Positionspapier der WKÖ zu einer Verlängerung der russischen Breitspurbahn bis in den Raum Wien

In Russland, dem Baltikum, der Ukraine, in Weißrussland, Moldawien und weiteren Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie in Finnland gibt es breitspurige Eisenbahn- netze mit einer Spurweite von 1520 bzw. 1524 mm. In den meisten Ländern der Europäischen Union gibt es die Normalspur mit 1435 mm Spurweite. Der Wechsel in der Spurweite und auch ineffiziente Schnittstellen führen dazu, dass bislang der Anteil der Schiene am Güterverkehr zwischen der EU und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gering ist.

Mit der Transsibirischen Eisenbahn reicht die russische Breitspurbahn bis an die Grenzen Chinas und bis zum Pazifikhafen Wladiwostok. Um diese Transportwege von Fernost nach Europa verstärkt nutzen zu können, sind umfangreiche Investi- tionen in diese Strecke erforderlich. Aus russischer Sicht sind diese aber nur dann wirtschaftlich, wenn die Breitspurbahn bis Mitteleuropa verlängert wird und damit ein höheres Transportaufkommen erreicht wird.

Von der Ukraine führt derzeit eine eingleisige Breitspurtrasse bis Košice in der Ost- slowakei. Mit dem Projekt der Verlängerung der Breitspurbahn bis in den Raum Wien soll die Anbindung an Mitteleuropa erreicht werden. Im Jahr 2008 wurde dazu die Breitspur Planungsgesellschaft gegründet (an der neben der ÖBB die Bahnunter- nehmen aus der Slowakei, Ukraine und Russland beteiligt sind).

Aus Sicht der Wirtschaftskammer Österreich hat eine Verlängerung der russischen Breitspurbahn bis in den Raum Wien samt Errichtung eines Umschlagterminals mit Logistikzentrum Potential für die österreichische Volkswirtschaft und bietet Chancen für die heimische Wirtschaft. Diesen Chancen stehen noch offene Fragen gegenüber. Nachfolgend werden die Chancen und Bedenken aufgezeigt:

Chancen für den Wirtschaftsstandort Österreich: Ein Umschlagterminal der Breitspurbahn im Raum Wien inklusiv Logistikzentrum würde sich positiv auf den Raum Wien als Verkehrsknoten und als Logistikdreh- scheibe in Europa auswirken. Zudem ist von einer positiven internationalen Signal- wirkung auszugehen, die solch ein Terminal und angelagerte Investitionen in die Infrastruktur haben werden. Wenn es gelingt, an diesem Standort auch Veredelungsschritte zu setzen, dann kann die Wertschöpfung in Österreich deutlich erhöht werden.

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Potential für den Rohstoff- und Warenaustausch: Das Wirtschaftswachstum in Russland (insbes. auch durch den WTO-Beitritt von Russland, durch den von einem Zuwachs im Russlandhandel von bis zu 15 % auszu- gehen ist) und in Asien führt zu verstärkten Warenströmen nach Zentraleuropa. Die Breitspurbahn bietet dazu eine attraktive Transportmöglichkeit. Neben dem Waren- austausch zwischen Zentraleuropa und Russland bzw. Fernost sind für die Unter- nehmen in Österreich die Rohstofftransporte aus Russland von Interesse. Die Potenziale werden stark davon abhängen, welche Warengruppen transportiert werden und wie stark dies mit der Produktion der heimischen Wirtschaft korres- pondiert. Gemäß Wladimir Jakunin, Präsident der russischen Eisenbahnen, sollen über den geplanten Umschlagterminal im Raum Wien zusätzlich zum Wirtschafts- standort Österreich die Märkte in Tschechien, (Süd-)Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Italien, Slowenien, Kroatien und Ungarn angebunden werden. Ein Umschlagterminal im Raum Wien eignet sich deshalb besonders, da es im Knoten des Baltisch-Adriatischen Korridors mit dem Donaukorridor, und hier vor allem an der „Magistrale für Europa“ (geplanter Eisenbahnkorridor für Personen- und Güterverkehr von bis ) liegt. Ein effizienter Transport kann dann gewährleistet werden, wenn die Paarigkeit der Verkehre möglichst erreicht wird, d.h. wenn in beiden Richtungen gleich viel Gütervolumen transportiert wird. Wenn von Ost nach West volle Waggons bzw. Container, von West nach Ost aber (halb-)leere Einheiten transportiert werden, so erhöht dies die Transportkosten.

Verlagerung des Transportaufkommens: Die Breitspurbahn bietet eine Alternative zu den Hochseetransporten aus Fernost, die per Bahn oder Lkw nach Zentraleuropa weitergeleitet werden. Der Güterver- kehr nach Russland wird heute vorwiegend auf der Straße abgewickelt, da dies schneller und kostengünstiger als der Bahntransport und auch unbürokratischer abzuwickeln ist. Aber es bestehen für die individuellen Transporte auch Gefahren für die Sicherheit von Fahrer, Fahrzeug und Ladung. Attraktiv wird die Breitspurbahn, wenn regelmäßige Ganzzugverbindungen ange- boten werden - so wird sie zuverlässig und kalkulierbar. Mit einer verbesserten Laufzeit wird diese Verbindung, wenn sie preislich attraktiv ist, verstärkt genutzt. Wenn im Vergleich zur heutigen Bahnverbindung ein Umschlag entfällt, so ent- stehen einerseits Kostenvorteile für die österreichischen Unternehmen, anderer- seits wird die Gefahr einer Beschädigung von Gütern reduziert.

Standortfrage: Die Standortfrage ist noch nicht geklärt. Eine Pre-Feasibility Studie, welche von Roland Berger im Auftrag der Breitspur Planungsgesellschaft durchgeführt wurde, untersuchte fünf mögliche Terminalstandort1. An diesen Standorten ist aber kein direkter Anschluss an die Binnenwasserstraße möglich, der insbesondere für Rohstofftransporte bedeutend wäre. In der Untersuchung wird ein Standort südlich der Donau bevorzugt, da im Vergleich mit einem Standort nördlich der Donau von geringeren Errichtungskosten und einer höheren Umweltverträglichkeit ausgegan- gen wird. Eine direkte Einbindung der Breitspurbahn in den Hafen Wien ist aus Kapazitäts- gründen kaum möglich. In einer Terminal-Studie, welche seitens der Stadt Wien

1 Parndorf, Bruck an der Leitha, Himberg, Deutsch-Wagram und Gänserndorf 2 derzeit durchgeführt wird, ist die Verlängerung der Breitspurbahn nicht enthalten, da diese außerhalb des Planungshorizontes der Studie liegt. Unabhängig von der Breitspurbahn ist im Norden von Wien ein Güterterminal geplant. Es ist zu prüfen, ob hier eine Einbindung der Breitspurbahn möglich ist. Die Trimodalität könnte mit einer Anschlussverbindung an den Hafen Wien (ggf. an den Ölhafen) erreicht werden. Als alternative Standorte sollten auch andere Donauhäfen im östlichen Niederösterreich geprüft werden (z.B. Korneuburg).

Aufgrund des Flächenbedarfs für den geplanten Terminal sollten möglichst rasch die Standortfrage geklärt werden und die erforderlichen Flächen gesichert werden.

Bedenken und Forderungen zum geplanten Projekt: Folgende Bedenken zu einer geplanten Verlängerung der Breitspurbahn bis in den Raum Wien bestehen, aus denen sich entsprechende Forderungen ergeben:

 Finanzierung des Vorhabens: Die Finanzierung des Vorhabens ist noch zu klären. Aufgrund des Finanzbe- darfs auf slowakischer Seite ist es unklar, ob und durch wen die Finanzierung erfolgen kann. Doch auch auf österreichischer Seite ist die Finanzierung noch offen. Solch ein Projekt kann und muss sich aus einer betriebswirtschaftli- chen Sicht rechnen. Nicht zuletzt aufgrund der aktuellen politischen Diskus- sionen zur öffentlichen Verschuldung und zur Infrastrukturfinanzierung in Österreich können die erforderlichen Investitionen in die Breitspur-Infra- struktur keinesfalls alleine der öffentlichen Hand bzw. den heimischen Bahnunternehmen angelastet werden. Hier gilt es, die Finanzierung über PPP-Modelle oder andere alternative Finanzierungen sicherzustellen.

 Investitionssicherheit: Die Nutzung der Investitionen auf österreichischer Seite muss langfristig gesichert sein. Es muss geklärt sein, dass einerseits der Rohstoff- und Warentransport aufrecht bleibt und andererseits, dass die Bedeutung des Terminals im Raum Wien erhalten bleibt (und nicht z.B. der geplante Terminal im Raum durch Ausbau an Bedeutung überwiegt, wenn sich die russische Staatsbahn an der slowakischen Bahn beteiligt). Hierzu gilt es, langfristige Verträge zur Liefer- und Standortgarantie mit Russland abzuschließen.

 Bewertung der Wirtschaftlichkeit: Als Entscheidungsgrundlage muss eine neutrale Bewertung der Wirtschaft- lichkeit der geplanten Verlängerung der Breitspurbahn durchgeführt werden. Zudem sind die Marktchancen für die österreichische Wirtschaft zu unter- suchen. Hier gilt es auch zu klären, was die vorwiegend transportierten Güter sein werden, denn hiervon hängen auch die Anforderungen an die Umschlagsmöglichkeiten am geplanten Terminal ab.

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 Trimodalität: Insbesondere für Rohstofftransporte ist ein Weitertransport mit Binnen- schiffen attraktiv. Wenn auf der Donau regelmäßiger Containerverkehr angeboten wird, so wird auch der Umschlag im Warenverkehr interessant. Ein trimodaler Umschlagsterminal sollte deshalb ins Auge gefasst werden. Aus diesem Grund sind die bisher untersuchten Standorte aus der Pre- Feasibility Studie zu hinterfragen. Alternative Standorte im Raum Wien, die einen Zugang zur Wasserstraße erlauben, sollen weiter untersucht werden.

 Transitverkehr: Durch das geplante Projekt wird es zu einer Erhöhung im Transitverkehr in Österreich kommen. Es ist deshalb Vorsorge zu treffen, dass der Großteil des Warenumschlages zwischen Breitspur und Normalspur bzw. zwischen Breit- spur und Binnenschiff erfolgt – andernfalls wird es schwierig, eine politische und öffentliche Zustimmung in Österreich zu erreichen. Folgendes gilt es zu bedenken: Sollte der künftige Standort nicht im Raum Wien, sondern beispielsweise in der Slowakei oder in Ungarn sein, so ist Österreich vom Transitverkehr ebenso betroffen, allerdings ohne selbst den Standortvorteil zu haben.

 Bedenken der Europäischen Kommission: Seitens der Europäischen Kommission gibt es Bedenken zur Verlängerung der Breitspurbahn nach Zentraleuropa. So wird auch im aktuellen Vorschlag zur Revision der Transeuropäischen Verkehrsnetze von einer Harmonisierung auf die Normalspur innerhalb der Europäischen Union ausgegangen. Um eine Unterstützung des Projektes zu erreichen bzw. um etwaige Schritte gegen das Vorhaben zu unterbinden, muss im Vorfeld eine akkordierte Abstimmung mit der Europäischen Kommission erreicht werden. Zu berücksichtigen ist, dass es die Breitspurbahn in der EU schon heute gibt: Neben Košice in der Slowakei sowie in den baltischen Staaten und in Finnland findet sich ein Anschluss an die Breitspurbahn im deutschen Ostseehafen Sassnitz und auch in Polen in Slawków (in der Nähe von ).

Rückfragehinweis: Stabsabteilung Wirtschaftspolitik DI Thomas Feßl Wiedner Hauptstraße 63 1045 Wien Tel.: 0590900/4242 Fax: 0590900/298 E-Mail: [email protected] Website: http://wko.at/wp

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