Gesellschaft + Kultur FREITAG, !". OKTOBER #$!% TAZ.DIE TAGESZEITUNG !" Die Gazelle ist eine Kratzbürste POPVISIONÄRIN Lizzy Mercier Descloux schreibt bereits 1976 über die Punkrebellion. Mit 19 geht die französische Künstlerin nach New York, wohnt bei Patti Smith und entdeckt No Wave, und für sich. Nun werden ihre tollen Alben endlich wiederverö!entlicht

VON ELISE GRATON

„Sie hatte nie wirklich ein eige- nes Zuhause“, sagt Filmregisseu- rin Kim Massee über ihre Freun- din Lizzy Mercier Descloux. „Wenn sie in meiner Wohnung unterkam und ich dann nach Hause zurückkehrte, fand ich nicht mehr mein Zuhause vor, sondern das von Lizzy. Sie machte alles zu ihrem Univer- sum.“ Massee spricht ihrer Freun- din ein großes Lob aus: „Lizzy war einzigartig, stets unter- Kannte Jean-Luc Godard und Vic Godard, war aber niemals auf Parteilinie: Lizzy Mercier Descloux, 1978 Foto: Michel Esteban wegs und nie da, wo man sie erwartete.“ Lizzy Mercier Des- vom Kopf auf die Füße zu stel- Als „Rosa Yemen“ – Rosa wie tig zu verstehen ist. Ähnlich wie ging alles leicht.” Mit „Zulu Rock” war, floppten. Descloux zog sich cloux hatte ein gutes Gespür für len. So berichteten sie über die Luxemburg, Yemen wie Ar- „Press Color“ erreichte auch das legte Descloux den Grundstein zurück, widmete sich fortan in den richtigen Ort, für den Mo- ersten Konzerte von Patti Smith, thur Rimbauds zweite Heimat funkige „Mambo Nassau“ nicht zum Worldbeat – zwei Jahre be- aller Stille der Literatur und Ma- ment, in dem Musikgeschichte Television, The Ramones, Tal- – trat sie mit DJ Barnes, Este- das ganz große Publikum. „Der vor Paul Simons „Graceland“ lerei. geschrieben wurde. Allen vo- king Heads und besuchten die bans Bruder, in New Yorker Vertrieb lief katastrophal“, er- zum Welterfolg wurde. Des- Retrospektiv hatte Lizzy Mer- ran mischte die Französin bei Sex Pistols zu Hause in London. Clubs auf. Eine Liveaufnahme klärt Esteban. „Wichtig war für cloux’ drittes Opus, das sich ein cier Descloux mit der Musikin- der Punk- und No-Wave-Szene Rock News hielt knapp ein hal- führte zu einer ersten LP bei ZE. Lizzy nur ihr eigenes Ding, Po- Stück fröhlicher, leichter, ja fast dustrie Glück und Pech zugleich. in New York Ende der Siebzi- bes Jahr durch: „Damals wurde Die sechs experimentellen Gi- pularität oder Reichtum inte- besonnener als seine Vorgänger Immerhin durfte sie experi- ger mit. Anfang der 80er ver- man von bahnbrechenden tarrensongs, begleitet von De- ressierte sie nicht die Bohne.“ gibt, ließ Frankreich erstmals mentieren, konnte ungehin- mischte sie weit vor allen an- neuen Bands und Stilen förm- scloux’ deklamierten Parolen, Mercier Descloux schwirrte be- aufhorchen. Der Song „Mais où dert reisen, obwohl sie keine deren Pop mit Folk aus Südaf- lich überrollt, somit hatte sich stehen in totalem Kontrast zu reits die nächste fixe Idee vor: sont passées les gazelles“ lief Hitlieferantin war. Ein Schick- rika. Dennoch, Lizzy Mercier das Thema für uns bald erle- ihrem Debütalbum „Press Co- eine Kollaboration mit südaf- ständig im Radio, „Zulu Rock“ sal, dass sie mit anderen tollen Des cloux als Figur und als mu- digt“, erinnert sich Esteban. „Und lor“, einem glühenden Mix aus rikanischen Mbaqanga-Musi- gewann den „Bus d’acier“-Preis Künstlern teilt. Nur dass Mercier sikalische Pionierin, beide sind jeden Monat ein Magazin zu ma- Punk und Funk, No Wave und kern – dem Apartheidregime für das beste Rockalbum. Doch Des cloux’ Werk sehr bald in Ver- heute weitgehend vergessen. chen, das ist auf Dauer doch an- Disco. „I’ll never have a golden und dem kulturellen Boykott die geplante Tour sowie das an- gessenheit geraten würde, bleibt Auch in ihrer Heimat ruft ihr strengend. Unsere künstlerische throat“ – sprich „Ich werde nie der UNO gegen Südafrika zum schließende Projekt, Mbaqanga ihren Weggefährten bis heute Name höchstens so etwas wie: gut singen“ – singt sie im Song Trotz. Diesen in den Sechzigern ein Rätsel, denn die Französin „So ein aufgedrehtes Mädchen, „No Golden Throat“. In „Wawa“ in Soweto entstandene Musik- war eine genuine Popvisionä- wie hieß der Song noch mal?“ packt sie anhand beider Titel- stil aus Marabi-, Kwela Jazz und rin und ihre Musik ist gut geal- in Erinnerung. Selbst ihr großer Lizzy Mercier Des- silben den getakteten Bass bei traditionellen Zulu-Elementen, In Frankreich heißt es tert. „Sie ließ sich nicht korrum- Hit, „Mais où sont passées les ga- den Hörnern, während sie den den Descloux durch das Label pieren“, glaubt Kim Massee. „Das zelles?“ (Wo sind die Gazellen cloux hatte Gespür weit lasziveren „Torso Corso“ mit Ocora Radio France für sich ent- immer: „So ein auf- Popbiz widerte sie an. Sie wollte geblieben), droht allmählich, in für den Moment, in kecker Nonchalance dominiert. deckte, wollte sie nun mit fran- gedrehtes Mädchen, da nicht mitmachen, und sie Vergessenheit zu geraten. dem Musikgeschichte Voll zur Geltung kommt Des- zösischem Pop kreuzen. wie geht ihr großer konnte auch nicht.“ cloux’ eigensinniger Gesangsstil 2003 wurde bei Descloux Partners in Crime geschrieben wurde auf ihrem tollen zweiten Album, Federn im Haar Hit noch mal?“ Krebs diagnostiziert. Massee er- Umso wichtiger, dass das auf „Mambo Nassau“, das auf Einla- Für die afrikanischen Musiker innert sich, wie Lizzy ihr in ei- die Wiederentdeckung von ver- Freiheit war uns wichtiger.“ Sie dung von Island-Records-Eigner machten ihre Ideen zunächst mit Cajun-Musik in New Or- nem Pariser Café die schlimme gessenen Künstlern speziali- packten ihre Koffer und zogen Chris Blackwell in seinen Com- gar keinen Sinn. Was sollte man leans zu verschmelzen, war zum Nachricht übermittelte. „Trotz- sierte US-Label Light In The At- nach New York. pass Point Studios auf den Baha- von dieser Frau mit Federn im Scheitern verurteilt: Die Apart- dem haben wir uns schiefge- tic nach und nach alle Werke von 1977 brachte Descloux dann mas produziert wurde. Zeit- Haar überhaupt halten? „Weiße heidregierung ließ die Musi- lacht. Das Leben mit ihr war ein Lizzy Mercier Descloux wieder mit Hilfe von Esteban ein Buch gleich nahm dort auch Grace Frauen in Südafrika pflegten ker nicht ausreisen. Vom Medi- Fest.“ Sie blieb nur kurz im Kran- zugänglich macht. Michel Este- heraus, dessen 3.000 Exemplare Jones ihr Opus magnum „Night- dort eher den Stil von Lady Di“, enrummel überdrüssig gewor- kenhaus, denn sie wollte dort ban, bei dessen Label ZE Records schnell verkauft waren und das clubbing“ auf, und so traf Lizzy erinnert sich Esteban an ihre den, flüchtete Descloux eine nicht sterben. „Aber ihr Kran- Descloux’ einst unter Vertrag nun im Eigenverlag ebenfalls Mercier Descloux in Nassau auf gemeinsame Reise 1984. „Die Weile nach Asien. kenzimmer war ganz besonders: stand, bestätigt den Deal: „Das wiederveröffentlicht werden eine weitere experimentierfreu- erste Begegnung fühlte sich an, Zwei relativ uninspirierte Al- Nach ein paar Tagen hatte sie al- Projekt startete ich 2014 – zehn soll. „Desiderata“ besteht aus Ge- dige Musikfamilie, die irgendwo als würden Igel aufeinandertref- ben folgten: „One For The Soul“ les umdekoriert. Es war wie Ali Jahre nach Lizzys Tod.“ Als Mer- dichten von Mercier Descloux, zwischen Funk, Punk, Disco und fen. Sobald den Musikern aber und „Suspense“ im Jahr 1988 mit Babas Höhle.“ cier Descloux 1975 mit gerade einem Vorwort und Zeichnun- Reggae werkelte – ein neues Zu- klar wurde, dass wir durchge- dem Trompeter Chet Baker, der 19 Jahren zum ersten Mal nach gen ihrer damaligen Mitbewoh- hause ihrer wachsenden Leiden- knallt sind und es mit der Zu- wegen seiner Heroinsucht nur ■ Lizzy Mercier Descloux: „Press New York kam, schwebte ihr nerin Patti Smith, Collagen und schaft für afrikanische und ka- sammenarbeit ernst meinen, noch ein Schatten seiner selbst Color“ (Light In The Attic/Cargo) noch keine Popkarriere vor. Da- Texten von Richard Hell, auch ribische Klänge. mals waren Esteban und sie ein Punk der ersten Stunde, heute Koproduzent Paar, dann „Partners In Crime“, ein berühmter Schriftsteller erinnert sich: „Der Groove war wie er sagt. So hat er auch die und damals Des cloux’ Gelieb- Lizzys Fokus, sie vertrat die Idee, BERICHTIGUNG Ausstellung getauft, die dem- ter. Es war Liebe auf den ersten Texte und Stimmen würden sich nächst in Paris und New York Blick, behauptet Hell in seiner aus ihm generieren.“ Zunächst Buchmesse läuft vorne. Hier zu sehen sein wird und später Autobiografie „I Dreamed I Was irritiert von ihrem scheinba- stand gestern zum Beispiel eine auch in Köln. A Very Clean Tramp“. ren Dilettantismus, erkannte Rezension von „The Tribe“, ei- Sie wird Fotos zeigen, die Des- Mercier Descloux war die er bald: „Sie überließ der Im- nem Thriller, der in einer ukrai- cloux und Esteban zunächst als Musik wichtiger. „Patti spornte provisation einen grundlegen- nischen Gehörloseneinrichtung ReporterInnen für ihr eigens ge- uns die ganze Zeit an, auch eine den Platz, wobei sie ganz ge- spielt. Unsere Kritik behandelte gründetes Magazin Rock News Band zu gründen“, erklärt Este- nau wusste, wonach sie suchte den Gewaltaspekt und seine schossen, das der New Yorker ban. „Das machte man damals und was sie konsequenter Weise medialen Skandalisierung. Das Punk-Avantgarde gewidmet so.“ Sie kauften Gitarren, prob- nicht wollte.“ Thema Mobbing in der Schule war. Damit füllte das Paar eine ten. Doch für ihn war das nichts, Vor verspielt summendem hat schon früher zu eindrucks- Lücke in der französischen Pres- gesteht Esteban. Er gründete Chor und dubbigen Samples vollen Ergebnissen geführt. selandschaft der Siebziger: Au- stattdessen mit dem Briten Mi- bellt, knurrt und kreischt sie Siehe Schlöndorffs Musilverfil- ßer ihnen hatte niemand die chael Zilkha ZE Records. Lizzy selbstbewusst ihre onomato- mung „Der junge Törless“ (1966) Punkrebellion bemerkt, die da- Mercier Descloux aber war von poetischen Erfindungen, deren und der Lindsey-Anderson-Film bei war, die saturierte Popwelt der Musik besessen. Sinn für die Hörer nicht eindeu- „If“ (1968). Zwei Klassiker.