spielräume in den politischen Angelegenheiten. Iliescu wurde als ein Dialogpartner der orthodoxen Kirche ge- sehen. Es ist Tradition in Rumänien, dass der Präsident seinen Eid vor der ortho- doxen Kirche ablegt. In ihrer Symphonie gegenüber dem Staat verlangt die Kirche indirekt aber auch orthodoxe Dialogpartner. So gab es in Rumänien den Fall Kelemen Hunor26 versus Patriarch Daniel. Die Ernennung am 23. Dezember 2009 von Kelemen Hunor als Kulturminister in Rumänien empörte die Rumänisch- Orthodoxe Kirche, die dieses Ereignis als „den größten politischen Fehler der letz- ten Jahren“27 kritisierte. All das aus den Gründen, dass der neue Kulturminister römisch-katholisch war und nicht orthodox. Da die religiösen Gemeinden Rumäniens dem Ministerium für Kultur zugeordnet wurden, erklärte der Patriarch Rumäniens Daniel: „der Kulturminister muss eine Kooperation der Partnerschaft mit der Kirche Rumäniens führen, ein Dialog ist mit Herrn Kelemen Hunor im die- sem Sinne unmöglich.“28 Andere Politiker setzten sich auch dagegen ein: „unsere Partei (PDL)29 hat die Verantwortung einer sozialen Partnerschaft mit der Kirche“.30

Als Lösung wurde ein zeitweiliger Kompromiss getroffen, so wurde der Name des Ministeriums von Ministerium für Kultur und Kult31 in Ministerium für Kultur und

24 Raul, Rognean: Beziehung von Staat und Kirche Einordnungsmöglichkeiten der Orthodoxie, univ. Diss., Universitat Babes Bolyai, Klausenburg, 2011. S. 38 25 Ebd. 26 Kulturminister Rumäniens ab 23.12.09 – 27.04.2012 27 Dan, Camen: Cultele vor trece in subordonarea directa a primului-ministru, am: 21.12.2009, in: theologhia. wordpress, uber: theologhia.wordpress.com/tag/kelemen-hunor (Stand: 01.06.2013) 28 Ministerul Culturii nu se va mai ocupa de rezolvarea problemelor cultelor, am 21.12.2009, in ealitatea. net, unter, http://www.realitatea.net/ministerul-culturii-nu-se-va-mai-ocupa-de-rezolvarea-problemelor- cultelor_692635.html (Stand: 01.06.2013) 29 PDL = rum. Partidul Democrat Liberal, dt. Demorkratisch-Liberale Partei 30 Cultele vor trece in subordonarea primului-ministru, am 20.12.2009, in: Ziare.com, unter: http://www. ziare.com/emil-boc/premier/cultele-vor-trece-in-subordonarea-directa-a-primului-ministru-980526 (Stand: 01.06.2013) 31 rum. Minisetrul Culturii si Cultelor, dt. Ministerium für Kult und Kultur.

173 nationales Patrimonium umbenannt32. Auf diese Art und Weise wurden die religi- ösen Gemeinden dem ehemaligen Premierminister Emil Boc zugeordnet.

Dieses Beispiel verdeutlicht wie die Symphonie verläuft. Obwohl in Rumänien und Bulgarien der Staat viel stärker von der Kirche getrennt ist als im Falle Griechen- lands, herrscht trotz allem noch eine besondere Beziehung zwischen Staat und Kirche, wobei die Rumänisch-Orthodoxe Kirche eine Art Zöllner-Rolle im politischen System einnimmt. Das ist auch bei der Gesetzgebung zu beobachten. Viele Gesetze sind nicht durchgekommen oder mussten verändert werden, damit diese mit den Prämissen der Kirche übereinstimmen und das aus Gründen der religiösen Zügel der Symphonie.

Das schon erwähnte Gesetz der Rumänisch-Orthodoxen Kirche ist eine Absiche- rung, so dass die Zügel weiter straff gehalten werden, also eine Absicherung der Kohabitation mit dem weltlichen Staat. 2012 war in Rumänien eine Verfassungs- änderung auf der politischen Agenda. Vorsitzende zahlreicher Vereine und Mitglie- der der Zivilgesellschaft versuchten unter anderem die Punkte um die Begriffe wie religiöse Freiheit oder Laizität zur Debatte zu bringen. Die Kirche sah diese Maßnahmen als reaktionär und als Widerstand an und reagierte durch Zeitungs- artikel, öffentliche Reden und Aufrufen an künstliche Formen der kollektiven Erin- nerungen, um ihre nationalbildende Rolle zu retten. Selbst der ehemalige Staats- präsident Traian Basescu und die Volkspartei PDL äußerten sich:

„In Bezug auf die Kirchen, wenn wir mit der Erstattung fertig sind, (von dem was der Kirche rückerstattet werden muss), werden wir vielleicht einen autonomen Finanzierungsprozess entwickeln (für die Kirche). Wir befinden uns nicht in der Lage, dass die Rumänische Orthodoxe Kirche sich selbst finanzieren kann.“33 (Traian Basescu)

„Wir sind unserer Kirche schuldig unsere Schulden zu bezahlen, erst dann können wir darüber reden, die Verfassung laizistisch zu gestalten.“34 (Traian Basescu)

„Die Partnerschaft mit der Kirche muss erhalten werden. Die Nationalisierung von ihren Gütern war zu unseren Gunsten.“35 (Traian Basescu)

32 umbenannt ab 12.2009 in rum. Ministrul Culturii si Patrimoniului National., Ministerium für Kultur und das nationale Patrimonium 33 Clarice, Dinu: Băsescu: Discutăm de autofinanţarea Bisericii după ce îi restituim averile. PLUS. Ce spune preşedintele despre „parteneriatul“ preoţi-politicieni, am 11.04.2013, in Gandul.info, unter: www.gandul.info/ politica/basescu-discutam-de-autofinantarea-bisericii-dupa-ce-ii-restituim-averile-plus-ce-spune-presedintele- despre-parteneriatul-preoti-politicieni-10737675 (Stand: 01.06.2013) 34 Ebd. 35 Marius, Fratila: Băsescu: Parteneriatul cu Biserica trebuie susţinut. Cultele de la noi au trecut prin naţionalizare, am 12.04.213, in Mediafax, unter: http://www.mediafax.ro/politic/basescu-parteneriatul-cu-biserica-trebuie- sustinut-cultele-de-la-noi-au-trecut-prin-nationalizare-10738103 (Stand: 01.06.2013)

174 „Unsere Partei (PDL) hat die Verantwortung einer sozialen Partnerschaft mit der Kirche.“36 (so ein Parteisprecher)

Heute, 2018, steht wieder eine Verfassungsänderung auf der politischen Agenda und zwar zu Gunsten der Rumänisch-Orthodoxen Kirche, ihrer Rolle für die „Bil- dung der Nation“. Das Hauptthema ist die Definierung des Begriffes Familie als christliche Einordnung zwischen Mann und Frau. Die regierende sozialdemokrati- sche Partei (PSD) mit ihrem Vorsitzenden Liviu Dragnea unterstützt diese Verfas- sungsänderung. „Es sind Schulden, welche die PSD37 für die Wahlhilfe an die Orthodoxe Kirche auszahlt“, sagen die Kritiker der PSD.38

Bis 2014 war es aus Sicht vieler unmöglich, dass eines Tages ein Nicht-Orthodo- xer zum Präsidenten Rumäniens gewählt wird.

Klaus Johannis wurde zum Präsidenten Rumäniens gewählt, weil er von vielen als anders verstanden wurde. Als Mitglied der deutschen Minderheit im heutigen Rumänien zu gelten, Deutsch zu sein oder Deutsch zu sprechen wird mit „Ehr- lichkeit” und „Würde” gleichgesetzt. Deswegen sind auch deutsche Investoren in Rumänien willkommen. Aus diesen Gründen war auch Johannis willkommen. Die Korruptionsfälle, die in den letzten Jahren die rumänische politische Gesellschaft durchwühlten, führten dazu, dass die Wähler letztendlich einen akuten Bedarf an Ehrlichkeit hatten. Nicht zuletzt war die Wahl für Johannis ein Votum gegen den Menschen Victor Ponta39, wobei Ponta von vielen als ein Produkt des korrupten Systems wie auch des ehemaligen politischen Regimes verstanden wurde und wegen seiner Mitgliedschaft bei der PSD. Der jetzige Parteivorsitzende der PSD, Liviu Dragnea, ist erstinstanzlich zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, wird als korrupt dargestellt und die orthodoxe Kirche wird oft im Zusammenhang mit dessen Unterstützung kritisiert - insbesondere wegen Wahlmanipulation, offener Stellungsnahmen und der Finanzierung dem im Bau befindlichen Kirchen- gebäude der „Kathedrale der Erlösung des rumänischen Volkes.“40

Ich will behaupten, dass die Wahlen im November 2014 auch ein Votum gegen die Rumänisch-Orthodoxe Kirche waren. Es war das erste Mal seit 1989, dass die Kirche den Wahlkampf „verloren“ hatte. Seit November 2014 reden wir von einer anderen Art der Beziehung zwischen der Kirche und der Institution des Präsiden- ten in Rumänien. Es ist keine Symphonie mehr, es ist eine demokratische laizisti- sche Beziehung, die zum ersten Mal in den letzten 67 Jahren auf Würde gebaut

36 Ebd. 37 Sozialistische Partei Rumäniens 38 Playtech.ro 02.09.2018 – online https://playtech.ro/2018/dragnea-anunt-referendum-familie-cpf/ 39 Ehemaliger Premierminister und PSD-Vorsitzender 40 rumänisch Catedrala Mântuirii Neamului Românesc

175 wird, auch wenn es seitens der Rumänisch-Orthodoxen Kirche Rumäniens Ver- suche gab, die öffentliche Debatte symphonisch zu prägen.

Die Wahlen im Herbst 2014 haben die Grenze der Peinlichkeit und Dekadenz in Bezug auf das Verständnis von politischer Bildung in der Debatte über die Bezie- hung zwischen Kirche und Staat erreicht. Eine politische Kommunikation der „Un- bildung“ schaffte auch diejenigen miteinzubeziehen, die Menschenwürde und Lebenswandel verteidigen sollten. Wir reden hier von Institutionen und eine davon ist die Rumänisch-Orthodoxe Kirche.

Im Herbst 2014 hatten bei den Wahlen zum Staatspräsidenten die Rumänisch- Orthodoxe Kirche und die Institution des Patriarchen direkt Victor Ponta unterstützt: so kam es zum öffentlichen Erscheinen des Patriarchen mit Mitgliedern des Staats- apparats und der Regierung von Ministerpräsident Ponta. Außerdem gab es Brie- fe mit der Empfehlung Ponta unterstützen, die in lokalen Kirchengemeinden ver- teilt wurden, indem man während der Messen für Ponta betete. Den Kirchenmitgliedern wurde empfohlen, Ponta zu wählen, weil er ein „guter Rumäne“ und „der Hüter der wahren Religion und Orthodoxie“ sei. Er wurde bezeichnet als „Ponta als Vater“, als „Modell des Volkes“ und „Ponta als Ortho- doxen“! All das indirekt im Vergleich zu seinem Gegner, dem nicht orthodoxen Johannis. Die modernen Kommunikationskanäle wie Facebook oder SMS usw. wurden mit ähnlichen Texten gefüllt, sehr oft griff man sogar zu radikalen nationalistischen Ansätzen. Unter anderem wurden so Texte von Arsenie Boca41, einem orthodoxen Mönch, Anhänger und Unterstützer der ehemaligen Eisernen Garde und rechtsradikalen Bewegung in Rumänien42 verbreitet. Die Linken, also Victor Pontas Partei PSD, verteilten in einigen Dörfern sogar Taschenkalender mit der Ikonenfigur von Arsenie Boca, die von den lokalen Priestern geweiht wurden. Viele dieser Aktionen während der Wahlen von 2014 kann man als peinlich und dekadent beschreiben. Diese übertriebenen öffentlichen Manifestationen seitens von Ponta und dessen Wahlpropaganda wurden letztendlich gegen ihn benutzt. Er wurde von der jungen Generation der Wähler nur als peinlich empfunden, als Manifestation eines alten Regimes, als ein Nachfolger der ehemaligen kommunis- tischen Partei Rumäniens, als einer, der gegen die Prinzipien der Demokratie in Rumänien agierte. Letztendlich wurde er als Mickey Mouse abgestempelt. Dem Patriarchen Daniel ging es auch nicht besser, er wurde der Zusammenarbeit mit Ponta und der Korruption beschuldigt. Wegen der Einmischung der Kirche bei den Wahlen wurde er direkt angegriffen. Dabei kam herauskam, das Ponta mehrmals Staatsgelder an die Orthodoxe Kirche „gespendet“ hatte. Außerdem hatte er noch

41 Arsenie Boca: 29. September 1910 – 28. November 1989 42 Die Eiserne Garde 1930, eine faschistische und antisemitische Bewegung in Königreich Rumänien. Diese galt eine Zeit lang als die drittgrößte faschistische Bewegung Europas nach dem PNF in Italien und der NSDAP in Deutschland

176 vor den Wahlen eine kirchliche Ethikkommission innerhalb des Innenministeriums eingerichtet, die für die religiöse Moral der Angestellten sorgen sollte. Interessant ist auch die Aussage des Rumänisch-Orthodoxen Patriarchen Daniel am Tag der Wahl, dem 16. November 2014, nach den ersten Exit-Polls: „In der Geschichte des rumänischen Volkes arbeitete Gott auch mit Fremden (von einer anderen Nation) zum Wohle des rumänischen Volkes zusammen.“43 Der Patriarch hat seine Aussage nicht erklärt, diese war aber ein erster Schritt im Sinne einer anderen Art von Kommunikation mit dem neuen Staatspräsidenten, einer Kommunikation, die seit 2014 auf die geistliche Symphonie verzichten musste. In diesem Zusammen- hang darf nicht vergessen werden, dass laut Verfassung Rumänien eine parlamen- tarische Republik ist, die mehr oder weniger eine Art Kohabitation zwischen der Staatspräsidenten und der Regierung praktiziert. Im Vergleich mit dem französi- schen Modell des semi-präsidentiellen Systems ist sie aber ein Hybrid, weswegen die Rolle des rumänischen Präsidenten mehr repräsentativ bleibt. Das betrifft auch seine Kommunikation mit der Rumänisch-Orthodoxen Kirche. Die Einmischung der Kirche und ihre Kooperation mit den Sozialdemokraten unter der „korrupten“ Re- gierung von Liviu Dragnea als Parteichef und Nachfolger von Victor Ponta wurden erneut bei den Protestbewegungen im Winter 2015, im Frühjahr 2016 und im August 2018 stark kritisiert.

Liviu Dragnea ist Anfang November 2018 immer noch Parteichef und seine Partei genießt die Mehrheit und bildet die Regierung: „die Symphonie“ lauft weiter. Die Kirche hatte ihre Funktion als Zöllner zwischen Bürger und Präsidenten mit den Wahlen 2014 verloren. Sie arbeitet aber intensiv an ihrer Zöllner-Funktion mit der heutigen Regierung von Dragnea, eine Zusammenarbeit, die oft die Grenzen der Demokratie überschreitet. Die Kirche ist sich bewusst, dass ihre heutige Lage eine ganz andere ist als im Vergleich zu vor vier Jahren. Die Protestbewegungen von November 2014, die der Colectiv-Bewegung44 45 wie auch die Proteste gegen die führende Partei PSD in den Jahren 2017 und 2018 waren nicht nur gegen Ponta, Liviu Dragnea und PSD, sondern gegen die korrupte Führung des Landes, mit der die Kirche als Institution oft gleichgesetzt wird, gerichtet. Es waren Ausru- fe auch gegen den Patriarchen.

Schlussfolgernd ist der große Anspruch an die Symphonie und an die orthodoxen Dialogpartner zu betrachten. Die Kirche strebt hierbei eine Kohabitation an, bleibt

43 BOR explică mesajul MISTEROS rostit de Patriarhul Daniel în ziua votului: De multe ori ne vine în ajutor un străin http://www.evz.ro/bor-explica-mesajul-misteros-rostit-de-patriarhul-daniel-in-ziua-votului.html (Stand: 10.06.2015) Patriarhul „Exit-Poll“. Primul roman care a anticipat corect rezultatul alegerilor a refuzat sa-si explice propria predica http://stirileprotv.ro/stiri/actualitate/patriarhului-daniel-a-refuzat-sa-explice-declaratia-facuta-in-ziua-alegerilor- ce-au-declarat-preotii-prezenti-in-parlament.html (Stand 12.06.2014) 44 siehe: https://en.wikipedia.org/wiki/Colectiv_nightclub_fire 45 am 3.11 wurde der Protest Colectiv gegen die Rumänisch-Orthodoxe Kirche ausgerufen.

177 aber ein Verteidiger der politischen Grenzen. So existiert in Rumänien eine Schein- zusammenarbeit unter dem Vorhang der Kooperation. Es gibt zwar keine Staats- kirche in Rumänien, die Rumänisch-Orthodoxe Kirche erklärt sich aber als national und erhebt den Anspruch, wie eine solche behandelt zu werden. Das Beziehung von Kirche und Staat nähert sich dem Modell der „hinkenden Trennung“, so wie in Deutschland, nur das hier alles viel „spezieller“ betrachtet wird: mehr aus den Prämissen der ungeschriebenen Tradition als aus der Sicht des Gesetzes. Man kann behaupten, dass in Rumänien die Religionsfreiheit der europäischen Praxis der Toleranz entspricht, obwohl die Probleme oft durch Kompromisse gelöst wer- den und dieses sich oft als ein Zöllner zwischen den Bürgern versteht.

Die Trennung zwischen Kirche und Staat ist hinkend, aber anders als das deutsche Modell der hinkenden Trennung ist diese hier ein Hybrid. Ein Hybrid, das die po- litischen Grenzen verteidigt, um so zu sichern, dass nur die ihrem Dialog würdigen Eliten hereinkommen können. Beide Eliten, die rumänisch-orthodoxe und die po- litische behalten auch heute noch die Kontinuität der kommunistischen Nomen- klatur bei. Als Gegenmodell fungiert der Präsident. Klaus Johannis ist kein Produkt der Nomenklatur und kann als eine solcher auch nicht gesehen werden.

Es stellt sich die Frage, was heute die Offenbarung der rumänischen Orthodoxie ausmacht? Wie wird ihre Symphonie mit der Politik, auf dem irdischen Grenzgebiet zwischen Bürger und politischen Eliten mit einen „nicht-orthodoxen“ Präsidenten zusammenklingen?

Wie lange wird die Rumänisch-Orthodoxe Kirche noch dank des autokephalen Tomos ihren Zoll als Zugang zu den politischen Eliten verlangen?

Der große Verlierer der Wahlen vom 16. November 2014 war nicht Victor Ponta, sondern der Zöllner, die Rumänisch-Orthodoxe Kirche. Aber genau hier sei das Positive innerhalb der rumänischen Orthodoxie zu finden, genau hier liegt die Grenze zwischen Korruption und Glaube. Die Orthodoxe Kirche Rumäniens befin- det sich an ihrer großen Wegkreuzung, und genau das wurde in November 2014 ermöglicht: ein EGO SUM VIA VERITAS E VITA! (Novum Testamentum, - Ioánnän 14:6)

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Literatur im elektronischen Format:

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180 Rettung), am 08.03.2010, in: Jurnalul.ro, unter: http://jurnalul.ro/special-jurnalul/patriarhul- teoctist-intre-reinnoirea-prin-reflectie-si-frontul-salvarii-nationale-537917.html (Stand: 01.06.2013) LEWIS J., PATSAVOS: The Canonical Tradition of the Orthodox Church, unter: http://www. goarch.org/ourfaith/ourfaith7071(Stand: 01.06.2013) LEWIS J., PATSAVOS: Unity and Autocephaly: Mutually Exclusive?, unter: http://www. goarch.org/ourfaith/ourfaith8131(Stand: 01.06.2013) ION, VOICU: Istoricul Filip-Lucian Iorga, de ziua Regelui: Parlamentul României nu a aprobat nici o dată actul abdicării Majestăţii Sale Regele Mihai I., in: De Ce News, 09.11.2010, unter: http://www.dcnews.ro/2010/11/istoricul-filip-lucian-iorga-de-ziua- regelui-parlamentul-romaniei-nu-a-aprobat-niciodata-actul-abdicarii-majestatii-sale-rege- le-mihai-i/ (Stand: 01.06.2013) Patriarhul Teoctist, un prelat deschis, dar cu o imagine pătată de trecutul său, (dt. Der Patriarch, ein Prälat mit einer befleckten Vergangenheit), am 02.08.2007, in: Gandul.info, unter: http://www.gandul.info/stiri/patriarhul-teoctist-un-prelat-deschis-dar-cu-o-imagi- ne-patata-de-trecutul-sau-870522 (Stand: 01.06.2013) Trecutul comunist al Patriarhului Teoctist, (dt. Die kommunistische Vergangenheit des Patriarchs Teoctist), am 21.12.2006, in: Evz.ro, unter: http://www.evz.ro/detalii/stiri/ trecutul-comunist-al-patriarhului-teoctist-423690.html (Stand: 01.06.2013)

181 Kärnten Band Dokumentation 2018 34

Dialog und Kultur. Beiträge zum Europäischen Volksgruppenkongress 2017, zur Kärntner Menschenrechtsenquete 2017 und Sonderthemen

Larisa Krizan Breljak Nils-Erik Forsgård Matejka Grgič Annemarie Herzl Isabell Koinig Berndt Körner Josef

Das Volksgruppenbüro beim Amt der Kärntner Landesregierung veranstaltet seit 34 Band 1990 jährlich den Europäischen Volksgruppenkongress. Dieser ist eine Plattform, Lausegger Sergiy Nezhurbida Jani Oswald Wolfgang um Themen und Fragestellungen mit Volksgruppenbezug erörtern und diskutie- Platzer Thomas Pseiner Antonio Rocco Raul Rognean ren zu können. Gerald Tatzgern Elisabeth Tichy-Fisslberger Hanzi Seit 2017 werden die Kärntner Menschrechtstage durchgeführt, in deren Rah- Tomažič Hellwig Valentin Paul Videsott Alexander men verschiedene menschenrechtsrelevante Themen Behandlung finden. Wrabetz Georg Zwerenz Larisa Krizan Breljak Nils-Erik

Mit der Reihe „Kärnten Dokumentation“ werden Beiträge nationaler und interna- Forsgård Matejka Grgič Annemarie Herzl Isabell Koinig tionaler Fachleute schriftlich festgehalten. Die Bände dienen einem interessier- Berndt Körner Josef Lausegger Sergiy Nezhurbida ten Publikum als Nachschlagewerke und sind ein zeithistorisches Produkt des Landes Kärnten. Jani Oswald Wolfgang Platzer Thomas Pseiner Antonio Rocco Raul Rognean Gerald Tatzgern Elisabeth Tichy-Fisslberger Hanzi Tomažič Hellwig Valentin umentation Kärnten Do k umentation Paul Videsott Alexander Wrabetz Georg Zwerenz

ISBN 3-901258-25-6

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