Weiße Rose i-punkt Von Renate S. Deck

Das romantische Städtchen schmiegt sich mit seinen engen Gassen und Treppen an den Schlossberg, auf dem einst die Edelherren von Dürn im 13. Jahrhundert ihre Burg erbauten. Der ursprüngliche Ort Wülfingen ist jenseits des Kochers gelegen und geht auf eine herrschaftliche alemannische Siedlung zurück. Ausgrabungsfunde werden im Heimat- und Kern-Museum im ehemaligen Wohnhaus der Künstlerfamilie Kern gezeigt. Dort ist seit seiner Einweihung 1989 auch eine kleine Abteilung für die Familie Scholl eingerichtet. In den 1920er-Jahren wurde Forchtenberg im Volksmund noch der „Balkan“ im Oberamt Öhringen genannt. Nur zweimal am Tage verkehrte eine Postkutsche. Es war das Verdienst des seit 1919 amtierenden Stadtschultheißen Robert Scholl, der den Anschluss an die Außenwelt nicht verpassen wollte und auch gegen den Widerstand mancher Ortsbewohner die Kochertal-Bahnstrecke von Künzelsau nach Forchtenberg ermöglichte, die im Jahre 1925 eingeweiht wurde. Neben der Bahnlinie ließ Scholl eine Kanalisation und ein großes Lagerhaus bauen. Gleichermaßen setzte er sich für eine Turnhalle ein. Außerdem versuchte er, durch Ansiedlung von Industriebetrieben Arbeitsplätze im Ort zu schaffen. Bei der Bürgermeisterwahl 1929 wurden die modernen Bemühungen dem liberal denkenden Mann allerdings zum Verhängnis. Seine Gegner hatten Front gegen ihn gemacht und eine Wiederwahl vereitelt. Vater Scholl wurde arbeitslos und die Familie musste schließlich Forchtenberg verlassen. In dem ländlichen Weinbauernstädtchen, war am 9. Mai 1921 im heutigen Ratssaal Sophie als das vierte Kind von Robert und Magdalena Scholl geboren worden. Zuvor, als Robert Scholl noch Dorfschultheiß in Ingersheim-Altenhausen bei gewesen war, waren der jungen Familie bereits 1917 die Tochter Inge und am 22. September 1918 der erste Sohn mit Namen Hans geboren, weitere Kinder waren Elisabeth, Werner und Thilde, die in Forchtenberg geboren sind. Die Geschwister Scholl verlebten glückliche Kindertage in Forchtenberg, an die sie sich später immer wieder erinnerten. Trotz der wirtschaftlich schwierigen Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren die Kindheitsjahre der Scholl-Geschwister unbeschwert, in bescheidenem Lebensstil, aber doch ohne Mangel an Notwendigem. Sophie, das Mädchen mit dem Pagenschnitt auf frühen Klassenfotos, ist nach dem unfreiwilligen Wegzug aus der geliebten Heimat jedoch nie mehr zu einem Besuch zurückgekommen. Sie hatte die Abwahl des Vaters als Bürgermeister von Forchtenberg als einschneidendes und schmerzliches Erlebnis empfunden. In Forchtenberg lag so nicht nur ihre Naturverbundenheit begründet, sondern auch ihr früh entwickeltes Gefühl für Recht und Unrecht.

Die Gedenkstätte Weiße Rose

Die Gedenkstätte „Weiße Rose i-punkt“ befindet sich im Würzburger Torturm Forchtenbergs, der aus dem Jahr 1604 stammt. Er wurde als neues Stadttor von Michael Kern II. erbaut. Im 20. Jahrhundert diente er unter anderem als Jugendherberge, in der sich während der NS-Zeit Gruppen des Bundes Deutscher Mädel (BDM) trafen. Über viele Jahre hinweg befand sich im unteren Stock eine Arrestzelle; nach Hausbränden im Jahr 1945 wurde er als Wohnung genutzt. Auch das Stadtarchiv und das erste Kern-Museum waren jahrelang in dem Turm untergebracht, der zuletzt ein Jugendzentrum beherbergte. Seit 1998 sind im Würzburger Tor, dem Wahrzeichen der Stadt, ein Atelier und seit 2004 der Weiße Rose i-punkt beheimatet. Der obere Raum in der Gedenkstätte wurde im April 2004 von der Künstlerin Renate S. Deck eingerichtet. Sie steht in Verbindung mit den Erinnerungsstätten, die seit 1990 an den Geburtsorten

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von Hans und bestehen. Die Aufarbeitung und Erweiterung von Informationen über Hans und Sophie Scholl, auch im Zusammenhang mit anderen Mitgliedern der „Weißen Rose“, ist konzeptionell in die Erinnerungsarbeit vor Ort einbezogen und wird durch Veranstaltungen mit Zeitzeugen unterstützt. Größere Aktivitäten, wie beispielsweise ein Open Air-Kino, das den Film „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ auf der Schlossruine zeigt, werden von der Stadt und örtlichen Vereinen angeboten. Solche Veranstaltungen finden bei Jugendlichen, mit denen die Gedenkstätte den Dialog sucht, großen Anklang. Die individuelle Beschäftigung mit den Geschwistern Scholl aus der Perspektive ihrer Kindheit führt so auch zur Auseinandersetzung des späteren Widerstandes gegen das NS-Unrechtsregime.

Erinnern an die Geschwister Scholl

Mit verschiedenen Einrichtungen erinnert Forchtenberg an das berühmte Geschwisterpaar Hans und Sophie Scholl: Nach dem Umbau des Forchtenberger Rathauses wurde 1967 im Foyer eine Kupfertafel „Zur Erinnerung an die Widerstandskämpfer“ angebracht und 1993 eine kleinere Tafel an die Außenfassade des Geburtshauses von Sophie Scholl. Auch eine Büste von Sophie Scholl erinnert seit Herbst 2004 im Foyer des Rathauses an die junge Frau, die zusammen mit ihrem Bruder Hans im Februar 1943 im Widerstand gegen die Hitler-Diktatur ihr Leben ließ. Zum 50. Todestag der Geschwister wurde 1993 die Grund- und Hauptschule von Forchtenberg nach den Geschwistern Scholl benannt. Dokumente und Fotos der Familie Scholl werden auch im Kern- und Heimatmuseum im Hafenmarkt gezeigt.

„Lebensspuren einer Kindheit“: Zehn Jahre Hans und Sophie Scholl in Forchtenberg

Zum 85. Geburtstag von Sophie Scholl wurde im Mai 2006 ein Erinnerungspfad eingerichtet, der durch Forchtenberg führt. Weiße Rosen, die von einer Delegation aus Forchtenberg und der Gedenkstätteninitiatorin auf den Namen Sophie Scholl getauft wurden, säumen diesen Lebenspfad. Auf Tafeln und mittels eines Leitfadens erfährt man von den Schauplätzen der Kindheit der Geschwister Scholl. Rosenplätze mit Sophie- bzw. -Rosen werden inzwischen auch bundesweit angeregt. Im Kurpark von Bad Nauheim sind sie bereits entstanden und andernorts in Vorbereitung. Ergänzend zu dem Erinnerungspfad in Forchtenberg wurde die Ausstellung „Lebensspuren einer Kindheit“ konzipiert, in der Neues aus dem Leben der Geschwister Scholl zu erfahren ist. Die Gedenkstätte stößt so auch bei den zahlreichen Wander- und Radtouristen, die Forchtenberg besuchen, immer wieder auf reges Interesse. Eine Tafel in Forchtenberg gibt den letzten Traum von Sophie Scholl im Gefängnis wieder. Sie träumt von einem steilen Berg, der zur Kirche führt; auf dem Arm trägt sie ein Kind in einem weißen Kleid zur Taufe. Bevor sie in eine sich öffnende Gletscherspalte fällt, kann sie das Kind auf die andere Seite retten. Sophie erklärt dieses „Kind“ im Traum als ihre Idee, die sie rettet. In Forchtenberg führt gegenüber dem Rathaus und Wohnhaus der Scholls ein steiler Weg zur Kirche hinauf; er erinnert an jenen letzten Traum von Sophie. Geburt und Tod rücken hier zusammen.

Renate S. Deck, Künstlerin und Initiatorin des „Weiße Rose i-punktes“, erinnert an den Geburtsorten von Hans und Sophie Scholl an die Widerstandsmitglieder der „Weißen Rose“.

Publikationen

 Renate S. Deck: 20 Jahre Denkarbeit. Weiße Rose in Hohenlohe. Katalog zur Wanderausstellung. Die Ausstellung „20 Jahre Denkarbeit – Weiße Rose in Hohenlohe und die Scholls in Forchtenberg“ kann beim „Weiße Rose i-punkt“ ausgeliehen werden.  Renate S. Deck: Spuren einer Freundschaft. Sophie Scholl und Lisa Remppis in Langenburg, Lesespaziergang auf dem Hans und Sophie Scholl-Pfad, 2014.  Renate S. Deck: Forchtenberg als Geburtsort von Sophie Scholl. Der "Weiße Rose i-punkt", S.111-115, in: Konrad Pflug: Orte des Gedenkens und Erinnerns in Baden-Württemberg. 2007.