SWR2 MusikGlobal "Anthology of American Folk Music" Die Schallplatten, die das Folkrevival auslösten

Von Christoph Wagner

Sendung: Dienstag, 13.04.2021 Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2021

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Kompon.: Sleepy John Estes, Yank Rachell Titel: Expressman Blues Interpret: Sleepy John Estes & Yank Rachell CD: Anthology of American Folk Music / Vol. 3 Songs Label: Smithsonian / Folkways Labelcode: Bestellnr.: FP253 Barcode: 4. Track: Dauer: bei 0:12 min reingehen

1. Mod

«Anthology of American Folk Music»

Die Schallplatten, die das Folkrevival auslösten von Christoph Wagner

1. Musik (Fortsetzung)

Kompon.: Sleepy John Estes, Yank Rachell Titel: Expressman Blues Interpret: Sleepy John Estes & Yank Rachell Dauer: bei 1:30 runterziehen

2. Mod

Selten hat eine Plattenveröffentlichung eine derartige Wirkung entfaltet. 1952 erschienen drei Doppelalben auf dem New Yorker Plattenlabel Folkways, die in der Folkszene für Furore sorgten. Die Reihe mit dem Titel „Anthology of American Folk Music“ enthielt alte Schellackaufnahmen aus den 1920er und 30er Jahren von Musikern, deren Namen längst vergessen waren. Diese Veröffentlichungen kamen offenbar genau zur richtigen Zeit und schlugen wie eine Bombe ein.

1. Musik (Fortsetzung) Kompon.: Sleepy John Estes, Yank Rachell Titel: Expressman Blues Interpret: Sleepy John Estes & Yank Rachell Dauer: bis Ende spielen (3:01)

3. Mod

Die „Anthology of American Folk Music“ war vom exzentrischen Filmemacher, Bohemien, Volkskundler und Schellacksammler Harry Smith zusammengestellt

2 worden und umfasste die ganze Palette früher amerikanischer Volksmusikstile, von Blues über Spirituals bis zu Cajun und Hillbilly. Das erste Doppelalbum der „Anthology“ enthielt „Balladen“, das zweite „Social Music“ und das dritte „Songs“.

Die drei Doppelalben entwickelten sich zum Renner unter jungen Folkfans, die auf der Suche nach authentischen Klängen waren. Auf den sechs LPs lernten sie die Musik des alten ländlichen Amerikas kennen als eine äußerst vielfältige musikalische Landschaft, was die „Anthology“ zur Initialzündung des amerikanischen Folkrevivals werden ließ.

2. Musik Kompon.: Jilson Jetters Titel: The Wild Wagoner Interpret: Jilson Jetters CD: Anthology of American Folk Music / Vol. 2 Social Music Label: Smithsonian / Folkways Labelcode: Bestellnr.: FP253 Barcode: 1. CD, 2. Track: Dauer: 3:14

4. Mod

Die Schallplattenreihe mit dem Titel „Anthology of American Folk Music“ inspirierte eine Generation junger Musiker und Musikerinnen, sich verstärkt den traditionellen Stilformen zuzuwenden, wobei nur der prominenteste Liedermacher war, der sich von der „Anthology“ anregen ließ. Ein enger Bekannter von Bob Dylan, der Folksänger Dave van Ronk, erinnert sich in seiner Autobiographie:

1. Peter Binder Zitat

„Diese Platten wurden unsere Bibel. Hier hörten die meisten von uns zum ersten Mal , Mississippi John Hurt und sogar Blind Lemon Jefferson. Und die Sammlung umfasste nicht nur Bluesleute, nein, sie enthielt auch Balladen, Squaredance und Gospel. Sie war ein wahres Kompendium traditioneller amerikanischer Musik, und alles interpretiert im klassischen Stil. Das war für meine Generation besonders wichtig, denn wir versuchten nicht nur traditionelle Lieder zu singen, sondern uns auch den Stil der ländlichen Musiker anzueignen. Ohne Harry Smiths Anthology hätte es uns gar nicht gegeben, denn für uns gab es keine andere Möglichkeit, dieser Musik habhaft zu werden. Nicht alles auf diesen Platten gefiel uns. Manches war schlichtweg grauenvoll. Aber uns war alles wichtig, weil es zeigte, was es alles gab und wie es richtig klang. Mehr oder weniger zum ersten Mal bekamen wir ein Gefühl dafür, worum es bei traditioneller amerikanischer Musik tatsächlich ging, und zwar aus erster Hand, nicht aus zweiter oder dritter. Auf der Antholody befanden sich 82 Stücke, und nach einer Weile kannten wir jeden Song auswendig. Die Anthology bot uns eine Grundlage, die uns verband.“

3

(Dave van Ronk: Der König von Greenwich Village – Die Autobiographie. Wilhelm Heyne Verlag, München 2013. S. 82f)

3. Musik Kompon.: John Hurt Titel: Frankie Interpret: Mississippi John Hurt CD: Anthology of American Folk Music / Vol. 3 Songs Label: Smithsonian / Folkways Labelcode: Bestellnr.: FP253 Barcode: 2. CD; 7. Track: Dauer: 3:25

5. Mod

Der Bluessänger Mississippi John Hurt mit dem Titel ”Frankie“ von der „Anthology of American Folk Music“.

Die Folkszene hatte in Manhattans Greenwich Village ihr Zentrum. Aber auch in Cambridge, Massachusetts, in Chicago, San Francisco oder Los Angeles gab es junge Leute auf der Suche nach echten, authentischen Ausdrucksformen. In Manhattans Greenwich Village waren Folkclubs wie das „Kettle of Fish”, „The Gaslight” oder das „Café Wah?” Treffpunkte der Bewegung, wo jeden Abend Folksänger und -sängerinnen ihre Songs zum Besten gaben. Samuel Charters war ein junger Musiker und Bluesenthusiast, der in Greenwich Village lebte – im Herz der amerikanischen Folkszene.

1. O-Ton Sam Charters Anthology (0:24)

„At that point there was this great sense of discovery...... Our voices could be heard.“

2. Peter Binder Übersetzung:

Es gab damals diesen ungeheuren Hunger auf Entdeckungen. Als in den 50ern die „Anthology“ von Harry Smith erschien, machte das einen Riesenunterschied. Wir begriffen, dass es eine riesige alternative Kultur in Amerika gab. Alles veränderte sich. Die Folkszene öffnete sich. Wir waren plötzlich keine Außenseiter mehr. Unsere Stimmen wurden gehört.

6. Mod

Wie der Historiker Greil Marcus bemerkte, wurde die „Anthology” für junge Folkfans zur „imaginären Heimat“, zum „echten Exil“. Mit ihr trat das „alte unheimliche Amerika“ wieder an die Oberfläche. Es war

4

3. Peter Binder / Zitat:

„das Aufschimmern eines Amerikas, das man sich vorher nie vorzustellen gewagt hatte.“

4. Musik Kompon.: Traditional Titel: John The Revelator Interpret: Blind Willie Johnson CD: Anthology of American Folk Music / Vol. 2 Social Music Label: Smithsonian / Folkways Labelcode: Bestellnr.: FP253 Barcode: 2. CD, 11. Track: Dauer: 3:18

7. Mod

Junge Folkmusiker und Enthusiasten nahmen die Fährte auf. Sie machten sich in den amerikanischen Süden auf, um die Musiker zu finden, die sie auf der ‚Anthology‘ kennengelernt hatten. Die meisten Einspielungen dieser Musiker waren ab 1926 entstanden, wobei die Weltwirtschaftkrise nach dem Schwarzen Freitag 1929 die Plattenproduktion für ein paar Jahre nahezu zum Erliegen brachte.

Die Suche nach den alten Blues- oder Hillbilly-Musikern, die vielleicht ihren letzten Song Jahrzehnte zuvor eingespielt hatten, war ein kniffliges Unterfangen. Denn man wusste oft nicht einmal, ob ein bestimmter Musiker oder eine bestimmte Musikerin überhaupt noch am Leben waren, und wenn ja, wo er oder sie wohnten. Nicht selten wurde die Suche zu einer echten Detektivarbeit, bei der sich – wenn man Glück hatte – ein Puzzleteil ins andere fügte, bis man den Gesuchten gefunden hatte. Bei etlichen verlief die Spur allerdings im Sand. Bei schwarzen Bluesmusikern gestaltete sich die Suche noch schwieriger, weil unter den Bedingungen von Segregation und Rassentrennung weiße Studenten in schwarzen Vierteln sofort Verdacht erregten und die Polizei auf den Plan riefen. Sam Charters:

2. O-Ton Sam Charters Bluessuche (1:04)

„We had to go into the ghettos..... so I never found him.“

4. Peter Binder / Übersetzung:

„Wir mussten in die schwarzen Ghettos gehen. Was heute das Internet ist, waren damals die Frisörsalons. Der Frisör kannte die Musiker. Natürlich musste man vor der weißen Polizei auf der Hut sein, denen mißfiel, was wir trieben, weil es das System der Rassensegregation störte. Es gelang mir fast immer, Kontakt aufzunehmen: Der Frisör wusste, wer diese Musiker waren, weil sie in ihrer Community berühmt waren. Man musste also nur die richtige Community finden. 5

Normalerweise rückte der betreffende Frisör die Adresse nicht sofort heraus. Er kontaktiere zuerst den jeweiligen Musiker und fragte, ob er etwas gegen einen Besuch hätte. Normalerweise erhielt man dann am nächsten Tag Bescheid. Lightnin’ Hopkins fuhr mit seinem Auto zu mir auf und sagte: „Du suchst mich?“ Robert Johnson zu finden, war eine harte Nuß. Ein Code auf den Platten gab den Aufnahmeort preis. Die Schellackplatte, die ich von Johnson hatte, war in San Antonio, Texas aufgenommen worden. Also fuhr ich nach San Antonio, fragte in den Frisörläden, aber Robert Johnson lebte in Mississippi, weshalb ich ihn nie fand.“

5. Musik Kompon.: Titel: Hellhound on my trail Interpret: Robert Johnson CD: Robert Johnson – Hellhound on my trail Label:

Delta Entertainment Labelcode: Bestellnr.: delta 47012 Barcode: 19. Track: Dauer: 2:38

8. Mod

The waren eine der Folkbands, die sich ebenfalls von der „Anthology“ anregen ließen. Sie begannen in Archiven vergessene Folksongs auszugraben, um sie in möglichst authentischer Form zu neuem Leben zu erwecken. Zwei Mitglieder der Ramblers, und John Cohen, waren viel im Süden unterwegs, um traditionelle Musiker aufzustöbern mit dem Ziel, von ihnen zu lernen. Einige dieser längst vergessenen Künstler traten durch die Vermittlung der Ramblers auf dem Newport Folkfestival auf, der wichtigsten Schaubühne für die damalige Folkszene. Das machte die Veteranen schlagartig wieder so bekannt, dass sie neue Schallplatten aufnehmen und abermals auf Tournee gehen konnten. Schlagartig waren sie wieder im Rampenlicht. Der Banjospieler und Sänger war so ein Fall. Er hatte 1928 ein Dutzend Einspielungen gemacht und war danach wieder in der Versenkung verschwunden. Anfang der 1960er Jahre stöberte ihn Mike Seeger von den New Lost City Ramblers wieder auf und brachte ihn 1963 zum Folkfestival nach Asheville in North Carolina, was Dock Boggs eine zweite Karriere bescherte. Hören sie zuerst „Country Blues“ von Dock Boggs in seiner ursprünglichen Fassung von 1928, die dann in seine Aufnahme aus den frühen 1960er Jahren übergeht.

Hinweis: 6. + 7. Musik sind zu einer Titel verbunden

6. Musik Kompon.: Dock Boggs Titel: Country Blues Interpret: Dock Boggs

6

CD: Anthology of American Folk Music / Vol. Songs Label: Smithsonian / Folkways Labelcode: Bestellnr.: FP253 Barcode: 1. CD, 14. Track: Dauer:

7. Musik Kompon.: Dock Boggs Titel: Country Blues Interpret: Dock Boggs CD: Anthology of American Folk Music / Vol. Songs Label: Smithsonian / Folkways Labelcode: Bestellnr.: FP253 Barcode: 1. CD, 14. Track: Dauer: 2:17

9. Mod

Die Schallplattenreihe „Anthology of American Folk Music“ war auf einem winzigen Label namens Folkways erschienen, das von in New York betrieben wurde. „Moe“ Ash folgte einer kühnen Vision. Er wollte mit seinem Plattenlabel nicht bloß Musik unter die Leute bringen, sondern nicht weniger als die gesamte klingende Welt dokumentieren. Er verstand sein Label als Klangarchiv der Menschheit und wollte alles auf der Erde, was ein Geräusch von sich gab, auf Schallplatte bannen. Das Spektrum der Folkways-Produktionen war deshalb unendlich weit gespannt.

Neben «Spoken Word»-Veröffentlichungen machte die Musik den Löwenanteil aus. Im Katalog von Folkways waren Blues-, Gospel- und Oldtime-Songs, Avantgarde- Klänge, Renaissance- und Barockmusik, Jazz und frühe Elektronik aufgelistet. Daneben kam der Folkmusik ein besonderer Platz zu. Ob oder Leadbelly – alle brachten ihre Schallplatten bei Folkways heraus. Selbst Bob Dylan, der sonst bei Columbia unter Vertrag war, war unter dem Pseudonym Blind Boy Grunt auf Folkways-Platten zu hören.

8. Musik Kompon.: Bob Dylan Titel: Bob Brown Interpret: Blind Boy Grunt CD: Broadside Ballads, Vol. 1 Label: Labelcode: Bestellnr.: FH 5301 Barcode:

7

3. Track: Dauer: 0:15 vorausgehender Mod unterlegen (Gitarren-Intro). Musik muß freistehen, wenn der Gesang beginnt. Bis Ende spielen (4:15)

10. Mod

Die Musik für die „Anthology“ hatte Harry Smith zusammengestellt: 1923 geboren, 1991 gestorben – ein kauziger Exzentriker, der zeitweise im berühmten Chelsea- Hotel in Downtown Manhattan wohnte. Tagsüber ging er seinen diversen Sammler- Leidenschaften nach. Im Chelsea-Hotel war er Anfang der 1970er Jahre der jungen Patti Smith begegnet. In ihrem autobiographischen Werk „Just Kids“ hat die spätere Rocksängerin ihre erste Begegnung mit Harry Smith festgehalten. Sie waren damals Zimmernachbarn im Chelsea Hotel.

1. Anette Sidhu-Ingenhoff / Zitat (weibliche Stimme):

„Er stand leicht bucklig in seiner schäbigen Tweedjacke, seinen Chinos und Desert Boots vor uns, den Kopf zur Seite gelegt wie ein ausgersprochen kluger Hund. Obwohl er höchstens 45 war, machte er den Eindruck eines alten Mannes mit einer grenzenlosen jugendlichen Begeisterungsfähigkeit. Harry war ein Begriff, weil er die Anthology of American Folk Music zusammengestellt hatte, die für so viele, vom obskuren Gitarristen bis zu Bob Dylan, ein maßgeblicher Einfluß war. (....) Ich schaute oft alleine bei ihm vorbei. Seine gesammelten Semiolen-Indianer-Röcke aus filigranem Patchwork lagen überall herum. Er war sehr eigen mit ihnen, schien aber Freude daran zu haben, wenn ich sie anprobierte. Ganz anders war es mit den handbemalten Eiern aus der Ukraine, die durfte ich nicht berühren. (...) Dafür ließ er mich aber mit seiner Sammlung von Zauberstäben spielen, kunstvoll geschnitzten Schamanenstäben, die in Zeitungspapier gewickelt waren. (...) Harry war außerdem Experte für Fadenspiele. Wenn er guter Laune war, zog er eine meterlange Schlinge aus der Hosentasche und wob einen Stern, einen weiblichen Naturgeist oder ein Ein- Mann-Abnahmespiel.“

(Quellennachweis: Patti Smith: Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft. Fischer Taschenbuch Verlag; Frankfurt a. M. 2011; S. 116, 139, 140)

9. Musik Kompon.: Joseph Falcon Titel: Arcadian One Step Interpret: Joseph Falcon CD: Anthology of American Folk Music / Vol. Social Music Label: Smithsonian / Folkways Labelcode: Bestellnr.: FP253 Barcode: 11. Track: Dauer: 2:57 8

11. Mod

Harry Smith war ein besessener Sammler. Neben bemalten Ostereiern aus der Ukraine, gefalteten Papierflugzeugen und Schamanenstäben trug er eine Unzahl an Schellackplatten zusammen. Während des 2. Weltkriegs hatte er dafür den Grundstock gelegt. Damals mussten in den USA Lagerhäuser für Rüstungsgüter geräumt werden, was eine Flut von vergessenen Schallplatten aus den 1920er und 1930er Jahren in die Ramschkisten der Phonoläden spülte. Harry Smith erwarb vielen seiner Scheiben damals zu einem Spottpreis.

10. Musik

Kompon.: Mississippi John Hurt

Titel: Spike Driver Blues

Interpret: Mississippi John Hurt

CD: Anthology of American Folk Music / Vol. 3 Songs Label:

Smithsonian / Folkways Labelcode:

Bestellnr.: FP253

Barcode:

10. Track

Dauer: 3:14

12. Mod

Mississippi John Hurt mit „Spike Driver’s Blues” von der Schallplattenserie „Anthology of American Folk Music“.

Das größte Verdienst der „Anthology“ war, dass sie etliche nahezu vergessene Musiker wieder ins Rampenlicht zurückbrachte. Folkfestival rissen sich nun um die 9 wiederentdeckten Veteranen, die als Träger einer unverfälschten Tradition verehrt wurden. Solche Musiker, wie der Countrybluessänger Mississippi John Hurt, pflegten noch regionale Spielweisen, die es sonst nirgends mehr gab. Hier waren noch die alten ungehobelten Melodien und unverkünstelten Lieder zu hören mit ihren oft kryptischen Texten, die so schroff und unerbittlich klangen wie das harte Leben, dem sie entsprangen. Folkrevivalsänger Tom Paxton beschreibt in seinem Song „Did you hear John Hurt“?, wie der wiederentdeckte Bluesveteran Mississippi John Hurt von den jungen Fans bei einem Clubgastspiel angehimmelt und angebetet wird.

5. Peter Binder Zitat:

Es war eine frostige Nacht, es fing an zu schneien, und der Wind blies die Straßen der Stadt hinab.

Wir stiegen in den Keller hinunter, leerten die Bar, um einem kleinen Burschen zuzuhören, der eine glitzernde Gitarre spielte.

Hast du John Hurt gehört, wie er „Creole Bell“ sang, auch „Spanish Fandango“, seinen Lieblingssong.

Hat dir John Hurt gefallen? Hast du seine Hand geschüttelt?

Hast du gehört wie er „Candy Man“ sang?

11. Musik

Kompon.: Thomas Paxton

Titel: Did You hear John Hurt?

Interpret: Tom Paxton

CD: Tom Paxton – New Songs From The Briarpatch Label:

Vanguard Labelcode:

Bestellnr.: VNP 7313 10

Barcode:

1.Track:

Dauer: 0:20 vorausgehendem Zitat unterlegen (Gitarren-Into), dann frei stehen lassen bis 1:10, dann runterziehen für Peters Zitat, danach wieder hochziehen und bis Ende spielen

6. Peter Binder Zitat:

Auf einem einfachen Stuhl, den Filzhut auf,

Kitzelte er unsere Fantasie mit „Avalon”.

Und jeder der die MacDougal Straße hinabging, reckte den Kopf und lauschte, wie die Füße den Takt schlugen.

11. Musik (Fortsetzung)

Kompon.: Thomas Paxton

Titel: Did You hear John Hurt?

Interpret: Tom Paxton:

Dauer: bis Ende spielen (3:32)

13. Mod

Schon Jahre vor den Anthology hatten die Klänge des alten Amerikas Komponisten in ihren Bann gezogen. In den 1930er Jahren verarbeitete auf der Suche nach der Musik des «gemeinen Mannes» alte Folkmelodien in ihren Klavierkompositionen. John Cage schuf 1976 zum 200. Geburtstag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung sein Werk Apartment House 1776, das in alleatorischer Manier alte Kirchenhymnen und Choräle, Folksongs und Squaredance- Melodien in 44 Harmonies durcheinanderwirbelt und sie von den Interpreten jeweils neu wieder zusammensetzen läßt.

12. Musik

11

Kompon.: John Cage

Titel: Harmony XX aus: 44 Harmonies From Apartment House 1776

Interpret: Arditti Quartet

CD: The Complete John Cage, Vol. 32 Label:

Mode Labelcode:

Bestellnr.: mode 144/45

Barcode:

20. Track:

Dauer: auf Stichwort ‚John Cage‘ der vorausgehenden Mod Musik unterlegen, dann 2:00 freistehen lassen, dann unter der Absage des Titels ausblenden

14. Mod

Das Arditti Quartet mit der „Harmony Nr. XX” aus dem Werk „44 Harmonies From Apartment House 1776” von John Cage, der in diesem Stück einen Kirchenchoral aus Amerika aus der Zeit um 1776 verarbeitete.

Nach John Cage führte in den 1980er Jahren Henry Flynt die Experimente mit amerikanischer ‚Roots Music‘ fort. Er wandte seine minimalistischen Bandschneidetechniken auf die ländlichen Melodien seiner Heimat an, die er mit der Fiddle spielte. Das Ergebnis war: Hillbilly Tape Music.

Seit längerer Zeit erweckt das Kronos Quartet vergessene Blues- und Hillbilly-Titel wieder zu neuem Leben. Ob Bluegrass-Klassiker wie Orange Blossom Special, Blues-Nummer wie Blind Willie Johnsons Dark was the night, cold was the ground oder Geeshie Wileys Last Kind Words – Kronos hebt die alten amerikanischen Folksongs in den Rang klassischer Streichquartette. Bandleader David Harrington:

3. O-Ton David Harrington (1:03)

12

„In my opinion there are late Beethoven string quartets in many different genres. And when I hear Blind Willie Johnson ‘Dark was the night’ – I mean that is as good as it gets in music. How could Kronos not want to play that? For me trying to find a way of making my group sound, approach a sound world like that, is an important part of being a musician. See I don’t think of these as folk pieces, I think of them as great musical expierences. For me there is not a hierarchy, simply not. I would put Weberns ‚6 Bagatelles’ next to Gyshee Wylie, next to ‚Dark was the night’, next to ‚Orange Blossom Special’ any day, and I love them all.

7. Peter Binder / Übersetzung:

„Meiner Meinung nach gibt es Beethovens späte Streichquartette in vielen musikalischen Gattungen. Wenn ich den Bluessänger Blind Willie Johnson mit dem Titel „Dark was the night” höre – viel besser kann Musik nicht sein! Warum sollte Kronos das nicht spielen? Für mich als Musiker ist es wichtig, dass meine Gruppe eine Klangwelt wie diese erkundet. Das sind für mich keine Folk-Stücke, sondern überwältigende musikalische Erfahrungen. Für mich ist die Welt der Musik nicht hierarchisch gegliedert, klassische Musik oben, populäre Musik unten. Für mich befinden sich Weberns ‚Sechs Bagatellen’ auf der gleichen Stufe mit Gyshee Wylie, oder ‚Dark was the night’ oder ‚Orange Blossom Special’. Ich mag sie alle!“

Hinweis: 13. + 14. Musik sind zu einem Titel verbunden

13. Musik

Kompon.: Blind Willie Johnson

Titel: Dark was the night, cold was the gorund

Interpret: Blind Willie Johnson

CD: The complete Blind Willie Johnson Label:

Legacy Labelcode:

Bestellnr.: C2K 52835

Barcode:

13

1.CD; 5. Track:

Dauer:

14. Musik

Kompon.: Blind Willie Johnson

Titel: Dark was the night, cold was the gorund

Interpret: Kronos Quartet

CD: Kronos Quartet – A Thousand Thoughts Label:

Nonesuch Labelcode:

Bestellnr.: 755979573

Barcode:

2. Track:

Dauer: bei 3:00 ausblenden

15. Mod

Seit ihrer Veröffentlichung 1952 hat die „Anthology“ etliche Re-Issues erlebt. 2020 knüpfte das amerikanische Label Dust to Digital mit The Harry Smith B-Sides an das Epochenwerk an. In sechsjähriger Arbeit hat die Firma alle Schellackplatten der ursprünglich 84 Titel zusammengetragen und immer die andere, die bisher unveröffentlichte Plattenseite zu einer Zusammenstellung kompiliert. Auf drei Titel wurde wegen rassistischer Inhalte verzichtet, was nicht bei allen Folkfans auf Zustimmung stieß. Man müsse sich der Vergangenheit ungeschminkt stellen, wurde das Gegenargument ins Feld geführt. Solche Widersprüche plagten Harry Smith nicht.

8. Peter Binder / Zitat:

14

„Meine Träume wurden wahr. Ich sah, wie sich Amerika durch Musik veränderte,“

16. Mod lautete das Fazit am Ende seines Lebens.

Die Wiederveröffentlichungen auf CD und die Neuveröffentlichung der Harry Smith B- Sides bescherten der „Anthology“ erneute Aufmerksamkeit. Kontinuierlich entdecken junge Musiker diesen Schatz amerikanischer Folkmusik neu, was sich erfrischend auf die Folkszene auswirkt. Der amerikanische Sänger Sam Amidon hat der „Anthology“ von Harry Smith sogar ein ganzes Konzertprogramm gewidmet. In dessen Verlauf interpretiert er auch den „Spike Driver Blues“ von Mississippi John Hurt auf neue Art. So setzt sich die Folkszene kontinuierlich mit ihrer eigenen Tradition auseinander und ringt um einen Standpunkt gegenüber der Vergangenheit, den jede Generation neu bestimmen muß.

15. Musik

Kompon.: John Hurt

Titel: Spike Driver Blues

Interpret: Sam Amidon

EP: Sam Amidon – Fatal Flower Garden Label:

Nonesuch Labelcode:

Bestellnr.: 075597923261

Barcode:

1.Track:

Dauer: nach 0:57 runterziehen für Absage

Absage:

15

17. Mod

Sie hörten:

«Anthology of American Folk Music»

Die Schallplatten, die das Folkrevival auslösten von Christoph Wagner

Technik: Jörg Heinkel

Übersetzungen + Zitate: Peter Binder und Anette Sidhu-Ingenhoff

15. Musik (Fortsetzung)

Kompon.: John Hurt

Titel: Spike Driver Blues

Interpret: Sam Amidon

Dauer: solange Zeit noch reicht

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