Plenarprotokoll 10/250

Deutscher Bundestag

Stenographischer Bericht

250. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Inhalt:

Nachruf auf den Abg. Milz 19421A Frau Männle CDU/CSU 19453 B Eimer (Fürth) FDP 19455 B Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Rusche GRÜNE 19458 B wurfs eines Gesetzes über die Feststellung 19459 B des Bundeshaushaltsplans für das Haus- Kroll-Schlüter CDU/CSU haltsjahr 1987 (Haushaltsgesetz 1987) Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 19461 B — Drucksachen 10/5900, 10/6209 — Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG 19467 C Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses Vizepräsident Stücklen 19470 A

Einzelplan 11 Einzelplan 16 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit — Drucksachen 10/6311, 10/6331 — — Drucksachen 10/6316, 10/6331 — Glombig SPD 19421 D Kühbacher SPD 19472 D Strube CDU/CSU 19428 D Bueb GRÜNE 19431 D Gerster (Mainz) CDU/CSU 19473 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 19433 B Frau Hönes GRÜNE 19476 C

Dr. Blüm , Bundesminister BMA . . . 19435 D Dr. Weng (Gerlingen) FDP 19478 D Frau Fuchs (Köln) SPD 19443 C Dr. Hauff SPD 19480 B Cronenberg (Arnsberg) FDP 19445 B Dr. Laufs CDU/CSU 19483 D Baum FDP 19485 B Einzelplan 15 Dr. Wallmann, Bundesminister BMU . . 19486 C Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Schäfer (Offenburg) SPD 19489 D — Drucksachen 10/6315, 10/6331 — Kühbacher SPD (Erklärung nach § 31 GO) 19491 B Waltemathe SPD 19446 A Suhr GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) . 19492 C Rossmanith CDU/CSU 19448 D Gerster (Mainz) CDU/CSU (Erklärung Frau Wagner GRÜNE 19451 D nach § 31 GO) 19492 D II Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Einzelplan 10 Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten das Post- und Fernmeldewesen — Drucksachen 10/6310, 10/6331 — — Drucksachen 10/6313, 10/6331 — Frau Zutt SPD 19493 B Walther SPD 19536A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU . . . 19495 C Deres CDU/CSU 19538A Werner (Dierstorf) GRÜNE 19498 B Frau Dann GRÜNE 19540 B Gallus FDP 19499 C Kohn FDP 19542 B Kiechle, Bundesminister BML 19500 D Paterna SPD 19543 D Müller (Schweinfurt) SPD 19503 B Präsident Dr. Jenninger 19498 A Senfft GRÜNE 19545 D Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister BMP 19546A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Haushaltsgesetz 1987 Justiz — Drucksachen 10/6329, 10/6330 — — Drucksachen 10/6307, 10/6331 — Löffler SPD 19549 D in Verbindung mit Roth (Gießen) CDU/CSU 19551 D Einzelplan 19 Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 19553 C Dr. Weng (Gerlingen) FDP 19555 B Bundesverfassungsgericht

— Drucksachen 10/6317, 10/6331 — Beratung der Beschlußempfehlung des Dr. de With SPD 19505 B Haushaltsausschusses zu der Unterrich- von Hammerstein CDU/CSU 19507 A tung durch die Bundesregierung Mann GRÜNE 19508 D Der Finanzplan des Bundes 1986 bis 1990 Beckmann FDP 19510 D — Drucksachen 10/5901, 10/6210, 10/6472 — 19557 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 19513A Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU Beratung der Beschlußempfehlung und des (Erklärung nach § 30 GO) 19525 B Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers für Wirt-- Mann GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 19535 D schaft

Einzelplan 25 Rechnungslegung über das Sondervermö gen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Geschäftsbereich des Bundesministers für Sicherung des Steinkohleneinsatzes" Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Wirtschaftsjahr 1984 — — Drucksachen 10/6320, 10/6331 — — Drucksachen 10/4619, 10/6367 — . . . 19558A Meininghaus SPD 19516 B Echternach CDU/CSU 19518 C Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrich- Werner (Westerland) GRÜNE 19520 C tung durch die Bundesregierung Gattermann FDP 19521 D Überplanmäßige Ausgaben bei Kap. 11 13 Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 19523 B Tit. 646 02 — Erstattung der Aufwendungen für die Einzelplan 12 Krankenhilfe an Heimkehrer und durch Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesetz gleichgestellte Personengruppen Verkehr — Drucksachen 10/5968, 10/6372 — . . . 19558 B — Drucksachen 10/6312, 10/6331 — Purps SPD 19526 B Beratung der Sammelübersicht 184 des Pe- titionsausschusses über Anträge zu Peti- Metz CDU/CSU 19528 B tionen Senfft GRÜNE 19530A — Drucksache 10/6427 — 19558 C Kohn FDP 19531 C Dr. Dollinger, Bundesminister BMV . . 19533 D Nächste Sitzung 19558 D Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 III

Anlage 1 antrag des Abg. Dr. Müller (Bremen) und der Fraktion DIE GRÜNEN zur zweiten Liste der entschuldigten Abgeordneten 19559 *A Beratung des Entwurfs des Haushaltsge- setzes 1987 hier: Einzelplan 11 Anlage 2 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Erklärung des Abg. Lutz (SPD) nach § 31 GO zur Abstimmung über den Änderungs (Drucksache 10/6486) 19559 *C

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Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19421

250. Sitzung

Bonn, den 27. November 1986

Beginn: 9.02 Uhr

Präsident Dr. Jenninger: Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe auf: Meine Damen und Herren, gestern abend er- Einzelplan 11 reichte uns die traurige Nachricht, daß unser Kol- Geschäftsbereich des Bundesministers für lege Peter Milz nach langer, schwerer Krankheit Arbeit und Sozialordnung kurz vor Vollendung seines 52. Lebensjahres ver- storben ist. — Drucksachen 10/6311, 10/6331 — Peter Milz war ein Sohn der Eifel, der er immer Berichterstatter: eng verbunden blieb. Am 7. Dezember 1934 in Me- Abgeordnete Sieler (Amberg) chernich geboren, erlernte er nach dem Schulbe- Strube such das Stukkateurhandwerk, in dem er sich 1960 Dr. Pfennig selbständig machte. Seit 1958 engagierte er sich po- Frau Seiler-Albring litisch. Er wurde Mitglied der CDU, war von 1963 bis Dr. Müller (Bremen) 1969 Vorsitzender der Jungen Union des Kreises Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Schleiden und wurde 1972 Vorsitzender der CDU der GRÜNEN auf Drucksache 10/6486 vor. Kreispartei Euskirchen. Von 1969 bis 1972 beklei- dete er das Amt des Landrates von Schleiden und Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- nach der kommunalen Neugliederung von 1972 bis rung im Ältestenrat sind für die Beratungen zwei 1984 das Amt des stellvertretenden Landrates des Stunden vorgesehen. — Ich sehe, Sie sind damit Kreises Euskirchen. einverstanden. - Dem Deutschen Bundestag gehörte er seit 1972 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Ab- an. Er war viele Jahre ordentliches Mitglied des geordnete Glombig. Verkehrsausschusses. Außerdem war er Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates von 1976 bis 1980. Wir alle kennen ihn als einen enga- gierten und tatkräftigen Vertreter seiner Wähler. Glombig (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Den Angehörigen des Verstorbenen, seiner Frau und Herren! Am Ende meiner parlamentarischen und seinen vier Töchtern, sowie der Fraktion der Tätigkeit möchte ich auf die Jahre zurückblicken, in CDU/CSU spreche ich im Namen des ganzen Hau- denen ich an der sozialpolitischen Gesetzgebung ses meine tief empfundene Anteilnahme aus. Der des Bundes mitwirken durfte. Daran möchte ich Deutsche Bundestag wird seinem verstorbenen einen kurzen Ausblick anschließen. Beides hat vie- Kollegen Peter Milz stets ein ehrendes Andenken les mit der heutigen Haushaltsdebatte zu tun, näm- bewahren. lich mit den finanziellen Grundlagen der Sozialpo- Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von litik. Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. Es gab Zeiten, meine Damen und Herren, großzü- Meine Damen und Herren, wir setzen die Haus- giger Leistungsverbesserungen und Zeiten massi- haltsberatungen fort mit der ver Leistungskürzungen. Rückblickend sage ich: Der Gesetzgeber ist mit beidem oft zu rasch, zu sehr Zweiten Beratung des von der Bundesregie- aus der augenblicklichen Situation heraus und rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes ohne rechte langfristige Planung zu Werke gegan- über die Feststellung des Bundeshaushalts- gen. Es gilt, daraus für die Zukunft zu lernen. Die plans für das Haushaltsjahr 1987 (Haushalts- Sozialpolitik muß langfristiger und systematischer gesetz 1987) angelegt werden, als dies in der Vergangenheit häu- — Drucksachen 10/5900, 10/6209 — fig der Fall war. Beschlußempfehlungen und Bericht des (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) der CDU/CSU) 19422 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Glombig — Das trifft natürlich besonders für Sie von der Ich meine, daß es keinen vernünftigen Grund CDU/CSU zu; aber ich danke Ihnen für Ihren Bei- gibt, heute anzuprangern, was damals geschaffen fall. wurde. Im Gegenteil haben jedenfalls die Sozialde- mokraten Grund, darauf stolz zu sein. Es ging nicht (Kolb [CDU/CSU]: Das trifft alle, Herr Kol um unnützen oder gar schädlichen Sozialkonsum, lege!) sondern um eine Kette von Reformen, die in ihrer Was die Hektik der Beratungen und Beschlüsse Summe mehr Lebensqualität und mehr konkrete angeht, meine Damen und Herren, war die sozialli- Freiheit gebracht haben. berale Koalition in ihrer Spätzeit keineswegs im- (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: mer über alle Kritik erhaben; aber seit der Wende Zu Lasten der Zukunft, Herr Kollege! — ist dieser Mißstand — ich sage, das ist ein Mißstand Weitere Zurufe von der CDU/CSU) — zur Dauereinrichtung geworden. Das sage ich nicht einfach so dahin; denn als Vorsitzender des Sie haben unsere Gesellschaft menschlicher ge- Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung kann ich macht, sie haben technisch-ökonomische Zwänge dies belegen. Niemals zuvor hat eine Bundesregie- zurückgedrängt und Menschen, die am Rande der rung das Parlament mit derart massivem Druck ge- Gesellschaft stehen, bessere Eingliederungschan- zwungen, seine Souveränität als Gesetzgeber prak- cen eröffnet. tisch aufzugeben. (Günther [CDU/CSU]: Und 2 Millionen Ar (Seiters [CDU/CSU]: Wieso das denn?) beitslose!) — Sie müssen es am besten wissen; denn Sie haben Ich bin überzeugt, daß das meiste davon, soweit es doch Ihre Leute immer wieder getrieben. Da fragen nicht von CDU/CSU und FDP wieder vernichtet Sie: „Wieso das?" worden ist, auch auf Dauer Bestand haben wird unter der Voraussetzung, daß diese Koalition in die (Seiters [CDU/CSU]: Sie haben doch blok Opposition geschickt wird. kiert!) (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Das Parlament wurde zu einem reinen Befehlsemp- Das wird nicht eintreten!) fänger, übrigens nicht zuletzt von Ihnen, von klei- nen Koalitionszirkeln, Küchenkabinetten und der Ich will nur einige Beispiele nennen: Ministerialbürokratie herabgestuft. Ich bedaure Erstens. Früher wurde ein großer Teil der Bevöl- dies zutiefst. Ich bin auch davon überzeugt, daß eine kerung von der Sozialversicherung ausgeschlossen. solche Demütigung des Parlaments nicht im Inter- Heute sind die freiwillige Rentenversicherung und esse der Kolleginnen und Kollegen aus den Koali- die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen tionsfraktionen liegen kann. Krankenversicherung aus der Lebensplanung von (Beifall bei der SPD) Millionen von Menschen nicht mehr wegzudenken. Ich frage: Wie lange noch? Deshalb hoffe ich, daß der neue Bundestag daraus Konsequenzen ziehen und sich seine vollen Ent- Zweitens. Früher konnte man erst mit dem 65. Le- scheidungs- und Kontrollbefugnisse zurückholen bensjahr eine Altersrente erhalten. Es ist nicht- aus- wird. zudenken, wie hoch heute die Massenarbeitslosig- keit ohne die flexible Altersgrenze in der Renten- Der 10. Deutsche Bundestag markiert nach mei- versicherung wäre. ner Überzeugung den bisherigen Tiefpunkt der par- lamentarischen Kultur. Das gilt für das Verhältnis (Beifall bei der SPD) der Mehrheitsfraktion zur Bundesregierung, und Und es wäre nicht auszudenken, wie hoch die Ar- das gilt für die Respektierung der Minderheiten- beitslosigkeit sein würde, wenn die Pläne dieser Ko- rechte der Opposition. Ich meine, so darf es nicht alition, vor allem der FDP, zur Abschaffung der fle- weitergehen. xiblen Altersgrenze unter den jetzigen Bedingun- Union und Freie Demokraten haben die in der gen und praktisch zur Heraufsetzung der jetzigen sozialliberalen Koalition vor allem von der SPD ge- normalen Altersgrenze von 65 Jahren Wirklichkeit staltete Sozialpolitik mitzuverantworten, die FDP werden würden. als damaliger Koalitionspartner, CDU und CSU, (Sehr wahr! bei der SPD) weil sie im Bundestag und Bundesrat fast allen Re- formgesetzen zugestimmt haben. Drittens. Früher mußten viele Frauen infolge ih- rer geringen Löhne auch nach vollem Arbeitsleben (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!) im Alter Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Heute aller- Trotzdem polemisieren die drei Parteien heute da- gibt es die Rente nach Mindesteinkommen, gegen, weil sie inzwischen einen scharfen Kurs- dings leider mit abnehmender Bedeutung, weil die wechsel von einer sozialstaatlich orientierten Ge- gegenwärtige Regierungskoalition sich weigert, sie zur Dauerlösung auszubauen. sellschaftspolitik zu einer einseitig kapitalorientier- ten Interessenpolitik vollzogen haben. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Ja!) (Beifall bei der SPD — Lohmann [Lüden- Viertens. Früher standen viele Frauen nach einer scheid] [CDU/CSU]: Das haben sie doch in Ehescheidung völlig ohne eigene Alterssicherung Hamburg schon nicht geglaubt! — Weitere da. Jetzt gibt es den Versorgungsausgleich, der ih- Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) nen — unabhängig von der Schuldfrage, inzwischen Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19423

Glombig allerdings wieder mit Einschränkungen — einen ei- Achtens. Früher wurden Behinderte je nach Ur- genständigen Rentenanspruch sichert. sache der Behinderung ungleich behandelt, sowohl bei der Anwendung des Schwerbehindertenrechts (Beifall bei der SPD) als auch beim Nachteilsausgleich, dem sogenannten Auch hier muß ich fragen: Wie lange noch? Vergünstigungswesen. Die sozialliberale Koalition Fünftens. Früher wurde man nach einem Jahr hat an die Stelle des Kausalprinzips das Finalprin- aus der Krankenhausbehandlung ausgesteuert und zip gesetzt, wonach nicht mehr Ursache, sondern auf die Sozialhilfe verwiesen. Das ist jetzt anders: Art und Schwere der Behinderung für die Ansprü- Es gibt einen lückenlosen Krankenversicherungs - che maßgebend sind. Damit wurde denjenigen Be- schutz. Und auch hier frage ich: Wie lange noch? hinderten, die weder als Kriegsbeschädigte noch als Die Regierungskoalition hat j a bereits die Selbstbe- Arbeitsunfallverletzte einen Entschädigungsan- teiligung bei Krankenhausbehandlung und Kuren spruch haben, erstmals in der Sozialgeschichte un- eingeführt. seres Landes ein gleichwertiges Recht auf Einglie- derung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft einge- (Jagoda [CDU/CSU]: Wer hat das denn vor räumt. geschlagen?) (Beifall bei der SPD) Für die Zeit nach der Wahl sind eine umfassende Selbstbeteiligung, die Einführung des Kostenerstat- Das war ein historischer Fortschritt, den die gegen- tungsprinzips anstelle des Sachleistungsprinzips wärtige Bundesregierung leider insofern wieder und Karenztage rückgängig gemacht hat, als sie den sogenannten Zivilbehinderten die Freifahrt auf den Nahver- (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Lambsdorff war kehrsmitteln gestrichen das!) (Lutz [SPD]: Sehr wahr!) bei der Lohnfortzahlung mit der Folge von Lohn- ausfällen bis zu 450 DM geplant. und sie wieder zu Behinderten zweiter Klasse de- gradiert hat. (Hört! Hört! bei der SPD) (Zuruf von der SPD: Pfui! — Weitere Zu Dies wäre die Umwandlung der sozialen in eine rufe von der SPD — Günther [CDU/CSU]: unsoziale Krankenversicherung. Das ist ja gar nicht wahr! Das hat mit dem (Beifall bei der SPD) Behindertenrecht gar nichts zu tun! Das ist Und um auf Sie zurückzukommen, Herr Jagoda. Oft eine böse Unterstellung!) genug habe ich das im Plenum des Deutschen Bun- Dies war im übrigen ein besonderes Anliegen von destages getan: Am 10. September 1982 habe ich Bundesarbeitsminister Blüm. hier für die SPD-Fraktion erklärt, daß es mit ihr (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine böse - keine Kostenbeteiligung bei Krankenhausbehand Unterstellung! — Weitere Zurufe von der geben wird. lung und Kuren CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) — Das ist keine Unterstellung. Das kann ich Ihnen - Wir sind in diesem Punkte anderer Meinung. auf Grund von Interviews, die er in der Sache gege- (Jagoda [CDU/CSU]: Das steht in der ben hat, nachweisen. Drucksache, was Ihre Fraktion beschlos Neuntens. Früher mußten die Kriegsopfer um sen hat!) Ihre Rentenerhöhung Jahr für Jahr betteln und ge- Für uns war und ist eine Bundesregierung keine gen ihre ungerechte Behandlung protestieren. vorgesetzte Behörde. Wir sind der Meinung, daß wir Heute gibt es die — wenn auch inzwischen wieder hier zu entscheiden haben. eingeschränkte — jährliche Anpassung der Kriegs - opferrenten. (Beifall bei der SPD — Jagoda [CDU/CSU]: Bekennen Sie sich doch zu Ihrem Taten!) Zehntens, meine Damen und Herren: Früher hat- ten die Betriebsräte kein erzwingbares Mitbestim- Sechstens. Früher verfielen Betriebsrentenan - mungsrecht in allen Arbeitszeitfragen und bei der sprüche bei Verlust des Arbeitsplatzes, bei Zah- Einführung und Anwendung von Maßnahmen, die lungsunfähigkeit des Arbeitgebers oder bei Arbeit- dazu bestimmt waren, das Verhalten oder die Lei- nehmerkündigung. Jetzt sind die Betriebsrenten ge- stung von Arbeitnehmern zu überwachen. Heute sichert und ein zuverlässiges Element der Alterssi- können sie nach dem Betriebsverfassungsgesetz cherung. Auch hier frage ich: Wie lange noch? des Jahres 1972 darüber mit entscheiden (Beifall bei der SPD) (Jagoda [CDU/CSU]: Wie bei der Neuen Siebtens. Früher gingen Arbeitnehmer bei Kon- Heimat!) kurs des Arbeitgebers meistens leer aus. Heute gibt und die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer Das ist und bleibt be- es das Konkursausfallgeld. wirksamer schützen. Ich frage: Wie lange noch? sonders wichtig zu Zeiten einer Bundesregierung wie dieser, in der die Zahl der Pleiten mit jährlich (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Die Neue Hei beinahe 19 000 Fällen auf den höchsten Stand seit mat, wen hat die gefragt? — Weitere Zu 1949 gestiegen ist. rufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Kolb — Dies hat mit der Neuen Heimat allein nichts zu [CDU/CSU]) tun. 19424 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 Glombig Die Konservativen und Wirtschaftsliberalen daß die Sozialpolitik in den Jahren der soziallibera- (Zurufe von der CDU/CSU) len Koalition durchaus Augenmaß hatte. Deshalb gibt es für mich auch keinen Anlaß, mich von dieser — nun hören Sie einmal gut zu — geben heute dem Sozialpolitik nachträglich zu distanzieren. Ausbau des Sozialstaats zu Beginn der 70er Jahre die Schuld an der später hereinbrechenden Wirt- (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: schaftskrise und der nachfolgenden Notwendigkeit Das wäre auch zu schwierig, Herr Kolle zur Konsolidierung des sozialen Sicherungssy- ge!) stems. Das Gegenteil ist richtig. Wir haben die Sozialgesetzgebung keineswegs (Kolb [CDU/CSU]: Au!) überzogen und mit Geld um uns geworfen. Die Sozi- alausgaben sind expandiert, weil das soziale Netz Denn die weltweite Wirtschaftskrise war es, die die Sozialsysteme vor allem wegen der hohen Kosten durch die Arbeitslosigkeit und Kostensteigerung im der Arbeitslosigkeit in die Krise gestürzt hat. Gesundheitswesen schon damals immer mehr bela- stet worden ist. Wenn Kritik an der Sozialpolitik (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: der sozialliberalen Koalition zu üben ist, dann die, Die bösen anderen! — Dr. Friedmann daß es uns damals nicht gelungen ist, diese Struk- [CDU/CSU]: Ihre Schuldenpolitik war es! turprobleme von den Ursachen her zu lösen. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: So ist es! — Lutz Es ist schon grober Unfug, meine Damen und Her- [SPD]: Ja!) ren, zu behaupten, daß die Sozialpolitik der sozial- liberalen Koalition die Krise verursacht hätte. Wo wäre dies augenfälliger als z. B. im Gesund- das von immer neuen Kostenkrisen ge- (Seiters [CDU/CSU]: Nein, schuld war heitswesen, schüttelt wird? Wir hatten Mitte der 70er und An- Reagan! — Heiterkeit bei der CDU/CSU — fang der 80er Jahre die Kostenentwicklung in der Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Oder der Krankenversicherung durch wirksame Sanitätsgefreite Neumann!) Kosten- dämpfungsmaßnahmen mittelfristig beruhigt, was Der internationale Vergleich zeigt auch, daß die auch dieser Koalition zugute gekommen ist. Diese Bundesrepublik in der Zeit von 1969 bis 1982 her- Zeit der Ruhe sollte zur Lösung der Strukturpro- vorragend abgeschnitten hat. bleme im Gesundheitswesen genutzt werden. (Kolb [CDU/CSU]: Na?) (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Aber Blüm hat — Ja. — Die Bundesrepublik hatte von allen ver- geschlafen!) gleichbaren Industrieländern — zusammen mit der Daß die Strukturprobleme dann nicht angepackt Schweiz — auch damals die geringsten Preissteige- wurden, meine Damen und Herren, liegt rungen. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!) (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: An der SPD!) Sie hatte — nach der Schweiz und Frankreich — im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt auch damals — so paradox das klingen mag — im Erfolg- der die geringsten öffentlichen Schulden. Kostendämpfungsgesetze begründet. Die durch sie vorübergehend erfolgte Kostensenkung und Stabili- (Lutz [SPD]: Hört! Hört! — Kolb [CDU/ sierung haben die Einsicht in die Notwendigkeit CSU]: So wie ihr rechnet, immer!) einer Strukturreform vermindert, Sie hatte — nach Japan und Frankreich — auch damals den höchsten Produktivitätszuwachs, (Kolb [CDU/CSU]: Na, na!) (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr richtig!) vor allem bei den Erbringern von Gesundheitslei- stungen. und sie hatte — trotz in der Tat gestiegener Sozial- versicherungsbeiträge und Steuern, die bei der (Dr. Vogel [SPD]: Richtig!) CDU/CSU-FDP-Koalition inzwischen ihren Höchst- stand erreicht haben — von allen vergleichbaren Aber es gibt noch einen anderen Grund: Die Vor- Ländern den geringsten Zuwachs an Lohnstückko- stellungen der ehemaligen Koalitionspartner über sten. die Inhalte einer Strukturreform im Gesundheits wegen gingen so weit auseinander, daß es zur (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: So ist es!) Strukturreform nicht kommen konnte. Von einem Verlust der internationalen Wettbe- (Beifall bei der SPD) werbsfähigkeit, wie immer behauptet wurde, konnte nicht im geringsten die Rede sein. Aber dann muß man das auch sagen, und ich sage (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: es hier. Aber, liebe Frau Kollegin, von einer Lösung Was hat denn die Neue Heimat in den der Strukturprobleme ist auch die heutige Regie- Strudel gerissen? — Weitere Zurufe von rungskoalition meilenweit entfernt, der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Daraus folgt, meine Damen und Herren, obwohl Sie dabei die Unterstützung der SPD-Frak (Zuruf von der CDU/CSU: Daraus folgte die tion hätte — immer wieder haben wir ihr das ange Misere!) boten —, die die CDU/CSU im Bundestag und im Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19425

Glombig Bundesrat der sozialliberalen Koalition verweigert Arbeitnehmerstatus kam und kommt für uns nicht hat. in Frage. Für Sie kommt das allemal in Frage. (Sehr wahr! bei der SPD — Zuruf von der (Beifall bei der SPD) CDU/CSU: Konsens!) Demgegenüber ist für die Koalition aus CDU/ — Wenn Sie jetzt nach dem Konsens rufen, ist das CSU und FDP der Sozialstaatsabbau zum bewußt schlimm, lieber Herr Kollege. und willentlich eingesetzten Instrument der Wirt- schafts- und Gesellschaftspolitik geworden. Der jetzigen Koalition fehlt der Wille, aber auch die Kraft zur Lösung dieser Probleme, denn sie ist (Beifall bei der SPD — Zurufe von der mit mächtigen Interessengruppen verfilzt, CDU/CSU und der FDP) (Sehr richtig! bei der SPD — Seiters [CDU/ Ihre Absicht war und ist es, durch Umverteilung CSU]: Reden Sie von Filz?) von unten nach oben Wirtschaftswachstum zu er- zeugen. die keine veränderten Strukturen wollen, damit es z. B. bei den hohen Gewinnen im Gesundheitswesen (Widerspruch von der CDU/CSU) bleibt. Sie meint, man müsse denjenigen, die sie „Lei- (Beifall bei der SPD — Zurufe von der stungsträger" nennt, mehr geben und es den ande- CDU/CSU — Frau Dr. Adam-Schwaetzer ren wegnehmen, [FDP]: Das ist Unsinn!) (Kolb [CDU/CSU]: Ach du lieber Gott! Der Deshalb verweigert diese Koalition vor der Bundes- kleine Mann muß es doch bezahlen!) tagswahl jede Auskunft darüber, wie sie die Pro- die nach Ihrer Auffassung zuwenig leisten. bleme lösen will. (Zuruf von der CDU/CSU: Sachlich falsch!) Es gehört zu den schmerzlichen Erfahrungen Sie meint, daß man die Arbeitnehmer schlechter meiner parlamentarischen Arbeit, daß die sozialli- bezahlen, disziplinieren und ihrer gesicherten berale Koalition gezwungen war, Sozialleistungs- Rechtsposition berauben muß, um die Arbeitslosig- verbesserungen später teilweise zurückzunehmen. keit zu verringern. (Zuruf von der CDU/CSU: Brutal!) (Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Eine Sozialpolitik, die in den Wachstumsjahren gut Glombigs Märchenstunde!) war, konnte nicht mehr ohne Korrektur fortgeführt — Dies ist, glaube ich, in jedem einzelnen Punkt werden. Deshalb war die Konsolidierungspolitik der nachweisbar. sozialliberalen Koalition notwendig und richtig. (Beifall bei der SPD) (Seiters [CDU/CSU]: Brutal!) Um mehr Wirtschaftswachstum zu erreichen, will Unsere Absicht war es, die Sozialsysteme sozial sie eine andere Republik mit mehr Ungleichheit ausgewogen — unter gerechter Verteilung der sich und mit weniger sozialem Schutz. - daraus ergebenden Lasten — an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen, um das soziale (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Netz zu halten. Das ist Ihr Programm, das ja mehrfach in rich- Wir haben Grund, dazu auch heute noch im Prin- tungsweisenden Strategiepapieren, z. B. von Graf zip zu stehen — allerdings nicht in jeder Einzelfra- Lambsdorff, übrigens zuletzt — dies war schon ge; hier sei beispielhaft das Arbeitsförderungs-Kon- nicht mehr amüsant; dies war schon ein trauriger solidierungsgesetz genannt. Vorgang — in der „Bild"-Zeitung, oder von Minister- präsident Albrecht ungeniert formuliert worden ist. (Sehr wahr! bei der SPD — Schlottmann Zwischen einer solchen konservativen und wirt- [CDU/CSU]: Rigoros! — Günther [CDU/ schaftsliberalen Gesellschaftspolitik und der Kon- CSU]: Ein schlimmes Gesetz!) solidierungspolitik, zu der die sozialliberale Koali- Die sozialliberale Konsolidierungspolitik — das tion gezwungen war, gibt es vom Prinzipiellen her ist besonders wichtig — unterschied sich grundsätz- einen unüberbrückbaren Gegensatz. lich von der späteren Kürzungspolitik der „Wende" (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Koalition. Wir wollten und wir wollen an einer so- CSU: Sie waren gezwungen?) zialstaatlich orientierten Politik festhalten. Es war mein Anliegen, diesen Gegensatz in meinem (Frau Dr. Adam-Schwaetzer [FDP]: Das Rückblick auf die vergangenen Jahre zur Sozialpo- tun wir auch!) litik noch einmal zu verdeutlichen. Privatisierung von Lebensrisiken — ausgerechnet (Günther [CDU/CSU]: Das war aber falsch! Sie, liebe Frau Kollegin! — lehnen wir ab, und Sie Das hätten Sie lieber bleiben lassen!) wollen sie. — Das kann ich mir vorstellen, daß Ihnen das unan- (Beifall bei der SPD) genehm ist. Aber bitte stören Sie mich nicht und hören Sie mich erst an! Demontage des kollektiven Sicherungssystems leh nen wir ab, und Sie wollen sie. Eine Verschlechte Heute müßte die Regierungskoalition ehrlicher- rung des sozial- und arbeitsrechtlich geschützten weise zugeben, daß ihr Programm, mit Sozialabbau 19426 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Glombig Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, auf der ganzen Li- Von den arbeitslosen Jugendlichen ohne Berufsaus- nie gescheitert ist. bildung sind es sogar 74 %. Arbeitslose Schwerbe- (Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU]: hinderte sind durchschnittlich 20,2 Monate arbeits- Fragen Sie doch mal die Hamburger Ar los und damit doppelt so lange wie die Arbeitslosen beitnehmer, Herr Glombig!) insgesamt. Die Verschlechterung des Schwerbehin- dertenschutzes, die diese Regierungskoalition — Ich kenne ja diese Parole von Ihnen. durchgesetzt hat, meine Damen und Herren, wird Das einzige, was wirklich funktioniert hat, war diese Situation eher noch zuspitzen. die massive Umverteilung von unten nach oben (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: und damit die Bekämpfung der Arbeitslosen statt Wieso denn das?) der Arbeitslosigkeit. — Das ist doch bewiesen. (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Deswegen ist das Sozialbudget gestiegen! Armut unter den Arbeitslosen ist wieder fester — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und Bestandteil dieser Gesellschaft geworden. In immer der FDP) stärkerem Maße werden die sozialen Lasten der Arbeitslosigkeit auf die Betroffenen, ihre Familien Das belegen die statistischen Zahlen eindeutig. Nun und die Sozialhilfe abgewälzt. hören Sie sich das einmal an. Von dem Zuwachs des Volkseinkommens von 1982 bis 1986, insgesamt 302 (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Siehe Herr Milliarden DM, haben die Arbeitnehmer nur 53 Mil- Rau in Nordrhein-Westfalen!) liarden DM — das sind klägliche 17,5 % — erhal- — Ja, auf Grund von Gesetzesbeschlüssen des ten. Deutschen Bundestages. Das ist doch die Wahr- (Zuruf von der CDU/CSU: Preisstabilität!) heit. Der Rest ging an die Kapitalbesitzer und Unterneh- (Beifall bei der SPD — Widerspruch von mer sowie an den Staat. der CDU/CSU) Betrachtet man den Teil des seit 1982 zusätzlich Zu diesen Zahlen paßt wirklich — meine Damen erarbeiteten Volkseinkommens, der nach Abzug der und Herren, hören Sie sich das an — wie die Faust zusätzlichen Steuern und Sozialabgaben zur Vertei- aufs Auge die Tatsache, daß die Bundesanstalt für lung zur Verfügung stand, so ergibt sich, daß die Arbeit Überschüsse in Milliardenhöhe angesam- Arbeitnehmer hiervon nur 26 %, die sehr viel klei- melt hat. Trotz steigender und sich verfestigender nere Gruppe der Kapitalbesitzer und Unternehmer Arbeitslosigkeit sind in den Nürnberger Kassen in- aber stolze 74 % erhalten hat. zwischen 5,5 Milliarden DM aufgelaufen — 5,5 Milli- arden DM! (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Der hat noch nie was von Betriebskapital gehört!) (Kolb [CDU/CSU]: Bei euch war es umge kehrt!) — Aber Sie haben davon sicher schon gehört. Diese Überschüsse sind ausschließlich Folge der Die versprochenen Erfolge, die mit dieser Umver- nachhaltigen - teilungspolitik verbunden sein sollten, sind völlig Demontage der Arbeitslosenversiche - ausgeblieben. Es gibt rund 400 000 Arbeitslose mehr rung, als 1982. Die durchschnittlichen Nettoreallöhne der (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Arbeitnehmer sind niedriger als im Jahre 1982. Die Der hohen Beschäftigung, Herr Kollege!) Zahl der Langzeitarbeitslosen liegt inzwischen bei der eben von mir genannten Kürzungen des Ar- über 700 000. Immer weniger Arbeitslose erhalten beitsförderungsgesetzes. noch Arbeitslosengeld. Im Jahre 1982 erhielten noch 51,1 % der Arbeitslosen diese Versicherungslei- Mindestens anderthalb Millionen Arbeitnehmer stung. Inzwischen sind es nur noch 36,1 %. Der An- haben keinen Dauerarbeitsplatz, und täglich wer- teil der Arbeitslosenhilfeempfänger unter den ge- den es mehr. Sie haben lediglich einen sehr unsi- meldeten Arbeitslosen ist im gleichen Zeitraum von cheren, auf höchstens 18 Monate befristeten Ar- 15,4 auf 26,9 % angewachsen. beitsvertrag. Dies ist auf ein Gesetz zurückzufüh- ren, das sich zynischerweise Beschäftigungsförde- (Zuruf von der SPD: Das ist ein Skandal!) rungsgesetz nennt und von dieser Regierungskoali- Immer mehr Arbeitslose müssen Sozialhilfe in An- tion am 1. Mai 1985 in Kraft gesetzt worden ist. spruch nehmen. 13 % der gemeldeten Arbeitslosen (Kolb [CDU/CSU]: Leider zu spät! — Dr. bezogen im Herbst letzten Jahres Sozialhilfe. Friedmann [CDU/CSU]: Die Gewerkschaf Neuere Zahlen liegen nicht vor. ten loben es doch inzwischen!) Von 1982 bis zum Herbst letzten Jahres hat sich Die Beziehungen zwischen Gewerkschaften und die Zahl der Arbeitslosen, die Sozialhilfe beziehen, Arbeitgebern sind aufs äußerste belastet. Was im- verfünffacht. Eine aktuellere Zahl liegt nicht vor. mer die heutige Bundesregierung an wirtschaftspo- 42 % der arbeitslosen Frauen waren im Herbst letz- litischen Erfolgen aufweisen kann, ist nicht das Er- ten Jahres ohne Arbeitslosenunterstützung. Inzwi- gebnis ihrer eigenen Politik. schen erhalten 58 % der arbeitslosen Jugendlichen unter 20 Jahren weder Arbeitslosengeld noch Ar- (Lachen bei der CDU/CSU) beitslosenhilfe. Was auch immer sie meint vorzeigen zu können, sie (Zuruf von der CDU/CSU: Warum denn?) muß sich mit fremden Federn schmücken. Das Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19427

Glombig Wirtschaftswachstum verdankt sie in erster Linie Ich meine, daß daraus folgende Forderungen ab- — ich sage: in erster Linie — dem gewaltigen, mit zuleiten sind: Finanz-, Wirtschafts- und Sozailpoli- Haushaltsdefiziten bezahlten Aufrüstungspro- tik müssen stärker aufeinander abgestimmt wer- gramm der Vereinigten Staaten, also einer Keyne- den. Die Sozialpolitiker haben lernen müssen, daß sianischen Politik, die sie ansonsten hier, zu Hause, sich ihre Politik in einen ökonomischen Rahmen verteufelt. einpassen muß, daß sie Prioritäten setzen müssen Die begrüßenswerte Preisstabilität verdankt sie und daß nicht alles Wünschenswerte finanzierbar dem sinkenden Dollarkurs und den Ölscheichs. ist. (Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU und der FDP — Frau Dr. Den bescheidenen Zuwachs an Arbeitsplätzen ver- Timm [SPD]: Das Notwendige muß finan dankt sie der sich weiter ausbreitenden Aufteilung zierbar bleiben!) von Vollzeit- in Teilzeitarbeitsplätze und der Ar- beitszeitverkürzung, die weitergehen muß und die — Ich freue mich über Ihre Zustimmung. — Die der Bundeskanzler als dumm, töricht und absurd Wirtschafts- und Finanzpolitiker — vor allem von beschimpft hat. seiten der CDU/CSU und der FDP, so meine ich — müssen umgekehrt erst noch lernen, die sozialen Die destruktive Sozialpolitik seit 1982, die ver- Kosten und Erträge ihres Tuns oder Unterlassens sucht, durch bewußt geplanten Sozialstaatsabbau in ihre Rechnung einzustellen. Es geht nicht an, die Wirtschaftskrise zu beheben, ist, so meine ich, einerseits nur die fiskalischen Folgen von notwen- gescheitert. digen Maßnahmen der Beschäftigungs- oder Ar- (Beifall bei der SPD) beitsmarktpolitik zu berücksichtigen und daraus zu schließen, daß sie angeblich nicht finanzierbar sei- Die Zahlen zeigen, daß zwar der unternehmerische en, aber andererseits die Kosten hingenommener Spielraum extrem erweitert worden ist, daß aber Arbeitslosigkeit — es sind derzeit über 55 Milliar- Erfolge, die sich für die Masse der Bevölkerung, ins- den DM im Jahr — bei solchen Planungen und Ent- besondere für die Arbeitslosen auszahlen, ausge- scheidungen unter den Tisch fallen zu lassen. blieben sind. (Beifall bei der SPD) (Seiters [CDU/CSU]: Warum laufen Ihnen denn die Arbeitnehmer weg?) Die Sozialpolitik muß langfristiger und systema- tischer angelegt werden. Die ständigen Reparatur- Die Sinnlosigkeit der Opfer, die Sozialleistungs- arbeiten an unserem Netz der sozialen Sicherheit empfängern und Arbeitnehmern aufgebürdet wor- zerstören die für unseren Sozialstaat notwendige den sind, müßte inzwischen jedem klargeworden Vertrauensbasis. Es wäre gut, wenn die Zahl der sein. Änderungs- und Ergänzungsgesetze, die pro Legis- (Seiters [CDU/CSU]: Auch in Hamburg!) laturperiode verabschiedet werden — da haben Sie Deshalb bin ich der Überzeugung, daß die Zu- ja in dieser Legislaturperiode einen Rekord ge- kunft wieder einer konstruktiven Sozialpolitik ge- schlagen—, hören wird, die den Sozialstaat sichert. (Günther [CDU/CSU]: Es gab viel zu repa- (Beifall bei der SPD) rieren!) Dies kann aber, meine Damen und Herren, keine drastisch reduziert würde, um jedes einzelne Gesetz Rückkehr zur Sozialpolitik der ersten Hälfte der gründlicher durchdenken und sorgfältiger beraten 70er Jahre bedeuten, denn die ökonomischen und zu können, jedenfalls sorgfältiger, als es in der letz- sozialen Rahmenbedingungen haben sich zu sehr ten Legislaturperiode geschehen ist. geändert, als daß man diese Politik ohne weiteres (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: fortsetzen könnte. Und vorher!) Ich gehöre zu einer Generation von Sozialpoliti- Das beste Beispiel hierfür ist die Rentenpolitik, kern, die dies in den letzten zehn Jahren lernen wo die Flickschusterei seit Amtsantritt des gegen- mußte. Über diese Veränderungen ist viel diskutiert wärtigen Bundesarbeitsministers, wie ich meine, und geschrieben worden. Das bedeutet: Die Sozial- beängstigende Formen angenommen hat. politik darf nicht mehr allein auf quantitative Lei- (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: stungsexpansion, d. h. Leistungsausweitung, setzen. Warum denn jetzt diese Polemik?) Die historisch gewachsenen Strukturen müssen schrittweise geändert werden. Nur durch Umbau Es reicht einfach nicht aus, von Fall zu Fall — — kann der Sozialstaat gerechter, besser und lei- (Zuruf von der CDU/CSU: Die Kasse stungsfähiger werden. Nur so ist ein destruktiver stimmt wieder, Herr Glombig! — Weitere Sozialstaatsabbau vermeidbar. Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne — Sie stimmt ja noch nicht einmal. ten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD) Ich habe gesagt: durch Umbau — wir werden Sie in der nächsten Legislaturperiode daran erinnern Sie stimmt ja günstigstenfalls bis 1990. Dann ist der müssen — und nicht durch die Verfestigung von Ofen aus. Besitzständen, die, meine ich, so wie sie bestehen, (Kolb [CDU/CSU]: Bei euch war er aus! — nicht aufrechterhalten werden können. Weitere Zurufe von der CDU/CSU) 19428 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Glombig Sie machen den Wählern etwas vor, indem Sie nicht sehen. Jedenfalls wünsche ich den Mitgliedern des den Mut haben, ihnen vor der Wahl zu sagen, wie Deutschen Bundestages in der 11. Wahlperiode den eine solche Reform aussehen soll, mein bester Herr. guten Willen dazu, aber auch die notwendige Klug- So ist es. Ich finde, dies ist nicht in Ordnung. heit und Weisheit. (Beifall bei der SPD — Günther [CDU/ Den Kolleginnen und Kollegen des 10. Deutschen CSU]: Ihr habt doch die Rentner bestoh Bundestages, vor allem denen, die es gut mit mir len!) meinten und mir eine faire Chance zur Zusammen- arbeit gaben — das waren nicht nur die Mitglieder — Das kann doch alles nicht wahr sein. Wenn hier meiner Fraktion, sondern auch viele Mitglieder der jemand die Rentner in dieser Legislaturperiode be- anderen Fraktionen —, danke ich sehr. Das gilt stohlen hat, dann sind Sie es gewesen. Alles andere, auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der was dem vorausgegangen ist, ist mit Ihrer Zustim- mung erfolgt. — Damit das einmal klar ist. SPD-Bundestagsfraktion sowie für die Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung. (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Alle diejenigen, die meinen, daß ich sie ungerecht Warum hat denn Herr Arendt den Bettel behandelt hätte — das werden wohl nicht wenige hingeworfen?) sein —, Die Sozialpolitik muß über die einzelnen Institu- (Zuruf von der FDP: Das ist wahr!) tionen hinausgreifen und deren Institutionsegois- mus hinter sich lassen. Die Sozialpolitik muß die bitte ich um Vergebung. — Sie haben besonders berufsständischen Privilegien beseitigen, die histo- darunter gelitten. All das soll nicht mehr vorkom- risch gewachsen sind. Die Probleme der Sozialpoli- men. tik sind in der Tat so gravierend, daß sie allein (Heiterkeit) schon wegen unseres föderalistischen Staatsauf- Ich wünsche Ihnen alles Gute. baus nicht ohne Kooperation über die Parteigren- zen hinweg, d. h. zwischen der jeweiligen Bundesre- (Langanhaltender Beifall bei der SPD — gierung und der jeweiligen Opposition gelöst wer- Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU den können. Aber ein solcher Konsens ist nicht zum und der FDP) Nulltarif zu haben, er setzt voraus, daß sich CDU/ CSU und FDP von einer Sozialpolitik verabschie- den, die die Umverteilung von unten nach oben för- Präsident Dr. Jenninger: Herr Kollege Glombig, dert und die auf Sozialabbau und die Aushöhlung nach Ihren letzten Worten war dies vermutlich die zentraler Arbeitnehmerrechte zielt. letzte Rede, die Sie vor dem Deutschen Bundestag gehalten haben. Nach sieben Wahlperioden werden (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Sie dem nächsten Deutschen Bundestag nicht mehr Sie muß finanzierbar sein! — Weitere Zu angehören. Wir danken Ihnen für Ihre engagierte, rufe von der CDU/CSU und der FDP) insbesondere der Sozialpolitik geltende parlamen- Ich bin aber skeptisch, ob sich die sozialstaatlich tarische Tätigkeit, ganz besonders aber auch für orientierten Kräfte in der Koalition durchsetzen Ihre verdienstvolle Arbeit als Vorsitzender -des Aus- werden. Die Änderung des § 116 Arbeitsförderungs- schusses für Arbeit und Sozialordnung des Deut- gesetz z. B. hat ja gezeigt, daß es in dieser Koalition schen Bundestages und wünschen Ihnen auf Ihrem so etwas wie eine sozialpolitische Stahlhelmfrak- weiteren Lebensweg alles Gute. tion gibt, die letztlich die Oberhand behalten könn- (Beifall bei allen Fraktionen) te. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strube. (Beifall bei der SPD — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr wohl!) Strube (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- Ein Konsens setzt zudem eine Änderung des Ver- men und Herren! Herr Kollege Glombig, auch in fahrens voraus. Er ist nicht zu erreichen, wenn Ihrer letzten Rede, die Sie vor diesem Hohen Haus wichtige sozialpolitische Entscheidungen zuerst gehalten haben, sind Sie sich selbst treu geblieben. verschleppt, wenn die Lösungsvorschläge dann von der Ministerialbürokratie im Geheimen ausgeheckt (Glombig [SPD]: Gott sei Dank!) werden, wenn danach Koalitionszirkel die Pläne Ich möchte Ihnen aber hier auch im Namen meiner überstürzt absegnen und schließlich die fertigen Kollegen für Ihren politischen Ruhestand alles Gesetzentwürfe dem Parlament mit der Maßgabe Gute wünschen. präsentiert werden, sie binnen kürzester Frist ohne (Frau Fuchs[Köln] [SPD]: Es wird kein ausreichende Beratung zu verabschieden. Ruhestand, keine Angst!) Einen Konsens kann es nur als Ergebnis eines —Na, warten wir es mal ab; wir werden ja sehen. offenen und ehrlichen Diskussionsprozesses geben. Nur so werden sozialpolitische Reformen zustande (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das haben Sie gebracht werden können, die über den Tag hinaus sich so gedacht! — Weitere Zurufe von der Bestand haben. Nur so kann unser Volk ausrei- SPD — Kolb [CDU/CSU]: Nicht einmal im chende Antworten auf die sozialen Fragen unserer Ruhestand wollen Sie ihm Ruhe lassen!) Zeit erhalten, auf die es, so meine ich, einen An- Ebenso wie der Bundeshaushalt 1987 ein Spiegel- spruch hat. Ich hoffe, daß auch CDU/CSU und FDP bild der vorbildlichen Konsolidierungspolitik der dazu bereit und in der Lage sind. — Wir werden Regierungskoalition ist, ist der Sozialetat ein Spie- Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19429

Strube gelbild der Sicherung und des Ausbaus des sozialen Nicht Sozialabbau, sondern Sozialausbau ist ein Netzes. Wesensmerkmal christlich-sozialer Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Haushaltsplan 1987 ist der Haushalt des Bun- desarbeitsministeriums mit 59,5 Milliarden DM In Ihrem Wahlprogramm des Jahres 1983 behaup- wiederum der größte Einzeletat. Er wächst gegen- tete die SPD, an uns gerichtet — Zitat — : „Ihre über 1986 um ca. 1 %. soziale Sparpolitik wird Hunderttausenden zusätz- lich ihren Arbeitsplatz nehmen." (Abg. Westphal [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) (Zuruf des Abg. Lutz [SPD] — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das stimmt ja auch!) Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ge- — Seien Sie mal ruhig! Nur zwei Wörter, meine statten Sie eine Zwischenfrage? Damen und Herren, stören mich an dieser Aussage. Ersetzen wir das Wort „nehmen" durch „geben", und streichen wir das Wort „Spar-", dann wird rich- Strube (CDU/CSU): Nein, Herr Präsident, ich tiggestellt: Unsere soziale Politik hat Hunderttau- möchte keine Zwischenfragen zulassen. Die Opposi- senden einen Arbeitsplatz gegeben. tion hat hinreichend Zeit, sich hinterher hier zu äußern. (Lutz [SPD]: Das stimmt ja überhaupt (Zurufe von der SPD) nicht! — Zuruf von der SPD: Wo denn? — Kolb [CDU/CSU]: Sind die 700 000 mehr Die größten Blöcke sind die Zuschüsse an die oder weniger?) Sozialversicherungen mit 36,8 Milliarden DM, die Ausgaben für Kriegsopfer mit 12,4 Milliarden DM Dies ist nicht nur ein Wortspiel, dies ist die Wahr- und Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz heit. Die SPD versucht, durch Halbwahrheiten, mit 9,7 Milliarden DM. Zur Zahlung für die Aner- Verdrehung der Sachverhalte und ideologische kennung von Kindererziehungszeiten in der Ren- Kampfaussagen ihr politisches Süppchen auf Ko- tenversicherung stehen 500 Millionen DM zur Ver- sten der CDU/CSU und der FDP zu kochen. fügung. (Lutz [SPD]: Was verstehen Sie unter Meine Damen und Herren, zwischen allen Exper- Wahrheit? — Weitere Zurufe von der ten der Rentenversicherung besteht Einvernehmen SPD) darüber, daß die kurz- und mittelfristige Finanz- Bei genauem Hinsehen entpuppt sich die SPD- entwicklung in der gesetzlichen Rentenversiche- Suppe als eine Suppe ohne Fettaugen und ohne rung als gesichert angesehen werden kann. Fleischeinlage. (Sieler [SPD]: Nur für zwei Jahre!) (Zuruf von der SPD) Zum Ende dieses Jahres und in jedem Kalendermo- Auch die ständig wiederholte Behauptung von der nat des nächsten Jahres werden deutlich mehr als Umverteilung von unten nach oben ist nichts ande eine Monatsrente als Schwankungsreserve zur Ver- fügung stehen. res als ein Griff in die sozialistische Märchenkiste. - Erst vor wenigen Tagen wurde in diesem Hohen (Beifall bei der CDU/CSU) Hause das Rentenanpassungsgesetz 1987 verab- Die SPD unterliegt der irrigen Meinung, daß durch schiedet. Danach werden die Renten zum 1. Juli oftmalige Wiederholung etwas wahr werde. nächsten Jahres um 3,7 % erhöht. (Lutz [SPD]: Nun kommen Sie mal zur (Glombig [SPD]: Was? Das glauben Sie Sache! Nun sagen Sie mal was!) doch wohl selbst nicht! — Weitere Zurufe von der SPD) Sie sind, meine Kollegen von der SPD, zu einer Par- tei der leeren Inhalte geworden. Nach Abzug von 0,7 % Krankenkassenversiche- rungsbeitrag ergibt sich eine Erhöhung der verfüg- (Beifall bei der CDU/CSU) baren Renten um 3 %. Wie bereits in diesem Jahr Die Summe aller Sozialleistungen lagen im Jahre wird auch 1987 die effektive Rentenerhöhung deut- 1982 — nun hören Sie gut zu, Herr Lutz — bei lich über der zu erwartenden Preissteigerungsrate 524 Milliarden DM. Sie wird 1986 auf 604 Milliarden liegen. DM steigen. Damit liegen die Sozialleistungen 1986 Meine Damen und Herren, bei den Stichworten um 80 Milliarden DM oder 15,3% höher als 1982. Geldwertstabilität und Preissteigerungsrate wer- (Lutz [SPD]: Es sind so viele Arbeitslose den für jedermann die feinen, aber doch so bedeut- mehr!) samen Unterschiede zur SPD-Regierungszeit deut- lich. Pro Kopf der Bevölkerung bedeutet dies einen An- stieg aller Sozialleistungen Eine der herausragendsten sozialpolitischen Lei- stungen der vergangenen Jahre ist die Anerken- (Zuruf von der SPD: Ja, natürlich, Sozial nung der Kindererziehungszeiten in der Renten- hilfeempfänger sind das! — Weitere Zurufe versicherung. von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) von 8 508 DM auf 9 921 DM oder 16,6 %. Mütter bzw. Väter, die am 1. Januar 1986 das 65. Le (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Eine traurige bensjahr noch nicht vollendet hatten, erhalten in Notwendigkeit!) der gesetzlichen Rentenversicherung für jedes 19430 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Strube Kind, das sie erziehen, die ersten Monate nach Ab- Im Gegenteil: Man kaschiert die eigenen Fehllei- lauf des Geburtsmonats als Erziehungsjahr ange- stungen mit Schuldzuweisungen an andere. Was rechnet. Dieses Jahr wirkt rentenbegründend und noch schlimmer ist: Man schürt Neid und Mißgunst rentensteigernd. bei den alten Damen. Mit der Anerkennung von Kindererziehungszei- (Zuruf von der SPD: Das machen Sie!) ten wurde endlich die Benachteiligung derjenigen Den Rentnern macht man wieder Angst, die Renten abgebaut, die wegen der Erziehung kleiner Kinder seien nicht sicher. Meine Damen und Herren, wer nicht oder nur in geringem Umfang erwerbstätig so viel Angst hat, wer so viel Angst schürt und ver- sein konnten. breitet und wer sich brüstet, Angst zu haben, der ist Anfang Juli dieses Jahres hat die Koalitions- regierungsunfähig. runde beschlossen, auch alle vor 1921 geborenen (Beifall bei der CDU/CSU) Mütter von Oktober 1987 an, beginnend mit den ältesten, stufenweise in die Anrechnung von Kin- Solche Politiker brauchen erst einmal eine sehr dererziehungszeiten einzubeziehen. lange Zeit, um sich selber wieder Mut zu machen. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Spiel mit den (Kolb [CDU/CSU]: Das schaffen die nicht Sterbetafeln!) mehr! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das merkt das Volk inzwischen auch Die hier vorgesehenen Mittel sind für 1987 in den schon!) Haushalt eingestellt. Die Menschen draußen im Lande wollen Politi- (Lutz [SPD]: Dazu kann man Ihnen nicht ker, die Hoffnung vermitteln, Politiker, denen man gratulieren! — Weitere Zurufe von der Herzensfreude und geistige Frische ansieht, und SPD) das findet man nicht bei Ihnen, meine Damen und Nachdem die SPD in 13 Jahren Regierungszeit Herren von der SPD. zum Thema Kindererziehungszeiten im Renten- (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei recht nur heiße Luft abgelassen hat, aber keine Ta- der SPD) ten vorweisen kann, (Beifall von der CDU/CSU) Sie sehen alle so furchtbar gestreßt aus. Ich habe den Eindruck: Richtig lachen können Sie nur noch ist sie nun schnell aufs Trittbrett der Erfolgreichen einmal im Jahr, und Ihr Herr Vogel geht dann noch gesprungen und hat einen eigenen Entwurf vorge- in den Keller, damit ihn niemand sieht. legt, leider wieder nach altem Strickmuster. (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Zuruf von (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Sie machen der SPD: Helau! Helau! Helau! — Frau Wind! — Lutz [SPD]: Ein breitgetretener Fuchs [Köln] [SPD]: Woran erkennt man Quatsch wird nur quätscher!) geistige Frische?) Über 700 000 Frauen, Meine Damen und Herren, ich habe eingangs das (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Auch das ist Bild der „SPD-Suppe" gezeichnet und habe gesagt: falsch! Sie müssen unseren Gesetzentwurf ohne Fettaugen und ohne Fleischeinlage. Für- Fet- mal richtig lesen!) taugen und Fleischeinlage hat die CDU in der Sozi- alpolitik gesorgt. Die großen gesellschafts- und sozi- die älter als 65 Jahre sind, gingen nach Ihrem Mu- alpolitischen Weichenstellungen in der Bundesre- ster leer aus, weil sie keinen eigenen Rentenan- publik Deutschland kamen von der Union. spruch haben. — Frau Fuchs, jetzt werden Sie ner- vös; ich weiß wohl. Sie haben da nichts getan. Das, (Zustimmung bei der CDU/CSU) was Sie ansonsten in der Sozialpolitik gemacht ha- CDU-Kanzler von Adenauer bis , CDU ben, haben Sie auf Pump gemacht. Arbeitsminister von Anton Storch bis Norbert Blüm (Zuruf der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD]) haben diese entscheidenden Reformen in die Wege geleitet und dafür verantwortlich gezeichnet. Sie gehören eigentlich gar nicht in dieses Haus; Sie müßten nebenan im Pumpenhaus Platz nehmen; da (Beifall bei der CDU/CSU) gehören Sie eigentlich hin. Diese Reformen dokumentieren die sozialpolitische (Beifall bei der CDU/CSU) Kompetenz der Union. Von einer Anerkennung der Erziehungszeiten für Erinnern Sie sich bitte: 1950 Bundesversorgungs- die sogenannten Trümmerfrauen ist bei der SPD gesetz, 1951 Montan-Mitbestimmungsgesetz, 1952 also weiterhin keine Rede, und das ist schlimm, Mutterschutzgesetz und das Betriebsverfassungs- meine Damen und Herren. gesetz, (Lutz [SPD]: Sie reden die Unwahrheit, die (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Da müssen Sie gröbste, die man sich vorstellen kann! — aber weit zurückgreifen!) Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Die SPD — Sicher. Sie hören das doch sicher so gerne. — ist ein Trümmerhaufen!) Weiter: 1953 Schwerbehindertengesetz, 1954 Kinder- Schlimmer noch ist, daß die SPD, obwohl sie hier geldgesetz, 1955 Personalvertretungsgesetz, 1957 Ar- null Punkte hat, unfähig ist, sich zu schämen. beiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz, An- (Kolb [CDU/CSU]: Das konnten die noch gestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz und nie!) (Zuruf der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD]) Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19431

Strube — hören Sie gut zu — Einführung der bruttosozial Norbert Blüm hat bedeutsame sozialpolitische bezogenen dynamischen Rente; Weichen gestellt. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wollen Sie die (Glombig [SPD]: Wann war denn das?) wieder haben?) An erster Stelle sind das 1985 verabschiedete Ge- im gleichen Jahr auch noch das Gesetz über die setz zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten so- Altershilfe für Landwirte. wie die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zu nennen. Weitere wichtige sozialpolitische Gesetze waren das Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ge- Vorruhestandsgesetz, das Beschäftigungsförde- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten rungsgesetz, aber auch das Arbeitsförderungsge- Glombig? setz und das Dritte Agrarsoziale Ergänzungsgesetz sowie das Vermögensbeteiligungsgesetz, alles Marksteine unserer Sozialpolitik. Strube (CDU/CSU): Nein. — 1960 Jugendarbeits- Abschließend stelle ich fest, daß wir zufrieden schutzgesetz sein können, (Zuruf von der SPD) (Lutz [SPD]: So?) — ja, ich fahre fort — 1961 Bundessozialhilfegesetz und zwar sowohl mit diesem Sozialetat als auch mit und Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung dem Gesamthaushalt 1987. der Arbeitnehmer. 1963 folgte dann das Unfallversi- (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ cherungs-Neuregelungsgesetz und 1969 das Arbeits- CSU) förderungsgesetz. Nach 1969 waren es dann sozial- demokratische Arbeits- und Sozialminister, Zufrieden sein können wir mit unserer politischen Arbeit in der bald zu Ende gehenden Legislaturpe- (Zurufe von der SPD) riode. Wer diesen Erfolg leugnet oder sogar ins Ge- die verkehrte Zielvorstellungen gegeben haben. genteil verkehren will, Diese verkehrten Zielvorstellungen sind zwar weit- (Bueb [GRÜNE]: Das machen wir!) gehend in das öffentliche Bewußtsein eingedrungen und haben es gesteuert, letztendlich waren es aber dem müssen noch weitere vier Jahre politische Fehleinschätzungen, die zu Fehlerwartungen führ- Lehrzeit, ten. (Zuruf von der CDU/CSU: Und mehr!) (Lutz [SPD]: Sie alle haben sie mit ge sprich: Opposition, zugesprochen werden. teilt!) (Beifall bei der CDU/CSU — Kolb (CDU/ Sie haben in Ihrer Regierungszeit die trügerische CSU): So lange, bis die das verstehen, kön Utopie vom Versorgungsstaat aufgebaut. Folge war nen die gar nicht lernen!) die Entpflichtung des einzelnen gegenüber seinem Nächsten. Aber noch bedenklicher war die Läh- - mung der menschlichen Eigeninitiative. Dieser Ver- Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abge- such des Versorgungsstaates brachte dann leider ordnete Bueb. viele menschliche Zuwendungen zum Erliegen. Die (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Ist das bedenklichste Auswirkung war zweifellos das Auf- auch Ihre letzte Rede?) kommen jenes Versorgungsdenkens, das sehr stark für die politische Lethargie verantwortlich war, die wir bei Regierungsübernahme vorfanden. Bueb (GRÜNE): Nein, noch nicht! (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren! Unser Sozialminister Norbert Blüm tönt landauf, landab, Dahinter stand und steht bei Ihnen die verherr- lichte Allmacht des Staates, die den Menschen eine (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sozialmini Scheingeborgenheit vorgaukelt, ihn in Wahrheit ster? Asozialminister!) aber entmündigt. der Sozialhaushalt sei noch nie so hoch gewesen; (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. also von Sozialbbau keine Spur. Jedoch sind die Timm [SPD]: Besonders bei Arbeitslosen!) Ausgaben für Arbeitsförderung und Sozialhilfe allein durch die langanhaltende Massenarbeitslo- Sie sehen, meine Damen und Herren, Kompetenz, sigkeit trotz dauernder Kürzungsmaßnahmen von Solidität, Aktivität, Innovationskraft auf seiten der 1980 bis 1986 um rund 100% gestiegen. Union, (Vogel [München] [GRÜNE]: „Verdoppelt" (Lutz [SPD]: So?) heißt das!) spiegelbildliche Attribute auf seiten der SPD! Das sind in diesem Jahr Mehrausgaben von 39 Mil- (Sehr gut! bei der CDU/CSU) liarden DM. Die durch Sie notwendig gewordene Konsolidie- Für mich sind diese Mehrausgaben eine Bank- rungspolitik hat den Gestaltungswillen und das Ge- rotterklärung einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, staltungsvermögen der Union nicht gelähmt. Haus- die nicht verhindern kann und vielleicht auch über- haltskonsolidierung und aktive Sozialpolitik schlie- haupt nicht ernstlich verhindern will, daß Massen- ßen einander bei uns nicht aus. erwerbslosigkeit und zunehmende Sozialhilfebe- 19432 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 Bueb dürftigkeit zur ständigen Begleiterscheinung dieser eines deutlich zu machen: Sozialpolitik ist im we- Regierung geworden sind. sentlichen auch Verteilungspolitik. (Beifall bei den GRÜNEN — Kolb [CDU/ (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr könnt gut CSU]: Und welchen Anteil hat Herr Beck verteilen!) mann daran?) Wer den Reichen, der Rüstungs- und der Atomin- Um das noch als soziale Großtat und qualitative dustrie liebedienert, muß den Armen die Augen soziale Verbesserung zu verkaufen, braucht es eben auskratzen. Gerade zur Bekämpfung der Armut einen Karnevalsredner wie Norbert Blüm, der Welt- und zur Einführung einer menschenwürdigen Re- meister im Gesundrechnen ist und sich hier wieder gelung zur Absicherung des Pflegerisikos sei, so einmal als statistischer Scharlatan entlarvt hat. heißt es bei der Regierung, kein Geld vorhanden. Ihre Umverteilungsmaßnahmen belegen: Geld ist Diese Regierung ist in Wirklichkeit für den größ- genug da. Aber die, die es verdienen, erhalten es ten Sozialabbau seit Bestehen dieser Republik ver- nicht. antwortlich. Sie hat planvoll und absichtsvoll Hun- (Kolb [CDU/CSU]: Macht ihr eure Kasse derte von Milliarden aus dem Bereich sozialer Aus- auf!) gaben in andere Sektoren wie Rüstung, Subventio- nen, Expansionskurs für die Wirtschaft und Steuer- Die GRÜNEN haben bei den diesjährigen Haus- senkungen für die Reichen umgeleitet; denn eines haltsberatungen deshalb zwei grundlegende Ände- wird der Gesundbeter Blüm im Ernst nicht bestrei- rungsanträge eingebracht, die an den brüchigsten ten können: Allein in diesem Jahr hat diese Regie- Stellen des Sozialstaates ansetzen, am Problem der rung den sozial Schwachen durch die unsozialen Armut und am Problem des Pflegewesens, das Einschnitte in das soziale Netz 40 Milliarden DM grundlegend zu reformieren ist. entwendet, die ihnen, würde die gesetzliche Rege- (von Hammerstein [CDU/CSU]: Sie spre lung von 1981 noch bestehen, zugestanden hätten. chen immer von Armut!) Das, was diese Regierung an Schweinereien noch — 11,5 Millionen Menschen, Herr Kollege, in unse- vorhat, beschreibt sie im Sozialbericht 1986. rem Land haben ein Einkommen von unter 1 000 DM monatlich. Und da sagen Sie: Es gibt keine (Unruhe bei der CDU/CSU) Armut. Die Bundesregierung schreibt dort, daß das Sozial- (von Hammerstein [CDU/CSU]: Uns geht budget — das ist der Anteil sämtlicher Sozialausga- es ganz schlecht! — Weiterer Zuruf von der ben am Bruttosozialprodukt — im Jahre 1990 na- CDU/CSU: Sie haben keine Ahnung!) hezu 29 % betragen soll. Was bedeutet diese Zahl? Wir fordern eine bedarfsorientierte Grundsiche- 1975 betrug die Quote noch 33,7 %. Bereits im Jahre rung, die jedem Alleinstehenden mindestens 1 000 1982, nach den Sozialabbaumaßnahmen der sozial- DM zur Verfügung stellt, liberalen Koalition, fiel diese Quote auf 32,8 % zu- rück. (Beifall bei den GRÜNEN) - (Kolb [CDU/CSU]: Und wer finanziert alten und erwerbsunfähigen Menschen eine Min- sie?) destrente von 1 200 DM. Wir fordern darüber hinaus ein bedarfsorientiertes Kindergeld, welches sich Den Herren Kohl und Blüm bleibt es aber vorbehal- eben nicht an der Ordnungszahl der Kinder orien- ten, den gigantischen Sozialabbau in die Höhe zu tiert, sondern an den materiellen Bedürfnissen der treiben. Bei der geplanten Absenkung der Soziallei- Kinder, je nach Alter. Zum Ausgleich der durch die stungsquote würden dann im Jahre 1990 den Sozial- Kindererziehung entstehenden Belastungen ist ausgaben sage und schreibe 80 Milliarden DM ge- eine Reform der Leistungen für die Betreuung von genüber dem entzogen werden, was bei der Fort- Kindern notwendig. schreibung der alten Werte von 1982 der Fall gewe- (Zuruf von der CDU/CSU: Sie fordern und sen wäre. Bereits jetzt haben Sie auf diesem Weg fordern! Wollen Sie auch mal was leisten?) dem Sozialbudget über 100 Milliarden DM entzo- gen. Bis zum Jahre 1990 werden Sie bei Fortschrei- Wir fordern deshalb ein existenzsicherndes Betreu- bung der Regelungen, die Sie geplant haben, 350 ungsgeld, damit vor allem Alleinerziehende, aber Milliarden DM den Sozialausgaben entzogen ha- auch in eheähnlichen Gemeinschaften und in Ehe ben. lebenden Eltern die Möglichkeit gegeben wird, sich zeitweilig der Erziehung ihrer Kinder zu widmen, Aber damit nicht genug. Bereinigt man dieses ohne Benachteiligungen bei der sozialen Sicherung, Budget um die Mehrausgaben für Massenerwerbs- ohne Benachteiligungen im Hinblick auf ihre mate- losigkeit, die ja bei Gott keine qualitative Verbesse- rielle Sicherheit in Kauf nehmen zu müssen und rung darstellen, so läßt sich zeigen, daß das Sozial- vor allen Dingen ohne auf eine private Unterhalts- budget während der Verantwortung dieser konser- leistung anderer angewiesen zu sein. vativliberalen Regierung noch drastischer abge- senkt wurde, als dies auf den ersten Blick erscheint. (Kolb [CDU/CSU]: Was kostet dies alles? Für den Zeitraum von 1982 bis 1990 müssen weit Sagen Sie das mal in Zahlen!) über 500 Milliarden DM an Umverteilung aus dem — wie Sie unseren Anträgen entnehmen können, Sozialbereich veranschlagt werden. Alle diese Da- haben wir detaillierte Finanzierungsvorschläge ge ten, meine Damen und Herren, nenne ich Ihnen, um macht, wie eine solche bedarfsorientierte Grundsi- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19433

Bueb cherung und das Betreuungsgeld und damit weitge- wir haben uns im Ausschuß wirklich oft gestritten. hende Freiheit von Armut sichergestellt werden Ich weiß, daß ich Sie oft provoziert habe; Sie haben könnten. mich allerdings genausooft provoziert. Trotzdem (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) hätte ich mir gewünscht, daß ich Ihnen heute aus vollem Herzen hätte Dank sagen können für die — Sie lachen? Ich habe Ihnen gerade vorhin gesagt: gemeinsame Arbeit der letzten Jahre. Sie wollen 500 Milliarden DM bis zum Jahre 1990 umverteilen. (Zurufe von der SPD: Tun Sie es doch!) (Jagoda [CDU/CSU]: Warum drohen Sie — Ist er noch da? mir eigentlich? Ich habe doch gar nichts (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Er kommt gleich gemacht!) wieder!) — Drohen wäre so. Ich mache so. — Gut, dann richten Sie es ihm bitte aus. Zum zweiten haben wir in diesen Haushaltsbera- tungen unseren bereits seit zwei Jahren vorliegen- Ich finde es schade, daß er eine so polemische den Gesetzentwurf zur Neuordnung der Pflegefi- Rede gehalten hat. Zwischendurch hat es ja ein nanzierung eingebracht. Wir fordern darin den Intermezzo gegeben, wo man den Eindruck haben massiven Ausbau der ambulanten Pflege, die stu- konnte, daß er durchaus noch richtige Erkenntnisse fenweise Einstellung der Heimpflege, eine Rege- aus der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition lung, die die Bedürftigen in die Lage versetzt, selbst mitgenommen hat. über die Form ihrer Pflege und ihrer Lebensweise (Zuruf von der SPD: Übersetzen Sie einmal zu bestimmen. Dieser Staat kann sich eben nur das Wort polemisch!) sozial nennen, wenn er verhindert, daß Menschen auf Grund ihrer Behinderung zu Sozialhilfeempfän- Aber offensichtlich hat er diese Erkenntnisse in der gern werden. Dieser Staat kann sich nur sozial nen- Opposition genauso schnell vergessen wie ein paar nen, wenn er es nicht zuläßt, daß Behinderten das Kollegen der CDU/CSU die richtigen Erkenntnisse Recht verweigert wird, darüber zu bestimmen, wo, aus der Oppositionszeit, seit sie in der Regierung wie und durch wen sie sich pflegen lassen wollen. sind. Dieser Staat kann sich eben nur sozial nennen, (Beifall bei der FDP) wenn er der Aussonderung der Behinderten in Großpflegeheimen wirksam entgegenarbeitet. Es Die unbestrittenen Leistungen von Eugen Glom- wird sich zeigen, ob diese Gesellschaft human ist. big weiß die FDP wohl zu würdigen. Meine Kolle- Sie ist es jedenfalls so lange nicht, wie sie Leute, die gen, die mit ihm in den 70er Jahren eng zusammen- nichts für ihre Behinderung können, in Großheime gearbeitet haben, denken gerne an die Zeit zurück. verbringt. (Zustimmung bei der FDP) (Beifall bei den GRÜNEN) Ich möchte gerne eine weitere Vorbemerkung Die Vorschläge der GRÜNEN sind unserer Mei- machen. Nachdem ich die Rede von Herrn Strube nung nach auch im höchsten Maße beschäftigungs- gehört habe — aber das ist wirklich nur ein Beispiel wirksam. Wir haben errechnet: 200 000 neue Ar- für all das, was gestern auch abgelaufen ist —,- muß beitsplätze müßten im Pflegebereich entstehen, um ich sagen: Die Selbstbeweihräucherung sowohl der unserem Ansatz gerecht zu werden. Das giganti- SPD wie der CDU/CSU mag ich eigentlich über- sche Umverteilungsprojekt von unten nach oben, haupt nicht hören. das von der jetzigen Bundesregierung betrieben (Zurufe von der SPD: Oh!) wird, entzieht allen Argumenten von rechts, daß diese Vorschläge der GRÜNEN nicht finanzierbar Ich finde, man sollte den Mut und die menschliche seien, den Boden unter den Füßen. Größe aufbringen, auch die Leistungen der anderen anzuerkennen. Herr Strube, es hat nicht nur Sozial- (Jagoda [CDU/CSU]: Herr Kollege, wo ist politik gegeben, solange die CDU/CSU an der Re- oben?) gierung war bzw. ist. Es hat auch Sozialpolitik in Wir leben in einer reichen Gesellschaft. Oder be- den 70er Jahren gegeben. streiten Sie das? Es kommt darauf an, diesen Reich- tum auch denjenigen zugänglich zu machen, die auf (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der Schattenseite des Lebens stehen. der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Mitarbeiter der Wir als Freie Demokraten stehen dazu. Übrigens GRÜNEN vor allen Dingen!) höre ich von den Kollegen überhaupt keine Kritik z. B. an den Grundlagen des Schwerbehinderten- Dafür stehen die Änderungsvorschläge der GRÜ- rechtes, höre ich überhaupt keine Kritik an vielen NEN. anderen Dingen, die in den 70er Jahren gemacht (Beifall bei den GRÜNEN) worden sind. Deshalb, finde ich, sollten wir uns wirklich enthalten, eine solch einseitige Darstellung der Dinge zu geben. Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat die Abge- ordnete Frau Dr. Adam-Schwaetzer. (Sielaff [SPD]: Das ist sehr gut: enthal ten!) Frau Dr. Adam-Schwaetzer (FDP): Herr Präsident! — Herr Sielaff, Sie sind in diese Kritik durchaus Meine Damen und Herren! Lieber Herr Glombig, eingeschlossen. 19434 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Frau Dr. Adam-Schwaetzer Die Sozialgesetzgebung von 1969 bis 1982 hat in nach dem Motto: Ihr habt euch auf dem Arbeits- der Tat, Herr Kollege Glombig, eine ganze Menge markt erst zurückzumelden, wenn alle Männer ei- geschaffen. Die FDP steht zum Ausbau der Grund- nen Arbeitsplatz gefunden haben. lagen der sozialen Sicherung in den 70er Jahren. (Zustimmung bei der SPD — Wieczorek Aber nicht einmal Herr Glombig hat bestritten, daß [Duisburg] [SPD]: Hervorragend! Ohne Iro es notwendig gewesen ist, diese Grundlagen an die nie: Hervorragend!) Finanzierbarkeit der 80er Jahre anzupassen. Das allerdings haben wir getan. Weil wir — ich hoffe, daß Sie auch jetzt noch klat- schen — das ernst genommen haben, weil wir auch (Beifall bei der FDP — Kolb [CDU/CSU]: gesehen haben, wie sich die Frauen auf den Ar- Die Erkenntnis kam nur zu spät!) beitsmarkt zurückmelden, haben wir gehandelt. Mit Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit der Siebten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz und Sozialordnung ist wieder einmal der größte und der Einführung von Teilzeitweiterbildung Einzeletat des Bundeshaushalts überhaupt. Mit (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist die fal 22 % nimmt er fast ein Viertel der Gesamtausgaben sche Folgerung!) des Bundes ein. haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, (Reimann [SPD]: Wenn Sie die fehlenden daß Frauen den Wiedereinstieg in den Arbeits- 3 % bei der Wahl bekämen, wären Sie zu markt schaffen können. frieden?!) (Lutz [SPD]: Jetzt kommen die falschen — Diese 3 % werden uns mit Sicherheit nicht fehlen. Schlußfolgerungen!) Dafür werden Sie schon sorgen. Da bin ich ganz Wir haben im Haushalt daraus die richtigen Kon- sicher. Denn wenn Sie so weitermachen, wird es sequenzen gezogen, meine Damen und Herren. Wir auch viele Sozialdemokraten geben, die sagen: Bes- haben die Mittel für Fortbildung und Umschulung ser FDP wählen und damit eine standfeste Koali- schon dieses Jahr drastisch erhöht. Im nächsten tion haben. Jahr werden wir sie auf diesem hohen Ansatz wei- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten terfahren. Wir hatten 1986 460 000 Neueintritte in der CDU/CSU) qualifizierende Maßnahmen, finanziert von der Bundesanstalt für Arbeit. Das ist ein deutliches Zei- Meine Damen und Herren, die größte Herausfor- chen dafür, daß hier die richtigen Ansatzpunkte ge- derung der nächsten Jahre wird nach wie vor die funden worden sind. Wir brauchen mehr Qualifika- Arbeitslosigkeit sein. tion, um zum einen den Frauen mehr Chancen auf (Lutz [SPD]: Sehr wahr!) dem Arbeitsmarkt einzuräumen, aber auch, um den Wir sind noch nicht so weit, daß wir sagen könnten, jetzigen Arbeitslosen mehr Chancen auf dem Ar- die Probleme des Arbeitsmarktes hätten wir über- beitsmarkt zu geben. wunden. Wir werden in den nächsten Jahren noch (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten weitere, zusätzliche Anstrengungen zu unterneh- der CDU/CSU) men haben. Denn wie uns das Institut für Arbeits- Denn über 50 % der Arbeitslosen haben keine- abge- markt- und Berufsforschung sagt, wird die weitere schlossene Ausbildung. Das heißt, sie müssen sich Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt davon gekenn- sie erst noch erwerben. Die Mittel stehen bereit. zeichnet sein, daß das Erwerbspersonenpotential Wir fordern sie auf, davon Gebrauch zu machen. Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre weiterhin steigen wird. Das ist einerseits dadurch bedingt, Wir haben die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen daß nach wie vor die geburtenstarken Jahrgänge für 1987 auf dem hohen Stand von 1986 gehalten: auf den Arbeitsmarkt drängen, zum anderen aber 110 000. Das ist für alle diejenigen eine Hoffnung auch dadurch, daß die ausländische Bevölkerung ei- und eine Chance, die einem Verlust von Qualifika- nen höheren Anteil am Erwerbspersonenpotential tion durch lange Arbeitslosigkeit vorbeugen wol- stellt, aber auch dadurch, daß die Frauenerwerbsbe- len. teiligung ansteigen wird. Meine Damen und Her- Wir werden darüber hinaus 1987 die Dauer des ren, die Lebenspläne von Frauen haben sich geän- Bezugs von Arbeitslosengeld für ältere langfristig dert. Arbeitslose verlängern. Die durchschnittliche Ar- (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wir wissen beitslosigkeit gerade älterer Arbeitnehmer hat sich das, nur der Kanzler weiß das nicht!) drastisch erhöht. Darauf müssen wir eine Antwort geben. Wir tun es mit der Verlängerung des Bezugs — Ihr Redner hat dazu aber kein Wort gesagt. — von Arbeitslosengeld. Wir müssen darauf Rücksicht nehmen. Wir dürfen die Frauen nicht nach Hause schicken. Denn jeder Meine Damen und Herren, nach wie vor bekennt hat das Recht auf eine eigene Lebensgestaltung, sich die FDP zu ihrer Verantwortung für die nicht nur die Männer. Kriegsopfer, auch vierzig Jahre nach Ende des Krieges. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der FDP) Wir halten nach wie vor an der Dynamisierung der Wir sollten den Frauen keine falsche Bescheiden- Kriegsopferversorgung und der Dynamisierung der heit einreden, Anpassung fest. Wir müssen allerdings in der Zu- (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!) kunft das Älterwerden der Kriegsopfer und ihrer Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19435

Frau Dr. Adam-Schwaetzer Angehörigen stärker berücksichtigen. Wir haben bekenne mich dazu, daß wir in der Strukturreform deshalb sehr viel Verständnis für die Forderungen der Rentenversicherung auch darauf achten müs- der Kriegsopferverbände nach einer Verbesserung sen, daß in der Zukunft weitere Schritte zum Aus- des Berufsschadensausgleichs. Wir werden sehr bau getan werden. sorgfältig prüfen, ob und wann Badekuren für Hin- Die FDP hat ihre Vorstellungen zur Strukturre- terbliebene gewährt werden können, wann eine form der Rentenversicherung auf den Tisch gelegt. Verbesserung der Inanspruchnahme von Kuren Wir wollen eine Stärkung des Versicherungsprin- durch Pflegepersonen nach dem Tod des Pflegebe- zips unter Beibehaltung des Gedankens des sozia- dürftigen angesetzt werden kann. Wir werden auch len Ausgleichs und eine neue Bewertung beitrags- die Erhöhung der Zulage für die Begleitung von geminderter und beitragsfreier Zeiten. Wir wollen Blinden prüfen. einen gleitenden Übergang vom Arbeitsleben in den Kriegsopferversorgung ist eine Verpflichtung, die Ruhestand mit der Möglichkeit von Teilzeitarbeit uns noch auf viele Jahre begleiten wird. Wir werden und Teilrente. Wir wollen eine Abdeckung aller ver- sie in der Zukunft genauso ernst nehmen wie in der sicherungsfremden Leistungen durch den Bundes- Vergangenheit. zuschuß, angemessene Kindererziehungszeiten und Berücksichtigung der Zeiten von Pflege, sobald sie Mit dem Haushalt des Arbeitsministeriums ha- finanzierbar sind, Schutz vor materieller Not im Al- ben wir auch die personellen Voraussetzungen für ter. die Strukturreform der gesetzlichen Krankenversi- cherung und der gesetzlichen Rentenversicherung Lassen Sie mich noch folgendes sagen. Ich bin geschaffen. ganz sicher, daß in vielen dieser Punkte eine breite Übereinstimmung zwischen den drei größeren (Lutz [SPD]: Das waren die vier Mann, Fraktionen dieses Hauses herzustellen sein wird; ja?) aber über einen Punkt wird es mit den Sozialdemo- Die FDP-Vorschläge für diese Strukturreform lie- kraten sicherlich keine Verständigung geben. Wir gen auf dem Tisch, und ich bedauere es etwas, daß lehnen eine Wertschöpfungsabgabe ab, sie bisher noch nicht durch konkretere Vorschläge (Beifall bei der FDP — Frau Fuchs [Köln] aus den Reihen der Union ergänzt worden sind. [SPD]: Sehr schade! — Lutz [SPD]: Sie wer Das Sachverständigengutachten der Weisen zum den sie brauchen!) Herbst 1986 macht an einer Stelle auch Aussagen weil sie zukunftsfeindlich ist, weil sie arbeitsplatz- zur Rentenversicherungsstrukturreform, die wir, feindlich ist. Wir wollen die Beibehaltung der Umla- glaube ich, sehr sorgfältig prüfen und ernst nehmen gefinanzierung mit einer Berechnung des Beitrages sollten. Sie verlangen einerseits eine Neubewertung nach dem Einkommen der Arbeitnehmer. der Ausbildungszeiten, um damit die Konsequenz (Lutz [SPD]: In zehn Jahren reden Sie an aus der verlängerten Ausbildung und der verkürz- ders!) ten Lebensarbeitzeit zu ziehen — dies ist in der Tat ein schwerwiegendes Problem, das wir dringend an- Meine Damen und Herren, Freie Demokraten be- gehen müssen —, und sie nehmen ausführlich dazu kennen sich dazu, daß soziale Sicherung notwendig Stellung, daß eine ungerechte Behandlung von ist, um Freiheitsrechte abzusichern, um Wahrneh-- Frauen in der Rente heute noch gegeben ist. Es ist mung von Freiheitsrechten überhaupt erst möglich richtig, Rente ist Lohn für Lebensleistung, aber, zu machen. Diese Politik werden wir auch im näch- meine Damen und Herren, bisher im wesentlichen sten Deutschen Bundestag konsequent fortsetzen. Lohn für Lebensleistung von Männern. Das können (Beifall bei der FDP) wir auf die Dauer nicht akzeptieren. Auch Kinder- erziehung, ist Lebensleistung. Deshalb war es wich- tig, daß wir mit der Anerkennung eines Jahres der Präsident Dr. Jenninger: Ich erteile dem Herrn Kindererziehung einen ersten Schritt gemacht ha- Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das ben. Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich bekenne mich dazu, daß die bestehende Rege- Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- lung Lücken hat. Ich habe auch im Gesetzgebungs- ordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Her- verfahren darauf hingewiesen, daß bei denjenigen, ren! Auch ich möchte mich dem Dank, dem Respekt die freiwillige Beiträge geleistet haben, und bei den- für Eugen Glombig anschließen, den der Deutsche jenigen, die im Jahr nach der Geburt des Kindes Bundestag heute morgen dem scheidenden Vorsit- gearbeitet haben, noch keine Gleichbehandlung ge- zenden des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- währleistet ist. Aus finanziellen Gründen war da- nung zum Ausdruck gebracht hat. Über alle politi- mals keine andere Lösung möglich. Ich denke aber, schen Unterschiede hinweg, die unverwischt blei- daß wir hier in der Zukunft bessere Lösungen fin- ben, halte ich die Fähigkeit zu wechselseitigem Re- den müssen. spekt für eine unverzichtbare Bedingung der politi- schen Kultur auch dieses Hauses. Der nächste Schritt ist schon im Haushalt 1987 verankert. Wir haben 250 Millionen DM für die er- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der ste Stufe der Anrechnung von Kindererziehungszei- SPD) ten bei Rentnerinnen verankert. Auch hier werden Ich möchte auch nicht zurückstehen, dem Kolle- die nächsten Schritte konsequent erfolgen, und ich gen Eugen Glombig zu bestätigen, daß er mit Si- 19436 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Bundesminister Dr. Blüm cherheit in die Reihe großer Sozialpolitiker des 1986 — auch noch diese Zahl — haben wir den Deutschen Bundestags gehören wird. höchsten realen Zuwachs beim privaten Verbrauch (Beifall bei der CDU/CSU, bei der FDP und seit 1977. Der Durchschnittsrentnerhaushalt hat ge- der SPD) genüber 1982 allein durch Preisstabilität einen Kaufkraftgewinn, der die Jahresrechnung für Hei- Wir sind jetzt vier Jahre im Amt, zung und Strom ausmacht. Ich meine, man müßte (Zuruf von der SPD: Das reicht auch!) diese Zahlen aus den statistischen Gemeinplätzen herausholen: Das ist ein Kaufkraftgewinn von rund und ich möchte über diese vier Jahre berichten, am vier Monatsmieten. Stellen Sie sich vor, die Bundes- besten mit Zahlen. Beim Dunst weiß man nie ge- regierung und die Mehrheit des Bundestages hät- nau: Ist es Weihrauch oder sind es Stinkbomben? ten beschlossen: Wir zahlen den Rentnern vier Mo- Ich halte mich an Zahlen. Vier Jahre im Amt: 1986 natsmieten. Selbst Sie hätten klatschen müssen. die stärkste Preisstabilität seit 1953, 1986 die höch- Aber Sie sollen auch jetzt klatschen; denn der Kauf- ste reale Einkommenssteigerung der Arbeitnehmer kraftgewinn entspricht diesen vier Monatsmieten. seit 1971, 1986 die höchste reale Rentensteigerung seit 1978. Es zählen nicht Worte, es zählen Taten in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Politik. Ein Weiteres: Zinssenkung ist unser wichtigstes (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Investitionsprogramm. Investitionen werden da- Kolb [CDU/CSU]: An ihren Taten sollst du durch billiger. Die niedrigen Zinsen 1986 bedeuten sie erkennen! gegenüber 1982 einen Investitionsschub, eine Ko- stenentlastung von 40 Milliarden DM. Wir bleiben 1986 der prozentual geringste Zuwachs der Staats- allerdings dabei: Wo investiert wird, das entschei- verschuldung seit 1969, 1986 die niedrigsten Zinsen den besser private Unternehmen als staatliche Bü- seit 1978 und 1986 die niedrigste gesamtwirtschaftli- rokratien. Bürokratien wissen nämlich entgegen che Steuerquote seit 1972. dem sozialistischen Glauben nicht besser, was Bür- Meine Damen und Herren, an diesen Zahlen las- ger brauchen, als diejenigen, die dabei Geld verdie- sen sich politische Unterschiede deutlich machen. nen wollen und auch Geld verlieren können, Sozialistische Umverteilungspolitik holt den Bür- (Kolb [CDU/CSU]: Und riskieren!) gern erst klammheimlich Geld aus der Tasche, um es anschließend lautstark zurückzugeben. wenn die Investition fehl angelegt ist. Zinssenkung ist ein Investitionsprogramm ebenfalls ohne For- (Hornung [CDU/CSU]: Aber nur einen Teil mulare, ohne Anträge, Schalter und Genehmigungs- davon!) behörden. — Ein Teil bleibt in der Umverteilungsbürokratie Meine Damen und Herren, manchmal habe ich hängen. Das ist das alte Rezept. Was noch viel den Eindruck, die Sozialdemokraten stellen sich schlimmer ist: Sie erwartet für diese Umverteilung den Himmel als ein Gebäude mit vielen Schaltern — mit der rechten Hand heimlich nehmen, mit der vor. Die Eintrittskarte ist ein Formular, linken lautstark zurückgeben — auch noch Dank von denjenigen, die ihre Begünstigung selber zah- (Zuruf von der SPD: Von Blüm ausge- len. Das ist so ähnlich, als würde der Bürger an sich stellt!) selbst eine Zahlkarte schicken und müßte sich beim die beliebteste Einrichtung ist ein Stempel, und das Briefträger bedanken. So ähnlich ist das. Gütezeichen heißt: genehmigt. Das ist das Paradies (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — der Sozialdemokraten. Kolb [CDU/CSU]: Daß er das Porto hat be (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU zahlen dürfen!) und der FDP) Abgaben und Zuteilungen sind im Kreisverkehr or- Deshalb heißt die politische Entscheidung auch in ganisiert. In diesem Teufelskreis verlieren Arbeit- diesem Bundestag ganz einfach: Papier und Behör- nehmer und Unternehmer die Übersicht, nämlich den gegen Bürger und Initiativen. Das ist auch eine darüber, wem was gehört, und sie verlieren die Lust Grundentscheidung, die am 25. Januar zu treffen an der Arbeit. ist. Der Unterschied ist: Die SPD hat eine Vorliebe Unsere wichtigste Verteilungspolitik heißt Preis- für den Staatsapparat, wir haben eine Vorliebe für stabilität. Inflation ist immer Umverteilung gegen die Staatsbürger. Rentner und Arbeitnehmer. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ich will freilich hinzufügen, daß diese Grundregel Kolb [CDU/CSU]: So ist es!) eine Vorfahrtsregel ist. Wer in Schwierigkeiten ist, Inflation, das ist der Taschendieb der kleinen Leute. kann natürlich nicht im Stich gelassen werden. Ich Deshalb ist Preisstabilität eine Verteilungspolitik verkünde hier nicht das Programm eines Nacht- ohne Formulare und Anträge, ohne Schalter, Ge- wächterstaates. Ich verkünde auch nicht das Pro- nehmigungsbehörden. Preisstabilität ist die leise gramm einer brutalen Marktwirtschaft, sondern Sozialpolitik. Die Rentner haben doch gar nichts das Programm der Sozialen Marktwirtschaft. Dabei von einer hohen Rentensteigerung, wenn die Preise ist das Wort „sozial" nicht nur schmückendes Bei- noch höher steigen. Die Arbeitnehmer haben doch wort, sondern Gestaltungsfaktor. Wir lassen diejeni- gar nichts von einer Lohnsteigerung, wenn die gen nicht im Stich, die in Not geraten sind. Deshalb Preise noch höher steigen. haben wir Kohle und Stahl geholfen. 1987 geben wir Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19437

Bundesminister Dr. Blüm fünfeinhalbmal so viel für Anpassungshilfen aus Präsident Dr. Jenninger: Bitte, Herr Kollege, stel- wie 1982. len Sie eine Frage. (Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Kirschner (SPD): Herr Bundesarbeitsminister, ich möchte Sie fragen, ob Sie dem zustimmen, wenn Wie kommen Sie eigentlich dazu, zu sagen, wir wür- das IAB feststellt, daß ohne die gesetzliche Neure- den die Arbeitnehmer im Stich lassen? Auch Werf- gelung des § 105 c AFG, wonach sich arbeitslose Lei- ten und Bau haben wir nicht im Stich gelassen. stungsbezieher ab einem Alter von 58 Jahren der Unsere Sozialpolitik überläßt die Arbeitslosen Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung zu nicht ihrem Schicksal. 600 000 neue Arbeitsplätze stellen brauchen — es sind im Jahresdurchschnitt seit Herbst 1983! 1986 44 000 —, die Arbeitslosigkeit ganz anders aus- (Beifall des Abg. Hornung [CDU/CSU]) sehen würde. (Kolb [CDU/CSU]: Das ist Sozialchine Wenn jemand fragt, wo die Wende ist, dann kann sisch!) ich ihm ganz einfach sagen: 1982/83 800 000 Arbeits- plätze verloren, in den letzten zwei Jahren 600 000 Herr Kollege, es gibt gewonnen. Das ist der Unterschied, ganz einfach: Präsident Dr. Jenninger: keine Möglichkeit, eine Zwischenrede zu halten. Ich abwärts — aufwärts. bitte um konkrete Fragen und um eine Antwort des (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bundesministers. Daß sich die Zahl nicht in gleicher Weise in der Arbeitslosenstatistik niederschlägt, hat zwei Grün- Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- de: Es kommen mehr junge Leute auf den Arbeits- ordnung: Ich beantworte die Frage kurz und knapp: markt, als ältere ausscheiden. Es fragen mehr Mir ist bekannt, daß der Präsident der Bundesan- Frauen nach Arbeit nach als je zuvor. Ich kritisiere stalt für Arbeit mit Zustimmung des Statistischen das überhaupt nicht, sondern beschreibe das nur. Bundesamtes die Zahlen verkündet hat, die ich hier Dafür eine Zahl: Im ersten Halbjahr 1986 haben vorgetragen habe. sich 160 000 Frauen arbeitslos gemeldet, die vorher (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gar nicht erwerbstätig waren und auch nicht in 1986 haben wir die höchste Zahl von Beschäftig- einer schulischen Ausbildung standen. Neue Ar- ten in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die es je beitsplätze — das ist die beste Politik für Arbeits- gegeben hat. Es gab nie mehr Arbeitnehmer in Ar- lose. beitsbeschaffungsmaßnahmen: 29 200 im letzten (Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!) Jahr der sozialdemokratischen Regierung, 110 000 Unsere Arbeitsmarktpolitik legt die Hände nicht in diesem Jahr. Das ist mehr als dreimal so viel wie in den Schoß. Auch hier wiederum: 1986 haben wir im letzten Jahr der Regierung der Sozialdemokra- die höchsten Teilnehmerzahlen an beruflichen Qua- ten. 1986 haben wir die höchsten Ausgaben für ak- lifizierungsmaßnahmen seit Verabschiedung des tive Arbeitsmarktpolitik seit Bestehen der Bundes- Arbeitsförderungsgesetzes zu verzeichnen. republik Deutschland. Deshalb noch mal: Es zählen Zahlen und- nicht Worte. Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, ge- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten SPD) Kirschner? Wir geben für Arbeitsmarktpolitik — Zahlen und noch mal Zahlen — — Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- (Zurufe von der SPD) ordnung: Bitte. — Reizen Sie mich nicht! Sonst bringe ich noch ein paar Zahlen! — 11,5 Millarden geben wir für Ar- beitsmarktpolitik bei der Bundesanstalt aus; Kirschner (SPD): Herr Bundesarbeitsminister, ist Ihnen die neueste Untersuchung des IAB bekannt, 11,5 Milliarden! 1982 waren es 6,8 Milliarden. Selbst in der das IAB feststellt, ein Mathematiklehrer, der der GEW angehört, wird zugegeben, daß 11,5 mehr als 6,8 ist. Oder? Da brau- (Dr. Rumpf [FDP]: Was ist das?) che ich ja gar nicht zu streiten. daß wir im Jahre 1982 jahresdurchschnittlich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 22 378 000 beschäftigte Arbeitnehmer, im Jahre Arbeitszeit. Wir haben unseren Beitrag auch zur 1985, nachdem Sie also drei Jahre an der Regierung Arbeitszeitordnung geleistet. Wir haben ein Vorru- waren, 22 177 000 Arbeitnehmer — das dürften nach hestandsgesetz verabschiedet, über das Sie nur ge- Adam Riese j a wohl 200 000 weniger sein — hatten? redet haben. Inzwischen sind 62 000 Vorruheständ- Wenn Sie das Jahr 1986 hinzurechnen, in dem Sie ler im Genuß dieses Gesetzes. nach eigenen Angaben maximal 200 000 Arbeits- plätze geschaffen haben, dann sind Sie 1986 im Jah- Erziehungsurlaub mit Arbeitsplatzgarantie: Das resdurchschnitt gerade beim Schnitt von 1982. ist nicht nur familienpolitisch wichtig und notwen- dig. Das ist, bei Licht betrachtet, auch eine Arbeits- (Zuruf von der CDU/CSU: Frage!) zeitverkürzung, nämlich eine Lebensarbeitszeitver- Und ich darf Sie daran erinnern, was das IAB kürzung. Unsere Phantasie beim Stichwort Arbeits- weiter feststellt. zeitverkürzung ist eben größer als die Phantasie 19438 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Bundesminister Dr. Blüm derer, die nur auf Wochenarbeitszeitverkürzung noch erinnern: 19. April 1985, Lutz: „Anschlag auf starren. Erziehungsurlaub ist Lebensarbeitszeitver- Menschenwürde!" kürzung. Im Oktober haben 143 000 Mitbürgerinnen (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Erziehungsurlaub mit Arbeitsplatzgarantie in An- spruch genommen. FDP) Buschfort, 27. März 1985: „Einmaliger Schritt in Wir haben die Teilzeitarbeit gefördert. Auch Teil- längst überwunden geglaubtes frühkapitalistisches zeitarbeit ist eine Form neuer Arbeitszeit abseits Denken!" — Und noch eine Schippe drauf: — „Die der bisher üblichen Vollerwerbstätigkeit. Koalitionsfraktionen nehmen den Verfassungsver- Wir haben die freiwillige Rückkehr ausländi- stoß in Kauf!" Dreßler — das ist nur eine kleine scher Arbeitnehmer gefördert. 300 000 ausländische Auswahl —: „Die Arbeitnehmer sollen sich künftig Mitbürger haben freiwillig auf diese Weise den Weg allein nach dem Gewinnkompaß der Unternehmer in ihre Heimat angetreten. ausrichten." Also: Verfassungsverstoß; frühkapitalistisches Und wir haben das Arbeitsrecht überprüft — das ist ja ein sehr umstrittenes Thema auch in diesem Denken; Gewinnkompaß der Unternehmer. Habt Hause —, und zwar, ob das Arbeitsrecht — das wei- ihr einen noch größeren Hammer, mit dem ihr terhin Schutzrecht bleiben muß — nicht auch wie draufschlagen könnt? Nur: Vorsicht, daß ihr nicht eine Festungsmauer um die Erwerbsgesellschaft eigenes Porzellan zerschlagt! Vorsicht, Vorsicht! Es wirkt und die, die draußen stehen, aussperrt. Das könnte nämlich sein, daß der Schaum vorm Mund wäre ein sehr beschränkter Schutz. Wir wollen den Blick auf die eigene Praxis versperrt. Brücken bauen, Brücken in die Erwerbsgesell- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU schaft. Die, die des Schutzes am meisten bedürfen, und der FDP) sind die, die draußen sind. Ihnen muß geholfen wer- Für so schlecht, wie der DGB den befristeten Ar- den, daß sie wieder reinkommen in die Erwerbsge- beitsvertrag macht, scheint er ihn selber nicht zu sellschaft. halten. Ich habe hier Personalnachrichten des (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) DGB-Bundesvorstandes. „Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Bundesjugendschule des DGB ... Im Der befristete Arbeitsvertrag ist eine Hilfe zum Haus der Gewerkschaftsjugend Oberursel ist zum Einstieg in die Erwerbsgesellschaft. Die IG Metall 1. Oktober 1986 die Stelle eines Assistenten/einer berichtet nach einer Befragung von über 5 000 Be- Assistentin zu besetzen. Die Einstellung ist befri- triebsräten, daß schon 60 % der befristeten Arbeits- stet auf drei Jahre." verträge inzwischen in unbefristete überführt wur- den. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Langsam, ich bin noch nicht fertig. Da schlage ich Ich bedanke mich bei der IG Metall sehr für diese gestern meine Heimatzeitung, den „General-Anzei- Nachricht, zumal da sie wirklich über den Verdacht ger" Bonn auf. Ich lese natürlich nach den politi- - erhaben ist, sie habe diese Nachricht nur aus Liebe schen Nachrichten auch einmal den Anzeigenteil. zu Norbert Blüm in die Welt gesetzt. Nein, ich glau- Was sehe ich da? „Die Friedrich-Ebert-Stiftung be, das ist eine Nachricht von großer Objektivität. sucht für ihr Gästehaus ,Politischer Club', Godes- berger Allee 155, Bonn 2 ständige Abruf-Aushilfen Wenn man bedenkt, daß von den verbleibenden 40% weitere in unbefristete überführt werden kön- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der nen und daß darin auch ein Teil jener Arbeitsver- FDP) hältnisse ist, die als Aushilfe gedacht waren und gar für den Bereich Hauswirtschaft und Service für nicht mit dem Wunsch nach Dauerbeschäftigung Tag- oder Abendeinsatz, möglichst aus dem Raume versehen sind, ist das geradezu ein Rekordergebnis, Friesdorf. Interessentinnen wenden sich bitte das selbst meine Erwartungen übertrifft. Der befri- schriftlich an die Friedrich-Ebert-Stiftung, Perso- stete Arbeitsvertrag ist also eine Einstiegshilfe in nalabteilung." die Erwerbsgesellschaft! (Kolb [CDU/CSU]: Und das mit beiliegen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — der Spende! — Zurufe von der CDU/CSU: Hornung [CDU/CSU]: Das paßt aber nicht Weiter so!) zum Klassenkampfziel!) Soll ich noch weitermachen? Auch die Überstunden sind abgebaut worden: (Lebhafte Zurufe von der SPD und der 1970 3,5 Milliarden, 1980 1,8 Milliarden, 1985 1,5 Mil- CDU/CSU) liarden. Ich bin ganz sicher, daß auch hier der befri- stete Arbeitsvertrag geholfen hat, frühzeitig einzu- Natürlich darf auch nicht fehlen. stellen und nicht in Überstunden auszuweichen. Er stellt in Nordrhein-Westfalen befristet Lehrer ein und läßt als Beklagter vor Gericht seine An- Aber jetzt doch noch ein kurzer Rückblick. Erin- wälte vehement — ich könnte es gar nicht besser — nern wir uns auch angesichts dieser Tatsachen an und mit großer Überzeugungskraft für unser Be- die wütenden Angriffe der SPD auf dieses Beschäf- schäftigungsförderungsgesetz plädieren. Ich zitiere tigungsförderungsgesetz und den befristeten Ar- aus dem Schriftsatz der Rechtsanwälte von Herrn beitsvertrag. Herr Kollege Lutz, Sie werden sich Rau: Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19439

Bundesminister Dr. Blüm Der Zweck des Gesetzes findet sich schon im — ja, in Ludwigshafen haben wir leider genauso Titel. Es soll die Beschäftigung fördern und — viele Arbeitslose wie im Bundesgebiet auch; das ist wie der erste Abschnitt überschrieben ist — richtig —, befristete Arbeitsverträge erleichtert zulassen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir Die hohe Zahl der Arbeitslosen soll verringert gestern schon erfahren!) werden. wonach von 100 % ausgebildeten Facharbeitern nur Sehr richtig. 45% in ihrem Beruf arbeiten? Läßt das nicht den (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der Schluß zu, daß wir genug Facharbeiter hätten? CDU/CSU und der FDP) Auf Seite 19: Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- Es ist nicht verständlich, warum der Arbeitge- ordnung: Also, mit Statistiken ist das immer so eine ber in diesem Falle trotz der mit diesem Gesetz Sache. verfolgten Neueinstellungen und damit der (Zurufe von der SPD: Aha! — Weitere Zu Verringerung der Arbeitslosigkeit mit der Un- rufe von der SPD) wirksamkeit der Befristung bestraft werden soll. — Ganz ruhig bleiben. Ich sage, daß es Bereiche gibt, in denen wir einen Facharbeiterüberschuß ha- Ich schließe mich inhaltlich voll dem Kanzlerkandi- ben und daß es Bereiche gibt, wo wir Facharbeiter- daten der SPD, Johannes Rau, an. defizite haben. Dort, wo Facharbeiterdefizite sind, (Zurufe von der CDU/CSU: Weiter so! — muß ausgebildet werden. Ich wende mich ja an die Hornung [CDU/CSU]: Das schreibt der mit Unternehmer, nicht zu klagen, denn die Klage- ten im Wahlkampf! — Zuruf von der CDU/ mauer ist die falsche Adresse, sondern selber dort CSU: Das ist schöner als Weihnachten!) auszubilden, wo Defizite sind. Ich will doch nur einmal festhalten: Sozialdemo- Ich hoffe, Sie stimmen mir zu, daß die Facharbei- kraten und Gewerkschaften machen in ihren Be- ter auch weitergebildet werden müssen, daß sich trieben das, was uns die Sozialdemokraten hier in niemand ausruhen kann, daß auch ältere Arbeit- diesem Bundestag vorwerfen. Wenn das ehrlich ist, nehmer weitergebildet werden müssen. Der 40jäh- dann waren die Pharisäer keine Heuchler. rige arbeitet im Jahre 2 000 noch, und wenn er nicht (Beifall bei der CDU/CSU — Kolb [CDU/ weitergebildet wird, dann nutzt ihm auch sein Fach- CSU]: Die leben außerhalb der Realität! — arbeiterbrief aus dem Jahre 1980 nichts. Mein Ap- Glombig [SPD]: Sie sind und bleiben ein pell geht in erster Linie an die Unternehmen: Wir Karnevalist!) dürfen nicht nur an neue Maschinen denken, son- dern wir haben auch dafür zu sorgen, daß moderne Arbeitszeit und Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpoli- Maschinen von qualifizierten Arbeitnehmern be- tik, Qualifikation herrscht werden können. (Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — es geht noch weiter —, alles muß den Arbeitslo- Modernisierung ist Investieren plus Qualifikation.- sen helfen. Das Wichtigste für Arbeitslose ist, wie- der Arbeit zu finden. Einstellen, so früh wie mög- Nun auch zum sozialen Schutz. Wir haben auch lich, das ist das Gebot der Stunde. Facharbeiter- den sozialen Schutz der Arbeitslosen verbessert. mangel und Qualifizierungsdefizite sind kein Alibi Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wurde für für Einstellungsverweigerungen. Facharbeiter fal- die Älteren verlängert, und wir werden sie noch ein- len j a schließlich nicht vom Himmel. Wer sich über mal verlängern. Die jugendlichen Arbeitslosen wur- Facharbeitermangel beklagt, muß Facharbeiter den wieder in das Kindergeld und die Krankenver- ausbilden in den Betrieben. sicherung hineingeholt; Sie hatten sie dort heraus- geschmissen. Für die Arbeitslosenhilfe wurde der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ehegattenfreibetrag verdoppelt. Arbeitslose müssen eingearbeitet und qualifiziert Wir mußten sparen — das ist richtig —, aber wir werden. Die Arbeitslosen selber müssen auch mit- haben nicht nur gespart. Die Leistungseinschrän- machen. Auch das gehört zur Bedingung. kungen in der Arbeitslosenversicherung umfassen 2 Milliarden DM. Das ist viel, und es ist mir nicht leichtgefallen. Aber wir hatten ein Defizit von 7 Mil- Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, ge- liarden DM, als wir die Regierung übernahmen, und statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten 12, 13 Milliarden DM standen in Aussicht. 2 Milliar- Reimann? den DM haben wir gespart. Aber inzwischen haben wir Leistungsverbesserungen in einem Umfang von Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- 3,4 Milliarden DM in der Arbeitslosenversicherung ordnung: Bitte schön. durchgeführt. Reden Sie also nicht nur über die 2 Milliarden DM, sondern reden Sie auch über die Leistungsverbesserungen. Reimann (SPD): Herr Arbeitsminister, ist Ihnen Wir haben das Arbeitslosengeld für die Arbeitslo- die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit bekannt sen ohne Kinder gekürzt, aber dafür die älteren (Zurufe von der CDU/CSU: Ludwigsha Arbeitslosen, die lange arbeitslos sind, davor be- fen!) wahrt, in Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe umstei- 19440 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Bundesminister Dr. Blüm gen zu müssen. Das ist keine kopflose Zurücknah- Und jetzt die Preisfrage: Es sind 1,8 Milliarden me, sondern das ist Sparen und Gestalten. Das ist DM gespart worden. Wer regiert in Nordrhein-West- unser Motto. falen? Johannes Rau und die SPD. (Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Und wer will in Bonn regieren? Johannes Rau und Die SPD hat gegen Sparen polemisiert, aber sie die SPD. Ich schlage vor, die SPD erledigt erst ein- hat doch den Sparzwang durch eine Ausgabenpoli- mal ihre Hausaufgaben in Düsseldorf, bevor sie uns tik, in der bestellt, aber nicht bezahlt wurde, mit Nachhilfe in Bonn geben will. ausgelöst. Bestellen, aber nicht bezahlen: In meiner (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Heimat nennt man so etwas Zechprellerei. Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, ge- Wer uns Sozialabbau vorwirft, der muß allerdings statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten dafür sorgen, daß das eigene Haus in Ordnung ist. Schmude? Was schlagen Sie also vor? Welches Haus sollen wir als Test für die Glaubwürdigkeit der Sparvorwürfe Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- der SPD nehmen? Ich schlage vor, wir nehmen uns ordnung: Bitte. einmal das Land Nordrhein-Westfalen. Dr. Schmude (SPD): Herr Minister Blüm, ist Ihnen (Hornung [CDU/CSU]: Das ist ein gutes entgangen, daß der Sparzwang für das Land Nord- Beispiel!) rhein-Westfalen in wesentlichem Umfang darauf zurückzuführen ist, daß der Bund und die Mehrheit Nordrhein-Westfalen belastet die Familien rigo- der Bundesländer dieses Land bei Bundesergän- ros. Kindergartenbeiträge wurden erhöht. Die Bela- zungszuweisungen und beim Finanzausgleich über stung der Familien in den Jahren von 1982 bis 1985 viele Jahr hin in einer Weise benachteiligt haben, betrug 305 Millionen DM. NRW läßt die Jugendli- die das Bundesverfassungsgericht gerügt hat, so chen hängen. Zwischen 1980 und 1985 wurden die daß die Finanzierung neu gestaltet werden muß? Mittel für die Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen um 395 Millionen DM gekürzt. Nordrhein-Westfalen (Beifall bei der SPD) stellt Alte und Behinderte ins Abseits. Die Mittel für Altenhilfe und Behinderteneinrichtungen wur- Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- den zwischen 1980 und 1986 halbiert. ordnung: Herr Schmude, ist Ihnen entgangen, daß das schöne Land Nordrhein-Westfalen unter CDU (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Regierungen die anderen Länder mitfinanziert hat und unter SPD-Regierungen zum Kostgänger der NRW läßt die Krankenhäuser notleiden. Die Mit- anderen Länder geworden ist? tel für Baumaßnahmen wurden von 600 Millionen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) DM in 1985 auf 450 Millionen DM in 1986 gekürzt. Präsident Dr. Jenninger: Gestatten Sie eine weitere NRW kürzt beim sozialen Wohnungsbau. Wäh- Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal? - rend in dem 1985 verkündeten mehrjährigen Woh- nungsbauprogramm für 1986 noch die Förderung Westphal (SPD): Herr Minister, ist Ihnen entgan- von 29 120 Wohnungen vorgesehen war, werden tat- gen, daß das Land Nordrhein-Westfalen trotz dieser sächlich nur 14 170 gebaut. harten Kürzungsmaßnahmen für Soziales, Familie und Jugend immer noch mehr ausgibt als alle ande- Sie haben Ihre Vorwürfe auch an Hand von Zah- ren Bundesländer zusammen? len — die Sozialhilfe betreffend — belegt. Ich will wiederum einen Vergleich zwischen dem Bund und (Beifall bei der SPD) Nordrhein-Westfalen anstellen. Wenn Sie schon so Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- arbeiten, dann muß ich Ihnen sagen: In Nordrhein- ordnung: Es bleibt dabei, daß Nordrhein-Westfalen Westfalen ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger in wichtigen Bereichen, z. B. im Familienbereich, zwischen 1980 und 1983 um 20 % gestiegen, während Kürzungen durchgeführt hat, wo wir nicht Kürzun- sie im Bund um 13 % stieg. Ich weiß nicht, ob das gen, sondern Leistungsausweitungen vorgenom- weiterführt, denn ich bin dafür, daß wir uns nicht men haben: 10 Milliarden DM mehr für die Familie; mit Statistiken begegnen, sondern daß wir die Not die SPD betrieb Kürzung bei den Leistungen im des einzelnen im Blick haben und ihm helfen. Aber Familienbereich. Das ist der Unterschied. wenn Sie schon große Geschütze auffahren, dann müssen Sie schon gestatten, daß ich auch die Rück- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) seite der Statistik beleuchte. Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, ge- Frau Fuchs, falls Sie darauf antworten wollen, statten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau nenne ich noch einmal die Zahl: Seit 1980 wurden in Abgeordneten Matthäus-Maier? Nordrhein-Westfalen insgesamt 1,8 Milliarden DM (Kolb [CDU/CSU]: Fragestunde ist das! — im Sozialhaushalt gespart. Ich kann es Ihnen noch Zuruf von der SPD: Aber nicht so ignorant schriftlich geben. antworten wie eben!)

(Hornung [CDU/CSU]: Ein trauriges Kapi Frau Matthäus-Maier (SPD): Herr Blüm, ist Ihnen tel!) bekannt, daß Nordrhein-Westfalen trotz der verfas- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19441

Frau Matthäus-Maier sungswidrigen Benachteiligung durch die übrigen Ich komme zum zweiten großen sozialen Thema Bundesländer Jahr für Jahr viele hundert Millionen nach der Arbeitslosigkeit, nämlich zur sozialen Si- DM für zusätzliche Arbeits- und Ausbildungsplätze cherheit. Wir mußten die Rentenversicherung — für junge Leute bereitstellt, allein in diesem Jahr ich gebe zu, das Lieblingskind der Sozialversiche- über 700 Millionen DM? rung; auch mein Lieblingskind — vor dem Zusam- (Beifall bei der SPD) menbruch bewahren. Kollege Glombig hat davon gesprochen, 1990 wäre der Ofen aus: Mein Gott, Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- wenn wir nicht gekommen wären, wäre er 1983 aus ordnung: So wie das andere Länder auch tun. Ich gewesen, Herr Glombig. bedanke mich sehr dafür, daß auch Nordrhein- (Kolb [CDU/CSU]: Und nie mehr angegan Westfalen in dieser Frage mitwirkt. gen!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Frau Jetzt steht das Rentenhaus wieder auf sicherem Dr. Timm [SPD]: Billiger Wahlkampf!) Fundament. Wir können die Renovation der Ren- — Das ist kein billiger Wahlkampf. Johannes Rau tenversicherung — ich spreche bewußt von Renova- ist nicht heiliggesprochen. Er muß an seinen Taten tion — ohne Einsturzgefahr mit Ruhe und Gelas- gemessen werden. Das ist der alte biblische Spruch senheit vornehmen, allerdings auch mit großer Ent- — ich verehre die Bibel so wie Johannes Rau —: An schiedenheit. Hektik ist für einen solchen Versuch ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. die falsche Begleitung, sie ist Gift für eine solide (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Rentenpolitik. Die Rente ist wieder sicher. Das be- Kolb [CDU/CSU]: Das sind aber taube stätigen auch alle Fachleute, denn das Geld in der Nüsse!) Rentenkasse nimmt wieder zu. Anpassung des Rentensystems heißt nicht Abriß Präsident Dr. Jenninger: Gestatten Sie eine weitere des guten alten Rentenhauses, sondern Umbau. Aus Zwischenfrage des Abgeordneten Link? einer lohn- und beitragsbezogenen Versicherung wird kein Fürsorgesystem. Rente bleibt Rente, sie Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- ist kein Altersalmosen, sie ist Alterslohn. Das ist ordnung: Wenn das nicht angerechnet wird, bitte. unsere Überzeugung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Link () (CDU/CSU): Herr Bundesarbeits- minister, stimmen Sie mir zu, daß das Land Nord- Wir waren auch in der Rentenversicherung nicht rhein-Westfalen deshalb sparen muß, weil es nach nur als Reparaturschlosser, als Rohrschlosser un- Aussage seines Finanzministers Posser im kom- terwegs, sondern wir haben neue Strukturen instal- menden Jahr die 100-Milliarden-DM-Schulden- liert. Wir haben die Hinterbliebenenreform durch- grenze erreicht und daß er in einem internen Brief gesetzt, auf die sieben Jahre in Ihrer Regierungs- an seine Ministerkollegen das Land Nordrhein- zeit nach dem Verfassungsgerichtsurteil gewartet Westfalen in der Verschuldung mit Brasilien und wurde. Witwen und Witwer sind gleichgestellt mit Mexiko vergleicht? Zustimmung der Frauenverbände, mit Zustimmung der Gewerkschaften. Unsere Hinterbliebenenre-- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) form ist sozial rücksichtsvoll, frauenfreundlich, sy- stemgerecht und praktikabel. Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- ordnung: Herr Abgeordneter Link, ich stimme Ih- Wir haben — gegen alle Proteste sage ich das, nen zu. und ich nehme das Wort nur einmal in den Mund — (Heiterkeit) ein Jahrhundertgesetz zustande gebracht, nämlich Zeiten der Kindererziehung nach hundert Jahren Ich will noch einmal zusammenfassen: Wir spa- Unrecht an den Müttern endlich in das Rentensy- ren — das will ich auch an meine Kolleginnen und stem eingebracht. Kollegen in den Betrieben sagen — doch nicht für Herrn Flick, wir sparen für Millionen von Beitrags- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zahlern, nämlich für die Arbeitnehmer. Die sind be- Jetzt will ich auch wieder ein paar Zahlen nennen. kanntlich keine Millionäre. Schon innerhalb der ersten zehn Monate der Gel- „Tischlein deck dich" gibt es nur im Märchen. tung des Gesetzes haben 273 Frauen von der Neure- Wer es in der Politik dennoch versucht, der hat den gelung profitiert. Knüppel aus dem Sack für die Beitragszahler. Das (Zurufe von der CDU/CSU: 273 000!) ist das Ergebnis sozialdemokratischer Politik. — 273 000, Entschuldigung. Ich bin immer in Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) fahr, unsere eigenen Leistungen kleiner zu machen, Die Nettolöhne stiegen von 1970 bis 1982 um als sie wirklich sind. 112%, die öffentlichen Sozialleistungen in derselben Zeit um 210%. Da muß man keine Mengenlehre stu- (Heiterkeit) diert haben: Wenn die öffentlichen Sozialabgaben Es sind also über eine Viertelmillion. 50 000 Mütter schneller steigen als die Nettolöhne, ist es ja nur haben überhaupt zum erstenmal eine Rente erhal- noch eine Frage der Zeit, wann man das ganze ten; die hatten vorher gar keinen Rentenanspruch. System auf Krankenschein umstellen muß, nämlich Die durchschnittliche Rentensteigerung durch An- dann, wenn die Sozialabgaben die Löhne völlig auf- rechnung von Kindererziehungszeiten beträgt mo- gezehrt haben. natlich 54,40 DM. 1990 werden 5,3 Millionen Mütter 19442 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Bundesminister Dr. Blüm den Nutzen der Neuregelung haben. Das wird bis machen, uns Vorschläge machen? Bei einem sol- dahin 10 Milliarden DM kosten. Wie kommen Sie chen Rentenpfusch sollten Sie erst einmal den eigentlich dazu, uns Vorwürfe über Sozialabbau zu Grundkurs Rentengerechtigkeit besuchen, bevor machen. Wir haben den großen familienpolitischen Sie sich als Meisterschüler hier anpreisen. Durchbruch in dieser Legislaturperiode geschafft! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich gebe zu, wir haben das Ideal nicht erreicht. Um eines bitte ich jetzt noch. Ich habe wiederholt Ideal wäre gewesen, alles auf einmal zu tun; das in der Diskussion das Argument mit der Sterbetafel gebe ich zu. Mich schmerzt es auch. Alles auf ein- gehört, weil wir für die älteren Frauen die Lösung mal, das Ideal gibt es in der Politik nur selten, auch in vier Schritten bewerkstelligen. in der Sozialpolitik. Das ist eine alte Erfahrung. (Zurufe von der SPD) Was heute nicht geht, verschieb es nicht auf über- morgen, bis das Wünschbare machbar ist; fang mit Ich mache jetzt wirklich nach allen Seiten den Vor- dem an, was heute machbar ist. Das ist alte sozial- schlag: Laßt uns keine Diskussion, auch keine so- politische Handwerkerweisheit; nach der sind wir zialpolitische Diskussion mit der Angst um den Tod verfahren. Man stand vor der Frage: Beginnen wir führen. mit den Älteren oder beginnen wir mit den Jünge- (Zuruf des Abg. Bueb [GRÜNE]) ren? Für die Älteren spricht, daß sie ihre Kinder in schwerer Zeit erzogen haben, in schwereren Zeiten Laßt uns das als ein Tabu der politischen Auseinan- übrigens als heute. Sie hatten ihre Kinder im Luft- dersetzung betrachten. Wo kämen Sie denn hin, schutzkeller. Das ist ein schwergewichtiger Grund, wenn ich die Sterbetafel vorführen würde, wer seit warum man mit den Älteren hätte beginnen kön- 1970 in den 13 Jahren gestorben ist, in denen sie nen. nichts gemacht haben! Das wäre doch geradezu ma- kaber. Für die Jüngeren spricht: Was soll denn dieses Gesetz? Das Gesetz soll bewirken, daß das Kind, das (Beifall bei der CDU/CSU) heute geboren wird, seine Mutter behalten kann Wollen Sie so eine politische Auseinandersetzung und es keinen Zwang gibt, mit Rücksicht auf Ren- mit zwei Sterbetafeln führen? Ist das nicht gera- teneinbußen in die Erwerbstätigkeit zu gehen. Die- dezu zynisch, rücksichtslos gegenüber den Gefüh- ser Zwang entsteht heute, wenn Kindererziehungs- len der Alteren? zeiten nicht angerechnet würden. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb haben wir mit den Jüngeren begonnen. Sie haben, stelle ich fest, nichts getan. Reden Sie Aber die Älteren werden in vier großen Schritten in sich doch nicht mit einmaligen Abstimmungen her- die Erziehungszeiten einbezogen. aus! Sie haben 13 Jahre nichts getan, und die Ich fasse zusammen: Schrittweise gerecht ist bes- Nichtstuer machen uns jetzt Vorwürfe. Die Nach- ser als 13 Jahre Stillstand bei den Erziehungszei- zügler maskieren sich als Vorreiter. Wir haben doch ten. keinen Maskenball, oder? (Beifall bei der CDU/CSU) - (Beifall bei der CDU/CSU — Bueb [GRÜ Ich wende mich den Kriegsopfern zu. Wir haben NE]: Doch, bei Ihnen!) sie von besonderen Sparmaßnahmen ausgenom- — Also, Herr Bueb: Boutiquebesitzer bleib bei dei- men. Wir haben die Ausgleichsrenten erhöht. 15 000 nen Klamotten, kann ich nur sagen. Schwerbehinderte erhalten so höhere Leistungen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Zuruf des Wir haben den Berufsschadensausgleich erhöht. Abg. Bueb [GRÜNE]) Auf diese Weise erhalten 200 000 Versorgungsbe- rechtigte höhere Leistungen. Für 700 000 ältere — Wenn es in Ihrem Geschäft so zugeht, wie Sie Menschen haben wir die Kapitalabfindung der heute morgen geredet haben, dann müssen die Grundrente verbessert. Wir haben die orthopädi- Leute noch Geld mitbringen, die bei Ihnen arbei- sche Versorgung angehoben. Davon werden 100 000 ten. Personen betroffen. (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU) Wir sind nicht am Ende dieses Weges. Aber auch Sie müssen dem Käufer noch Geld geben. hier gab es keinen Stillstand. Auch ich will die Gele- genheit nutzen, den Kriegsopfern unseren großen (Bueb [GRÜNE]: Ich kann Ihnen ja mal Respekt und den Kriegsopferverbänden unseren einen Katalog geben!) großen Dank zu sagen für ihren Dienst im Sozial- Aber lassen wir es beiseite. staat. (Zuruf des Abg. Bueb [GRÜNE]) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich komme auf den ernsthaften Teil der Politik Mein letzter Punkt betrifft das Eigentum in Ar- zurück, und dazu zählt Herr Bueb nicht, mit Ver- beitnehmerhand. Soziale Sicherheit, meine Damen laub gesagt. 700 000 Mütter werden auch nach dem und Herren, ist ein hohes Gut des Sozialstaats. Aber neuen Gesetzentwurf der SPD ausgeschlossen, und nirgendwo steht geschrieben, sie sei lediglich eine zwar nicht stufenweise, sondern endgültig ausge- staatliche oder kollektive Aufgabe. In einer mündi- schlossen: die Witwe eines Beamten, die Kioskbesit- gen Gesellschaft tritt Eigenvorsorge neben die all- zerin, die selbständig ist, 700 000 Mütter endgültig gemeine öffentliche Sicherung. Das bevorzugte In- ausgeschlossen. Was wollen Sie uns da Vorschriften strument der Eigenvorsorge ist das Eigentum. Ei- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19443

Bundesminister Dr. Blüm gentum in unserem Verständnis ist nicht die Spe- das bleiben die Aufgaben unseres Sozialstaates. Für zialität von Kapitalisten, sondern ein Recht der Ar- selbstzufriedene Behäbigkeit gibt es ebensowenig beitnehmer. Grund wie für neumodische Katastrophenstim- Wir schlagen mit dem Eigentum in Arbeitneh- mung. merhand sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe. (Zuruf von der SPD: Sagen Sie das doch Eigentum für alle ist die Überwindung des Kapital- dem Herrn Dregger!) ismus und die Überwindung des Sozialismus. Wir nehmen die Herausforderung an. Zu Ihrer Be- (Beifall bei der CDU/CSU) wältigung bedarf es der Anstrengung aller und der Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Arbeit- Der Kapitalismus führt dazu, daß nur wenige Ei- gebern, Parteien und Regierungen. gentum besitzen, und der Sozialismus legt es darauf an, daß niemand Eigentum erwirbt. Weder wenige Meine Damen und Herren, wir leben zwar nicht noch niemand, sondern Eigentum für alle — das ist in der besten aller denkbaren Welten, aber mit Si- unser Programm. cherheit im besten aller Staaten, die unsere Ge- schichte kannte. Unser Sozialstaat hat einen hohen (Zustimmung bei der CDU/CSU) Standard, und dennoch: Unser Sozialstaat ist ver- Die Bürger sollen nicht nur Arbeitnehmer, son- besserungswürdig und verbesserungsfähig. dern auch Kapitalgeber sein. Wir haben in zwei gro- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und ßen Schritten die Vermögensbildung in Arbeitneh- der FDP) merhand verbessert. Inzwischen haben 1,1 Millio- nen Arbeitnehmer 14,2 Milliarden DM Beteiligungs- kapital. 1983 waren es 770 000, also etwas mehr als Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat die Abge- die Hälfte. Die Höhe des Beteiligungskapitals lag ordnete Frau Fuchs. 1983 unter der Hälfte, nämlich bei 5,5 Milliarden (Vorsitz : Vizepräsident Stücklen) DM. Meine Damen und Herren, sozialpolitische Alter- (Köln) (SPD): Herr Präsident! Meine nativen haben nicht nur etwas mit Mark und Pfen- Frau Fuchs nig zu tun; da wäre die Sozialpolitik zu klein gerech- Damen und Herren! Auch mir liegt daran, im Na- net. Auch die Sozialpolitik muß eine Antwort auf men der SPD-Bundestagsfraktion unserem Kolle- noch einmal sehr herzlich für die Frage geben: Wie soll die Welt von morgen aus- gen Eugen Glombig sehen? Welche Gesellschaft wollen wir unseren seine ausgezeichnete Rede hier heute morgen zu danken Kindern hinterlassen? (Beifall bei der SPD) Ich wünsche mir nicht die Gesellschaft, in der die Langeweile einer perfekt verwalteten Gesellschaft und Dank zu sagen für das, was er für die Arbeit- herrscht und in der die Menschen neben ihrem nehmerschaft und ihre Familien, für die sozialen eigenen Willen auch ihre Freiheit verloren haben. Sicherungssysteme in diesem Lande in seiner poli- Ich wünsche mir allerdings auch nicht eine Welt, in tischen Tätigkeit getan hat. Ich sage Ihnen: Wenn der Menschen vergessen werden. Sie meinen, Eugen Glombig geht in den Ruhestand,- so haben Sie sich geirrt. Wir werden dafür sorgen, Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der die Feh- daß wir seinen Sachverstand und sein Engagement ler des Individualismus wie des Kollektivismus für unsere politische Arbeit weiter einsetzen kön- überwunden sind; denn Kapitalismus und Sozialis- nen. mus bedeuten nur die Wahl zwischen zwei Einsam- keiten. Der Individualismus übersieht den Näch- (Beifall bei der SPD) sten, und der Kollektivismus weiß gar nicht, daß es Sein Engagement heute morgen hat nun aller- den einzelnen geben kann, der einsam ist. dings die Folge, daß meine Redezeit fast gleich Null Zwischen Kapitalismus und Sozialismus liegt die ist. Deswegen will ich nur einige Bemerkungen ma- Gesellschaft, die wir wünschen. Der Staat darf und chen. der einzelne kann nicht alles. Deshalb muß die Ba- Die Arbeitnehmer sind sehr verärgert: Von ihrem lance zwischen Eigen- und Mitverantwortung im- Weihnachtsgeld werden ihnen so viele Steuern und mer neu eingependelt werden. Wir brauchen ein Sozialversicherungsbeiträge abgenommen, daß neues Gleichgewicht zwischen Eigen- und Mitver- mehr als die Hälfte des Weihnachtsgeldes weg ist; antwortung. und das ist nicht Zufall, meine Damen und Herren, Es gibt auch Not in unserem Sozialstaat, aber ein denn das ist vor zwei Jahren eingeführt worden. Im Massenelend gibt es nicht. Wir zählen zu den Bes- selben Jahr, in dem die Zwangsanleihe den Besser- sergestellten dieser Erde. Wir leben geradezu auf verdienenden zurückgezahlt wurde, wurde das einer Insel des Wohlstands in einem Weltmeer des Weihnachtsgeld sozialversicherungspflichtig. Das Elends. Manche Diskussion — auch in diesem Haus ist Stoltenbergs Politik. — muß auf die Armen der Erde wie das Gezänk (Beifall bei der SPD) saturierter Privilegierter wirken. Unsere Solidarität Dieser Finanzminister hat so viele Schulden ge- mit den Armen der Welt ersetzt nicht die Anstren- macht wie noch kein Finanzminister zuvor. gungen für die Gerechtigkeit im eigenen Lande. So will ich das nicht verstanden haben. Aber sie relati- (Zustimmung bei der SPD) viert manche Aufregung. Arbeit für alle, Schutz un- Dieser Finanzminister hat die höchste Lohnsteuer serer Umwelt, Erhaltung der sozialen Sicherheit, belastung der Arbeitnehmer veranlaßt, die wir je 19444 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Frau Fuchs (Köln) hatten. Diesem Finanzminister haben wir es zu ver- 1986 werden wir gerade wieder so viele Erwerbstä- danken, daß wir die höchsten Beiträge in der Sozial- tige haben, wie wir Ende 1982 gehabt haben. versicherung haben, und die Beiträge zur Kranken- (Beifall bei der SPD) versicherung werden im nächsten Jahr noch einmal angehoben. Dieser Finanzminister verspricht — Deswegen bleibt es dabei, meine Damen und Her-- ohne die Fragen zu beantworten: Welche Aufgaben ren: Sie, Herr Arbeitsminister, finden sich mit der hat der Staat? Welches Geld brauche ich dafür? — Massenarbeitslosigkeit, mit der Arbeitslosigkeit Steuerentlastungen um Milliardenbeträge, die wie- von über 2 Millionen registrierten Menschen, bis in derum denen zugute kommen sollen, die mehr als die 90er Jahre hinein ab. 5 000 DM im Monat verdienen. Alle anderen gehen (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch leer aus, meine Damen und Herren. nicht!) (Beifall bei der SPD) Sie versperren jungen Menschen den Weg ins Ar- Er will diese Entlastung finanzieren, indem er die beitsleben, und Sie beschädigen das Sozialstaatsge- Mehrwertsteuer erhöht. Die Verbraucher werden bot des Grundgesetzes, wenn Sie sich weigern, je- also die Zeche zu zahlen haben. dem die Chance zu geben, durch Arbeit seinen Le- (Zuruf von der SPD: Das ist unerhört!) bensunterhalt zu verdienen. Wenn das nicht reicht, will er die Steuerentlastung (Beifall bei der SPD) durch Kreditaufnahme finanzieren. Sie sprechen von den niedrigen Preissteigerungs- (Zuruf von der SPD: Schuldenminister!) raten. Niedrige Preissteigerungsraten sind gut. Niedrige Preissteigerungsraten kommen der ge- Man höre und staune: Staatsverschuldung zur Fi- samten Bevölkerung zugute. Niedrige Preissteige- nanzierung von Steuerentlastungen für Einkom- rungsraten geben doch den Spielraum, für mehr men ab 5 000 DM! Er will auch Subventionen ab- und nicht für weniger Gerechtigkeit zu sorgen. Ja, bauen. Das klingt ja ganz mutig, aber die ersten wir sind ein reiches Land. Die Unternehmerge- Subventionen, die er abbauen will, betreffen die ar- winne steigen. Jährlich gibt es einen Kapitalexport beitenden Menschen durch Steuerpflichtigkeit von in die USA in Milliardenhöhe. Überstunden und Schichtarbeitszuschlägen. Das ist die Stoltenbergsche Politik. Ja, wir haben niedrige Preissteigerungsraten. Aber, meine Damen und Herren, die niedrigen (Beifall bei der SPD) Preissteigerungsraten sind doch kein Grund, den Und der Bundesminister für Arbeit und Sozial- Frauen, die vor 1920 geboren sind, kein Babyjahr ordnung, meine Damen und Herren? Er verhält sich anzuerkennen! bei dieser Debatte wie die drei Affen, die in Japan (Beifall bei der SPD) Unglücksmenschen vor dem Zorn der Götter schüt- zen sollten: nichts sehen, nichts hören, nichts reden. Die niedrigen Preissteigerungsraten sind doch kein Dabei wäre es seine Pflicht, sich jetzt in die Steuer- Grund, eine Steuerentlastung erst bei einem Jah- debatte einzumischen, damit wir die Zukunftspro- reseinkommen von 60 000 DM anfangen zu lassen! bleme der sozialen Sicherungssysteme auch finan- (Beifall bei der SPD) ziell miteinander verkraften können. (Beifall bei der SPD) Die niedrigen Preissteigerungsraten sind doch kein Grund, knackigen Offizieren eine Frühpension zu Aber Probleme haben in der heilen Welt des Nor- geben, bert Blüm keinen Platz; er macht hier ein Showge- schäft. (Sehr gut! bei der SPD) (Zustimmung bei der SPD) während die Trümmerfrauen vom Babyjahr ausge- schlossen werden! Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Karne- val ist j a ganz schön, aber ein Büttenredner als (Beifall bei der SPD) Arbeitsminister ist eine Zumutung für die arbeiten- Also: Niedrige Preissteigerungsraten kommen den Menschen in diesem Lande! ' der gesamten Bevölkerung zugute. Niedrige Preis- (Lebhafter Beifall bei der SPD) steigerungsraten sind um so mehr ein Grund, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Aber Sie, Herr Ar- Haben Sie gehört, daß er etwas dazu gesagt hat, beitsminister, haben die soziale Gerechtigkeit in wie er Arbeitslosigkeit bekämpfen will? den letzten vier Jahren mit Füßen getreten! (Rusche [GRÜNE]: Überhaupt nicht! — (Beifall bei der SPD — Dr. Rumpf [FDP]: Glombig [SPD]: Er will sie ja gar nicht be Kassandra im Schlaraffenland!) kämpfen, er tut doch nur so!) Ich mache das noch einmal an dem Beispiel deut- Haben Sie gehört, wie er es sich vorstellt, für über lich, wie Sie die Frauen in der Rentenpolitik behan- 2 Millionen Menschen Arbeit zu schaffen? delt haben: Sie rühmen die 60 %ige Hinterbliebe- (Rusche [GRÜNE]: Nein, auch nicht!) nenversorgung. Keine Frau bekommt nach dieser Reform der Hinterbliebenenversorgung auch nur Seine Sprache ist verräterisch. Er spricht nur noch einen Pfennig mehr! vom Zuwachs der Beschäftigung, und auch da macht er aus dem Floh einen Elefanten; denn Ende (Frau Steinhauer [SPD]: So ist das!) Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19445

Frau Fuchs (Köln) Die Frauen, die ein eigenes Einkommen haben oder Drittens. Die Sachverständigen erwarten, daß wir eine eigene gute Rente beziehen, müssen sich die im Jahre 1987 250 000 Beschäftigte mehr haben Hinterbliebenenrente auch noch auf ihr Einkom- werden. men anrechnen lassen. Das ist eine frauenfeindli- Viertens. Erst haben Sie gesagt, nur im Export sei che Reform geworden, Herr Bundesarbeitsminister! es ein bißchen besser. Dann haben Sie gesagt, es sei (Beifall bei der SPD) nur eine Investitionskonjunktur. Nun haben Sie mit Sie haben hunderttausend Frauen im Jahre 1986 uns gemeinsam die Feststellung zu treffen: Diese die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente wegge- Konjunktur ist erfreulicherweise auch auf den Kon- nommen und vertrösten sie mit schäbiger Argu- sum durchgeschlagen. mentation auf ein Altersruhegeld, das aber erst mit (Lutz [SPD]: Sie haben nicht zugehört!) 65 Jahren gezahlt wird. Meine Damen und Herren, die Summe Ihrer Pro- (Zustimmung bei der SPD) gnosen war so falsch, Und auch dabei bleibt es: Sie haben unseren An- (Lutz [SPD]: Ihre Zusammenfassung war trag abgelehnt, für 4 Millionen Frauen, die vor 1920 falscher!) geboren sind, im Jahre 1987 ein Babyjahr anzuer- kennen. daß ich mit Recht hier feststellen kann: Bleiben Sie bei den Prognosen. Wir bleiben bei den Erfolgen. (Beifall bei der SPD) Herzlichen Dank. Sie haben ein ungerechtes Kuckucksei ins Nest ge- legt. Sie diskriminieren die berufstätigen Frauen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die nach 1920 geboren sind; denn wer durchgängig erwerbstätig war und deswegen keine Versiche- rungslücke hat — so die Begründung —, bekommt Vizepräsident Stücklen: Meine Damen und Her- kein Babyjahr angerechnet. Das ist den berufstäti- ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich gen Frauen gegenüber ungerecht! Wer ausgeschie- schließe die Aussprache. den ist und freiwillige Beiträge gezahlt hat, be- Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst kommt auch kein Babyjahr angerechnet mit der über den Änderungantrag der Fraktion DIE GRÜ- Begründung, es seien keine Versicherungslücken NEN auf Drucksache 10/6486.*) Wer diesem Ände- entstanden. rungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich Dies fasse ich so zusammen: Ihr Babyjahr um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- schließt auf ungerechtfertigte und nicht vertretbare gen? — Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit Weise die Frauengeneration aus, die vor 1920 gebo- abgelehnt. ren ist. Sie haben unseren Antrag wiederholt abge- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzel- lehnt, und Sie haben eine diskriminierende Gesetz- plan 11. gebung in Gang gesetzt, die die Frauen benachtei- ligt, die im Erwerbsleben gewesen sind. Von daher Wer dem Einzelplan 11 — Geschäftsbereich des sage ich abschließend: Ihre Sozialpolitik ist eine So- Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung — zialpolitik ohne Kopf und Gefühl. Es wird Zeit, daß in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den wir eine vernünftige Sozialpolitik bekommen! bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 11 ist mit Mehr- (Lebhafter Beifall bei der SPD) heit angenommen.

Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- geordnete Cronenberg. Ich rufe auf: Einzelplan 15 Cronenberg (Arnsberg) (FDP): Herr Präsident! Geschäftsbereich des Bundesministers für Meine Damen und Herren! Meine Zeit ist zu kurz, Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit um die Rede meiner Vorrednerin zu bewerten. Aber — Drucksachen 10/6315, 10/6331 — spürbar war aus Ihrer Rede, Frau Kollegin Fuchs, Berichterstatter: die Verärgerung darüber, daß die Koalition in so Abgeordnete Rossmanith kurzer Zeit mit so einfachen Mitteln, die wir Ihnen Waltemathe schon 1982 vorgeschlagen hatten, den Laden wieder Dr. Müller (Bremen) in Ordnung gebracht hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6561 vor. Frau Kollegin, ich stelle folgendes fest, was die Be- schäftigung anlangt: Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- rung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Erstens. Ihre Prognose, wir müßten jetzt minde- Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einver- stens 3 Millionen Arbeitslose haben, war falsch. standen? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so (Lutz [SPD]: Das haben wir!) beschlossen. Zweitens. Wir haben 600 000 Beschäftigte mehr Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der als 1982, mehr Beitragszahler, mehr Menschen, die Herr Abgeordnete Waltemathe. in Arbeit stehen. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Nein! Falsch!) *) Erklärung des Abg. Lutz Anlage 2 19446 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Waltemathe (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Beitrag, Frau Süssmuth, für familienpolitische Ziele verehrten Damen und Herren! Bei einer Haushalts- und Ziele sozialer Gerechtigkeit? debatte würde es naheliegen, über Zahlen zu reden. (Beifall bei der SPD) Darauf möchte ich weitgehend verzichten und statt dessen über die politischen Inhalte sprechen. Nehmen wir das Erziehungsgeld hinzu, jenes Mu-- sterbeispiel an bürokratischer Kompliziertheit. Im vergangenen Jahr hatte ich, Frau Bundesmi- Warum gibt es eigentlich keine Änderung im Sinne nisterin, namens der SPD-Fraktion zugesagt, daß eines Elternschaftsurlaubsgesetzes, mit dem auch wir Sie fair behandeln würden, daß wir Ihnen Ein- Rücksicht genommen wird auf den Einkommens- arbeitungszeit gönnen würden und daß wir Sie im verlust einer Familie, in welcher ein Elternteil we- übrigen nicht an Ihren Worten, sondern an Ihren gen der Kindeserziehung vorübergehend auf be- Taten messen würden. zahlte Berufstätigkeit verzichtet? Wo bleiben also (Schlottmann [CDU/CSU]: Die waren gut!) Ihre Initiativen, Ihr Engagement, Ihre Kompetenz, Ihre Leistungen, wenn Sie zulassen, daß die Fami- Immerhin, es gab ja auch bei uns die Hoffnung, daß lien schrittweise von der Wohlstandsentwicklung der Wechsel im Ministeramt vom Generalsekretär abgehängt werden? der CDU, den ich mit niemandem vergleichen will, da er bekanntlich unvergleichlich ist, zu Ihnen, (Beifall bei der SPD) Frau Süssmuth, eine neue Politik für die Jugend, Der Sozialbericht der Bundesregierung — also für die Familien, für die Frauen, für Gesundheit ein unverdächtiger Zeuge — beweist, daß, gemessen bedeuten könnte. Nun ist aber der Haushalt 1987 am Bruttosozialprodukt, die jetzige Bundesregie- voll von Ihnen zu vertreten. Jetzt müssen wir doch rung weniger für die Familie aufwendet und bis wohl fragen, ob sich daraus tatsächlich eine neue, zum Jahre 1990 weniger aufwenden wird als die eine andere, eine bessere Politik ablesen läßt. sozial-liberale Regierung im Jahre 1981. Beginnen wir mit jenem Teil der Familienpolitik, (Widerspruch bei der CDU/CSU — Frau der aus der Kindergeldgesetzgebung abgelesen Fuchs [Köln] [SPD]: Das hören sie nicht werden kann. Der Anteil des direkt aus der Bundes- gern, aber das stimmt!) kasse gezahlten Bundeskindergeldes sinkt von Jahr zu Jahr. Wo sehen Sie also die epochale politische Wende für die Familie, die uns Ihre Regierung seit 1982 Jahr (Hört! Hört! bei der SPD) für Jahr aufs neue verspricht? Der Geburtenrückgang wird nicht dazu genutzt — (Beifall bei der SPD) obwohl das immer von der CDU/CSU gefordert wor- den ist —, die familienpolitischen Leistungen zu Im Verlaufe dieses Jahres wurden Sie nun mit verbessern. Was dagegen ansteigt, sind die Steuer- einem zusätzlichen Titel dekoriert. Die Köpfe Ihrer ausfälle aus den ungerechten Freibeträgen. Für Briefe und die Schilder an Ihrem Dienstgebäude diese Bundesregierung ist nicht jedes Kind gleich. weisen aus, daß Sie nunmehr auch Ministerin für Insoweit ist die Politik, die von der Familienmini- Frauen sind. Man sollte meinen, daß jemand wie sterin zu vertreten ist, ein Symbol der Ungerechtig- Sie, die Sie ja das Institut „Frau und Gesellschaft" keit. in Hannover beruflich betreut haben, nun die ge- sellschaftlichen Probleme auch anpackt. Wenn ich (Beifall bei der SPD) mir ansehe, was bisher geschehen ist und was nach Denn nach dem Motto „Leistung muß sich wieder Ihrem eigenen Haushaltsentwurf 1987 geschehen lohnen", ist das Aufziehen von Kindern offenbar soll, kann ich nur feststellen, daß zwar einige For- nur dann eine große Leistung, wenn die Eltern über schungsvorhaben mehr, zusätzlich durchgeführt das höhere Einkommen verfügen. werden sollen, daß aber auch bisher schon Wissen vorliegt und auch schon längst Forschungsergeb- (Beifall bei der SPD) nisse bekannt sind, aus denen keinerlei Konsequen- Da ist es berechtigt, zu fragen, ob nicht Johannes zen für Gesetzgebung und Gesellschaftspolitik ge- Rau recht hat, zogen werden. (Schlottmann [CDU/CSU]: Der kürzt im Mit anderen Worten: Was sind Sie denn nun? Be- mer!) auftragte, Pressereferentin für Frauenforschung wenn er immer wieder die Frage stellt, weshalb (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Höchstens!) denn eigentlich er für seine drei Kinder steuerlich oder Propagandistin für Frauenfragen oder aber zweieinhalbmal soviel Geld vom Staat bekommt tatsächlich Mitglied eines Bundeskabinetts mit der wie die Serviererin mit drei Kindern oder die ar- Kompetenz, eigene Initiativen einzubringen oder beitslose Sekretärin mit drei Kindern. anderen Kabinettsmitgliedern in die Parade zu fah- (Schlottmann [CDU/CSU]: Er kürzt die Fa ren, wenn deren Gesetzesvorlagen frauenpolitisch die bisherigen gesellschaftlichen Verhältnisse kon- milienleistungen in Nordrhein-Westfalen!) servieren und zementieren? Haben Sie denn etwas Die steuerlichen Kinderfreibeträge sollen offen- gegen die Benachteiligung von Mädchen und bar mithelfen, den Wohlstand dieses unseres Lan- Frauen bei Bildung, Ausbildung und Berufschancen des wie gehabt neu zu verteilen, nämlich von unten unternommen? Haben Sie gegenüber Finanzmini- nach oben. Wo bleibt da nun Ihre neue Politik für ster und Arbeitsminister Ihr Veto eingelegt, damit die Familie? Wo ist in der Steuergesetzgebung Ihr die schändliche Ungerechtigkeit nicht eintritt, daß Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19447

Waltemathe diejenigen Mütter, die älter als 65 Jahre sind, die Hier haben Sie unsere Unterstützung. Leider man- Leistung von Kindererziehung in der Rente nicht gelt es darüber hinaus an eigenen Initiativen aus berücksichtigt bekommen? Ihrem Hause. Es waren erneut die sonst so sparsa- men Mitglieder des Haushaltsausschusses aller (Beifall bei der SPD — Dolata [CDU/CSU]: Fraktionen, die dafür sorgten, daß die Mittelansätze - Sie haben wohl nicht zugehört bei Herrn für weitere Forschungs-, Aufklärungs- und Modell- Blüm!) maßnahmen im Bereich AIDS gegenüber dem Re- Was erklären Sie eigentlich der 70- oder der 80jähri- gierungsentwurf erhöht wurden, gen, weshalb sie von einer bescheidenen Renten- (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Sehr wahr!) aufbesserung um 25 DM pro Kind ausgeschlossen wird, das sie in schwersten Zeiten aufgezogen hat? weil Sie sich gegenüber dem Finanzminister offen- bar nicht haben durchsetzen können. Dabei handelt (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: O heilige Mutter es sich nicht um Beträge, die den Bundeshaushalt Anna!) sprengen: einige Millionen. — Die Dame heißt Rita. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Aber da hätte Sie sind angeblich auch Bundesministerin für sie sich einmal anstrengen müssen!) Gesundheit. Gesundheitspolitik findet bei dieser Auch das Thema „Arzt im Praktikum" und seine Bundesregierung kaum statt und in dem Ministe- Leidensgeschichte beweist fachliche Inkompetenz rium, das den entsprechenden Namen trägt, fast und starrsinnige Rechthaberei mit falschen und wi- überhaupt nicht. dersinnigen Lösungsansätzen. (Beifall bei der SPD — Schlottmann [CDU/ Frau Minister, ganz persönlich bin ich — aber CSU]: Der hat überhaupt keine Ahnung! nicht nur ich — doch zutiefst enttäuscht darüber, Der war genau einmal im Ausschuß!) wie mit der Entschließung des Deutschen Bundes- Eine Reform der Struktur des Gesundheitswe- tages vom 26. Juni dieses Jahres zur Frage der Ent- sens steht ins Haus. Wo sind die Vorschläge Ihres schädigung von NS-Unrecht umgegangen wurde. Ministeriums dazu, Der von diesem Parlament geforderte Bericht war als Arbeitsgrundlage und nicht als Abschlußdoku- (Schlottmann [CDU/CSU]: Da müssen Sie ment gedacht. Nun ist Verzögerung schon eine Stra- einmal in den Ausschuß kommen, dann er tegie der Drückeberger. Die Zusammenstellung des fahren Sie so etwas!) Berichts, für den Sie die Federführung übertragen mit denen deutlich würde, daß Gesundheitspolitik bekommen haben, wurde in Ihrem Hause erst sechs mehr sein muß als eine reine Krankenversiche- Wochen nach dem Bundestagsbeschluß überhaupt rungspolitik? eingeleitet. Nun haben wir den Bericht vor rund drei Wochen erhalten. Er spricht die kalte Sprache Große Gesundheitsgefährdungen gehen bekannt- der Finanzbürokratie, und er wird nicht geprägt lich von Umweltschäden aus. Damit Sie sich Frau- von Menschlichkeit und Mitgefühl. Da genügt es enministerin nennen dürfen, wurden Ihnen wich- nicht, wenn Sie im Bundestag vor 14 Tagen nach- tige Kompetenzen in den Bereichen der Strahlen- träglich Beanstandungen an einzelnen Formulie- hygiene, der Rückstände von Schadstoffen und rungen vorbringen. Es käme darauf an, daß Sie sich Chemikalien in Lebensmitteln weggenommen. auch ganz persönlich für vergessene Opfer, z. B. die Nach Tschernobyl haben sich sehr viele Frauen an Betroffenen der Erbgesundheitsgesetzgebung oder Sie persönlich und an Ihr Ministerium gewandt. Sie medizinischer Experimente an lebenden Menschen hörten aber lange Zeit überhaupt nichts und beka- in der Nazi-Zeit, engagieren. men dann zu ihrem Erstaunen eine späte Antwort aus dem Hause Wallmann. Probleme von Gesund- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) heit und Ernährung werden gerade von Frauen aus Auch dabei bitte keine finanzpolitischen Argumen- Sorge um das Wohl der Kinder und der Familie und te! Es geht nicht um Milliarden, sondern es geht um der richtigen Vorsorge hervorgehoben. Sie haben 250 Millionen DM, von denen die Hälfte von Bun- Anspruch darauf, eine kompetente Antwort auf in desländern aufgebracht werden soll. Wo ist dort Ihr diesem Zusammenhang gestellte Fragen zu erhal- Engagement, um beispielsweise den vom Berliner ten. Lebensmittelskandale gab es schon mehr als Abgeordnetenhaus einstimmig verabschiedeten An- genug: bei Wein, bei Nudeln, bei Gefrierfleisch, bei trag in die Tat umzusetzen, um doch noch den Op- Miesmuscheln usw. Wo sind in Ihrem Ministerium fern des Nazi-Unrechts, die bislang einfach verges- daraus Konsequenzen gezogen worden? sen wurden, zu einer sehr späten Gerechtigkeit zu (Dolata [CDU/CSU]: Sie sollten sich von Ih verhelfen? ren Ausschußkollegen informieren las (Zuruf von der SPD: Das paßt ihr nicht in sen!) die PR-Arbeit!) Ein anderes gesundheitspolitisches Thema ist Sie sind Ministerin für die Jugend. Der Bundes- Hier will ich aus- das Problem der AIDS-Krankheit. jugendplan ist ein gewichtiges Instrument, um poli- drücklich lobend hervorheben und anerkennen, daß tische, um soziale, um gesellschaftliche Arbeit von Sie sich deutlich gegen eine Pflicht zur Meldung Jugendlichen, mit Jugendlichen und für Jugendli- von AIDS-Kranken aussprechen. che fördernd zu unterstützen und Freundschaft mit (Zustimmung bei der SPD und den GRÜ der Jugend vieler Länder dieser Welt zu ermögli- NEN) chen. Die Bundesgelder für diese Arbeit sind seit 19448 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Waltemathe Jahren kaum angehoben worden, obwohl die ver- denn aufrechterhalten werden sollen, wenn infolge gleichbaren Kosten gestiegen sind. Nun ist zudem des Geburtenrückganges in den 70er Jahren in den auch noch vorweg eine Sperre auf sämtliche Haus- 90er Jahren demnächst nur noch zwei Drittel oder haltstitel gelegt worden, die den Zuwendungsemp- noch weniger Zivildienstplätze tatsächlich besetzt fängern, also in diesem Falle auch den Jugendver- werden können. bänden, zugute kommen sollten. In Wahrheit findet Zusammenfassend bin ich leider zu der Feststel- also eine Kürzung der Mittel statt. Damit müssen lung gezwungen, daß Frau Süssmuth zwar zur wichtige Aktivitäten eingeschränkt werden, und Frauenministerin befördert wurde, ohne dafür neue das bedeutet Gängelung freier Jugendarbeit mit fi- tatsächliche Kompetenzen zu erhalten, daß Sie nanzpolitischen Tricks. aber an anderer Stelle Ihres Hauses an Kompetenz Ich möchte auch an das Schicksal des Berichts eingebüßt haben. der Enquete-Kommission des Deutschen Bundesta- (Zuruf von der CDU/CSU: 18 Stellen ges "Jugendprotest im demokratischen Staat" erin- mehr!) nern. Obwohl zu einem großen Teil einstimmige Empfehlungen für neue Perspektiven in der Ju- Auch wir Sozialdemokraten hören und lesen Ihre gendpolitik vorliegen, wurden keine entsprechen- Reden und Interviews, teilweise jedenfalls, ganz den Konsequenzen gezogen, sondern vier Jahre gerne. Wir entdecken aber in der tatsächlichen Poli- lang selbstgefällig alle guten Ansätze verhindert. tik nirgendwo Ihre Handschrift und Leistungsbe- reitschaft. Sie können auch weiterhin schöne Bro- (Beifall bei der SPD) schüren herausgeben und bedeutende Beiträge in Neben den Verschlechterungen beim Jugendar- Talk-Shows liefern. Leider haben Sie offensichtlich beitsschutz, in der Bildungsförderung und bei Ar- am Regierungstisch nichts zu sagen. beits- und Ausbildungschancen ist auch nicht zu (Beifall bei der SPD) erkennen, daß die Jugendministerin die Umgestal- tung der Jugendvertretungen nach Betriebsverfas- Es wäre sehr ehrenvoll und süß, Mut zu haben, auch sungsrecht in Ausbildungsvertretungen verlangt einmal am Kabinettstisch das Wort zu ergreifen und durchsetzt, obwohl es sich um eine einstimmige und etwas durchzusetzen. Empfehlung des Enquete-Ausschusses handelt. (Beifall bei der SPD) Schließlich noch ein Thema, von dem ausschließ- Aber offensichtlich ist daran bei dem aus Propagan- lich Männer betroffen sind. Sie sind verantwortlich dagründen mit neuem Etikett versehenen Ministe- für den Zivildienst. Warum haben Sie eigentlich zu- rium gar nicht gedacht. gelassen, daß Zivildienstleistende nach dem neuen Wehrsoldgesetz benachteiligt werden? (Zuruf von der CDU/CSU: Schwache Kri- tik!) (Beifall bei der SPD — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Trauriges Kapitel!) Deshalb hat sich an der falschen Politik auch nichts geändert. Obwohl Zivildienstleistende einen um ein Drittel längeren Dienst als Bundeswehrsoldaten tun müs- Obwohl die Zusammenarbeit mit Ihnen persön- sen, lich und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses, denen ich dafür ausdrücklich danken (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist schon möchte — ich bitte Sie, diesen Dank tatsächlich zu Unrecht!) übermitteln —, sehr angenehm und kollegial gewe- sollen sie beim Entlassungsgeld nur in gleicher sen ist, wird es sicherlich nicht in Erstaunen verset- Höhe wie Bundeswehrsoldaten abgefunden wer- zen, daß wir den Haushaltsplan für Ihr Ministerium den. ablehnen werden. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Unglaublich!) (Beifall bei der SPD — Dr. Bötsch [CDU/- Obwohl sie demnächst zwei Jahre lang zum Dienst CSU]: Das ist aber überraschend!) herangezogen werden, sollen viele von ihnen nur in einem dieser beiden Jahre das Weihnachtsgeld, den 13. Sold, erhalten. Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- (Zurufe von der SPD: Schäbig!) geordnete Rossmanith. Diese Regierungsvorlage hätte doch wohl von Ih- nen beeinflußt werden müssen, wenn Ihnen die Ih- nen Anvertrauten wirklich am Herzen lägen. Rossmanith (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt (Beifall bei der SPD) des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Darüber hinaus fehlt es in Ihrem Hause an einer Frauen und Gesundheit für das Jahr 1987, der eine Zukunftsplanung für den Zivildienst; denn wird zur Steigerungsquote von 4,2 % aufweist — das heißt: es Zeit die Zahl der Zivildienstleistenden bei Ihnen zu sind jetzt knapp 19 Milliarden DM in diesem Haus- niedrig angesetzt mit der Folge, daß die tatsächlich halt zusammengefaßt — und der damit deutlich entstehende Mehrarbeit für die Betreuung der tat- über dem Anstieg des Gesamthaushaltes von etwa sächlich mehr Dienstleistenden personell nicht auf- 1,9 % liegt, zeigt meines Erachtens geradezu bei- gefangen werden kann, so ist auf der anderen Seite spielhaft, daß diese Regierung und die sie tragen- auch keine Vorsorge getroffen, wie soziale Dienste den Fraktionen der Familie, als der wichtigsten Le- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19449

Rossmanith bensgemeinschaft in Gesellschaft und Staat, eine einer Schuldenbilanz von mehr als 300 Milliarden besondere Bedeutung zukommen lassen. DM übernehmen mußten, war und ist logischer- weise nicht alles sofort machbar. Aber was wir tun (Sielaff [SPD]: Das glauben Sie doch selbst müssen, ist, die Familie weiter steuerlich zu entla- nicht!) sten, Wir sind der Meinung — und dies drückt sich ja (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Auch die Allein- auch in den Haushaltszahlen aus — daß die Förde- erziehenden?) rung der Familie, auch der Teilfamilie, die wirksam- ste Form der Sozialpolitik ist, weil die Familie uner- das Kindergeld für einkommensschwache Familien setzbare Leistungen für die Gesellschaft erbringt und für Mehrkinderfamilien weiterhin zu erhöhen. und die Grundlage für die besten Lebensbedingun- (Walther [SPD]: Wann findet das statt?) gen des einzelnen schafft. Wir werden den Erziehungsurlaub mit Erziehungs- Wir haben mit einer neuen Struktur des Lasten- geld weiter verlängern. ausgleiches den Familien wieder den entsprechen- den Rückhalt gegeben. Wir haben das höchste fi- (Walther [SPD]: Wann findet das statt?) nanzielle Niveau seit Bestehen der Bundesrepublik — Lieber Kollege Walther, sobald die Staatsfinan- Deutschland im familienpolitischen Teil. Ich bin zen es zulassen. gerne bereit, noch einmal aufzuzählen, was wir al- les in dieser relativ kurzen Zeit — es sind ja erst (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Vor der Steuer- vier Jahre — geleistet haben. entlastung oder danach? — Lachen und weitere Zurufe von der SPD — Zuruf von (Frau Wagner [GRÜNE]: Lieber nicht!) der CDU/CSU: Sie haben doch gar nichts — Das wollen Sie nicht hören, das ist mir schon getan!) klar. — Frau Fuchs, hätten Sie uns nicht diesen Schul- Erstens Erziehungsgeld von 600 DM während der denberg hinterlassen ersten zehn Monate und ab 1988 für ein ganzes (Widerspruch bei der SPD) Jahr; — der belastet uns ja Jahr für Jahr mit mehr als zweitens Erziehungsurlaub für die Mutter oder 30 Milliarden DM, die allein an Zinsen zu zahlen den Vater während der Zahlung des Erziehungsgel- sind —, dann könnten wir diese Maßnahmen jetzt des; schon durchführen. (Frau Wagner [GRÜNE]: Für 600 DM!) (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Und was ma- drittens Anrechnung eines Erziehungsjahres in chen Sie jetzt?) der Rentenversicherung für jedes Kind, das summa Und ich nenne Ihnen noch eine weitere Maßnah- summarum etwa 25 DM Rentensteigerung pro Kind me: Wir wollen — das ist unser Weg, und das haben und pro Monat ausmacht; wir nach wie vor als Zielsetzung mit in unseren (Vogel [München] [GRÜNE]: Es kommt Vorschlägen — auch das Erziehungsjahr auf meh- darauf an, wann die Frau geboren ist!) rere Jahre ausweiten. Dieses eine Jahr ist nur ein- mal der Einstieg. Sobald die Finanzen das zulassen, viertens haben wir die Ausbildungsfreibeträge werden wir es, wie gesagt, um weitere Jahre auf- für die Kinder wesentlich angehoben; stocken. fünftens haben wir die Kinderfreibeträge von (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Was macht 432 DM auf 2 484 DM je Kind erhöht, was bei einem denn Herr Rau? Er tut gar nichts! — Wei- durchschnittlichen Jahresverdienst von knapp tere Zurufe von der CDU/CSU) 40 000 DM eine Steuerersparnis für eine Familie mit zwei Kindern von über 1 000 DM — exakt: 1 092 — Auf Herrn Rau komme ich schon noch zu spre- DM — ausmacht, was sie weniger an Steuern zahlt, chen. — Wir werden die Belastung der Familien was sie mehr an Geld in der Tasche hat; mindern und die Familienberatung verstärken, die Sie ja sehr stark vernachlässigt haben. sechstens haben wir die Kindergeldzuschläge bis Wir werden auch ganz wesentlich darauf hinwir- zu 46 DM je Kind und Monat eingebracht. ken, daß wir für den Schutz des ungeborenen Le- Ich könnte diese Liste fortführen. Preisstabilität, bens tatsächlich eine wesentliche Verbesserung realer Einkommenszuwachs usw. wären hier zu herbeiführen. nennen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Wagner [GRÜNE]: So sehen Sie aus!) Wir werden, meine sehr verehrten Damen und Her- Die Probleme der sozialen Indikation, meine sehr ren, diesen Weg auch fortführen, auf ihm fortschrei- verehrten Damen und Herren, müssen wir überwin- ten, um eben die wirtschaftlichen Belastungen, die den. Es bedarf hier sicher sehr vieler Anstrengun- Kinder verursachen, für die Familien noch weiter gen. zu mildern. (Schlottmann [CDU/CSU]: Herr Rau ver- (Schlottmann [CDU/CSU]: Richtig!) weigert sich!) Ich möchte natürlich auch auf das eingehen, was Nur, ich bin der Meinung: In einem Land wie dem noch zu tun ist. In einem Haushalt, den wir mit unseren, in dem der Wohlstand trotz aller Unken- 19450 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Rossmanith rufe der SPD nicht nur Jahr für Jahr, sondern auch dent von Nordrhein-Westfalen zum Thema Famili- Tag für Tag zunimmt, enpolitik gemacht habe. (Frau Fuchs [Köln] [SPD] und Vogel [Mün (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Ausbildungs- chen] [GRÜNE]: Doch nicht für alle!) plätze!) - kann es nicht hingenommen werden, daß jährlich Johannes Rau hat in seinem Bundesland, für das j a mehr als 200 000 Kinder das Licht der Welt nicht primär er die Verantwortung trägt, zwischen 1980 erblicken dürfen. und 1985 bei den familienpolitischen Leistungen (Beifall bei der CDU/CSU — Vogel [Mün insgesamt 56,2 Millionen DM gestrichen. Das ist chen] [GRÜNE]: Das ist doch nicht eine seine Antwort zum Thema Familienpolitik. Frage von Wohlstand!) (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Unglaublich! Mehr als 80 % der Schwangerschaftsabbrüche wer- Unerhört ist so was! — Frau Fuchs [Köln] den in der Zwischenzeit mit der sogenannten sozia- [SPD]: Für Kindergärten wird viel mehr len Indikation begründet. ausgegeben!) (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Ich bin ge — Das hätten Sie jetzt nicht bringen dürfen. Sie spannt, was Frau Süssmuth dazu sagt!) haben die Beiträge der Familien gerade für die Kin- dergärten erhöht. Ich empfehle Ihnen, meine sehr verehrten Da- men und Herren von der SPD: Geben Sie doch end- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lich Ihren Widerstand gegen die Stiftung „Mutter Wen trifft das denn? Es trifft gerade die Familien und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" auf! mit mehr Kindern, die zwei, drei Kinder im Kinder- (Beifall bei der CDU/CSU) garten haben. Die haben diese Leistung zu tragen. Und da erlauben Sie sich jetzt noch diesen Zwi- Sorgen Sie vielmehr dafür, daß auch in den von schenruf. Ihnen regierten Ländern entsprechende Landesstif- tungen eingeführt werden. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Die trifft es nicht, Herr Kollege!) (Schlottmann [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Wir haben diese Mittel in diesem Haushalt und im Ich hätte Ihnen einen besseren Zwischenruf zuge- traut. kommenden Haushalt von 60 Millionen DM auf 80 Millionen DM erhöht. (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Bleiben (Zurufe von der SPD) Sie bei Bayern! Von Nordrhein-Westfalen verstehen Sie nichts!) — Ich wiederhole das gern. — Mehr als 60 000 Frauen haben diese Hilfen bisher in Anspruch ge- Wir haben die Familie aber nicht nur rein materiell nommen. in den Mittelpunkt unserer Politik gerückt. Die Bundesregierung hat j a mit dem Vierten Familien- (Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) bericht die Öffentlichkeit sehr wirksam auf die Fa- Ich glaube, einen besseren Beweis als diese mehr milie, vor allem die Mehr- Generationen- Familie, als 60 000 Frauen gibt es gar nicht; daß diese Maß- aufmerksam gemacht. Heute haben ja viele Kinder nahme, diese Einrichtung richtig war. und Jugendliche die Chance und das Glück, nicht nur ihre Großeltern, sondern auch ihre Urgroßel- (Beifall bei der CDU/CSU) tern zu erleben, von deren Erfahrungen zu profitie- Wenn der von mir ansonsten sehr geschätzte Kol- ren und voneinander zu lernen. lege Waltemathe hier von einem Rückgang der Lei- Wir haben nicht nur den materiellen Rahmen stungen im Familienbereich spricht, dann muß ich wieder geöffnet und erweitert, sondern wir haben sagen: Lieber Kollege Waltemathe, da muß bei Ih- die Familie auch ideell gestärkt, und dies zeigt deut- nen eine grobe Verwechslung vorliegen. Denn wir lich seine Wirkung. Ich erinnere Sie an die Untersu- im Bund haben ja, seit wir Regierungsverantwor- chung des EMNID-Instituts vom vorigen Jahr, laut tung tragen, die familienpolitischen Leistungen der über zwei Drittel aller jungen Menschen ihre weiter ausgeweitet, Zukunft wieder positiv und mit sehr viel Zuversicht (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das stimmt sehen. doch nicht! — Gilges [SPD]: Das ist nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wahr!) 1981 — das ist eine interessante Vergleichszahl während Sie in den Ländern, in denen Sie Regie- — lag der Prozentsatz der Jugendlichen, die gesagt rungsverantwortung tragen — Nordrhein-Westfa- haben, daß sie ihre Zukunft positiv sehen, deutlich len, Bremen, Hamburg; ich könnte die Litanei fort- unter 40 %. Diese positive Lebenseinstellung spie- führen und hier jetzt auch noch das Saarland nen- gelt sich auch darin, daß bei den jungen Menschen nen —, in familienpolitische Maßahmen ganz hart der Satz mehr und mehr Zustimmung findet: „Ich eingeschnitten haben. möchte Kinder haben und ein glückliches Familien- (Zustimmung bei der CDU/CSU — Wider leben führen." Wir haben den politischen Rahmen spruch bei der SPD) dafür gesetzt. Die Jugend ist auf diesem richtigen Jetzt komme ich gern auf den Zwischenruf von Weg. Paul Hoffacker zurück, was denn der Ministerpräsi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19451

Rossmanith Es zeigt für mich auch ganz deutlich, daß die jun- Lassen Sie mich zum Schluß auch noch den Zivil- gen Menschen die Aufgaben der Zukunft sehen, dienst ansprechen. Wir haben die Zahl der Zivil- sich ihnen stellen und auch bereit sind, Leistung zu dienstplätze mit 64 000 im Jahre 1987 gegenüber erbringen, statt, wie Sie es jahrelang gemacht ha- dem Jahr 1981 fast verdoppelt. Wir haben damit die ben, Leistung zu verteufeln oder sich Leistung ver- Voraussetzung geschaffen, daß jeder, der anerkann- - teufeln zu lassen, terweise aus Gewissensgründen den Wehrdienst (Schlottmann [CDU/CSU]: Kindergeld!) verweigert, umgehend seinen Ersatzdienst ablei- sten kann. Ich möchte deshalb auch an dieser Stelle und daß sie sich auch sozial wieder engagieren. einmal diesen jungen Zivildienstleistenden für ihre Daß wir diese Wende erreicht haben, wieder Ver- Arbeit danken und ihnen meinen Respekt ausspre- trauen geschaffen, Mißtrauen abgebaut haben, ist chen. für mich einer der größten Erfolge unserer Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Unsere Verfassung, das Grundgesetz für die Bun- Lachen bei der SPD) desrepublik Deutschland, sieht dieses Recht aus Gewissensgründen vor und macht es somit deutlich Der Erfolg stellt sich auch in der Eingliederung zur Ausnahme. Ich danke deshalb auch den vielen junger deutscher Aussiedler aus den deutschen Ost- jungen wehrpflichtigen Soldaten, die durch ihren gebieten und osteuropäischen Staaten sowie Zu- wanderer aus der DDR dar. In diesem Jahr werden Dienst den Frieden und unsere Freiheit sichern hel- es 65 000 solcher Bürger sein, die hier Aufnahme fen und somit auch einem Teil ihrer Altersgenossen finden und eingegliedert werden. Wir haben des- das Recht auf Wehrdienstverweigerung erst ermög- halb den Garantiefonds entsprechend ausgeweitet. lichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Natürlich ist das richtig, was Sie, Herr Waltema- the, gesagt haben, daß wir im gesundheitspoliti- Meinen Dank darf ich der Frau Minister, allen schen Bereich vor einer ständigen Herausforde- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihres Hauses rung stehen. Trotz eines hohen Standes unserer ku- sowie den nach- bzw. zugeordneten Behörden und rativen Medizin werden wir vor immer neue Pro- Institutionen aussprechen für die gute Zusammen- bleme gestellt. Ich erwähne nur beispielhaft die arbeit, für das, was wir gemeinsam erreichen konn- Krankheiten AIDS, Krebs und Mukoviszidose. ten. Ich möchte Ihnen, Frau Minister, zurufen: Wei- ter so! (Walther [SPD]: Was ist das?) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — Das denke ich mir, daß Sie das nicht wissen, weil Sie das nicht interessiert und weil Sie sich nicht darum kümmern. Es wäre vernünftiger, daß Sie Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat Frau Abge- sich damit erst einmal befassen, bevor Sie diesen ordnete Wagner. Einwurf machen. (Glos [CDU/CSU]: So ernst nehmen wir die Frau Wagner (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Da- Sorgen der Menschen!) men und Herren! Diese Regierung, die vorgibt, so kinderfreundlich zu sein, fördert die Institution Ehe Wir haben allein für Forschung und Aufklärung und hier vor allem die Hausfrauenehe und nicht die über AIDS — ich danke Ihnen, daß Sie das erwähnt Kinder. Von der haben — den Haushaltsansatz auf 20 Millionen DM Familienförderung sind über 60% ehebezogene Leistungen und haben mit Kindern ausgeweitet. Nur will ich hier das Ministerium inso- überhaupt nichts zu tun. 68% sind mit steuerlichen fern in Schutz nehmen, als — das zeigt sich gerade Vergünstigungen verbunden. Steuervergünstigun- bei AIDS — nach Aufstellung des Haushalts im gen, vor allem das Ehegattensplitting, haben jedoch Lauf des Jahres die eine oder andere Maßnahme den Effekt, daß sie gutverdienenden Ehemännern dringlich wurde. Das gilt gerade für den Bereich der mit nicht erwerbstätigen Frauen zugute kommen. Kindererkrankung und anderen Entwicklungen. Diese Maßnahmen waren einfach erforderlich. (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das kommt auch den anderen Frauen zugute, allen Wir, d. h. die Regierung, der Kanzler, haben ja Frauen!) auch das Ministerium um das Frauenressort zum Frauenministerium ausgeweitet. Das ist für mich Es werden somit erstens die Gutverdienenden und ein ganz wichtiger und entscheidender und politi- zweitens die ehelichen Lebensgemeinschaften mas- scher Schritt. Wir haben mit dem Haushalt 1987 die siv gefördert, auch wenn Sie das nicht wahrhaben Voraussetzung für den personellen und organisato- wollen. rischen Aufbau dieses Ministeriums geschaffen. Es (Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Haben Sie ist unredlich, lieber Ernst Waltemathe, jetzt zu sa- was gegen die Ehe?) gen: Wo sind denn die Ergebnisse? Wir fangen ja Damit hat sich an einem alten Grundsatz der CDU jetzt erst damit an. Ergebnisse hätten wir sicher nichts geändert, der da lautet: Die Belastungen schon längst, wenn sich Ihre Regierung, die Sie durch Kinder sollen vom Staat nur so weit abgemil- getragen haben, damals bereits um ein solches Res- dert werden, daß die Mehr-Kinder-Familien gegen- sort bemüht hätte. über den kinderarmen und kinderlosen Familien (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — der eigenen Schicht ins Hintertreffen geraten. Fa- Zuruf von der CDU/CSU: Frauendiskrimi milienlastenausgleich bedeutet also Kaufkraftaus- nierung!) gleich innerhalb der sozialen Schicht. 19452 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Frau Wagner Die Diskrepanz zwischen oberen und unteren Arbeitsmarkt eine Rollenfixierung erleichtert, kann Einkommen wird weder durch die Steuer- noch doch Frau Süssmuth nichts. durch die Sozialpolitik berührt. Frau Süssmuth sagt heute zur Verteidigung der Kinderfreibeträge sinn- (Rossmanith [CDU/CSU]: Nein, das hat der gemäß das gleiche. Ohne Kinderfreibeträge würde Herrgott gemacht, daß die Frauen die Kin- der Staat dazu beitragen, daß der Lebensstandard der kriegen!) von Eltern gegenüber Kinderlosen mit gleichen Frau Süssmuth schreibt niemandem etwas vor. Einkommen zurückbleibt. Es ist der Zwang der Verhältnisse, denen die Den GRÜNEN geht es eben nicht darum, die Ehe Frauen sich unterwerfen müssen. Dies zeigt doch, von gutverdienenden Karrieremännern mittels welch ein Wert die Wahlfreiheit ist, wenn die Steuervergünstigungen weiter zu subventionieren geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und der und damit die Hausfrauenehe zu stützen. geschlechtsspezifische Arbeitsmarkt dominieren, wenn also die Ausgangspositionen so unterschied- (Zuruf von der CDU/CSU: Lächerlich!) lich sind. Es ist liberales Geschwätz, Frau Süss- muth. Wahlfreiheit besteht erst dann, wenn Kinder- Uns geht es nicht darum, mittels Steuervergünsti- betreuung und Haushaltsführung für alle Erwerbs- gungen die Frauen in flexible Arbeitsverhältnisse tätigen möglich sind. Solange das Erwerbsleben oder in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu aufgespalten ist zwischen Männern, die hauptsäch- betreiben. Uns geht es auch nicht darum, durch lich Erwerbsarbeit leisten, und Frauen, die Familie Steuervergünstigung, die die Bezieher hoher Ein- und Beruf miteinander zu vereinbaren haben, gibt kommen subventioniert, das Kind des Arztes oder es keine Wahlfreiheit. Erst die Verkürzung der Ar- Rechtsanwaltes gegenüber dem Kind eines Arbei- beitszeiten, erst die Umverteilung von Erwerbs- und ters oder einer alleinerziehenden Frau zu bevorzu- Hausarbeit auf Männer und Frauen und erst die gen. Umverteilung von Kinderbetreuung auf beide El- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eindeutig ternteile macht eine selbstbestimmte Lebensper- falsch! Das ist die Unwahrheit!) spektive für Frauen möglich. Wir treten für ein direktes bedarfsdeckendes Kin- (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Bötsch dergeld für alle Kinder ein, welches von den Eltern [CDU/CSU]: Jetzt gehen Sie aber entschie- treuhänderisch verwaltet wird. den zu weit!) (Beifall bei den GRÜNEN) Frau Süssmuth spricht sich für flexible Arbeits- zeiten, Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge Frauenpolitik heißt bei Frau Süssmuth: Modelle, aus. Projekte und wissenschaftliche Erörterungen. Dies kann jedoch niemals Alibi für politisches Nichtstun (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Sehr gut!) sein oder politisches Handeln ersetzen. Politisches — Daß Sie als Mann das sagen, wundert mich nicht. Handeln findet jedoch im Bereich Fauenpolitik fak- — Sie fordert, die Strukturen auf dem Arbeitsmarkt tisch nicht statt. und im Arbeitsleben flexibler, differenzierter und Frau Süssmuth erklärte auf einer Pressekonfe- weniger zentralistisch zu gestalten. Heißt dies nun, renz: daß Frauen demnächst arbeiten können, wann und wie sie wollen? Beileibe nicht, denn das haben wir Mehr Frauen als früher wollen Familie und Er- ja schon alles, und wir wissen auch, wie es in der werbstätigkeit miteinander verbinden. Die Praxis mit der kapazitätsorientierten variablen Ar- Bundesregierung will Frauen und Männern beitszeit, der Arbeit auf Abruf, aussieht. Gibt es viel nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. Arbeit, dann wird die Arbeiterin angerufen und darf Frauen sollen selbst entscheiden, ob sie berufs- arbeiten. Gibt es wenig Arbeit, dann darf sie Mutter tätig sein möchten oder sich ausschließich der sein. Familie widmen wollen Was sich da so nett nach einem Angebot für (Sehr gut! bei der CDU/CSU) Frauen anhört, ist eine totale Anpassung weiblicher oder ob sie beides miteinander verbinden. Da- Arbeitskräfte an die Bedürfnisse der Unternehmer. bei darf Gleichberechtigung nicht zu Lasten Flexibel gehen diese Frauen in die Armut — durch der Familie gehen. niedrige Löhne, später niedrige Renten und keiner- lei soziale Absicherung. Dafür haben sie schließlich (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sehr gut!) die Versorgungsinstitution Ehe. Die moderne junge Frau darf also ganz allein ent- Ginge es Frau Süssmuth wirklich um Frauenpoli- scheiden, solange es nicht zu Lasten der Familie tik, dann müßte sie konsequent die Quotierung al- geht. Warum ist hier eigentlich nie von den Män- ler Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Frauen for- nern die Rede? Sollen sie etwa nicht die Mitverant- dern, um die Frauen in die Lage zu versetzen, an wortung für die Kinderbetreuung und die Familie allen Entscheidungen in dieser Gesellschaft auf al- übernehmen? Es ist die Frau, die wählen darf. Sie len Hierarchieebenen gleichberechtigt beteiligt zu darf dies wählen, sie darf das wählen oder sie darf sein. Würde Frau Süssmuth wirklich Frauenpolitik auch beides zugleich wählen. Niemand schreibt ihr betreiben, dann müßte sie die gesetzliche Aufhe- vor, ihr ganzes Glück in der Mutterrolle zu finden. bung von Niedrigstlöhnen für Frauen im Erwerbs- Sie darf sie ganz alleine wählen. Dafür, daß der leben fordern und angehen. Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19453

Frau Wagner Dann wäre auch klar, daß die Kinderbetreuung Erinnern wir uns: Mußten sich nicht Frauen, die für Männer wie für Frauen nur eine zeitlich be- bewußt Familientätigkeit als Berufstätigkeit wähl- grenzte Phase im Lebenszusammenhang und in der ten, unter Rechtfertigungsdruck gesetzt sehen? Galt Lebensperspektive von Frauen ist, daß folglich die bei Ihnen nicht die Gleichung: Außerhäusliche Be- Kinderbetreuung als gesellschaftlich notwendige rufstätigkeit und Erwerbstätigkeit sind gelungene Arbeit in Form von Lohnersatzleistungen für be- Selbstbestimmung, Familientätigkeit ist Rollen- grenzte Zeit zu bewerten ist. zwang, Abhängigkeit und Unterdrückung? Und was macht Frau Süssmuth in der Gesund- Lassen Sie mich als Beispiel nur das Mutter- heitspolitik? Genausoviel wie ihr Vorgänger Heiner schaftsurlaubsgeld anführen. Sie wissen, daß es nur Geißler, nämlich nichts. Sie ist für die schönen Re- für erwerbstätige Mütter galt. Andere Mütter gin- den zuständig, für die Finanzen und damit für die gen leer aus. harten Fakten ist Herr Blüm zuständig. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Was heißt „nur"?

Während die Gesundheit der Menschen durch die — Gegenruf des Abg. Dolata [CDU/CSU]: in letzter Zeit mit schöner Regelmäßigkeit durch Ja sicher „nur", die Mehrheit haben Sie den Rhein fließenden Giftwellen bedroht ist, appel- ausgegrenzt!) liert die Gesundheitsministerin an die Raucher, auf die Nichtraucher Rücksicht zu nehmen. So wichtig — Frau Fuchs, ich sage ganz deutlich: nur für Er- das auch ist, so frage ich mich doch, wo da die Maß- werbstätige, nicht für alle Mütter. Sie waren damit nahmen bleiben. Und wo bleibt eine kritische Stel- weniger wert. lungnahme zu den Giftskandalen der chemischen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Industrie? Nach Taten mögen wir j a schon gar nicht Die CDU/CSU war es, die das Erziehungsgeld für mehr fragen. alle Mütter, die nichterwerbstätigen und erwerbstä- Wir erleben gerade in dem Bereich, der unsere tigen Mütter, und, Frau Wagner, auch für die Vä- Lebensgrundlagen zerstört und unsere Gesundheit ter, bedroht, eine Politik, die das Verharmlosen, Verges- sen und das Sich-mit-der-Umweltkatastrophe-Ar- (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Nur nicht rangieren forciert und Widerstand gegen diese Poli- für die Arbeitslosen!) tik durch Verschärfung der Staatsgewalt kriminali- verbunden mit Beschäftigungsgarantie, verabschie- siert und bestraft. det haben. (Bueb [GRÜNE]: Sehr richtig!) Erinnern wir uns weiter: Wer hat erstmals die Gesundheit und das Überleben der Menschen wer- Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der den dem Profit untergeordnet. Rentenversicherung für Mütter durchgesetzt? (Dolata [CDU/CSU]: Dann bringen Sie (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben sie doch einmal Beispiele!) doch 1972 abgelehnt!) Eine menschenfeindliche Kosten-Nutzen-Rechnung Wir von der CDU/CSU waren es, die sie zum 1. Ja- findet statt, eine neue Bestimmung des Wertes des nuar 1986 einführten. Menschen. Die Frage lautet offensichtlich heute: (Frau Fuchs) [Köln] [SPD]: Und die Berufs- Wer ist es wert, trotz wachsender Umweltvergiftung tätigen kriegen nichts!) und verknappter Mittel für die soziale und gesund- heitliche Versorgung zu überleben? Wir waren es, die jetzt eine Lösung gefunden haben, Vom Kampf gegen die Umweltschäden geht es als alle Mütter, die vor 1921 geboren sind, stufenweise nächstes zum Kampf gegen die Geschädigten. Da einzubeziehen. mischt Frau Süssmuth fleißig mit. Wir wenden uns Wir proklamieren keineswegs, die Ideallösung ge- entschieden gegen solche menschenfeindliche Poli- funden zu haben. Ich sage ganz deutlich: Die Stu- tik. fenlösung ist keine Ideallösung. Aber, Frau Fuchs, (Beifall bei den GRÜNEN) wir wehren uns gegen Ihre Attacken, gegen die At- tacken der SPD, die sachliche Kritik mit Heuchelei und Zynismus zu verwechseln scheinen. Wir weh- Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat Frau Abge- ren uns gegen die Alternative, alle Mütter auszu- ordnete Männle. grenzen, eine Totalausgrenzung zu machen. Jetzt machen Sie mit Ihrem Vorschlag wiederum eine Teilausgrenzung. Frau Männle (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD-Strate- (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Stimmt doch gen, scheinen wahrscheinlich geläutert durch här- nicht!) tere Oppositionsjahre, die Zeichen der Zeit erkannt — Sie haben es jahrelang praktiziert. Haben Sie zu haben und verordnen eine radikale Kurskorrek- etwas eingeführt? tur in der parteipolitischen Rhetorik. Die Wandlung vom Saulus zum familienpolitischen und frauenpo- (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Viel!) litischen Paulus ist jedoch trügerisch. Nichts haben Sie gemacht. (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Paula!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — — Ich sage auch gerne Paula. Ich habe da keine Schlottmann [CDU/CSU]: Kindergeld ge- Probleme, Frau Däubler. kürzt für die Armen und für die Reichen!) 19454 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Frau Männle Ich meine, diese von uns eingeführte und bis 1990 den von Ihnen regierten Bundesländern! Und auch zu praktizierende Lösung ist eine finanzpolitisch jetzt fehlt es an Hilfe durch Herrn Rau in Nord- vertretbare Stufenlösung. rhein-Westfalen. (Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD] meldet Dies alles zu verdrängen und die Hände in Un- sich zu einer Zwischenfrage) schuld zu waschen, ist schon eine Meisterleistung,- — Nein, ich möchte dies im Zusammenhang vortra- und zwar eine Meisterleistung an Unglaubwürdig- gen. keit. Ich glaube nicht, daß Ihre Rechnung aufgehen wird, die darauf setzt, daß die Wählerinnen und Wir haben uns für eine Teillösung, für eine frau- Wähler vergeßlich sind, daß sie nur Worte bewerten enpolitische und frauenfreundliche Teillösung ent- und nicht die unterlassenen Taten. schieden. Sie haben nur geredet, Frau Fuchs, getan haben Sie nichts. Wir haben vor der Wahl einiges versprochen, und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir haben es gehalten. Der Wähler kann dies ab- schecken. Er kann nachsehen, was wir versprochen Erinnern wir uns weiter: Sie sprechen auch so haben. Er kann überprüfen, was wir gehalten ha- viel von den Berufschancen der Frauen. Sie waren ben. Wir werden, meine Damen und Herren, fort- es doch, die in Ihrer Regierungszeit einen Nullbei- fahren in der von uns begonnenen Politik der Fami- trag zu der damals schon erkennbaren überpropor- lienfreundlichkeit und damit auch der Frauen- tionalen Frauenarbeitslosigkeit lieferten. Ja, Sie freundlichkeit. kassierten sogar frauenbegünstigende Bestimmun- gen des Arbeitsförderungsgesetzes. Wir haben mit (Zuruf von der CDU/CSU: Weiter so!) dem Beschäftigungsförderungsgesetz, mit der sieb- Ich scheue mich nicht zu sagen: Familienpolitik ist ten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz frauen- auch Frauenpolitik, Frau Wagner, und Frauenpoli- freundliche Maßnahmen eingeleitet. Wir haben die tik ein Teil von Familienpolitik, nicht ausschließ- Arbeitsmarktchancen für Frauen verbessert. Ich lich, aber auch. möchte nur einige Stichworte sagen: Teilzeitarbeit, befristete Arbeitsverträge für Frauen, Erleichte- Meine Damen und Herren, es ist schon interes- rung des Wiedereinstiegs ins Erwerbsleben. Wer sant, daß Rufe aus unterschiedlichen Richtungen, hat dies getan? Wir waren es. von Konservativen und Progressiven, (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von den (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Was sind Sie GRÜNEN) denn?) Erinnern wir uns weiter. Wie behandeln Sie denn nach Wiedereinzug der Gefühle in die eiskalte Welt die Familie? Sie haben vorhin so viel davon geredet. der Produktion, nach Arbeitsformen und Lebens- Sie erhöhten zwar damals kurz vor der Wahl das weisen, die die Menschen nicht in einen rationalen Kindergeld, kassierten es aber hinterher wieder und einen emotionalen Teil zergliedern, nach Sinn- ein, haben es pauschal gekürzt für Arme wie Rei- gebung und Selbstverwirklichung durch Arbeit in che. der linken Ecke der Politik verstummen, wenn das (Vogel [München] [GRÜNE]: Sie erhöhen Thema Familie, Familientätigkeit, aber auch das es für Reiche besonders stark!) Thema Ehrenamtlichkeit berührt wird. Familie scheint tabu zu sein, wenn es um gesellschaftliche Sie werfen uns eine unsoziale Familienpolitik vor, Anerkennung der dadurch erhaltenenen Leistun- weil wir ein nach Einkommen gestaffeltes Kinder- gen geht. Familie gerät nicht selten zum Thema geld einführten und Kinderfreibeträge und Ausbil- Nummer eins, wenn über Entfremdung, Begren- dungsfreibeträge wesentlich erhöhten. Wer so gro zung, Konflikt und Gewalt geredet wird. Meine Da- ßen Wert wie Sie auf Steuerprogression legt, der men und Herren, Wärme, Glück, Geborgenheit sind muß auch ja zu Freibeträgen sagen. Nur diese sind heute Werte, die von vielen gesucht werden. sozial gerecht. (Zuruf von den GRÜNEN) (Widerspruch bei der SPD und den GRÜ NEN) Sie können in der Familie erfahren und gelebt wer- Maßstab für unsere Politik ist, Familien mit Kin den, und sie können im Dienst an anderen, im ehrenamtlichen Dienst und auch im Pflegedienst-dern gegenüber Ehepaaren ohne Kinder nicht zu benachteiligen; dies ist unser Maßstab. an anderen ihren Ausdruck finden. Wir Politiker und wir Politikerinnen können dazu beitragen, daß (Beifall bei der CDU/CSU) diese Werte in unserer Politik umgesetzt werden. Sicherlich nicht zuletzt waren Sie es auch, die Das partnerschaftliche Miteinander von Frauen sich nichts einfallen ließen und sich auch nichts und Männern in der Familie, neue Wege zur Verein- weiter einfallen lassen, ungeborenes Leben durch barkeit oder zur Aufteilung von Familien und Er- tätige Hilfe zu schützen. Unsere gesamte Familien- werbstätigkeit für Mütter und Väter sind für uns politik und gerade auch die Bundesstiftung Mutter sehr wichtig. Diese Aufgabe zu lösen ist zunächst und Kind haben einen wesentlichen Beitrag zum natürlich einmal Sache der Ehepartner selbst. Lebensschutz, zum Ja zum Kind geleistet. Die heute Keine Partei, keine Regierung darf Ehepaaren vor- zu beschließende Erhöhung der Mittel um 20 Millio- schreiben, wie sie ihre Aufgaben verteilen. nen DM ist ein weiterer Beweis für eine Politik, die Leben schützt. Mit welchem Hohn überschütteten (Frau Wagner [GRÜNE]: Dann müssen Sie Sie die Stiftung und verweigerten Sie die Hilfe in die Ausgangsposition besser machen!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19455

Frau Männle Aber Staat, Gesellschaft, Arbeitgeber, alle Betroffe- diese Debatte zeigt auch die geistige Leere, mit der nen können ein familien- und partnerfreundliches die Opposition gegen diese Regierung anrennt. Klima schaffen. Dazu sind wir aufgerufen durch (Widerspruch bei der SPD) unsere Politik. Dazu haben wir die Weichen gestellt, und darin werden wir fortfahren. In der Wirtschaftspolitk sind die Fakten klar ge- (Beifall bei der CDU/CSU) gen die Opposition. Es ist geradezu peinlich, wie sie Fakten nicht zur Kenntnis nehmen will. Meine Damen und Herren, wir sind bei diesen Problemen — Frauen, Familie — häufig sicherlich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) in einer sehr emotionsgeladenen Diskussion. Wir Die wirtschaftliche Entwicklung hat uns auf allen sind auch auf einem Wege, daß wir sagen müssen, Gebieten der Politik recht gegeben. Was bleibt da Politik für Frauen befindet sich auf einer Gratwan- einer Opposition noch sehr viel übrig? derung. Zu vielfältig sind die Lebenssituationen, aber auch zu unterschiedlich die daraus folgenden Wünsche und Bedürfnisse. In freier Entscheidung Das Zahlenwerk des Haushalts hat mein Kollege und nur partnerschaftlich mit den Männern können Rossmanith sehr ausführlich gewürdigt. Ich glaube, die heute noch beträchtlichen Benachteiligungen, dem braucht man nichts hinzuzufügen. Es zeigt die ich nicht unter den Teppich kehren will, besei- sehr deutlich, wo die Schwerpunkte liegen. Es zeigt, tigt werden. Aber auch nur so können die neuen daß die Regierung auch bezüglich dieses Haushalts Problemlösungen durchgesetzt werden. mit Erfolg arbeitet. Meine Damen und Herren, ich muß leider zum (Beifall bei der CDU/CSU) Schluß kommen, weil meine Redezeit abläuft. Mit Nun versucht es die SPD durch eine Mischung der Entscheidung des Bundeskanzlers, eine weitere von Versprechen und dem Schüren von Neid. Was Ministerin in das Kabinett zu nehmen und ihr dar- ist denn das Gerede von der angeblichen Umvertei- über hinaus die Kompetenz für Frauenfragen zu lung von unten nach oben, das man bei allen mögli- geben, hat für diese Bundesregierung die Frauen- chen und unmöglichen Gelegenheiten hört, ande- einen erhöhten Stellenwert erhalten. politik res? Tatsache ist aber — das kann man nachlesen (Zuruf der Abg. Frau Schmidt [Nürnberg] und nachrechnen —, daß diese Regierung mehr für [SPD]) die Familien ausgibt, als vorher zur Verfügung — Frau Schmidt, 18 neue Stellen sind für diesen stand. Bereich geschaffen worden, und die Mittel für die (Zustimmung bei der CDU/CSU) Verbesserung der sozialen und rechtlichen Stellung der Frauen sind ebenfalls erhöht worden, und zwar Allein 1986 sind es ca. 10 Milliarden DM mehr für um 2,4 Millionen DM. Ist das nichts? Das bedeutet die Familien. Die familienbezogenen Sozialausga- fast eine Verdoppelung. ben betrugen im Jahre 1982 insgesamt 64,2 Milliar- den DM; 1986 werden es 78,5 Milliarden DM sein. Frauenpolitik erfordert Ideen, Tatkraft, Durchset- Das sind ca. 22 % mehr. zungsvermögen. Zur Frauenpolitik gehört aber auch unendlich viel Geduld, gehört viel Zusammen- Man muß darüber hinaus berücksichtigen, daß arbeit aller Betroffenen: aller Ministerinnen im Ka- dies alles bei Preisstabilität geschieht. Inflation — binett, aller Minister im Kabinett, der Parlamenta- so weiß jeder — begünstigt die Sachbesitzer und rier und Parlamentarierinnen. Daß die Ministerin schädigt vor allem die kleinen Leute. Stabilität hilft die Bereitschaft findet, daß sie ihre Politik durch- ihnen aber. 5% Inflation bei einem Einkommen von setzen kann, daß sie die Bereitschaft findet, Koope- 2 000 DM pro Monat bedeuten einen Verlust von ration zu erfahren, das wünschen wir ihr und uns über 1 000 DM im Jahr. Diesen Verlust hat die Sta- allen im Interesse aller Frauen. bilitätspolitik dieser Regierung dem Bürger er- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — spart. Schlottmann [CDU/CSU]: Weiter so, Frau Aber ich will noch einmal auf die angebliche Um- Süssmuth!) verteilung zurückkommen. Ich erinnere mich noch sehr genau an die Diskussion um die Gesetze des Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- Familienlastenausgleichs und an die Anhörungen geordnete Eimer. im Ausschuß. Ich tue das deswegen, weil ich hier im Plenum gegen diese Regelung gestimmt und ge- sprochen habe. Ich möchte meine Kollegen an die Eimer (Fürth) (FDP): Herr Präsident! Meine Da- Anhörung und an das Diagramm von Professor men und Herren! Die letzte Haushaltsdebatte die- Oberhauser erinnern, der uns allen nachwies, daß ser Legislaturperiode, eine der letzten Debatten die- mit viel Aufwand und mit viel Bürokratie dieselbe ser zu Ende gehenden Wahlperiode Verteilung erreicht wird, die wir vorher auch schon (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Kommen Sie hatten, aber keinesfalls eine Umverteilung von un- auch nicht wieder?) ten nach oben. — doch, ich werde schon wiederkommen —, ist Ich war damals gegen das Gesetz, meine Kolle- nicht nur ein Rechenschaftsbericht dieser Regie- gen von der SPD, weil ich es für umständlich und rung mit all ihren Erfolgen, ist nicht nur ein Aus- bürokratisch hielt. Ich glaube, das trifft heute noch blick auf die Arbeit, die sich diese Koalition für die zu. Aber das Argument von der Umverteilung ist nächste Legislaturperiode vorgenommen hat; nein, falsch. Es wird vergessen oder verschwiegen, daß es

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Eimer (Fürth) Einkommensgrenzen gibt, daß es einen Sockelbe- von SPD und GRÜNEN in unbezahlbaren Forde- trag gibt. rungen erschöpft. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — So wende ich mich gegen Ende dieser Legislatur- Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Bringen Sie doch periode nicht nur an die Opposition, die unsinnige keine Schärfe in die Debatte!) Behauptung nicht mehr aufzustellen, sondern ich Die FDP konnte in dieser Koalition einen wichti- wende mich auch an unseren Koalitionspartner, mit gen Teil ihrer Familienpolitik verwirklichen, näm- uns gemeinsam zu versuchen, die Sozialgesetze ein- lich die Familie ideell und finanziell zu stärken. Wir facher, unbürokratischer und durchsichtiger zu ge- haben die Situation Alleinerziehender verbessert, stalten. Ich glaube, der Kollege Glombig hat hier für uns alle einen guten Hinweis gegeben. das Zusammenleben der Generationen erleichtert, wo dies gewünscht wird. Für uns ist Familienpolitik eine bessere Berücksichtigung der Familien in al- Ein derart einfaches System hindert auch den len Politikbereichen, von Wohnungspolitik bis hin politischen Gegner mit einem selektiven Wahrneh- zur Sozialpolitik. Wir wollen weitere Verbesserun- mungsvermögen daran, sich unzulässig mit Argu- gen vornehmen, wenn dies finanziell möglich ist. menten für eine nicht stimmende Propaganda zu Ich wiederhole das, was ich schon öfters gesagt bedienen. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo habe: Wohltaten auf Pump wird es mit uns nicht wir nicht mehr Sozialpolitik nur danach beurteilen geben. dürfen, wieviel Geld auf der Hand des Bürgers an- kommt, wir müssen auch fragen, mit welchem Auf- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wand und mit welchen Folgen. Aber diese Regierung ist nicht nur im Bereich der Familienpolitik ein ganzes Stück weitergekommen, Wir haben gerade in dieser Legislaturperiode sondern auch im Bereich der Chancengleichheit für feststellen müssen, daß gutgemeinte Änderungen Frauen im Berufsleben. Ich will hier ein Beispiel auf vielen Gebieten unbeabsichtigte Folgen in ande- vorbringen, das sich in meiner unmittelbaren Um- ren Gesetzen hervorgerufen haben. Diese unbeab- gebung abgespielt hat: Ich war gerade bei meinem sichtigten Folgen hatten wir beim Erziehungsgeld, Schreiner. bei Erziehungszeiten in der Rentenversicherung (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Haben Sie einen und in anderen Bereichen. Wir reden immer vom eigenen Schreiner? — Heiterkeit) sozialen Netz und haben gar nicht zur Kenntnis genommen, daß wir eigentlich ein soziales Mobile — Lassen Sie doch diese kindlichen Zwischenrufe! haben: Wenn wir an einer Stelle eingreifen, tanzt — Bei diesem Schreiner stellte sich ein Mädchen das ganze System durcheinander. Die alten Rezepte vor, das in diesem Beruf eine Lehre beginnen woll- der Sozialpolitik bringen zwar das Geld an den Bür- te. Dieser Schreiner sagte: Nein, das geht nicht, weil ger, diese Rezepte bringen aber auch komplizierte die Gesetze entgegenstehen; ich habe keine eigenen und undurchsichtige Sozialgesetze. Ich sehe hier Sozialräume usw. Ich habe ihn dann darauf auf- eine der Hauptaufgaben der Koalition in der näch- merksam gemacht, daß im Bundestag — gegen den sten Legislaturperiode: die Sozialgesetze von ihrem Willen der SPD — in diesem Bereich eine Änderung bürokratischen Ansatz zu befreien. vorgenommen wurde und daß jetzt gerade kleine und mittlere Betriebe Mädchen einstellen können, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) weil Hemmnisse abgebaut worden sind. (Zuruf des Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD]) Auf der anderen Seite hat diese Koalition aber Acht Tage später, Frau Kollegin Fuchs, konnte ich eine Reihe von Verbesserungen vorgenommen, feststellen, daß dieser Schreiner ein Mädchen ein- wenn auch nicht in dem von uns gewünschten Um- gestellt hat. fang. Ich komme zum Erziehungsgeldgesetz, das im Gegensatz zum vorherigen Mutterschaftsurlaubs- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gesetz auch für Mütter ausgezahlt wird, die vor der Ein Gesetz dieser Regierung, das von der Opposi- Geburt ihres Kindes nicht erwerbstätig waren. tion mit dem Wort „Sozialabbau" diskriminiert wur- Wahlweise können auch Väter diesen Erziehungs- de, hat es einem Mädchen erlaubt, einen qualifizier- urlaub in Anspruch nehmen. ten Handwerksberuf zu erlernen. Ich wünsche mir, daß die SPD-Kollegen einmal zu diesen jungen Nach vielen Absichtserklärungen und Anläufen Frauen gehen und ihnen erklären, warum sie da- ist es dieser Koalition auch gelungen, Kindererzie- mals gegen unsere Gesetzgebung gestimmt haben. hungszeiten in der Rentenversicherung endlich ein- zuführen. Seit dem 1. Juli 1986 bekommen Alleiner- ziehende mit einem Kind unter sieben Jahren einen Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Eimer, 20 %igen Zuschlag zum Sozialhilferegelsatz. Arbei- gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten tende Alleinerziehende können nachgewiesene Be- Frau Matthäus-Maier? — Bitte sehr. treuungskosten für das erste Kind bis zu 4 000 DM, für jedes weitere Kind bis zu 2 000 DM absetzen. Frau Matthäus-Maier (SPD): Lieber Norbert Ei- Auch das Zusammenleben der Generationen ist mer, durch Wohngeldfreibeträge verbessert worden. Wir (Oh-Rufe bei der CDU/CSU — Eimer haben gehandelt, während sich die Familienpolitik [Fürth] [FDP]: Sie darf das!) 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Frau Matthäus-Maier — ich kenne ihn gut — meine Frage lautet: Warum Wir sind weg von der Angst vor der Zukunft, die der muß man, wenn man sich zu Recht freut, daß dieses jungen Generation viel zu lange eingeredet worden junge Mädchen den Ausbildungsplatz bekommen ist. hat, gleichzeitig die SPD diffamieren, wo du doch (Zustimmung bei der FDP) weist, daß wir seit Jahren intensiv gemeinsam da- für eingetreten sind, daß Frauen in Männerberufe Wer der Jugend eine Zukunft in einem demokra- hineinkommen, und überhaupt erst die Möglichkei- tischen Gemeinwesen eröffnen will, in einem Staat, ten geschaffen haben, daß sie Schreiner und ähnli- in dem Toleranz herrscht, in einem Staat, in dem ches werden können? die Achtung vor der Meinung des anderen herrscht, in einem Staat, in dem die Entscheidungen nach (Beifall bei der SPD) demokratischen Methoden, nicht durch die Kraft der Ellenbogen getroffen werden, der muß aber sein Verhältnis zur Gewalt ordnen. In unserem Staat Eimer (Fürth) (FDP): Liebe Ingrid Matthäus, ich wird der Gewaltbegriff zunehmend relativiert; es kenne deine Intentionen, und ich weiß, daß es auch gibt eine Verharmlosung von Gewalt, ein Predigen deine Meinung ist, daß mehr Frauen in Männerbe- von Gewalt durch Leute, die sich selbst als Frie- rufe hineinkommen sollen. Aber der Wunsch allein densforscher bezeichnen. nützt nichts; wir müssen auch die Gesetze ändern, (Frau Wagner [GRÜNE]: Was für eine Ge- damit das ermöglicht wird. walt übt die chemische Industrie aus?) (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ha- Wie kann eine Gesellschaft friedlich werden, wenn ben wir doch mit Ihnen zusammen ge- es Menschen wie Robert Jungk gibt, die sich für macht! Die ganzen Modellversuche haben Gewalt gegen Sachen, die nach ihrer Meinung Le- wir doch gemeinsam mit Ihnen gemacht!) bens- und menschenschädigend sind, aussprechen? — Modellversuche allein genügen nicht. Wir müs- Das heißt doch nichts anderes als dies: Wenn eine sen die Gesetze ändern, die dies verhindern. Entscheidung nicht meinen Vorstellungen ent- spricht, wenn ich im demokratischen Mehrheitspro- Ich darf Sie daran erinnern, daß es im Deutschen zeß unterlegen bin, habe ich das Recht, dagegen mit Bundestag eine Enquete-Kommission „Frau und Gewalt vorzugehen; der Zweck heiligt die Mittel, Gesellschaft" gegeben hat und daß dort gerade von und ich selbst — Robert Jungk — bestimme, ob Frauen gefordert wurde, im sozialen Bereich die Demokratie für mich gilt oder nicht. Gesetze so zu ändern, Meine Damen und Herren, ich kann diese Mei- (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das war nung nicht teilen. vor zehn Jahren!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) daß Frauen eben nicht mehr behindert werden. Ge- Gewalt gegen Sachen ist auch Gewalt gegen demo- nau damit haben wir begonnen, kratische Entscheidungen. (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Aber doch (Waltemathe [SPD]: Hat Herr Jungk das nicht gegen uns!) nun zurückgenommen oder nicht?) und diesen Weg müssen wir weitergehen. Wir selbst müssen doch zugeben, wie schwer es uns fällt, in einem demokratischen Entscheidungspro- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — zeß eine Niederlage hinzunehmen. Es ist Kennzei- Zurufe von der CDU/CSU: Weiter so!) chen einer Demokratie — nur so kann sie funktio- nieren —, daß es den Konsens gibt, daß man Mehr- Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist not- heitsentscheidungen akzeptiert. Wenn dies aber wendig, daß wir uns in der nächsten Legislaturpe- schon uns Erwachsenen schwerfällt, wieviel schwe- riode die Arbeit dieser Kommission „Frau und Ge- rer mag es einem Jugendlichen fallen, der viel un- sellschaft" noch einmal anschauen, denn bisher ist geduldiger ist und der moralisch sehr viel rigoroser auf diesem Gebiet zuwenig getan worden, und es an Probleme herangeht als jemand, der etwas älter war gerade die SPD, die uns immer daran gehindert ist? hat, hier weiterzukommen. Es ist das Kennzeichen aller totalitären Bewe- Es waren gerade die Frauen, die hier massiv eine gungen, daß Mehrheitsentscheidungen nicht akzep- Änderung gefordert haben. Dabei geht es nicht um tiert werden, daß man den Widerstand gegen Mehr- einen Abbau von Schutzgesetzen, sondern, wie der heitsentscheidungen moralisch begründet. Demo- Kollege Glombig heute sehr eindringlich und sehr kratie kann ich aber nicht nur dann für mich bean- richtig gesagt hat, um eine andere Organisation von spruchen, wenn ich bei einer Mehrheitsentschei- Schutzgesetzen. dung gewinne; ich muß sie auch akzeptieren, wenn Meine Damen und Herren, in der Jugend gibt es, ich unterliege. wie wir aus Umfragen ersehen können, in den ver- (Beifall bei der FDP) gangenen vier Jahren eine deutlich bessere Stim- mung. Die Jugend glaubt wieder, daß sie eine Zu- Ich sehe hier eine ganz gefährliche Entwicklung, kunft hat. Sie weiß wieder, daß man sich die Zu- weil es Politiker gibt, deren Verhältnis zur Gewalt kunft selbst erarbeiten muß. und deren Verhältnis zu Mehrheitsentscheidungen nicht geklärt ist, ja, die sogar Gewalt rechtfertigen. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) Gewalt beginnt aber nicht erst bei Gewalt gegen 19458 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Eimer (Fürth) Menschen, sondern bereits bei Gewalt gegen Ent- gung stehen. Leichte Zweifel an der Aufrichtigkeit scheidungen der Mehrheit. all dieser guten Beiträge war lediglich bei den GRÜ- (Frau Wagner [GRÜNE]: Sagen Sie einmal NEN festzustellen. Aber wir haben die damalige etwas zur BASF!) Beschlußempfehlung mitgetragen und sie so, wie sie da stand, begrüßt. - Wenn wir der Jugend eine friedliche Welt hinterlas- sen wollen, müssen wir ihr auch sagen, daß Mehr- Heute, zwei Wochen später, verabschieden wir ei- heitsmeinungen toleriert werden müssen. Wir ge- nen Haushalt, der genau das Gegenteil der damali- hen diesen Weg. Wir reden der Jugend nicht nach gen Versprechungen beinhaltet. dem Munde. Wir sagen ihr, daß Demokratie keine (Jagoda [CDU/CSU]: Das ist doch nicht bequeme Sache ist. wahr! Es ist doch zugelegt worden! — Wal- Aber diese Regierung bietet der jungen Genera- temathe [SPD]: Dem Haushalt hat Jo Mül- tion nicht nur ein abstraktes Prinzip an, sondern ler aber zugestimmt!) auch konkrete Verbesserungen der Zukunftsper- — Nein, nein. Dem Haushalt werden wir nicht zu- spektiven. Wir haben die Mittel des Bundesjugend stimmen. plans von 128 Millionen DM im Jahre 1982 auf 138 Millionen DM im Jahre 1986 aufgestockt. Die Wir haben einen Änderungsantrag eingebracht. Chancen für Ausbildungs- und Arbeitsplätze wur- In Großbritannien z. B. gibt die Regierung für den verbessert. Die Zahl der Ausbildungsplätze hat 1987 20 Millionen Pfund Sterling — das sind 60 Mil- sich deutlich erhöht. Der Anteil der arbeitslosen Ju- lionen DM — nur für Aufklärung aus. Sie wollen gendlichen liegt in der Bundesrepublik Deutsch- mit — popeligen, möchte ich fast sagen — 2,275 Mil- land deutlich unter dem EG-Durchschnitt. In eini- lionen DM die Gruppen, die die Aufklärung — also gen Bundesländern haben wir sogar mehr Ange- das Wichtigste im Zusammenhang mit AIDS — be- bote an Ausbildungsplätzen als Jugendliche, die da- treiben, unterstützen. Das ist keine Unterstützung, nach suchen. Wir müssen deswegen fortfahren in das ist einfach lächerlich. dieser Wirtschaftspolitik, die die Rahmenbedingun- Die Durchführung von dringlichen Maßnahmen, gen für mehr Ausbildungsplätze schafft. So haben Gestaltung von Rundfunk-, Fernsehspots, Zeit- wir vor allem auch beim Benachteiligtenprogramm schriftenanzeigen, Broschüren, ist so nicht gewähr- zur Förderung der beruflichen Eingliederung Ju- leistet. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat für das Jahr gendlicher eine Erhöhung von 67 Millionen DM 1987 75 Projekte geplant, die sehr wahrscheinlich 1982 auf 335 Millionen DM 1986 vorgesehen. alle scheitern müssen, weil die Mittel dafür nicht Wir haben noch nicht alles erreicht, aber vieles zur Verfügung stehen. Deswegen möchte ich hier auf den Weg gebracht. So ist es notwendig, daß wir an Sie appellieren, unserem Änderungsantrag zuzu- in der nächsten Legislaturperiode das Jugendwohl- stimmen und die Mittel für Maßnahmen gegen fahrtsgesetz novellieren. So ist vor allem eine Re- AIDS im Jahre 1987 zu erhöhen. form der Heimerziehung notwendig, eine Auswei- tung der Mitwirkung, Mitbestimmung und Mitver- (Abg. Rossmanith [CDU/CSU] meldet sich antwortung der Jugendlichen, eine Gewährleistung zu einer Zwischenfrage) der Grundrechte auch in Erziehungseinrichtungen, — Bitte schön, Herr Kollege. eine Verbesserung der Beratung der Eltern in Er- ziehungsfragen. Wir gehen mit dem Bewußtsein an die Arbeit, daß Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr, Herr Abgeord- es zu schaffen ist, und mit Optimismus. SPD und neter Rossmanith. GRÜNE dagegen betreiben Schwarzmalerei und verbreiten Zukunftspessimismus bei den Jugendli- chen. Wir sind überzeugt, meine Damen und Her- Rossmanith (CDU/CSU): Herr Abgeordneter, ist ren, daß unsere Methode die bessere ist. Ihnen bekannt, daß die Ansätze des Bundeshaus- Vielen Dank. halts 1987 für AIDS, für Aufklärung und Forschung, weit über den Betrag hinausgehen, den Sie genannt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — haben, und fast exakt 20 Millionen DM umfassen? Frau Wagner [GRÜNE]: Sie sehen auch so optimistisch aus!) (Vogel [München] [GRÜNE]: Mit For- schung!)

Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- geordnete Rusche. Rusche (GRÜNE): Sicher, da ist die Forschung dabei. Rusche (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 13. November 1986, also vor zwei (Rossmanith [CDU/CSU]: Und Aufklä- Wochen, hatten wir eine Debatte zu AIDS. Damals rung!) gab es eine bemerkenswerte Einigkeit bei allen — Ja, sicher. Ich habe Ihnen eben einen Betrag von Fraktionen darin, daß Aufklärung und Abbau von um die zwei Millionen DM genannt, der hauptsäch- Angst und Hysterie die wichtigste Aufgabe im Zu- lich in die Aufklärung gehen soll. Ein Teil davon soll sammenhang mit dieser Krankheit ist. Geld, so alle in irgendwelche Fernsehspots gesteckt werden, auf Fraktionen in diesem Haus, sollte im Zusammen- die die Gruppen, die sich am meisten mit AIDS hang mit dieser Krankheit ausreichend zur Verfü- beschäftigen, gar keinen Einfluß haben. Mir geht es Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19459

Rusche um eine konsequente Aufklärung durch die Grup- Dann möchte ich mich mit dem auseinanderset- pen, die zu dem Thema arbeiten. zen, was mehrmals zur Familienpolitik gesagt wor- (Abg. Rossmanith [CDU/CSU] meldet sich den ist. Die letzte familienpolitische Tat der SPD zu einer weiteren Zwischenfrage) war eine Kindergeldkürzung, und zwar für alle gleich. Nun sagt Herr Rau, wir wollen, daß ein für- — Wollen Sie noch eine Frage stellen? alle gleiches Kindergeld wieder eingeführt wird. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig! — Vizepräsident Stücklen: Noch eine Zwischenfra- ge? Ewen [SPD]: Womit Sie 1975 einverstanden waren!)

Rusche (GRÜNE): Gerne. Das bedeutet, Frau Fuchs, daß ein Hochverdiener wie Herr Apel oder Sie Vizepräsident Stücklen: Aber Sie wissen, Ihre Re- (Dolata [CDU/CSU]: Oder Herr Lappas!) dezeit geht zu Ende? das gleiche Kindergeld bekommen soll wie jemand, der nur ein Drittel dessen verdient, was Sie verdie- Rusche (GRÜNE): Ja, ja, sicher. nen. Das bedeutet, daß jemand, der 60 000 DM im Monat verdient, nach Ihrer Vorstellung genauso (CDU/CSU): Können Sie mir zustim- Rossmanith viel Kindergeld bekommen soll wie jemand, der men, daß der Betrag, den Sie genannt haben, der ist, 40 000 DM im Jahr verdient. den wir, der Kollege Waltemathe und meine Wenig- keit, im Berichterstattergespräch — der Kollege Dr. (Vogel [München] [GRÜNE]: Und bei Ih- Müller von Ihrer Fraktion war bei diesem Gespräch nen soll er das Zweieinhalbfache kriegen!) nicht dabei — für zusätzliche Aufklärungsmaßnah- Das ist Ihre Regelung. men aufgestockt haben? (Beifall bei der CDU/CSU) (Zurufe von der SPD) — Nun bleiben Sie doch bitte einmal ruhig! Ich will Rusche (GRÜNE): Herr Müller war bei dem Ge- nur die Tatsachen darlegen. spräch dabei. (Vogel [München] [GRÜNE]: Erzählen Sie (Rossmanith [CDU/CSU]: Er war nicht da etwas von den Kinderfreibeträgen!) bei!) Dann behaupten Sie — Ist egal, streiten wir uns nicht darüber! Auf jeden Fall gestehe ich Ihnen das zu. Aber im internationa- (Abg. Brück [SPD] meldet sich zu einer len Vergleich ist das ein lächerlich geringer Betrag, Zwischenfrage) den Sie für das Jahr 1987 zur Verfügung stellen. — nein, bitte nicht; ich möchte das jetzt im Zusam- Wichtige Projekte der Deutschen AIDS-Hilfe wer- menhang ausführen — und Herr Rau, unsere Kin- den scheitern, wenn nicht mehr Mittel zur Verfü- dergeldregelung bedeute, daß die Reichen dreimal gung gestellt werden. soviel bekämen wie die niedrig Verdienenden. Ich möchte Sie zum Abschluß noch einmal bitten: Unterstützen Sie unseren Änderungsantrag, um (Vogel [München] [GRÜNE]: Sie müssen eine vernünftige Arbeit der Deutschen AIDS-Hilfe doch auch die Kinderfreibeträge anrech- zu ermöglichen und um auch — das werden wir in nen! — Zurufe von der SPD) diesem Jahr natürlich nicht schaffen — den An- — Frau Fuchs, das ist die glatte Unwahrheit. Ich schluß an die internationale Entwicklung zu schaf- sage es Ihnen jetzt. Sie können es ja widerlegen. fen, damit wir den Vergleich mit anderen Ländern nicht scheuen müssen, die in diesem Bereich mehr Der niedrig Verdienende mit drei Kindern be- tun. kommt heute bei uns im Monat 508 DM Kindergeld. Der Verdiener mit 36 000 DM Jahreseinkommen Ich danke Ihnen. und drei Kindern bekommt heute 508 DM Kinder- (Beifall bei den GRÜNEN) geld. Der hoch Verdienende mit 100 000 DM be- kommt heute bei unserer Regelung 508 DM bis Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- 528 DM Kindergeld. geordnete Kroll-Schlüter. (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Und die steuerlichen Abzüge?) Kroll-Schlüter (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege — Einen Moment! Das, was Sie sagen, ist ja nicht Rusche, ich darf die Zahlen noch einmal richtigstel- wahr. Ich habe in unsere Regelung Kindergeld und len. Die Zahlen, die Sie genannt haben, beziehen Freibeträge einbezogen. Was Sie den Bürgern stän- sich auf jene Mittel, die zur Bekämpfung der AIDS dig verschweigen, ist — deswegen sage ich das jetzt Krankheit ausgegeben werden. Insgesamt sind im in aller Nüchternheit und in aller Offenheit —, daß Haushalt 20 Millionen DM veranschlagt. Das ist im es heute beim Kindergeld auch eine Einkommens- Vergleich zu den vergangenen Jahren eine be- grenze gibt. Wer über 50 000 DM verdient, bekommt trächtliche Erhöhung. weniger. Das verschweigen Sie ständig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Aber es gibt Widerspruch des Abg. Rusche [GRÜNE]) Steuerfreibeträge!) 19460 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Kroll-Schlüter — Frau Fuchs, es tut mir leid: Sie waren zu kurz im Diskussionen und unterschiedliche Verhaltenswei- Ministerium, als daß Sie davon Ahnung haben sen. Um so wichtiger ist es, jungen Menschen Ge- könnten. staltungsmöglichkeiten zu geben, damit sie Verant- (Zuruf von der SPD: Sie haben keine Ah wortung tragen können. - nung!) (Gilges [SPD]: Bla, bla, bla!) — Sie bezweifeln meine Zahlen. Auch der junge Mensch muß immer wieder neu (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Natür erfahren: Er trägt Verantwortung für sich und an- lich!) dere. Das verpflichtet gegenüber allen Mitmen- schen, gegenüber kommenden Generationen. Dann muß ich sagen: Meine Zahlen sind exakte Zahlen. Sie sagen die glatte Unwahrheit hier und in (Sielaff [SPD]: Wo liest er das bloß ab?) der Öffentlichkeit. Seine persönliche Entwicklung ist keine isolierte (Zuruf von der SPD: Sie verschweigen die Entwicklung: Tatsachen!) (Gilges [SPD]: Bla, bla, bla!) Das habe ich Ihnen nachgewiesen bzw. das weise Nächstenliebe verlangt Solidarität, Gerechtigkeit ich Ihnen nach. und Friedfertigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Frau Wagner [GRÜNE]: Und was tut die Für den Dialog mit der jungen Generation ist es Regierung?) wichtig, Junge Menschen müssen erfahren können, daß es (Sielaff [SPD]: Daß man die Wahrheit wichtig ist, aufeinander zuzugehen. Auch wir sind sagt!) gehalten, auf sie zuzugehen. die politischen Tatsachen darzulegen, die Wahrheit Wir haben den Versuch unternommen, auf sie zu- zu sagen, wahrhaftig zu sein. zugehen, mit ihnen gemeinsam zu handeln. (Sielaff [SPD]: Eben das seien Sie erst ein (Frau Wagner [GRÜNE]: „Jugend im Parla- mal!) ment", oder was meinen Sie damit?) Jede Generation hat ihre Zukunft — nicht immer Die Ergebnisse: Selten gab es so viele Lehrstellen eine gute. Wir arbeiten für eine gute Zukunft der wie heute. Das ist noch nicht genug. Aber auf die- heutigen Generation. Die Jugend zu fördern und zu sem Weg können wir das Ziel für diese jungen Men- fordern ist eine der wichtigsten Maßstäbe unserer schen erreichen. Jugendpolitik. Schwarzmalerei und Panik schaffen (Beifall bei der CDU/CSU) weder einen einzigen Arbeitsplatz noch einen Aus- bildungsplatz Für den Abbau der Arbeitslosigkeit ist die Perspek- tive günstig. In der Bundesrepublik Deutschland (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) liegt die Jugendarbeitslosigkeit auf dem niedrigsten noch sind sie in der Lage, Jugendlichen Zukunft Niveau innerhalb der EG. Die Zahl der arbeitslosen und Zuversicht zu geben. Jugendlichen unter 20 Jahren sank um über 10 % Junge Leute diskutieren, demonstrieren, engagie- oder 14 000 im Vergleich zum Vorjahr. Die aktive ren sich. Sie wollen eine gerechtere Welt. Das ist Arbeitsmarktpolitik wird heute auf dem höchsten je gut so. Junge Leute fragen bohrend bis zum Kern erreichten Niveau betrieben. Junge Menschen sind der Wahrheit, lehnen Ideologisierungen und totali- daran überproportional beteiligt. Es gibt eine Stei- täre Ansprüche ab, verlangen mit Recht nach Sinn- gerung um 60 % in den vergangenen drei Jahren. vermittlung in der Erziehung, sind für neue Wege Dank des wiedergewonnenen finanziellen und offen, wehren sich aber entschieden gegen die Auf- Handlungsspielraums konnten auch die BAföG gabe des Bewährten. Sie stehen zu ihren Eltern und Leistungen beständig gesteigert werden. Geschwistern in der Familie, betrachten einen um- (Vogel [München] [GRÜNE]: Auf Darle- fassenden Lebensschutz auch für das ungeborene hensbasis!) Kind als eine zentrale Aufgabe. Ein Kompliment an diese Haltung der jungen Menschen von heute! Seit 1985 erhalten Eltern wieder Kindergeld für ar- beitslose Jugendliche bis zum Alter von 21 Jahren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Sielaff [SPD]: Das ist eine Dreistigkeit! — Sie sind bereit zum sozialen Engagement, und das Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Es ist unchrist- nicht nur einmal im Jahr, am Tag der Jugend. lich, wenn Sie die Unwahrheit sagen!) Die Umwelt ist für junge Menschen ein weites Sie haben das Kindergeld für arbeitslose junge Feld großartiger praktischer Betätigung und her- vorragender, vorbildlicher Taten. Menschen gestrichen; wir haben es wieder einge- führt. (Frau Wagner [GRÜNE]: Die dürfen die to ten Fische aus dem Rhein holen!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sollten auch dies bedenken: Die Lebensvor- Sie haben das Kindergeld gekürzt; wir haben es stellungen junger Menschen sind unterschiedlicher erhöht. als früher. Mehr als früher existieren innerhalb der (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: So ein jungen Generation Meinungsvielfalt, kontroverse Quatsch!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19461

Kroll-Schlüter Zur gleichen Zeit versprach Johannes Rau, den ben ein Einkommen von über 100 000 DM. Jetzt Kindergartenbeitrag in Nordrhein-Westfalen zu sage ich Ihnen: Wenn Sie diese Familien vertreten, streichen. Das Ergebnis: Der Kindergartenbeitrag dann tun Sie mir leid. wurde von 20 DM bis 100 DM erhöht. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der - (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Doch für CDU/CSU — Abg. Dr. Hoffacker [CDU/- Einkommen über 100 000 DM!) CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Die Reform des Rechts auf Wehrdienstverweige- — Herr Hoffacker, gern. Aber seien Sie so freund- rung hat sich bewährt. Der Jugendschutz wurde lich, sich in 20 Minuten noch einmal zu melden. verbessert. Ich würde jetzt sehr gern zur Frau Süssmuth (Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD] meldet kommen. Ich komme noch einmal auf das Kinder- sich zu einer Zwischenfrage) geld, und ich gebe Ihnen dann das Wort. (Abg. Dr. Hoffacker [CDU/CSU] meldet Vizepräsident Stücklen : Herr Abgeordneter — — sich erneut zu einer Zwischenfrage) — Dann muß ich das jetzt ablehnen, weil ich sonst Kroll-Schlüter (CDU/CSU): Schlimme Video-Filme gar nicht in meine Rede einsteigen kann. wurden bekämpft. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie kneift!) (Sielaff [SPD]: Der läßt doch keine Fragen zu, weil er Angst hat! — Frau Matthäus Diese Vorbemerkung zu Herrn Kroll-Schlüter Maier [SPD]: Der lügt!) war deswegen erforderlich, meine Damen und Her- ren, weil es so deutlich zeigt, daß die CDU Familien- Es gibt beachtliche Erfolge im Kampf gegen die politik und Frauenpolitik mit Wahlkampf verwech- Drogensucht. Der Bundesjugendplan wurde ausge- selt, baut. Damit hat die Bundesregierung nicht nur im materiellen Bereich Zeichen gesetzt, sondern dar- (Beifall bei der SPD) über hinaus auch eine Perspektive eröffnet. Über und ich finde — das tut mir furchtbar leid —, das diese notwendigen konkreten Maßnahmen hinaus haben die Familien und Frauen draußen überhaupt gilt es, diese fortzusetzen, in einen positiven, kon- nicht verdient. struktiven Dialog mit den jungen Menschen weiter einzutreten, der sich auch mit den grundlegenden Fragen unserer Gesellschaft befaßt. Vizepräsident Stücklen: Frau Abgeordnete Däub- ler-Gmelin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Wir müssen auch bereit sein, ungewöhnliche Lö- Abgeordneten Dr. Hoffacker? sungen der jungen Menschen vorurteilsfrei aufzu- greifen (Schlottmann [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Frau Dr. Däubler-Gmelin (SPD): Nein. Herr Präsi- dent, wenn Sie zugehört hätten, wüßten Sie, daß ich und den jungen Menschen die Chance zu geben, ihm gesagt habe, daß ich die Zwischenfrage in ihre Ideen in einem demokratischen, sozialen, frei- 20 Minuten gern gestatte. heitlichen Rechtsstaat durchzusetzen. (Schlottmann [CDU/CSU]: Sehr überheb- (Frau Wagner [GRÜNE]: Das ist wieder lich! — Zuruf von der CDU/CSU: Unmög- dummes Geschwätz!) lich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Wir wollen helfen, fördern und fordern. Wir setzen auf Mitverantwortung und Eigeninitiative junger Menschen. Wir stellen Mut zur Zukunft gegen die Vizepräsident Stücklen: Frau Abgeordnete, gilt das Zukunftslosigkeit einer rot-grünen Politik. für Ihre gesamte Redezeit? Ich danke Ihnen herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Dr. Däubler-Gmelin (SPD): Nein, nein. (Zurufe von der CDU/CSU) Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat Frau Abge- Herr Präsident, vielleicht darf ich das noch einmal ordnete Däubler-Gmelin. wiederholen, damit es jeder, vorne oder hinten, mit- bekommt: In etwa 20 Minuten komme ich noch ein- Frau Dr. Däubler-Gmelin (SPD): Herr Präsident! mal auf das Kindergeld und die Kindergartenfrei- Meine Damen und Herren! Herr Kroll-Schlüter, ich beträge, und ich habe Herrn Hoffacker angeboten, habe an sich nicht vor, mich mit dem zu beschäfti- daß er seine Frage dann sehr gern stellen kann. gen, was Sie sagen; aber lassen Sie mich eine kleine (Schlottmann [CDU/CSU]: Sie hat Angst Korrektur anbringen, die zugleich über den Stil ur- vor der Wahrheit! — Dr. Bötsch [CDU/- teilt, in dem Sie sich auseinandersetzen. CSU]: Vielen Dank, gnädige Frau!) Sie wissen ganz genau, daß die Kindergartenbei- Jetzt, meine Damen und Herren, möchte ich Sie träge in Nordrhein-Westfalen für den Normalver- diener bei 35 DM liegen. Gerade Sie wissen das. darum bitten, sich wenigstens bei diesem Punkt um den Stil der Auseinandersetzung zu bemühen, den (Schlottmann [CDU/CSU]: Herr Rau wollte die Frauen in der Diskussion über ihre Belange sie wegfallen lassen!) wollen. Damit Sie sehen, daß wir im Gegensatz zu — Entschuldigung, die Menschen mit 100 DM Bei- Ihnen eigentlich immer dazu bereit waren, darf ich trag, von denen Sie gerade gesprochen haben, ha- jetzt mit einem Lob beginnen. 19462 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Frau Dr. Däubler-Gmelin Ich fand es nämlich sehr gut, daß sich Frau Süss- 44 Frauen zu erhöhen. Warum schafft die CDU trotz muth auch schon zu einer Zeit als Frauenministerin Ihrer Versprechungen höchstens eine Steigerung verstanden hat, bevor ihr Ministerium die offizielle von 18 auf 21, wobei noch nicht mal diese drei sicher Bezeichnung erhielt, auch wenn die Kompetenzen, sind? wie Sie das ja auch beklagen, dem Titel nicht ent- - (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Hört! Hört!) sprechen. Ich fand es deswegen gut, Frau Süss- muth, weil Sie sich damit in eine Tradition einge- Die Zweifel, Frau Süssmuth, die Hauptzweifel be- reiht haben, die schon bei Frau Schwarzhaupt be- ziehen sich auf Ihre Rolle und Ihre Tätigkeit als gonnen hat, über Frau Focke, Frau Huber und Frau Mitglied dieser Bundesregierung. Fuchs fortgesetzt wurde. Nehmen wir doch zunächst einmal das Erzie- (Frau Karwatzki [CDU/CSU]: Frau Brauk hungsgeld, über das heute schon so viel geredet siepe!) wurde. Lassen Sie uns doch nicht pausenlos dar- — Ja, auch über Frau Brauksiepe, danke schön. Üb- über streiten, wer das parteipolitisch eigentlich frü- rigens auch über Frau Karwatzki; ich darf Sie da her wollte. Wir haben mit dem Mutterschaftsur- ausdrücklich mit einbeziehen. laubsgeld für eine Gruppe von Frauen angefangen, weil der Bundesrat unter ihrer Leitung 1979 mehr (Zuruf von der SPD: Frau Strobel!) nicht mitgemacht hat. Wir haben immer gesagt: Wir — Natürlich auch Frau Strobel, selbstverständlich. wollen eine Ausweitung auf die Hausfrauen und auf die Selbständigen. Wir haben selbstverständlich er- (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sie war die be klärt, daß wir mit der Ausweitung einverstanden ste!) sind. Sie wissen ja auch, daß wir nicht gegen dieses Diese Frauen wollten wirklich für die Interessen Gesetz gestimmt haben. der Frauen einstehen. Das finde ich gut, weil wir (Widerspruch bei der CDU/CSU) wissen, daß die Frauen eine Lobby brauchen, in den Parteien, in den Parlamenten oder in der Regie- — Schauen Sie doch in den Protokollen nach, bevor rung, und weil ich glaube, daß die Frauen, die sich Sie hier falsche Dinge erzählen. Wahrscheinlich in- so verstehen, darin recht haben. Man kann nämlich, teressiert Sie das als Männer nicht so sehr. Frau wie z. B. Ihre Beiträge vieler Kollegen heute mor- Süssmuth wird das besser wissen, sie wird es rich- gen gezeigt haben, bei Männern nicht immer das tigstellen. Interessant, Frau Süssmuth, ist nicht der gleiche Interesse an der Durchsetzung von Rechten Grundsatzstreit, sondern die Frage, ob Ihr Gesetz von Frauen voraussetzen. Manchen von ihnen geht unter frauen- und familienpolitischen Gesichts- es mehr um die Wählerstimmen als um die Rechte punkten nicht hätte besser gemacht werden können der Frauen. und müssen. (Rossmanith [CDU/CSU]: Diskriminieren (Beifall bei der SPD) Sie die Männer nicht!) Nachdem wir 1979 mit 750 DM pro junger berufstä- Deswegen fand ich es gut daß Sie, Frau Süssmuth, tiger Mutter angefangen hatten, und Sie 1982/83 auf gesagt haben: Jawohl, auch ich nehme die Ver- 510 DM gekürzt haben und jetzt 600 DM geben, ist pflichtung auf. das nicht gut, Frau Süssmuth, wenn ich hier von Verpflichtung (Zuruf von der CDU/CSU: Aber allen!) spreche, dann, so glaube ich, bietet die Diskussion um Ihren Haushalt und um Ihre Politik auch den auch dann nicht, wenn Sie die Hausfrauen einbezie- geeigneten Anlaß, auf das einzugehen, was derzeit hen. Und noch etwas: Wenn das Geld knapp ist, in den Interviews, in den Fragen der Journalisten dann muß es doch jedem klar sein, der Frauen- und und auch in den Fragen der Frauen immer deutli- Familienpolitik macht, daß man eine alleinerzie- cher hörbar wird. Es werden nämlich immer deutli- hende junge Mutter, die von dem Geld leben muß, cher Zweifel laut. Nicht Zweifel an dem, was Sie nicht genauso behandeln kann wie eine Frau mit sagen — damit das ganz klar ist; das finde auch ich 10 000 DM Familieneinkommen. in vielen Punkten sehr sympatisch —, aber Zweifel (Beifall bei der SPD) daran, ob Sie sich in Ihrer Partei, in der Regierung Sie wissen ganz genau, daß sich dieser Unterschied durchsetzen können und ob Sie das wollen. entweder in mehr für die alleinerziehende junge (Beifall bei der SPD) Mutter oder in einer Einkommensbegrenzung hätte Diese Zweifel will ich hier vortragen, und ich niederschlagen müssen. habe die Bitte — Sie werden nachher sicherlich (Zurufe von der CDU/CSU) noch reden —, daß Sie darauf eingehen. Die Zweifel Frau Süssmuth, wir sind der Auffassung, das hätten berühren Sie zunächst als CDU-Parteifrau. Da ha- Sie bedenken und ändern müssen. Daß Sie es nicht ben Sie ja mittlerweile wunderschöne Beschlüsse. getan haben, war falsch. Aber die Frauen fragen: Warum fangen die mit der Verbesserung der Repräsentanz der Frauen im Das zweite, meine Damen und Herren Parlament eigentlich nicht sofort an? (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie machen (Beifall bei der SPD) nicht nur Wahlkampf, sondern auch einen Sie wissen ganz genau, daß es auch bei uns nicht primitiven Wahlkampf!) einfach war, durchzusetzen, die Zahl der weiblichen — die Zwischenrufe der Männer zeigen nur, daß sie Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion von 22 auf das offensichtlich gar nicht wissen wollen —, ist die Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19463

Frau Dr. Däubler-Gmelin Frage des Kündigungsschutzes. Vor einem Jahr, als Wer so verfährt wie Sie, der schwindelt nicht nur das Erziehungsgeld hier diskutiert wurde, Frau mit den Tricks der Statistik, sondern der verschlei- Süssmuth, haben Sie gesagt: Warten Sie doch ein- ert das Problem, der hilft nicht den Frauen, sondern mal ab, ob sich die Verwässerung des Kündigungs- der entmutigt sie. schutzes tatsächlich gegen die jungen Frauen aus- - wirkt. Da haben wir gesagt: Gut, warten wir ab. Und Genau das gleiche ist der Fall beim Babyjahr. wenn Sie heute bei den Gewerbeaufsichtsämtern Auch da kann ich es einfach nicht mehr hören, daß nachfragen — wir tun das —, dann werden auch Sie Sie ausschließlich aufrechnen wollen. Alle Leute feststellen, daß sich nicht nur die Anträge auf Kün- wissen mittlerweile, daß wir 1972 daran gescheitert digung, die gestellt wurden, um ein Mehrfaches er- sind, daß Sie damals nicht mitgemacht haben, daß höht haben, sondern daß tatsächlich auch gekün- wir deswegen nicht einmal den Einstieg geschafft digt wird. Diese Verwässerung des Kündigungs- haben. Alle Frauen wissen heute auch, daß wir So- schutzes ist schädlich, das muß nicht sein. Die be- zialdemokraten sagen: Wir helfen Ihnen dabei, das rufstätigen jungen Frauen sollten doch nicht ausba- Babyjahr durchzusetzen, weil wir uns im Interesse den müssen, daß die Hausfrauen einbezogen wer- der Frauen und Familien nicht so verhalten, wie Sie den. Das muß nicht sein, wenn man etwas für die das tun. Frauen tun will. (Frau Verhülsdonk [CDU/CSU]: Zehn (Beifall bei der SPD) Jahre haben Sie Zeit gehabt!) Ich sage Ihnen noch eines: Sie wissen nicht und — In diesen zehn Jahren haben gerade Sie uns, wir wissen nicht, was da unter der Hand an Prakti- Frau Verhülsdonk, nicht in dem Maße geholfen, in ken des Hinausdrängens tatsächlich noch abläuft. dem wir Ihnen heute helfen. Und genau das macht uns Sorge. (Beifall bei der SPD — Rossmanith [CDU/- (Schlottmann [CDU/CSU]: Hoffentlich hö CSU]: Sie hatten doch zu der Zeit die Mehr- ren das die Hausfrauen!) heit! — Schlottmann [CDU/CSU]: Billige Wir erwarten von Ihnen, daß für die Frauen erheb- Entschuldigung! — Weitere Zurufe von der lich mehr getan wird. Und das ist auch möglich. CDU/CSU) Noch eines: Ich kann nicht begreifen, warum bei- — Diese ganze Schreierei, diese ganze Streiterei spielsweise eine junge Schuhverkäuferin, die Erzie- bringt überhaupt nichts. Entscheidend ist vielmehr hungsurlaub nimmt, auch noch dazu dienen muß, die Tatsache, daß wir von einer Frauenministerin, die Statistik über die Beschäftigung der Bundesre- auch wenn sie Mitglied dieser Regierung ist, erwar- gierung zu schönen. Die Bundesregierung prakti- ten, daß sie gemeinsam mit uns die Verbesserungen ziert nämlich Tricks, um nach außen zu sagen: Mit für die Frauen durchsetzen kann, die heute geboten der Beschäftigung der Frauen ist es gar nicht so sind. schlimm, sie nimmt zu: Sie zählen nicht nur die Schuhverkäuferin, die Erziehungsurlaub nimmt, (Beifall bei der SPD) sondern dazu noch einmal die Vertreterin auf dem Es geht um das, was heute möglich ist. Beim gleichen Arbeitsplatz. Sie zählen doppelt. Babyjahr ist es doch nicht so, daß es heute neu (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das kann doch wäre, daß das Geld kostet. Das haben wir Ihnen nicht wahr sein!) schon 1983 und 1984 gesagt. Wir haben Ihnen auch gesagt, daß alle Mütter draußen wissen, daß dieses Das tun Sie 150 000 mal in diesem Jahr. Wissen Sie, Geld natürlich nicht zweimal ausgegeben werden ich habe das auch nicht geglaubt, aber wenn Sie es kann. Man kann es entweder nur für die Frühpen- nachlesen wollen, dann brauchen Sie nicht nur bei sionierung der Bundeswehroffiziere der Bundesanstalt für Arbeit nachzulesen, sondern Sie können das sogar im Jahresgutachten der fünf (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Mit 45 Jah- Weisen nachlesen. Sie finden in Ziffer 90, daß in den ren werden die pensioniert!) 250 000 Mehrbeschäftigten, von denen Sie ausge- hen, diese Frauen mit enthalten sind. oder für die Mütter ausgeben. Man kann es entwe- der nur für die Steuersenkungen von Spitzenverdie- (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Hört! Hört!) nern oder für die Mütter ausgeben. Ich sage Ihnen: Das ist nicht nötig und nicht kor- rekt. (Rossmanith [CDU/CSU]: Weshalb haben Sie sich das denn vorher nicht selber ge- (Zurufe von der CDU/CSU) sagt? — Weitere Zurufe von der CDU/- — Sie brauchen sie nicht doppelt zu zählen. Sie CSU) müssen 150 000 abziehen. Frau Süssmuth, Sie müs- Wir haben Ihnen auch gesagt, wir seien bereit, die sen das deshalb tun, weil Sie sonst nach außen den richtigen Prioritäten mit nach außen zu verantwor- Eindruck vermitteln, mit der Frauenbeschäftigung ten. Auch haben Sie ganz genau gewußt, daß Sie sei alles in Ordnung, wogegen es doch in Wirklich- dieses „Jahrhundertwerk" mit falschen Etiketten keit immer schwieriger wird. Die Arbeitsbedingun- anpreisen. Und wir sind auch jetzt noch bereit — gen der Frauen verlangen, daß die Frauenministe- wir haben das mehrfach gesagt —, zu helfen. Las- rin sich um sie kümmert. sen Sie uns den Schritt für alle Mütter gemeinsam (Beifall bei der SPD — Zurufe von der tun. Wir halten es für unglaublich ungerecht — ich CDU/CSU) sage das an diesem Podium sicher schon zum zehn- 19464 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Frau Dr. Däubler-Gmelin 1 ten Mal —, zunächst sämtliche Mütter auszugren- de, als wir die Rentenversicherung für sie geöffnet zen, die vor 1921 geboren sind. haben: Sie haben sich nachversichert und sollen (Beifall bei der SPD) deswegen keinen Babyjahrzuschlag bekommen. Auch die werden ausgegrenzt. Von Ihnen! Wir halten es für völlig unmöglich — und ich finde - es traurig, daß Sie immer noch auf dieser Zumu- (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das kann doch tung beharren —, die älteren Mütter bis Ende 1990 nicht angehen! Unglaublich!) warten zu lassen, obwohl auch Sie wissen, daß ein Das halte ich für unmöglich, das müssen Sie än- Viertel der Mütter das nicht mehr erleben wird. dern! (Dolata [CDU/CSU]: Lesen Sie einmal (Beifall bei SPD) nach, was Herr Blüm dazu gesagt hat! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der Da gibt es eine dritte Gruppe, die der Kriegerwit- FDP) wen, deren Männer im Krieg geblieben sind und die deswegen gezwungen waren, ihre Kinder mit ihrer — Ich halte es für unglaublich, meine Damen und Hände Arbeit zu ernähren, Herren, wie Sie darauf jetzt wieder reagieren, (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Genau!) (Beifall bei der SPD) die über Ihrer Verdienstgrenze von etwa 140 DM im obwohl Sie ganz genau wissen, daß die Rentenversi- Monat liegen und deswegen kein Babyjahr bekom- cherungsträger das nicht nur uns, sondern auch men. Das ist ein Skandal; die müssen einbezogen Frau Süssmuth und Ihnen sagen. werden. Das hätten Sie schon längst aufgreifen (Frau Dr. Adam-Schwaetzer [FDP]: Nichts müssen. als Polemik!) (Beifall bei der SPD — Rossmanith [CDU/- Ich halte es geradezu für bedauerlich, daß Sie so CSU]: Erzählen Sie doch einmal, was Sie tun, als ob von den fünf Millionen Müttern, die von 1969 bis 1982 gemacht haben! Das wäre eigentlich in den Genuß des Babyjahres kommen doch viel interessanter! — Weitere Zurufe müßten, tatsächlich eine große Zahl profitieren von der CDU/CSU) könnten. Dabei wissen Sie doch ganz genau, daß es Die vierte Gruppe, Frau Süssmuth, der Sie sich in diesem Jahr nicht mehr als 5 % sein werden: etwa annehmen müssen, sind die Mütter, die z. B. zwei 250 000. Das ist noch nicht einmal die Zahl, die Sie Kinder haben, die über keine eigene Rente verfü- für das Jahr 1986 eingeplant hatten; das ist bedau- gen, die ihr ganzes Leben Hausfrau waren und de- erlich. nen Sie jetzt zumuten, sich für weitere drei Jahre Und jetzt sage ich Ihnen noch etwas, Frau Süss- nachzuversichern, bevor sie überhaupt in den Ge- muth: Wenn es Ihnen um die Frauen und Mütter nuß des Babyjahres kommen. geht, dann müssen Sie auch denen, die jetzt im Manchmal, Frau Süssmuth, habe ich den Ein- Prinzip einen Rentenanspruch haben, dabei helfen, druck, daß nicht nur Ihre Kollegen hier, sondern daß sie ihn wirklich bekommen. Denn wir wollen auch Ihr Ministerium das noch gar nicht ganz doch nicht — ich denke, ich gehe da mit Ihnen einig; durchschaut hat. Wenn ich mir nämlich durchlese, jedenfalls für uns Sozialdemokraten gilt das — die was in Ihren Broschüren steht, die man kostenlos Mütterleistung ganzer Gruppen ausschließen. Das auf Hochglanz bekommt, bemerke ich: Die Frauen können doch auch Sie nicht wollen. finden dort nichts darüber. (Rossmanith [CDU/CSU]: Sie haben es (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist kein aber ständig getan! — Weitere Zurufe von Hochglanz! — Rossmanith [CDU/CSU]: der CDU/CSU) Vom Druckwesen keine Ahnung!) Ich will Ihnen jetzt einmal vier Punkte nennen, in Wenn Sie aber z. B. das lesen, was die Rentenversi- denen dieses heute geltende Gesetz verbessert wer- cherungsträger — hier die Bundesanstalt für Ange- den muß. Hören Sie gut zu, damit Ihnen das ein für stellte — an konkreten Auskünften geben — und allemal klar wird. Da gibt es eine Menge Vertriebe- alle Frauen sollten das lesen —, dann stellen Sie ner unter den Frauen, die z. B. von Königsberg nach fest, daß hier die tatsächlichen Ausnahmen und Dänemark ausgelagert wurden, Ausgrenzungen enthalten sind. Und ich sage Ihnen: (Zuruf von der CDU/CSU: Nach Brati Das stimmt. Die Frauen merken das, wenn sie An- slava!) träge stellen. Die werden dann abgelehnt. Ich sage Ihnen: Eine Frauenministerin darf das nicht auf die dort ihre Kinder bekamen und deswegen keine sich beruhen lassen. Die muß das aufgreifen, selbst Babyjahr-Anrechnung bekommen. wenn es die Kollegen nicht gern hören. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das kann doch (Beifall bei der SPD) nicht sein!) Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kom- Das ist das eine, Frau Süssmuth, was Sie aufgreifen men, nämlich zu der Situation berufstätiger junger und verbessern müssen. Sonst bleibt das unge- Frauen. recht. Darüber, daß sich da noch viel ändern muß, brauchen wir, glaube ich, ebenfalls nicht zu streiten. Da gibt es eine zweite Gruppe, nämlich diejeni- Da gibt es die vier großen A: Ausbildung, Arbeitslo- gen Frauen, die z. B. als Hausfrauen ohne eigene sigkeit, Arbeitsbedingungen, Aufstiegsmöglichkei- Rente das getan haben, was ihnen empfohlen wur- ten, wo sich vieles ändern muß. Es stimmt natürlich Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19465

Frau Dr. Däubler-Gmelin nicht, Herr Eimer, daß die Welt und die Entwick- In jedem Jahr werden Vorschläge für Richter- lung erst vor zwei Jahren angefangen hätten. Wir wahlen an Obersten Bundesgerichten vorgelegt. haben früher angefangen. Und es geschah — man Wir haben in diesem Land hervorragende Richte- sollte ausdrücklich und sehr deutlich sagen — da- rinnen und Juristinnen. Dennoch erleben wir im- mals häufig auch mit Ihrer Hilfe. mer wieder — wir monieren das, Sie monieren es nicht, und das ist ein Skandal, weil sich dann nichts Aber an der Verbesserung müssen nicht nur an- ändert — , daß keine Frauen in diesen Richterwahl- dere Leute mitarbeiten. Da müssen nicht nur die listen aufgeführt sind. Das geht jetzt so, seit Sie die Wirtschaft und der Handel und der Betrieb ran. Regierung übernommen haben. Sondern selbstverständlich muß auch eine Frauen- ministerin ran. Selbstverständlich muß auch sie (Zuruf von der CDU/CSU: Und vorher?) sich darum kümmern, was mit den Bundesgesetzen — Vorher war es anders. Sie wissen das ganz ge- los ist. nau. Sie wissen genau, Frau Süssmuth, daß ich das (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) anspreche. Auch Beschäftigungsförderungsgesetz Es ist sogar in diesem Jahr anders, Herr Werner. Sie haben ausdrücklich gesagt, auch Sie wollten Das darf ich Ihnen sagen, weil ich hoffe, Sie meinen nicht, daß es frauenfeindliche Auswirkungen auf- Ihre Frage ernst und es geht Ihnen nicht wieder weise. Sie haben sogar versprochen: Wenn Ihnen nur um Wahlkampf. Sie wissen ganz genau, daß wir nachgewiesen würde oder Sie davon überzeugt wä- Sozialdemokraten dafür gesorgt haben, daß jetzt ren, daß z. B. Textilarbeiterinnen benachteiligt wür- beide Senate des Bundesverfassungsgerichts we- den, würden Sie sich für eine Änderung einsetzen. nigstens eine Frau haben. Auch für den Bundesge- Nur, das Problem ist doch, daß Ihr Versprechen bis richtshof muß das so werden. heute in der Luft hängt. Das zerrinnt alles so. Sie sagen bestenfalls, die Untersuchungen, die man Ih- (Schlottmann [CDU/CSU]: Was will denn nen zusendet, seien nicht korrekt. Die werden pau- die SPD in der Familienpolitik?) schal abgelehnt. Wenn wir Sozialdemokraten fra- Ich fände es gut, Frau Süssmuth, wenn Sie sich gen, geben Sie auf konkrete Fragen keine Antwort. darum kümmern würden. Aber im Vorspann Ihrer Texte gibt es dann um so mehr Blümsche Ideologie. Daß ich Minister Schwarz-Schilling angespro- chen habe, hat einen anderen Grund. Gerade die Ich sage Ihnen: Es gibt zwei Dinge, die Sie ma- Bundespost stellt viele Frauen ein. Sie tut es auf chen können und müssen; und die fordern wir von Teilzeitbasis. Sie tut es häufig ohne Kündigungs- Ihnen. Bei der Bundesanstalt für Arbeit existieren schutz. Sie tut es häufig ohne Versicherungsschutz. nicht nur die Zahlen, sondern auch ein Forschungs- Der neueste Fall, den ich Ihnen nachher gern über- institut, das Aussagen und Wertungen sehr schnell gebe, ist, daß Postgehilfinnen, die man ausgebildet auf den Tisch legen kann, wenn die Regierung es hat, danach nur zu Aushilfszwecken mit Kettenar- nur will. Dieses Forschungsinstitut der Bundesan- beitsverträgen eingestellt werden. Der schlimmste stalt für Arbeit sollte schnell einen Auftrag von Fall, den ich hier gesehen habe: Es wurden 17 Ket- Ihnen bekommen. Es hat ihn immer noch nicht. tenarbeitsverträge in 18 Monaten vereinbart. Der Statt dessen vergeben Sie Forschungsaufträge, die 18. Kettenarbeitsvertrag wurde nicht mehr bewil- irgendwann einmal in mehreren Jahren vielleicht ligt, weil die junge Frau schwanger wurde und die Ergebnisse bringen können. Das ist viel zu spät, so Post sich die Mutterschutzkosten sparen wollte. verdrängt man ein Problem. Für solche Skandale — da haben Sie recht — gibt Der zweite Punkt. Wenn Sie schon eine monatli- es Gott sei Dank Gewerkschaften und Arbeitsge- che Beschäftigtenstatistik führen, Frau Süssmuth richte. Aber ich sage Ihnen: Eine Frauenministerin — und ich halte das für sehr gut —, dann sollten Sie muß das auch auf Regierungsebene aufgreifen. die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse Wenn sie das nicht tut, wenn sie derartige Dinge der Männer und Frauen in die Statistik aufnehmen. unterläßt, dann entzieht sie sich der Verpflichtung Ich sage Ihnen, die gesamte Öffentlichkeit wird er- und auch dem Vertrauen, das die Frauen in sie set- staunt die Augen aufreißen, was da herauskommt. zen. Denn das Beschäftigungsförderungsgesetz hat tat- (Beifall bei der SPD — Kroll-Schlüter sächlich die Auswirkung, daß Frauen, die arbeitslos [CDU/CSU]: Das war gesetzeswidrig! Das sind, kaum noch andere als befristete Arbeitsver- wissen Sie ganz genau!) träge angeboten bekommen. — Natürlich ist es gesetzeswidrig, aber sagen Sie (Beifall bei der SPD) das Herrn Schwarz-Schilling. Er läßt es doch trotz- Frau Süssmuth, wenn wir schon bei Arbeitsbedin- dem machen. Das ist doch genau das, was ich mo- gungen sind, habe ich eine Bitte. Ich fände es schön, niere. wenn Sie als Frauenministerin sich auch mit Ihren (Rossmanith [CDU/CSU]: Das hat doch Kollegen unterhalten würden. In deren Ressort dür- nicht er gemacht! — Hoffentlich haben Sie fen Sie zwar kompetenzmäßig nicht eingreifen — der Frau auch geholfen und nicht nur gere- das weiß ich wohl —, aber als Frauenministerin det!) haben Sie, glaube ich, auch die Verpflichtung, sich mit dem zu beschäftigen, was Ihre Kollegen Engel- Offensichtlich muß es ihm doch jemand sagen. hard und auch Schwarz-Schilling tun oder nicht Jetzt komme ich noch einmal zum Familienbe- tun. reich. Da, Herr Hoffacker, können Sie gern noch 19466 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Frau Dr. Däubler-Gmelin einmal fragen, wenn Sie möchten. Schauen Sie, Einwendungen. — Nachdem Sie also lange am Mi- Frau Süssmuth hat sich in der letzten Zeit mit der krophon ausgeharrt haben, stellen Sie bitte Ihre Deutschen Liga für das Kind angelegt. Die Deut- Frage. sche Liga für das Kind ist j a ein sehr honoriger Ver- ein. Dr. Hoffacker (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Prä-- (Abg. Dr. Hoffacker [CDU/CSU] meldet sident. sich zu einer Zwischenfrage) Frau Abgeordnete, es geht mir um den Kinder- — Einen Moment noch, Herr Hoffacker. Dem Ver- gartenbeitrag in Nordrhein-Westfalen. Ist Ihnen be- ein gehören ziemlich viele Organisationen an, etwa kannt, daß der Ministerpräsident Rau und sein Fi- die Bayerische Jugendhilfe, der Bund deutscher nanzminister Dr. Posser vor der Wahl 1980 lauthals Hebammen, der Bundesverband der Ärzte im öf- verkündet haben, es gebe einen Nulltarif für die fentlichen Gesundheitswesen, Adoptiveltern auf Kindergartenbeiträge, und nach der Wahl der Be- Bundesebene, der Akademikerinnenbund, der Deut- trag von 35 DM bis auf 100 DM gestaffelt nach Ein- sche Familienverband, der Kinderschutzbund, u. ä. künften eingeführt worden ist? Mit denen haben Sie sich angelegt, weil die Deut- sche Liga für die Rechte des Kindes in Familie und Frau Dr. Däubler - Gmelin (SPD): Herr Hoffacker, Gesellschaft Ihnen vorgerechnet hat, wie es mit Ih- ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, daß Sie jetzt ren familienpolitischen Leistungen steht. die Zahl 35 DM, die ich vorher genannt habe, bestä- tigt haben. (Schlottmann [CDU/CSU]: Falsche Berech nungen, das wissen Sie auch! Das ist längst (Schlottmann [CDU/CSU]: Nein, es geht geklärt!) um das Versprechen, die Beiträge fallen zu lassen!) Diese darf ich Ihnen jetzt einfach einmal vortra- Ich glaube, man sollte das noch einmal wiederholen, gen. Die Zahlungen nach dem Bundeskindergeldge- und zwar einfach deshalb, weil sich die Zahl, die setz sind danach seit 1981 bis 1986 von 18,9 auf 14,2 Herr Kroll-Schlüter vorhin genannt hat, in wirklich Milliarden DM zurückgegangen. Die Zahlungen unglaublicher Weise davon unterscheidet. nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz sind von 2,4 auf 1,5 Milliarden DM zurückgegangen. Das (Beifall bei Abgeordneten der SPD — nur zu Ihren Zahlenangaben, Herr Kroll-Schlüter! Schlottmann [CDU/CSU]: Herr Rau hat Wähler getäuscht! — Rossmanith [CDU/- Meine Damen und Herren, auch unter Anrech- CSU]: Wahlbetrug!) nung der Kindererziehungszeiten, auch unter An- rechnung der Steuervergünstigungen kommt diese Was Herr Rossmanith vorhin sagte, ist insofern Aufstellung zu dem Ergebnis, daß sich ungeachtet leider Gottes auch nicht richtig, weil die bayeri- der preislichen Unterschiede die Lasten und die schen Beiträge, wie Sie wissen, erheblich höher lie- Vorteile für Familien negativ entwickelt haben. gen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist falsch!) (Abg. Dr. Hoffacker meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage) Sie kommen zu dem Ergebnis, daß Ihre Bundesre- gierung in diesen fünf Jahren 1 Milliarde DM weni- Vizepräsident Stücklen: Sie können den Versuch ger für Familien ausgibt. zu einer Zusatzfrage machen. Nun haben Sie, Frau Ministerin Süssmuth, dazu einen Presseartikel veröffentlicht. Sie werfen der Frau Dr. Däubler - Gmelin (SPD): Die Uhr läuft wei- Liga vor, sie sei unseriös. Sie werfen ihr Manipula- ter. Ich gehe davon aus, daß mir das nicht angerech- tion vor. net wird. (Schlottmann [CDU/CSU]: Frau Kollegin, damit können Sie nicht operieren! Die Zah Vizepräsident Stücklen: Die Uhr läuft weiter, Frau len stimmen nicht! — Rossmanith [CDU/ Kollegin. CSU]: Für Kinder, die abgetrieben werden, kann man kein Kindergeld zahlen!) Frau Dr. Däubler - Gmelin (SPD): Ich gestatte es gerne. Wissen Sie, Frau Süssmuth, wenn Sie sich darauf- hin genau vorrechnen lassen müssen, daß die Zah- Dr. Hoffacker (CDU/CSU): Frau Kollegin, es geht len natürlich stimmen, weil es alles amtliche Zahlen mir doch um den Casus cnactus — das haben Sie sind, dann finde ich das sehr peinlich. Ich glaube, doch verstanden —, daß vor der Wahl gesagt wor- dies stärkt das Vertrauen nicht. Ich bin ganz sicher, den ist: wir haben den Nulltarif, daß aber nach der daß sich, wenn Sie heute wiederum auf Ihrer Ver- Wahl ein Betrag von 35 bis 100 DM eingeführt wur- sion beharren sollten, die Deutsche Liga für das de. Es geht mir darum, ob Sie das wissen. Kind wiederum melden wird. Wir werden es dann wieder im Bundestag vortragen. Frau Dr. Däubler - Gmelin (SPD): Wissen Sie, Herr Jetzt bitte schön. Hoffacker, jetzt will ich es für Sie noch einmal wie- (Beifall bei der SPD) derholen, weil Sie offenbar nicht bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen. (Rossmanith [CDU/CSU]: Sie sind nicht Vizepräsident Stücklen: Frau Abgeordnete Gmelin, bereit! — Schlottmann [CDU/CSU]: Eine das ist zwar meine Aufgabe, aber ich habe keine ganz billige, miese Tour ist das!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19467

Frau Dr. Däubler-Gmelin Sie argumentieren wirklich pausenlos mit falschen Wenn Frauen in der Politik als Frauenminister Zahlen. Deswegen muß man hier noch einmal sehr wichtig sind, dann doch deshalb, weil sie in solchen deutlich herausstellen: Die Zahlen, die Herr Ross- Fällen sagen müssen: Jawohl, wir sind vorsichtig; manith genannt hat, und die Zahlen, die Herr Kroll- wir halten uns zurück; wir nehmen wenigstens im Schlüter genannt hat, sind reiner Wahlkampf. Interesse der Frauen und Familien das Atomener-- gierisiko nicht weiter in Kauf. — Ich fürchte, Frau (Beifall bei der SPD) Minister, daß Sie hier Vertrauen, das in Sie gesetzt Die Zahlen in Nordrhein-Westfalen liegen erheblich wurde, nicht erfüllt haben. Ich bedaure das sehr. Ich niedriger als in Bayern. hätte es sehr gerne anders gehabt. (Rossmanith [CDU/CSU]: Herr Rau hat ei Danke schön. nen unehrlichen Wahlkampf gemacht!) (Beifall bei der SPD) Sie sollten meiner Ansicht nach aufhören, derart mit Zahlen zu jonglieren. Die Familien draußen Vizepräsident Stücklen: Ich erteile der Frau Bun- wissen j a doch, daß Sie nicht recht haben. desministerin für Jugend, Familie, Frauen und Ge- sundheit das Wort. (Beifall bei der SPD)

Jetzt lassen Sie mich noch einmal einen letzten Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister für Jugend, Punkt nennen. Frau Süssmuth, jetzt komme ich Familie, Frauen und Gesundheit: Herr Präsident! noch einmal zu Ihnen. Sie haben gestern in einem Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, Interview mit der „Brigitte", wie ich finde, in sehr daß mit sehr viel Aufwand versucht worden ist, uns deutlicher Art und Weise über Ihre Hoffnungen und Untätigkeit und mir Unfähigkeit vorzuwerfen, weil auch über Ihre Ergebnisse geredet. Ich fand das gut wir offenbar zu stark sind. und will zum Schluß noch einmal aufgreifen, was dort steht. „Brigitte" hat gefragt: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich habe sehr deutlich den Eindruck, daß wir in die- Sie hatten bisher die Sympathie vieler Frauen, sen vier Jahren zu viel bewegt haben und daß Sie gleich welcher politischen Richtung. Ist Ihnen mit Attacken antworten und fragen, wo die Taten bewußt, daß sich das nach Tschernobyl geän- seien. Wir haben durchaus weit mehr Taten aufzu- dert hat? weisen, als in der Regierungserklärung verspro- Dann wurde weiter gefragt: chen waren. viele sind enttäuscht, daß Sie sich auf die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Seite der Kernkraft-Befürworter geschlagen Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Die Arbeitslosen- haben, die nur beschwichtigen. zahl hat sich gegenüber den Versprechun- gen der Regierung verdoppelt!) Sie wissen, was ich damit anspreche, daß ich einen — Frau Fuchs, zu den Arbeitslosenzahlen komme ganz wichtigen Punkt aufgreife, in dem Sie voll- ich gleich auch noch. Zunächst geht es um den Be- ständig versagt haben, und zwar so, daß man Ihnen reich Familien-, Jugend-, Frauen- und Gesundheits- auch die Kompetenzen „Gesundheitsschutz/Um- politik. weltbereich" weggenommen hat: Das war die Situa- tion nach Tschernobyl. (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Hat auch etwas mit Arbeitslosen zu tun!) Wenn Frauen den Frauen in der Politik einen Vertrauensvorschuß geben, tun sie das nicht des- — Eins nach dem anderen. halb, damit die Frauen nur das gleiche wiederholen, Die Bilanz, die wir aufzuweisen haben, ist eine was die Regierung sowieso immer sagt. Frauen tun Bilanz nicht nur der kleinen Kurskorrekturen, son- das deshalb, damit in Situationen, die ungeklärt dern der großen Weichenstellungen, und dies in ei- sind, die Verantwortungsbewußtsein und Vorsicht ner Zeit, in der nicht damit zu rechnen war. Ich den- erfordern, diese auch zur Geltung gebracht wer- ke, daß ganz entscheidende Weichenstellungen er- den. folgt sind, indem wir neben der Förderung der Er- werbsarbeit mit einer ausschließlichen Bewertung (Beifall bei der SPD) des Menschen von der Erwerbsarbeit her Schluß Tschernobyl, Frau Süssmuth, war so ein Fall. Sie gemacht haben. haben am 6. Juni hier im Hause den Müttern er- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) klärt, es brauche sich niemand von ihnen um das Wenn ich den Nürnberger Beschlüssen entneh- Wohlergehen ihrer Kleinst- und Kleinkinder Sor- me, daß Sie nun auch unserem familienpolitischen gen zu machen. Sie würden ungefährdet aufwach- Programm gerade in diesen Punkten folgen, ist ja sen können. Woher wissen Sie das eigentlich? Na- offenbar ein Lernprozeß in Gang gekommen. türlich gibt es viele Wissenschaftler, die Ihnen das bestätigen. Aber es gibt mindestens genauso viele, (Lachen bei der SPD) die sagen, daß die Langzeitrisiken und -gefahren so — Ihr Lachen zeigt nur, daß Sie nichts Besseres zu groß seien, daß man solch leichtfertige Aussagen bieten haben. nicht machen darf. (Beifall bei der SPD — Dr. Bötsch [CDU/ Vizepräsident Stücklen: Frau Bundesministerin, CSU]: Das waren allenfalls Bremer Profes gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abge- soren!) ordneten Matthäus-Maier? 19468 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister für Jugend, Familie und ältere Frauen", sondern im Verbund Familie, Frauen und Gesundheit: Nein, ich gestatte mit Jugendarbeitslosigkeit, mit allgemeiner Ar- keine Zwischenfrage. beitslosigkeit auch um die Frage der generellen so- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — zialen Sicherung. Die Lösung kann nicht sein, Prio- Zurufe von der SPD) ritäten zu setzen für die einen oder die anderen- oder Gräben zwischen den Generationen aufzurei- — Das macht nichts. Sie haben sehr viel Redezeit ßen; wir nehmen für uns vielmehr in Anspruch, bei gehabt. Zunächst möchte ich meinen Part darstel- großen Problemen beides in Angriff genommen zu len. haben, keinen Graben zwischen den jüngeren und (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Also, gleich älteren Frauen aufzureißen komme ich dran?) (Zurufe von der SPD) — Sie kommen sicherlich dran. und den Graben zwischen erwerbstätigen und Ich möchte zum zweiten sagen, daß dies keine nichterwerbstätigen Müttern endlich zuzuschütten. kurzfristige Aufgabe ist, sondern daß gerade die (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von Frage, wie wir die Familientätigkeit sowohl der jun- der SPD) gen Familien wie der Familien mit älteren Famili- enangehörigen bewerten, bisher historisch absolut Wenn Sie heute sagen, Sie sind mit uns der Auf- zu kurz gekommen ist. Wenn mir Frau Däubler fassung, daß es darum geht, auch den nichterwerbs- Gmelin sagt, wir hätten hier eine Zukunftsaufgabe, tätigen Müttern Gerechtigkeit widerfahren zu las- würde ich uneingeschränkt zustimmen; nur ist sie sen, dann kann ich dankbar entgegennehmen, daß bisher völlig unbeachtet gelassen worden. Sie das heute so sagen; aber bei der Mutterschafts- urlaubsregelung hat es keinen Pfennig für die Wenn Sie heute die Frage stellen, wie wir mit nichterwerbstätigen Mütter gegeben. dem Sterben der Frauen umgingen, dann muß ich Sie fragen, wie Sie 20 oder zumindest 13 Jahre (Beifall bei der CDU/CSU) damit umgegangen sind. Da haben Sie nach den Wenn Sie weiter erklären, wir hätten die Alleiner- sterbenden Frauen nicht gefragt. ziehenden nicht oder nicht hinreichend berücksich- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — tigt, dann muß ich auch zurückfragen, wo die Allein- Zurufe von der SPD) erziehenden in der Mutterschaftsurlaubsregelung Ich denke — das möchte ich hier ausdrücklich auf- berücksichtigt wurden. Sie wurden nicht berück- sichtigt. Das Mutterschaftsurlaubsgeld wurde auf greifen — , daß wir damit Schluß machen sollten, daß irgend jemand auf das Ableben von irgend je- die Sozialhilfe angerechnet. Es ist erstmalig, daß mandem wartet. das Erziehungsgeld nicht auf die Sozialhilfe ange- rechnet wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! — Schäbig! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — Zuruf des Abg. Glombig [SPD]) Ich denke, daß es nicht nur eine allgemeine famili- Das gilt sowohl für die Anerkennung von Erzie- en- und frauenpolitische Leistung ist, hier Teilzeit- hungszeiten im Rentenrecht wie für die Entschädi- arbeit ermöglicht zu haben, sondern daß dies ge- gungsfrage, die Sie eben angesprochen haben. Kein rade für die alleinerziehenden Mütter einen hohen Mensch ist so zynisch, mit diesem Gedanken zu Stellenwert hat. Insofern, denke ich, müssen wir spielen. uns hier nicht sagen lassen, wir hätten die Interes- sen der Alleinerziehenden überhaupt nicht berück- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der sichtigt. Ganz im Gegenteil. Mit Blick auf Schwan- SPD: Dann sollten Sie handeln! — Glombig gerschaftskonflikte ist hier durchaus ein Zusam- [SPD]: Sie könnten ja sofort etwas geben!) menhang zwischen neuen Rechtsansprüchen beim Ich denke, daß zunächst einmal die Handlungen Erziehungsgeld und der Nichtanrechnung auf So- in der Familienpolitik nachzuweisen sind, und zwar zialhilfe gesehen worden. sowohl im Bereich der Verbesserung des Familien- (Zuruf von den GRÜNEN) lastenausgleichs wie auch der Förderung der jun- gen Familie. Wir haben das Thema Familie und Ich glaube, es wäre an der Zeit, die Stiftung „Mut- älterer Mensch erstmals besetzt. Es war gar nicht ter und Kind" nicht mehr kontrovers ins Gespräch mehr von der Mehrgenerationenfamilie die Rede. zu bringen. (Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich glaube und hoffe, daß wir eine Gemeinsamkeit Denn die Auffassung in der Bevölkerung — auch haben, wenn wir gerade der Pflegetätigkeit in der bei den Frauen — ist eine ganz andere als die, über nächsten Legislaturperiode unsere ganz gezielte welche hier im Parlament kontrovers debattiert und nachdrückliche Aufmerksamkeit entgegenbrin- wird. gen. (Zurufe von der SPD — Frau Wagner (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) [GRÜNE]: Da zeigt sich doch nur die Ar- Ich möchte hier für die Koalitionsregierung noch mut der Frauen!) einmal deutlich machen, wie viele Probleme ihr Was die Armut der Frauen betrifft, so wird auch so gleichzeitig als Hausaufgaben auf den Tisch gelegt getan, als sei sie von uns herbeigeführt worden. Uns worden sind. Es geht nicht nur um die Frage „junge wird vorgeworfen, wir hätten eine Familienpolitik Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19469

Bundesminister Frau Dr. Süssmuth auf den Weg gebracht, die die Frauen nur ins Haus Frau Matthäus-Maier (SPD): Frau Süssmuth, da abdrängen wollte. Sie die Steuerpolitik ansprechen: Können Sie denn (Zuruf von der SPD: So ist es!) bestätigen, daß durch das Wiedereinführen der Kinderfreibeträge durch Sie — was besonders be- Das Gegenteil ist der Fall. dauerlich ist, weil wir sie 1974 alle gemeinsam in- (Zuruf von den GRÜNEN) diesem Hause, also auch mit Ihren Stimmen, abge- schafft haben, weil sie unsozial sind — die Kinder Ich glaube, daß keine der Koalitionsparteien und eines Höchstverdieners mit über 260 000 DM Ein- niemand von der Regierung um den Erziehungsur- kommen im Jahr — 260 000 DM! — laub hätte kämpfen müssen, wenn es darum ginge, die Frauen ins Haus zurückzubringen und ihnen (Zurufe von der CDU/CSU: Lappas!) keine Sicherung auf dem Arbeitsmarkt zu gewäh- zweieinhalbmal soviel — — ren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Stücklen: Frau Kollegin, darf ich bit- ten, die Frage ganz kurz zu stellen. Ich denke, daß ich draußen so viel Glaubwürdigkeit besitze — so selbstbewußt möchte ich das hier je- denfalls formulieren —, Frau Matthäus-Maier (SPD): Entschuldigen Sie, wenn ich von dem Mob unterbrochen werde, dann (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — möchte ich — — Zurufe von der SPD) (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU — Bei- daß die Frauen wissen, daß ich in der Frage der fall bei der SPD) Minderung von Konflikten zwischen Familie und Beruf mit denjenigen, die bisher darum gefochten haben, Seite an Seite weiter darum fechten werde, Vizepräsident Stücklen: Frau Kollegin Matthäus- damit die bestehenden Konflikte abgebaut werden. Maier, die Geschäftsordnung sieht vor, daß kurze Fragen zu stellen sind. (Beifall bei CDU/CSU und der FDP — Zu (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das liegt ruf des Abg. Jaunich [SPD]) doch an denen! — Weitere Zurufe von der — Ich mache das keinesfalls als Pressebüro. Herr SPD) Jaunich, ich muß Ihnen sagen: Die Leistungen, die bereits jetzt im Wahlprogramm stehen, nämlich Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister für Jugend, Fortführung des Erziehungsgelds in ein zweites Familie, Frauen und Gesundheit: Ich denke, daß Jahr, Fortführung der Anerkennung von Steuerfrei- Ihre Frage klar ist. beträgen (Anhaltende Zurufe von der SPD und der (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wo steht das im CDU/CSU) 87er Haushalt?) — Sie werden das alles noch in den Haushalten der Vizepräsident Stücklen: Ich bitte doch um Auf- nächsten Jahre finden — und die Anerkennung von merksamkeit. Ich bitte, kurze Fragen zu stellen und Erziehungszeiten, sind auch im Haushalt 1987 ein- nicht Erklärungen hinzuzufügen. gebracht. Bitte sehr. (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Frau Fuchs, Sie haben ihn nicht gelesen!) Frau Matthäus-Maier (SPD): Ich wäre viel schnel- Sie nehmen für sich in Anspruch, Wahlpro- ler fertig, wenn ich nicht ununterbrochen durch Ge- gramme und Entschließungen hier auf den Tisch zu johle unterbrochen würde. legen. Wenn wir sagen, die Steuerpolitik besteht (Beifall bei der SPD) keinesfalls darin, nur die Reichen zu berücksichti- gen, wenn wir vielmehr Grundfreibeträge und Steu- Frau Minister, ich glaube, Sie haben die Frage erfreibeträge für Kinder in die Steuerpolitik ein- verstanden, daß also Kinder eines Höchstverdie- bringen, ners mit über 260 000 DM Einkommen im Jahr (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Lap- (Glombig [SPD]: Sie haben doch die Mög pas!) lichkeit, dies jetzt zu machen! Sie haben doch die Mehrheit! — Weitere Zurufe von zweieinhalbmal soviel Steuererleichterungen be- der SPD) wirken wie die Kinder einer Familie mit 36 000 DM im Jahr. dann nehme ich für uns in Anspruch, daß unsere Leistungen im Bereich der Familienpolitik genauso (Zurufe von der CDU/CSU) hochwertig sind und sogar das übertreffen, was Sie mit dem Kindergeld wollen. Vizepräsident Stücklen: Entschuldigung, noch ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen Augenblick, Frau Ministerin. Frau Kollegin Matthäus-Maier, haben Sie einen Teil dieses Hauses als „Mob" bezeichnet? Vizepräsident Stücklen: Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Matthäus-Maier? Frau Matthäus-Maier (SPD): In der Tat, und ich — Bitte sehr. empfinde das Gejohle auch so. 19470 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Vizepräsident Stücklen: Frau Abgeordnete Mat- Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister für Jugend, thäus-Maier, ich rufe Sie zur Ordnung. Familie, Frauen und Gesundheit: Ich muß sagen: (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Zeit läuft ab, ich kann keine weitere Zwi- schenfrage beantworten. - Frau Matthäus - Maier (SPD): Ich wundere mich, Ich möchte hier sagen: Das, was Sie nun fordern, daß Sie diesen Teil dort drüben nicht zur Ordnung was wir durch die Einführung von Einkommens- rufen! grenzen abzufedern bemüht sind, müßten Sie ei- gentlich auf viele andere Bereiche übertragen. Ich Vizepräsident Stücklen: Frau Matthäus-Maier, ich wünschte mir sehr, daß Sie dies nicht nur bei Kin- rufe Sie zum zweitenmal zur Ordnung. dern zum Problem machen, sondern generell fra- gen, was Sie denn sonst alles begrenzen wollen. Daß (Lebhafte Zurufe von der SPD und der Sie das ausgerechnet bei Kindern tun, halte ich für CDU/CSU) kaum verantwortbar. Frau Ministerin, Sie haben das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister für Jugend, Keiner von uns sagt, daß die Familienpolitik Familie, Frauen und Gesundheit: Ich möchte zu der schon den Stand erreicht hat, der den Familien zu- Frage eine grundsätzliche und eine konkrete Be- kommt. Aber wir haben sie erstens wieder an die merkung machen. Vielleicht kann ich jetzt auch Leistungsentwicklung angeschlossen. Zweitens ha- einmal in Ruhe sprechen; das hätte auch Vorteile. ben wir durch die konsequente Förderung der jun- gen Familie dafür Sorge getragen, daß Familien- (Zustimmung der Abgeordneten Frau Dr. gründung erleichtert wird. Sie wissen sehr wohl, Däubler-Gmelin [SPD] — Zuruf der Abg. daß das Erstkindergeld seit 1975 nicht ein einziges Frau Fuchs [Köln] [SPD]) Mal erhöht worden ist. Ich frage mich, wo denn die — Warten Sie es doch bitte ab. Förderung der jungen Familie liegt. Der erste Punkt ist der, daß wir sicherlich kontro- (Zuruf von der SPD: Haben Sie einmal ei- verse Auffassungen in der Frage der Anerkennung nen Vorschlag?) der in der Familie erbrachten Leistungen im Steu- errecht haben. Drittens. Wir haben im Bereich der Anerkennung der Pflegetätigkeit einen ersten Schritt gemacht. (Frau Wagner [GRÜNE]: Derjenige, der Wir werden hier nicht stehenbleiben, sondern wir mehr verdient, muß mehr dazubekom werden dies konsequent weiterführen. men!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sind der Auffassung, daß Familienpolitik nicht staatliche Subventionspolitik ist, auch nicht Almo- Sie kennen selbst den Gesetzentwurf, den wir zur senpolitik, sondern daß die Leistungen, die von Fa- Entlastung der pflegenden Frauen eingebracht ha- milien erbracht werden, auch im Steuerrecht be- ben. rücksichtigt werden müssen. Nach dem, was hier zur Frauenpolitik gesagt wor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den ist, werden Sie mir wahrscheinlich doch zustim- Ich halte es für einen Skandal, daß wir uns vieles men, daß in kaum einer Zeit frauenpolitisch so viel als steuermindernd einfallen lassen; aber wenn es bewegt worden ist, wie in den letzten Jahren. um Leistungen in der Familie geht, streiten wir uns (Beifall bei der CDU/CSU) darüber, ob das denn angehen kann. Sie mögen ja für sich erklären: Wir hatten mehr in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ausbildung. Das hatten Sie aber nicht einmal, weil Zurufe von der SPD: Sie finden das also wir die geburtenstarken Jahrgänge zu versorgen gerecht?) haben, sowohl an den Universitäten wie bei den — Ich halte die Anerkennung von Leistungen, die Ausbildungsplätzen. in der Familie erbracht werden, für gerecht. Sie können nicht leugnen, daß wir noch nie so (Frau Wagner [GRÜNE]: Aber das wird viele erwerbstätige Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht gerecht verteilt — Zurufe von der hatten. Ich entnehme einer Statistik — ich weiß SPD) nicht, ob diese stimmt; es ist wohl eine Arbeitslo- Nun zum nächsten Punkt. Sie haben Entlastun- senstatistik und keine Erwerbstätigenstatistik, die gen im Steuerrecht angesprochen. Hier haben wir monatlich geführt wird in der Tat zuvor Einkommensgrenzen beim Kin- (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Nein! Er- dergeld eingeführt. Jemand, der 260 000 oder kundigen Sie sich bitte einmal!) 280 000 DM im Jahr verdient, erhält gegenüber dem — Frau Däubler-Gmelin, ich werde mich erkundi- Ehepaar mit drei Kindern, welches — unterhalb der gen —, daß von den 600 000 neuen Arbeitsplätzen Einkommensgrenzen — 370 DM Kindergeld be- 80 % auf die Frauen entfallen. kommt, 260 DM an Kindergeld. Sein Betrag unter- scheidet sich um 110 DM. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zurufe von der SPD: Nein!) Es ist auch zutreffend, daß insgesamt mehr als 60% von den zusätzlichen und neu geschaffenen Ausbil- Vizepräsident Stücklen: Frau Ministerin, gestatten dungsplätzen auf Frauen entfallen sind. Sie eine weitere Zwischenfrage? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19471

Bundesminister Frau Dr. Süssmuth Darin, daß wir im Bereich des Rentenrechts noch nicht nur nach dem Maßstab der Erwerbstätigkeit längst nicht alle zu lösenden Aufgaben gelöst ha- vorgehen. ben, stimme ich Ihnen zu. Ich lasse mir aber nicht sagen, ich wäre in jener Zeit untätig gewesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Zuruf von der SPD: Sie haben nichts zu Wenn ich die hier schon angesprochenen Lei-- bestimmen!) stungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz sehe, Ob es um die Frage des Aufgreifens der ungeregel- ist auch deutlich, daß der Zugang zum Arbeits- ten Dinge oder der unzureichend geregelten Dinge markt, die berufliche Fortbildung, der berufliche geht oder ob es sich um Angelegenheiten des Justiz- Aufstieg und auch die Wiedereingliederung nicht ministers oder des Postministers handelt, allein durch Verhandlungen mit den Tarifpartnern, sondern in erster Linie durch gesetzliche Neurege- (Glombig [SPD]: Arbeitsminister!) lungen festgelegt worden sind. Das gilt auch für die — diesen habe ich als ersten angesprochen —, so Wiedereinführung des Unterhaltsgeldes bei berufli- versichere ich Ihnen, daß die Frauenpolitik gegen- chen Fortbildungsmaßnahmen von Frauen, die auf wärtig sehr eng mit diesen Ressorts zusammenar- Grund von Sparmaßnahmen 1980 gestrichen wor- beitet und daß die zuständigen Kollegen das auch den sind. bestätigen können. Es ist weiß Gott nicht so, daß wir uns mit dem (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Aber es Reden zufriedengeben. Hier ist gefragt worden: Wo ist doch in den Auswirkungen anders!) ist die Elternfamilie? Dazu sage ich: Wo ist denn in — Ich denke, daß Sie hier Auswirkungen aufge- den Gesetzentwürfen seit 1948 der Mann überhaupt führt haben, die in einer gesetzlichen Regelung voll- berechtigt gewesen, Leistungen in Anspruch zu zogen sind, nehmen? Erstmalig haben auch Männer Ansprüche nach dem Gesetz über Erziehungsgeld und Erzie- (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Nein!) hungsurlaub erhalten. bei der wir noch eine Reihe von Korrekturen nach- zuschieben haben. (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Aber nein, auch bei (Weitere Zurufe von der SPD) der Krankenversicherung! Das wissen Sie — Warten Sie ab! Ich gehe nicht davon aus, daß wir doch!) Probleme, die anstehen, liegenlassen. Wir lassen uns nicht sagen, daß wir keine gemein- (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Ich schaftliche Verantwortung von Männern und schreibe es Ihnen noch einmal!) Frauen für die Familie wollten. Nur wissen Sie ge- — Ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie mir das schrei- nauso gut wie wir, daß dies ein Prozeß ist, den wir ben, aber der größte Teil dieser Problemlage ist mir nicht von heute auf morgen zu Ende führen kön- vertraut. nen Es geht aber nicht an, hier aufzustehen und zu (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Aber wir sagen: Wie ungereimt ist die Rentenpolitik! Ältere haben doch angefangen!) Frauen bekommen doch jetzt erstmals einen An- spruch! Wenn Sie die freiwillige Nachversicherung und um den wir gemeinsam kämpfen müssen. ansprechen, frage ich Sie: Was ist denn mit den Abschließend möchte ich noch etwas zur Jugend- 800 000 Müttern, die bei Ihnen in die Regelung über- politik sagen. Sie behaupten, wir hätten da nichts haupt nicht hineinkommen? getan. Die Erhöhung von 128 Millionen auf 141 Mil- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — lionen DM ist hier schon genannt worden. Es geht Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Lesen Sie doch aber nicht nur darum, mit Zahlen zu jonglieren. Wir einmal unseren Antrag!) müssen auch deutlich machen, wo inhaltliche Da frage ich mich, wie ernst Sie — — Schwerpunkte liegen: bei der internationalen Ju- gendarbeit, bei der Jugendverbandsarbeit, bei den (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Den Antrag sozialpädagogischen Hilfen im Bereich der Benach- dazu lesen!) teiligtenprogramme und der Hilfen gegen Jugend- — Ich habe Ihren Gesetzesantrag gelesen, und da arbeitslosigkeit bis hin zur Selbsthilfeförderung. kommen die Frauen, die keinerlei Anwartschaft auf Hier ist eine Menge neu getan worden. Rente haben, nicht vor. (Rusche [GRÜNE]: Nicht genug! — Zurufe (Zustimmung bei der CDU/CSU) von der SPD) Es kommen nur diejenigen vor, die bereits ins Ren- — Ich kann Ihnen die neuen Ansätze in der Praxis tensystem hineingewachsen sind. durchaus vorweisen und Ihnen schriftlich übermit- (Zuruf von der CDU/CSU: Ein Zweiklas teln. senrecht für Frauen!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte noch einmal sagen: Wenn wir tatsäch- lich eine zukunftsweisende Politik betreiben wollen, Zum Schluß noch ein Wort zur Gesundheitspoli- haben wir zwar im Augenblick die Priorität der tik. Da erklären Sie, wir hätten außer Kostendämp- sozialen Sicherung für diejenigen, die gar keine ha- fung überbaut nichts diskutiert. In unserem Hause ben, zu setzen, aber dabei kann man, glaube ich, werden jedoch die vorrangigen Gesundheitsziele er- 19472 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Bundesminister Frau Dr. Süssmuth arbeitet, und wenn ich bedenke, wie noch vor einem Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzel- Jahr gegen die Prävention gekämpft wurde, plan 15. (Zuruf von der SPD: Von wem denn?) Wer dem Einzelplan 15 — Geschäftsbereich des so ist die breite Zustimmung bemerkenswert, die Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und wir inzwischen in der Öffentlichkeit gefunden ha- Gesundheit — in der Ausschußfassung zuzustim-- ben, men wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltun- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen. Der Einzelplan 15 ist mit Mehrheit angenom- und ich bin sicher, daß wir diesen Weg weiterge- men. hen. Meine Damen und Herren, wir treten in die ver- Zu AIDS bleibt zu sagen, daß Sie, Herr Rusche, kürzte Mittagspause ein. Wir werden die Beratun- die 20 Millionen angesprochen haben. England be gen um 14 Uhr fortsetzen. ginnt, jetzt erst, Die Sitzung ist unterbrochen. (Rusche [GRÜNE]: 60 Millionen Pfund!) (Unterbrechung der Sitzung von 13.27 bis während wir längst begonnen haben. England hat 14.00 Uhr) ein staatliches Gesundheitswesen. Für unser Land haben Sie nur die Leistungen des Bundes aufge- Vizepräsident Cronenberg: Die unterbrochene Sit- führt, nicht aber die der Länder in diesem Bereich. zung ist wieder eröffnet. (Abg. Rusche [GRÜNE] meldet sich zu ei ner Zwischenfrage) Ich rufe auf: — Es tut mir leid; meine Redezeit ist nicht nur Einzelplan 16 abgelaufen, sondern ich bin sogar längst darüber Geschäftsbereich des Bundesministers für hinweg. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Rusche [GRÜNE]: Es sind 60 Millionen — Drucksache 10/6316, 10/6331 — Pfund nur für Aufklärung, Frau Minister!) Berichterstatter: Abgeordnete Kühbacher Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, Sie Gerster (Mainz) haben nicht das Wort. Wenn eine Zwischenfrage Dr. Weng (Gerlingen) abgelehnt ist, sollten Sie nicht am Mikrophon so Dr. Müller (Bremen) tun, als könnten Sie sie doch stellen. Hierzu liegen Änderungsanträge vor, und zwar von der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksachen Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister für Jugend, 10/6529 bis 10/6534. Familie, Frauen und Gesundheit: Aber Sie wissen, Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine in welchem Umfange die Mittel für AIDS erhöht Beratung von 90 Minuten vorgesehen. Das Haus ist worden sind, und es hat sich im vergangenen Jahr damit einverstanden? — Dann kann ich die Aus- auch gezeigt, daß dann, wenn tatsächlich notwen- sprache eröffnen. Das Wort hat der Abgeordnete dige und unaufschiebbare Aufgaben anliegen, die Kühbacher. Mittel nachträglich im Haushalt auch bewilligt wor- den sind. Ich möchte Sie wissen lassen: Wir sind (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ge- ganz sicher, daß wir auf dem richtige Wege sind. Kühbacher ehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute Wenn Sie hier verbreiten, es sei alles zum Schlech- über den Umweltschutz in der Bundesrepublik. teren bestellt, Herr Minister, ich denke, besser als das, was der (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Hat niemand „Express" dazu schreibt — „Sauerei" —, kann man gesagt!) das, was sich im Moment in der Bundesrepublik wird Ihre Verteidigungsposition immer schwächer abspielt, gar nicht bezeichnen. werden. Ich glaube, das hat auch die heutige De- Herr Minister, die Schonzeit von 100 Tagen, die batte gezeigt. einem neuen Minister gewährt wird, ist vorbei. Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — stehen heute auf dem Prüfstand, d. h. es ist zu fra- Schlottmann [CDU/CSU]: Weiter so!) gen, was die Bundesregierung wirklich an Umwelt- schutzpolitik macht. Dazu fällt mir zunächst nur ein bildhaftes Beispiel ein. Wir hatten Mitte des Vizepräsident Stücklen: Meine Damen und Her- Sommers einen größeren Unfall. Dabei gab es er- ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich heblichen Blechschaden: Ein Kotflügel war mehr schließe die Aussprache. als nur verbeult. Mit diesem Blechschaden wurde Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst das Auto in die Reparatur gegeben. Nach ganz über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜ- kurzer Zeit — ich sage einmal: innerhalb von drei NEN auf Drucksache 10/6561. Stunden — meldete der Reparateur: Auto wieder in Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen Ordnung. wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer Was war geschehen? Das Auto hatte einen neuen ist dagegen? — Wer enthält sich? — Bei vier Ja- Kotflügel — ich sage einmal: Herr Zimmermann Stimmen und einigen Enthaltungen mit Mehrheit war weg, Herr Wallmann kam —, und ansonsten abgelehnt. war frischer Lack über alles gesprüht worden. Aber, Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19473

Kühbacher Herr Minister, die Rostflecken der Umweltschutz- Herr Minister, Ihr Etat mit rund 430 Millionen politik dieser Bundesregierung sind geblieben. Der DM muß sich daran messen lassen, was in der Bun- Rost, Herr Minister, wird heute um so deutlicher, desrepublik sonst noch mit 430 Millionen DM ge- als sich der Rost ja durchfrißt. macht wird. Herr Minister, wenn ich das im Einzel- plan 10 richtig sehe, geben wir für die Landwirt-- (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ schaft die gleiche Summe z. B. für die Lagerhaltung CSU: Das ist ein ziemlich schiefes Bild!) von Butter in der Bundesrepublik Deutschland aus. Von daher verlangt die Opposition von der Bun- Für Umweltschutzaufgaben in der gesamten Indu- desregierung, daß sie an eine Grunderneuerung in- striepolitik der Bundesregierung sind nur 430 Mil- nerhalb unserer Wirtschaft geht. Die heißt — um lionen DM da, so wie für die Lagerhaltung von But- beim Auto zu bleiben —: Wir erwarten von der Bun- ter ebenfalls 430 Millionen DM da sind. Um Mager- desregierung, daß sie nicht nur den Rost überlak- milch zu Futterzwecken umzuarbeiten, sind kiert, sondern daß sie an diesen Rost mit einer 440 Millionen DM eingesetzt. Ihr Umweltschutzetat Stahlbürste grundsätzlich herangeht oder — das ist nicht höher. wäre eigentlich erforderlich — eine Vollverzinkung Es ist doch eigentlich eine Schande, daß Sie sich des Unterbaus vornimmt. So etwa stelle ich mir das nicht durchsetzen können oder — so sage ich ein- bildlich vor. mal — nicht wollen. Herr Minister, haben Sie eigentlich, nachdem Sie Herr Minister, es gibt noch ein schlimmeres Bei- Ihr Amt angetreten haben, nachdem Sie einige Mo- spiel. Ich will das nicht gegeneinander ausspielen, nate im Amt waren und bis heute die Möglichkeit aber es gehört in die Hinterköpfe der Bevölkerung, hatten, Ihren Etat inhaltlich auszuweiten, die nöti- die uns zuhört. Der Umweltschutzhaushalt beträgt gen Anstrengungen gemacht? Ich sage Ihnen: Nein. ein Siebtel des Haushalts für Wehrforschung und Es reicht nicht aus, Herr Minister, daß Sie in der militärische Entwicklung, die wir gestern abend be- chemischen Industrie sehr medienwirksam irgend- schlossen haben. 2,8 Milliarden DM gibt diese Re- welche Anlagen abnehmen, sich fotografieren las- gierung für den Bereich Wehrforschung und mili- sen, mit einem gewinnenden Lächeln in die Offent- tärische Entwicklung aus, für den Umweltschutz lichkeit treten, und anschließend passieren diese 430 Millionen DM. Daran wird Ihre Politik gemes- „Sauereien", wie sie der „Express" beschreibt. Herr sen werden. Minister, Sie sind nicht dazu da, in Form von Be- Herr Minister, es geht nicht, nur mit Kukidentlä- schwichtigungen der Wirtschaft zu suggerieren, es cheln über diese Probleme hinwegzugehen, der Re- könne alles so bleiben, wie es ist. Von Ihnen ver- gierung ein Pflaster zu verschaffen. Herr Minister, langt die Bundesrepublik Maßnahmen. wir brauchen keine Lackierer in dieser Aufgabe, Allerdings nicht in der Form, wie das nun disku- wir brauchen Leute, die den Umweltschutz tatsäch- tiert wird: durch Bestrafung der Täter. Vielmehr lich anpacken. geht es hier um Maßnahmen grundsätzlicher Art. Ich wünsche mir, daß nach dem 25. Januar Ihr Niemand von uns glaubt doch, daß bei der BASF Kollege Matthiesen an Ihrer Stelle sitzt. oder woanders Arbeiter die Leitungen ansägen und dieses giftige Zeug absichtlich in den Rhein leiten. (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU) Darum geht es nicht. Es geht um eine grundsätzli- che Bestandsaufnahme, z. B. im Bereich des Che- miegesetzes, der Altlasten, der Altstoffe. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- ordnete Gerster (Mainz). Hier, Herr Minister, leisten Sie die Grundsatzar- beiten nicht. Wenn ich mir z. B. die Personalaus- stattung des Umweltbundesamtes ansehe, dann lie- Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Herr Präsident! gen über 170 neue Personalstellen als Forderung Meine Damen! Meine Herren! Diese Pflichtübung auf dem Tisch. Mit diesen neuen Arbeitskräften sol- des Kollegen Kühbacher gibt nicht den Haushalts- len gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben erledigt politiker Kühbacher wieder. Der ist nämlich bedeu- werden. Was wird durchgesetzt? Knapp 20 Stellen tend besser. für das Bundesumweltamt. 150 bleiben auf der (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das war Strecke, während wir auf der anderen Seite für den keine Pflicht, das war Kür!) Verteidigungsbereich ohne große Mühe 2 000 neue Er hat konstruktiv mitgearbeitet. Alternativen zu Planstellen für die Soldaten schaffen, — die not- dieser guten Politik gab es ja nicht. wendig sind für den Sicherheitsbereich — über 1 000 neue Polizeiplanstellen, so notwendig diese (Lachen bei Abgeordneten der SPD) sind. Sie, Herr Minister, setzen nicht einmal 70 neue Für diese Mitarbeit im Ausschuß möchte ich dir, lie- Stellen für das Umweltbundesamt durch. ber Klaus-Dieter Kühbacher, sehr herzlich danken. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Aber Klaus Für deine Pflichtübung hier haben wir natürlich Dieter!) Verständnis. Das muß offenbar so sein. Meine Damen, meine Herren, die SPD hat wäh- Ich habe das Gefühl, Kollege Gerster, das Interesse rend ihrer Regierungszeit nicht für saubere Luft an einer tatsächlich handhabbaren Umweltpolitik gesorgt, sondern in ihren Reden für heiße Luft. Die ist gar nicht gewollt. SPD hat nicht den kranken Wald kuriert, sondern (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Aber Klaus sich im Dickicht ideologischer Glaubenskriege ver- Dieter!) heddert. Die SPD hat die Einführung des schad- 19474 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Gerster (Mainz) stoffarmen Autos über ein Jahrzehnt verschlafen. Kommission erarbeitet und stehen vor dem Ab- Dafür hat sie den Karren immer tiefer in den Dreck schluß. Damit hat die nächste Bundesregierung gefahren. schon zu Beginn der Wahlperiode eine tragfähige Grundlage zur Lösung der Probleme unseres Bo- Diese betrübliche Bilanz mußte die Union 1982 - bei der Regierungsübernahme ziehen. dens. (Dr. Hauff [SPD]: Da sitzt der Herr (Zurufe von der SPD) Baum!) Drittens Abfallverringerung. Mit der vierten No- Ein Berg von Arbeit lag vor uns. — Es trifft zu, Herr velle zum Abfallbeseitigungsgesetz wurde ein ent- Hauff: Natürlich konnte der Herr Baum in einer scheidender Schritt nach vorn zur Verringerung der SPD/FDP-Koalition Abfallberge getan. (Lachen bei der SPD) (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Stündlich ein bei einer miserablen Wirtschaftspolitik neuer Giftskandal!) (Dr. Hauff [SPD]: Lambsdorff!) Die Industrie weiß jetzt, daß sie mit gesetzlichen kaum bessere Umweltpolitik machen. Der Wille war Maßnahmen rechnen muß, wenn sie sich freiwilli- schon da, aber die Bremsen durch Sie, Herr Hauff, gen Maßnahmen zur Reduzierung des Müllaufkom- gezogen. mens verweigert. (Lambinus [SPD]: Da lacht der Baum Viertens Lärmschutz. selbst!) (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wer schützt Meine Damen, meine Herren, ein Berg von Arbeit uns vor Ihrem Lärm?) mußte bewältigt werden, um die Schäden versäum- ter SPD-Politik zu korrigieren. Unsere Umweltpoli- Durch eine Verschärfung der Grenzwerte für Pkw, tik ist in den letzten Jahren eine Aufholjagd gewe- Lkw und Omnibusse, europaweit, haben wir er- sen. Sie war notwendig, um zu verhindern, daß un- reicht, daß bis 1989 stufenweise eine Lärmverringe- sere Umwelt vor die Hunde geht. rung in diesem Bereich um 90 % eintreten wird. Für Lärmschutzmaßnahmen bei Bundesfernstraßen hat Heute kann gesagt werden: Wir haben auf vielen der Bund die Mittel gerade auf jährlich 250 Millio- umweltpolitischen Feldern die Dinge wieder im nen DM erhöht. Griff. Zudem sind die Weichen für eine ökologische Offensive gestellt, die jetzt möglich ist, nachdem wir Fünftens Gewässerschutz. die Grundlage gelegt und die Fundamente stabili- (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Jetzt kommt siert haben. Im Gegensatz zur SPD brauchen wir es!) keine leeren Versprechungen. Wir können Fakten vorweisen. Die Lage unserer Gewässer hat in diesen Tagen — (Beifall bei der CDU/CSU — Wieczorek das ist gar nicht zu bestreiten — eine bedauerliche [Duisburg] [SPD]: Leere Flüsse habt ihr! Aktualität erfahren. Keine Fische mehr im Rhein!) (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Absoluter Erstens: Luftreinhaltung. Noch 1982 wurden bun- Tiefstand!) desweit 2,9 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Es hat auch mich tief erschüttert, daß die Bemü- Luft geblasen. Schon in diesem Jahr wird sich die hungen der letzten Jahre, die zu einer erfreulichen Belastung um 20 % auf 2,3 Millionen Tonnen redu- Verbesserung der Sauerstoffqualität im Rhein ge- zieren, bis 1988 auf 1,6 Millionen Tonnen und bis führt hatten, praktisch über Nacht durch fahrlässi- 1993 auf unter eine Million Tonnen. Ähnlich positiv ge, gewissenlose und möglicherweise kriminelle ist die Entwicklung beim Stickoxid. Vernachlässigung von Sicherheitsvorkehrungen zu- (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Kann nicht nichte gemacht wurden. Die Bedrohung unserer sein!) Trinkwasserversorgung und Massenfischsterben Wurden 1982 noch 3,1 Millionen Tonnen ausgesto- sind die Folgen unverantwortlichen Verhaltens ein- ßen, werden es 1988 nur noch 2,5 Millionen Tonnen zelner. Wir werden — darauf können Sie sich ver- sein und 1995 weniger als 1,6 Millionen Tonnen. lassen — auf diese Vorkommnisse entschlossen reagieren. (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) (Dr. Hauff [SPD]: Wann? — Zurufe von den — Herr Penner, ich werde zu diesem Thema kom- GRÜNEN) men, keine Sorge. Zweitens Bodenschutz. Beim Bodenschutz mußte Wir werden dafür sorgen, daß alle Maßnahmen, diese Regierung praktisch bei Null anfangen. auch gesetzliche, ergriffen werden, um solche Vor- fälle, auch Unfälle genannt, für die Zukunft auszu- (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Hör' doch schließen. auf! Herr Baum, das dürfen Sie sich doch nicht gefallen lassen!) (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Bei euch er- laubt man sich auch so was!) Im Februar 1985 legte sie ihr Bodenschutzkonzept vor. Konkrete Maßnahmen auf der Basis dieses Wir begrüßen ausdrücklich, daß der Bundesumwelt- Konzeptes werden zur Zeit von einer Bund-Länder minister schnell reagiert und solche Maßnahmen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19475

Gerster (Mainz) nicht nur angekündigt hat, sondern auch ganz kon- Da gibt es nun diesen bemerkenswerten Herrn kret plant. Hauff. Nach einigen erfolglosen Ehrenrunden durch die verschiedenen politischen Ebenen ist er (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei nun zum umweltpolitischen Hoffnungsträger seiner der SPD) Fraktion avanciert. Noch im letzten Jahr prangerte- Zunächst stehen jetzt die Verantwortlichen in der Herr Hauff das Waldsterben bei jeder Gelegenheit chemischen Industrie in der Verantwortung, auch an. entsprechende freiwillige Maßnahmen zu ergreifen. (Dr. Hauff [SPD]: Richtig!) Sollten Sie diese Chance nicht nutzen, werden wir gesetzliche Maßnahmen durchsetzen. Keine zwölf Monate später hatte er seine Kranken- besuche im deutschen Wald vergessen und wech- (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Guten Mor selte im Galopp die Pferde. Vom Kernenergiepapst gen, Herr Fisch!) der 70er Jahre, dem es seinerzeit mit dem Bau des Allerdings werden wir eine emotionale Verteufe- Schnellen Brüters nicht schnell genug voranging, lung der Chemieindustrie nach dem Schnittmuster entwickelte er sich jetzt zum Befürworter weiterer mittelalterlicher Alchimie à la SPD/GRÜNE ableh- Kohlekraftwerke und deklariert sich als Kernener- nen, gieaussteiger Nummer eins. Der Eifer des Konverti- ten kompensiert geistige Windstille; denn nicht der (Frau Hönes [GRÜNE]: Machen Sie sich Wind hat sich gedreht, sondern Herr Hauff hat sich nicht lächerlich!) wie eine Wetterfahne gedreht. aber damit das klar ist: Wir lassen uns unsere na- (Dr. Hauff [SPD]: Das trifft mich!) türlichen Lebensgrundlagen gerade auch in den Ge- Die Perspektive ist klar: als Um- wässern von niemandem zerstören. weltminister eines rot-grünen Bündnisses würde (Senfft [GRÜNE]: Doch, tagtäglich!) uns weitere hunderte von Kohlekraftwerken be- scheren. Sie brauchten dann, Herr Hauff, nicht Der Rhein war immer Lebensstrom, er darf kein mehr in den Wald zu gehen, den würde es bald nicht Todesstrom werden. mehr geben. Sie passen Sich jedenfalls dem um- (Dr. Hauff [SPD]: Er ist es!) weltpolitischen Slalom Ihrer Fraktion an, die be- reits in jener Kurve liegt, die die GRÜNEN ansteu- Sie können sich darauf verlassen, daß entspre- ern. chende Maßnahmen ergriffen werden. Die SPD selbst hat in ihrer 13jährigen Regie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rungszeit umweltpolitisch nichts auf die Beine ge- Meine Damen, meine Herren, wenn gerade die stellt. Jetzt springt sie auf den Emo-Zug der GRÜ- Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion hier NEN, den irgendwelche Angstverbreiter aufs Gleis glauben, durch Lautstärke Umweltkompetenz be- schieben. Das ganze Unternehmen wird dann SPD sonders deutlich machen zu sollen, so sollten wir -Politik genannt. Ich bin einmal gespannt, Herr noch einmal zu den Entwicklungen bis zum Jahre Hauff, welche Bilanz Sie für Ihre Fraktion, für Ihre 1982 zurückkehren. Zur Reinhaltung der Luft ha- Regierungszeit von 1969 bis 1982 nachher vorlegen ben Sie seit 1974 so gut wie nichts getan. werden. Das wird sicherlich ein Stapel leerer Blät- ter sein, den Sie hier präsentieren werden. (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Lüge!) Meine Damen, meine Herren, die Union wird in Als wir die Regierung 1982 übernahmen, fanden wir der ökologischen Offensive bleiben. Durch die Kon- nur leere Schubladen vor. zentration der Haushaltsmittel für Umweltschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit in einem Ein- (Frau Hönes [GRÜNE]: Das habe ich schon zelplan haben wir eine deutliche Verbesserung der mal gehört! — Lambinus [SPD]: Das ist umweltpolitischen Wirkungsmöglichkeiten. Die Bil- eine Baum-Beschimpfung! — Weitere Zu- dung eines neuen Ministeriums ist dabei ein ein- rufe von der SPD) drucksvoller Beleg der Handlungsfähigkeit dieser Die jetzige Bundesregierung hat Sofortmaßnahmen Regierung und unterstreicht den hohen Stellenwert zur Entstickung und Entschwefelung von Kraft- des Umweltschutzes in unserer Politik. werksabgasen eingeleitet. Die Entgiftung der Auto- (Beifall bei der CDU/CSU) abgase in anderen Industrieländern, wie in den USA, hat die SPD in den 70er Jahren glatt ignoriert. Lieber Kollege Kühbacher, Sie glauben, hier ei- Erst von dieser Bundesregierung wurden entschei- nen anderen Eindruck erwecken zu sollen als in dende Maßnahmen zur Durchsetzung des Kataly- den Haushaltsberatungen. Gerade Sie waren es sators und auch zur weiteren Verbreitung von blei- doch, der im Berichterstattergespräch besonders — freiem Benzin ergriffen. Besonders erfreulich ist, und wie mir scheint, zu Recht — die außerordentli- daß diese Bemühungen auch im europäischen Rah- che politische Leistung des Umweltministers Wall- men bereits Früchte tragen. mann unterstrichen hat. Ich wundere mich, daß Sie dies heute nicht wiederholt haben. Die SPD hat auf diesen Gebieten — dieser Män- gelbericht könnte fortgesetzt werden — nichts vor- (Bohl [CDU/CSU]: Aha!) zuweisen. Deswegen würde Ihre Umweltpolitik, Meine Damen, meine Herren, der Umweltschutz meine Damen und Herren von der SPD, von jedem sichert unser aller Lebensgrundlagen. Diesem be- TÜV-Prüfer heute aus dem Verkehr gezogen. deutsamen Aspekt wurde in der Haushaltspolitik 19476 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Gerster (Mainz) Rechnung getragen. Der Umweltetat hat trotz allge- Meine Damen, meine Herren, Umweltpolitik muß meiner Sparmaßnahmen deutliche Zuwachsraten — und das geschieht nun durch uns — aus der Auf- zu verzeichnen. So ist der Bereich des Umwelt- holphase in die Gestaltungsphase übergeleitet wer- schutzes, wenn man die beiden Haushaltsjahre 1986 den. Umweltschutz darf auf Dauer nicht Reparatur- und 1987 zusammenzählt, um rund 18 % gestiegen. betrieb sein, sondern muß Element einer weit vor- Der Haushaltsausschuß hat das Personal für das ausplanenden Zukunftsgestaltung werden. Ministerium noch einmal gegenüber dem Regie- (Kühbacher [SPD]: Eben!) rungsansatz um 10 % aufgestockt. So wird es in Zu- kunft ein eigenes Referat zur internationalen Zu- Um diese Politik ist diese Bundesregierung bemüht. sammenarbeit bei der Sicherung kerntechnischer Ich danke vor allem dem Minister für Umwelt, Wal- Einrichtungen geben, um diese zu koordinieren, ter Wallmann, der die 100 Tage Bewährung, Herr und ein eigenes Referat, das sich in Zukunft beson- Kollege Kühbacher, nicht nur bestens genutzt, son- ders mit Störfällen in industriellen Anlagen be- dern auch Grundlagen für eine erfolgreiche Fortset- schäftigen wird. zung dieser Politik in der Zukunft gelegt hat. Schönen Dank. (Zuruf von der SPD: Störfälle vermeiden!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Im Sachhaushalt haben wir ebenfalls erhebliche Widerspruch bei der SPD) und vergleichbare Erhöhungen durchgesetzt. Ich will hier nur zwei Bereiche nennen, z. B. die Erhö- hung der Mittel zur Förderung des Naturschutzes Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge- um 73 % und — mit Rücksicht auf die Umwelt- ordnete Frau Hönes. schutzaktionen der Umweltverbände im Rahmen des europäischen Umweltjahres 1987 — die Bereit- stellung von 1 Million DM für die Durchführung sol- Frau Hönes (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Da- cher Aktionen durch diese Verbände, wobei ergän- men und Herren! Einer der Schwerpunkte in der zend darauf hinzuweisen ist, daß das Bundesmini- Umweltpolitik dieser Legislaturperiode war der sterium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- Kampf gegen das Waldsterben. cherheit von den globalen Sparmaßnahmen ausge- (Bohl [CDU/CSU]: Die Betonung liegt bei nommen ist. Ihnen auf „war"! — Weitere Zurufe von der Die Frage: Was haben die Sozialdemokraten da- CDU/CSU) gegen zu bieten? Sie haben, nachdem sie Weltmei- Angesichts der dahinsiechenden Wälder, angesichts ster in Sonderprogrammen der 70er Jahre waren, des politischen Drucks in der Bevölkerung ent- auch heute nichts anderes zu bieten als wiederum schloß sich die Bundesregierung im Frühjahr 1983 ein Sonderprogramm, von dem nur der Name posi- zu einigen vollmundigen Großankündigungen. Als tiv ist, nämlich „Sondervermögen Arbeit und Um- „Jahrhundert- Entscheidung" wurde damals ver- welt", ein Name, der aber nicht kaschieren kann, kündet, man wolle Abgasgrenzwerte schaffen, die daß sich hinter diesem Programm möglicherweise bis an die Grenze des technisch Möglichen gingen. zwar ein guter Wille, aber ansonsten kaum reali- Heute müssen wir dem gescheiterten Umweltmi- sierbare Politik verbirgt. nister Zimmermann und seinem Konkursverwalter Die Folgen dieses Programms liegen auf der Wallmann sagen: Hand. Erstens. Subventionen nach diesem Pro- (Schmidbauer [CDU/CSU]: Wer schreibt gramm würden in Zukunft um so höher ausfallen, Ihnen immer einen solchen Mist auf? — je größer der Umfang der Umweltverschmutzung Weitere Zurufe von der CDU/CSU) eines Betriebes wäre. Die Wirtschaft würde jedes Aus Ihrer Jahrhundert-Entscheidung ist ein Jahr- Eigeninteresse am Umweltschutz verlieren und nur hundert-Flop geworden, auch wenn Sie das nicht warten, bis der Staat den Geldbeutel aufmacht. Dies gerne hören. stellt das Verursacherprinzip auf den Kopf. (Beifall bei den GRÜNEN) (Dr. Penner [SPD]: Baden-Württemberg!) Denn Ihre Politik der Entgiftung unserer Wälder ist Zweitens. Es würde keine zusätzlichen Umweltin- in doppelter Hinsicht gescheitert. Gescheitert sind vestitionen, sondern nur eine Umschichtung der Ihre Maßnahmen zur Verringerung der Schadstoffe Finanzierung zu Lasten des Steuerzahlers geben. aus den großen Kohlekraftwerken. (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das ist doch nicht Drittens. Es wäre kein wirksamer Beitrag zur Lö- zu glauben!) sung von Beschäftigungsproblemen, sondern es gäbe nur — wie bei den Programmen der Vergan- Gescheitert sind Ihre Maßnahmen zur Entgiftung genheit — beschäftigungspolitisch unerwünschte der Autos. Strohfeuer. Deswegen, meine Damen, meine Her- (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ignorieren Sie ei- ren, verbirgt sich hinter diesem Programm nichts gentlich alles?) anderes als ein Subventionsprogramm der Sozial- demokraten, die wieder mehr auf staatliche Pla- Statt der großspurig versprochenen Einführung des nung und weniger auf die Durchsetzung des Verur- Katalysators sacherprinzips, wie es zur Durchsetzung einer ver- (Dr. Rumpf [FDP]: Haben Sie schon ei- nünftigen Umweltpolitik notwendig ist, abzielen. nen?) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19477

Frau Hönes — ja, ich habe einen —, Es stehen drastische Novellierungen der Gefahrgut- (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sehen Sie, was und der Störfallverordnung an. für ein Fortschritt in der Umweltpolitik!) Und noch eines haben die Katastrophen und Un- fälle der letzten Wochen deutlich gemacht: Eine statt eines dringend notwendigen Tempolimits ha- - ben Sie eine Ungeheuerlichkeit vollbracht: grundsätzliche Umorientierung der chemischen Produktion in Richtung auf eine gefahrlose „sanfte (Zurufe von der CDU/CSU) Chemie" ist notwendig. — bitte, begeben Sie sich nicht noch unter Ihr eige- (Senfft [GRÜNE]: Genau!) nes Niveau, meine Herren — Alle diese Maßnahmen würden die Gewinne der (Zuruf von der CDU/CSU: Die Betonung Chemie-Konzerne drastisch schmälern. Und da liegt auf „Herren"!) diese der Bundesregierung heilig sind, wird sie durch Ihre Scheinmaßnahmen sind mehr als auch weiterhin alle Vorschläge der GRÜNEN zur 1,4 Millionen Diesel-Pkw als umweltfreundlich ein- Entgiftung der Chemie ablehnen, werden sich gestuft worden. Durch diesen Humbug ist die Luft Bayer, BASF, Hoechst, und wie sie alle heißen, wei- nicht nur um kein einziges Gramm Gift ärmer ge- terhin auf Kosten der Umwelt und der Gesundheit worden. Schlimmer noch: Ihnen, Herr Wallmann, der Menschen hierzulande und in der Dritten Welt liegt seit dem 5. November eine Expertise des Um- hemmungslos bereichern können. weltbundesamtes zur Bewertung der Wirkung von (Hornung [CDU/CSU]: Sie werden immer Diesel-Abgasen auf dem Tisch, in der klipp und klar unglaubwürdiger!) steht, daß Diesel-Abgase krebserzeugend sind. — Das ist Praxis, Herr Kollege! Was also haben Ihre steuerlichen Erleichterun- gen für das sogenannte abgasarme Auto gebracht? (Tatge [GRÜNE]: Die Kosten werden sozia- lisiert, die Gewinne privatisiert!) (Tatge [GRÜNE]: Alte Dreckschleudern sind zu umweltfreundlichen Autos gewor Der groß angekündigte Kampf der Bundesregie- den!) rung gegen das Waldsterben war ja ebenfalls späte- stens in dem Moment beendet, als die Automobil- Ich will es Ihnen sagen: zum einen eine steuerliche industrie ankündigte, sie werde eine Schmälerung Mehrbelastung für den Fiskus von 1,2 Milliarden ihrer Profite zugunsten des Waldes nicht hinneh- DM — das wäre noch das Geringste —, zum ande- men. ren eine Mehrbelastung des Menschen mit gefährli- chen krebserzeugenden Rußpartikeln um 15 000 (Bohl [CDU/CSU]: Falsch! Falsch! — Tonnen jährlich. Schulte [Menden] [GRÜNE]: Bald gibt es keinen mehr!) (Schmidbauer [CDU/CSU]: Lesen Sie den Unsinn wenigstens langsamer vor! — Hor Mit dieser Regierung im Amt sind die nächsten Ka- nung [CDU/CSU]: Deswegen werden die tastrophen programmiert. Leute 80 Jahre oder älter! Bloß bei Ihnen (Bohl [CDU/CSU]: Meinen Sie Wiesba- ist das nicht gewiß!) den?) Damit wird ein ungeheures Krebspotential geschaf- Deshalb muß sie abgelöst werden. So einfach ist fen. das, Herr Kollege. Die Debatte um den Haushalt des Bundesum- (Beifall bei den GRÜNEN) weltministeriums, meine Damen und Herren, findet Herr Minister Wallmann, Sie sind angetreten als in einer Zeit der Serienanschläge auf unsere natür- jemand, der die Sorgen der Bürgerinnen und Bür- lichen Lebensbedingungen durch die fortgesetzte ger nach Tschernobyl ernst nimmt und für Glaub- kriminelle Fahrlässigkeit der chemischen Industrie würdigkeit wirbt. statt. (Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig! Das tut er (Hornung [CDU/CSU]: „Kriminell" ist rich auch!) tig!) Inzwischen wird immer deutlicher, daß sich hinter Für Herrn Wallmann ist die „Grenze des Erträgli- der natur- und umweltschützerischen Fassade Ih- chen" inzwischen erreicht. Für uns ist sie schon res Ministeriums die harte Truppe der Atomener- lange überschritten. gie-Fanatiker versammelt hat. (Beifall bei den GRÜNEN) (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Was deshalb not tut, sind nicht weitere „Spitzen- gespräche" mit den Bossen der Chemie-Konzerne, — Ja! sondern konkrete Maßnahmen zur Entmachtung Daß für Sie die Sicherung der Interessen der der Chemie-Industrie. Die Chemie muß gezwungen Atomindustrie mehr bedeutet als die Sicherheit der werden, rückhaltlos offenzulegen, welche Giftstoffe Menschen, ist in den letzten Tagen deutlicher ge- sie produziert und wo sie diese unter welchen Be- worden als je zuvor. dingungen lagert. Die Produktion aller in der Bun- (Unruhe bei der CDU/CSU und der FDP — desrepublik nicht zugelassenen Pestizide muß ver- Tatge [GRÜNE]: Da braucht man bloß den boten werden. Energiebericht zu lesen; da steht die ganze (Beifall bei den GRÜNEN) Borniertheit drin!) 19478 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Frau Hönes Nur auf Grund einer Indiskretion und wegen des Sinn haben soll, dann müssen jetzt politische Kon- immer stärkeren öffentlichen Drucks haben Sie sequenzen gezogen werden. schließlich die Flucht nach vorne ergriffen und (Hornung [CDU/CSU]: Sagen Sie das der gestern die alarmierende Studie des TÜV Nord- Sowjetunion zu Tschernobyl!) deutschland vorgelegt, die seit mindestens vier Mo- - naten in Ihren Schubladen schmort. Wir fordern Sie auf, diese Reaktoren, über die nicht einmal eine Risikostudie vorliegt, unverzüg- Diese TÜV-Untersuchung über die Ereignisab- lich außer Betrieb zu nehmen. läufe bei einem Super-GAU in den Atomkraftwer- (Beifall bei den GRÜNEN) ken Stade, Brokdorf, Krümmel und Brunsbüttel ist höchstgradig alarmierend. Wir erinnern daran, daß für einen der sechs Siede- wasser-Reaktoren die politische Voraussetzung be- (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sie waren doch gar sonders günstig ist. nicht dabei! Es wurde darüber im Aus (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sie hätten doch schuß berichtet!) zur Sitzung kommen sollen!) — Ja. Aber ich habe sehr effizient arbeitende Kolle- — Ja, dann müssen Sie aber die Sitzungen anders gen. legen, Herr Vorsitzender, (Zurufe von der CDU/CSU) (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Sie könnten froh sein, wenn auch Sie solche hätten. nicht während wichtiger Debatten, in denen ich als Dann wären Sie vielleicht etwas besser informiert Sprecherin meiner Fraktion hier zur Politik Ihrer und könnten bei Ihrem Minister etwas mehr Druck Regierung Stellung nehmen muß. — Ich meine den machen. Es ist ja eine Katastrophe, daß diese TÜV Siedewasser-Reaktor Würgassen in Nordrhein- Untersuchungen erst jetzt an die Öffentlichkeit ge- Westfalen. Wir begrüßen es, daß auch Hamburgs langen. Energiesenator Kuhbier gestern abend die einzig angemessene Forderung nach Stillegung aller Sie- (Zuruf von der CDU/CSU: Keine Ahnung! dewasser-Reaktoren erhoben hat. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Nach den Abschätzungen des TÜV muß bei den Über ein Drittel der bei uns betriebenen Atom- Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel bei kraftwerke sind Siedewasser-Reaktoren. In der einem schweren Störfall schon nach 3 bis 21 Stun- TÜV-Studie aber heißt es wörtlich: „Für deutsche den mit dem Versagen oder Bruch des Sicherheits- Siedewasser-Reaktoren sind bisher noch keine Ri- behälters gerechnet werden. Alle Katastrophen- siko-Analysen durchgeführt worden." Das ist eine schutzpläne basieren jedoch auf der Hoffnung, daß wirklich unglaubliche Neuigkeit. Denn das bedeu- die Reaktorkuppel wenigstens zwei Tage lang dicht tet, daß für ein Drittel Ihrer Atomkraftwerke noch bleibt. Im 25-km-Radius dieser beiden Atomreakto- nicht einmal eine Abschätzung der möglichen Un- ren leben insgesamt etwa 650 000 Menschen. fall-Abläufe und ihrer Auswirkungen existiert. — Ich fordere Sie noch einmal eindringlich auf: Stel- Herr Wallmann, ich wäre Ihnen sehr dankbar, len Sie diese Atomkraftwerke ab, bevor es eine Ka- wenn Sie meinen Ausführungen folgen würden. tastrophe gibt! (Bohl [CDU/CSU]: So wichtig sind sie auch (Hornung [CDU/CSU]: Frau Hönes, die Ka- nicht!) tastrophe sind Sie!) Meine Damen und Herren, die stärkste Stütze — Ich bin nicht wichtig, aber meine Argumente der Wallmannschen Atompolitik ist der Glaube, es sind wichtig. gebe keine Alternative. Wir GRÜNEN haben vor (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) wenigen Tagen noch einmal mit einer breit ange- legten Aufklärungskampagne über die Machbarkeit Das bedeutet weiterhin: Das zentrale Pro-Atom- und die Vorteile des kurzfristigen Atomenergieaus- energie-Argument der Bundesregierung von der an- stiegs begonnen. Die Behauptung, ohne Atomener- geblichen Sicherheit unserer Atomkraftwerke ist gie ginge es nicht, ist ein morsches Lügengebäude. auf Sand gebaut, unseriös und erwiesenermaßen Immer mehr Menschen werden das erkennen. Volksverdummung. Selbst über den Versagensme- chanismus des Reaktor-Sicherheitsbehälters ist (Beifall bei den GRÜNEN) nach Aussage des Technischen Überwachungsver- eins — ich zitiere — „nach heutiger Kenntnis keine Vizepräsident Cronenberg: Nun hat der Abgeord- präzise Aussage möglich". nete Dr. Weng das Wort. Bitte sparen Sie sich die Mühe, Herr Minister, diese TÜV-Untersuchung nachträglich als unbedeu- Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Herr Präsident! tenden „Vor-Entwurf" abzuqualifizieren. Denn in ih- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will rer Stellungnahme vom 13. August 1986 bestätigt meine Rede zum Etat des Bundesministers für Um- auch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit die welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit zwei Aussagen des Berichtes und betont, daß ihr die Er- Vorbemerkungen beginnen. gebnisse „sinnvoll" erscheinen. Die erste Vorbemerkung betrifft den wichtigen Wenn das geläufige Wort von dem Vorrang der Bereich des Artenschutzes. Jeder Naturfreund Sicherheit vor der Wirtschaftlichkeit irgendeinen weiß, daß die vom Aussterben bedrohten Greifvögel Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19479

Dr. Weng (Gerlingen) und hier insbesondere die Falken einen besonders Zukunft die angemessene Beachtung finden. Dem hohen Symbolwert haben. hat auch auf unsere Anträge hin der Haushaltsaus- schuß des Deutschen Bundestages Rechnung getra- (Zurufe von der SPD: Strauß!) gen. Die Haushaltsgruppe der Koalition aus CDU/- Hätte nicht z. B. die Arbeitsgemeinschaft Wan- CSU und FDP hatte von Anfang an beschlossen, für - derfalkenschutz durch mühsame Bewachung der dieses Ministerium sowohl bei Personal- wie bei Horste dieser schönen Vögel deren Ausplündern den Finanzmitteln Erhöhungen zu ermöglichen, da- verhindert, wären sie bei uns längst ausgestorben. mit mit bestmöglicher Personalausstattung und ge- Das Motiv der Nesträuber: Für junge Falken ist viel nügend Sachmitteln gearbeitet werden kann. Geld zu bekommen, weil diese insbesondere als Jagdfalken im Orient hohe Preise erzielen können. Der Fehler der GRÜNEN in Hessen allerdings, (Dr. Penner [SPD]: Das ist eine spezielle das neue Umweltministerium zu einem Selbstbedie- Form von Waffenexport!) nungsladen für Parteigenossen zu machen — hierzu hat sich ja der Bund der Steuerzahler in Daß hierbei auch in unserem Land in der Vergan- Hessen mit dem Hinweis geäußert, dies sei ein ein- genheit viel Illegales geschehen ist, ist unter Vogel- samer Rekord —, wird sich in Bonn nicht wiederho- schützern ein offenes Geheimnis. In Kenntnis sol- len. chen Symbolwerts dieser Vogelart halte ich einen Politiker für schlecht beraten, der einen lebenden, (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sehr rich- zur Jagd abgerichteten Falken als Gastgeschenk tig!) nach Saudi-Arabien mitnimmt. (Beifall des Abg. Baum [FDP] sowie bei der Der Schwerpunkt in der Verbesserung des Ansat- SPD und den GRÜNEN) zes der Finanzmittel liegt im Bereich der Natur- schutzprojekte mit gesamtstaatlicher Bedeutung. Sicherlich hätte es ein vergoldeter Mercedes-Benz Hier haben wir auch die politische Auseinanderset- oder BMW auch getan. zung mit dem Finanzminister nicht gescheut. Der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bund fördert nämlich seit 1979 den Flächenankauf und biotoplenkende Maßnahmen in Landschaften Meine zweite Vorbemerkung in Sachen Mangel von herausragendem Naturschutzwert. Projektträ- an Sensibilität: Meine Damen und Herren, was sich ger können Landkreise und Gemeinden, aber auch in den letzten Tagen und Wochen nach dem Motto geeignete Umweltschutzverbände sein, die dann die „Wer ist das größte Schwein am Rhein?" in der täg- Aufgabe haben, die angekauften Flächen zu unter- lichen Presse abspielt, kann einen verantwortungs- halten. Dies ist keine eigentliche Bundesaufgabe. bewußten Politiker nicht ruhen lassen. Das Finanzministerium wollte die Zuwendungen (Dr. Penner [SPD]: Schon wieder ein Koali auslaufen lassen. Wir hielten es für wichtig, den in tionskrach!) Umweltfragen engagierten Bürgern zu zeigen, daß wir politische Signale zu setzen bereit sind. Ich bin ja nun wirklich von Berufs wegen der Che- mie verbunden und weiß, daß die Qualität unseres (Beifall bei der FDP) Lebens ohne Leistungen von Chemie und Pharma- zie nicht nur erheblich vermindert wäre, sondern Der Haushalt sieht auch die Mittel für die Ver- gar nicht mehr vorstellbar ist. Aber gerade der Teil besserung der Strahlenschutzvorsorge vor und der Betriebe, der die gesetzlichen Auflagen befolgt zieht damit notwendige Folgerungen aus der Kata- oder sogar, was sehr häufig ist, erhebliche Vorlei- strophe von Tschernobyl. Um die Pannen von da- stungen für den Umweltschutz erbringt, muß sich mals, insbesondere die Pannen bei der Unterrich- rigoros von den schwarzen Schafen in den eigenen tung der Bevölkerung, in Zukunft wirkungsvoll zu Reihen distanzieren. Sehen die Verantwortlichen vermeiden, ist der Ausbau eines flächendeckenden denn nicht, was ohne die erforderliche Vorsorge an Meßnetzes der Überwachung der Radioaktivität er- unwiederbringlichen Werten zerstört wird? Sehen forderlich. sie nicht auch, in welcher Weise ihr Verhalten in der politischen Landschaft den Weg für Träumer (Senfft [GRÜNE]: Das bewahrt uns nicht und für Schreihälse bereitet? vor Katastrophen!) Ich bin dem Umweltminister für seine klaren Äu- ßerungen auf die Vorfälle verbunden und halte die Aus Gründen sparsamen Umgangs mit Steuermit- schnelle Reaktion der FDP-Landtagsfraktion in Ba- teln fordern wir die Bundesregierung allerdings den-Württemberg und hier meines Freundes Ernst auf, die vorhandenen Einrichtungen der Länder Bauer für bemerkenswert, der fordert, eine stän- ebenso wie — privatvertraglich abgesichert — pri- dige Überwachung des Rheins vorzusehen. vate Meßeinrichtungen bestmöglich in ein solches Überwachungsnetz einzubeziehen. Natürlich rettet (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Die findet doch uns das nicht vor Katastrophen, meine Damen und statt, seit eh und je!) Herren von den GRÜNEN. Aber es ist schon lästig, Der Herr Umweltminister hat in seinen Erklä- solche unsinnigen Zwischenrufe zu hören, wenn Sie rungen deutlich gemacht, daß meine Fraktion mit wissen, daß eine Katastrophe im Ausland — von dem Wunsch, ein eigenes Umweltministerium ein- uns völlig unbeeinflußbar — geschehen ist. Ich weiß zurichten, politisch richtig lag. Ein solches Ministe- nicht, ob Ihre Freunde das kürzlich in Moskau ent- rium ist ein Selbstläufer, d. h. Umweltpolitik wird in sprechend angesprochen haben. Wenn j a, hat es auf 19480 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Dr. Weng (Gerlingen) jeden Fall nichts bewirkt. Die übrigen Blöcke in nicht gescheut. Das Ergebnis kann sich sehen las- Tschernobyl sind erneut in Betrieb. sen. Auch Sie knüpfen an und bauen auf bei der (Hornung [CDU/CSU]: Das haben die Vielzahl ihrer Maßnahmen auf dem Bundes-Immis- GRÜNEN gar nicht erwähnt!) sionsschutzgesetz, ein wirklich wegweisendes Ge- setz, auf dem Abwasserabgabengesetz, das in die Daß wir bei einer solchen Katastrophe im Ausland Zukunft gewiesen hat, auf dem Abfallbeseitigungs- die Bevölkerung künftig wenigstens im Sinne best- gesetz, das richtig war. Wir haben zum erstenmal in möglicher Information schützen wollen, müssen Sie der Geschichte ein Umweltforschungsprogramm, schon zugestehen. von der Bundesregierung verabschiedet, zum er- stenmal einen Sachverständigenrat für Umweltfra- Vizepräsident Cronenberg: Gestatten Sie eine Zwi- gen eingerichtet und Gott sei Dank die wichtigste schenfrage der Frau Abgeordneten Hönes? Einrichtung, Herr Kollege Baum, das Bundesamt für Umweltschutz eingerichtet. (Gerlingen) (FDP): Herr Präsident, nein, Dr. Weng (Beifall bei der SPD) ich möchte keine Zwischenfragen zulassen. (Zurufe von den GRÜNEN) Das sind Maßnahmen, auf die ich stolz bin, zu de- nen ich mich bekenne und die zeigen, daß auf die- Es wäre nach meiner Überzeugung nicht vertret- sem Gebiet zu Zeiten der sozialliberalen Koalition bar, wenn die Bürger einerseits als Steuerzahler erfolgreich gearbeitet wurde. und andererseits als Stromverbraucher doppelt be- zahlen müßten, daß nahezu identische Meßstellen (Beifall bei der SPD — Zustimmung des direkt nebeneinander eingerichtet und betrieben Abg. Baum [FDP] — Zurufe von der CDU/- würden. Dies, Herr Minister, bitten wir bei Ihrem CSU) Bemühen für dieses flächendeckende Überwa- Richtig ist: Auf vielen Bereichen haben sich die Pro- chungsnetz zu berücksichtigen. bleme weiter zugespitzt. Die Welt ist nicht stehen- Entschlossenes Handeln bei erkennbaren wie bei geblieben, sie wird auch nicht stehenbleiben. Mit erkannten Fehlentwicklungen, das ist verantwor- neuen Problemen müssen wir uns jetzt auseinan- tungsvolle Umweltpolitik. Diese Politik ist zu scha- dersetzen. de, um sie roten oder gar grünen Ideologen zu über- Heute ist die Chemie in aller Munde. Auch hier lassen. Wer Umweltpolitik als ein Vehikel benutzen gilt: Wer nicht fähig ist zum konstruktiven Konflikt, will, um mit vorgehaltener Sonnenblume den der wird keinen Fortschritt erreichen. Wer nur be- Marsch in einen anderen Staat, in eine andere Ge- triebswirtschaftliche Interessen sieht, der wird der sellschaftsordnung zu unternehmen, wird auf unse- Verantwortung für die Zukunft nicht gerecht. ren erbitterten Widerstand stoßen. Lange vor den Chemieunfällen, sehr lange, Jahre (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) vorher, vor Sandoz, vor Ciba-Geigy, vor AKZO, vor Herr Umweltminister, das von Ihnen geführte Hoechst, vor BASF hat die SPD-Bundestagsfrak- Ministerium ist im Sinne seriöser Umweltpolitik tion ein umfassendes Konzept für eine umwelt - ein wichtiger Hoffnungsträger in der Bevölkerung. und gesundheitsverträgliche Chemiepolitik erarbei- tet. Dieses Konzept haben wir nach wirklich jahre- (Lachen bei der SPD) langen Anstrengungen und intensiven Diskussio- Der Haushaltsausschuß hat dem Rechnung getra- nen zusammen mit der IG Chemie erarbeitet. Mit gen, das Parlament in seiner Mehrheit wird ihm fol- den Arbeitnehmervertretern aus dieser Industrie gen. Ihr persönlicher Einstand ist gut. Der Erfolg waren wir uns einig, daß dieses Konzept einer um- der Koalition in diesen für unsere Zukunft so wich- welt- und gesundheitsverträglichen Chemiepolitik tigen Fragen muß durch Ihre weitere Arbeit sicher- Arbeitsplätze sichert. gestellt werden. Die FDP-Fraktion sichert Ihnen (Beifall bei der SPD) hierbei bestmögliche Unterstützung zu. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir sind mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund einer Meinung: nur umweltverträgliche Arbeits- plätze sind auf die Dauer sichere Arbeitsplätze. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- ordnete Dr. Hauff. Mit unserem Konzept, das dem Deutschen Bun- (Dr. Rumpf [FDP]: Mit 180 nach Frankfurt! destag seit dem März dieses Jahres vorliegt — Bohl [CDU/CSU]: Wie schnell sind Sie (Zuruf des Abg. Hornung [CDU/CSU]) denn nun gefahren?) — ich nehme gerne zur Kenntnis, daß Sie es nicht gelesen haben —, Dr. Hauff (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Die Geschichte der Um- (Hornung [CDU/CSU]: Ich habe gesagt: Die weltpolitik in der Bundesrepublik hat gezeigt, daß Finanzierung des DGB ist schlecht!) jede einzelne Umweltmaßnahme den Verursachern streben wir eine umweltverträgliche und vorsor- von Umweltverschmutzung mühsam abgerungen gende Chemiepolitik an. Mit diesem Antrag, in dem werden mußte. Wir alle haben es erlebt. Wir Sozial- eine Vielzahl von Maßnahmen angekündigt ist, ha- demokraten und Teile der damaligen Freien Demo- ben wir vorgeschlagen, das Chemiegesetz zu aktu- kraten — den Grafen Lambsdorff will ich da aus- alisieren, um mit den Schadstoffen besser fertigzu- drücklich ausnehmen — haben die dafür notwendi- werden, ein Arbeitsprogramm vorzulegen, nach gen Konflikte mit den wirtschaftlichen Interessen dem in sechs Jahren die Altstoffe abgearbeitet wer- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19481

Dr. Hauff den sollen, die Gefahrstoffverordnung weiterzuent- — Vielen Dank. Ich möchte gern im Zusammen- wickeln, die Gefahren durch Chemikalien im Haus- hang reden. halt zu verringern durch Kennzeichnungspflicht, (Bohl [CDU/CSU]: Sie möchten die Wahr- durch Forschungsprogramme, den Gesundheits- heit nicht hören!) schutz durch eine Zurückdrängung gefährlicher - und überflüssiger Ersatzstoffe bei den Lebensmit- Schneller, als uns lieb war, haben wir mit einer teln zu ermöglichen, die Beteiligung der Arbeitneh- Serie von verhängnisvollen Chemiekatastrophen mer zu verbessern und nicht zuletzt eine verschul- recht bekommen. Es begann mit dem Brand in Ba- densunabhängige Haftung einzuführen und eine sel bei Sandoz. Tagelang war die Regierung sprach- Umkehr der Beweislast. Seit März liegt dieser An- los. Das wurde — das fand ich wirklich sehr interes- trag dem Deutschen Bundestag vor, lange, lange vor sant — nachträglich damit begründet, daß die zu- diesen Unfällen. ständige Stelle in Basel die Telex-Nummer ausge- wechselt hat und daß die Bundesregierung zwei Wir haben uns eben um eine solche vorsorgende Tage gebraucht hat, um die Telex-Nummer heraus- Chemiepolitik gekümmert, als es noch keine Un- zufinden. Warum um alles in der Welt, Herr Wall- fälle gab. Wir wissen, daß Vorsorge notwendig ist mann, haben Sie eigentlich nicht jemanden hinge- zum Schutze der Umwelt, aber auch zur Sicherung schickt, so wie der Verband der Chemischen Indu- und Erhaltung der Arbeitsplätze. Wir wissen auch, strie? Der Bundesregierung stehen wirklich alle welche Bedeutung die Chemie für unsere Industrie- Transportmöglichkeiten zur Verfügung. gesellschaft hat. Aber wir wissen auch, daß die Risi- (Beifall bei der SPD — Dr. Penner [SPD]: ken der Chemie verringert werden müssen, und Da fehlte eine A-15-Stelle!) zwar ohne daß Unfälle stattfinden. — Das ist noch eine N. N.-Stelle. Die Stelle ist ja da. (Beifall bei der SPD) Aber die sind im Ministerium zur Zeit alle N. N. Ein bißchen vorausdenken muß ja nicht immer (Dr. Penner [SPD]: Ich dachte, es sei eine schädlich sein. Deswegen haben wir unsere Vor- W.-W.-Stelle, eine Walter-Wallmann-Stelle! schläge vorgelegt, nicht als Reaktion, sondern aus — Bohl [CDU/CSU]: Sie sind eine Null- Sorge um die Zukunft und aus Sorge um die Ar- Null-Stelle!) beitsplätze in dieser Industrie. Warum eigentlich, Herr Wallmann, haben Sie ge- Nun ist sehr interessant: Wie waren eigentlich die schwiegen, als Ihre Freunde von der chemischen Reaktionen damals? Heute redet ja alles über Che- Industrie eine Woche nach dem Unfall in allen gro- mie. Aber wie war es in diesem Frühjahr, als wir ßen Tageszeitungen eine Anzeige veröffentlicht ha- das vorgelegt haben? Der Verband der Chemischen ben „Lieber Fisch! Es wird Dir guttun, daß die che- Industrie hat unsere Vorschläge kaltschnäuzig und mische Industrie die organische Belastung der Ge- zynisch vom Tisch zu wischen versucht. wässer in den letzten zwanzig Jahren um mehr als 20% gesenkt hat"? Meine Frage ist: Warum haben (Zuruf von der SPD: So war es!) Sie eigentlich dazu geschwiegen? Warum haben Sie „Bevormundung der Verbraucher", „Eigenverant- sich nicht dazu durchringen können, diese Anzeige wortlichkeit der Hersteller", „Schwächung der Wett- als das zu bezeichnen, was sie ist, nämlich ein kalt- bewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft", das schnäuziger Versuch, mit Millionen von Mark Mil- waren die Kampfparolen, die dabei verwendet wur- lionen von Menschen für dumm zu verkaufen? den. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Statt dessen haben Sie das Gegenteil getan. Sie Das habe ich nicht anders erwartet. Aber daß sich waren in der letzten Woche bei Hoechst, weil Sie dieser Chemieverband dabei auf die willfährige par- sich „einen unmittelbaren Eindruck von der Sicher- lamentarische Unterstützung durch die CDU verlas- heitstechnik" verschaffen wollten. Sie haben an- sen konnte, das war das eigentlich Besorgniserre- schließend verkündet, Sie seien „beeindruckt von gende dabei. der deutschen Sicherheitstechnik". Nur: Das war (Hornung (CDU/CSU]: Das ist eine Unter vor den Unfällen. Erst als Maßnahmen unausweich- stellung!) lich waren, kam es zu einem Gespräch. Dann muß- ten die Chemie-Leute Ihnen in die Hand verspre- Ohne jede ernsthafte Diskussion haben Sie in die- chen, daß sie freiwillig bereit sind, das alles zu ver- sem Jahr unser Konzept abgelehnt — ein Liebes- ändern. dienst an die Chemie-Manager. Wir haben damals ganz andere Forderungen vor- Viele von Ihnen haben über unser Konzept sogar gelegt, als es die deutschen Unfälle noch nicht gab. gelacht — ich erinnere mich noch sehr genau an die Wir haben in der Tat ein anderes Haftungsrecht mit ersten Debatten hier —, so ähnlich, wie einige von unserem Antrag hier im Deutschen Bundestag ge- denen gelacht haben, als wir 1961 den blauen Him- fordert. Wir haben einen Warn- und Alarmplan für mel über der Ruhr gefordert haben. Nur: Diesmal den Rhein gefordert. ist Ihnen das Lachen ein ganz klein bißchen schnel- (Baum [FDP]: Den gibt es! Nur hat Sandoz ler vergangen. ihn nicht genutzt!) (Beifall bei der SPD — Abg. Dr. Göhner — Wir haben konkrete Maßnahmen zur Verbesse- meldet sich zu einer Zwischenfrage) rung gefordert. 19482 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Dr. Hauff Wir haben gefordert, daß die Störfallverordnung großartige Sache, daß da nicht nur angekündigt verändert und ergänzt, daß beispielsweise wasser- wird, sondern auch geplant wird. gefährdende Stoffe mit einbezogen werden müs- sen. Nein, es ist Zeit zum Handeln. Meine Frage ist: Warum haben Sie all die Maßnahmen, die Teil un- (Zuruf der Abg. Frau Hönes [GRÜNE]) serer Vorschläge vor mehreren Monaten waren, -ei- gentlich abgelehnt, zuletzt vor zwei Wochen hier im Warum um alles in der Welt haben Sie es hier im Deutschen Bundestag? Jetzt soll mittlerweile alles Deutschen Bundestag alles abgelehnt, wenn Sie geprüft werden. Wie soll da der Bürger eigentlich mittlerweile dafür sind? noch Zutrauen zu einer Regierung haben, die so (Zustimmung bei der SPD — Zuruf von der verfährt? FDP: Was haben Sie eigentlich nicht gefor (Beifall bei der SPD — Hinsken [CDU/- dert — hinterher?) CSU]: Das sehen Sie am Wahlergebnis!) Nein, die Begründung für Ihre kurzfristige und Dabei bleibt Ihre Entscheidung merkwürdig unent- interessengebundene Entscheidung lieferte der schieden und ungenau. Es wird nicht deutlich, ob Verband der Chemischen Industrie danach, als er Sie wirklich wollen oder ob Sie nur beruhigen wol- ebenfalls in einer Anzeige behauptete: „Wir haben len. in der deutschen chemischen Industrie einen hohen Sicherheitsstandard erreicht. Die bisher erzielten Der Eindruck verdichtet sich: Diese Regierung Erfolge bestärken uns in der Verantwortung für macht auf umweltpolitischem Gebiet jeweils das, Mensch und Umwelt." was unvermeidlich ist, (Lambinus [SPD]: Hört! Hört!) (Hornung [CDU/CSU]: Herr Hauff, werden Sie nicht arrogant!) Das wurde dort behauptet, alles nach der Melodie: So was mag in der Schweiz vorkommen, bei uns ist aber von einer wirklich vorsorgenden Umweltpoli- das unmöglich. tik ist sie meilenweit entfernt. (Zuruf von der SPD: Leider wahr!) Mittlerweile hat sich herausgestellt: Lügen haben kurze Beine. Die Wahrheit kam mit einer Serie von Ich bleibe dabei: Wo wirtschaftliche Macht zur schweren Störfällen in unserem Land ganz schnell Bedrohung von Mensch und Natur wird, ist es un- ans Licht: sere Aufgabe, dieser wirtschaftlichen Macht Gren- zen zu setzen. Das ist die Tradition der SPD in 120 (Hornung [CDU/CSU]: Waren das noch Zu Jahren. fälle?) (Beifall bei der SPD) bei BASF, bei Hoechst, bei Bayer. Jeden Abend gibt es neue Schreckensmeldungen. Ein „Rhein-Fall" Wir wissen uns dabei im Grundsätzlichen auch jagt den anderen. einig mit dem Bundespräsidenten, der vor kurzem sagte — wörtlich —: Während wir hier zusammengekommen sind, werden uns die Meldungen der Nachrichtenagentu- Die Umweltfrage ist selbst zur Überlebensfrage ren hereingereicht, daß heute mittag wieder ein der Menschheit geworden. neuer Störfall bei Hoechst passiert ist und daß in (Zuruf des Abg. Tatge [GRÜNE]) unbekannter Menge wieder neue Schadstoffe ein- getragen wurden. — Hören Sie doch wenigstens zu, was ich vom Bun- despräsidenten hier vortrage. — (Hornung [CDU/CSU]: Sehr seltsame Zu Nur wenn wir die Natur um ihrer selbst willen fälle auf einmal! — Jung [Lörrach] [CDU/ schützen, wird sie uns Menschen erlauben zu CSU]: Seltsame Zufälle!) leben. Jetzt endlich bequemt sich die Regierung, nach- Deswegen gehört der Umweltschutz als Staatsziel dem sie unsere Vorschläge über Wochen hinweg auch ins Grundgesetz hinein, abgelehnt hat, jetzt endlich bequemt sich die Mehr- heit und sagt: Es muß tatsächlich etwas geschehen. (Hornung [CDU/CSU]: Und damit ist bei Jetzt endlich wird zugegeben, daß da Handlungsbe- Ihnen alles geregelt?) darf besteht. Jetzt werden Arbeitsgruppen einge- nur: Auch davon wollen Sie nichts wissen. setzt, Prüfungsaufträge vergeben, Maßnahmen wer- den angekündigt. (Beifall bei der SPD — Dr. Göhner [CDU/- CSU]: Welche Maßnahmen hätten Sie mit (Kühbacher [SPD]: Nur weil Wahlen ins dem Grundgesetz verhindert?) Haus stehen!) Ich sage Ihnen: Der Tag wird kommen, an dem Jetzt endlich kommen die Störfallverordnung, die auch Sie erkennen müssen, daß es vernünftig und verschuldensunabhängige Haftung und die Verbes- richtig ist, den Umweltschutz als Staatsziel ins serung der Sicherheitstechnik in die Diskussion; Grundgesetz hineinzuschreiben, aus diesen Überle- aber, meine Damen und Herren, eben nur in die gungen. So verdichtet sich am Ende der Legislatur- Diskussion. Zutreffender hätte man es nicht ma- periode der Eindruck, daß Herr Hartkopf doch recht chen können als Herr Kollege Gerster, indem er die hatte, als er prophezeite, Herr Wallmann werde in Regierung dafür gelobt hat, daß sie nicht nur An- der Umweltpolitik nur Propaganda machen und al- kündigungen macht, sondern auch plant. Also eine len wirklichen Konflikten ausweichen. Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19483

Dr. Hauff Meine Damen und Herren, das alles muß man — sche Untätigkeit wird langsam zur Gefahr für die um ein Wort des verehrten Herrn Bundeskanzlers Zukunft unseres Landes. zu gebrauchen — jetzt endlich einmal auf den (Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] Punkt bringen. Herr Wallmann, Sie waren nie in [CDU/CSU]: Das ist ein Haufen Mist, was Hollywood, jedenfalls haben Sie dort nie gearbeitet, Sie da machen! — Zuruf von der CDU/CSU: - aber von Public Relations verstehen Sie eine ganze Ausgerechnet Hauff! — Weitere Zurufe von Menge. Die Bilanz der Umweltpolitik sieht entspre- der CDU/CSU) chend aus. Auch Herr Gerster kann darüber nicht hinwegtäuschen. Die Katalysator-Fahrzeuge kom- Umweltpolitik ist Gesellschaftspolitik, gerade in men nur im ersten Gang voran. der Industriegesellschaft, und deswegen müssen Arbeit und Umwelt miteinander verknüpft werden. (Zurufe von der CDU/CSU: Sie haben das Wir brauchen keine symbolischen Einzelaktionen 1982 abgelehnt! — Sie haben gar nichts ge und keine Kassandrarufe, sondern in der Tat eine macht! — Sie hätten es doch machen kön grundlegende ökologische Erneuerung der Indu- nen! — Sie haben doch geschlafen!) striegesellschaft. Das ist der Sinn unserer Vorschlä- Beim Verbot des verbleiten Normalbenzins bleibt ge. es bei Ankündigungen. Die chemische Industrie (Zurufe von der CDU/CSU) braucht vorläufig mit keinerlei Verschärfungen zu rechnen. Das neue Bundesnaturschutzgesetz löste — War eigentlich das Bundes-Immissionsschutzge- bei den anerkannten Naturschutzverbänden Hohn- setz nichts? War das Abfallbeseitigungsgesetz gelächter aus. Die Einwegverpackungen wachsen nichts? War das Umweltbundesamt nichts? War der nach der famosen „Lex ALDI" weiter an. Die Sanie- Sachverständigenrat eigentlich nichts? Reden Sie rung der Altlasten wird nicht angepackt. Die Atom- doch nicht so dumm daher! Die Umweltpolitik der kraft wird weiter ausgebaut, sozialliberalen Koalition hat Profil gehabt, (Beifall bei der SPD) (Hornung [CDU/CSU]: Herr Hauff, keine gute Bilanz Ihrer Politik!) sie hat Profil gehabt, und ich bin stolz auf sie! und über das Tierschutzgesetz sind nicht nur die (Beifall bei der SPD — Schmidbauer Tierschützer empört. [CDU/CSU]: Das haben wir alles novelliert! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Angesichts dieser Ausgangslage kann es auch nicht verwundern, daß in der mittelfristigen Fi- Deswegen haben wir unsere Vorschläge vorge- nanzplanung für das Umweltministerium bis 1990 legt: für eine Chemiepolitik, für ein Sondervermö- eine Verringerung der Mittel gegenüber dem An- gen „Arbeit und Umwelt", für eine sichere Energie- satz 1987 vorgesehen ist, ein einmaliger Vorgang versorgung ohne Atomkraft und für eine neue von diesem doch so unglaublich wichtigen und zu- Landwirtschaftspolitik. kunftsorientierten Ministerium. Die Mittel sinken Die derzeitige Mehrheit im Deutschen Bundestag im Laufe der mittelfristigen Finanzplanung ab. No- lehnt diese Vorschläge ab, aber Tag für Tag wird minal, ohne jede Preissteigerung, deutlicher: Diese Bundesregierung ist nicht mehr in der Lage, auf dem Gebiet der Umweltpolitik für die (Hornung [CDU/CSU]: Wir haben doch kei Mehrheit der Menschen in unserem Lande zu spre- ne!) chen, steht 1990 nach der mittelfristigen Finanzplanung (Zuruf von den GRÜNEN: Sie auch nicht!) weniger Geld zur Verfügung als 1987. Meine Damen und Herren, es verstärkt sich der Eindruck: Hier und das wird in den nächsten Wochen noch sehr handelt es sich um ein Wahlkampfministerium, das viel deutlicher werden. Diese Regierung — zu- jetzt seine Funktion zu erfüllen hat und dann wie- nächst Herr Zimmermann, jetzt Herr Wallmann — der in die Wüste geschickt wird. hat umweltpolitisch versagt, und deswegen ist es an der Zeit, daß diese Regierung abgelöst wird. (Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Keine Ahnung!) (Beifall bei der SPD) Aber das paßt ja auch zu den Vorstellungen, die der derzeitige Amtsinhaber bei seiner Amtsüber- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- nahme geäußert hat. ordnete Dr. Laufs. (Dr. Penner [SPD]: Wer ist das?) Wörtlich hat Herr Wallmann gesagt: „Mein Wunsch- ministerium ist das nicht." Dr. Laufs (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! In den vergangenen vier Jahren (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das merkt haben wir bei wachsender Wirtschaft und steigen- man!) dem Energieverbrauch zugleich beachtliche Verbes- Herr Wallmann, ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich serungen beim Schutz unserer Umwelt geschaffen. glaube Ihnen das; und ich sage: Die Menschen spü- Das böse Wort von der unausweichlichen „Kaputt- ren das auch. In gewisser Weise kann ich das aus industrialisierung" ist widerlegt; Ihrer Sicht auch verstehen, daß das Ihre Meinung (Dr. Penner [SPD]: Durch die Fische im war. Nur — es tut mir leid —: Diese umweltpoliti Rhein!) 19484 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Dr. Laufs die Zahlen sprechen für sich und sind unbestreit- Die chemische Industrie wird alles ihr Mögliche zur bar. Revitalisierung des Rheins unternehmen müssen. (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Hunderttau (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Was heißt das sende tote Aale!) konkret?) - Wir sind z. B. in diesem Jahr, im Jahre 1986, zum Die technische Sicherheit der chemischen Betriebe erstenmal zu einem Nettoimporteur von Luftschad- muß optimiert werden. Mit Verstärkung der inhä- stoffen geworden, renten Sicherheit, mit Mehrfachsicherungssyste- (Dr. Penner [SPD]: Was ist das?) men, geschlossenen Kühlkreisläufen und Schad- stoffvernichtungsanlagen ist Vorsorge zu treffen, zum erstenmal in der Geschichte Deutschlands als daß sich schwere Störfälle nicht wieder ereignen. einer Industrienation! Besondere Aufmerksamkeit ist auf Wartung und (Zustimmung bei der CDU/CSU) Überwachung sowie Fachkunde und Zuverlässig- keit des Betriebspersonals zu richten. Daß Sie, Herr Kollege Hauff, an der Gifthysterie zuerst Ihr umweltpolitisches Magersüppchen ko- Die Störfallverordnung muß auf wassergefähr- chen wollen, was sich bei jedem Anlaß zeigt, verste- dende Stoffe erweitert und die Verpflichtung zur hen wir ja. Aber, Herr Kollege Hauff, daß nach dem Meldung von Störfällen überprüft werden. Das be- Großbrand in Basel tonnenweise die toten Aale an- ste Umweltschutzrecht nützt nichts, wenn seine geschwemmt wurden, zeigt doch, wie erfolgreich Einhaltung nicht ausreichend überwacht wird. unser Gewässerschutz bis dahin war. (Zuruf von der SPD: Das ist wahr!) (Lachen und Zurufe von der SPD) Die derzeitige Praxis ist verbesserungsbedürftig. Denn diese Aale gab es früher, als andere regierten, im verschmutzten Rhein nicht! Verwaltungsvorschriften und technische Regel- werke sind notwendig, um die Effizienz des Voll- (Weitere Zurufe von der SPD und den zugs zu steigern. Wir begrüßen, daß der Bundesum- GRÜNEN) weltminister dazu zwei Beratergruppen eingesetzt hat. Sie werden schnellstmöglich konkrete Vor- Als nicht wir, sondern andere regierten, gab es diese Fische nicht! schläge für die Verbesserung der betrieblichen und staatlichen Sicherheits- und Notfallmaßnahmen in (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ der chemischen Industrie sowie zur Behebung der CSU — Anhaltende Zurufe von der SPD ökologischen Schäden im Rhein erarbeiten. Wir und den GRÜNEN) konnten gestern im Umweltausschuß feststellen, daß der Bundesumweltminister und sein rheinland- Übrigens, Herr Kollege Hauff, pfälzischer Kollege unverzüglich und umsichtig ge- (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das handelt haben, nachdem der Störfall bei BASF be- war aber ein Eigentor!) kanntgeworden war. Alle erforderlichen Vorsorge- maßnahmen wurden ergriffen, die Bevölkerung um- Ihre Chemiepapiere, die der SPD, haben wir am gehend informiert. 28. Oktober im Umweltausschuß ausführlich bera- ten. Zwei Kollegen von der SPD sind anwesend Es gibt für uns keine Alternative zum techni- gewesen, Sie nicht, Herr Kollege Hauff! schen Fortschritt, aber Alternativen zu Art und Form des Fortschritts. Meine Fraktion bekennt sich (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Abgelehnt ha zum humanen ökologischen Fortschritt. Dazu ha- ben Sie es! Daran geht kein Weg vorbei! ben wir uns auch in den vergangenen Jahrzehnten Abgelehnt!) bekannt — mit großem Erfolg. Gewiß, Pessimisten sind ja Leute, die immer irgend- wie recht haben, weil man in der Regel mehr erwar- (Zuruf von der SPD: Erklären Sie doch mal, tet, als erreichbar ist. Aber Pessimisten haben die was das heißt!) Welt noch nie vorangebracht, so wenig, wie Sie, Der Rhein war bis zu diesem Störfall wieder ein Herr Kollege Hauff, Fluß mit einer großen Artenvielfalt geworden. Viele (Zuruf von den GRÜNEN: Leute, die ein Fische sind dort wieder heimisch geworden, die Brett vor dem Kopf haben, auch nicht!) dort in den 60er und 70er Jahren nicht mehr hatten leben können. z. B. das schadstoffarme Kraftfahrzeug in Ihrer Re- gierungszeit vorangebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU — Schäfer [Of Das muß hier mal in aller Klarheit gesagt werden. fenburg] [SPD]: „Stahlhelm" klatscht!) Wir haben den Rhein gesäubert. Wir haben das Bo- densee-Sanierungsprogramm durchgeführt. Nun, für die Erfolge unserer Gewässerschutzpoli- tik ist das Chemieunglück bei Basel ein schlimmer (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sie?) Rückschlag. Wir sind entschlossen, daraus und aus den jüngsten Störfällen in der deutschen Industrie — Wir als Union, auch in Baden-Württemberg. die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. 10 Milliarden DM haben wir dafür ausgegeben, noch bevor es einen einzigen GRÜNEN gab, noch (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Welche?) bevor Sie mit Ihren Papieren kamen. Das lassen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19485

Dr. Laufs wir uns nicht nehmen. Das wollen wir hier in aller Vieles ist früher in großer Gemeinsamkeit ge- Klarheit einmal feststellen. schehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Senfft [GRÜNE]: Das ist leider wahr! Auch Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD] meldet heute noch!) - sich zu einer Zwischenfrage) Genscher hat in einer ganz wichtigen Aufbauphase Wir haben ein neues Umweltministerium, — wir haben beispielsweise die Verfassung geän- (Tatge [GRÜNE]: Das auch nicht viel ge dert — die Unterstützung aller Parteien in diesem nützt hat!) Hause gehabt. und wir können feststellen, daß der Bundesumwelt- (Frau Hönes [GRÜNE]: Gott sei Dank hat minister bereits ein großes Programm umgesetzt, das aufgehört!) eine Menge auf den Weg gebracht hat. Wir haben Ich frage mich, warum die Opposition sich heute bei mit dem neuen Ministerium schnell Tritt gefaßt, vielen Gesetzen, die wir auch in diesen letzten Wo- auch mit dem neuen Umweltausschuß. Die Ergeb- chen und Monaten gemacht haben, der Zusammen- nisse können sich sehen lassen. Wir werden unse- arbeit verweigert. ren Weg für eine bessere Umwelt konsequent wei- tergehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vielen Dank. Es müßte doch wieder möglich sein, hier enger zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sammenzuarbeiten. (Dr. Penner [SPD]: Er will wieder Minister werden!) Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter Ich verhehle auch nicht, daß meine Fraktion bei Schäfer, ich konnte Ihnen keine Möglichkeit geben, einigen Projekten in dem einen oder anderen Punkt weil der Abgeordnete Dr. Laufs seine Redezeit noch weiter gegangen wäre. Und wir haben eine schon lange überschritten hatte. Menge verabschiedet, meine Damen und Herren Das Wort hat der Abgeordnete Baum. von der Opposition. Wir haben wichtige Umweltge- setze im Wasserbereich, im Luftbereich, im Abfall- bereich novelliert. Der Umweltschutz hat in den Baum (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und letzten Jahren einen wichtigen, zusätzlichen Impuls Herren! Ich glaube, wir sollten Schwarzweißmale- bekommen. Wir werden in Koalitionsverhandlun- reien hier beenden. Ich stelle hier aus eigener gen im Bereich des Naturschutzes auf einige Kenntnis vieler Jahre Umweltpolitik fest: Alle Par- Punkte zurückkommen. teien haben auf dem Umweltsektor Verdienste. Es Das gilt auch für die Staatszielbestimmung. Herr gab in der früheren Koalition große Fortschritte, Hauff, ich freue mich ja, daß Sie diese Grundgesetz- und Sie müssen anerkennen, daß es auch jetzt, in änderung so vehement vertreten. Wir hatten in der den letzten vier Jahren, erhebliche Fortschritte im sozialliberalen Koalition etwas Mühe, Sie davon in Umweltschutz gegeben hat. Gänze zu überzeugen. Jetzt haben wir Sie davon (Schäfer [Offenburg] [SPD]: „Alle sind überzeugt, gut"!) (Lachen bei der SPD) Es gab Fehler. Das muß man hier auch öffentlich und wir werden darüber jetzt mit unserem Koali- sagen. Die haben aber alle zu verantworten. Es gab tionspartner reden. in allen Parteien Widerstände. Und die GRÜNEN haben den Umweltschutz nicht entdeckt, meine Da- (Zustimmung bei der FDP) men und Herren. Sie wollen j a eine andere Wirt- Das sind eben die verteilten Rollen. In der Opposi- schaftsordnung. Und ich sage Ihnen: Umweltschutz tion reden Sie anders als in der Regierung. Offen- ist nur in dieser Wirtschaftsordnung überhaupt effi- bar ist das eine Rollenverteilung, die unvermeidlich zient zu gestalten. ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Was zum Rhein zu sagen ist — ich habe sehr Es ist also keine Erblast zu verarbeiten. Vieles, was wenig Redezeit —: Wir müssen alle daran interes- in dieser Legislaturperiode geschehen ist, wäre siert sein, daß die Gesetze, die der Deutsche Bun- nicht geschehen, wenn keine Vorarbeiten dagewe- destag verabschiedet hat, auch angewandt werden. sen wären. Das muß man auch mal zugunsten der Ministerien, der Beamten in den Ministerien — der (Richtig! bei der SPD) Minister macht die Gesetzentwürfe ja nicht selber Wir haben festgestellt, daß es Vollzugsdefizite gibt. — sagen. Wir müssen von hier aus, meine ich, auch an die (Kühbacher [SPD]: Herr Gerster, Sie sind Länderbehörden und die Länderparlamente appel- ein Miesmacher!) lieren, alles zu tun, um den Vollzug der Wasserge- setze sicherzustellen. Es muß eben überwacht und Deshalb sollten wir jetzt hier mit den Schuldzuwei- kontrolliert werden; sonst machen wir hier Gesetze sungen aufhören und uns überlegen: Was ist im für den Papierkorb. Das ist die Hauptaufgabe. Im Interesse unserer Umwelt wirklich zu tun? Vordergrund steht nicht unbedingt ein neuer Rege- (Zuruf von der SPD: Richtig!) lungsbedarf. Vielmehr ist erforderlich die Anwen- 19486 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Baum dung der vorhandenen Regeln, sind erforderlich Dr. Wallmann, Bundesminister für Umwelt, Natur- Überwachung und Kontrolle. schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bin der Meinung, man sollte auf manche schrillen Dann müssen wir natürlich auch — Herr Wall- Wahlkampftöne, die wir hier gehört haben, nicht mann, das ist ja auch Ihre Meinung — einige Re- eingehen. Man sollte darüber hinweggehen und zur geln überprüfen. Wir haben 1980 die Störfallverord- Sache kommen. Das Thema Umwelt — ich denke, nung in der alten Koalition verabschiedet. Das ist das ist nicht nur meine Überzeugung — verträgt ja ein wirklich guter Ansatz, aber sie muß fortge- am wenigsten Polarisierungen oder Ideologisierun- schrieben werden. Wir müssen wissen, was daraus gen oder Selbstgerechtigkeit. geworden ist. Ich sage in aller Ruhe: Natürlich hat es auch vor Natürlich müssen wir das Umweltchemikalienge- dieser Bundesregierung Leistungen für den Um- setz ändern, Herr Hauff. Darüber sind wir uns weltschutz gegeben. Natürlich hat es guten Willen einig. gegeben. Ich pflege nicht schwarzweiß zu malen. Alle Unfälle haben etwas mit Pflanzenschutzmit- Ich behaupte nicht, daß es die Einsicht und den teln zu tun. Wir müssen uns deshalb auch fragen: guten Willen nach Parteigrenzen getrennt gebe. Müssen Pflanzenschutzmittel in dieser Weise pro- Nein, so ist es nicht. duziert, gelagert und verwendet werden? Das (Senfft [GRÜNE]: „Versöhnen statt spal- Grundwasser muß ja auch bei normaler Bewirt- ten"!) schaftung geschützt bleiben. Ich will Ihnen versichern: Es geht gerade in der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Umweltpolitik um eine Politik des Augenmaßes, um Es stehen also wichtige Aufgaben vor uns. Meine eine Politik, die das Ganze ins Auge faßt und nicht Partei wird ihren Beitrag dazu leisten, diese Aufga- mit Teilwahrheiten operiert und vor allem keine ben zu bewältigen. Wir halten nichts von Katastro- Standpunkte verabsolutiert. Ich bin der festen phenszenarien. Wir halten nichts davon, wochen- Überzeugung, das erwarten auch unsere Mitbürge- lang immer nur ein Thema zu bearbeiten. Wir wol- rinnen und Mitbürger von uns. Sie wollen keine len, daß alle Themen präsent bleiben. Dazu gehört selbstgerechten Positionskämpfe, sondern sie wol- z. B. auch die Frage, Herr Wallmann, ob wir jetzt len die Auseinandersetzung in der Sache, die frei- nicht endlich bestimmte Stoffe und Produkte ver- mütige Diskussion. Da sollten wir aufeinander hö- bieten müssen, damit sie nicht in unseren Abfall ren können. kommen. Es reicht also nicht, nur eine Ein-Tages- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie Politik zu betreiben, sich mit nur einem Thema zu werden verstehen, daß ich als erstes den Mitglie- beschäftigen und andere Themen nicht mehr zu se- dern des Haushaltsausschusses für die Unterstüt- hen. zung bei der sachgerechten Ausstattung des Bun- Keine Katastrophenstimmung, keine Verharmlo- desumweltministeriums danke. Ich habe Anlaß sung, sondern berechenbarer, entschlossener Um- dazu. Ich möchte ausdrücklich den Bundesfinanz- weltschutz wie unter dieser Regierung. Herr Wall- minister in diesen Dank einbeziehen. mann, Sie haben unsere Unterstützung. Der Haushalt des Bundesumweltministeriums (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sieht 518 Mitarbeiter vor. Das sind 229 mehr, als bis- her für diese Aufgaben in den Ressorts der Bundes- regierung zur Verfügung standen. Diese Steigerung um fast 80 % unterstreicht mehr als viele Worte den Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her- ren, bevor ich dem Bundesminister für Umwelt, Na- politischen Willen, der hinter der Organisationsent- turschutz und Reaktorsicherheit das Wort gebe, scheidung des Bundeskanzlers im Juni dieses Jah- möchte ich Sie noch einmal eindringlich bitten, et- res stand und steht, als dieses neue Ministerium eingerichtet wurde. was mehr Ruhe zu bewahren und sich mit Ihren Zwischenrufen zurückzuhalten. Ich weiß, daß die Der Personalbestand des Umweltbundesamtes Zwischenrufe das Salz in der Suppe einer Debatte konnte ebenfalls ganz deutlich erhöht werden. Da- sind. Ich habe selber viel Freude daran. Aber die mit ist die Verwirklichung des Stufenplanes für ei- telefonischen Anrufe von draußen — inzwischen nen mittelfristigen personellen Ausbau eingeleitet auch aus dem Ausland — häufen sich in einem worden. Wesentliche Verbesserungen konnten auch beachtlichen Umfang. Die Anrufer beschweren sich bei der Ausstattung des Ministeriums und des Ge- über das Haus. schäftsbereichs mit Sachmitteln erreicht werden. (Zuruf von den GRÜNEN: Anrufe aus Das Haushaltsvolumen wurde gegenüber dem Basel?) Regierungsentwurf um nahezu 10 % aufgestockt. Mit dem Haushalt 1987 sind die Voraussetzungen Sie alle könnten einen werbenden Beitrag für den für die Fortsetzung einer erfolgreichen umweltpoli- Parlamentarismus leisten, wenn Sie sich entspre- tischen Arbeit im nächsten Jahr geschaffen. chend vernünftig, zurückhaltend verhielten. Ich möchte aber hinzufügen, meine Damen und Das ist eine eindringliche Bitte des Präsidiums. Herren: Neue und wachsende Aufgaben im Um- Nun, Herr Minister, kann ich Ihnen das Wort ge- weltschutz werden auch in den kommenden Jahren ben in der Hoffnung, daß mein Appell nicht völlig finanzielle Konsequenzen für den Bundeshaushalt vergeblich war. fordern. Allerdings wäre es ein Fehlschluß zu glau- Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19487

Bundesminister Dr. Wallmann ben, das umweltpolitische Engagement der Bundes- nen Projektbestand für diese Forschungsvorhaben regierung und die umweltpolitischen Wirkungsmög- in Höhe von 75 Millionen DM. lichkeiten könnten an der Höhe des Haushaltsvolu- mens des Umweltschutzressorts alleine gemessen (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) werden. Die Bundesregierung setzt mit ihrer Um- Freuen Sie sich doch mit uns darüber, daß in einer - weltpolitik letztlich nur den Handlungsrahmen zur solchen Weise, in dieser unerhörten finanziellen Durchsetzung des Umweltschutzes. Die Vollzugs- Größenordnung das Engagement durchgesetzt wor- aufgaben liegen fast ausschließlich in der Zustän- den ist! digkeit der Länder. Finanzielle Leistungen, For- schungsvorhaben, Pilotprojekte für die Umweltpoli- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tik werden durch andere Ressorts, vor allem durch Ich erinnere, meine Damen und Herren, an die das Forschungsministerium, zur Verfügung ge- Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die TA stellt. Luft. Es sind 50 Milliarden DM Investitionen für Die Umweltpolitik der Bundesregierung orien- Maßnahmen der Luftreinhaltepolitik, die hier allein tiert sich am Verursacherprinzip. Das heißt, die der Industrie abverlangt werden. Verantwortlichkeit der Verursacher von Umweltbe- (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Nicht durch lastungen darf nicht auf die Allgemeinheit abge- Herrn Hauff! — Kühbacher [SPD]: Das wälzt werden. Finanzielle Investitionshilfen kom- war ein Kampf!) men daher für die Bundesregierung nur insoweit in Betracht, als sie die wirtschaftliche Verantwortlich- Was hat man uns 1983, als das geschah, alles vor- keit des Verursachers nicht in Frage stellen. Geeig- ausgesagt? Es wurde gesagt, daß wir damit schei- nete Förderungsinstrumente in diesem Sinne sind tern würden. zinsgünstige Kredite und steuerliche Sonderab- schreibungen. Auch hier können wir auf bemer- Als Beispiel sind auch die Katalysatorfahrzeuge kenswerte Erfolge verweisen. Allein die zinsgünsti- zu nennen. gen Kredite, die vom ERP-Sondervermögen und Herr Kollege Hauff, ich finde, wir sollten hier von den Banken des Bundes für Umweltschutzinve- nicht nur mit dem Finger auf die anderen zeigen, stitionen vergeben werden, erreichen im Jahre 1986 sondern wir sollten dann auch fragen: Sind wir viel- eine Größenordnung von rund 3 Milliarden DM. Die leicht selbst Irrtümern unterlegen, und haben nicht nach der Sonderabschreibungsregelung des § 7 d vielleicht andere, die jetzt Verantwortung tragen, in des Einkommensteuergesetzes erhöhten abschrei- diesem oder jenem Bereich mehr erreicht, weil man bungsfähigen Umweltschutzinvestitionen sind als selbst das nicht durchsetzen konnte, was man Folge der Umweltpolitik der Regierung Kohl im selbst auch gern erreicht hätte? Ich will gar nicht Jahre 1985 auf nahezu 4 Milliarden DM angestie- bestreiten, daß Sie einen entsprechenden Willen ge- gen. habt haben. Unsere erfolgreichen Maßnahmen wol- All diese Zahlen, meine Damen und Herren, fin- len wir heute nicht euphorisch und selbstgerecht den Sie nicht im Haushalt des Bundesumweltmini- beurteilen. steriums. Alles dieses muß man aber hinzudenken, (Senfft [GRÜNE]: Gerade das tun Sie!) wenn man über das Engagement dieser Bundesre- gierung und der sie tragenden Koalition der Mitte Aber wenn wir darüber reden, dann können wir für Umwelt und Naturschutz miteinander disku- feststellen: Diese Bundesregierung hat an Leistun- tiert. Die Umweltpolitik der Bundesregierung stellt gen im Umweltbereich mehr aufzuweisen, als zu sicher, daß diese positive Entwicklung auch in Zu- Ihrer Zeit auch nur an Zielvorstellungen formuliert kunft anhält. worden ist. Die Bundesregierung hat in den letzten vier Jah- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — ren mit Mut und Entschiedenheit außerordentlich Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wie könnt ihr anspruchsvolle Umweltstandards durchgesetzt, ge- von der FDP da klatschen! — Senfft [GRÜ- gen Widerstände aller Art. Wer erinnert sich noch NE]: Sehr selbstgerecht!) daran? Ich merke in diesem Zusammenhang an: Ich bin entschlossen, diesen — zugegebenermaßen Widerstände, Herr Kollege Hauff, die vor allem aus durchaus schwierigen — Weg weiterhin fortzuset- den Reihen der Industrie gekommen sind, wo uns zen. gesagt worden ist: Was uns dort abverlangt ist, kön- nen wir finanziell überhaupt nicht leisten. Aber weil Ein Wort im Zusammenhang mit dem schweren wir wußten, daß dies alles erforderlich war, haben Kernkraftwerksunglück in der Sowjetunion und wir es durchgesetzt. dem Chemieunglück in der Schweiz. Das alles hat uns überdeutlich vor Augen geführt: Das Leben in Ich brauche Sie doch nicht daran zu erinnern: Sie unserer hochtechnisierten, hochindustrialisierten hatten in Ihrem Haushalt, als Sie die Verantwor- Welt bringt neben vielen, vielen Vorteilen, sozialer tung als zuständiger Minister trugen, Sicherheit, Wohlstand, natürlich auch ernste Risi- (Dr. Hauff [SPD]: Dafür?) ken für Mensch und Umwelt mit sich. Sagen wir doch, meine sehr verehrten Damen und Herren für die Forschungsunternehmungen im Zusam auch von der Opposition, gemeinsam, daß wir das, menhang mit dem Waldsterben 200 000 DM zur was wir heute als eine ganz aktuelle Herausforde- Verfügung. Mein Kollege Riesenhuber hat heute ei rung hier oder dort begreifen und sehen, vor Jahren 19488 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Bundesminister Dr. Wallmann nicht einmal als Thema geahnt haben! Das ist die feren Maßnahmen über Verordnungen angewendet Wahrheit. werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!) (Abg. Senfft [GRÜNE]: Das erzählen Sie schon seit Jahren!) Wir haben heute Erkenntnisse, Einsichten, die - wir vor Jahren nicht gehabt haben. Unsere Aufgabe Nur, meine Damen und Herren, ich wehre mich heute und in Zukunft bleibt es deswegen, die Indu- ganz entschieden, Kooperationen eine Absage zu striegesellschaft, in der wir leben, so zu gestalten, erteilen, vielmehr gilt: Kooperationen, wo möglich, daß die natürlichen Lebensgrundlagen geschont wenn sie nicht erreichbar sind, dann handelt dieser werden, daß die Menschen in ihr auf Dauer ein Staat entschlossen und sachgerecht. humanes Leben führen können. Das ist doch unsere (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gemeinsame Aufgabe und, wie ich denke, auch un- sere gemeinsame Überzeugung. Da mag man über Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit sagen: diesen oder jenen Weg miteinander streiten. Ich habe gar nicht verstanden, was Sie von der SPD in diesem Zusammenhang in Presseerklärungen Die Antwort der Umweltpolitik auf diese Heraus- zum Ausdruck gebracht und angedeutet haben. forderung für uns alle kann doch nur „Umweltvor- Wenn Sie sagen, diese Bundesregierung, dieser sorge" heißen. Die Bundesregierung hat entspre- Bundesminister stellt ab auf Vereinbarungen, auf chende Grundsätze in ihren Leitlinien „Umweltvor- Kooperationsmodelle; was hat eigentlich Ihr Mini- sorge" festgeschrieben. Wir haben sie im September sterpräsident Rau in Nordrhein-Westfalen dazu am dieses Jahres vorgelegt, und wir haben bereits in 9. November gefordert, was hat eigentlich Ihr zu- dieser Legislaturperiode danach gehandelt, soweit ständiger Minister, Herr Matthiesen, an Vereinba- dies möglich war. Umweltvorsorge wird auch in Zu- rungen mit der chemischen Industrie für das Land kunft das zentrale Anliegen der Umweltpolitik und Nordrhein-Westfalen geschlossen? Nichts anderes der sie tragenden Koalition der Mitte sein. als freiwillige Vereinbarungen mit der Chemiein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — dustrie. Was haben Sie eigentlich 1975 getan? Herr Senfft [GRÜNE]: Auf dem Papier!) Dr. Lippold hat in diesem Hause zweimal darauf hingewiesen: Vereinbarungen mit der Automobilin- Ich will einige Schwerpunkte unserer künftigen dustrie, daß es zehn Jahre lang keine Veränderun- Umweltpolitik darstellen. Nur ganz kurz: gen geben dürfe. Ich habe gar nichts dagegen, daß (Senfft [GRÜNE]: Noch mehr Autobah auch Sie Vereinbarungen geschlossen haben. Ich nen!) finde das gut. Ich habe aber etwas gegen Verteufe- lungen, meine Damen und Herren, weil wir damit in Erstens. In den letzten vier Jahren stand die unserer Gesellschaft nicht weiterkommen. Luftreinhaltung im Zentrum unserer umweltpoliti- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Weng schen Anstrengungen, und wir haben Erhebliches [Gerlingen] [FDP]: Für dieses Verhalten erreicht und werden noch mehr erreichen. Wir ha- der SPD gibt es nur einen unparlamentari- ben auch beim Ausstoß von Schwefeldioxid und schen Ausdruck!) Stickstoffoxiden Entscheidendes getan. Deswegen sagen wir nicht: Hier ist alles getan. Wir werden Mit der TA Abfall nehmen wir ein ganz neues weiter zäh an dieser Arbeit und Aufgabe wirken. Handlungsfeld in Angriff. In den nächsten Jahren geht es vor allem um den Viertens. Bodenschutz. Das ist Neuland, das wir Vollzug bei der Luftreinhaltung. Dabei sind die Ver- hier betreten. ursacher und natürlich die Bundesländer in einer (Senfft [GRÜNE]: Noch mehr Autobah- besônderen Pflicht. Die Sitzung des Umweltmini- nen!) sterrates der EG in dieser Woche hat gezeigt, daß es im Rahmen der Gemeinschaft hier noch ein un- Aber wir alle wissen, in welchem Umfang wir hier glaublich hartes Stück Arbeit gibt. gefordert sind. Vorgesehen und nötig ist ein ge- meinsamer Maßnahmenkatalog zum Schutz des Zweitens. Gewässerschutz. Seine herausragende Bodens. Die Arbeiten sind weit fortgeschritten. Bedeutung ist ganz besonders sichtbar geworden nach dem schweren Brandunglück und den schlim- Fünftens. Naturschutzrecht. Herr Kollege Baum, men Konsequenzen bei Sandoz in Basel. Die Auf- Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, und ich gabe der nächsten Jahre besteht darin, die mit den unterstütze dieses: Wir haben jetzt die Artenschutz- Novellen zu den Wassergesetzen eingeleitete Vor- novelle verabschiedet. Dies ist nur ein erster sorgepolitik im einzelnen durchzusetzen. Vorrangi- Schritt. In der kommenden Legislaturperiode wer- ges Ziel ist die Verminderung gefährlicher Stoffe, den wir gründlich alle miteinander, wie ich hoffe, zu und zwar nach dem Stand der Technik und vor beraten haben, wo es weitere Veränderungen geben allem zum Schutz des Grundwassers. muß. Da mag es hier oder dort unterschiedliche Auffassungen geben, aber der Handlungsbedarf ist (Senfft [GRÜNE]: Schön wärs!) vorhanden, und wir werden uns in der kommenden Legislaturperiode entsprechend verhalten. Drittens. Abfallbeseitigung, Abfallproblematik, ein Prüfstein für die Kooperationsbereitschaft und Sechstens. Die Erfahrungen im Zusammenhang -fähigkeit unserer Wirtschaft. Ich sage das in aller mit dem Großbrand in der Schweiz, in Basel, aber Klarheit: Wer nicht freiwillig mitzieht, muß wissen, auch die Vorfälle in der Bundesrepublik Deutsch- daß die im neuen Abfallgesetz vorgesehenen schär- land in der letzten Zeit haben deutlich gemacht, daß Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19489

Bundesminister Dr. Wallmann es nicht ausreicht, strenge Umweltschutzanforde- den kann. Das, meine sehr verehrten Damen und rungen für den ordnungsgemäßen Betrieb von In- Herren, sind ganz konkrete Herausforderungen dustrieanlagen durchzusetzen. Entscheidend ist die und Fragestellungen. Wir werden sie beantworten Störfallvorsorge. und die entsprechenden Entscheidungen herbeifüh- ren. - (Senfft [GRÜNE]: Produktverbot!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, bevor ich dazu etwas sage, will ich Gelegenheit nehmen, auf eine Agen- Siebtens. Der Schutz vor gefährlichen Stoffen turmeldung einzugehen, die mir gerade auf den muß im Sinne der Umweltvorsorge zum frühest- Tisch gekommen ist. Es heißt da: möglichen Zeitpunkt und nicht erst im Störfall ein- setzen. Vor uns liegt die große Aufgabe, auch alle Gegen neue Umweltgesetze als Konsequenz alten, auf dem Markt befindlichen Stoffe systema- aus den jüngsten Störfällen in der chemischen tisch zu erfassen, zu bewerten, nach Gefährlichkei- Industrie hat sich der Vorstandsvorsitzende der ten einzustufen, zu kennzeichnen, zu beschränken BASF ausgesprochen. Auch Gesetze könnten oder zu verbieten. Eine unerhörte Herausforderung, den Unternehmen die Verantwortung nicht ab- die übrigens auch eine entsprechende personelle nehmen. Ausstattung — nicht nur beim Bund, sondern vor Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich allem auch bei den Ländern — verlangt, wie sich will mit aller Klarheit sagen: Ich habe niemals die manche das nicht immer klarmachen. Meinung geteilt, daß man ganze Gruppen, Unter- (Sehr richtig! bei der FDP) nehmungen, gesellschaftliche Gruppierungen pau- Unsere moderne Industriegesellschaft wird ja nicht schal verurteilen dürfte, sondern ich halte immer zuletzt daran gemessen, wie sie mit dem Gefahren- dafür zu differenzieren, dann die Dinge aber auch potential auch der chemischen Stoffe fertig wird. beim Namen zu nennen. Nachdem ich gesagt habe: Ich halte darum das Thema Chemikalien auf Dauer Ich stehe weiterhin zur Kooperation, kann doch für einen Schwerpunkt vorsorgender Umweltpoli- kein Zweifel bestehen, daß ich dies auch für die tik. chemische Industrie meine. Ich will auch mit Deut- lichkeit sagen: All die Vorfälle sind sorgfältig von- (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Allerdings!) einander zu differenzieren. Die Chemie hat uns auch unendlich viel geholfen, Aber ich sage auch mit aller Deutlichkeit: Diese wir haben ihr viel zu verdanken. Das soll in diesem Aussage, die ich aus der Agenturmeldung zitiert Zusammenhang auch gesagt werden, damit es auch habe, kann ich nicht nur nicht nachvollziehen, son- hier keine Einseitigkeiten und Verzerrungen gibt. dern ich weise sie mit aller Deutlichkeit zurück. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) SPD) Schließlich: Zentrale Aufgabe in den kommenden Was für eine Logik soll im übrigen darin stecken? Jahren ist der Strahlenschutz. Wir sind gerade da- Wir hier in Bonn haben — genau wie die Verant- bei, das Gesetz miteinander zu beraten. Ich will des- wortlichen im Bereich der Länder und Kommunen wegen dazu jetzt keine Aussagen machen. — unsere Entscheidungen nach unserer Sachein sicht zu treffen. Die Entscheidungen sind hier in Zum Thema Reaktorsicherheit habe ich hier Bonn in den politischen, verfassungsrechtlich dafür mehr als einmal Stellung genommen. Ich darf hier vorgesehenen Gremien — nirgendwo sonst, weder noch einmal den zusammenfassenden Bericht, den in Vorstandsetagen der Gewerkschaften noch ir- die Bundesregierung Ihnen am 12. November vorge- gendwelcher Großunternehmungen — zu treffen, legt hat, erwähnen. und wir setzen diejenigen durch, die erforderlich Meine sehr verehrten Damen und Herren, die sind. Aufgaben, die von uns in den kommenden Jahren (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bewältigt werden müssen, sind nicht einfach. Sie verlangen uns viel, viel Engagement ab. Ich will nur Also, es kommt, wie ich sagte, ganz wesentlich sagen: Diese große Herausforderung verlangt die darauf an, Störfallvorsorge zu betreiben. Wir haben Zusammenfassung aller konstruktiven Kräfte in für folgende Maßnahmen und gesetzliche Regelun- unserem Land, in der Bundesrepublik Deutschland. gen mit Hilfe einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe, die ich Ich bin überzeugt, daß viele zum konstruktiven Zu- einberufen habe, folgende Vorbereitungen zu tref- sammenwirken bereit sind. Und ich bin davon über- fen: wie die Schadstoffliste der Störfallverordnung zeugt, daß wir die vor uns stehenden Aufgaben er- erweitert, verschärft werden muß; wie den Anforde- folgreich bewältigen können. rungen an die Einführung eines sicherheitstechni- schen Regelwerkes, das auf den Stand der Technik, Ich danke Ihnen. nicht mehr auf die Régeln der Technik abzustellen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hat, entsprochen werden kann; wie die Einführung geschlossener Kühlkreisläufe im Bereich besonde- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat jetzt der rer Gefahrenquellen zu erreichen ist, wie sie durch- Abgeordnete Schäfer. setzbar ist, wie sie technisch im einzelnen auszuge- stalten ist; wie Ablauf und Auswertung von Störfall- meldungen zu verbessern sind und wie die Sicher- Schäfer (Offenburg) (SPD): Herr Präsident! Meine heit von Lagern für chemische Produkte, und zwar sehr geehrten Damen und Herren! Der amtierende nicht nur bei den Großbetrieben, gewährleistet wer- Präsident hat vorhin das Haus gebeten, in den Lei- 19490 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Schäfer (Offenburg) denschaften etwas zurückhaltender zu sein. Wir ha- forschung des Waldsterbens weniger Mittel als ben das alle akzeptiert. Trotzdem meine ich, daß nach 1982 ausgegeben worden seien. Sie müssen viele in diesem Haus wie auch bei den Bürgern die doch wissen — und falls Sie es nicht wissen, sage

Leidenschaft umtreibt. Betroffenheit, Bitterkeit und ich es Ihnen jetzt — , daß in keinem Wahlprogramm auch Verantwortung mischen sich. Ich meine, daß der Parteien, die 1980 für den Bundestag kandidier- jeder in diesem Haus — ich will keine Fraktion aus- ten, auch nicht im Wahlprogramm der GRÜNEN, nehmen — auch deswegen so engagiert über die die bereits damals zur Bundestagswahl angetreten Umweltproblematik debattiert, weil wir wissen, daß sind, das Wort „Waldsterben" überhaupt vorgekom- wir in diesem Politikbereich letztlich der Verant- men ist. Nicht eine der Parteien! wortung für unsere Kinder und deren Kinder ge- (Zuruf von der SPD: So ist es! — Zuruf von recht werden müssen. Die eigentliche Aufgabe der den GRÜNEN: Das ist unwahr!) Umweltpolitik liegt darin, auch den nachfolgenden Generationen eine lebensfähige, eine lebenswürdi- — Das stimmt! Sie kennen mich gut genug, um zu ge, eine überlebensfähige Umwelt zu hinterlassen. wissen, daß ich nicht die Unwahrheit sage. (Beifall bei der SPD) (Zurufe von der CDU/CSU) Wenn es so ist und wenn es dazu unterschiedliche Seit 1981 ist dies ein Thema. Lösungsansätze gibt, dann muß man — auch mit Ich will noch etwas zur Bitterkeit sagen, die viele Leidenschaft — über den besten, den verantwort- Menschen — nicht nur Menschen in diesem Hause barsten Weg streiten, zumal in einem demokrati- — befällt. Die Menschen sind zunehmend betroffen schen Parlament. und verbittert, wenn sie täglich Nachrichten hören, Was wir nicht vertragen können, Herr Wallmann, wie die Naturverseuchung voranschreitet. 150 000 ist Selbstgerechtigkeit. Ich will der Versuchung wi- tote Aale! Das Waldsterben geht weiter. Das macht derstehen, mich selber so zu verhalten. die Menschen betroffen. (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie Was sie besonders erbittert, ist die Reaktion der wären an Ihrer eigenen schon erstickt!) Bundesregierung. Es ist immer das gleiche Schema, ob es die Katastrophe in der fernen Ukraine oder Zwei Bemerkungen will ich machen, was die Ver- die Chemieunfälle im Rhein sind: Zunächst Ratlo- gangenheit angeht. In aller Kürze: Es trifft zu, Herr sigkeit, dann Beschwichtigung — kann bei uns Kollege Baum, daß wir gemeinsam in der soziallibe- nicht passieren; auch nach der Katastrophe in Ba- ralen Koalition von 1971 bis 1977 nach dem damali- sel hieß es: Der Stand der Sicherheitstechnik bei gen Kenntnisstand vorbildliche Umweltpolitik ge- der chemischen Industrie schließt dies aus —, dann leistet haben, Betroffenheit, dann erste Ankündigungen, aber (Senfft [GRÜNE]: Oh, oh!) kein konkretes, zielgerichtetes Handeln. die uns niemand wegnimmt. Ich habe Ihnen genau zugehört, Herr Minister (Senfft [GRÜNE]: Sehr selbstgerecht!) Wallmann. Sie haben angekündigt, was geprüft werden muß, was in Angriff genommen werden Es trifft auch zu, daß Sie von der damaligen Opposi- muß. Sie haben nicht eine einzige konkrete gesetzli- tion, der CDU/CSU, zugestimmt haben. Aber es che Maßnahme genannt, mit welcher inhaltlichen trifft auch zu, meine Damen und Herren von der Regelung Sie vorsorgende und vorbeugende Um- CDU/CSU, daß es nicht einen einzigen Bereich der weltpolitik betreiben wollen. Umweltpolitik gab, wo ein weitergehender Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für mehr Um- (Beifall bei der SPD) weltschutz im Deutschen Bundestag eingebracht Dies ist der springende Punkt. Wir bestreiten Ihnen worden wäre nicht die Fähigkeit, (Beifall bei der SPD) (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Da haben Sie oder auch nur ein einziges Bundesland über den doch nicht zugehört!) Bundesrat einen einzigen Gesetzentwurf für mehr schöne, auch sanfte Reden zu halten. Wir bezwei- Umweltschutz eingebracht hätte. feln bei Ihnen den Willen und die Fähigkeit, das (Hinsken [CDU/CSU]: Wer hat denn auf Notwendige zu tun. das Thema Waldsterben hingewiesen?) (Frau Hürland [CDU/CSU]: Fangen Sie Deswegen, Herr Kollege Baum, genügt es nicht, an!) die mangelnde Gemeinsamkeit hier zu beklagen, Jetzt bin ich bei den freiwilligen Vereinbarungen. wenn man nicht gleichzeitig deutlich macht, daß Mein Gott, es ist doch eine Binsenweisheit, Herr wir in diesem Hause auf mehr Umweltschutz drän- Wallmann — das müssen auch Sie wissen, selbst gen und es uns leider nicht gelingt, Sie für eine wenn Sie sich erst seit kurzem mit Umweltschutz

gemeinsame vernünftige Politik zu gewinnen. befassen — , daß man freiwillige Vereinbarungen (Beifall bei der SPD) als ein wichtiges Mittel einer Umweltpolitik schon immer gehandhabt hat. Kein Mensch kann gegen Ich nenne einen zweiten Punkt, Herr Kollege freiwillige Vereinbarungen als solche sein. Wallmann. Das gehört zum Thema Selbstgerechtig- keit und mangelnde Aufrichtigkeit. Sie haben be- (Zurufe von der CDU/CSU) klagt, daß im früheren Haushalt des Forschungsmi- Der Punkt, den wir kritisieren, ist: Wir sind dage- nisteriums für die Bekämpfung und Ursachener- gen, daß man freiwillige Vereinbarungen mit denen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19491

Schäfer (Offenburg) als alternativlose Politik betreibt, die Umweltver- schuß verfolgt hat — ich war die ganze Zeit dabei —, brechen ersten Ranges begehen. Mit solchen, die weiß, daß kein solcher Antrag von den Abgeordne- die Umwelt verschmutzen, sind freiwillige Verein- ten der GRÜNEN in die Haushaltsverhandlungen barungen ohne zusätzliche gesetzliche Maßnahmen eingeführt worden ist. Man kann nicht nur, wie Sie nicht möglich. es machen, auf verschiedenen Blättern 20 Millionen- Im übrigen, meine Damen und Herren, liegen die DM mehr Mittel anfordern und Schauanträge stel- unterschiedlichen Konzepte auf dem Tisch. Unser len, man muß dafür auch arbeiten. Konzept für eine vorbeugende Chemiepolitik, die (Beifall bei der SPD) umweltverträglich und gesundheitsverträglich ist, Ich verlange von Ihnen, daß Sie nicht nur Schauan- haben Sie ja noch vor vier Wochen, wenige Tage vor träge stellen, sondern auch fleißig sind. den Rhein-Katastrophen abgelehnt. Unser Konzept macht dreierlei deutlich: (Senfft [GRÜNE]: Sie haben doch über- haupt keinen Antrag eingebracht! Da re- Erstens. Für uns Sozialdemokraten gibt es kein den Sie von Fleiß! Sie haben überhaupt Aussteigen aus der Industriegesellschaft, auch kein keine Anträge eingebracht! Das ist ja un- Aussteigen aus der chemischen Industrie. Aber wir glaublich!) gehen zielgerecht den Weg der ökologischen Er- neuerung, des ökologischen Umbaus. — Herr Kollege, auch durch Schreien können Sie Ihre Faulheit in den Ausschüssen nicht vertu- (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ schen. CSU: Wie lange noch?) Diese Politik ist zweitens deswegen ohne Alterna- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP — Senfft [GRÜNE]: Schauen Sie sich tive, weil sie die Arbeitsplätze in der chemischen doch einmal die Bilanz an! Dann werden Industrie auf Dauer sichert und unserer chemi- Sie sehen, wer gearbeitet hat!) schen Industrie auch morgen den Wettbewerbsvor- teil gibt. — Unterbrechen Sie mich bitte nicht dauernd, Herr Drittens. Dieser Weg ist deswegen ohne Alterna- Kollege! tive, weil er auch den nach uns Kommenden die Ich fange mit dem für mich beschämendsten Bei- Lebensnotwendigkeiten und die Lebensvorausset- spiel an. Sie machen hier Bundestagsdrucksachen zungen läßt, die für menschenwürdiges menschli- und können nicht einmal richtig rechnen. ches Leben notwendig sind. Das ist unsere eigentli- (Frau Hürland [CDU/CSU]: Das ist keine che Verantwortung, der wir gerecht werden müs- persönliche Erklärung mehr!) sen. — Das ist meine persönliche Erklärung zur Abstim- (Beifall bei der SPD) mung. Ich bedanke mich bei Ihnen für das Zuhören und Bei 110 Millionen DM bitten Sie um eine Erhö- bei Ihnen von der CDU/CSU, daß Sie relativ wenig hung um 3,9 Millionen DM und kommen dann rech- dazwischengerufen haben. nerisch — laut Ausdruck der Bundestagsdrucksa- (Beifall bei der SPD) che — auf 4 Millionen DM. Dies stimmt hinten und vorne nicht. Das zeigt, wie luschig Sie hier arbei- Vizepräsident Cronenberg: Bevor wir zur Abstim- ten. mung über die Änderungsanträge kommen, hat der Abgeordnete Kühbacher um das Wort zu einer per- sönlichen Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts- Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter Küh- ordnung gebeten. bacher, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie den direkten Bezug zur Abstimmung nicht Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort. vergessen dürfen. Herr Abgeordneter Senfft, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich ein wenig zu- Kühbacher (SPD): Herr Präsident! Meine Damen rückhalten würden. und Herren! Zur Abstimmung über den Haushalt des Umweltministers erkläre ich für mich — und ich fordere auch meine politischen Freunde auf, das Kühbacher (SPD): Ich fordere meine Kollegen auf, gleiche zu tun —, daß ich dem Haushalt des Um- auf diese Leimfängerei der GRÜNEN nicht herein- weltministers nicht zustimme, wenngleich wir in zufallen. Darum geht es. den Haushaltsberatungen für mehr Personal und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mehr Mittel gestritten haben, leider erfolglos gegen Sie fordern weiter einfach so z. B. für die Luft- die Koalitionsfraktionen. und Lärmbekämpfung 10 Millionen DM For- (Zuruf von der CDU/CSU: „Erfolglos" ist ja schungsmittel mit einer Begründung, die in drei wohl nicht richtig!) Spiegelstrichen abgehandelt wird. Ich habe mir die Zu den Änderungsanträgen der GRÜNEN möchte Mühe gemacht, Herr Kollege, sämtliche Unterla- ich meinen Kollegen, aber auch den Koalitionsfrak- gen des Umweltbundesamtes daraufhin durchzu- tionen empfehlen, diese Änderungsanträge der schauen, ob die drei Spiegelstriche dort nicht vor- GRÜNEN abzulehnen. kommen. Sie kommen vor. In diesen Bereichen Ich begründe das wie folgt. Die sechs vorliegen- wird geforscht. Hier werden reine Schauanträge ge- den Änderungsanträge entbehren der Ernsthaftig- stellt. keit. Wer wie ich die Beratungen im Umweltaus- (Beifall bei der SPD) 19492 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Kühbacher Sie müssen sich schon der Mühe unterziehen, die Die Aufforderung an die Fraktionen und ähnliche Haushaltsansätze zu untersuchen. Begründungen haben nun wirklich nichts mehr mit (Beifall bei der SPD) der Sache zu tun. Ich lasse mich auch in keine Debatte mit Ihnen ein. Sie fordern en passant, bei der Wasserwirtschaft weitere 5 Millionen DM zu den 20 Millionen DM (Heiterkeit bei der SPD) - Forschungsmitteln dazuzupacken. Wenn Sie sich Das Wort nach § 31 hat der Abgeordnete Suhr. Ich der Mühe unterzogen hätten, die EDV-Auszüge zu hoffe, daß Sie das, was Sie eben kritisch beleuchtet lesen, hätten Sie all diese von Ihnen gewünschten haben, nun nicht selber praktizieren. Punkte als Forschungsvorhaben des nächsten Jah- res finden können. Suhr (GRÜNE): Herr Präsident! Herr Kollege (Senfft [GRÜNE]: Nicht mit dieser Sum Kühbacher, selbstverständlich halten wir unsere me!) Anträge trotz dieses kleinen Druckfehlers, den Sie Sie arbeiten nicht gründlich genug. gerade moniert haben, aufrecht. Nun zur Krone Ihres Antrages. Auf einem sol- Ich darf Sie aber auch darauf hinweisen, daß wir chen Blatt Papier fordern Sie, von den für Reaktor- nächste Woche eine Broschüre veröffentlichen, in sicherheit veranschlagten Mitteln 104 Millionen der sämtliche Anträge ... DM vorzusehen für (Lachen bei der SPD) (Frau Hönes [GRÜNE]: Ja!) die Entschädigung von Bundesbürgern für die Fol- Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter Suhr, Sie können Ihr Verhalten zur Abstimmung gen von Tschernobyl, als wüßten Sie nicht, — — begründen. Ich entziehe Ihnen das Wort. Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter Küh- bacher, ich muß Sie noch einmal darauf aufmerk- Suhr (GRÜNE): ... der GRÜNEN enthalten sind, damit sich jeder draußen im Lande eine Meinung sam machen: Dies geht nun entschieden zu weit. bilden kann, wie qualifiziert wir die letzten vier Sie mißbrauchen den § 31 zu einem Debattenbei- trag. Jahre gearbeitet haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich darauf Suhr, Sie können Ihr eigenes Abstimmungsverhal- beschränken würden, zu begründen, wie Sie sich in ten begründen, aber nichts weiter. der Abstimmung zu verhalten gedenken, und nicht Das Wort nach § 31 hat der Abgeordnete Gerster. in eine erneute Debatte — mit welcher Fraktion des Hauses auch immer — einzutreten. Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich stimme dem Ein- Kühbacher (SPD): Herr Präsident, ich gebe meine zelplan des Bundesumweltministers zu und prakti- Ungeschicklichkeit zu. ziere damit das gleiche Stimmverhalten wie die Liebe Kollegen, ich fordere Sie auf, auf diesen SPD, FDP und CDU/CSU im Haushaltsausschuß Änderungsantrag über 104 Millionen DM nicht her- des Deutschen Bundestages. Ich bin der Meinung, einzufallen. Hier wird nur eine Show gespielt. Es die Öffentlichkeit sollte zur Kenntnis nehmen, daß geht den GRÜNEN nicht um die Reaktorsicherheit, sich die SPD im Ausschuß und im Plenum unter- es geht ihnen nicht um den Schutz der Bevölke- schiedlich verhält. rung, Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Senfft [GRÜNE]: Das ist doch unglaub (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lich!) sondern es soll nur ein Datum abgegeben werden, Vizepräsident Cronenberg: Nun liegen keine weite- als würden sie sich dieses Themas annehmen. Ich ren Wortmeldungen vor. bitte Sie inständig: Stimmen Sie den Änderungsan- trägen der GRÜNEN nicht zu! Wir kommen zur Abstimmung. Ich möchte über die Änderungsanträge der GRÜNEN auf den (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Drucksachen 10/6529 bis 10/6534 in der Reihenfolge Abgeordneten der FDP) der Nummern abstimmen lassen. Wir stimmen zunächst über den Änderungsan- Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter trag auf Drucksache 10/6529 ab. Wer diesem Ände- Kühbacher, ich hoffe, daß sich die nachfolgenden rungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zuzustim- Redner, die sich nach § 31 zu Wort gemeldet haben, men gedenkt, den bitte ich um das Handzeichen. — besser an die Geschäftsordnung halten, als das bei Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit Ihnen der Fall war. überwiegender Mehrheit abgelehnt. (Frau Hönes [GRÜNE]: Aber Sie müssen Wer stimmt dem Änderungsantrag der GRÜNEN genauso großzügig sein, Herr Präsident!) auf Drucksache 10/6530 zu? — Wer stimmt dage- Es geht ausschließlich darum, daß sie ihr eigenes gen? — Enthaltungen? — Keine. Mit überwiegender Abstimmungsverhalten begründen können. Mehrheit abgelehnt. (Dr. Hauff [SPD]: Mich hat es überzeugt! — Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- Weitere Zurufe von der SPD) sache 10/6531? — Wer stimmt dagegen? — Enthal- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19493

Vizepräsident Cronenberg tungen? — Keine. Mit überwiegender Mehrheit ab- nationalen wie in der europäischen — fahren wol- gelehnt. len. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie mal sache 10/6532? — Wer stimmt dagegen? — Enthal- Ihr Konzept!) tungen? — Keine. Mit überwiegender Mehrheit ab- - gelehnt. Wollen Sie wirklich den Abbau der Überschußpro- duktion, wozu eine radikale Kursänderung in der Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- europäischen Agrarpolitik notwendig wäre? Oder sache 10/6533? — Wer stimmt dagegen? — Enthal- sind Sie immer noch der Meinung, daß Lebensmit- tungen? — Keine Enthaltungen. Abgelehnt. telüberschüsse eine vorübergehende Erscheinung Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sind? Denn wenige Monate, bevor Sie Landwirt- sache 10/6534? — Wer stimmt dagegen? — Enthal- schaftsminister wurden, sagten Sie im März 1982 — tungen? — Keine. Mit überwiegender Mehrheit ab- ich zitiere —: gelehnt. Wir richten unseren Blick nicht engstirnig auf (Senfft [GRÜNE]: Die große Verweige gerade momentan vorhandene Lebensmittel- rung!) überschüsse und glauben nicht, dann sofort die Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ein- ganze EG-Agrarpolitik reformieren zu müssen. zelplan 16. Wer dem Einzelplan 16 — Geschäftsbe- So in der Agrardebatte im März 1982. reich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit — in der Ausschußfassung Ein Jahr vorher hatten Sie im „Bayern-Kurier" zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- den damaligen Bundeskanzler hart angegriffen und zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält geschrieben, daß in unverantwortlicher Weise von sich? — Dann ist der Einzelplan 16 angenommen Überschüssen geredet werde und der Bundeskanz- worden. ler über angeblich zu hohe Kosten lamentiere. Man wird den Verdacht nicht los, daß Sie im Grunde immer noch dieser Ansicht sind. Ich rufe nunmehr auf: Einzelplan 10 Die von Ihnen eingeführte und durchgesetzte Quotenregelung bei Milch hat nicht zu einem Still- Geschäftsbereich des Bundesministers für stand der Milchproduktion geführt; sie hat sogar im Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Gegenteil eine weitere Produktionssteigerung und — Drucksachen 10/6310, 10/6331 — neue Kostenbelastungen mit sich gebracht. Bewirkt Berichterstatter: hat sie aber durch ihre einzelbetriebliche Kontin- Abgeordnete Schmitz (Baesweiler) gentierung, daß der kleine bäuerliche Betrieb in Frau Zutt Existenznot geriet. Trotz Quotenregelung ist der Suhr Butterberg im Oktober auf 1,5 Millionen Tonnen ge- stiegen, davon 370 000 Tonnen ungenießbar. Und Auch hierzu liegen Änderungsanträge der Frak- 1,3 Millionen Tonnen Milchpulver liegen auf der tion DIE GRÜNEN vor, und zwar auf den Druck- Halde. Jetzt kämpfen Sie ziemlich allein für ein sachen 10/6483 bis 10/6485 und 10/6567. Im Ältesten- Quotensicherungssystem in der EG, ein neues Mon- rat ist eine Beratungszeit von einer Stunde verein- strum aus Subventionen, nur um Preismechanis- bart worden. Erhebt sich im Hause Widerspruch? — men zu verhindern. Wie der Teufel das Weihwasser Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfah scheut, so scheinen Sie jede marktgerechtere Preis- ren. gestaltung zu scheuen. Ich eröffne die Aussprache. Zunächst einmal hat die Abgeordnete Frau Zutt das Wort. (Beifall bei der SPD — Hornung [CDU/- CSU]: Was heißt das?)

Frau Zutt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen — Ich erkläre es noch. und Herren! Noch nie war der Etat des Landwirt- Nicht zuletzt ist Ihre inflexible Haltung, Herr Mi- schaftsministeriums so hoch, nister, daran schuld, daß die Bundesrepublik inner- (Zustimmung bei der CDU/CSU) halb der EG in Fragen der Landwirtschaft isoliert ist. Ich stelle fest, daß Ihre Politik nicht nur ein Hin- noch nie waren die Lager mit Überschüssen so dernis für die notwendigen Reformen in der Euro- übervoll, und noch nie ist es der Mehrheit der Land- päischen Agrarpolitik ist und weitere Haushaltsrisi- wirte so schlecht gegangen wie im Herbst 1986. ken mit sich bringt, sondern sie ist auch ein Hinder- (Beifall bei der SPD) nis für die europäische Integration und Entwick- Das ist die Bilanz nach vier Jahren von Ihnen ge- lung überhaupt. stalteter Agrarpolitik. (Beifall bei der SPD) Herr Minister, auch Sie sind angetreten mit dem Für Schäden aus Ihrem Festhalten an einer Anspruch der geistig-moralischen Erneuerung. Agrarpolitik, von der schon vor vier Jahren fest- Empfinden Sie es nicht als Sünde, daß Butter an stand, daß sie so nicht weitergeführt werden kann, Kälber verfüttert wird, und zwar tonnenweise, weil offerieren Sie dann aus dem nationalen Haushalt sie sonst nicht mehr zu verkaufen ist? Nach vier jeweils Wahlgeschenke in Millionenhöhe. Jahren Ihrer Politik ist immer noch nicht klar, wel- chen Kurs Sie in der Agrarpolitik — sowohl in der (Zustimmung bei der SPD) 19494 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Frau Zutt Beispiel: Grünbrache. Ohne Konzept, ob die Her- seglocke und möchte sie vor jedem Ansatz von ausnahme von Flächen aus der Produktion eine Markt- und Preispolitik schützen. Damit, Herr Mi- ökologisch sinnvolle Maßnahme ist, offerierten Sie nister, verlängern Sie nur die Misere der deutschen den Bauern in Niedersachsen 100 Millionen DM zur Landwirtschaft und verhindern die notwendige Flächenstillegung, die der Finanzminister erstaun- Strukturanpassung, die allerdings sozial abgefedert- lich schnell genehmigte. Trotz Drängen nahmen die werden muß. Landwirte dieses Angebot nur zögernd an. Der größte Teil, nämlich 65 Millionen DM, wurde gar (Beifall bei der SPD) nicht angenommen, wurde sofort zum Stopfen von Wen wundert es dann, daß der Subentionslöchern verwendet, die sich im nationa- Sachverständigen- rat in seinem gerade vorgestellten Gutachten — das len Haushalt auftaten: mehr für die Gasölverbilli- eine im übrigen vernichtende Kritik an der Agrar- gung, für die Getreidetrocknung und schließlich politik der Bundesregierung ausgesprochen hat — noch für Betriebskostenzuschüsse zur Gewinnung die Regierung dringend auffordert, endlich den von Bioäthanol. Kurs zu ändern und eine am Markt orientierte Poli- (Hornung [CDU/CSU]: Ist das schlecht?) tik einzuleiten? Die Kollegen von den Regierungsfraktionen wer- (Hornung [CDU/CSU]: Seltsam: Dort, wo den nicht müde, all diese Subventionen als Wohlta- Ihnen das Gutachten genehm ist, zitieren ten zu preisen. Sie daraus!) (Zuruf von der CDU/CSU: Die werden überhaupt nicht müde!) — Sind Sie der Minister oder der Herr Kiechle? Wen wundert's da, wenn immer neue Subventionen (Zurufe von der SPD: Er möchte es wer- sprießen. Aber wo kommen sie an? — Überall, nur den!) nicht bei den Bauern. Es bleibt zu hoffen, Herr Minister, daß Sie und die Auch das in aller Hast verabschiedete Sozialver- Regierung den Rat der Sachverständigen anneh- sicherungsbeitragsentlastungsgesetz men. (Hornung [CDU/CSU]: Ein sehr gutes Ge setz!) Ähnliches wie der Sachverständigenrat haben wir allerdings schon vor Jahren gefordert. Wir So- ist von Ihnen als Reparaturmaßnahme nach nega- zialdemokraten sind der Ansicht, daß nur durch tiv verlaufenen EG-Agrarpreisentscheidungen vor- eine marktgerechtere Preispolitik die Überschüsse gelegt und verabschiedet worden — noch rechtzei- in der Europäischen Gemeinschaft vermindert wer- tig vor den Wahlen in Bayern. den und daß nach Vereinbarungen mit der EG über (Hornung [CDU/CSU]: Sind Sie denn dage den Abbau der Überschußbestände allmählich die gen?) landwirtschaftliche Produktion an die Nachfrage Wir Sozialdemokraten begrüßen Regelungen, die angepaßt werden muß. zu einer sozialen Sicherung der Landwirte führen. Für gleichermaßen erforderlich halten wir es, daß Aber dieses Gesetz ist nicht Teil eines durchdach- Fördermaßnahmen auf ihre Sozial- und Umweltver- ten Konzepts, sondern allenfalls ein Schritt in die träglichkeit hin geprüft werden. Das bedeutet unter richtige Richtung. Das zeigt sich auch an der Hast, anderem direkte Einkommensübertragungen für mit der das Gesetz verabschiedet wurde, als deren ökologische Leistungen. Folge bis zum Abschluß der Haushaltsberatungen erst ein Viertel der eingegangenen Anträge hat be- (Beifall bei der SPD) arbeitet werden können. Diese gesetzgeberische Flickschusterei veranlaßte die Vertreterversamm- So wie Sie die Europapolitik behindern, blockie- lung der Landwirtschaftliche Alterskasse Baden zu ren Sie durch Untätigkeit die nationale Umweltpo- einem dringenden Appell, den gesetzlich vorgesehe- litik. Schlimmer noch: Man hat den Eindruck, Sie nen Rahmen von 450 Millionen DM auch in diesem leugnen überhaupt ihre Notwendigkeit. Mit der Jahr in jedem Fall auszuschöpfen, obwohl das gar Ausgliederung des Umweltbereichs in ein eigenes nicht geht. Ressort blieb Ihnen die Aufgabe, dort umweltpoli- tisch tätig zu werden, wo es agrarpolitisch notwen- (Zuruf des Abg. Hornung [CDU/CSU]) dig ist. Ihr Ressort, Herr Minister, heißt Ministe- — Weil wir das alle bekommen haben, Herr Hor- rium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. nung. Wo ist der ökologische Aspekt in einem der drei (Hornung [CDU/CSU]: Ich weiß das!) Bereiche berücksichtigt? Diese Regierung wird nicht müde, (Vosen [SPD]: Waldsterben! — Gegenruf (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: des Abg. Hornung [CDU/CSU]: Das haben Diese Regierung ist nie müde! — Zuruf des Sie doch schon alles vergessen!) Abg. Freiherr von Schorlemer [CDU/ Nach wie vor fördern Sie im Forschungs- und CSU]) Entwicklungsbereich vor allem Vorhaben, deren sich als Erneuerer der Marktwirtschaft zu brüsten. Ziel die Produktionssteigerung ist. Forschungsför- Nur für die Landwirtschaft soll Marktwirtschaft derung im ökologischen Landbau oder nur Informa- nicht gelten. Man hält sie sorgfältig unter einer Kä tionen darüber werden von Ihnen konsequent ver- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19495

Frau Zutt hindert. Auch die geringsten Umschichtungsan- und den bäuerlichen Familienbetrieb immer weiter träge werden abgeblockt. ins Abseits drängt trotz vollmundiger gegenteiliger (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Ganz Beteuerungen, eine Politik der ungezielten Subven- ist das nicht richtig!) tionen, eine Politik, die die fehlende Konzeption zum Programm erhoben hat, eine solche Politik - — Aber so millimeterweise, daß man das vergessen können wir nicht unterstützen. Wir lehnen daher kann. — Statt dessen wird die Bioäthanol-Anlage in den Haushalt des Landwirtschaftsministeriums ab. Ahausen mit Betriebskostenzuschüssen neuerdings zusätzlich subventioniert. Danke. Unbeachtet der ökologischen Auswirkungen gau- (Beifall bei der SPD — Hornung [CDU/- — keln Sie uns allen aussichtsreiche Zukunftsper- CSU]: Das werden wir deutlich sagen! Eigen [CDU/CSU]: Der Minister ist blaß ge- spektiven für die Produktion nachwachsender Roh- worden! — Heiterkeit bei der CDU/CSU) stoffe vor, Zukunftsperspektiven, die Ihr Kollege Riesenhuber so längst nicht mehr fordern möchte. Das Wort hat der Abge- Wir fordern Sie auf, wenigstens gleiche Anstren- Vizepräsident Cronenberg: ordnete Schmitz (Baesweiler). gungen zu unternehmen zur Erhaltung und Gesun- dung der Böden und des Waldes. Es genügt nicht, den Bundeskanzler zu einem Beileidsbesuch in den Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU): Herr Präsident! sterbenden Schwarzwald zu entsenden und den Meine sehr verehrten Damen und Herren! Karl Ei- Krankenbericht schönfärberisch wie ein Gesundbe- gen hat durchaus recht, wenn er eben sagte: Der ter vorzutragen. Die Forderung der über 300 000 Minister wäre bei dieser Rede von Frau Kollegin Waldbesitzer und Waldbauern anläßlich des Be- Zutt fast ganz blaß geworden. Ich will Ihnen eines suchs des Bundespräsidenten auf dem Turner, end- sagen: Wir machen nun schon sehr lange Agrarpoli- lich zu handeln statt nur zu reden, geht an Ihre tik und im Haushaltsausschuß auch Haushaltspoli- Adresse, Herr Minister. tik auf diesem Gebiet. Aber wenn Sie hier kritisie- ren, innerhalb der Agrarpolitik sei zuwenig Markt (Beifall bei der SPD) vorhanden, und wenn Sie die Überschüsse anspre- Andernfalls müssen Sie sich nachsagen lassen, daß chen und sagen, das müsse eigentlich noch einmal Sie, wie die Bauern dort äußerten, einer schleichen- zusätzlich heruntergehen, antworte ich Ihnen: Wo den Enteignung der Waldbauern Vorschub leisten. waren Sie denn in den 13 Jahren Ihrer Regierungs- (Zuruf von der CDU/CSU) zeit? — Ich habe zitiert. (Zuruf von der CDU/CSU: In der Heia!) Sie hätten alles tun können, was Sie hier gefordert haben, aber nichts ist erfolgt. Das finde ich — um es Vizepräsident Cronenberg: Frau Abgeordnete, ich einmal so zu sagen — einfach nicht gerecht. muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie Ihre Redezeit deutlich überschritten haben. Das geht auf (Vorsitz: Präsident Dr. Jenninger) Kosten Ihrer Fraktion. Deswegen sollten wir den Bauern draußen deut- lich sagen, daß Ihre Vorschläge auf nichts anderes hinauslaufen als darauf, Preissenkungen zu for- Frau Zutt (SPD): Das weiß ich. dern, (Kühbacher [SPD]: Sie redet doch gut, (Eigen [CDU/CSU]: Genau, und zwar rigo- Herr Präsident!) ros! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie brüsten sich gern damit, durch die Ausweitung Und zwar gravierend!) der benachteiligten Gebiete auf die Hälfte der land- Preissenkungen zu fordern, während wir uns wirtschaftlich genutzten Fläche den Landwirten darum bemühen, die Märkte zu stabilisieren, so tatkräftig geholfen zu haben. schwer dies auch ist. (Hornung [CDU/CSU]: Sehr gut!) Das tun wir u. a. mit dem Agraretat des Jahres Sie haben jedoch keinen Finger gerührt, um die 1987. Es ist dies in der Geschichte der Bundesrepu- Bergbauernrichtlinie als Grundlage dieser Bezu- blik Deutschland der Agraretat, der am größten ist. schussung, die in der sozialliberalen Koalition in Da können Sie gerne nachsehen und, meine Damen der EG eingeführt wurde, endlich an ökologischen und Herren, ich würde auch gern hören, daß Sie Kriterien zu orientieren. Damit wären Ausgleichs- dazu ein wenig Beifall spenden. zahlungen nicht mehr allein an die Fläche und an (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Viehbestand gebunden, sondern an das Krite- Es ist der größte Agraretat in der Geschichte der rium umweltgerechter, naturnaher Bewirtschaf- Bundesrepublik Deutschland. Daran können Sie er- tung. Einige Bundesländer machen Ihnen das vor. kennen, welchen Stellenwert diese Bundesregie- Sie hingegen haben im nationalen wie im europäi- rung der Agrarpolitik beimißt. schen Rahmen versäumt, Maßstäbe zu setzen, wie ökologische Leistungen entgolten werden können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, 7,9 Milliarden DM sind gegenüber dem letzten Jahr Ich komme zum Schluß: Eine Politik, die Agrarfa- eine Steigerung um 983 Millionen DM, und der briken fördert Haushaltsausschuß hat noch einmal etwas draufge- (Hornung [CDU/CSU]: Das ist das aller legt. Das heißt, wir haben eine ordentliche Steige- stärkste, was Sie sagen!) rungsrate. Insgesamt steigt der Bundeshaushalt in 19496 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Schmitz (Baesweiler) diesem Jahr um 2 %; der Agrarhaushalt steigt in den denn irgendwann wird dies für das System insge- letzten Jahren um 6 %. Er wächst in diesem Jahr samt untragbar. insgesamt in eine Größenordnung hinein, mit der wir uns draußen bei den Bauern sehen lassen kön- (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) nen. Lassen Sie mich ein Wort zur Agrarstrukturpoli- tik sagen. Hier haben wir ebenfalls eine Steige- (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) rungsrate in der Größenordnung von fast 15%. Herr Der größte Brocken allerdings ist im Agraretat Ertl wäre froh gewesen, hätte er das damals ge- die Agrarsozialpolitik. Sie macht etwa 60 % des Ein- habt. zelplans 10 aus. In diesem Bereich beträgt die Stei- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) gerung gegenüber dem Vorjahr sogar 16,1 %. Nach den Beschlüssen des Haushaltsausschusses ist eine Unter den Voraussetzungen, meine ich, sind die zusätzliche Anhebung um insgesamt 661 Millionen Maßnahmen, die ergriffen worden sind, richtig. So DM erfolgt. 4776 Millionen DM geben wir für die wurden z. B. die Ausgleichszulagengebiete um Agrarsozialpolitik aus! 4 Millionen Hektar erweitert. Wir haben zwischen- zeitlich 6 Millionen Hektar innerhalb der Bundesre- (Hornung [CDU/CSU]: Obwohl wir riesige publik Deutschland in diese Ausgleichszahlungen Schulden übernommen haben!) hineingenommen. Wir haben auch die Höchst- Dies ist, so meine ich, neben all den anderen Maß- summe auf 240 DM je Großvieheinheit erhöht. Dies nahmen, auf die ich gleich noch zu sprechen kom- ist konkretes Einkommen, meine sehr verehrten me, ein Beitrag, der in der Tat auch eine große Damen und Herren. Ich halte das für richtig. Bund Anzahl von kleinen und mittleren Betrieben entla- und Länder stellen hier insgesamt rund 550 Millio- stet, also gerade in dem Bereich wirkt, in dem die nen DM zur Verfügung. Einkommen niedriger sind. Eine ganze Reihe von steuerlichen Maßnahmen, Die Tatsache, die Sie, Frau Kollegin Zutt, hier kri- die ich hier nicht im einzelnen aufführen möchte, tisiert haben, daß nämlich zwischenzeitlich 330 000 sind durch diese Bundesregierung verwirklicht Anträge eingegangen sind und daß die Bearbeitung worden. Es gab eine Flut von Anträgen gerade im schleppend ist, beweist ja eigentlich schon von der steuerlichen Bereich — die haben wir damals aus Zahl her, daß wir den richtigen Weg gegangen sind. der Opposition heraus gestellt —, die von Ihnen al- Wir haben hier an die landwirtschaftlichen Alters- len aus fiskalpolitischen Gründen abgelehnt wor- kassen den Appell zu richten, die Bearbeitung nach den sind. Da frage ich mich: Wo bleibt eigentlich der Möglichkeit rasch vorzunehmen, damit eine große Beifall von Ihnen, wo wir dies doch jetzt alles ge- Anzahl von Anträgen noch im Jahre 1986 abgewik- macht haben? kelt werden kann. Ich appelliere an die Alterskas- Es ist ausdrücklich zu begrüßen, Frau Kollegin sen, dies zu tun! Über die Modalitäten haben wir im Zutt, daß der Großversuch der Grünbrache im Land Haushaltsausschuß gesprochen; die Möglichkeit Niedersachsen durchgeführt worden ist; denn wir dazu besteht. hatten überhaupt keine Kenntnisse in dieser Rich- Wir haben die Altershilfe um 105 Millionen DM tung. und die Krankenversicherung um 110 Millionen (von Hammerstein [CDU/CSU]: Sehr rich- DM angehoben. tig!) In diesem Zusammenhang möchte ich die SPD an Daß hier 100 Millionen DM nicht abgeflossen sind, eines erinnern: Wären Sie an der Regierung geblie- kann uns doch nicht zum Vorwurf gemacht werden. ben, hätten Sie in der landwirtschaftlichen Unfall- Es war ein Erwartungshorizont da. Und wir hatten versicherung in diesem Jahr auf Null kommen wol- gedacht, es würden trotz der Kürze der Zeit noch len. Nach der Finanzplanung des Bundes wollten 100 Millionen DM abfließen. Nun sind wir bei 35 Sie in diesem Jahr die landwirtschaftliche Unfall- Millionen DM ausgekommen. Dies ist aber EG-weit versicherung auf Null herunterfahren. Ich finde, wir der erste Versuch in die richtige Richtung. Und es haben damit richtig gehandelt, daß wir nicht nur die ist für die Zukunft zu überlegen, dies in die europäi- Mittel beibehalten haben, sondern durch unsere Be- schen Verhandlungen einzuführen. schlüsse im Haushaltsausschuß auch sichergestellt haben, daß auch die Schwierigkeiten, die wir bei der (Beifall bei der CDU/CSU — von Hammer- Unfallversicherung im Nord-Süd-Gefälle haben, be- stein [CDU/CSU]: Es kann nicht alles auf seitigt werden können. einmal ausgegeben werden!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dies muß eingeführt werden. Dies muß dann auch von der EG mitfinanziert werden. Ich finde, das ist Dazu sollten Sie einmal etwas sagen! eine richtige Entscheidung. Lassen Sie mich aber auch hinzufügen, daß wir (Zuruf des Abg. Oostergetelo [SPD]) die Agrarsozialpolitik zu einem Kostenentlastungs- instrument, dabei aber gleichzeitig auch zu einem — Dies hat damit überhaupt nichts zu tun. Einkommensübertragungsinstrument gemacht ha- Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß ben. Ich sehe hier deutliche Grenzen! Wir werden wir die überschießenden Beträge in andere Berei- uns in der nächsten Legislaturperiode darüber un- che gelenkt haben, ist ein ganz normaler Vorgang. terhalten müssen, inwieweit wir auch die Agrarsozi- Sich darüber aufzuregen, Herr Kollege, haben Sie alpolitik in die Reform mit einbeziehen müssen, gar keinen Grund. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19497

Schmitz (Baesweiler) Lassen Sie mich auch noch ein Wort zur Frage wichtige Frage. Das muß in der Öffentlichkeit ein- der Existenzsicherung der deutschen Seefischerei mal laut und deutlich gesagt werden. sagen. Ich sage das hier ganz bewußt: Wir haben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auch hier im Haushaltsausschuß 10 Millionen DM zur Verfügung gestellt, weil wir wissen, daß dort Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, müssen Probleme entstehen. Wir legen größten Wert auf die wir der Kommission auch sagen, daß ihre restrik- Feststellung, daß der überwiegende Teil dieser tive Politik, die letzten Endes nur bedeutet, daß das 10 Millionen DM der deutschen Kutterfischerei zur Heil in der Preissenkungspolitik gesucht wird, auf Verfügung gestellt werden wird. Wir haben hier die Dauer keine vernünftige Agrarpolitik sein kann. sichere Zusage des Landwirtschaftsministers, daß (Eigen [CDU/CSU]: So ist es!) er in den Richtlinien dafür Sorge tragen werde, daß das Geld dort auch richtig ankommen wird. Sie sollte sich in Zukunft mehr an den Bedürfnis- sen der einzelnen Länder orientieren. Vielleicht Lassen Sie mich gleichermaßen einen Bereich muß sie Abschied nehmen von der Illusion, daß ansprechen, von dem ich glaube, daß er uns eigent- man von Kreta bis zu den Shetland-Inseln die lich allen größere Sorge bereiten sollte; denn die gleichen Strukturen herstellen kann. Das ist meiner Überschüsse innerhalb der EG, Frau Kollegin Zutt, Meinung nach eine Illusion. Das kann auf Dauer Kollegen der SPD, sind ja nicht von heute auf mor- gesehen nicht das Ziel sein, das kann auch nicht die gen entstanden. Vorstellung einer europäischen Agrarpolitik sein. (Zuruf von der SPD: Richtig!) Ich rede nicht der Renationalisierung das Wort. Das sind keine CDU-Überschüsse, das sind keine Aber es wird innerhalb der Europäischen Gemein- SPD-Überschüsse und auch keine FDP-Überschüs- schaft Teilbereiche geben, wo wir über Preis und se. Im Hinblick auf die GRÜNEN, die ja in der Menge nicht helfen können. Da ist der richtige An- Ernährung sehr vorsichtig sind, ist das etwas ande- satz die Ausgleichszulage. res. Wir sind uns unter diesen Voraussetzungen darüber im klaren, daß dies ein großes Problem dar- Wenn wir den Willen haben, auch in diesen Berei- stellt, wenn es darum geht, Märkte zu bereinigen, chen für vernünftige landwirtschaftliche Struktu- Markt und Preispolitik zu betreiben. Das ist partei- ren zu sorgen, dann sollten wir uns darüber im kla- politisch unstrittig. ren sein, daß das Geld kostet. Aber das kostet nicht nur Geld, sondern auch Kraft bezüglich der Auf- (Dr. Soell [SPD]: Aber Sie haben den wendungen innerhalb der EG. Wenn ein holländi- Agrarmarkt in den 60er Jahren errichtet, scher Landwirt dreimal so viel Umsatz tätigt — Herr Schmitz!) dann trägt er auch dreimal mehr zu den Überschüs- Meine Damen und Herren, die Finanzierung der sen bei — als ein deutscher Landwirt oder wenn ein weiteren EG-Agrarpolitik bereitet uns allen Sorgen. italienischer Landwirt es mit einer völlig anderen Heute haben sich die Finanzminister darauf geei- Struktur zu tun hat als ein englischer Landwirt, nigt, den Haushaltsplan des Jahres 1987 als Vor- was die Betriebsgröße angeht, dann läßt sich das schlag in das Europäische Parlament zu bringen, nicht einfach über einen — sagen wir — Brüsseler der mit 76 Milliarden DM eine Steigerungsrate von Leisten schlagen. etwa 3% aufweist. Sie haben sich nicht dazu durch- ringen können, einen Fonds zur Beseitigung der (Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Überschüsse zu schaffen. Sie haben dies den Land- Deswegen muß hier der Ansatz liegen. Das kann wirtschaftsministern übertragen. Dies ist in der nicht alleine Aufgabe des Landwirtschaftsministers Sache richtig. Trotzdem, meine ich, lohnt es sich, sein. Vielmehr ist das eine Aufgabe sowohl des darüber nachzudenken, ob nicht ein solcher Fonds Landwirtschaftsministers als auch des Finanzmini- in der Weiterentwicklung der EG-Agrarpolitik not- sters und des Wirtschaftsministers. wendig ist; denn eines ist sicher, daß wir innerhalb (Zuruf von der CDU/CSU: Jedes einzelnen der Europäischen Gemeinschaft vor Finanzierungs- Politikers!) problemen stehen und diese gelöst werden müs- sen. Gleichermaßen ist das aber auch eine Aufgabe ei- Über eines sollten wir uns aber auch im klaren nes europäischen Gipfels, der sich mit diesen Fra- sein: Es wird zwar vielfach beklagt, daß wir in die- gen in der kommenden Legislaturperiode des Deut- sem Jahr 18,8 Milliarden DM in die Europäische schen Bundestages befassen muß. Ich gehe im übri- Gemeinschaft einzahlen, aber die meisten ver- gen davon aus, Frau Kollegin, daß diese Regierung schweigen dabei, daß wir auch 10,2 Milliarden DM bleiben wird. Rückflüsse haben. Das heißt, im Saldo sind es (Kühbacher [SPD]: Wir nicht!) 8,6 Milliarden DM, die wir also netto zahlen — bei Wir haben die ersten Schritte getan. Die ersten einem Überschuß in der Handelsbilanz mit der Eu- ropäischen Gemeinschaft von über 30 Milliarden Schritte zur Stabilisierung der nationalen Land- DM im Jahre 1985 und wahrscheinlich wesentlich wirtschaft sind eingeleitet. Wir haben die gute Hoff- mehr im Jahre 1986. Das ist gut angelegtes Geld. nung, daß sich das fortsetzt. Das sind gesicherte Investitionen, gesicherte Ar- Kritik ist im Grunde genommen zwar berechtigt, beitsplätze. Darüber sollte man auch in der deut- wenn sie sachlich vorgetragen wird. Polemik hilft schen Öffentlichkeit reden, sowohl beim Deutschen uns aber nicht weiter. Die Bauern haben einen An- Industrie- und Handelstag als auch beim Deutschen spruch darauf, daß man ihnen die Wahrheit sagt. Gewerkschaftsbund. Das ist, meine ich, eine ganz Das hat die Regierung Helmut Kohl getan. Das hat 19498 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Schmitz (Baesweiler) der Landwirtschaftsminister getan. Wir werden wertsteuerausgleich wird nach dem Prinzip verfah- dem Einzelplan 10 trotzdem, Herr Kollege Suhr, zu- ren: Wer da hat, dem wird auch noch gegeben. stimmen. Wir hoffen, daß die Regierung im näch- Herr Minister Kiechle, Sie haben bei der Einfüh- sten Jahr die gleiche wie in diesem Jahr sein wird. rung der Milchkontingentierung verkündet, durch - Ich bedanke mich. diese Maßnahme würden die Überschüsse abge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — baut, und der Preis für Milch werde steigen. Das Dr. Soell [SPD]: Welche Wahrheit war es Gegenteil ist eingetreten. Die Butterberge sind denn nun, Herr Schmitz: die einfache, die noch mehr gewachsen, und die Erzeugerpreise für richtige oder die ganze Wahrheit? — Lam Milch sind gefallen. Sie haben sich jetzt für eine binus [SPD]: Was sagt denn da der Herr lineare Kürzung der Milchquoten um 10 % ausge- Gallus? Er klatscht auch noch! — Gegen sprochen. Gleichzeitig halten Sie aus politisch-takti- rufe von der CDU/CSU) schen Gründen nichts von einer Staffelung des Ein- kommensausgleichs für die weitere Quotierung, wie dies der Europarat und der bayerische Landwirt- Präsident Dr. Jenninger: Ich bitte, diese Unterhal- schaftsminister Eisenmann ausdrücklich fordern. tungen zu unterlassen. Sollten diese Einkommenshilfen — gefordert wer- (Lambinus [SPD]: Wieso?) den 30 Pfennig je Liter produzierter Milch — tat- sächlich wieder mit der Gießkanne ohne Prüfung — Ich rufe Sie zur Ordnung! Herr Kollege, ich der wirklichen Einkommensverhältnisse verteilt möchte Sie darauf hinweisen, daß in den Büros der werden, dann wird — erstens — für den Steuerzah- Präsidenten seit zwei Stunden unentwegt Anrufe ler nicht mehr begreifbar sein, daß ein Betrieb mit eingehen, in denen sich die Zuhörer und Zuschauer 100 Kühen und 500 000 Litern Lieferquote für eine am Fernseher über das Verhalten der Abgeordne- gekürzte Lieferung von 450 000 Litern jedes Jahr ten des Deutschen Bundestages, nämlich über die für 50 000 Liter nicht gelieferter Milch 15 000 DM zahllosen Zwischenrufe beklagen. Ich bitte, das zur geschenkt bekommt. Zweitens wird das für den Kenntnis zu nehmen. Hier kann jeder seinen Bei- kleinen Betrieb mit 15 Kühen — das ist der Durch- trag zur Verbesserung des Ansehens des Parla- schnitt in der Bundesrepublik —, den die 10 %ige ments leisten. Kürzung mit einem Ausgleich von 2 000 DM viel (Rusche [GRÜNE]: Auch auf der rechten härter trifft, ein weiterer Schritt zur Betriebsauf- Seite des Hauses!) gabe sein. — Ich sage das an alle Seiten des Hauses. (Hornung [CDU/CSU]: Das ist eine reine (Rusche [GRÜNE]: Sie schauen aber nur Neidkampagne!) zur SPD!) Wir GRÜNEN sehen zwar auch die Notwendig- Ich habe jetzt nur eingegriffen, weil fortgesetzt Zwi- keit zur Begrenzung der Milchmenge, haben jedoch schenrufe gemacht worden sind. Anträge erarbeitet, die im Gegensatz zu den Vor- schlägen des Ministers den Erhalt bäuerlicher Höfe (Lambinus [SPD]: Das ist gut!) als Hauptziel im Auge haben. Wir sind für eine stär- Ich meine das sehr ernst und wende mich dabei an kere Kürzung der Menge, je größer die Tierbe- alle Seiten des Hauses. stände sind, und wir sind für eine Erhöhung des Das Wort hat der Abgeordnete Werner (Diers- Preises für die ersten 50 000 Liter Milch, was klei- torf). nen Anlieferern ein deutlich besseres Einkommen geben würde. (Beifall bei den GRÜNEN) Werner (GRÜNE) (Dierstorf): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Ein- Die Antwort der Regierung auf unsere Anfrage zelplans 10 — Landwirtschaft — läßt auch für 1987 zur Verfütterung von Vollmilch direkt an Kälber, keine klare Linie einer zukünftigen Agrarpolitik er- bei der die Milchproduktion um 5% eingeschränkt kennen. Die gleiche unausgegorene Zwiespältigkeit, werden könnte, lautet, wie wir sie immer von Agrarpolitikern der Regie- (Eigen [CDU/CSU]: Das kann doch jeder rungsparteien zu hören bekommen, spiegelt sich machen!) auch in diesem Haushalt wider. dies sei aus Gründen der Haltbarkeit, Hygiene und Der Bauer draußen möchte wissen, was er seinem wegen Transportproblemen nicht machbar. — Na- Sohn auf dem 20-, 30- oder auch 50-Hektar-Betrieb türlich kann das jeder machen, aber wir forderten raten soll, ob er den Betrieb übernehmen oder lie- dafür einen Ausgleich. Die Leute sollten dafür ei- ber aussteigen soll. Aber da findet er keine Antwort nen Zuschuß bekommen; sonst macht es keiner, bei Ihnen. Sie sagen in einem Atemzug: Der kleine, weil es billiger ist, im Austausch zu verfüttern. der mittlere Familienbetrieb soll erhalten bleiben, aber wir brauchen dringend EG-wettbewerbsfähige (von Hammerstein [CDU/CSU]: Herr Wer- Strukturen. Das ist nicht miteinander zu vereinba- ner, erklären Sie, wie Sie die Umverteilung ren. machen wollen! — Rossmanith [CDU/- CSU]: Das weiß er doch nicht!) Das gleiche geschieht beim Haushalt. Im Sozial- abgabenbereich wird eine schlechte, aber es wird — Ich weiß ganz genau, wie die zu machen ist. Die eine Staffelung zugunsten kleiner Betriebe durch- Umverteilung wäre ganz einfach zu machen. Jeder geführt. Jedoch bei großen Posten wie dem Mehr- Bauer, der bei der Quote um 5 % zurückgeht, kriegt Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19499

Werner (Dierstorf) dafür meinetwegen diese 30 Pfennig — wir wären für die Aufgabe bäuerlicher Existenzen als für de- jedoch für 50 Pfennig —, daß er die an die Kälber ren Erhalt tut, können wir nicht zustimmen. verfüttert. Das ist kein Problem. Schönen Dank. (Beifall bei den GRÜNEN) (Beifall bei den GRÜNEN) - Ich habe eben darauf hingewiesen, daß die Bundes- regierung erklärt hat, das sei wegen Hygiene-, Halt- Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Herr barkeits- und Transportproblemen nicht machbar. Abgeordnete Gallus. Dabei sind doch die Kälber auf bäuerlichen Höfen seit Jahrhunderten mit Vollmilch aufgezogen wor- Gallus (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehr- den, und es war kein Transport erforderlich. Wie ten Damen und Herren! Der vorliegende Agrar- soll es da weniger Transportprobleme geben, wenn haushalt ist der Ausdruck des Willens dieser Bun- die Vollmilch zur Molkerei gefahren, mit hohem desregierung und dieses Parlaments, unseren Bau- Energieaufwand zu Butter und Magermilch verar- ern in einer schwierigen agrarpolitischen Situation beitet wird und die Butter nach dreijähriger Lage- mit staatlichen Mitteln zu helfen. Wir von der FDP rung dem Magermilchpulver beigemischt wird, um sind der Auffassung, daß durch die Wende und die dann wieder auf die Höfe verteilt und an die Kälber Wirtschaftspolitik dieser Regierung die Vorausset- als Vollmilchersatzfutter verfüttert zu werden, zungen dafür geschaffen worden sind, das Geld zu (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Das verdienen, das wir in dieser Volkswirtschaft brau- ist in der Tat Wahnsinn!) chen, um den weiteren Anpassungsprozeß unserer Landwirte erträglich zu gestalten. was die EG je Tonne Butter 9 500 DM kostet? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie, Herr Minister, haben in Brüssel die Unsin- Um welche Vielfalt es dabei geht, hat Herr Kollege nigkeit einer sogenannten Mitverantwortungsab- Schmitz hier deutlich gemacht. Ich bestreite, daß gabe der Bauern für Getreide nicht verhindert. SPD und GRÜNE mit ihren wirtschaftspolitischen Vorstellungen in der Lage wären, gleiches zu lei- (von Hammerstein [CDU/CSU]: Aber er sten. hat gekämpft und dagegen gestimmt!) (Werner [Dierstorf] [GRÜNE]: GRÜNE und — Sie haben dagegengestimmt, aber sie auch nicht SPD sollten Sie differenziert sehen!) verhindert. Man hätte auch ein Veto einlegen kön- Die agrarpolitischen Probleme, meine Damen nen. und Herren, sind aber keinesfalls gelöst. Wir wis- (von Hammerstein [CDU/CSU]: Hat er!) sen, daß letzten Endes über das Schicksal unserer bäuerlichen Familienbetriebe in Brüssel entschie- Wenn eine Mitverantwortungsabgabe angebracht den wird. Wir Liberale wollen Europa. Wir wissen, wäre, dann nur bei den Diäten der verantwortlichen daß uns einerseits die Ratifikation der Europäi- Agrarpolitiker. Das ist meine Überzeugung. schen Akte weiter voranbringen soll. Gleichzeitig (Beifall bei den GRÜNEN) entwickelt sich die europäische Agrarpolitik zum Sprengsatz von Europa. Die FDP-Fraktion ist der Nein, meine Damen und Herren von der Koali- Auffassung, daß sich die Regierungschefs der EG tion, dieser Haushalt, der Mittel für die Produktion der Agrarpolitik annehmen müssen. Die FDP legt und nicht nur für die Forschung von Biosprit aus- Wert darauf, daß zukunftsträchtige Entscheidungen gibt, der auf nationaler Ebene für ein Grünbuch- in der EG herbeigeführt werden. programm viel Geld zum angeblichen Abbau von Wir meinen, die Tatsache, daß wir in der EG seit Überschüssen vorsieht — denn wir können nicht in Jahren Lagerbestände in Milliardenhöhe vor uns Niedersachsen die Überschüsse der EG abbauen —, herschieben, darf nicht weiter verdrängt werden. der noch immer — — Wenn die normalen Haushaltsmittel nicht ausrei- (Eigen [CDU/CSU]: Aber einen Versuch chen, muß vorübergehend auch mit Krediten gear- kann man machen!) beitet werden. Die Europäer müssen sich darauf verständigen, ihre Agrarproduktion zu reduzieren. — Ja. Dann wäre es sinnvoller gewesen, diesen Ver- Nur dann werden wir auch bei den GATT-Verhand- such in verschiedenen Kreisen der Bundesrepublik lungen erwarten können, daß Länder — wie die zu machen, damit das in Bayern genauso wie in USA ihrerseits — dies durch entsprechende Gegen- Niedersachsen kontrolliert würde. Dazu wären leistungen beim Substitutenzufluß honorieren. nicht 100 Millionen DM notwendig gewesen, son- dern das wäre auch mit 20 Millionen DM zu machen Europa hat 20 % der landwirtschaftlichen Be- triebe ohne Hofnachfolge. Flächen und Betriebe gewesen. müssen aus der Produktion genommen werden, da- (Beifall bei den GRÜNEN — von Hammer mit die anderen wieder eine Chance bekommen. stein [CDU/CSU]: Das ist ein Pilotprojekt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — gewesen, Herr Werner!) Zuruf von der CDU/CSU: Vorruhestandsre- Diesem Haushalt, der für ein Grünbrachenpro- gelung!) gramm viel Geld zum angeblichen Abbau von Über- Auch Teilbetriebsstillegungen sind europaweit ein- schüssen vorsieht, der noch immer eine ökologie- zuführen, und, Frau Zutt, die Grünbrache, wenn sie zerstörende Flurbereinigung finanziert, der mehr vielleicht auch nicht so gut angelaufen ist, wie wir 19500 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Gallus uns das alle gewünscht haben, ist besser als ihr hat. Auch hier stellt sich allmählich ein Erfolgser- Ruf. lebnis ein, (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: Aber nur in der Theo- rie!) Die Milchquote muß realistisch festgesetzt wer- - den. Den Landwirten muß ein voller finanzieller wenngleich wirksame Beschlüsse noch nicht zu- Ausgleich gewährt werden. Dabei sind nach unse- stande gekommen sind. Allerdings beobachten wir, rer Auffassung alle Instrumente eines solchen Aus- wie immer mehr Agrarpolitiker hierzulande von gleichs, über die Prämierung der Nichtproduktion der Richtigkeit unserer Forderung überzeugt sind. bis hin zu Preiserhöhungen, ins Auge zu fassen, und Es geht dabei um nicht weniger als um eine Viel- die Molkereistrukturen in Europa müssen an die zahl unserer landwirtschaftlichen Betriebe, die auf neue Situation angepaßt werden. die Einkünfte aus der Tierhaltung angewiesen sind. Wir können und dürfen nicht zulassen, daß ihnen Wir wissen, daß wir uns bei diesen schwierigen diese Einkommenskapazitäten von einigen wenigen Verhandlungen auf das Verhandlungsgeschick un- Großbetrieben genommen werden. Wer die Reform seres Herrn Landwirtschaftsministers verlassen der EG-Agrarpolitik will, muß, wie wir von der FDP können. fordern, vorübergehend mehr Geld aufwenden, um (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — die Krise zu meistern. Ströbele [GRÜNE]: Da sind Sie aber verra (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ten und verkauft! — Zurufe von der SPD) Meine Damen und Herren, wir sind dies Europa Die Neuordnung des Rindfleischmarktes darf und unseren Bauern schuldig. Allerdings sage ich nicht länger von Frankreich verhindert werden. auch: Einige in Europa müssen noch begreifen ler- Was Chirac will und was er am 23. Oktober 1986 vor nen, daß die Bauern nicht die Riesenspielzeuge der dem Dachverband der Landwirtschaftskammern in Industrienationen sind. Paris verkündet hat, ist nichts anderes, als einen Danke schön. europäischen Verdrängungswettbewerb einzulei- ten, weil er davon ausgeht, Frankreich werde dabei (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sieger bleiben. Damit muß Schluß sein. Schluß mit den Erzeugungsschlachten in Europa zum Schaden unserer Bauern! Präsident Dr. Jenninger: Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und An dieser Stelle wiederhole ich eine Forderung, Forsten das Wort. die die FDP seit langem erhoben hat: Schluß mit der Förderung in Ü berschußbereichen! Schluß mit der staatlich geförderten Kapazitätsausdehnung Bundesminister für Ernährung, Land- bei Schweine- und Bullenställen in ganz Europa! Kiechle, wirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine sehr Die FDP hat diese Forderung schon 1980 in ihr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Agrar- Wahlprogramm geschrieben. Es ist nur gut, daß haushalt 1987 wird mit einem Zuwachs von 14,2 % meine Parteifreunde und ich den Elan in dieser auf 7,9 Milliarden DM wie in den Vorjahren über- Frage nicht verloren haben; denn nun haben unsere proportional erhöht, trotz des allgemeinen Spar- Bemühungen doch noch Früchte getragen. Bund zwangs. Das ist gut so; denn der Haushalt drückt und Länder sind am Dienstag in der Sitzung des das in Zahlen aus, was die unionsgeführte Bundes- Planungsausschusses übereingekommen, daß ab regierung politisch will, wofür wir kämpfen: Wir sofort Kapazitätsausweitungen der Mastschweine- wollen den Bauern in einer agrarpolitisch schwieri- und Mastrinderhaltung nicht mehr gefördert wer- gen Zeit den Rücken stärken. Das ist unsere Art, den. Dies ist ein ganz wichtiger Schritt, insbeson- Solidarität zu praktizieren; nicht mit Programmen dere mit Blick auf Europa. Es gilt jetzt, auch unsere aus Utopia wie die GRÜNEN, auch nicht mit nebu- Partnerländer davon zu überzeugen, daß dies der lösen Versprechungen von Leuten, die, als sie re- einzig richtige Weg ist. gierten, in Wirklichkeit massiv Sozialzuschüsse ge- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist sehr kürzt haben wie die SPD, sondern mit konkreter wichtig!) Hilfe. Ich bin davon überzeugt, daß in Brüssel das Signal, (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der das wir in der Bundesrepublik Deutschland mit SPD: Meinen Sie nicht Herrn Gallus?) dem Förderungsstopp gesetzt haben, richtig ver- Wir drücken uns nicht vor der Bewältigung einer standen wird. verfehlten Politik, die andere in ganz Europa mit zu (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) verantworten haben. Ich empfinde es aber schon als ein wenig empörend, wenn Sozialdemokraten, die Ebenfalls seit 1980 fordern wir: Schluß mit Agrar- die Fehlentwicklungen wesentlich mitverursacht fabriken in Europa! Auch hier stellt sich allmählich haben, jetzt den Helfern und Sanierern auch noch ein Erfolgserlebnis ein. die mühsame Arbeit erschweren. (Zuruf von der SPD: Mit Bestandsober (Hornung [CDU/CSU]: Sehr seltsam!) grenzen!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die — Natürlich sind wir für Bestandsobergrenzen, Haushaltsansätze für den Agrarhaushalt können noch bevor die SPD das in den Mund genommen sich nun wirklich sehen lassen: 4,8 Milliarden DM Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19501

Bundesminister Kiechle für die Sozialpolitik. Das waren 1982 noch, 3,7 Milli- len Sie sich nicht vor die Bauern und die Öffentlich- (I arden DM. keit hin und sagen klipp und klar: Die SPD will den (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Agrarmarkt durch drastische Preissenkungen sa- nieren? 358 Millionen DM für die benachteiligten Gebiete. - Das waren 1982 noch 62 Millionen DM. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Das wäre zumindest ein Stück Ehrlichkeit; wir könnten dann miteinander streiten, auch wenn wir 644 Millionen DM für die Dieselölbeihilfe. absolut anderer Meinung sind. Aber statt dessen (Zurufe von der CDU/CSU: Dafür danken reden Sie hier von marktgerechten Preisen und die Bauern!) überlassen es jedem, was er darunter verstehen Das waren 1982 460 Millionen. Und 1,5 Milliarden soll. Wir wissen, was Sie meinen. DM für den gesamten Anteil des Bundes an der (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Täu- Gemeinschaftsaufgabe. Das waren 1982, verehrte schung der Bauern! — von Hammerstein Frau Zutt, 1,05 Milliarden DM. [CDU/CSU]: Genau, das ist es!) Natürlich ist sich die Bundesregierung darüber Die GRÜNEN wollen gestaffelte Preise; das ist im klaren — sie weist auch selbst ständig darauf auch heute wieder zur Sprache gekommen. Sie wol- hin — , daß nationale Maßnahmen die Brüsseler len Produktionsmittelverteuerung, sie wollen die Preispolitik nicht ersetzen können. Wiedereinführung der Produktionsmethoden der (Eigen [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Vergangenheit. Deshalb kämpfen wir auch für eine bessere Preis- (Ströbele [GRÜNE]: Wer hat das gesagt?) politik. Wir wären froh, wenn wir dabei die Unter- Ich überlasse es Ihnen, diese Dinge zu erläutern. stützung auch der Opposition, besonders der SPD, Ich halte von allen dreien nichts. hätten. (Ströbele [GRÜNE]: Das haben Sie sich (Beifall bei der CDU/CSU — von Hammer wohl schon vorher aufgeschrieben!) stein [CDU/CSU]: Die bekommen wir näch Wir, die Unionsparteien, wollen eine Politik, stes Jahr!) durch die auch die Bauern am Wirtschaftswachs- Aber die SPD will sogenannte marktgerechte tum wieder teilhaben können. Preise. Weshalb marktgerechte Preise? Weshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren von der (Oostergetelo [SPD]: Das merkt man!) Opposition, verstecken Sie sich hinter solchen un- Wir wollen Gerechtigkeit für unsere Bauern und klaren Definitionen? nicht nur Gerechtigkeit für den Markt. Wir wollen eine Politik, bei der Bauern wieder zunehmende Einkommen über den Preis erwirtschaften können. Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, ge- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Uns allen ist aber klar, daß dazu die Überschußpro- Kühbacher? duktion nachhaltig abgebaut werden muß, (von Hammerstein [CDU/CSU]: Das ist das Entscheidende!) Kiechle, Bundesminister für Ernährung, Land- wirtschaft und Forsten: Bitte sehr. abgebaut durch Mengensteuerung und nicht durch Preissenkungen, die nichts anderes als Einkom- Kühbacher (SPD): Herr Minister, würden Sie mir mensdruck sind. zustimmen, daß es einen Zusammenhang zwischen (Beifall bei der CDU/CSU — von Hammer- Preisen, Intervention und Überschüssen gibt, und stein [CDU/CSU]: Und ein Bauernsterben würden Sie mir auch zustimmen, daß es Sünde ist, verursachen!) wenn Butter an Kälber verfüttert wird? Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, ge- Kiechle, Bundesminister für Ernährung, Land- statten Sie eine weitere Zwischenfrage? wirtschaft und Forsten: Ich stimme Ihnen zu, daß es solche Zusammenhänge gibt. Aber bei dem Wort „Sünde" zögere ich: Erstens steht da nichts in den Kiechle, Bundesminister für Ernährung, Land- Zehn Geboten, wirtschaft und Forsten: Bitte sehr. (Heiterkeit bei allen Fraktionen) und zweitens ist es höchstens eine ökonomische Präsident Dr. Jenninger: Bitte sehr, Herr Kollege Sünde, aber bestimmt keine in dem Sinne, den Sie Werner. hier ansprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Werner (Dierstorf) (GRÜNE): Herr Minister Kiechle, wir haben hier vorhin vom Kollegen Baum Denn Milchfett ist eine Urnahrung für Kälber. Es gehört, daß bei den ganzen Zwischenfällen, die zur ist also nicht so, daß man das in den Bereich der Zeit den Rhein belasten, Pflanzenschutzmittel im Zehn Gebote Gottes rücken sollte. — Spiel sind. Meine Frage ist — das war auch die (Zurufe von der SPD) Frage des Herrn Kollegen Baum —, ob nicht dar- — Ja. — Ich habe gefragt: Weshalb verstecken Sie über nachgedacht werden sollte und könnte, den sich hinter so unklaren Definitionen? Weshalb stel- Einsatz von Pflanzenschutzmitteln etwas zu redu- 19502 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Werner (Dierstorf) zieren, so daß wir den ökologischen Haushalt bei terdrücken wollen, um 10 oder 15% Überschußer- uns in der Bundesrepublik damit verbessern wür- zeugung abzubauen. den. (von Hammerstein [CDU/CSU]: Das macht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nur die Bauern kaputt!) - Ich wende mich auch gegen eine Verdrängungs- politik zu Lasten der schwächeren Erzeuger, z. B. auf kleineren Betrieben oder in marktfernen be- Kiechle, Bundesminister für Ernährung, Land- nachteiligten Gebieten. wirtschaft und Forsten: Mit der Konzeption des in- (Beifall bei der CDU/CSU) tegrierten Pflanzenschutzes tun wir das. Aber das, was Sie jetzt mit der Landwirtschaft in Zusammen- Eine zweite Unredlichkeit, leider auch durch die hang bringen, hat nun mit der Landwirtschaft Sozialdemokraten ausgesprochen, besteht darin, nichts zu tun. daß sie neben den verklausulierten Preissenkungs- forderungen den Bauern einen direkten Einkom- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Wider mensausgleich an Stelle dieser Preise versprechen. spruch bei den GRÜNEN) (Abg. Oostergetelo [SPD] meldet sich zu ei- Bei den Vorfällen, die Sie angesprochen haben, sind ner Zwischenfrage) Grundchemikalien, aus denen auch Pflanzenschutz- mittel hergestellt werden, in den Rhein gelangt. Das Herr Bundesminister, ge- verurteilen wir genauso wie Sie. Präsident Dr. Jenninger: statten Sie eine Zwischenfrage? (Ströbele [GRÜNE]: Nur, Sie tun nichts da gegen!) Kiechle, Bundesminister für Ernährung, Land- Sie sollten diese Dinge aber nicht im Zusammen- wirtschaft und Forsten: Danke schön. Ich habe jetzt hang mit der Landwirtschaft erwähnen. — schon zwei Fragen zugelassen. — Das sagen die gleichen Sozialdemokraten, die unsere flankieren- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den nationalen Maßnahmen der letzten drei Jahre Ich habe gesagt, wir sind dafür, die Überproduktion als Milliardencoup bezeichnet haben. Im Gegensatz durch Mengensteuerung und nicht durch Preissen- zu so manchen unredlichen Ideen unserer politi- kungen herunterzufahren. Ich möchte in dem Zu- schen Gegner bekräftige ich: Solange Brüssel — sammenhang noch auf eine Frage eingehen, die mit „Brüssel" meine ich die dort konzipierte, nicht vorhin von Frau Zutt, aber auch von Herrn Werner nur von einem Mitglied, sondern von immerhin angesprochen worden ist, nämlich auf die Frage der zwölf Mitgliedern zu bestimmende Agrarpolitik — Milchquoten. Frau Zutt hat erklärt, die Quotenrege- keine ausreichenden Einkommen in der Landwirt- lung habe nicht zum Stillstand der Milchproduktion schaft möglich macht, werden wir die unzurei- geführt. Frau Zutt, das stimmt nicht: Wir hatten 104 chende Preispolitik weiter ergänzen: durch die So- Millionen Tonnen Milchanlieferung, die Quotenre- zialpolitik, durch die Politik in benachteiligten Ge- gelung hat eine Rückführung auf 99 Millionen Ton- bieten, durch die Steuerpolitik und andere flankie- nen gebracht. Daß dies noch nicht reicht, ist eine rende Maßnahmen. ganz andere Sache. Aber Sie können nicht sagen, es Schon Goethe hat erkannt: Ein jeder Stand hat sei dadurch die Produktion nicht zum Stillstand ge- seinen Segen, ein jeder Stand auch seine Last. bracht worden. Wahrscheinlich haben Sie die zu- (von Hammerstein [CDU/CSU]: Die Last sätzliche Produktion gemeint. ist hier größer als der Segen!) Was Herrn Werner betrifft: Er hat jedenfalls indi- Bei den Bauern wiegt die Last zur Zeit sehr schwer rekt meinen Vorschlag erwähnt, als er sagte, er — trotz ihrer segensreichen Tätigkeit, nämlich der wolle auf alle Fälle bei einer weiteren Kürzung der Erzeugung des täglichen Brots. Ich bedanke mich Milchquote eine Staffelung der in Brüssel zu be- deshalb beim Parlament, bei den Mitgliedern des schließenden, von uns beantragten Kompensation. Finanz- und des Haushaltsausschusses sowie der Die Frage ist nicht, was der einzelne will, sondern Bundesregierung für ihr Verständnis und ihre Hil- was am Ratstisch in Brüssel durchgesetzt werden fe, die schwierige Lage der Bauern zu mildern. kann. Die Frage, vor der wir stehen — ich sage Ihnen das in aller Ruhe — ist: Können wir uns mit Wir müssen alles tun, um unsere Bevölkerung unserer die Landwirte berücksichtigenden Konzep- noch mehr als bisher zu überzeugen, daß wir die tion durchsetzen, oder kommt die Konzeption zum Schönheit unserer deutschen Heimat und eine aus- Tragen, die die Kommission vorgeschlagen hat, die reichende Versorgung mit preiswerten und guten genau dasselbe Ziel, nämlich die Kürzung der Nahrungsmitteln nur dann behalten können, wenn Quote, auf dem Rücken der Landwirte durchsetzen wir unsere Landwirtschaft entsprechend bezahlen. will. Wenn wir durchkommen wollen, können wir Wer nur importieren will, bekommt bald die Preise Länder, die bei einem solchen Staffelungsvorschlag diktiert. benachteiligt würden — die Niederlande, Däne- Bei der Neuordnung der EG-Agrarpolitik spielt mark, Großbritannien —, uns nicht von vornherein sich zur Zeit ein Kampf zwischen zwei grundsätz- zum Gegner am Ratstisch machen. Das ist eine lich verschiedenen Konzepten ab. Auf der einen ganz nüchterne Feststellung, keine Wunschvorstel- Seite steht das Konzept der „efficient agricultural lung. Ich wende mich jedenfalls strikt gegen Rezep- industry", d. h. einer agroindustriellen Landwirt- te, die die Preise für die gesamte Produktion herun- schaft, wie sie vor allem von Großbritannien gefor- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19503

Bundesminister Kiechle dert wird. Auf der anderen Seite versuchen wir, jedenfalls feststellen zu können, daß auf jeden eine Politik der Erhaltung einer bäuerlich struktu- Fall mittelfristig, wahrscheinlich langfristig rierten Landwirtschaft durchzusetzen, damit auch noch mehr, der Weltmarkt für Nahrungsmittel im Jahr 2000 noch Bauernhöfe in allen Regionen heute schon erste Verknappungserscheinungen unseres Vaterlandes stehen. Während das agroin- zeigt. - dustrielle Konzept vorwiegend in rein ökonomi- So schrieben Sie im „Bayernkurier" am 11. April schen Begriffen — wie bester Standort, Spezialisie- 1981. rung, Intensivierung, maximale Produktion und ma- ximaler Gewinn — denkt, nimmt eine Agrarpolitik (Eigen [CDU/CSU]: Beinahe sechs Jahre für den bäuerlichen Familienbetrieb auch auf Güter her!) Rücksicht, auf die unsere Bevölkerung immer grö- Ein zweites Zitat — es geht ja um die Erblast, ßeren Wert legt: gepflegte Landschaft, nachhaltig Herr Kollege Eigen —: fruchtbare Böden, gesundes Grundwasser, artge- rechte Tierhaltung und einige andere Dinge mehr. Es kann und darf j a wohl nicht verboten sein, (Hornung [CDU/CSU]: Bloß bezahlen wol mehr zu produzieren, als im Inland verbraucht len sie nichts!) wird. Die Bundesregierung hat ihre Wahl getroffen und Originalton Kiechle in der „Welt" vom 16. Mai 1981. wird alles daransetzen, ihre Vorstellungen von ei- Hören Sie doch endlich auf, von einer Last oder ner bäuerlichen Agrarpolitik durchzusetzen: zur Er- Erblast zu reden. Sie wollten es damals gar nicht haltung von Natur und Umwelt, zum Wohl unserer anders. Landwirte und ihrer Familien. Ich denke, das dient auch dem Wohl unseres ganzen Volkes. (Beifall bei der SPD — Kühbacher [SPD]: Erwischt, Herr Minister!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dies zeigt dieser Haushalt 1987 in Taten und in Wir wissen heute, daß viele Milchbauern durch finanzwirksamem Engagement. Ihre Quotenregelung, Herr Minister, in Existenznot geraten sind. Herr Gallus, der vorhin davon gespro- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) chen hat, sagte am 19. November 1986 in einer Pres- seerklärung: „Das Quotensystem hat auf der gan- Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abge- zen Linie versagt." ordnete Müller (Schweinfurt). Wie war es denn? Erst trieb die Quotenverteilung die Milchbauern auf die Barrikaden. Dann, nach- Müller (Schweinfurt) (SPD): Herr Präsident! dem Franz-Josef Strauß seinem CSU-Minister Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kiechle den Kopf gewaschen hatte, Haushalt 1987 dokumentiert erneut, daß die Bun- (von Hammerstein [CDU/CSU]: Das hat er desregierung die Krise der Agrarpolitik, die sich doch gar nicht!) täglich zuspitzt, einfach ignoriert. gab es aus Angst um Wählerstimmen schnell eine (Beifall bei der SPD) Härtefall- und Ermessensregelung, die diesen Obwohl doch alle wissen, daß die Kosten für die EG Landwirten die Existenz sichern sollte. Sie werden Agrarpolitik ebenso gigantische Größenordnungen doch nicht glauben, daß der Herr Strauß dem Herrn annehmen wie die überquellenden Lagermengen, Kiechle dafür die Hand geküßt hat, oder? werden die Einkommensprobleme der Landwirte immer größer. Aber statt national und auf EG Aber die Überschüsse nahmen beängstigend zu. Ebene endlich Konsequenzen zu ziehen, statt end- So kam nach der bayerischen Landtagswahl der lich ein Reformkonzept mit Zukunftsperspektiven bislang letzte Überraschungscoup von Minister für die Landwirtschaft vorzulegen, bemüht sich die Kiechle: unterschiedslose Kürzung aller einzelbe- Bundesregierung lediglich, durch nationale Einzel- trieblichen Quoten. Damit würde den Landwirten maßnahmen die Unruhe, den Zorn und die Enttäu- wieder genommen, was ihnen zuvor über die Härte- schung der Landwirte bis zum Wahltag einigerma- fallregelung zuerkannt wurde. ßen unter der Decke zu halten. (von Hammerstein [CDU/CSU]: Wie willst (Beifall bei der SPD) du denn die Milchmengen kürzen?) Der Agrarhaushalt, meine Damen und Herren, ist Die Reaktionen waren entsprechend: einhellige Ab- nichts anderes geworden als eine Reparaturwerk- lehnung durch Bundesländer und Landwirte. statt für Brüsseler Fehlverhalten, für Brüsseler Auch bei der EG fand diese Variante wenig Ge- Fehlschläge und eigenes Unvermögen. genliebe, was uns ja nicht wundert, wenn man weiß, (Beifall bei der SPD) welchen Einfluß der Minister dort noch hat. Weil Herr Minister, weil Sie wieder sagten, welche Ihr Vorschlag, Herr Minister, aber wiederum nur an Last wir Ihnen hinterlassen haben, möchte ich Ih- Symptomen herumkuriert, ist es diesmal nicht wei- nen etwas vorlesen: ter tragisch. Es wird dann in unverantwortlicher Weise von Wer aber immer noch durch vorläufige Stillegun- Überschüssen geredet. Der Bundeskanzler und gen ein besseres Marktgleichgewicht und für die der Bundesminister lamentieren nur noch über Zukunft sogar Preiserhöhungen verspricht, der, die angeblich zu hohen Kosten. Wir glauben Herr Minister Kiechle, verkauft entweder die Land- 19504 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Müller (Schweinfurt) wirte für dumm oder er hat jeden Realitätsbezug nigstens bei den Landwirten angekommen ist, weil verloren. sie wußten, daß er ihnen hilft. (Beifall bei der SPD — von Hammerstein (Beifall bei der SPD — Kühbacher [SPD]: [CDU/CSU]: Soll der Bauer denn nicht Kontinuität und Erblast zugleich!) daran teilnehmen?) Eine Kritik trifft den Nagel auf den Kopf. Hor- Ebenso wie bei den Problemen des Milchmarktes chen Sie mir einmal genau zu. Ich will zitieren: scheut sich die Regierung offensichtlich auch, den Landwirten auf die Frage eine Antwort zu geben, Viele Bauernfamilien spüren, daß sie den Kopf wie sie es mit dem Strukturwandel hält. dafür hinhalten müssen, daß die Agrarpolitik zur Zeit mehr als kopflos betrieben wird. Was zur Zeit innerhalb der Europäischen Gemein- Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ge- schaft abläuft, ist kein Ruhmesblatt für die ver- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten antwortlichen Politiker und Beamten, die man Eigen? an sich doch ... zu den vernunftbegabten We- sen rechnen sollte. Müller (Schweinfurt) (SPD): Ja, bitte schön, Herr (Beifall des Abg. Kühbacher) Kollege. Das Zitat stammt nicht von mir, sondern von unse- rem Kollegen Herrn von Heereman. Ich stimme Ih- Eigen (CDU/CSU): Herr Kollege Müller, kann ich nen vollkommen zu: Diese Bewertung trifft den Na- aus Ihrer Feststellung schließen, daß Sie und die gel auf den Kopf. SPD eine Quotenkürzung ohne Entschädigung der (Beifall bei der SPD) Landwirte wollen? Ich kann mich dieser Bewertung wirklich von gan- zem Herzen anschließen und kann nur sagen, Herr Müller (Schweinfurt) (SPD): Herr Kollege Eigen, Minister Kiechle: Tun Sie endlich etwas! Geben Sie wir haben Ihnen ganz deutlich gesagt: Helfen wird den Landwirten wieder eine Zukunftschance! Eröff- nur eine realistische Quotenkürzung und ein ent- nen Sie ihnen Zukunftsperspektiven, dann werden sprechender Ausgleich für die Landwirte, die schon Sie uns auch auf Ihrer Seite haben. Wir sind jeder- x-mal von dieser Regierung getäuscht worden sind. zeit bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, damit Das darf ein zweites Mal nicht passieren. Deswegen ein Ausgleich. es den Landwirten endlich wieder bessergeht und damit sie wissen, was ihnen die Zukunft bringt. (Beifall bei der SPD) Herzlichen Dank. Auch der Rahmenplan zur Gemeinschaftsauf- gabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Kü- (Beifall bei der SPD) stenschutzes" sagt nichts über die zukünftige Aus- richtung der Agrarstrukturpolitik. Fehlanzeige z. B. zu der Forderung der SPD, die sich in diesem Punkt Präsident Dr. Jenninger: Meine Damen und Her- mit den Bundesländern einig ist, daß Fragen des ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich Umweltschutzes — wie z. B. Erhaltung der Alpenre- schließe die Aussprache. gion und Biotopschutz — in die Gemeinschaftsauf- Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst gabe aufzunehmen seien. Aber Sie sind ja nicht über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜ- dafür. Deswegen kann diese Ihre Politik unsere Un- NEN. Ich rufe diese Änderungsanträge nach der terstützung nicht finden. Reihenfolge der Drucksachennummern zur Abstim- Die Bundesregierung muß endlich etwas unter- mung auf. nehmen. Sie muß national und auf EG-Ebene ihre Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- abwartende, passive Haltung aufgeben. Struktur- sache 10/6483? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — und marktpolitische Reformen sind notwendig, Der Antrag ist abgelehnt. sonst führt die Krise der Agrarpolitik in Kürze in die Katastrophe. Die Landwirte sehen das. Also Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- handeln Sie endlich! sache 10/6484? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt. Ein „Weiter so" auch in der Agrarpolitik, wie in Ihrem Wahlslogan angekündigt, wäre für viele land- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- wirtschaftliche Betriebe das Todesurteil. sache 10/6485? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — (Beifall bei der SPD) Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Es ist schade, daß der Kollege Dregger heute Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- nicht hier ist. Als er gestern selbstbeweihräu- sache 10/6567? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — chernde Sätze über Ihre Agrarpolitik — auch zur Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Lage und den Zukunftschancen der Landwirte — Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 10 ab. Wer gesagt hat, habe ich mich gefragt, wann der Kollege dem Einzelplan 10 — Geschäftsbereich des Bundes- Dregger wohl das letzte Mal mit Landwirten ge- ministers für Ernährung, Landwirtschaft und sprochen hat. Letztes Jahr kann das nicht gewesen Forsten — in der Ausschußfassung zuzustimmen sein, auch nicht vor zwei Jahren. Ich habe eher den wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge- Eindruck, das muß 1982 gewesen sein. Da hatten genprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist wir aber noch einen anderen Agrarminister, der we- angenommen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19505

Präsident Dr. Jenninger Ich rufe auf: ein echtes Reorganisationsverfahren mit Beteili- Einzelplan 07 gung der Mobiliarkredite geben, um Betriebe und Arbeitsplätze retten zu können? Oder wird der so- Geschäftsbereich des Bundesministers der ziale Gedanke aus dem Insolvenzrecht verbannt? Justiz Ebenso unklar ist, was aus dem Kündigungs- — Drucksachen 10/6307, 10/6331 — schutz und dem Schutz vor unberechtigten Mieter- Berichterstatter: höhungen im Mietrecht in der nächsten Legislatur- Abgeordnete Frau Zutt periode werden soll. Hier hatte Ihr Parlamentari- von Hammerstein scher Staatssekretär auf einer Verbandstagung ge- Suhr plaudert oder aber die Katze aus dem Sack gelas- Einzelplan 19 sen, und Sie, Herr Minister, haben in der dann fol- genden Aktuellen Stunde nur halb und halb demen- Bundesverfassungsgericht tiert. Die Mieter werden sich bedanken. — Drucksachen 10/6317, 10/6331 — Im Oktober haben CDU/CSU und FDP noch Berichterstatter: rasch eine Initiative zum Auslieferungsrecht ergrif- Abgeordnete von Hammerstein fen, um eine Lehre aus dem Freitod von Altun zu Waltemathe ziehen. Wir erinnern uns: Dieser türkische Staats- Dr. Müller (Bremen) angehörige sprang in Berlin aus dem Fenster, ob- Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine wohl er rechtskräftig Asyl erhalten hatte, weil er verbundene Beratung der Einzelpläne 07 und 19 so- glaubte, an seine Häscher in der Türkei dennoch wie ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Frak- ausgeliefert zu werden. Aber wiederum haben der tion vereinbart worden. Sind Sie damit einverstan- Bundesminister der Justiz und die Bundesregie- den? — Ich höre keinen Widerspruch. rung nur halbherzig gehandelt und überdies erst Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr dann, nachdem seit zwei Jahren ein entsprechender Abgeordneter de With. Gesetzentwurf der SPD im Rechtsausschuß unbe- handelt blieb. (Ströbele [GRÜNE]: Und ein Gesetzent- Dr. de With (SPD): Herr Präsident! Meine sehr wurf der GRÜNEN!) verehrten Damen und Herren! Sie haben, Herr Mi- nister Engelhard, bei der ersten Lesung des Haus- — Das stimmt. halts am 11. September ausgeführt: Es wäre allerdings längst an der Zeit gewesen, In der Tat, ich werde diese Bilanz, meine Da- gesetzlich festzulegen, daß niemand ausgeliefert men und Herren, natürlich nicht vorlegen; sie werden darf, dem rechtskräftig Asyl gewährt wur- ist so gewaltig und erfolgreich, daß dies schon de. einige Zeit in Anspruch nehmen würde. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Ein bißchen vollmundig, gemessen an der Wirklich- Ebenso gedrückt hat sich die Koalition, auch die keit. Vergewaltigung in der Ehe zu bestrafen. Unseren Die Novellierung des Internationalen Privat- Gesetzentwurf hierzu haben Sie trotz eines positi- rechts, das Bilanzrichtliniengesetz, die Anpassung ven Anhörungsverfahrens immerzu vor sich herge- des Urheberrechts, das Zweite Gesetz zur Bekämp- schoben. Zur Vertuschung Ihrer mangelnden Ent- fung der Wirtschaftskriminalität, die vom Bundes- scheidungsfreude oder aber Ihrer altväterlichen verfassungsgericht verlangten Änderungen des Denkweise versuchen Sie, diese frauenfeindliche Versorgungsausgleichs, das sind gewiß Gesetze, die Untätigkeit durch eine schöne Entschließung zu in dieser Legislaturperiode verabschiedet wurden. vernebeln. Was sagt dazu eigentlich Frau Ministe- Nur: Hier gab es Entwürfe oder Vorarbeiten Ihrer rin Süssmuth? — Schweigen im Walde. sozialdemokratischen Vorgänger. (Mann [GRÜNE]: Die hat die Entschlie- Für das Opferschutzgesetz, auf das wir mit Recht ßung mit entworfen!) stolz sind, und für die Verbesserung der Strafaus- Die SPD-Bundestagsfraktion hatte eine Große setzung zur Bewährung — sie hätte etwas progres- Anfrage zur Geschäftsbelastung der Justiz einge- siver ausfallen können — gab es solche Vorarbeiten bracht. Die Bundesregierung hat darauf zugegebe- nicht. Dafür waren wir, die SPD-Bundestagsfrak- nermaßen umfänglich geantwortet. Zu Konsequen- tion, mit Gesetzesentwürfen vorangegangen. zen hat dies allerdings nicht geführt, und zwar trotz Das Gesetz zur Entlastung des Bundesverfas- stetig steigender Einläufe bei unseren Gerichten. sungsgerichts und die Kostennovelle tragen wir ge- Es wäre lobenswert gewesen, hätten Sie wenigstens meinsam, haben wir gemeinsam beschlossen. Ansätze einer Strukturreform erkennen lassen. Hierzu sage ich: gute Beispiele für gute Zusammen- Denn eines ist sicher: Die immer länger werdende arbeit. Verfahrensdauer vor unseren Gerichten, insbeson- dere vor den Finanzgerichten, ist weder für den Was aber ist auf der Strecke geblieben? Die Ver- Bürger noch für das Rechtsbewußtsein noch für un- waltungsprozeßordnung z. B., die die öffentlich- rechtlichen Verfahrensgesetze bündeln und den seren sozialen Rechtsstaat erträglich. Prozeßgang beschleunigen soll. Zum Insolvenzrecht (Zustimmung bei der SPD — Zustimmung gab es noch nicht einmal einen Diskussionsentwurf des Abg Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/- Ihres Hauses. Wird es nun — das ist die Frage — CSU]) 19506 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Dr. de With Die SPD-Bundestagsfraktion hatte eine Große Erst voll, dann halb und dann nicht, so könnte Anfrage zur Reform des Vormundschafts- und man sagen — und das alles innerhalb von nur drei Pflegschaftsrechts an die Bundesregierung gerich- Wochen. Für die FDP ist das ein einziges Trauer- tet. Die Bundesregierung hat — auch das begrüßen spiel. wir — Richtungen in ihrer Antwort erkennen las- - sen. Wann allerdings diese Reform kommt, steht Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ge- dahin. Es ist ein untragbarer Zustand, daß mit der statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten noch heute gültigen Totalentmündigung viele Men- Mann? schen, insbesondere ältere, rechtlich und politisch mundtot gemacht werden können, was in praxi ih- Dr. de With (SPD): Die Verantwortlichen haben ren bürgerlichen Tod bedeutet. ihren justizpolitischen Kredit verspielt, bei den Ko- Die Richter weichen deshalb Gott sei Dank in alitionspartnern ihre Zuverlässigkeit eingebüßt und hohem Maße auf die flexiblere Pflegschaft aus. Um bei der Bevölkerung die Glaubwürdigkeit verloren. so dringlicher wäre eine baldige Reform. Mit Sallust frage ich deswegen den Herrn Bundes- minister der Justiz: quousque tandem? Wie lange Was gab es denn sonst noch an Gewaltigem und wollen Sie das noch treiben? Erfolgreichem? (Zuruf der SPD) (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Haus türgeschäfte!) — Sie sagen es, überdeutlich. Da wurde das Demonstrationsstrafrecht geändert, Herr Abgeordneter Mann, nachdem die Bundesregierung für ihre Vorlage Präsident Dr. Jenninger: bitte Ihre Zwischenfrage. durch das Anhörungsverfahren einen Verriß ohne- gleichen erlitten hat. Mann (GRÜNE): Herr Kollege Dr. de With, ist es (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Nein, richtig, daß die Koalition bis vor einer Stunde ge- nein!) braucht hat, um sich im Rechtsausschuß verbind- Da gab es die Änderung bei den Beleidigungsde- lich zu der Frage der weiteren Behandlung des likten, um die Auschwitz-Lüge fassen zu können. Kronzeugengesetzgebungsverfahrens, des soge- Vorhergegangen war ein wirklich würdeloses Hick- nannten Antiterrorgesetzes, zu äußern? hack in den Reihen der Koalition unter dem Ein- druck ihrer Stahlhelmfraktion, zum Nachteil aller Dr. de With (SPD): Es ist in der Tat so, entspricht Gutwilligen. aber der üblichen Sprachweise der Koalition: erst (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Wer wird der Presse Mitteilung gemacht, und dann, und ist das eigentlich? Diese Fraktion würde dann, und dann kommt das Parlament. ich gern kennenlernen!) (Zuruf von der SPD: Ein merkwürdiger Mi- nister!) — Das hat Herr Vogel schon aus der Zeitung vorge- lesen. Sie müßten es am besten wissen. Obwohl es nun eine Kronzeugenregelung nicht mehr geben wird, jagen die Koalitionsfraktionen (Hornung [CDU/CSU]: Glauben Sie das dennoch die beiden restlichen Artikel ihrer Vorlage noch, was Herr Vogel vorliest?) mit Hilfe von Sondersitzungen durch den Rechts- Da gab es die Vorschriften über die Schleppnetz - ausschuß. Der Rechtsausschuß mußte seine Sitzung fahndung, heftig zusammengeschustert durch das jetzt unterbrechen, damit wir hier reden können, im Parlament gepeitscht. Eine durchgängige Anpas- Grunde genommen unwürdig, nachdem die Eilbe- sung der Strafprozeßordnung zur zweckgerichteten dürftigkeit für Ihre Vorlage durch Entfernen der Benutzung von EDV-Anlagen bei der Fahndung, Kronzeugenregelung weggefallen ist. Die Union und zwar unter Berücksichtigung des Volkszäh- will offenbar noch immer ihren Mangel an Fahn- lungsurteils des Bundesverfassungsgerichts, fehlt dungserfolgen durch hektische Betriebsamkeit in aber bis heute. Nicht einmal die Rasterfahndung der Gesetzgebung überdecken. Gefragt ist eine bes- haben Sie gesetzlich geregelt. sere Koordinierung bei der Fahndung, eine stär- kere Mobilisierung bei der Öffentlichkeitsarbeit Und da gab es die Kronzeugenregelung der Ko- und die Aufnahme des Dialogs mit dem Umfeld. Die alitionsfraktionen. Am 6. November — das soll noch Brüder des ermordeten Ministerialdirektors von einmal in Erinnerung gerufen werden — haben Sie, Braunmühl haben hier ein exzellentes Beispiel ge- Herr Minister, in der ersten Lesung erklärt: geben, das wir würdigen sollten. Die Bundesregierung steht voll hinter diesem (Beifall bei der SPD) Entwurf. Ich bekenne mich als Bundesminister der Justiz ausdrücklich dazu. Nein, statt dessen wird der Rechtsausschuß in spa- nische Schnürstiefel gezwängt und legislatorische Auf dem Parteitag der FDP haben Sie sich Pres- Tatkraft zur Schau gestellt. Hier kann man nur semeldungen zufolge der Stimme enthalten, als es Hamlet zitieren: „Ist dies schon Tollheit, hat es doch darum ging, Ihre Kronzeugenregelung abzulehnen. Methode!" Nachdem Franz Josef Strauß alles oder nichts (Marschewski [CDU/CSU]: Sehr erfolg- will, hat die Bundesregierung ihre Kronzeugenrege- reich ist das, Herr Kollege! — Dr. Stark lung fallengelassen, schlicht und einfach fallenge- [Nürtingen] [CDU/CSU]: Ihr habt immer lassen, ohne Ersatz. nur geredet! Wir handeln!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19507

Dr. de With Wir lehnen den Justizhaushalt deshalb ab. Dem Auch in anderen Bereichen haben wir personelle Haushalt des Bundesverfassungsgerichts stimmen Verstärkungen vorgenommen und die notwendigen wir selbstverständlich zu. Ausgaben veranschlagt. Hier möchte ich insbeson- (Beifall bei der SPD) dere den Bundesfinanzhof, das Deutsche Patentamt und die Vorbereitung der Errichtung eines Interna-- tionalen Seegerichtshofes in Hamburg erwähnen. Das Wort hat der Abge- Präsident Dr. Jenninger: Der Bundesfinanzhof ist — besonders seit 1980 — ordnete von Hammerstein. so stark belastet, daß die Rechtspflege zu leiden droht. Die Zahl der Eingänge steigt steil an. Herr von Hammerstein (CDU/CSU): Herr Präsident! Dr. de With, wir haben vor kurzem einen neuen Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Senat im Bundesfinanzgericht eingerichtet, und Dr. de With, so ist eben die große gute Koalition, daß trotzdem wachsen die Rückstände. sie auch eine gute Zusammenarbeit mit der SPD (Dr. de With [SPD]: Es reicht nicht!) erwähnt. Ich bedanke mich, daß Sie dieses erwähnt haben. Zum Finanzgericht werde ich gleich etwas — Ja, warten Sie ab! sagen. Die Lage spitzt sich weiter zu, denn die Zahl der Zur Presse, Herr Dr. de With: Diese Koalition bei den Finanzgerichten der Länder anhängigen informiert Sie sehr schnell über Mitteilungen und Rechtsstreite erhöht sich von Jahr zu Jahr. In Zu- Presse, das müssen Sie auch akzeptieren. kunft ist deshalb mit einer weiteren Zunahme der (Dr. de With [SPD]: Ich habe gestern ge Zahl der Revisionsverfahren zu rechnen. Dem muß fragt, mir wurde keine Antwort zuteil! Erst der Bundesfinanzhof gewachsen sein, und deshalb, heute kam die Antwort!) Herr Dr. de With, haben wir für den Haushalt 1987 entsprechende Voraussetzungen geschaffen. Wir — Sie sehen: Sie werden immer sehr schnell infor- werden nämlich einen kompletten neuen Senat, den miert, sonst hätten Sie es jetzt noch nicht gewußt. 10. Senat, einrichten, Bevor ich mich der Rechtspolitik der Bundesre- (Beifall bei der CDU/CSU -- Dr. de With gierung zuwende, möchte ich einige Erklärungen [SPD]: Das haben wir beantragt!) zum Haushalt des Bundesministers der Justiz ma- chen. Die Bundesjustiz selbst ist ein wichtiger Teil und dabei sind auch die Hilfskräfte und die sächli- unseres Rechtsstaats, denn unseren Gerichten und chen Verwaltungsausgaben mit eingeplant. Behörden obliegt die Rechtspflege in Gesetzgebung, (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Wir sehen, Rechtsprechung und Verwaltung. Sie sind lernfähig!) (Dr. Emmerlich [SPD]: Donnerwetter! Das — Das wissen Sie doch, lieber Herr Müller! Das hat noch keiner gewußt!) sind wir grundsätzlich. — Sehen Sie: So gut informieren wir Sie. — Der (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Leider nicht Anteil der Ausgaben am Gesamthaushalt des Bun- immer!) des ist sehr gering. Das liegt allerdings daran, daß der Justizhaushalt ein Verwaltungshaushalt ist und Als Berichterstatter habe ich diesem 10. Senat zu- daß immerhin 55% des Gesamthaushaltes durch gestimmt, habe allerdings auch klar und deutlich Gebühreneinnahmen gedeckt werden. 90 % der Aus- zum Ausdruck gebracht, daß sich jeder Richter am gaben sind Personalkosten und unmittelbar davon Bundesfinanzhof in Zukunft genau überlegen muß, abhängige Verwaltungsausgaben. wie viele Aufsätze in Fachzeitschriften und wie Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren in viele Bücher er veröffentlicht. der CDU/CSU-Arbeitsgruppe, waren aufgefordert, Es ist zu hoffen und zu wünschen, daß nun die jeden Einzelplan nicht zu stark finanziell anzuhe- Dauer der Verfahren abgekürzt wird und die Rück- ben. Wir haben den Justizhaushalt sparsam Bernes- stände abgebaut werden, denn der Bürger hat ein sen, aber die Belange der Justiz genauestens be- Anrecht darauf, daß seine Gerichtsverfahren pünkt- dacht. lich erledigt werden. (Zuruf von der SPD) (Zustimmung bei der CDU/CSU — Strö- — Doch, Herr Kollege, wir kommen sehr gut zu- bele [GRÜNE]: Das stimmt! — Mann recht. — Der Sicherheitslage wurde Rechnung ge- [GRÜNE]: Da stimmen wir ausdrücklich tragen. So sind auch dem Generalbundesanwalt die zu!) nötigen finanziellen Mittel bewilligt worden. Bei — Ich sehe, das wird sogar von den GRÜNEN ak- den immer häufiger werdenden grausamen Terror- zeptiert werden. anschlägen ist es die Aufgabe jedes einzelnen Poli- tikers, auch der GRÜNEN, dafür Sorge zu tragen, Ich möchte mich nun dem Deutschen Patentamt daß unser Generalbundesanwalt sowohl finanziell zuwenden. Es ist nach wie vor eines der größten als auch personell hervorragend ausgestattet wird. und leistungsfähigsten Patentämter der Welt, und das soll auch so bleiben. Wir sind so international, (Ströbele [GRÜNE]: Damit bin ich nicht daß wir aus unserem Deutschen Patentamt sogar einverstanden!) zwei Beamte nach China geschickt haben, die dort — Das glaube ich, denn Sie haben gerade sogar das chinesische Patentamt mit einrichten. Wir ha- dafür plädiert, das Amt für Verfassungsschutz ab- ben im Haushalt 1987 neue Planstellen bewilligt, zuschaffen. und wir haben insbesondere dafür gesorgt, daß eine 19508 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 von Hammerstein elektronische Patentdatenbank eingerichtet wird, Ich möchte aus dem Bereich der Rechtspflege ein die für die Industrie und für die sonstige interes- weiteres Gesetz ansprechen, das Gesetz zur Erhö- sierte Öffentlichkeit wahnsinnig wichtig ist. Man hung der Sachverständigenvergütungen, der Zeu- kann sich damit direkt per Telefon über das techni- genentschädigung und der Anwaltsgebühren, die sche Wissen informieren lassen. Ich bin der Auffas- sogenannte Kosten-Novelle. Die Anpassung der sung, wir sollten uns dieser Technik nicht verschlie- Entschädigungen für Zeugen, Sachverständige und ßen. ehrenamtliche Richter war überfällig. (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) Ein anderes Vorhaben der Bundesregierung ist Seit 1977, also fast zehn Jahre, ist keine Gebühren- jetzt hervorzuheben: Hamburg soll Sitz des Inter- erhöhung mehr vorgenommen worden. nationalen Seegerichtshofes werden. Wir unterstüt- (Dr. Emmerlich [SPD]: Darauf mußten wir zen das nachdrücklich und sagen unsere Hilfe zu. die Bundesregierung erst hinweisen! Das Der Bundesminister der Justiz hat die Vorbereitun- war ihr selbst entgangen! Nur auf unseren gen der Errichtung des Internationalen Seege- Antrag ist das zustande gekommen!) richtshofes übernommen. Es ist sein Ziel, daß sofort — Auf Ihren Antrag. Aber da nun wir in der Koali- mit dem Bau begonnen werden kann, wenn die wei- tion die Mehrheit stellen, gehe ich davon aus, daß tere Entwicklung der mit dem Übereinkommen wir das durchgebracht haben. zum Seerecht zusammenhängenden Fragen dies er- fordert. Ich hoffe, Herr Minister, daß wir Erfolg ha- (Dr. Emmerlich [SPD]: Das ist anerken- ben, denn es gibt ja auch in den europäischen Part- nenswert!) nerländern große Städte bzw. Hauptstädte, die — Danke schön. ebenfalls daran interessiert sind, Sitz des Seege- Besonders begrüße ich die Verdoppelung der Ent- richtshofes zu werden. schädigungssätze für Hausfrauen, einen weiteren Lassen Sie mich nun noch einige Bemerkungen kleinen Schritt auf dem Weg zu einer gerechteren zur Rechtspolitik der Bundesregierung machen. Einschätzung der Arbeit von Hausfrauen. Auch dieses letzte Jahr der Legislaturperiode war (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Und wie ist es ein erfolgreiches Jahr der Rechtspolitik. Zahlreiche mit dem Einheitswert bei den Landwir- wichtige und notwendige Gesetze wurden verab- ten?) schiedet. Ich will hier nicht alle aufzählen, sondern möchte mich auf wenige beschränken. — Darauf komme ich noch. Für mich als Mittelständler war es ebenfalls sehr Am 7. November dieses Jahres hat der Deutsche notwendig, maßvolle Erhöhungen der Anwaltsge- Bundestag das erste Gesetz zur Verbesserung der bühren vorzunehmen. Das jetzt verabschiedete Ge- Stellung des Verletzten im Strafverfahren beschlos- setz hat die Gebühren der wirtschaftlichen Ent- sen. Damit ist eines der zentralen Vorhaben der wicklung angepaßt. Bundesregierung verwirklicht worden. Wir begrü- ßen nachdrücklich, daß die Opfer von Straftaten in Für die nächste Legislaturperiode wollen wir eine Zukunft nicht mehr weitgehend hilf- und schutzlos Strukturreform der Kostengesetze. — im Schatten des geltenden Rechts stehen, sondern Leider ist meine Zeit abgelaufen. sich ihre Stellung im Strafverfahren entscheidend Wir, die CDU/CSU, stimmen dem Haushalt des verbessert. Ich denke dabei an die Umgestaltung Bundesministers der Justiz zu. der Nebenklage und vor allem an den besseren Schutz der Privat- und Intimsphäre des Verletzten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Den Opfern wird das Recht eingeräumt, Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich generell zu bean- Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abge- standen. Bei der Erörterung höchstpersönlicher An- ordnete Mann. gelegenheiten kann in größerem Umfange als bis- her die Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung ausgeschlossen werden. Das Spießrutenlaufen ver- Mann (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kollegin- gewaltigter Frauen war eines Rechtsstaates unwür- nen und Kollegen! Wir stimmen dem Haushalt des dig; Bundesministers der Justiz mit seinem bescheide- nen Anteil von 0,15 % am Gesamthaushalt nicht zu. (Zustimmung bei der CDU/CSU und der Ich denke, daß im Rechtsausschuß, insbesondere in FDP) der Sitzung vom 24. September 1986, zu diesem es muß endlich der Vergangenheit angehören. Mit Haushalt ausreichend Stellung genommen worden dem Gesetz haben wir ein wichtiges Ziel erreicht. ist. Deshalb möchte ich mich heute noch einmal Selbstverständlich werden wir über weitere grundsätzlich mit der Rechtspolitik der sogenann- Schritte strafrechtlicher Opferhilfe, etwa über eine ten liberal-konservativen Bundesregierung ausein- noch stärkere Berücksichtigung des Wiedergutma- andersetzen. chungsgedankens, nachdenken. (Marschewski [CDU/CSU]: Der „sogenann- Es wurde höchste Zeit, daß den Hinterbliebenen ten" ist richtig!) der grausamen Terroristenmorde schnellstens ge- Mein bei der letztjährigen Haushaltsdebatte am holfen werden kann. Ich bin der Auffassung, daß 28. November 1985 erhobener Vorwurf, die Bundes- das das Wichtigste in dieser Legislaturperiode in regierung sei ein Sicherheitsrisiko für den freiheit- diesem Bereich war. lichen und demokratischen Rechtsstaat, ist durch Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19509

Mann die Ereignisse der vergangenen zwölf Monate über- schen Mitwirkungsrechte der Opposition über alle zeugend bestätigt worden. An dieser Stelle will ich Einwände hinweg. Die Forderung nach einer ernst- nur die Stichworte Überwachungsgesetze, Asyl- haften Auseinandersetzung mit den Ursachen des recht und das sogenannte Antiterrorgesetz nen- Terrorismus wischen Sie mit machtbewußter Mehr- nen. heitsgeste vom Tisch. Kohl, Bangemann, Engelhard und Zimmermann als Hüter des Rechtsstaates — (Zuruf des Abg. Marschewski [CDU/CSU]) wer denkt da nicht an Biedermann und die Brand- Die Bilanz der Rechtspolitik der Wende-Regie- stifter? rung vier Jahre nach dieser Wende ist düster, Herr Marschewski. Von einem Glanzstück kann fürwahr (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Und nicht die Rede sein. Grundsätze, von denen sich der wie wollen Sie Terroristen bekämpfen?) Bundesjustizminister oder gar die Bundesregierung Das von diesen Herren für das gemeine Volk so leiten ließen, sind, Machterhalt und Koalitionsrai- gern bemühte Rechtsbewußtsein vermag ich bei Ih- son ausgenommen, schwerlich erkennbar. Flick- nen — leider sitzt nur der Bundesjustizminister auf Skandal, der gescheiterte Amnestieversuch im Hin- der Regierungsbank — nicht festzustellen. blick auf die Parteispendenverfahren, die Änderung (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: DIE der Verwaltungsgerichtsordnung mit der Abschaf- GRÜNEN wollen alle Terroristengesetze fung der ersten Tatsacheninstanz bei den Verwal- abschaffen!) tungsgerichten als erstes Sondergesetz für den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, die Recht als Mittel zum Machterhalt — das ist zuge- Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts, die spitzt die Devise Ihrer Rechtspolitik. Recht als Einbringung der sogenannten Sicherheitsgesetze Schutz des Schwächeren und Mittel zum Erhalt mit der am 28. Februar 1986 beschlossenen Einfüh- oder gar zur Erweiterung bürgerlicher Freiheit ist rung des maschinenlesbaren Personalausweises dieser Regierung im Grunde fremd. einschließlich der Schleppnetzfahndung und nun (Beifall bei den GRÜNEN) heute im Rechtsausschuß als krönender Abschluß, wenn auch ohne Kronzeugenregelung, ein soge- Die Verketzerung unserer Gesetzesinitiative für ein nanntes Antiterrorgesetz bilden eine wahrhaft ex- allgemeines Einsichtsrecht in Umweltakten durch plosive und für die Grundlagen unserer Rechtsord- den Kollegen Regenspurger von der CSU vor zwei nung brandgefährliche Mischung. Wochen ist dafür ein überzeugender Beleg. (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Stark Da ich Ihnen hinsichtlich der Dimensionen dieser [Nürtingen] [CDU/CSU]: Für Gewalttäter Entwicklung vom freiheitlichen Rechtsstaat zum brandgefährlich!) obrigkeitlichen Sicherheitsstaat nicht böse Absich- ten unterstellen will, empfehle ich Ihnen zur Lek- Bereinigt von der Kronzeugenregelung ist die türe nachdrücklich das Referat, welches der Hanno- Zielrichtung Ihrer angeblichen Terrorismusbe- veraner Staatsrechtler Professor Hans-Peter in den gestrigen und heutigen Gesetzes- kämpfung Schneider auf dem republikanischen Anwältinnen- beratungen im Ausschuß noch einmal überdeutlich und Anwältetag in Berlin zum Thema „Von der Bür- geworden. Die Antiatombewegung soll mit einem gerfreiheit zur Sicherheitsversorgung" gehalten juristischen Flächenbombardement in die terrori- hat; auszugsweise in der „Frankfurter Rundschau" stische Ecke getrieben werden. vom 8. November veröffentlicht. Schneider führt (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Stark überzeugend aus, daß ein Staat der Freiheit des [Nürtingen] [CDU/CSU]: Absoluter Unsinn ganzen Volkes — ich zitiere — ist das!) letztlich jedoch nur von einer demokratischen Herr Dr. Stark, mit der Erweiterung der Vorschrif- Gesellschaft hervorgebracht werden, ten über die terroristische Vereinigung sollen die — kann — RAF, militante Anarchisten sowie die diffuse Szene von autonomen und spontanen Chaoten, wie die die nicht der totalen Überwachung und staatli- „Süddeutsche Zeitung" heute die Kniebeuge der chen Kontrolle unterliegt. Denn die Selbstver- FDP gegen den Unfallvorwurf treffend kommen- wirklichung des einzelnen erfordert unabding- tiert, in einen Topf geworfen werden. bar Freiräume, die einzig durch Mitbestim- mung und mehr Bürgerbeteiligung nicht nur Generalbundesanwalt und Bundeskriminalamt an der politischen Willensbildung, sondern in werden angesichts der Ausuferung ihrer Zustän- allen sozialen Lebensbereichen, namentlich im zu Bundessonderbehörden, die mit föde- digkeiten Produktionsprozeß, erkämpft werden können ralen Grundsätzen und der Justizhoheit der Länder und müssen. unvereinbar sind. Es handelt sich hier um ein weite- res Sondergesetz zur Durchsetzung des Atompro- Soweit Schneider. gramms und insbesondere der Wiederaufarbei- (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Bis hin tungsanlage in Wackersdorf. zu Gewalttaten!) (Beifall bei den GRÜNEN) Wir GRÜNE setzen Ihrem obrigkeitlichen Staats- In einem für Ihre rechtspolitische Gesetzge- verständnis und Ihrer Fixierung auf Sicherheit un- bungsarbeit typischen, die kritische öffentliche sere Alternativen für mehr Demokratie entgegen Auseinandersetzung scheuenden Eilverfahren, set- wie z. B. unsere Gesetzesinitiativen zur Einführung zen Sie sich unter Mißachtung der parlamentari- eines Umweltgrundrechtes, der Verbandsklage für 19510 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Mann Natur- und Umweltschutzverbände sowie das er- krieges zu relativieren versucht. Dieses Gesetz, der wähnte allgemeine Akteneinsichtsrecht, Besuch Bundeskanzler Kohls mit Reagan auf dem (Marschewski [CDU/CSU]: Und § 175 mit Soldatenfriedhof in Bitburg 40 Jahre nach Kriegs- Kindern!) ende, die jüngste Beleidigung des sowjetischen Par- teichefs Gorbatschow durch den Goebbels-Ver- nicht nur für den Umweltbereich, sondern für den gleich des Bundeskanzlers sind nicht zufällig. Das gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung. beweist die Rede des Kollegen Dregger zum Volks- Dazu gehören aber auch die Forderung nach einer trauertag. Der Bundeskanzler, von sich selbst mit Stärkung des Petitionsrechtes als eines Grundrech- der Gnade der späten Geburt ausgestattet, Schulter tes der Bürgerinitiativen sowie — und jetzt hören an Schulter mit und Franz Josef Sie einmal gut zu — als zentrale Herausforderung Strauß bei dem Bemühen, den äußersten rechten für die gegenwärtige Parteiendemokratie der Bon- Rand des politischen Spektrums abzudecken: Dazu ner Republik die Forderung nach Bürgerbegehren paßt die Diskussion um die Aushöhlung des im und Bürgerentscheiden auf allen politischen Ebe- Grundgesetz verbürgten Grundrechts auf politi- nen. sches Asyl in den Sommermonaten zum Zwecke Für Sie, meine Damen und Herren von der Koali- des bayerischen Wahlkampfs. tion, ist Ruhe immer noch die erste Bürgerpflicht. Ganz auf dieser Linie liegt die Behandlung der Sie verwechseln inneren Frieden, Rechtsfrieden grünen Wiedergutmachungsinitiativen und die Be- mit Friedhofsruhe. handlung unseres Antrags zur Nichtigerklärung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nach- (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Und wuchses in der letzten ordentlichen Sitzung des Sie mit Gewalttaten!) Rechtsausschusses. Mit dem Beschluß zur Einho- Politische Spannungen, Kontroversen, Macht- lung eines rechtshistorischen Gutachtens, Herr kämpfe, auch demonstrativer Druck, Wider- Kollege Seesing, ob und, wenn ja, inwieweit das spruch und das Recht auf Opposition bilden ge- Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses radezu die Lebensluft des demokratischen Ge- Ausdruck und Ausfluß von nationalsozialistischem meinwesens. Freiheit, auch politische Freiheit, Gedankengut war, versuchen Sie sich um die ge- birgt immer individuelle Risiken, vor denen es schichtliche Verantwortung der Deutschen für die keine absolute Sicherheit gibt. Opfer nationalsozialistischer Gewalt- und Willkür- Soweit noch einmal Schneider. herrschaft herumzudrücken. (Beifall des Abg. Ströbele [GRÜNE]) Wir GRÜNE nehmen den Bürgerwillen — nicht nur wie Sie in Sonntagsreden vom mündigen Bür- Wir GRÜNE werden auch im 11. Deutschen Bun- ger — tatsächlich ernst. Sie hingegen malen bei- destag die konkrete Verantwortung für die deut- spielsweise gegenüber den Hunderttausenden schen NS-Juristen zum Prüfstein für die Demokra- friedlich protestierender Demonstranten der Frie- tiefähigkeit aller im Bundestag vertretenen Par- densbewegung oder der Antiatombewegung das teien machen. Schreckensbild der Straße, Vielen Dank. (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Siehe (Beifall bei den GRÜNEN) Hanau!) die ohne Legitimation Druck auf Parteien und Poli- Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat Herr Abge- tiker ausübe. Das ist im Kern vordemokratisches ordneter Beckmann. obrigkeitsstaatliches Denken. Eine Wurzel dieses Denkens liegt in der Verdrän- Beckmann (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- gung der Perversion des Rechts unter der national- ehrten Damen und Herren! Herr Kollege de With, sozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. De- ich weiß gar nicht, warum Sie sich hier über das mokratische Rechtspolitik setzt voraus, daß wir die zügige Gesetzgebungsverfahren so aufregen, das Ursachen der Zerstörung der Rechtsordnung im wir zur Zeit bei den Antiterrorgesetzen handha- Dritten Reich verarbeiten. Die Wiedergutmachung ben. des vor allem auch von schrecklichen Juristen im (Dr. Emmerlich [SPD]: Das ist ja das Namen des Rechts — ich erinnere an Herrn Globke Schlimme, daß Sie das nicht wissen!) und Herrn Filbinger — zu verantwortenden millio- Ich erinnere Sie daran, daß die sozialliberale Koali- nenfachen Unrechts der nationalsozialistischen Ge- tion Ende der 70er Jahre beim Kontaktsperrege- walt- und Willkürherrschaft ist eine grundlegende setz rechtspolitische Aufgabe. (Ströbele [GRÜNE]: Genau!) Auch hier haben Sie versagt. Ich erinnere an mit ähnlicher Durchsetzungskraft aus Notwendig- das unwürdige Tauziehen innerhalb der Koalition keit heraus hinsichtlich der Behandlung der sogenannten Ausschwitz-Lüge. In widerlicher Aufrechnungs- (Mann [GRÜNE]: Schlimm genug! Viel- mentalität — das zu der Frage nach der Stahlhelm- leicht sollten wir daraus lernen!) Fraktion — haben Sie, Herr Erhard, wie es der Vor- dieses Gesetz durchs Parlament gebracht hat, wo- sitzende des Richterbundes ausgedrückt hat, die Er- bei ich allerdings anmerken möchte, daß Sie seiner- mordung von sechs Millionen Juden mit der Ver- zeit dagegen waren, demjenigen, der der Kontakt- treibung der Deutschen am Ende des Zweiten Welt- sperre unterlag, einen Rechtsbeistand beizustellen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19511

Beckmann Diesen Rechtsbeistand haben wir erst in dieser Le- Ich vermag eine Antwort darauf nicht zu geben. Ich gislaturperiode mit der Koalition der Mitte durch- kann nur Vermutungen anstellen. setzen können. Das verstehen wir unter liberaler (Dr. Emmerlich [SPD]: Bei diesem Justiz- Rechtsstaatspolitik. minister ist das klar!) - Ein Grund, so vermute ich, ist darin zu sehen, daß unsere Bürger, unsere Wähler rechtsstaatliche Re- Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ge- gelungen manchmal als etwas Unverständliches, et- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten was Unbedeutendes ansehen. Es müßte daher un- de With? sere Aufgabe als Parlament sein, dem Bürger bes- ser als bisher zu verdeutlichen, welche Ziele die Rechtspolitik eigentlich verfolgt, vor allem deutlich Beckmann (FDP): Nein, im Augenblick nicht. Vie- zu machen, welche konkreten Auswirkungen un- len Dank. sere Arbeit auf den einzelnen Bürger hat. (Dr. Emmerlich [SPD]: Sehr fair! Sehr libe (Dr. Emmerlich [SPD]: Dann gehen Sie mal ral! Jemanden anmachen und dann die Ge mit gutem Beispiel voran!) genfrage nicht zulassen! Das ist sehr libe Aber was tut die Opposition, Herr Kollege Emmer- ral!) lich, statt dessen? Sie debattieren auf Nebenschau- Ich möchte dem Kollegen Mann zu seinen, wie plätzen und verlieren sich in Nichtigkeiten. Das ist ich meine, sehr eindrucksvollen Ausführungen ein jedenfalls der Eindruck, der in der Öffentlichkeit Wort zuwenden. Verehrter Herr Kollege Mann, of- von der Rechtspolitik der SPD und denjenigen, die fensichtlich befinden Sie sich in einem grundsätzli- sie betreiben, entsteht. chen Irrtum über das, was liberale Rechtsstaatspo- (Zurufe von der SPD) litik ist. Für uns Liberale ist der liberale Rechts- staat kein schwacher Staat, sondern ein Staat, der Ich verstehe, daß die Opposition darauf bedacht kraftvoll für die Durchsetzung und Einhaltung der sein muß, die Unterschiede zur Politik der Koali- Rechte der Bürger eintritt. Das ist unsere Grund- tionsregierung darzustellen, daß sie Standpunkte überzeugung. beziehen und auch Kritik üben muß; aber ich ver- stehe nicht, warum die SPD nicht so ehrlich ist, (Beifall bei der FDP) zuzugeben, daß zumindest, was den Bereich der Aber Sie, Ihre Fraktion und die GRÜNEN insge- Rechtspolitik anbetrifft, ein großes Maß an Über- samt, wollen den schwachen Rechtsstaat. Ich einstimmung zwischen Opposition und Regie- möchte einmal an das erinnern, was wir zu Beginn rungsmehrheit besteht, daß ein großer Teil der Ge- der Legislaturperiode von der Sprecherin der grü- setzesvorhaben in diesem Bereich mit Zustimmung nen Fraktion in diesem Hause über die Durchset- der Opposition bzw. mit Zustimmung der SPD — zung Ihrer politischen Ideen in einer Demokratie, das ist zur Zeit ein feiner Unterschied — in einem Rechtsstaat unserer Prägung gehört ha- (Ströbele [GRÜNE]: Genau! — Zurufe von ben. Ihre Sprecherin hat damals gesagt: der SPD) Wir GRÜNEN, wir sind keine Partei, wir sind erarbeitet und verabschiedet werden konnte. Sie eine Bewegung. Wenn wir uns mit unseren sollten ruhig einmal zugeben, Herr Kollege de With Ideen nicht hier im Parlament durchsetzen — das fände ich gut —, daß so wichtige Gesetzes- können, dann gehen wir auf die Straße. vorhaben wie das Bilanzrichtliniengesetz Das ist Ihr Verständnis von Parlamentarismus und (Dr. Emmerlich [SPD]: Das stammt doch von Demokratie. aus unserer Zeit!) (Ströbele [GRÜNE]: Das ist das Verständ und das Opferschutzgesetz von Ihnen mit verhan- nis des Grundgesetzes! Gucken Sie einmal delt und in ganz wesentlichen Teilen mitgetragen ins Grundgesetz! Da steht etwas von wurden. Sie sollten einmal Ihren Wählern sagen, Demonstrationsrecht und Versammlungs daß diese Scheingefechte um das Demonstrations- recht!) strafrecht und den sogenannten Kronzeugen nur Auch das müssen die Bürger draußen einmal wis- Vorwand sind, um die offensichtlich bestehenden sen. Übereinstimmungen zu vernebeln. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Mann [GRÜNE]: Aha, „Scheingefechte"! Werden Sie mal konkreter!) Meine Damen und Herren, es geht nun auf das Ende der Legislaturperiode zu, aber leider auch, wie Sie sollten einmal klarmachen, daß die Parlaments- wir in diesen Tagen oft gehört haben, auf den Höhe- mehrheit nicht nur ihre eigenen Vorstellungen punkt des Wahlkampfes. Bilanzen werden gezogen, durchgesetzt hat, sondern sehr wohl auch auf die Vorsätze für eine neue Legislaturperiode formu- Vorschläge und Anregungen der SPD bei den Ge- liert. Es fällt dabei auf, daß der Bereich der Rechts- setzesvorhaben eingegangen ist und sie mit berück- politik in den Darstellungen eigentlich aller Par- sichtigt hat. teien immer nur einen relativ geringen Raum ein- (Dr. Emmerlich [SPD]: Grundrechtsein- nimmt. Man fragt sich natürlich, warum das so ist. schränkungen sind für Sie Nebensächlich- (Mann [GRÜNE]: Da haben Sie recht!) keiten, das ist der Unterschied!) 19512 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Beckmann Ich erinnere Sie daran, daß neben den bereits Zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und genannten Gesetzen eine Vielzahl anderer Gesetze Herren, noch ein Wort zu der bereits vielfach ange- ebenso in wesentlichen Punkten von Ihnen mitge- sprochenen sogenannten Kronzeugenregelung. tragen wurden. Das geht vom Internationalen Pri- (Dr. de With [SPD]: Die heißt so nach Ih-- vatrecht über das Urheberrecht bis zum Ge- rem Entwurf!) schmacks- und Gebrauchsmustergesetz, vom Ge- setz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Ich meine, wir sollten auch hier einmal ehrlich sein. über das Strafverfahrensänderungsgesetz bis hin Die Aufregung, über die von den Koalitionsfraktio- zu den erst kürzlich verabschiedeten Kostengeset- nen diskutierte Regelung, auch den Mörder bei ent- zen, um nur einige Beispiele zu nennen. sprechendem Verhalten straffrei zu stellen, hat ge- rade bei der SPD eine Welle der Empörung ausge- Aber ich will Ihnen das natürlich nicht vorhalten. löst; unter Wahlkampf- und Opportunitätsgesichts- Ihre Wähler verlangen vielleicht von Ihnen die Aus- punkten durchaus verständlich; von der Warte ei- einandersetzung mit der Regierung, sie wünschen nes ernsthaften Politikers aus gesehen, dagegen aber sicherlich von Ihnen keine Polemik. Schade ist völlig unverständlich, manche sagen auch: heuchle- eigentlich nur, daß dieses Stück Parlamentsalltag risch. Das aus zwei Gründen: im tagespolitischen Geplänkel so vollständig unter- geht. Auch darauf sollte einmal hingewiesen wer- Zum einen dürfte mittlerweile jedem halbwegs den, wenn es darum geht, Bilanz zu ziehen. interessierten Bürger klar sein, daß der erste An- stoß zur Einführung der sogenannten Kronzeugen- Ich meine, unsere Bilanz kann sich durchaus se- regelung ein Gesetzentwurf des Landes Nordrhein- hen lassen. Wir können mit Stolz sagen, daß wir in Westfalen aus dem Jahre 1975 war, den der Bundes- den vergangenen vier Jahren etwas bewegt haben. rat mit der Zustimmung auch der damals SPD- Wir haben für den Bürger und seine Rechte etwas regierten Länder dem Bundestag zugeleitet hat. mehr Platz geschaffen. (Helmrich [CDU/CSU]: So ist es!) (Dr. Emmerlich [SPD]: Beispiel Schlepp netzfahndung, maschinenlesbarer Perso Das kann man alles in den betreffenden Protokol- nalausweis!) len nachlesen, und jedem, der es immer noch nicht wahrhaben will, kann man es gerne darlegen und Wir haben angefangen, das Recht zu entrümpeln beweisen. und zu modernisieren. Zudem haben auch die Rechtspolitiker bewiesen, daß sie noch fähig sind, Zum zweiten: Seit wann — so muß man doch selbständig zu handeln und entgegen den Vorgaben ernsthaft fragen — ist es eigentlich verwerflich, der Exekutive eigene Vorstellungen zu verwirkli- eine Regelung in den Bundestag einzubringen, chen. Dies ist insbesondere am Beispiel der Bera- diese zu diskutieren, eine Anhörung durchzuführen tungen zum Bilanzrichtliniengesetz deutlich gewor- und dann daraus seine Erkenntnise für die weitere den. Die Beratungen zu diesem Gesetz waren da- Behandlung dieses Vorhabens zu ziehen? Seit wann durch gekennzeichnet, wollen Sie, meine Damen und Herren von der Oppo- sition, das Parlament und sich selbst zu einer rei- (Dr. Emmerlich [SPD]: Der Entwurf nen Abstimmungsmaschine degradieren lassen? stammt aus sozialliberaler Zeit!) Das Gegenteil haben Sie doch soeben in Ihren Aus- daß wir uns bemüht haben, den Vorschlägen der führungen dargelegt. Denn es würde ja nichts ande- Exekutive eigene, zum teil völlig neue Konzeptio- res bedeuten, als daß man nur noch einen Gesetz- nen entgegenzustellen. Das ist sicherlich für den entwurf für die Behandlung im Parlament als legi- einzelnen mit der Materie beschäftigten Politiker tim ansehen würde, der bereits in allen Einzelhei- befriedigend, bedeutet aber einen Arbeitsaufwand, ten abgestimmt und vorbehandelt ist. Damit wür- der nicht bei jedem Gesetzesvorhaben möglich und den Sie sich selbst ad absurdum führen. Das doch praktikabel ist. Für mich ist das jedoch ein Beispiel wohl nicht. Es muß doch erlaubt sein, ohne daß man aktiver und vor allem effektiver Parlamentsreform, gleich als Demokratieschänder oder als Rechtsbeu- das Schule machen sollte. ger beschimpft, ja, nach meinem Empfinden gera- dezu beleidigt wird, die Probleme zu diskutieren Wir Rechtspolitiker, meine Damen und Herren, und neue Erkenntnisse zu gewinnen. mußten in den vergangenen vier Jahren überhaupt feststellen, daß der Unterschied zwischen der (Beifall bei der FDP — Dr. Emmerlich Rechtspolitik und anderen Bereichen darin besteht, [SPD]: Sprechen Sie jetzt von der Amne- daß die einen ihre Vorhaben in der Zeitung, die stie?) Rechtspolitik ihre im Bundesgesetzblatt wiederfin- Ich kann aus Ihrem Vorhaben nur den Schluß zie- den. Das kennzeichnet nach unserer Auffassung hen, meine Damen und Herren von der SPD, daß ganz entschieden die Arbeit des Rechtsausschusses. Sie, wenn Sie einen Entwurf eingebracht haben, Daß dies nicht ohne aktive Unterstützung und nicht auch stur bis ans Ende an ihm festhalten wollen. ohne das besondere Engagement des Bundesjustiz- Diese Aussicht beruhigt mich allerdings sehr. So ministers Hans Engelhard und seiner Beamten wird man Ihnen aber, glaube ich, diesen Gefallen möglich gewesen ist, ist selbstverständlich. Ihnen nicht tun: Sie werden nicht in die Verantwortung gilt daher heute unser aller Dank und die Zusiche- befördert. rung, daß wir uns auch in Zukunft für Ihre Belange Wir jedenfalls, meine Damen und Herren, sind und Vorhaben einsetzen werden. mit der Bilanz der Rechtspolitik dieser Legislatur- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) periode zufrieden und werden auch in den nächsten Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19513

Beckmann Jahren Kurs halten. Den Haushalten des Bundes- heiten sicherlich nicht immer sehr einfachen Bera- ministers der Justiz und des Bundesverfassungsge- tung noch hat passieren lassen. richts werden wir daher gerne zustimmen. (Mann [GRÜNE]: Was ist mit dem Antiter- Vielen Dank. rorgesetz, Herr Bundesjustizminister? Das - (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ist noch viel später eingebracht worden!) Dafür möchte ich ausdrücklich meinen Dank sa- gen. Ich erteile dem Herrn Präsident Dr. Jenninger: Wenn ich über den Rechtsausschuß und seine Bundesminister der Justiz das Wort. viele Arbeit spreche, dann kann ich sagen: Die Bun- desregierung und im Gefolge das Parlament, wir Bundesminister der Justiz: Herr Präsi- haben gemeinsam unsere Arbeit getan. Und wenn Engelhard, man dann auf jene vier Jahre zurückblickt, dann dent! Meine Damen und Herren! Bei der zweiten Lesung des Einzelplans 07 danke ich zunächst ein- wird man unter dem Strich feststellen können: Es mal sehr herzlich dem Haushaltsausschuß des reichen die fünf Finger einer Hand aus, um das auf- Deutschen Bundestages, voran den zuständigen Be- zuzählen, was vorgelegt worden ist, aber in dieser richterstattern, Frau Kollegin Zutt, Herrn Kollegen Legislaturperiode nicht im Bundesgesetzblatt sei- von Hammerstein und Herrn Abgeordneten Suhr. nen Platz finden wird. Das ist dann beispielsweise Wir sind auch in diesem Jahr bei unserem dem ein Vorhaben, zu dem vor jetzt genau 30 Jahren die Umfange nach sehr kleinen Haushalt mit unseren FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag den ersten Wünschen gut bedient worden, und ich will dies Anstoß gab, die Verwaltungsprozeßordnung, um für drei verschiedene Gerichtsbarkeiten eine einheitli- ausdrücklich hervorheben. che Verfahrensordnung zu schaffen. 30 Jahre ist (von Hammerstein [CDU/CSU]: Sehr gut!) dies nicht gelungen. Und auch diesmal hat es sich Dankenswerterweise hat Herr Kollege von Ham- nicht realisiert. Aber alles übrige — von diesen merstein Gelegenheit genommen, hier in der Aus- etwa fünf Vorhaben einmal abgesehen — ist ver- sprache bereits einige der zentralen Vorhaben, die wirklicht worden; diese Arbeit haben wir geleistet. auch etwas mehr Geld kosten, hervorzuheben. Da Und jetzt fällt mir folgendes auf: Die SPD tut sich steht an der Spitze das Deutsche Patentamt, in der Oppositionsrolle, so wie sie sie versteht, zu- (von Hammerstein [CDU/CSU]: So ist es!) nehmend schwerer. Es ist j a einmal ganz interes- sant, Protokolle, noch nicht vergilbtes Papier nach- das ja auch von unseren Einnahmen her an der zulesen. Da wurde zunächst einmal bei Haushalts- Spitze steht und es mit sich bringt — wie ich eigent- beratungen gesagt: Der Minister taugt nichts, diese lich gerne in jedem Jahr wiederholen möchte —, Regierung tut nichts. daß von dem, was wir ausgeben, etwa drei Fünftel auch von uns eingespielt wird. Mit jetzt 205 Millio- (Zuruf von der SPD: Richtig!) nen DM jährlich an Gebühren steht das Deutsche Dann wurde gesagt: Ja, wenn sie etwas tut, dann tut Patentamt dabei an der Spitze. Der Aufbau einer sie das Falsche. Patentdatenbank und eine Reihe anderer notwen- dig gewordener Einrichtungen bringen höhere Aus- (Beifall des Abg. Dr. Emmerlich [SPD]) gaben, Und jetzt, wo nicht abzustreiten ist, daß rund 30 (von Hammerstein [CDU/CSU]: Aber auch Vorhaben — zu einem erheblichen Teil mit Ihren Einnahmen!) Stimmen — verabschiedet worden sind, überlegt man sich, was man jetzt sagen kann. Da haben wir und bringen es mit sich, daß hier, wenn auch in sehr heute von Herrn Kollegen de With gehört: Das liegt bescheidenem Ausmaß, prozentual der Justizetat zum ganz erheblichen Teil daran, daß so gute Vor- diesmal etwas expandiert ist. arbeiten von mir vorgefunden wurden, man nur ab- Ich möchte aber zum zweiten die Gelegenheit zuschreiben brauchte; was ist es dann für ein nehmen, jetzt zum Ende der Legislaturperiode sehr Kunststück, etwas zustande zu bringen? Ich sage herzlich den Mitgliedern des Rechtsausschusses Ihnen: Ich finde die Entwicklung ja gar nicht meinen Dank zu sagen. Es ist ja bekannt, daß der schlecht, daß auch der Ton moderater geworden ist. Rechtsausschuß zu Ende jeder Legislaturperiode, Denn im November 1984 hat Herr Kollege Dr. Em- weil er in so vielen Fragen auch mitberatend tätig merlich in einem auch speziell auf meine Person ist, jenes Nadelöhr ist, durch das ein Gesetzentwurf zielenden rechtspolitischen Rundumschlag — ähnlich wie jenes biblische Kamel — sehr (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Der kann schwer hindurchzukommen pflegt. nicht anders!) (Heiterkeit) alles und alles schlechtgeheißen. Da ist es dann schon das Problem, den Rechtsaus- schuß und seine Mitglieder dafür zu gewinnen, mit (Frau Hürland [CDU/CSU]: Das ist aber äußerster Intensität und Anspannung an der Arbeit nicht ernst zu nehmen!) zu bleiben. Immer wieder geschieht dies, und dafür Im Jahr darauf, im November 1985, stand hier — möchte ich sehr herzlich danken, auch dafür, daß wie könnte es bei einer Dame anders sein — Frau man im Durchblick der Dinge die Akzente richtig Kollegin Zutt und hat es — neben sehr interessan- setzt und etwa den Gesetzentwurf zum Opferschutz, ten haushaltspolitischen Bemerkungen — ganz of- obwohl relativ spät vorgelegt, in einer in den Einzel fensichtlich schwer gehabt darzulegen, warum man 19514 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Bundesminister Engelhard diesen Haushalt ablehne. Und heute kommt Herr recht vorzulegen war für diese Legislaturperiode Kollege de With — eigentlich freue ich mich dar- nie beabsichtigt und nie angekündigt. über — und versucht — na, wie sagt man? —, die (Zuruf des Abg. Dr. de With [SPD]) Kurve zu kratzen. Weil es so schwerfällt, zur Ableh- nung zu kommen, — Nein. Hier bedarf es gewissenhafter Arbeit. - (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Er hat Da Sie mich in diesem Zusammenhang als „von es elegant gemacht! — von Hammerstein altväterlicher Denkweise" beschrieben haben, [CDU/CSU]: Er hat ja zugestimmt!) (Dr. de With [SPD]: Nicht in diesem Zusam- muß man sich halt manches, was so überzeugend menhang! Zum Beispiel Vergewaltigung in nicht klingt, noch einfallen lassen. der Ehe!) sage ich Ihnen eines: Ich lege in allen Bereichen Ich will in der Kürze der Zeit auf einiges von dem, Wert darauf, zunächst das, was wir an Zahlenmate- was Sie gesagt haben, eingehen. Bei einem Parla- rial und rechtstatsächlichem Wissen haben, sehr, mentarischen Abend vor wenigen Wochen ist von sehr sorgfältig zu prüfen einem namhaften Verbandspräsidenten bekundet worden, diese 10. Legislaturperiode sei im Bereich (Dr. de With [SPD]: Sie sind im falschen des gewerblichen Rechtschutzes die erfolgreichste Bereich!) gewesen: und dann mit behutsamen, vorsichtigen, aber, wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Richtung stimmt, sehr festen Schritten voranzu- schreiten, um die Vorhaben zu realisieren. Das ist Novellierung des Urheberrechts, Gesetzentwurf sicher besser als dieses Herumgehupfe, diese zum UWG, aber dann ganz speziell die Änderung Schnellschüsse, auf Grund von Tageseinfällen des Geschmacksmuster- und des Gebrauchsmuster- rechts. Da sind nicht nur die Patentanwälte gut (Zuruf von der SPD) bedient, die sich selbstverständlich freuen. Hier ist Gedankensplitter zu einem Gesetzentwurf zusam- für die Innovationskraft in unserem Lande bis hin menzupressen, daß draußen darüber berichtet wird, zu einem deutlichen Zeichen, daß wir zu Berlin ste- man den vordergründigen Beifall bekommt, aber hen schließlich erschrocken davon Abstand nehmen (von Hammerstein [CDU/CSU]: So ist es! muß. 20 neue Arbeitsplätze!) (Dr. Emmerlich [SPD]: Kronzeuge!) und nicht nur neue Arbeitsplätze schaffen, sondern Berlin nicht vergessen und hier einen wichtigen Akzent setzen, viel getan worden, was, ausstrahlend Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, in die wirtschaftliche Kraft unseres Landes, vieles sind Sie bereit, Zwischenfragen des Abgeordneten und Gutes bewirken wird. Mann und des Abgeordneten de With zuzulassen? Sie sagten, Herr Kollege de With: Die Entla- stungsgesetze haben sich nicht realisiert. Dies ist Engelhard, Bundesminister der Justiz: Ich bedau- nicht richtig. Wir haben voran dem dringenden Übel re. Ich sehe, daß es von der Zeit her schwierig ist. abgeholfen, daß das Bundesverfassungsgericht in Ich bitte um Verständnis. Gefahr war, von wesentlichen zentralen Entschei- dungen abgehalten zu werden, überflutet von der (Mann [GRÜNE]: Das wird nicht angerech- Vielzahl der Verfassungsbeschwerden. net!) (Mann [GRÜNE]: Die Eingänge waren Ich bitte jetzt um Verständnis, schon rückläufig! — Gegenruf des Abg. (Bindig [SPD]: Als Regierungsmitglied dür- Dr. Emmerlich [SPD]: Etwas!) fen Sie hier reden, wann Sie wollen!) Hier haben wir etwas getan. weil ich in der Notwendigkeit bin, mich eine ganz kurze Zeit Ihnen, Herr Mann, zuzuwenden. (Dr. de With [SPD]: Das haben wir gemein sam getan! Das habe ich erwähnt!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Bindig [SPD]: Sie dürfen! Das haben wir sorgfältig Auch das Strafverfahrens-Änderungsgesetz wird geprüft!) Wirklichkeit werden. Wir haben als Bundesregie- rung alles rechtzeitig vorgelegt. Wenn man im Be- Herr Mann, Sie haben hier eine Reihe von Äuße- reich der Zivilprozeßnovelle unter dem Drang der rungen getan, die erschrecken müssen, weil ich Sie Geschäfte im Rechtsausschuß zum Ende jetzt nicht bisher nicht in diesem Umfang als voll in die chaoti- mehr ganz zurechtkommt, so kann das in der näch- sche Denkweise Ihrer Fraktion eingebunden ange- sten Legislaturperiode sehr schnell nachgeholt wer- sehen habe. den. (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist karrie- (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Da reschädigend, was Sie da sagen!) müssen wir ja auch noch etwas tun!) Wenn Sie antreten, um dieser Bundesregierung Ich sage mit aller Deutlichkeit, weil wieder der zu sagen, sie sei ein Sicherheitsrisiko für den Versuch unternommen wird, hier nicht ganz redlich Rechtsstaat, zu argumentieren: Einen Entwurf zum Insolvenz- (Mann [GRÜNE]: So ist es!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19515

Bundesminister Engelhard wenn Sie den Versuch machen, hier die Behaup- Das ist repräsentative Demokratie, die den Bürger tung aufzustellen, dieser Bundesregierung gehe es in seinem Entscheidungsbereich reicher und ein- darum, flußreicher macht. (Mann [GRÜNE]: Mit heißer Nadel Gesetze (Mann [GRÜNE]: Wo bleibt denn der Ge- durchzupeitschen!) setzentwurf?) - Über all dies können wir reden. gutwillige, aber in politischer Opposition in diesem Lande stehende Bürger in die terroristische Ecke (Mann [GRÜNE]: Gut! Sehr gut!) zu drücken, Nur: Es bleibt der Kernsatz — und damit kehre ich zurück —, daß, was in dieser Debatte und auch bei (Rusche [GRÜNE]: Recht hat er!) der Debatte um den Kanzleretat ja klar zum Aus- dann frage ich Sie, wo Sie überhaupt leben, druck gekommen ist, Ihre Partei der GRÜNEN bis zum heutigen Tag ein klares Verhältnis zur Ge- (Mann [GRÜNE]: Sie kommen doch auch walt, aus Bayern, Herr Minister!) (Mann [GRÜNE]: Das ist unglaublich! — wo Sie Ihre Existenz führen. Denn ich sage Ihnen Rusche [GRÜNE]: Wir haben das klarste ganz klar: Wir wissen, daß wir die Freiheit in die- Verhältnis überhaupt!) sem Lande nach dem Gedanken und Wortlaut unse- eine deutliche Distanzierung, wo dies notwendig ist, rer Verfassung zu garantieren haben, eine glasklare Abgrenzung nicht gefunden hat. (Rusche [GRÜNE]: Nach Ihrer Interpreta (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — tion!) Abg. Mann [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) daß aber Teil dieser Freiheit auch ist, der Gewalttat, in welcher Form und wo immer sie auftritt, zu weh- ren. Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter Mann, der Herr Bundesminister hat keine Zwischenfrage (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — zugelassen. Senfft [GRÜNE]: Dann sollten Sie erst mal (Mann [GRÜNE]: Er hat mich jetzt persön- ein Tempolimit einführen, wenn Sie das so lich angesprochen, sehr lange!) ernst nehmen!) Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwi- Wenn Sie zwischen einer kritischen Haltung, zwi- schenfrage? schen einer oppositionellen Haltung, vielleicht einer unbedachten Haltung und kriminellem Tun nicht Bundesminister der Justiz: Bitte. mehr den klaren, aber den ganz klaren Trennungs- Engelhard, strich zu ziehen wissen: Wir wissen es, und wir wer- den danach handeln. Präsident Dr. Jenninger: Bitte sehr, Herr Abgeord- neter Mann. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Senfft [GRÜNE]: Sie verwischen Sachschä den und Mord! Sie verharmlosen Mord!) Mann (GRÜNE): Herr Minister, Sie selbst wissen, wie schwierig es ist, in dieser knappen Zeit von Wir halten auch am Gedanken der repräsentati- zehn Minuten konsequent Gedanken auszuformu- ven Demokratie fest, Herr Mann, so wie sie in unse- lieren. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß rer Verfassung verankert ist. Deswegen lehnen wir ich bei der ersten Lesung des gestern und heute im es auch nach den Erfahrungen unserer Vergangen- Rechtsausschuß behandelten sogenannten Anti- heit in der Weimarer Republik ab, auf allen Ebenen. terrorgesetzes zu der von Ihnen aufgeworfenen wie Sie fordern, den Bürgerentscheid an die Stelle Frage unter Hinweis auf das glasklare Parteipro- der Gesetzgebung der Parlamente zu setzen. gramm der GRÜNEN hinsichtlich des Grundsatzes der Gewaltfreiheit (Mann [GRÜNE]: In Ergänzung, Herr Mi nister!) (Widerspruch bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD) — Legen Sie ein Konzept vor, dann werden wir uns für unsere Fraktion sehr eindeutig Stellung genom- klar mit diesen Dingen auseinanderzusetzen ha- men habe? ben.

(Mann [GRÜNE]: Lesen Sie einmal die Engelhard, Bundesminister der Justiz: Ich habe FDP-Parteitagsbeschlüsse!) Ihre Ausführungen, Herr Mann, im Ausschuß nicht Ich wende mich dagegen, daß Sie hier den Ver- gehört. such unternehmen, der Bevölkerung zu erklären, (Mann [GRÜNE]: Bei der ersten Lesung!) sie würde von anderen für dumm gehalten. Gerade Es sollte mich freuen, wenn von Ihnen, aber auch wir, die Liberalen, sind es, die etwa ein Wahlrecht von allen anderen Mitgliedern Ihrer Fraktion und wünschen, das dem einzelnen über die Wahl einer allenthalben draußen im Lande von den Mitglie- Partei hinaus die Auswahl auch einer Person ge- dern der Partei der GRÜNEN eine klare Haltung zu stattet. diesen Fragen bezogen würde. (Zustimmung des Abg. Mann [GRÜNE]) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 19516 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Präsident Dr. Jenninger: Meine Damen und Her- sehr verehrten Damen und Herren von der Koali- ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich tion, einmal analysieren. Dabei stellen wir fest, daß schließe die Aussprache. viele Entscheidungen in diesem Bereich nicht auf Wir kommen zur Abstimmung über die Einzel- Grund der realistischen Bewertung der Notwendig- pläne. keiten, sondern zu stark nach finanzpolitischen Ge-- sichtspunkten getroffen worden sind. Und dabei Wer dem Einzelplan 07 — Geschäftsbereich des stand das Bauministerium sehr häufig hinten an. Bundesministers der Justiz — in der Ausschußfas- sung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Die Konjunkturbelebung in der Bauindustrie Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — läßt nach wie vor zu wünschen übrig. Der Einzelplan ist angenommen. (Zuruf von der SPD: Sehr!) Wer dem Einzelplan 19 — Bundesverfassungsge- Denn mit dem kurzatmigen Strohfeuerprogramm richt — in der Ausschußfassung zuzustimmen zum Wohnungsbau, mit dem Ausstieg aus der direk- wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge- ten Energiespar- und Modernisierungsförderung, genprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist mit der Reduzierung der Mittel für den sozialen bei einigen Enthaltungen angenommen. Wohnungsbau, mit der endlosen Verschleppung der steuerlichen Förderung selbstgenutzten Wohnei- Ich rufe auf: gentums, mit einer kurzfristig aufgestockten, mit- Einzelplan 25 telfristig aber perspektivlosen Städtebauförderung, mit der drastischen Reduzierung der Investitions- Geschäftsbereich des Bundesministers für kraft der Städte und Gemeinden hat diese Bundes- Raumordnung, Bauwesen und Städtebau regierung privaten und öffentlichen Bauinteressen- — Drucksachen 10/6320, 10/6331 — ten, der Bauwirtschaft und den Arbeitnehmern in Berichterstatter: der Bauindustrie schwer geschadet, Herr Kollege. Abgeordnete Echternach (Beifall bei der SPD) Nehm Suhr Dieser Bundesregierung ist es zuzuschreiben, daß trotz eines riesigen Baubedarfs im Städtebau, im Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion Umweltschutz und in der Infrastrukturerneuerung DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6490 und die Bauinvestitionen auf einen absoluten Tiefstand 10/6491 vor. in der Geschichte der Bundesrepublik herabgesun- Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für ken sind. die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe, Sie (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Der Absturz sind damit einverstanden. begann 1980, Herr Kollege!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Selbst die schwache Erholung in diesem Jahr läßt Herr Abgeordnete Meininghaus. schon wieder deutlich nach. Das sagen auch die Wirtschaftsforschungsinstitute, die vorgestern den neuen Ifo-Konjukturtest vorgelegt haben, Herr Kol- Meininghaus (SPD): Herr Präsident! Meine Da- lege. men und Herren! Diese Bundesregierung hat durch Versprechungen und bombastische Ankündigungen Auch in der Raumordnungspolitik ist die Bilanz im Bereich des Ministers für Raumordnung, Bau- eher dürftig. Viele schöne Worte, dazu noch ein wesen und Städtebau in den zurückliegenden vier Haufen bedrucktes Papier. Ich möchte den Raum- Jahren große Erwartungen geweckt. ordnungsminister fragen: Was ist getan worden, um die immer bedrohlichere Kluft zwischen wirt- (Dr. Möller [CDU/CSU]: Und die Verspre schaftsstarken und wirtschaftsschwachen Regi- chungen gehalten, Herr Meininghaus!) onen zu begrenzen? Hier sollte die Konjunktur angekurbelt werden, hier sollten wirksame Raumordnungsmaßnahmen (Schmitt [Wiesbaden] [SPD]: Gar nichts!) eingeleitet werden. — Herr Möller, ich komme dar- Was ist angesichts der katastrophalen Arbeitslosen- auf zu sprechen, inwieweit das, was Sie hier zwi- zahlen in den Krisenregionen getan worden? Was schenbemerken, den Tatsachen entspricht. wurde getan, um dem rapiden Anstieg der Zahl von Minister Dr. Schneider stellte sich als oberster Firmenpleiten, von Zwangsversteigerungen gerade Anwalt der Mieter dar. auch in diesen Regionen ein Ende zu bereiten? Wel- che raumordnerischen Maßnahmen haben Sie er- (Dr. Möller [CDU/CSU]: Ist er auch!) griffen, um den Wettbewerb unter den Bundeslän- Die Wohneigentumsquote sollte in wenigen Jahren dern im Kampf um Arbeitsplätze und Ansiedlungen auf deutlich über 50% angehoben werden, und eine von Großunternehmen zu beeinflussen? Das lief Novellierung des Baurechts durch das Baugesetz- bisher zu Lasten des Steuerzahlers und zum Scha- buch sollte ein Jahrhundertwerk werden. den der strukturschwachen Regionen. (Dr. Möller [CDU/CSU]: Das ist ein Jahr Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor- tausendwerk!) schung in Nürnberg hat die traurige Realität so- Am Ende dieser Legislaturperiode des Deutschen eben noch einmal mit aktuellen Zahlen belegt, die Bundestages ist es daher nicht mehr als recht und ich Ihnen nicht vorenthalten will: Vor vier Jahren billig, wenn wir die Ergebnisse Ihrer Politik, meine betrug der Abstand der Arbeitslosenquoten zwi- Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19517

Meininghaus schen dem reichsten und dem ärmsten Arbeits- Völlig abgehoben von der Realität sind die Be- amtsbezirk in der Bundesrepublik etwa 10%. Inzwi- hauptungen, daß aus dem ehemaligen Vermieter- schen hat sich die Schere ständig weiter geöffnet: markt inzwischen ein Mietermarkt geworden sei, 1983 waren es 14 %, 1984 waren es 16 %, 1985 18%, (Dr. Möller [CDU/CSU]: Das müssen Sie - 1986 sind es 20 %. Das heißt, die reichsten Regionen aber belegen!) sind immer reicher und die armen Regionen sind immer ärmer geworden. als ob der Mieter heute unter einem großen Ange- bot von Wohnungen nur auszuwählen brauche. Die Krisenregionen stecken in einem Teufels- kreis. Viele Bürger sind dauerarbeitslos und haben (Dr. Möller [CDU/CSU]: Die Wohnungen keine beruflichen Zukunftsperspektiven. Nur ein der Neuen Heimat stehen doch leer! — kleiner Teil bekommt ja noch Geld vom Arbeitsamt. Gattermann [FDP]: Bei uns in Dortmund Viele müssen den Gang zum Sozialamt antreten. geht das!) Ein Teil der besser qualifizierten Arbeitnehmer — Ich bezweifle, daß der Minister und vielleicht sucht für sich das Problem durch Abwanderung zu auch Sie, Herr Kollege Gattermann, wenn Sie mir lösen, ohne daß dies allerdings zu einer spürbaren dazwischenrufen, in Dortmund sei das so, in den Entlastung für die jeweilige Region führen kann. letzten vier Jahren einmal Kontakt mit Wohnungs- Die Bundesregierung ist zu einer Gemeinschaftsan- suchenden hatten. strengung zugunsten dieser Krisenregionen bisher nicht bereit gewesen. (Gattermann [FDP]: Hatte ich!) Die Anträge der SPD-Fraktion, nämlich in Ge- Wenn das der Fall sein sollte, müßten Sie nämlich meinden mit besonders hoher Arbeitslosigkeit wissen, daß bezahlbare und preiswerte Wohnungen durch Förderung mit Zuschüssen und Darlehen er- auch heute noch Mangelware sind. forderliche Maßnahmen der Stadterneuerung und (Immer [Altenkirchen] [SPD]: Er hat nur Stadtökologie zusätzlich zu ermöglichen und damit mit Millionären zu tun!) Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen, sind von den Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Ich darf Ihnen weiterhin sagen, daß die Kürzun- gen und Streichungen der Mittel im sozialen Woh- Richtig ist auch, daß einige Jahre zuvor — — Ent- nungsbau und im Mietwohnungsbau für viele Fami- schuldigung, ich habe mich vergriffen. lien katastrophale Folgen haben. Wir werden nicht (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist schon aufhören, darauf hinzuweisen, daß diese Bundesre- fünf Minuten lang so! — Heiterkeit) gierung für die unsozialen Entscheidungen im Woh- — Das ist nicht fünf Minuten lang so. nungsbau verantwortlich ist. Besonders große Anstrengungen hat der Baumi- (Beifall bei der SPD) nister unternommen, um sich als Anwalt und Bleibt die Frage zu klären, wie es die Bundesre- Freund der Mieter darzustellen. Was sind hier die gierung mit dem Mieterschutz hält. Diese Frage Tatsachen? Richtig ist, daß nach mehrfachen Ver- konnte selbst vor einigen Wochen in einer Aktuel- schiebungen und letztlich mit fast zweijähriger Ver- len Stunde des Deutschen Bundestages in diesem spätung das Wohngeld angepaßt worden ist. Richtig Raum nicht geklärt werden. ist auch, daß einige Jahre zuvor den Rentnern und (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Doch, wurde Schwerbehinderten usw. das Wohngeld gekürzt klar beantwortet!) worden ist. (Zuruf von der SPD: Genau!) Da reden beispielsweise die Herren Staatssekretär Erhard, Minister Engelhard, Graf Lambsdorff und Wenn nun mit einer Zahlenakrobatik den Wohn- Minister Schneider in der einen oder der anderen geldempfängern vorgegaukelt wird, daß sie heute Weise über die Notwendigkeit von Flexibilisierung besser dastünden als je zuvor, ist dies Augenwi- beim Kündigungsschutz und vom Änderungsbedarf scherei. beim Kostenmietenprinzip usw. Am nächsten Tag (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy wird von den gleichen Herren erklärt, daß es bei [CDU/CSU]: Nein, das ist die reine Wahr allen Reformüberlegungen nicht darum gehe, den heit!) Mieterschutz in Frage zu stellen. Ich frage aller- dings hier — diese Fragen sind neulich in der Aktu- Man sollte die vier Millionen Mieter, Herr Kollege ellen Stunde offengeblieben —: Was sind Ihre wirk- Dr. Kansy, nicht für dumm verkaufen wollen. lichen Absichten? Soll die Wohnung zukünftig dem (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Eben, das ist freien Spiel des Marktes überlassen bleiben? Wol- Ihr Problem!) len Sie den Wohnungsmarkt freigeben? Dies wäre unverantwortlich, denn eine Funktionsfähigkeit des Alle diese Mieter können rechnen. Sie stellen fest: Wohnungsmarktes hat es bisher zu keiner Zeit und Die Wohnkosten und die Wohnnebenkosten sind in in keinem Land gegeben. Deshalb sorgen Sie end- den letzten Jahren gestiegen. lich dafür, daß eine Mieterpolitik für die Menschen (Gattermann [FDP]: Der Anstieg hat sich gemacht wird und nicht versucht wird, Realitäten halbiert!) durch Theorien zu ersetzen. Viel zu spät erfolgte die Anpassung des Wohngel- (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/- des. Das, was nun als große Wohltat verkauft wird, CSU: Noch eine Beschimpfung und ich rufe war eigentlich längst schon überfällig. ,,Lappas"!) 19518 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Meininghaus Auch die Anhebung der Wohneigentumsquote ums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau über 50 %, meine Damen und Herren, ist Wunsch- entschieden ab. — Ich danke Ihnen. denken geblieben. Dazu hat die Bundesregierung (Beifall bei der SPD — Dr. Möller [CDU/- selber nicht unerheblich beigetragen. Einerseits hat CSU]: Das war die letzte Rede von Herrn die zögerliche Verabschiedung der steuerlichen Meininghaus!) Neuregelung des selbstgenutzten Wohneigentums viele potentielle Bauherren verunsichert. Anderer- seits besteht kein Zweifel daran, daß das neue Ge- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr setz in vielen Fällen zu einer Verschlechterung Abgeordnete Echternach. führt. Den Beziehern mittlerer Einkommen, die beim Hausbau auf besondere Hilfen angewiesen Echternach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sind, wird es ab 1987 noch schwerer als bisher fal- Damen und Herren! Ihre Rede, Herr Kollege Mei- len, ein eigenes Haus zu bauen. Für die meisten ninghaus, war nicht sehr erhellend für die tatsächli- bleibt es unmöglich. Wie soll eine Familie mit mitt- che Lage des Wohnungs- und Städtebaus. lerem Einkommen heute ein Wohneigentum finan- (Dr. Möller [CDU/CSU]: Aber es war seine zieren? Fachleute und Forscher sind einhellig der letzte!) Meinung, daß von dieser Neuregelung des Gesetzes keine nennenswerten Impulse für die Wohneigen- Um so deutlicher war sie für die Lage der Opposi- tumsbildung zu erwarten sind. tion; denn diese Rede von Ihnen, Herr Meininghaus, hat bestätigt, was die Hamburger Wähler bereits Und die Bilanz im Städtebaurecht? Das als Jahr- vor gut zwei Wochen festgestellt haben, nämlich hundertwerk angekündigte Baugesetzbuch ist in daß sich die Opposition immer stärker in ihre ei- Wahrheit ein unausgereifter Schnellschuß gewor- gene Verelendungspropaganda verstrickt, daß sie den. den Blick für die Wirklichkeit verliert und deswe- gen auch die Glaubwürdigkeit beim Bürger einge- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) büßt hat. Trotz aller guten Ratschläge von Wissenschaftlern (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — und Bauexperten haben die Koalitionsfraktionen Zurufe von der SPD) die Novelle durch die parlamentarischen Gremien Herr Kollege Meininghaus, ich frage mich, woher gepeitscht. Sie verwässert den Umweltschutz im Sie den Mut nehmen, sich hier vorne hinzustellen, Städtebau, die unübersehbaren Erfolge und Leistungen der (Dr. Möller [CDU/CSU]: Dann schreiben Bundesregierung im Bereich des Wohnungs- und Sie mal an den Gemeinde- und Städtetag; Städtebaus nicht mit einem Wort zu würdigen und die sagen genau das Gegenteil!) statt dessen die alte Melodie anzustimmen von der Baumisere und vom Mieterelend, wie wir sie schon sie läßt einer planlosen Stadtentwicklung freien vor vier Jahren gehört haben. Damals, vor vier Jah- Lauf. Sie schafft neue bürokratische Tatbestände. ren, zogen Sie und zogen Ihre Trommler durchs Sie schwächt das Mitwirkungsrecht der Bürger. Mit Land, um mit der Mietenlüge den Mietern Angst zu diesem Baugesetzbuch sind die Zukunftsaufgaben machen, ihnen mit Horrorvisionen weiszumachen, des Städtebaus nicht zu bewältigen. Dieses Bauge- daß wir die Mieten um 30 % erhöhen wollten und setzbuch ist nach unserer Auffassung ohne Per- dann jährlich um weitere 10% steigern wollten, daß spektiven und nicht geeignet, einen vernünftigen wir die Mieter für vogelfrei erklären würden. Ausgleich zwischen den Interessen von Planung In diesen vier Jahren hat die Bundesregierung all und Wirtschaft und Bürgern herzustellen. diese Horrormärchen glänzend widerlegt. In diesen vier Jahren haben wir den großen Durchbruch am (Dr. Möller [CDU/CSU]: Warum haben Sie Wohnungsmarkt erzielt. Heute spricht niemand dann neun Zehnteln zugestimmt?) mehr wie noch 1982 von einer neuen Wohnungsnot, — Ich stimme den Fachleuten zu, Herr Dr. Möller, sondern heute haben wir im Gegenteil endlich den die da sagen, das Beste am Baugesetzbuch ist die bundesweit ausgeglichenen Wohnungsmarkt er- Tatsache, daß viele neue Kommentare geschrieben reicht, auf den wir 35 Jahre hingearbeitet haben. werden können. (Dr. Möller [CDU/CSU]: Sehr wohl! — Im- mer [Altenkirchen] [SPD]: Das stimmt (Beifall bei der SPD — Heiterkeit bei den doch überhaupt nicht!) GRÜNEN) Heute haben die Mieter und Eigentümer eine so Zusammenfassend ist nur festzustellen: In den breite Auswahlmöglichkeit am Wohnungsmarkt vier Jahren der hinter uns liegenden Legislaturpe- wie noch niemals zuvor. riode sind die wichtigen gesellschaftlichen Aufga- (Dr. Möller [CDU/CSU]: Sehr richtig!) bengebiete in der Wohnungs- und Städtebaupolitik des Bundes zur Nebensächlichkeit degradiert wor- Heute haben wir tatsächlich — ob Sie es bestreiten den. Meine Damen und Herren, diese Bundesregie- oder nicht — einen Mietermarkt und keinen Ver- rung ist konjunktur- und raumordnungspolitisch mietermarkt mehr. ohne Initiative, in der Mieterpolitik undurchschau- Das zeigt auch die Mietenentwicklung. 1982 hat- bar, in der Wohneigentumspolitik gescheitert und ten wir noch eine Mietensteigerung von über 5%. in der Städtebaupolitik ohne Zukunftsperspektiven. Diese Mietsteigerungsrate ist von Jahr zu Jahr ge- Wir lehnen diesen Haushalt des Bundesministeri- sunken. Sie beträgt heute noch ganze 1,8 %. Im frei- Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19519

Echternach finanzierten Mietwohnungsbau, in dem ja das Miet- rung der steuerlichen Eigentumsförderung zu Be- rechtsänderungsgesetz gilt, haben wir eine Mieten- ginn des nächsten Jahres. steigerung von ganzen 1,6%. Das ist die niedrigste Gerade hier zeigen sich auch die erfreulichen Er- Mietensteigerungsrate, seit es überhaupt eine Mie- folge unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dank tenstatistik in Deutschland gibt. der niedrigen Zinsen, dank der sinkenden Bauland- (Dr. Möller [CDU/CSU]: Bei Schmidt waren preise und der steigenden Einkommen haben im- es 6% Steigerung!) mer mehr Mitbürger — gerade mit mittlerem und kleinerem Einkommen — heute die Chance, ihren Es kommt noch hinzu, daß 1982 die Einkommen sanken, und zwar im Durchschnitt um 2,3%. Heute Wunsch nach den eigenen vier Wänden zu erfüllen. hingegen steigen sie im Durchschnitt um 4 %. Das Deswegen ist es erfreulich, daß im Laufe dieses Jahres die Zahl der Baugenehmigungen für Eigen- bedeutet in der Konsequenz: Zu Ihrer Zeit mußten heime gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vor- die Mieter einen immer größeren Anteil des Ein- jahres um 8% gestiegen ist. kommens für die Mieten aufwenden. Heute sinkt der Mietanteil am Einkommen der Bürger. Hier Einen besonderen Akzent haben wir in dieser Le- zeigt sich einmal mehr: Nichts hilft den Mietern so gislaturperiode bei der Städtebauförderung gesetzt. sehr, nichts schützt sie so sehr wie ein ausreichen- Wir haben sie gesteigert von 220 Millionen DM zu- des Angebot am Wohnungsmarkt, wofür wir gesorgt nächst auf 280 Millionen DM, dann auf 330 Millio- haben. nen DM und haben sie jetzt in diesem Jahr und im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — nächsten Jahr auf 1 Milliarde DM ausgeweitet. Zurufe von der SPD) Trotz der Verfünffachung der Bundesmittel ist die- ses Programm mehr als überzeichnet, und im näch- Nicht weniger wichtig für die Mieter ist die mas- sten Jahr steigen die Anmeldungen sogar noch. sive Anhebung des Wohngeldes. Eine so starke An- Deswegen müssen wir dafür sorgen, daß, wenn jetzt hebung des Wohngeldes wie zu Beginn dieses Jah- auf Wunsch des Ministerpräsidenten, auch Ihres res hat es noch niemals zuvor gegeben: eine Steige- Noch-Kanzlerkandidaten, die Verantwortung auf rungsrate von mehr als 40%. Die Verbesserung für die Länder übergeht, diese wichtige Zukunftsauf- die Mieter durch das Wohngeld ist sogar noch weit gabe Städtebauförderung nicht darunter leidet. großzügiger ausgefallen, als es ursprünglich einmal von den Kosten her geschätzt worden ist. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, si- cherzustellen, daß die Ausgleichsleistungen des Die Kosten für die Novelle waren auf 920 Millionen Bundes für die Städtebauförderung gesetzlich ge- DM geschätzt worden. Sie wird tatsächlich um 400 bunden werden, damit sie nicht durch die Länderfi- Millionen DM teurer. Das heißt, all Ihr Gerede von nanzminister zweckentfremdet werden können. der angeblichen Umverteilung, von der sozialen Kälte, von der neuen Armut wird durch diese so- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ziale Großtat schlagend widerlegt. Die massive Förderung der Städtebauförderungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — mittel, auch die Verbesserung der Rahmenbedin- Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Reine Lyrik, gungen für den Wirtschaftsbau haben zu einer Be- Herr Echternach!) lebung der Bauwirtschaft beigetragen. Sie haben dazu beigetragen, daß die Bauwirtschaft den not- Unsere Wohngeldregelung, Herr Kollege Diede- wendigen Rückgang beim Wohnungsbau verkraftet rich, gilt auch international als vorbildlich. Vor al- hat, daß sie in diesem Jahr wieder wächst und nach lem ist sie sozial treffsicher. Sie ist wesentlich treff- den Voraussagen der Sachverständigen im näch- sicherer als die klassische Objektförderung, und sten Jahr noch stärker wachsen wird, als es der zwar nicht zuletzt deshalb, weil die Objektförde- gesamtwirtschaftlichen Entwicklung entspricht. rung zunächst direkt nur den Vermieter fördert und oft genug — siehe das Beispiel der Neuen Heimat (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Erstmalig seit — beim Mieter gar nicht oder nur unzulänglich an- zehn Jahren!) kommt. Insofern ist die Umsteuerung von der Ob- Insofern, Herr Minister Schneider, haben Sie alle jektförderung auf die Subjektförderung, die wir Veranlassung, mit der Bilanz Ihrer Arbeit in dieser jetzt vornehmen, eine Politik, die wohnungspoli- Legislaturperiode zufrieden zu sein, auf sie stolz zu tisch genauso sinnvoll ist wie sozialpolitisch richtig sein. Denn all die Prognosen der SPD zu Beginn und vernünftig. dieser Legislaturperiode von der angeblichen Ver- (Beifall bei der CDU/CSU) kürzung der Rechte der Mieter, die wir angeblich vogelfrei, zu Freiwild der Vermieter machen wür- Wir haben im Haushaltsausschuß die Weichen den, der Auslieferung der Mieter an die Willkür der dafür gestellt, daß die direkten Förderungsmittel im Vermieter, alle Prognosen sind nicht in Erfüllung sozialen Wohnungsbau auf die Eigentumsförderung gegangen. Im Gegenteil: Wir haben die Stellung der konzentriert werden, nachdem es einen bundeswei- Mieter gestärkt, rechtlich gestärkt und am Woh- ten Fehlbedarf von Mietwohnungen nicht mehr nungsmarkt gestärkt. gibt. Wir wollen gerade sozial schwächeren Mitbür- gern die Chance geben, Wohneigentum zu erwerben Wenn überhaupt irgendwo Mieterrechte verkürzt, und damit unabhängiger gegen die Wechselfälle des wenn irgendwo Mieterinteressen verraten und ver- Lebens zu werden. Dem dient auch die Verbesse- kauft worden sind, dann ausschließlich bei der 19520 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Echternach Neuen Heimat, die doch eigentlich auf die Gemein- Werner (Westerland) (GRÜNE): Frau Präsidentin! wirtschaft verpflichtet ist. Meine Damen und Herren! Zu Beginn die gute (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nachricht: Wir GRÜNEN begrüßen die Erhöhung des Wohngeldes, wie das auch Herr Meininghaus in Jedenfalls ist kein privater Vermieter, die Sie doch seiner Abschiedsrede getan hat. - so gern an den Pranger stellen, jemals so skrupel- los, so menschenverachtend mit Mietern umgegan- (Dr. Möller [CDU/CSU]: Sie läuft aber gen, wie dies die Neue Heimat getan hat. schon seit dem 1. Januar 1986!) (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) — Richtig, und jetzt ist ja weiter erhöht worden. Deshalb kann dieser Skandal nicht ohne Wirkung Nach unserer Meinung ist mit der Änderung im bleiben auf das Recht der Wohnungsgemeinnützig- letzten Jahr wirklich ein präziser wirkendes Instru- keit. ment gegeben als in früheren Jahren, weil regionale Preisunterschiede jetzt besser berücksichtigt wer- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) den. Dabei muß festgestellt werden: Das Fehlverhalten Die Ausweitung des Wohngeldes hat aber nicht der Neuen Heimat und ihrer Manager ist nicht ty- verhindern können, daß die Mieten weiter steigen. pisch für die Wohnungsgemeinnützigkeit. Die 2 000 Das gilt zwar nicht für die oberen Preisklassen — gemeinnützigen Wohnungsunternehmen haben da sind die Mietpreise in der Tat gefallen —, aber nach dem Kriege geholfen, unser Land wieder auf- nach Durchsicht der Mietenspiegel zeigt sich, daß zubauen und die Wohnungsnot zu beseitigen. Das sehr wohl die preiswerteren Wohnungen stetig teu- ist eine Leistung, die anerkannt werden muß. Des- rer werden. Die Erhöhung des Wohngeldansatzes wegen kann der Neue-Heimat-Skandal nicht dazu ist insofern nicht etwa als eine erfolgreiche Woh- führen, die Wohnungsgemeinnützigkeit, die in 100 nungspolitik zu bezeichnen, sondern ist ein Hinter- Jahren gewachsen ist und sich bewährt hat, zu be- herhinken hinter den Realitäten der Wohnungsver- seitigen. sorgung der Bevölkerung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Da sind wir uns ei Das Wichtigste an einem Haushalt ist immer das, nig!) was nicht drinsteht. Mit keinem Wort wird erwähnt, daß der Staat durch die steuerliche Eigentumsför- Aber auf der anderen Seite muß Vorsorge getrof- derung auf etwa 15 Milliarden DM jährlich verzich- fen werden, daß sich ein Skandal wie der der Neuen tet. Dieses Geld wird mit der Gießkanne verteilt. Heimat nicht, noch nicht einmal in Ansätzen wie- Wer viel verdient, bekommt viel davon ab. Was der derholen kann. Deswegen darf es einen solchen gi- Minister in Sonntagsreden an hehren Prinzipien gantischen Wohnungskonzern in dieser Dimension für das Wohngeld feilhält, wird hier ins exakte Ge- nicht mehr geben. Es darf keine gemeinnützigen genteil verkehrt. Das ganze Prinzip der Eigentums- Wohnungsunternehmen mehr geben, die bundes- förderung ist unsozial und ungerecht, weil es vor weit operieren, sondern ihr Tätigkeitsfeld muß allem den fördert, der schon hat. räumlich begrenzt werden und muß einer gemein- samen staatlichen Aufsicht unterliegen. Es kann Aus diesem Grunde haben wir GRÜNEN den An- auch nicht angehen, daß durch interne und externe trag gestellt, die Eigentumsförderung auf die aus- Interessenverfilzungen eine wirksame Kontrolle schließliche Förderung von genossenschaftlichen der Geschäftsführung ausgeschaltet werden kann. und ähnlichen gebundenen Eigentumsformen um- Alle Geschäfte mit Mitgliedern des Vorstandes und zustellen, der Aufsichtsräte müssen der Genehmigungspflicht (Pfeffermann [CDU/CSU]: Also die Neue unterworfen werden, und es muß auch eine bessere Heimat!) Außenkontrolle geben. Die Prüfung auf der einen Seite und die Interessenvertretung der Wohnungs- die sicherstellen, daß mit dem Wohnraum keine unternehmen auf der anderen Seite muß strikt ge- Spekulation mehr möglich ist. trennt werden, und die Prüfer müssen spätestens alle fünf Jahre gewechselt werden. Es darf auch (Sehr gut! bei den GRÜNEN) keine Verbindung von gemeinnütziger und nichtge- Die Bundesregierung hat jedoch erkennbar einen meinnütziger Tätigkeit mehr geben. großen Widerwillen gegen das Wiedererstarken je- (Zustimmung bei der CDU/CSU) der Form von solidarischem, genossenschaftlichem Gedankengut im Wohnbereich, Herr Präsident, abgesehen von diesem Skandal sind die vier Jahre gute Jahre auch für den Woh- (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist nungsbau und den Städtebau, auch für die Mieter falsch!) und Eigenheimer gewesen. Mit diesem Einzelplan stellen wir die Weichen dafür, daß dies auch weiter weil dies absolut im Widerspruch zu ihrer Grund- so bleibt. idee einer brutalen Konkurrenzgesellschaft steht, die sie als soziale Marktwirtschaft bezeichnet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Widerspruch bei der CDU/CSU) Wie sinnvoll unsere Forderung ist, zeigen die Er- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- eignisse um die Neue Heimat. Hier wäre eine gute geordnete Werner (Westerland). Gelegenheit gewesen, neue Wege zu beschreiten. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19521

Werner (Westerland) Mit diesem Haushalt 1987 ist diese Gelegenheit zu- diesen Einzelplan 25, Raumordnung, Bauwesen und nächst einmal vertan. Städtebau, gewesen. (Dr. Möller [CDU/CSU]: Wenn Sie im Aus (Dr. Möller [CDU/CSU]: Dann hätten Sie im Ausschuß Anträge stellen können! — schuß gewesen wären, hätten Sie es bean - tragen können!) Pfeffermann [CDU/CSU]: Wie kann der Anträge stellen, wenn er nicht da ist?) Am 19. März 1986 haben wir GRÜNEN einen An- trag zur Sanierung der Neuen Heimat eingebracht. Aber ich bin da realistisch: Von dieser Koalition Dieser Bundestag war seit der Einbringung dieses sind solche Schritte einfach nicht zu erwarten. Antrages nicht in der Lage, eine Diskussion zu füh- Darum hat meine Fraktion diesen Änderungsan- ren, die sich wirklich sachbezogen und angemessen trag nicht gestellt, der eigentlich unserem NH-Sa- mit dem Problem befaßt, also vor allem mit den Pro- nierungsantrag entsprochen hätte. Diesen Sanie- blemen der betroffenen Mieter. Statt dessen haben rungs-Antrag, den ich schon erwähnte, kennen Sie wir hier viele Male das Schauspiel erlebt, daß der sicher. Dort ist von 1,25 Milliarden DM die Rede, die Herr Lambsdorff — ich hätte beinahe gesagt, von wir als Beitrag des Bundes als Teil der öffentlichen Beruf Graf — freitags vor seinem Gerichtstermin in Hand zur Sanierung der Neuen Heimat vorschla- einer äußerst unglaubwürdigen Weise auf die Ge- gen. Wir haben darauf verzichtet, hier einen Ände- werkschaften eingedroschen hat. Er hat Verhal- rungsantrag mit dieser Summe einzubringen, weil tensweisen gegeißelt, die er ansonsten als markt- uns klar ist, wie es einem solchen Antrag ergangen wirtschaftlich lobt und preist. Zur Rettung der ge- wäre. bundenen Sozialwohnungsbestände haben weder (Dr. Möller [CDU/CSU]: Der würde auch Lambsdorff noch andere Politiker der Koalition abgelehnt werden!) hier irgend etwas beigetragen. Trotzdem haben wir die Hoffnung, daß neue Auch der zuständige Minister Schneider hat sich Mehrheiten zu einer neuen Wohnungspolitik im In- sozusagen an der Geiselnahme der Mieter der teresse der Mieter finden werden, gerade auch der Neuen Heimat beteiligt, denn außer Sprüchen und Mieter der Neuen Heimat, deren Schicksal nach der ständigen Beteuerung „Keine müde Mark für wie vor als ungeklärt zu bezeichnen ist. Wir GRÜ- die Neue Heimat!" kam von ihm nichts. Immerhin, NEN wollen dazu helfen, der Minister hat erst vor wenigen Tagen ein öffent- (Dr. Möller [CDU/CSU]: Unruhe zu stif- liches Bekenntnis zur Erhaltung der Wohnungsge- ten!) meinnützigkeit abgelegt. Es bleibt aber wohl abzu- warten, was es mit diesem Bekenntnis auf sich das Grundbedürfnis Wohnen mehr und mehr als hat. ein Grundrecht zu behandeln. In der heutigen Sitzung des Untersuchungsaus- Vielen Dank. schusses „Neue Heimat" hörten wir von Ihnen, Herr (Beifall bei den GRÜNEN) Minister, Ihr Haus habe noch keine Zeit gehabt, sich gründlich mit dem Gutachten zu befassen, das vor mehr als zwei Jahren Ihr Kollege Stoltenberg Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- zum Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz in Auftrag geordnete Gattermann. gegeben hat. (Gattermann [FDP]: Sehr lesenswert!) Gattermann (FDP): Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Echter- Das Gutachten kommt bekanntlich zu dem Schluß, nach, wenn der Herr Apel und wenn der Herr Vogel die Wohnungsgemeinnützigkeit sei praktisch abzu- wider die ökonomischen Daten reden dürfen, dann schaffen. darf das auch mein Freund Alfred Meininghaus. Herr Minister, für den Fall, daß nach dem 25. Ja- (Müntefering [SPD]: Das wird ihm aber in nuar 1987 das Ministerium noch in seiner jetzigen Dortmund schaden!) Form existiert, und weiter für den Fall, daß es sich wider alles Erwarten noch in den Händen der jetzi- — Nein, das schadet ihm garantiert nicht. gen Koalition befinden sollte, sagen wir GRÜNEN (Dr. Möller [CDU/CSU]: Meininghaus kan- Ihnen unsere Unterstützung gegen den Finanzmini- didiert ja nicht mehr!) ster bei dessen Wunsch nach Abschaffung der Woh- Was soll denn so was? Alfred Meininghaus hat hier nungsgemeinnützigkeit zu. Aber wir würden uns seine Abschiedsrede gehalten. Und niemand hat nicht auf diese Unterstützung beschränken. Wir ihm in aller Form gedankt, GRÜNEN würden weiterhin für eine Politik nach unserem wohnungspolitischen Grundsatz „einmal (Werner [Westerland] [GRÜNE]: Doch!) öffentlich gefördert — dauerhaft sozial gebunden" was heute schon ein paarmal passiert ist. Ich jeden- streiten. falls als Person möchte mich für die hervorragende (Sehr gut! bei den GRÜNEN) Zusammenarbeit auf örtlicher Ebene, im Ausschuß und überhaupt, in der Koalition und in der Opposi- Hier einen Beginn zu machen durch konkrete tion, ausdrücklich bedanken. Hilfe bei der Neue-Heimat-Krise, mit dem Ziel der Bildung von stiftungsartigen Trägerformen, dezen- (Beifall bei allen Fraktionen) tral, überschaubar, für immer der Spekulation ent- Meine Damen und Herren, ich habe von den öko- zogen, wäre eine Aufgabe für diesen Haushalt 1987, nomischen Daten gesprochen. Da ist es nun in der 19522 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Gattermann Tat so, daß bei diesem Aufschwung die Bauwirt- überall in der Republik gleich günstig sind, ist völlig schaft das Schlußlicht gewesen ist. fehlplaziert. Dieser Vorwurf muß an andere Adres- saten gerichtet werden, z. B. auch in meinem eige- (Walther [SPD]: Und noch ist!) nen Heimatland, das uns j a demnächst Es hatte eine ganze Weile so ausgesehen, als würde - (Zuruf von der SPD: Den Kanzler stellt!) es Schwierigkeiten machen, die Bauwirtschaft sozu- sagen als letzten Waggon an den Konjunkturzug einen Kanzlerkandidaten vorführt. anzukoppeln. Aber, meine Damen und Herren, der (Dr. Struck [SPD]: Einen Kanzler, wollten erfolgreichen Arbeit dieser Bundesregierung ist Sie sagen!) auch dies gelungen. Die Daten aus diesem Jahr im Wirtschaftsbau, im Kommunalbau sind hervorra- — Nein, das wollte ich nicht sagen. Einen Kandida- gend. Im Wohnungsbau, bitte, ist eine sehr, sehr ten vorführen, habe ich gesagt. Ich finde, das ist zurückhaltende Beurteilung angezeigt, aber auch eine subtile Ausdrucksweise. hier hat man die Null-Marke im letzten Quartal (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/- überschritten. CSU) (Müntefering [SPD]: Leichtes Hoch im tie Lassen Sie mich aus dem Haushalt zwei Zahlen fen Tal!) herausgreifen, weil ich glaube, daß sie von weiter- Auch das finde ich gut. reichender Bedeutung sind. Das eine sind die im Jahre 1987 noch veranschlagten Mittel für die Städ- Lassen Sie mich noch anmerken, daß mich insbe- tebauförderung mit 1 Milliarde DM. Danach findet sondere der besorgt macht. Aber dar- Auslandsbau sich dann in der mittelfristigen Finanzplanung ge- auf haben wir keinerlei nationalen Einfluß. Da ist mäß der Entmischungsvereinbarung nichts mehr. man sozusagen mit zwei Seelen in der Brust ausge- Ich will für meine Fraktion sagen, daß uns der stattet; denn was uns über die Ölpreisreduzierung Finanzpoker in den Gesprächen zwischen Bund enorm genutzt hat, schadet natürlich der Auftrags- und Ländern etwas beunruhigt. Das ist im Interesse vergabe durch OPEC-Länder an unsere Bauwirt- der Bauwirtschaft nicht gut. schaft im Auslandsbau. (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Jawohl!) Meine Damen und Herren, von daher sieht es also, nach nicht so gutem Anfang, am Ende dieser Wir möchten nicht, daß die Bauwirtschaft am Ende Legislaturperiode auch für die Bauwirtschaft sehr dieser wirklich greifenden Maßnahme — Kollege gut aus. Dafür war diese Politik natürlich maßgeb- Echternach hat auf die vielfache Überzeichnung lich verantwortlich. Z. B. niedrige Zinsen, Konsoli- hingewiesen — in ein Loch fällt. dierung öffentlicher Haushalte, das sind die Vor- Ich möchte dabei insbesondere an die Länder aussetzungen für Auftragsvergabe im Wirtschafts- appellieren, Finanzausgleichsverhandlungen nun bau, im kommunalen Bau insbesondere. wirklich nicht auf der Basis einer Sondermaß- (Mischnick [FDP]: Sehr richtig!) nahme von zwei Jahren zu führen. Vielmehr sollte man wohl mindestens von dem gewogenen Mittel Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier ist des üblichen Finanzeinsatzes des Bundes in diesem der Bundesregierung angekreidet worden, daß Bereich ausgehen. Ich bitte nur, daß diese Verhand- diese günstigen Daten, die nun auch in der Bauwirt- lungen zügig geführt werden und daß man zügig zu schaft erkennbar sind, regional so verzerrt seien. Es einem Ergebnis kommt; denn es verunsichert na- ist angesprochen worden, man habe nichts mit dem türlich auch die Bauwirtschaft, wenn in diesem Instrument der Raumplanung getan, um das Ge- Punkte keine Klarheit herrscht. fälle zwischen Schleswig-Holstein und Baden-Würt- temberg zu verringern. Meine lieben Kolleginnen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und Kollegen, Sie alle miteinander wissen, daß, Das zweite, was ich herausgreifen will, ist das wenn die Raumplanung Wohngeld. Wir Freie Demokraten haben auch für (Müntefering [SPD]: -ordnung!) den Wohnungsmarkt immer auf die Kräfte des Marktes — mit entsprechenden sozialen Hilfen des und die Raumordnung — jetzt bin ich nämlich bei Staates — gesetzt. Aber primär sind es die Markt- der Zuständigkeit — — kräfte, die auch für die Wohnungsversorgung zu- (Müntefering [SPD]: Na gut!) ständig sind. Das, was der Staat in diesem Bereich — Sorry. Wenn die Raumordnung konkret wird — zu tun hat, hat flankierend und sozial zielgenau zu und das wird der Bundesregierung ja vorgewor- geschehen. Die Strukturverbesserung des Wohn- fen —, dann sind wir bei der Landesplanung. Dann geldgesetzes hat sich bezahlt gemacht; nicht nur sind wir bei der Zuständigkeit anderer Adressaten. dadurch, daß es mehr Geld kostet, Außerdem: Wo denn in unserer Finanzverfassung (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) hätten wir die Befugnis als Bund, selektiv Mittel zu sondern weil die Mittel auch sehr viel zielgenauer streuen für die Gemeinde X oder für die Gemeinde ankommen, nämlich bei den Arbeitslosen, bei den Y oder die Region X oder Z? Welche Schwierigkei- älteren Rentnern mit geringen Renten, bei den Kin- ten bereitet es, einer bestimmten Region einmal derreichen. Genau dort kommen sie an, und genau z. B. über bestimmte Stahlstandortprogramme oder dort muß sich auch die soziale Verantwortung des ähnliches zu helfen! Der Vorwurf also an die Bun- Staates im Bereich des Wohnens artikulieren, dort desregierung, daß die Konjunkturdaten nicht all- muß sie zum Ausdruck kommen. Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19523

Gattermann Es ist gesagt worden, die sonstigen Rahmenbe- samtvolumen von 6,2 Milliarden DM seinen bisher dingungen, nämlich das Mietrecht, seien von uns höchsten Stand. Der Einzelplan 25 leistet insgesamt unglücklich und zu Lasten der Mieter verändert einen wichtigen Beitrag zu dem von der Bundesre- worden. Nun, die Realitäten in der Bundesrepublik gierung verfolgten Kurs der Stabilität, des wirt- Deutschland zeigen — man möge sich in seinen schaftlichen Wachstums und der sozialen Sicher- - Wagen setzen, durch die Orte, durch die Landschaft heit. fahren und mit den Mietervereinen, mit den Haus- Den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsaus- und Grundeigentümervereinen und mit den Mak- schusses, namentlich den Berichterstattern Echter- lern reden, dann weiß man es —: Der Mietanstieg in nach und Nehm, danke ich für die konstruktive und dieser Republik tendiert gegen Null. In weiten sachverständige Beratung. In den Dank schließe ich Landstrichen ist es tatsächlich ein Mietermarkt die Mitglieder des Ausschusses für Raumordnung, statt eines Vermietermarktes geworden. Deshalb Bauwesen und Städtebau und ihren Vorsitzenden meine ich, daß diese Bundesregierung und dieser Dr. Möller für ihr mitberatendes Votum ein. Ich Bundesbauminister ihre Arbeit in dieser Legislatur- möchte in diesen Dank besonders herzlich den periode erfolgreich absolviert hat. Herrn Kollegen Meininghaus einschließen, der aus (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — dem Deutschen Bundestag ausscheiden wird. Ich Widerspruch bei der SPD) habe Anlaß, ihm für seine sachkundige, fleißige und Deswegen werden wir natürlich diesem Haushalt kollegiale Zusammenarbeit im Bauausschuß zu auch zustimmen. danken. Vor uns liegen Aufgaben, die nur die christlich (Beifall bei allen Fraktionen) liberale Koalition ausführen kann, nach dem Wahl- tag. Das gilt z. B. für die Frage: Wie halten wir es in Mein Dank gilt schließlich den Mitarbeitern beider Ausschüsse und denen des Bauministeriums. der Zukunft mit der Wohnungsgemeinnützigkeit? Einen bestimmten Konzern werde ich jetzt nicht Meine Damen und Herren, unsere Politik, das namentlich 'ansprechen, weil dieser nämlich nicht Wohnungsangebot zu erweitern, staatliche Ein- der Grund für das ist, was wir im Bereich der Woh- griffe zurückzuführen, individuelle Hilfen und Ent- nungsgemeinnützigkeit alle miteinander tun müs- faltungsmöglichkeiten zu verstärken, hat sich be- sen. währt. Unsere Erfolge und Leistungen in Raumord- (Bohl [CDU/CSU]: Meinen Sie die Neue nung, Bauwesen und Städtebau sind für alle Bürger Heimat?) unmittelbar spürbar und in den Städten und Dör- fern für jedermann sichtbar. Die Wohnungsversor- Das Gutachten des Bundesministers der Finanzen, gung ist so gut wie nie zuvor. Zu keiner Zeit konn- das Sie, Herr Kollege Werner, angesprochen haben, ten Mieter und Erwerber von Wohneigentum aus sollte bitte sorgfältig studiert werden. Dieses Gut- einem so differenzierten und reichhaltigen Angebot achten fordert auch keinen Kahlschlag bei der Woh- wählen wie heute. Mit einem Mietanstieg von 1,6 % nungsgemeinnützigkeit. im freifinanzierten Mietwohnungsbau haben wir (Werner [Westerland] [GRÜNE]: Aber die niedrigste Mietsteigerungsrate seit Bestehen fast!) des Mietindexes. Stabile Preise und wachsende Re- Herr Kollege Werner, Sie haben eben davon ge- aleinkommen — in diesem Jahr werden es rund 5% sprochen, daß diese Bundesregierung heftig reagie- bzw. 60 Milliarden DM sein, die zusätzlich in die re, wenn der genossenschaftliche Gedanke wieder- Kassen der privaten Haushalte fließen — stärken belebt werden solle. Dieses Gutachten — ich mache auch die Wohnkaufkraft der Haushalte. In Verbin- es mir in diesem Punkt zu eigen; zu dem anderen dung mit den anhaltend günstigen Zinsen und der Punkt will ich mich nicht festlegen, weil ich weiß, von uns verbesserten steuerlichen Förderung ist sie wie schwer die Gespräche darüber sein werden — die Voraussetzung dafür, daß heute wieder mehr bringt eine ausdrückliche Unterstützung des Ge- Familien Wohneigentum bilden können. nossenschaftsgedankens. Denn die Genossen- Die Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser schaftsidee ist liberalen Ursprungs, meine Damen liegen im bisherigen Jahresverlauf um 8% höher als und Herren. im vorigen Jahr. Mit den wohnungspolitischen So- (Beifall bei der FDP) fortmaßnahmen vom März 1982 haben wir das Woh- Ich danke Ihnen. nungsangebot entscheidend erhöht und zugleich die akuten Schwierigkeiten der Bauwirtschaft gemil- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten dert. Die heutige günstige Wohnungsversorgungs- der CDU/CSU) lage ist das Ergebnis dieser von vornherein zeitlich befristeten Hilfen. Das Wort hat der Bun- Vizepräsident Frau Renger: Die Änderung des Mietrechts hat zusätzlich zur desminister für Raumordnung, Bauwesen und Städ- Normalisierung des Wohnungsmarktes beigetra- tebau, Dr. Schneider. gen. Entgegen den Angstparolen der SPD ist die Stellung der Mieter durch diese Maßnahme nicht Dr. Schneider, Bundesminister für Raumordnung, geschwächt, sondern gestärkt worden. Es hat sich Bauwesen und Städtebau: Frau Präsidentin! Meine erwiesen, daß ein großes Angebot der beste Mieter- sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzel- schutz ist. Ungeachtet dessen ist der Schutz der plan 25 des Bundeshaushalts steigt im nächsten Mieter vor einem willkürlichen Verlust der Woh- Haushaltsjahr um 3,8%. Er erreicht mit einem Ge- nung für uns ein unverzichtbares Wesensmerkmal 19524 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Bundesminister Dr. Schneider der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft. Behaup- die Bundesregierung die Sanierung und Revitalisie- tungen, die Bundesregierung plane eine Lockerung rung unserer Städte und Dörfer vorangetrieben und des Kündigungsschutzes, entbehren jeder Grundla- ihre Wohnlichkeit und Lebensqualität verbessert. ge. Die Bundesregierung wird dem Wunsch der ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) meinnützigen Wohnungswirtschaft entsprechen - und die Lockerung des starren Kostenmietenprin- Wir haben von 1983 bis 1987 — darauf bitte ich zu zips in deren Bereich bei der Novellierung des Woh- hören — deutlich mehr Mittel für die Städtebauför- nungsgemeinnützigkeitsgesetzes in die Prüfung mit derung bereitgestellt als die Vorgängerregierung einbeziehen. von 1971 bis 1982. (Dr. Möller [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (Dr. Möller [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Wir haben das Wohngeld zu dem im internationa- In dieser Legislaturperiode waren es insgesamt fast len Vergleich wirkungsvollsten System der indivi- 3 Milliarden DM, von 1971 bis 1982 dagegen nur duellen Absicherung familiengerechten Wohnens etwas mehr als 2 Milliarden DM. ausgebaut. Die Wohngeldleistungen werden in die- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) sem Jahr auf 3,3 Milliarden DM steigen und sich im kommenden Jahr auf 3,5 Milliarden DM erhöhen. In Die Mittel für 1986 und 1987 sind bundesweit um diesem Jahr haben wir die Bundesmittel für das das Vier- bis Sechsfache überzeichnet; dies zeigt die Wohngeld überplanmäßig zusätzlich um 230 Millio- Größe der städtebaupolitischen Aufgaben und die nen DM erhöht. Für das kommende Jahr hat der bauwirtschaftliche Bedeutung der Städtebauförde- Haushaltsausschuß den Ansatz gegenüber der Re- rung. gierungsvorlage um 150 Millionen DM angehoben. (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) Damit hilft der Bund einer weitaus größeren Zahl von Haushalten als bisher, und er vermeidet zudem Das Baugesetzbuch, das morgen dem Bundesrat Fehlförderungen. Alle Zahlen belegen die hohe Lei- im zweiten Durchgang zur Zustimmung vorliegt, stungsfähigkeit und Inanspruchnahme des Wohn- enthält keine Mischfinanzierungstatbestände mehr. geldes. Die Erhöhung des Wohngeldes um mehr als Die Bundesregierung entspricht damit einem ein- 1 Milliarde DM ist ein Beweis für die sozialen Lei- stimmigen Beschluß der Ministerpräsidenten. Die stungen dieser Bundesregierung zugunsten ein- Bedeutung der Städtebauförderung wird nicht un- kommensschwächerer Familien in unserer Gesell- ter der Entflechtung der Mischfinanzierung leiden. schaft. Dies ist unsere Solidarität mit den sozial Die Bundesregierung ist zu einem angemessenen Schwächeren. finanziellen Ausgleich bereit. So fließen auch wei- terhin Bundesmittel in erheblichem Umfang in die Das Wohngeld kommt — dies wird in der Öffent- Förderung des Wohnungs- und Städtebaus. Auf lichkeit weitgehend übersehen — als Lastenzu- Grund der bereits eingegangenen Verpflichtungen schuß in erheblichem Maße der Wohneigentums- wird der Bund bis weit in die 90er Jahre hinein förderung zugute. Insgesamt fließen 300 Millionen noch Zahlungen von fast 10 Milliarden DM an die DM in die Eigentumsförderung, bei einer durch- Länder leisten. schnittlichen monatlichen Entlastung von 180 DM. Die Bauwirtschaft wächst weiter. Die Bauinvesti- Der Größenordnung nach ist dies fast genau die tionen werden in diesem Jahr voraussichtlich um Summe, um die wir für das kommende Jahr die gut 1 %, im nächsten Jahr um 3,5% steigen. Das neue Finanzhilfen des Bundes für den sozialen Woh- Jahresgutachten des Sachverständigenrates ist nungsbau zurückführen mußten. Der Verpflich- noch optimistischer und erwartet für 1986 einen An- tungsrahmen umfaßt 700 Millionen DM. Eine Ver- stieg um 2 %, für 1987 einen Anstieg um 4 %. ringerung der Gesamtförderung des Bundes für das Wohnen ist damit nicht verbunden. Die Kürzung Diese positive Entwicklung wird vor allem vom der Objektförderung wird bei weitem durch die ver- Wirtschaftsbau und vom öffentlichen Bau getragen. besserten Wohngeldleistungen und die Ausweitung In den ersten neun Monaten dieses Jahres lagen die der steuerlichen Förderung selbstgenutzten Wohn- Auftragseingänge dieser beiden Sektoren um 14 % eigentums ausgeglichen. bzw. 10% über den entsprechenden Vorjahresergeb- nissen. In der Bauwirtschaft sind zur Zeit 12 000 Allein mit der kräftigen Anhebung der Wohngeld- Ausbildungsplätze frei und 10 000 Stellen offen. Die leistungen — sie steigen 1987 gegenüber 1985 um Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter hat um 20 %, die 510 Millionen DM — stellt der Bund künftig mehr der Kurzarbeiter sogar um 54 % abgenommen. Die Mittel für die soziale Sicherung des Wohnens bereit Zahl der Konkurse ist mit knapp 10 % im bisherigen als bisher. Durch die steuerliche Neuordnung erhält Jahresverlauf rückläufig. eine Familie mit einem Kind, die im nächsten Jahr Die Behauptung, die Bundesregierung habe Wohneigentum erwirbt, insgesamt 15 000 DM mehr nichts zur Stärkung und Verstetigung der Bautätig- steuerliche Förderung als bisher, statt 24 000 DM keit unternommen, ist falsch. Wir haben mit dem nunmehr 39 000 DM. Hinzu kommt, daß wir mit der Sofortprogramm '82, der Verdreifachung der Städte- Rückführung der Festlegungsfrist von 10 auf 7 bauförderungsmittel, der Aufstockung der ERP Jahre auch die Bausparförderung verbessert ha- Mittel und der Eigenmittel der Kreditanstalt für ben. Wiederaufbau und der Lastenausgleichsbank, der Mit der schrittweisen Anhebung der Mittel für Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für die Städtebauförderung von 220 Millionen DM 1982 Wirtschaftsgebäude, der Verbesserung der steuerli- auf 1 Milliarde DM in den Jahren 1986 und 1987 hat chen Eigenheimförderung und mit dem wiederge- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19525

Bundesminister Dr. Schneider wonnenen Handlungsspielraum der öffentlichen gen, es wäre eine rechtspolitische Aufgabe dieses Haushalte den strukturellen Anpassungsprozeß der aufzuarbeiten. Dann hat er weiter gesagt — ich Bauwirtschaft mit gezielten und abgewogenen Maß- habe absichtlich gewartet, bis ich das Protokoll nahmen kontinuierlich erleichtert. Alles in allem habe —: handelt es sich um Stützungsmaßnahmen in einer Größenordnung von 10 Milliarden DM. Ich erinnere an das unwürdige Tauziehen in- nerhalb der Koalition hinsichtlich der Behand- Wir werden diese erfolgreiche Wohnungs- und lung der sogenannten Auschwitzlüge. In wider- Städtebaupolitik fortsetzen. Die breite Streuung licher Aufrechnungsmentalität ... haben Sie, von Wohneigentum, die soziale Absicherung fami- Herr Erhard, wie es der Vorsitzende des Rich- liengerechten Wohnens und die Förderung des Zu- terbundes ausgedrückt hat, die Ermordung von sammenlebens mehrerer Generationen unter ei- 6 Millionen Juden mit der Vertreibung der nem Dach oder in der Nachbarschaft sind Dau- Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges eraufgaben der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft. zu relativieren versucht. Sie werden auch künftig unverändert die vorrangi- gen Ziele unserer Wohnungspolitik bleiben. Er hat in Parenthese dazugesagt: „das zu der Frage nach der Stahlhelm-Fraktion". Das paßt da zwar Die Bundesregierung hat die Neuordnung des nicht ganz hinein, aber immerhin. Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts beschlossen. Wir werden diese schwierige Aufgabe in der näch- Ich erkläre dazu: Ich habe in meinem Leben nie, sten Legislaturperiode zu lösen wissen. Dabei geht zu keinem Zeitpunkt irgend etwas von Relativie- es darum, die sozialen Ziele zu erreichen und den rung hinsichtlich der Judenermordungen gesagt — Grundgedanken der Wohnungsgemeinnützigkeit nie! Wenn irgend jemand in unserem Lande daher- wiederherzustellen. Dies kann nur dann erreicht kam und sagte, die Juden in Auschwitz seien nicht werden, wenn die staatlichen Hilfen bei dem sozia- vergast und zu Millionen ermordet worden, habe len Adressaten des Gesetzes, nämlich beim Mieter, ich mich immer dagegen gewehrt. ankommen. (Senfft [GRÜNE]: Darum geht es doch gar Vielen Dank. nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich habe meinen Finger immer, schon im Hessi- schen Landtag in den 50er Jahren, auf die Wunde der rechtspolitischen Entwicklung von 1933 an ge- Vizepräsident Meine Damen und Frau Renger: legt. Aber ich habe auch immer betont: Wer meint, Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. das deutsche Recht habe 1933 begonnen und 1945 Ich schließe die Aussprache. geendet, der irrt. Es gab Tendenzen im deutschen Wir kommen zur Abstimmung, zuerst über die Recht, und zwar völlig übereinstimmende, breitge- beiden Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜ- fächerte Tendenzen, die das, was die Nationalsozia- NEN. Wir können gemeinsam abstimmen, nehme listen ab 1933 daraus gemacht haben, vorher grund- ich an. Ich rufe die Änderungsanträge auf den gelegt haben. Drucksachen 10/6490 und 10/6491 auf. Wer diesen beiden Änderungsanträgen zuzustimmen wünscht, (Dr. Vogel [SPD]: Das ist wohl wahr!) den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Ich habe nie eine Relativierung hinsichtlich der — Enthaltung? — Die beiden Anträge sind abge- späteren Vertreibungen oder Mordtaten vorgenom- lehnt. men. Ich wehre mich dagegen, in ein solches Licht Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ein- gesetzt zu werden, und ich will Ihnen jetzt einmal zelplan 25: Geschäftsbereich des Bundesministers genau sagen, warum. Deswegen habe ich mich auch für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau in der gemeldet, um es endlich einmal — ich habe mich Ausschußfassung. Wer dem Einzelplan in der Aus- dessen hier nie gebrüstet — zu sagen: schußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich Ich war zehn Jahre alt, als mein Vater unter Be- um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- gen? — Er ist in zweiter Lesung angenommen. rufung auf die Wiederherstellung des Beamten- rechts Meine Damen und Herren, zu einer direkten Er- widerung gebe ich Herrn Abgeordneten Erhard (Dr. Vogel [SPD]: Des Berufsbeamten- (Bad Schwalbach) nach § 30 der Geschäftsordnung tums!) das Wort. — des Berufsbeamtentums — aus dem Notariat entfernt wurde. Mein Vater hatte 6 minderjährige Kinder. Ich war das zehnjährige dritte. Ich habe (Bad Schwalbach) (CDU/CSU): Frau Präsi- Erhard mich in den 30er Jahren als junger Bursche mit HJ- dentin! Meine verehrten Damen und Herren! Ich Buben bis zum Umfallen geprügelt. Ich habe mein mache nach 22 Jahren Zugehörigkeit zu diesem Leben im Kriege aufs Spiel gesetzt, und zwar zwei- Parlament zum zweitenmal Gebrauch vom § 30. mal, ausdrücklich und gut nachweisbar, um mich Der Abgeordnete Mann hat bei der justizpoliti- von diesem System zu distanzieren. Und dann wird schen Debatte mich persönlich genannt, nachdem mir hier von Leuten, die damals noch nicht einmal er zunächst die Perversion des Rechts unter der geboren waren, die sich gar keine Mühe machen, nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherr- nachzugucken, mit wem sie es zu tun haben, solches schaft genannt hat: Wir würden das hier verdrän- vorgeworfen! Ich finde das unerhört. 19526 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Erhard (Bad Schwalbach) (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU, der der Devise „Subventionen runter, Investitionen FDP und der SPD — Dr. Möller [CDU/ rauf, damit es wieder aufwärtsgeht" angetreten —, CSU]: Er soll herkommen, der Verleumder, dann hat der Verkehrsetat im vierten Jahr anhal- er sollte sich bei Ihnen entschuldigen! — tender Massenarbeitslosigkeit wieder einmal seine Dr. Vogel [SPD]: Er soll sich entschuldigen! steuerungspolitische Aufgabe verfehlt. - — Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Jetzt (Beifall bei der SPD) müßte sich Herr Mann j a wohl entschuldi gen! — Frau Dr. Skarpelis-Sperk [SPD]: Da Herr Dr. Dollinger auf die politische und fach- Aber schnell!) übergreifende Gestaltung seines Aufgabenbereichs, auf eine aktive Verkehrspolitik, verzichtet, prägt die Vizepräsident Frau Renger: Dem Haus, denjenigen, buchhalterische Handschrift des Finanzministers die dies soeben mit Beifall bedacht haben, ist zu seinen Etat. danken. Warum, Herr Dr. Dollinger, sind Sie nicht zum Ich rufe nun auf: Bundesfinanzminister gegangen und haben ihm ge- Einzelplan 12 sagt, daß Sie als — sagen wir mal — Investitionsmi- Geschäftsbereich des Bundesministers für nister einen aktiven Beitrag zum Abbau der Ar- Verkehr beitslosigkeit leisten wollen und daß Ihr Haushalt — Drucksachen 10/6312, 10/6331 — wie kein anderer geeignet ist und die Chance bietet, strukturelle Arbeitslosigkeit — und sie ist unser Berichterstatter: größtes Problem — durch strukturpolitische Maß- Abgeordnete Purps nahmen in der Verkehrspolitik zu bekämpfen? Frau Simonis Nein, Sie und die Verkehrspolitiker der Koalition Metz handeln immer nach dem Motto: „Es gibt viel zu Dr. Weng (Gerlingen) tun; heften wir es ab". Suhr Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6487, Jedenfalls sind die investiven Steigerungsraten 10/6488 vor. Ihres Haushalts Jahr für Jahr so mager ausgefal- Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag len, daß Sie nicht dazu beitragen können, struktu- von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion verein- relle Arbeitslosigkeit abzubauen, geschweige denn bart worden. — Es erhebt sich kein Widerspruch. aktive Verkehrspolitik zu betreiben. So hätte z. B. Dann ist das so beschlossen. eine stärkere Senkung der Dezibelwerte für den Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Ab- Lärmschutz an Bundesstraßen und Bundesauto- geordnete Purps. bahnen, wie von mir und der SPD vorgeschlagen, den lärmgeplagten Menschen geholfen, Arbeit und Purps (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Beschäftigung geschaffen und etwas zum Abbau Herren Kollegen! Ist es nun Zufall, oder ist es mehr der Arbeitslosigkeit beigetragen. Regie, daß die Beratung des Verkehrshaushaltes zu (Beifall bei der SPD) später Stunde mit reichlich wenig Publikumswirk- samkeit stattfindet? Ist der Minister Dollinger nicht Die SPD hat immer wieder die Verstärkung der mehr vorzeigbar? investiven Mittel bei der Deutschen Bundesbahn (Dr. Struck [SPD]: Richtig!) gefordert. Aber Sie haben nicht geklotzt, Sie haben immer nur gekleckert. Damit ist weder der Bahn Hat die von ihm zu vertretende Verkehrspolitik das noch dem Arbeitsmarkt geholfen. Haben Sie denn Licht des Tages zu scheuen? nicht gesehen, daß sich gerade bei den Investitio- (Senfft [GRÜNE]: So ist es!) nen der Bundesbahn die einmalige Chance bietet, Irgendwie hat man j a das Gefühl, daß Minister hier durch gezielte Investitionspolitik Arbeit in Regi- versteckt werden. Denn alle fünf CSU-Minister au- onen zu bringen, die von struktureller Arbeitslosig- ßerhalb der Fernsehzeit — das hat es noch nicht keit gebeutelt werden? Dies gilt für die Nordseekü- gegeben. ste genauso gut wie für den Bayerischen Wald. (Beifall bei der SPD) Die Bundesbahn versucht, ihr Image zu verbes- Im übrigen, Herr Minister, handelt es sich hier j a sern, durch neue Konzeptionen und neue Züge nicht um einen Kleckerposten, den wir beraten. -Fahrgäste zurückzugewinnen. Das ist ein verkehrs Vielmehr ist dieser Haushalt des Verkehrsmini- und umweltpolitisch richtiger Weg. Nur, Sie sitzen sters mit 25,68 Milliarden DM der viertgrößte der im Bremserhäuschen und tun nicht das, was erfor- großen Haushaltspositionen. derlich wäre. Seine Steigerung gegenüber dem Vorjahr bleibt (Sehr wahr! bei der SPD) mit 1,1 % wieder einmal unter der Steigerung des Gesamtetats. Und hier liegt der Punkt der Kritik. Es Von Chancengleichheit kann beim Vergleich Schie- gibt nämlich kaum eine Publikation aus dem Bun- ne-Straße nicht die Rede sein. desverkehrsministerium, in der nicht deutlich dar- Was, Herr Bundesminister Dollinger, ist eigent- auf hingewiesen wird, daß der Verkehrshaushalt lich aus den Koalitionsvereinbarungen und den Vo- der größte Investitionshaushalt des Bundes ist. ten des Bundeskanzlers geworden — Kabinett-Sit- Wenn es richtig ist, daß Investitionen Arbeit zung vom 24. Juli 1985 und Schreiben an den bayeri- schaffen und erhalten — diese Regierung ist ja mit schen Ministerpräsidenten vom 27. August 1984 —, Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19527

Purps den Einstieg zu einer grundlegenden Verbesserung Der Sündenkatalog ist lang. Er beginnt mit der der Kapitalstruktur der Deutschen Bundesbahn Privatisierung der Naßbaggerei, zu schnell und noch in dieser Legislaturperiode zu finden? Man überhastet vorgenommen, Verdiensteinbußen bei hört und sieht nichts davon. Na ja, hoffen wir, daß den Beschäftigten der Wasser- und Schiffahrtsdi- diese Schreiben wenigstens sauber und ordentlich rektion zwischen 600 und 800 DM im Einzelfall — abgeheftet sind. das muß man sich einmal vorstellen —, Verschleu- derung von wertvollem Gerät beinahe zum Schrott- Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit ihrer No- preis — wir haben den Antrag gestellt, der Bundes- velle zum Eisenbahngesetz ihre Schularbeiten ge- rechnungshof möge dies einmal prüfen —, Flick- macht. Die Regierung hat geschwänzt und geschlu- werk bei den Seeschiffahrtshilfen, keine Verstär- dert. Die Eisenbahner werden's zu beurteilen wis- kung des Umweltschutzes bei Verkehrsausgaben — sen. wie wäre es nämlich sonst möglich, daß Lärm- schutzmittel immer noch in den Straßenbau fließen Auch im Bereich der Seeschiffahrtshilfen ist können? —, kein Einstieg in die Entschuldung der keine Konzeption erkennbar. Da kaum noch Schiff- Deutschen Bundesbahn — eine Maßnahme, die bau stattfindet, fließen die Neubauhilfen nicht ab, auch Herr Abs, der ja nicht im Verdacht steht, Sozi- so daß durch ständige Änderungen der Erläuterun- aldemokrat zu sein, der Bundesregierung empfoh- gen nicht nur Umbau gefördert wird, sondern letzt- len hat —, keine Haushaltsansätze für Bundes- lich immer kleinere Einheiten in die Förderung ein- bahnstrecken, die im gesamtwirtschaftlichen Inter- bezogen werden. Und auch die Ausflaggung, der esse aufrechterhalten werden müssen, nur Ver- durch die pauschalierten Zinsbeihilfen entgegenge- schiebung der Investitionsmittel im Gesamtbereich wirkt werden soll, nimmt nicht ab, sondern er- des Sondervermögens Deutsche Bundesbahn zur streckt sich zunehmend — und dies macht große Aufhellung der mageren Optik, keine neuen Kon- Sorge — bereits auf Ausnahmegenehmigungen zepte zur Verbesserung des öffentlichen Personen- während der Flaggenbindung. nahverkehrs. Damit da kein falscher Eindruck entsteht: Die Alle Jahre wieder, Herr Kollege Metz, müssen wir SPD lehnt die Hilfen nicht ab. Sie will aber deutlich armen Berichterstatter im Haushaltsausschuß da- darauf hinweisen, daß die Instrumente stumpf ge- für sorgen, daß der kombinierte Verkehr bei der worden sind und daß im Verkehrsministerium, statt Bundesbahn weiter gefördert wird, weil die Regie- über neue Hilfen nachzudenken, neue Konzepte zu rung nicht in der Lage ist, ein vernünftiges Konzept entwickeln, Umstrukturierungshilfen zu geben, zur Förderung des Kombiverkehrs, der unsere Stra- Flickschusterei betrieben wird. Dies hilft der Küste ßen entlastet, vorzulegen. auf Dauer ganz bestimmt nicht weiter. Die Arbeits- plätze werden nicht sicherer. Das Dilemma wird (Beifall bei der SPD — Pfeffermann [CDU/- nur verschoben. CSU]: Alter Miesmacher!) Herr Bundesminister Dollinger, im vergangenen In diesem Zusammenhang muß es einem schon Jahr hat Ihnen die SPD-Bundestagsfraktion durch als ein Witz vorkommen, daß nicht einmal der Übertragung von Mitteln aus dem Gesamthaushalt Wunsch der Küstenländer — das konterkariert das in den Einzelplan 12 gezeigt, was Sie hätten tun Ganze etwas —, der Bund möge mindestens die können, insbesondere für den Bereich der Deut- Hälfte der Kosten der Schiffsentsorgung nach schen Bundesbahn, um zu höheren Investitionen, MARPOL tragen, von der Regierung und den Koali- um zu mehr Arbeit zu kommen, regionalisiert zu tionsfraktionen aufgenommen wird. Arbeit zu kommen. Sie, die Koalition, haben im vo- Wir wissen doch, was an der Nordsee los ist. Wir rigen Jahr unsere Anträge abgelehnt. Wir haben sie kennen doch die Gefährdung des Ökosystems dieses Jahr erst gar nicht mehr gestellt, weil, wenn durch Ölrückstände, die ins Meer hineingegeben wir dann regieren, der ganze Haushalt neu ge- werden, und durch Chemikalien. Warum verschan- schrieben werden muß, damit in der Bundesrepu- zen Sie sich eigentlich weiter hinter rechtlichen Be- blik Deutschland endlich wieder aktive Verkehrspo- denken, wenn es zu handeln gilt? Die 6,75 Millionen litik stattfindet. DM Bundesanteil, die da fällig werden, sind in die- (Beifall bei der SPD — von Hammerstein sem Haushalt weiß Gott noch zu finden. Ich habe [CDU/CSU]: Rudolf, so gut waren Sie noch im Haushaltsausschuß beantragt, dieses Geld zur nie! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Welcher Verfügung zu stellen. Sie haben es abgelehnt. Sie Haushalt ist das denn? Der Haushalt verzichten auch hier auf aktive Mitgestaltung der 2000?) Politik. Ich hatte Ihnen, Herr Dr. Dollinger, im letzten (Dr. Struck [SPD]: Wie immer!) Jahr gesagt (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kol- der FDP) legen, Sie sind angetreten mit dem Anspruch, die Investitionskräfte zu stärken und im Bundeshaus- — könnt ihr euch denn mal beruhigen, oder geht halt hierzu einen entscheidenden Beitrag zu leisten. das nicht? Ich bin ja gleich fertig —: Wir haben Nach vier Jahren kann man feststellen: Außer mar- Ihren Haushalt gezählt, wir haben ihn gewogen, ginalen Veränderungen hat es im Bereich des Mini- und wir haben ihn für zu leicht befunden. Ich hatte sters für Verkehr für die Bundesinvestitionen keine ein bißchen die Hoffnung gehabt, daß Sie dieses richtungsweisenden Impulse gegeben. Menetekel ernst nehmen und im 87er Haushalt 19528 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Purps Ihre Hausaufgaben ordentlich machen würden. Ich Nachdem die Bundesbahn in den Etatberatungen stelle fest, das ist nicht geschehen. Sie und die Ko- der letzten Jahre jeweils einen breiten Raum einge- alition sind nicht lernfähig. Wir lehnen Ihren Haus- nommen hat, möchte ich mich heute insoweit auf halt ab. einige kurze Feststellungen beschränken. (Beifall bei der SPD) - Erstens. Die Bahn befindet sich nach langem Ich füge aber zugleich hinzu, daß wir auch die Siechtum unter sechs SPD-Verkehrsministern und Änderungsanträge der GRÜNEN ablehnen werden, vier SPD-Finanzministern in den letzten Jahren und begründe dies wie folgt: Die Forderungen der wieder auf dem Weg der Besserung. Fraktion der GRÜNEN in den Bereichen Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes und Bun- Zweitens. Sie ist aber noch nicht über den Berg, desfernstraßen sind nur als kontraproduktiv zu be- sondern sie gehört nach wie vor zu den bedeuten- urteilen. Wenn man von 6,25 Milliarden DM Stra- den Finanzrisiken des Bundes in den kommenden ßenbaumitteln, Herr Senfft, Kürzungen um 3,6 Mil- Jahren. Die Sünden der Vergangenheit werfen auch liarden DM — das sind fast 60 % dieses Bereiches — hier lange Schatten. verlangt, dann ist das völlig unverständlich. Die An- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) träge widersprechen jeder finanz-, wirtschafts- und verkehrspolitischen Vernunft. Sie produzieren zu- Drittens. Es ist dem Vorstand gelungen, das sätzliche Massenarbeitslosigkeit. Das sollte man Image des Unternehmens deutlich zu verbessern. den Leuten draußen einmal ganz deutlich sagen; Die Menschen, die für die Deutsche Bundesbahn denn auch Ortsumgehungen sind Menschenschutz arbeiten, haben in den letzten Jahren das zeitweilig und auch Lärmschutzmaßnahmen sind Menschen- verlorengegangene Gefühl wiedergewonnen, für ein schutz. Dies ist alles nicht mehr möglich. Es ist von der modernen Industriegesellschaft akzeptier- sogar nicht einmal möglich — das will ich Ihnen tes Unternehmen mit Zukunftschancen zu arbei- ganz deutlich sagen —, mit dem Restansatz, den Sie ten. lassen wollen, die Verkehrssicherheit unseres Stra- Viertens. Die Zuweisungen des Bundes an die ßensystems zu garantieren, Bahn betragen rund 13,8 Milliarden DM. Investi- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Endlich einmal tionsansätze von 4,2 Milliarden DM gewährleisten ein richtiger Satz!) die Finanzierung der neuen Ausbaustrecken ebenso wie Anlagen des kombinierten Verkehrs, von Ran- da der Erhaltungs- und Unterhaltungsaufwand un- gierbahnhöfen und sonstigen dringend notwendi- seres Straßennetzes dann nicht mehr sachgerecht gen Rationalisierungs- und Modernisierungsmaß- durchgeführt werden kann. Die Schauanträge stel- nahmen. len Sie woanders; hier im Deutschen Bundestag sind sie verfehlt. Der Haushaltsausschuß — das ist richtig — hat 100 Millionen DM für den kombinierten Verkehr Ich danke Ihnen. gesichert, der einen erheblichen Beitrag zur Erhö- (Beifall bei der SPD) hung der Verkehrssicherheit und zur Verringerung der Umweltbelastung durch Verminderung von Ab- gasen und Lärm leistet. Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- geordnete Metz. Fünftens. Die Bahn kann sich auf die Unterstüt- zung durch diese Koalition auch künftig verlassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Metz (CDU/CSU): Frau Präsident! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Herr Kollege Purps hat MARPOL angesprochen. Purps, die Reihenfolge der Behandlung der Einzel- Auch ich will das kurz tun. Im Zusammenhang mit pläne wird einvernehmlich festgelegt. Mir ist nicht der Bereitstellung von Bundesmitteln für die Finan- bekannt, daß irgendein Sozialdemokrat gegen die zierung von Auffanganlagen für ölhaltige Rück- Plazierung dieses Einzelplans seine Stimme erho- stände und Chemikalien in den Häfen können wir ben hätte. — Tun Sie es doch mal. Dann können wir auf die Schnelle dem Begehren des Bundesrats ein anderes Mal schon eher darüber reden. nicht zustimmen. Die Bundesregierung weist in die- sem Zusammenhang auf schwerwiegende verfas- (Dr. Vogel [SPD]: Der Porzner war verwun sungsrechtliche Bedenken gegen eine Finanzie- dert! — Weitere Zurufe von der SPD) rungsbeteiligung des Bundes hin, hat aber zugleich — Aber Sie haben recht. Der über 25 Milliarden DM ihre Bereitschaft erklärt, den Fragenkomplex ge- umfassende Verkehrshaushalt ist der viertgrößte nau zu prüfen. Das Ergebnis dieser Prüfung müs- Einzeletat und zugleich der wichtigste Investitions- sen wir jetzt abwarten. haushalt des Bundes. Jede zweite Mark wird inve- Ich füge allerdings folgendes hinzu — auch an die stiert. Damit sichert der Verkehrshaushalt rund Adresse der Bundesregierung —: Die Verhütung eine Viertelmillion Arbeitsplätze in der Bauwirt- von Meeresverschmutzung — gerade auch im Zu- schaft und den abhängigen Industrien. sammenhang mit der Nordsee — ist ein so wichti- Es ist auch wahr: Zehn Minuten für 25 Milliarden ges Problem, daß das Parlament es nicht zulassen DM sind ein bißchen wenig. Da bleiben 24 Sekun- sollte, daß die Aufgabe deswegen nicht richtig ange- den pro Milliarde, und das zwingt eben auch dazu, packt wird, weil sich Bund und Länder über angeb- unter den möglichen vielen Themen zu selektie- liche oder tatsächliche verfassungsrechtliche Be- ren. denken streiten. Vor einiger Zeit hat sich der Kol- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19529

Metz lege Bohlsen schon in diesem Sinne für unsere zielen können. Es gibt zwar Ansätze, die erfolgreich Fraktion geäußert. sind; sie reichen aber noch nicht aus. Wir hätten kein Verständnis dafür, wenn eine et- Die Regierung — ich will das noch einmal aus- waige Kostenbeteiligung des Bundes, soweit sie ju- drücklich betonen, Herr Minister — hat größere An- ristisch möglich ist, dennoch unterbliebe. Ich bitte strengungen für die deutsche Seeschiffahrt als frü- auch den Bundesumweltminister, sich dieser Frage here Regierungen unternommen. Der Trend zur anzunehmen. Mir scheint wegen der gesamtstaatli- Ausflaggung ist aber, wie wir wissen, nicht ge- chen Bedeutung des Meeresumweltschutzes und stoppt. wegen der Bedeutung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Häfen eine Lösung des Problems Manche Vorschläge, die in dieser Situation ge- vordringlich zu sein. Das Parlament sollte verhin- macht werden, sind untauglich, andere sind erfolg- dern, daß Juristen die Frage langfristig hin- und versprechend. Ich will einige dieser Vorschläge an- herschieben. Zur Zeit muß man dem Bund aller- sprechen. Eine Forderung lautet, die Politik müsse dings die Chance geben, seine Prüfung zügig zu festlegen, was eine angemessene deutsche Handels- beenden, bevor man endgültig entscheidet. Bis da- flotte sei. Diese Forderung ist unrealistisch und hin bitten wir die Bundesländer, die in jedem Fall nicht erfüllbar. Niemand kann und wird diese Frage an den Kosten beteiligt sind, sich ihrerseits nicht seriös beantworten, wie die Flotte aussehen könnte. hinter dem Bund zu verstecken. Es nützt j a nichts, eine bestimmte Tonnagezahl oder eine bestimmte Zahl von Schiffen zu benen- Meine Damen und Herren, den Haushaltsaus- nen. Man müßte ja auch die angemessene Zusam- schuß beschäftigen in jedem Jahr nicht nur die mensetzung der Flotte definieren — ein völlig un- Bahn, sondern auch die sogenannten Seeschif- mögliches Unterfangen. Aber selbst dann, wenn das fahrtshilfen. Dahinter verbergen sich das Schicksal ginge, wäre das Problem damit nicht gelöst. Denn der deutschen Schiffbauindustrie und das Schicksal was wäre, wenn ein Teil der angeblich angemesse- der deutschen Handelsflotte. Mit ihnen sind zu- nen Flotte nicht beschäftigt wäre? Dann wären wir gleich die wohl akutesten Probleme des Einzelplans so schlau wie heute. Ich empfehle also uns allen, benannt, die daher auch im Mittelpunkt der näch- diesen Ausdruck nicht mehr zu gebrauchen und sten Sätze stehen sollen. diese Forderung nicht mehr zu stellen. Die Ursachen für den Niedergang der europäi- Eine andere untaugliche Forderung ist die nach schen und der deutschen Handelsflotte sind be- Dirigismus, nach Ladungslenkung. Deutsche La- kannt. Sie müssen natürlich dennoch immer wieder dungslenkung würde aber den Geschäftsbereich genannt werden, damit vordergründige Schuldzu- deutscher Reedereien zu einem großen Teil gar weisungen, beispielsweise an die Adresse der Bun- nicht erreichen. Die größte deutsche Reederei muß desregierung, auch wirklich als unseriös erkannt sich 70 % ihres Geschäfts im internationalen Be- werden können. Es gibt — um mit der Analyse zu reich suchen. Gerade diejenigen, denen angeblich beginnen — Anzeichen dafür, daß das weltweite geholfen werden soll, halten nichts davon. Transportvolumen langsamer als das weltweite Bruttosozialprodukt wächst. Das liegt u. a. daran, Ich will kurz zu einem letzten Vorschlag etwas daß sich das Wachstum des Bruttosozialprodukts in sagen: Wir müssen so schnell wie möglich weitere den Industrieländern zunehmend im Dienstlei- steuerliche Erleichterungen für die deutschen Ree- stungsbereich und im Bereich technisch hochwerti- dereien beschließen. Das fordert der Steuerbela- ger Güter vollzieht. Dienstleistungen brauchen aber stungsvergleich, den die Bundesregierung vorgelegt keinen Schiffsraum. hat. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die steuerliche Belastung der deutschen Reedereien in ertrags- Für die vorhandene Ladung gibt es zu viele Schif- schwachen Zeiten und in Verlustperioden im inter- fe. Die Überkapazität an Tonnage drückt auf die nationalen Vergleich am höchsten ist. Hier besteht Frachtraten. Der Wettbewerb wird ruinös. Die Ree- dringender politischer Handlungsbedarf. der kommen zunehmend in finanzielle Bedrängnis. Die Banken sind immer weniger bereit, Neubauten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zu finanzieren, weil jeder Neubau eine weitere Ent- wertung der von ihnen beliehenen älteren Tonnage Lassen Sie mich zum Schluß die Worte wiederho- bedeuten kann. Subventionen, steuerliche Vergün- len, die ich bei der letzten Aktuellen Stunde über stigungen, strategische und nationale Gesichts- die Werften gesagt habe: Ob es deutschen Schiffbau punkte haben den Schiffbau am Bedarf vorbei sti- und eine deutsche Flotte auch in Zukunft gibt, sind muliert. Pleiten beseitigen dabei keine Kapazitä- keine Fragen an die deutsche Küste, sondern es ten. sind Fragen an das ganze Land. Die Dollarschwäche verstärkt das Problem deut- (Toetemeyer [SPD]: Sehr wahr!) scher Reeder, Erträge in Dollar einerseits und Ko- Die Menschen an der Küste wollen nicht nur mate- sten in D-Mark andererseits, erzwungene Lohnab- rielle Hilfe, sie wollen vor allen Dingen auch spü- schlüsse, das alles wirkt negativ und verstärkt die ren, daß in Bonn und im Binnenland begriffen wird, Tendenz zur Ausflaggung. daß Schiffahrt und Schiffb au und das Schicksal der Angesichts dieser gewaltigen Sogkraft des inter- maritimen Verbundwirtschaft Fragen von nicht nur nationalen Marktgeschehens haben die Anstren- regionaler, sondern von nationaler Bedeutung sind. gungen der deutschen Reeder und der deutschen Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß dieses Schiffahrtspolitik nicht den gewünschten Erfolg er- Parlament das immer beherzigt. 19530 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 Metz Dem Verkehrshaushalt für 1987, Herr Minister, ihrem Lebensraum immer weiter eingeschränkt stimmen wir gern zu. wird. Vielen Dank. (Lemmrich [CDU/CSU]: Das weiß einer, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der kleine Kinder hat, besonders gut!) Das sind die älteren Menschen, deren Freiheit ein- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr geschränkt wird, weil sie sich in manchen Bezirken Abgeordnete Senfft. nicht mehr trauen, über die Straße zu gehen. Das sind die Fußgänger, die im Straßenverkehr mehr Senfft (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte und mehr bedroht sind. Das sind auch die Fahrrad- Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhö- fahrer, die immer wieder Leidtragende des motori- rer! Zuerst einmal möchte ich nachdrücklich be- sierten Verkehrs sind. kräftigen, was der Herr Abgeordnete Purps hier Meine Damen und Herren, es hat von 1983 bis ausgeführt hat. Es ist schon ein Unding, daß der 1985 140 000 — man stelle sich einmal diese Zahl drittgrößte Haushalt, der Verkehrshaushalt, zu so vor — verletzte Fußgänger gegeben. 6 000 Fußgän- später Stunde hier behandelt wird. Das hat sicher- ger kamen im Straßenverkehr ums Leben. Es sind lich auch berechtigte Gründe. Dieser Haushalt ist in 2 000 Fahrradfahrer getötet und 180 000 Fahrrad- der Öffentlichkeit nicht vorzeigbar, ohne daß die fahrer verletzt worden. Das sind die Zahlen. Das ist Menschen, die es betrifft, davon nicht auch berührt das Leid. Das sind die Menschen, über die hier im wären. Parlament leider Gottes so gut wie überhaupt nicht (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von geredet wird. der CDU/CSU) (Lemmrich [CDU/CSU]: Wenn darüber im Es gibt trotzdem Gruppen, die mit dem Haushalt Ausschuß geredet wird, sind Sie ja nicht des Verkehrsministers eigentlich sehr zufrieden da!) sein müßten. Da ist zuerst einmal die Straßenbau- lobby. Die kann mit dem Verkehrsminister sehr zu- Hinzu kommt die Deutsche Bundesbahn als Leid- frieden sein. Von 1982 bis 1987 ist der Mittelansatz tragende. Hier entwickelt sich geradezu der „Neue für den Straßenbau um 550 Millionen DM, also über Heimat"-Skandal der Bundesregierung. Um es ganz eine halbe Milliarde DM, angehoben worden. Es deutlich auszudrücken: Die Bundesbahn ist mit wird auch weiterhin jede Menge neuer Autobahnen über 38 Milliarden DM verschuldet. Die Verschul- geben: 2 400 Kilometer Autobahnen, 6 000 Kilome- dung soll bei dieser Entwicklung bis 1990 auf 50 Mil- ter Bundesstraßen, die demnächst über unsere liarden DM anwachsen. Die Bundesregierung hat schöne Landschaft hinweggegossen werden. bei der Entschuldung überhaupt nichts getan. Ganz im Gegenteil, die Verkehrsanteile haben sich weiter Zweitens kann die Lkw-Lobby zufrieden sein. Sie verlagert zugunsten des Individualverkehrs und konnte, seit der Minister regiert, ihren Anteil von weiterverlagert zugunsten des Straßengüterfern - 80,4 Milliarden Tonnenkilometer erhöhen auf verkehrs. Wir haben jetzt schon eine dramatische 91,6 Milliarden Tonnenkilometer im letzten Jahr. Entwicklung im Bereich des Güterverkehrsaufkom- Weiterhin kann über hohe Steigerungsraten auch mens bei der Deutschen Bundesbahn. Hier hat die die Pkw-Lobby zufrieden sein. Immerhin ist, seit Bundesregierung überhaupt nichts getan, und hier der Herr Verkehrsminister regiert, der Bestand an ist zu erwarten, daß wir etwas noch wesentlich Dra- Pkw um weitere 3 Millionen gewachsen. matischeres erleben als bei der Neuen Heimat, (Lemmrich [CDU/CSU]: Können Sie sich nämlich den Zusammenbruch des größten Ver- vorstellen, daß die Leute vielleicht auch kehrsunternehmens der Bundesrepublik über- von selber Autos kaufen wollen statt als haupt. Folge von Lobby?!) (Lemmrich [CDU/CSU]: Wenn wir Contai- Außerdem hat es bei den Pkw-Fahrten eine Zu- nerbahnhöfe bauen wollen, stehen Sie doch nahme von 4 % gegeben, in diesem Jahr erstmals als Protestierende auf dem Teppich!) seit langen Jahren wieder eine Erhöhung der gefah- renen Kilometer, eine Erhöhung des Energiever- Diese Entwicklung soll auch in den nächsten Jah- brauchs. Seitdem der Minister regiert, hat es in den ren weitergehen. Die sogenannte Tarifreform bei letzten vier Jahren 200 000 Tonnen reale Erhöhung der Deutschen Bundesbahn, hinter der sich nichts der Stickoxidemissionen und 15 000 Tonnen Erhö- anderes verbirgt als eine verschleierte Tariferhö- hung der Rußemission gegeben, nur aus dem Pkw- hung, eine Fahrpreiserhöhung, soll dazu führen, Bereich, den Lkw-Bereich noch gar nicht einmal daß 3,3 % — so sagt der Bundesbahnvorstand selber hinzugerechnet. — weniger Reisende auf der Schiene fahren. Diese werden demnächst also auf den Pkw umsteigen. Das sind die Nutznießer Ihrer Verkehrspolitik: Straßenbaulobby, Lkw-Lobby, Pkw-Lobby. Im Güterverkehr ist es so, daß wir entgegen den Dann kommen wir auf die zu sprechen, von de- Planungen schon in diesem Jahr einen Mindererlös nen hier leider nur sehr selten geredet wird, das von 500 Millionen DM haben. Das ist eine dramati- sche Entwicklung, die durch die Liberalisierung auf sind die von Ihrer Politik betroffenen Menschen. europäischer Ebene weiter vorangetrieben werden Das sind all die Menschen, die vom Autoverkehr wird. betroffen sind, auch wegen des ausufernden Lärms. Das ist die bedrohte Umwelt. Das ist der Wald, der Während Ihrer Regierungszeit, Herr Minister, weiter stirbt. Das sind die Kinder, deren Freiheit in wurden bei der Deutschen Bundesbahn 50 000 Ar- Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19531

Senfft beitsplätze vernichtet. Wissen Sie, was das heißt, Form — im verkehrspolitischen Bereich in allen Herr Minister: 50 000 vernichtete Arbeitsplätze? Fraktionen — einige Kolleginnen und Kollegen in Das heißt, daß 50 000 jungen Menschen eine anstän- der SPD-Fraktion ausgenommen — eine vollkom- dige Chance verweigert wurde, einen Beruf in ei- mene Verankerung des Beton- und Asphaltden- nem Zweig zu ergreifen, in dem es normalerweise kens, was den Verkehr angeht, vorgefunden. Das- einen Zuwachs geben muß. Die Bundesbahn darf Betrübliche nach den vier Jahren unserer Arbeit ist nicht schrumpfen, sie muß wachsen. 50 000 Arbeits- eigentlich, daß wir feststellen müssen: Mit einer plätze wurden vernichtet. ähnlichen Haltung, die ich bei den anderen Fraktio- Bitte erzählen Sie von der Bundesregierung uns nen in gleichen Konstellationen vermerken kann, nichts mehr davon, daß es Ihnen um die Arbeits- werden wir die vierjährige Arbeit beenden. plätze geht. Es geht Ihnen lediglich darum, die In- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Das wäre ausge- teressen der Straßenbau- und Automobillobby hier zeichnet, wenn Sie hier Ihre Arbeit beende- zu vertreten, es geht Ihnen nicht um die Arbeits- ten! Wenn es geht: auf Dauer!) plätze. Das zeigt unter dem Strich gesehen, daß ein Um- (Zustimmung der Abg. Frau Dann [GRÜ denken in Ihren Fraktionen leider nicht möglich ist. NE]) Das betont wieder einmal die Notwendigkeit, daß in den nächsten Deutschen Bundestag — davon bin Wir haben unter dem Strich weniger Reisezüge, ich auch überzeugt — mehr GRÜNE einziehen müs- wir haben unter dem Strich weniger Bundesbahn- sen und werden. Wir werden mit dazu beitragen, strecken, wir haben bei der Bundesbahn einen radi- daß hier endlich eine ökologische Wende im Be- kalen Schrumpfkurs. Wir haben insgesamt gesehen reich der Verkehrspolitik erfolgt. eine für Natur, Umwelt und die betroffenen Men- schen negative Entwicklung im Verkehrsbereich. (Beifall bei den GRÜNEN) Wahrscheinlich ist das auch ein Grund dafür, daß diese Debatte zu so später Stunde geführt wird und Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- nicht während der Fernsehzeit. geordnete Kohn. (Lemmrich [CDU/CSU]: Jetzt weiß ich, warum Sie so wenig im Ausschuß sind: Kohn (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehr- weil es da kein Fernsehen gibt! Jetzt erst ten Damen und Herren! Nach der Rede von Herrn weiß ich es!) Senfft kann ich nur sagen: Das Problem ist weniger der Beton in unserer Landschaft als der Beton vor Unter dem Strich betrachtet bleibt festzustellen, Ihrem Kopf. daß eine grundlegende ökologische Wende notwen dig ist, eine grundlegende ökologische Wende hin zu (Zuruf von den GRÜNEN: Das ist ja un- mehr Fahrradverkehr, hin zur Unterstützung derje- möglich! — Weitere Zurufe von den GRÜ- nigen, die kurze Strecken noch zu Fuß gehen, hin NEN) zur Unterstützung derjenigen, die öffentliche Ver- Lassen Sie mich mit dem Wichtigsten beginnen: kehrsmittel — Busse, Straßenbahn und die Deut- Diese Bundesregierung hat in der zu Ende gehen- sche Bundesbahn — benutzen. den Legislaturperiode eine erfolgreiche Verkehrs- Wir brauchen ein radikales Umdenken im Ver- politik gemacht. Wir werden diese Politik auch nach kehrsbereich, das endlich einmal auch die negati- dem 25. Januar 1987 fortsetzen. ven Folgeschäden berücksichtigt und zu politi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schem Handeln zugunsten der ökologisch sinnvol- Meine Damen und Herren, meine Vorredner ha- len Verkehrsträger führt. ben alle darauf hingewiesen, welche besondere Be- Weil dies meine letzten Ausführungen hier sind, deutung dem Verkehrsetat zukommt. Man muß sich möchte ich meine persönliche Auffassung zu diesen nur vergegenwärtigen, daß der Investitionsanteil Problemen insgesamt darlegen. Ich glaube, es ist im Verkehrshaushalt über 50 % beträgt. Das macht ein Irrtum, wenn man davon ausgeht, daß die freie deutlich, welche volkswirtschaftlichen Konsequen- Raserei auf unseren Straßen mit dem vorhandenen zen mit einer vernünftigen Verkehrspolitik verbun- Autcbestand und bei einer weiteren Zunahme des den sind. Wir glauben, es ist eine verkehrspolitische Pkw-Verkehrs auf die Dauer für die Umwelt trag- Gesamtkonzeption erforderlich, die eingebettet ist bar sein wird. Das möchte ich hier kraß in Frage in unsere gesellschaftlichen und volkswirtschaftli- stellen. Das ist eine Illusion. chen Zielsetzungen. Der Zeitmangel verbietet es mir, hier auf alle Bereiche und alle Aspekte einzu- (Lemmrich [CDU/CSU]: Sie scheinen nicht gehen. Ich kann deshalb nur einige Punkte, die mir zu wissen, daß es auf normalen Straßen ein besonders wichtig zu sein scheinen, hervorheben. Tempolimit gibt! Vielleicht halten Sie sich nicht daran und wissen es daher nicht!) Ich beginne mit der Deutschen Bundesbahn. Die Bundesregierung hat mit ihrem Konsolidierungs- Es wird sich herausstellen, daß das einzige reali- beschluß vom November 1983 die Grundlagen dafür tätsorientierte Konzept eine verkehrspolitische gelegt, daß die Bundesbahn auf einen vernünftigen Wende sein wird. Kurs geraten ist. Wir haben es geschafft, das jährli- Zum Schluß noch eine persönliche Betrachtung che Defizit der Bahn auf unter 3 Milliarden DM her- dessen, was wir hier als GRÜNE erfahren haben. unterzudrücken. Aber ich verkenne natürlich nicht, Wir sind vor vier Jahren hier eingezogen und haben daß es in Zukunft eine Reihe von Problemen geben — wie in sehr wenigen Bereichen in dieser krassen wird. Wir haben bereits in diesem Jahr gesehen, 19532 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Kohn welche Schwierigkeiten sich im Bereich des Güter- gens im Gegensatz zu den GRÜNEN —, daß auch in verkehrs ergeben. Ich weise auch darauf hin, was Zukunft Ortsumgehungen gebaut werden. Herr Gohlke j a immer zu Recht sagt, daß es im Zusammenhang mit Entwicklungen auf europäi- (Senfft [GRÜNE]: Das ist falsch! Das wis- sen Sie ganz genau!) scher Ebene Finanzrisiken geben wird. Hier muß - noch einiges geschehen, das steht völlig außer Fra- Wir wollen, daß Unfallschwerpunkte beseitigt und ge. Netzlücken geschlossen werden. Wir Liberalen bleiben dabei: Wir wollen die Bun- Im übrigen sollte man hier auch noch einmal desbahn zu einem marktorientierten Dienstlei- lobend hervorheben, daß bei keinem anderen Bun- stungsunternehmen fortentwickeln. desverkehrswegeplan zuvor die ökologische Dimen- (Senfft [GRÜNE]: Betonung auf markt sion des Problems eine so starke Beachtung gefun- orientiert!) den hat wie bei dem Plan, den wir im Januar 1986 beschlossen haben. Wir sind hierbei ein weites Stück dank der Leistun- gen des Vorstandes und der Mitarbeiter der Bahn (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) vorangekommen. Meine Damen und Herren, zum Thema Ver- Meine Damen und Herren, ich möchte hier an kehrssicherheit kann ich mich auf die Fortschrei- das Zehn-Punkte-Programm erinnern, das ich im bung des Verkehrssicherheitsprogramms beziehen. Juni des Jahres 1985 an dieser Stelle vorgetragen Wir sind sehr dankbar dafür, daß es gelungen ist, zu habe, und hier nur stichwortartig erwähnen, was einem wesentlichen Rückgang der Verkehrsunfälle aus unserer Sicht in der nächsten Legislaturperiode mit tödlichem Ausgang zu kommen. Hier wird aber geleistet werden muß. in Zukunft noch einiges erforderlich sein; denn die Dazu gehört die gesetzliche Verankerung der allerjüngsten Zahlen weisen leider in die falsche Transparenzrechnung. Dazu gehört die Lösung der Richtung. Hier besteht also Handlungsbedarf. Wegekostenproblematik. Dazu gehört die Herstel- Übrigens will ich im Zusammenhang mit der The- lung einer unternehmerisch tragfähigen Finanz- matik Verkehrssicherheit noch einen Punkt anspre- struktur: Einstieg in die Entschuldung. chen, der mir als Liberalem besonders am Herzen (Senfft [GRÜNE]: Warum haben Sie dann liegt. Wir Liberalen sind der Meinung, daß es ein die Gesetzentwürfe von SPD und GRÜ falsches Argument ist, wenn manche sagen, aus NEN abgelehnt? Es hat doch genug gege Gründen der Verkehrssicherheit dürfe man die ben! — Gegenruf des Abg. Lemmrich freien Sachverständigen nicht zur Kfz-Überwa- [CDU/CSU]: Die waren doch so misera chung in gleichem Maße zulassen wie die TÜVs. bel!) Wir halten das für falsch. Wir unterstützen nach- Dazu gehört auch die Rückendeckung der Politik drücklich die Position unseres Bundeswirtschafts- für ein unternehmerisches Handeln der Bahn, das ministers Bangemann.Wir wollen, daß freiberufli- in der Vergangenheit nicht immer vorhanden gewe- che Sachverständige in gleicher Weise zur Kfz- sen ist. Dazu gehört die Finanzierung der Aus- und Überwachung zugelassen werden, und ich bin guter Neubaustrecken der Bahn, um diesen Verkehrsträ- Hoffnung, daß wir das erreichen werden. ger attraktiv zu machen, und, meine Damen und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Herren, dazu gehört auch der Schienenpersonen- nahverkehr. Nachdem am gestrigen Tage der Kol- Meine Damen und Herren, zum Thema Auto und lege Reimann offensichtlich das Plenum des Deut- Umwelt nur einige Zahlen, damit man von diesen schen Bundestages mit dem Stadtrat von Ludwigs- ideologischen Diskussionen wegkommt: Im Januar hafen verwechselt hat, 1986 betrug der Marktanteil unverbleiten Benzins 5%; inzwischen, im Oktober, beträgt er 13%. Vor (Bindig [SPD]: Quatsch! Was soll denn das? einem Jahr war nur jedes 35. neue Fahrzeug mit Das ist doch Blödsinn!) einem Katalysator ausgestattet; heute ist es jedes möchte ich doch eine einzige Bemerkung hierzu 7. Fahrzeug. machen, meine Damen und Herren. Das Problem (Senfft [GRÜNE]: Nein, Gesamtbestand besteht nicht darin, daß diese Regierung nicht be- 1%!) reit wäre, dafür zu sorgen, daß ein vernünftiger Ver- kehrsverbund im Rhein-Neckar-Raum entsteht, das Dies macht deutlich, daß wir auf dem richtigen Problem bestand darin, daß in der Vergangenheit Wege sind, dafür zu sorgen, daß die Umweltbela- die kommunalen Gebietskörperschaften aus ego- stung durch Kraftfahrzeuge istischen Motiven nicht in der Lage waren, ein ver- nünftiges Konzept zu entwickeln. Deswegen wur- (Senfft [GRÜNE]: Unter dem Strich hat den in den 70er Jahren die Weichen falsch gestellt, sich die Menge der Stickoxide erhöht!) mit den Ergebnissen, die wir heute zu beklagen reduziert wird. haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, was den Bereich des Straßenbaus angeht, kann ich mich hier kurzfassen. Im übrigen will ich hier nachdrücklich sagen: Wir haben im Zusammenhang mit dem Bundesver- Meine Fraktion unterstützt aus Überzeugung die kehrswegeplan Anfang des Jahres ausführlich Vorgehensweise des Bundesministers Wallmann, diese Problematik diskutiert. Wir wollen — übri dafür zu sorgen, daß innerhalb der Europäischen Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19533

Kohn Gemeinschaft verbleites Normalbenzin so rasch wie gungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft möglich aus dem Verkehr gezogen wird. angleichen. (Senfft [GRÜNE]: Das sagen Sie schon seit (Beifall bei der FDP — Pfeffermann [CDU/- vier Jahren!) CSU]: Wasch mich, aber mach mich nicht naß!) - Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir un- Wir Liberalen sagen: Voraussetzung für die ge- terstützen das deshalb, weil dies die Verwirklichung plante Liberalisierung ist die Harmonisierung der der Drei-Säulen-Konzeption ist, die die Freie Demo- Wettbewerbsbedingungen. Daran werden wir uns kratische Partei durch meinen Kollegen Hoffie vor orientieren. Ich nenne als Stichworte: Kfz-Steuer, Jahr und Tag gefordert hat. Deswegen wollen wir Mineralölbesteuerung, technische Überwachung, das durchsetzen! Überwachung der Sozialvorschriften usw. (Beifall bei der FDP — Senfft [GRÜNE]: Meine Damen und Herren, wir wollen ein schritt- Aber im Ausschuß abgelehnt!) weises Vorgehen auf dem Weg zu einem liberali- sierten europäischen Verkehrsmarkt, um unseren Eine Bemerkung will ich noch zum Thema Bin- deutschen Verkehrsunternehmen eine Anpassung nenschiffahrt machen. Hier geht es uns vor allem ohne wirtschaftliche und soziale Nachteile zu er- darum, den mittelständischen Bereich und die Par- möglichen. tikuliere zu stärken. Herr Bundesverkehrsminister, ich will festhalten, daß es zwei Punkte gibt, an de- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zu- nen Probleme existieren, die gelöst werden müssen. sammenarbeit innerhalb der Koalition ist im Ver- Das betrifft einmal die Thematik der Festsetzung kehrsbereich ausgezeichnet gewesen. Ich möchte von Tagesmietsätzen für Tankschiffe mit weniger Ihnen, Herr Minister, ausdrücklich für die sachliche als 700 Eichtonnen durch die Tankfrachtausschüs- Kooperation und für das gute menschliche Klima se. Dies ist ein Schritt in die falsche Richtung. danken. Die Freien Demokraten stimmen dem Ver- kehrshaushalt zu. Wir werden dafür sorgen, daß wir Ebenso muß ich kritisieren, daß bei der Beset- diese erfolgreiche Politik nach 1987 fortsetzen kön- zung der Frachtenausschüsse in der Binnenschiff- nen. fahrt die Abteilung Binnenschiffahrt des Bundes Vielen Dank. der Selbständigen mit ihren Vorschlägen nicht zum Zuge gekommen ist. Herr Minister, ich bin der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Überzeugung: Es hat keinen Sinn, sich verbal für mittelstandspolitische Maßnahmen einzusetzen, Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr dann aber, wenn es ans konkrete Eingemachte Bundesminister für Verkehr, Dr. Dollinger. geht, zu kneifen.

(Dr. Struck [SPD]: Sehr gut!) Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: Frau Hier besteht Handlungsbedarf. Die Liberalen wer- Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! den sich dafür einsetzen, daß hier Besserung ein- tritt. (Dr. Struck [SPD]: Letzte Rede! Abschieds- rede!) (Zustimmung des Abg. Dr. Weng [Gerlin gen] [FDP]) — Ich kandidiere weiter. Ich werde auch gewählt werden. Machen Sie sich keine Sorgen. Meine Damen und Herren, aus Zeitmangel kann (Dr. Struck [SPD]: Aber als Minister wer- ich jetzt nicht auf die Themen der Seeschiffahrt den Sie geschaßt!) eingehen — der Kollege Metz hat dazu schon eini- ges gesagt, dem ich zustimmen kann —, auch nicht — Die Regierung wird nach der Wahl gebildet. auf den Bereich des Luftverkehrs. Ich nenne nur Ich möchte ein Wort an den Kollegen Purps sa- einige Stichworte, zunächst Liberalisierung des gen. Sie sind immer sehr sympathisch und höflich. Luftverkehrs in der Europäischen Gemeinschaft. Ich will versuchen, es genauso zu machen. Sie ha- Wir halten daran fest. Dazu gehört auch die Frage ben die Frage gestellt, ob ich Sie eigentlich ernst der Flugsicherheit; Stichwort: Sobernheimer Kon- nähme. Das tue ich. Ich stelle an Sie die Frage, ob zept. Ich kann das hier nicht breit ausführen. Da Sie alles das, was Sie gesagt haben, ernst gemeint wird es in der nächsten Legislaturperiode Hand- haben. Bei Ihrer Sachkenntnis ist das eigentlich gar lungsbedarf geben. nicht denkbar. Vor allem aber wird es für den nächsten Deut- Dem Kollegen Metz danke ich sehr. Er wird nun schen Bundestag Handlungsbedarf beim Thema in Bremen die Schiffahrts- und Hafenpolitik noch „Herstellung eines einheitlichen europäischen Ver- verstärkt fortsetzen. Ich hoffe, daß wir dann gut kehrsbinnenmarktes" geben. Ich möchte an dieser gemeinsam operieren können. Stelle die Bundesregierung auffordern, endlich ei- Herr Senfft, Sie haben eine Reihe von Dingen nen Zeitplan zur Harmonisierung der Wettbewerbs- genannt, die der Verkehrsminister, das Ministe- bedingungen aufzustellen. Wir Liberalen sagen j a rium, das Parlament, gemacht haben und die richtig zum europäischen Binnenmarkt und damit auch sind. Aber das geschah nicht nur zugunsten der zum europäischen Verkehrsmarkt, aber dies darf Lobbyisten, wie Sie meinen, sondern auch zugun- nicht auf Kosten des deutschen Gewerbes gesche- sten der Menschen. Wenn Autos verkauft werden, hen. Das heißt, wir müssen die Wettbewerbsbedin ist Beschäftigung vorhanden. Wenn Straßen gebaut 19534 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Bundesminister Dr. Dollinger werden, ist Beschäftigung vorhanden. So einfach, Abs mit seinem Sanierungsplan für die Deutsche wie Sie es gesagt haben, ist es wirklich nicht. Bundesbahn zwar immer wiederholt wird, aber (Senfft [GRÜFTE]: Wenn man Reisezüge falsch ist; denn Herr Abs hat diesen Plan selbst baut, ist auch Beschäftigung vorhanden!) zurückgezogen. Meine Damen und Herren, die Deutsche Bundes-- Wenn Sie die Deutsche Bundesbahn mit der bahn bekommt den Löwenanteil des Verkehrshaus- Neuen Heimat vergleichen, muß ich Ihnen sagen: halts, nämlich 54 %. Sie sollten eine solche Herabwürdigung des Vor- standes und der übrigen Verantwortlichen der deut- (Zuruf von der SPD: Wofür? — Mann schen Bahn hier nicht vornehmen. [GRÜNE]: Für Rentenleistungen haupt- sächlich!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Lage der Bahn hat sich wesentlich verändert. Verzeihen Sie, so können Sie es nicht machen: Das Das kann man nicht bestreiten. Die Jahresverluste Schlechte bei der Bahn macht der Verkehrsmini- sind zurückgegangen. Die Schulden sind viel gerin- ster, und das Gute bei der Bahn macht der Vor- ger angestiegen, als Sie hier behauptet haben und stand. — Es ist doch gesetzlich festgelegt, wie die als es noch 1982 erwartet wurde. Es ist auch völlig Aufgabenverteilung ist. falsch, wenn Sie hier den Versuch machen, so zu (Senfft [GRÜNE]: Sie haben die Verant tun, als ob Sie auf Grund Ihrer Arbeit dazu präde- wortung!) stiniert wären, die Bahn zu retten. Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, der Verkehrshaushalt 1987 stellt in Zahlen geschrieben die Verkehrspoli- Vizepräsident Frau Renger: Herr Bundesminister, tik der Bundesregierung dar. Ihre Leitgedanken gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten sind: Eigenverantwortung, Leistungsfähigkeit, Zu- Senfft? kunftsvorsorge, Gewähr für Sicherheit, für mehr Umweltschutz und für ein zeitgerechtes Verkehrs- angebot. Der Verkehrshaushalt 1987 ist zugleich ein Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: Nein, Beispiel für den Zugewinn an haushalts- und fi- Frau Präsidentin. Die Zeit ist zu knapp. nanzpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten im Ver- lauf dieser Legislaturperiode. Vergleichen wir: Der Vizepräsident Frau Renger: Keine Zwischenfrage. Verkehrshaushalt ist von 1979 bis 1982 nominal um (Senfft [GRÜNE]: Sie treten noch nicht ein- 5% geschrumpft. Die Verkehrsinvestitionen sind in mal hier in den Dialog ein! — Lemmrich derselben Zeitspanne um real 23 % zurückgegangen. [CDU/CSU]: Den Dialog hätten Sie im Aus- ) Die Investitionsquote ist von 51,2 % auf 47,8 % gesun- schuß haben können, Herr Senfft! Da wa- ken. Die Bauziele des Bundesverkehrswegeplans ren Sie nie da!) 1980, die sich auf einen Beschluß des Parlaments stützen, wurden nur zu 75% erfüllt. Ich muß schon Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: In be- sagen: Die Opposition SPD sollte hier etwas vor- zug auf die Verkehrsentwicklung darf ich sagen: sichtiger mit den Angriffen auf die heutige Ver- Beim Personenverkehr lag der Verkehrsanteil der kehrspolitik sein. Bahn 1982 bei 6,8 %, 1985 bei 7,1 %. Wir haben also (Zurufe von der SPD) keinen weiteren Rückgang zu verzeichnen, sondern eine Zunahme, wenn auch eine geringe. — Meine Damen und Herren, Sie können doch Zah- len nicht bestreiten, auch wenn sie Ihnen unange- Beim Güterverkehr betrug der Verkehrsanteil nehm sind. der Bahn 1982 28,5%, 1985 29,4 %. Was wir bei der Bahn investieren, ist bekannt. (Dr. Struck [SPD]: Das tun wir doch gar Herr Kollege Purps, wenn Sie sagen, wir sollten nicht!) mehr bei der Bahn investieren, muß ich hier fest- Wir haben demgegenüber 1986 eine weitere Erhö- stellen, daß die Deutsche Bundesbahn im Jahre hung der Ausgaben um 270 Millionen DM zu ver- 1985 Investitionen in Höhe von 5,9 Milliarden DM zeichnen und stehen beim Verkehrshaushalt damit geplant hatte, die Bahn aber effektiv leider nur bei 25,7 Milliarden DM. Wenn wir nicht mehr den 5,3 Milliarden DM investieren konnte. Wir sind hier dritten, sondern den vierten Platz erreicht haben, 1987 trotzdem auf einer Rekordhöhe, die früher nie- weil die Bundesschuldenverwaltung mit rund mals erreicht worden ist. Sie wissen: 1987 hat die 34 Milliarden DM auf Platz drei steht, so ist das das Deutsche Bundesbahn Investitionen in Höhe von Ergebnis der Finanzpolitik der vorhergehenden Re- 6,5 Milliarden DM geplant. gierung. Die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn wird sich da- (Widerspruch bei der SPD) mit wesentlich verbessern. Ich bin der Überzeu- Die Mittelansätze für Investitionen sind um 3 % auf gung, daß wir auf dem richtigen Weg sind, eine gute, über 13 Milliarden DM gestiegen. Die Investitions- moderne, attraktive Deutsche Bundesbahn zu quote erreicht damit 50,8% gegenüber 45,3 % nach schaffen. der Finanzplanung der früheren Bundesregierung. Zum Straßenbau: Der Bedarfsplan für die Bun- Ich glaube, man sollte angesichts dieser Zahlen desfernstraßen wurde hier vom Deutschen Bundes- nicht sagen, daß der Finanzminister die Verkehrs- tag verabschiedet. 6,25 Milliarden DM sind für das politik behindere. Das wäre völlig falsch. Ich weise nächste Jahr vorgesehen. Ich danke besonders dem auch darauf hin, daß die Bezugnahme auf Herrn Haushaltsausschuß für seine Bemühungen um die Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19535

Bundesminister Dr. Dollinger Erhöhungen. Wir werden davon 5,1 Milliarden DM steme, um ihren Lebensstandard bei zunehmendem investieren. 2,2 Milliarden DM dienen allein der Er- Wettbewerb erhalten zu können. Daneben erfordert haltung der Straßen. Das ist ein wichtiger Punkt. das Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Dieser Betrag steigt bis zu den 90er Jahren auf Teilen der Bundesrepublik herzustellen, gute Ver- 3 Milliarden DM an! kehrsverbindungen gerade für die schwach struktu- rierten Regionen unseres Landes. Das Autobahnnetz betoniert Deutschland nicht zu, Herr Senfft. 32 000 km Bundesstraßen und (Senfft [GRÜNE]: Sie tun genau das Ge- 8 400 km Autobahnen machen 0,2 % der Fläche der genteil!) Bundesrepublik Deutschland aus. Die letzten Netz- Im neuen Bundesverkehrswegeplan werden beide lücken werden geschlossen. Wir werden im näch- Ziele als Grundlage des weiteren Ausbaus unserer sten Jahr rund 180 km neue Autobahn fertigstel- Verkehrswege verfolgt. Der Verkehrshaushalt 1987 len. hilft, diese Ziele zu erreichen. Bei den Bundesstraßen handelt es sich vorwie- Ich danke den Damen und Herren in den Aus- gend um Ortsumgehungen. Wir geben dafür im schüssen. Ich danke allen Beschäftigten in den Be- Zeitraum 1986 bis 1990 rund 5 Milliarden DM aus. reichen Bahn, Straße, Binnenschiffahrt, Hochsee- Wir haben im Augenblick rund 100 Baustellen. Wir schiffahrt und Luftfahrt für ihren tatkräftigen Ein- haben mit diesen Ortsumgehungen auch einen satz zum Wohle unserer Burger. wichtigen Beitrag für den Umweltschutz zu leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dabei sollten wir nicht immer nur vom Schutz von Tieren und der Pflanzenwelt sprechen, sondern auch vom Schutz der Menschen. Vizepräsident Westphal: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. (Senfft [GRÜNE]: Durch mehr Straßenbau und Straßenverkehr? Das ist doch ein Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst Witz!) über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜ- NEN. Sind Sie damit einverstanden, daß wir über Ich glaube, daß wir ein harmonisches Nebeneinan- beide Anträge gleichzeitig abstimmen? — Dann der von Natur und Mensch herstellen. rufe ich die Änderungsanträge auf den Druck- Der Abgasgroßversuch hat eines gezeigt — es sachen 10/6487 und 10/6488 auf. Wer diesen Anträ- wird ja immer wieder ein Tempolimit gefordert — : gen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Auf Grund der modernen Technik — schon jetzt Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- 1,5 Millionen schadstoffarme Pkw— tungen? — Beide Änderungsanträge sind mit gro- Ber Mehrheit abgelehnt. (Senfft [GRÜNE]: Sogenannte!) Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 12 ab. Wer haben wir mehr Einsparungen, als wir hätten, wenn dem Einzelplan 12 — Geschäftsbereich des Bundes- wir ein Tempolimit eingeführt hätten: ministers für Verkehr — in der Ausschußfassung (Senfft [GRÜNE]: Das ist unwahr!) zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — bei Kohlenwasserstoff um mehr als das Elffa- — Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen. che, Bevor ich den nächsten Einzelplan aufrufe, hat — bei Kohlenmonoxid um mehr als das 1,5fache der Abgeordnete Mann zu einer persönlichen Er- und klärung nach § 30 der Geschäftsordnung das Wort. — bei Stickoxiden bereits eine Reduzierung um im- merhin 60%. Mann (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kollegin- Ich danke all denen, die neue Autos mit Katalysa- nen und Kollegen! Ich habe in meiner Rede im tor kaufen. Zusammenhang mit dem Einundzwanzigsten Straf- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rechtsänderungsgesetz den Kollegen Erhard in sei- ner Eigenschaft als Parlamentarischer Staatssekre- Der öffentliche Personennahverkehr wird von tär, der in hervorgehobener Stellung für die Rechts- uns nicht vernachlässigt. Wir werden im kommen- politik der Bundesregierung verantwortlich ist, an- den Jahr für den kommunalen Straßenbau und den gesprochen. Es lag und liegt mir fern, den Kollegen öffentlichen Personennahverkehr jeweils 1,4 Milli- Erhard persönlich zu bezichtigen, er relativiere die arden DM ausgeben. Ich glaube, daß wir hier mehr Ermordung von sechs Millionen Juden mit der Ver- tun als Länder und Gemeinden zusammen. treibung der Deutschen am Ende des Zweiten Welt- Die Seeschiffahrt hat Kollege Metz ausführlich krieges. Wenn dieser Eindruck entstanden ist, be- gewürdigt. Wir müssen alles tun, damit auf diesem daure ich das aufrichtig und bitte den Kollegen Er- Gebiet das erfolgt, was für die Wettbewerbsfähig- hard um Entschuldigung. keit unserer Flotte — einschließlich der Häfen — Danke sehr. notwendig ist. (Beifall bei allen Fraktionen — Pfeffer- (Vorsitz: Vizepräsident Westphal) mann [CDU/CSU]: Fragt sich nur, wen er Moderne Industriestaaten wie die Bundesrepu- gemeint hat mit diesem Satz!) blik Deutschland mit ihren intensiven internationa- len Verflechtungen benötigen leistungsfähige, um- Vizepräsident Westphal: So stelle ich mir eigent- weltverträgliche und kostengünstige Verkehrssy- lich ein solches Verfahren vor. 19536 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Vizepräsident Westphal Ich rufe auf: den Wirtschaft zu tun. Wir kritisieren auch nicht, Einzelplan 13 daß die Post Gewinne macht, die in der Offentlich- keit von manchen als viel zu hoch angesehen wer- Geschäftsbereich des Bundesministers für den. Wir kritisieren das ausdrücklich nicht. Ich das Post- und Fernmeldewesen weise nur darauf hin, daß die Gewinne, die die Post- — Drucksachen 10/6313, 10/6331 — macht, natürlich auch Nachwirkungen von Gebüh- Berichterstatter: renerhöhungen früherer Postminister, also Vorgän- Abgeordnete Deres gern von Herrn Schwarz-Schilling, sind. Wir kriti- Walther sieren das ausdrücklich deshalb nicht, weil natür- Suhr lich auch wir wissen, daß, wer solche hohen Investi- tionsraten finanzieren muß, dies nicht nur über Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- Schulden machen kann, sondern dafür Gewinne rung im Ältestenrat sind für die Beratung 60 Minu- und Abschreibungen braucht. ten vorgesehen. Die Redezeit für die Fraktion der GRÜNEN soll 10 Minuten betragen. — Ich sehe, Sie Was uns Sorge macht, Herr Minister, ist, daß die sind damit einverstanden. Verschuldung bei der Deutschen Bundespost leider Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat in einem erheblichen Umfang zunimmt. Daß diese der Abgeordnete Walther. enorm ansteigende Verschuldung uns Sorgen ma- chen muß, beweist die Tatsache, daß uns Sachver- ständige — ich erinnere an Herrn Dr. Christians — Walther (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen jedes Jahr einmal im Postverwaltungsrat vortra- und Kollegen! Mein Freund Peter Paterna hat mich gen, wie sich die Finanzstruktur bei der Post rapide vorhin gefragt, warum wir denn eigentlich den Ein- verschlechtert. Deshalb muß die Frage gestellt wer- zelplan 13 ablehnen wollten, da er j a nur das Gehalt den, welche Alarmglocken in Ihrem Ministerium ei- des Ministers und seines Parlamentarischen gentlich anfangen zu läuten. Denn bei der Vorlage Staatssekretärs umfasse, ob ich denn denen ihr Ge- des Posthaushalts 1987 und der Vorausschau für die halt nicht gönnen würde. Ich habe gesagt: Zum So- nächsten Jahre erkennen Sie selber, daß Sie späte- zialamt sollen sie nicht. Aber hinter dem Gehalt stens 1988 rote Zahlen schreiben werden, wenn steht natürlich die Politik, über die wir hier zu nichts passiert. Deshalb bitte ich darum, daß Sie reden haben, und diese Politik steht zur Abstim- uns heute abend hier erklären, wie Sie die sich mung, nicht die Frage, ob wir die Herren bezahlen ungünstig entwickelnde Finanzstruktur bei der wollen oder nicht. Deutschen Bundespost in Ordnung bringen wollen. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Dann könnt Ich sage noch einmal: Wir kritisieren nicht die ihr j a zustimmen!) Höhe der Investitionen, aber zumindest einen Teil Ich will nur eine kurze Bemerkung zu dem Herrn der Investitionen, die Sie finanzieren. Über die Parlamentarischen Staatssekretär machen. Er wird Breitbandverkabelung haben wir oft genug gespro- zwar im Moment gestört, aber vielleicht kann man chen. Sie wissen von mir, daß ich mich mit Ihnen in ihm sagen, daß ich ihm einen Satz zuwenden möch- keine medienpolitische Diskussion einlasse. Für te. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe, mich stellt sich vielmehr die Frage — wie übrigens ich sage Ihnen bei aller menschlichen Freundlich- auch für den Kollegen Friedmann, der dankenswer- keit, die ich Ihnen nicht abspreche: Die Art und terweise hier ist —: Wie rentiert sich das Ganze Weise, wie Sie knüppelharte schwarze Personalpo- denn? Wir wissen, daß in der Zwischenzeit ein Ver- litik bei der Post machen, ist der Grund dafür, daß lust von 750 Millionen DM aufgelaufen ist und über- wir Ihren Haushalt mit ablehnen. haupt nicht abzusehen ist, wann einmal der Break- (Lachen des Abg. Pfeffermann [CDU/ even-point erreicht wird, wann also dieser Dienst in CSU]) die schwarzen Zahlen kommt. Ich denke, Sie sind angesichts der Tatsache, daß der Telefonkunde hier Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie bei Ih- eine Menge mitzufinanzieren und zu subventionie- rer knüppelharten Personalpolitik auch einmal da- ren hat, also auch die Breitbandverkabelung oder für sorgen würden, daß nicht nur das Parteibuch im Ihr medienpolitisches Hobby zu subventionieren Vordergrund steht. hat, der Öffentlichkeit Rechenschaft darüber schul- (Beifall bei der SPD — Pfeffermann [CDU/ dig, wann Sie endlich Maßnahmen ergreifen wollen, CSU]: Billiger geht es wirklich nicht! — damit sich dieser Dienst zumindest trägt und die Glos [CDU/CSU]: Ein ausgesprochenes aufgelaufenen Verluste ausgeglichen werden. Kompliment für Herrn Rawe!) (Dr. Struck [SPD]: Das kann er nicht!) Meine zweite Bemerkung, die ich zum Minister machen muß, ist etwas umfänglicher. Herr Mini- Zweitens ist die Frage zu stellen: Wie halten Sie ster, Sie wissen, daß wir Ihnen seit Jahren einiges es eigentlich mit dem Bildschirmtext? Wenn ich vorzuhalten haben, von dem ich hier ein paar Dinge richtig rechne, ist dort auch schon ein Verlust von 1 wiederholen muß. Ich will jedoch vorausschicken, Milliarde DM aufgelaufen. Das Ganze ist ja ein was wir nicht kritisieren. Flop, wie jedermann weiß. Wir kritisieren nicht, daß bei Ihnen die Investi- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Aber doch nicht tionsrate gesteigert wird. Das wird von uns prinzi- von diesem Minister, sondern von seinem piell nicht kritisiert, da wir wissen, das hat etwas Vorgänger! Die Vergabe an IBM ist von mit Arbeitsplätzen bei der Post und in der zuliefern- vorher!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19537 Walther — Der regiert doch schon vier Jahre. Er muß doch dann werden diese Ihnen sagen, daß sie unter endlich einmal sagen, was er da vorhat, Herr Kol- der Fülle der Erlasse, Ausführungsverordnungen, lege Pfeffermann. Wenn Sie hier schon dazwischen- Durchführungsverordnungen, Änderungsverord- krakeelen und damit Ihrem Ruf, der Ihnen voraus- nungen, Gebührenänderungen, Ausführungen zu eilt, alle Ehre machen, dann muß ich Ihnen das ent- Gebührenänderungen so ersticken, daß sie über- gegenhalten. haupt nicht mehr wissen, was eigentlich Sache ist. Herr Minister, die Frage ist nicht, wie hoch die (Bohl [CDU/CSU]: Wie war das denn bei Investitionen sind, sondern was Sie mit dem Geld euch? — Weitere Zurufe von der CDU/- machen. Ich sage Ihnen: Ihnen fehlt nach meiner CSU) Überzeugung ausreichendes Geld, um die Digitali- Es kommen viele Fehlinformationen für die Bürger sierung des Fernsprechnetzes und die Glasfaserver- dabei heraus, weil man gar nicht mehr so schnell kabelung so schnell voranzutreiben, daß dadurch nachkommt, wie die Papiere aus dem Bundespost- nicht strukturelle Ungleichgewichte in der Bundes- ministerium vor Ort angeliefert werden. republik und regionale Unterschiede in nicht zu vertretendem Maße entstehen. Ich bitte also darum, (Bohl [CDU/CSU]: Wie hieß denn damals daß Sie uns hier auch vor der Öffentlichkeit sagen, Ihr Minister? Gscheidle!) wie Sie sich das vorstellen. Herr Minister, die Antwort auf diese Frage sollten Herr Minister, der eigentliche Vorwurf, den ich Sie sich einmal überlegen. Ich bin der festen Über- Ihnen heute abend zu machen habe, ist, daß Sie zeugung, daß dies mit darüber entscheidet, ob die nicht mit Menschen umgehen können. Jeder Post- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen minister in der Vergangenheit — das gilt übrigens Bundespost motiviert sind und sich für den Erfolg für jeden Unternehmer — wußte, daß er ein solches ihres Unternehmens einsetzen oder ob diese den Unternehmen wie dieses nur dann führen kann, Eindruck haben müssen: Da ist ein Minister, der auf uns überhaupt keine Rücksicht nimmt. — Des- wenn er sich in Übereinstimmung mit den Be- halb sage ich folgendes noch einmal, Herr Minister. triebs- und Personalvertretungen befindet. Sie steuern ständig auf den Konflikt mit den Personal- Das meine ich wirklich ganz ernst, und das ist — vertretern zu. vielleicht nehmen Sie das an — überhaupt keine Wahlkampfmasche von mir. (Zuruf von der SPD: So ist es!) (Bohl [CDU/CSU]: Aber nein, auf die Idee Daß die Stimmung beim Personal wirklich mies ist, wären wir nie gekommen! — Pfeffermann wissen Sie, ist Ihnen oft genug gesagt worden, es sei [CDU/CSU]: In Demut steht er da! — Wei- denn, Sie wären jetzt schon so abgeschirmt, daß tere Zurufe von der CDU/CSU) Ihnen das keiner mehr sagt. Sie haben das in Nürn- Dies ist ein ganz persönlicher Rat, den ich Ihnen berg auf dem Kongreß der Deutschen Postgewerk- gebe, Herr Minister: Kümmern Sie sich wirklich schaft miterlebt, und da haben Sie sich wirklich ein und endlich um die Menschen in Ihrem Betrieb; tolles Ding geleistet. Ich muß Ihnen das jetzt leider vorlesen. Dort haben Sie gesagt: „Wir haben in den (Frau Dann [GRÜNE]: Damit ist er über- letzten Jahren unser größtes Kapital wieder akti- fordert!) viert, nämlich unsere Haupttugenden Intelligenz, denn sie dürfen nicht das Gefühl haben: Da oben Disziplin, Fleiß und Tüchtigkeit." sitzt einer, der autoritär anordnet, der durchführen (Dr. Struck [SPD]: Hört! Hört!) läßt und sich nicht um die eigentlichen Probleme der kleinen Beamten vor Ort kümmert, die alles Das Protokoll des Gewerkschaftstages vermerkt an ausbaden müssen, was in Ihrem Ministerium aus- dieser Stelle „Lachen". Ich sage Ihnen, Herr gebrütet wird. Schwarz-Schilling, das war mehr als peinlich, was Sie sich dort geleistet haben. Ich sage deshalb: Wir danken allen Postmitarbei- tern für ihren vorbildlichen Einsatz, die sich nicht (Bohl [CDU/CSU]: Was Sie gemacht haben, durch die Art und Weise, wie der Minister das Un- das kann ich mir vorstellen!) ternehmen geführt hat, entmutigen lassen. Ich sage Denn ich frage: Waren denn alle diejenigen, die als letztes: Der Bundespostminister ist ein Mann, schon länger als vier Jahre bei der Deutschen Bun- dem man im Interesse der Post und im eigenen despost sind, über die ganze Zeit dumm und faul Interesse einen baldigen Ruhestand wünschen und haben sie nichts getan? Nein, Herr Minister, so muß. können Sie nicht mit Menschen umgehen. (Sehr wahr! bei der SPD) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Wir Sozialdemokraten werden alles tun, damit die- Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist aber ser Wunsch in zwei Monaten schon in Erfüllung ein intellektueller Kurzschluß! Das ist aber geht. eine dünne Suppe hier!) Vielen Dank. Ich sage Ihnen ein Zweites: Wenn Sie Gelegen- (Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] heit haben, nicht nur Ihre PR-Show zu machen — [CDU/CSU]: Das war sehr erbärmlich!) wie in diesen Wochen —, sondern auch mit den Mit- arbeitern vor Ort, mit den lebendigen Menschen der Deutschen Bundespost zu reden, Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- (Dr. Struck [SPD]: Das kann er gar nicht!) ordnete Deres. 19538 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Deres (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr sche Bilanz der Deutschen Bundespost ansieht, verehrten Damen und Herren! Der Kollege Walther kommt nicht umhin, insbesondere auf folgende hat soeben die schwarze Personalpolitik angespro- Sachverhalte mit Nachdruck hinzuweisen: chen. Wenn ich draußen im Lande und auch in den (Zuruf von der SPD: Was sagt der Bundes Ministerien herumkomme, dann höre ich immer rechnungshof dazu?) - nur: Ihr von der CDU seid doch viel zu harmlos. Das haben die früher ganz anders und viel radikaler Die Post hat durch ihre Gebührenstabilität einen gemacht. bemerkenswerten Beitrag zur Geldwertstabilität geleistet. (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FI)P) Zur Frage der Finanzierung der modernen Meine Kollegen von der SPD, Geldwertstabilität Dienste möchte ich nur einen bescheidenen Satz kommt nicht allein von den Ölpreisen, sondern es beitragen: Die gelbe Post, die heute im Defizit ist, verhält sich wie bei einem Mosaik: Viele Steine hat einmal zu Anfang die Investitionen für das Te- müssen ein Bild ergeben. Bei der Stabilität ist un- lefon getragen. Das Telefon trägt heute die Breit- ser Bild auch durch die Hilfe der Bundespost bandverkabelung. Wir müssen leider Defizite im positiv. gelben Bereich teilweise wieder mittragen, weil die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — modernen Dienste erfolgreich geworden sind. Ich Zuruf von der SPD: Richtig, die 80-Pfennig halte die Entwicklung der Post für vorbildlich in der Marke kostet heute noch genauso viel wie Fortentwicklung des Geschehens. Daher ist es früher!) schon richtig, was hier geschieht. — Sie wollten das Geld für etwas anderes ausgeben. (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von Wir haben gespart und sind vernünftig damit umge- der SPD) gangen. Wir haben soeben gehört, daß der Bundespostmi- Dies ist um so bemerkenswerter, weil der Perso- nister nicht mit Menschen umgehen kann. Rudi nalbestand der Post von 1982 bis 1986 nicht nur kon- Walther bezog sich auf die Nürnberger Rede. Ich stant geblieben ist, sondern um rund 5 000 Arbeits- höre selbst von SPD-Leuten, daß diese die Rede als plätze angestiegen ist. Daneben hat die Deutsche ganz hervorragend herausgestellt haben. Bundespost einen wesentlichen Beitrag zum Abbau (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD — der Jugendarbeitslosigkeit geleistet und die Zahl Widerspruch bei der SPD) der Ausbildungsplätze von 1982 bis 1986 um rund Zum Umgang mit Menschen möchte ich sagen: 26% von 14 467 auf 18 300 erhöht. Meine Damen und Herren, wo gibt es denn einen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) konfliktfreien Raum? Schon gar nicht in Personal- Und dies als zahlenmäßig letzter Vergleich: 1982 vertretungen oder gar in Betriebsräten! betrugen die Gesamtinvestitionen der Post 12,7 Mil- (Zuruf von der SPD: Nicht einmal hier!) liarden DM — zur allgemeinen Erinnerung, viel- Das wären doch Sauregurkenzeiten, wenn es dort leicht auch mit Blick in das Publikum: 1 Milliarde konfliktfrei herginge. Ich meine andererseits — wir sind 1 000 Millionen und nicht, wie die SPD meint, können es jedenfalls bestätigen —, daß dieser Mini- 100 Millionen —, ster ein guter Mensch und ein tüchtiger Minister (Frau Simonis [SPD]: Bangemann! — Wei ist tere Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 1986 sind es 18,1 Milliarden DM. Damit haben wir Meine Damen und Herren, Norbert Blüm hat eine Steigerungsrate von 42,5%. heute morgen die sozialistische Umverteilungspoli- Die Leistungen der letzten vier Jahre sind das tik in klassisch-pädagogischer Methodik in zwei an- eine, die richtige Weichenstellung für die Zukunft schaulichen Bildern dargestellt: ist das andere. Erstens. Der Versorgungsstaat holt dem Bürger (Waltemathe [SPD]: Richtig!) viel Geld aus einer Tasche und gibt ihm nach Abzug Bei einem solchen Unternehmen ist das dringend hoher Verteilungskosten weniger in die andere Ta- notwendig. sche zurück. Dafür erwarten die Umverteiler, so Norbert Blüm, auch noch Dank. (Waltemathe [SPD]: Das ist wahr!) Das zweite anschauliche Bild: Der Bürger füllt Lassen Sie mich einige Anmerkungen dazu ma- eine Postanweisung an sich selbst aus, zahlt Gebüh- chen. ren und soll dem Briefträger für die Überbringung Die fernmeldepolitischen Entscheidungen der des Betrages auch noch danke schön sagen. Gegenwart werden einen entscheidenden Einfluß Auch über Postgebühren kann man Verteilungs- auf die Weiterentwicklung des Fernmeldewesens, politik machen. Du hast an die Gebührenpolitik des der Wirtschaft insgesamt und unserer Gesellschaft sozialdemokratischen Postministers erinnert, lieber haben. Durch das Zusammenwachsen von Daten- Rudi Walther. Wir haben Grund, uns bei der Deut- verarbeitung und technischer Kommunikation auf schen Bundespost — vom Briefträger bis zum Bun- der Basis von Mikroelektronik, Glasfaser- und Sa- despostminister — für Besseres zu bedanken. Wer tellitentechnik werden neue Formen von Dienstlei- sich nämlich die ausgesprochen erfolgreiche politi- stungen entstehen, die schließlich den Übergang Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19539

Deres unserer Gesellschaft zur Informations- bzw. Kom- verpflichtet die Deutsche Bundespost zur Moderni- munikationsgesellschaft beschleunigen werden. sierung ihrer Fernmeldeanlagen. entsprechend dem Wir alle wissen, daß die stürmische technologi- Fortschritt der technologischen Entwicklung. Infor- sche Entwicklung und die besondere Bedeutung der mationsversorgung ist eine Aufgabe der Daseins- vorsorge, und Daseinsvorsorge verpflichtet zum flä- IuK-Techniken es notwendig machen, auch die Or- chendeckenden Angebot von Telekommunikations- ganisation des Fernmeldewesens zu überdenken. Die Regierungskommission „Fernmeldewesen" be- diensten, wie die Deutsche Bundespost es immer faßt sich mit dieser Aufgabenstellung seit letztem gesehen hat. Jahr und wird aller Voraussicht nach Anfang näch- Mit dem Regierungsbericht „Informationstech- sten Jahres Ergebnisse vorlegen. Es ist sicher, daß nik" hat die Bundesregierung unter Federführung sich der Deutsche Bundestag mit diesen Ergebnis- des Bundesministers für Forschung und Technolo- sen beschäftigen wird. Herr Minister, wir werden es gie im Jahr 1984 eine umfassende Konzeption zur wie immer in kritischer Form tun, aber schließlich Förderung der Mikroelektronik und der Informa- werden wir das Ergebnis, wenn wir es haben, auch tions- und Kommunikationstechniken beschlossen. mittragen, um den richtigen Weg in die Zukunft zu Auch der Bereich der technischen Kommunikation gehen. als eine der tragenden Säulen der Informations- technik ist darin durch ein Bündel innovationsbele- Das Angebot preiswerter und leistungsfähiger bender Maßnahmen näher beschrieben. In diesem Kommunikationsdienste stellt für Unternehmen Zusammenhang wurde der Bundespost die Aufgabe schon heute häufig ein wesentliches Kriterium da- übertragen, in den technologisch besonders heraus- für dar, in welchem Land Produktions- und Verwal- fordernden Gebieten der Digitalisierung der Fern- tungsstätten angesiedelt werden. Nicht zuletzt aus meldenetze und der Einführung der optischen diesem Grund bildet ein funktionsfähiges Fernmel- Nachrichtenübermittlung eine langfristige Perspek- dewesen, das zum einen den technologischen Fort- tive sowie ein mittelfristiges Programm zu erarbei- schritt ausschöpft, sich zum anderen auf den sich ten. wandelnden Markt flexibel einstellen kann, eine wesentliche Standortqualität der Bundesrepublik Diese Aufträge hat die Deutsche Bundespost be- Deutschland. reits 1984 mit dem „Konzept zur Weiterentwicklung der Fernmeldeinfrastruktur" sowie mit dem mittel- Die Deutsche Bundespost vollzieht mit der Ein- fristigen Programm erfüllt. führung des dienstintegrierten digitalen Fernmel- denetzes, ISDN, in den öffentlichen Kommunika- Die erarbeiteten Perspektiven bilden einen we- tionsnetzen einen Entwicklungsschritt, der sich in sentlichen Orientierungsrahmen, der Bürokommunikation seit längerem andeutet, (Waltemathe [SPD]: Das ist bei den mei- nämlich die Möglichkeit, Kommunikationsverbin- sten Perspektiven so!) dungen über die reine Sprachübermittlung hinaus der die vielfach parallel zueinander verlaufenden gleichzeitig auch zum begleitenden Austausch von Einzelentwicklungen in den Fernmeldenetzen in Texten, Daten und Bildern zu nutzen. Diese Anwen- ein Gesamtkonzept einfügt, das sogar international dung erscheint schon deshalb äußerst interessant, erhebliche Beachtung findet. Wer sich abkoppelt, weil noch in diesem Jahrzehnt an jedem dritten muß wissen, daß er sich dadurch aus dem interna- Arbeitsplatz, der über ein Telefon verfügt, auch Ter- tionalen Konzert verabschiedet. minals für die Text- und Datenverarbeitung auftau- chen werden. Im ISDN werden diese Kommunika- Die Entwicklung der Informations- und Kommu- tionsbeziehungen über ein öffentliches Kommuni- nikationstechniken verläuft heute mit einer Ge- kationsnetz vermittelt werden. schwindigkeit, die bis vor wenigen Jahren kaum vorherzusehen war. Neuartige Technologien auf der Unübersehbar ist der Trend zu immer leistungs- Basis von Mikroelektronik, von Glasfaser- und Sa- fähigeren Fernmeldenetzen, die es gestatten, die tellitensystemen schaffen immer leistungsfähigere sehr schnelle Text- und Datenkommunikation und Verfahren der Informationsverarbeitung und -ver- die Bewegtbildkommunikation in den Informations- sorgung. Die Deutsche Bundespost hat diese Her- prozeß mit einzubeziehen. Deshalb wird es notwen- ausforderung angenommen. dig, das ISDN möglichst ohne zeitlichen Verzug zu einem breitbandigen, integrierten Fernmeldenetz, Zum Schluß möchte ich ein Wort ... dem Breitband-ISDN, weiterzuentwickeln, das es erlaubt, vermittelte Glasfaserverbindungen von Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, es Teilnehmer zu Teilnehmer zu realisieren. Ein sol- wird aber auch Zeit. ches Netz wird Kommunikationsformen ermögli- chen, die nicht einfach nur eine Steigerung der Lei- stungsfähigkeit der Dienste darstellen, sondern die Deres (CDU/CSU): ... zur Privatisierungskam- neue Anwendungsformen, z. B. im Bereich der com- pagne von deutscher Postgewerkschaft und Sozial- putergestützten Produktion und des Informations- demokratischer Partei sagen. Das Privatisierungs- zugriffes in Datenbanken, bieten. gerede ist überflüssig wie ein Kropf. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Deutsche Bundespost als Verwaltung des Bundes für das Post- und Fernmeldewesen hat den gesetzlichen Auftrag, eine leistungsfähige Fernmel- Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter! Ich deinfrastruktur bereitzustellen und sie technisch muß Sie ermahnen. Sie sind mehr als eine Minute und betrieblich weiterzuentwickeln. Dieser Auftrag über der Zeit. 19540 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Deres (CDU/CSU): Meine Fraktion hat mir das haltsjahr 228 000 DM und die seines Staatssekre- erlaubt. tärs 176 000 DM betragen werden.

(Heiterkeit) (Frau Simonis [SPD]: Das gibt eine Menge - Diese Privatisierungskampagne ist überflüssig Brot!) wie ein Kropf. Die Post ist ein öffentliches Unter- nehmen und wird es bleiben. Niemand soll sich ver- Außerdem kann ich zum wiederholten Mal be- unsichern lassen, besonders nicht von denen, die kräftigen, daß DIE GRÜNEN die Millionenausga- z. B. die Neue Heimat für fünf Brötchen privatisiert ben der Bundesdruckerei zur Herstellung der ma- haben. schinenlesbaren Personalausweise für eine verant- wortungslose Verschwendung von Steuergeldern (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der halten. FDP) Der Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft (Beifall bei den GRÜNEN) hat ja wohl deshalb den Neue-Heimat-Dämpfer er- fahren, weil er nicht nur die Neue Heimat privati- Dies ist eigentlich alles, worüber wir heute zu siert hat, sondern auch die Bank für Gemeinwirt- beraten haben. Viel mehr steht nicht im Einzel- schaft im Teilverkauf und den geplanten Teilver- plan 13. kauf der „Volksfürsorge". Allerdings habe ich kein Interesse, über die Brief- (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Nicht wegen tasche des Ministers an dieser Stelle zu debattieren. Privatisierung, sondern wegen Abstau Viel wichtiger ist es, über den tatsächlichen Post- ben!) haushalt zu sprechen, der mit 75 Milliarden DM Also, meine Damen und Herren Kollegen von der mehr als ein Viertel — man höre und staune — des SPD, im Schulterschluß mit der Postgewerkschaft, gesamten Bundeshaushaltes erreicht, der aber an- mit den Gewerkschaften: Reden Sie nicht von Pri- ders als die anderen Posthaushalte nicht vom Bun- vatisierung, sondern reden Sie gut über die Deut- destag, sondern vom Postverwaltungsrat kontrol- sche Bundespost! Das ist für ein solches Unterneh- liert wird. Das ist ein demokratieschädigendes Ver- men draußen vor den Kunden psychologisch sehr fahren. wichtig. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Quatsch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mit dem Posthaushalt werden unbeherrschbare Großtechnologien finanziert. Mit ihm werden Wei- Vizepräsident Westphal: Sie sehen die Macht der chen für die zukünftige Kommunikation und Fern- Geschäftsführer, wenn es um die Redezeit geht. sehkultur gestellt und zwischenbetriebliche Ratio- (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ich möchte nalisierungsmaßnahmen eingeleitet. Angesichts wissen, woher die die genommen haben!) dieser einschneidenden Maßnahmen und ange- sichts des riesenhaften Investitionsvolumens der Die armen Präsidenten haben zu folgen. Deutschen Bundespost von über 18 Milliarden DM Ich rufe Frau Dann als Rednerin auf. reicht es uns nicht, im Postausschuß Regierungsbe- (Bohl [CDU/CSU]: Reden Sie gut über die richte zur Kenntnis zu nehmen, Fragen zu stellen Regierung!) und Empfehlungen auszusprechen. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Deswegen kom- men Sie erst gar nicht!) Frau Dann (GRÜNE): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Vorab möchte ich eine Bemerkung Es reicht uns auch nicht, eine Alibidebatte über machen. Vor so vollem Haus haben wir den Post- den Posthaushalt zu führen und über die Gehälter haushalt noch nie diskutiert. Ich begrüße alle Zuhö- des Postministers abzustimmen. Die GRÜNEN wol- rerinnen und Zuhörer auf der Tribüne. len über den gesamten Posthaushalt parlamenta- (Beifall bei den GRÜNEN) risch beraten und entscheiden. Der Posthaushalt muß sich der parlamentarischen und öffentlichen Das ist etwas sehr Positives. Diskussion stellen. (Kohn [FDP]: Die sind nur Ihretwegen da!) Nahezu zwingend ist ein weiterer Grund, den Posthaushalt parlamentarisch kontrollieren zu las- — Das habe ich nicht gesagt. sen. Postminister Schwarz-Schilling ist ein denkbar (Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der schlechter Haushälter. FDP) — Ich möchte meine Zeit nutzen. (Frau Simonis [SPD]: Er ist gar kein Haus- hälter!) Wie jedes Jahr in der Haushaltsdebatte wird auch heuer über die Bezüge des Postministers und Er läßt sich allzu leicht von seinen ökonomischen seines Parlamentarischen Staatssekretärs sowie Erfolgsphantasien und von den Interessen der In- über die Einnahmen und Ausgaben der Bundes- dustrielobby im Postverwaltungsrat zu völlig un- druckerei geredet. Ich kann Ihnen erzählen, daß die rentablen und haarsträubenden Ausgaben verlei- Amtsbezüge des Postministers in diesem Haus- ten. Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19541

Frau Dann Hierzu einige Beispiele. Bei Einführung des Bild- an dem ISDN-Modellversuch im Bundestag beteili- schirmtextdienstes hat die Deutsche Bundespost gen. 450 000 Btx-Modems aufgekauft, (Zuruf von der SPD: Buschtrommeln wä- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Das stammt ren billiger!) - nicht von Schwarz-Schilling!) Der Bundespostminister subventioniert aber um so zu günstigen Stückzahlen zu kommen. Die nicht nur die nachrichtentechnische Industrie. Hin- Rechnung des Postministers ging aber nicht auf. ter den geschlossenen Türen der Regierungskom- Denn statt der erhofften Million Btx-Teilnehmer mission Fernmeldewesen wird seit April 1985 bera- gibt es bis heute nur gut 50 000 Anschlüsse. ten, wie die Rosinen des Ausbaus der Fernmeldein- frastruktur auf die Privatunternehmen verteilt wer- (Beifall des Abg. Mann [GRÜNE]) den können, Daraus folgt, daß die restlichen 400 000 der im Groß- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Eine boshafte einkauf erstandenen Btx-Modems in den Zeughäu- Unterstellung!) sern der Deutschen Bundespost auf der Halde lie- mit anderen Worten, wie die Gewinne bestimmter gen. Fernmeldebereiche privatisiert werden können, (Mann [GRÜNE]: Besser, als wenn sie in während die Ausgaben bzw. Verluste sozialisiert stalliert worden wären! — Pfeffermann bleiben sollen. [CDU/CSU]: Besuchen Sie sie einmal gele (Pfeffermann [CDU/CSU]: Ein Phantasie- gentlich!) gebilde von Ihnen!) Der Rabatteinkauf erweist sich somit als Subven- Unsere heutige Debatte findet parallel zum Kon- tionierung der Industrie. Hier würde mich interes- greß der Deutschen Postgewerkschaft und zu deren sieren, welche Kosten die Lagerung verursacht und Kampagne „Sichert die Post — Rettet das Fernmel- wo dies verbucht wird. dewesen" statt. Mit dieser Kampagne will die Post- Mit dem einen Schildbürgerstreich ist es aber gewerkschaft vor allem eine privatwirtschaftliche nicht getan. Statt darauf zu hoffen, den Btx-Modem- Ausrichtung der Bundespost, die Privatisierung von Berg so nach und nach abbauen zu können, schlug Teilbereichen verhindern. Sie setzt sich für die der Minister erneut zu. Kürzlich bestellte er 50 000 Fortentwicklung der Bundespost als ein an gemein- Bildschirmtelefone, sogenannte Biteis, bei der deut- wirtschaftlichen Prinzipien orientiertes Dienstlei- schen Industrie. Diese Biteis, nicht zu verwechseln stungsunternehmen ein. Diese Forderung unter- mit der erfolgreichen englischen Musikgruppe, ma- stützen wir. chen jedoch die Btx-Modems überflüssig. Denn mit Darüber hinaus fordern wir, daß die Regierungs- ihnen kann man telefonieren und zugleich den Bild- kommission „Fernmeldewesen" öffentlich tagen schirmtextdienst benutzen. Zusätzlich zu dem Mo- soll. Bisher berät sie im geheimen über die Zukunft dem-Berg wird es also demnächst noch einen Bitel des Fernmeldewesens und insbesondere über die Berg geben. Das macht noch einmal 100 Millionen Öffnung des Telekommunikationsbereichs für DM extra. Wettbewerb. So lautet auch ihr Auftrag. Was hat Wer teilt sich diesen Kuchen? Loewe-Opta, Sie- diese Kommission zu verbergen, wenn sie sich da- mens, Nixdorf und die Krone GmbH. Kein verant- vor scheut, ihre Überlegungen öffentlich zu erör- wortungsbewußter Privatunternehmer würde es tern? Welche Geheimnisse will sie bis nach der sich erlauben, derart schlampig zu kalkulieren, je- Bundestagswahl sorgsam hüten? Wir sind der An- doch geht der Postminister in dieser Weise mit den sicht, daß die Belange und die Strukturen des öf- ihm anvertrauten öffentlichen Geldern eines Bun- fentlichen Unternehmens Bundespost uns alle an- desunternehmens um. gehen. Untersuchungen über eventuelle Verände- rungen dieser Strukturen müssen unter Beteiligung (Pfeffermann [CDU/CSU]: Aber, Frau Kol der Öffentlichkeit stattfinden. legin, es ist Unsinn, was Sie da reden! — (Beifall bei den GRÜNEN) Waltemathe [SPD]: Das ist Unsinn, der Herr Postminister hat gar nicht kalku Die Geheimniskrämerei der Kommission macht liert!) uns äußerst mißtrauisch. — Beweisen Sie mir das Gegenteil. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Sie wird ihren Bericht vorlegen! Dann werden wir ihn dis- Einen ähnlichen Flop hat sich der Minister mit kutieren!) den Kabelmilliarden geleistet, die er ohne entspre- chenden Bedarf unter die Erde gebracht hat. Es wird gemunkelt, daß die Pläne der Kommis- sion dahin gehen, zum einen die Postbankdienste (Dr. Struck [SPD]: Das ist ein Flopmini aus dem Hoheitsbereich der Bundespost abzutren- ster!) nen. Das würde die Postbank für ihre Kunden weni- Die Milliarden für Digitalisierung und Ausbau des ger attraktiv machen, und die Privatbanken hätten ISDN-Netzes sind Geschenke an die Industrie. Dies einen Konkurrenten weniger zu fürchten. steht in keinem Verhältnis zu dem Gemeinwohlauf- Zum anderen soll der Monopolbereich der Bun- trag der Deutschen Bundespost. Die GRÜNEN leh- despost so weit eingeschränkt werden, daß die soge- nen die Einführung der unbeherrschbaren ISDN- nannten Endgeräte nicht nur von der Post angebo- Technologie ab. Wir werden uns daher auch nicht ten werden, sondern daß dieser lukrative Bereich 19542 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Born, Donnerstag, den 27. November 1986

Frau Dann den Wettbewerbsbedingungen des Marktes ausge- Post inzwischen eine deutliche Wende zum Besse- setzt werden soll. ren eingetreten. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Das ist jetzt Erst strukturelle Probleme, z. B. auch im einfa- schon so üblich!) chen Dienst, konnten gelöst werden. Vor allem aber- Gleiches ist für die Mehrwertdienste geplant, die verfügen inzwischen auch die Angehörigen der in Zukunft zusätzlich zu den bisherigen Postdien- Bundespost durch kräftige reale Gehaltssteigerun- sten auf den von der Post finanzierten ausgebauten gen, steuerliche Entlastungen und verbesserte so- Netzen angeboten werden können. Auch der Be- ziale Leistungen über ein erhebliches Mehr an Ein- reich dieser Zusatzdienste soll privatisiert werden. kommen und Kaufkraft. Ich verweise auf die Fest- stellungen des Sachverständigenrates. An der Mit anderen Worten: Der Ausverkauf der Deut- durchschnittlichen Einkommenssteigerung, die die- schen Bundespost wird bereits organisiert. Die Be- dürfnisse der kleinen Postkunden und die Forde- ses Jahr wegen der Preisstabilität reale Steigerung rungen der Postgewerkschaft bleiben wieder ein- bedeutet, haben die Angehörigen des öffentlichen mal auf der Strecke. Dienstes in gleicher Weise partizipiert. Die Zeichen stehen gut, daß sich diese positive Entwicklung Ich komme zum Schluß. auch in den nächsten Jahren fortsetzen wird. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Das ist das Be Wie sieht es mit der ste!) Zukunft der Deutschen Bun- despost aus? Sie steht heute vor der Herausforde- Wir wenden uns entschieden gegen diese Demon- rung, sich der raschen Entwicklung der modernen tage des Gemeinwohls. Wir werden uns weiterhin Kommunikations- und Informationstechnologien für eine Demokratisierung der Bundespost und für anzupassen. Für die Modernisierung unserer Volks- eine soziale und menschengerechte Postpolitik ein- wirtschaft ist eine ausgebaute Infrastruktur im Be- setzen. reich der Datenverarbeitung und der Datenübertra- Danke schön. gung von entscheidender Bedeutung. Die deutsche Wirtschaft also ist auf eine leistungsfähige Post an- (Beifall bei den GRÜNEN) gewiesen. Ich sage aber: Mit althergebrachten Ver- haltensweisen und überkommenen Organisations- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- strukturen wird die Post den gewandelten Anforde- ordnete Kohn. rungen an ein modernes Telekommunikationssy- stem in einer fortgeschrittenen Industrienation nicht in vollem Umfang gerecht werden können. Kohn (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehr- ten Damen und Herren! Die gesellschafts- und wirt- Die Institution der Deutschen Bundespost ist als schaftspolitische Bedeutung der Deutschen Bun- hoheitliche Bundesverwaltung im Grundgesetz ge- despost ist, wie wir alle wissen, besonders groß. Wir währleistet. Für die FDP bedeutet dies jedoch keine Liberalen erkennen ausdrücklich an, daß die Bun- Garantie einer Monopolstellung auf dem Gebiet der despost in der zu Ende gehenden Legislaturperiode modernen Informations- und Kommunikationstech- beachtliche Erfolge erzielt hat. Trotz der gebotenen nologien. Wir sind überzeugt, daß bei jedem Mono- sparsamen Haushaltsführung hat sie ihr Personal pol gesamtwirtschaftliche Verluste auf Grund der ständig ausgeweitet. Für die Ausbildung und Be- fehlenden Antriebs- und Steuerungskräfte des schäftigung insbesondere junger Menschen hat die Wettbewerbs unvermeidbar sind. Post überdurchschnittliche Anstrengungen unter- Die I + K-Technik wächst immer mehr mit der nommen. Wir Liberalen unterstützen diese Bemü- Fernmeldetechnik zusammen. Damit vergrößert hungen und fordern Sie, Herr Bundespostminister, sich natürlich der Bereich der Dienstleistungen, die angesichts der nach wie vor bestehenden Nach- sowohl von der Deutschen Bundespost und ihrer wuchsprobleme dazu auf, diese Anstrengungen in Fernmeldetechnik als auch von privaten Unterneh- den nächsten Jahren noch verstärkt fortzusetzen. men durch den Einsatz vernetzter peripherer Com- Die FDP begrüßt es vor allem, daß die Deutsche puter angeboten werden können. Viele dieser Bundespost in dieser Legislaturperiode ohne Ge- Dienstleistungen sind aus der Sicht der Nutzer ge- bührenerhöhungen ausgekommen ist. Dies trägt geneinander austauschbar. Die FDP erwartet von nicht nur zur Kostenentlastung der Bürger bei, son- der Deutschen Bundespost, daß sie sich dort, wo dern auch der Unternehmen, und es ist ein wichti- keine Aufgaben hoheitlicher Daseinsvorsorge zu er- ger Baustein für die erreichte Preisstabilität in der füllen sind, dem Wettbewerb mit anderen Anbietern Bundesrepublik Deutschland. auf gleichberechtigter Basis öffnet. Trotz Milliarden-Investitionen in neue Technolo- (Beifall bei der FDP) gien hat die Post hohe Gewinne erwirtschaftet. Sie sind die Grundlage für weitere Investitionen in Zu- Die Deutsche Bundespost muß die Spielräume für kunftstechnologien und für neue sichere Arbeits- private Anbieter bei Telekommunikationsdienstlei- plätze. stungen Wir wissen sehr wohl, daß die Beschäftigten der (Waltemathe [SPD]: Doch Privatisierung!) Post durch die Rationalisierung in vielen Fällen auch persönliche Opfer bringen mußten. Durch die über den bisherigen Rahmen hinaus erweitern, erfolgreiche Wirtschafts- und Finanzpolitik ist aber denn Wettbewerb ist die wirksamste Triebfeder für in der Einkommenssituation der Beschäftigten der Fortschritt und höheren Leistungsstandard. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19543

Kohn Lassen Sie mich an dieser Stelle zu den Äußerun- der Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung gen des Vorsitzenden der Gewerkschaft der Post, der Allgemeinzulassungen von Telekommunika- van Haaren, am Mittwoch in Nürnberg etwas sagen, tions-Endgeräten ist ein erster wichtiger Schritt in wo er behauptet hat, es ginge hier um Zerschlagung diese Richtung unternommen worden. Für neue und Entstaatlichungspläne gegenüber der Post. Zer- Endgeräte werden künftig gemeinsame Spezifika-- schlagung: Unfug, nein. Entstaatlichung: j a. Das ist tionen vereinbart. Statt bisher 12 Prüfungen in der die Position der Liberalen. Gemeinschaft wird es künftig nur noch einen End- (Beifall bei der FDP — Dr. Diederich [Ber gerätetest geben. Die damit einhergehende Intensi- lin] [SPD]: Das einzige, was Sie mit der vierung des Wettbewerbs wird sich nach unserer Post gemeinsam haben, ist die gelbe Far festen Überzeugung zum Nutzen der Verbraucher be!) auswirken. Die Bundesregierung hat eine Kommission ein- Die Vereinheitlichung des europäischen Marktes gesetzt, die die Organisationsstruktur der Deut- darf jedoch nicht zu einer Abschottung gegenüber schen Bundespost insbesondere im Fernmeldebe- anderen Märkten führen. Vielmehr müssen wir reich überprüfen und Vorschläge für eine Neuord- auch im Verhältnis zu Drittländern für Offenheit nung unterbreiten soll. Wir erwarten von dieser der Fernmeldemärkte sorgen. Sowenig z. B. die Ver- Kommission Argumente und Beurteilungsmaß- einigten Staaten ihre grundlegenden Probleme des stäbe auch zu der Frage, inwieweit noch ein gesetz- Haushalts- und Leistungsbilanzdefizits durch eine liches Monopol der Deutschen Bundespost für be- sektorale Handelspolitik oder gar einen selektiven stimmte Dienstleistungen erforderlich ist. Die Kom- Protektionismus lösen werden, so ernst müssen wir mission muß sich aber auch dazu äußern, ob und die protektionistischen Strömungen im amerikani- inwieweit auf wettbewerblich zu strukturierenden schen Kongreß nehmen. Märkten die Beteiligung eines staatlichen Anbie- Die Europäische Gemeinschaft insgesamt und je- ters in Form der Bundespost weiter erforderlich ist der einzelne Mitgliedstaat werden diese Diskussion und wie die optimalen Organisationsformen für nur dann mit Erfolg bestehen können, wenn wir jene Funktionen zu gestalten sind, die auch künftig den Weg zur Öffnung der Telekommunikations- in der Telekommunikation durch die staatliche Post märkte überzeugend darlegen können. Ohne eine wahrgenommen werden sollen. solche Öffnung wären Vergeltungsrnaßnahmen im Die Deutsche Bundespost wird auf Dauer ihren Bereich der Fernmeldeindustrie, aber auch in ande- hohen Leistungsstand nur dann halten können, ren wichtigen Bereichen, die Folge. Die kommende wenn sie verstärkte Anstrengungen unternimmt, GATT-Runde, meine Damen und Herren, ist nach sich den Erfordernissen eines modernen, markt- unserer Überzeugung das richtige Forum für diese orientierten Dienstleistungsunternehmens anzu- Probleme. passen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Post- und Fernmeldepolitik ist aber längst keine Bundespost hat in der zu Ende gehenden Legisla- nationale Angelegenheit mehr. Die wechselseitige turperiode insgesamt einen positiven Weg zurück- internationale Durchdringung der Märkte für Wa- gelegt. Wir sind deshalb der Überzeugung, daß wir ren und Dienstleistungen der Telekommunikation dem Haushalt des Bundesministers für das Post- schreitet immer weiter voran und wird schneller. und Fernmeldewesen zustimmen können, damit International tätige Unternehmen wägen bei ihren auch in Zukunft die Deutsche Bundespost eine in- Entscheidungen über Investitionsstandorte zuneh- novative Politik betreiben kann, so wie wir Libera- mend auch die Telekommunikationsbedingungen len uns das vorstellen. mit ab. Die Rahmenbedingungen hierfür sind in der Vielen Dank. Bundesrepublik noch nicht attraktiv genug. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Bei der Überprüfung des Regulierungsrahmens unseres Fernmeldewesens darf daher auch die eu- ropäische und internationale Ebene nicht vergessen Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- werden. Schon heute unterliegt ja das Fernmelde- ordnete Paterna. wesen dem Recht der Europäischen Gemeinschaf- ten, der Freiheit des Waren- und Dienstleistungs- verkehrs und dem gemeinsamen Wettbewerbsrecht. Paterna (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Wir haben es als hilfreich, aber im Grunde auch als Herren! Herr Postminister Schwarz-Schilling, Sie beschämend empfunden, daß erst der Druck aus haben Ihren 540 000 lieben Mitarbeiterinnen und Brüssel die Deutsche Bundespost zu einem Verzicht Mitarbeitern einen Brief geschrieben und die Ak- auf ihr Monopol beim schnurlosen Telefon veran- tion der deutschen Postgewerkschaft „Sichert die laßt hat. Post, rettet das Fernmeldewesen" als — wörtlich — „unverantwortliche Kampagne" bezeichnet. Sie sa- Wir wünschen uns von der Post mehr Wettbe- gen — ich zitiere wörtlich —: „Es muß Leute geben, werbsorientierung aus eigenem Antrieb. Dies gilt die daran interessiert sind, Angst vor der Zukunft vor allem dann, wenn der gemeinsame Binnen- zu schüren." markt auf dem Gebiet der Telekommunikation bis zum vorgesehenen Endzeitpunkt 1992 verwirklicht Ich sage Ihnen, es gibt sehr viele Leute, die werden soll. Das gemeinsame Ziel ist ein einheitli- Gründe liefern, Angst um die Zukunft der Deut- cher europäischer Markt, was vor allem den Abbau schen Bundespost zu haben. nichttarifärer Handelshemmnisse voraussetzt. Mit (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) 19544 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Paterna Dazu gehören der DIHT, der BDI, das Kieler Welt- wie Sie sie ja nach dem 25. Januar fortsetzen wol- wirtschaftsinstitut, der Sachverständigenrat, die len. EG-Kommission in Brüssel, die amerikanische Re- gierung. Deren Stellungnahmen kennen Sie alle; (Kohn [FDP]: Werden! — Dr. Müller [Bre- ich will sie hier nicht erneut zitieren. men] [GRÜNE]: Dann ist die FDP nicht mehr dabei!) - Es gibt aber auch die bekannten Äußerungen Ih- res Koalitionspartners. Sie sollten hier heute wenig- Erstes Zitat — hören Sie gut zu! —: stens Gelegenheit nehmen, das eine oder andere Für die Zukunft erscheint eine strikte Tren- geradezubiegen. Ich will Ihnen aus dem Protokoll nung zwischen hoheitlichen Funktionen und von vorgestern vorlesen, was der Kollege Dr. Weng betrieblichen Funktionen notwendig. erzählt hat: „Muß deshalb", so sagte er wörtlich, „zum Beispiel für alle Zeiten die Post ein Monopol Ich frage Sie: Halten Sie diese Trennung auch für auf die Endverbrauchergeräte haben? Kühlschrank notwendig, ja oder nein? und Elektroherd werden schließlich auch nicht Zweites Zitat: beim Elektrizitätswerk erworben." Dann folgt in Klammern: „Beifall bei der FDP und bei Abgeord- Die betrieblichen Aufgaben neten der CDU/CSU." — Herr Kollege Pfeffermann, das hören Sie sich Ich würde Ihnen raten, wenn hier im Parlament mal ganz genau an — von FDP-Kollegen ein derartiger blühender Unsinn des Post- und Fernmeldewesens sind organisa- erzählt und von Ihren Leuten auch noch geklatscht torisch zu trennen. wird, dann schreiben Sie denen mal einen Brief, um die wenigstens ein bißchen über die Deutsche Bun- Da wird dem Grundgesetz Genüge getan, indem da despost aufzuklären. oben noch ein Postminister thront, und alles andere darunter wird getrennt. (Beifall bei der SPD) (Dr. Struck [SPD]: Schleichende Privatisie- Dies ist doch für jeden, der ein bißchen Ahnung hät- rung!) te, einfach grober Quatsch. (Bohl [CDU/CSU]: Wo werden die Kühl Dieses widerspricht Ihren Einlassungen. Die Bun- schränke gekauft?) desregierung verweigert dazu bisher jede Aussage. Ich fordere Sie auf, dazu hier Stellung zu nehmen. Und wenn der Herr Graf, dieser real existierende Kapitalismus in personifizierter Form, hier im Ple- (Beifall bei der SPD) num die Frage stellt: Gehört ein Schlüsselbereich Drittes Zitat. Das wäre ein Zitat für den Finanz- unserer technischen Entwicklung in die Hand des minister, der vielleicht die Güte hat, auch einmal Staates? — so fragte er wörtlich, und er meint na- einen Augenblick zuzuhören. Herr Minister Stolten- türlich nein —, dann frage ich, Herr Kollege Pfeffer- berg — nein, er will nicht. Dann sage ich Ihnen, daß mann: Ist der Graf für Sie eigentlich ein Phantom? das Geld kostet, was die Niedersachsen wollen. Das Denn Sie behaupten doch, das sei eine Phantomdis- Zitat lautet: kussion bezüglich der Privatisierung. Sozialleistungen sind — soweit sie notwendig Herr Maschke, der Sie als Sprecher des Postmini- sind — über den Bundeshaushalt ... zu erbrin- steriums hinter der Regierung auf der Schlingel gen, nicht aber über die allgemeinen Tarife. bank sitzen, ich frage Sie folgendes. Sie haben ge- sagt: „Die DPG warnt vor einer Gefahr, die es gar Auch dazu wäre eine Stellungnahme der Bundesre- nicht gibt." Ich werde Ihnen gleich eine Gefahr sa- gierung willkommen. gen, die es gibt. Diese Gefahr besteht nämlich in Vierter Punkt — ich zitiere wieder wörtlich —: Gestalt der niedersächsischen Landesregierung. Herr Minister, da erzähle ich Ihnen einmal etwas, Eine weitblickende Neuorientierung des Fern- was Sie in Ihrem Hause vielleicht noch nicht vorrä- meldewesens sollte nicht eine Entwicklung ver- tig haben. bauen, an deren Ende eine vollständige Kon- kurrenz zwischen staatlichem Netzträger und Die Regierungskommission „Fernmeldewesen" privaten Netzbetreibern steht. hat bekanntlich die Bundesländer aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen, wie sie sich das denn ord- Die Bundesregierung hat gesagt, sie will das nicht. nungspolitisch in Zukunft vorstellen. Mit Schreiben Aber immerhin gibt es mindestens ein Bundesland, vom 20. November hat der niedersächsische Mini- das den anderen Bundesländern vorschlägt, so et- ster für Wirtschaft, Technologie und Verkehr was zu machen. (Kohn [FDP]: Ein sehr guter Mann!) Dann, Herr Kollege Pfeffermann, verstehe ich nicht mehr, wie man da von einer Phantomdiskus- einen langen Brief geschrieben und seine Formulie- sion reden kann. Die niedersächsische Landesregie- rungsvorschläge für die Stellungnahme der Bun- rung mag zwar nach Auffassung des Kollegen De- desländer vorgelegt. Daraus werde ich Ihnen jetzt res so überflüssig sein wie ein Kropf, aber gegen ein paar Zitate liefern. Ich wäre Ihnen sehr dank- deren Pläne die Öffentlichkeit zu mobilisieren ist bar, wenn Sie nachher Gelegenheit nähmen, dazu sehr notwendig. Stellung zu nehmen; denn diese niedersächsische Landesregierung hat exakt die gleiche Koalition, (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19545

Paterna Fünftes Zitat: wenn sie im Sommer schon erklärt, bis zum 25. Ja- Der Dienstleistungsbereich ist nach Auffas- nuar wolle sie kein Ergebnis haben, und im Som- sung des Länderarbeitskreises in seiner Ge- mer schon festlegt, daß sie zehn Tage nach der Bun- destagswahl eine dreitägige Klausurtagung macht, samtheit sowohl für sogenannte Grunddienst- - leistungen wie auch für sogenannte Mehrwert um dann die Eckwerte ihrer Vorstellungen zu be- dienste dem Wettbewerb unter Beteiligung ei- schließen. Wenn das so läuft, dann ist das vor dem nes staatlichen Anbieters zu öffenen. Wahltag der Versuch des Wählerbetrugs und nach dem Wahltag die Vollendung. Man beachte einmal die Reihenfolge: Die Hauptsa- che sind die Privaten, und der staatliche Anbieter (Beifall bei der SPD — Dr. Weng [Gerlin- darf sich dann an den Diensten beteiligen. So stellt gen] [FDP]: Haben Sie es nicht eine Num- sich das die niedersächsische Landesregierung mer kleiner?) vor. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, vor dem 25. Januar zu erfahren, was Sie für machbar halten Letztes Zitat aus diesem umfangreichen Papier: und was nicht. Es geht nicht an, daß die Bundesre- Zur Eröffnung einer wirksamen Wettbewerbs- gierung wie in der Antwort auf unsere Große An- kontrolle wäre darüber hinaus zu erwägen, das frage nur schlicht erklärt: Wir warten die Vor- staatliche Wettbewerbsangebot aus dem Ver- schläge ab, und dann werden wir weiter sehen. Dies bund der Telekommunikationsanstalt heraus- ist nicht zu machen. zulösen und hierzu eine Gesellschaft mit priva- Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, die Sie hier ter Rechtsform zu gründen. zu beantworten haben: Wird eine Trennung des Herr Kollege Deres, das ist keineswegs so überflüs- Post- und Fernmeldewesens für ausgeschlossen ge- sig wie ein Kropf, hier darüber zu diskutieren. halten? Werden für die Bundesregierung Vor- Seien Sie in Zukunft also ein bißchen vorsichtiger schläge akzeptabel sein, nach denen Teile des Un- mit solchen polemischen Argumentierungen, wenn ternehmens etwa in Form von GmbHs betrieben Sie keine Ahnung haben. werden? Soll es eine selbständige Zulassungsbe- Der Herr Pressesprecher schrieb — ich wieder- hörde geben? Wenn ja, unter welchem Ministerium? hole es — in der „telepost": „Die DPG warnt vor Welchen Sinn können nach Auffassung der Bundes- einer Gefahr, die es gar nicht gibt." regierung Überlegungen haben, nach denen es in Zukunft zwei Verwaltungsräte geben soll? Welche Die Bundesregierung hat erklärt, sie wolle keine Vorstellungen hat die Bundesregierung von einer Privatisierung. Sie hat erklärt, sie wolle an der zukünftigen Unternehmensverfassung, in denen Netzträgerschaft festhalten. Der Postminister hat von „Vorständen Post" und „Vorständen Telekom" für sich, aber nicht für die Bundesregierung erklärt, geredet wird? Wir erwarten, daß Sie zu diesen und er wolle keine Trennung des Post- und Fernmelde- anderen Fragen hier Stellung nehmen, und bitte wesens. Sie wissen genau, Herr Dr. Schwarz-Schil- nicht in der Ich-Form, sondern für die Bundesregie- ling, daß der Verweis auf Art. 73 und 87 Grundge- rung, damit hier jeder klar sieht, woran er ist. setz nicht zieht; denn alles das, was die niedersäch- sische Landesregierung hier fordert, können Sie Vielen Dank. mit der nötigen List auch machen, ohne das Grund- (Beifall bei der SPD) gesetz zu ändern.

(Walther [SPD]: So ist es!) Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- Sie müßten wissen, daß, wenn man nur einen Teil ordnete Senfft. dieser Vorschläge realisieren würde, das das Ende der Bürgerpost und der Anfang der Unternehmer- (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen post wäre. Senfft und Herren! Sie haben eben über den Verkehrs- (Beifall bei der SPD) haushalt geredet, jetzt über den Posthaushalt, und Sie müßten wissen, daß die postalische Restversor- das gibt mir die Gelegenheit, eine Tatsache hier gung für Privatkunden und Mittelständler vor allen noch einmal anzusprechen, die weitestgehend auch Dingen in ländlichen Räumen an den Subventions- in der Öffentlichkeit nicht bekannt ist, nämlich daß tropf des Steuerzahlers gehängt würde, wenn man die GRÜNEN als einzige parlamentarische Kraft Privaten die Möglichkeit gibt, auf unseren Netzen von der Kontrolle sowohl der Deutschen Bundes- — da nützt der Eigentumstitel überhaupt nichts — bahn als auch der Deutschen Bundespost ausge- Rosinenpickerei zu betreiben. Insofern hängen Sie schlossen sind. Die GRÜNEN sind die einzige Par- sich bitte bei der Privatisierungsdiskussion nicht an tei, die das Sondervermögen Deutsche Bundespost den Eigentumstitel auf. und Deutsche Bundesbahn überhaupt nicht über- (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Sie sind ein blicken können, weil sie im Verwaltungsrat der großer Erfinder!) Deutschen Bundespost und auch im Verwaltungs- rat der Deutschen Bundesbahn ausgeschlossen — Ich kann Ihnen das alles schriftlich geben. Ich sind weiß normalerweise, wovon ich rede, da seien Sie einmal ganz sicher. (Bohl [CDU/CSU]: Das ist auch gut so!) Die SPD hält es für unerträglich, wenn die Regie- Ich halte das für einen Skandal rungskommission Fernmeldewesen als Verschiebe- (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Sie behan- bahnhof über den 25. Januar hinaus benutzt wird, deln die Post wie die Geheimdienste!) 19546 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Senfft — Nein, im Gegensatz zu Ihnen, Herr Bohl, der Sie hat, wozu Ihre Pressestelle schon Kommentare ab- gerade sagten, Sie halten das auch für gut, halte ich gegeben hat? das für einen Skandal. Ich halte das für vollkom- (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Sehr lesens- men undemokratisch, und allein das ist Grund für wert und überzeugend!) uns, daß wir diesen Etats einfach nicht zustimmen können, wenn wir von der Kontrolle dieser Sonder- vermögen des Bundes ausgeschlossen sind. Es ist Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister für das für uns vollkommen unmöglich, hier zuzustimmen. Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, wenn Sie (Beifall bei den GRÜNEN — Kühbacher die Zahl 50 000, also die Quantität, als Ersatz für [SPD]: Wo Sie recht haben, haben Sie Substanz und Qualität nehmen, gebe ich Ihnen recht!) gerne recht. (Zurufe von der SPD: Billig! — Dr. Müller Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Bundes- [Bremen] [GRÜNE]: Unter Niveau!) minister für das Post- und Fernmeldewesen. Ich muß Ihnen dazu sagen: Wenn dabei herausge- kommen ist, daß der Kollege Paterna nun also er- Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister für das klärt, daß in Zukunft die Bemessungen erst einmal Post- und Fernmeldewesen: Herr Präsident! Meine gestoppt werden — das ist die völlig neue Innova- sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte mich tion sozialdemokratischer Postpolitik, die Sie natür- natürlich gefreut, wenn ich einmal eine konstruk- lich nach der Wahl ganz anders werden sehen müs- tive Alternative von der Sozialdemokratischen Par- sen, denn Sie werden nicht so, wie Sie jetzt meinen, tei gehört hätte, wie Sie sich die Zukunft der Post einige Dinge dieser Art einfach abstoppen können und die Konzeptionen bei der modernen Telekom- —, dann kann ich nur sagen: Sie sind vor der Wahl munikation aus Ihrer Warte vorstellen. wieder dabei, Wohltaten zu verteilen, die Sie nach- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) her gar nicht verantworten könnten. Aber Sie brau- Ich muß Ihnen sagen, Sie müssen ja in der letzten chen Sie ja auch nicht zu verantworten, weil Sie in diese Verlegenheit nicht kommen werden, Herr Zeit ungeheuer zurückgesteckt haben; denn wenn Kollege Paterna. ich daran denke, mit welchem Trompetenklang Sie Ihre Große Anfrage gestellt haben und wie Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — diese Große Anfrage dann auch noch als eine Art Waltemathe [SPD]: Bis jetzt war das eine Broschüre veröffentlicht haben — und ich zitiere: sehr schwache Rede!) Sie soll uns Gelegenheit geben, in einer Bundes- Meine Damen und Herren, nun möchte ich zu- tagsdebatte öffentlich eine kritische Bilanz über die nächst etwas zum Kollegen Rudi Walther sagen. Ich von Schwarz-Schilling zu verantwortende Post- und bin erfreut darüber, daß Sie sagen, daß Sie mit den Fernmeldepolitik zu ziehen —, dann frage ich mich: Investitionen zufrieden sind. Es wäre ja auch sehr Warum haben Sie eigentlich nach der Antwort auf merkwürdig, wenn Sie den Verkehrsminister hier diese Große Anfrage noch nicht einmal den Antrag beschimpfen, weil er angeblich zuwenig Investitio- im Präsidium gestellt, daß diese Debatte irgend- nen macht, und es dann nicht gut fänden, daß wir 18 wann einmal stattfindet? Wir hätten uns außeror- Milliarden investieren. Das müssen Sie ja gut fin- dentlich gefreut! Offensichtlich war die Antwort so, den. daß Sie lieber gar keine Debatte haben wollten. (Walther [SPD]: Ja, das habe ich auch ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — sagt!) Paterna [SPD]: Die Debatte ist seit Wochen beantragt!) Sie haben auch davon gesprochen, daß die Gewinne in entsprechender Weise erfreulich sind. Vizepräsident Westphal: Herr Minister, gestatten Dann sagten Sie aber: Die Verschuldung nimmt Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühba- zu. cher? (Walther [SPD]: Ja!) Dazu muß ich Ihnen sagen: Ich kann Sie nicht ver- Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister für das stehen. Post- und Fernmeldewesen: Wenn das von meiner (Waltemathe [SPD]: Das hat der Rech- Redezeit abgeht, möchte ich es nicht. nungshof festgestellt!) An Investitionen haben wir vorgenommen: im Vizepräsident Westphal: Da wir Regierungsmit- Jahre 1982 12,7 Milliarden, im Jahre 1985 16,7 Milli- glieder in ihrer Redezeit sowieso nur sehr indirekt arden und im Jahre 1986 18 Milliarden DM. Die Ent- beeinflussen können, werde ich jetzt einen Stopp wicklung des Eigenkapitalanteils in der Bilanz der machen. — Bitte, Herr Kühbacher. Deutschen Bundespost sieht in der gleichen Zeit so aus: 1982 42,6 %, 1985 44 % und im Jahre 1986 etwa Kühbacher (SPD): Herr Minister, Sie haben eben 43%. Das heißt, Sie werden festzustellen haben, daß nach sozialdemokratischen Alternativen gefragt. wir trotz der enormen Investitionen, die die Bun- Sollte Ihrer Pressestelle oder Ihrem persönlichen despost geleistet hat, und trotz der Tatsache, daß Stab wirklich entgangen sein, daß der Kollege Pa- wir keine Gebührenerhöhungen vorgenommen ha- terna Leitlinien sozialdemokratischer Postpolitik ben, in, glaube ich, über 50 000facher Auflage verteilt (Zuruf von der SPD: Noch nicht!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19547

Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling in der Lage gewesen sind, diese Leistungen zu voll- nes sagen: Ich bin deswegen nicht so besorgt, weil bringen, und zwar — das möchte ich betonen — mit in diesen vier Jahren, Herr Kollege, dies regelmäßig der Anstrengung aller Postler und Postlerinnen, die im Zusammenhang mit dem Haushalt vom Sach- an einem Strang gezogen haben. Wir haben also verständigen so formuliert wurde und wir in diesen - unser Eigenkapital nicht etwa abgeschmolzen, son- vier Jahren das Eigenkapital nicht nur gehalten, dern konnten es bis zum Ende der Legislaturpe- sondern erhöht haben. riode sogar etwas über den Stand von 1982 anhe- (Walther [SPD]: Aber die Schulden absolut ben. erheblich erhöht!) (Zustimmung bei der CDU/CSU und der Meine Damen und Herren, das gleiche ist auch zu FDP) Bildschirmtext und Verkabelung zu sagen. Wenn Wie können Sie da von einer größeren Verschul- wir die Beurteilung neuer Dienste auf der Basis dung sprechen? vorgenommen hätten, wie Sie es getan haben, wür- den wir auch kein Telefon eingeführt haben. Vizepräsident Westphal: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther? (Widerspruch bei der SPD) — Bitte schön, Herr Walther. — Natürlich, wir haben damals, als wir das Telefon eingeführt hatten, Anfang dieses Jahrhunderts, Walther (SPD): Herr Minister, würden Sie mir bei über Jahre Defizite gehabt. Die wurden damals im der Feststellung zustimmen, daß die Frage nach der übrigen vom Postwesen ausgeglichen. Die Zeiten Eigenkapital- bzw. Fremdkapitalquote allein über- ändern sich manchmal. Aus dem Grunde hat keiner haupt noch nichts über die zukünftige Entwicklung Anlaß, hochnäsig auf den anderen Bereich zu blik- in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung der Deut- ken. Damals hat die Post das Fernmeldewesen sub- schen Bundespost aussagt? ventioniert, während es heute umgekehrt ist.

Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister für das Es stimmt auch nicht, daß wir für die Digitalisie- Post- und Fernmeldewesen: Sie haben gesagt: Die rung kein Geld hätten. Verschuldung nimmt zu. (Walther [SPD]: Habe ich nicht gesagt! „Zu- (Walther [SPD]: Natürlich nimmt sie abso wenig" habe ich gesagt!) lut zu!) Wir geben allein in den Jahren 1986 bis 1990 20 Mil- Ich kann nur von dem sprechen, was sich in den liarden DM dafür aus. Ich muß Ihnen sagen: Wir vier Jahren abgespielt hat, und darauf trifft diese könnten gar nicht mehr ausgeben, weil die Um- Feststellung nicht zu. strukturierung der Industrie von der Analogtechnik Wenn Sie die Prognosen nehmen, muß ich Ihnen auf die Digitaltechnik mit noch größerer Geschwin- sagen: Nach den Prognosen aus sozialdemokrati- digkeit gar nicht vonstatten ginge. Die Kapazitäts- scher Zeit würden wir heute bereits tief im Verlust grenze wird heute viel mehr durch die Möglichkei- stehen. Und dann kann ich Ihnen nicht sagen, daß ten der Zulieferung und der Umstrukturierung der die Feststellung, die Sie hier treffen, wirklich gut Industrie als durch unsere Finanzkraft bestimmt. sei. Wir haben sogar festgestellt, daß wir im Jahr Das ist eine Tatsache. Das kann Ihnen jeder sa- 1986 im Ist besser als im Plan sind. Wir können das gen. — gegenüber früheren Prognosen — heute auch für Ich darf zum Abschluß etwas sagen, was Ihren die Jahre 1987 und 1988 erwarten. Diese Unterlagen Redebeitrag angeht: Sie waren so freundlich und sind Ihnen zugegangen. haben aus meiner Rede auf dem Nürnberger Ge- werkschaftskongreß zitiert. Da hatte ich gesagt: Vizepräsident Westphal: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage dese Herrn Abgeordneten Walther? Wir haben in den letzten Jahren unser größtes Kapital wieder aktiviert, nämlich unsere Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister für das Haupttugenden Intelligenz, Disziplin, Fleiß und Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, wenn es Tüchtigkeit. (Lachen) die letzte ist, j a. Sie werden Verständnis haben. Jetzt haben Sie aber leider den nächsten Satz zu zitieren vergessen. Da steht im Protokoll: Walther (SPD): Herr Minister, ist Ihnen nicht be- kannt, daß der stellvertretende Sachverständige für — Ich finde das gar nicht zum Lachen; denn das Finanzwesen, Herr Dr. Christians (Deutsche das sind die Attribute, auf die wir stolz sein Bank), Ihnen seit Jahren ins Stammbuch schreibt, können und die unser Land nach dem Zweiten daß sich die Verschuldungssituation der Bundes- Weltkrieg genauso wie heute wieder großge- post so entwickelt, daß man sie nicht ohne Beden- macht haben. (Beifall) ken sehen kann? (Beifall bei der CDU/CSU) Warum haben Sie diesen Satz nicht auch zitiert? Bundesminister für das Dr. Schwarz-Schilling, Dann hätten auch Sie das Ganze relativiert. Post- und Fernmeldewesen: Ich habe immer Ver- ständnis dafür, daß der Sachverständige für das Fi- Meine Damen und Herren, ich möchte, wenn ich nanzwesen immer die vorsichtige Bemerkung hier kurz über die letzten vier Jahre spreche, nur macht, daß man über diese Fragen sehr genau einige Eckzahlen nennen: Investitionen: 5,7 Milliar- nachdenken und dafür Sorge tragen muß, daß sich den DM im Jahre 1982, über 18 Milliarden DM im die Situation nicht verschlechtert. Ich kann nur ei- Jahre 1986, Aufträge an den Mittelstand: 4,3 Milliar- 19548 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling den DM im Jahre 1982, 7,1 Milliarden DM im Jahre Bringen Sie das doch bitte einmal à jour, damit Sie 1985, Eigenkapitalquote: 42,7 % im Jahre 1982, 44 % auch dem Bundesverfassungsgerichtsurteil eines im Jahre 1985, Gewinn: 2,7 Milliarden DM 1982, 3,6 dualen Systems mit Kabel und Satellit gerecht wer- Milliarden DM 1985, den. Es wird Zeit. (Bohl [CDU/CSU]: Hört! Hört!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Darin ist doch vom Arbeitsplätze: 480 500 1982, 485 000 1986. Kabel keine Rede! — Dr. Stoltenberg Meine Damen und Herren, von der SPD ist vor- [CDU/CSU]: Dabei ist ein hoher Prozent- ausgesagt worden, die Bundespost werde finanziell satz der Genossen schon verkabelt!) in Grund und Boden gefahren — Fehlanzeige! —, die Bundespost werde Tausende von Arbeitsplätzen Vizepräsident Westphal: Herr Minister, gestatten vernichten — Fehlanzeige! —, die Bundespost Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Würtz? werde nicht genug investieren — Fehlanzeige! In Sie haben noch knapp zwei Minuten. allen Daten ist die Bundespost im Jahre 1986 besser als im Jahre 1982. Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister für das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Post- und Fernmeldewesen: Nein. Deswegen möchte ich Ihnen sagen: Dann müßte schon eine etwas substantiellere Kritik kommen, Vizepräsident Westphal: Ich stelle wieder ab. als sie hier vorgetragen wird. Ich habe natürlich auch sehr genau gehört, was Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister für das Sie über die Verkabelung gesagt haben. Sie spre- Post- und Fernmeldewesen: Nein. Ich möchte jetzt chen hier immer von 750 Millionen DM Verlust. Zu fertig werden. Recht müssen wir beim Paketverkehr von 1,3 Milli- Ich möchte Ihnen eins sagen, wenn Sie die Politik arden DM Verlust pro Jahr sprechen. Das ist ein der Bundespost in anderen Bereichen ansprechen. Punkt, der mich sehr umtreibt und wo wir wirklich Ich bin dem Kollegen Deres sehr dankbar, daß er noch nicht wissen, wie die Lösungen eines Tages schon gesagt hat, was wir an Ausbildungsplatzlei- aussehen. Denn wir können diese Defizite natürlich stungen erbracht haben, was wir geleistet haben in nicht ins Unermeßliche steigern. Aber nun bei ei- der Frage der Fortbildung. nem neuen Dienst die Investitionen gleich als Ver- (Walther [SPD]: Was haben Sie denn zum lust anzusehen, d. h. die Nichtamortisationsdiffe- Kollegen der FDP zu sagen?) renz einer Investition — das ist betriebswirtschaft- lich einfach ein solcher Nonsens, daß ich mich ei- Wir haben zum erstenmal Tausende von Postbe- gentlich wundere, daß man das im Deutschen Bun- diensteten in die entsprechende Fortbildung der destag wirklich vorträgt. Technik, der Mikroelektronik geschickt. Wir haben nicht nur von der einheitlichen Post geredet. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) haben Postbeamte im Schalterdienst ausgebildet, Gerade was die Verkabelung angeht, möchte ich um bei Fernmeldeleistungen beratend tätig zu sein, doch einmal sagen: Helfen Sie uns doch etwas da- d. h. wir haben die Einheitlichkeit des Unterneh- bei, daß es bei den Amortisationen besser aussieht! mens überhaupt erst konkret — nicht nur verbal — Reden Sie doch einmal mit dem Ministerpräsiden- in der Praxis in Gang gesetzt. ten Börner, das gesamte Angebot von Fernsehen Herr Paterna, Sie sprechen von der Angst vor der und Rundfunk zu ermöglichen, Zukunft, von den Phantomen. Ich darf Ihnen dazu (Dr. Vogel [SPD]: Sie reden doch immerzu! folgendes sagen. Die Bundesregierung hat mit gro- — Weitere Zurufe von der SPD) ßem Bedacht eine Regierungskommission einge- setzt, weil Sie diese Fragen, die so kompliziert sind, damit wir in der Lage sind, dem Bürger anzubieten, nicht auf offenem Markt in der Weise diskutieren was wir heute technisch können! können, wie das heute von der Postgewerkschaft (Zuruf von der CDU/CSU: Hessen hinten! leider getan wird. Sie wissen ganz genau, daß es — Zurufe von der SPD) hier Zusammenhänge gibt, die nur beurteilt werden können, wenn man die internationale Lage kennt, — Meine Damen und Herren, regen Sie sich doch wenn man die Historie der einzelnen Länder kennt, bitte nicht auf; sonst muß ich Sie einmal an den wenn man die zukünftigen reinen telematischen Parteitagsbeschluß der Sozialdemokraten von Es- Dienste, die kommen werden, kennt und auf diese sen erinnern, der j a noch heute gültig ist, Weise in der Lage sein wird, auch die Strukturen (Dr. Vogel [SPD]: Ja, der ist gut!) für die Bundespost und für alle an der Telekommu- nämlich: Sozialdemokraten in landes- wie kommu- nikation beteiligten Unternehmen richtig vorauszu- nalpolitischer Verantwortung werden alle ihnen zur sehen. Verfügung stehenden rechtlichen und politischen Da muß ich Ihnen sagen: Wir befinden uns in Mittel einsetzen, um die derzeitige Verkabelungspo- einer absolut normalen Situation, wenn in einer De- litik des Bundespostministeriums zu stoppen. mokratie die Parteien und einzelne Bundesländer (Zurufe von der SPD: Ja!) verschiedene Auffassungen vertreten. Entschieden wird nachher, wenn die Empfehlungen der Regie- Das ist Ihr Beschluß, bis heute gültig. rungskommission da sind. (Dr. Vogel [SPD]: Ein guter Beschluß!) (Frau Dann [GRÜNE]: Nach der Wahl) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19549

Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling Ich habe Ihnen meine persönliche Meinung gesagt. Ich darf mich bedanken und glaube, daß die Deut- Ich habe Ihnen zitiert, was die Bundesregierung als sche Bundespost diesen Weg weiter erfolgreich ge- Antwort auf das Sachverständigengutachten gesagt hen wird. hat und als Antwort auf Ihre Große Anfrage. Herzlichen Dank. - (Senfft [GRÜNE]: Sie wollen sich über den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wahltermin hinaus retten!) Dazu stehe ich, und dazu stehen wir. Wir werden Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- sehr interessiert und mit großer Sachkenntnis, so ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich hoffe ich, die Empfehlungen der Regierungskoali- schließe die Aussprache. tion im nächsten Jahr gemeinsam beraten. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- plan 13, nachdem wir sichtbar alle erkennen konn- (Paterna [SPD]: Zehn Tage nach der ten, wie man aus einem Keller eine Mehrheit holen Wahl!) kann. (Heiterkeit) — Nein, nicht zehn Tage; denn ich kann mir nicht vorstellen, daß der Herr Professor Witte in der Lage Wer dem Einzelplan 13, Geschäftsbereich des sein wird, zehn Tage nach der Wahl seine Empfeh- Bundesministers für das Post- und Fernmeldewe- lungen zu machen. Wenn das so wäre, dann wüßten sen, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, Sie mehr als ich. den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist (Walther [SPD]: Vielleicht hat er die schon mit Mehrheit angenommen worden. fertig!) (Dr. Vogel [SPD]: Mit Kellermehrheit!) Meine Damen und Herren, ich darf mich bei den Kollegen der CDU/CSU und FDP für die konstruk- Ich rufe nun auf: tive Mitarbeit für ein schwieriges Feld in den ver- Haushaltsgesetz 1987 schiedenen Ausschüssen sehr bedanken. Ich darf — Drucksachen 10/6329, 10/6330 — mich bei den vielen Tausenden von Mitarbeitern bedanken, die sehr schwierige Probleme in den letz- Berichterstatter: ten Jahren zu lösen hatten, sehr schwierige Proble- Abgeordnete Carstens (Emstek) me, und die sich von Ihnen nicht haben verhetzen Roth (Gießen) lassen, etwa nicht an einem Strang zu ziehen. Diese Dr. Weng (Gerlingen) Leistung wäre nicht möglich gewesen, wenn wir Wieczorek (Duisburg) nicht in der Lage gewesen wären, die Konzepte tat- Frau Simonis sächlich auch dem einzelnen Mitarbeiter nahezu Dr. Müller (Bremen) bringen und alle an einem Strang ziehen zu lassen. Meine Damen und Herren, des Ältestenrat hat Dafür bedanke ich mich mit Freude. Ich muß sagen: für die Beratung einen Beitrag bis zu zehn Minuten Sogar auf dem Gewerkschaftskongreß in Nürnberg für jede Fraktion vereinbart. — Ich sehe, Sie sind hatte ich das Gefühl, daß man tatsächlich auch et- damit einverstanden. was umgelernt hat und sich nicht mehr nur von Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Ab- Ihnen alles sagen läßt. Denn das werde ich Ihnen geordnete Löffler. sagen, wenn Sie davon sprechen, wir würden jetzt beginnen, eine Unternehmerpost zu sein und keine Bürgerpost mehr: Es ist eine Wende geschehen. Löffler (SPD): Vielleicht ist es nicht mehr so weitgehend eine Ge- Man gerät in ein Labyrinth, in dem uns Ariad- nossenpost, sondern eine echte Bürgerpost gewor- nes Wunderfaden nichts hilft und aus dem man den. Das kann man natürlich sagen. nicht wieder herausfindet. Die einen laufen ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nem trügerischen Phantom nach, das sie mit seinem Blendwerk täuscht. Sie verirren sich Meine Damen und Herren, wir werden auf die- gleich den Wanderern, die in der Dunkelheit sem Kurs fortfahren. Wir werden die modernen Irrlichtern folgen, deren Schein sie verlockt. Technologien einführen. Wir wünschen den GRÜ- Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen NEN, daß sie sich die Sachkompetenz aneignen. und Herren, das war ein blumiges Zitat aus einer Wenn sie in zehn Jahren einmal tatsächlich ernst- philosophischen Schrift Friedrichs des Großen, ge- haft über diese Fragen mitreden wollen, sind sie schrieben 1739. herzlich eingeladen. Das, was hier gesagt worden (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Sehr gut der ist, ist in den meisten Fällen leider falsch. Wir ha- Mann! Welchen Wahlkreis hat er denn ver- ben keinerlei derartige Aufträge gegeben. Wir ha- treten? — Bohl [CDU/CSU]: Da war er ben 45 000 bestellt nicht, Bitels sondern Multitels. — auch noch nicht König!) Diese allerdings werden beim Durchbruch von Bild- schirmtext eine große Rolle spielen. Der Text liest sich heute wie ein kritischer Kom- mentar zum Entwurf des Haushaltsgesetzes 1987. (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Sagen Sie Das jährliche Haushaltsgesetz ist ein Stiefkind in nochmals: Multitel! Aber bitte in die Kame der parlamentarischen Behandlung des Etats, zu ra!) Unrecht. 19550 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Löffler Denn: Wichtige gesamtwirtschaftliche Wirkungen 1986 auf 22,3 Milliarden DM im Jahre 1987 absen- gehen von diesem Gesetz aus, oft stärkere als von ken wird. Das sind 1,4 Milliarden DM weniger. Wie den vielen, vielen Titeln in den Einzelplänen. Ich werden sie politisch verantwortungsvoll und wirt- nenne nur einige Festlegungen, die im Haushalts- schaftlich vertretbar erwirtschaftet? Ganz einfach: gesetz getroffen werden: das Gesamtvolumen des Neben einer globalen Minderausgabe von 300 Mil-- Haushalts, Höhe der Nettokreditaufnahme, Höhe lionen DM — jeder in diesem Hause weiß, daß ich der Kassenverstärkungskredite, Umfang des Bürg- immer leidenschaftlich gegen die globale Minder- schaftsvolumens, der Garantien und der Gewährlei- ausgabe gekämpft habe — stungen. Gerade von dieser Bestimmung gehen be- (Zurufe von der SPD) sonders starke Wirkungen aus, positive oder negati- ve. wird in § 4 Abs. 9 eine Haushaltssperre über einige Titelgruppen ausgebracht, die mit 1,1 Milliarden Schließlich die Bestimmungen über die Haus- DM im Einzelplan 60 veranschlagt sind. Das ist ein haltsführung. Jede Regierung — das ist verständ- völlig neues Haushaltsgebaren, das es bisher noch lich — benutzt das Haushaltsgesetz, um Bestim- nicht gegeben hat. mungen rechtlich verbindlich zu machen, die zwar aus der Sicht der Regierung wünschenswert sind, (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Taschenspie- aber in der Bundeshaushaltsordnung oder im Haus- lerei ist das!) haltsgrundsätzegesetz nicht vorgesehen sind. Schon bei der Verabschiedung wird also vorgese- (Sehr wahr! bei der SPD) hen, daß nicht das ausgegeben werden darf, was Jede Regierung braucht ein solches Instrument — beschlossen worden ist. das soll gar nicht abgestritten werden —, um mög- (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Habt ihr mal lichst Anpassungen und Korrekturen des Haus- was Neues?) haltsplanes während seines Vollzuges vorzuneh- — Ja, kommt ja noch. Immer mit der Ruhe! men. Das ist auch in unserer Regierungszeit nicht anders gewesen. Aber dieses verständliche Bestre- Da das keiner versteht, möchte ich ein Bild brin- ben findet seine Grenze dort, wo der politische Wille gen, der Anschaulichkeit halber leicht vergröbert, des Parlaments mißachtet oder verfälscht wird. so wie Sie es, Herr Kollege Deres, vorhin ebenfalls getan haben: (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Sehr richtig!) (Waltemathe [SPD]: Herr Stoltenberg, zu- Der frühere Kollege Klaus Gärtner von der FDP hören!) und ich haben uns einmal in einer Persiflage Luft In einer patriarchalischen Familie, wie sie heute gemacht, indem wir ein kurzes Haushaltsgesetz Gott sei Dank immer weniger werden, sähe das entwarfen und dem damaligen Finanzminister dann so aus: Der Mann gibt seiner Frau 900 DM übergaben. § 1 lautete: Die Regierung darf Geld in Kostgeld, legt aber gleichzeitig fest, daß im Tages- beliebiger Höhe aufnehmen und für alle möglichen durchschnitt nur 25 DM ausgegeben werden dürfen Zwecke ausgeben. § 2 legte fest: Das Geld beschafft — das sind dann 750 DM im Monat —, und die sich die Regierung dort, wo sie es herbekommt. In übriggebliebenen 150 DM werden für die Miete ver- § 4 wollten wir die Bundesregierung schließlich er- wendet. mächtigen, die Bundeshaushaltsordnung entspre- (Heiterkeit bei der SPD) chend ihren Bedürfnissen durch Umschreibung an- Das ist nicht Haushaltswahrheit und auch nicht zupassen. Haushaltsklarheit. (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Sehr gut! (Beifall bei der SPD — Carstens [Emstek] Sehr gut!) [CDU/CSU]: Die Rechnung stimmt aber Dieser als Scherz gedachte Entwurf ist durch den nicht im Februar!) vorliegenden Gesetzentwurf nicht mehr so weit von der Haushaltswirklichkeit entfernt. § 1 des Entwurfs Gärtner/Löffler — die Regierung darf das Geld in beliebiger Höhe für alle möglichen (Beifall bei der SPD) Zwecke ausgeben — ist damit voll erfüllt. Auch § 2 Irgendwie muß der damalige Scherz in den falschen — das Geld beschafft sich die Bundesregierung Aktenordner geraten sein. dort, wo sie es herbekommt — hat sich in den Haus- haltsplan 1987 voll eingeschlichen. Der Ausgleich (Heiterkeit bei der SPD — Walther [SPD]: des Haushalts wird unter anderem dadurch herbei- Nur die Berlin-Klausel ist nicht dabei! — geführt, daß Bundesvermögen in Höhe von 3,3 Milli- Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Ein soge arden DM nanntes Mierscheid-Gesetz!) (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!) — Die Berlin-Klausel habe ich als Berliner aus ver- ständlichen Gründen weggelassen, aber ich bin be- verkauft wird. Man verkauft die Kleidung, um den reit, sie aus dem Kopf zu zitieren. Sie lautet: Dieses Kleiderschrank zu bezahlen. Gesetz gilt in Berlin gleich zweifach. (Beifall bei der SPD — Carstens [Emstek] (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) [CDU/CSU]: Neue Heimat für eine Mark!) Das sieht dann in der gegenwärtigen Situation so Was wird eigentlich im nächsten Jahr verkauft? Sie aus: Die Koalition lobt sich dafür, daß sie die Net- sollten es der Bevölkerung im Wahlkampf offen sa- tokreditaufnahme von 23,7 Milliarden DM im Jahre gen. Als der Bundeskanzler, Herr Dr. Kohl, lieber Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19551

Löffler Kollege Carstens, noch Oppositionschef in diesem tung behalten sollen, dann sollte man sie ernst neh- Hause war, hat er das Budgetrecht als Königsrecht men und nicht als Arabesken benutzen können. des Parlaments bezeichnet. Damit wollte er sagen, (Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann dieses Recht sei das bedeutendste des Parlaments. [CDU/CSU]: Als Berliner haben Sie gut re- Wer aber dieses Haushaltsgesetz liest, kommt zu den, Herr Löffler!) - dem Ergebnis, daß es sich nicht um das bedeutend- ste, sondern um das undeutlichste Recht handelt, Aus dem Gesagten ergibt sich, daß wir dieses das in diesem Hause verabschiedet werden soll. Haushaltsgesetz ablehnen. Gestatten Sie mir zum Schluß bitte noch eine per- (Beifall bei der SPD) sönliche Bemerkung. Diese Legislaturperiode wird Deshalb sage ich als alter Segler, der ich bin — in die Geschichte des Deutschen Bundestages als genauso wie Sie, Herr Finanzminister —: Das ist Periode der großen Abschiedsreden eingehen. Dies keine Wende, sondern ein haushaltspolitischer war auch meine letzte Rede. Sentimentalität war Schlingerkurs. Es wird notwendig sein, das Steuer- bei diesem trockenen Stoff völlig ausgeschlossen. rad so umzulegen, daß es wieder einen klaren Kurs Dafür bin ich außerordentlich dankbar. gibt. Es verbleibt mir nur, Ihnen alles Gute zu wün- schen. Ich war gerne hier, aber nun langt es. (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Eine Not halse war das!) (Beifall bei allen Fraktionen) § 22 des Haushaltsgesetzes bestimmt, daß das Haushaltsgrundsätzegesetz und die Bundeshaus- Vizepräsident Westphal: Lieber Kollege Löffler, haltsordnung auch auf Anlage E im Kapitel 10 04 Sie haben es in den fünf Legislaturperioden und angewendet werden müssen. In dieser Anlage wer- auch an diesem Abend immer verstanden, aus einer den die Ausgaben für den gemeinsamen Agrar- trockenen Materie „Haushaltsgesetz" sogar noch markt nachgewiesen. Ein wichtiger Haushalts- eine lebhafte Darstellung zu machen, die uns alle grundsatz ist die Kosten-Nutzen-Analyse. amüsiert und trotzdem inhaltlich lehrreich gewesen ist. (Dr. Vogel [SPD]: Aha!) Wir verabschieden Sie — ich glaube, das darf ich Stehen die ausgegebenen Mittel in einem vertretba- im Namen aller sagen — mit ein wenig Traurigkeit. ren Verhältnis zu dem Nutzen? Diese Frage muß Ich darf es als ein guter Freund über lange Jahre vor jeder Ausgabe untersucht und beantwortet wer- hin sagen: Wir haben viele Stunden dort oben im den. 25. Stock zusammen gearbeitet und gesessen. Manchmal haben wir uns auch gesehnt, hier einmal Wie sieht dieses Verhältnis in der gegenwärtigen ins Plenum kommen zu dürfen. Nun war es das Situation aus? Es lagern in der EG 1,4 Millionen t letzte Mal. Schönen Dank für die gute Zusammen- Butter und 815 000 t Magermilchpulver. Von den arbeit! 3,5 Milliarden DM, die dafür vorgesehen sind, wer- (Beifall bei allen Fraktionen — Löffler den rund 1 Milliarde DM allein für die Lagerkosten [SPD]: Schönen Dank, Herr Präsident!) ausgegeben. Eine vertretbare Relation zwischen Kosten und Nutzen ist bei dieser Sachlage nun Jetzt hat der Abgeordnete Roth (Gießen) das wahrlich nicht gegeben. Wort. (Beifall bei der SPD) Roth (Gießen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Ich weiß natürlich auch — dazu war ich zu lange im sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn mei- Haushaltsausschuß und auch im Agrarausschuß tä- ner Ausführungen ist es auch mir ein sehr herzli- tig — , daß dieses Problem nicht im Hau-Ruck-Ver- ches Bedürfnis, Ihnen, verehrter Herr Kollege Löff- fahren gelöst werden kann, ohne möglicherweise ler, namens und im Auftrag der Kolleginnen und verheerende Folgen für unsere ländlichen Räume Kollegen meiner Fraktion ein Wort der Anerken- und damit für die ganze Gesellschaft herbeizufüh- nung und auch des Dankes für die gute Kollegiali- ren. Ich meine jedoch, daß diese Bestimmungen des tät zu widmen, einem Manne, der als Haushälter Haushaltsgesetzes und des Haushaltsgrundsätzege- besondere Verantwortung in diesem Parlament ge- setzes die Bundesregierung verpflichten, ernsthaft tragen hat. Ich habe mir von meinen Kollegen be- und entschieden nach Einkommensalternativen zur richten lassen, Sie hätten das immer mit sehr gro- Milcherzeugung zu suchen. Aber von diesem Su- ßer und profunder Sachkenntnis, mit viel Fleiß, mit chen spüren wir wenig. Beharrungsvermögen (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ihr spürt (Dr. Rose [CDU/CSU]: So ist es im Haus- überhaupt wenig!) haltsausschuß üblich!) Auf eine Lösung des Problems, lieber Kollege Ger- und, wie sich heute abend auch gezeigt hat, mit ster, warten wir bis heute. Bisher hat die Bundesre- einer gehörigen Portion Humor getan. gierung noch nicht einmal dargelegt, wie sie sich Das ist, wie Sie an den aufgehellten Mienen aller die Lösung des Überschußproblems bei Milchpro- hier gesehen haben, kein trauriger Abschied. Wir dukten ansatzweise denkt. Wenn Gesetze ihren wünschen Ihnen glückliche Jahre und interessante Sinn als rechtlicher Handlungsrahmen, als Hand- Aufgaben, denen Sie sich in Ihrem künftigen Leben lungsauftrag, aber auch als Handlungsverpflich weiter widmen können. Sie sind jedenfalls jemand, 19552 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Roth (Gießen) der uns in bester Erinnerung bleibt. Herzlichen der sicherste Weg in die nächste Wirtschafts- und Dank! Beschäftigungskrise. (Beifall bei allen Fraktionen) Diesem gefährlichen Weg der SPD werden sich die CDU/CSU und auch die FDP in der Koalition im Zu dem Inhalt Ihrer Rede muß ich allerdings sa- fünften Haushaltsjahr entgegenstemmen. - gen, (Kühbacher [SPD]: Herr Kollege Roth, nun (Heiterkeit — Dr. Müller [Bremen] [GRÜ NE]: Wir sind ja froh, daß Sie noch dazu ist's aber genug! — Bohl [CDU/CSU]: Wei- kommen! Sie wollten sich drücken!) ter so!) daß in der deutschen Finanzpolitik auch 1987 Soll Wir jedenfalls werden unsere Politik der Rückfüh- und Haben zusammenbleiben; das ist ganz wichtig. rung der Neuverschuldung konsequent fortführen. Das, was wir uns im Haushaltsausschuß in zwölf Wir werden die Staatsausgabenzuwächse begren- Beratungswochen erarbeitet und in drei Tagen der zen und damit den einmal erfolgreich eingeschlage- zweiten Haushaltslesung — teilweise auch mit Lei- nen Weg fortsetzen. denschaft — diskutiert haben, ist ein stabiles Zah- Wir haben durch diese Finanzpolitik das Funda- lengefüge. ment des Aufschwungs gelegt. Wir haben den Weg Diese Debatte hat der Öffentlichkeit gezeigt, daß in die Traumkombination von Wirtschaftswachs- die Opposition, insbesondere die SPD, über keine tum, steigender Beschäftigung, völliger Preisstabili- überzeugenden und leider auch über keine glaub- tät, steigenden Reallöhnen, sinkenden Zinsen und würdigen Alternativen zu unserer erfolgreichen Spitzenzuwächsen beim privaten Verbrauch und Finanz- und Wirtschaftspolitik verfügt. Die gleiche bei der arbeitsplatzschaffenden Investitionstätig- SPD, der wir das Schuldendesaster von 1982 zu ver- keit geschaffen. danken haben und die unsere Politik der Konsoli- (Kühbacher [SPD]: Hurra!) dierung 1983 zunächst als Akt des „Kaputtsparens" Diese Politik hat und behält Erfolg. Meine Damen zu diffamieren versuchte, hat uns jetzt vorgeworfen, und Herren, Sie werden ihr am Ende zustimmen wir hätten die hinterlassene Haushaltslücke bisher müssen. leider „nur" zur Hälfte wieder ausgeglichen. Zu- gleich aber beklagt sich die SPD als die sprichwört- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — liche Steuererhöhungspartei in Deutschland über Dr. Rose [CDU/CSU]: Eindeutig! — Kühba- eine zu hohe Abgabenlast in der Bundesrepublik. cher [SPD]: Ist Ihnen das nicht peinlich?) Sie verspricht Steuererleichterungen ohne Sen- Zumindest haben Sie der Kraft der Tatsachen und kung der Steuerlastquote und ohne Absenkung der der Erfolge nichts entgegenzusetzen. Staatsquote. Dies bedeutet im Klartext, daß Ihre finanzpolitische Absicht nach wie vor in der rigoro- Wir haben bei den Ausschußberatungen in den sen Verschärfung der Steuerprogression liegt — letzten Wochen erneut ein Zeichen gesetzt. Wir ha- ohne jede Rücksicht auf die wirtschaftlichen Fol- ben das Haushaltsvolumen 1987 — Sie haben das gen. eben noch karikiert, Herr Kollege Löffler — gegen- über dem ohnehin knapp bemessenen Regierungs- (Dr. Rose [CDU/CSU]: Das ist leider entwurf um 2,5 Milliarden DM gesenkt. Wir haben wahr!) den Ausgabenzuwachs auf 1,9 % reduziert — und Bereits gutverdienende Facharbeiter würden Opfer das unmittelbar vor einer Wahl! —, und wir haben Ihrer steuerlichen Umverteilungspolitik sein. Und die Neuverschuldung um weitere 2 Milliarden DM diese Politik ist weder mit den Geboten der Ausge- heruntergedrückt. wogenheit noch mit denen der Gerechtigkeit zu ver- (Walther [SPD]: Steht doch im Haushalts- einbaren. gesetz!) (Bohl [CDU/CSU]: So ist es! — Wider Das wurde erreicht, indem wir beim staatlichen spruch bei der SPD) Eigenverbrauch und bei den rechtlich ungebunde- Ihre Finanzpolitik war und bleibt zins- und infla- nen konsumtiven Zuschüssen an den staatsnahen tionstreibend. Deshalb ist sie eine schlechte Politik. Bereich alle Einsparungsmöglichkeiten wahrge- Am Ende hat immer der kleine Mann die Zeche zu nommen haben. bezahlen. Dies ist die Wahrheit. Durch eine in das Haushaltsgesetz aufgenom- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — mene Vorschrift werden über sämtliche Einzeletats Widerspruch bei der SPD — Dr. Müller hinweg 1,1 Milliarden DM durch Sperrung einge- [Bremen] [GRÜNE]: Sie haben doch einen spart. Diese Maßnahme schließt an die entspre- kleinen Mann im Ohr! — Dr. Diederich chende Sperre beim Vollzug des Haushalts 1986 an. [Berlin] [SPD]: Da können Sie doch nur Sie hat sich bewährt. Was wir hier ins Auge gefaßt noch rot werden!) haben, belastet keineswegs die Aufgabenerfüllung des Staates. Denn der Staat profitiert ja von dem Ein Weiteres ist im finanzpolitischen Konzept international höchsten Stabilitätsgrad, den die Bun- der SPD wieder deutlich hervorgetreten: Die SPD will zum verheerenden Programm-Aktionismus der desrepublik erreicht hat. Jahre vor 1982 zurückkehren. Das bedeutet nichts Die konsequente Linie unserer Finanzpolitik ver- anderes als die Neuauflage der beschäftigungspoli- folgen wir allerdings auch im Personalbereich. Alle tisch verbrämten Schuldenmacherei, und das ist dem Haushalt 1987 neu ausgebrachten Stellen — Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19553

Roth (Gießen) seien es die für den Bereich der inneren Sicherheit, Die richtigen Zahlen ergeben sich aber aus der die für Asylangelegenheiten oder auch die für den Drucksache 10/6329 auf Seite 22. Umweltschutz — müssen an anderer Stelle einge- (Dr. Vogel [SPD]: Zurückverweisen!) spart werden. Das Haushaltsgesetz enthält eine entsprechende Einsparungsvorschrift, die im Jah- Sie sind in der Anlage zur Haushaltsübersicht, hier:- resverlauf zu vollziehen ist. Wir sind der Meinung, Verpflichtungsermächtigungen im Bundeshaus- daß der Staat seine neuen Aufgaben mit dem vor- haltsplan enthalten. Ich habe das ausdrücklich zu handenen Personalvolumen erfüllen muß und kann. Protokoll zu geben. Bei einem so großen Personalkörper von rund Ich bin stolz darauf, daß wir ansonsten ein geord- 300 000 Bediensteten im unmittelbaren Bundesbe- netes und stabiles Zahlenwerk übergeben können. reich — Beamte, Angestellte und Arbeitnehmer — (Dr. Vogel [SPD]: Stabil, aber falsch und ist dies möglich. Sparpolitik ist nur glaubwürdig, chaotisch!) wenn sie auch den Personalhaushalt einschließt. In diesem Sinne möchte ich zum Abschluß der Be- Kontinuität und Verläßlichkeit, die Gütezeichen ratungen in zweiter Lesung die Zustimmung mei- von fünf Jahren erfolgreicher Haushaltspolitik, ner Fraktion zum Bundeshaushalt 1987 und zum werden auch in Zukunft das finanzpolitische Han- Haushaltsgesetz zum Ausdruck bringen. deln dieser Koalition und der Regierung bestim- men. Wir werden mit äußerst knapp bemessenen Herzlichen Dank. Haushaltsausweitungen zurechtkommen. Den hier- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) durch gewonnenen Spielraum werden wir für steu- erliche Entlastungen, aber auch für die Fortführung der familien- und sozialpolitischen Erneuerung zu Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- nutzen wissen. Das ordnungs- und konjunkturpoli- ordnete Dr. Müller (Bremen). tisch vorrangige Ziel, die Finanzierungsdefizite al- ler öffentlichen Haushalte schrittweise weiter zu- rückzuführen, bleibt für uns ein bestimmender Fak- Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Herr Präsident! tor. Das ist das beste Rezept, den Aufschwung nicht Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund nur für das Jahr 1987, sondern auch für die Jahre einer absehbaren Verminderung der Steuereinnah- danach zu sichern, und zwar bei anhaltend stabilen men um ungefähr 2,9 Milliarden DM, wovon allein Preisen, bei realen Einkommenssteigerungen und 1,6 Milliarden DM auf den Bund entfallen, hat der bei einer Politik, die für Hunderttausende von Men- Finanzminister bereits vor Abschluß der Haushalts- schen wieder zu sicheren Arbeitsplätzen führen beratungen eine Sperrung von ca. 1,1 Milliarden wird. DM für den Bereich der sachlichen Verwaltungs- ausgaben, der nicht investiven Zuweisungen und In diesem Sinn danken wir allen, die bei diesem Zuschüsse verkündet. Dies ist in mehrfacher Hin- Werk mitgeholfen haben, auch den Kollegen im sicht ein Indiz für eine unseriöse Haushaltsfüh- Ausschuß. Wir danken dem erfolgreichen Finanzmi- rung. nister. Wir sind sicher, daß diese Politik ihre ver- diente Anerkennung finden wird. Erstens. Als auf eine bestimmte Titelgruppe bezo- gene Pauschalsperre entwertet sie den Haushalts- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) plan und damit die parlamentarische Haushalts- Herr Präsident, bevor ich meine Ausführungen kontrolle, da die Struktur der Soll-Ansätze in den genannten Bereichen nun natürlich ziemlich nebu- beende, muß ich eine Bemerkung zu Protokoll ge- los wird. ben. Die der Drucksache 10/6330 beigefügte Uber- sicht über das finanzielle Ergebnis der Beratungen Zweitens. Verstärkt wird dies noch durch die des Haushaltsausschusses enthält auf Seite 45 bei Möglichkeit, daß die Ausgabensperre auch aus an- den Verpflichtungsermächtigungen in der Spalte 2 deren Titelgruppen erbracht werden kann, falls sie versehentlich einige falsche Zahlen. durch die genannten Titelgruppen nicht vollzogen wird. Ich habe absolut nichts dagegen, daß insbe- (Waltemathe [SPD]: Das ist auch uns schon sondere bei Verwaltungsausgaben sparsam mit aufgefallen! — Dr. Vogel [SPD]: Aha! Nicht Steuergeldern umgegangen wird. Aber wo bleibt bei mal die Zahlen stimmen! Weg mit dieser derartigen Pauschalsperren eingentlich das Recht Regierung!) des Parlaments? Wird dadurch die sowieso schon Es handelt sich um falsche Computereingaben. starke Stellung des Finanzministeriums im Haus- Auch das passiert in einem gut funktionierenden haltsvollzug nicht weiter gestärkt? Denn er kann Ministerium. Es betrifft die Einzelpläne 02, 04, 05, 15 natürlich durch seine Vorlagen vergleichsweise und 31. ohne parlamentarische Kontrolle entscheiden, was denn nun eingespart wird. (Dr. Vogel [SPD]: Alles falsch!) Drittens ist schließlich darauf hinzuweisen, daß Dadurch sind auch in den folgenden Spalten vom von den vorgesehenen Mindereinanhmen von 1,6 Ergebnis her falsche Zahlen addiert worden, Herr Milliarden DM bloß 1,1 Milliarden DM durch die Abgeordneter Dr. Vogel. Sperre abgedeckt werden, also vermutlich eine wei- tere halbe Milliarde DM sonstwo im Haushaltsvoll- (Dr. Vogel [SPD]: Das habt ihr alles ange zug eingespart werden soll. Wie der Herr, so das nommen?!) Geschirr. 19554 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Dr. Müller (Bremen) Ich halte es auch für eine Entmachtung des Par- Haushaltsverfahrens sind. Dazu kommen die Ver- laments, pflichtungsermächtigungen, die sich in diesem Jahr (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Es wird doch wieder auf die stolze Summe von 40,5 Milliarden ständig entmachtet!) DM summieren. 1985 betrugen die Verpflichtungs- ermächtigungen noch 35,4 Milliarden DM. Sie wei-- wenn beim Bildungs- und Wissenschaftsministe- sen seit langem eindeutig eine steigende Tendenz rium globale Minderausgaben veranschlagt wer- auf. Selbst für einen veränderungswilligen Haus- den, globale Minderausgaben, die in diesem Jahr hälter oder Haushaltsausschuß oder nur eine Frak- wieder erhöht worden sind. Ich glaube, wir sollten tion darin würde es schwer sein, im Zuge der Bera- anfangen, uns innerhalb des Bundestages und in- tung einen großen Handlungsspielraum vorzufin- nerhalb des Parlaments zu vergewissern, ob wir den. Ich betone dies. hier eigentlich noch Herr des Verfahrens sind. Dazu kommt aber, daß es politisch gewollte Was steckt politisch dahinter? Schranken für die parlamentarische Haushalts- (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Viel heiße kontrolle gibt. Nicht nur in politisch brisanten Be- Luft!) reichen, etwa den Geheimdiensten oder, wie wir hier gehört haben, bei Post und Bundesbahn, oder Zuerst werden dem gebeutelten Steuerzahler im Einzelplan 35, wird der parlamentarischen Öf- Mondpreise für die Regierungsdienste genannt, um fentlichkeit Einblick in das Haushaltsgeschehen ihm dann hinterher mittels der geringen Ist-Preise verwehrt. Auch die dem Voranschlag des Haushalts das glückselige Gefühl zu vermitteln, in den Genuß zugrunde liegenden Prozesse sind in der andeu- eines Sonderangebotes gekommen zu sein. Ich tungsvollen Kabbalistik von Erläuterungen und halte das für ein unredliches Verfahren. Es bringt Sprechzetteln versteckt. Sie sind der Ausdruck ei- Ihnen, Herr Stoltenberg, zwar kurzfristig gleichzei- nes strukturellen Informationsmonopols von Regie- tig den Ruf des Gönners und Sparers ein, doch rung und Ministerien, das nicht selten für eine be- gerade in der Finanzpolitik zahlt sich ein derart wußte Irreführung des Parlaments genutzt wird. unseriöses Vorgehen nicht aus. Die Sozialdemokra- Eine Menge an Information kann auch Desinforma- ten wissen, wovon ich rede. tion sein. Dies bringt mich zu einer grundsätzlichen Be- (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ist das auch merkung zur Rolle der parlamentarischen Bera- eine Abschiedsrede?) tung des Haushalts. Der Berg kreißte und gebahr eine Maus. Unter dieses Motto könnte man die all- — Die kriegen Sie noch zu hören, Herr Gerster. jährliche hektische Betriebsamkeit der Haushalts- Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die als beratungen stellen. Unter Aufwendung erheblicher Lex Lambsdorff bekanntgewordene Problematik Betriebsamkeit, materieller, zeitlicher, moralischer des Rechtsschutzes in Strafsachen für Bundesbe- und konditioneller Ressourcen, wofür ich übrigens dienstete. alle Haushälter aller Fraktionen in bewundernder Erinnerung behalten werde, wurden auch in diesem Abgerundet wird dieses Bild durch den zu beob- Jahr wiederum nur 0,9 % des Haushalts durch die achtenden Funktionswandel des Parlaments. Aus Ausschußberatung bewegt. einem Sammelpunkt bürgerlicher Kontrolle hat sich durch die Bildung von Mehrheitsfraktionen Eine hier nicht anstehende — ich betone das und deren Anbindung an ein Organ der Regierungs Wort nicht — Kosten-Nutzen-Analyse würde zu zuarbeit eine im Dienste des Regierungswillens ste- dem Ergebnis führen, daß dies ein ineffizienter Pro- hende Abstimmungsmaschine gebildet. Ich halte zeß ist. Aber es geht hier wohl weniger um Effizienz das für problematisch, gerade wenn es um die Kon- als um das, was die Systemtheoretiker Legitimation trolle des Haushalts geht. Und darüber reden wir j a durch Verfahren nennen würden. Betriebswirte hier. würden den ganzen Aufwand als management by endurance bezeichnen oder besser (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) So tritt im Haushaltsverfahren an die Stelle der — ich übersetze es für dich — management by Sit- Gewaltenteilung lediglich eine Mäßigung der staat- in. Auch dies übersetze ich gerne: Führung durch lichen Gewalt. Etwas mehr Wettbewerb — davon Aussitzen. scheinen Sie j a etwas zu verstehen — zwischen den Gewalten stünde dem Haushaltsverfahren gut zu (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Hervorragend!) Gesicht. Größere Transparenz und Offenheit bei Das ist es. Ich halte es für problematisch, wenn das der Bedarfsfeststellung und eine Verbesserung der Parlament das macht. Wenn die Regierung das informativen Ressourcen des Parlaments, beispiels- macht, ist das auch schon schlimm genug. Aber wir weise durch ein congressional budget office, wie wir sollten das eigentlich nicht tun. es in den USA haben, (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) (Zurufe von allen Fraktionen) Gleichwohl gibt die zunehmende Formalisierung wären hier zu nennen. — Ich wußte, daß das jetzt und Ritualisierung des Haushaltsverfahrens zu kommen würde. Damit habe ich gerechnet, Herr denken. Hinter dem wortreichen Lamento verbirgt Bohl. Sie als Parlamentarier sollten sich einmal sich letztendlich eine stille Entmachtung des Parla- darüber erkundigen. Das ist wirklich ein office, das ments. Der größte Teil der Ausgaben ist durch Ge- segensreiche Unterstützungsarbeit für die Parla- setze gebunden, die nicht selber Gegenstand des mentarier in den USA leistet. Ich würde sehr emp- Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19555

Dr. Müller (Bremen) fehlen, darüber nachzudenken, ob man hier nicht so muß ich sagen: Leider habe ich Sie nicht kennenler- etwas aufbauen könnte. nen dürfen. Ich glaube, wenn Ihre Fraktion Sie statt Mir ist bekannt, welche Probleme es aufwerfen des Kollegen Apel in die Haushaltsdebatte ge- würde, wenn nicht das Finanzministerium, sondern schickt hätte, dann wäre es der Gruppe der Koali- - wir als Parlamentarier uns das Recht herausneh- tion nicht so leichtgefallen, men würden, den Entwurf zu machen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sehr gut!) die gute Darstellung der Politik in den Medien auch Mir ist bekannt, wie problematisch das ist. Im Sinne deutlich zu machen. Ich wünsche Ihnen alles Gute einer Stärkung des Parlaments würde ich aber für die Zukunft auch im Namen meiner Kollegen. solch ein Vorgehen zumindest als bedenkenswert erachten. Es würde uns Parlamentariern die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Chance bieten, gleichzuziehen mit den Möglichkei- Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung: Im Bun- ten, die das Finanzministerium und die anderen Mi- deshaushalt 1987 ist vorgesehen, für den Salzgitter- nisterien haben. Konzern im Hinblick auf den Bau von Container- Ich möchte zum Schluß kommen. Es gibt einige schiffen auf der Kieler Großwerft Howaldtswerke- Feinstrukturen der Kreditaufnahme, die auch pro- Deutsche Werft AG eine Kapitalzuführung in drei- blematisch sind. Obwohl in der Ära Stoltenberg an- stelliger Millionenhöhe zu leisten. Schon deshalb geblich Konsolidierungserfolge erzielt worden sein können wir nicht daran vorbeigehen, daß nach heu- sollen, tiger Pressemeldung gegen diese Werft erhobene Anschuldigungen geprüft werden. Sie soll illegal (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Die geht zu Konstruktionspläne zum Bau von U-Booten nach Ende!) Südafrika verkauft haben. Der Vizekanzler, Hans- nimmt die Belastung des Haushalts durch Zinsaus- Dietrich Genscher, hat hierzu gestern erklärt, daß gaben seit 1982 stetig zu. Sie beträgt für den Haus- ein solcher möglicher Vorfall strafrechtlich gewür- halt 1987 insgesamt 31 Milliarden DM und damit digt werden müsse. Das stimmt, aber es genügt na- 11,5% der Gesamtausgaben, während 1982 der An- türlich nicht. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen teil 9% betrug. Woran liegt das? Abgesehen von der und sollte richtig sein, daß das Bundesamt für ge- durch die Bundesregierung stets eifrig befürworte- werbliche Wirtschaft als Genehmigungsbehörde ten Hochzinspolitik der Bundesbank liegt das an nicht befaßt war, müßte dies natürlich auch politi- der auch von Stoltenberg nicht geänderten Struktur sche Konsequenzen haben. der Verschuldung. So entfällt nach wie vor ein gro- ßer Teil der Verschuldung auf die Banken. Schon (Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: 1970 hat der Wissenschaftliche Beirat beim BMF in Sensation!) einem Gutachten darauf hingewiesen, daß zwischen Ein Bundesbetrieb als Gesetzesbrecher: Da könnte den Banken kein ausreichender Wettbewerb herr- man ja wohl nicht einfach mit Zahlung eines Buß- sche, daß die Banken eigene Schuldverschreibun- geldes, noch dazu aus Steuermitteln, zur Tagesord- gen absetzen wollten und daß demzufolge die Ko- nung übergehen. sten einer bankmäßigen Emission von Staats schuldpapieren beträchtlich über den Kosten einer (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. direkten Emission an Nichtbanken liegen. Diederich [Berlin] [SPD]: Da muß der zu- ständige Minister als Aufsichtsbehörde Das führt dazu, daß wir allein für Provisionen, weg!) Kosten und Marktpflege eine halbe Milliarde DM für die Banken ausgeben. Am Ende der ersten drei Tage der Debatte über (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Nicht zu glau den Bundeshaushalt 1987 steht heute die Abstim- ben!) mung über das Haushaltsgesetz in zweiter Lesung. Wir haben drei Tage detaillierte Beratungen der Ich gebe zu bedenken, ob diese halbe Milliarde DM Einzelhaushalte der Ministerien geführt. Ich stelle für die Banken nicht in den Subventionsbericht der erneut fest: Die Opposition ist echte Alternativen Bundesregierung hineingeschrieben werden sollte, schuldig geblieben. Ich schränke ein: Der Kollege um deutlich zu machen, daß hier den Banken — Löffler hat heute abend wenigstens eine freundli- unnötigerweise, soweit ich orientiert bin — eine che, fröhliche und lustige Alternative deutlich ge- halbe Milliarde DM zukommt, die wahrlich für Bes- macht. seres ausgegeben werden kann. In der konsequenten Fortführung unserer Politik Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. der Haushaltskonsolidierung sind und bleiben wir (Beifall bei den GRÜNEN) auf dem richtigen Weg. Die rot-grüne Opposition hat nicht einmal den Versuch einer ernst gemein- Vizepräsident Westphal: Außer mir mit den noch ten Offensive unternehmen können. zu erwartenden Verlesungen spricht nun unweiger- Der Gesamthaushalt schließt mit einem Ausga- lich der letzte Redner dieses Abends, Herr Weng. benvolumen von 268,5 Milliarden DM ab, womit die Steigerung gegenüber dem Vorjahr im Soll-Soll- Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Herr Präsident! Vergleich nur 1,9 % ausmacht. Die Nettokreditauf- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr nahme konnte durch unsere Beschlüsse auf 22,3 Kollege Löffler, ich habe Sie persönlich im Aus- Milliarden DM begrenzt werden. Das ist die niedrig- schuß nicht kennengelernt. Nach Ihrer Rede heute ste Nettokreditaufnahme seit zehn Jahren und der 19556 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Dr. Weng (Gerlingen) niedrigste Anteil der Neuverschuldung im Gesamt- Wie unseriös solche Operationen sind, zeigt allein haushalt seit 1974. das sogenannte Sondervermögen „Arbeit und Um- welt", Im Laufe der Haushaltsdebatte sind auch einige (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist - ernste Risiken für das kommende Haushaltsjahr wahr!) aufgezeigt worden. Ich meine, wir haben für diese das Bestandteil Ihrer Initiative ist. Die 4,7 Milliar- Risiken bestmögliche Vorsorge geleistet. Wir wer- den DM, die Sie für das Programm jährlich benöti- den im kommenden Jahr unter der Voraussetzung, gen, sollen über einen Zuschlag auf Verbrauch von daß uns die Wähler in unserer Aufgabe bestätigen, Strom, Mineralölprodukten und Erdgas finanziert auch die Kraft und die Entscheidungsfreudigkeit werden, also 4,7 Milliarden DM, die Sie dem Ver- haben, das Notwendige im Ablauf des Haushalts- braucher auf diesem Umwege zusätzlich aus der jahres zu tun, um den Vollzug sicherzustellen. Wir Tasche ziehen wollen. Damit wollten Sie in Ihrem sind uns der Tatsache bewußt, daß wenig Spielraum Programm „Arbeit und Umwelt" seinerzeit 200 000 für zusätzliche Ausgaben bleiben wird. Der Finanz- zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, was schon da- minister — meine Damen und Herren, ich sage das mals von Experten in Zweifel gezogen wurde. Weil mit großem Ernst in Kenntnis der Risiken — der das aber noch nicht genug an Versprechungen ist, kommenden Bundesregierung wird sicherlich von haben Sie jetzt in der Vorlage, die wir morgen bera- Anfang an enorm viel Stehvermögen aufbringen ten sollen, dieses Programm modifiziert. Sie nennen müssen, um erfolgreich zu sein. es „Aktive Arbeitsmarktpolitik" und verdoppeln die Zahl der Arbeitsplätze einfach auf 400 000. So ein- Von der Opposition ist kritisiert worden, wir hät- fach ist das bei der SPD! ten Rechte des Parlaments wegen der genannten (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Morgen früh Einsparungen an staatlichem Eigenverbrauch und sind das 800 000!) im staatsnahen Bereich aufgegeben, die wir in der letzten Woche der Haushaltsberatungen beschlos- — Das ist zu befürchten, Herr Kollege Gerster. Wir sen haben. Wer sich an die zeitlichen Abläufe erin- haben dagegen mit unserer Politik nachweisbar bis- nert, muß nüchtern einsehen, daß uns keine andere her 700 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Wahl mehr blieb, als die Kürzungen im konsumti- (Walther [SPD]: Wer hat das nachgewie- ven Bereich umgehend durchzuführen. Den gesam- sen? — Wo ist der Nachweis? — Bohl ten Haushaltsplan nochmals detailliert zu beraten, [CDU/CSU]: In der Statistik steht das!) um der durch die neue Steuerschätzung veränder- Nach der Prognose des Sachverständigengutach ten Situation im Sinne unserer politischen Vorga- tens sollen es Ende 1987 800 000 Arbeitsplätze sein. ben Rechnung zu tragen, konnte rein technisch nicht mehr in Frage kommen. Das ist natürlich (Walther [SPD]: Genau da steht es nicht!) auch der SPD bekannt. — Herr Kollege Walther, die Bundesanstalt für Ar- beit hat diese Zahl mitgeteilt, Wenn nun die Steuerschätzer erklären, die Ein- (Dr. Vogel [SPD]: Das ist ein Märchen! — nahmen des Bundes würden nicht um 12, sondern Weitere Zurufe von der SPD) nur rund 11 Milliarden DM steigen, dann bleibt und in einer ganzen Zahl von Sachverständigengut- kein anderes sinnvolles Instrument als das, das der achten ist diese Zahl immer wieder genannt Finanzminister auch im laufenden Haushaltsjahr worden. ohne Schaden angewendet hat, um den Vollzug des Haushalts zu sichern. (Anhaltende Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, der Bauchladen an Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- den die SPD-Fraktion Wahlkampfversprechungen, statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten in ihrem Entschließungsantrag für die dritte Le- Walther? sung am morgigen Tag vorlegt, ist nur an einer ein- zigen Stelle wirklich interessant. Bei den Finanzie- rungsgrundsätzen auf Seite 7 wird erklärt, die Maß- Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Selbstverständlich, nahmen seien alle ohne Erhöhung der Neuverschul- Herr Kollege Walther. dung durchzuführen, da die Verwirklichung schritt- weise nach den finanziellen Möglichkeiten der kommenden Haushaltsjahre eingerichtet werden Walther (SPD): Herr Kollege Dr. Weng, erstens sollte. Vorsichtshalber sind deshalb auch die Ko- herzlichen Dank, daß Sie die Zwischenfrage zulas- sten dieser Maßnahmen überhaupt nicht angege- sen, denn zweitens gibt mir das die Möglichkeit, Sie ben. Erste überschlägige Schätzungen ergeben ei- zu fragen, wo es denn eigentlich den amtlichen nen zumindest zweistelligen Milliardenbetrag. Nachweis für die von allen möglichen Rednern der Hierzu keinerlei reelle Finanzierungsvorschläge zu Koalition behaupteten Zuwächse an Arbeitsplätzen machen, ist eindeutig unseriös. Vielleicht sollten Sie gibt. Ich habe mich beim Statistischen Bundesamt Ihren Wahlkampfslogan doch in „Versprechen statt erkundigt. Solche offiziellen Zahlen gibt es nicht. halten" ändern. Das sind alles ominöse Schätzungen. Ist Ihnen das bekannt? (Beifall bei der FDP) (Zurufe von der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19557

Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Herr Kollege Wal- und daß die Vorgaben der mittelfristigen Finanzpla- ther, die Zahlen stehen schon so lange im politi- nung eingehalten sind. schen Raum, daß ich jetzt im Moment Die allgemeine wirtschaftliche Situation und alle ernst zu nehmenden Voraussagen bestätigen un- (Lachen bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: - Jetzt werden wir hier verkohlt! — Weitere sere Politik. Unsere Aufgaben in der kommenden Zurufe von der SPD) Wahlperiode sind vorgezeichnet. Eine große Steuer- reform zu wirklich umfassender Entlastung der natürlich nicht aus dem Handgelenk sagen kann, Lohn- und Einkommensteuerzahler, in größtmögli- wo die Zahlen offiziell bestätigt sind. chem Umfang durch den Abbau von Finanzhilfen (Walther [SPD]: Die sind nirgendwo offi und Steuervergünstigungen finanziert, wird unse- ziell bestätigt! — Weitere Zurufe von der ren politischen Handlungswillen beanspruchen. SPD) (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Weng, der — Bisher hat man ausreden dürfen. Wenn man eine Geisterheiler! — Frau Seiler-Albring Frage gestellt hat, sollte man die Antwort vielleicht [FDP]: Diederich, der Geisterfahrer!) gerade noch abwarten. Danach können Sie ja noch Meine Damen und Herren, meine Fraktion wird mal fragen. dem Haushaltsgesetz 1987 in zweiter Lesung zu- (Beifall bei der FDP) stimmen und damit einen Haushalt beschließen, Ich habe gesagt: Nach meiner Überzeugung, Herr der konsequent sparsam und dennoch gestaltend Kollege Walther, hat die Bundesanstalt für Arbeit die Einnahmen und Ausgaben des Bundes für das diese Zahlen genannt. kommende Jahr realistisch festlegt. (Widerspruch bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Kittelmann [CDU/CSU]: So sind wir!) Ich werde aber gerne überprüfen, wo die Zahl — — (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Es war der Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- Sachverständigenrat! — Anhaltende Zu ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich rufe von der SPD) schließe die Aussprache. — Der Kollege Walther hat ja gefragt: Wo amtlich? Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- Das Sachverständigengutachten ist nach seiner mung. Ich rufe die §§ 1 bis 30 und den Gesamtplan Überzeugung in diesem Sinne wohl nicht amtlich. sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschuß- Ich glaube, daß es müßig ist, hierum zu streiten. Ich fassung mit den Korrekturen, die der Abgeordnete kann es hier aus dem Stand nicht belegen, und Sie Roth (Gießen) vorhin vorgetragen hat, auf. Wer den können das Gegenteil nicht belegen. Ich glaube, daß aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, wir dieses nicht zu vertiefen brauchen. den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: So etwas Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen. sollte man vorher prüfen, Herr Weng, be vor man es behauptet!) Damit ist die zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaus- — Das ist geprüft, Herr Kollege Diederich. Ich haltsplans für das Haushaltsjahr 1987 (Haushalts- würde sagen: Die Antwort sollte Ihnen zumindest gesetz 1987) abgeschlossen. im Moment genügen. (Walther [SPD]: Ich komme morgen darauf der Tagesordnung auf: zurück!) Ich rufe nun Punkt II Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- — Das ist zu vermuten. Da Sie ja morgen hier für haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- Ihre Fraktion noch einmal antreten, dürfen Sie richtung durch die Bundesregierung gern darauf zurückkommen. Der Finanzplan des Bundes 1986 bis 1990 (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Wir empfin den das nicht als Drohung!) — Drucksachen 10/5901, 10/6210, 10/6472 — Berichterstatter: Meine Damen und Herren, jedenfalls existiert Abgeordnete Carstens (Emstek) diese Zahl zweifelsfrei in dem Sachverständigen- Dr. Weng (Gerlingen) gutachten, das Anfang dieser Woche veröffentlicht Wieczorek (Duisburg) wurde. Sie existiert nicht nur in den Köpfen soziali- Dr. Müller (Bremen) stischer Programmschreiber, wie das bei den Zah- len in Ihren eben genannten Programmen der Fall Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kom- ist. men zur Abstimmung über die Beschlußempfeh- lung des Haushaltsausschusses für den Finanzplan Wir können mit Befriedigung feststellen, daß mit des Bundes 1986 bis 1990. Wer dieser Beschlußemp- dem Bundeshaushalt 1987 die seit Beginn der Koali- fehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache tion der Mitte begonnene Haushaltskonsolidierung 10/6472 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein konsequent fortgeführt wird Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Das ist auch tungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschus- Geisterbeschwörung!) ses ist mit Mehrheit angenommen. 19558 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986

Vizepräsident Westphal Ich rufe Punkt III der Tagesordnung auf: Strube Beratung der Beschlußempfehlung und des Frau Seiler-Albring Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- Dr. Müller (Bremen) schuß) zu dem Antrag des Bundesministers Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kom- für Wirtschaft men zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfeh- Rechnungslegung über das Sondervermögen lung des Haushaltsausschusses auf Drucksache des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung 10/6372 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein des Steinkohleneinsatzes" — Wirtschaftsjahr Handzeichen. — Wer gegen die Beschlußempfeh- 1984 — lung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — — Drucksachen 10/4619, 10/6367 — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußemp- fehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit ange- Berichterstatter: nommen. Abgeordnete Glos Dr. Weng (Gerlingen) Frau Simonis Dr. Müller (Bremen) Ich rufe den Tagesordnungspunkt V auf: Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kom- Beratung der Sammelübersicht 184 des Peti- men zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfeh- tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge lung des Haushaltsausschusses auf Drucksache zu Petitionen 10/6367 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein — Drucksache 10/6427 — Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Diese Be- schlußempfehlung des Ausschusses ist einstimmig Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kom- angenommen worden. men zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfeh- lung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/6427 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Ich rufe Punkt IV der Tagesordnung auf: Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- tungen? — Bei drei Enthaltungen ist die Beschluß- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- empfehlung des Ausschusses angenommen. richtung durch die Bundesregierung Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß Überplanmäßige Ausgaben bei Kap. 1113 unserer heutigen Tagesordnung. Tit. 646 02 Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen — Erstattung der Aufwendungen für die Bundestages auf morgen, Freitag, den 28. November Krankenhilfe an Heimkehrer und durch Ge- 1986, 9 Uhr ein. setz gleichgestellte Personengruppen — Drucksachen 10/5968, 10/6372 — Die Sitzung ist geschlossen. Berichterstatter: Abgeordnete Sieler (Amberg) (Schluß der Sitzung: 21.40 Uhr) Deutscher Bundestag - 10.Wahlperiode - 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986 19559*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Erklärung des Abg. Lutz (SPD) nach § 31 GO zur Abstimmung Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich über den Änderungsantrag des Abg. Dr. Müller Frau Augustin 28. 11. (Bremen) und der Fraktion DIE GRÜNEN zur zweiten Beratung des Entwurfs des Haushalts- (Melsungen) * 28. 11. Böhm gesetzes 1987 Frau Borgmann 27. 11. hier: Einzelplan 11 Dr. Enders * 28. 11. Geschäftsbereich des Bundesministers für Feilcke 28. 11. Arbeit- und Sozialordnung Fischer (Homburg) 28. 11. (Drucksache 10/6486): Dr. Haack 27. 11. Haase (Fürth) 28. 11. 1. Ich werde den Antrag der Fraktion DIE GRÜ- NEN auf Drucksache 10/6486 ablehnen und be- Heyenn 28. 11. gründe dies wie folgt: Hoffie 28. 11. Bei der Beratung im Ausschuß für Arbeit und Huonker 28. 11. Sozialordnung wurde der Haushaltstitel ,,Koordi- Jansen 28. 11. nierungs- und Sondermaßnahmen für die Sprach- Jung (Düsseldorf) 27. 11. förderung ausländischer Arbeitnehmer" von den vorgesehenen 43 Millionen DM auf 50 Millionen Lenzer 27. 11. DM erhöht und damit der letzte Stand wiederherge- Dr. Müller * 28. 11. stellt. Dies stellte einen Kompromiß dar, denn die Poß 28. 11. SPD hatte 12 Millionen DM beantragt. Bei der Be- Dr. Schmidt (Gellersen) 27. 11. schlußfassung enthielt sich der Vertreter der Frak- Schmidt (Hamburg) 28. 11. tion DIE GRÜNEN der Stimme. Schreiner 28. 11. Ich kann in diesem Antrag kein ernsthaftes Be- mühen um eine Umschichtung im Haushalt erken- Vahlberg 27. 11. nen. Ein Deckungsvorschlag fehlt. Ich sehe mich Dr. Warrikoff 27. 11. wie meine Freunde nicht in der Lage zuzustim- Frau Will-Feld 28. 11. men. Wilz 27. 11. 2. Ich sehe mich auch aus einem weiteren Grunde Wischnewski 28. 11. zur Zustimmung nicht in der Lage: Dieser Antrag Frau Zeitler 27. 11. verschiebt die Gewichte im Einzelplan 11. Hier ist von mir als Abgeordneter eine umfassendere Wür- digung abgefordert. Für mich ist wie für meine Freunde diese Würdigung im Entschließungsantrag * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates auf Drucksache 10/6556 enthalten.