Pop-Up Planning After Disaster. Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit nach Hurrikan Katrina in am Beispiel strategischer Stadtentwicklungsplanung

Dissertation

zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Ingenieurwissenschaften (Dr.-Ing.)

am Institut für Urbane Entwicklungen des Fachbereichs 6 – Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung der Universität Kassel

vorgelegt von Heike Neusüß, Dipl.-Ing.

Kassel, im September 2018

Disputation am 28. Mai 2018

Erstgutachter: Prof. Dr.-Ing. Uwe Altrock, Universität Kassel Zweitgutachterin: Prof. Dr.-Ing. Barbara Schönig, Bauhaus-Universität Weimar

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Dank

Für das Zustandekommen dieser Arbeit möchte ich mich an dieser Stelle bei be- sonderen Menschen bedanken. Mein herzlicher Dank gilt Prof. Dr. Uwe Altrock für die intensive inhaltliche Zu- sammenarbeit und den langjährigen lehrreichen wissenschaftlichen Austausch, der diese Arbeit in vielerlei Hinsicht befruchtet hat. Bei Prof. Dr. Barbara Schönig bedanke ich mich zudem für zahlreiche richtungsweisende Gespräche und für die Zweitbegutachtung. Eure fachliche Expertise hat die Arbeit richtungsweisend ge- prägt. Allen Gesprächspartnern in den USA, insbesondere in New Orleans, ohne deren Kooperation dieser Arbeit wesentliche Impulse und Informationen fehlen würden, danke ich für die Bereitschaft zu einem Interview und ihr entgegengebrachtes Ver- trauen. Für eure Unterstützung, Begleitung und Freundschaft danke ich besonders Anne Busse und Carsten Zehner. Bei der Vollendung der Arbeit haben mich Sonja Wedde, Sarah Wedde, Bastian Eggers, Amiel Bize und Michael Schwind tatkräftig unterstützt – danke. Schließlich gilt mein größter Dank Michael Neusüß, Theo und Dorothee Neusüß sowie Karin und Ernst Hoffmann, deren Unterstützung es ermöglichte, diese Arbeit zu vollenden. Leonard und Charlotte – ihr habt mich singend, lachend und spielend immer wieder aufgemuntert, abgelenkt und motiviert.

Für euer entgegengebrachtes Verständnis, eure Unterstützung und eure Zuversicht sowie Bestärkung danke ich euch ganz herzlich.

Heike Neusüß Kassel, Dezember 2017

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Zusammenfassung

Pop-Up Planning After Disaster. Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit nach Hurrikan Katrina in New Orleans am Beispiel strategischer Stadtentwicklungsplanung

Naturereignisse wie Hurrikans können starke Sturmböen, Regenfälle und Über- schwemmungen mit sich bringen. Erst dadurch verursachen sie oftmals starke Schäden an der gebauten Umwelt der betroffenen Städte und Regionen und können somit im urbanen Kontext eine Katastrophe auslösen. In die Serie der folgen- schwersten Hurrikans im urbanen Raum der USA gehört Hurrikan Katrina im Au- gust 2005. Der Hurrikan zog eine urbane Katastrophe in einem politischen System nach sich, in dem mit einer derartigen Verletzlichkeit nicht gerechnet wurde. Hur- rikan Katrina gilt als das bislang folgenschwerste Naturereignis in der Geschichte der USA, als das teuerste (bis Hurrikan Harvey 2017 folgte), und als das mit den meisten Todesopfern. Zudem löste diese urbane Katastrophe eine gesellschaftspoli- tische Debatte über den Zustand der US-amerikanischen Stadt aus. Denn der Fall New Orleans legte Probleme einer US-amerikanischen Stadt schonungslos offen; städtische Armut und Ungleichheit manifestieren sich in stadträumlichen Disparitä- ten und stadtpolitische Dysfunktionalitäten waren unverkennbar. Früheste Unternehmungen zum Wiederaufbau von New Orleans waren von einigen neuartigen Leitideen zur zukünftigen stadträumlichen Entwicklung gekennzeich- net. Am Beispiel strategischer Stadtentwicklungsplanung wurde insofern in dieser Dissertation der Frage nachgegangen, inwiefern sich im Rahmen einer längerfristi- gen Katastrophenbewältigung lokale Reformfähigkeit widerspiegelt; lokale Re- formfähigkeit im Sinne eines kollektiven Vermögens von Staat, Markt und Zivilge- sellschaft auf lokaler Ebene, das den Status Quo verändert. Lokale Reformfähigkeit wird insofern analytisch im Sinne eines Aushandlungsprozesses zwischen Akteurs- gruppen innerhalb und zwischen diesen drei Sphären lokaler und überlokaler Ebe- nen mit ihren jeweils eigenen Rationalitäten verstanden. Im Zentrum steht vor die- sem Hintergrund die Frage, welche Bedingungen substanziell-materielle und struk- turell-prozessuale lokale Reformfähigkeit dabei forcieren oder blockieren. Sub- stanziell-materiell bezieht sich hier auf eine Veränderung und/oder Neuentwick-

4 lung von Leitbildern, Zielen, Instrumenten, Programmen oder Projekten und struk- turell-prozessual auf Verfahrensweisen oder Institutionalisierungen; jeweils in Bezug auf die Zeit vor einer Katastrophe. Zur Beantwortung der Fragestellung wurden theoretische Zugänge zur Katastro- phenbewältigung und zur Reformfähigkeit herangezogen sowie Tendenzen der Stadtentwicklung von New Orleans vor und nach Hurrikan Katrina betrachtet. Me- thodisch wurde eine Einzelfallstudie untersucht und konkret der Prozess der Ent- wicklung von Planwerken zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans nach Hurrikan Katrina. In New Orleans fanden in Folge von Hurri- kan Katrina fünf Planwerksprozesse statt. Alle Planwerke weisen retrospektiv ei- nen strategischen Ansatz von unterschiedlicher Qualität und Reichweite auf. Im Rahmen der Prozesse wurden Formen von Veränderung und Neuerung in substan- ziell-materieller und vor allem in strukturell-prozessualer Hinsicht deutlich, die im Vergleich zu der Zeit vor Katrina in dieser Form nicht zugegen waren. Das Ergebnis zeigt Bedingungen lokaler Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadt- entwicklung im Rahmen längerfristiger Katastrophenbewältigung. Dabei wurde erstens grundsätzlich deutlich, dass Ansätze lokaler Reformfähigkeit eher er- schwert als vollständig blockiert werden – trotz eines strukturellen Kontextes, der im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewältigung Beharrlichkeit aufweist. Zweitens zeigten sich Nuancen in Bezug auf den Einfluss und die Mitwirkung überlokaler Akteure der politisch-administrativen und zivilgesellschaftlichen Ebe- ne. Denn diese Mitwirkung stellt sich im Zusammenspiel mit lokalen Akteuren der Sphären Staat, Zivilgesellschaft und Markt als eine Bedingung von lokaler Reform- fähigkeit heraus, wobei privatwirtschaftliche Akteure im Prozess der Planwerks- entwicklung zunehmend weniger präsent waren. Das plötzliche „Auftauchen“ über- lokaler Akteure und ihrer Ressourcen wird hier insofern als pop-up planning be- zeichnet. Entscheidend dabei ist aber, dass diese überlokale Mitwirkung stets lokal legitimiert, erlaubt oder eingeleitet wurde. Lokale Reformfähigkeit wird in einer zweiten Dimension auch als Ergebnis eines Prozesses deutlich. Dieser Prozess symbolisiert an sich pop-up planning: Denn unter extremen Handlungsdruck avan- ciert eine stadtentwicklungspolitische Situation zu einem Handlungsrahmen, in dem „strategische Stadtentwicklungsplanung“ und die Planungsfunktion an sich katalysiert sowie neu- und weiterentwickelt wird. Der Stadt New Orleans ist es nach Katrina neben der Planung auch in einigen anderen stadtpolitischen Hand-

5 lungsfeldern gelungen, zunächst einmal ein Standardniveau zu erreichen – und das unter anderem durch überlokale Mitwirkung. Denn vor Hurrikan Katrina waren nahezu alle stadtpolitischen Bereiche dysfunktional; diese Stadt befand sich vor Hurrikan Katrina im Niedergang.

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Summary

Pop-Up Planning After Disaster. Catastrophe Management and Reform Capacity after Hurricane Katrina in New Orleans as an Example of Strategic Urban Development Planning

Natural events like hurricanes can cause strong winds, heavy rain and flooding. Their effects often include severe damage to the built environment, and in urban contexts hurricanes can have catastrophic consequences. Hurricane Katrina, which landed in the USA in August 2005, is among the most damaging hurricanes to affect urban spaces in the United States. The hurricane caused an urban catastro- phe, fostered by a political system that was not prepared for the city’s vulnerability. When it occurred, Hurricane Katrina was the most severe natural event in the histo- ry of the USA, the most expensive (until Hurricane Harvey in 2017), and the event with the greatest number of casualties. In addition, this urban catastrophe triggered a socio-political debate about the state of the US-American city. The case of New Orleans laid bare the problems of one particular US-American city; urban poverty and inequality were manifested in spatial disparities and the city’s political disfunc- tion was unmistakable. The earliest rebuilding efforts in New Orleans were marked by innovative ideas around future urban development. Using this example of strategic urban develop- ment planning, this dissertation poses questions around the extent to which local reform capacity is reflected in the context of long-term disaster management— “local reform capacity” meaning a collective effort by state, market and civil society at the local level to change the status quo. Analytically, local reform capaci- ty is understood as a negotiation process between groups of actors within and among these three spheres of local and supra-local levels, each with its own ratio- nalities. Against this background, the central question is what conditions force or block local reform capacity, whether substantial-material or structural-processual. “Substantive-material” here refers to a change in and/or the new development of mission statements, goals, instruments, programs or projects; “structural- procedural” refers to procedures or institutionalization; change is understood in relation to the time before a disaster.

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In order to answer these questions, theoretical approaches to catastophe manage- ment and reform capacity were considered and urban development tendencies in New Orleans before and after Hurricane Katrina were examined. Methodological- ly, a case study was used—specifically, the process of developing a plan for the reconstruction and the renewed development of the city of New Orleans after Hur- ricane Katrina. In New Orleans five planning processes resulted from Hurricane Katrina. Viewed retrospectively, these plans show a strategic approach of varying quality and scope. Over the course of these processes, substantial-material and especially structural-procedural forms of change and innovation became visible. These were new in comparison with what had been taking place before Katrina. The outcome of the research makes visible the conditions of local reform capacity within the politics of urban development, in the context of long-term catastrophe management. First of all, it became clear that local reform capacity was hampered rather than completely blocked—despite a structural context that was revealed to be persistent within long-term catastrophe management. Second, there were nuan- ces within the influence and participation of supra-local actors in the political- administrative and civil society spheres. This participation occurred through inter- action with local state, civil society and market players and constituted one condi- tion of local reform ability, with private sector players becoming less present in the process of developing the plan. The sudden appearance of supra-local players and their resources was dubbed “pop-up planning.” Nevertheless, it was crucial that this supra-local participation was legitimated, allowed, or initiated by local play- ers. A second dimension of local reform capacity that became evident was that it is the outcome of a process. This process itself symbolizes pop-up planning: under extreme pressure, an urban development policy situation is made into a framework for action, in which "strategic urban development planning" and the planning func- tion itself are catalyzed, initiated and further developed. Alongside planning, the city of New Orlears after Katrina was also successful in other urban policy areas, in the first instance by reaching a standard level—and that, among other things, through supra-local participation. Before Hurricane Katrina almost all urban policy sectors were dysfunctional; even before the hurricane, New Orleans was in decline.

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Inhalt

Teil A Einleitung ...... 21 Reformfähig nach Katastrophen ...... 27 New Orleans nach Hurrikan Katrina ...... 30 Aufbau der Arbeit und Vorgehensweise ...... 36 Ein Blick in die USA und zurück ...... 42

Teil B Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit ...... 45 B.I Katastrophenbewältigung ...... 50 B I.1 Katastrophe als Gelegenheitsfenster: Prämissen der Arbeit, De- finitionen sowie Ziele und Dimensionen von Katastrophenbewältigung . 51 B I.2 Mittelbar längerfristige Bewältigung von Katastrophen ...... 54 2.1 US-amerikanische Katastrophenbewältigung in Chicago (1871) und San Francisco (1906 und 1989) ...... 58 2.2.1 Ausgangs- und Rahmenbedingungen für einen Wiederaufbau .... 60 2.2.2 Planungsphilosophie: Ökonomischer Imperativ als Credo US-amerikanischer Katastrophenbewältigung ...... 60 2.2.3 Leitbilddebatten und Reformstreben ...... 62 2.2.4 Merkmale von Governance in Chicago und San Francisco ...... 63 2.2 Wiederaufbau in Städten nach Katastrophen ...... 64 2.2.1 Charakteristika von Wiederaufbauprozessen ...... 65 2.2.2 Phasen eines Wiederaufbauprozesses ...... 68 2.2.3 Grad und Tempo eines Wiederaufbaus ...... 71 2.3 Urbane Resilienz als Helferin von Katastrophenbewältigung ...... 73 2.3.1 Definitionsansätze und Merkmale Urbaner Resilienz ...... 74 2.3.2 Anforderungen an städtische Widerstandsfähigkeit ...... 84 2.4 Ansatzpunkte für die Forschung längerfristiger Katastrophenbewältigung ...... 85 B I.3 Zwischenfazit: Mittelbar längerfristige Bewältigung von Katastrophen und Rahmen zur Untersuchung von Bedingungen lokaler Reformfähigkeit ...... 87 3.1 Merkmale, Strategien und Faktoren einer längerfristigen Bewältigung von Katastrophen ...... 88 3.2 Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit bei längerfristiger Katastrophenbewältigung ...... 91 3.3 Rahmen für die Untersuchung von Bedingungen lokaler Reformfähigkeit ...... 91

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B.II Reformfähigkeit ...... 93 B II.1 Von Reform über Reformpolitik zur Reformfähigkeit ...... 97 1.1 Reform und Reformpolitik als Veränderung des Status quo ...... 100 1.2 Reformfähigkeit als kollektives Vermögen, den Status quo zu verändern ...... 106 1.3 Ursachen und Auslöser von Reformen ...... 108 B II.2 Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit ...... 108 2.1 Was Reformfähigkeit forciert ...... 109 2.2 Was Reformfähigkeit blockiert ...... 115 B II.3 Zwischenfazit: Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren und der Nutzen eines analytischen Konzeptes zur Reformfähigkeit ...... 118 3.1 Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren und blockieren können ...... 120 3.2 Der Nutzen eines analytischen Konzeptes zur sozialwissenschaftlichen Untersuchung von Reformfähigkeit ...... 120 3.3 Reformfähigkeit und Stadtentwicklung ...... 123

B.III Zusammenschau und Untersuchungsdesign ...... 124 B III.1 Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit und forschungsleitende Thesen ...... 126 B III.2 Untersuchungsdesign ...... 130 2.1 Analysegerüst der Arbeit ...... 131 2.2 Abgeleitetes Untersuchungsmodell ...... 133 2.3 Einzelfallstudie: Drei Phasen des Untersuchungsprozesses und methodische Vorgehensweise ...... 134 2.3.1 Phasen der Datenerhebung und Datenverarbeitung als iterativer Prozess ...... 136 2.3.2 Phase Datenauswertung und Dateninterpretation ...... 137 B III.3 Ausblick auf nachfolgende Kapitel ...... 138

Teil C Stadtentwicklung von New Orleans im Kontext ...... 141 US-amerikanischer Stadtentwicklungspolitik ...... 141 C I Stadtentwicklungspolitik in New Orleans vor Hurrikan Katrina ...... 142 C I.1 Der Natur zum Trotz: Stadtgeschichtliche und stadträumliche Entwicklungslinien der Stadt New Orleans ...... 143 1.1 Stadtgründung und Stadtentwicklung entgegen natürlicher Widerstände ...... 143 1.2 Politischer Umgang mit der Überschwemmungsgefahr ...... 149

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1.3 Zwischenfazit: Der Natur zum Trotz – Beharrungsvermögen und Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit ...... 153 C I.2 Struktureller stadtpolitischer Kontext der Stadtentwicklung von New Orleans vor Hurrikan Katrina ...... 156 2.1 Struktureller Kontext der Stadtentwicklung weltweit: Steuerungsformen der Stadt im globalisierten Wettbewerb ...... 157 2.2 US-amerikanische Stadtentwicklungspolitik als Rahmen der Stadtentwicklung von New Orleans ...... 158 2.2.1 Politisch-administrativer Niederschlag in der lokalen Stadtentwicklung ...... 159 2.2.1.1 Der Status der Stadt im US-amerikanischen Mehrebenensystem ...... 159 2.2.1.2 Lokalstaatliche Handlungsfähigkeit im föderalen System . 164 2.2.2 Politökonomischer Niederschlag in der lokalen Stadtentwicklung ...... 165 2.2.2.1 Traditionelles Politikverständnis und US-amerikanische Wachstumskoalitionen ...... 166 2.2.2.2 Koalitionsbildung und Handlungsfähigkeit in sozialen Prozessen ...... 167 2.2.3 Zivilgesellschaftlicher Niederschlag in der lokalen Stadtentwicklung ...... 170 2.2.3.1 Zivilgesellschaftliche Akteure, die Entwicklung von Stadt und Region und Reformfähigkeit ...... 172 2.2.3.2 Beitrag zivilgesellschaftlicher Akteure nach Katastrophen 175 2.3 New Orleans’ wirtschaftliche, soziale, lokalpolitische und gesellschaftskulturelle Eigenheiten als Rahmen der Stadtentwicklungspolitik vor Hurrikan Katrina ...... 177 2.3.1 Wirtschaftliche und soziale Lage in New Orleans vor Katrina ...... 178 2.3.2 Soziales System als gesellschaftskultureller Rahmen von lokalpolitischer Macht und einem Nonregime in New Orleans ...... 179 2.4 Zwischenfazit: Überlokal und lokal – Beharrungsvermögen und Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit ...... 187

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C I.3 Stadtentwicklungspolitik und Stadtplanung vor Hurrikan Katrina ...... 192 3.1 Stadtentwicklungspolitisch forciert ...... 192 3.1.1 Lokales ökonomisches Wachstums fördern: Zentrumsrevitalisierung und Großprojekte in New Orleans vor Hurrikan Katrina ...... 194 3.1.2 Großereignisse und Tourismus vor Hurrikan Katrina: French Quarter und Downtown als Tourismusmagneten ...... 197 3.2 Stadtentwicklungspolitisch vernachlässigt ...... 198 3.2.1 Public Housing und Wohnraumentwicklung vor Hurrikan Katrina ...... 199 3.2.2 Leerstand und Verfall von Wohnraum in den Nachbarschaften von New Orleans ...... 202 3.2.3 Vernachlässigte soziale und technische Infrastruktur ...... 205 3.3 Der Stellenwert räumlicher Planung in New Orleans vor Katrina .... 206 3.4 Zwischenfazit: Stadtentwicklungspolitik und Stadtplanung vor Hurrikan Katrina - Beharrungsvermögen und Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit ...... 214

C II New Orleans nach Hurrikan Katrina: Rahmen der gesamtstädtischen Planwerksprozesse vor dem Hintergrund von Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit ...... 216 C II.1 Eine Stadt im Ausnahmezustand: Situation in New Orleans unmittelbar nach Hurrikan Katrina ...... 217 1.1 Hurrikan Katrina und Folgen für die Stadt ...... 220 1.2 Stadtpolitische Entwicklungen in einer ersten Erholungsphase nach der Katastrophe ...... 223 1.3 Zwischenfazit: Folgen von Hurrikan Katrina stadtpolitisch und stadtentwicklungspolitisch herausfordernd ...... 227 C II.2 Wesentliche Debatten und Tendenzen der Stadtentwicklung in New Orleans nach Hurrikan Katrina ...... 228 2.1 Stadtentwicklungspolitische Debatten mit Einfluss auf den Prozess der Planwerkserarbeitungen nach Hurrikan Katrina ...... 231 2.1.1 Städtische Armut und Race ...... 231 2.1.2 Wiederaufbauen oder nicht – heimkehren oder nicht? ...... 232 2.1.3 Infrastruktur und Hochwasserschutz ...... 235 2.1.4 Entwicklung der Einwohnerzahl von New Orleans nach Katrina ...... 236 2.1.5 Städtische Grundfläche und neu entflammter Rassismus ...... 238

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2.1.6 Versicherungsindustrie und Versicherung von Eigentum als „unsichtbarer“ Schlüssel zum Wiederaufbau ...... 239 2.2 Tendenzen der Stadtentwicklung nach Hurrikan Katrina: Klima lokaler Reformfähigkeit? ...... 242 2.2.1 Konventioneller und alternativer Hochwasserschutz ...... 245 2.2.1.1 Hochwasserschutz der Kategorie Drei oder Fünf? ...... 245 2.2.1.2 Alternative Strategien zum Schutz vor Hochwasser – von Dutch Dialogues zum Urban Water Plan ...... 251 2.2.2 Die Wohnraumfrage nach Hurrikan Katrina ...... 257 2.2.2.1 Innerstädtisch katalysiert: Mixed-Income Housing ...... 259 2.2.2.2 Punktuelles Laboratorium: Affordable Housing Goes Green ...... 267 2.2.2.3 Der Staat und das Eigenheim: Der Kampf um Rückkehrer nach New Orleans und gegen urban blight ...... 290 2.2.3 Innenstadtrevitalisierung durch eine Förderung eventfähiger Räume ...... 304 2.2.4 Großprojekte als Vehikel für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt ...... 310 2.2.4.1 Revitalisierung der innerstädtischen Uferpromenade am Mississippi ...... 311 2.2.4.2 Neubau innerstädtischer Großprojekte ...... 315 2.2.5 Bottom Up Recovery in den Nachbarschaften ...... 321 2.3 Zwischenfazit: Wesentliche Debatten und Tendenzen der Stadtentwicklung in New Orleans nach Hurrikan Katrina ...... 325

C II.3 Politisch-administrativer und institutioneller Rahmen der Planwerksprozesse nach Hurrikan Katrina ...... 334 3.1 Lokaler politisch-administrativer Rahmen der Stadtentwicklung: Bürgermeister und Stadtrat ...... 337 3.2 Urban Regime, Power Elite oder Urban Growth Machine in New Orleans? ...... 343 3.3 Rolle von Bund und Bundesstaat bei der Katastrophenbewältigung 347 3.3.1 Rolle von Bund und Bundesstaat in New Orleans’ Stadtpolitik nach Hurrikan Katrina ...... 348 3.3.2 Förderprogramme mit Auswirkungen auf die räumliche Entwicklung ...... 351 3.4 Wiederaufbauhilfe des Bundes zur Katastrophenbewältigung ...... 355

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3.5 Zwischenfazit: Politisch-administrativer und institutioneller Rahmen für die Entwicklung der gesamtstädtischen Planwerke nach Hurrikan Katrina ...... 358

C III Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit und Beharrungsvermögen vor und nach Katrina ...... 361 C III.1 Beharrungsvermögen und Veränderung von Tendenzen und Handlungsfeldern der Stadtentwicklung vor und nach Katrina ...... 363 C III.2 Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren könnten ...... 364 C III.3 Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren könnten ...... 365 C III.4 Stadtpolitische Charakteristika mit Beharrungsvermögen ...... 365 C III.5 Ableitung von Hypothesen zur Weiterarbeit ...... 367

Teil D New Orleans’ Pop Up-Planning nach Hurrikan Katrina: Strategische Planwerke als ein Zeugnis lokaler Reformfähigkeit ... 371 Bedeutung strategischer Planung ...... 374 New Orleans’ strategische Planwerke nach Hurrikan Katrina ...... 379 Ansatz zur Untersuchung strategischer Planwerke und deren Reformfähigkeit ...... 382

D I Planwerk zum Wiederaufbau Bring New Orleans Back und „Shrinking of the Footprint“ ...... 386 D I.1 Ausgangssituation, stadtpolitischer Kontext und Auslöser für das Planwerk im Überblick ...... 387 D I.2 BNOB: Gesamtstädtische strategische Ziele mit reformerischem Ansatz? ...... 390 D I.3 Entwicklungsprozess des Strategieplans: BNOB als Elitenwerk mit überlokalem richtungsweisenden Einfluss ...... 396 D I.4 Prozessergebnis Planwerk Bring New Orleans Back ...... 415 D I.5 Zwischenfazit BNOB: Chance auf Umsetzung von lokaler Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung vertan ...... 418

D II Planwerk zum Wiederaufbau New Orleans Neighborhoods Rebuilding Plan (NONRP) mit Bottom-Up-Protestcharakter ...... 421 D II.1 Ausgangssituation, stadtpolitischer Kontext und Auslöser für das Planwerk im Überblick ...... 422

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D II.2 NONRP: Gesamtstädtische strategische Ziele mit reformorientiertem Ansatz? ...... 424 D II.3 Entwicklungsprozess des Strategieplans: NONRP als Protestwerk mit Bottom-Up-Charakter und überlokaler Mitwirkung 428 3.1 Überlokale Förderansprüche und deren lokale Interpretation ...... 431 3.2 Politik einer breiten Partizipation mit Unterstützung überlokaler fachlicher Akteure ...... 433 3.3 Umsetzung, Einbettung und Format der Nachbarschaftspläne ...... 434 3.4 Kommunikationspolitik zugunsten überlokaler Akteure ...... 435 3.5 Externe Prüfungsinstanz, Kompetenzen und die Institutionalisierung des Umsetzungsprozesses ...... 435 D II.4 Prozessergebnis Planwerk New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan ...... 436 D II.5 Zwischenfazit NONRP: Lokale Reformfähigkeit durch Anstiftung zum Bottom Up-Protest ...... 439

D III Planwerk zum Wiederaufbau Unified New Orleans Plan (UNOP) und das inszenierte Bottom-up-Prozedere ...... 441 D III.1 Ausgangssituation, stadtpolitischer Kontext und Auslöser für das Planwerk im Überblick ...... 441 D III.2 UNOP: Gesamtstädtische strategische Ziele mit einem Ansatz von Reformfähigkeit? ...... 443 2.1 Einschätzung der gesamtstädtischen strategischen Ziele im UNOP . 450 2.2 Vorschläge zur Implementierung im Planwerk und vom Planwerk: Formale Akteursstruktur und Verantwortlichkeiten ...... 453 2.3 Local Recovery Governance Model ...... 455 D III.3 Entwicklungsprozess des Strategieplans: UNOP als Kompromiss- werk unter breiter lokaler und überlokaler Mitwirkung ...... 460 3.1 Schlüsselakteure und Zuständigkeiten im Überblick ...... 461 3.2 Der Planungsprozess und sein Reformpotential ...... 464 3.3 Finanzierung des Planwerksprozesses ...... 471 3.4 Die Rolle der Rockefeller Foundation und weiterer Stiftungen im Planungsprozess von UNOP ...... 472 3.5 Exkurs Rockefeller Foundation: Ansätze, Charity Policies und Politics im Wiederaufbauprozess ...... 477 3.5.1 Die Rockefeller Foundation in New Orleans: Förderfelder und Rezeption ...... 478 3.5.2 Grundgedanken und Intentionen der Rockefeller Foundation ... 484 3.5.3 Lokales Engagement der Rockfeller Foundation ...... 488

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3.6 Partizipations- und Genehmigungsprozess des Planwerks ...... 490 3.7 New Urbanism und UNOP ...... 496 D III.4 Prozessergebnis Planwerk Unified New Orleans Plan ...... 500 D III.5 Zwischenfazit UNOP: Lokale Reformfähigkeit durch richtungsweisende überlokale Mitwirkung ...... 503

D IV Planwerk zum Wiederaufbau operationalisiert: Prioritäten- setzung durch Recovery Management Plan und Target Zones ...... 505 D IV.1 Ausgangssituation, stadtpolitischer Kontext und Auslöser für das Planwerk im Überblick ...... 507 D IV.2 Recovery Management Plan und Target Zones: Gesamtstädtische strategische Ziele mit reformerischem Ansatz? ... 510 D IV.3 Entwicklungsprozess des Strategieplans: Überlokale Schlüssel- akteure federführend ...... 519 3.1 Mitwirkung von Stiftungen und fachpolitischen Organisationen im Umsetzungsprozess ...... 520 3.2 Ed Blakely in New Orleans ...... 521 3.2.1 Blakely als Leiter des Büros für Wiederaufbau ...... 522 3.2.2 Blakelys Vision für New Orleans und seine Kritik an der Stadt 524 3.2.3 Blakely und Nagin: Zwei vom gleichen Schlag ...... 525 3.2.4 Nach dem Amt für Wiederaufbau ...... 526 D IV.4 Prozessergebnis Recovery Management Plan ...... 527 D IV.5 Zwischenfazit Recovery Management Plan: Lokale inhaltlich-materielle Reformfähigkeit durch Mitwirkung eines externen Akteurs ...... 530

D V New Orleans 2030: Ein Masterplan als Inbegriff von Reformfähigkeit ...... 531 D V.1 Ausgangssituation, stadtpolitischer Kontext und Auslöser für das Planwerk im Überblick ...... 533 D V.2 Master Plan: Gesamtstädtische strategische Ziele mit neuem lokalen Ansatz ...... 535 D V.3 Entwicklungsprozess des Strategieplans: Mitwirkung überlo- kaler Stiftungen und fachpolitischer Organisationen ...... 540 D V.4 Prozessergebnis Master Plan 2030 ...... 557 D V.5 Zwischenfazit: Lokale Reformfähigkeit durch Prozess und Ergebnis des gesamtstädtischen strategischen Master Plans ...... 560

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D VI Vorzeigeprojekt lokaler Reformfähigkeit: Studie zum Rückbau eines Teilstücks des Interstate-10 Claiborne Expressway ...... 563 D VI.1 Der Congress for the New Urbanism und New Orleans’ Interstate-10 Claiborne Expressway ...... 564 D VI.2 Historie der Claiborne Avenue und der Interstate 10 Expressway .... 569 D VI.3 Prozess zur Debatte über den Rückbau des Interstate 10 Expressway ...... 571 3.1 Stadtpolitisches Stimmungsbild zur Idee des Rückbaus und Planungsvorstellungen ...... 572 3.2 Votum aus der Zivilgesellschaft ...... 574 3.2.1 Die Studie „Restoring Claiborne Avenue: Alternatives for the Future of Claiborne Avenue“ der Interessenskoalition CCIC und des CNU ...... 574 3.2.2 Arbeit, involvierte Akteure, Art der Zusammenarbeit und Erfolge der Claiborne Corridor Improvement Coalition (CCIC) 578 3.3 Die Studie The Livable Claiborne Communities ...... 586 D VI.4 Projektergebnis zur Master Plan-Empfehlung ...... 591 D VI.5 Zwischenfazit: Lokale Reformfähigkeit durch lokale Initiative und überlokale Mitwirkung ...... 594

D VII Strategische Planwerke als ein Zeugnis lokaler Reformfähigkeit nach Hurrikan Katrina ...... 597 D VII.1 Ausgangssituationen, stadtpolitischer Kontext und Auslöser der Planwerkserarbeitungen ...... 600 D VII.2 Gesamtstädtische strategische Ziele mit Ansätzen von Reformfähigkeit? ...... 603 D VII.3 Entwicklungsprozess der Planwerksstrategien mit Ansätzen strukturell-prozessualer Reformfähigkeit? ...... 606 D VII.4 Prozessergebnis mit durchschlagkräftigen Leitideen und Visionen? ...... 609 D VII.5 Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren und blockieren ...... 611 5.1 Was Reformfähigkeit nach Hurrikan Katrina forciert ...... 613 5.2 Was Reformfähigkeit blockiert nach Hurrikan Katrina ...... 620 D VII.6 Ergänzende fallbezogene Erkenntnisse über Bedingungen von Reformfähigkeit hinaus ...... 622

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Teil E New Orleans Pop Up-Planning nach Hurrikan Katrina: Zusammenfassung, Fazit und Ausblick ...... 625 Kennzeichen der Stadtentwicklung und von Prozessen des Wiederaufbaus in New Orleans ...... 627 Bedingungen lokaler Reformfähigkeit im Rahmen strategischer Stadtentwicklungsplanung ...... 644 Ausblick: Ein Blick in die USA, darüber hinaus und zurück ...... 651

Literatur und Quellen ...... 659 Verzeichnis der Abbildungen und Interviews ...... 697 Abbildungen ...... 697 Interviews ...... 701 Abkürzungsverzeichnis ...... 703 Anhang ...... 705 Übersicht: Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren ...... 707 Interviewleitfäden ...... 708

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Teil A Einleitung

Im Spätsommer 2017 zerstörte ein Monsun mit starken Regenfällen im Norden von Indien ganze Landstriche durch Überschwemmungen; Tausende Todesopfer waren zu beklagen. Über den Atlantik formierte sich zur gleichen Zeit ein Hurrikan nach dem nächsten (Harvey, Irma und José) und trifft auf die Karibik, Florida und den Golf von Mexiko. Naturereignisse wie beispielsweise Hurrikans bringen starke Sturmböen, Regenfälle und Überschwemmungen mit sich. Starke Schäden an der gebauten Umwelt der betroffenen Städte und Regionen werden oftmals dadurch verursacht. Beispielsweise stand Houston, die viertgrößte Stadt in den USA, Schät- zungen zufolge zu einem Drittel unter Wasser. Auch Naturereignisse wie Hurri- kans können aufgrund ihrer Folgen Menschenleben kosten, da Evakuierungen aus unterschiedlichen Gründen nicht immer und überall stattfinden.

Vor diesem Hintergrund kann in urbanen Kontexten eine Katastrophe im Sinne einer relativ plötzlich eintreffenden gesellschaftlichen Krisensituation auftreten, die durch ein Naturereignis ausgelöst wurde. In den USA leben achtzig Prozent der Bevölkerung in Städten und vierzig Prozent der US-Bürger1 leben in Küstenregio- nen, die ein hohes Risiko derartiger Katastrophen bergen (Global Green USA 01.09.2017)2 beispielsweise in Bezug auf die Folgen von Naturereignissen wie starken Wirbelstürmen. In einigen Städten und Regionen wird ein immer wieder- kehrendes Dilemma von Zerstörung und einem sogenannten Wiederaufbau be- fürchtet. Diese Katastrophensituationen verlangen Betroffenen viel ab.

Ein Wiederaufbau von Städten und Stadtregionen in Folge einer Katastrophe, die durch ein Naturereignis ausgelöst wurde, stand, wie die Geschichte zeigt, generell nie in Frage. Pompei bildet die Ausnahme. Die Art und Weise eines sogenannten

1 Zur Vereinfachung der Lesbarkeit wird die männliche Form verwendet. Bei allen Begriffen sind alle Geschlechter eingeschlossen, sofern nicht explizit genannt. 2 In dieser Arbeit wird die Quellenangabe innerhalb des Satzes platziert (vor dem Punkt am Satzende), wenn sich die Quelle inhaltlich ausschließlich auf diesen Satz bezieht. Die Quellenangabe wird au- ßerhalb eines Satzes platziert (nach dem Punkt am Satzende), wenn sich die Quelle inhaltlich auf die vorangegangenen Sätze bezieht.

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Wiederaufbaus vermag sich in unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Kontex- ten unterscheiden und auch Ergebnisse in verschiedenen Reichweiten hervorbrin- gen. Einige Merkmale von Wiederaufbauprozessen dienen dieser Arbeit als Grund- lage. (Popkin 1977; Haas, Kates 1977; Kates, Pijawka 1977; Vale, Campanella 2005; Powell 2007; Hoffmann 2008; Kammerbauer 2013) Darüber hinaus beziehen sich Einzelfallstudien zur Bewältigung von Naturereignissen in erster Linie auf den geographischen Kontext sogenannter Entwicklungsländer und die Forschungen zur Katastrophenbewältigung konzentrieren sich überwiegend auf soziale und psycho- logische Folgen einer Katastrophe. Die Perspektive einer längerfristigen Katastro- phenbewältigung „westlicher“ Demokratien im Politikfeld der Stadtentwicklung ist unterbelichtet und wird meist nur implizit angedeutet.

Darüber hinaus kann nach Katastrophen Neues entstehen (vgl. bspw. Bates 1963; Petring 2010; Birkland 1997), so dass Katastrophen auch Reformen hervorbringen können. Wie es aber zu Veränderung kommt, bleibt vor dem Hintergrund einer längerfristigen Katastrophenbewältigung aus stadtentwicklungspolitischer Perspek- tive unbestimmt. Bislang ist also nicht umfassend erklärt, warum und inwieweit die stadtpolitische und stadtentwicklungspolitische Situation nach einer Katastrophe Reformpotential bietet und welche Bedingungen zu seiner Nutzung nötig sind. Diese Arbeit ist vor diesem Hintergrund durch die Erkenntnis motiviert, dass nur das Wissen um Entscheidungsfindungsprozesse und den jeweiligen stadtpolitischen Kontext stadträumlich wirkungsvolle Stadtentwicklungspolitik hervorbringen wird: „Without a clear understanding of the political and social landscape as well as how choices are actually made, we are likely to develop policies and programs that will not achieve their desired impacts“ (Kunreuther 2006: 199).

Was lokale Reformfähigkeit bedingt, wird bislang aus einer staatszentrierten Per- spektive betrachtet.3 Der Hinweis aber, dass durch die Integration von „Fremdheit“ Neues forciert werden kann (vgl. Abb. 8), wird hier als Anlass aufgegriffen. Auch

3 Reform und Veränderung wird in dieser Arbeit nicht normativ als richtig oder besser betrachtet. Reformfähigkeit wird auch nicht als richtiger Weg, sondern als Aushandlungsprozess zwischen Ak- teursgruppen mit ihrer jeweils eigenen Rationalität verstanden. Reformfähigkeit spiegelt insofern Neues oder Veränderung im Rahmen eines Prozesses wider. Der Terminus lokal bezieht sich hier auf den geographischen (städtischen, stadtregionalen, regionalen) Raum, in dem die Mitwirkung lokaler und überlokaler Akteure in der Stadtentwicklung zum Tragen kommt.

23 in der urban governance-Forschung wird Überlokalem Einfluss nachgesagt. Es wurde aber auch in Bezug auf das Verhältnis von lokalen zu überlokalen Akteuren und Institutionen Nachholbedarf attestiert (Gissendanner 2002), wenn auch Formen kooperativer Steuerung durch Akteure des Staates, der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft in den letzten Jahren verstärkt erforscht wurden (Altrock et al. 2004; Nuissl, Heinrichs 2006). Es wird davon ausgegangen, dass die großen Exter- nen im stadtentwicklungspolitischen Alltag präsent sind und das nicht nur unmit- telbar nach einer Katastrophensituation. Unbestritten ist auch, dass größere Stiftun- gen finanzielle Mittel für stadtentwicklungsrelevante Handlungsfelder bereitstellen. Dabei „treten sie seltener selbst in Erscheinung, wenn es um lokale Fragen geht und überlassen deren Konkretisierung vor Ort gebundenen Organisationen.“ (Alt- rock 2007: 241) Welche Rolle große externe zivilgesellschaftliche Organisationen, wie beispielsweise Stiftungen in Leitbilddebatten und anderen Handlungsfeldern des Politikfeldes der Stadtentwicklung auf lokaler Ebene tatsächlich spielen und inwieweit sie dann die Institutionen staatlicher Planung verändern können bezie- hungsweise inwiefern sie möglicherweise zur lokalen Reformfähigkeit nach Kata- strophen beitragen ist bislang ungeklärt. Dem Verhältnis von lokalen zu überloka- len Akteuren und Institutionen ist insbesondere im setting einer längerfristigen Katastrophenbewältigung vor dem Hintergrund permanenter städtischer Krisenher- ausforderungen nachzugehen.

Insofern kann eine urbane Katastrophe als ein Stresstest für Stadt und Region in- terpretiert werden. Sie legt städtische Probleme offen und zeigt in der längerfristi- gen Folgezeit auf, wie reformfähig eine Stadt ist, um diese Katastrophe zu bewälti- gen und unter welchen Bedingungen das möglich ist. Vor diesem Hintergrund wird in dieser Arbeit zunächst davon ausgegangen, dass eine längerfristige Katastro- phenbewältigung lokale Reformfähigkeit aufzeigen kann und sich in diesem Sinne ein Gelegenheitsfenster – window of opportunity – öffnet. Überlokale Akteure spie- len mit ihren Ressourcen dabei eine bislang unbestimmte Rolle. Wie weit ihr Ein- fluss, wie ihre Mitwirkung (also ihr Verhältnis insgesamt zu lokalen Akteuren) ist und inwiefern dadurch Neues entsteht, ist im Rahmen einer längerfristigen Kata- strophenbewältigung im Politikfeld der Stadtentwicklung offen, so, wie auch wei- tere Bedingungen lokaler Reformfähigkeit offen sind und in diesem Zusammen- hang bildlich gesprochen in der black box verborgen sind. Darüber hinaus wird

24 angenommen, dass lokale Reformfähigkeit durch den strukturellen lokalen und überlokalen Kontext und stadtpolitische Charakteristika gehemmt wird.

Um den Rahmen offen zu halten und möglichen Untersuchungsfehlern aufgrund einer zu engen Perspektive auf überlokale Akteure zu vermeiden, wird am Beispiel strategischer Stadtentwicklungsplanung somit der Frage nachgegangen, inwiefern sich im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewältigung lokale Reformfä- higkeit widerspiegelt. Im Zentrum steht vor diesem Hintergrund die Frage, welche Bedingungen substanziell-materielle4 und strukturell-prozessuale lokale Reformfä- higkeit in diesem Zusammenhang forcieren oder blockieren. Als Bedingung – im Sinne einer Tatsache, Situation oder Handlung, auf die eine andere Tatsache, Situa- tion oder Handlung folgt – wird eine Voraussetzung, eine Ursache oder ein Antrieb für einen Zustand (ein Ergebnis oder planerisches Produkt) oder einen Prozess verstanden. Wenn eine Bedingung oder eine Gruppe von Bedingungen bei einem Entwicklungsprozess auftritt, kann es zu Veränderung kommen und lokale Re- formfähigkeit zeigt sich. Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewältigung am Beispiel der strategischen Stadt- entwicklungsplanung forcieren oder blockieren, sind insofern das zentrale Er- kenntnisinteresse dieser Arbeit. So wird lokale Reformfähigkeit kurz als kollektives Vermögen von Staat, Markt und Zivilgesellschaft verstanden, den Status Quo zu ändern. Mit Katastrophenbewältigung sind bewusst und auch unbewusst ange- wandte Strategien gemeint, die längerfristig nach einem Naturereignis, das eine Katastrophe nach sich zog, verfolgt werden, worunter auch das Handlungsfeld der strategischen Stadtentwicklungsplanung fällt. Strategische Planung wird hier als ein rationaler Suchprozess nach Mitteln, die von einer gegebenen Ausgangssituati- on zu einem formulierten Ziel führen, verstanden (Wiechmann 2008: 274-275).

Für die Beantwortung der Forschungsfrage bietet sich der Fall New Orleans an, der diesbezüglich eine besondere Relevanz birgt: Diese US-amerikanische Stadt wurde 2005 von einem exogen bestimmten Katastrophenereignis in Folge von Hurrikan

4 Substanziell-materiell und strukturell-prozessual bezieht sich auf Produkte und Prozesse im Politik- feld der Stadtentwicklung. Dabei schlägt sich substanziell-materiell in Plan und Raum nieder und strukturell-prozessual in Organisationsstrukturen und Institutionalisierungen. Substanziell-materielle Produkte sind hier beispielsweise Leitbilder, Ziele, Instrumente, Programme, Projekte oder räumliche Muster. Strukturell-prozessual bezieht sich hier beispielsweise auf partizipative Verfahrensweisen.

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Katrina so erschüttert, das im heutigen Zeitalter in einer US-amerikanischen Stadt unerwartet eintrat. Hurrikan Katrina zog eine urbane Katastrophe in einem politi- schen System nach sich, in dem mit einer derartigen Verletzlichkeit nicht gerechnet wurde. Der Wirbelsturm löste eine fast zehn Meter hohe Sturmflut aus, der das lokale Hochwasserschutzsystem nicht standhielt und somit achtzig Prozent der Stadtfläche stark überflutet wurden. Somit gilt Hurrikan Katrina als das bislang folgenschwerste Naturereignis in der Geschichte der USA (Nelson et al. 2007: 23); das bislang teuerste (Daniels et al. 2006: 1; Allen et al. 2011: 260) und das mit den meisten Todesopfern (Ramroth 2007: 248). Auch wenn seit Hurrikan Katrina weltweit Katastrophen auftraten, wird weiterhin an die Golfküste geschaut, wie die Folgen von Katrina bewältigt werden. Denn eine so massive urbane Katastrophe (Plyer 30.09.2011) gilt bislang als beispiellos in der jüngsten US-amerikanischen Geschichte (American Planning Association 11.2005: 17). Insofern löste diese urbane Katastrophe eine gesellschaftspolitische Debatte über den Zustand der US- amerikanischen Stadt vor dem Hintergrund von Politik und Planung aus und stellte in Zeiten postfordistischer Stadtentwicklung und Nachmoderne eine Zäsur dar: Der Fall New Orleans legte Probleme einer US-amerikanischen Stadt und städtische Probleme schonungslos offen. Denn städtische Armut und Ungleichheit manifestie- ren sich in stadträumlichen Disparitäten sowie stadtpolitischer Dysfunktionalität.

In dieser Sondersituation, in der sich New Orleans nach Katrina befand und die durch die Folgen des Naturereignisses und den Wiederaufbau gegeben war, wurde auch die Präsenz überlokaler zivilgesellschaftlicher Akteure am Wiederaufbau in New Orleans sichtbar. Unzählige Freiwillige, Nonprofit-Organisationen, Stiftungen in Verbindung mit Philanthropen, Fachverbände und Vereinigungen waren vor Ort. Denn in New Orleans bot sich seit Katrina für zahlreiche lokale und überlokale Akteure die Chance, stadtentwicklungspolitische Leitbilder, Strategien und Pro- gramme zu verfolgen und umzusetzen. So waren überlokale Akteure auch im Rahmen des Prozesses zur Erarbeitung von gesamtstädtischen Planwerken zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans vertreten; Planwer- ke, die retrospektiv eine Art strategische Stadtentwicklungsplanung darstellen. Gleichzeitig wird dieser Prozess, der sich als nicht linear erwies und sich durch inhaltlich konkurrierende Planwerke auszeichnete, als chaotisch bezeichnet. Inwie- fern kann aber dennoch von lokaler Reformfähigkeit im Rahmen der strategischen

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Stadtentwicklungsplanung gesprochen werden, da doch wie angedeutet überlokale Akteure als Indiz von lokaler Reformfähigkeit daran beteiligt waren? Die Untersu- chung des Einflusses überlokaler und insbesondere zivilgesellschaftlicher Akteure (Stiftungen in Verbindung mit Philanthropen, Fachverbände und Vereinigungen) bietet dafür einen Ansatzpunkt, da sie möglicherweise als Katalysatoren von inhalt- lichen und institutionellen Reformprozessen sowie lokalen Leitbilddebatten in den USA eine Rolle spielen. Diese stadtentwicklungspolitische Perspektive wurde bis- lang zu wenig beforscht – nicht nur im Rahmen einer Katastrophenbewältigung. Am Beispiel strategischer Stadtentwicklungspolitik in New Orleans nach Hurrikan Katrina 2005 wird vor diesem Hintergrund veranschaulicht, inwiefern, wie und warum lokale Reformfähigkeit im Rahmen einer mittel- bis längerfristigen Kata- strophenbewältigung forciert oder blockiert wird.

Der Fall New Orleans leistet somit einen Beitrag zur Beantwortung von Fragen nach Spielräumen lokaler Handlungs- und vor allem Reformfähigkeit in den USA und dazu, inwieweit Städte in der Lage sind, Krisensituationen zu bewältigen, zu- nächst erst einmal unabhängig davon, ob eine Krise schleichend oder in Folge ei- nes Naturereignisses als Katastrophe unerwartet auftritt. Der Fall gibt in besonde- rem Maß darüber Auskunft, wie funktionsfähig und belastbar die Stadtpolitik einer US-amerikanischen Stadt im Zusammenspiel mit überlokalen Ebenen ist. Hinter- grund dieser Untersuchung ist die seit den 1980er Jahren ausgetragene wissen- schaftliche Kontroverse um den Spielraum für lokale Handlungs- und auch Re- formfähigkeit (vgl. Peterson 1981; Stone, Sanders 1987; Stone 1989; Altrock 2003). Denn „(a)ngesichts des ökonomischen Wandels und der politischen Frag- mentierung der Stadtgesellschaften“ fragt die lokale Politikforschung mit Nach- druck, wie „überhaupt Handlungsfähigkeit zustande“ kommt. Denn „Macht im Sinne von Handlungsfähigkeit muß hergestellt werden. Man fragt nicht, wie, von wem und zu welchem Zweck vorhandene Macht eingesetzt wird, sondern, wie Macht in sozialen Prozessen erzeugt wird; nicht, wer regiert, sondern: wie kann man überhaupt was erreichen?“ (Häußermann, Läpple 2008: 349) Insofern bildet dieser Denkansatz insgesamt auch die Grundlage für die Frage nach lokaler Re- formfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung und deren Bedingungen im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewältigung.

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Reformfähig nach Katastrophen

Im urbanen Kontext treten Katastrophen auf, die durch Naturereignisse ausgelöst werden (vgl. Trebilcock, Daniels 2006: 89). Diese Naturereignisse wie Erdbeben, Landrutschungen, Feuer, Überflutungen und Hurrikans fordern nicht nur in den USA, sondern weltweit jährlich hunderte Todesopfer und richten Milliardenschä- den an privatem und öffentlichem Eigentum an (Leahy 2006: 78). Von schweren Überschwemmungen des Mississippi wurden beispielsweise Städte im Süden der USA inklusive Nashville und New Orleans 1927 und später Städte des Mittleren Westens wie St. Louis und Des Moines 1993 heimgesucht (Rybczynski 2006; Bar- ry 1997; Vale, Campanella 2005). Naturereignisse sind zwar Teil der Entwick- lungsgeschichte US-amerikanischer Städte, schaffen aber nichtsdestoweniger im- mer wieder Sondersituationen des Wiederaufbaus. Die Verletzlichkeit von Städten und Stadtregionen wird sichtbar. Einzeluntersuchungen zu Katastrophen in Folge eines Naturereignisses (Erdbeben, Großfeuer), zu politökonomischen Krisen welt- weit (Zahlungsunfähigkeit der Stadt New York in den 1970er Jahren u.a.) und zu Veränderungen der nationalen Stadtpolitik (neoliberale Wende unter Reagan usw.) zeigen, dass exogen bestimmte Katastrophen- und Krisenereignisse die ohnehin labile Stadtentwicklungspolitik in US-amerikanischen Städten immer wieder er- schüttern. Krisenereignisse müssen somit zum konstitutiven Bestandteil eines Er- klärungsansatzes gemacht werden, warum und unter welchen Bedingungen Wie- deraufbau und Veränderung nach Krisenereignissen stattfindet.

Unmittelbar nach einer Katastrophe sprechen Lokalregierungen stets von einem Wiederaufbau „to make this city better than ever“ (Haas, Kates 1977: xv). Aller- dings wird schon seit den 1970er Jahren gefragt, wie das umgesetzt werde (Haas, Kates 1977: xv) und wie sich Städte nach einer Katastrophe „erholen“ würden (Popkin 1977: xxv), wie ein Wiederaufbau – auch in New Orleans – stattfinden kann und soll und was aus Perspektive der Stadtentwicklung und Stadtentwick- lungspolitik möglich ist (vgl. bzgl. Hurrikan Katrina Gutmann 2006: vii; Daniels et al. 2006: 1). In den meisten Fällen werden Städte nach einer Katastrophe wieder- aufgebaut und entwickeln für gewöhnlich „bessere“ Planungs- und Gestaltungs- prinzipien, die aus einem nun „besseren“ Verständnis hinsichtlich der Kräfte einer Katastrophe resultieren (Ramroth 2007: vii–viii; Daniels et al. 2006: 2).

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Nach Katastrophen kann Veränderung stattfinden (vgl. Bates 1963; Birkland 1997; Ramroth 2007: ix; Petring 2010).5 Vor dem Hintergrund, dass bis heute weder hin- reichend theoretisch reflektiert noch empirisch untersucht wurde, „nach welchen Mustern die Anpassungen und kleine Reformen in entwickelten Wohlfahrtstaaten von statten gehen“ (Petring 2010: 19), ist auch unklar, unter welchen Bedingun- gen Reformen – und im weiteren Sinne Veränderung – nach Katastrophen möglich sind. Die Katastrophenforschung befasst sich in erster Linie mit unmittelbaren Auswirkungen und sozialen Folgen von derartigen plötzlich auftretenden Krisensi- tuationen (vgl. Bates 1963). Forschungen zum Wiederaufbau von Städten (Popkin 1977), die eine Grundlage dieser Arbeit darstellen, charakterisieren diesen näher und geben damit implizit Hinweise auf Veränderungspotential.

Reformen und Reformfähigkeit werden politikwissenschaftlich in erster Linie staatszentriert und als legislative Angelegenheit betrachtet. Die vorliegende Arbeit stellt allerdings keine Untersuchung der Reformfähigkeit von sich gegenüberste- henden Politikfeldern (Geppert 2012), von einem Politikfeld im Staatsvergleich (Petring 2010), von Institutionen wie Parteien (Merkel et al. 2006) oder von Regie- rungen (Egle 2009) dar. Die Arbeit untersucht ein Handlungsfeld (strategische Stadtentwicklungsplanung) innerhalb des Politikfeldes der Stadtentwicklung nach einem auslösenden Moment – nach einem Naturereignis, das eine urbane Katastro- phe zur Folge hat – in dem eine Vielzahl von Akteuren aus Staat, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft involviert ist, die jeweils eigenen (institutionellen) Interessen folgen. Somit helfen die Forschungen zu Reformen und Reformfähigkeit in Bezug auf die Beantwortung der planungswissenschaftlichen Frage dieser Arbeit nach Bedingungen, die Reformfähigkeit bei einer längerfristigen Katastrophenbewälti- gung im Politikfeld der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren, insofern wei- ter, als dass Hinweise auf Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit durchschei- nen, die dem Fall New Orleans als Grundlage dienen. Einigkeit besteht in einer gewissen Selbstverständlichkeit: Akteurshandeln, das Handlungsspielräume eröff- net, und Problem- beziehungsweise Handlungsdruck stellen einen selbsterklären- den Rahmen für Reformen und Reformfähigkeit dar. Auch Hinweise wie der, dass

5 Plötzliche und große Krisen können auch eine Ursache oder ein Auslöser für Reformen sein (Petring 2010: 32). Eine Krise kann wiederum als ein Ausdruck oder eine Folge einer urbanen Katastrophe verstanden werden.

29 die Verquickung von „staatliche(r) (hierarchischer) Koordination und nicht- hierarchische(n) Formen der Selbstkoordination (...)„prinzipiell für gesellschaftli- che Reformen genutzt werden“ kann (Bentele et al. 1995: 10; vgl. Scharpf 1992a), die Interaktion zwischen Akteuren Gestaltungsmöglichkeit bedeuten kann und bestimmte institutionelle Ausprägungen oder Akteurskonstellationen Reformfähig- keit ermöglichen oder blockieren (Petring 2010: 86) oder koordiniertes und koope- ratives Handeln Voraussetzung für Reformen und Reformfähigkeit sein können (Blöcker et al. 1997: 24–26), stellen eine Art Selbstverständlichkeit für die Unter- suchung von Bedingungen von Reformfähigkeit auch im Politikfeld der Stadtent- wicklung dar.

Vor diesem Hintergrund wurde sowohl im Rahmen der Katastrophenforschung als auch im Dunstkreis der Forschung zu Reformen und Reformfähigkeit festgestellt, dass überlokaler Einfluss beziehungsweise die Integration von Fremdheit lokale Reformfähigkeit forcieren kann. Und da es, wie festgestellt, der Mitwirkung über- lokaler Ebenen und insbesondere zivilgesellschaftlicher Akteure in der Forschung der Stadtentwicklungspolitik an Aufmerksamkeit mangelt und, dass durch die In- tegration von „Fremdheit“ (externen Ressourcen und/oder Akteuren) Innovation6 entsteht (Selle 2005: 145), wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass auch am Beispiel strategischer Stadtentwicklungsplanung Neues entstehen oder Verände- rung stattfinden kann und somit – eine bislang unbestimmte Art – der Mitwirkung überlokaler Akteure eine Bedingung von lokaler Reformfähigkeit und den Anlass dieser Arbeit darstellt. Dabei kommt der Beziehung zwischen den Ebenen eine besondere Bedeutung zu, so dass Aussagen über den tatsächlichen stadtentwick-

6 In dieser Arbeit wird allerdings nicht von Innovation im Sinne eines schöpferischen Handelns ge- sprochen (vgl. Ibert 2003). Ibert konzentriert sich auf projektorientierte Planung und interpretiert „Projekte als organisatorische Plattformen innovationsorientierter Planung“ (Ibert 2003: 6). Diese Arbeit begreift sich als Ergänzung dieser Forschung und thematisiert nicht Innovation, sondern Re- formfähigkeit. Und somit geht es hier grundsätzlich um stadtentwicklungspolitische Entwicklungen nach einer Katastrophe, die sich dann gegebenenfalls im Rahmen bestimmter Handlungsfelder von dem Status Quo vor der Katastrophe unterscheiden. Dabei geht es nicht nur darum, welche stadtent- wicklungspolitischen Entwicklungen im Bezug zum „Vorher“ neu entwickelt wurden, sondern auch darum, welche Entwicklungen nach einer Katastrophe beschleunigt wurden, auch wenn beide Rich- tungen zu Veränderung führt.

30 lungspolitischen Einfluss vor Ort im Verhältnis zur lokalen Ebene gemacht werden können.

Treten in urbanen Kontexten Katastrophen in Folge eines Naturereignisses auf, verkraften Städte diese also in der Regel. Aufgrund dessen sollten diese Städte vor dem Hintergrund dieser Arbeit als Comeback Cities bezeichnet werden, da ein Neu- und Wiederanfang unweigerlich zu einer Neuentwicklung der Stadt führt und ein Potential lokaler Reformfähigkeit widerspiegelt. Diese Perspektive zeigt der Terminus Wiederaufbau im wörtlichen Sinne nicht unmittelbar auf. Allerdings wird diese Perspektive in der Katastrophenforschung und in Forschungen zum Wiederaufbau impliziert. Deshalb wird auch in dieser Arbeit überwiegend der Terminus Wiederaufbau verwandt, wenn es sich um einen Prozess oder Prozesse im Rahmen des Politikfeldes der Stadtentwicklung handelt.

New Orleans nach Hurrikan Katrina

In Folge von Naturereignissen fanden bislang viele urbane Katastrophen statt, in die sich die Folgen von Hurrikan Katrina 2005 zweifelsohne einreihen. So be- zeichnet die American Planning Association (APA) die Zerstörung in Folge von Katrina als die größte Katastrophe der letzten einhundert Jahre in den USA. Seit dem Erdbeben und Feuer in San Francisco, dem Hurrikan und der Überschwem- mung in Galvaston und dem Feuer in Chicago 1871 wurden keine Schäden in dem Ausmaß verzeichnet wie nach Hurrikan Katrina. (Farmer 2005) So wird in jeder der betroffenen Städte oder Stadtregionen in der Rückschau von einer Zäsur in verschiedenen Dimensionen nach einer urbanen Katastrophe gesprochen, so dass es eine Zeit vor dem Naturereignis und eine Zeit nach dem Naturereignis gibt. So wurden beispielsweise nach Hurrikan Andrew 1992 in Florida Maßnahmen zur vorsorglichen Linderung von Sturmschäden ergriffen und das Notfallmanagement wurde professionalisiert. (Alvarez 06.09.2017)

Auch die Folgen von Hurrikan Katrina stellten aufgrund ihres stadträumlichen Ausmaßes wie ein Paukenschlag eine Zäsur in der Geschichte der Stadt dar. Lokal wird ebenfalls oft von der Zeit vor Katrina und von der Zeit nach Katrina gespro-

31 chen. Aus der Perspektive der Stadtentwicklungspolitik werden diesbezüglich min- destens drei Punkte in der Rückschau deutlich: Am Beispiel New Orleans wurde die Stadt und Stadtentwicklung in den USA stark debattiert. Durch die Ereignisse in New Orleans wurden die Herausforderungen US-amerikanischer Städte in kon- zentrierter Form offenkundig. Die wissenschaftliche community griff insbesondere Auswirkungen in Bezug auf eine extreme umweltbedingte städtische Verletzlich- keit (vulnerability) und sozialräumliche und sozioökonomische Ungleichheiten auf (vgl. Vale 2006: 163–164; Giegengack, Foster 2006: 32; Logan 2006; Birch 2006: 133) Denn durch den Fall New Orleans wurden wirtschaftliche, ökologische, sozia- le, sozialräumliche und fiskale Probleme und Herausforderungen in der Stadt des 21. Jahrhunderts für die breite Öffentlichkeit unverkennbar. (vgl. Nossiter 21.01.2007, 25.09.2008; Dreier 2006: 530) „’Amerika ist nicht vorstellbar ohne New Orleans’, sagte George W. Bush damals (...) und ahnte nicht, dass dieses New Orleans zu einem Sinnbild für das Versagen Amerikas in der Ära Bush werden könnte. Wer sich heute eine Vorstellung vom Inneren der USA machen möchte, sollte in New Orleans beginnen“ (Emcke 26.06.2008: 3).7 So beklagen Judd und Swanstrom (2008: 395) etwa den politisch-administrativen Umgang mit den Fol- gen von Katrina, da sie nach Ansicht der Autoren explizit die Rassenproblematik in amerikanischen Städten widerspiegeln: „The disorganized response to the devasta- tion […] cast a national spotlight on the racial inequalities still present in Ameri- ca’s cities“. Denn dieser urbanen Katastrophe werden mangelhafte Umweltpla- nung, ingenieurtechnische Fehler und vor allem politische Inkompetenz auf ver- schiedenen Regierungsebenen mit einer derartigen Katastrophe adäquat umgehen zu können, zugesprochen. Die Reaktionen auf die Katastrophe wurden als langsam und unangemessen bezeichnet (Dreier 2006). Das Regierungshandeln wird als Fol- ge von strukturellen politisch-administrativen Rahmenbedingungen und dem Trend gesehen, staatliche Leistungen vor allem im Infrastrukturbereich zu kürzen, was als Ausdruck der allgemeinhin verfolgten neoliberalen und neokonservativen sowie antistädtischen Ideologien in den USA verstanden wird. (u.a. Giegengack, Foster 2006: 32; Steinberg 2008: 22; Dreier 2006: 528–531) Zweitens hat sich aufgrund der stadträumlichen und sozialen Ereignisse in Folge von Hurrikan Katrina in ei-

7 Die Mietpreise sind aufgrund hoher Versicherungssummen stark gestiegen, Eigentum ist aufgrund der Finanzkrise kaum zu erwerben, und 2008 leben 30.000 Menschen noch immer in Wohnwagen- siedlungen außerhalb des Staates (Emcke 26.06.2008).

32 nem etwas engeren Sinne das Feld der Katastrophenphilanthropie (disaster phi- lanthropy) herausentwickelt. Und drittens kam in jüngster Zeit eine Debatte um urbane Resilienz auf, deren Ursprünge auf die Ereignisse von Hurrikan Katrina zurückgehen. Inwiefern sich derartige Debatten in Folge von Hurrikan Harvey 2017 in Houston oder von Hurrikan Irma 2017 in Florida entwickeln, ist derzeit noch nicht erkennbar.

Ansatzpunkt ist wie erwähnt der überlokale Einfluss bei Stadtentwicklung, wenn es um Reformfähigkeit im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewältigung geht. Nun gehört New Orleans zu den kulturell vielfältigsten Städten in den USA. Die Stadt war immer ein Durchgangsort und Ort der Transformation; ein Ort der besiedelt und verändert wurde durch eine besondere kulturelle Diversität. (Campa- nella 2006c) Unter anderem hatten diese kulturelle Diversität und andere Aspekte des außergewöhnlichen stadträumlichen Charakters wie die Fußgängeraktivität und die Architektur der Stadt im Verhältnis zu anderen US-amerikanischen Städte ho- hes nationales Interesse und damit Unterstützung hervorgerufen (American Plan- ning Association 11.2005: 5). So wurde bereits unmittelbar nach Hurrikan Katrina die Entwicklung von Programmen, Projekten und auch Planwerken durch die Mit- wirkung überlokaler teilweise neu aufgestellter zivilgesellschaftlicher Akteure und Organisationen als eine bestimmte Art zivilgesellschaftlichen Engagements beson- ders auffällig: Stiftungen, private Philanthropen, Fachverbände oder nationale NGOs setzten sich vor allem für die Realisierung „nachhaltiger“ ökologischer Bau- en oder bezahlbaren Wohnraums ein, oder wirkten an gesamtstädtischen Planwerk- sprozessen mit. Damit erlangten sie möglicherweise zentrale Bedeutung als Kataly- satoren von mittel- bis langfristigen Reformprozessen. Gleichzeitig tritt ihre Arbeit zu der von Nachbarschaftsinitiativen und lokalen NGOs hinzu, die zum Teil vor Hurrikan Katrina aktiv gewesen waren oder sich aufgrund der Ereignisse durch Katrina gegründet haben. Einige neue Netzwerke haben sich dementsprechend nach Katrina gebildet und „a new generation of private sector, not-for-profit, and community leaders has emerged“ als Antwort auf „the lack of governmental re- sponse, cohesiveness and leadership“ (New Orleans Institute o.J.). Laut Vale sehen sich allerdings viele community groups und NGOs mehr als Rivalen denn als Part-

33 ner8, so dass in Frage steht, wie und wo nationale Stiftungen und Organisationen überhaupt Geld investieren sollten, das einen Wiederaufbau in den Nachbarschaf- ten insgesamt unterstützt. Im Ergebnis brachte dieses lose Netzwerk von Akteuren trotz seiner vielfältigen und teilweise aufeinander abgestimmten Aktivitäten aber noch lange keine umfassende Planung hervor. (Vale 2006: 162–163)

Die besondere Herausforderung, New Orleans wiederaufzubauen, spiegelt insofern überlokale Tendenzen von Stadtpolitik9 wider. Denn nach Judd und Swanstrom (2008: 397) ist eine urbane Katastrophe mit dem Ausmaß und den Folgen von Hur- rikan Katrina allein von lokaler Ebene nicht zu bezwingen. Die Unterstützung, Ressourcen und Kapazitäten höherer Regierungsebenen wurden benötigt. Somit treffen staatliche und bundesstaatliche Politiken des US-amerikanischen föderalen Systems als auch die Präsenz von überlokalen zivilgesellschaftlichen Organisatio- nen und Philanthropen auf lokaler Ebene vor dem Hintergrund eines in den USA üblichen unternehmerischen stadtpolitischen Klimas zusammen; eine Ebene, die es unter der Sondersituation „Wiederaufbau“ hinsichtlich lokaler Reformfähigkeit im stadtentwicklungspolitischen Kontext zu erforschen gilt. Grundsätzlich verfolgt eine unternehmerische Stadtpolitik das Ziel, vorrangig prestigeträchtige Großpro- jekte voranzutreiben, einkommensstarke Bewohnerschichten anzuziehen und einen ausgeprägten Tourismus zu fördern, um Steuereinnahmen zu erhöhen, da sie gleichzeitig in einem Umfeld chronischer lokaler Finanzknappheit angesiedelt ist. Insgesamt war unmittelbar nach Katrina – aufgrund systembedingter begrenzter lokalpolitischer Handlungsfähigkeit und der unmittelbar nach der Katastrophe au- genfällig gewordenen Management-Schwächen – nicht klar, inwiefern die Stadt New Orleans zum Sinnbild dafür werden würde, wie tief die „Amerikanische

8 Ihre Planvorstellungen gehen von entgegengesetzten Prämissen aus und schlagen demnach ver- schiedene Planungen vor. Gründe dafür sind die unterschiedliche Informationslage und die verschie- denen Kriterien, die für die Bewertung der Informationen aufgestellt wurden. Zudem sind viele Pläne, die von kleineren Organisationen vorgeschlagen wurden, isoliert von ähnlichen Ideen anderer Organi- sationen entwickelt worden, deren Ideen allerdings vorangetrieben wurden. (Vale 2006: 162–163) 9 Der Gegenstand von Stadtpolitik wird in diesem Forschungsvorhaben als die Frage nach den lokalen Folgen des Wirkens struktureller Strömungen der Sphäre von Staat, Markt und Zivilgesellschaft und den Beziehungen zwischen ihnen definiert. Stadtpolitik umfasst einzelne Politikfelder. In dieser Ar- beit liegt der Fokus auf dem Politikfeld der Stadtentwicklung, nachfolgend Stadtentwicklungspolitik genannt. Stadtentwicklungspolitik gestaltet demnach Prozesse der Raumentwicklung, die von Akteu- ren und Organisationen aus dem öffentlichen und privaten Bereich auf überlokaler oder lokaler Ebene entwickelt werden und sich lokal räumlich niederschlagen.

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Stadt“ inzwischen „gesunken“ sei (vgl. Ouroussoff 14.09.2008) oder inwiefern die Stadt aber auch – zumindest in einzelnen Politikfeldern – zum „Laboratorium“ für stagnierende Städte in den USA werden würde: „It could evolve into a model for the future as compelling and optimistic as the one America offered to the world a generation ago“ (Ouroussoff 14.09.2008), so die Hoffnung, die beispielsweise auf- grund einiger Ansätze im Bereich nachhaltigen Bauens und Wohnens aufkam.

Rahmen und Voraussetzung für die Untersuchung sind demnach Erkenntnisse über die US-amerikanische Stadtpolitik im Zusammenhang mit der nationalen Politik und Verwaltung im Politikfeld der Stadtentwicklung einschließlich der Organisati- on von Förderprogrammen auf nationaler und bundesstaatlicher Ebene, der kapita- listischen Marktmechanismen, die den politökonomischen Rahmen darstellen, und nationalen Reformbewegungen, die in New Orleans auf neue Weise zusammentref- fen und der neuen Herausforderung des Wiederaufbaus begegnen. In diesem Sinne wirken in New Orleans überlokale Ebenen von Staat, Markt und Zivilgesellschaft zusammen, die die Stadtentwicklungspolitik in bestimmter Weise mitbestimmen und in Kombination mit lokalen politischen und gesellschaftskulturellen Faktoren (Savitch, Kantor 2004) Merkmale US-amerikanischer Stadtpolitik veranschauli- chen, und die über die lokale Reformfähigkeit und deren Bedingungen Auskunft geben.

Vor dem Hintergrund dieser Arbeit wird die Stadt New Orleans als Comeback City bezeichnet. Denn eine Neuentwicklung der Stadt, die durch einen Neuanfang und Wiederanfang nach einer urbanen Katastrophe, wie sie in New Orleans nach Hurri- kan Katrina zu sehen war, birgt zunächst unweigerlich ein Potential lokaler Re- formfähigkeit. Das erfordert ein genaueres Hinschauen auf den Fall New Orleans: So wurde zwar in der Folgezeit von Hurrikan Katrina oft beklagt, dass in New Or- leans nichts passiere und ein Wiederaufbau nur schleppend vorangehe. Aber länge- re Zeit nach dem Ereignis wurde Veränderung in einigen stadtpolitischen Schlüs- selfeldern erkannt, auch in Bezug auf „Planung“ und zivilgesellschaftliches Han- deln (Liu et al. 2011: 2). Die Zusammenarbeit aller Sphären wird betont und new civic partnerships werden beobachtet (Rose 2011: 100). Burns und Thomas (2015) behaupten gar, dass in der Stadt seit Hurrikan Katrina ein Schwerpunkt auf Refor- men liege. Allerdings wurde die Perspektive der Bedingungen, die Reformfähigkeit

35 forcieren und blockieren, beim Entwicklungsprozess zur Erarbeitung der Planwer- ke zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt bislang nicht explizit betrachtet. Aufgrund dessen will diese Arbeit die Reichweite lokaler Reformfähig- keit und deren Bedingungen am Beispiel strategischer Stadtentwicklungsplanung im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewältigung erklären.

Ausmaß und Komplexität der planerischen Herausforderungen waren in New Or- leans beispiellos zu dem Zeitpunkt, an dem die Folgen von Hurrikan Katrina im Stadtraum sichtbar wurden (Collins 2011: 169). Nach Nelson et al. (2007) stand die Stadt New Orleans nach Hurrikan Katrina im Grunde planerisch vor zwei Heraus- forderungen. Die erste Herausforderung deutet ein Um- und Neudenken an. Denn wie bringe man schließlich Menschen dazu, wieder nach New Orleans zurückzu- kehren, einschließlich diejenigen, die die wenigsten Ressourcen haben, ohne aber die ökologischen Verwundbarkeiten und sozialräumlichen Ungleichheiten wieder- herzustellen, die vor Katrina geherrscht hatten. Die zweite Herausforderung lag in der Beantwortung der Frage, wie per se begrenzte Wiederaufbauressourcen priori- siert werden sollten. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, war nach Nelson et. al die Erarbeitung einer stadtweiten Wiederaufbaustrategie notwendig (Nelson et al. 2007: 23). Diese Erkenntnis erwies sich als ein – nicht nur stadtentwick- lungspolitisch – schwieriges Unterfangen. Der Wiederaufbauprozess in New Or- leans wird insgesamt als teilweise unübersichtlich beschrieben, da viele Pläne, Konzepte und Programme gleichzeitig bekannt gemacht wurden und die meisten von ihnen nicht in einem direkten Zusammenhang standen: Auf Bundesebene wen- dete die Katastrophenschutzbehörde der USA (FEMA) nach Hurrikan Katrina die sogenannte Emergency Support Function (ESF 14) an, um einen Plan zur unmittel- baren Katastrophenbewältigung für die Stadt zu erarbeiten. (Collins 2011: 162) Dieses Vorgehen erwies sich allerdings aufgrund des Ausmaßes der urbanen Kata- strophe als nicht effektiv (vgl. Shea 29.02.2012). Darüber hinaus wurde für Or- leans Parish ein Konzept für Schuleinrichtungen (School Facilities Master Plan) erarbeitet und die bundesstaatliche Louisiana Recovery Authority (LRA) entwi- ckelte ein sogenanntes Long Term Recovery Program zur Infrastrukturförderung in den Nachbarschaften. Die LRA wurde als Behörde des Bundesstaates mit der Ab- sicht etabliert, Fördermittel des Bundes auf lokaler Ebene freizugeben. In New Orleans selbst wurden zudem drei verschiedene Planwerke zum Wiederaufbau

36 entwickelt. Dieser stadtentwicklungspolitische Prozess erschien chaotisch. (Collins 2011: 162; Burns, Thomas 2015: Pos. 782; Nelson et al. 2007; Powell 2007; vgl. auch Barnett, Beckman 2006; Flaherty 2008; Zandi et al. 2006: 113; Birch, Wach- ter 2006; Vale 2006; Horne, Nee 2006; Hart 2007; Olshansky et al. 2008; Ols- hansky, Johnson 2010) Darüber hinaus wurde ein operationalisierter Wiederauf- bauplan (Recovery Management Plan, RMP) und ein Planwerk zur Neuentwick- lung der Stadt (Master Plan10) erarbeitet. Da es der Stadt vor Hurrikan Katrina an einer starken Stadtplanungstradition gemangelt hatte, mussten im Ergebnis die meisten Prozesse von Grund auf erarbeitet werden. Trotz weniger lokalstaatlicher finanzieller Ressourcen und dieser Vielzahl an Planungsprozessen nach Katrina in New Orleans wird von einem insgesamt erfolgreichen Prozess gesprochen, denn die Stadt hatte im August 2010 – fünf Jahre nach Hurrikan Katrina – einen Master- plan, der die gesetzliche Grundlage zur zukünftigen Flächennutzung darstellt. (Col- lins 2011: 161) Hier wird vor diesem Hintergrund herausgearbeitet, inwiefern (Reichweite) und warum (Bedingungen) New Orleans nach der urbanen Katastro- phe am Beispiel strategischer Stadtentwicklungsplanung beziehungsweise in Bezug auf die lokale Erarbeitung gesamtstädtischer Planwerke lokale Reformfähigkeit aufweist unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses lokaler und überlo- kaler Institutionen und Akteure. So wird die „Planung, um New Orleans nach Hur- rikan Katrina wieder neu aufzubauen“, als die „größte stadtplanerische Unterneh- mung in der jüngsten US-amerikanischen Geschichte“ interpretiert (Collins 2011: 161).

Aufbau der Arbeit und Vorgehensweise

Vor dem Hintergrund theoretischer Erkenntnisse, auf welche Weise sich Städte und Stadtregionen nach einer urbanen Katastrophe erholen, und empirischen Einblicken in den Fall New Orleans nach Hurrikan Katrina 2005, werden Bedingungen her- ausgearbeitet, die lokale Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung in Folge einer urbanen Katastrophe forcieren oder blockieren. Insofern gründet diese

10 Die Bezeichnung Master Plan wird hier als Eigenname verwendet, wenn im jeweiligen Zusam- menhang der Master Plan von New Orleans gemeint ist. Die Bezeichnung wird dementsprechend so verwendet, wie sie die Stadt New Orleans veröffentlicht hat. (City of New Orleans o.J.a)

37

Untersuchung auf einer theoretischen und systematischen Aufarbeitung von Hin- weisen auf Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren oder blockieren im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewältigung und eines politikwissen- schaftlichen Verständnisses von Reformfähigkeit (Teil B). Dabei bedient sich diese Arbeit Erkenntnissen der theoretischen Zugänge zur Katastrophenbewältigung und zur Reformfähigkeit, die miteinander verknüpft werden, um ein Analysegerüst zu entwickeln (Teil B III) für die Untersuchung des Prozesses strategischer Stadtent- wicklungsplanung in Folge einer Katastrophe. Diese Untersuchung stellt den Kern der Arbeit dar (Teil D). Die Aufarbeitung von Hinweisen zu Bedingungen von Reformfähigkeit erfolgt im Rahmen der Darlegung von Entwicklungslinien der Stadt New Orleans im Politikfeld der Stadtentwicklung vor und nach Hurrikan Katrina (Teil C). Der theoretische Bezug zur US-amerikanischen Stadtentwicklung stellt den Kontext des Untersuchungsgegenstandes dar (Teil C I) und erhält bei der Bewertung und Interpretation der beleuchteten Prozesse Relevanz. Somit werden abschließend die Ergebnisse dieser Untersuchung zusammengefasst und fünf Be- dingungen abgeleitet, die lokale Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwick- lung forcieren (Teil E).

Die Untersuchung ist in erster Linie induktiv angelegt und stellt eine Einzelfallstu- die (single case study) (Behnke et al. 2006: 74; vgl. Yin 2003) dar. Dabei wird als Einzelfall der Prozess der Entwicklung von Planwerken zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans gewählt. Der Fall wird in seiner natürli- chen Umgebung analysiert, weil bestimmte Eigenschaften des Falls erklärt werden sollen (Behnke et al. 2006: 74). Im Fall von New Orleans ist das die Eigenschaft von lokaler Reformfähigkeit. „Fallstudien können dann die einzige mögliche Un- tersuchungsstrategie darstellen, wenn eine Isolation des untersuchenden Phäno- mens aus seinem natürlichen Kontext aus praktischen Gründen unmöglich ist und die möglichen Einflüsse auf das untersuchte Phänomen sehr vielfältig sind“ (Behn- ke et al. 2006: 74; vgl. Yin 2003). Damit ist der Fall Repräsentant eines spezifi- schen institutionellen und räumlichen Kontextes (Behnke et al. 2006: 74): die US- amerikanische Stadt New Orleans. Fallstudien sind sehr ausführliche und detaillier- te Untersuchungen von Einzelfällen (Behnke et al. 2006: 74; vgl. Yin 2003), in deren Rahmen hier dargelegt wird, wie lokale und überlokale Akteure aus Staat, Markt und Zivilgesellschaft größtenteils im Rahmen ihrer Institutionen in ver-

38 schiedenen Koalitionen strategische Planwerke zum Wiederaufbau und zur Neu- entwicklung der Stadt nach der urbanen Katastrophe entwickeln und inwiefern und warum sie diese ablehnen, diesen zustimmen beziehungsweise diese genehmigen. Dabei werden richtungsweisende Entscheidungen der Planwerksprozesse retro- spektiv identifiziert, die das Potential hatten, den Status Quo zu verändern und insofern lokale Reformfähigkeit als kollektives Vermögen von Akteurshandeln veranschaulichen. Dabei wird Veränderung an dem Zustand gemessen, der vor Hurrikan Katrina zugegen war.

Vorgehensweise zur Erschließung theoretischer Zugänge von Katastrophenbe- wältigung und Reformfähigkeit

Im Rahmen der Betrachtungen theoretischer Zugänge zu Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit wird versucht, aus unterschiedlich relevanten Blickwinkeln11, Hinweise auf Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit zu eruieren, die als theore- tisches Set von Hinweisen auf Bedingungen von Reformfähigkeit dienen sollen. Diese Hinweise auf Bedingungen werden auf der Grundlage von Fragen an die theoretischen Zugänge eruiert: Wie werden urbane Katastrophen und ein städti- scher Wiederaufbau von wem und in welchen Koalitionen bewältigt und inwiefern sind Bewältigungsstrategien erkennbar? (Kurzfassung der Unterfragen des Teilka- pitels Katastrophenbewältigung) Darauf aufbauend ist vor dem Hintergrund der Fragestellung der Arbeit des Weiteren zu fragen, welches Verständnis von Refor- men und Reformfähigkeit abgeleitet werden kann, was Reformen im Allgemeinen auslöst beziehungsweise wer oder was in welchem Verhältnis Reformfähigkeit bedingt.

Die Ergebnisse dieser Betrachtung wurden durch die Analyse von Fach- und Se- kundärliteratur gewonnen. Dabei war die Relevanz für das Politikfeld der Stadt- entwicklung und dabei insbesondere die längerfristige Perspektive nach einer Kata-

11 Die theoretischen Zugänge sind Städtischer und stadträumlicher Wiederaufbau, Städtischer und stadträumlicher Wiederaufbau in den USA (Fallstudien), Städtische Widerstandsfähigkeit (Urban Resilience) und Städtische Verletzlichkeit (Vulnerability).

39 strophe entscheidend, was die Quellenlage stark einschränkt (denn beispielsweise bezieht sich eine Vielzahl der Forschungsliteratur der etablierten Katastrophenfor- schung auf die unmittelbare Katastrophenbewältigung). Da Reformfähigkeit poli- tikwissenschaftlich meist mit dem Blick auf staatliche Institutionen untersucht wird, fehlt die Perspektive auf Reformfähigkeit in Bezug auf das Zusammenspiel unterschiedlicher institutioneller Akteure im Politikfeld der Stadtentwicklung und insbesondere bei der Untersuchung von strategischen Planungsprozessen. Mag der Leser aufgrund dessen versucht sein zu meinen, Reformfähigkeit sei hier nicht der passende theoretische Rahmen, wird zunächst entgegnet, dass Reformfähigkeit hier konzeptionell relevant ist in Bezug auf das Untersuchungsdesign und dass Reform- fähigkeit als akteursbezogener Arbeitsbegriff genutzt wird. Da in dieser Arbeit Veränderung retrospektiv untersucht wird, wird das Verständnis von Reformfähig- keit dem Hintergrund der Arbeit angepasst.

Insgesamt bergen unterschiedliche theoretische Zugänge von Katastrophenbewälti- gung und Reformfähigkeit – wie beispielsweise ein Blick auf Phasen und Merkma- le von Wiederaufbauprozessen – in der Gesamtschau Hinweise auf Bedingungen lokaler Reformfähigkeit wenn auch eher allgemeiner Art. Dennoch haben sie im stadtentwicklungspolitischen Kontext Relevanz und stellen eine Grundlage für die empirische Untersuchung dar. Durch die speziellere Perspektive auf die theoreti- schen Zugänge von Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit ist nicht nur ein Set an Hinweisen auf Bedingungen erkennbar, sondern auch eine Systematisierung. Auf der Grundlage dieser Systematisierung wird in Ergänzung zur konzeptionellen Untersuchung von Reformfähigkeit das Untersuchungsdesign dieser Arbeit abge- leitet. Das Untersuchungsdesign lehnt sich selbstverständlich vom Grundsatz her an Forschungen zu urban governance an (vgl. Altrock 2003; Nuissl, Heinrichs 2006), denn diese Arbeit stellt im weiteren Sinne einen planungswissenschaftlichen Beitrag zur urban governance-Forschung dar.

Vorgehensweise bei der Untersuchung der Einzelfallstudie

In New Orleans wurden nach Hurrikan Katrina Herausforderungen US- amerikanischer Städte im 21. Jahrhundert sichtbar. Insofern ist Stadtpolitik insbe- sondere mit Klassen-, Rassen- und Umweltfragen konfrontiert. Gleichzeitig reprä-

40 sentiert New Orleans alte, kulturell und historisch gewachsene Städte mit einer Lokalregierung, die innerhalb des Bundesstaates aufgrund lokalpolitischer und ökonomischer Rahmenbedingungen einen schwachen Stand hat. Im Rahmen des Politikfeldes der Stadtentwicklung bestand in New Orleans aufgrund der urbanen Katastrophe in einigen Handlungsfeldern auch längerfristig nach Hurrikan Katrina starker Handlungsbedarf. Das betraf vor allem Wohnraum und Infrastruktur vor dem Hintergrund umfassend erforderlicher Nachbarschaftsrevitalisierung. Für die Einzelfallstudie dieser Arbeit wurde der Prozess der Entwicklung von Planwerken zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans gewählt – ein Prozess der überlokal bekannt ist. Die Einzelfallstudie steht für die offenkundige Präsenz überlokaler Akteure (politisch-administrative Akteure, Think Tanks, Stif- tungen, Fachplanerschaft) in einer stadtentwicklungspolitischen Sondersituation in Folge einer urbanen Katastrophe; eine zunächst unerwartete Feststellung, so gilt doch strategische Stadtentwicklungsplanung als originär lokal verortete Aufgabe der Stadtentwicklung. Der Untersuchungszeitraum dieser Fallstudie beginnt unmit- telbar nach Hurrikan Katrina. Es wurden von 2008 bis 2017 insgesamt 26 leitfa- dengestützte Experteninterviews geführt und erarbeitete Planwerksdokumente so- wie weitere Dokumente und politische Beschlüsse von Stadtrat und städtischer Planungsbehörde, lokalen und überlokalen Tagesmedien und Fachpresse sowie fallbezogene Fach- und Sekundärliteratur herangezogen.

Die Mischung aus lokalen und überlokalen Akteuren ergeben möglicherweise viel- versprechende Akteurskonstellationen, da, wie bereits erwähnt, bisher kaum die Rolle überlokaler Akteure im Detail empirisch untersucht wurde und die Beantwor- tung der Frage offen ist, inwiefern insbesondere diese Akteure möglicherweise an stadtentwicklungspolitischen lokalen Veränderungsprozessen beteiligt sind. Über- lokale (insbesondere zivilgesellschaftliche) Akteure werden in den Blick genom- men, da in Zeiten der Nachmoderne davon ausgegangen wird, dass diese Akteure Stadtentwicklungsprozesse – neben anderen Akteursgruppen – beeinflussen, Art und Weise sind aber noch weitesgehend unklar. Gleichzeitig demonstriert vor die- sem Hintergrund der Prozess der Entwicklung der Planwerke in New Orleans als Ganzer als auch die Prozesse der einzelnen Planwerke lokale Reformfähigkeit; ein neues Planungsverständnis entwickelte sich in New Orleans und die Planungsfunk- tion der Stadt wurde durch diese verschiedenen Planungsprozesse gestärkt. Inso-

41 fern wird hier von einem Zusammenhang ausgegangen und es besteht darüber hin- aus die Chance, die individuelle Reichweite und Art lokaler Reformfähigkeit näher zu erfassen und zu erklären (Bedingungen). Drittens wurde diese Einzelfallstudie gewählt, weil im stadtentwicklungspolitischen Kontext normativ ein gesamtstädti- sches strategisches Planwerk per se als informelles Steuerungsinstrument von städ- tischen Handlungsfeldern genutzt wird und so beispielsweise eine Richtung zu- künftiger infrastruktureller Ausstattung von Quartieren aufgezeigt oder die Wohn- raumfrage thematisiert wird. Insofern ist dieses informelle Steuerungsinstrument gerade in einer Sondersituation in Folge einer urbanen Katastrophe von Bedeutung für eine zukünftige Stadtentwicklung.

Der Prozess zur Entwicklung der Planwerke zum Wiederaufbau und zur Neuent- wicklung der Stadt New Orleans eignet sich trotz Chaos und Irritationen in der unmittelbaren Folgezeit von Hurrikan Katrina für eine Untersuchung dieser Art, da er aufgrund dessen in fachplanerischen Kreisen und in der Planungswissenschaft international Aufmerksamkeit erfahren hat: Es ist nicht nur ein Planwerk entwi- ckelt worden, sondern es sind mehrere lokale Planwerke (fünf) als planerische Produkte entstanden. Diese werden in dieser Arbeit als einzelne Untersuchungsein- heiten verstanden, in dessen Rahmen jeweils Akteurszusammenhänge und Ent- scheidungspunkte potentiell aufgezeigt werden können und gleichzeitig eine Ent- wicklung ablesbar ist. Das Ergebnis eines stadtweiten Masterplans verdeutlicht in Bezug auf die planerische Ausgangssituation in New Orleans vor Hurrikan Katrina lokale Reformfähigkeit.

In der Einzelfallstudie soll insofern untersucht werden, inwieweit und auf welche Weise überlokale Akteure zu substanziell-materieller und strukturell prozessualer lokaler Reformfähigkeit beitragen, inwiefern sie sich als eine Bedingung erweisen, die lokale Reformfähigkeit forciert, welche Rolle lokale Akteure in Korrespondenz mit überlokalen Akteuren spielen und inwiefern ein lokaler und überlokaler struk- tureller Rahmen lokale Reformfähigkeit blockiert. Die abschließende Darstellung der Ergebnisse aus der Untersuchung der Planungsprozesse und der Detailstudie dient dazu, Bedingungen lokaler Reformfähigkeit im Handlungsfeld strategischer Stadtentwicklungsplanung im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewälti-

42 gung abzuleiten und zwar vor dem Hintergrund der Mitwirkung überlokaler Akteu- re.

Ein Blick in die USA und zurück

Der Blick in die USA ist auf verschiedenen Ebenen relevant. Zum einen „machen wir ja (in der Regel) nach, was Amerika vormacht.“ (Kleber 30.11.2016)12 Deutschland ist mit den USA traditionell – geschichtlich, politisch, gesellschaft- lich, wirtschaftlich und kulturell – eng verbunden (auch wenn diese Verbundenheit auf politischer Ebene seit der jüngsten US-amerikanischen Präsidentschaftswahl auf die Probe gestellt wird). Das allein kann aber noch nicht der Grund sein, den Blick auf die Ereignisse nach Hurrikan Katrina 2005 in New Orleans zu lenken. So war 2005 noch nicht abzusehen, dass sich unter anderem durch die schnelle und intensive mediale Verbreitung von Berichten über urbane Katastrophen in Folge von extremen Naturereignissen eine öffentliche Debatte zu möglichen Auswirkun- gen des Klimawandels entwickelt, deren „Menschengemachtheit“ so mancher (noch) bestreiten möge, und um die Verletzlich- und Verwundbarkeit als auch eine Anpassungsfähigkeit unserer Städte. Städtische Widerstandsfähigkeit (resilience) steht auf dem Prüfstand, heißt es heute. Vor diesem Hintergrund kann diese Arbeit zur Beantwortung der Frage beitragen, wie stadtentwicklungspolitisch Verände- rung forciert werden kann. Denn erst einmal abgesehen von extremen Wetterlagen weltweit, die auch als Fluchtursache unterschätzt werden (Die Zeit 23.05.2017), werden auch in Deutschland Unwetter wie Starkregen oder Stürme heftiger und häufiger (Lobenstein 30.08.2017). Dadurch kann es immer wieder zu Über- schwemmungen von Städten und Regionen kommen.13 Auch, wenn es möglicher- weise nicht in dem Ausmaß wie in New Orleans, Houston oder Florida der Fall

12 Kleber hat dies vor dem Hintergrund der Bundespräsidentschaftswahl in Österreich 2016 bemerkt; eine Wahl, die er zudem als „Seismograph für Europa“ bezeichnete und an der „man sehen werde, wie die Schockwelle von der Wahl von Trump hier durchschlägt“. (Kleber 30.11.2016) 13 Unwetter in Deutschland im Juni 2016 in Niederbayern, Ende Juli 2017 (24.-26.07.2017) mit der Folge von Hochwasser vor allem im Harz (Wernigerode) (Die Zeit 28.07.2017; Lüdemann, Reimer 27.07.2017) oder Starkregen in Berlin im Sommer 2017. Der erste Herbststurm des Jahres 2017 (13.09.2017) war das Orkantief Sebastian im Norden und Westen Deutschlands, der Überschwem- mungen an der Elbe zur Folge hatte. In der Mündung und an der Nordfriesischen Küste wurden Was- serstände bis zu zwei Metern über dem mittleren Hochwasser gemessen. (Das Erste 14.09.2017)

43 sein wird, sind diesen Ereignissen dennoch stadträumliche Zerstörungen und Schä- den an Eigentum und Infrastruktur in Millionen- wenn nicht Milliardenhöhe (Far- kes 31.05.2017) zuzurechnen. Städte und Stadtregionen sollten sich in Anbetracht dessen – auch in Deutschland – auf die Sondersituation eines sogenannten Wieder- aufbaus einstellen. Dabei ist das Wissen nicht von Nachteil, wie lokale Reformfä- higkeit vor dem Hintergrund strategischer Stadtentwicklungsplanung zu Stande kommen kann – und zwar von einer Nation, der wir gewöhnlich „alles nachma- chen“ (Kleber 30.11.2016). Inwiefern in Zukunft noch von Sondersituationen die Rede sein wird, sei erst einmal dahingestellt.

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Teil B Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit

Nach Katastrophen treten in einigen Politikfeldern Veränderungen oder auch Re- formen ein, denen Reformfähigkeit vorausging. In anderen Politikfeldern verändern sich weder Strukturen noch politische Inhalte und Zielsetzungen. Inwiefern eine sogenannte Katastrophenbewältigung Reformfähigkeit und letztlich auch Verände- rung oder Reformen nach sich ziehen kann, steht für jedes Politikfeld aus zu unter- suchen. In dieser Arbeit wird das Politikfeld der Stadtentwicklung betrachtet. Denn bislang ist im Politikfeld der Stadtentwicklung Katastrophenbewältigung in der Forschungslandschaft unterbelichtet, obgleich sich nachfolgende Erkenntnisse zur Katastrophenbewältigung aus Forschung und Wissenschaft auf den urbanen Kon- text und somit auch auf das Politikfeld der Stadtentwicklung beziehen. In dieser Arbeit geht es um die Frage nach Bedingungen14, die im Rahmen einer längerfristi- gen Katstrophenbewältigung in Folge eines Naturereignisses im Politikfeld der Stadtentwicklung lokale Reformfähigkeit forcieren oder blockieren. Somit verortet sich diese Arbeit letztlich in zwei Themenfeldern theoretischer Forschung: den Erkenntnissen zur Katastrophenbewältigung (1) und der Reformfähigkeit (2).15 Wobei in dieser Arbeit unter Bewältigung bewusstes und unbewusstes kollektives Handeln, das ein Ergebnis nach sich zieht, verstanden wird. Fähigkeit bedeutet hier bewusstes und unbewusstes kollektives Handeln, das einem Ergebnis vorausgeht. Dieses bewusste und unbewusste kollektive Handeln bezieht sich somit auf Prozes- se, die in einem Politikfeld zu bestimmten Ergebnissen führen. Diese Arbeit be- trachtet vor diesem Hintergrund (im Teil D) stadtentwicklungspolitische Prozesse, um Bedingungen zu eruieren, die lokale Reformfähigkeit im Rahmen einer länger- fristigen Katastrophenbewältigung forcieren oder blockieren können. Das Vorha- ben trägt vor diesem Hintergrund zu einer weiteren Perspektive von Stadtentwick- lung nach Katastrophen bei und liefert auch eine Teilantwort zur Frage, wie sich

14 Der Terminus Bedingung ist in der Einleitung definiert. 15 Beide Themenfelder haben sich bislang nicht explizit als Forschungsfelder etabliert. So wurde die Recherche in erster Linie durch die Fragen geleitet, wie werden Katastrophen im urbanen Kontext bewältigt und wodurch kommt Reformfähigkeit zustande. Recherchiert wurde demnach in etablierten Forschungsfeldern; in der Katastrophenforschung und in der politikwissenschaftlichen Forschung zu Reformen.

46 moderne Städte von einer Katastrophe „erholen“ (post-disaster urbanism) (Vale, Campanella 2005: 5).

Ein erstes Ergebnis der Analyse der Fachliteratur sind vier theoretische Erkenntnis- se, die eine erste Stufe des Forschungsstandes deutlich machen. In diesen Erkennt- nissen wird der derzeitige Stand eines Zusammenhangs zwischen einer „Katastro- phe“ und „Reformen“ aufgezeigt. So dienen diese Erkenntnisse als Einstieg zur Bearbeitung der Fragestellung nach Bedingungen, unter denen Reformfähigkeit im Rahmen von Katastrophenbewältigung zustande kommt. Als erste Erkenntnis lässt sich aus dem Forschungsstand ableiten, dass Reformen möglich sind, wenn eine Katastrophe aufgetreten ist, da sich neuer Handlungsspielraum eröffnet: Unmittel- bare Katastrophensituationen können eine Chance sein, um den Katastrophen- schutz, den Städtebau oder die Infrastruktur zu „verbessern“; um soziale Gerech- tigkeit, ökonomische Umstrukturierungsmaßnahmen oder eine Reform des poli- tisch-administrativen Systems voranzutreiben (Olshansky et al. 2008: 274). Unmit- telbar nach einer Katastrophe ist es Ziel des lokalen Staates politisch Reformfähig- keit zu demonstrieren: Lokalregierungen sprechen stets von einem Wiederaufbau „to make this city better than ever“ (Haas, Kates 1977: XV). Eine Stadt ist aber erst mittelbar nach der Katastrophe „reformfähig“, wenn sie von einer Katastrophe betroffen ist. Erst dann entsteht Handlungsspielraum, weil Kräfte mobilisiert wer- den und neue Koalitionen entstehen. Schon Haas et. al (1977) erkennen dieses Phänomen in einer zeitlich späten Phase von Katastrophenbewältigung, also mit- telbar nach dem Katastrophenereignis. Diese Phase wurde neben drei vorangegan- gen Phasen der Katastrophenbewältigung im Model of Recovery Activity herausge- arbeitet als Phase von „betterment, development, remembrance“. (Haas, Kates 1977) Festgestellt wurde also, dass Katastrophenereignisse den Politikprozess be- einflussen. Sie können die politische Agenda und letztlich öffentliche Politiken verändern (Birkland 1997; Saltman 2007: 1; Pelling, Dill 2006). Rozario (2005) bezeichnet Katastrophen gar als instruments of progress. Vale et al. (2005: 139– 140) interpretieren Zerstörung als Möglichkeit, reformerisch tätig zu werden. Nach Klein (2007) werden radikale strukturreformerische Projekte oder gar „Geisteshal- tungen überlokaler Ebenen“ vor dem Hintergrund einer Katastrophe schlagartig durchgesetzt. Denn sie werden legitim und genießen Opportunität, da das lokalpoli- tische System geschwächt ist und sich in einem „Schockzustand“ befindet. (Klein

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2007, vgl. Umbau des Schulsystems in New Orleans) Dieses window of opportuni- ty16 wird von Akteuren unterschiedlicher Handlungsfelder genutzt. Nach Bates (1963) verursache eine Katastrophe eine Beschleunigung von Veränderungen. Da Bates eine Katastrophe als einen sozialen Prozess ansieht, der soziale Strukturen der Gesellschaft nachhaltig beeinflusst, verursache auch eine Katastrophe Ände- rungen in einem Sozialsystem, die sich bereits angedeutet hatten. Durch bislang existierende Sozialstrukturen sind Veränderungen bisher aufgestaut worden. Dieser Status quo wird also durch eine Katastrophe gebrochen. (Bates 1963)

Als zweite Erkenntnis ist die Stadt nicht reformfähig, wenn sie unmittelbar von einer Katastrophe betroffen ist und es ihr „schlecht“ geht. Strukturen und Kräfte sind zu „schwach“ und werden eher für den „alltäglichen“ Wiederaufbau bezie- hungsweise den Aufbau der Grundversorgung gebraucht. Vale (2005: 346-354) spricht in diesem Zusammenhang von einem Beharrungsvermögen städtischer Wi- derstandsfähigkeit. Im Umkehrschluss hieraus ergibt sich die dritte Erkenntnis, nämlich, dass eine Stadt reformfähig ist, wenn es ihr wieder „gut“ geht und sie nicht unmittelbar von einer Katastrophe betroffen ist. Der „Alltag“ in dieser Stadt kann wieder uneingeschränkt ablaufen und Kräfte können für „Neues“ eingesetzt werden. Viertens ist eine Stadt auch nicht reformfähig, wenn sie nicht von einer Katastrophe betroffen ist und es ihr zu „gut“ geht. Diese Erkenntnis erscheint erst einmal diametral zur zweiten Erkenntnis, weist aber auf den Problemdruck hin (statt auf den Zeitfaktor wie oben): Eine Stadt ist in diesem Fall nicht reformfähig, da die „Probleme“ zu klein sind, um neue Strukturen zu schaffen, die sich als rela- tiv stabil erweisen und funktionieren (vierte Erkenntnis). Nach Judd (2000) ist der „Problemdruck“ einer Stadt vergleichsweise gering, wenn es einer Stadt „gut“ geht, so dass sie auch in geringerem Maße Reformkonzepte überhaupt erst hervorbringt.

16 Den Begriff prägten March, Cohen und Olsen (1972) im Rahmen ihres sogenannten Garbage-Can- Modells. Es beschreibt modellhaft das Entscheidungsverhalten von Organisationen und kann zur Analyse von politischen Entscheidungsfindungsprozessen genutzt werden. Cohen et al. (1972) nennen als Bedingungen drei Strömungen (problem stream, policy stream, political stream), deren Zusam- mentreffen ein derartiges „window of opportunity“ schaffen, um ein Problem zu lösen oder eine Situation zu verbessern (Multiple Streams Framework). (vgl. auch Kingdon 1995)

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Abbildung 1: Stand der Forschung zum „groben“ Zusammenhang zwischen Katastrophe und Reformen (eigene Darstellung).

Diese vier Erkenntnisse widersprechen sich zunächst vermeintlich. Wenn aller- dings die zeitliche Dimension (unmittelbar nach der Katastrophe und mittelbar beziehungsweise längerfristig) und der Faktor „Problemdruck“ einbezogen wer- den, wie oben bereits angedeutet, widersprechen sich die Erkenntnisse letztlich nicht mehr. Die Erkenntnisse eins und zwei können als aufeinanderfolgende Pha- sen einer Katastrophenbewältigung interpretiert werden: Unmittelbar nach der Ka- tastrophe sind erst einmal keine Reformen möglich, da die Grundversorgung zu- nächst hergestellt werden muss (zweite Erkenntnis, im Umkehrschluss implizit dritte Erkenntnis). Längerfristig sind Reformen möglich, da die Grundversorgung nun wieder gesichert ist und neue Kräfte mobilisiert werden können (erste Er- kenntnis). Die vierte Erkenntnis thematisiert in erster Linie den Problemdruck, dem eine Stadt erst einmal bis zu einem gewissen Grad ausgesetzt sein muss, um Re- formen hervorzubringen.

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Insgesamt wird allerdings deutlich, dass diese Erkenntnisse nur einen ersten An- satzpunkt (den Problem- und Handlungsdruck) hinsichtlich der Frage liefern, in- wiefern sich im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewältigung im Politik- feld der Stadtentwicklung lokale Reformfähigkeit widerspiegelt und welche Bedin- gungen substanziell-materielle und strukturell-prozessuale lokale Reformfähigkeit in diesem Zusammenhang forcieren oder blockieren (Fragestellung der Arbeit). Deshalb liegt das Augenmerk in den nachfolgenden zwei Teilkapiteln auf der Fra- ge nach Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren und blockieren. Im ersten Teilkapitel wird der Forschungsstand theoretischer Zugänge diesbezüglich vor dem Hintergrund von Katastrophenbewältigung aufgezeigt. Anschließend wird im zwei- ten Teilkapitel der Stand der Forschung theoretischer Zugänge hinsichtlich Re- formfähigkeit herausgefiltert.

Abbildung 2: Theoretische Zugänge der Forschungsrichtungen Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit (eigene Darstellung).

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B.I Katastrophenbewältigung

Tritt eine Katastrophe in Folge eines Naturereignisses im urbanen Kontext auf, ist im Rahmen der Arbeit in diesem Teilkapitel von Interesse, inwiefern und wie auf lokaler Ebene in Handlungsfeldern des Politikfeldes der Stadtentwicklung eine Katastrophe in westlichen Industrienationen bewältigt wird (Wie wird mit urbanen Katastrophen kollektiv umgegangen?). Die Aufarbeitung des Forschungsstandes zur Katastrophenbewältigung soll in Bezug auf die Fragestellung der Arbeit insge- samt zeigen, inwiefern es Hinweise darauf gibt, dass eine Stadt nach einer Kata- strophe reformfähig ist und somit Reformen und im weitesten Sinne Veränderun- gen möglich sind. Aufgrund dessen werden sich in diesem Teilkapitel Erkenntnisse in Bezug auf Reformfähigkeit und „Veränderung“ bereits andeuten. Am Ende des Teilkapitels werden diese dann kurz zusammengefasst. Folgende Fragen stehen in diesem Teilkapitel im Mittelpunkt (Unterfragen des Kapitels):

• Welche Merkmale werden in Bezug auf das Politikfeld der Stadtentwicklung nach einer Katastrophe infolge eines Naturereignisses im urbanen Kontext deutlich? (Merkmale von Wiederaufbau und Widerstandsfähigkeit) • Inwiefern lassen diese Merkmale Bewältigungsstrategien durchscheinen, die aufzeigen, wie längerfristig lokal mit Katastrophen in urbanen Kontexten um- gegangen wird? • Inwieweit werden dabei Akteurskonstellationen (von Akteuren aus Staat, Markt und Zivilgesellschaft und möglicherweise deren Zusammenwirken) deutlich, die in stadtentwicklungspolitischen Handlungsfeldern nach einer Ka- tastrophe infolge eines Naturereignisses aktiv sind und an Produkten und Pro- zessen der Stadtentwicklung arbeiten? • Inwiefern zeigen Erkenntnisse von Katastrophenbewältigung Bedingungen auf, die lokale Reformfähigkeit nach Katastrophen in Bezug auf das Politikfeld der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren?

Ziel dieses Teilkapitels (B I) ist es, Erkenntnisse von Forschungsrichtungen darzu- stellen, die nützlich für eine Annäherung an Katastrophenbewältigung im urbanen Kontext sind. Darüber hinaus ist es Ziel dieses Teilkapitels herauszufinden, inwie- fern eine Katastrophenbewältigung bereits Hinweise auf Bedingungen von Reform-

51 fähigkeit bereithält. Nachfolgend werden zunächst Prämissen der Arbeit vorge- stellt, die Begriffe Katastrophe und Katastrophenbewältigung definiert sowie Di- mension von Katastrophenbewältigung zusammengetragen (1). Anschließend wer- den verschiedene Forschungsstränge in Bezug auf Katastrophen und deren Bewäl- tigung aufgezeigt und vertiefend Erkenntnisse zur längerfristigen Katastrophenbe- wältigung dargestellt. Da Gegenstand dieser Arbeit ein räumlich gesamtstädtischer Wiederaufbau ist, der sich auf Handlungsfelder des Politikfeldes der Stadtentwick- lung auswirkt, werden hier u.a. Erkenntnisse zu Wiederaufbauprozessen von Vale und Campanella genutzt. (Vale, Campanella 2005: 12–13) (2). In einem Zwischen- fazit (B I 3) werden aus dem vorangegangenen Unterkapitel (B I 2) zunächst die Faktoren zusammengefasst, die zu einer Katastrophenbewältigung vor dem Hinter- grund von Wiederaufbau und dem Konzept von Urbaner Resilienz beitragen. Die Art des Zusammenwirkens der Sphären Staat, Markt und Zivilgesellschaft, die eine Katastrophenbewältigung beeinflussen, steht dabei in Frage. Darüber hinaus wer- den als zentrales Ergebnis dieses Teilkapitels Hinweise auf Bedingungen von Re- formfähigkeit herausgearbeitet. Dieser Befund ist ein erster Ansatzpunkt zur Be- antwortung der Fragestellung dieser Arbeit. Abschließend wird ein Untersuchungs- rahmen vorgestellt, der sich ebenfalls aus den Befunden des vorangegangenen Un- terkapitels (B I 2) ableitet. (3)

B I.1 Katastrophe als Gelegenheitsfenster: Prämissen der Arbeit, Definitionen sowie Ziele und Dimensionen von Katastrophen- bewältigung

Prämissen der Arbeit: Nachfolgende Erkenntnisse aus dem derzeitigen For- schungsstand stellen die Grundlage dieser Arbeit dar: Erstens zerstört ein Naturer- eignis, das eine urbane Katastrophe nach sich zieht, die Stadt in den meisten Fällen nicht vollständig. Zweitens legt eine Katastrophe städtische Probleme einerseits, aber auch städtische Errungenschaften andererseits offen. Der Erfolg der Katastro- phenbewältigung hängt unter anderem auch vom Zustand der Stadt vor dem Ereig- nis ab. Drittens werden die meisten Städte sogenannter westlicher Industrienatio- nen nach einem Naturereignis, das eine urbane Katastrophe nach sich zieht, wie-

52 der- und neu aufgebaut. Diese Städte sind demnach erst einmal gegenüber Kata- strophen „widerstandsfähig“ (vgl. Urbane Resilienz in diesem Teilkapitel).

Katastrophe und Katastrophenbewältigung: Abgeleitet aus theoretischen Zugängen von Katastrophenbewältigung (Teil B) wird als Katastrophe eine relativ plötzlich auftretende gesellschaftliche Krisensituation verstanden, die unmittelbar durch ein Naturereignis17 ausgelöst wurde und so im urbanen Kontext unmittelbar zu über- dimensionierten sozialen, sozialräumlichen, ethnischen, ökonomischen und ökolo- gischen Problemen führt (vgl. auch Ramroth 2007: viii). Eine Katastrophe wird insbesondere dann öffentlich thematisiert, wenn oben genannte Probleme in der Folge eines Naturereignisses besonders augenfällig sind. Eine urbane Katastrophe zeigt sich in dieser Arbeit als Gelegenheitsfenster oder window of opportunity im Sinne einer Gelegenheitsstruktur, die im Ergebnis Veränderung zur Folge hat. Als Katastrophenbewältigung werden in dieser Arbeit – bewusst und auch unbewusst – angewandte Strategien bezeichnet, die längerfristig nach einem Naturereignis, das eine Katastrophe nach sich zog, verfolgt werden. Was wird also wie getan, um der Katastrophe zu begegnen? „Bewältigung“ impliziert demnach ein aktives – be- wusstes oder unbewusstes – Handeln und bezieht sich somit auf einen Prozess, der in einem Politikfeld einem Ergebnis vorausgeht. Mit diesem bewussten oder unbe- wussten Handeln wird entweder schnell die Situation angestrebt, die vor dem Er- eignis den urbanen Kontext bestimmte. Mit diesem bewussten oder unbewussten Handeln kann aber auch längerfristig Veränderung in Handlungsfeldern des Poli- tikfeldes der Stadtentwicklung forciert werden. Veränderung wird grundsätzlich in diesem Zusammenhang als Anzeiger von Reformfähigkeit betrachtet. Ist substanzi- ell-materiell oder strukturell-prozessual keine Veränderung zu erkennen, kann auch keine Reformfähigkeit attestiert werden. Lokale Reformfähigkeit erwirkt insofern Veränderung. Dieser Prozess des Zusammenwirkens von Akteuren kann dann im strukturellen Kontext lokale Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung widerspiegeln.18 Konkretere Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren, werden für den Fall New Orleans in dieser Arbeit herausgearbeitet.

17 Feuer, Erde (Vulkanausbrüche), Wind (Hurrikans, Tornados) und Wasser sind die vier Kräfte, die Naturereignisse und folglich für den Menschen Katastrophen auslösen können (Ramroth 2007: viii). 18 Reformfähigkeit ist genauer im zweiten Teilkapitel definiert.

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Eine unbewusst angewandte Handlungsstrategie kann auch erst ex post als solche erkannt werden. Als Strategie wird hier das Ergebnis eines rationalen Suchprozes- ses nach Mitteln verstanden, die von einer gegebenen Ausgangssituation zu einem formulierten Ziel führen. Strategien machen insofern Handlungsalternativen deut- lich und definieren Entscheidungssituationen. (Wiechmann 2008: 274–275) Auch institutionelles Handeln und Anstrengungen einzelner Akteure mit dem Ziel, die Katastrophe zu bewältigen, werden in diesem Zusammenhang als Strategie be- zeichnet. Colten (2008: 4) liefert eine Definition von disaster recovery, die in die- sem Promotionsvorhaben als eine detailliertere Beschreibung von Katastrophen- bewältigung interpretiert wird: Disaster recovery und deren Planungs- und Umset- zungsprozesse sind zeitlich als Phase zu betrachten und aufgrund dieser „Länger- fristigkeit“ auch Gegenstand dieser Arbeit: Die Phase des disaster recovery, die vor dem Hintergrund dieser Arbeit als Katastrophenbewältigung verstanden wird, be- zieht sich nach Colten (2008) auf langfristige Bedürfnisse von Katastrophenopfern und ihrer Quartiere und somit auf die gebaute Umwelt und soziale Fragen nach einem derartigen Ereignis. Diese Phase beinhaltet institutionelle Bemühungen, die Katastrophenopfer und ihre zerstörten Nachbarschaften unterstützen.19 Darüber hinaus umfasst die Phase von disaster recovery im Allgemeinen institutionelle Bemühungen, Bewohnern eine Rückkehr zu ermöglichen und die gebaute Umwelt mit wesentlichen Gütern und Dienstleistungen des städtischen Lebens wie Wohn- raum, Handel, Infrastruktur und Verkehrswege wieder aufzubauen. (Colten et al. 2008: 4)

Strategien, Ziele und Dimensionen von Bewältigung: Geht es in diesem Kapitel um Strategien – also wie Städte Katastrophen bewältigen, hält die Forschung – zu- nächst relativ wage – Erkenntnisse bereit. Im Rahmen einer Katastrophenbewälti- gung im urbanen Kontext werden eher zwei grundsätzliche Ziele verfolgt: Die Stadt soll so schnell wie möglich wiederaufgebaut werden wie „bisher“ (Wieder- aufbau). Sie soll aber gleichzeitig auch „anders“ aufgebaut werden (Umbau oder Neuaufbau). In dieser Arbeit wird die Situation nach einem Ereignis als „außerall-

19 Zu den Bemühungen gehören die Identifizierung von Todesopfern und die Wiederherstellung von sozialen und ökonomischen Aktivitäten. Zu letzterem gehören beispielsweise eine Unterstützung von familiären und sozialen Netzwerken, einer Einkommensgenerierung, von Ausbildung und Kultur oder eine Unterstützung von notwendigen finanziellen und medizinischen Dienstleistungen. (Colten et al. 2008: 4)

54 täglich“ definiert, die nicht nur städtische Probleme offenlegt. Diese Situation wird somit auch als Chance verstanden, wieder aufzubauen und auch neu aufzubauen. Drei Dimensionen von Bewältigungsstrategien unterschiedlicher städtischer und stadtpolitischer Akteure und Institutionen können nach einer Katastrophe im urba- nen Kontext aus dem bisherigen Forschungsstand abgeleitet werden: die Dimensi- on einer technologischen Bewältigungsstrategie, beispielsweise in Bezug auf ein robustes Hochwasserschutzsystem, die Dimension einer planerischen Bewälti- gungsstrategie, wie neue Bauverordnungen, die eine Bauweise mit Stein statt Holz oder eine Aufständerungen von Gebäuden vorschreiben, und die Dimension einer finanziellen Bewältigungsstrategie. Die finanzielle Bewältigungsstrategie bildet die Grundlage für die beiden erst genannten Dimension (staatliche Fördermittel, finan- zielle Mittel von Stiftungen, Philanthropen etc.). Die Dimension der planerischen Bewältigungsstrategie steht in dieser Arbeit im Mittelpunkt.

B I.2 Mittelbar längerfristige Bewältigung von Katastrophen

Nachfolgende Erkenntnisse von Forschungsrichtungen geben Hinweise in Bezug auf eine Bewältigung von Katastrophen. Vor diesem Hintergrund wird diese Arbeit „verortet“ und herausgestellt, dass sich die Frage nach Bedingungen von Reform- fähigkeit in Handlungsfeldern des Politikfeldes der Stadtentwicklung auf einen längeren Zeitraum nach der Katastrophe bezieht und deshalb der Fokus dieses Ka- pitels auf einer mittelbar längerfristigen Bewältigung von Katastrophen liegt.

Katastrophen werden nach verschiedenen Kriterien kategorisiert (Vale, Campanella 2005: 6). Zu den Kriterien zählen zum Beispiel der Zeitpunkt oder die Zeitspanne und die Ursache einer Katastrophe: So können Katastrophen relativ plötzlich nach einem natürlichen Ereignis oder relativ plötzlich nach einem Ereignis auftreten, bei dem ursächlich der Mensch beteiligt ist. Katastrophen können sich aber auch über längere Zeit anbahnen, wie es beispielsweise das Schicksal vieler US- amerikanischer Städte im sogenannten Rust Belt aufgrund einer ökonomischen Krise zeigt. (Vale, Campanella 2005: 5–7) Die vorliegende Arbeit verortet sich bei einem natürlichen Ereignis, dass im urbanen Kontext relativ plötzlich eine Kata- strophe nach sich zog, die grundsätzlich der Mensch verursacht hat.

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Zudem konzentriert sich diese Arbeit auf die längerfristige Bewältigung einer Ka- tastrophe: Anstrengungen von Staat, Markt und Zivilgesellschaft, eine Katastrophe auf lokaler Ebene zu bewältigen, werden selbstverständlich in der Regel unmittel- bar nach einer Katstrophe unternommen. Die unmittelbaren Folgen eines Naturer- eignisses (beispielsweise der Grad der baulich räumlichen Zerstörung), die eine Katastrophe nach sich ziehen, stellen in dieser Arbeit ausschließlich den Anlass dar; diese Folgen sind selbst aber nicht Gegenstand der Arbeit. So unterscheidet diese Arbeit analytisch grob zwei Richtungen von Katastrophenbewältigung: eine unmittelbare Bewältigung einer Katastrophe, bei der die allgemeine Grundversor- gung einer Stadt wiederhergestellt wird20 und eine Bewältigung, die längerfristig von Institutionen und Akteuren beispielsweise im Rahmen des Politikfeldes der Stadtentwicklung nach einer Katastrophe getragen werden. Letzt genannte ist im Sinne des Forschungsinteresses für diese Arbeit von besonderer Relevanz. Denn die Frage nach Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit in Handlungsfeldern im Politikfeld der Stadtentwicklung bezieht sich auf einen längeren Zeitraum nach der Katastrophe. Maßnahmen zur Beseitigung unmittelbarer Folgen einer Katastrophe sind dann bereits eingeleitet, so zum Beispiel die Sicherung der Grundversorgung. Möglicherweise spiegeln diese längerfristigen Anstrengungen sogar Strategien in Hinblick auf eine leitbildorientierte Stadtentwicklungspolitik wider, die als ein Ergebnis von Bewältigung bewertet werden könnten.

Unmittelbare Bewältigung von Katastrophen: Bevor auf die längerfristige Kata- strophenbewältigung ausführlicher eingegangen wird, sollen an dieser Stelle kurz zwei Forschungsrichtungen vorgestellt werden, die Beiträge zur Katastrophenfor- schung liefern und bedeutsam sind, wenn es um die unmittelbare Bewältigung einer Katastrophe geht: Ein sozialwissenschaftlicher Strang konzentriert sich auf individuelles und nachbarschaftliches pro-soziales Verhalten (Quarantelli 1978) und erkennt, dass soziale Strukturen in Krisensituationen beharrlich sind, diese aber auch vor diesem Hintergrund modifiziert werden können (Kreps, Bosworth 1994).

20 In Bezug auf den Fall New Orleans vgl. Colten et al. 2008: 10–12; Stehr 2006, 2008; Dreier 2006; Strupp 22.03.2006

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Abbildung 3: Verortung der Arbeit (Elipse) (eigene Darstellung).

Als zweiter Forschungsstrang hält das unmittelbare Katastrophenmanagement Lek- tionen im Handbuchcharakter bereit und spiegelt neben Katastrophenabwehr und Katastrophenmanagementorganisation geschichtliche und aktuelle Ansatzpunkte zum Notfallmanagement der USA (Lindell et al. 2007; vgl. auch Goel 2008); eine Forschungsrichtung, die in dieser Arbeit eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Poli- tikwissenschaftliche und fallstudienorientierte Untersuchungen der Beziehung von Staat, Markt und Zivilgesellschaft in diesem Bereich haben bislang keinen konkre- ten stadtentwicklungspolitischen Bezug und beziehen sich auch nicht auf einen längerfristigen Wiederaufbau. Sie bauen aber auf der These auf, dass sich Kata- strophen auf die Beziehung zwischen Staat und Zivilgesellschaft in jedem Falle auswirkt (Özerdem, Jacoby 2006). Grundsätzlich kann zivilgesellschaftliche Akti- vität nach einem Ereignis, das eine Katastrophe zur Folge hat, in unterschiedlichen Phasen und Politikfeldern mit ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern und Zielen gefasst werden: Unmittelbar nach einem Ereignis, das eine Katastrophe zur Folge hat, ist in einer ersten Phase eine Vielzahl von zivilgesellschaftlichen (Hilfs-)Orga-

57 nisationen und Freiwilligen mit dem Ziel aktiv, die humanitäre Situation vor Ort zu verbessern (NGOs wie das Rote Kreuz) und die Wiederherstellung der städtischen Grundversorgung zu unterstützen (temporärer und permanenter Wohnraum). (vgl. u.a.Simo, Bies 2007)

Mittelbar längerfristige Bewältigung von Katastrophen: Institutionelles Handeln und das Handeln einzelner Akteure (im Kontext einer Institution oder Organisati- on), das nach einer Katastrophe längerfristige Auswirkungen auf die Gesamtstadt hat und das somit im Politikfeld der Stadtentwicklung auch längerfristig eine Kata- strophe bewältigt, sind in dieser Arbeit von Interesse. So werden planerisch struk- turell-prozessuale Ergebnisse dieses Handelns (wie partizipative Verfahrenswei- sen) und substanziell-materielle Ergebnisse dieses Handelns (wie beispielsweise stadtweite Planwerke und somit auch Leitbilder, Ziele, Instrumente, Programme oder Projekte) längerfristig erarbeitet und spiegeln insofern eine längerfristige Be- wältigung der Katastrophe wider. In diesem Rahmen werden Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren herausgearbeitet werden. So werden ggf. auch strukturelle Mechanismen und Handlungsweisen deutlich (vgl. Ansatz vonKingdon 1995) oder gar eine längerfristige leitbildorientierte Stadtentwick- lungspolitik.

Vor dem Hintergrund der mittelbar längerfristigen Katastrophenbewältigung sind für diese Arbeit vier theoretische Zugänge relevant, um den Stand der Forschung und Merkmale von Stadtentwicklung nach einer Katastrophe zu verdeutlichen: Erkenntnisse für eine längerfristig mittelbare Katastrophenbewältigung hält der theoretische Zugang des städtischen und stadträumlichen Wiederaufbaus bereit, in dem vor allem verschiedene Phasen eines Wiederaufbaus und Faktoren, die den Grad und das Tempo eines Wiederaufbaus beeinflussen, deutlich werden (erster theoretischer Zugang, Unterkapitel 2.1). Daran knüpfen Erkenntnis von Fallstudien an. Diese Fälle werden als „erfolgreich“ in Bezug auf eine Katastrophenbewälti- gung in der US-amerikanischen Geschichte beschrieben. Dabei werden einerseits US-amerikanische Besonderheiten und andererseits Faktoren deutlich, die zur Be- wältigung beitragen. (zweiter theoretischer Zugang, Unterkapitel 2.2) Die in Rela- tion dazu jungen theoretischen Zugänge von Widerstandsfähigkeit (resilience) und Verletzlichkeit (vulnerability) spielen in dieser Arbeit im Kontext von Katastro-

58 phenbewältigung ebenfalls eine Rolle. Urbane Resilienz leistet einen Beitrag zu der Frage, wie sich eine Stadt nach einem Katastrophenereignis „erholt“ (Unterkapitel 2.3). Der theoretische Zugang Verletzlichkeit von Städten (vulnerability) wird an dieser Stelle nur kurz angesprochen, da die Erkenntnisse dieser Forschungsrichtung für diese Arbeit nur insofern relevant sind, als dass urbane Katastrophen unter an- derem aufgrund einer urbanen Verletzlichkeit auftreten. Abschließend werden For- schungsfragen und Forschungslücken in Bezug auf Wiederaufbauprozesse und städtische Widerstandsfähigkeit zusammengefasst und die Anknüpfungspunkte an die vorliegende Arbeit deutlich gemacht (Unterkapitel 2.4).

Abbildung 4: Längerfristige Katastrophenbewältigung theoretische Zugänge (eigene Darstellung).

2.1 US-amerikanische Katastrophenbewältigung in Chicago (1871) und San Francisco (1906 und 1989)

Die Erläuterung von Kennzeichen der Wiederaufbauprozesse von Chicago nach dem großen Brand 1871 und San Francisco nach den Erdbeben in den Jahren 1906 und 1989 in diesem Teilkapitel erscheint wertvoll, da auch diese beiden Städte – so wie die Stadt New Orleans nach Katrina 2005 – gesamtstädtisch betroffen waren und eine Katastrophenbewältigung im urbanen Kontext notwendig war. Zudem wird der Wiederaufbau der Städte Chicago und San Francisco als Erfolgsgeschich- te gehandelt, die gut dokumentiert ist, so dass trotz des teilweise tiefen Blicks in

59 die Geschichte Kennzeichen US-amerikanischer Katastrophenbewältigung deutlich werden und sich Bedingungen von Reformfähigkeit abzeichnen. Sofern der derzei- tige Forschungsstand Erkenntnisse in Bezug auf die Stadt New Orleans bereithält, fließen diese unmittelbar in dieses Teilkapitel ein.

Der große Brand von Chicago im Jahre 1871 und die Erdbeben von 1906 und 1989 in San Francisco sind Ereignisse in der US-amerikanischen Geschichte, die eine Katastrophe im urbanen Kontext nach sich zogen und somit eine Katastrophenbe- wältigung notwendig machten. Auf den ersten Blick mögen der Wiederaufbau von San Francisco und Chicago mit dem in New Orleans nichts gemein haben. Denn den Wiederaufbau in New Orleans mag in erster Linie das Gegenteil von dem kennzeichnen, was die Geschichte über die Wiederaufbauprozesse in San Francisco und Chicago erzählt. Deren Kennzeichen sind: schnell, marktgetrieben durch ein- flussreiche Unternehmer, die sogenannten „city booster“, und erfolgreich für die Arbeiterklasse und ethnische Gruppen. Sie protestierten gegen staatliche Regulie- rungsbemühungen und forderten den Aufbau einer „neuen“ Stadt ein. (Vale 2006: 150) In beiden Städten fand, so die gängige Geschichtsschreibung, gewissermaßen ein „Vorzeige-Wiederaufbau“ statt. Nichtsdestoweniger gibt es Hinweise darauf, dass die stadtpolitischen Muster denen im Fall von New Orleans verwandt sind.

Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn die Ereignisse in Chicago und San Francisco mit denen in New Orleans in vier groben Untersuchungskategorien ge- genübergestellt werden und diese über die Einzelfälle hinaus Auskunft über US- amerikanische Stadtentwicklungspolitik geben. Diese Kategorien werden in dieser Arbeit für eine Einordnung der Katastrophenbewältigung in New Orleans in der Gegenüberstellung zu Chicago und San Francisco als handlungsleitend betrachtet und spiegeln sich inhaltlich im empirischen Teil der Arbeit wider: Ausgangs- und Rahmenbedingungen, Planungsphilosophie, Leitbilddebatten und Reformbestre- bungen, Merkmale von Governance.21

21 Ausgangs- und Rahmenbedingungen = Empirie: Ausgangssituation, stadtentwicklungspolitischer Kontext und Auslöser; Planungsphilosophie = Empirie: Gesamtstädtische strategische Ziele; Leitbild- debatten und Reformbestrebungen = Empirie: Entwicklungsprozess des Strategieplans mit Identifika- tion von Entscheidungspunkten in Bezug auf lokale Reformfähigkeit; Merkmale von Governance = Empirie: Prozessergebnis mit Argumenten zur Durchsetzung oder Nichtdurchsetzung des Planes und verfügbaren Wiederaufbauressourcen

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2.2.1 Ausgangs- und Rahmenbedingungen für einen Wiederaufbau

Das schwere Erdbeben in San Francisco (1906) und der große Brand in Chicago (1871) waren Ereignisse, die in großem Umfang privates Eigentum zerstörten (Ro- zario 2005: 28). Beide Ereignisse unterscheiden sich in Bezug auf den politischen Kontext und die ökonomischen Rahmenbedingungen von New Orleans. Trotzdem sind Phänomene, die in der Folge dieser Ereignisse stattfanden, auch nach Katrina an der Golfküste wiedererkennbar. (Vale 2006: 150) Das betrifft in erster Line die Ausgangsbedingungen des Wiederaufbaus, vor dem Chicago, San Francisco und New Orleans gleichermaßen standen: Erstens wurde die Machbarkeit und Sinnhaf- tigkeit eines Wiederaufbaus nach der Katastrophe politisch nicht ernsthaft und konsequent angezweifelt. Das spiegelt nach Smith das US-amerikanische Selbst- bewusstsein wider, das sich in der besonderen amerikanischen „Can-do-Haltung“ ((Smith 1995) zit. in Vale 2006: 150 ausdrückt. Zweitens sind die städtischen Prob- leme und Herausforderungen heute in New Orleans denen der beiden anderen Städ- te ähnlich: Die Ereignisse in San Francisco deckten im Jahre 1906 ebenso wie in New Orleans die Verletzlichkeit der Umwelt, eine korrupte Lokalregierung und einen weit verbreiteten Rassismus auf. (Birch 2006: 133) Auch in der Chicagoer Wiederaufbauzeit wurde kontrovers über Fragen diskutiert, die nach Katrina ähn- lich auftraten wie beispielsweise Eigentumsrechte, Klassenfragen oder Spannungen zwischen ethnischen Gruppen (Vale 2006: 150).

2.2.2 Planungsphilosophie: Ökonomischer Imperativ als Credo US-amerika- nischer Katastrophenbewältigung

Im Rahmen der Wiederaufbauprozesse in den drei Städten sollten und sollen neue Vorschriften für den baulich räumlichen Wiederaufbau eingeführt werden: in San Francisco und Chicago Feuerschutzmaßnahmen; in New Orleans z.B. Verordnun- gen zur Sicherung des Überschwemmungsschutzes (Vale 2006: 150). Postuliert wurde der Aufbau einer „besseren“ Stadt. Ziel war es, die Stadt als ökonomischen Standort zu sichern und Standortvorteile zu entwickeln. Dadurch verschärften sich allerdings Klassenunterschiede, da bezahlbarer Wohnraum durch die Katastrophe in großem Maße zerstört wurde. Eine verstärkte staatliche Regulierung bedeutete

61 beispielsweise für die Arbeiterklasse, dass die Bezahlbarkeit von Wohnraum sin- ken würde, da sich Einkommensschwache diesen neuartigen Wohnraum weniger leisten konnten (vgl. v.a. Chicago). (Vale 2006: 151)

Wiederaufbau wurde also in erster Linie vorangetrieben, um die Stadt als Wirt- schaftsstandort zu sichern. Das zeigt ich vor allem an dem Zusammenwirken von Staat und Markt nach den jeweiligen Ereignissen. So baute etwa „der Markt für den Markt“ aufgrund einer starken laissez-faire-Haltung des Staates. Der Wiederaufbau San Franciscos (1906) fand innerhalb von vier Jahren statt und wurde fast vollstän- dig von Privatpersonen und Unternehmen vorangetrieben. (Kahn 1979 zit. in Vale 2006: 153) In Chicago handelten die lokalen und überlokalen staatlichen Füh- rungsebenen schnell und entschieden, so dass Bündnisse aus Staat und Privatwirt- schaft gebildet wurden, die eine unmittelbare Katastrophenhilfe organisierten und den längerfristig angestrebten Wiederaufbau vorantrieben. Auch der Wiederaufbau von San Francisco nach dem Erdbeben 1989 spiegelte diese Haltung wider: Strate- gische Entscheidungen der Lokalpolitik zur Investitionsförderung beeinflussten den Wiederaufbau maßgeblich. Die öffentliche Infrastruktur wurde mithilfe einer finanziellen Unterstützung durch die Bundesregierung instand gesetzt und private Investitionen dadurch stimuliert. Investitionen von Unternehmen, auch Philanthro- pen und weiteren Akteuren aus dem privaten Sektor spielten somit eine wesentli- che Rolle im Wiederaufbau von San Francisco. Das Ergebnis sei eine „gut ausge- stattete Stadt des 21. Jahrhunderts“, die die „modernen ökonomischen Herausfor- derungen“ annehme. (King 17.10.2004 zit. in Birch 2006: 144) Auch Chicagoer Eliten aus dem Unternehmenssektor verfolgten einen schnellen Wiederaufbau, um wirtschaftliche Erträge zu generieren, die Chicago zu einer „neuen“ und „besseren“ Metropole machten (Rozario 2005: 40).

Auch wenn die Wiederaufbaubemühungen in New Orleans nicht mit einer derartig hohen Geschwindigkeit und Entschlossenheit erfolgen wie in San Francisco oder Chicago, so wurde doch ebenfalls der ökonomische Imperativ im Sinne eines marktgetriebenen Wiederaufbaus verfolgt. Das wurde beispielsweise an den Initia- tiven privater Unternehmer (Canizaro 16.02.2017; Bollinger 14.02.2017) oder den gesamtstädtischen Planwerken deutlich, die seit Hurrikan Katrina erarbeitet wurden (vgl. Teil D). Sowohl der Wiederaufbau von San Francisco als auch der Wieder-

62 aufbau von Chicago wurde darüber hinaus in erster Linie von einer umfassenden Wirtschaftskraft vor dem Hintergrund der Industrialisierung angetrieben (Rozario 2005: 31–32), im Unterschied zu New Orleans nach der Katastrophe von 2005, dessen lokale Wirtschaftskraft von Deindustrialisierung und Tertiärisierung geprägt ist und zudem im Vergleich zu anderen US-amerikanischen Städten eher als relativ „schwach“ bewertet wird.

2.2.3 Leitbilddebatten und Reformstreben

In den Fällen von Chicago und San Francisco wurde deutlich, dass Wiederaufbau- bestrebungen auch mit dem lokalpolitischen Willen zur Durchsetzung ingenieurs- technischer Neuerungen resp. neuer Bauvorschriften verbunden war. Nach dem Großen Feuer 1871 in Chicago wurde der Bau einer „feuerfesten Stadt“ debattiert. Bürger wurden mit der Frage konfrontiert, inwiefern das Recht zum Wiederaufbau von Privateigentum durch neue Bauvorschriften eingeschränkt werden sollte. Dar- über hinaus wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern einem breiteren „öffentlichen Interesse“ gefolgt werden sollte, um den Wiederaufbau einer weniger risikogefähr- deten Stadt aus „Stein“ zu ermöglichen. (Vale 2006: 150)

Nach Rozario (2005) helfe es US-Amerikanern, Katastrophen als instruments of progress zu verstehen (Narrative Imagination, Rozario 2005). Laut Rozario trug diese Sichtweise in hohem Maße zur städtischen Widerstandsfähigkeit nach einem Naturereignis, das eine Katastrophe auslöste, bei. Nach Rozario (2005) wurde bei- spielsweise der Wiederaufbau nach dem Erdbeben in San Francisco (1906) als eine „Verbesserung“ der Stadt angesehen (auch wenn nicht näher definiert wurde, wie dabei „Verbesserung“ verstanden wurde). Der Wiederaufbau dieser Stadt war un- umgänglich und unterstützte die Tatsache, dass Städte heute insgesamt als „wider- standsfähiger“ (resilient) gegenüber Naturkatastrophen gelten. (Rozario 2005: 45) Anhand der Analyse von Schriften der Ereignisse in Chicago und San Francisco zeigt Rozario die Bedeutung von „Katastrophenzonen“ als „kulturelles Bauland“ auf: Damit sind Orte gemeint, die einem städtischen Flächenbrand, ökonomischer Rezession oder der Eskalation sozialer Konflikte befallen waren und die nun domi- nante „Ideologien des Fortschritts“ zeigen. San Francisco wandelte sich in „eine

63 neue und ‚verbesserte’ Stadt“ und Chicago entwickelte sich bis 1890 nach zur zweitgrößten Metropole der USA. (Rozario 2005: 28) Ein Wieder- aufbau einer Stadt, der nach Rozario von Widerstandsfähigkeit einer Stadt an sich zeugt, kann demnach auch mit städtischen Veränderungen verbunden sein.

Inwiefern Leitbilddebatten und Reformbestrebungen in New Orleans nach Katrina Handlungsfelder des Politikfeldes der Stadtentwicklung die Zeit nach dem Hurri- kan prägen und sich als richtungsweisend für die gesamtstädtische Entwicklung herausstellen, ist bislang nicht aufgearbeitet und ist somit als Auslöser für diese Arbeit zu betrachten. Deutlich wurde bislang, dass sektoral stadtpolitische Ausei- nandersetzungen stattfanden und Strategien entwickelt wurden (Bildung, sozialer Wohnungsbau). Inwiefern sich neoliberale Tendenzen, die diese Strategien wider- spiegeln, auf benachteiligte Bevölkerungsschichten sowie die Rassen- und Klas- senfrage auswirken, zeigen bereits erste Untersuchungen unmittelbar nach Katrina (vgl. (Childs 2005; Dyson 2006; Lang 2006; Hack 2006; Hartman, Squires 2006; Lubell 2006; Jakob, Schorb 2008; Carr et al. 2008; Logan 2006).

2.2.4 Merkmale von Governance in Chicago und San Francisco

Die Katastrophenbewältigung in San Francisco und in Chicago kennzeichnet ein Zusammenspiel von Akteuren des Staates, des Marktes und der Zivilgesellschaft (vgl. Urban Governance). Die Wiederaufbaubemühungen im engeren Sinne waren von Bewohnerprotesten gekennzeichnet, die angestrebte Reformen der lokalpoliti- schen Ebene stoppten. In Chicago waren die Arbeiterklasse und Immigrantengrup- pen in der Lage diese Proteste zu organisieren und konnten ihre Interessen durch- setzen: Ausschlaggebend dafür war eine lokalpolitische Unterstützung, die gegen eine „reformgesinnte“ Führungskraft der Stadtregierung, den Bürgermeister, oppo- nierte. Die Folgen waren zwar ein schneller Wiederaufbau, jedoch in minderer Qualität, als auch eine angespannte Arbeitsmarkt- und Wohnungsmarktsituation mit inflationärem Mietermarkt. (Vale 2006: 151–152)

Auch in San Francisco forderten Zivilgesellschaft und „Arbeiterklasse“ nach dem Erdbeben von 1906 einen Richtungswechsel: Der Wiederaufbau sollte nicht aus-

64 schließlich im Sinne von einkommensstarken Bürgern erfolgen. (Vale 2006: 150). Die Stadtregierung wollte ähnlich wie in Chicago Feuerschutzmaßnahmen einfüh- ren und Holzbauten verbieten. Diese neuen lokalen Verordnungen hätten für ein- kommensschwache Bewohner und Geschäftsleute der Mittelklasse nicht bezahlba- re Kosten nach sich gezogen, so dass mit Erfolg Proteste gegen dieses als Klassen- diskriminierung bezeichnete Vorgehen organisiert wurden. Der Bürgermeister zeigte sich als lokalpolitische Führungskraft gegenüber Eigentümern kompromiss- bereit. Dadurch erhielten allerdings auch einflussreiche Grundeigentümer Spiel- raum für Spekulation. In der Folge wurde qualitativ schlechter Wohnraum mit ei- nem hohen Mietpreis gebaut. (Vale 2006: 153) Insgesamt trugen also Gruppen zivilgesellschaftlicher Akteure dazu bei, stadtpolitische Reformbestrebungen zu verhindern. Es waren also keine Marktakteure, die gegen lokalpolitische Reform- vorschläge opponierten; diese schalteten sich erst später ein und bauten städtische Strukturen vor allem schnell (wieder) auf.

In letzter Konsequenz scheinen erst einmal formale institutionelle Machtstrukturen (demokratisch gewählte Akteure mit Letztentscheidungskompetenz) entscheidend zu sein, um reformorientierte Ansätze durchzusetzen oder zu opponieren. Darüber hinaus war sowohl der Wiederaufbau in Chicago als auch der Wiederaufbau in San Francisco letztendlich ein „marktgetriebenes Phänomen“, da sich durch einen Neu- aufbau auch neue wirtschaftliche Aufträge ergaben. Eine Opposition auf zivilge- sellschaftlicher Ebene schwächte allerdings diese Marktgetriebenheit und damit auch in diesen Fällen reformorientierte Ansätze.

2.2 Wiederaufbau in Städten nach Katastrophen

Insgesamt können die Ergebnisse der Forschung zum Wiederaufbau in Städten nach Katastrophen für eine Katastrophenbewältigung im Politikfeld der Stadtent- wicklung genutzt werden, um einen generellen Zugang zu Wiederaufbauprozessen zu schaffen und den Untersuchungsrahmen für die Beantwortung der Frage nach den Bedingungen von Reformfähigkeit nach einer Katastrophe weiter ausbauen zu können (3. Unterkapitel). In Ergänzung zu den Forschungen des Wiederaufbaus in Chicago und San Francisco wurden allgemeingültige Charakteristika von Wieder-

65 aufbauprozessen erkannt, Phasen eines Wiederaufbauprozesses eruiert und Fakto- ren herausgearbeitet, die den Grad und das Tempo eines Wiederaufbaus beeinflus- sen.

2.2.1 Charakteristika von Wiederaufbauprozessen

Der Begriff Wiederaufbau impliziert zunächst einmal eine Rückkehr zum „Nor- malzustand“; dem Zustand der Stadt, der vor dem Ereignis, das eine Katastrophe zur Folge hatte, vorhanden war: Trotz eines baulich räumlichen Tabula rasa und der Möglichkeit, die eine Katastrophe bieten kann, „alte Fehler“ zu korrigieren, wird bei einem Wiederaufbau in erster Linie der Status Quo begünstigt, der vor dem Katastrophenereignis vorhanden war. Denn über das Katastrophenereignis hinaus existieren Grundstücksgrenzen und Versicherungspolicen, die programmati- sche und strukturelle Veränderungen beim Wiederaufbau erschweren. Zudem zeigt sich das Bestreben, schnell zum Gehabten zurückkehren zu wollen. (Campanella 21.09.2005).22 Die Geschichte von Katastrophenbewältigung und Wiederaufbau zeigt, dass viele Entscheidungen schnell – unmittelbar nach dem Katastrophener- eignis – getroffen werden müssen. Tendenziell werden zerstörte bauliche Struktu- ren so bald wie möglich abgerissen und die technische Infrastruktur genau so wie- deraufgebaut, wie sie vor der Katastrophe vorhanden war. (Farmer 2005)

Ein Wiederaufbauprozess charakterisiert sich durch weitere Merkmale (Popkin 1977), auf die nachfolgend ausführlicher vor dem Hintergrund einer Katastrophen- bewältigung eingegangen wird. Zudem zeigen sich diese Merkmale größtenteils auch im Wiederaufbauprozess von New Orleans nach Hurrikan Katrina 2005. Dar- über hinaus geben diese Charakteristika von Wiederaufbauprozessen in ihrer Ge- samtheit Hinweise auf Faktoren, die einen Einfluss auf eine Katastrophenbewälti- gung haben: Zeit und Einfluss. Aus einigen der nachfolgenden Merkmale können diese Faktoren abgeleitet werden.

22 Dem gegenüber zeigen aber auch Forschungsergebnisse, dass nach Katastrophen Veränderung eintreten kann (vgl. Abbildung 1).

66

Spagat im Wiederaufbauprozess: Ein Wiederaufbauprozess hat eine doppelte Her- ausforderung zu bewältigen: Der „Normalzustand“ soll wieder erreicht werden und gleichzeitig müssen langfristige Entwicklungslinien erarbeitet werden. Die evaku- ierte Bewohner- und Unternehmerschaft macht lokalpolitisch Druck, den Normal- zustand wieder herzustellen. Dieser Druck resultiert allerdings nicht notwendiger- weise in einem geordneten, gut geplanten Wiederaufbauprozess. (Popkin 1977: XXVIII–XXIX)

Paralleles, räumlich abgegrenztes Handeln ohne Synergieeffekte: Staatliches Han- deln fokussiert sich nach einem Ereignis, das eine Katastrophe zur Folge hat, für gewöhnlich auf die stark zerstörten Teile der Stadt. Allerdings entfaltet sich bedeu- tendes städtisches Wachstum und wirtschaftliche Dynamik in erster Linie in weni- ger zerstörten aber dennoch stark beeinträchtigen Stadtteilen (Popkin 1977: XXIX), so dass letztlich Bemühungen des Staates zur Katastrophenbewältigung nicht un- bedingt mit räumlichen Entwicklungszonen kongruent sind.

Wirtschaftlicher Sektor neben dem Staat dominant im Wiederaufbau: Neben der staatlichen finanziellen Katastrophenhilfe und deren Bedingungen zum Wiederauf- bau ist die lokale Wirtschaft, die in den USA für gewöhnlich die städtische Ent- wicklung stark dominiert, auch in der Phase eines Wiederaufbaus dominant. Lokal- staatliche Institutionen benötigen Zeit, um Entscheidungen zu treffen, so dass be- deutende lokale Entscheidungen oft unmittelbar nach dem Ereignis von Unterneh- men getroffen werden. So agiert beispielsweise bereits die Versicherungsindustrie im Hintergrund lange bevor die städtische Regierung handelt. (Popkin 1977: XXVIII–XXIX)23 In einer Stadt, die die Folgen einer Katastrophe zu bewältigen hat, ist das Hauptziel privater Unternehmen ebenfalls, zum „Normalzustand“ zu- rückzukehren. Politischer Opportunismus des Unternehmertums versucht, die Ka- tastrophe als etwas Schreckliches zu deklarieren, das behoben werden muss. (Powell 2007) Damit verbunden ist das Ziel, einen ökonomischen Vorteil aus der Katastrophe zu ziehen, um die unternehmenseigene Position zu verbessern (Popkin 1977: XXVIII). Zeit als Faktor, im Sinne eines schnellen oder etwas langsameren

23 In den USA ist Katastrophenbewältigung größtenteils privatisiert. Dabei ist die Versicherungsin- dustrie die wichtigste Determinante des Wiederaufbaus. (Drabek, Key 1982; Bolin 1982 zit. in Lay 2009: 649)

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Wiederaufbaus, beeinflusst insofern in diesem Zusammenhang eine Katastrophen- bewältigung (das Wie und Wodurch): Ein schneller Wiederaufbau wirkt sich zu- gunsten lokaler Unternehmen und der Versicherungsindustie aus, aber zuungunsten lokalstaatlicher Aktivitäten.

Zivilgesellschaftlich organisierter Einfluss auf unmittelbare Wiederaufbaupoliti- ken: In den USA sind Bewohner einer katastrophengeschädigten Stadt auf instituti- onelle Unterstützung durch staatliche Katastrophenhilfe angewiesen. Diese spielt im Rahmen einer individuellen Bewältigung der Katastrophe nach Haas und Kates allerdings nur eine kleine Rolle, da Selbsthilfe oder die Unterstützung von Freun- den und Verwandten weitaus wichtiger sind. Betroffene haben zunächst relativ wenig Einfluss auf das Handeln von Entscheidungsträgern und auf große Politikli- nien. Nur wo sich Bürgerinitiativen bilden, kann ein Einfluss der Katastrophenop- fer auf die Wiederaufbaupolitiken beobachtet werden. Allerdings hat dieser Ein- fluss wiederrum für gewöhnlich keine große Wirkung auf übergeordnete politische Entwicklungslinien oder Entscheidungen. (Popkin 1977: XXIX; Hoffmann 2008) In Bezug auf Überlegungen zur Katastrophenbewältigung kann hier der Faktor Einfluss oder sogar Macht abgeleitet werden, der zivilgesellschaftlich organisierten Bürgerinitiativen weniger hinsichtlich langfristiger Entwicklungslinien zu Teil wird.

Bestehendes in Konkurrenz zu Neuartigem: Neue Planungskonzepte konkurrieren mit alten Gegebenheiten einer Stadt. Planwerke, die bereits vor der Katastrophe erarbeitet, aber nie umgesetzt wurden, werden nach einem Katastrophenereignis oft wiederbelebt: Das Unmögliche scheint nun möglich. Die Chance für umfassende Studien und große Veränderungen scheint auf der Hand zu liegen. Allerdings wer- den derartige Hoffnungen selten erfüllt. Umfassende Bestandsaufnahmen, flexible Planung und innovative Gestaltung, die oft mit Neuartigem oder gar mit Reformen in Verbindung stehen, benötigen umfangreiche finanzielle Ressourcen und wert- volle Zeit. Ein grundsätzlicher Fehler der städtischen Verwaltung ist die Annahme, so Popkin (1977), dass formale Bestandsaufnahmen und Untersuchungen, Planun- gen und Entwürfe Empfehlungen für einen Wiederaufbau darstellten. Denn es gebe bei einer Katastrophe die Tendenz, dass die Einwohnerschaft „einfach nur“ die Stadt, die vor der Katastrophe existierte, zurück möchte (vgl. Punkt Spagat im

68

Wiederaufbauprozess, Rückkehr zum „Normalzustand“ gewünscht). Neue Pla- nungskonzepte konkurrieren in diesem Moment mit alten Gegebenheiten einer Stadt. Wenn zu viel Zeit in die Erarbeitung neuer Konzepte oder Vorschläge inves- tiert wird, diese dann noch übermäßig ambitioniert oder zu „grandios“ sind, seien Unbestimmtheit, Konflikte, Verzögerungen und Fehler die Folge. (Popkin 1977: XXXIII) In Bezug auf Überlegungen zur Katastrophenbewältigung zeigt sich auch hier, dass der Faktor Zeit von Bedeutung ist. Eine schnelle Rückkehr zum „Nor- malzustand“ ist zwar im Sinne der Einwohnerschaft, diese wirkt sich aber zu Un- gunsten neuer stadtweiter planerischen Aktivitäten aus (gesamtstädtische Planwer- ke).

Katastrophenbedingte Knappheit hat soziale und sozioökonomische Auswirkungen in der Stadt: Bei gleichzeitig knappem Büro-, Gewerbeflächen- und Wohnraumbe- stand (aufgrund des Zerstörungsgrades nach einem Ereignis, das eine Katastrophe nach sich zog), haben es vor allem Kleinunternehmen und Familien schwer, sich in der zerstörten Stadt wieder zu etablieren. Die Kosten für bezahlbaren Wohnraum und Geschäftsräume oder für Neubau erweisen sich als inflationär. Die Bodenprei- se steigen, so dass kleinere Unternehmen günstigere Standorte in der Stadt wählen und/oder Arbeitsplätze abbauen. Familien mit niedrigerem Einkommen beziehen Wohnungen, die im Grunde für sie unbezahlbar sind, oder sie kehren nicht wieder in die betroffene Stadt zurück. (Popkin 1977: XXXVIII)

Zusammengefasst ist auffällig, dass die Faktoren (Einfluss und Zeit) letztendlich auf ein irgendwie geartetes Zusammenspiel von Akteuren aus Staat, Markt und/oder Zivilgesellschaft zurückgehen (urban governance) und Zeit eine geson- derte Rolle in einem Wiederaufbauprozess spielt.

2.2.2 Phasen eines Wiederaufbauprozesses

Haas et al. (1977) differenzieren als erste Forschungsgruppe den Prozess von post- disaster-recovery aus und erarbeiten ein Phasenschema, das die oben dargestellten unmittelbar und mittelbar längerfristigen Anstrengungen zur Bewältigung einer Katastrophe konkretisiert. Gleichzeitig ist durch das Aufführen der Phase (comme-

69 morative, betterment and developmental reconstruction) implizit der Hinweis zu erkennen, dass Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung nach Kata- strophen eine Rolle spielt. Dieser Hinweis macht das Phasenmodell für diese Ar- beit wertvoll.

Das Model of Recovery Activity unterscheidet zwischen vier Phasen, die sich teil- weise überschneiden: Bergung (emergency period), Wiederherstellung und In- standsetzung (restoration period), Umbau und Erneuerung (replacement reconstruction period) sowie die Phase, in der Anstrengungen in Bezug auf das Gedenken, eine Wertsteigerung und Entwicklung unternommen werden (comme- morative, betterment and developmental reconstruction) (Kates, Pijawka 1977: 1– 4; Vale 2006: 336–337; Colten et al. 2008: 4). Jede der letzten drei Phasen dauert etwa zehn Mal länger als die vorangegangene. Dementsprechend könnten spezifi- sche und schnelle Entscheidungen die jeweiligen Zeitphasen verkürzen.24 Zu be- achten ist in diesem Zusammenhang, dass die Dauer der Notstandssituation das Ausmaß der Katastrophe und die verfügbaren gesamtgesellschaftlichen Ressourcen reflektiert. (Kates, Pijawka 1977: 20)

Das Ende einer jeweiligen Phase sind laut Haas und Kates durch typische Indikato- ren gekennzeichnet: Die erste Phase (emergency period) ist typischerweise been- det, wenn die Suche nach Überlebenden beendet wird, wenn die Notfallversorgung hinsichtlich Versorgung und Wohnraum drastisch reduziert wird und wenn Auf- räumarbeiten auf den größeren Straßen der Stadt beendet werden. Die zweite Phase (restoration period) wird als abgeschlossen angesehen, wenn die großen städti- schen Versorgungsleistungen wieder funktionstüchtig und Transportwege wieder befahrbar sind, wenn eine Rückkehr von denen, die zurückkehren wollen, zu ver-

24 Die Phasen zwei und drei (restoration period und replacement reconstruction period) sind im Schnitt zehn beziehungsweise einhundert Mal länger als die erste Phase von Notstand und Bergung (emergency period). Die vierte Phase (commemorative, betterment and developmental reconstruction) ist etwa zweimal länger (etwa 400 Wochen lang (7,5 Jahre lang) und 500 Wochen (10 Jahre) seit der Katastrophe) als die dritte Phase (replacement reconstruction period; etwa 200 Wochen lang – 3,7 Jahre lang). (Kates, Pijawka 1977: 18; Colten et al. 2008: 4) Auf die meisten Fälle trifft allerdings zu, dass ein Wiederaufbau inklusive der dritten Phase (replacement reconstruction period) für gewöhn- lich zwei bis acht Jahre dauert, so dass die städtischen Funktionen im Großen und Ganzen wiederher- gestellt oder gar erneuert sind. Die letzte Phase dauert dann etwa doppelt so lang. Die Gründe dafür seien unklar. (Kates, Pijawka 1977: 20)

70 zeichnen ist und bauliche Zerstörungen substanziell beseitigt sind. Die dritte Phase (replacement reconstruction period) gilt als beendet, wenn die Bewohnerschaft zurückgekehrt ist und funktional ihre Bedürfnisse in Bezug auf Wohnen, Arbeiten, Grundkapital und städtische Aktivitäten gestillt werden können. Bestimmte Aspek- te des Wiederaufbaus gehen über diese Phase hinaus und gruppieren sich bei- spielsweise um den Bau von Großprojekten. Die vierte Phase (commemorative, betterment and developmental reconstruction) hat drei Funktionen, die zusammen- hängend angestrebt werden: erinnern und gedenken an die Katastrophe, „Verbes- sern“ und Wertsteigern, Wachsen und/oder Entwickeln. Typischerweise sind Pro- jekte, die diese Funktionen bedienen, groß angelegt und durch den Staat finanziert. Diese Phase kann aufgrunddessen mehr als doppelt so lange dauern wie die voran- gegangene Phase replacement reconstruction. (Kates, Pijawka 1977: 2–3)

Abbildung 5: Phasen eines Wiederaufbaus (Kates, Pijawka 1977: 4 zit. in Vale, Campanella 2005: 337).

71

Zusammenfassend zeigt das Phasenschema, dass insbesondere die vierte Phase (commemorative, betterment and developmental reconstruction) einen Rahmen für Reformfähigkeit und reformerisches Handeln nach einer Katastrophe bietet. Aber auch die dritte Phase (replacement reconstruction period) lässt Ansätze neuartigen Handelns und „Veränderung“ vermuten. Offen lässt das Phasenschema allerdings Bedingungen von Reformfähigkeit; eine Frage, der in dieser Arbeit nachgegangen wird.

In Bezug auf den Fall New Orleans kann an dieser Stelle schon einmal festgestellt werden, dass die dritte Phase (replacement reconstruction period) ebenfalls etwa acht bis zehn Jahre gedauert hat (2005 bis 2013/2015). Nach dieser Zeit waren städtische Funktionen größtenteils wiederhergestellt oder gar erneuert. Wird also dieser Argumentation gefolgt, ist der Wiederaufbau in New Orleans nicht so lang- sam, wie anfänglich medial verbreitet wurde und wird. Nichtsdestoweniger muss an dieser Stelle betont werden, dass Teile von New Orleans Bewohnerschaft (noch immer) nicht nach New Orleans zurückgekehrt sind und Teile einiger Quartiere (noch immer) brach liegen.25 Dieses Phänomen wird derzeit unter dem Begriff uneven recovery (vgl. „ Kammerbauer 2013 #1589 Kammerbauer 2013) beschrie- ben und bezeichnet auch in Bezug auf die Dauer eines Wiederaufbaus eine neue Art von Wiederaufbau, für den New Orleans nach Hurrikan Katrina ein Beispiel darstellt. Wiederaufbaubemühungen sind demnach nicht für alle Einkommens- klassen und -schichten und alle stadtpolitischen und stadtentwicklungspolitschen Handlungsfelder gleichermaßen zu verzeichnen.

2.2.3 Grad und Tempo eines Wiederaufbaus

Nach Kates et al. (1977) ist der Grad und das Tempo eines Wiederaufbaus von vier Faktoren direkt abhängig: dem Ausmaß der Zerstörung, den verfügbaren Wieder- aufbauressourcen, den vor der Katastrophe vorherrschenden lokalen Entwicklungs- linien und von Qualitäten wie der lokalen Steuerungsfähigkeit, Planung und Orga-

25 Der Stadtteil Lower Ninth Ward in New Orleans hat bislang weniger als die Hälfte seiner Einwoh- nerschaft von insgesamt 14.000 Menschen seit Hurrikan Katrina wieder zurückgewonnen. (Santana 10.04.2017)

72 nisation von Entscheidungsprozessen. (Kates, Pijawka 1977: 12–20) Haas und Kates weisen allerdings darauf hin, dass das Ausmaß der Zerstörung der einzig eindeutig beweisbare Faktor ist, der mit dem Grad und dem Tempo eines Wieder- aufbaus zusammenhängt. (Kates, Pijawka 1977: 18) Die Faktoren Ausmaß der Zerstörung und lokal vorherrschende Entwicklungslinien sind nach einem Kata- strophenereignis nicht zu beeinflussen. Die Faktoren externe Ressourcen und Qua- litäten wie Steuerungsfähigkeit, Planung und Organisation von Entscheidungspro- zessen jedoch sind nach einer Katastrophe beeinflussbar, denn sie beziehen sich auf zielgerichtete Aktivitäten. (Kates, Pijawka 1977: 21) Diese Faktoren werden nun kurz erläutert, um aufzuzeigen, inwiefern sie Hinweise auf Bedingungen von Re- formfähigkeit geben. Zudem werden diese Faktoren als wertvoll für den analyti- schen Untersuchungsrahmen dieser Arbeit angesehen.

Das Ausmaß einer Zerstörung steht in direkter Beziehung zur Dauer eines Wieder- aufbaus. Denn je größer das Ausmaß der Zerstörung ist, desto aufwendiger und zeitintensiver ist ein Wiederaufbau, bei dem es u.a. um die Wiederherstellung funk- tionsfähiger Infrastruktursysteme und Dienstleistungen geht, die der zurückgekehr- ten Einwohnerschaft wieder zur Verfügung stehen. (Kates, Pijawka 1977: 13) Nach Erkenntnissen von Haas und Kates setzen sich lokale Entwicklungslinien fort, die vor der Katastrophe vorherrschten. Prosperierende Städte erholen sich schnell von einer Katastrophe. Stagnierende Städte oder gar solche, die von einem Niedergang betroffen sind, erholen sich nur langsam. Dabei kann eine Katastrophe sogar einen Niedergang beschleunigen. (Kates, Pijawka 1977: 19) Gründe dafür könnten über- lokales Desinteresse oder mangelnde gute Planung sein. (American Planning Association 11.2005: 17) Auch nach Lizarralde „verschlimmern“ lokale Problem- stellungen, die bereits vor einem Naturereignis existieren, die Katastrophensituati- on und ein Wiederaufbau wird „schwieriger“. (Lizarralde et al. 2010)

Zu den Faktoren, die laut Haas und Kates beeinflussbar sind, gehören die Verfüg- barkeit von Wiederaufbauressourcen und Qualitäten wie lokale Steuerungsfähig- keit, Planung und Organisation von Entscheidungsprozessen. Die Verfügbarkeit von Ressourcen finanzieller und materieller Art sowie in Form von Humankapital lenkt den Wiederaufbau: Humankapital beziehungsweise menschliche Fähigkeiten und Fertigkeiten sind nach Haas und Kates bedeutend. Ihre Untersuchungen zeigen

73 allerdings keinen Zusammenhang zwischen einer ökonomischen Erholung und der Höhe der staatlichen finanziellen Unterstützung nach einem Ereignis, das in den USA (1960-1970) eine Katastrophe zur Folge hatte. (Kates, Pijawka 1977: 18–19) Der Faktor Qualitäten wie lokale Steuerungsfähigkeit, Planung und Organisation von Entscheidungsprozessen konnte von Haas und Kates, wie sie selbst angeben, nur intuitiv und anekdotenhaft in ihren Untersuchungen belegt werden: Wo sich Bürgerinitiativen bilden, kann ein bedeutender Einfluss der Katastrophenopfer auf die Wiederaufbaupolitiken beobachtet werden. Allerdings hat dieser Einfluss für gewöhnlich keine große Wirkung auf übergeordnete politische Entwicklungslinien oder Entscheidungen (Popkin 1977: XXIX). Nach Kates und Pijawka sollte eine relative „Unbestimmtheit“ und demnach Zufälligkeit im Wiederaufbauprozess verhindert (Kates, Pijawka 1977: 19–20) und pre-disaster planning forciert wer- den. Das kann für das Politikfeld der Stadtentwicklung auch als Plädoyer für stra- tegische Stadtentwicklungsplanung interpretiert werden.

Zusammenfassend deuten diese Faktoren zwar keine Bedingungen von Reformfä- higkeit an. Eine Analyse dieser Faktoren wird aber für die Untersuchung von Re- formfähigkeit nach Katastrophen genutzt (vgl. B I.3). Auch für Vale (2005) ist diese Art analytischer Untersuchungsrahmen noch immer wertvoll, um einen städ- tischen Wiederaufbau nach einer Katastrophe zu erklären (Vale, Campanella 2005: 337); ein Anliegen, zu dem diese Arbeit indirekt eine Teilantwort liefert.

2.3 Urbane Resilienz als Helferin von Katastrophenbewältigung

Die Beobachtung von urbaner Resilienz beziehungsweise der Widerstandsfähigkeit einer Stadt zeigt in erster Linie, dass eine Stadt in der Lage ist, zum Normalzustand zurückzukehren. Diese Feststellung korrespondiert mit einem der oben genannten Ziele von Katastrophenbewältigung. Urbane Resilienz hilft also dabei, eine Kata- strophe zu bewältigen. Unklar ist allerdings, inwiefern das Konzept der städtischen Widerstandsfähigkeit auf Veränderung im weitesten Sinne nach einem Katastro- phenereignis anwendbar ist und Reformfähigkeit generell blockiert. Oder inwiefern städtische Widerstandsfähigkeit Veränderung und demnach auch Reformfähigkeit einschließt und im Sinne dieser Logik eine Stadt noch widerstandsfähiger wird.

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Einen Hinweis darauf gibt Campanella (2006c): Eine Katastrophe verändert das Schicksal und die Geschicke einer Stadt grundlegend, worin allerdings wiederum eine überwältigende Art von Widerstandsfähigkeit liegt (Campanella 2006c: 142). Davon ausgehend sind auch hier die Bedingungen von Reformfähigkeit im Rah- men des Konzeptes städtischer Widerstandsfähigkeit von besonderem Interesse. Diese Überlegungen werden auch in diesem Unterkapitel anhand des Forschungs- standes weiter verfolgt und die vorliegende Arbeit verortet. Im ersten Teil werden Ansätze städtischer Widerstandsfähigkeit definiert und Merkmale von Wider- standsfähigkeit aufgezeigt, die zur Katastrophenbewältigung beitragen. Im zweiten Teil werden Anforderungen an Widerstandsfähigkeit dargelegt, die das Konzept normativ erscheinen lassen.

2.3.1 Definitionsansätze und Merkmale Urbaner Resilienz

Grundsätzlich besteht Forschungsbedarf hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit von Städten nach Katastrophen (Sieverts 07.10.2011), wobei darauf aufgebaut werden kann, dass Städte Katastrophen bewältigen, da sie sich grundsätzlich seit etwa 1800 als widerstandsfähig erwiesen haben (Popkin 1977; Campanella 21.09.2005, 2006c; Haas, Kates 1977: XV), sogar wenn sie im Zuge einer Katastrophe weitge- hend zerstört wurden (Haas, Kates 1977: XV). In Zeiten der Moderne wurden Städ- te immer „robuster“, und dies trotz ihres Baus in natürlichen Gefahrengebieten (Campanella 2006c: 141). Die Städte, die durch eine Katastrophe zerstört wurden, waren mit erheblichen Schäden konfrontiert, wurden aber wiederaufgebaut und erneuert (Campanella 2006a: 14; Popkin 1977: XXV). Die gebaute Umwelt (Ge- bäude, Straßen, technische Infrastruktur) wird wiederaufgebaut und soziale Syste- me (Organisationen, Nachbarschaften, Gruppen, Familien) finden sich größtenteils wieder oder entwickeln sich neu. Das Bekenntnis zu einem Standort, das damit verbunden ist, bedeutet nicht notwendigerweise, dass der Ort nun „besser“ oder „schlechter“ zur Besiedlung geeignet ist als vor der Katastrophe (Haas, Kates 1977: XV). Aber letztlich nutzt das Phänomen der Widerstandsfähigkeit die „Kraft des Ortes“: Denn auch nach Katastrophen sind oftmals politische Institutionen nicht veränderbar oder planerische Prämissen eines Ortes beständig. Das zeugt von ei- nem großen Beharrungsvermögen. Auch dadurch fühlen sich viele Menschen mit

75 ihrem Heimatort eng verbunden, sogar nachdem dieser substanziell baulich räum- lich zerstört wurde. (Vale, Campanella 2005: 347)

Definitionsansätze: Urban Resilience beschreibt eine Fähigkeit einer Stadt, sich von einer Zerstörung durch eine Katastrophe zu „erholen“ (Campanella 2006c: 141). Mit resilient ist ein Zustand eines Systems gemeint, das unter „Stress“ gera- ten ist, aber nach einiger Zeit wieder in seinen Urzustand mit seinen ursprünglichen Charakteristika zurückkommt (Sieverts 07.10.2011)26, also widerstandsfähig ist und sich ‚erholt’ hat. Nun kann allerdings eine Stadt wiederaufgebaut werden, ohne sich von einer Katastrophe erholt zu haben. (Vale, Campanella 2005; Campanella 2006c: 142) Um eine Stadt als resilient zu bezeichnen, reiche es demnach nicht aus, diese baulich-räumlich wieder oder neu aufzubauen (Vale, Campanella 2005). Der Prozess eines baulich-räumlichen Wiederaufbaus ist selbstverständlich not- wendig, aber eine unzureichende Bedingung, damit sich die Stadt „erholt“ und insgesamt als resilient bezeichnet werden kann. Demnach stellt ein baulich- räumlicher Wiederaufbau und die Fähigkeit dazu nach Vale und Campanella aus- schließlich eine Facette von urban resilience dar. Colten et al. (2008) bezeichnen Resilienz als „a community or region’s capability to prepare for, respond to, and recover from significant multi-hazard threats with minimum damage to public safe- ty and health, the economy, and national security” (Colten et al. 2008: 2; Wilbanks 01.11.2007).

Die zwei Zielsysteme von Katastrophenbewältigung stellen die Widerstandsfähig- keit einer Stadt auf die Probe: Wie zu Beginn des Teilkapitels B I angedeutet, ver- suchen Städte und Regionen, eine Katastrophe zu bewältigen, indem zwei grund- sätzliche Ziele gleichzeitig verfolgt werden (vgl. B I.1 Strategien, Ziele und Di- mensionen von Bewältigung): Erstens sollen die gebaute Umwelt wiederaufgebaut und die sozioökonomischen Aktivitäten wieder aufgenommen werden – zum Status quo soll schnell zurückgekehrt werden. Zweitens soll aber auch ein Umbau der Stadt auf einem „sicheren“, „besseren“ und manchmal „gerechteren“ Weg stattfin-

26 Sieverts sieht einen Unterschied zwischen Nachhaltigkeit (sustainability) und Widerstandsfähigkeit (Resilienz): Nachhaltig ist Handeln oder ein Produkt, das sich widerstandslos in die Umwelt einfügt. Widerstandsfähigkeit erhält die Identität und das Wesen von Gebäuden beziehungsweise von einer Stadt unter erheblichem „Stress“. (Sieverts 07.10.2011)

76 den. Veränderung wird also ebenfalls angestrebt. Dabei entstehen Konflikte zwi- schen Gruppen, Institutionen oder sogar Individuen. Sie verfolgen in diesen zwei Zielsystemen verschiedene Ziele, und dabei wird ihnen in Bezug auf Zeit, Ressour- cen und Werte nicht gleichermaßen Aufmerksamkeit zuteil. Beispielsweise können eine „schnelle“ Katastrophenbewältigung, ein „sicherer“ Wiederaufbau oder die Entwicklung eines „besseren“ Quartiers für einen Teil der Bevölkerung oder einen Teil der Quartiere erreicht werden, für andere aber nicht (vgl. Phänomen uneven recovery, (vgl. „ Kammerbauer 2013 #1589 Kammerbauer 2013). Katastrophen wirken sich zudem nicht auf alle Einwohner gleich aus. So sind wohlhabende und weiße27 Bewohner typischerweise besser in der Lage sich in Sicherheit zu bringen (evakuieren), leben wahrscheinlich in höher gelegenen Teilen der Stadt, sind besser durch Deiche und Flutwände geschützt und ihr Eigenheim ist aus Materialien von besserer Qualität gebaut. (Peacock, Girard 1997; Steinberg 2000 zit. in Lay 2009: 649).28 Colten (2008) stellt in diesem Zusammenhang normativ fest, dass „wider- standsfähige“ Kommunen diese Konflikte als Konflikte anerkennen und versuchen würden, durch Planung diese Unterschiede im Vorhinein zu minimieren und wäh- rend eines Wiederaufbaus auszugleichen. Politische und wirtschaftliche Macht bestimmen allerdings meistens das Ergebnis. (Colten et al. 2008: 4) Durch Ereig- nisse, die eine Katastrophe nach sich ziehen, werden lokale und überlokale Macht- kämpfe der Politik offenkundig (Vale, Campanella 2005: 8).29 In diesem Sinne legt nichts auch fehlerhafte Linien sozialer Ordnung und politischer Kultur so offen wie eine große Katastrophe. Sie stellt öffentlich lang verborgene Muster von Macht, Armut, Rasse und Klasse heraus. So, wie die gebaute Umwelt wiederaufgebaut

27 In dieser Arbeit werden die im amerikanischen verwendeten Bezeichnungen der Personengruppen „black“ und „white“ ins Deutsche mit „afroamerikanisch“ und „weiß“ übersetzt. Dabei wird Kiesel und Bendix (2016) insofern gefolgt, dass die Begriffe als soziale und politische Konstrukte und nicht als biologistische oder kulturalistische Bezeichnungen zu verstehen sind. Für die in der amerikani- schen Literatur verwendeten Bezeichnungen „Afro-American“, „African American“ oder „Black American“ wird ebenfalls im Folgenden vereinheitlicht „afromerikanisch“ genutzt. vgl. Kiesel, Ben- dix 2016) 28 Wohlhabende Bewohner sind insgesamt besser in der Lage, sich wirtschaftlich zu „erholen“ und ihr Eigentum wiederaufzubauen als die Einwohnerschaft mit niedrigem Einkommen. (Drabek, Key 1982; Bolin 1982) Rassenminderheiten und die Menschen mit niedrigem Einkommen haben in der Regel vor der Katastrophe keine angemessene Versicherungsdeckung ihres Eigentums. (Squires, Velez 1987; Bolin, Bolton 1986 zit. in Lay 2009: 649) 29 Schon an Bemühungen vor einer Katastrophe (pre-disaster planning) sind oft lokalstaatliche Priori- täten erkennbar. Dabei kann eine ungleiche Unterstützung von verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Orten deutlich werden. (Vale, Campanella 2005: 353)

77 werden kann, können im Nachgang einer Katastrophe Machtstrukturen und soziale Hierarchien einer Stadt schnell reproduziert werden.30 (Campanella 21.09.2005) Der Prozess von post-disaster recovery ist ein Fenster in die Machtstruktur der betroffenen Gesellschaft (Vale, Campanella 2005: 12).

Ergänzend zu dieser Erkenntnis, stützt sich die Arbeit auf Ergebnisse, die aus der Forschung zur Resilient City (Prototheorie Urban Resilience31 von Vale, Campa- nella 2005) gewonnen wurden. Die Prototheorie trägt zu der Erklärung bei, wie und warum sich Städte nach Katastrophen „erholen“ und beleuchtet Prozesse, durch die Städte wiederaufgebaut werden (Vale, Campanella 2005: 22). Prozessanalysen zeigen selbstverständlich aber auch auf, dass sich zwei Städte nicht auf dem exakt selben Weg „erholt“ haben: Soziale, ökonomische und kulturelle Faktoren bestim- men die Richtung und die Zeitdimension eines Wiederaufbauprozesses und einer Katastrophenbewältigung. (Vale, Campanella 2005: 19) In der Prototheorie zur Urban Resilience gilt der Prozess eines räumlich gesamtstädtischen Wiederaufbaus als eine Facette von Widerstandsfähigkeit (Resilienz). Denn Resilienz wird von Vale und Campanella in einem erweiterten kulturellen Sinne verstanden. Da ein räumlich gesamtstädtischer Wiederaufbau Gegenstand dieser Arbeit ist und dieser Handlungsfelder des Politikfeldes der Stadtentwicklung betrifft, werden in erster Linie Erkenntnisse von Vale und Campanella im Kontext dieser Arbeit genutzt. Denn einige dieser Erkenntnisse beziehen sich auf gesamtstädtische Wiederauf- bauprozesse und spiegeln Merkmale von Widerstandsfähigkeit wider. (Vale, Cam- panella 2005: 12–13) Aus diesen Merkmalen werden nachfolgend drei Faktoren abgeleitet, die zur Katastrophenbewältigung beitragen. Die Faktoren führen im

30 Das Phänomen der Reproduktion von Machtstrukturen und sozialen Hierarchien bezeichnet Cam- panella normativ als „rückschrittliche Widerstandsfähigkeit“ (Campanella 21.09.2005). 31 Resilient City ist nach Vale und Campanella ein konstruiertes Phänomen. Eine Resilient City baut nicht im wörtlichen Sinne Städte Stein für Stein wieder auf. Es beschreibt aber in einem erweiterten kulturellen Sinn den Wiederaufbau einer Stadt. Urban Resilience stellt einen interpretierbaren Rah- men dar, der durch lokale und nationale Führungspersonen vorgeschlagen und durch Bewohner im Nachgang einer Katastrophe verändert und akzeptiert wird. (Vale, Campanella 2005: 353) Der Ter- minus Resilient City impliziert ein Ende, das aber an einen fortwährenden Wiederaufbauprozess gekoppelt ist. Ziel sollte eine produktive Offenheit sein; die Fähigkeit, entgegengesetzte Impulse innerhalb der umkämpften Prozesse des Wiederaufbaus zu erkennen und zu strukturieren. Die Her- ausforderung für Planer und Städtebauer ist es nach Vale und Campanella, den Prozess zwischen den Extremen „Triumphalismus“ (die Katastrophe zu bewältigen) und „Hoffnungslosigkeit“ zu steuern. (Vale, Campanella 2005: 14)

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Zusammenspiel mit weiteren Faktoren dazu, dass in einem engeren Sinne die Stadt und ihre Institutionen nach der Katastrophe wiederaufgebaut werden. Auf sie wird, wo es möglich ist, im Anschluss an jedes Merkmal hingewiesen. Dabei ist auffäl- lig, dass diese drei Faktoren letztendlich ein Zusammenspiel von Akteuren aus den Sphären Staat, Markt und/oder Zivilgesellschaft widerspiegeln (urban gover- nance): • Faktor Überlokale Akteure: Nationale beziehungsweise überlokale Akteure beeinflussen den Wiederaufbauprozess und eine längerfristige Katastrophen- bewältigung durch die Bereitstellung von Ressourcen (finanziell, personell, or- ganisatorisch). • Faktor Lokale Akteure bilden Allianzen: Lokale Akteure beeinflussen den Wie- deraufbauprozess und eine längerfristige Katastrophenbewältigung. Sie stellen Ressourcen bereit (finanziell, personell, organisatorisch) und müssen Allianzen im Rahmen des Wiederaufbauprozesses bilden, um eine längerfristige Kata- strophenbewältigung voranzutreiben. • Faktor Lokale Akteure und ihre Führungsschicht: Lokale Akteure beeinflussen den Wiederaufbauprozess und eine längerfristige Katastrophenbewältigung aufgrund der vorherrschenden institutionellen Struktur und Planungspraxis der Führungsschicht.

Darüber hinaus kann bei einigen Merkmalen auf ein „Veränderungspotential“ ge- schlossen werden, das wiederum auf eine Reformfähigkeit von Städten nach Kata- strophen hinweist: • Veränderungspotential ist in diesem Zusammenhang vorhanden, wenn dabei Veränderungen, Reformfähigkeit in öffentlichen Politikfeldern oder gar stadt- weite Reformen in Bezug auf einen Wiederaufbauprozess bzw. eine längerfris- tige Katastrophenbewältigung möglich erscheinen. Oder: • Veränderungspotential ist in diesem Zusammenhang nicht vorhanden, wenn dabei keine Veränderungen, Reformfähigkeit in öffentlichen Politikfeldern o- der gar stadtweite Reformen in Bezug auf einen Wiederaufbauprozess bzw. ei- ne längerfristige Katastrophenbewältigung zu erwarten sind.

Die Merkmale von Widerstandsfähigkeit, die im Rahmen der Fragestellung dieser Arbeit relevant sind, werden im Folgenden kurz zusammengefasst. Faktoren, die

79 zur Katastrophenbewältigung beitragen und sich aus den Merkmalen ableiten las- sen, sowie Überlegungen zum Veränderungspotential werden jeweils kurz zusam- mengefasst:

Lokale Erneuerung ist mit nationaler Erneuerung verbunden: Eine Katastrophe, die eine gesamte Stadt oder Region (in westlichen Industrienationen) trifft, wird (heute) unmittelbar nach dem Ereignis über die Medien thematisiert. Disaster Recovery, hier als längerfristige Katastrophenbewältigung verstanden, ist auf poli- tischer Ebene mit Fragen des nationalen Prestiges und der Notwendigkeit verbun- den, das Ansehen der Stadt und des Nationalstaates in der internationalen Gemein- schaft wiederherzustellen. (Vale, Campanella 2005: 342) Der Nationalstaat hat ein grundsätzliches Interesse daran, dass es seinen Städten gut geht, insbesondere sei- ner Hauptstadt. Dies hängt zum Teil mit dem historischen Erwachsen des National- staates zusammen, das die Dauerhaftigkeit eines Ortes ausmacht (Campanella 2006c: 142) und einen Ort widerstandsfähig macht. Städte werden kaum aufgege- ben, weil dies eine politische Schwäche für eine Nation bedeuten würde (politi- scher Symbolismus für eine Nation) (Campanella 21.09.2005). Nach Vale und Campanella ist aus dieser Sicht das „Lokale“ mit dem „Nationalen“ eng verbunden. Im Falle der USA sind Katastrophen auch von globaler Bedeutung.32 (Vale, Cam- panella 2005: 342) Ein Ereignis auf lokaler Ebene kann auch auf nationale Politi- ken zurückstrahlen und Politiken verändern (Powell 2007).33 Insofern trägt der Faktor Überlokale Akteure hier zur Katastrophenbewältigung bei und Verände- rungspotential ist in diesem Zusammenhang vorhanden.

Widerstandsfähigkeit wird durch überlokale Akteure garantiert: Städtische Wider- standsfähigkeit wird zunehmend durch politische und finanzielle Einflüsse außer- halb der Stadtgrenzen bestimmt. Für gewöhnlich ist städtische Widerstandsfähig- keit in einem föderalen System vom Notfalletat überlokaler Finanzmittel von höhe- ren Regierungsebenen abhängig. In den USA gilt das für jedes föderal definierte „Katastrophengebiet“ (u.a. auch für durch Hurrikans geschädigte Gebiete).

32 Das war auch in Bezug auf die Folgen von Hurrikan Katrina in New Orleans der Fall. 33 Das trifft beispielsweise auf die Debatte um Resilience City nach der urbanen Katastrophe in New Orleans 2005 durch Hurrikan Katrina zu. Die Bundesebene (HUD) schreibt einen nationalen Wettbe- werb aus, zu dessen Vorläufern das lokale und überlokale Engagement der Rockefeller Foundation diesbezüglich in New Orleans zu zählen ist.

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Manchmal kommen Finanzausstattungen von internationalen Hilfsquellen, wenn der Wiederaufbau kostspielig und lokale Ressourcen knapp sind. Diese sind oft an Bedingungen in Form von politischen Agenden geknüpft. ((Vale, Campanella 2005: 343) Der Faktor Überlokale Akteure unterstützt also auch hier eine Katastro- phenbewältigung. Veränderungspotential kann allerdings in diesem Zusammen- hang nicht abgeleitet werden.

Politische Notwenigkeit, Widerstandsfähigkeit zu demonstrieren: Städtischer Wie- deraufbau erfolgt – neben anderen Faktoren – aus der politischen Notwendigkeit heraus, Widerstandsfähigkeit zu demonstrieren. In diesem Sinne ist Widerstandsfä- higkeit in erster Linie ein rhetorisches Instrument einer lokalen Regierung, um ihre Legitimation aufzuwerten oder wiederherzustellen. Wenn es als Hauptfunktion einer Regierung gilt, die Bürger zu schützen, ist etwa die Zerstörung von dicht besiedelten Räumen für eine Regierung die größte Herausforderung in Bezug auf ihre Zuständigkeit und Amtsbefugnis, die Stadt wiederaufzubauen. Fortschrittsori- entierung ist in diesem Zusammenhang eine Priorität für Regierungen. Selbstver- ständlich steuern Regierungen Rettungsmaßnahmen und finanzielle Notfallleist- ungen zuerst bei, aber ihr Ziel ist es auch, das öffentliche Amt zu wahren. Sogar die gravierendsten Fälle von Zerstörung wurden von lokalen Regierungen als Mög- lichkeiten von progressiver Reform interpretiert. Allerdings wird in der Realität schnell deutlich, dass „Versprochenes“ oft nicht gehalten werden kann. (Vale, Campanella 2005: 339–340; Powell 2007) Widerstandsfähigkeit politisch zu de- monstrieren heißt im erweiterten Sinn auch lokalstaatliche Handlungsfähigkeit, wenn nicht sogar Reformfähigkeit, zu beweisen. Veränderungspotential ist in die- sem Zusammenhang vorhanden, da der lokale Staat rhetorisch Reformfähigkeit demonstrieren will.

Katastrophen decken die Widerstandsfähigkeit von Regierungen auf: Nach Kata- strophen steht die Legitimität von Regierungen auf dem Spiel, denn eine plötzliche Zerstörung spiegelt lokale Macht und Handlungsfähigkeit unmittelbar wider und deckt das Repertoire vorhandener Instrumente der Katastrophenbewältigung auf. Bürger (die Wählerschaft) beobachten die Reaktion der lokalen Regierung auf die Katastrophe. Bei Unzufriedenheit können derartige Ereignisse Katalysatoren für einen politischen Wechsel sein. (Vale, Campanella 2005: 340) Auch die Ebene des

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Bundes und Bundesstaates stehen bei der Wählerschaft unter Beobachtung.34 Hier trägt der Faktor Lokale Akteure bilden Allianzen zur Katastrophenbewältigung bei, so dass in diesem Zusammenhang auch Veränderungspotential vorhanden ist.

Widerstandsfähigkeit profitiert von einem Beharrungsvermögen früherer Investiti- onen: In den meisten Fällen, sogar in denen mit signifikanter Zerstörung von städ- tischem Raum, führte ein Wiederaufbau nicht zu visionären neuen stadtweiten Planwerken, die das Ziel verfolgen, lang angestaute Defizite auszuräumen oder das Risiko einer weiteren Zerstörung zu begrenzen. Wenn eine Katastrophenbewälti- gung nicht durch bedeutende Regimewechsel begleitet wird, wird nach der Kata- strophe typischerweise die institutionelle Struktur und die Planungspraxis der Füh- rungsschicht übernommen. Die Folgezeit einer Katastrophe ist eine Zeit verzwei- felter Bemühungen, die städtische Grundversorgung wiederherzustellen. Dies sei nicht der angemessene Moment, radikale Veränderungen in öffentlichen Politikfel- dern oder eine städtische Reform einzuführen. Zerstörung kann zwar neue Typen von Architektur hervorbringen35, aber große städtische Muster sind nicht leicht oder bereitwillig veränderbar. Nach Vale und Campanella ist das Beharrungsver- mögen städtischer Widerstandsfähigkeit das Ergebnis einer Kombination aus geo- graphischen Vorteilen, langfristiger Investition in Infrastruktur und ortsabhängiger Unternehmensnetzwerke. (Vale, Campanella 2005: 345–346) Hier begünstigt der Faktor Lokale institutionelle Akteure und ihre Führungsschicht eine Katastrophen- bewältigung, allerdings ist Veränderungspotential ist in diesem Zusammenhang nicht vorhanden.

Das Phänomen Widerstandsfähigkeit nutzt die Kraft des Ortes: Die Unveränder- barkeit von politischen Institutionen und die Beharrlichkeit von Planung sind mit dem großen Beharrungsvermögen verknüpft, mit dem viele Menschen an bestimmten Orten hängen, sogar nachdem diese Orte substanziell zerstört wurden. Nach Kevin Lynch ist eine Stadt „hard to kill, in part because of its strategic geographic location, its concentrated persisting stock of physical capital, and even

34 Interessanterweise ist zwar von Unzufriedenheit bei New Orleans Einwohnerschaft auszugehen, aber ein lokalpolitischer Wechsel fand dennoch nicht statt. (vgl. Teil C III) 35 Beispiele dafür sind der Wiederaufbauprozess von Ground Zero in New York City und das Auf- kommen von sogenanntem affordable green housing in New Orleans nach Hurrikan Katrina.

82 more because of the memories, motives, and skills of its inhabitants.” (Lynch 1990: 109 zit. in Vale, Campanella 2005: 347) Reparieren, verbessern und wieder nutzen der städtischen technischen und sozialen Infrastruktur bedeutet eine Neuetablierung menschlicher Verbundenheit. Städtischer Wiederaufbau entsteht „Netzwerk für Netzwerk, Quartier für Quartier und nicht nur Gebäude für Gebäude“. Unzählige soziale Beziehungen werden wiederaufgebaut, die in Schulen, am Arbeitsplatz, in Kindergärten, in Versorgungseinrichtungen, in Gottesdiensten und auf Spielplätzen sowie an Orten der Freizeit und Erholung eingebettet sind. (Vale, Campanella 2005: 347) Nach Campanella ist eine Stadt nur so widerstandsfähig, wie es ihre Bewohner sind. Die Rückkehr der Bewohnerschaft ist entscheidend nach einem Naturereignis, das eine Katastrophe zur Folge hat. Durch eine hohe Rückkehrquote bleibt die soziale Struktur erhalten, was die Stadt widerstandsfähig macht. (Campanella 2006c: 143–145)36 Der Faktor Lokale Akteure und ihre Führungsschicht trägt zwar zur Katastrophenbewältigung bei, aber Veränderungspotential ist in diesem Zusammenhang nicht vorhanden. Auch die Kraft des Ortes unterstützt Katastrophenbewältigung, steht allerdings Veränderung ebenso entgegen. Die Kraft des Ortes machen insbesondere folgende Facetten aus:

• Der Besitz privaten Eigentums organisiert den städtischen Raum. Rechtliche Eigentumsgrenzen können auch stadträumlich wieder sichtbar werden, wenn rechtmäßige Dokumente noch existieren. Das trägt zur Dauerhaftigkeit eines Ortes bei (Campanella 2006c: 142) und macht den Ort widerstandsfähig. • Bauliche Überreste (in erster Linie Betonfundamente) und unterirdische Ver- sorgungsleitungen (technische Infrastruktur) sind auch nach einer Katastrophe oft noch vorhanden und garantieren geradezu, dass ein Ort nicht verlassen

36 Die Bewohnerschaft von New Orleans gilt als gemeinschaftlich widerstandsfähig. Denn die soziale Struktur blieb erhalten durch eine Sicherung eines gemeinschaftlichen Erbes. Die Fähigkeit einer Stadt, sich nach einer Katastrophe zu erholen, hängt stark von ihren Einwohnern ab. Ironischerweise hängt auch die Erholung von New Orleans stark von denen ab, die am meisten unter der Katastrophe litten. Der Tourismus bringt zwar Geld in die Stadt, aber die Bewohner der zerstörten Quartiere ma- chen New Orleans einzigartig mit ihren Traditionen, ihrer Küche, ihrer Musik, ihren Eigenheiten und Gewohnheiten. (Campanella 2006c: 143) Welche Faktoren die Entscheidung beeinflussen, nach New Orleans zurückzukehren, ist noch nicht umfassend erforscht. Aber bekannt ist von Nachbarschaften, die durch die Flächensanierung innerstädtischer Quartiere in den 1950er und 1960er Jahren zerstört wurden, dass gemeinschaftliche Institutionen und soziale Netzwerke eine Zerstörung der gebauten Umwelt überleben. (Campanella 2006c: 145)

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werden wird. Das trägt also ebenfalls zur Dauerhaftigkeit eines Ortes bei (Campanella 2006c: 142) und macht den Ort widerstandsfähig. • Geographische und ökonomische Vorteile, die eine Stadt zu ihrer ursprüngli- chen Entwicklung verholfen haben, sind auch nach einer Katastrophe von Vor- teil und machen ebenfalls die Dauerhaftigkeit eines Ortes aus (Campanella 2006c: 142) und den Ort widerstandsfähig. Eine Stadt mit einer stabilen Wirt- schaft wird sich schneller wieder erholen, als eine Stadt mit einer spezialisier- ten (monostrukturierten) oder schwachen Wirtschaftskraft. (Campanella 2006c: 143) Ökonomische und soziale Rahmenbedingungen, die vor einer Katastrophe vorhanden waren, spielen eine große Rolle bei der Frage, wie gut sich eine Stadt von einer Katastrophe erholen wird. (Campanella 21.09.2005) • Planung kann ebenfalls die Widerstandsfähigkeit einer Stadt unterstützen: Ein- gespielte Evakuierungspläne und Pläne des Notfallmanagements tragen in der Stadt dazu bei, eine Katastrophe zu überstehen ohne einen großen Verlust an Menschenleben verzeichnen zu müssen. Städte, die in die Gefahrenabwehr in- vestieren, sind weniger anfällig für Katastrophen. Die US-amerikanische Bun- desregierung institutionalisierte die Planung zur Gefahrenabwehr, indem das Federal Emergency Management Agency Mitigation Directorate im Jahre 1993 geschaffen wurde. Ein Absatz des Disaster Mitigation Act, der sieben Jahre später verabschiedet wurde, bietet einem Bundesstaat und Lokalregie- rungen finanzielle Anreize und technische Unterstützung für die Planung zur Reduzierung von Auswirkungen einer Katastrophe an. (Von privaten Unter- nehmen wurde gelernt: Der Schlüssel für eine widerstandsfähige Organisation liegt in der Planung von Gefahrenabwehr. Denn diese Planung macht eine Zer- störung unwahrscheinlicher.) (Campanella 2006c: 143) • Die Versicherungsindustrie, eine eher konservative Institution, verfolgt einen schnellen Wiederaufbau. Sie orientiert sich daran, was wo verloren gegangen ist und drängt Eigentümer dazu, an gleicher Stelle wiederaufzubauen. Auch das macht die Dauerhaftigkeit eines Ortes aus. (Campanella 2006c: 142)

Die Rhetorik von Widerstandsfähigkeit ist stets umkämpft: Der Diskurs um Wider- standsfähigkeit ist niemals frei von Politik, Selbstinteresse oder Wettbewerb. Aus- sagen, bei denen Versprechungen von Fortschritt im Mittelpunkt stehen, werden oft durch diejenigen finanziell unterstützt, die Kapital und Produktion kontrollieren

84 und werden manipuliert durch Kritiker in den Medien, durch Politiker und Perso- nen mit Einfluss. (Vale, Campanella 2005: 341) Veränderungspotential kann in diesem Zusammenhang nicht abgeleitet werden (Veränderung vs. keine Verände- rung).

2.3.2 Anforderungen an städtische Widerstandsfähigkeit

Bislang wurden zwei Arten von Anforderungen formuliert, durch die eine Stadt als widerstandsfähig gilt: Anforderungen an Stadtpolitik und Anforderungen an Stadt- strukturen. Im Diskurs um Resilienz von Städten verbinden sich im Zusammen- hang mit Katastrophenereignissen in erster Linie Anforderungen an Stadtpolitik: Die Widerstandsfähigkeit einer Kommune müsse nach einem Katastrophenereignis durch Maßnahmen auf vier Ebenen gestärkt werden. Eine Kommune muss zukünf- tig „besser“ in der Lage sein, Gefahren vorherzusehen (1) und Vulnerabilität, also Verletzlichkeit, so weit es geht zu vermeiden (2). Falls Zerstörungen dennoch auf- treten, muss die Kommune darauf angemessen reagieren (3) und das Katastrophen- ereignis bewältigen können (4) (anticipate, reduce, respond, recover) (Colten et al. 2008: 2; Campanella 2006c: 141). Eine Stadt kann zwar physisch (baulich- räumlich) wiederaufgebaut werden, allerdings sei die Katastrophe damit nicht voll- ständig bewältigt: Denn Städte seien „mehr als die Summe ihrer Gebäude“; sie stellen Verknüpfungen von sozialen und kulturellen Charakteristiken dar. Damit eine Stadt eine Katastrophe vollständig bewältigt, müssen familiäre, soziale und religiöse Netzwerke von Überlebenden und Evakuierten wiederhergestellt sein (vgl. Vale, Campanella 2005: 347; Campanella 2006c: 142)37. Urban resilience sei größtenteils eine Aufgabe von Bürgern, die mit Ressourcen ausgestattet sind (Campanella 2006c: 141). Denn eine Stadt kann eine Katastrophe kaum bewälti- gen, wenn die lokale Bevölkerung einem Wiederaufbau nicht zustimmt (Campanel- la 2006c: 142) und bereit ist, ihr Wohneigentum wiederaufzubauen. Planwerke, die erarbeitet werden, um die soziale und technische Infrastruktur wiederaufzubauen,

37 Der Terminus Resilient City impliziert ein Ende, das aber an einen fortwährenden Wiederaufbau- prozess gekoppelt ist. Eine produktive Offenheit, mit der entgegengesetzte Impulse innerhalb der umkämpften Prozesse eines Wiederaufbaus erkannt und strukturiert werden, sollte verfolgt werden. (Vale, Campanella 2005: 14)

85 müssen durch einen Prozess begleitet werden, der eine Wiederherstellung von so- zialen Netzwerken unterstützt (Campanella 2006c: 141).

2.4 Ansatzpunkte für die Forschung längerfristiger Katastrophenbewäl- tigung

Schon Haas et al. haben 1977 bei der Aufarbeitung des Forschungsstandes festge- stellt, dass die Untersuchung eines Wiederaufbauprozesses stark vernachlässigt wurde.38 Vergleichbare Forschungsarbeiten zu Problemen und Lösungswegen bei Wiederaufbauprozessen seien selten. (Haas, Kates 1977: XV–XVII) Aufbauend auf dieser Erkenntnis standen bei ihrer Forschung die Fragen im Mittelpunkt, inwiefern es Kräfte gibt, die eine Stadt und ihre Institutionen nach einem derartigen Ereignis verändern, inwiefern die Verantwortlichen der Stadtplanung einen besonderen Ein- fluss haben, der das Ergebnis verändert, inwiefern die Wohlhabenden und Macht- vollen Schlüsselentscheidungen treffen, bis zu welchem Grad externe Entschei- dungen der Bundesregierung und Katastrophenhilfsprogramme maßgebend für die Erneuerung sind und welchen Einfluss internationale Organisationen haben. (Haas, Kates 1977: XV–XVI) Ihre Forschung gibt Teilantworten auf diese Fragen und ist bislang die einzige ihrer Art, so dass sie damals weiteren Forschungsbedarf attes- tierten. Die vorliegende Arbeit versucht, dazu einen weiteren Beitrag zu leisten: Gefragt wird nach Bedingungen, die Reformfähigkeit nach einem Ereignis, das eine Katastrophe nach sich zog, forcieren und blockieren am Beispiel gesamtstädti- scher Planungen im Politikfeld der Stadtentwicklung nach Hurrikan Katrina in New Orleans.

Campanella fragt, was eine Stadt widerstandsfähig macht (Kriterien) und warum die moderne Stadt eine Katastrophe schnell bewältigt; was also eine zerstörte Stadt befähigt, seine gebaute Umwelt wiederaufzubauen sowie seine soziale Struktur und kulturelle Identität wiederherzustellen. In Bezug auf New Orleans nach Hurrikan Katrina fragt er unmittelbar nach der Katastrophe nach Faktoren, die bestimmen

38 Die Autoren kategorisierten den Forschungsstand nach Phasen: Phase vor einer Katastrophe (Ge- fahrenabwehr), Notstand (emergency period), Wiederherstellung der Grundversorgung (restoration period) und Wiederaufbauphase (reconstruction period). (Haas, Kates 1977: XVII)

86 werden, ob sich New Orleans von Hurrikan Katrina „erholt“ – ob also New Orleans die Katastrophe bewältigt – und inwiefern sich die Stadt zu einer mannigfaltigen und inklusiven Metropole entwickelt. (Campanella 2006c: 141)

Abbildung 6: Gegenüberstellung von Forschungsfeldern in Bezug auf Gefahren und Katastro- phen (Colten et al. 2008: 2).

Vale und Campanella (2005) verweisen auf zwei Forschungslücken, denen diese Arbeit nur implizit nachkommen kann. Erstens seien noch institutionelle Aspekte im Rahmen der Katastrophenbewältigung ungeklärt. Erkenntnisse zum institutio- nellen Management von Katastrophen seien allerdings vorhanden (Mexiko Stadt, Oklahoma, Los Angeles, Tangshan, Beirut) (Vale, Campanella 2005: 353). Zwei- tens wurden zwar viele Fallstudien von post-disaster Wiederaufbau in Städten ge-

87 macht und vor kurzem sind einige vergleichende interkulturelle Studien entstanden. Aber seltener wurde versucht, städtische Widerstandsfähigkeit in Folge von Natur- katastrophen und humanitären Katastrophen wie Kriegen und Terrorattacken zu untersuchen. Denn diese Fallstudien bieten keinen Rahmen für eine Bewertung von Gestaltungspolitiken im Zusammenhang mit Katastrophenbewältigung und dem Gedenken an die Katastrophe; einer Tatsache, der Vale und Campanella mit ihrer Forschung begegnen wollen (vgl. Ockman 2002; Gastil, Ryan 2003; Massard- Guilbaud et al. 2002; Körner 2000 zit. in Vale, Campanella 2005: 9, 23). Colten et al. (2008: 2) verweisen auf die Verknüpfung der Erforschung von Gefahren und Katastrophen, um weitere Erkenntnisse hinsichtlich Gefahrenanpassung und Kata- strophenbereitschaft zu erhalten (vgl. Abb. 6).

B I.3 Zwischenfazit: Mittelbar längerfristige Bewältigung von Katastrophen und Rahmen zur Untersuchung von Bedingungen lokaler Reformfähigkeit

In diesem Teilkapitel wurde herausgearbeitet, wie auf lokaler Ebene in Bezug auf das Politikfeld der Stadtentwicklung in westlichen Industrienationen eine Katastro- phe in Folge eines Naturereignisses im urbanen Kontext bewältigt wird. Dafür wurden Merkmale von Wiederaufbauprozessen und von städtischer Widerstands- fähigkeit dargelegt. Bewältigungsstrategien lassen sich nur ansatzweise erkennen (Dimensionen von Katastrophenbewältigung). Allerdings konnten vereinzelt Fak- toren abgeleitet werden, die längerfristig dazu beitragen, eine Katastrophe zu be- wältigen. (3.1) Anschließend werden die Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit zusammengefasst, die sich in diesem Teilkapitel andeuten (3.2). Abschließend wird ein Rahmen für die Untersuchung von Bedingungen lokaler Reformfähigkeit für die empirische Untersuchung dieser Arbeit vorgeschlagen, der aus Inhalten dieses Teilkapitels abgeleitet wird (3.3) und auf folgende Fragen dieses Teilkapitels Be- zug nimmt:

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• Welche Merkmale werden in Bezug auf das Politikfeld der Stadtentwicklung nach einer Katastrophe infolge eines Naturereignisses im urbanen Kontext deutlich? (Merkmale von Wiederaufbau und Widerstandsfähigkeit) • Inwiefern deuten diese Merkmale auf Bewältigungsstrategien hin, die aufzei- gen, wie längerfristig lokal mit Katastrophen in urbanen Kontexten umgegan- gen wird? • Inwieweit werden dabei Akteurskonstellationen (von Akteuren aus Staat, Markt und Zivilgesellschaft und möglicherweise deren Zusammenwirken) deutlich, die in stadtentwicklungspolitischen Handlungsfeldern nach einer Ka- tastrophe infolge eines Naturereignisses aktiv sind und an Produkten und Pro- zessen der Stadtentwicklung arbeiten? • Inwiefern zeigen Erkenntnisse von Katastrophenbewältigung Bedingungen auf, die lokale Reformfähigkeit nach Katastrophen in Bezug auf das Politikfeld der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren?

3.1 Merkmale, Strategien und Faktoren einer längerfristigen Bewälti- gung von Katastrophen

Bei den Merkmalen, die in Bezug auf das Politikfeld der Stadtentwicklung nach einer Katastrophe infolge eines Naturereignisses im urbanen Kontext eine Kata- strophenbewältigung charakterisieren (Merkmale von Wiederaufbau und Wider- standsfähigkeit), werden Faktoren deutlich, die zu einer längerfristigen Bewälti- gung von Katastrophen beitragen. Erstens konnten für diese Arbeit aus den Charak- teristika von Wiederaufbauprozessen vereinzelt die Faktoren Zeit, da oftmals paral- leles Handeln erforderlich ist beziehungsweise stattfindet, und Einfluss aufgrund von organisiertem Handeln abgeleitet werden, die zur Katastrophenbewältigung beitragen. (1977) Zweitens werden bei den Merkmalen städtischer Widerstandsfä- higkeit Faktoren deutlich, die ebenfalls zur Katastrophenbewältigung beitragen, so dass die Stadt baulich-räumlich nach der Katastrophe aufgebaut werden kann (lo- kale und überlokale Akteure und der Einfluss der Führungsschicht). (Vale, Campa- nella 2005)

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In Bezug auf das Politikfeld der Stadtentwicklung sind Wiederaufbauprozesse ge- kennzeichnet durch folgende Merkmale: Bei einem Wiederaufbau ist ein „Spagat“ erforderlich zwischen dem Wiederherstellen des „Normalzustandes“ und dem Ver- folgen von langfristigen Entwicklungslinien; der Faktor Zeit spielt hierbei eine große Rolle. (1) Bei einem Wiederaufbau wird paralleles, räumlich abgegrenztes Handeln deutlich ohne Synergieeffekte. (2) Bei einem Wiederaufbau ist der wirt- schaftliche Sektor neben dem politisch-administrativen Handeln des Staates auf allen Ebenen dominant. In diesem Zusammenhang agiert der wirtschaftliche Sektor in der Regel „schneller“, so dass der Faktor Zeit ebenfalls eine große Rolle spielt. (3) Bei einem Wiederaufbau kann die zivilgesellschaftliche Sphäre unmittelbare Wiederaufbaupolitiken beeinflussen, wenn diese organisiert ist (Faktor Einfluss). (4) Bei einem Wiederaufbauprozess ist das „Bestehende“ in Konkurrenz zu „Neu- artigem“. Dabei konkurrieren neue Planungskonzepte mit alten Gegebenheiten einer Stadt. Der Faktor Zeit spielt eine Rolle. (5) Bei einem Wiederaufbau hat eine „katastrophenbedingte Knappheit“ in gesellschaftlichen Bereichen soziale und sozioökonomische Auswirkungen in der Stadt. (6)

In Bezug auf das Politikfeld der Stadtentwicklung sind folgende Merkmale städtischer Widerstandsfähigkeit (Urbane Resilienz) von Relevanz. Auch diese lassen vereinzelt Faktoren erkennen, die zur Katastrophenbewältigung beitragen. Auch lässt sich ein gewisses „Veränderungspotential“ aus dreien dieser Merkmale ableiten: Erstens ist lokale Erneuerung mit nationaler Erneuerung verbunden. Überlokale Akteure spielen dabei eine große Rolle und Veränderungspotential ist vorhanden. Zweitens wird Widerstandsfähigkeit durch überlokale Akteure garantiert. Auch dabei spielen überlokale Akteure eine Rolle und üben Einfluss aus. Drittens gibt es eine politische Notwenigkeit, Widerstandsfähigkeit zu demonstrieren. Veränderungspotential ist dabei vorhanden. Viertens decken Katastrophen die Widerstandsfähigkeit von Regierungen auf. Dabei spielt der Faktor eine Rolle, dass lokale Akteure Allianzen bilden, die zum Wiederaufbau beitragen. Auch dieses Merkmal birgt Veränderungspotential. Fünftens profitiert Widerstandsfähigkeit von einem Beharrungsvermögen früherer Investitionen. Entscheidend dafür sind lokale institutionelle Akteure und ihre Führungsschicht (Faktor). Sechstens nutzt das Phänomen Widerstandsfähigkeit die Kraft des Ortes. Auch bei diesem Merkmal sind lokale Akteure und die Führungsschicht einer Stadt

90 von großer Bedeutung. Die Kraft des Ortes definiert sich beispielsweise über soziale städtische Netzwerke, über den Besitz von privatem Eigentum, über bauliche Überreste (in erster Linie Betonfundamente) und unterirdische Versorgungsleitungen (technische Infrastruktur), über geographische und ökonomische Vorteile, über eingespielte Evakuierungspläne und Pläne des Notfallmanagements und über die Versicherungsindustrie. Siebtens zeigt die Forschung, dass die Rhetorik von Widerstandsfähigkeit stets umkämpft ist. Zusammenfassend ist Veränderungspotential bei den Merkmalen vorhanden, bei denen „etwas“ unter Beweis steht, was zum Gegenstand handelnder institutioneller Akteure wird. Daraus lässt sich wiederum simpel ableiten, dass Veränderung (neben anderen Faktoren) stark mit Akteurshandeln kongruiert. Bei diesen Merkmalen halten sich vorhandenes und nicht vorhandenes Veränderungspotential relativ die Waage.

Die Faktoren, die aus diesen Merkmalen abgeleitet wurden, lassen Akteurskonstel- lationen in diesem Teilkapitel der Katastrophenbewältigung ausschließlich erah- nen. Festgestellt werden kann selbstverständlich, dass Akteure des Staates, des Marktes und der Zivilgesellschaft zusammenwirken. In welcher Konstellation, so eine zu erkennen ist, wird in diesem Teilkapitel nur oberflächlich deutlich (Staat – lokal, überlokal – und wirtschaftlicher Sektor; Staat und organisierte Zivilgesell- schaft) (Unterfrage 3 Akteurskonstellationen). Dieser Aspekt wird im nächsten Teilkapitel (B II Reformfähigkeit) weiterverfolgt.

In der Literatur ist nicht explizit die Rede von Strategien, wie und wodurch eine Katastrophe bewältigt wird. Im Rahmen dieser Arbeit wurden ausschließlich – für eine grobe Orientierung – Dimensionen von zwei Bewältigungsstrategien erkannt. Die Strategien von Wiederaufbau (Rückkehr zum Normalzustand) und von Umbau oder Neubau werden relativ gleichzeitig verfolgt. Drei Dimension dieser Bewälti- gungsstrategien wurden deutlich: eine technologische, eine planerische und eine finanzielle Dimension, wobei letztgenannte als Grundlage für die ersten beiden interpretiert werden kann. (Unterfrage 2)

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3.2 Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit bei längerfristiger Katastrophenbewältigung

In Bezug auf die Fragestellung dieser Arbeit zur Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung nach einer Katastrophe und deren Bedingungen (verkürzt), wurden zunächst zwei Punkte deutlich: Zunächst einmal zeigt der derzeitige Forschungsstand zur längerfristigen Katastrophenbewältigung, dass die Forschung in Bezug auf die Frage nach Reformfähigkeit und Veränderung nicht über die Feststellung hinaus kommt, dass Katastrophen auch Reformen auslösen können und reformerische Ansätze sich besonders gut längerfristig hervortun und durchsetzen können (Das ist dementsprechend auch der Ansatzpunkt der vorliegenden Arbeit). Insofern ist eine Katastrophe ein Gelegenheitsfenster für Veränderung. Zudem wurden im Rahmen der Erkenntnisse zur Katastrophenbewältigung einige zuträgliche Bedingungen von Reformfähigkeit sichtbar und Bedingungen, die eher ein Beharrungsvermögen in Bezug auf Reformfähigkeit ausdrücken. (vgl. Abb. 8, blau dargestellt) Verschiedene Ebenen dieser Hinweise auf Reformfähigkeit und Beharrungsvermögen wurden deutlich (Problemdruck, durch den Handlungsdruck entsteht; Akteurshandeln, das Handlungsspielraum schafft; Ergebnisse ihres Handelns im weitesten Sinne, resp. ein struktureller Kontext). Das nächste Teilkapitel betrachtet Reformfähigkeit gesondert (B II) um zu prüfen, inwiefern dieses Forschungsfeld Bedingungen von Reformfähigkeit offenlegt, auch unabhängig von einer Katastrophenbewältigung, insbesondere in Bezug auf Akteurskonstellationen, die Reformfähigkeit forcieren.

3.3 Rahmen für die Untersuchung von Bedingungen lokaler Reformfä- higkeit

Als drittes Zwischenergebnis dieses Teilkapitels lässt sich aus den Erkenntnissen der derzeitigen Forschungslandschaft zur Katastrophenbewältigung ein Rahmen für die Untersuchung von Bedingungen lokaler Reformfähigkeit nach einem Naturer- eignis, das eine Katastrophe nach sich zieht, in dieser Arbeit ableiten, der Hinweise auf ein Analysegerüst gibt: Erstens wurden in den Arbeiten zum Wiederaufbau von Chicago und San Francisco vier grobe Untersuchungskategorien vorgeschlagen (Ausgangs- und Rahmenbedingungen, Planungsphilosophie, Leitbilddebatten und

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Reformbestrebungen, Merkmale von Governance) (Vale 2006). Und zweitens eig- nen sich dafür die vier Faktoren, die den Grad und das Tempo eines Wiederaufbaus beeinflussen (Ausmaß der Zerstörung, lokale Entwicklungslinien, verfügbare Wie- deraufbauressourcen, Qualitäten wie lokale Steuerungsfähigkeit, Planung und Organisation von Entscheidungsprozessen) (Kates, Pijawka 1977: 12–20). Daraus wird für die Untersuchung dieser Arbeit folgender Rahmen als erste Annäherung an ein Analysegerüst abgeleitet:

1. Vorherrschende lokale Entwicklungslinien vor der Katastrophe, Ausgangssitu- ation des stadtentwicklungspolitischen Handlungsfeldes und struktureller Kon- text nach der Katastrophe (abgeleitet von Ausgangs- und Rahmenbedingungen, Ausmaß der Zerstörung) 2. Gesamtstädtische strategische Ziele: Leitidee, Ansatz oder Logik (abgeleitet von Planungsphilosophie) 3. Entwicklungsprozess (abgeleitet von Leitbilddebatten und Reformbestrebungen und abgeleitet von verfügbaren Wiederaufbauressourcen, Qualitäten wie loka- ler Steuerungsfähigkeit, Planung und Organisation von Entscheidungsprozes- sen) 4. Prozessergebnis: Entscheidungspunkte und Auslöser für Plan oder Projekt, warum sind welche Akteure beteiligt, Argumente zur Durchsetzung, Faktoren, die Entwicklung im Nachgang der Katastrophe blockieren oder fördern (abge- leitet von Merkmale von Governance)

Zum Abschluss dieses Teilkapitels werden zwei Erkenntnisse zusammengefasst. Zum einen kann die Katastrophensituation zu einem Gelegenheitsfenster für Ver- änderung genutzt werden. Hinweise auf Bedingungen, die zu Veränderung als An- zeiger von lokaler Reformfähigkeit führen, bleiben in einer black box verborgen. Denn sie lassen sich in diesem Teilkapitel ausschließlich vereinzelt finden, so dass die Hinweise hier ausschließlich einen Auftakt zur weiteren Untersuchung darstel- len; zunächst für das Teilkapitel Reformfähigkeit (B II) und anschließend gespie- gelt am Fall von New Orleans (Teil C und D).

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B.II Reformfähigkeit

Werden Reformen im Zusammenhang mit Stadtentwicklung thematisiert, ist die Zeit bedeutend, in der die Wohnungsfrage in den Städten in Bezug auf Reformen hin zu einer staatlichen Wohnungsfürsorge debattiert wurde. Im Zuge der Indust- rialisierung veränderten sich Anfang des 19. Jahrhunderts wirtschaftliche, soziale, sozial- und stadträumliche Ausprägungen von Stadt und Land grundlegend: Städte erlebten aufgrund von sozialen Reformen ein enormes Bevölkerungswachstum. Die neue Arbeiterklasse lebte in den Städten unter menschenunwürdigen Bedin- gungen. Missstände waren unübersehbar und Bodenspekulation bestimmte zuneh- mend das Baugeschehen. Gegen diese Zustände regte sich in den Städten Kritik schon von der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an; sozial gerechtere Lebensmo- delle wurden gesucht. Die Entwicklung von Reformen in diesem Zusammenhang wurde forciert „durch die akute Angst vor Epidemien und revolutionärer Gesell- schaftsveränderung“ (Fischer, Feußner 2008: 12). Reinhard Baumeister, Hermann Josef Stübben und Camillo Sitte waren bedeutende Protagonisten.

Reformbewegungen, die Genossenschaften und Bodenreformen anstrebten, waren in Bezug auf ihr Leitbild und ihre Infrastruktur extern mit anderen Reformbewe- gungen vernetzt. „Diese Vernetzungen bildeten insbesondere in der Frühphase wichtige organisatorische Voraussetzungen, aber auch ideologische Determinanten für die Entwicklung und Umsetzung der Reformprojekte.“ (Farkas 1998: 246) Die Bodenreformbewegung entwickelte Befriedungsstrategien und Ansätze zur Linde- rung der Symptome vor dem Hintergrund der Kritik am Liberalismus, der Grund und Boden als frei verfügbaren Ware interpretierte. (Fischer, Feußner 2008) Im- pulsgeber waren Persönlichkeiten wie Adolf Damaschke (1865-1935), die „als Ideologen, Organisatoren und Popularisatoren der Bewegung“ auftraten und oft auch diese drei Funktionen gleichzeitig ausfüllten. (Farkas 1998: 246) Bindeglied zwischen diesen Persönlichkeiten und den Vereinsbewegungen, die Reformprojek- te umsetzten, waren oft Intellektuellenzirkel und -kreise, die einen informell und avantgardistisch Charakter hatten. Die Vereine bildeten ein vermittelndes Geflecht im Rahmen der sozioökomisch orientierten Reformbewegungen. Beispielsweise operierte der „Verein für Bodenreform“ (1894) durch ein eigenes aufgebautes dich-

94 tes Netz von Publikationen (Flugblätter, Plakate, Zeitschriften, Broschüren und wissenschaftlicher Literatur) und wirkte durch „vielschichtige Formen sozialer Mobilisierung.“ (Farkas 1998: 248)

Reformcharakter hatten im Bereich des Wohnungsbaus seit Beginn des 19. Jahr- hunderts sowohl praktische Experimente der „Sozialutopisten“ in England und Frankreich als auch die Werkssiedlungen, die Fabrikanten und Großunternehmer für ihre Arbeiterschaft bauten. Eine Welle von Gründungen von Genossenschaften folgte. Sie wurde einerseits ausgelöst durch die sozialstaatlichen Reformen unter Bismarck (ab 1883) und andererseits durch das Genossenschaftsgesetz von 1889, die sich zunächst auf den Geschosswohnungsbau in den Innenstädten konzentrier- ten. Die Genossenschaftliche Wohnreform und gemeinnützige Wohnungswirt- schaft hatte ihre Anfänge als „Idee der Genossenschaft“ ebenfalls bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die ursprünglich die Absicht hatte, Aufstände zu verhindern und sozial zu Befrieden. (Fischer, Feußner 2008) Als wichtige Bedin- gungen für die Entstehung von Genossenschaften galten eine „[r]äumliche Nähe der sich zusammenschließenden Individuen, wechselseitiges Vertrauen, gemeinsa- me ökonomische wie auch spirituelle Interessen […]“ (Prinz 1998: 254). Auch die Einbindung in eine soziale, politische oder kulturelle Bewegung war bedeutsam, denn erst diese mobilisierte die „außeralltäglichen Anstrengungen, die für jede Gründung erforderlich waren“. (Prinz 1998: 254-255)

Die Gartenstadt als Reformmodell stellte den Gegenentwurf „zu der unübersichtli- chen wuchernden, ungesunden und von Spekulation bestimmten‚ steinernden Stadt’“ (Fischer, Feußner 2008: 14) dar, die eine Schlüsselrolle bei gesellschaftli- chen Reformen im Sinne Howards spielen sollte. Trotz aller Reformversuche be- stimmte das „als Kapitalanlage oder Spekulationsobjekt errichtete Mietshaus (...) weiterhin die Wohnungsbautätigkeit“ (Fischer, Feußner 2008: 17). Ein Eingreifen des Staates schien notwendig. Auf ein Reichswohnungsgesetz konnte man sich allerdings nicht einigen aufgrund entgegengesetzter Interessenlagen der Länder und Interessengruppen. Dennoch sprach das preußische Wohnungsgesetz 1918 jedem Bürger unabhängig von seinem Einkommen das Recht auf eine gesunde Wohnung zu. Wohnungsfürsorgegesellschaften wurden als neue Institutionen unter anderem zu dem Zweck gegründet, wohnungsreformerische und siedlungspolitische Ziele

95 des Staates zu verfolgen. Diese Fürsorgegesellschaften sollten die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften unterstützen. (Fischer, Feußner 2008) Zusammenfas- send gehören zu den Bedingungen, die zu dieser Zeit Reformen forcierten, dem- nach ein Problemdruck, eine Vernetzung und Einbindung in andere Bewegungen, Impulsgeber sowie die Fähigkeit zur sozialen Mobilisierung.

Reformen werden in dieser Arbeit zunächst allgemein als Veränderung des Status quo verstanden und das Neue spiegelt insofern Reformfähigkeit wider. So kann nach einem Naturereignis, das eine Katastrophe nach sich zieht, Neues entstehen (Bates 1963; Birkland 1997; Petring 2010 u.a., vgl. B I). In diesem Teilkapitel wird ein Blick auf Forschungsarbeiten zu Reformen, Reformpolitik und Reformfähigkeit genutzt, um Bedingungen lokaler Reformfähigkeit in der Folgezeit eines Naturer- eignisses, das eine Katastrophe im urbanen Kontext nach sich zieht, nachzugehen (Fragestellung der Arbeit). So sind auch nach Petring (2010) Muster, nach welchen Reformen in „entwickelten Wohlfahrtstaaten“ entstehen, bis heute nicht hinrei- chend theoretisch reflektiert und empirisch untersucht (Petring 2010: 19).39

Im Rahmen einer Katastrophenbewältigung können sich reformerische Ansätze besonders gut längerfristig hervortun. So haben einige Merkmale von Wiederauf- bauprozessen und städtischer Widerstandsfähigkeit Veränderungspotential ange- deutet (vgl. B I). Auch sind einige Bedingungen deutlich geworden, die den Status quo verändern können. Bedingungen, die ein gewisses Beharrungsvermögen ver- körpern, die also Reformfähigkeit blockieren, haben sich ebenfalls angedeutet. (vgl. insbesondere B I 3.2) Dieser Befund (aus B I) ist der Auftakt für die Frage an dieses Teilkapitel (B II Reformfähigkeit): Inwiefern legen Forschungsarbeiten zu Reformen, Reformpolitik und Reformfähigkeit Bedingungen offen, die lokale Re- formfähigkeit forcieren oder blockieren – auch unabhängig von einer Katastro- phenbewältigung. Insbesondere wird in diesem Teilkapitel nach Antworten dazu in Bezug auf Akteurskonstellationen, die Reformfähigkeit forcieren, gesucht. Folgen- de Unterfragen führen durch das Teilkapitel:

39 Bei der Untersuchung von Erklärungsfaktoren bezieht Petring sich auf Sozialsysteme und fragt, wie diese politisch reformiert werden (Petring 2010: 19).

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• Was ist unter Reformfähigkeit zu verstehen? Inwiefern kann ein Verständnis von lokaler Reformfähigkeit aus den Forschungsarbeiten zu Reform und zu Re- formpolitik abgeleitet werden? • Inwieweit gibt es Hinweise auf Akteure und Akteurskonstellationen, ihr Han- deln und ihre Fähigkeiten oder einen strukturellen Kontext, die Reformfähig- keit forcieren oder blockieren und die als Bedingungen verstanden werden können? • Inwieweit bezieht sich Reformfähigkeit auf eine Katastrophe im urbanen Kon- text infolge eines Naturereignisses? Inwieweit spielt das Politikfeld der Stadt- entwicklung im Konzept von Reformfähigkeit eine Rolle beziehungsweise in- wieweit lässt sich das Verständnis von Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung anwenden?

In dieser Arbeit wird zunächst einmal grundlegend davon ausgegangen, dass es unter – für das Politikfeld der Stadtentwicklung bislang eher unbestimmten – Be- dingungen zu Veränderung kommen kann, was lokale Reformfähigkeit widerspie- gelt. Aufgrund von Handlungsdruck mobilisieren neue Koalitionen von Akteuren Kräfte, was zu Reformen führen kann und dementsprechend Reformfähigkeit auf- zeigt. Das heißt Reformfähigkeit kann durch Akteurskonstellationen und den Er- gebnissen ihres Handelns sowie durch ihre Fähigkeiten zustande kommen, aber auch durch einen strukturellen Kontext forciert oder blockiert werden, der im wei- teren Sinne ebenso Ergebnis von akteursbasiertem Handeln ist (ein Ergebnis aus B I und theoretische Hypothese des Teilkapitels). Diese Hypothese stützt sich auf empirische Erkenntnisse aus dem Teilkapitel Katastrophenbewältigung: (Neue und alte) Koalitionen mobilisieren Kräfte, so beispielsweise die Privatwirtschaft für die Privatwirtschaft aufgrund einer laissez faire-Haltung des lokalen Staates, wie bei- spielsweise der Fall des Wiederaufbaus von San Francisco zeigt. Oder es bilden sich Bündnisse aus lokalem Staat und Privatwirtschaft (Beispiel Wiederaufbau Chicago). Auch ermöglicht eine lokalpolitische Systemschwäche – durch einen Schockzustand – Reformen durch überlokalen Einfluss. Ein lokalpolitischer Wille kann auch zu Neuerungen beitragen beispielsweise auf der Leitbildebene. Somit können das Handeln und die Entscheidungen von beispielsweise lokalem und über- lokalem Staat sowie privatwirtschaftlicher Akteure lokale Reformfähigkeit bedin- gen. Koalitionsbildung und Zusammenspiel von Akteuren aus Staat, Markt und/

97 oder Zivilgesellschaft im stadtpolitischen Zusammenhang ist im Konzept von ur- ban governance gefasst; einem planungswissenschaftlichen Ansatz, der dieser Ar- beit grundlegend dient (Altrock et al. 2004; Nuissl, Heinrichs 2006). Eine Erkennt- nis des Akteurszentrierten Institutionalismus wird in dieser Arbeit als methodische Voraussetzung verstanden: Akteure handeln in der Logik ihrer Institution und Or- ganisation und bringen dabei eigene Werte, Kompetenzen, Fähigkeiten und fachli- che Ansätze in einen Entscheidungsprozess ein (Scharpf 2000).

Über Definitionsansätze von Reform, Reformpolitik und Reformfähigkeit (1) nä- hert sich diese Arbeit an das Verständnis von Reformen und Reformfähigkeit in den Politikwissenschaften an. Anschließend wird auf Ursachen und Auslöser von Reformen eingegangen (2). Herausgearbeitet wird dann, wann es zu Reformen kommt beziehungsweise, wer oder was Reformfähigkeit bedingt (Identifikation von Bedingungen, die Reformfähigkeit ermöglichen oder blockieren) (3). Diese Erkenntnisse sind in den Politikwissenschaften entwickelt worden und beziehen sich erst einmal nicht auf Handlungsfelder des Politikfeldes der Stadtentwicklung. In dieser Arbeit wird dementsprechend im empirischen Teil geprüft, inwieweit Bedingungen, die hier theoretisch identifiziert wurden, auch in Handlungsfeldern des Politikfeldes der Stadtentwicklung zu Reformfähigkeit führen.

B II.1 Von Reform über Reformpolitik zur Reformfähigkeit

In den Politikwissenschaften ist die Frage nach Reformfähigkeit eher unterbelich- tet; in erster Linie werden Reformen thematisiert. Da eine Reform Reformfähigkeit voraussetzt40, wird nachfolgend zunächst auf das Verständnis von Reform und Re- formpolitik eingegangen. Auch erfordert eine Definition von Reformfähigkeit zu- nächst ein Verständnis von Reform.

40 Im Umkehrschluss muss aber Reformfähigkeit nicht auch gleich die Umsetzung einer Reform (oder Veränderung) zur Folge haben. Im Sinne dieser Arbeit, kann das Ergebnis eines Prozesses oder der Prozess selbst zwar neuartig sein, was im Sinne dieser Arbeit Reformfähigkeit widerspiegelt. (Das Ergebnis selbst kann aber in seiner Umsetzung blockiert werden. Das Ergebnis kann auch anderweiti- ge – zunächst nicht intendierte – Veränderung hervorrufen.)

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In den Politikwissenschaften wird von zwei Sachverhalten in Bezug auf Reformen ausgegangen, zu denen sich diese Arbeit zunächst positioniert: Erstens wird davon ausgegangen, das ausschließlich Staat und Verwaltung Reformen anstreben und umsetzen. Das in den Politikwissenschaften als governance bezeichnete Zusam- menspiel der gesellschaftlichen Sphären von Staat, Markt und Zivilgesellschaft (governance-Forschung) wird in Bezug auf das Hervorbringen von Reformen erst einmal nicht thematisiert. In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass das Zu- sammenwirken dieser Sphären Reformen auch hervorbringen kann und governance somit als eine Art Ausgangsbedingung im Zusammenhang mit dem Hervorbringen von Reformen betrachtet werden kann, so dass dem Staat und anderen Akteuren jeweils unterschiedliche Rollen zuteilwerden. In dieser Arbeit wird demnach nicht nur die politisch-administrative Ebene für fähig gehalten, Reformen hervorzubrin- gen und umzusetzen (was ausschließlich eine Government-Perspektive beschreiben würde). In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass es zu Reformen durch das Zusammenspiel zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft kommt (governance). Vor dem Hintergrund des stadtentwicklungspolitischen Bezugs dieser Arbeit könn- ten sich in Folge eines Naturereignisses im urbanen Kontext, das eine Katastrophe nach sich zieht, im Ergebnis stadtentwicklungspolitische Planungsinstrumente, Leitbilder und räumliche Muster verändern. Denn nach Blöcker et al. (1997) zei- gen neue Leitbilder Reformen an. Diesen geht stets ein Prozess voraus, der Re- formfähigkeit widerspiegelt. Leitbilder können allerdings nur entwickelt werden, wenn verschiedene Akteure mit ihren Interessenstrukturen, Werten und Hand- lungsorientierungen in diesem Prozess mitarbeiten (Blöcker et al. 1997: 24). Blö- cker et al. (1997) beziehen sich dabei zwar auf Leitbilder, die einen „gesamtgesell- schaftlichen Wandel“ beschreiben. Leitbildprozesse sind aber selbstverständlich auch im Politikfeld der Stadtentwicklung weit verbreitet. In Leitbilddebatten auf lokaler Ebene sind zivilgesellschaftliche Bewegungen und Organisationen inte- griert. Das ist oftmals explizites Ziel der Lokalpolitik, sei es aus legitimatorischen oder informatorischen Gründen. Zudem werden zivilgesellschaftliche Bewegungen vermutlich in diese erste Planungsphase eingebunden, weil Leitbilddebatten noch wenig konkret sind und das Ziel des Planungsprozesses zu diesem Zeitpunkt nicht darin besteht, Entscheidungen zu treffen, sondern grundsätzliche Leitlinien zu „sammeln“, die in ihrer Allgemeinheit oft noch nicht kontrovers sind. Im Ergebnis „stutzen [die Debatten] aber die Komplexität integrativer Stadtentwicklungspolitik

99 auf ein beherrschbares Maß zurück. Die Zivilgesellschaft erhält hier breite Formu- lierungs- und Kreativitätsspielräume, deren Folgen aber in der Regel wenig ver- bindlich bleiben.“ (Altrock 2007: 246)

Zweitens wird in den Politikwissenschaften in Bezug auf Reformen davon ausge- gangen, dass eine Reform bewusst angestrebt wird. Das heißt ein Reformprojekt wird auch immer als ein solches im Vorfeld bezeichnet. Darüber hinaus kann aber ein gesellschaftspolitischer Prozess auch erst in der Rückschau als neuartig bewer- tet werden und eine Veränderung nach sich ziehen, die nicht intentional von Be- ginn an als Reform bezeichnet werden muss. In dieser Arbeit werden demnach auch dann Reformen als solche bezeichnet, wenn sie durch Dritte – in der Rezepti- on – als Reform bzw. reformfähig bewertet werden. Das heißt, wenn sich eine Pra- xis oder Ausübung unter bestimmten Bedingungen ändert, wird dieser Prozess und dessen Ergebnis retrospektiv in dieser Arbeit als Reform anerkannt und verstanden, auch wenn dieser von den beteiligten Akteuren selbst nicht als Reformprozess be- zeichnet wird (ex-post Betrachtung). So wird in dieser Arbeit Reformfähigkeit als kollektives Vermögen von Staat, Markt und/oder Zivilgesellschaft verstanden, (stadtentwicklungspolitische) Leitbilder und Ziele, (planerische) Instrumente und Verfahrensweisen, Programme, Projekte und räumliche Muster (vgl. Abb. 51) neu zu verhandeln, zu formulieren, auszugestalten und umzusetzen, ohne dass dieser Prozess intentional im Vorhinein als Reformprozess ausgerufen wurde.

In der derzeitigen Forschungslandschaft treten Reformen und Reformfähigkeit zu- nächst einmal in klassischen politikwissenschaftlichen Feldern empirisch in Bezug auf unterschiedliche Politikfelder auf (Egle 2009: Wirtschafts- und Sozialpolitik), europäische Institutionen (Geppert 2012: EU-Agrar- und Regionalpolitik), Natio- nalstaaten (Petring 2010: Reformen in Wohlfahrtstaaten) und Parteien (Merkel et al. 2006: Sozialdemokratie). Dabei standen Politikfeld, Institution, Nationalstaat oder Partei im Mittelpunkt der Betrachtung, so dass Definitionen und Bedingun- gen, die zu Reformen und Reformfähigkeit führen, spezifisch (politikwissenschaft- lich) sind und sich direkt empirisch auf ein Politikfeld, eine Institution, einen Nati- onalstaat oder eine Partei beziehen. Erkenntnisse dieser Forschungen sind für den stadtentwicklungspolitischen Kontext dieser Arbeit teilweise nutzbar. Erkenntnisse, die aus diesen Forschungen insbesondere relevant für diese Arbeit sind, beziehen

100 sich auf Reformträgheit (Geppert 2012) und (Egle 2009) und teilweise auf Defini- tionen von Reform und Reformfähigkeit (Petring 2010). Darauf wird nachfolgend ausführlicher eingegangen. Darüber hinaus bieten weitere Forschungen Ansatz- punkte für Definitionen und Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren und blo- ckieren, die auch für den stadtentwicklungspolitischen Kontext nützlich sein kön- nen (vgl. nachfolgend insbesondere Petring 2010, Blöcker et al. 1997, Bentele et al. 1995 und Birkland 1997).

1.1 Reform und Reformpolitik als Veränderung des Status quo

Nachfolgend wird der Begriff Reform mit Hilfe der Forschungsliteratur näher be- trachtet und charakterisiert. Neben begriffsgeschichtlichen Aufarbeitungen hat der Begriff Reform einen starken politikwissenschaftlichen Bezug (Petring 2010). Re- formieren heißt zunächst neu gestalten, „verbessern“. Ein mangelhafter Zustand wird zu einem „Besseren“ verändert. Dabei ist allerdings zu beachten, dass „ver- bessern“ vom jeweiligen Interesse abhängig definiert wird. Eine Reform charakte- risiert sich durch Legalität, denn bei einer Reform werden Herrschaftsstrukturen im Gegensatz zu einer Revolution erhalten, und durch Intentionalität, also von Akteu- ren planmäßig initiierte Veränderungen im Gegensatz zu evolutionären Verände- rungen. (Petring 2010: 20–21) Auch Egle (2009: 51) definiert Reform als „(...) zielgerichtete Um- bzw. Neugestaltung von etwas Bestehendem. (...) (M)it ‚Refor- men’ (soll) in der Regel irgendeine Art von ‚Verbesserung’ erreicht werden“ (vgl. Glotz, Rainer-Olaf Schultze 1995; Egle 2009: 51). Reformen gelten als Verände- rung des Status quo. Nicht-Reformen werden als „verhinderte Reformen“ oder „nicht gewollte Veränderungen des Status quo“ definiert (Petring 2010: 86). Nicht- Reformen können auch Reformblockaden sein. Das umfasst eine politische Pattsi- tuation, bei der einige Akteure eine Reform anstreben und andere Akteure diese ablehnen beziehungsweise verhindern oder verweigern, so dass eine Politikgestal- tung ausbleibt. (Pleines 2008: 239)

Reform bedeutet also eine Veränderung des Status quo. Dabei können auch formel- le Strukturen oder Programme des Wohlfahrtstaates durch legislative Maßnahmen abgeschafft werden. Entscheidungen gehen dabei immer voraus. (Petring 2010: 23)

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Ziel von Reformen beziehungsweise Veränderungen ist es, Problemlagen zu besei- tigen, zu lindern oder zu verhindern. Das muss allerdings nicht immer erfolgreich sein41 (Petring 2010: 23, 32). Somit gelingen Reformen oder sie scheitern. Durch sie treten aber immer Konflikte auf. Denn es wird darum gerungen, die bestehen- den Verhältnisse zu verändern oder zu bewahren (Blöcker et al. 1997: 14). Refor- men können zudem als institutionelle Veränderungen verstanden werden, die auf bereits vorhandene oder prognostizierte Veränderungen reagieren (Krockow 1976: 11 zit. in Blöcker et al. 1997: 13). Einzelne Reformprojekte oder -segmente müssen – möglicherweise auf gesellschaftlichen Teilfeldern – unter einem Leitmotiv oder - bild entwickelt werden. Das würde unter anderem das Risiko gesellschaftlicher Katastrophen oder Krisen vermindern. (Blöcker et al. 1997: 14)

Eine etwas andere Dimension bekommt der Begriff Reform, wenn die Reichweite einer Reform in die Betrachtung einbezogen wird. Zwei unterschiedliche Ansätze beschreiben dies. Peter Hall (1993) systematisiert change in der Politik. Da oben mit dem Begriff Reform bereits Veränderung gefasst wurde, soll die Forschung von Hall (1993) und Cohen (1978) zu change (Wandel, Veränderung) auch in die- ser Arbeit berücksichtigt werden. So stellt Hall 1993) einen Wandel oder Verände- rung erster, zweiter und dritter Ordnung fest: Eine Neujustierung bestehender In- strumente wird als Wandel erster Ordnung verstanden (first order change). Gänz- lich neue Instrumente, die bisherige Ziele erreichen sollen, führen zu einem Wan- del zweiter Ordnung (second order change). Werden auch neue Ziele eines Politik- feldes entwickelt, wird das als ein Wandel dritter Ordnung bezeichnet (third order change). Dabei wird nicht automatisch ein Politikziel durch ein anderes abgelöst. Wenn neue Ziele eines Politikfeldes entwickelt werden, heißt das oft eine Prioritä- tenverschiebung zwischen mehreren Zielen in einem Politikfeld. Als Wandel dritter Ordnung bezeichnet Hall auch den Fall, dass bei Zielkonflikten neue Prioritäten gesetzt werden. Somit bezieht sich ein Wandel von erster und zweiter Ordnung auf Veränderungen innerhalb eines Politikfeldes. Veränderungen dritter Ordnung schreibt Hall vor allem der Verschiebung einer Hierarchie von Zielen zwi- schen einzelnen Politikfeldern zu. Ein Wandel dritter Ordnung trete meistens ein, wenn die Analyse eines Problems und die Strategie zur Bekämpfung des Problems

41 Werden Reformen bewertet, sind Maßnahme und Ergebnis voneinander zu trennen (Petring 2010: 38).

102 in Frage gestellt werden.42 (Hall 1993: 281–287; vgl. Petring 2010: 33). Darüber hinaus wurden drei Arten von policy change erkannt: strukturerhaltende Verände- rungen, typerhaltende Veränderungen und Revolutionen. Auch wenn sich diese Arten von Veränderung auf ökonomische Veränderungsprozesse und das Gesell- schaftssystem insgesamt beziehen (Petring 2010: 33; vgl. Cohen 1978: 85–87; vgl. auch Lock: 34), scheinen sie auch für diese Arbeit nützlich. Halls’ Ansatz ist für die Untersuchung der Einzelfallstudie dieser Arbeit (Teil D) insofern relevant, da eine Unterscheidung von Zielen und Instrumenten einer stadtplanerischen Analy- seweise nahekommt. Darüber hinaus wird eine Einschätzung in Bezug auf die Ein- zelfallstudie vorgenommen, inwiefern sich die Veränderungen als struktur- oder typerhaltend oder gar als Revolution erweisen (Fazit Teil D).

Wird Reform stark mit Veränderung in Verbindung gebracht, sollte an dieser Stelle auch ein Blick auf die Innovationsforschung geworfen werden. Denn Veränderung kann auch Innovation bedeuten und diese entstehen wiederum aufgrund von Kata- strophen oder Krisen. So kann eine Katastrophe oder Krise mittel- bis langfristig Innovation hervorbringen: Schumpeter versteht Innovation als „Veränderung der Rahmenbedingungen des Handelns“ (Schumpeter 1987 zit. in Ibert 2005: 603). Innovationen entstehen in einem außeralltäglichen Moment, das eine „Dynamik in festgefahrene Situationen hineinträgt“ (Ibert 2005: 602). Diese Außeralltäglichkeit muss meistens organisiert werden. Dabei geht es darum, „Charisma in institutionel- len Arrangements zu wecken“. (vgl. Gebhard 1993: 64 zit. in: Ibert 2005: 603). Der Charisma-Ansatz stützt sich darauf, „dass die Möglichkeiten, Innovationen zu ent- decken“, zwar vorhanden sind, aber „systematisch übersehen“ werden aufgrund von Routinen und gesellschaftlichen Normen (Ibert 2005: 602). Insofern geht es darum, „ungewöhnliche, aus der hergebrachten Perspektive irrationale, nicht- regelkonforme Handlungen zu vollbringen.“ (Ibert 2005: 603) Darüber hinaus wird das Handeln von Akteuren durch außeralltägliche Bedingungen in „zeitlich befris- teten und räumlich begrenzten charismatischen Momenten“ beeinflusst (Ibert 2005: 602). Da eine Katastrophe diese Eigenschaften aufweist, entsteht durch die Kata-

42 Nach Petring sei bei diesem Konzept kritisch, dass nicht immer sofort neue Instrumente angewandt werden müssen, sondern auch alte Instrumente sehr stark modifiziert werden können, so dass Verän- derungen eintreten und auch andere Ziele verfolgt werden. Zudem sei bei diesem Konzept die Ziel- ebene „schwer zu operationalisieren“ (Petring 2010: 33).

103 strophe eine Art Außeralltäglichkeit, die auch oft mit Ausnahmezustand im Zu- sammenhang mit Katastrophen umschrieben wird und so eine Rahmenbedingung für Innovation bedeutet. Ein dynamischer Kontext entsteht durch die Existenz grö- ßerer Handlungsspielräume und einer systematischen Förderung der Bereitschaft von Akteuren, sich auf ungewöhnliche Lösungen einzulassen. Schumpeter be- schreibt das mit dem Charismaprinzip. (Schumpeter 1987 in Ibert 2005: 604)

Das zweite Organisationsprinzip, das Ibert als komplementär zum Charismaprinzip bezeichnet, impliziert ebenfalls Veränderung, die im Rahmen einer Katastrophen- bewältigung strukturverändernde Lernprozesse hervorbringen kann (Ibert 2005: 604): Das sogenannte Netzwerkprinzip „versteht Innovationen als Ergebnisse kol- lektiver Lernprozesse“ (Ibert 2005: 604). Die Gleichzeitigkeit von Konkurrenz und Kooperation bedingen diese Prozesse. Die Akteure sind „handlungsfähig (also mächtig)“ und gleichzeitig „auf Kooperation angewiesen“ (Ibert 2005: 604, vgl. Grabher 1994: 73). Das wird möglich durch Verfahren der Integration von Fremd- heit: Externen, also fremden Akteuren werden für eine längere Zeit Kompetenzen in einem Verfahren zugesprochen, so dass „(d)er Fremde [...] Impulsgeber für In- novationen“ ist (Ibert 2005: 604). Da bei der Katastrophenbewältigung stets eine Vielzahl von überlokalen Akteuren und institutionellen Kräften – im Sinne Iberts Fremde – involviert sind, dient dieses Prinzip auch der Suche nach Erklärungen von Veränderung auf lokaler Ebene. Allerdings schränkt Ibert den möglichen Er- folg des Netzwerkansatzes ein, da dieser vor allem unter „Schön-Wetter- Bedingungen“ produktiv ist. Wird nun in einem erweiterten Sinn, „Planung als bewusste Gestaltung von Prozessen gedacht, so wird die Innovationserzeugung dem planenden Handeln (insgesamt) zugänglich“ (Ibert 2005: 605).

Neben dem Befriff Reform, auf dessen politikwissenschaftliches Verständnis soeben eingegangen wurde, tummelt sich auch gern der Terminus Reformpolitik, der zusätzlich Hinweise auf das Verständnis von Reform und Reformfähigkeit bereithält. So spiegelt Reformpolitik in erster Linie die Ausrichtung von Reformen wider und ist ein Prozess, bei dem ein System Strukturveränderungen anstrebt, die durch gesellschaftlichen Wandel erforderlich werden. Bestehende Institutionen und Wertsysteme werden nicht nur graduell verändert, sondern strukturell. Reformpoli- tik bewegt sich im Rahmen des bestehenden Systems und ist politisch legitimiert.

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Sie verläuft in kontrollierbaren und korrigierbaren Etappen auf ein definiertes Ziel zu (Blöcker et al. 1997: 13). Blöcker formuliert darüber hinaus normativ, dass „Re- formpolitik nur dann als eine solche bezeichnet werden (kann), wenn sie zielklar ist und aktiv oder reaktiv mehr Gerechtigkeit, Funktionsfähigkeit, Innovationsfähig- keit durch strukturellen Wandel erreicht.“ (Blöcker et al. 1997: 14) Bezieht sich Vorangegangenes implizit auf eine Reformpolitik, die allein auf politisch- administrativer Ebene verankert ist, so spricht sich Scharpf (1983: 215) dafür aus, den Ausgangspunkt für Reformpolitik in der Sphäre des Marktes zu sehen. So muss nach Scharpf (1983) Reformpolitik in westlichen Industrienationen ökonomi- schen Handlungslogiken folgen und gleichzeitig auf der politisch-administrativen Ebene zu gestalten und umzusetzen sein. Andernfalls hätte sie in Bezug auf westli- che Industrienationen keinen Erfolg. (Scharpf 1983 zit. in Bentele et al. 1995: 15) Da es darüber hinaus innerhalb des politisch-administrativen Systems auch Hürden gibt, die Reformpolitik von ihrer eigentlichen Intention und Ausrichtung abhalten, sollte nach institutionellen Reformen gesucht werden, die diese Art der Einschrän- kung minimieren oder ganz vermeiden (Scharpf zit. in Bentele et al. 1995: 15, 17). Allerdings können institutionelle Reformen eigentlich erst durchgesetzt werden, wenn Entscheidungsstrukturen bereits verändert sind. Lösungen müssten gesucht werden, die letztlich Kompromisse bedeuten würden, „in denen beispielsweise komplementäre Interessen Koppelgeschäfte ermöglichen“ (Scharpf 1983: 215; Bentele et al. 1995: 18). Dass Kompromisse durch „Koppelgeschäfte“ möglich werden, wird an dieser Stelle als ein Hinweis auf eine Bedingung von Reformfä- higkeit interpretiert.

Abgeleitet aus diesen theoretischen Einblicken ist der Ansatz von Reform (und später Reformfähigkeit) nützlich, weil der Stand der Forschung Reform als Verän- derung des Status Quo definiert und die Veränderung legal und durch Akteurshan- deln intentional entstanden ist.43 Aus der Betrachtung von Reformpolitik ist von

43 Das Verständnis von „Veränderung“ oder „Innovation“ trifft auf diese Arbeit nur mittelbar zu. „Veränderung“ definiert sich eher über einen evolutionären Charakter, so dass der Begriff allein in dieser Arbeit zu kurz greift, da er für sich stehend alleinstehend zu allgemein für den Kontext dieser Arbeit erscheint und „Veränderung“ als ein eher zufälliges Ergebnis verstanden werden könnte. „Ver- änderung“ kann intentionales Akteurshandeln zwar einschließen, impliziert dieses aber nicht. Der Begriff „Innovation“ wird in dieser Arbeit nicht verwandt, da der Begriff in erster Linie etwas völ- lig „Neues“ impliziert und nicht „erneuern“ im Sinne von re-formieren. In dieser Arbeit geht

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Interesse, dass diese Strukturveränderungen in der Realität mit der Sphäre des Marktes verankert sind. Hier wird die Definition von Reform durch einen Punkt erweitert, durch den sich der Reformbegriff für Akteure, Politikfelder und weitere gesellschaftliche Prozesse öffnet und in diesem Zusammenhang nützlich wird: Intentionales Akteurshandeln von Staat, Markt und/oder Zivilgesellschaft muss allerdings im Zusammenhang mit Reform nicht sogleich eine Reform zum Ziel haben, sondern das Ergebnis von intentionalem Akteurshandeln kann auch retro- spektiv von Dritten als Reform interpretiert werden. Dabei ist im Sinne von Verän- derung des Status Quo beispielsweise nicht ausschlaggebend, ob legislative Maß- nahmen auch real zu einer Verbesserung in Folge einer Reform geführt haben oder ob Reformpotential ausschließlich von einer (lokalstaatlichen) Institution ausgeht etc. Entscheidend ist hier also eine Veränderung des Status Quo durch legales und intentionales Akteurshandeln der Sphären Staat, Markt und Zivilgesellschaft, die auch erst ex-post als Veränderung interpretiert werden kann.

Reform wird hier darüber hinaus auf unterschiedliche Arten von Veränderung be- zogen: Erstens wird Reform als eine substanziell-materielle Veränderung (Verän- derung von Leitbildern und Zielen, Instrumenten und Verfahrensweisen, Program- men, Projekten und möglicherweise räumlichen Mustern) verstanden. In diesem Rahmen können auch punktuelle Veränderungen gefasst werden, die extern initiiert wurden (Veränderung durch Modellprojekte) und die möglicherweise – über das Punktuelle hinaus – weitreichende materielle Veränderungen nach sich ziehen können. Zweitens wird eine Reform als eine strukturell-prozessuale Veränderung im weiteren Sinne und als eine institutionelle Veränderung im etwas engeren Sinne verstanden.

es weniger um „trendige“ Entwicklungen in der Stadt nach einer Katastrophe, sondern um grundle- gende Richtungen von Stadtentwicklungsplanung nach einer Katastrophe, die sich im Rahmen des Handlungsfeldes strategischer Stadtentwicklungsplanung vom Status quo vor der Katastrophe unter- scheiden.

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1.2 Reformfähigkeit als kollektives Vermögen, den Status quo zu verän- dern

Nur über die Begriffe Reform und Reformpolitik kann nun eine Annäherung an Reformfähigkeit44 vorgenommen werden. Wenn also Reform wie oben beschrieben eine Veränderung des Status quo durch legales und intentionales Akteurshandeln bedeutet, dem immer Entscheidungen vorausgehen, dann kann Reformfähigkeit als die (theoretische) Fähigkeit von Akteuren beschrieben werden, Reformen in die- sem Sinne durchzusetzen (Petring 2010: 23). Unter Reformfähigkeit wird auch die „Fähigkeit zur Umsetzung der intendierten Maßnahmen“ verstanden (Egle 2009: 52).45

„Moderne Industriegesellschaften“ und ihre staatlichen Institutionen sind grund- sätzlich reformfähig (Bentele et al. 1995: 10). Dieser Ansatz impliziert Reformfä- higkeit, die sich ausschließlich auf politisch-administrative Akteure bezieht – und keine Akteure aus Markt und Zivilgesellschaft einbezieht. Zudem kann Reformfä- higkeit auch auf das gesamte Gesellschaftssystem bezogen werden gegenüber Ver- änderungen im Rahmen einzelner Politikfelder. So zeige sich beispielsweise Re- formfähigkeit, wenn soziale Strukturen weiterentwickelt werden, sich eine „gesell- schaftsunmittelbare Problemlösungsfähigkeit“ abzeichne und somit eine Gesell-

44 Reformfähigkeit wird als kollektives Vermögen verstanden, den Status quo von Leitbildern und Zielen, Instrumenten und Verfahrensweisen, oder auch Programmen und Projekten zu verändern. In dieser Arbeit geht es demnach nicht um die Betrachtung der Veränderung des Status quo räumlicher Muster (des Stadtraumes bzw. beispielsweise des Niederschlages von Planwerken im Stadtraum). 45 Dem wird ein weiteres Verständnis von Reform im Zusammenhang mit Reformfähigkeit entgegen- gesetzt. Denn in der politikwissenschaftlichen Betrachtung besteht Unklarheit, ob es sich bei einer Reform um das tatsächliche Eintreten von „Verbesserung“ handele oder in diesem Zusammenhang bei Reformfähigkeit erst einmal nur um die Veränderung von Strukturen geht, ohne dass real eine Verbesserung eintreten muss, die aber theoretisch angestrebt war (Petring 2010: 21). Hier bedeutet substanziell-materielle und strukturell-prozessuale Reformfähigkeit – an letzteres anknüpfend – ein kollektives Vermögen von Akteuren des Staates, des Marktes und der Zivilgesellschaft, eine Reform – ein neues Ergebnis, eine Veränderung – zunächst formal (theoretisch) auszuhandeln. Die Frage, inwiefern durch diese Reform die intendierten Verbesserungen gesamtgesellschaftlich dann eintreten und wie sich diese Reform gesamtgesellschaftlich auswirkt, bleibt davon zunächst unberührt, ob- gleich sie natürlich in einem zweiten Forschungsschritt entscheidend ist. In dieser Arbeit geht also insgesamt einer formal (theoretischen) Reform – einem neuen Ergebnis, einer Veränderung – immer Reformfähigkeit voraus, was nicht bedeuten muss, dass diese Reform dann tatsächlich auch eintritt und sich gesamtgesellschaftlich dementsprechend auswirken kann.

107 schaftsreform stattfinde (vgl. Heyder 1994 zit. in Blöcker et al. 1997: 14). Von beiden Betrachtungsformen wird Abstand genommen, denn Reformfähigkeit be- zieht sich hier nicht nur auf das politisch-administrative System, sondern auch auf das Zusammenwirken mit der Privatwirtschaft und/oder Zivilgesellschaft in Hand- lungsfeldern einzelner Politikfelder.

Dieser Positionierung schließt sich ergänzend an den Reformbegriff46 dieser Arbeit das Verständnis an den Begriff Reformfähigkeit an. Reformfähigkeit wird hier angelehnt an Brusis (2008: 93) zunächst als kollektives Vermögen (in der Lage sein) von Staat, Markt und/oder Zivilgesellschaft verstanden, notwendige Verände- rungen, auch hier Reformen genannt, durch legales und intentionales Akteurshan- deln zu erkennen, neu zu formulieren, auszugestalten oder zu implementieren. Die- se Veränderungen verbessern den derzeitigen Status quo, wobei verbessern hier nicht normativ verstanden wird, sondern von der jeweiligen Perspektive abhängig betrachtet wird.47 (Definition Reformfähigkeit) Dafür werden Ressourcen wie Zeit und Geld genutzt. Das kann zu neuen Entscheidungen führen und Veränderungen des Status quo möglich machen.

Da hier das Politikfeld der Stadtentwicklung von Interesse ist, wird sich demnach eine Veränderung des Status quo in Leitbildern und Zielen, Instrumenten und Ver- fahrensweisen, Programmen und Projekten widerspiegeln können; beispielsweise in den Handlungsfeldern Katastrophenschutz, Wohnungsbau, Infrastruktur oder eben der strategischen Planung. Insofern wird hier zwischen strukturell- prozessualer und substanziell-materieller Reformfähigkeit konzeptionell unter- schieden.

46 Eine Reform wird in dieser Arbeit verstanden als eine strukturell-prozessuale oder substanziell- materielle Veränderung des Status Quo durch legales und intentionales Akteurshandeln, die auch erst retrospektiv als diese interpretiert werden kann. 47 „Verbessern“ hängt dabei von der jeweiligen Perspektive ab (vgl. Petring 2010).

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1.3 Ursachen und Auslöser von Reformen

Reformen werden ausgelöst oder verursacht. Plötzliche und große Krisen können eine Ursache für Reformen sein (Petring 2010: 32). Einer plötzlichen Krise wird in dieser Arbeit auch eine Katastrophe zugeordnet, die durch ein Naturereignis ausge- löst wurde. Nachfolgend wird der Rahmen umschrieben, wodurch es zu Reformen kommen kann: durch Problemdruck und durch Akteurshandeln.

Zu Reformen kann ein wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Problemdruck füh- ren (Blöcker et al. 1997: 13). Die Stärke beziehungsweise Intensität des Problems und/oder das Andauern des Problems wie beispielsweise wirtschaftliche Stagnation ist ausschlaggebend, ob „Reformdruck“ entsteht (Petring 2010: 30). Ist der Prob- lemdruck nicht allzu groß, wird das als Schwellenwertphänomen bezeichnet. Dann sind Reformen weniger möglich. Denn Akteure beziehungsweise betroffene Grup- pen haben Zeit, Ressourcen zu organisieren und freizusetzen. In diesem Falle wird auch versucht, Reforminhalte, die abgelehnt werden, abzuändern oder gänzlich zu verhindern (Petring 2010: 32).

Unabhängig davon, ob eine Problemkonstellation vorhanden ist oder eine plötzli- che Krise auftritt, gibt es Handlungsspielräume: Sowohl bei einem geringeren Problemdruck bietet sich Handlungsspielraum als auch bei einem plötzlich auftre- tenden Problem. Bei Letzterem kann der Problemdruck zwar groß sein, dennoch ist es möglich, dass sich keine Koalitionen aus Politik und/oder Gesellschaft heraus- gebildet haben, die nötig sind, um reformerisch tätig zu werden (Petring 2010: 90). Dennoch könnte der Reformdruck, der bei Krisen unmittelbar auftritt, dazu führen, dass Akteure (Interessengruppen oder Parteien), die normalerweise unterschiedli- che Positionen vertreten, sachorientiert an Lösungen arbeiten. (Petring 2010: 32).

B II.2 Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit

In dieser Arbeit steht die Frage nach Bedingungen im Mittelpunkt, die lokale Re- formfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung forcieren und blockieren. Als

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Ausgangspunkt dieser Arbeit können nach Scharpf (1992b) in „modernen demo- kratischen Industriegesellschaften“ Akteurskoalitionen von Staat, Markt und Zivil- gesellschaft Reformen hervorbringen: Die Verquickung von „staatliche(r) (hierar- chischer) Koordination und nicht-hierarchische(n) Formen der Selbstkoordination – von der Interessensvertretung durch Verbände bis hin zu einer Vielzahl unorgani- sierter Marktteilnehmer“ kann „prinzipiell für gesellschaftliche Reformen genutzt werden“ (Bentele et al. 1995: 10; vgl. Scharpf 1992b). Auch Blöcker et al. (1997) verweisen darauf, dass für Reformen Kooperationsformen von Staat, Markt und Zivilgesellschaft notwendig sind, die sich allerdings von den derzeitigen Formen unterscheiden müssten, denn es sei nicht klar, wer „mehr als nur inkrementale, mosaikhafte Veränderungen legitimiert erreichen“ kann. (Blöcker et al. 1997: 23) Darüber hinaus hat sich die Rolle von Interessensverbänden in politischen Ent- scheidungsprozessen verändert: Interessensverbände sind Mitentscheidungs- und Vollzugsträger. Ausgehandelte Vereinbarungen statt politische Entscheidungen werden immer häufiger, so dass Politik häufiger koordiniert statt führt und leitet (Blöcker et al. 1997: 23).

Akteurskoalitionen und -kooperationen von Institutionen und Organisationen aus den Sphären von Staat, Markt und/oder Zivilgesellschaft können demnach zu Re- formen führen. Somit stellt die Urban Governance-Forschung den Hintergrund dieser Arbeit dar, in deren Verständnis nach Hinweisen auf das Hervorbringen von Reformen gesucht wird. Vor diesem Hintergrund wird in Bezug auf US- amerikanische Stadtentwicklungspolitik auf Grundzüge zum Zusammenwirken der Sphären Staat, Markt und Zivilgesellschaft verwiesen (Teil C I 2.2).

2.1 Was Reformfähigkeit forciert

Die Akteursebene scheint also erst einmal für die Forschung die Schlüsselebene zu sein, die Erklärungsansätze für die Frage bereithält, welche Bedingungen lokale Reformfähigkeit – und letztlich Veränderung – forcieren und blockieren. Diese Erkenntnis kann hier ausschließlich als Ansatzpunkt dienen.48 Das folgende Kapitel

48 Denn wer sonst als stadtpolitische Akteure (in Institutionen) sollten Reformen hervorbringen und somit grundlegend Reformfähigkeit widerspiegeln?

110 dient demnach dazu, konkretere Bedingungen von Reformfähigkeit zu eruieren, die lokale Reformfähigkeit als kollektives Vermögen, eine Veränderung des Status quo hervorzubringen, erklären.

Das Konzept rationalen Handelns (rational choice) mit kognitiven Begrenzungen (bounded rationality; March, Simon 1958) wird hier genutzt, da angenommen wird, dass Individuen und Organisationen Entscheidungen nicht auf Grundlage der Realität treffen, sondern auf der Grundlage eines vereinfachten Bildes dieser kom- plexen Realität (Hedberg 1973). Deutungsmuster entstehen, auf denen Erfolg, Ler- nen und Anpassung basieren. Organisationen und Individuen entwickeln Strategien im Rahmen von bestimmten Paradigmen. Erst wenn diese Paradigmen (Kuhn 1970) oder auch „Theorien“ der realen Welt stark widersprechen, orientieren sich Individuen und Organisationen um und korrigieren ihre Deutungsmuster in der Realwelt. (Bentele et al. 1995: 12) Treten nun starke Veränderungen der Umwelt ein – wie beispielsweise eine Naturkatastrophe – kommt es bei Akteuren zu Inter- aktionskrisen, da sie an ihrem nun inadäquat gewordenen Paradigma beziehungs- weise ihrer Theorie der Realwelt festhalten. Es kommt zu gesellschaftlichen Rei- bungsverlusten. Sobald die neuen Rahmenbedingungen erfasst sind, können wieder „optimale Ergebnisse“ erzielt werden. (Bentele et al. 1995: 12)

Vor dem Hintergrund der Annahme von bounded rationality ist eine zweite An- nahme in Bezug auf Akteure und dem kollektiven Vermögen, Reformfähigkeit zu entwickeln, von Bedeutung: Unterschiedliche Akteure verfolgen unterschiedliche Ziele, die sie zum Teil auch durchsetzen können. Sie entwickeln und verfolgen eigene Strategien, wobei Interaktion zwischen Akteuren in diesem Zusammenhang Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Akteure passen sich insofern an bestehende Situationen an und gestalten selbst Entwicklungsprozesse, wenn auch nur im be- grenzten Maße. (Bentele et al. 1995: 13) Ist eine geringe Anzahl von Akteuren an einer (Reform-)Debatte beteiligt, wird das Zustandekommen von Reformen er- leichtert, weil die Informations- und Entscheidungskosten geringer sind (Petring 2010: 31).49 Dies ist aus demokratietheoretischer Sicht kritisch zu bewerten.

49 Tsebelis’ Vetospielerkonzept zeigt, dass „[...] viele Vetospieler [...] abträglich [sind] für die Wahr- scheinlichkeit weitreichender Veränderungen des Status quo. Ob wenige Vetospieler zu vermehrten

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Zusammengefasst handeln also Akteure im Rahmen ihres Realitätsverständnisses aus ihrer Sicht rational. Sofern sich die Realität zum Beispiel durch eine Katastro- phe verändert, verändern sie auch real ihre Deutungsmuster. Zudem kann Interakti- on zwischen Akteuren Gestaltungsmöglichkeit bedeuten, auch wenn jeder einzelne (institutionelle) Akteur seine Ziele und Strategien verfolgt. So werden im Sinne dieser Arbeit Reformen durch ein kollektives Vermögen, den Status quo zu verän- dern (Reformfähigkeit), entwickelt. Aufbauend auf diesen Annahmen, wirken In- stitutionen im Zusammenhang mit Akteurshandeln moderierend, wobei die Akteu- re die „tatsächlich handelnden ‚Einheiten’“ sind (Petring 2010: 19), wobei von Relevanz ist, dass Akteure, die an einem Prozess beteiligt sind, im Rahmen ihrer Institutionen Entscheidungsmacht haben (Petring 2010: 87). Präferenzen und An- sichten von Akteuren werden so in unterschiedlichen Institutionen angesammelt und vermittelt. Institutionelle Strukturen und politische Kräfteverhältnisse beein- flussen, welches Anliegen verfolgt wird. (Petring 2010: 22).

Reformfähigkeit wird somit durch „bestimmte“ institutionelle Ausprägungen und/oder Akteurskonstellationen ermöglicht oder blockiert (Petring 2010: 86). Da- bei sind diese „bestimmten“ institutionellen Ausprägungen nur insofern ausdefi- niert, dass machtkonzentrierende Institutionen als reformzuträglich gelten, im Ge- gensatz zu machtaufteilenden Institutionen (Petring 2010: 89), wobei diese logi- sche Erkenntnis aus demokratietheoretischer Sicht bedenklich erscheint. Zudem ist eine starke Agendamacht der Regierung gegenüber der Legislative und gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen (oder „Volksinitiativen“, vgl. Petring 2010: 89) Reformfähigkeit zuträglich. Das weist auf ein Zusammenwirken hin, das keine Koalitionen zur Folge hat, sondern Gegenspieler hervorbringt (Petring 2010: 89). Auch eine Durchsetzungsfähigkeit der jeweiligen Regierung (Egle 2009: 18) steht damit in engem Zusammenhang. Auch wenn Reformfähigkeit diesbezüglich aus- schließlich als das Vermögen der politisch-administrativen Ebene interpretiert wer- den kann50, Reformen zu veranlassen, ist vor dem Hintergrund der Fragestellung dieser Arbeit der Hinweis auf eine starke Agenda der politisch-administrativen

umfassenden Reformen führen, ist damit jedoch nicht gesagt. Dennoch wird dies oftmals – zumindest implizit – angenommen.“ (Tsebelis 2002 zit. in Petring 2010: 86) 50 In diesem Zusammenhang wird Reformfähigkeit nicht als kollektives Vermögen von Staat, Markt und Zivilgesellschaft verstanden wie in dieser Arbeit.

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Ebene an sich von Bedeutung. Denn eine starke Agenda des lokalen Staates kann in Koalitionen mit Akteuren des Marktes und der Zivilgesellschaft Reformen her- vorbringen. (Scharpf 1992b)

Da in dieser Arbeit Akteurshandeln als Rahmen von Bedingungen lokaler Reform- fähigkeit gilt und Reformfähigkeit zudem als kollektives Vermögen von Staat, Markt und Zivilgesellschaft verstanden wird, Veränderungen des Status quo zu veranlassen, wird in diesem Zusammenhang vertiefend auf Fähigkeiten hingewie- sen, die Reformfähigkeit an sich ausmachen: Nach Wiesenthal (2005: 30) verbin- det Reformfähigkeit einige Fähigkeiten, „wie die adäquate Realitätswahrnehmung, die kollektiv vermittelbare Identifikation von Handlungsbedarf, die Entdeckung bzw. Erfindung geeigneter Formen zur Bearbeitung von Problemen, die Wahl eines angemessenen Zeitverständnisses, die Herstellung und Wahrung kollektiver Ent- scheidungsfähigkeit, die effektive Implementation von Entscheidungen, die Evalu- ation von Resultaten und das Lernen anhand der Politikfolgen“ (Wiesenthal 2005: 30 zit. in Brusis 2008: 93). Für Brusis (2008: 93) macht diese detaillierte Betrach- tung allerdings deutlich, dass diese Fähigkeiten „in hohem Maße situationsgebun- den, interdependent und kontingent“ blieben, was es schwer mache, vergleichend zu bewerten oder zu messen. Hier kann die Identifikation dieser Fähigkeiten aller- dings hilfreich sein, da es um die Frage nach Bedingungen von lokaler Reformfä- higkeit als kollektives Vermögen im Rahmen der Untersuchung von Planungspro- zessen geht. Diese Fähigkeiten können durch die Fähigkeit, eine adäquate Prob- lemanalyse (Egle 2009: 18) vorzunehmen, ergänzt werden.

Neben dem Akteurshandeln an sich kann zu Reformfähigkeit eine Art Steuerung beitragen, die sich auf die Koordination von politischen und sozialen Akteuren auf allen Ebenen des politischen Systems stützt, um „eine strukturgestaltende Steue- rung und Reformfähigkeit“ herzustellen (Blöcker et al. 1997: 24). Koordiniertes und kooperatives Handeln können Voraussetzung für Reformen und Reformfähig- keit sein. Im Kontext gesellschaftlicher Dialoge ist der Staat wichtiger Akteur (Blöcker et al. 1997: 24–26) neben Akteuren aus den Sphären Markt und Zivilge- sellschaft. (Blöcker et al. 1997)

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Birkland (1997) gibt konkretere Hinweise, was Reformfähigkeit durch eine verän- derte politische Agenda forcieren könnte. Er hebt auf den Einfluss von Presse und Medien, die Mobilisierung von Akteuren, die Unterstützung durch Experten und das Ausmaß an Aufmerksamkeit von Eliten ab, inwiefern politische Agenden des lokalen Staates beeinflusst werden und somit auch Veränderung forciert wird: Un- mittelbar nach einem Ereignis, das eine Katastrophe nach sich zieht – in einer ers- ten Phase der Katastrophenbewältigung – sind Medien und Presse aktiv. Sie lenken Aufmerksamkeit auf das Ereignis und berichten über die Höhe der Schäden oder die Anzahl der Menschen, die betroffen sind. In einer zweiten Phase der Bewälti- gung wird öffentlich, wie die politische Ebene längerfristig auf die Katastrophe reagiert. Die größten Aktivitäten in diesem Zusammenhang finden für gewöhnlich bis zwei Jahre nach dem Ereignis statt (Birkland 1997: 30). Im Nachgang eines Katastrophenereignisses kann eine politische Agenda auf legislativer Ebene den Politikprozess verändern. Inwiefern ein Thema auf politischer Ebene verhandelt wird, ist nach Birkland (1997) von folgenden Variablen abhängig:

Erstens ist die Verhandlung eines Themas auf politischer Ebene, welches Verände- rung im Politikprozess und darüber hinaus nach sich ziehen kann, von der Medien- berichterstattung über das Ereignis abhängig: Die Art der Medienberichterstattung beeinflusst wiederum extrem die Gruppenmobilisierung und letztendlich die Akti- vität der institutionellen Agenda (Birkland 1997: 33). Inwiefern ein Thema in den Medien verhandelt wird, ist abhängig von der Seltenheit (oder Neuheit) des Ereig- nisses und dem Ausmaß des Ereignisses (Anzahl der Menschen, die betroffen sind sowie Sichtbarkeit und Ausmaß von materiellen und finanziellen Schäden) (Birk- land 1997: 32, 43). Birkland (1997) führt den Einfluss der Medienberichterstattung am Beispiel der US-amerikanischen Politik aus: Institutionen wie der US- amerikanische Kongress sind erst einmal „eingeschränkt“ aufgrund von Regeln, Verfahren, und Traditionen und können oft nicht so schnell reagieren wie die Pres- se (Birkland 1997: 30). Eine zweite Variable, die die politische Agenda beeinflusst und damit Veränderung forcieren kann, ist das Ausmaß einer Gruppenmobilisie- rung, mit der Aufmerksamkeit auf Probleme in Folge des Ereignisses gelenkt wer- den kann. Dabei geht es vor allem um die Mobilisierung von Kräften beziehungs- weise von Akteuren, die Veränderungen forcieren wollen (Birkland 1997: 33). Wichtig dabei ist auch die Unterstützung durch Experten, wenn ein Thema auf die

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Agenda kommen und letztlich ein Wechsel der Politik eintreten soll (Birkland 1997: 38). Eine dritte Variable, die dazu beiträgt, ob ein Thema politisch verhan- delt wird, ist das Ausmaß an Aufmerksamkeit von Eliten in Bezug auf das Ereignis und den damit verbundenen Problemen (Birkland 1997: 30).

Nach Birkland (1997), der seine Ausführungen auf die US-amerikanische Agendapolitik bezieht, ist die Mobilisierung von Kräften beziehungsweise Akteu- ren, die Veränderungen forcieren wollen (Birkland 1997: 33), neben der Presse die entscheidende Größe, die eine Veränderung der politischen Agenda beeinflussen kann. Die Hauptaufgabe von Gruppen, die im amerikanischen politischen System im Wettstreit stehen, ist nicht den Kontakt zu gewählten Politikern per se zu pfle- gen, sondern den Zugang zu den institutionellen Agenden zu erhalten, die von ge- wählten Entscheidungsträgern kontrolliert werden (Birkland 1997: 34).51 Jenseits der Kräfte, die möglicherweise in der „alltäglichen“ Stadtpolitik als zu „schwach“ gelten, aber durch das Katastrophenereignis Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Ziele zur Veränderung sehen, beansprucht ein solches Ereignis ein bestimmtes Maß an Raum auf der politischen Agenda, der weder von etablierten politischen Eliten ignoriert noch eingedämmt werden kann (Birkland 1997: 33–34). Letztend- lich gelangt ein Katastrophenereignis in den Mittelpunkt der politischen Gescheh- nisse, wenn eine Interessengruppe oder eine bestimmte Gruppe – einige können sich in Anwaltsgruppen wandeln – verfügbar sind, um auf das Katastrophenereig- nis zu reagieren (Birkland 1997: 43).

51 Birkland hat in einer quantitativen Studie festgestellt, dass ein erster Indikator von „Gruppenaktivi- tät“ auf nationaler politischer Ebene mündliche Stellungnahmen (testimony) vor Ausschüssen (con- gressional committees) sind. Diese mündlichen Stellungnahmen sind die am weitesten verbreitete Lobbytechnik, die von Interessengruppen wahrgenommen werden. Die Untersuchung nutzt Anhörun- gen als großen Indikator für das Erscheinen von Themen auf einer institutionellen politischen Agen- da, insbesondere weil sie ein beliebter Austragungsort für den Gruppenwettkampf im „Politik ma- chen“ sind und weil die legislativen Verfahren offener, besser und konsistenter dokumentiert sind als die der exekutiven Ebene (Birkland 1997: 34).

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2.2 Was Reformfähigkeit blockiert

Bevor an dieser Stelle konkrete Bedingungen erschlossen werden, die Reformfä- higkeit – und letztlich Veränderung – blockieren, zeigt ein Blick auf die politische Reformplanung der Bundesrepublik beispielhaft Rahmenbedingungen von Refor- mabträglichkeit auf: Gesellschaftspolitisch ist Reformplanung seit 1974 in den Hintergrund politischer Aufgaben getreten. Grund dafür war und ist nach Blöcker (1997: 16) neben der Knappheit finanzieller Ressourcen und der Weltwirtschafts- krise in erster Linie eine Gesellschaft, in der Konkurrenz einen hohen Stellenwert hatte. „Gesellschaftliche Innovation“ konnte so nicht zum Thema werden. Heute gelten Folgen von Globalisierung als Herausforderungen, reformpolitische Ziele umzusetzen. (Blöcker et al. 1997: 16) Große Reformthemen in Hinblick auf die „Grundlagen des Zusammenlebens“ gelten als unbestimmt. Das führe dazu, dass politische Veränderungen zufälligen Entwicklungen unterliegen und ausschließlich die Folge reaktiven Handelns auf Ereignisse sind. (Blöcker et al. 1997: 23).

Vor dem Hintergrund von gesellschaftspolitischer Reformplanung in der Bundes- republik Deutschland, in der eine Konkurrenzsituation innerhalb der Gesellschaft und die Folgen von Globalisierung zu einer Reformblockade beitragen können, werden folgende Akteurszusammenhänge generell als reformabträglich einge- schätzt: Koalitionen, die als „ideologisch heterogen“ gelten und eine Interessen- gruppenlandschaft, in der sich die Gruppen nicht einig sind. Werden zusätzliche Akteure in einen Entscheidungsprozess eingebunden, steigt die programmatische Heterogenität und die Transaktionskosten erhöhen sich. Vetospieler-Konzepte und Vetospieler-Indizes weisen diesbezüglich eine eingeschränkte politische Hand- lungsfähigkeit auf (Petring 2010: 87). Allerdings erscheint hier der Umkehrschluss dessen, die Zahl der beteiligten Akteure möglichst klein zu halten, wiederum de- mokratietheoretisch äußerst bedenklich. Folgt man zudem Blöcker et al. (1997) zeigen neue Leitbilder Reformen an, denen ein Prozess voraus geht, an dem gerade unterschiedliche Akteure mit ihren Interessenstrukturen, Werten und Handlungs- orientierungen mitarbeiten (Blöcker et al. 1997: 24) und insofern Reformfähigkeit nicht blockieren.

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Insbesondere erklärt das Konzept der Pfadabhängigkeit „Reformresistenzen“ und birgt im Umkehrschluss das Potential, Erklärungsfaktoren von Reformfähigkeit aufzuzeigen (Geppert 2012: 13), so dass das Konzept an dieser Stelle vertieft wird. Geppert (2012: 13) versteht Pfadabhängigkeit als historischen Institutionalismus. Pfadabhängigkeit entsteht unter vier Bedingungen (vgl. Ebbinghaus 2005 zit. in Geppert 2012: 26–27): Erstens gibt es identische Anfangsbedingungen und die erste Entscheidung wurde aus Zufall getroffen. Zweitens wurden Selbstverstär- kungsprozesse identifiziert.52 Darunter sind soziale Mechanismen zu verstehen, die ausschlaggebend dafür sind, dass eine der verschiedenen Alternativen als Standard einen Vorsprung gegenüber den anderen hat. Die Verbreitung53 dieser Alternativen erfolgt hauptsächlich über Netzwerkeffekte. Drittens wird sich der eingeschlagene Pfad im Laufe der Zeit als Folge dieser Selbstverstärkungseffekte stabilisieren und unumkehrbar sein.54 Und viertens können pfadabhängige Prozesse auch ineffiziente Pfade verstärken. (Geppert 2012: 26–27) Insbesondere Gepperts Hinweise auf Selbstverstärkungs- und Netzwerkeffekte werden im Kontext dieser Arbeit als ab- trägliche Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit interpretiert.

Das Konzept der Pfadabhängigkeit bezog sich zunächst auf die Entwicklung von Technologien und kam später in den Sozialwissenschaften zur Anwendung. North (1990) war der erste, der die These aufstellte, dass Pfadabhängigkeit und deren Rückkopplungsmechanismen bei Technologien grundsätzlich auch auf Institutio- nen übertragbar sind. (North 1990 zit. in Geppert 2012: 28) Bei institutioneller Pfadabhängigkeit55 „wird ein Prozess beschrieben, in dem komplexe institutionelle Konfigurationen ein Beharrungsvermögen entwickeln können, da sie sich über die Zeit selbst reproduzieren“ (Geppert 2012: 29). Auch wenn es in dieser Arbeit nicht um die Veränderung und Reformfähigkeit von Institutionen an sich geht, sondern um Veränderung und lokale Reformfähigkeit im Rahmen des Politikfeldes der Stadtentwicklung, bei der Institutionen selbstverständlich als institutionelle Akteure

52 Selbstverstärkungseffekte werden in diesem Zusammenhang als increasing returns oder positive Rückkopplungen bezeichnet. 53 In diesem Zusammenhang auch als Diffusion bezeichnet. 54 Unumkehrbarkeit wird in diesem Zusammenhang als Lock-in bezeichnet. 55 Der Begriff der Institution ist umfänglich und bis heute nicht eindeutig definiert. Diese Arbeit bezieht sich auf den Hinweis, dass sich „Institutionen als Ergebnis menschlichen Handelns interpre- tieren (lassen)“ (Geppert 2012: 30).

117 eine Rolle spielen, können Faktoren, die nach diesem sozialwissenschaftlichen Konzept Pfadabhängigkeit begünstigen, für diese Arbeit nützliche Hinweise in Bezug auf Bedingungen von Reformfähigkeit darstellen: So stellte Paul Pierson (2000: 251) in Bezug auf Institutionen fest, dass auch bei Institutionen die Grund- lage für Pfadabhängigkeiten bei den Selbstverstärkungskräften liegt. Damit schaf- fen Institutionen „Erwartungssicherheit“ und wollen diese auch erhalten. Als Ne- benbedingungen von Pfadabhängigkeit bei Institutionen nennt Pierson hohe Ent- stehungskosten sowie Lern- und Koordinationseffekte. Für den Bereich der Politik führt Pierson folgende Faktoren an, die Pfadabhängigkeit begünstigen: asymmetri- sche Machtbeziehungen, kollektives Handeln und die immanente Komplexität und die hohe Dichte an Institutionen. (Pierson 2000: 257 zit. in Geppert 2012: 33–34) So wie Reformfähigkeit durch Akteurskonstellationen grundsätzlich bedingt wird (vgl. B II 2.1), wird auch institutionelle Pfadabhängigkeit – hier als Kontra zur Reformfähigkeit – von Akteurskonstellationen beeinflusst. Nach Pierson können sich aufgrund dessen aber auch Machtasymmetrien verändern, „Akteure an Ein- fluss gewinnen beziehungsweise diesen einbüßen“ und eingeschlagene Pfade enden (Pierson 2000: 259 zit. in Geppert 2012: 33–34). Diese Art Gegenreaktion könnte somit zu Veränderung führen und Reformfähigkeit anzeigen. Geppert (2012) er- gänzt Piersons Konzept und zeigt unterschiedliche Abstufungen von Pfadabhän- gigkeit auf, bei denen ein Wandel eingeschlossen ist (pfadabhängiger Wandel, gradueller Wandel, Pfadbruch). Pfadabhängigkeit führt also nicht zwangsläufig auf einen Pfad, der nicht mehr verlassen werden kann. (Geppert 2012: 33–34)

Nach Geppert kann „(...) potentiell mögliche Reformresistenz (...) mithilfe des Konzeptes der institutionellen Pfadabhängigkeit erklärt werden. Pfadabhängigkeit führt zu Reformresistenz, und eine Veränderung des Pfades würde eine Verände- rung der Regeln eines Politikfeldes bedeuten.“ (Geppert 2012: 65). Dem wird in dieser Arbeit folgende These ergänzend hinzugefügt, da hier auf Reformfähigkeit eines Handlungsfeldes der Stadtentwicklung in Folge einer urbanen Katastrophe Bezug genommen wird (und nicht auf die Reformresistenz von Institutionen): Nicht nur institutionelle Pfadabhängigkeit führt zur Reformresistenz vor dem Hin- tergrund eines Prozesses, in dem eine Institution Beharrungsvermögen entwickelt, das letztlich durch Akteurshandeln und Akteurskonstellationen beeinflusst ist. Demnach führt auch nicht nur das Verlassen eines Pfades einer Institution zu Ver-

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änderung und spiegelt damit Reformfähigkeit wider. In dieser Arbeit wird das Ver- lassen eines Pfades durch eine Institution, respektive durch Akteure und Ak- teurskonstellationen, als nur eine Bedingung für die Erklärung von Reformfähig- keit interpretiert. Es können weitere Bedingungen lokale Reformfähigkeit forcieren als kollektives Vermögen, eine Veränderung des Status quo zu veranlassen (bei- spielsweise Problem- oder Handlungsdruck der Katastrophensituation an sich), auch wenn diese Bedingungen freilich wiederum durch Akteurshandeln ausgelöst werden und auf Akteurshandeln basieren. Sie werden in dieser Arbeit nichtsdesto- weniger gesondert angeführt, da empirisch schwer zu erforschen ist, welcher (insti- tutionelle) Akteur im Detail sein Handeln durch welche Bedingung begründet. Trotzdem geben die Faktoren, die Pfadabhängigkeit bedingen, wie oben bereits erwähnt, nützliche Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit im Rahmen von Akteurshandeln.

Im nachfolgenden Zwischenfazit werden noch einmal die Punkte (von Autoren auch als Faktoren, Variablen oder auch als Bedingungen bezeichnet), die Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit geben und die in dieser Arbeit als Befunde in Bezug auf Bedingungen von Reformfähigkeit betrachtet werden, zusammenge- fasst und schematisch dargestellt. Zudem wird nachfolgend ein analytisches Kon- zept zur Erforschung von Reformfähigkeit vorgestellt (Petring 2010), welches Pa- rallelen zu dem Untersuchungsrahmen aufzeigt, der sich im Kapitel B I dieser Ar- beit aus dem Forschungsstand heraus abgeleitet hat. Eine Zusammenführung der Erkenntnisse dazu erfolgt im Teilkapitel B III als individueller Untersuchungsrah- men dieser Arbeit.

B II.3 Zwischenfazit: Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren und der Nutzen eines analytischen Konzeptes zur Reformfähigkeit

Wie zu Beginn dieses Teilkapitels angeführt, sind auch in diesem Kapitel Bedin- gungen lokaler Reformfähigkeit relevant. Denn im Zusammenhang mit der Frage- stellung dieser Arbeit sind im Rahmen des Politikfeldes der Stadtentwicklung dem- entsprechend Bedingungen von Interesse, die eine substanziell-materielle oder

119 strukturell-prozessuale lokale Reformfähigkeit forcieren oder blockieren. Folgende Unterfragen führten durch das Teilkapitel:

• Was ist unter Reformfähigkeit zu verstehen? Inwiefern kann ein Verständnis von lokaler Reformfähigkeit aus den Forschungsarbeiten zu Reform und zu Re- formpolitik abgeleitet werden? • Inwieweit gibt es Hinweise auf Akteure und Akteurskonstellationen, ihr Han- deln und ihre Fähigkeiten oder einen strukturellen Kontext, die Reformfähig- keit forcieren oder blockieren und die als Bedingungen verstanden werden können? • Inwieweit bezieht sich Reformfähigkeit auf eine Katastrophe im urbanen Kon- text infolge eines Naturereignisses? Inwieweit spielt das Politikfeld der Stadt- entwicklung im Konzept von Reformfähigkeit eine Rolle beziehungsweise in- wieweit lässt sich das Verständnis von Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung anwenden?

Nachfolgend werden im ersten Teil Hinweise in Bezug auf Akteure und Ak- teurskonstellationen, Ergebnisse ihres Handelns und ihre Fähigkeiten auf der Grundlage der Forschungsarbeiten zu Reformen und Reformfähigkeit zusammen- gefasst, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren und die als Anhaltspunkte von Bedingungen verstanden werden können (3.1). Denn in dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass es unter bislang eher unbestimmten Bedingungen im Politikfeld der Stadtentwicklung zu Veränderung kommen und eine lokale Reform- fähigkeit widerspiegeln kann. Dabei bilden „unterschiedliche“ Koalitionen von Akteuren den Rahmen. Im zweiten Teil wird kurz auf ein analytisches Konzept zur sozialwissenschaftlichen Untersuchung von Reformfähigkeit eingegangen, das ergänzend für den Untersuchungsrahmen dieser Arbeit genutzt wird (3.2). Ab- schließend wird Reformfähigkeit in Bezug auf Stadtentwicklung kurz reflektiert (3.3).

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3.1 Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren und blo- ckieren können

Im Rahmen der Erkenntnisse zu Reformen und Reformfähigkeit konnten einige zuträgliche Bedingungen von Reformfähigkeit festgestellt werden. Darüber hinaus wurden auch Hinweise auf Bedingungen deutlich, die eher ein Beharrungsvermö- gen in Bezug auf Reformfähigkeit ausdrücken. (vgl. Abb. 8, rot dargestellt) Ver- schiedene Ebenen dieser Hinweise auf Reformfähigkeit und Beharrungsvermögen wurden deutlich (Problemdruck; Akteurshandeln, das Handlungsspielraum schafft; Ergebnisse ihres Handelns). Zusammenfassend ist in Bezug auf Akteurshandeln vor dem Hintergrund ihrer Institution die Akteurskonstellation von Bedeutung und die Art der Problemlage (Petring 2010: 88–89). So werden Akteurshandeln und Problemdruck ausschließlich als Rahmen für Reformfähigkeit interpretiert. Inso- fern bilden Institutionen, die Mitarbeit unterschiedlicher Akteure und ihr Handeln in Akteurskonstellationen mit koordiniertem und kooperativem Handeln diesen Rahmen, der Reformfähigkeit hervorbringen kann (da ohne handelnde Individuen keine Veränderung möglich ist). In diesen Rahmen fügen sich Hinweise auf Bedin- gungen von lokaler Reformfähigkeit ein und stellen für die Untersuchung der Ein- zelfallstudie (Teil D) einen Ansatzpunkt von Bedingungen dar, die lokale Reform- fähigkeit forcieren. Dem gegenüber zeigten sich Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit blockieren, die in erster Linie aus dem Konzept institutioneller Pfadabhängigkeit abgeleitet sind. Auch wenn diese Aspekte in erster Linie von einer staatzentrierten Sichtweise hergeleitet wurden, geben sie dieser Arbeit, die dem Ansatz der Urban Governance-Forschung folgt, erste Hinweise in Bezug auf Bedingungen von Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung. Letztlich wird auch deutlich, dass institutionelle Pfadabhängigkeit – und damit auch Reform- fähigkeit – grundsätzlich und selbstverständlich – von Akteurshandeln beeinflusst wird.

3.2 Der Nutzen eines analytischen Konzeptes zur sozialwissenschaftlichen Untersuchung von Reformfähigkeit

Nach einer Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten „Reform“ und „Reform- fähigkeit“, mit Ursachen und Auslösern von Reformen sowie mit Hinweisen auf

121

Bedingungen von Reformfähigkeit wird nun ein analytisches Konzept vorgestellt, das einen Rahmen für eine sozialwissenschaftliche Erforschung von Reformfähig- keit darstellt (Petring 2010) und auch der Untersuchung in dieser Arbeit dient. Die Kriterien dieses Konzeptes weisen Parallelen zu den Kriterien auf, die aus dem Teilkapitel B I zur Katastrophenbewältigung abgeleitet wurden. Die Kriterien aus B I werden den Kriterien dieses Konzeptes von Reformfähigkeit gegenübergestellt und ergänzt. Somit wird ein Untersuchungsrahmen vorgeschlagen, der die For- schungsrichtungen Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit im empirischen Teil dieser Arbeit zusammenführt. Dieser Untersuchungsrahmen stellt ein Ideal zur Analyse von Reformfähigkeit nach Katastrophen dar und wird am Ende dieses Abschnittes zusammenfassend dargestellt (Abb. 7).56

Die Untersuchung von Reformen beziehungsweise von Reformfähigkeit erfordert die Analyse von zentralen Teilaspekten: Eine Reform wird durch ein Problem aus- gelöst, dem man mit Maßnahmen begegnet. Diese werden durch einen oder mehre- re Akteur(e) entwickelt, die dann als Initiator(en) der Reformmaßnahmen gelten. Dabei kommt es dann zu Ergebnissen. (Petring 2010: 24) Diese Teilaspekte decken sich inhaltlich mit denen, die im vorangegangen Teilkapitel erarbeitet wurden und werden in dieser Arbeit im Untersuchungsrahmen inhaltlich genutzt werden.

Bei der Betrachtung von Akteuren, gemeint sind die Art der Akteure (Scharpf 2000) und deren Organisationsstärke und -form, können vertiefend als zusätzliche Kriterien für eine Untersuchung von Schwellenwertphänomenen als auch von plötzlich auftretenden Krisen eingebracht werden (vgl. Petring 2010: 32): Präferen- zen der Akteure (Petring 2010, bei Scharpf 2000 sind es Ziele), Ressourcen der Akteure und das institutionelle Umfeld der Akteure (Petring 2010). Diese Kriterien beeinflussen die jeweilige Wahrnehmung der Probleme und die Reaktion auf die Probleme (ähnlich auch Elster 1979; Merkel 1993; Merkel et al. 2006). Da in Folge

56 Im empirischen Teil kann dem Ideal des Untersuchungsrahmens von Reformfähigkeit aufgrund der Diskrepanz zwischen Forschungsoptimum und Forschungsalltag nicht vollständig nachgekommen werden. Weiterer Forschungsbedarf besteht demnach in Bezug auf einige untergeordnete Kriterien. Zudem deutet sich vor dem Hintergrund der Fragestellung im Politikfeld der Stadtentwicklung an, dass nicht alleinig diese Kriterien ausschlaggebend für die Untersuchung von Bedingungen von loka- ler Reformfähigkeit sind, sondern dass auch der strukturelle Kontext als weiteres Kriterium bedeut- sam ist.

122 von Katastrophensituationen die Entscheidungsfindung in stadtentwicklungspoliti- schen Prozessen bedeutsam ist, können zudem Kriterien des Akteurszentrierten Institutionalismus für den Untersuchungsrahmen von Reformfähigkeit nach Kata- strophenereignissen nützlich sein: Die Konstellationen der Akteure zueinander (Petring 2010), Interaktionsformen (Scharpf 2000), die möglicherweise stark vom institutionellen Rahmen bestimmt werden (Petring 2010: 27) und die Ergebnisse (Petring 2010), sowie Handlungen und Entscheidungen (Scharpf 2000) können ebenfalls in die Analyse einbezogen werden, wenn empirische Befunde dazu vor- handen sind.

Für eine Untersuchung von Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung nach Katastrophen erscheint eine weitere Perspektive von Kriterien besonders auf- schlussreich (vgl. Egle 2009: 52). Waren Akteure willens, den Status Quo in Bezug auf die Situation vor der Katastrophe zu verändern und inwiefern (Reformbereit- schaft)? Welche Art von Maßnahmen erachten die Akteure als problemlösend (Problemlösungsverständnis57)? Inwiefern waren Akteure in der Lage, diese Maß- nahmen auch gegen Widerstand durchzusetzen (Durchsetzungsfähigkeit)? (vgl. Egle 2009: 52).

Nachfolgend sind nun die Kriterien aus B I und B II zusammengetragen und kate- gorisiert. Eine Zusammenschau von Untersuchungskriterien bietet sich hierbei an (Abb. 7). Dieser Untersuchungsrahmen stellt ein Ideal einer Analyse von Reform- fähigkeit dar, abgeleitet aus den Erkenntnissen aus B I und B II. Aus diesem Rah- men wird in B III ein Analysegerüst vor dem Hintergrund des Gegenstandes und der Fragestellung dieser Arbeit abgeleitet.

57 Egle (2009: 52) hat an dieser Stelle den Begriff Problemlösungsangemessenheit vorgeschlagen; ein Kriterium, das eine Bewertung vorsieht, die in dieser Arbeit in Bezug auf die Fragestellung weniger relevant ist.

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Zusammenschau von Analysekriterien aus theoretischen Zugängen zur Untersuchung von Reformfähigkeit

Problem als Auslöser (Petring 2010), Reformbereitschaft (Egle 2009: 52) Maßnahmen, Problemlösungsverständnis (Egle 2009: 52) Akteur(e) (Petring 2010) Art der Akteure (Scharpf 2000): • Organisationsstärke und -form (Petring 2010) • die Präferenzen der Akteure (Petring 2010), Ziele (Scharpf 2000) Interessen, Funktionen, Kompetenzen (Geppert 2012) • die Ressourcen der Akteure (Petring 2010) • das institutionelle Umfeld (Petring 2010) Konstellationen der Akteure zueinander (Petring 2010) Interaktionsformen (Scharpf 2000) • einseitiges Handeln • hierarchische Steuerung • Verhandlungen • Mehrheitsentscheidungen Ergebnisse (Petring 2010), Handlungen und Entscheidungen (Scharpf 2000), (Durchsetzungsfähig- keit, (Egle 2009: 52)

Abbildung 7: Rahmen zur Untersuchung von Reformfähigkeit als Ideal und als Grundlage für die Erarbeitung eines Analysegerüstes (eigene Darstellung).

3.3 Reformfähigkeit und Stadtentwicklung

Der Begriff Reformfähigkeit kann aus Forschungszusammenhängen abgeleitet werden, die Reformen thematisieren. Wenn eine Reform als eine Veränderung des Status quo durch legales und intentionales Akteurshandeln, dem immer Entschei- dungen vorausgehen, definiert wird, dann kann Reformfähigkeit zunächst als die (theoretische) Fähigkeit von Akteuren beschrieben werden, Reformen in diesem Sinne durchzusetzen (Petring 2010: 23). In dieser Arbeit wurden Abhandlungen zu Reformen und Reformfähigkeit herangezogen, die sich auf sogenannte westliche Industrienationen beziehen. Dabei hat sich allerdings gezeigt, dass der urbane Kon- text dabei keine Rolle spielt und auch das Politikfeld der Stadtentwicklung nicht explizit thematisiert wird. Ein Desiderat wurde dadurch deutlich, denn das heißt

124 nicht, dass sich das Verständnis von Reformfähigkeit nicht auf das Politikfeld der Stadtentwicklung anwenden lässt. Im Gegenteil, denn das oben dargelegte Ver- ständnis von Reformfähigkeit kann vor dem Hintergrund der Fragestellung dieser Arbeit im Rahmen des Politikfeldes der Stadtentwicklung angepasst werden und stellt somit einen Ausgangspunkt dieser Arbeit dar: So wird in dieser Arbeit Re- formfähigkeit als kollektives Vermögen von Staat, Markt oder Zivilgesellschaft verstanden, notwendige Veränderungen, auch hier Reformen genannt, durch lega- les und intentionales Akteurshandeln zu erkennen, neu zu formulieren, auszugestal- ten oder zu implementieren, die den derzeitigen Status quo verändern. Zudem bie- tet es sich an, strukturell-prozessuale58 und substanziell-materielle59 Reformfähig- keit konzeptionell zu unterscheiden. Denn einerseits können sich Strukturen und andererseits Produkte verändern: Leitbilder und Ziele, Instrumente und Verfah- rensweise, Programme und Projekte sind demnach hier als Indikatoren für Reform- fähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung zu verstehen.

B.III Zusammenschau und Untersuchungsdesign

Dieses Teilkapitel verbindet die theoretischen Zugänge (B I und B II) mit dem empirischen Teil dieser Arbeit. So werden nachfolgend die Erkenntnisse von Kata- strophenbewältigung und Reformfähigkeit im Hinblick auf die Fragestellung der Arbeit zusammengeführt (kurz: Warum findet Veränderung statt beziehungsweise welche Bedingungen forcieren oder blockieren substanziell-materielle lokale Re- formfähigkeit oder strukturell-prozessuale lokale Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung nach einem Naturereignis, das eine Katastrophe nach sich zog?). Zunächst werden Hinweise auf Bedingungen zusammengefasst und daraus for- schungsleitende Thesen entwickelt (1). Anschließend werden daraus ein Analyse- gerüst und ein Untersuchungsmodell aus den theoretischen Erkenntnissen abgelei- tet, sowie die Phasen des Untersuchungsprozesses der Einzelfallstudie vorgestellt (2). Abschließend werden nachfolgende Kapitel kurz vorgestellt (3).

58 Strukturell-prozessuale Reformfähigkeit schlägt sich hier in Organisationsstrukturen und/oder Institutionalisierungen nieder. 59 Substanziell-materielle Reformfähigkeit schlägt sich hier im Plan und/oder Raum nieder.

125

Inhaltlicher Anlass dieser Arbeit, ist wie einleitend erwähnt die Erkenntnis, dass nach einer Katastrophe Veränderung stattfinden kann. Aber warum Veränderung nach einer Katastrophe im urbanen Kontext stattfindet beziehungsweise welche Bedingungen Reformfähigkeit forcieren, ist im Rahmen des Politikfeldes der Stadtentwicklung weitgehend unbestimmt und somit das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit. Dieser planungswissenchaftliche Beitrag ordnet sich in Urban Governance- Forschungen und in die Forschung der US-amerikanischen Stadtentwicklungspoli- tik ein.

Eine Katastrophe im Sinne einer relativ plötzlich eintreffenden gesellschaftlichen Krisensituation, die durch ein Naturereignis ausgelöst wurde und deren Bewälti- gung als bewusst und unbewusst angewandte Strategien, die längerfristig nach einer Katastrophe verfolgt werden (Kurzfassung der Definitionen von Katastrophe und Katastrophenbewältigung in Teil B I), kann längerfristig Veränderung forciert werden; auch in Handlungsfeldern des Politikfeldes der Stadtentwicklung. Der Prozess, der dieser Veränderung vorausgeht, spiegelt dann auf lokaler Ebene sub- stanziell-materielle und/oder strukturell-prozessuale lokale Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung wider.

Das Teilkapitel mit theoretischen Zugängen zur Katastrophenbewältigung (B I) zeigt zweierlei: Faktoren wie Zeit und Einfluss tragen durch organisiertes Handeln und insbesondere durch die Führungsschicht sowie lokale und überlokale Akteure dazu bei, dass eine Katastrophe bewältigt wird. Darüber hinaus haben Merkmale von Katastrophenbewältigung im urbanen Kontext gezeigt, dass etwa die Hälfte dieser Merkmale potentiell Veränderung bewirken (Veränderungspotential). Die aufgeführten Merkmale von Katastrophenbewältigung zeigen inhaltlich aber zu- nächst ausschließlich, dass Veränderung nach Katastrophen weniger in substanziel- ler Hinsicht zu erkennen ist, sondern eher prozessual in Bezug auf Netzwerke und Akteure mit explizitem Veränderungsanliegen. So konnten Hinweise auf zuträgli- che und abträgliche Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit eruiert werden in Bezug auf Akteure und Akteurskonstellationen, auf Ergebnisse ihres Handelns und in Bezug auf den städtischen und stadtpolitischen strukturellen Kontext. (vgl. Abb. 8). Da die Frage nach Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit in dieser Arbeit im Mittelpunkt steht und insbesondere Konstellationen von Akteuren des Staates,

126 des Marktes und der Zivilgesellschaft, die eine Veränderung des Status quo bewir- ken, im Teilkapitel B I unbeantwortet blieb, wurde diese Frage im Teilkapitel B II (Reformfähigkeit) gesondert betrachtet.

Bezogen auf die theoretischen Zugänge zu Reformfähigkeit (B II) zeigt sich zu- nächst, dass sich Abhandlungen zu Reformen und Reformfähigkeit nicht explizit auf das Politikfeld der Stadtentwicklung beziehen und somit für dieses Politikfeld Forschungsbedarf besteht. Einen Beitrag dazu soll diese Arbeit leisten. Auch konn- ten in diesem Teilkapitel zur Reformfähigkeit (B II) Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit aufgezeigt werden, die deutlich machen, dass nach Katastro- phen Reformen ausgelöst werden können und Reformfähigkeit attestiert werden kann. In dieser Arbeit wird Reformfähigkeit kurz als kollektives Vermögen von Staat, Markt und Zivilgesellschaft verstanden, den Status Quo zu ändern. Vor die- sem Hintergrund wird Akteurshandeln, das Handlungsspielräume eröffnet und auf Problemdruck reagiert, dabei ausschließlich als – selbstverständlicher – Rahmen für Reformfähigkeit interpretiert. In diesem Rahmen finden sich Hinweise in Be- zug auf Akteure und Akteurskonstellationen, auf Ergebnisse ihres Handelns und auf ihre Fähigkeiten, die lokle Reformfähigkeit forcieren oder blockieren und die als Hinweise auf Bedingungen zu verstehen sind. Im empirischen Teil ist nun zu prü- fen, inwieweit diese Hinweise auf Bedingungen für das Politikfeld der Stadtent- wicklung nach Katastrophen zutreffen. Der Blick auf Forschungszusammenhänge von Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit hat zudem deutlich gemacht, dass zwei Konzepte im Zusammenhang mit Katastrophenbewältigung und Reform- fähigkeit gegen eine Veränderung des Status Quo nach Katastrophen sprechen: Vor dem Hintergrund der Katastrophenbewältigung ist es das Konzept der Urbanen Resilienz und vor dem Hintergrund von Reformfähigkeit ist es das Konzept der Institutionellen Pfadabhängigkeit.

B III.1 Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit und for- schungsleitende Thesen

In dieser Arbeit sind Bedingungen von Interesse, die eine substanziell-materielle Reformfähigkeit oder strukturell-prozessuale Reformfähigkeit auf lokaler Ebene

127 im Politikfeld der Stadtentwicklung infolge einer Katastrophe im urbanen Kontext forcieren oder blockieren. Insofern werden nachfolgend die Erkenntnisse dazu aus den theoretischen Zugängen zusammengefasst (B I und B II). Auf dieser Grundlage werden anschließend Thesen abgeleitet, die für nachfolgende Ausführungen als richtungsleitend gelten.

Vor dem Hintergrund der Forschungszusammenhänge zur Katastrophenbewälti- gung (B I) wird in der Zusammenschau von Hinweisen auf Bedingungen von Re- formfähigkeit zunächst deutlich, dass ein Problemdruck Handlungsdruck erzeugt und durch Akteurshandeln Handlungsspielraum entsteht. Neue Koalitionen mobili- sieren Kräfte, die unterschiedliche Arten von Ressourcen einschließen und die so zu Veränderung oder Reformen führen können. Die theoretische Betrachtung von Katastrophenbewältigung zeigte darauf aufbauend insbesondere, dass eine Domi- nanz von überlokalem Einfluss, ein lokalpolitischer Wille und/oder neue Leitbilder zu Veränderung führen und Reformfähigkeit aufzeigen können. Hinweise auf Be- dingungen, die eine Reformfähigkeit blockieren können, haben demgegenüber ein starkes Gewicht, wie zum Beispiel die soziale Struktur und Ordnung, politische Institutionen und politische Kultur, Machtstrukturen60, ortsabhängige Unterneh- mensnetzwerke, Bündnisse lokalpolitischer Opposition, eine institutionelle Struktur und Planungspraxis der Führungsschicht, Eigentumsrechte und Versicherungsan- sprüche auf das Eigentum, technische Infrastrukturen oder geographische Gege- benheiten. (Ergebnis aus dem Forschungsfeld Katastrophenbewältigung).

Auch vor dem Hintergrund der Forschungszusammenhänge zur Reformfähigkeit (B II) bildet ein Rahmen von Problemdruck und Akteurshandeln wie erwähnt eine selbstverständliche Grundlage, auf der sich Hinweise auf Bedingungen von Re- formfähigkeit abzeichnen. Insbesondere können machtkonzentrierende Institutio- nen, Interessensverbände als Mitentscheidungs- und Vollzugsträger oder integrierte „Fremdheit“ (überlokale Akteure) zur Reformfähigkeit beitragen. Zudem sind Hinweise auf organisierte Ressourcen, adäquate Problemanalysen, Durchsetzungs- fähigkeit, neue Leitbilder und eine Eigendynamik gesellschaftlicher Situationen als

60 Dieses Phänomen, dass vorherrschende Machtstrukturen erhalten bleiben, wird normativ auch als „rückschrittliche Resilienz“ bezeichnet (Campanella 21.09.2005). Dazu gehört auch das Beharrungs- vermögen korrupter stadtpolitischer Strukturen.

128

Vorboten von Reformen, eine politische Agenda, die durch Presse und Medien, Interessensgruppen, Eliten und Experten beeinflusst ist, sowie spezifische Fähig- keiten, durch die sich Reformfähigkeit auszeichnet, ebenfalls als Ansatzpunkte oder Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit zu werten. Beharrungsver- mögen zeichnet sich im Forschungszusammenhang zur Reformfähigkeit insbeson- dere durch „ideologisch heterogene“ Akteurskonstellationen, eine uneinige Interes- sensgruppenlandschaft, auch durch zusätzliche Akteure, eine hohe Dichte von In- stitutionen, asymmetrische Machtbeziehungen und eine immanente Komplexität aus. (Ergebnis aus dem Forschungsfeld Reformfähigkeit).

Diese Hinweise auf Bedingungen sind hier ausschließlich als eine Zusammenschau theoretischer Befunde aus den Zugängen von Katastrophenbewältigung und Re- formfähigkeit vor dem Hintergrund der Fragestellung zu verstehen. Sie werden im empirischen Teil als Rahmen zu Überlegungen von Bedingungen von Reform- fähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung genutzt. Deutlich wird Akteurshan- deln vor dem Hintergrund einer Problemlage und einem Bündel an Hinweisen auf Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren und blockieren können. Insbe- sondere bleiben allerdings die theoretischen Befunde in Bezug auf Akteure oder Akteurskonstellationen und ihrer daraus folgenden Wirkmächtigkeit relativ unkon- kret. Zudem bleibt das Verhältnis dieser Ansatzpunkte zueinander und die Gewich- tung untereinander aufgrund der unterschiedlichen theoretischen Zugänge unklar. Eine Untersuchung dessen im Politikfeld der Stadtentwicklung nach einem Natur- ereignis im urbanen Kontext, das eine Katastrophe nach sich zieht, steht aus. Inso- fern wird in dieser Arbeit am Fall New Orleans herausgearbeitet, inwiefern diese Hinweise auf Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit für das Handlungsfeld strategischer Stadtentwicklungsplanung dienlich sind, inwiefern der Fall eine empi- rische Ergänzung zulässt und welche Gewichtung und in welchem Verhältnis diese Hinweise zueinander stehen. Auf dieser Grundlage werden im Rahmen des Politik- feldes der Stadtentwicklung und vor dem Hintergrund dieses Falles der Entwick- lung gesamtstädtischer Planwerke Bedingungen von Reformfähigkeit eruiert. Da- mit soll diese black box von Bedingungen ein Stück weit geöffnet werden, die als Gelegenheitsstruktur lokaler Reformfähigkeit zu verstehen ist.

129 m Ergebnis Ergebnis aus de rot dargestellt (eigene (eigene dargestellt rot

: Zusammenschau von Hinweisen auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren und blockieren. 8 Abbildung Abbildung blau dargestellt, Katastrophenbewältigung Ergebnis aus Forschungsfeld dem Reformfähigkeit Forschungsfeld Darstellung).

130

Nachfolgende forschungsleitende Hypothese ist aus den theoretischen Zugängen in Teil B abgeleitet und führt durch nachfolgende Ausführungen dieser Arbeit, die sich nun auf das Politikfeld der Stadtentwicklung beziehen. Diese Hypothese wird am Ende von Teil C weiterentwickelt und dementsprechend als forschungsleitend für Teil D konkretisiert: Auf der Grundlage der Ergebnisse aus den Forschungsfel- dern Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit wird in dieser Arbeit grund- sätzlich davon ausgegangen, dass eine urbane Katastrophe Veränderung nach sich zieht und damit lokale Reformfähigkeit retrospektiv widerspiegelt. Die längerfris- tige Bewältigung einer urbanen Katastrophe stellt eine Gelegenheit für Verände- rung dar, aber gleichzeitig auch eine black box an Bedingungen, die lokale Reform- fähigkeit forcieren oder blockieren. Dabei stellen der Problemdruck, der Hand- lungsdruck erzeugt, und Akteurshandeln, das Handlungsspielräume eröffnet, den konzeptionellen Rahmen dar, in den sich Hinweise auf diese Bedingungen einbet- ten. Diese Hinweise basieren auf Akteuren und den Ergebnissen ihres Handelns (z.B. Ressourcen organisieren) in Akteurskonstellationen, ihren Fähigkeiten (z.B. adäquate Realitätswahrnehmung und Problemanalyse) oder stadtpolitischen Cha- rakteristika, die allerdings streng genommen ebenfalls auf Akteurshandeln basieren (z.B. Eigentumsrechte, Machtstrukturen, institutionelle und soziale Struktur). Die theoretischen Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit stellen somit ein Bündel an Hinweisen dar, die erst der Fall New Orleans selbst zu Bedingungen erklären kann. Diese Hypothesen werden vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus Teil C im empirischen Teil D dieser Arbeit weiterentwickelt und in konkrete Fragen gefasst, die die Hypothesen auf diese Weise operationalisieren.

B III.2 Untersuchungsdesign

Nachfolgend werden die Erkenntnisse aus den theoretischen Zugängen Katastro- phenbewältigung und Reformfähigkeit für eine konkrete Analyse lokaler Reform- fähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung nach Katastrophen in Folge eines Naturereignisses anwendbar gemacht auf der Grundlage eines Analysegerüstes, eines Untersuchungsrahmens und der Darlegung der methodischen Vorgehenswei- se der Datenerhebung und -verarbeitung sowie der Datenauswertung und Interpre- tation.

131

2.1 Analysegerüst der Arbeit

Aus den theoretischen Zugängen von Katastrophenbewältigung und Reformfähig- keit wurden im Sinne der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse (Mayring 2010, 2008; Kuckartz 2016; Schreier 2014) Analysekriterien abgeleitet. Diese Me- thode wurde gewählt, da sie hinsichtlich der Fragestellung, Bedingungen zu eruie- ren, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren, besonders geeignet scheint. Denn sie kann die Gesamtheit des Materials abbilden (vgl. B III 2.3.2: Einzelfall- studie, Phase Datenauswertung und -interpretation).

Bei beiden theoretischen Zugängen (Katastrophenbewältigung und Reformfähig- keit) wurde ein ähnlicher Untersuchungsrahmen sichtbar. Unter der Maßgabe, dass nicht eine Institution oder ein Akteur untersucht wird, sondern ein Handlungsfeld eines Politikfeldes, sowie unter der Maßgabe der Anwendbarkeit in dieser Arbeit werden diese Untersuchungsmuster für das Politikfeld der Stadtentwicklung in angelehnter Form als Analysegerüst genutzt. Dabei werden insbesondere die Un- terpunkte des Analysekriteriums Akteure an den jeweiligen Untersuchungskontext angepasst, da sie implizit eine Rolle spielten. Dem Ideal eines Untersuchungsrah- mens von Reformfähigkeit (wie in B II aufgezeigt), kann in dieser Arbeit aufgrund der Diskrepanz zwischen Forschungsoptimum und Forschungsalltag nicht nachge- kommen werden.

Das in dieser Arbeit genutzte Analysegerüst lehnt sich insgesamt an einen inte- grierten Ansatz städtischer governance an. Bei diesem Ansatz tragen die analyti- schen Elemente struktureller Kontext, kulturelle Ansätze und rationale (politische) Akteure dazu bei, das sogenannte institutionelle Milieu städtischer governance (als „Gesamtheit der formellen und informellen politischen und verwaltungsbezogenen Arrangements“) zu erklären. Politische Institutionen („verstanden als die organisa- torischen Instrumente, mit denen kollektive Entscheidungen gemacht und durchge- führt werden“) wurden als Schlüssel für diesen Integrationsversuch der drei analy- tischen Elemente erkannt. (Altrock 2003) Insofern finden die analytischen Elemen- te struktureller Kontext, kulturelle Ansätze und rationale (politische) Akteure grundsätzlich auch in dieser Arbeit große Beachtung. Zudem dienen dieser Arbeit Erkenntnisse des Akteurszentrierten Institutionalismus (Scharpf 2000): Prämisse

132 dieser Arbeit ist es, dass Akteure im Rahmen von Institutionen (mit Regeln, Ver- fahren und Traditionen) handeln, aber selbstverständlich mit ihren eigenen Kompe- tenzen, Fähigkeiten, Werten und fachlichen Ansätzen an einem politischen Prozess mitwirken.

Zusammenschau von Analysekriterien aus Weiterentwicklung zum Analysegerüst: Un- theoretischen Zugängen zur Untersuchung tersuchung von Reformfähigkeit im Politik- von Reformfähigkeit feld der Stadtentwicklung (Handlungsfeld strategische Stadtentwicklungsplanung) Problem als Auslöser (Petring 2010), Reformbe- Auslöser für Planwerk, Ausgangssituation und reitschaft (Egle 2009: 52) struktureller Kontext Maßnahmen, Problemlösungsverständnis (Egle Ziele, gesamtstädtisch, strategisch 2009: 52) Akteur(e) (Petring 2010) Akteure und Koalitionen / Konstellationen, Art der Akteure (Scharpf 2000): Gewichtung, Ressourcen • Organisationsstärke und -form (Petring Akteurskonstellation: 2010) • wer ist beteiligt, Funktionen, Kompe- • die Präferenzen der Akteure (Petring tenzen 2010), Ziele (Scharpf 2000) Interessen, • Interessen, Ziele Funktionen, Kompetenzen (Geppert • Ausstattung mit „Macht“ und Ressour- 2012) cen • die Ressourcen der Akteure (Petring Akteursbeziehungen: 2010) • Kooperationen und Koalitionen, damit • das institutionelle Umfeld (Petring automatisch auch Interessensgegensät- 2010) ze zwischen Akteuren, Art und Weise, Konstellationen der Akteure zueinander (Petring in der diese – formalisierten und nicht- 2010) formalisierten – Beziehungen organi- Interaktionsformen (Scharpf 2000) siert sind • einseitiges Handeln • Richtungsweisende Entscheidungen • hierarchische Steuerung • Prozessbegleitende Situationen oder • Verhandlungen Handlungen als potentielle Verände- • Mehrheitsentscheidungen rung des Status quo Ergebnisse (Petring 2010), Handlungen und Ergebnis: Leitidee, Ansatz oder Logik und Entscheidungen (Scharpf 2000), (Durchsetzungs- Argumente für die Durchsetzung oder Nicht- fähigkeit, Egle 2009: 52 durchsetzung

Abbildung 9: Analysegerüst (eigene Darstellung).

Insofern werden in dieser Arbeit in Bezug auf das Handlungsfeld der strategischen Stadtentwicklungsplanung Bedingungen eruiert, die lokale Reformfähigkeit forcie-

133 ren oder blockieren, im Rahmen von vier groben Kriterienkategorien. Diese Krite- rien sind in der nachfolgenden Abbildung den Analysekriterien der theoretischen Zugänge gegenübergestellt: Ausgangssituation und struktureller Kontext; gesamt- städtische strategische Ziele; Akteure und Koalitionen; Leitidee, Ansatz oder Logik des Planwerks und Argumente für die Durchsetzung oder Nichtdurchsetzung eines Planwerks. Bezogen auf den Entwicklungsprozess eines jeden Planwerks sind Pro- zesssituationen oder Handlungen mit richtungsweisenden Entscheidungen beson- ders bedeutsam und Situationen oder Handlungen, die potentiell den Status quo verändern. Daraus können auch prozessintern Bedingungen abgeleitet werden, die lokale Reformfähigkeit blockieren oder forcieren.

2.2 Abgeleitetes Untersuchungsmodell

Aus den Erkenntnissen zur Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit wird folgendes Untersuchungsmodell dieser Arbeit abgeleitet. Dieses Untersuchungs- modell steht in unmittelbarer Verbindung zum Analysegerüst, das durch den empi- rischen Teil D leitet. Nachfolgend wird das Untersuchungsmodell kurz vorgestellt: Eine urbane Katastrophe erzeugt städtische und stadträumliche Probleme in einem strukturellen Kontext, das die Ausgangssituation für Akteure und Institutionen zum Handeln darstellt. Das Problem beziehungsweise der Problemdruck veranlasst Ak- teure und Institutionen, beispielsweise gesamtstädtische strategische Ziele, Plan- werke und Projekte zu entwickeln, die sich im Rahmen eines Planungsprozesses als Ergebnis mit ihren Leitideen, Ansätzen oder Logiken durchsetzen oder nicht durchsetzen. Diese „Produkte“ können dann eine Veränderung bedeuten und Re- formfähigkeit widerspiegeln. Sie bleiben dann entweder bestehen, bis der Prob- lemdruck für eine weitere „natürlichen“ Veränderung groß genug ist oder werden durch eine erneute Katastrophe zerstört beziehungsweise zumindest wieder anpas- sungswürdig. Durch die Untersuchung des Entwicklungsprozesses und der damit zusammenhängenden Identifizierung von richtungsweisenden Entscheidungen und Akteurshandlungen werden Bedingungen von Reformfähigkeit sichtbar.

134

Abbildung 10: Modell zur Untersuchung von Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit (ei- gene Darstellung).

2.3 Einzelfallstudie: Drei Phasen des Untersuchungsprozesses und me- thodische Vorgehensweise

Im Rahmen der Einzelfallstudie (Prozess der Entwicklung von Planwerken zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans nach Hurrikan Kat- rina) wurden Phasen der Datenerhebung, der Datenverarbeitung sowie der Daten- auswertung und -interpretation berücksichtigt. Diese Phasen werden nachfolgend ergänzend zur Darlegung der Vorgehensweise bei der Untersuchung der Einzelfall- studie ausgeführt.

Der Untersuchungszeitraum umfasst die Zeit unmittelbar nach Hurrikan Katrina im August 2005 bis zur Fertigstellung des Master Plans im August 2010. Diese Fall- studie schließt auch eine inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse eines ausgewähl- ten Projektes des Master Plans ein, das exemplarisch das Zusammenwirken lokaler

135 und überlokaler Akteure auf Projektebene aufzeigt. Als Bestandteil strategischer Stadtentwicklungsplanung liefert dieses Projekt somit zusätzliche Hinweise auf Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit im Handlungsfeld forcieren oder blockie- ren. Dieses Master Plan-Projekt wurde zudem ausgewählt, weil es sich in eine überlokale planerische Debatte zur Zukunft großer Infrastrukturen in Städten der USA (Highways to Boulevards) einbettet und die Projektentwicklung mit ausrei- chend Material belegt werden kann.

Zur Untersuchung der Fallstudie werden insbesondere die offiziellen Planwerksdo- kumente sowie weitere Dokumente und politische Beschlüsse von Stadtrat und städtischer Planungsbehörde, 26 leitfadengestützte Experteninterviews (2008, 2012 und 2016/2017), lokale und überlokale Tagesmedien und Fachpresse sowie fallbe- zogene Fach- und Sekundärliteratur herangezogen.61 Wesentlich sind dabei Doku- mente, die die finalen Planwerke und Projektplanungen im Kontext der Katastro- phenbewältigung nach Hurrikan Katrina erklären. Zudem sind Dokumente rele- vant, die den strukturellen Kontext der Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspo- litik aufzeigen, in denen die Wiederaufbauplanungen nach Katrina eingeordnet werden können. Die Interviews waren offen angelegt und Leitfaden gestützt (Flick 2002). Leitfadengestützte Interviews bieten den Vorteil, dass „die Subjekte selbst zur Sprache kommen“ (Mayring 2002: 22), um ihre subjektive Sichtweise als Ex- perte zu rekonstruieren (vgl. u.a. Honer 2006; Mayring 2002; Flick 2002). Dabei werden als Experten Personen verstanden, „die über ein spezifisches Rollenwissen verfügen, solches zugeschrieben bekommen und eine darauf basierende besondere Kompetenz für sich selbst in Anspruch nehmen“ (Przyborski, Wohlrab-Sahr 2008: 133). Bezogen auf die in New Orleans durchgeführten Interviews wurden Personen als Experten ausgewählt, bei denen im Zusammenhang mit den jeweiligen Pla- nungsphasen des Entwicklungsprozesses der Planwerke Prozess- und Deutungs- wissen vermutet werden konnte, weil sie aufgrund ihrer beruflichen oder sozialen Stellung als entscheidungskompetent oder einflussreich galten oder durch ihre Handlungen oder häufigen Erwähnungen im Datenmaterial als richtungsweisend für den jeweiligen Planungsprozess interpretiert werden können. Relevante Ge- sprächspartner wurden durch Recherche in lokalen und überlokalen Tagesmedien und Fachliteratur identifiziert. Auch wurde Hinweisen auf und Empfehlungen von

61 Zum untersuchten Einzelfall konnten nicht alle Quellen zugänglich gemacht werden.

136

Akteuren in bereits erfolgten Gesprächen in der Feldphase nachgegangen und in einer weiteren Phase der Feldforschung Interviews geführt. Insofern wurde ein mehrstufiger Interviewprozess verfolgt. Hatten die Interviews in der ersten Phase der Untersuchung einen eher explorativen Charakter, um zentrale Entwicklungsli- nien im Rahmen des Planungsprozesses zu erfassen, hatten Interviews in einer späteren Phase die Funktion, besagtes Prozess- und Deutungswissen in Bezug auf die Fragestellung aufzudecken, das aus den anderen oben genannten Quellen nicht hervorgegangen ist. Insgesamt gaben die Experten Auskunft über ihr eigenes Handlungsfeld (Betriebswissen) oder über die Kontextbedingungen des Handelns dieser Zielgruppe (Kontextwissen) (vgl. Garz, Kraimer 1991). Durch den Einsatz des leitfadengestützten Interviews konnten Lücken in Bezug auf Prozess- und Deu- tungswissen in Bezug auf die Fragestellung geschlossen werden. Dabei kam es aber auch vor, dass sich Aussagen einzelner Interviewpartner widersprachen. Diese Aussagen wurden in der Arbeit gekennzeichnet. Die Interviews dienten als zusätz- liche Quelle in Bezug auf Handlungsabläufe im Zusammenhang mit dem gesamten Planungsprozess und der Katastrophenbewältigung an sich und zeigen Aspekte der Stadtpolitik und Stadtentwicklungspolitik in New Orleans vor und nach Katrina auf. Insofern fanden Interviews mit Beteiligten an der Steuerung der Planungspro- zesse, mit Vertretern der Stadtregierung, der politisch-administrativen Ebene, zi- vilgesellschaftlicher Organisationen und der lokalen Presse statt.

2.3.1 Phasen der Datenerhebung und Datenverarbeitung als iterativer Prozess

Die Phase der Datenerhebung und Datenverarbeitung sind eng miteinander ver- knüpft. Denn der Arbeitsschritt Auswahl und Sammlung von Datenmaterial und der Arbeitsschritt Systematisierung von Datenmaterial erfolgt nach dem Relevanzkrite- rium in Bezug auf die Fragestellung gleichzeitig. Insofern verläuft der Prozess der Datenhebung und Datenverarbeitung nicht linear, sondern iterativ.

Der Arbeitsschritt der Auswahl und Sammlung von Datenmaterial in der Phase der Datenerhebung wurde im unmittelbaren Vorfeld zur Datenverarbeitung der Ergeb- nisse der Experteninterviews (Transkription als Verschriftlichung von Audiomate-

137 rial der Experteninterviews) noch einmal intensiviert, da in dieser Feldphase (2012) im Zusammenhang mit den Gesprächen zusätzliche Dokumente an Bedeutung ge- wannen. Dementsprechend hat sich an einigen Punkten des gesamten Untersu- chungsprozesses ein ständiger Wechsel zwischen Datenerhebung, -verarbeitung, (aber auch -interpretation und -auswertung) ergeben. Denn auch wenn die Phase der Datenerhebung bereits abgeschlossen war, wurde ein Dokument, das in Bezug auf die Fragestellung relevant erschien, auch in einer späteren Forschungsphase möglichst einbezogen. Insgesamt wurde während des Untersuchungsprozesses eine gewisse Informationsflut festgestellt, gleichzeitig aber auch eine Nichtzugänglich- keit von Dokumenten und Daten, was eine Herausforderung in Bezug auf die mög- lichst klein zu haltende Diskrepanz zwischen Forschungsoptimum und For- schungsalltag in dieser Arbeit darstellte.

2.3.2 Phase Datenauswertung und Dateninterpretation

Alle aufgeführten Quellen, die in der Phase der Datenerhebung und -verarbeitung sowohl theorie- als auch fallbezogen erhoben und systematisiert wurden, wurden mittels der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse (Mayring 2010, 2008; Kuckartz 2016; Schreier 2014) ausgewertet. Dazu wurde das Interviewmaterial entsprechend des theoretisch hergeleiteten Analysegerüsts (vgl. Abb. 9) kodiert und strukturiert, das aus den theoretischen Zugängen vor dem Hintergrund des Politikfeldes der Stadtentwicklung entwickelt (vgl. B III 2.2) und analysiert (de- duktive Kategorienbildung) wurde. Dementsprechend waren forschungsleitend folgende Analysekriterien relevant, die als Grundlage der inhaltlichen Strukturie- rung verstanden werden können:

• Entscheidungspunkte (Was war der Auslöser für das Planwerk? Welche rich- tungsweisenden Entscheidungen, Handlungen, Situationen treten innerhalb ei- nes Planungsprozesses auf?) • Die Ausgangssituation (In welcher Ausgangssituation befindet sich das stadt- entwicklungspolitische Handlungsfeld nach der Katastrophe?) • Der strukturelle Kontext (Welche Rahmenbedingungen herrschen nach der Katastrophe vor? Wie haben sie sich verändert?)

138

• Substanzielle Ziele (Welche gesamtstädtischen strategischen Ziele verfolgen die Planwerke?) • Akteure und Akteurskonstellationen (Warum sind welche Akteure beteiligt – warum haben bestimmte Akteure bestimmte Positionen inne?) • Leitidee, Ansatz oder Logik eines Planwerks (Welche Leitidee/Ansatz oder Logik setzt sich vom wem durch?) und Argumente zur Durchsetzung bzw. Nichtdurchsetzung (Welche Argumente zur Durchsetzung werden angeführt / können identifiziert werden?) • Bedingungen von Reformfähigkeit (Inwiefern können Prozessbegleitende Situ- ationen oder Handlungen als potentielle Veränderung des Status quo zu identi- fiziert werden?)

Auch die fallbezogenen Dokumente (offizielle Planwerksdokumente, weitere Do- kumente und Beschlussfassungen der politisch-administrativen Ebene, lokale und überlokale Tagesmedien62 und Fachpresse sowie fallbezogene Fach- und Sekundär- literatur) wurden mittels der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse bezogen auf die Analysekriterien ausgewertet. Widersprüchliche Aussagen zwischen einzelnen Dokumenten werden in der Darstellung der Ergebnisse berücksichtigt. Dabei wird das Ziel verfolgt, die einzelnen Planungsprozesse sowie den Entwicklungsprozess der Planwerke insgesamt zu erklären (Teil D) und identifizierte Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren oder blockieren, in den Kontext US- amerikanischer Stadtentwicklungspolitik zu setzen (Teil E).

B III.3 Ausblick auf nachfolgende Kapitel

Auf Grundlage dieser theoretischen Erkenntnisse und Überlegungen (Teil B) wird im weiteren Verlauf der Arbeit die Einzelfallstudie Prozess der Entwicklung von Planwerken zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans nach Hurrikan Katrina im August 2005 entsprechend der Fragestellung und auf der Grundlage der forschungsleitenden Hypothesen untersucht (Teil D). Um Er- gebnisse (aus dem Teil D) kontextuell abschließend einzuordnen und zu interpre-

62 Dabei sind neben der lokalen Presse die New York Times, Washington Post und DIE ZEIT bedeut- same Quellen.

139 tieren (Teil E), werden zuvor (im Teil C) lokale und überlokale Hintergründe auf- gezeigt, die für die Entwicklung der gesamtstädtischen Planungen bedeutsam sind: Merkmale US-amerikanischer Stadtentwicklungspolitik, Stadtentwicklungspolitik in New Orleans vor Hurrikan Katrina, die städtische Ausgangslage nach der Kata- strophe und Tendenzen der Stadtentwicklung nach Hurrikan Katrina.

141

Teil C Stadtentwicklung von New Orleans im Kontext US-amerikanischer Stadtentwicklungspolitik

Die Stadt New Orleans liegt geographisch im Süden der USA im Bundesstaat Louisiana. Die Region ist katholisch geprägt. Die Stadt ist als Zentrum des Jazz und Blues bekannt. Sie wurde und wird stark von der europäischen und lateiname- rikanischen Kultur beeinflusst. So sind Musik, Essen und Gebräuche geprägt durch afrikanische Umzüge, europäischen Karneval, karibische Rhythmen und die US- amerikanische Geschichte der Sklaverei. Einstmals war New Orleans in erster Li- nie als Hafen- und Ölstandort bekannt. Heute ist die Stadt erheblich mit den Folgen der Deindustrialisierung konfrontiert: In New Orleans dominiert spätestens seit den 1980er Jahren der Tourismus- und Dienstleistungssektor. Die Wirtschaftsleistung stagnierte bereits vor Katrina. Die Arbeitslosenquote war und ist noch immer hoch. Die Privatwirtschaft ist wenig ausgeprägt und eine lokale Finanzknappheit ist als chronisch zu bezeichnen. Armut war bereits vor Hurrikan Katrina großräumig ver- breitet und Rassismus prägte die Stadt. Die Bevölkerungszahlen gingen seit den 1960er Jahren durch eine anhaltende Suburbanisierung zurück, die durch die Fol- gen von Hurrikan Katrina einen Tiefpunkt erreichten und seitdem wieder leicht ansteigen (Nossiter 21.01.2007; Jakob, Schorb 2008: 41; Robertson 22.02.2014). Die Lokalregierung galt seit Jahrzehnten vor Katrina und über Katrina hinaus als führungsschwach. Die technische Infrastruktur wie das Abwassersystem, die Ener- gieversorgung, die Verkehrsinfrastruktur wie auch das Hochwasserschutzsystem (Dämme und Deiche) war bereits vor Katrina überwiegend marode. Diese städti- schen Probleme und stadtpolitischen Charakteristika lähmten die Stadt vor dem Sturm und verstärkten sich durch die Folgen von Hurrikan Katrina. (vgl. Nossiter 25.09.2008, 21.01.2007). Sie sind ein erster Hinweis auf ein Beharrungsvermögen städtischer Eigenheiten vor dem Hintergrund der Fragestellung dieser Arbeit nach Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren und blockieren.

Auf dieser Suche nach Hinweisen von Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit nach Katrina forcieren oder blockieren, wird im Anschluss zunächst auf die Stadt- entwicklung und Stadtentwicklungspolitik in New Orleans vor Hurrikan Katrina

142

2005 eingegangen (C I), bevor Entwicklungslinien der Stadt New Orleans nach Hurrikan Katrina betrachtet werden (C II). Teil C stellt somit den Rahmen für die Analyse der Prozesse zur Erarbeitung eines Planwerks zum Wiederaufbau und zur gesamtstädtischen Neuentwicklung von New Orleans (Master Plan) nach Hurrikan Katrina dar (Teil D), um die Prozesse der Planwerkserarbeitungen im stadt- und stadtentwicklungspolitischen Kontext verstehen zu können. Vor diesem Hinter- grund soll auch am Ende von Teil C eingeschätzt werden, inwiefern in New Or- leans nach Katrina von einem „Klima der Reformfähigkeit“ gesprochen werden kann und inwiefern der stadtentwicklungspolitische Kontext Hinweise auf Bedin- gungen aufzeigt, die loakle Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung am Beispiel der Planwerkserarbeitungen forcieren oder blockieren. In der Gesamtbetrachtung wird sich darüber hinaus zeigen, dass in New Orleans Tendenzen der Stadtentwick- lung deutlich werden, wie sie sich in US-amerikanischen Städten im Allgemeinen abzeichnen und im Zusammenspiel mit lokalen Eigenheiten die Stadtentwicklung bereits vor Katrina geprägt haben. Vor diesem Hintergrund unterscheidet sich New Orleans also wenig von der Stadtentwicklung anderer – in erster Linie US- amerikanischer – Städte, da stets lokale und überlokale Entwicklungen eine Stadt prägen.

C I Stadtentwicklungspolitik in New Orleans vor Hurrikan Katrina

Stadtentwicklungspolitische Prozesse erklären sich erst durch Kenntnis des jewei- ligen stadtentwicklungspolitischen Kontextes. So wird auch für den Fall New Or- leans nach Hurrikan Katrina in diesem Teilkapitel der strukturelle lokale und über- lokale Kontext des Prozesses der Entwicklung von Planwerken zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt (Master Plan) aufgezeigt. Nachfolgend werden demnach stadtgeschichtliche und räumliche Entwicklungslinien (C I 1) und überlo- kale als auch lokale Rahmenbedingungen der lokalen Stadtentwicklungspolitik (C I 2) aufgezeigt sowie darauf aufbauend der Fokus der Stadtentwicklungspolitik vor Katrina (C I 3) dargelegt. Aus diesen Kapiteln (C I 1-3) werden jeweils Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung forcieren oder blo-

143 ckieren, sowie stadtpolitische Charakteristika mit Beharrungsvermögen herausge- filtert, die Einfluss auf die Prozesse der Planwerksentwicklungen haben.

C I.1 Der Natur zum Trotz: Stadtgeschichtliche und stadträumliche Entwicklungslinien der Stadt New Orleans

Als bedeutsam für die Stadtentwicklung von New Orleans vor dem Hintergrund der urbanen Katastrophe in Folge von Hurrikan Katrina kristallisierte sich ent- scheidend ein „Trotz“ gegenüber der Natur auf, der durch technische Entwässe- rungsinfrastruktur physisch sichtbar wurde und vor allem die Stadterweiterungen in niedrig gelegenen Gebieten der Stadt möglich machte. (C I.1.1) Ironischerweise sind es gerade diese Gebiete, die der Stadt nach Hurrikan Katrina zum Verhängnis wurden, da Gefahren, die von einem ungenügenden und lückenhaften Hochwasser- schutzsystem ausgingen, im Zusammenhang mit diesen weitreichenden Stadterwei- terungen in Risikogebieten beharrlich bewusst und unbewusst lokalpolitisch und überlokal ignoriert wurden. (C I.1.2) Vor dem Hintergrund der Fragestellung dieser Arbeit sollen durch die Betrachtung der stadtgeschichtlichen und stadträumlichen Entwicklungslinien sowie des stadtpolitischen Umgangs auch in diesem Kapitel Hinweise auf Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung forcieren und blockieren, herausgearbeitet werden.

1.1 Stadtgründung und Stadtentwicklung entgegen natürlicher Wider- stände

New Orleans wird im Jahr 2018 dreihundert Jahre alt. Die Stadt entwickelte sich zwischen wechselseitigen und oft widersprüchlichen Kräften von Natur, Stadtpoli- tik und -planung. (Colten 2005a) Die Entwicklung der Stadt New Orleans zeigt, dass so – Coltens These (2005a) – „Menschen gemachte“ Ursachen die Katastro- phensituation durch und nach Hurrikan Katrina prägten. Hurrikan Katrina veran- schaulichte die menschliche Unfähigkeit, die Natur von den Städten fernzuhalten. (vgl. Colten 2005a) Schon nach Lewis Mumford wurden Städte an die Stelle der Natur gesetzt. Auch nach Henry Lawrence sind Städte eine Antithese zur Natur.

144

Denn „(a)lle Anstrengungen, New Orleans zu erhalten, hatten die Natur zum Geg- ner“ (Lawrence zit. in Colten 2006: 29). In New Orleans wurden die natürlichen Gegebenheiten der Landschaft so gründlich wie möglich ausgemerzt. Wald wurde gerodet und künstliche Abwasserkanäle angelegt. Nach Colten (2005a) ist New Orleans deshalb eine „unnatürliche Stadt“. Dennoch ist es der Stadt nie wirklich gelungen, die Natur zu bannen. (Colten 2005a: 29) Denn New Orleans ist eine Stadt, die von Sümpfen umgeben und stets von Überschwemmungen bedroht ist. Somit umringen den Lake Pontchartrain niedrige Dämme im Norden, damit dieser nicht über seine Ufer tritt. Aufwendige Drainagesysteme sind notwendig, damit der Boden entwässert wird und das Wasser vom See und dem Fluss Mississippi nicht übertritt. Höhen und Senken, die kaum wahrgenommen werden, bestimmen die Topographie der Stadt. Der Großteil der Stadt liegt knapp über dem Meeresspie- gelniveau, wobei Teile der Stadt unterhalb des Meeresspiegels liegen. (Colten 2005a: 26)

New Orleans wurde von französischen Siedlern an der Flussmündung des Missis- sippi im Sumpfland auf wenig bebaubaren Grund erbaut und war stets von Über- schwemmungen bedroht. Die Stadt wird vor diesem Hintergrund vom Geograph Peirce Lewis als impossible but inevitable city bezeichnet (Colten 2005a) „Nichts hat (sie) davon abbringen können, hier, (...) ihre koloniale Hauptstadt zu errichten.“ (Colten 2005a: 26) Denn der Standort zwischen dem Lake Pontchartrain und dem Mississippidelta war strategisch optimal und entscheidender als die topographi- schen Schwächen des Standortes durch die umliegenden Sümpfe. Jean Baptiste Le Moyne de Bienville gilt als Gründungsvater der Hafenstadt New Orleans im Jahre 1718. Auf einer Anhöhe plante Moyne de Bienville die Stadt, die zu dieser Zeit mehr als dreieinhalb Meter hoch war. Diese Anhöhe ist durch Sedimentablagerun- gen von grobkörnigem Sand und Schlick in Folge regelmäßig aufgetretener Über- schwemmungen durch Springfluten entstanden. Heute ist dieser Standort als Vieux Carré oder French Quarter bekannt. Zwei weitere Anhöhen, die ebenfalls durch Ablagerungen entstanden sind, waren etwa zwei Meter hoch und befanden sich zwischen Fluss und See. Auf diesen Anhöhen haben sich die Nachbarstadt Metraire und der Stadtteil Gentilly in New Orleans entwickelt. Sie verengten das Gebiet dazwischen zu einem topographischen Becken. Starke Regenfälle, die durch die hohen örtlichen Temperaturen und die hohe Luftfeuchtigkeit auftraten, sowie

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Überschwemmungen des Flusses fluteten das Becken, das schlecht zu entwässern ist, regelmäßig, was es zu einer idealen Brutstätte für Moskitos machte. Dieses topographische Becken war und ist dementsprechend im Grunde für eine Besied- lung ungeeignet. Zusätzlich beeinflusste eine geringfügige topographische Neigung zwischen Fluss und See die Entwicklung der Stadt zusätzlich: Denn das Gebiet am Mississippi wurde bevorzugt besiedelt, da es höher gelegen war. (Colten 2005a: 26–28)

Die Stadt wuchs aber über ihre soliden Anhöhen hinaus und erste Drainagesysteme und Dämme wurden durch die französischen und spanischen Siedler angelegt. Künstliche Deiche am Fluss und See wurden seit dem 18. Jahrhundert gebaut. Das machte New Orleans insgesamt zu einer Senke. So wurde der Boden erst durch Entwässerungssysteme, Deiche und eine Verdichtung des Bodens zu Bauland. Noch im frühen 19. Jahrhundert gab es keine öffentlichen Maßnahmen, die sich auf die Stadt als Ganze bezogen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich bei- spielsweise ein öffentliches Gesundheitssystem. Gesundheitliche Missstände und Erkenntnisse in Bezug auf Keime und Bazillen forcierten dies. Auch kamen nun stadtweite politische Reformbewegungen auf. Es wurde in kostspielige Infrastruk- tursysteme investiert. Wasserver- und Abwasserentsorgung sowie neue Drainage- systeme waren bedeutende Investitionen. Die Entwässerungskanäle zerlegten die Stadt in Segmente. Das heutige Straßenraster fand hier seinen Ursprung. (Colten 2005a: 32)

Nach dem zweiten Weltkrieg wuchsen die US-amerikanischen Städte stark und eine residentielle Suburbanisierung wurde durch Motorisierung vorangetrieben, so dass sich die Gestalt und der Maßstab der Städte veränderte. New Orleans dehnte sich zunehmend in die Richtung des Sumpflandes nach Nordwesten aus; in ein Gebiet, das als Bauland ebenfalls ungeeignet war. In den 1950er und 1960er Jahren war diese Stadterweiterung auf ihrem Höhepunkt. Sumpfland wurde als Bauland ausgewiesen und die Entwicklung der Vorstädte wurde somit vorangetrieben. In New Orleans entwickelten sich neue Nachbarschaften von Minderheiten aufgrund demographischer Veränderungen in Gebieten, die als gefährlich eingestuft wurden. Sie entstanden auf aufgefüllten Müllhalden, obgleich sich in dieser Zeit die öffent- liche Meinung zu Umweltfragen aufgrund zunehmender Erkenntnisse in diesem

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Bereich veränderte. (Colten 2006: 32)(Colten 2006: 32) So sind das gefächerte Straßenraster, die Vorstädte und das Besiedlungsmuster von Afroamerikanern und Weißen sowie Geringverdienern und Wohlhabenden Folgen des „ewigen und bei- nahe aussichtslosen Kampf(es) der Stadt gegen ihre natürlichen Gegebenheiten.“ (Colten 2006: 26)

Abbildung 11: Stadtwachstum New Orleans und Region (Greater New Orleans) (Campanella 2006: 91).

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Insgesamt spiegelt die Bevölkerung von New Orleans heute eine vielfältige ethni- sche Zugehörigkeit wider (Campanella 2006b: 193–380) (vgl. Abb. 12): In New Orleans ist die sozialräumliche Struktur eine Folge der geographisch topographi- schen Gegebenheiten der Stadt. Die am höchsten gelegenen Gebiete waren lange von der weißen Elite bewohnt. Diese Teile der Stadt umfassen die ursprüngliche Crescent City, die durch die natürlichen Deiche des Mississippi entstanden mit den Stadtteilen French Quarter und Garden District. Afroamerikaner lebten auf dem Kamm der natürlichen Deiche, wo sie zwar sicher vor Überflutungen, aber mit dem Lärm der Schifffahrtindustrie konfrontiert waren. Kreolische63 Afroamerikaner waren im Viertel der sogenannten Seventh Ward konzentiert, ein niedriggelegener Stadtteil, der sich bis zum Deich des Mississippi ausbreitete. Anglo- Afroamerikaner siedelten in den Stadtteilen wie Tremé und den niedrig gelegenen Gebieten der Stadtteile Bywater und Ninth Ward. (Campanella 21.09.2005)

Die Einwohnerschaft von New Orleans wurde zu keinem Zeitpunkt in der Ge- schichte von New Orleans infrastrukturell gleichberechtigt versorgt, wie zum Bei- spiel mit Erholungsmöglichkeiten oder mit Hochwasserschutzmaßnahmen. So lie- gen auch die erwähnten Müllhalden oder Chemiewerke in der Nähe afroamerikani- scher Nachbarschaften. Diese Wohngebiete wurden darüber hinaus zu einem Sammelbecken für starke Regenfälle während der Stürme im Sommer, da sie von Dämmen eingeschlossen waren. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden diese Gebiete zum ersten Mal überschwemmt. Durch die Folgen von Hur- rikan Katrina 2005 haben die Überschwemmungen in diesen Gebieten ihren vor- läufigen Höhepunkt erreicht. {Colten 2006 #1049: 32}

Entwässerung (Drainage) ist heute ein größeres Problem als zu Zeiten der Koloni- alzeit: Die Ableitung der Wassermassen sinnflutartiger Regenfälle ist für eine Stadt problematisch, die auf einer „Untertasse“ gegründet ist und deren infrastrukturelle Anlagen vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts überholt werden müs-

63 New Orleans wurde stark durch „Kreolen“ geprägt: Im späten 18. Jahrhundert hatten sich Familien erst von französischen und später auch von spanischen Siedlern etabliert. Zunächst wurden nur die französischen und spanischen Siedler als Kreolen bezeichnet. Später wurde die Bezeichnung Kreole als Abgrenzung zu einheimischen Sklaven verwandt. Kreolen bezeichneten eheliche Bündnisse unter- einander, bei denen die Rasse der Sklaven ausgeschlossen wurde. Denn erst ein „Nichtbündnis“ mit der Rasse der Sklaven führte zu sozialem Rang. (Toledano 2007: 27)

148 sen. Somit ist nicht mehr nur der Fluss Mississippi mit seinen Wassermassen ein Problem für New Orleans. Der Fluss Mississippi ist das natürlichste Drainagesys- tem Nordamerikas. Allerdings lassen Schneeschmelze und Frühlingsstürme von Ohio und Missouri den Wasserpegel des Flusses ansteigen, so dass es in Grunde keine Möglichkeit gibt, den Wassermassen zu begegnen. Nach Colten sei New Orleans nur eine Stadt unter vielen im Süden der USA. Das Mississippi-Delta aber sei Teil der US-amerikanischen Nation. Dennoch musste die Stadt stets um Bun- desmittel kämpfen, um die Überschwemmungen des Mississippi zu bekämpfen. (Colten 2006: 29)

Abbildung 12: Ethnische Geographie von Greater New Orleans (Campanella 2006: 379)

Nachdem sich die Stadt drei Jahrhunderte lang gegen die Natur gewehrt hatte, ent- deckt New Orleans Sümpfe und Marschland wieder und beginnt, sie als natürliche Umgebung wahrzunehmen. Das Sumpfland soll ein integraler Bestandteil seiner Stadtlandschaft werden, denn inzwischen gibt es Bundesmittel zur Erhaltung der Sümpfe. Nach Colten (2006) gerät die Trockenlegung des Sumpflandes mehr und mehr in die Kritik und das öffentliche Interesse an „unberührter Natur“ wächst (öffentliche Ausstellung zur Naturlandschaft, Umwidmung eines Teils des Natio-

149 nalparks und die Einrichtung eines Wildlife-Reservats in einem Sumpfgebiet). Auch der „Sumpftourismus“ entwickelt sich. (Colten 2006: 32)

1.2 Politischer Umgang mit der Überschwemmungsgefahr

Hurrikan Katrina löste eine urbane Katastrophe durch den Zusammenbruch von Deichsystemen aus. Achtzig Prozent der Stadtfläche New Orleans’ wurden überflu- tet. Ein Grund dafür war, dass vor Hurrikan Katrina die Gefahrenabwehr von Über- schwemmungen im Stadtgebiet nicht weitreichend genug in lokalpolitische Ent- scheidungen in Bezug auf die Stadtentwicklung einbezogen wurde. Dabei spielte auch eine Rolle, dass New Orleans stets auf ein föderales System zu Bau, Ausbau und Erneuerung von Deichen, Dämmen und Entwässerungspumpen angewiesen war, um das Stadtgebiet vor Überflutungen zu schützen. (Nance 2009: 26) Die US- Bundesbehörde U.S. Army Corps of Engineers (ACE) war zwar vor Katrina für den Bau des Hochwasserschutzsystems verantwortlich, das 350 Meilen (etwa 560 km) lang ist. Dieses System wurde aber vor Katrina baulich niemals fertig gestellt und war gleichzeitig bereits lange vor Katrina marode. (Schwartz 17.08.2007)

Bereits in den 1960er Jahren wurde das Stadtviertel Lower Ninth Ward überflutet. 1965 traf Hurrikan Betsy auf New Orleans und überschwemmte die Lower Ninth Ward. Dabei kamen mindestens 75 Menschen zu Tode und Sachschäden in Höhe von mehr als einer Milliarde US-Dollar wurden verursacht. Als Reaktion darauf schlug die ACE in den 1970er Jahren den Bau von Schleusentoren an der östlichen Seite des Lake Pontchartrain vor. Obwohl das Vorhaben bereits legislativ gebilligt wurde, wurde es in den 1980 Jahren von der ACE zurückgestellt aufgrund einer juristischen Anordnung, der Opposition von Umweltgruppen und Unternehmens- organisationen sowie von den sogenannten Levee Boards.64 Stattdessen erhöhte die ACE ausschließlich die Deiche.65 (Braun, Vartabedian 25.12.2005) Das war der

64 Die Aussicht auf die Verfügung von finanziellen Mittel war der eigentliche Grund, weshalb im Juli 1985 Vertreter des Orleans Board ein offizielles Bekenntnis zur Angliederung an die ACE unter- zeichneten, um das Hochwasserschutzsystems von New Orleans zu stützen. (Braun, Vartabedian 25.12.2005) 65 Im Oktober 1990 hat ein geschicktes Manöver hinter den Kulissen des Levee Board die ACE dazu gebracht, die höheren Flutwände zu akzeptieren. Im Rahmen der Erarbeitung des Water Ressource

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Beginn einer disfunktionalen Partnerschaft zwischen lokalen und überlokalen Be- hörden, die zwei Dekaden chronisches staatliches Missmanagement zur Folge hat- te:

Das Levee Board und die ACE waren sich fachlich uneinig, wie New Orleans am besten vor Hochwasser zu schützen sei. So kann die Hochwasserschutzpolitik vor Katrina als verworren bezeichnet werden. Das New Orleans Levee Board, die Hochwasserschutzbehörde von New Orleans, und die Bundesbehörde der ACE bekriegten sich: Als die ACE und die Hochwasserschutzbehörde von New Orleans 1985 ihre Kräfte bündeln wollten, um die Stadt vor einem Hurrikan zu schützen, konnten sich die beiden Behörden nicht einigen, wie zu verfahren sei. Die ACE wollten Schleusentore vor die drei Hauptkanäle der Stadt bauen um die Stadt vor Stürmen zu schützen, die vom Lake Pontchartrain hereinbrachen. Der Orleans Le- vee District war aber dafür, höhere Flutwände entlang der Kanäle zu bauen. Die traditionelle Präferenz der ACE für ein „Minimalkosten“-Projekt machte die Schleusentore zu einer attraktiveren Option für zwanzig Millionen US-Dollar, als die sechzig Millionen US-Dollar teure Erhöhung der Deiche. Nach Fred H. Bayley III, Chefingenieur der ACE für die Lower Mississippi Valley Division, waren die ACE gefangen zwischen den Vorgaben der US-Regierung unter der Präsident- schaft Ronald Reagans, die die Kosten geringhalten wollte, und dem US-Kongress sowie den Vertretern des Deichsystems in New Orleans, die für hohere Investionen eintraten. (Bayley zit. in Braun, Vartabedian 25.12.2005) Über fünf Jahre ist keine der beiden Seiten von ihren Positionen abgerückt. Aus lokaler Sicht waren die fi- nanziellen Mittel des Bundes für den Hochwasserschutz nicht ausreichend, so dass der Bund Investitionen in Hochwasserschutz vernachlässigte. Denn die zwischen- behördlichen Auseinandersetzungen zwischen den ACE und den Ingenieuren des Levee Boards hielten an. Seit 2001 hat die US-Regierung unter der Präsidentschaft

Development Act 1990 durch den US-Senat und das US-Repräsentantenhaus hat die Kongressdelega- tion von Louisiana stillschweigend ein sogenanntes lobbyist's phrasing ordering unter den Levee Boards von Louisiana inszeniert, durch die die Interessensvertretung die ACE mit den Bau Deich- wände beauftragen konnte. Das Orleans Levee Board siegte damit über die ACE. Sie war zu diesem Zeitpunkt die mächtigste und gut finanzierte Behörde unter achtzehn dieser Gremien in Louisiana und überwachte mehr als 340 Meilen des Deichsystems, was über die Hälfte des südlichen Bundesstaates entspricht. Die ACE wollten den Bau der Schleusentore abbrechen; sie hatten siebzig Prozent des Projektes zu schultern, während dem Orleans Levee Board zugestanden wurde, eigene Berater für die technische Entwicklung einer Stärkung der Deiche einzustellen. (Braun, Vartabedian 25.12.2005)

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George W. Bushs mehrfach die Anfragen des lokalen Levee Board66 und einer Delegation aus Louisiana für mehr Hochwasserschutz abgewiesen. (Braun, Vartabedian 25.12.2005)

Die Partnerschaft zwischen der ACE und dem New Orleans Levee Board erwies sich insgesamt als desaströs. Während die ACE und das Orleans Board sich an einer feindseligen fünfzehnjährigen Beziehung abarbeiteten und 95 Millionen US- Dollar verbrauchten um die städtischen Deiche aufrechtzuerhalten, wurde eine gemeinsame Überwachung versäumt, die wichtige Schwächen innerhalb des Hochwasserschutzsystems aufdecken sollte, bevor Hurrikan Katrina die Stadt heimsuchte. Zudem kann die Arbeitsweise von ACE und dem Orleans Board rück- blickend als leichtsinnig bezeichnet werden: Denn weder die ACE noch das Or- leans Board hatten ein strenges formales Verfahren für stete Untersuchungen von strukturellen Defekten. Stattdessen machten die zwei Behörden zweimal im Jahr eine fünfstündige Inspektionstour. Nach Braun wurde den Inspektionen nicht son- derlich viel Aufmerksamkeit gewidmet und die Untersuchungen gar auf die leichte Schulter genommen. Die Behörden verließen sich größtenteils auf die Pflegebereit- schaft und Anwohnerschaft, die Probleme der Deiche anzeigen würden. (Braun, Vartabedian 25.12.2005) So war laut einem ehemaligen Beauftragten des Orleans Levee District keiner Behörde die Dringlichkeit der Erneuerung bewusst. Nach Ansicht der ACE und der eigenen Ingenieure wären die Deiche robust genug gewe- sen. Strukturelle Inspektionen waren oberflächlich, Aufrechterhaltungsmaßnahmen waren minimal. Ein verwirrendes regulatorisches Stückwerk von Eigentümerschaft der Deiche und der Kanäle ließen die Linien der Autorität verschwimmen. Diese Schwächen wurden von unabhängigen Ingenieursteams im Rahmen der Untersu- chung der Deichbrüche analysiert. (Braun, Vartabedian 25.12.2005) Allerdings gibt Scott Cowen an, ehemaliger Präsident der Tulane Univeristy, dass die Dysfunktio- nalität des Deichsystems öffentlich bekannt war, so auch der ACE. (Cowen 10.02.2017)

Als Mitte der 1990er Jahre Teile der Flutwände fertigfestellt wurden, widmete sich das Levee Board ausschließlich den alltäglichen Arbeiten der Aufrechterhaltung

66 Das New Orleans Levee Board wird auch oft nur Orleans Board oder Levee Board genannt, in dem New Orleans levee officials arbeiten für den sogenannten Orleans Levee District.

152 des Hochwasserschutzsystems. Die neu gebauten Flutwände wurden einer eher zufälligen Prüfung unterzogen und obwohl die ACE und die Bundesbehörden die staatlichen Fördermittel begrenzt hielten, ging das Orleans Board verschwende- risch mit diesen Ressourcen um. Die Ressourcen wurden in den späten 1980er Jah- ren für das Betreiben eines Flughafens, zweier Yachthäfen und Seeufermietobjek- ten verwendet. Aber die Behörde verlor Geld: Mieten wurden nicht gezahlt (Flug- hafen) und der Yachthafen South Shore Mariana hatte zu viele leere Bootanlege- stellen. Anstelle der Reduzierung derartiger Anlagen forcierte Robert Harvey die Außeninteressen des Boards, der 1992 Vorsitzender des Orleans Districts wurde. Der Rechtanwalt erhielt seinen Posten nach einer Parteispende von 5.000 US- Dollar und seiner Wahlkampfunterstützung für Governour Edwards, der als ein alter Freund Harveys bekannt war. Als Edwards das bundesstaatliche Glücksspiel vorantrieb, überzeugte Harvey ihn das Bally’s Casino, ein Glücksspielimperium, an einem Dock zu lokalisieren, das dem Levee Board gehört. Das Levee Board wurde also ein Bereitsteller von Einrichtungen für Freizeit und Erholung. Das wurde mög- lich durch eine bundesstaatliche Gesetzgebung, die Louisianas politische Legende Huey Long ein Jahr nach den Mississippi-Hochwassern 1927 angestoßen hatte. Dem Orleans Board wurde zugestanden, seinen Einfluss auf Parks, Strände und andere „Orte der Vergnügung“ auszuweiten. Zudem hatten Levee Boards die – ungewöhnliche – Befugnis, eigene Berater einzustellen: Somit war es lokalen Re- gierungsvertretern möglich, Unternehmen für den Bau der Freizeiteinrichtungen auszuwählen. Unternehmen wurden beauftragt, die regelmäßig Wahlkampfgelder an Politiker spendeten und die Einfluss auf das Levee Board hatten. Somit operier- te der Orleans District in seinem eigenen und korrupten Klientelsystem; auch weil das Levee Board-Sysstem durch die Gesetzgebung von Louisiana nicht reformiert wurde. So hatte das New Orleans Board eine der schlechtesten politischen Reputa- tionen überhaupt im Bundesstaat und darüber hinaus, da es die Mitglieder des Le- vee Board waren, die in den 1990er Jahren das Machtspiel mit dem US-Kongress spielten. (Braun, Vartabedian 25.12.2005)

Lokalpolitisch wurden Baugenehmigungen erteilt, die das Hochwasserrisiko außer Acht ließen; ein Ausdruck von Leichtsinnigkeit und laissez faire. Denn jenseits der Tatsache, dass ein Großteil der Stadtfläche unter dem Meeresspiegel lag und liegt und dass sich der Boden stetig weiter absenkt, wurde in vielen Teilen der Stadt

153 lokalpolitisch eine Bebauung erlaubt, die am Gefälle gestützt wird, so dass die Bebauung dennoch ebenerdig errichtet werden kann (slab-on-grade construction). Vielen Bewohnern, die in aufgeständerten Wohnhäusern wohnten, wurde geneh- migt, die erste Etage zu bewohnen, obgleich dadurch Menschen und Eigentum unmittelbar dem Hochwasserrisiko ausgesetzt wurden. Das Vertrauen in das Deichsystem war dementsprechend hoch. Nach Nance (2009) war das Vertrauen übermäßig hoch, was das Siedlungsmuster von New Orleans und der Umgebung höchstwahrscheinlich angetrieben hat. Das Deichsystem wird heute als Hurrikan- schutzsysstem (hurricane protection system) bezeichnet. (Nance 2009: 26)

Im Sommer 2012 hielt das neue Hochwasserschutzsystem einer Überprüfung mit Funktionskontrolle durch die ACE stand. (Pohl 2014) Das Infrastrukturprojekt kostete 15 Milliarden US-Dollar. Der Ring um die Stadt verbindet Deiche mit Flutwänden und -dämmen sowie Schleusen und Pumpen und ist etwa 350 Meilen (und etwa 560 km) lang. Das System soll vor einer Überflutung schützen, mit der jährlich mit nur einem Prozent gerechnet wird. (Schwartz 23.08.2010) Darüber hinaus wurde nach Katrina die Institution des Levee Board reformiert (vgl. C II 2.2, C II 3).

1.3 Zwischenfazit: Der Natur zum Trotz – Beharrungsvermögen und Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit

Die Stadt New Orleans entwickelte sich durch wechselseitige und oft widersprüch- liche Kräfte von Natur, Stadtpolitik und -planung. Natürliche Gegebenheiten der Sumpflandschaft wurden beseitigt: Wald wurde gerodet und künstliche Abwasser- kanäle kostspielig angelegt. Der Standort zwischen See und Fluss war strategisch optimal und entscheidender als die topographischen Schwächen des Standortes. „Entwässerung“ war und ist eines der wichtigsten Themen für die Stadt. Die Stadt konnte nicht auf höher gelegene Gebiete ausweichen, wie es anderen US- amerikanischen Städten, die an einem Flussufer liegen, möglich ist. So verlor die Stadt an nationaler Bedeutung und gleichzeitig vervielfachten sich die physischen Probleme. (Colten 2006) Denn Ableitung der Wassermassen sinnflutartiger Regen- fälle ist für eine Stadt problematisch, die auf einer „Untertasse“ gegründet ist, und

154 deren infrastrukturelle Anlagen vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts lange überholt hätten werden müssen:

Vor Hurrikan Katrina wurde New Orleans ungenügend von einem Hochwasser- schutzsystem vor Überschwemmungen geschützt. Trotz einer weitreichenden Überschwemmung im Stadtviertel Lower Ninth Ward in den 1960er Jahren wurden keine politischen Konsequenzen von Stadt (Levee Board) und Bund (ACE) gezo- gen, die für einen angemessenen Schutz sorgten. Auch wenn eine Stadt wie New Orleans eher „ungünstige“ räumliche Gegebenheiten in Bezug auf einen umfassen- den Hochwasserschutz mitbringt und eine Stadt aufgrund dessen niemals vollstän- dig geschützt werden kann, trugen zusammenfassend folgende Faktoren zu diesem sogenannten man made disaster in New Orleans bei: Das Hochwasserschutzsystem war unfertig und marode, da die finanziellen Mittel des Bundes für den Hochwas- serschutz ungenügend waren und diese spätestens seit der Reagan-Administration stetig gekürzt wurden. Das Hochwasserschutzsystem war ungenügend, da fachliche Uneinigkeit zwischen Levee Board und ACE insgesamt vor allem Überwachungs- versäumnisse mit sich brachten, die mit einer gewissen Leichtsinnigkeit korrespon- dierten. Eine Mischung aus Leichtsinn und laissez faire trieb auch den lokalpoliti- schen Baugenehmigungsansatz, der das Hochwasserrisiko ignorierte und somit Stadterweiterungen in Gefährdungsgebieten vorantrieb.

So ist nach Colten (2005b) New Orleans wohl die Stadt, die am stärksten von menschlich induzierten Transformationen ihres prekären Standortes abhängig ist, obgleich selbstverständlich jede Stadt mit ihren physischen Gegebenheiten umge- hen muss. Stadträumliche Folgen des Kampfes gegen die Natur sind die Stadter- weiterungen in risikoreichen Gebieten und das daraus folgende Besiedlungsmuster von benachteiligten Afroamerikanern und Weißen sowie Geringverdienern und Wohlhabenden. Denn in New Orleans entspricht die sozialräumliche Struktur der geographisch topographischen Struktur der Stadt. Zudem wurde die Einwohner- schaft von New Orleans infrastrukturell nie gleichberechtigt versorgt. Trotz aller Unwägbarkeiten deuten sich Anzeichen eines Umdenkens an: Nachdem sich die Stadt drei Jahrhunderte lang gegen die natürlichen Gegebenheiten gewehrt hatte, gewinnen Sümpfe und Marschland wieder an Anerkennung und ein Arbeiten mit

155 dem Wasser anstatt dagegen wurde als Strategie entdeckt (vgl. Dutch Dialogues und Urban Water Plan, C II 2.2).

Die Stadt New Orleans kam also grundsätzlich in eine derartige Katastrophensitua- tion nach Hurrikan Katrina, weil sie im Grunde auf unbebaubarem Grund erbaut wurde und sich auf einer „Untertasse“ erweitert hat, die durch technische Infra- strukturen vor Hochwasser geschützt werden sollte. In der Realität erfuhr die Stadt politisch einen ungenügenden Hochwasserschutz in Bezug zu dem, was für einen derartigen Stadtstandort ingenieurstechnisch überhaupt möglich war.67

Vor dem Hintergrund der Fragestellung nach Bedingungen, die lokale Reformfä- higkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren, deutet sich folgendes an: Vor allem wird Beharrungsvermögen des Kampfes gegen natürliche Gegebenheiten sichtbar. Dieser Kampf ergab sich strategisch aus ökonomischen Gründen (ökonomischer Imperativ hält sich aus der Retrospektive beharrlich) und hatte ab Mitte des 20. Jahrhunderts durch die Stadterweiterungen zur Folge, dass vor allem Minderheiten (sozial und ökonomisch benachteiligte Afroamerikaner) in niedrig gelegene und demnach risikoreiche Gebiete der Stadt siedelten. Diese Tat- sache war ursächlich mitverantwortlich für Debatten im Rahmen des Porzesses zur Entwicklung gesamtstädtischer Planwerke nach Hurrikan Katrina. Die sozialräum- liche Struktur hielt und hält sich aus der Retrospektive beharrlich. Zudem deutete sich im vorangegangenen Kapitel ein Beharrungsvermögen lokalpolitischer Arran- gements mit Anzeichen von Klientelismus und Korruption an (Levee Boards und Gouverneur) und eine ablehnende Haltung der Bundespolitik gegenüber New Or- leans wurde sichtbar (Kürzung Budget Hochwasserschutz). Diese Ablehnung resul-

67 Auch Congleton unterstreicht den Zusammenhang zwischen Standortcharakteristiken und dem politischen Umgang damit: Durch Entscheidungen öffentlicher Politiken wurden ungewöhnliche Risiken verursacht, die zu den Folgen von Hurrikan Katrina führten. Die meisten Todesfälle von Hurrikan Katrina konzentrierten sich an einem Ort, in New Orleans. Diese Verluste entstanden zum großem Teil durch den Standort New Orleans selbst in Kombination mit einer stadtpolitischen Linie, die Risiken, die mit diesem Standort verbunden sind, seit drei Jahrhunderten zu „verwalten“. Krisen- management ist inhärent fehleranfälliger als gewöhnliche Politikgestaltung. Denn ein „überraschen- des Ereignis“ impliziert eine Existenz von bedeutenden Informationsproblemen und Dringlichkeit; Probleme, die in diesem Moment nicht gelöst werden können. (Congleton 2005) In New Orleans sind demnach unvermeidliche Fehler des Krisenmanagements durch politische Entscheidungen verschärft worden, die vor Hurrikan Katrina getroffen wurden und die auch durch Föderalismus, Partisanenpoli- tik, Korruption und Inkompetenz hervorgerufen wurden. (Congleton 2006)

156 tierte aus gesellschaftlichen Zügen, die ein gewisses laissez faire und korrupte Tendenzen widerspiegelten. Parteipolitische Dissonanzen nährten diese Ablehn- gung zusätzlich. Der Bund wurde republikanisch regiert mit den US-Präsidenten Ronald Reagan und George W. Bush (mit Ausnahme von Bill Clinton) und New Orleans war stets eine demokratische Hochburg: Regiert wurde sie beispielsweise durch die Bürgermeister Morial und Nagin. Diese Entwicklungslinien auf unter- schiedlichen Ebenen leisten im Rahmen der Wiederaufbauprozesse und vor dem Hintergrund der Debatten um die Entwicklung eines gesamtstädtischen Planwerks nach Hurrikan Katrina einen Beitrag zur Erklärung, welche Bedingungen lokale Reformfähigkeit forcieren und blockieren und deuten somit Erklärungsansätze an, die sich historisch in New Orleans beharrlich hielten (vgl. Teil D).

C I.2 Struktureller stadtpolitischer Kontext der Stadtentwicklung von New Orleans vor Hurrikan Katrina

Die Stadt New Orleans ist formal stadtpolitisch eingebunden in die Stadtpolitik der USA und in das weltweite Städtenetzwerk. Dieser strukturelle stadtpolitische Kon- text hat Auswirkungen auf die Ausrichtung der Stadtentwicklung in New Orleans und stellt den Rahmen und Hintergrund der stadtentwicklungspolitischen Ereignis- se in New Orleans vor und nach Hurrikan Katrina dar. Demzufolge wird zunächst nicht die stadtentwicklungspoltische Ausnahmesituation einer Katastrophe im ur- banen Kontext diskutiert (siehe Teilkapitel C II für den Fall New Orleans). Nach- folgend werden Merkmale des strukturellen Kontextes der Stadtentwicklung welt- weit (C I 2.1) und Merkmale US-amerikanischer Stadtpolitik, die Auswirkungen auf die Stadtentwicklung haben (C I 2.2), dargelegt, um aufzuzeigen, dass in einer Stadt wie New Orleans überlokale als auch lokale Kräfte Stadtpolitik und Stadt- entwicklungspolitik beeinflussen.68 Lokale Stadtentwicklungspolitik wird darüber hinaus durch ein soziales System als gesellschaftskultureller Hintergrund und durch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Tendenzen beeinflusst, denen im Un- terkapitel C I 2.3 nachgegangen wird und die den Hintergrund der Geschehnisse

68 Auf die Art von überlokaler Mitwirkung im Verhältnis zu lokalpolitischer Abhängigkeit wird vor dem Hintergrund der Einzelfallstudie von New Orleans in Teil E eingegangen.

157 nach Katrina bilden. So werden auch in diesem Kapitel Hinweise auf Bedingungen eruiert, die lokale Reformfähigkeit forcieren und blockieren.

2.1 Struktureller Kontext der Stadtentwicklung weltweit: Steuerungs- formen der Stadt im globalisierten Wettbewerb

Bereits vor Hurrikan Katrina wurde Stadtentwicklung von New Orleans – wie alle US-amerikanischen Städte und Städte weltweit – von überlokalen Tendenzen wie Globalisierung und Dezentralisierung beeinflusst. Durch eine fortgeschrittene De- zentralisierung, die seit den 1980er Jahren stattfindet, wird die lokalstaatliche Au- tonomie hinsichtlich der Aufgaben, die zu erledigen sind, extrem gefordert. Denn Dezentralisierung charakterisiert sich durch die Haltung eines steten Rückzugs der bundesstaatlichen Ebene aus der US-amerikanischen Stadtpolitik. Somit müssen finanzielle Mittel für eine Erledigung lokalstaatlicher Aufgaben zunächst immer wieder neu aquiriert werden. (Eisinger 1998; Kincaid 1999) Zudem wird die US- amerikanische Stadtpolitik bereits seit einigen Jahrzehnten auch von einer neuen Art von Globalisierung mit ihrer hohen Kapitalmobilität strukturell beeinflusst (Savitch, Kantor 2002, 2008). So wirkt sich die hohe Mobilität des internationalen Kapitals auf das internationale, nationale und regionale Städtesystem aus und hat die Wettbewerbsorientierung der Stadtpolitik erhöht. Die Stadt betreibt ein aggres- sives placemarketing und buhlt um Unternehmensinvestitionen, mit dem Ziel loka- le Haushaltsdefizite möglichst auszugleichen und handlungsfähig zu bleiben. Das hat die Muster von Investitionen verändert und die Stadt als lokalen Staat zwar gestärkt (Judd 2000). Die Stadt wird dadurch aber auch anfälliger für die Auswir- kungen der Weltkonjunktur und ist mehr denn je auf ihre lokalen Steuereinnahmen angewiesen. Deshalb sollen stets neue Unternehmen und Unternehmensbranchen als auch eine neue und wirtschaftlich erfolgreiche Einwohnerschaft angezogen werden und die Tourismusbranche stetig ausgebaut werden. Der lolake Staat schafft Investitionsanreize und setzt Großprojekte mit überregionaler Wirkung um, die durch Subventionsleistungen unterstützt werden (Kantor et al. 1997; Kantor, Judd 2008: 6–7; vgl. Levine, Ross 2012: 3). Städte, so Häußermann und Läpple (2008), sind gezwungen „Initiativen zur Förderung des Wachstums zu unterstützen oder selbst anzustoßen“. Stadtpolitik „übernimmt eine aktive Rolle in der ökono-

158 mischen Entwicklung der Stadt und wird zugleich zu einer stärkeren Anpassung an ökonomische Interessen privater Akteure gezwungen“ (Häußermann, Läpple 2008: 350). Im Zuge des Rückzugs der Bundesebene aus der Stadtpolitik und dem Stre- ben der lokalen Ebene, im internationalen Städtewettbewerb zu bestehen sowie das ökonomische Wachstum der Stadt zu stärken, antworten die Städte mit neuen For- men städtischer governance. Dieses Phänomen ist als entrepreneurial city be- schrieben, analysiert und kritisiert worden. (Harvey 1989; Gottdiener 1987; Jessop 1997; Logan, Swanstrom 1990; Mollenkopf 1983; Kantor, Judd 2008: 12–13; Judd, Swanstrom 2008: 392; Savitch, Kantor 2002; Savitch et al. 2007; Eisinger 1998; Clarke, Gaile 1998)

2.2 US-amerikanische Stadtentwicklungspolitik als Rahmen der Stadt- entwicklung von New Orleans

Bei aller lokaler Unterschiedlichkeit zwischen einzelnen Bundesstaaten und Städ- ten sind überlokale politisch-administrative, institutionelle, rechtliche und ökono- mische Entwicklungen bedeutsam, die den Rahmen der lokalen Stadtentwick- lungspolitik in den USA darstellen. So werden US-amerikanische Städte von drei dominanten Richtungen beeinflusst, die auch für die längerfristige Stadtentwick- lung in New Orleans nach Hurrikan Katrina relevant sind und die sich auch in den strategischen Planwerkserarbeitungen nach dem Sturm widerspiegeln. Denn die Wiederaufbaubestrebungen und insbesondere die Anstrengungen um die Entwick- lung eines gesamtstädtischen Planwerks in New Orleans werden hier als stadtent- wicklungspolitischer Prozess verstanden, der auch durch den Einfluss überlokaler Akteure stadtpolitische Merkmale aufzeigt. In New Orleans nach Hurrikan Katrina gab es für zahlreiche Akteure per se die Möglichkeit, präferierte stadtentwick- lungspolitischen Leitbilder, Strategien und Programme zu implementieren. So be- findet sich auch die Stadtentwicklungspolitik von New Orleans in den Spannungs- feldern von Mehrebenenpolitik und gesetzlichem Rahmen (politisch- administrativ), von politischen und marktgetriebenen Faktoren und von starken externen und lokalen Organisationen, Verbänden und privaten Individuen, die pla- nerische und städtebaulich-architektonische Leitbilder verfolgen (zivilgesellschaft- lich). Diese Spannungsfelder, die auch bei den Planwerkserarbeitungen in New

159

Orleans nach Hurrikan Katrina zusammenwirken, werden nachfolgend zunächst als drei Richtungen verstanden, um Merkmale US-amerikanischer Stadtentwicklungs- politik deutlich zu machen, die sich in der lokalen Stadtentwicklung – so auch in New Orleans – niederschlagen.

2.2.1 Politisch-administrativer Niederschlag in der lokalen Stadtentwicklung

US-amerikanische Städte sind in das US-amerikanisch föderale System eingebettet und mithin entscheidend durch Gesetze der Bundesebene und der Bundesstaaten geprägt. Letztere verfolgen verschiedene politische und wirtschaftliche Ansätze und sind soziokulturell unterschiedlich geprägt und ausgerichtet. Damit unterschei- det sich auch die Politik der Bundesstaaten teilweise erheblich in Bezug auf ihre Kommunen. Das Verhältnis zwischen dem Bund einerseits und den Bundesstaaten und Städten andererseits hat sich in den letzten Jahrzehnten durch stadtpolitische Akzentverschiebungen der Bundesregierung maßgeblich verändert. Spätestens seit der Präsidentschaft von Ronald Reagan (1981 bis 1989) ist von einem New Federa- lism die Rede, der die Macht des Bundes und dessen finanzielle Unterstützung gegenüber den Bundesstaaten begrenzt und der Kompetenzen vom Bund stark an die unteren Ebenen abgegeben und dezentralisiert hat. (vgl. auch Levine, Ross 2012: 411; Kantor, Judd 2008) In diesem Zusammenhang zog sich der Bund auch als Geldgeber für Programme auf regionaler und lokaler Ebene stark zurück. Der Bundesstaat fungiert in diesem Verhältnis nach wie vor als „Schaltstelle“ zwischen Bund und Stadt: Er muss sich um die finanzielle Gunst des Bundes bemühen, gibt aber gleichzeitig stark den politischen Rahmen für die Stadtpolitik vor und ent- scheidet über finanzielle Zuwendungen an seine Städte.

2.2.1.1 Der Status der Stadt im US-amerikanischen Mehrebenensystem

Art und Intensität föderaler Politik sowie die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sind stark von der jeweiligen Regierungspartei abhängig und haben spür- bare Auswirkungen auf die US-amerikanische Stadtentwicklung. In den USA ist traditionell sowohl die Stadt- als auch die Regionalentwicklung Ausdruck von libe- ralen Marktkräften; Städte und Regionen stehen im Wettbewerb zueinander. In den

160

1930er Jahren wurde unter der Präsidentschaft von Franklin D. Roosevelt eine sogenannte „historische Ausnahmephase“ eingeleitet: Mit dem New Deal wollte die Bundesregierung der USA in jegliche gesellschaftliche Bereiche lenkend ein- greifen und so auch die Steuerung städtischer und regionaler Entwicklung beein- flussen. Maßnahmen in Bereichen wie dem sozialen Wohnungsbau, der Infrastruk- tur und dem Verkehr (Ausbau des Autobahnnetzes) beeinflussten die Entwicklung von Städten und Regionen, die der Logik eines nationalen interregionalen Aus- gleichs verfolgte. (vgl. Friedmann, Bloch 1990; Hancock 1988; vgl. Cullingworth, Caves 2003: 41) Eine residentielle Suburbanisierung schritt voran und eine ethni- sche Segregation in den Städten verstärkte sich (Judd, Swanstrom 2008: 128–153). Einige Versuche sind unternommen worden, die in den Städten auftretenden Prob- leme durch umfassende Programme der Bundesregierung zu lösen, denen aller- dings nur begrenzter Erfolg attestiert wird (Barnes 2005: 584). So brachte etwa US-Präsident Johnsons Leitbild der Great Society Programme wie War on Poverty und Model Cities hervor, wurde aber wegen seiner Erfolglosigkeit stark kritisiert und zum Anlass für einen Rückzug des Bundes aus der Förderung der Städte ge- nommen (Judd, Swanstrom 2008: 130–137, 2008: 163). Dieser Rückzug des Bun- des erfolgte schrittweise (Einstellung des sozialen Wohnungsbaus 1974, Dezentra- lisierung, Abbau der Sozialsysteme, Suburbanisierungsboom infolge einer Wett- bewerbsorientierung in der Stadtpolitik) (vgl. Fishman 2000: 20; Brenner 2002: 8; Savitch, Kantor 2002: 272). Ähnliche Tendenzen sind auch für die Veränderung der Stadterneuerung belegbar, die immer stärker durch den Einsatz privaten Kapi- tals geprägt ist.

In den 1980er Jahren beschleunigte sich der föderale Rückzug des Staates im Rah- men der konservativen Politik von US-Präsident Reagan (1981 bis 1989) mit kon- sequenter Reduzierung föderaler Ausgaben, durch Dezentralisierung und der Folge einer Krise kommunaler Haushalte (Savitch, Kantor 2002: 273; vgl. u.a. Levine, Ross 2012). Auch die Politik von US-Präsident Bill Clinton (1993 bis 2001) unter- stützte nicht die Städte, sondern suburbane Mittelschichten und die Ansiedlung von Unternehmen im suburbanen Raum (Savitch, Kantor 2002: 274). Dreier (2006) behauptet, dass „politisches Desinteresse“ an Städten und an Bevölkerungsschich- ten mit niedrigem Einkommen für die Notlage der Städte verantwortlich sei. Städte wurden über Jahrzehnte von der US-amerikanischen Bundesregierung vernachläs-

161 sigt. In der Administration von George W. Bush Jr. (2001 bis 2009) war das Ver- ständnis vorherrschend, dass der Bund nicht für städtische Probleme verantwortlich sei und dass Armut vorrangig eine „charakterliche“ Schwäche sei. (Dreier 2006: 530–531) Die Bundesregierung des Präsidenten George W. Bush Jr. priorisierte weder eine Erneuerung und den Ausbau von Infrastruktur noch die Entwicklung der urbanen Zentren. Stattdessen billigte seine Politik eine fortwährende Suburba- nisierung von Wohnen und Gewerbe.

Während also US-Präsident George W. Bush Jr. der Entwicklung der Städte schwerpunktmäßig keine Bedeutung beimaß, wollte US-Präsident Barack Obama69 (2009 bis 2017) in den ersten vier Jahren seiner Präsidentschaft bewusst stadtpoliti- sche Akzente setzen. Denn Obama hielt die städtische Agenda seiner Vorgänger für veraltet, da sie sich ausschließlich auf die Probleme in den Städten konzentrie- re, aber die Metropolenregionen als Ganze vernachlässige: „And yet, Washington remains trapped in an earlier era, wedded to an outdated 'urban' agenda that focuses exclusively on the problems in our cities, and ignores our growing metro areas; an agenda that confuses anti-poverty policy with a metropolitan strategy, and ends up hurting both.” Obama fügte hinzu: „Now is not the time for small plans. Now is the time for bold action to rebuild and renew America.” (Obama zit. in Murphy 05.01.2011) Bundespolitiken folgten immer einem top-down Ansatz und dem Glauben one-size-fits-all (Murphy 05.01.2011). Somit sollte die Administration Politiken umsetzen, die der urbanen Entwicklung nutzen würden (Levine, Ross 2012: 300); der Bund wollte Städte und Stadtregionen stärker finanziell und part- nerschaftlich unterstützen (Murphy 05.01.2011). US-Präsident Obama betonte also die Bedeutung des Wiederaufbaus und der Wiederbelebung der Städte und Stadtre- gionen (Hudnut 01.01.2010), so dass unter der Führung Obamas die Bundesregie- rung eine Prioritätenverschiebung vornahm: von einer Förderung der Zersiedlungs- politik (unter Präsident George W. Bush Jr.) hin zu einer Förderungspolitik, die Städte erneuerte (Hanscom 19.01.2012). Städte sollten „economically competitive, environmentally sustainable, opportunities for rich communities” werden, „that

69 Obama hat seine politischen Wurzeln in Chicago's South Side und damit eine städtische Herkunft. Bis auf Theodore Roosevelt, der Polizeipräsident von New York City war, hatten alle anderen US- amerikanischen Präsidenten wenig bis keinen städtischen Bezug. Anders als frühere Debatten über Städte auf nationaler Ebene konzentrierten sich diese in der Ära der Präsidentschaft von Barack Oba- ma sowohl auf Planung als auch auf Programme. (Murphy 05.01.2011)

162 serve as the backbone for our long term growth and prosperity” (Hudnut 01.01.2010).

So weitreichend Obamas Bemühungen auch waren, so waren seine städtischen Aktivitäten letztendlich stark begrenzt. Er erkannte, dass die Mehrheit der US- Amerikaner nicht in Städten lebte und somit auch kein Programm unterstützten, das finanzielle Ressourcen in den Städten konzentrierte. Republikaner und ihre Anhänger wurden spätestens in den Vorwahlen 2010 wieder laut, die starke Kür- zungen in diesen innerpolitischen Programmen vorschlugen (Levine, Ross 2012: 300). Nachdem Obama eine neue und progressive Richtung in der Stadtpolitik angekündigt hatte, galten seine Ergebnisse – in Bezug auf Wohnpolitik, Bildung und Einwanderung – nun als „vernichtend“ (Kunichoff 31.01.2012). Allerdings blieben einige Aspekte von Obamas urbaner Agenda unentdeckt, so Murphy (05.01.2011), weil sie in seinem staatlichen Anreizprogramm steckten, insbesonde- re in Form von Infrastrukturverbesserungen, die im Rahmen des Bundesprogramms TIGER vorgenommen wurden. Städten in einem Kontext von einem 814 Milliar- den US-Dollar starken Plan zu helfen, ist vielleicht für Verfechter städtischer Be- lange unbefriedigend, die einen Marshall Plan für Städte wollten. Aber es war ein politisch leichteres Unterfangen als ein Ansatz, der den städtischen Raum geson- dert behandelte. (Murphy 05.01.2011)

Insgesamt reduzierte sich die finanzielle Unterstützung der Städte durch den Bund seit dem Ende der Roosevelt-Ära sukzessive. Die Unterstützung der Kernstädte durch den Bund bezog sich in erster Linie bis zur Amtszeit Obamas vorrangig auf den Bau von Stadien, Kongresszentren oder etwa Projekten, die der Innenstadtauf- wertung dienten. In New Orleans sind vor Katrina beispielsweise Bundesgelder in den Bau des Convention Centers, Riverwalk, Canal Palace und das Sheraton Hotel geflossen, während die Aufwertung von Wohnquartieren, nicht zuletzt als Folge der öffentlichen Ausgabenreduzierung, vernachlässigt wurde. (vgl. auch Levine, Ross 2012) Dabei wurde politisch häufig eine Suburbanisierung gegenüber einer Förderung der Kernstädte bevorzugt (Dreier 2006: 530; Dreier et al. 2005). Nach Dreier (1995) diente eine finanzielle Unterstützung der Städte, beispielsweise eine Revitalisierung von Stadtzentren (downtowns) oder eine Stabilisierung von Nach-

163 barschaften der Arbeiterklasse, im Endeffekt dazu, Probleme zu beseitigen, die durch vormalige Desinvestition aufgetreten sind (Dreier 1995: 648).

Somit hat die Reduzierung städtischer Subventionen des Bundes dazu geführt, dass Städte mehr und mehr auf die Regierung ihres Bundesstaates angewiesen sind in einer Zeit, in der Städte politische Stärke an die Legislative des Bundesstaates ver- loren haben (Weir et al. 2005: 730). Die Politik des steten Rückzugs der Bundesre- gierung aus der Stadtpolitik seit der Roosevelt-Ära spiegelt allgemeinpolitische Trends um die Jahrtausendwende wider. Diese zeichnen sich aus durch niedrige Steuern, die Betonung der wirtschaftlichen Entwicklung und einer gegenüber Kon- tinentaleuropa sehr starken Förderung der Marktkräfte, niedrige Aufwendungen für die Sozialpolitik und die Erwartung, dass Städte sich im Wettbewerb untereinander behaupten müssen (Savitch, Kantor 2002: 273). In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre verbesserten sich die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen sowie die Situation auf der lokalen Ebene durch das starke Wirtschaftswachstum. Die Arbeitslosigkeit reduzierte sich, Arbeiternehmer wurden durch Steuererleichterun- gen unterstützt oder gar aus der Armut geholt und private Investitionen in Stadttei- len mit niedrigem Einkommen wurden gefördert. Auch in New Orleans zeichnete sich ein Aufschwung mit einer Verbesserung von Wohlstands- und sozialpoliti- schen Indikatoren ab: Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität, die Zahl der Familien ohne Krankenversicherung und die private Verschuldung nahmen ab. Seit Beginn des neuen Jahrtausends kehrten sich diese Trends allerdings wiederum um. (Dreier 2006: 530) Im Ergebnis hatte der ökonomische Boom der 1990er Jahre städtische Probleme wie beispielsweise städtische Armut nicht gelöst und Unterschiede in Bezug auf das Verhältnis von prosperierenden und ärmeren Städten und Regionen wurden offensichtlich (Levine, Ross 2012: 33).

Den ökonomischen Abschwung spürten die Städte und Regionen in den USA ins- gesamt deutlich. Das ökonomische Gefälle zwischen Innenstädten und Vororten weitete sich in den 1990er Jahren aus, als die Mittelschicht weiterhin die Vorstadt der Innenstadt als Wohnort vorzog. Auch die Arbeitslosenrate war in Städten höher als in Vorstädten. Diese sozialräumliche Polarisierung ist bis heute ungebrochen, so dass Innenstädte trotz ihrer Affinität zu Dienstleistungen nicht grundsätzlich als „Gewinner“ der Dienstleistungsgesellschaft zu betrachten sind. Städte, die von der

164 verarbeitenden Industrie abhängig oder von deren Niedergang gezeichnet sind, sind weiterhin vom Prozess der globalen ökonomischen Transformation hart betroffen. Selbst in den wachsenden sogenannten Sunbelt cities und den sogenannten Frost- belt ‚renaissance’ cities verteilen sich die Wirkungen des ökonomischen Wachs- tums ungleichmäßig. Benachteiligte Nachbarschaften und ärmere Stadtbewohner profitieren nicht vom städtischen Wachstum. Städtische Probleme gehen nun auch auf ältere Vorstädte des inneren Suburbanisierungsrings über, der inzwischen eben- falls Niedergangs- und Verfallstendenzen aufweist. (Levine, Ross 2012: 33)

2.2.1.2 Lokalstaatliche Handlungsfähigkeit im föderalen System

Trotz der unangefochtenen Stellung der Bundesebene im Hinblick auf ihre Gesetz- gebungskompetenz und ihren Einfluss auf die Verteilung der Steuereinnahmen spielen ebenso die Ebenen des Bundesstaates und insbesondere der Lokalregierung eine bedeutende Rolle bei der urbanen Entwicklung. Während gerade auf der lokal- staatlichen Ebene die direkten raumrelevanten Entscheidungen für die Entwicklung der Städte gefällt werden, sind – abhängig vom politischen System – Regierungen auf höherer Ebene in der Lage, durch verschiedene Instrumente wie beispielsweise urban development corporations, urban enterprise zones oder urban service dis- tricts die Stadtentwicklung maßgeblich zu beeinflussen. (Savitch, Kantor 2002: 38)

In der US-amerikanischen Verfassung ist allerdings der Status der lokalpolitischen Ebene entgegen dem von Bund und Ländern rechtlich nicht explizit gefasst: Die lokale Ebene findet keine Erwähnung. Städte sind „Kreaturen“ des Bundesstaates (Burns, Gamm 1997 zit. in Burns, Thomas 2008: 261). Demzufolge fallen Städte unter die Autorität der Bundesstaaten und haben formell keine Ausführungsmacht. Letztendlich werden die Lokalregierungen als Körperschaften (corporations) be- trachtet, die ausschließlich mit den Privilegien und Kompetenzen ausgestattet sind, die ihnen vom Bundesstaat laut bundesstaatlicher Satzung zugestanden wird. Diese Regelungen gehen auf den Richter John F. Dillon aus dem Jahr 1868 zurück. (Le- vine, Ross 2012: 133–134; vgl. Judd, Swanstrom 2008: 305–306; vgl. Culling- worth, Caves 2009: 17)

165

Städte, die von Problemlagen unterschiedlicher Art gekennzeichnet sind, sind oft- mals nicht in der Lage, diese Probleme aus eigener Kraft zu lösen. Im US- amerikanischen föderalen Regierungssystem sind der Lokalregierung zudem for- male Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit gesetzt. Einige Autoren sprechen sogar von „abhängigen“ Städten (Levine, Ross 2012: 15; vgl. Nivola 2008). Bundesstaatliche Gesetze begrenzen in besonderem Maße die städtische Freiheit. Einerseits können Steuern nicht in beliebigem Maße eigenständig erhoben werden, andererseits ist aber auch die Aufnahme von Krediten streng begrenzt. Gerade großen Städten fehlt es formal an Kompetenzen, ihre eigenständigen Steuereinnahmen in einem Maß zu erhöhen, das ihnen finanzpolitische Handlungsfähigkeit sichert und sie dadurch in die Lage versetzen würde, akute städtische Problemlagen (insbesondere soziale Aufgaben) zu bewältigen. Städte sind von Subventionen beziehungsweise finanzi- ellen Unterstützungsleistungen des Bundesstaates und der Bundesebene abhängig, um in adäquater Weise eine städtische Grundversorgung sicherzustellen, die aller- dings im Laufe der letzten Jahrzehnte wie erwähnt stark reduziert wurden. (Levine, Ross 2012: 15; Judd, Swanstrom 2008: 306–313; Eisinger 2008) Zudem begrenzt der internationale Wettbewerb um Unternehmen und zahlungskräftige Bürger den lokalpolitischen Spielraum Steuern zu erhöhen, damit Unternehmen und Teile der Einwohnerschaft sich nicht in konkurrierenden Städten und Vorstädten ansiedeln oder in diese abwandern. (vgl. u.a Levine, Ross 2012: 15)}(Judd, Swanstrom 2008: 305–306) Um vor dem Hintergrund des internationalen Städtewettbewerbs hand- lungsfähig zu erscheinen, wird oftmals die Strategie verfolgt, Großprojekte im Infrastruktur-, Tourismus- und/oder Freizeitbereich zu realisieren. Diese Projekte werden vielerorts von speziellen Behörden des Bundesstaates entwickelt und be- treut. (Judd, Swanstrom 2008: 322)

2.2.2 Politökonomischer Niederschlag in der lokalen Stadtentwicklung

Neben den formalen Institutionen, Steuerungsinstrumenten und Prozessen sowie dem Einfluss der bundesstaatlichen oder nationalen Ebene auf die Entscheidungs- findung des politisch-administrativen Systems der lokalen Ebene spielt für Ross und Levine (2012) darüber hinaus der informelle Einfluss von lokal agierenden privatwirtschaftlichen Unternehmen eine zentrale Rolle, der bei der lokalstaatli-

166 chen Entscheidungsfindung und letztlich auch der lokalstaatlichen Handlungsfä- higkeit mitwirkt. (Levine, Ross 2012: 5) Die Frage nach dem Einfluss dieser Ak- teure auf die lokale Stadtentwicklungspolitik, die dahinter steckt, hat die Communi- ty-Power-Forschung für Jahrzehnte beschäftigt. Insbesondere in der Kontroverse zwischen den sogenannten „Elitisten“ und sogenannten „Pluralisten“ wurden unter- schiedliche Auffassungen über den Handlungsspielraum lokaler Politik deutlich, die später in der Governance-Forschung wieder aufgegriffen wurden. (Levine, Ross 2012: 103; vgl. Dahl 2007; Mollenkopf 2007)

Die US-amerikanische Stadtentwicklung wird seit jeher in starkem Maß von Marktkräften geformt und beeinflusst. US-amerikanische Städte, denen es bereits verfassungsmäßig im Verhältnis zu Bundes- und Nationalstaat an lokaler Autorität mangelt (Levine, Ross 2012: 3; Swanstrom 1985: 31) und die damit fiskalisch sehr eingeschränkt sind, sind stark von privatwirtschaftlichen Ansiedlungsentscheidun- gen abhängig und streben daher nach einer Wachstumspolitik, die durch Koaliti- onsbildung mit der Privatwirtschaft charakterisiert ist. Diese Wachstumspolitik wirkt sich stets auch auf räumliche Entwicklungsmuster aus, die sich dadurch ver- ändern. Lokale Steuerungsformen, die Untersuchung von lokalen Machtstrukturen und die Frage nach Handlungsspielräumen lokaler Politik und deren Erklärungs- muster sind Gegenstand der lokalen Politikforschung, deren Erkenntnisse für Phä- nomene im Politikfeld der Stadtentwicklung von Bedeutung sind und den Rahmen dieser Arbeit darstellen.

2.2.2.1 Traditionelles Politikverständnis und US-amerikanische Wachstums- koalitionen

US-amerikanische Städte gelten aufgrund der oben genannten Hintergründe nicht selten als „Wachstumsmaschinen“ (Molotch 1976). In vielen US-amerikanischen Städten haben sich Akteurskoalitionen mit dem Ziel gebildet, ökonomisches Wachstum zu fördern. „Wachstumsmaschinen bestehen aus vernetzten Pro- Wachstums-Vereinigungen und Einrichtungen der Lokalverwaltung.“ (Häußer- mann, Läpple 2008: 353; vgl. Gissendanner 2002) Wachstumskoalitionen waren häufig in der lokalen US-amerikanischen Stadtentwicklungspolitik vorherrschend (Barnekov et al. 1989; Kleinberg 1995; Logan, Molotch 1987; Logan 1997). Die

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Lokalpolitik wird dabei stark von Unternehmerinteressen beeinflusst (Logan, Mo- lotch 1987; Castells 1977; Lojkine 1977; Molotch 1976; Gissendanner 2002; Le- vine, Ross 2012). Private Akteure versuchen also, lokalpolitische Entscheidungen zur städtischen Entwicklung in einer Weise zu beeinflussen, die eine Profitmaxi- mierung verspricht. Nach Feagin und Parker (1990) sind unter „the most powerful players on the urban scene […] the array of visible real estate decisions makers in industry, finance, development, and construction” (Feagin, Parker 1990 zit. (Le- vine, Ross 2012: 55–56). Demnach liegen auch Entscheidungen, die über einen Auf- oder Abstieg einer Stadt entscheiden, in den Händen privater Akteure und nicht allein in denen lokalstaatlicher Akteure. Letztere können zwar versuchen, städtische Wirtschaftskreisläufe zu beeinflussen, die Entscheidungen des privaten Sektors aber nicht kontrollieren (Levine, Ross 2012: 9). Dem liegt eine politische Kultur zugrunde, die sich durch ein „privatistisch“ geprägtes Staatsverständnis auszeichnet (Altrock 2003: 168; Levine, Ross 2012: 9), das staatlichen Lösungen skeptisch gegenübersteht und die Rolle des Staates eher darin sieht, die Privatwirt- schaft bei der Lösung von Problemen zu unterstützen. Im Bereich der Stadtent- wicklung wird eine Einschränkung individueller Eigentumsrechte durch Reglemen- tierungen der Flächennutzung befürchtet. (Levine, Ross 2012: 9; Cullingworth, Caves 2003: 18, 2003: 45–46) Städte müssen infolgedessen versuchen, das Han- deln des privaten Sektors im Sinne des „Allgemeinwohls“ zu beeinflussen, bezie- hungsweise durch das Instrument von public-private partnerships (Levine, Ross 2012: 9). Die Ideologie, die hinter diesen Handlungsweisen steht, ist die, dass „Wachstum in jedem Fall gut sei und allen Stadtbewohnern nutze“ (Häußermann, Läpple 2008: 354). Diese Ideologie wird allerings im Hinblick auf ihre sozialen und sozialräumlichen Verteilungseffekte seit Jahrzehnten kritisiert Molotch 1976; Mollenkopf 1983; Logan, Molotch 1987; Feagin 1988; Savitch, Kantor 2002; Imbroscio 1997). Wachstumskoalitionen dienten ausschließlich den Interessen von Eliten, beförderten die soziale Ungleichheit und schädigten die Umwelt, so bereits Molotch (1976).

2.2.2.2 Koalitionsbildung und Handlungsfähigkeit in sozialen Prozessen

Seit den 1990er Jahren wird im Zusammenhang mit Wachstumskoalitionen das Konzept der Regimetheorie als Rahmen für die Analyse typischer Formen von

168 urban governance genutzt (Häußermann, Läpple 2008: 351). Die Regimetheorie (Stone 1989) stellt einen Versuch dar, widersprüchliche Ansätze der US- amerikanischen Stadtforschung und der lokalen Politikforschung zusammenzu- bringen („Community-Power-Debatte“ der 1950er und 1960er Jahre, These von der Unregierbarkeit der Städte von Yates 1977, Ansätze der politischen Ökonomie aus den 1970er Jahren) (Gissendanner 2002). Regime bezeichnet eine informelle, aber relativ stabile Gruppe von Akteuren, die über einen Zugang zu Schlüsselressourcen verfügt. Durch diese ist sie in der Lage, politische Entscheidungsprozesse maßgeb- lich mitzubestimmen (Stoker 1995: 58–59) „Im Kern beschäftigte [sie] sich mit der Bildung von Koalitionen, in denen die herrschenden Eliten selektive Anreize be- reitstellen, die wiederum ihre Partner im Regime zur Kooperation bewegen“ (Alt- rock 2003: 164; vgl. Kantor, Judd 2008: 13; Elkin 1987: 33; DiGaetano, Klemanski 1999). Ein Mangel an Ressourcen in US-amerikanischen Städten bedeutet also, dass die öffentliche Hand, insbesondere die Person des Bürgermeisters, keine Ent- scheidungen allein treffen können und dass somit öffentliche und private Ressour- cenbereiststeller (für gewöhnlich sind letztere Personen der Unternehmensgemein- schaft) governance-arrangements schaffen, von denen sie gegenseitig profitieren (Stone/Sanders 1987 in (Burns 2006: 518). Eine Schlüsselerkenntnis regimetheore- tischer Ansätze (Stone 1989, 1993) ist in diesem Zusammenhang, dass stadtpoliti- sches Handeln somit teilweise nur bei strategischer Kopplung von Ressourcen un- terschiedlicher Akteursgruppen möglich wird und sich somit unter bestimmten Rahmenbedingungen langfristig stabile und sehr handlungsfähige Koalitionen zwi- schen Angehörigen des politisch-administrativen Systems und aus der privaten Wirtschaft herausbilden können („urbane Regime“). Diese Koalitionen sind als informelle Arrangements zwischen Akteuren des politisch-administrativen Systems und privaten Akteuren zu bezeichnen und sie sind in diesem Sinne ein notwendiger Mechanismus, von dem beide Seiten profitieren (Stone, Sanders 1987; Stone 1989; Burns, Thomas 2006: 518). Dabei ist es von örtlichen Bedingungen abhängig, wel- che „Agenda“ ein solches Regime verfolgt und ob es stärker „entwicklungsorien- tiert“ oder „verteilungsorientiert“ ausgerichtet ist. Eine Stabilität „verteilungsorien- tierter“ Regime wird dabei unter den oben geschilderten stadtpolitischen Rahmen- bedingungen in den USA für besonders voraussetzungsvoll gehalten. Inwiefern sich diese Koalitionen bilden, ist teilweise von Führungspersönlichkeiten abhängig. Es obliegt ihren Fähigkeiten, ob sie dafür vorhandene Chancen nutzen und Erfolg

169 versprechende Strategien einsetzen. (Ferman 1985; Stone 1995; Judd 2000) Hinter der Kopplung von Ressourcen steht Stones’ (1989) Neudefinition von „Macht“ von power to statt power over: Die paradigmatische Form der Macht ist nicht die Un- terdrückung oder Ausbeutung (power over), sondern die bestimmten Interessen dazu zu verhelfen, ihre Möglichkeiten zur Realisierung gemeinsamer Ziele strate- gisch zu kombinieren (power to). (Stone 1989, 2008; Häußermann, Läpple 2008: 351) Eine relative Autonomie der lokalen Stadtpolitik wird dabei vorausgesetzt: Die systemische Macht, vor allem die Macht ökonomischer Interessen, begrenzt zwar die lokalpolitische Handlungsfähigkeit, dennoch bleibe aber ein Handlungs- spielraum für lokale Akteure. Die Theorie zeigt also soziale Prozesse auf, in denen Macht produziert wird, um handlungsfähig zu sein und bestimmte Probleme lösen zu können. (vgl. Stoker 1995: 55)

Burns und Thomas (2006) argumentieren nun, dass es auch Städte ohne Regime gibt. Dabei orientieren sich die Autoren an Kriterien einer Regimeanalyse (Stone 28.10.2005): eine Agenda, eine Regierungskoalition, Ressourcen, Kooperation. Eine nonregime city habe keine nachvollziehbare gesamtstädtische Zielvorstellung, ist abhängig von themenbezogenen (statt stabilen) Koalitionen und verwende Res- sourcen ineffektiv. Für Burns und Thomas ist das ein politökonomischer Ansatz um Krisen zu erforschen. New Orleans zählt auch zu diesen Städten, denn Katrina hat New Orleans als regimeless city aufgedeckt (vgl. C I 2.3). (Burns, Thomas 2006: 518–519)

Vor dem Hintergrund der Debatte um urbane Regime und nonregimes erkennen Weir et al. (2005) drei Typen von städtischen Koalitionen aus der historischen Per- spektive: party-imposed coalitions, interest-based coalitions und governor- brokered coalitions. Durch institutionelle, demographische und wirtschaftliche Veränderungen verlieren diese Koalitionen allerdings an Verlässlichkeit. (Weir et al. 2005)

Über die Analyse von Koalitionsbildungen der öffentlichen Hand und Unterneh- menseliten hinaus untersucht nun die neuere Governance-Forschung Netzwerke verschiedener Akteure aus dem öffentlichen und privaten Bereich (Benz 2004). In der Politikwissenschaft meint der Begriff Governance „teils […] das Regieren’

170 jenseits des Nationalstaats, teils die politische Steuerung in komplexen institutio- nellen Arrangements und teils eine bestimmte Form des Steuerns und Regierens in nicht-hierarchischen, netzwerkartigen Strukturen.“ (Benz 2005: 405) Governance wird in dieser Arbeit als analytisches Konzept verstanden, das „den Blick auf die Steuerung und Koordinierung in komplexen Strukturen sowie auf Interaktionen zwischen Individuen und Organisationen richtet, dabei die Wirkung des institutio- nellen Kontexts und dessen Wandel ebenso wenig ausblendet wie die Aspekte von Macht und Legitimation.“ (Benz 2005: 406; vgl. Benz 2004). Gefragt wird, wie „angesichts des ökonomischen Wandels und der politischen Fragmentierung der Stadtgesellschaften überhaupt Handlungsfähigkeit zustande“ kommt. „Macht im Sinne von Handlungsfähigkeit muß hergestellt werden [und bedeutend ist], wie Macht in sozialen Prozessen erzeugt wird“ (Häußermann, Läpple 2008: 349). Vor allem das „Machtverständnis“ der Regimetheorie stellt den Hintergrund der Analy- se von städtischen Partnerschaften dar. Vor diesem Hintergrund wurden unter- schiedliche Formen urbaner governance analysiert (Pierre 1999; DiGaetano, Strom 2003).

2.2.3 Zivilgesellschaftlicher Niederschlag in der lokalen Stadtentwicklung

Die Sphäre der Zivilgesellschaft spielt gerade in der US-amerikanischen lokalen Stadtpolitik eine bedeutende Rolle. Sie beeinflusst traditionell die Steuerung städti- scher und regionaler Entwicklungen vielfältig. Die Sphäre der Zivilgesellschaft – insbesondere Non Governmental Organizations (NGOs) und zivilgesellschaftliche Organisationen – wurde gerade in den letzten Jahren intensiver beforscht – sowohl in den USA als auch in Deutschland (vgl. u.a Adloff 2005; Kocka 2004; Klein 2001; Salamon et al. 1999; Walzer 1996; O'Neill 2002; Young 1999). In Deutsch- land wurden für das Politikfeld der Stadtentwicklung in erster Linie Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Suche nach geeigneten Partizipations- und Beteili- gungsformen in der Stadtentwicklung generiert (vgl. Bischoff et al. 2005; Daniel- zyk 2005; Selle 1994, 1996, 1997; Schmals, Heinelt 1997 u.a.). Parallel wurde der Ruf der Politik nach „mehr Zivilgesellschaft“ immer lauter, obwohl relativ unklar war, welche Potentiale und Grenzen die Beteiligung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Stadtentwicklung hervorrufen. In diesem Sinne wurde der

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Blick in die USA geschärft und die Rolle von zivilgesellschaftlichen Organisatio- nen in der US-amerikanischen Stadtentwicklung befragt. Potentiale und Grenzen zivilgesellschaftlichen Handelns sind bis dato kaum systematisch untersucht wor- den (Altrock et al. 2007).

Zu zivilgesellschaftlichen Organisationen können auch Stiftungen, die durch Phi- lanthropen initiiert oder unterstützt werden, Think Tanks sowie Verbände oder Vereine gezählt werden. Auch sie werden hier der Sphäre der Zivilgesellschaft zugeordnet, die sich zwischen Staat, Markt und Privatbereich befindet, was die Vielfältigkeit und Heterogenität dieser Sphäre deutlich macht. Aufgrund ihrer or- ganisationsinternen und -externen Handlungsorientierungen und -logiken wird die Sphäre der Zivilgesellschaft von Staat, Markt und Privatbereich beeinflusst und ist „mitten und zwischen den Sphären“ zu verorten. (Schönig 2007: 138; vgl. u.a. Kocka 2004) Forschungen zeigen, dass zivilgesellschaftliche Akteure im Verhält- nis zum Staat Funktionen und Rollen wahrnehmen, die gleichzeitig auftreten kön- nen und verschiedene Facetten beschreiben, in denen die Relation Zivilgesellschaft und Staat gefasst werden kann: supplementary (supplementär oder ergänzend), complementary (komplementär oder gegenseitig vervollständigend), adversarial (angespannt oder antagonistisch). Die Organisationen wirkten „in den verschiede- nen Politikfeldern in historisch jeweils ganz unterschiedlichem Maße komplemen- tär, supplementär oder antagonistisch.“ (Schönig, Hoffmann 2007: 18–19; vgl. Young 1999: 33)

Forschungen, die sich auf das Verhältnis zum Staat konzentrieren, machen deut- lich, dass zivilgesellschaftlichen Organisationen vor allem eine supplementäre Funktion (vgl. Young 1999) zugeschrieben wird. Eine bedeutende Rolle kommt den Organisationen bei der Initiierung und Durchsetzung von Reformen zu (vgl. dazu Skocpol 2001). Zivilgesellschaftliche Organisationen können daneben auch komplementäre oder antagonistische Rollen gegenüber dem Staat einnehmen (vgl. Young 1999). Die Sphäre der zivilgesellschaftlichen Organisationen ist heterogen, und nur ein kleiner Teil der Akteure ist im Politikfeld der Stadt- und Regionalent- wicklung von Bedeutung. Ansätze der genaueren Rollen- und Bedeutungsanalyse machen deutlich, dass zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen unterschie- den werden kann, die sich engagieren als Stadtproduzenten (Bauherren, Investoren

172 oder Developer), als Katalysatoren von Sozialkapital, als Schöpfer planerischer Ideen oder als Anwälte einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Politikfeld (Vereine). Letztere überschneiden sich mit berufsständischen oder gar „lobbyisti- schen“ Organisationen. Beispiele sind in den USA die Bewegung um Smart Growth oder die Bewegung des New Urbanism. (Altrock 2007: 238) In der Integra- tion von zivilgesellschaftlichen Organisationen in räumliche Prozesse werden ver- schiedene Potentiale gesehen. Wissenschaftler, Politiker und Planungspraktiker haben unter anderem die Hoffnung, dass zivilgesellschaftliche Organisationen dazu beitragen, gesellschaftliche Unterstützung oder gar Hegemonie für Reformkonzep- te schaffen zu können. Schönig (2007) stellt fest, dass zivilgesellschaftliche Orga- nisationen nicht nur dazu beitragen, „herrschende Politiken mehrheitsfähig zu ma- chen. Sie sind auch eine Sphäre, [in der] potentielle Alternativen zu herrschenden Politiken entstehen.“ (Schönig 2007: 139; vgl. Hirsch 1999) Inwiefern zivilgesell- schaftliche Organisationen als Katalysatoren wirken, ist von Rahmenbedingungen abhängig, wie die Art des staatlichen Handelns oder dessen Rechtsprechung, ob- gleich dem lokalen Staat im besonderen wiederum wenig Handlungsspielraum zuzukommen scheint: „Interessanterweise ist der Spielraum des lokalen Staats in diesem Zusammenhang vergleichsweise gering: Steuerrechtliche, förderprogram- matische und gesetzliche Rahmenbedingungen werden meist überlokal festgelegt, wenngleich bestimmte Programme an räumliche Problemlagen gebunden werden, die bestimmte Gebietskörperschaften mit größerer Wahrscheinlichkeit in ihren Genuss kommen lassen.“ (Altrock 2007: 238)

2.2.3.1 Zivilgesellschaftliche Akteure, die Entwicklung von Stadt und Region und Reformfähigkeit

Inwiefern zivilgesellschaftliches Engagement Reformpotential hervorbringen kann, ist im historischen Rückblick unterschiedlich einzuschätzen: In der Zeit der Indust- rialisierung wurden zivilgesellschaftliche Vereinigungen wie Gewerkschaften, Wirtschafts- und Berufsverbände aktiv und konnten in mancher Hinsicht so die Folgen der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse mildern. Insbesondere wurden urbane Mittelschichten sozialreformerisch tätig im Hinblick auf einen Ausbau der Infrastruktur und den Wohnungsbau. (Schönig, Hoffmann 2007: 19) Nach der Wende zum 20. Jahrhundert forderten zivilgesellschaftliche Organisatio-

173 nen, dass diese Aufgaben der Staat übernimmt (vgl. Putnam 2000: 382). Im unmit- telbar planerischen Bereich sollten nun staatliche Institutionen sozialen Woh- nungsbau, Park- und Grünflächen oder groß angelegte Verkehrsinfrastrukturen schaffen. Die darauffolgenden staatlichen Reformen veränderten die Rolle der Or- ganisationen zum Staat: Sie wurden zu „Erfüllungsgehilfen der US-amerikanischen Version des Wohlfahrtstaats, die die Behörden bei der Verteilung und Organisation der Sozial- und Dienstleistungen unterstützten oder berieten.“ (Schönig, Hoffmann 2007: 20; vgl. Skocpol 2001: 635)

Heute kann in den USA in erster Linie die Umweltbewegung zu den Organisatio- nen mit einem reformerischen Ansatz gezählt werden: Eine neue Generation stellt unter anderem die Attraktivität der Zersiedlung in Verbindung mit dem Straßen- ausbau und der Zerstörung von Natur und Landschaft in Frage. (Levine, Ross 2012: 35) Neben der Umweltbewegung sind es überwiegend Organisationen, deren Ziele stark thematisch ausgerichtet sind, die keine konkrete räumliche Ausrichtung haben (Altrock 2007: 242). Ein städtisches Programm gibt es in der Regel nicht, da umfassende Grundkonflikte eine eindeutige Positionierung zu Fragen der Stadt- entwicklung erschweren. So gibt es etwa in der Umweltbewegung keine Einigung darüber, ob kompakte, dichte Städte wegen ihres geringen Flächen- und Energie- verbrauchs oder Städte mit einer geringen Dichte und hohen Freiflächenausstattung aufgrund ihres Nutzungsangebots zu bevorzugen sind. Offenbar stehen sich ökolo- gische und lebensqualitätsorientierte Ziele tendenziell unvereinbar gegenüber. Vor diesem Hintergrund sind die erfolgreichen Kampagnen stadtentwicklungspolitscher Reformbewegungen in den USA wie der Smart-Growth-Bewegung oder des New Urbanism mit ihren breiten und einflussreichen Netzwerken bemerkenswert. (Alt- rock 2007: 244) So kommt den Aktivitäten dieser nationalen Reformbewegungen und NGOs in den USA eine besondere Rolle zu.

Der Stand der Governance-Forschung zeigt, dass die genannten Reformansätze stärker Erfolge auf der Quartiersebene vorweisen können, ohne die „Citypolitik“ und die Politik der Wirtschaftsförderung grundsätzlich in Frage zu stellen, die von Akteurskoalitionen des politisch-administrativen Systems und privaten Unterneh- men dominiert werden. Dort werden zivilgesellschaftliche Akteure allenfalls zu- sätzlich konsultiert, während sich die Quartierspolitik und die Stadterneuerung

174 zumindest in Deutschland durch Arrangements der öffentlichen Hand und Bürgern auszeichnen, die auf eine wesentlich stärkere Offenheit von Politik und Verwaltung hoffen dürfen. Demnach wird lokalstaatliche Verantwortung nur soweit an zivilge- sellschaftliche Akteure abgegeben, wie konkurrierende global-politische Schau- plätze nicht entscheidend angetastet werden; zivilgesellschaftliche Einflussnahme auf politischen „Nebenschauplätzen“ ist dagegen möglich. (Altrock 2007; Hoff- mann 2008) Die Einflussnahme orientiert sich an der Frage, inwiefern es zivilge- sellschaftlichen Akteuren möglich ist, den „unmittelbaren Aushandlungsprozess um ‚die roten Linien’ bei kontroversen Projekten oder Maßnahmen“ mitzubestim- men, in dem sich der lokale Staat befindet und dem sich die an „Partikularinteres- sen orientierte[n] zivilgesellschaftliche[n] Organisationen gar nicht erst stellen“ müssen. Denn die Durchsetzung dieser Projekte ist fast immer den politischen Ent- scheidungsträgern zuzurechnen. (Altrock 2007: 246–247)

Aus demokratietheoretischer Perspektive zeigt die Beteiligungsforschung, dass zivilgesellschaftliches Engagement eher von Menschen mit hohem Bildungsgrad zu erwarten ist: Innerhalb der Zivilgesellschaft bilden sich differenzierte Macht- strukturen heraus, durch die die Bedürftigsten nicht automatisch besser vertreten werden als durch staatliche Planung. Noch weitgehend offen ist, „unter welchen Umständen Bürger organisationsfähig und im Stadtentwicklungsprozess erfolg- reich sind und wem zivilgesellschaftliche Erfolge tatsächlich zugute kommen.“ (Altrock 2007: 247) Der Stand der Forschung in den USA zeigt, „dass mit einer stärkeren Forderung zivilgesellschaftlichen Engagements auch eine Reihe von un- erwünschten Effekten verbunden ist: Selbst mit einem breiten zivilgesellschaftli- chen Organisationsspektrum lässt sich nicht sicher sagen, ob die Pluralität gesell- schaftlicher Positionen angemessen in der öffentlichen Debatte vertreten ist […], ob die Mobilisierung nicht von völlig anderen Rahmenbedingungen abhängt als von der Stärke eines gesellschaftlichen Interesses in der lokalen Bevölkerung und wann daraus mehr wird als die Addition unterschiedlich gepolter eigennütziger Ziele.“ (Altrock 2007: 249)

175

2.2.3.2 Beitrag zivilgesellschaftlicher Akteure nach Katastrophen

Zivilgesellschaftliche Aktivität nach Katastrophen kann in verschiedene Phasen und Politikfelder mit ihren jeweiligen Tätigkeitsbereichen und Zielen gefasst wer- den: Unmittelbar nach Katastrophen ist in einer ersten Phase eine Vielzahl von zivilgesellschaftlichen (Hilfs-)Organisationen mit dem Ziel aktiv, die Situation vor Ort durch Unterstützungsleistungen zu verbessern und die Grundversorgung der Bevölkerung wiederherzustellen (NGOs wie das Rote Kreuz). Dabei geht es weni- ger um eine reformerische Tätigkeit, sondern in erster Linie darum, die Notversor- gung sicherzustellen und unterstützend bei der Wiederherstellung der städtischen Grundversorgung zu wirken. (vgl. u.a.Simo, Bies 2007) Längerfristig können sich in einer zweiten Phase allerdings durchaus strukturelle reformerische Ansätze ver- stärkt hervortun und durchsetzen. Verschiedene Ausführungen deuten auf dieses Phänomen hin. Klein (2007) behauptet beispielsweise, dass sich aufgrund der lo- kalpolitischen Systemschwäche nach einer Katastrophe, dem „Schockzustand“, radikale strukturreformerische Projekte oder gar „Geisteshaltungen“ überlokaler Ebenen, deren weitere Umsetzung noch jahrelang angehalten hätte, schlagartig durchsetzen können, da sie nun Legitimation finden beziehungsweise Opportunität genießen (vgl. Umbau des Schulsystems in New Orleans). Dieses window of op- portunity wird von Akteuren aus unterschiedlichen Politikfeldern genutzt. (vgl. Teil B II, Reformfähigkeit)

Bewegungen zivilgesellschaftlicher Akteure sind insbesondere in Leitbilddebatten auf lokaler Ebene integriert. Das trifft sowohl auf Leitbilddebatten im stadtpoliti- schen Alltag als auch auf Leitbilddebatten nach Katastrophen im urbanen Kontext zu und ist oftmals explizites Ziel der Lokalpolitik, sei es aus legitimatorischen oder informatorischen Gründen. Zudem werden zivilgesellschaftliche Bewegungen vermutlich in diese erste Planungsphase eingebunden, weil Leitbilddebatten noch wenig konkret sind und das Ziel des Planungsprozesses zu diesem Zeitpunkt nicht darin besteht, Entscheidungen zu treffen, sondern grundsätzliche Leitlinien zu- sammenzutragen, die in ihrer Allgemeinheit oft noch nicht kontrovers sind. Im Ergebnis „stutzen [die Debatten] aber die Komplexität integrativer Stadtentwick- lungspolitik auf ein beherrschbares Maß zurück. Die Zivilgesellschaft erhält hier breite Formulierungs- und Kreativitätsspielräume, deren Folgen aber in der Regel

176 wenig verbindlich bleiben.“ (Altrock 2007: 246) Offen blieb in diesem Zusam- menhang bislang die Frage, welche Rolle große externe zivilgesellschaftliche Or- ganisationen in Leitbilddebatten auf lokaler Ebene spielen und wie sie die Instituti- onen staatlicher Planung verändern können. Denn es ist davon auszugehen, dass die großen „Externen“ im stadtentwicklungspolitischen Alltag – nicht nur nach einer Katastrophensituation – präsent sind. Der Fall New Orleans bietet wiederum die Chance zu einer genaueren Analyse dieser Zusammenhänge. Die Rolle großer Stiftungen im Zusammenhang mit stadtentwicklungsrelevanten Aufgabenfeldern ist in Bezug auf längerfristige Reformansätze noch relativ ungeklärt. Bislang wurde deutlich, dass größere Stiftungen – und das mag auch auf New Orleans nach Katri- na zutreffen – zwar finanzielle Mittel für die Bearbeitung stadtentwicklungsrele- vanter Themen bereitstellen. Offenbar „treten sie [aber] seltener selbst in Erschei- nung, wenn es um lokale Fragen geht und überlassen deren Konkretisierung vor Ort gebundenen Organisationen“ (Altrock 2007: 241).

Ziel dieses Unterkapitels (C I 2.2) war es, sich der US-amerikanischen Stadtent- wicklungspolitik mithilfe der Perspektive um die Sphären Staat, Markt und Zivil- gesellschaft anzunähern. Dadurch sollte ein stadtpolitischer Rahmen aufgezeigt werden, der Tendenzen der lokalen Stadtentwicklung, so auch die in New Orleans, beeinflusst und indem lokale Handlungsfähigkeit vor dem Hintergrund des Zu- sammenwirkens der Sphären Staat, Markt und Zivilgesellschaft diskutiert wird; Auf lokaler Handlungsfähigkeit basiert im Rahmen dieser Arbeit lokale Reformfä- higkeit. Vor allem bei den Konzepten um Wachstumskoalitionen, Regimetheorie und Governance, die im Grunde Erklärungsansätze zur Herstellung von Hand- lungsfähigkeit darstellen und ansatzweise Handlungsspielräume identifizieren, wurde deutlich, dass Partnerschaften von und Beziehungen zwischen zivilgesell- schaftlichen und öffentlichen Akteuren durch die Governance-Debatte zwar an Boden gewonnen haben. Eine breitere Governance-Debatte beschäftigt sich aller- dings erst allmählich mit den Möglichkeiten und Grenzen zivilgesellschaftlichen Engagements im Spannungsfeld mit den Handlungsspielräumen anderer gesell- schaftlicher Akteure. Noch immer ist die Analyse der Koalitionen stark auf die Zusammenarbeit von Akteuren aus der Privatwirtschaft und dem politisch- administrativen System fokussiert und die Rolle zivilgesellschaftlicher Organisati- onen (Stiftungen, Think Tanks, NGOs, Verbände, Vereine) unterbelichtet. Zudem

177 sind Ansätze, die durch die bisherige Regimetheorie und die Governance-Debatte inspiriert sind, stark auf die lokale Akteursebene konzentriert (Gissendanner 2002). Eine mögliche Bedeutung überlokaler Akteure des politisch-administrativen Sys- tems, der marktwirtschaftlichen und/oder zivilgesellschaftlichen Sphäre, die die Entscheidungsfindung entweder indirekt oder direkt beeinflussen können, wird tendenziell vernachlässigt. Vermutet wird, „dass die Rolle der überlokalen Akteu- re“ – auch in US-amerikanischen Städten – „sehr zentral ist, insbesondere in Kri- sensituationen“ (Gissendanner 2002; Imbroscio 1997; Judd 2000; Levine, Ross 2012) und in dieser Frage weiterer Forschungsbedarf besteht. Insgesamt wird also das Verhältnis und demnach auch ein mögliches Zusammenwirken zwischen den Sphären von Staat, Markt und Zivilgesellschaft sowie zwischen den Ebenen (Stadt, Bundesstaat, Bund bzw. lokal und überlokal) zu wenig systematisch beleuchtet. Weitergehende Analysen zur wissenschaftlichen Einordnung des stadtpolitischen Handlungsspielraums im Kontext gesamtgesellschaftlicher Rahmenbedingungen sind erforderlich, die dieses Verhältnis untersuchen. Einen Beitrag dazu vermag die vorliegende Arbeit inbesondere in Bezug auf das Verhältnis von lokalen und über- lokalen Akteurszusammenhängen im Rahmen des Politikfeldes der Stadtentwick- lung leisten.

2.3 New Orleans’ wirtschaftliche, soziale, lokalpolitische und gesell- schaftskulturelle Eigenheiten als Rahmen der Stadtentwicklungs- politik vor Hurrikan Katrina

New Orleans gilt als ökonomisch schwache Stadt und hatte auch unabhängig von einer humanen Katastrophe wie nach Katrina bereits starke städtische Probleme, die für viele deindustrialisierte Städte typisch sind. So konstatiert Nossiter, dass sich lange vor Hurrikan Katrina und seinen Folgen ein slow moving disaster an- bahnte (vgl. Nossiter 25.09.2008, 21.01.2007). So wurden durch die Katastrophe in Folge von Hurrikan Katrina die bereits vorher drängenden städtischen Probleme offenkundig und es war von einer schleichenden Katastrophe die Rede. Kulturell mag die Stadt New Orleans durchaus einzigartig in den USA sein, aber die ökono- mischen und sozialen Rahmenbedingungen und die daraus folgenden städtischen Probleme entsprechen denen der meisten US-amerikanischen Städte (Dreier 2006:

178

530). In New Orleans werden dadurch Herausforderungen US-amerikanischer Städte im 21. Jahrhundert sichtbar, mit denen die dortige Stadtpolitik konfrontiert ist: angefangen von Klassen-, Rassen- und Umweltfragen über ökonomische Her- ausforderungen bis zur städtebaulichen und kulturellen Auseinandersetzung zwi- schen Historie und Modernität. New Orleans steht für „alte“ deindustielle, kulturell und historisch gewachsene Städte in den USA mit einer Lokalregierung, die inner- halb des Bundesstaates Louisiana70 aufgrund politischer und ökonomischer Rah- menbedingungen einen schwachen Stand hat. Der Bundesstaat Louisiana ist poli- tisch konservativ geprägt, aber insgesamt gilt er als einer der weniger konservati- ven Südstaaten der USA. Die Stadt New Orleans selbst wird als „Demokraten- hochburg“ bezeichnet und bildet gemeinsam mit der Stadt Baton Rouge die Zen- tren des demokratischen Liberalismus im Bundesstaat Louisiana. (Perry 15.02.2017)

2.3.1 Wirtschaftliche und soziale Lage in New Orleans vor Katrina

Zu den lokalen Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung von New Orleans zähl- ten vor Katrina seit Dekaden ernsthafte ökonomische und soziale Probleme. Cam- panella 2006c) Seit den 1960er Jahren ist ein anhaltender Bevölkerungsrückgang (jährlich 1,5 Prozent) (Nossiter 21.01.2007) zu verzeichnen, trotz einer Zuwande- rung von Lateinamerikanern, die die jüngste in einer langen Serie von Immigrati- onswellen in der Stadt ist. (Campanella 2006c) Darüber hinaus ist eine stagnieren- de Wirtschaftsleistung offenkundig (Nossiter 21.01.2007), bei der der Tourismus den Hauptstrang der lokalen Wirtschaft bildete. (Campanella 21.09.2005) Folge dessen lebte in New Orleans mehr als ein Viertel der Bevölkerung in Armut und die Arbeitslosenrate war hoch: Jede/r Fünfte war arbeitslos oder suchte nicht nach

70 Louisiana war früher bekannt für seine (Un-)Kultur recht offener politischer Korruption und ist insgesamt einer der weniger konservativen Südstaaten. Die Landbevölkerung ist ähnlich konservativ wie in anderen Südstaaten und in der Vergangenheit war Louisiana insgesamt vergleichbar mit den anderen Südstaaten. Beispielsweise dominierte eine Segregationspolitik bis weit in die 1980er Jahre das politische Geschehen. Allerdings ist Louisiana durch eine Liberalisierung der Demokraten nicht zu einem eindeutigen Red State geworden, wie zum Beispiel South Carolina, Alabama oder Missis- sippi. Louisiana hat seit 1972 bei Präsidentschaftswahlen immer für den am Ende siegreichen Kandi- daten gestimmt – bis auf 2008 und 2012, als die Wahlmännerstimmen deutlich an den Republikaner John McCain (2008) und Mitt Romney (2012) gingen, die beide Barack Obama landesweit unterla- gen. (vgl. Perry 15.02.2017 u.a.)

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Arbeit. (Nossiter 21.01.2007) Nossiter nennt diese Bedingungen lähmende Prob- leme, die lange vor Katrina in New Orleans existierten. Diese Art städtischer Prob- leme sei meistens auch die Ursache städtischer Fehlschläge. (Nossiter 21.01.2007) Auch Toledano weist darauf hin, dass New Orleans von einem Niedergang beprägt war, der viele Dekaden vor Hurrikan Katrina begonnen hatte. Es sei eine „Ge- schichte des Untergangs, der nicht von außen sondern von innen“ stattgefunden habe, so Toledano. Denn seit Mitte des 20. Jahrhunderts hatte New Orleans Prob- leme in größerer Dimension, die durch städtische Stärken wie die städtische Archi- tektur, die Küche und die Musik verdeckt werden konnten. Auch Toledano bekräf- tigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung von New Orleans vor Katrina arm, afrome- rikanisch, ungebildet, arbeitslos oder unterbeschäftigt war und unter armenviertel- ähnlichen Bedingungen lebte. (Toledano 2007: 27) Auch James R. Bobo, Professor für Wirtschaft an der University of New Orleans, hat bereits 1975 den Untergang von New Orleans prophezeit71, sofern nicht Schritte unternommen werden würden, die Zustände in der Stadt zu ändern: Die Stadt hat neben der überproportional ho- hen Anzahl von verarmten, nicht gebildeten und arbeitslosen Menschen, das Prob- lem, dass eine dynamische und unternehmensorientierte Mittelklasse weitgehend fehle und sich eine begrenzte soziale und ökonomische Oligarchie beharrlich hielt. Im Laufe der Geschichte nahm die Zahl der ungebildeten und arbeitslosen Unter- klasse zu und eine kleine unternehmensorientierte Mittelklasse verschwand. Eine Oligarchie, die das System kontrollierte, blieb allein zurück. (Bobo zit. in Toledano 2007: 32) New Orleans wurde vor Katrina zu einer Stadt mit beinahe „zügelloser” politischer Korruption, einer hohen Kriminalitätsrate, einer angeschlagenen Infra- struktur und einem öffentlichen Schulsystem, das versagt habe. (Stouwe 24.11.2010; Gelinas 21.11.2010)

2.3.2 Soziales System als gesellschaftskultureller Rahmen von lokal- politischer Macht und einem Nonregime in New Orleans

Nach Toledano gab es stets unterschiedliche Formen einer Klassenstruktur in den USA (die Ober-, die Unter- und die Mittelklasse) und der Geist der Vereinigten

71 Der ironische Titel der Studie The New Orleans Economy: Pro Bono Publico? bezieht sich nach Toledano (2007) auf die Karneval-Organisation Rex, die am Mardi Gras „for the public good“ para- dieren. (Toledano 2007: 32)

180

Staaten war fortwährend durch seine Offenheit, seine Flexibilität und seine Einla- dung zur Mobilität geprägt, die auf Leistung basierte. Toledano zufolge waren je- doch diese Qualitäten in New Orleans schon lange bevor die Stadt ökonomisch niederging und die sozialen Folgen in der Stadt spürbar wurden nicht vorhanden. (Toledano 2007: 32) Charles Y.W. Chai analysierte Anfang der 1970er Jahre die größten Probleme von New Orleans und der städtischen Führungskräfte (in Bezug auf Position und Autorität) und fand heraus, dass eine unangemessene Besteue- rungsgrundlage zu unfairen und korrupten Praktiken führte. Es existierte ein Un- vermögen, neue Industrien anzuziehen. Am bedeutendsten aber war, dass ein sozia- les System vorherrschte, das eine neue Führerschaft unterband und sich feindlich gegenüber Außenseitern verhielt. Somit bewegte sich die Stadt nach Chai in eine desaströse Richtung mit politischer und ökonomischer Stagnation. (Chai zit. in Toledano 2007: 32)

Dieses soziale System von New Orleans spiegelt sich in Mardi Gras und Karneval wider. Die lokalen Ereignisse sind zunächst als Festivals bekannt. An ihnen haftet darüber hinaus die Bedeutung, ein Ausdruck derer zu sein, die in New Orleans „sozial anerkannt“ waren und gleichzeitig diejenigen ausschlossen, die nicht „sozi- al anerkannt“ waren. Mit den Bezeichnungen Mardi Gras und Carnival, sind nach Toledano Clubs gemeint, in denen man sich zum Mittagessen traf und Entschei- dungen im besten Falle vorbereitete. Damit sind die etwa sieben privaten Organisa- tionen gemeint, die jährlich die Bälle oder Paraden des Mardi Gras und des Karne- vals sponserten. (Toledano 2007: 28) In New Orleans definierten sich dementspre- chend Macht und Status durch die Mitgliedschaft in diesen sogenannten Krewes72, den elitären Karnevalsgesellschaften, und privaten Clubs. Dem Historiker John

72 Dem beherrschenden Krewe nach Hurrikan Katrina gehörten an: Jim Amoss, Verleger der Times- Picayune; Pres Kabacoff, Immobilienentwickler und Befürworter des New Urbanism; Donald Bollin- ger, Reedereibesitzer und bekannt als Anhänger des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush; James Reiss, Immobilienspekulant und Vorsitzender der Regional Transit Authority (er war für die Busse verantwortlich, die für Evakuierungen zur Verfügung stehen sollten); Alden McDonald jr., leitender Angestellter der größten in afroamerikanischem Besitz befindlichen Bank; Scott Cowen, Präsident der Tulane University; Janet Howard, Geschäftsführerin und Leiterin des Bureau of Governmental Research (BGR). Das BGR wurde „ursprünglich von wohlhabenden Eliten gegründet, um der antikapitalistischen Politik des Radikaldemokraten Huey Long entgegenzutreten, der in den 1930ern als Senator von Louisiana mit dem Wahlspruch ‚Teilt euren Reichtum’ Furore machte“. (Davis 24.08.2006)

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Barry zufolge werde „New Orleans (...) mehr als jede andere Stadt von einer Cli- que von Eingeweihten geleitet. (...) Diese Eingeweihten sehen sich alles wie hinter einem Doppelspiegel an und urteilen und entscheiden.“ (Barry 1997; zit. in Davis 24.08.2006) Im geschichtlichen Rückblick wurden von der Mitgliedschaft in diesen Klubs Juden, Italiener, Lateinamerikaner, Asiaten, Frauen und Afroamerikaner systematisch ausgeschlossen. Geschäftliche, professionelle und städtische Aktivitä- ten waren fest unter der Kontrolle dieser sozialen Organisationen. Dieses System setzte sich bis in die 1970er Jahre fort. Das bedeutete in Bezug auf die soziale Klassenzugehörigkeit, dass die individuelle Fähigkeit, durch lokale Standards er- folgreich zu werden, stark von dem Faktor „Inklusion in“ oder „Exklusion von diesen Organisationen“ abhing. Erfolg hing nicht von Talent oder beruflicher Leis- tung ab. Persönliche Eigenschaften wurden nicht berücksichtigt. Auch zählt das alte kreolische Beharren auf dem Grundsatz „Adel verpflichtet“ nicht mehr, bei dem eine spezielle Art bürgerlicher Verantwortung für Menschen übernommen wurde, die innerhalb des wertgeschätzten Zirkels waren. (Toledano 2007: 28) In den frühen 1990ern erzwangen Bürgerrechtler die symbolische Aufhebung der Rassentrennung im Mardi Gras, dem gigantischen Karnevalsumzug am „fetten Dienstag“ vor dem Aschermittwoch, und einige Clubs ließen widerstrebend ein paar afroamerikanische Millionäre zu. (Davis 24.08.2006)

Macht denen, die „drin“ sind: Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges hatte die Stadt New Orleans weder eine Vision noch eine kompetente Führungskraft, um die Stadt auf eine Periode vorzubereiten, die von nationalem Wachstum und Prosperi- tät geprägt werden sollte. Und auch danach war es nur einigen wenigen in New Orleans vergönnt, daran teilzuhaben, weil (noch immer) das Prinzip „drinnen“ oder „draußen“ griff: Banken vergaben beispielsweise Kredite ausschließlich an bereits Wohlhabende, die in den meisten Fällen auch Clubmitglieder waren. Rechtsanwäl- te wurden engagiert, nicht weil sie Talent gehabt hätten, sondern aufgrund ihrer Mitgliedschaft in Vereinigungen von Versicherungs- und Finanzwirtschaft. (Tole- dano 2007: 29) Nach Toledano unterschied sich das System in New Orleans von denen in anderen US-amerikanischen Städten: Machtstrukturen und Establishments gäbe es überall. Aber zum Establishment zu gehören, basiert in hohem Maß auf Leistung, die teilweise in finanziellem Erfolg gemessen wird. Nach Toledano sei fast jede(r) berechtigt dort hineinzukommen und diese Berechtigung ist nicht – wie

182 in New Orleans – von Geburt an oder entsprechend der Blutlinie vorherbestimmt. Die meisten Einwohner von New Orleans gehören nicht zu dieser Spitze dieses stark diskriminierenden sozialen Systems und werden von einer umfassenden sozi- alen Teilnahme aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder ökonomischen Umständen ausgeschlossen. (Toledano 2007: 32) Hintergrund dessen sind zwei grundsätzliche gesellschaftskulturelle Elemente, die bereits Erwähnung fanden und die die soziale Arena in New Orleans seit dem späten 18. Jahrhundert bestimmten: Neben anderen Überzeugungen galt der Grundsatz Noblesse Oblige. Eine bestimm- te Art von Verantwortung wurde gegenüber Mitmenschen gelebt, die afroamerika- nisch und die Sklaven waren. Zweitens wurden in New Orleans Aristokraten „ge- boren“, so dass Eignung und Leistung keine Rolle spielten. In diese Positionen wurde man familiär „hineingeboren“. (Toledano 2007: 27) So galt New Orleans als aristokratische und europäische Oase als es zum Bürgerkrieg (1861-1865) kam, der dieses System erstmals „behinderte“. Parallel dazu wurde die amerikanische De- mokratie erprobt und die Kontrolle der Stadt ging an die Bundestruppen über, die von April 1862 bis April 1877 die Stadt besetzten. Nach der Amtseinführung von Rutherford B. Hayes als Präsident (1877-1881) kehrte die alte herrschende Klasse mit neuer Kraft gesellschaftlich und wirtschaftlich zurück. Afroamerikaner waren nun zwar frei. Sie blieben aber dennoch in ihren Positionen verhaftet, auch ohne legales Eigentum zu sein, und waren somit von Weißen abhängig. (Toledano 2007: 28) Obwohl aber New Orleans unter militärischer Besetzung stand, war die Stadt Anziehungspunkt für Spekulanten, die gegen Ende des Krieges von Norden – unter ihnen viele Republikaner – nach New Orleans kamen. Sie konnten aufstreben, da ein System zugegen war, in welchem es keine notwendige Beziehung zwischen Anstrengung und Vergütung gab. (Toledano 2007: 28) Nach 1877, dem Ende der militärischen Besatzung, konkurrierten die neuen Spekulanten (Nachkommen der Briten, die nun Amerikaner waren) mit den Kreolen sowie anderen prominenten Familien aus Zeiten vor dem Bürgerkrieg. Spekulanten warben fortan um soziale Akzeptanz. Dieser Prozess dauerte solange, bis die Kreolen ihre Stellung nicht mehr halten konnten, da sie an Einfluss verloren. Denn im Laufe der Zeit verdräng- ten die Spekulanten die Aristokraten, die sich nicht an den neuen Weg, Geschäfte zu machen, anpassen konnten, der durch die Spekulanten eingeführt wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg veränderte sich in den Vereinigten Staaten von Amerika die quasi Agrarische Old World aristokratischer Ordnung, die für lange Zeit die Stadt

183 kontrolliert hatte. In diesem Zusammenhang zeichneten sich allgemeine sozioöko- nomische Veränderungen ab, die sich auf die Stadt niederschlugen. Neureiche und neue Machtinhaber strukturierten in Folge dessen fortan das soziale System. Sie verwarfen das traditionelle System und besetzten einige einflussreiche Positionen der abgesetzten Aristokraten mit ihresgleichen. Die soziale Position in der Stadtge- sellschaft von New Orleans ist gleichzeitig weiterhin Ausdruck persönlicher wirt- schaftlicher Errungenschaften. (Toledano 2007: 28; vgl. Horne 20.02.2017) (vgl. C II 3.1)

Das spiegelte sich auch 1970 im Wahlkampf um die Wahl des Bürgermeisteramtes in New Orleans wider. Dieser Wahlkampf zeigte, wie tief der Graben zwischen dem Urban Regime – dem elitären Bündnis von Politik und Privatwirtschaft – und der Arbeiterklasse war und welche Bedeutung die Debatte um „Exklusion“ und „Inklusion“ in New Orleans hatte: Eines der Wahlkampfthemen war eine soge- nannte Public Accommodations Ordinance: In diesem Rahmen wurde vorgeschla- gen, private Trinketablissements (Bars) unter den Civil Rights Act von 1964 zu stellen. Der US-Kongress hatte Bars allerdings speziell von diesem Gesetz ausge- nommen. Die Befürworter der Public Accomondations Ordinance argumentierten jedoch, dass nationale Veranstaltungen wie der Super Bowl nicht in New Orleans stattfinden würden, wenn die Bars nicht ein Ort des Zusammentreffens von Weißen und Afroamerikanern werden würden. Unterstützt wurde die Initiative neben den Befürwortern, die ihre Geschäftsinteressen verfolgten, von „sozial angesehenen Persönlichkeiten“ der Stadt und „Kräften des good governments“. Zu diesem Zeit- punkt hatte allerdings jede Bar, die sich im Einzugsgebiet von Touristen befand, bereits für jeden Besucher geöffnet. Demnach waren von dem Gesetz ausschließ- lich die Bars der Nachbarschaften betroffen, die über Generationen als soziale Treffpunkte der Arbeiterklasse galten. Bürgermeisterkandidat Toledano stimmte dem Kongress zu und war nicht der Meinung, dass eine Bar ein angemessener Schauplatz für eine verstärkte Integration und für sozialen Experimentismus sei. Für diese Bemühungen gäbe es nach Toledano weit angemessenere Arenen. Wenn soziale Clubs in der Tat ein angemessenes Umfeld für derartige Aktionen wären, so Toledano, lege die Verantwortung ganz bei Leitfiguren von Nachbarschaften ein Vorbild zu sein. Das könne er aber nicht unterstützen. Stattdessen rief Toledano sozial angesehene Bürger in Gegenwart der Presse dazu auf, eine Verordnung zu

184 unterstützen, die einen Austritt aus Clubs oder Organisationen vertrat, die Men- schen von einer Mitgliedschaft dort aufgrund ihrer Rasse, Religion oder Nationali- tät ausschlossen. Letztendlich wurde aber diese Debatte von den lokalen Medien nicht aufgegriffen. Toledano zufolge (2007: 30) war die Kontrolle der Nachrichten dementsprechend ein anderer kritischer Faktor, der zu Problemen in New Orleans beitrug. Denn Medien, und speziell die Lokalzeitung, wurden durch Bürger kon- trolliert, die bereits die Kontrolle über soziale und unternehmerische Aktivitäten hatten. Die gleichen Personen wollten oder konnten jedoch keine lokale Führung anbieten. (Toledano 2007: 30)

Eine neue afroamerikanische lokalpolitische Machtelite spiegelte ab den 1970er Jahren die Folgen des alten sozialen Systems in New Orleans wider. Die Bürger- meisterwahl hatte letztlich Moon Landrieu gewonnen (Amtszeit 1970 bis 1978). Viele seiner Intentionen waren zwar zu begrüßen, allerdings war „zu viel (...) jen- seits seiner Kontrolle: Die Exzesse, die Exklusivität, die Ablehnung von jeglichem System, dass auf Fähigkeiten basiert, die Habgier, das Desinteresse, die honorierte Faulheit, (...)“ (Toledano 2007: 30). Und so waren es nach Toledano diese sozialen Haltungen, die zu New Orleans Niedergang beitrugen. Letztlich konnten viele der Intentionen von Mayor Moon Landrieu nicht umgesetzt werden. Obgleich er sich stark im Sinne von Rassengerechtigkeit und Chancengleichheit verpflichtete, konn- te er die Handlungen afroamerikanischer Lokalpolitiker nicht ernsthaft beeinflus- sen. Viele der afroamerikanischen Lokalpolitiker ergriffen nach Toledano ihre politischen Möglichkeiten und verübten Vergeltung (vgl. auch Horne 20.02.2017): Moon Landrieu ernannte afroamerikanische Entscheidungsträger in seine Admi- nistration, die unter anderem finanzielle Bundesmittel verteilen sollten. Aber nicht einmal ein Teil dieser Steuergelder wurde für dringliche Infrastrukturleistungen eingesetzt, die der ärmeren afroamerikanischen Einwohnerschaft von New Orleans zu gute kamen. Tatsächlich waren sogar die Bemühungen dieser Machtelite gering, die Ziele oder Motivation der neuen afroamerikanischen Elite zu verschleiern. Nach Toledano (2007: 30) war die Haltung vorherrschend: „It’s our turn now, ba- by. You guys have been at the trough since the beginning. Move over, all the way over. Whatever’s left belongs to us”. (vgl. C II 3.1, C II 3.2)

185

Von 1978, als Moon Landrieu seine zweite Amtszeit beendet hatte, bis 2010 hatte New Orleans ausschließlich afroamerikanische Bürgermeister: acht Jahre Ernest „Dutch” Morial, acht Jahre Sidney Barthelemy, acht Jahre Dutch Morial’s Sohn, Marc Morial und acht Jahre Ray Nagin, der 2006, das Jahr nach Katrina in seine zweite Amtszeit gewählt wurde. In dieser Zeit war die Mehrheit bedeutender öf- fentlichen Vertreter afroamerikanisch. Viele ihrer „alten Freunde“ aus der Privat- wirtschaft wurden durch unterschiedliche städtische Aufträge von Dienstleistungen wohlhabend, teils „legal“, teils bestenfalls „fragwürdig“. Die afroamerikanische Unterschicht hat von der vorherrschenden Politik in den Bereichen Bildung, Arbeit und Wohnen während dieser Zeit nicht profitiert. (Toledano 2007: 31) Die Ergeb- nisse des US-Census des Jahres 2000 zeigen diese Tendenz: 35 Prozent der Afro- amerikaner in New Orleans galten als arm, nationalweit waren es nur 25 Prozent. Vor Katrina waren 96 Prozent der Geburten afroamerikanischer Teenager unver- heiratete Mädchen. 58 Prozent der afroamerikanischen High School-Schüler wur- den von der Schule suspendiert bevor sie einen Abschluss machten. Die Stadt hatte vor Katrina die höchste Mordrate. In der Mehrheit der Fälle waren die Täter sowie die Opfer afroamerikanisch. (Toledano 2007: 31) Letztendlich ignorierte die afro- amerikanische Führungsriege von New Orleans die Bedürfnisse der „armen, unge- bildeten, unterbeschäftigten und arbeitslosen“ Afroamerikaner in New Orleans. Konsequenzen des sozialen Systems von New Orleans waren deutlich zu erkennen: ein Desinteresse „erfolgreicher“ Afroamerikaner gegenüber der ärmeren Einwoh- nerschaft, eine Vernachlässigung der ärmeren Bewohnerschaft durch die weiße Einwohnerschaft und eine dreißig jährige Nachkommenschaft afroamerikanischen Beamtentums. (Toledano 2007: 31) 2010 wurde Mitch Landrieu zum Bürgermeis- ter gewählt, dessen zweite Amtszeit 2018 enden wird.

Vor dem Hintergrund dieses sozialen Systems und dieser gesellschaftskulturellen Hintergründe beschreibt das nonregime in New Orleans lokalpolitische Charakte- ristika vor Hurrikan Katrina. Burns und Thomas (2006) zweifeln eine kompetente Lokalregierung von New Orleans und deren Regierungsfähigkeit vor Hurrikan Katrina an. Das wurde, so Burns und Thomas, am Beispiel von Hurrikan Katrina und dessen Folgen deutlich. Sie bezeichnen New Orleans gar als eine Stadt ohne Führung oder Lenkung; als eine regimeless city. Die Autoren argumentieren mit gravierenden Unterschieden zu regime cities, wie sie durch Stone (1989) beobach-

186 tet wurden. Diese Eigenschaften hemmten, so Burns und Thomas, die Handlungs- fähigkeit von New Orleans nach Katrina: New Orleans mangelte es an einer nach- vollziehbaren Zielvorstellung für die Stadt. New Orleans war abhängig von the- menbezogenen Koalitionen und hatte keine beständigen Regierungsarrangements. New Orleans verplante Ressourcen ineffektiv ohne diese kooperativ abzustimmen. Stone führt das Gegenteil dieser Eigenschaften als „key nodes in urban regime analysis“ an. (Stone 28.10.2005 zit. in Burns, Thomas 2006: 518) Burns und Thomas (2006) bezeichnen New Orleans nun als typisches nonregime, denn in der Vergangenheit wurde die Stadt nicht von einem sondern von vielen Regimen (oder Akteurskoalitionen) geführt: Beispielsweise wurden durch die öffentliche Hand und Unternehmen in den 1950er und 1960er Jahren Redevelopment Projekte reali- siert, die in einer Revitalisierung von Downtown New Orleans mündeten (vgl. C I). Im Laufe der Zeit verließen Unternehmen New Orleans und siedelten sich in Städ- ten wie Houston oder Miami an, so dass New Orleans eine lebendige community von Unternehmen verloren ging.73 Während einige Institutionen wie beispielsweise die Handelskammer (chambers of commerce) von Zeit zu Zeit Einfluss auf die öffentliche Politik nahmen, gab es in New Orleans keinen Zirkel von Unterneh- men, der stetig eine Führungsfunktion übernahm und finanzielle sowie andere Res- sourcen in den urban governance-Prozess einbrachte. In den letzten Jahren vor Katrina brachten eher sachbezogene Koalitionen und temporäre Allianzen öffentli- che Politiken hervor.74 Diese temporären Koalitionen hatten jedoch einen negativen Effekt auf New Orleans’ Vermögen, Handeln durch diejenigen koordinieren zu lassen, die auch die Kontrolle über städtische Ressourcen hatten. Bürgermeister sind stets in hohem Maße auf andere städtische Akteure angewiesen, um regie- rungsfähig zu sein. Nachbarschaftsorganisationen nutzen ihre Informationsressour- cen und den Zugang zu Menschen, um zu helfen, soziale Dienstleistungen bereit- zustellen. Private Unternehmen liefern stets finanzielle Ressourcen. Allerdings halten diese verschiedenen Akteursgruppen in einem nonregime nur soviele Res- sourcen innerhalb ihrer eigenen Sachthemen bereit, die zur Verteidigung ihrer ei- genen Interessen notwendig sind. Das heißt es mangelt an gemeinsamen Interessen.

73 Vor Katrina war in der Stadt nur noch das Unternehmen Fortune 500 angesiedelt. (Burns, Thomas 2006) 74 Es formierten sich beispielsweise Nachbarschaften, Stadtregierung und Polizei gegen das Ausmaß an Kriminalität in den 1990er Jahren, jedoch mit wenig Erfolg. (Burns, Thomas 2006: 520)

187

Ein geteiltes Verständnis in Bezug auf städtische Probleme und angemessene Lö- sungen existiert nicht und ein Konsens für eine gemeinsame politische Agenda wird verhindert. Diese kurzzeitigen Partnerschaften waren vor Katrina in New Or- leans weit entfernt von langfristigen Koalitionen in typischen Regimen. Das New Orleans in der Zeit vor Katrina hatte also nach Burns und Thomas (2006) weder eine gemeinsame Agenda, noch eine führende Koalition, Ressourcen oder ein Ko- operationsschema, um als Regime bezeichnet zu werden. (Burns, Thomas 2006) Nach Burns und Thomas (2006) bringen diese Eigenschaften, die eine Handlungs- fähigkeit in New Orleans gehemmt haben, die Stadt – wie auch andere nonregime cities mit diesen Eigenschaften – in eine prekäre Lage nach einem Ereignis wie Hurrikan Katrina. (Burns, Thomas 2006: 517–518) Demnach ist eine Katastro- phenbewältigung in nonregime cities im Vergleich zu Städten mit einem derartigen regime „schwieriger“. Ein Mangel derartiger Eigenschaften eines Regimes erklärt nach Burns und Thomas Fehler der Lokalregierung in Bezug auf die Bewältigung der Folgen von Katrina. (Burns, Thomas 2006) Insgesamt wird deutlich, dass lo- kalpolitische Strukturen und Eigenheiten aus der Zeit vor Katrina durch den Sturm sichtbar wurden und sich durch die Katastrophe verstärkten. (vgl. Teil B Katastro- phenbewältigung)

In diesem Unterkapitel (2.3) hat sich gezeigt, dass die städtischen Probleme mit denen New Orleans bereits vor Katrina konfrontiert war, zu einem Großteil Aus- druck eines sozialen Systems sind und auf gesellschaftskulturellen Spielregeln basieren, die über die Geschichte hinweg die Entwicklung der Stadt prägten und gesamtgesellschaftlich nicht überwunden werden konnten.

2.4 Zwischenfazit: Überlokal und lokal – Beharrungsvermögen und Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit

Die Rahmenbedingungen der Stadtentwicklungspolitik von New Orleans vor Kat- rina zeichnen sich durch den Einfluss lokaler sowie überlokaler Kräfte der Stadt- und Stadtentwicklungspolitik aus. Als Folge von Deindustrialisierung schlugen sich in New Orleans – wie für westliche Industrienationen typisch – überlokale Tendenzen von Globalisierung, die durch eine hohe Kapitalmobilität gekennzeich-

188 net war, und Tendenzen der Dezentralisierung staatlicher Aufgaben auf lokaler Ebene nieder, da die Stadt in das US-amerikanisch föderale System eingebettet ist. Bekannt als New Federalism und dem damit verbundenen Rückzug des Bundes aus der Stadtpolitik veranlasste Städte umso mehr ihren Standort im internationalen Städtewettbewerb und das ökonomische Wachstum der Stadt mithilfe neuer For- men städtischer governance (entrepreneurial city) zu stärken um die lokale fiskale Basis durch entsprechende Steuereinnahmen zu sichern und in diesem Sinne auch die vormaligen Bundeseinnahmen auszugleichen.

Die Ebene des Bundesstaates kann vor diesem Hintergrund als „Schaltstelle“ zwi- schen Bund und Stadt interpretiert werden, die um die finanzielle Gunst des Bun- des bemüht ist und gleichzeitig den politischen und finanziellen Rahmen für die Stadtpolitik vorgibt, so dass gar von „abhängigen Städten“ die Rede ist, die versu- chen, in adäquater Weise zumindest eine städtische Grundversorgung sicherzustel- len. Die parteipolitische Färbung der Regierungspartei von Bund, Bundesstaat und Lokalregierung beeinflusst selbstverständlich stark die Art und Intensität der Zu- sammenarbeit der föderalen Politik. New Orleans ist in diesem Zusammenhang als Demokratenhochburg in Louisiana und im Süden der USA bekannt. Überlokales „politisches Desinteresse“ an Städten (Dreier 2006) wird für die Notlage vieler Städte verantwortlich gemacht. Städte wurden also über Jahrzehnte hinweg von der US-amerikanischen Bundesregierung vernachlässigt bis sich US-Präsident Barack Obama zumindest rhetorisch für eine finanzielle und partnerschaftliche Stärkung der Städte und Stadtregionen einsetzte. Als Reaktion auf den steten Rückzug der Bundesregierung aus der Stadtpolitik wird lokalpolitisch auf niedrige Steuern, ag- gressive Bemühungen um wirtschaftliche Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit gesetzt beziehungsweise auf eine gegenüber Kontinentaleuropa starke Förderung der Marktkräfte und auf niedrige Aufwendungen für die Sozialpolitik. Das spiegelt stadtpolitische Trends westlicher Industrienationen um die Jahrtausendwende wi- der.

US-amerikanischen Städten mangelt es aber bereits verfassungsmäßig an lokaler Autorität und damit auch fiskaler Unabhängigkeit, was ihre Entwicklung stark von privatwirtschaftlichen Ansiedlungsentscheidungen abhängig macht. Sie streben daher nach einer Wachstumspolitik, die durch Koalitionsbildung mit der Privat-

189 wirtschaft charakterisiert ist (vgl. Wachstumsmaschinen von Molotch 1976) und durch die sich räumliche Entwicklungsmuster verändern. Diese städtischen Koali- tionen von lokalem Staat und Privatwirtschaft bezeichnen ein Regime, das sich durch eine informelle, aber relativ stabile Gruppe von Akteuren auszeichnet, die über einen Zugang zu Schlüsselressourcen verfügt und durch welche politische Entscheidungsprozesse maßgeblich mitbestimmt werden können (vgl. Stoker 1995). Stadtpolitisches Handeln wird somit teilweise nur bei strategischer Kopp- lung von Ressourcen unterschiedlicher Akteursgruppen möglich (vgl. regimetheo- retischer Ansatz von Stone 1989, 1993). Eine nonregime city dagegen habe keine nachvollziehbare gesamtstädtische Zielvorstellung, ist abhängig von themenbezo- genen (statt stabilen) Koalitionen und verwende Ressourcen ineffektiv (vgl. Burns, Thomas 2006); für Burns und Thomas (vgl. 2006) ein politökonomischer Ansatz, um Krisen zu erforschen, so auch in Bezug auf New Orleans, eine Stadt, die die Autoren den regimeless cities zuordnen. Insgesamt ist von Interesse, wie „ange- sichts des ökonomischen Wandels und der politischen Fragmentierung der Stadtge- sellschaften überhaupt Handlungsfähigkeit zustande“ kommt (Häußermann, Läpple 2008: 349; vgl. urban governance).

Die Sphäre der Zivilgesellschaft beeinflusst traditionell die Steuerung städtischer und regionaler Entwicklungen in der US-amerikanischen lokalen Stadtpolitik viel- fältig. Neben sogenannten Nonprofit-Organisationen und bürgerschaftlichen Inte- ressensgruppen sind dieser Sphäre auch Stiftungen und Philanthropen, Think Tanks sowie Verbände oder Vereine zuzuordnen, wodurch Heterogenität und Vielfalt entsteht. Im Verhältnis zum Staat haben zivilgesellschaftliche Akteure Funktionen inne, die historisch jeweils unterschiedlich ausgeprägt sind (supplementary, com- plementary, adversarial) (vgl. Young 1999). Nach Schönig (2007) tragen zivilge- sellschaftliche Organisationen nicht nur dazu bei, „herrschende Politiken mehr- heitsfähig zu machen. Sie sind auch eine Sphäre, [in der] potentielle Alternativen zu herrschenden Politiken entstehen.“ (Schönig 2007: 139; vgl. Hirsch 1999) Nur ein kleiner Teil der zivilgesellschaftlichen Akteure ist im Politikfeld der Stadt- und Regionalentwicklung von Bedeutung. Reformansätze zivilgesellschaftlicher Orga- nisationen werden eher auf der Quartiersebene sichtbar, da dadurch eine Politik innerstädtischer Wirtschaftsförderung grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird, die von Akteurskoalitionen des politisch-administrativen Systems und privaten

190

Unternehmen dominiert werden. Zivilgesellschaftliche Einflussnahme auf stadtpo- litischen „Nebenschauplätzen“ ist also möglich (Altrock 2007; Hoffmann 2008). Bei zivilgesellschaftlicher Aktivität unmittelbar nach urbanen Katastrophen geht es weniger um eine reformerische Tätigkeit, sondern darum unterstützend die Not- und Grundversorgung sicherzustellen. Längerfristig sind aus stadtentwicklungspo- litsicher Sicht zivilgesellschaftliche Akteure insbesondere in Leitbilddebatten auf lokaler Ebene integriert. Zur Forschung, inwiefern große externe zivilgesellschaft- liche Organisationen in Leitbilddebatten auf lokaler Ebene eine Rolle spielen und wie möglicherweise dadurch Institutionen staatlicher Planung verändert werden können, soll auch diese Arbeit durch die Betrachtung der Stadtentwicklungspolitik in New Orleans nach Hurrikan Katrina einen Beitrag leisten.

Zu den äußeren Rahmenbedingungen zählt also, dass New Orleans wie viele US- amerikanische Städte über Jahrzehnte von Bund und Bundesstaat „vernachlässigt“ wurde, gleichzeitig aber vom Bundesstaat formal und real abhängig ist. Zu den Rahmenbedingungen der Stadtentwicklungspolitik in New Orleans vor Ort gehören vor Katrina zudem starke – für viele deindustrialisierte Städte typische – ökonomi- sche und soziale Problemlagen in der Stadt, trotz einer für US-amerikanische Ver- hältnisse einzigartigen Kultur, eine schwache Lokalregierung und ein historisch gewachsenes soziales System des „Drinnen“ und „Draußen“, das den gesell- schaftskulturellen Hintergrund dieser Rahmenbedingungen darstellt. Im Unter- schied zu anderen US-amerikanischen Städten wurde in New Orleans der Zugang zu Machtstrukturen und die Zugehörigkeit zum Establishment durch die „Blutlinie“ bestimmt und hing nicht von Leistung und/oder finanziellem Erfolg ab, so dass ein stark diskriminierendes soziales System entstand, in dem die Mehrheit der Ein- wohnerschaft von New Orleans von einer umfassenden sozialen Teilnahme aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder ökonomischen Umständen ausge- schlossen wurde. (Toledano 2007: 32) Eine neue afroamerikanische lokalpolitische Machtelite ab den 1970ern Jahren spiegelte die Folgen dieses Systems in New Or- leans wider: Politische Möglichkeiten wurden ergriffen, die Vergeltung ausdrück- ten. So wurden Steuergelder, die für längst überfällige Infrastrukturleistungen hät- ten eingesetzt werden müssen, nicht selten unterschlagen. Die Stadt wurde so für ihre städtische und stadtpolitische Disfunktionalität vieler politischer Handlungs- felder und ihrer Misswirtschaft und Korruption bekannt, was wiederum wachsen-

191 des politisches Misstrauen von Bundesstaat und Bund gegenüber New Orleans’ Lokalpolitik mit sich brachte und somit einen schlechten Stand der Stadt bei Bund und Bundesstaat zur Folge hatte. Das fiel nach Hurrikan Katrina auf New Orleans in einer Katastrophensituation zurück.

Vor dem Hintergrund der Fragestellung nach Bedingungen, die lokale Reformfä- higkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren, deutet sich folgendes an: Von Beharrlichkeit ist vor allem bei strukturellen, historisch gewach- senen und stark verwurzelten Rahmenbedingungen, die in der Zeit vor Katrina deutlich wurden, auszugehen. Dazu zählen im Bereich der politisch- administrativen Strömung der formal föderale Einfluss auf die lokale Ebene von Bund und Bundesstaat (strukturell) und das überlokal politische Desinteresse sowie und individuelles Misstrauen der jeweiligen Regierungspartei in die lokale Ebene (stark verwurzelt). Zu den Rahmenbedingungen, die lokal in New Orleans vor Kat- rina beharrlich auftraten, sind die ökonomische und soziale Problemlage in der Stadt (strukturell), eine trotz einer für US-amerikanische Verhältnisse einzigartigen Kultur (historisch gewachsenen) und ein diskriminierendes soziales System, das für städtische und stadtpolitische Disfunktionalität vieler politischer Handlungsfelder mitverantwortlich ist (stark verwurzelt), zu zählen.

Zu den Hinweisen auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockie- ren, zählt im Rahmen der politökonomischen Strömung, die Erkenntnis, dass ein Regime durch die Kopplung von Ressourcen handlungsfähig wird. New Orleans wird aber vor Katrina als nonregime bezeichnet, ohne nachvollziehbare gesamt- städtische Zielvorstellung, abhängig von themenbezogenen (statt stabilen) Koaliti- onen und ineffektiver Verwendung von Ressourcen. Im Rahmen der zivilgesell- schaftlichen Strömung wurde Handlungsfähigkeit mit Veränderungspotential deut- lich (Mehrheitsfähigkeit von und potentielle Alternativen zu herrschenden Politiken herstellen), vor allem aber auf Quartiersebene, auf stadtpolitischen „Nebenschau- plätzen“ und in Leitbilddebatten. Zu den Rahmenbedingungen, die lokal in New Orleans vor Katrina als variabel interpretierbar sind, zählen eine schwache Lokal- regierung, eine Disfunktionalität von stadtpolitischen Handlungsfeldern durch Misswirtschaft und Korruption, was wachsendes überlokales politisches Misstrau- en mit sich brachte.

192

C I.3 Stadtentwicklungspolitik und Stadtplanung vor Hurrikan Katrina

Aufbauend auf überlokale und lokale Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung in New Orleans (C I.2), erfolgt nun ein Einblick in Stadtentwicklungspolitik und - planung in erster Linie vor Katrina um den Kontext der Prozesse um die Entwick- lung eines recovery plan und weitere Planungen nach Katrina, auf die im Teil D eingegangen werden wird, aufzuzeigen. Tendenziell zeigt sich dabei, dass in der stadtpolitischen Prioritätensetzung in New Orleans eine Innenstadtentwicklung einer Quartiersentwicklung vorgezogen wird und damit New Orleans einem natio- nalen stadtentwicklungspolitischen Trend folgt. Nachfolgend wird demnach auf den Fokus der Stadtentwicklungspolitik vor Katrina (C I 3.1) eingegangen und ansschließend aufgezeigt, welche Handlungsbereiche vor Katrina gesamtstädtisch vernachlässigt wurden (C I 3.2). Abschließend wird auf die Ausführung der Pla- nungsaufgabe in New Orleans vor Katrina an sich eingegangen (C I 3.3), die in der Zeit vor Katrina einen schwachen stadtpolitischen Stellenwert von Planung auf- zeigt. Auch in diesem Kapitel sollen somit Hinweise auf Bedingungen, die Re- formfähigkeit forcieren und blockieren, herausgearbeitet werden.

3.1 Stadtentwicklungspolitisch forciert

Als Reaktion auf stadtpolitische Rahmenbedingungen wie Globalisierung und De- zentralisierung (vgl. C I 2.1) hat sich die Stadtentwicklungspolitk im Rahmen des internationalen Städtewettbewerbs neu ausgerichtet. In diesem Zusammenhang haben sich auch neue institutionelle Formen von Urban Governance herausgebil- det:

Stadtentwicklungspolitik fokussiert sich auf Planung durch Projekte in der Innen- stadt: Die Wettbewerbspolitik der Städte hat in den westlichen Industrienationen „räumliche Muster ungleicher wirtschaftlicher Entwicklung hervorgebracht, die auf die Fähigkeit der Städte zurückgehen, Investitionen in neuen Wirtschaftssektoren anzuziehen“ (Altrock 2003: 169–170). Das Politikfeld der Stadtentwicklung mit seinen Sanierungs-, Erneuerungs- und Städtebaupolitiken ist neben der Arbeits- marktpolitik und der lokalen Wirtschaftsförderung „zu einem zentralen Pfeiler

193 städtischer Politik geworden“ (Heeg 2008: 53). Dabei sind Stadtzentren mit an- grenzenden brach gefallenen Industrieanlagen für (Finanz-)Dienstleistungen, Kul- tur und Fremdenverkehr bedeutend geworden (DiGaetano, Lawless 1999; Ward 1997), die von einer Bewohnerschaft aus der oberen Mittelschicht, Touristen und einen steuerkräftigen Unternehmertum genutzt werden sollen, um das städtische Wachstum zu fördern. Strategien der Innenstadt- oder Zentrumsrevitalisierung und der Abriss von sozialem Wohnungsbau vor allem in innenstadtnahen Gebieten werden vor diesem Hintergrund verstärkt verfolgt.

Urban Governance: Der lokale Staat agiert aufgrund dieser Knappheit von Res- sourcen seit den 1980er Jahren mit „neuen institutionellen Formen von governance wie etwa Partnerschaften oder korporatistischen governance-Formen“ (Altrock 2003: 170; vgl. Judd 2000). Informelle Arrangements zwischen dem politisch- administrativen System und privaten Akteuren, die über Schlüsselressourcen ver- fügen, sind in diesem Sinne notwendige Mechanismen, von denen beide Seiten profitieren (Stone, Sanders 1987; Stone 1989; Burns, Thomas 2006: 518). Tenden- ziell verteilen sich die politischen Einflussmöglichkeiten auf unterschiedliche Ak- teure. In vielen Städten kontrollieren Unternehmenseliten Investi- tionsentscheidungen um das lokale Wachstum zu fördern. Die Stadtpolitik kann im besten Falle dafür Anreize schaffen und die Prozesse koordinieren (Judd 2000: 957). Die Bildung von Wachstumskoalitionen auf lokaler Ebene hat auch in Stadt- entwicklungsprozesse Eingang gefunden. Die Ausformungen der Koalitionen sind in den Städten unterschiedlich.

Städte gestalten ihre Stadtentwicklung vor diesem Hintergrund aufgrund von poli- tischen, historischen und kulturellen Besonderheiten unterschiedlich „erfolgreich“ und verfolgen demnach verschiedene Strategien, um im Städtewettbewerb zu be- stehen. So ist nicht nur im US-amerikanischen stadtentwicklungspolitischen Kon- text eine strategische Ausrichtung der Stadtpolitik auf klassische Großereignisse (Festivals, Großveranstaltungen) auszumachen, die als Politik der Festivalisierung bezeichnet wird. Als weitere Strategie wird eine Festivalisierung der Politik deut- lich, die sich durch die strategische Konzentration der Stadtpolitik auf Projekte im innerstädtischen Bereich mit Aufmerksamkeitspotential auszeichnet, um ebenfalls Tourismus und Investitionen zu fördern sowie einkommensstarke Bewohnerschaf-

194 ten anzuziehen. Letzteres wird in der Literatur auch als „Kulturelle Strategien der Stadtpolitik“, „Tourismuspolitik“ oder „Kulturelle Ökonomie“ bezeichnet. Ziele, räumliche Ausprägungen (z.B. Schaffung von entertainment destinations) und „Nebenwirkungen“ (gentrification, „Vergessen“ alltäglicher Politikaufgaben) sind ähnlich. „In Situation wirtschaftlicher Deindustrialisierung nutzen […] viele Städte den Strohhalm eines kulturellen Revivals. [Unter anderem werden] die überregio- nale Ausstrahlung herausragender Architektur und stadtentwicklungspolitische Visionen […] eingesetzt, um wissensbasierte und generell unternehmensorientierte Dienstleistungen zur Ansiedlung zu bewegen.“ (Heeg 2008: 56) Diese stadtent- wicklungspolitischen Strategien wurden in westlichen Industrienationen – so auch in den USA – spätestens seit den 1980er Jahren angewandt und wurden von Städ- ten weltweit wie zum Beispiel in Lateinamerika aufgegriffen.

3.1.1 Lokales ökonomisches Wachstums fördern: Zentrumsrevitalisierung und Großprojekte in New Orleans vor Hurrikan Katrina

Die Stadtentwicklungspolitik in New Orleans war vor Katrina geprägt von Projek- ten mit Aufmerksamkeitspotential im innerstädtischen Bereich, um Investitionen anzuziehen, den Tourismus zu fördern sowie um einkommensstarke Bewohner- schaften zu werben (vgl. C I 2). Als ökonomische Entwicklungsprojekte, wie sie auch genannt werden, gelten der Bau von Sportstätten und Konventioncentern in Innenstädten, die zu ökonomischem Wachstum beitragen sollen. Das Stadtzentrum und die angrenzenden brach gefallenen Industrieanlagen sind spätenstens seit den 1980er Jahren für die Sektoren der (Finanz-)Dienstleistungen, Kultur und Frem- denverkehr bedeutend geworden: So wurden bereits in den 1950er und 1960er Jah- ren in New Orleans sogenannte Redevelopment Projekte durch die öffentliche Hand und den privaten Sektor realisiert, die in einer Revitalisierung von Downtown New Orleans mündeten (Burns, Thomas 2006; vgl. Perry 15.02.2017). In den 1970er Jahren wurden in der Innenstadt von New Orleans Projekte realisiert, die als eine Reaktion auf den weltweiten wirtschaftlichen Strukturwandel interpretiert werden und als tourisitische Anziehungspunkte bekannt wurden (Louisiana Superdome, Riverfront Mall, Ernest N. Morial Convention Center, Aquarium of the Americas etc.) (Gotham 2007: 831). Auch die Aufwertung des öffentlichen Raumes durch die Umgestaltung der Ufer- und Hafenzone begann. So wurde die Zugänglichkeit

195 zum Mississippi durch die innerstädtische Promenade Moonwalk geschaffen (Hammer 24.02.2009).75

Der Bundesstaat Louisiana, respektive der damalige Gouverneur des Bundesstaates hat die Realisierung von Großprojekten gefördert und somit zur Zentrumsrevitali- sierung beigetragen. In den 1970er Jahren sind mithilfe von Bundesmitteln zwei Großprojekte der Stadt gefördert worden. In den 1980er Jahren wurden mithilfe sogenannter Urban Development Action Grants zum Teil eine Ausstellungshalle, eine Einkaufsmall in der Innenstadt und die Uferpromenade entwickelt (Whelan 1989). In den 1990ern wurden zwei weitere bedeutende wirtschaftliche Entwick- lungsprojekte vorangetrieben, bei denen der Gouverneur eine große Rolle spielte: Am Rande des Touristenviertels French Quarter wurde ein Kasino gebaut. Zudem bemühte sich der Gouverneur darum, dass eine Spiellizenz der National Basketball Association (NBA) an New Orleans vergeben werde. Denn der Bundesstaat hatte die Sportstätte New Orleans Arena, heute als Smoothie King Center bekannt, ge- baut und demnach auch finanziert. Im Frühjahr 2001 hat eine Koalition aus Gou- verneur Foster, seinem Stabschef Steven Perry, Bürgermeister Morial und Unter- nehmen, versucht, den Eigentümer von Vancouver NBA zu überzeugen mit seinem Team nach New Orleans zu ziehen. Durch die neu gebaute Sportstätte New Or- leans Arena war die Stadt für das NBA Team attraktiv. Letzendlich entschied sich das Management der Mannschaft jedoch für die Stadt Memphis, da dort Sponso- rengelder geboten wurden; private Ressourcen, die in New Orleans nicht zur Ver- fügung standen. (Burns, Thomas 2004: 802)

75 An diesen Projekten war auch der damalige Bürgermeister, Maurice Edwin „Moon“ Landrieu, stark involviert. Er war der 56. Bürgermeister von New Orleans (1970-1978) und war zudem beteiligt and der Planung und dem Bau des Louisiana Superdome, der Piazza d’Italia und anderen Projekten, die die wirrtschaftliche Kraft der Stadt verbessern sollten. Er befürwortete die Gründung des Downtown Development District, der zur Revitalisierung des Central Business District von New Orleans beitra- gen sollte und förderte stark den wachsenden Tourismussektor der Stadt. Neben dem Bau der Ufer- promenade Moon Walk in der Nähe des French Quarter und dem Louisiana Superdome wurde in seiner Amtszeit der French Market und der Jackson Square aufgewertet. Kritiker geben vor, dass seine Schirmherrschaft dieser Entwicklungsprojekte seinen Wahlkampfspendern unverhältnismäßig unterstützte, insbesondere seinen politischen Verbündeten, die für die Kontrolle der Superdome Ser- vices, Inc. zuständig waren. (vgl. Hirsch, Logsdon 1992; Perez 1996)

196

Der Bau des Kasinos Harrah’s ist von besonderer Bedeutung, da die Motivation überlokaler Akteure wie die des Gouverneurs deutlich wird. Die Bemühungen um das Kasino Harrah’s begannen 1992 und 1999 wurde es eröffnet. Lokale Akteure von New Orleans hatten nicht die öffentlichen und privaten Ressourcen, um diesen Projekttyp zu finanzieren. (Burns, Thomas 2004: 796) Lokalen Akteuren standen aber andere Ressourcen zu Verfügung, die der damalige Gouverneur Edwards brauchte, um seine Vision von einem Kasino realisieren zu können. So wurden auf lokaler Ebene von New Orleans Planungs- und Flächennutzungsänderungen ge- macht, um das Kasino-Projekt voranzutreiben. Gouverneur Edwards und der Spre- cher des Louisiana House of Representative ließen einen Gesetzentwurf zu einem gambling bill (Glücksspielgesetz) ausarbeiten und steuerten den Gesetzgebungs- prozess. Der Senat von Louisiana stimmte dem Gesetz zu und der Gouverneur er- hielt bedeutende Kontrolle über die Glücksspielangelegenheiten. (Burns, Thomas 2004: 798) Zwar hatten Gouverneur Edwards und der damalige Bürgermeister von New Orleans Barthelemy keine enge Arbeitsbeziehung. Aber wie es typisch für Regime ist, formten diese Koalitionsakteure eine Arbeitsbeziehung, weil beiden Seiten Ressourcen zur Verfügung standen, die jeweils der andere brauchte. (Burns, Thomas 2004: 799) Bürgermeister Marc Morial (1994-2002) setzte das Projekt fort.76 Die Untersuchung großer ökonomischer Entwicklungsprojekte in New Or-

76 Bei dem Projekt ging es vor allem um die Schaffung von Arbeitsplätzen und um Steuereinnahmen. Ein bundesstaatliches Gesetz (Louisiana Gaming Control Law) von 1996 erlaubte es „to renegotiate the provisions of any casino operating contract of a casino that is voluntarily or involuntarily placed in bankruptcy“ (Burns, Thomas 2004: 800). Dadurch konnten Verträge zwischen der öffentlichen Hand (Bundesstaat, Stadt) und dem privaten Betreiber eines Kasinos verändert werden. So unterstütz- te die Handelskammer öffentlich Gouverneur Foster, Nachfolger von Edwards, den Vertrag mit dem Kasino Harrah's zu verändern. Die Kammer argumentierte beständig, dass Bundesstaat und Stadt nicht auf die Arbeitsplätze und Einnahmen bestehen sollten, die vom Casino versprochen wurden. (Burns, Thomas 2004: 801): Nachdem das Casino geöffnet wurde, setzte sich die Mitwirkung von Gouverneur Foster fort, um sicherzugehen, dass Harrah's in Betrieb bleiben würde. Im August 2000 hat die New Orleans Regional Chamber of Commerce den Gouverneur aufgefordert, Harrah's jährli- che Zahlungen von einhundert Millionen US-Dollar zu verringern, da das Casino mehr als achtzig Millionen US-Dollar an Lohnzahlungen und Leistungen zur regionalen Wirtschaft beitrage. Zunächst hatte es Gouverneur Foster abgelehnt, Steuererleichterungen zu unterstützten, aber dann wollte er keine Arbeitsplätze riskieren und die gesamten einhundert Millionen US-Dollar verlieren. Ein Drei- jahresvertrag wurde ausgehandelt, der vorsah, dass der Bundesstaat im ersten Jahr sechzig Millionen US-Dollar erhält und in den nächsten beiden Jahren fünfzig Millionen US-Dollar oder 21,5 Prozent der Glücksspieleinnahmen. Gouverneur Foster hat den Vertrag noch mit einer Erhöhung der Löhne für Lehrer verbunden. Später hat Bürgermeister Morial den Vertrag mit dem Casino nochmals geän- dert, so dass Harrah's fünf Millionen weniger an jährlichen Abgaben an die Stadt zahlen musste. Das

197 leans zeigte laut Burns und Thomas (2004), dass Gouverneure ein Mangel an Res- sourcen und Unternehmen auf lokaler Ebene, der Wettbewerb mit anderen Bundes- staaten und die politische Abwägung motiviert in einem lokalen städtischen Re- gime mitzuwirken. (Burns, Thomas 2004: 791–792)

3.1.2 Großereignisse und Tourismus vor Hurrikan Katrina: French Quarter und Downtown als Tourismusmagneten

Wenn sich Stadtpolitik auf klassische Großereignisse (Festivals, Großveranstaltun- gen) konzentriert, wird lokalpolitisch eine Politik der Festivalisierung verfolgt (vgl. C I 3.2). Diesem Trend folgte auch New Orleans vor Katrina: Im historischen Alststadtviertel French Quarter, dem Gründungsort von New Orleans, wird seit Jahrzehnten vor Katrina mit dem Erhalt der historischen Bausubstanz als Standort- faktor geworben und eine stadträumliche Aufwertung vorangetrieben (Als Instru- ment wurden historic tax credits eingesetzt.). Die Mietpreise stiegen zusehends und ein Prozess der Gentrifizierung setzte ein (Gotham 2005; vgl. Gladstone, Preau 2008). Diese stadträumliche Aufwertung wird durch eine starke Fremdenverkehrs- orientierung ergänzt: Branding- und Marketingstrategien für den Tourismusstand- ort New Orleans werden verstärkt seit den 1980er Jahren verfolgt. (Gotham 2007: 836) Die Stadt New Orleans betrieb also eine Stadtentwicklungspolitik, die be- stimmte städtische Räume förderte; eine Tendenz die sich nach Katrina verstärkte (vgl. C II 2.2).

Der Kultur- und Musiksektor mit einerseits großmaßstäblichen Musikereignissen und andererseits dem informellen Musiksektor gehört zu den Hauptstützen des Tourismus. Festivals wie das Jazz Fest, French Quarter Festival oder der Karneval mit dem Mardi Gras gelten bereits vor Katrina als wichtiger Standortfaktor in New Orleans. 2004 brachte der Tourismus 4,9 Milliarden US-Dollar in die Stadt ein; nach Katrina 2006 ist die Zahl auf 2,9 Milliarden US-Dollar eingebrochen. 2004 besuchten mehr als zehn Millionen Menschen die Stadt; nach Katrina 2006 waren es 3,7 Millionen Besucher. (New Orleans Convention and Visitors Bureau Park

City Council stimmte Veränderungen im Bebauungsplan zu, so dass Harrah's ein Hotel bauen und das Areal für sogenannte food services erweitern konnte. (Burns, Thomas 2004: 801)

198

05.08.2007) Trotz der Katastrophe nach Katrina sind die Besucherzahlen und die Einnahmen jährlich wieder kontinuierlich angestiegen (vgl. C II 2.2.3).

New Orleans verfolgte also vor Katrina eine ähnliche Strategie wie andere US- amerikanische Städte, die sich im Wettbewerb zu anderen Standorten sahen: Die Politik der Festivalisierung und die Festivalisierung der Politik bestimmte den stadtentwicklungspolitischen Alltag – aus Mangel an finanziellen Ressourcen auf- grund von Deindustrialisierung, Globalisierung und den Folgen des New Federa- lism. Die Krux im Falle New Orleans` ist aber nun, dass sich alle stadtpolitischen Kräfte vornehmlich auf diese Handlungsfelder (Zentrumsrevitalisierung, Großpro- jekte und Tourismus) konzentriert hatten und andere Handlungsfelder der Stadt- entwicklung in der Gesamtschau „vernachlässigt“ worden waren: Zwar investierte die Stadt – als ein Indikator - auch schon vor Katrina mithilfe von Bundesmitteln, sogenannten Community Development Block Grants, in Quartiere und Nachbar- schaften, um zu Revitalisierungen von Nachbarschaften beizutragen, die von Ver- fall bedrohnt waren, und um die soziale und technische Infrastruktur aufrecht zu erhalten. Dennoch litt die Stadt vor Katrina an ihrer Disfunktionalität in Bezug auf den sozialen Wohnungsbau und die technische und soziale Infrastruktur. In Folge dessen breitete sich in Nachbarschaften von New Orleans seit den 1960er Jahren zunehmend städtischer Verfall aus. Auf diese Bereiche, die stadtentwicklungspoli- tisch bedeutende Handlungsfelder darstellen, wird nachfolgend beispielhaft einge- gangen.

3.2 Stadtentwicklungspolitisch vernachlässigt

Die American Planning Association (APA) hat in ihrer Recherche zum Status Quo der Planung in New Orleans in Bezug auf den in Erarbeitung befindlichen Master- plan von 1995 (vor Katrina) darauf hingewiesen, dass vier Masterplanelemente noch hätten erarbeitet werden sollen: Wohnraum, städtische Einrichtungen und Infrastruktur, Umgang mit Naturgefahren und Umwelt. Ironischerweise seien das auch die städtischen Themen gewesen, die zu den größten Problemen der Stadt gehörten, so dass diese Handlungsfelder im Vordergrund des post-Katrina recovery processes standen, so die APA. (American Planning Association 11.2005: 14) Ein

199 besonderes Augenmerk wird nachfolgend auf das Handlungsfeld Wohnraum und die Verfallsprobleme der Stadt aufgrund einer überdurchschnittlichen Sichtbarkeit im Stadtraum gelegt; eine Sichtbarkeit, die das Stadtbild auch stark nach Katrina prägte.

3.2.1 Public Housing und Wohnraumentwicklung vor Hurrikan Katrina

Wohnraum gehörte in New Orleans laut APA zu den kritischen stadtentwicklungs- politischen Handlungsfeldern vor Hurrikan Katrina. In diesem Zusammenhang sind vor allem der soziale Wohnungsbau, die Situation des Mietwohnungsmarktes und des leerstehenden Wohnraums (blight) von besonderer Bedeutung. Auf diese Fel- der wird nachfolgend kurz eingegangen, um Tendenzen der Stadtentwicklung vor Katrina deutlich zu machen. Denn diese Tendenzen verstärkten sich durch die Fol- gen von Hurrikan Katrina und stellen somit den Hintergrund der Prozesse um die Entwicklung eines sogenannten Planwerks zum Wiederaufbau nach Hurrikan Kat- rina dar; Prozesse, die im Hinblick auf Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit analysiert werden (Teil D).

Vor Hurrikan Katrina zeichnete sich die Metropolenregion von New Orleans durch demographische Eigenschaften aus, die in urbanen Gebieten in den USA weit ver- breitet sind: eine Konzentration von Armut und Einwohnern mit einem niedrigen Einkommen im Stadtkern, eine anhaltende Verlagerung von Arbeitsplätzen in die Region und eine Abwanderung der Mittel- und Oberschicht in Vorortgebiete der Stadt, die sich mittlerweile immer weiter in die Stadtregion ausbreiten. Auch die „inneren Ringe“ der ersten Suburbanisierungswellen weisen mit der Zeit unter anderem sozialräumliche Probleme auf. Die Probleme, die Muster der Suburbani- sierung mit sich bringen, sind weitesgehend bekannt. Sie umfassen eine negative Wirkung auf die Lebensqualität in Städten und eine größere Belastung sowie rück- läufige Steuerbemessungsgrundlage für die Stadtregierung. Das begrenzt Möglich- keiten einer stadtpolitischen ökonomischen Förderung und das Angebot von Ar- beitsplätzen korrespondiert nicht mit dem Angebot bezahlbaren Wohnraums auf der regionalen Ebene. (Bureau of Governmental Research 2007: 1) Vor Hurrikan Katrina betrug der Anteil staatlich subventionierter Mieterhaushalte in der Stadt New Orleans zwei Drittel in Bezug auf die Region. Allerdings lebte in New Or-

200 leans nur ein Drittel der regionalen Gesamtbevölkerung. (Bureau of Governmental Research 2007: 1) So wurde New Orleans auch als Mieterstadt bezeichnet; unge- wöhnlich für die USA, in der ein ausgeprägter Hang zum Eigentum Stadt und Re- gion prägen. In New Orleans lebten vor Katrina mehr als achtzig Prozent der Haushalte der Region im sozialen Wohnungsbau. In Jefferson Parish, einem Land- kreis mit einer äquivalenten Bevölkerungsanzahl, waren es nur neun Prozent. In St. Tammany Parish, einem Landkreis mit etwa der Hälte der Einwohner von New Orleans, waren es drei Prozent. (Bureau of Governmental Research 2007: 1)

Vor Katrina gab es stadtweit zehn Wohnkomplexe des Sozialen Wohnungsbaus in New Orleans. Dabei handelt es sich um städtische Quartiere mit fast 8.000 Woh- nungen, die mehrere Straßenblöcke umfassen. Zwei Komplexe wurden durch die Folgen von Katrina komplett zerstört. Die übrigen überstanden den Sturm, darunter auch The Big Four. Diese sogennannten housing projects, lokal auch nur projects genannt, waren von Familien über Generationen bewohnt, aber auch gekennzeich- net durch eine hohe Arbeitslosenquote und eine hohe Kriminaliätsrate – eine Kata- strophe, so Nossiter, die von den Verantwortlichen über lange Zeit ignoriert wurde: „Housing projects were a disaster also. Habited for generations by the same fami- lies, with a huge amout of unemployment and of crime – just ignored the disaster.” (Nossiter 25.09.2008)

New Orleans hat als erste Stadt in den USA Elendsviertel abgerissen und in den 1940er und 1950er Jahren und bis in die 1960er Jahre hinein Public Housing En- sembles unter dem Wagner Act des Bundes gebaut, um für eine „hart arbeitende Arbeiterklasse adäquaten Wohnraum zu schaffen“ (Gilmore 29.02.2012). Im Janu- ar 1941 wurde das erste Public Housing Development mit dem Namen Magnolia fertig gestellt. Innerhalb eines Jahres wurden in New Orleans 4.137 public housing- Wohneinheiten an Afroamerikaner in Magnolia, später C.J. Peete und Calliope, später B.W. Cooper und Lafitte vermietet. Für weiße Familien standen die Wohn- viertel St. Thomas und Iberville zur Verfügung. St. Bernard, ein weiterer Wohn- komplex für Afroamerikaner, wurde 1942 und 1953 geöffnet. Florida – für weiße Bewohner – öffnete 1946 mit 734 Wohneinheiten. Der Bestand der Wohnungsbau- behörde von New Orleans (Housing Agency New Orleans, HANO) hat sich zwi- schen 1950 und 1960 verdoppelt, als die Behörde 2.000 weitere Wohnungen bei

201 der Erweiterung von St. Thomas, Calliope und Magnolia baute. 1956 öffnete HANO den größten Wohnkomplex in der Stadt unter dem Namen Desire, der 262 Gebäude umfasste und 1.860 Wohnungen an afroamerikanische Familien vermiete- te. In der nächsten Dekade hat HANO den Hausbestand mit 1.002 Wohnungen im William J. Fischer-Komplex in Algiers erweitert und zusätzliche 1.000 Wohnun- gen in Central City im Ensemble Meldpomene, der später in Guste umbenannt wurde. (Reckdahl 29.01.2012)

Der Umbau des sozialen Wohnungsbaus in New Orleans hatte vor Hurrikan Katri- na teilweise begonnen und folgte damit dem nationalen Trend der Wohnraumpoli- tik. Der Abriss begann in den 1990er Jahren in einem unregelmäßig entwickelten Areal im public housing complex von St. Bernard (Imperial Drive), dann in größe- ren Komplexen wie Desire, Florida, Fischer und St. Thomas. Die meisten Kom- plexe wurden ersetzt durch kleinere sogenannte mixed-income housing develop- ments, die sich an Prinzipien des New Urbanism orientieren wie beispielsweise das Entwicklungsprojekt River Garden77 in New Orleans. Vor Katrina waren 3.077 Wohnungen in den Ensembles bewohnt.

Nach Katrina wurde der Umbau der Standorte des Sozialen Wohnungsbaus in kata- lytischer78 Form weiter betrieben. Insbesondere wurden alle vier großen Ensembles (The Big Four) abgerissen und durch sogenanntes mixed-income housing ersetzt. Die Strategie sozialen Wohnungsbau umzubauen war bereits vor Katrina für alle Komplexe in New Orleans geplant (Robertson 02.10.2008). Insbesondere werden an der Wohnraumpolitik die Rolle überlokaler Einflussgrößen wie die Förderpoli- tik des Bundes oder die Paradigmen fachpolitischer Organisationen (Congress for New Urbanism) deutlich, die in die Wohnraumpolitik der Bundesregierung schon weit vor Katrina einflossen und nicht nur in New Orleans, sondern in den gesamten USA ihren baulich räumlichen Ausdruck fanden. Sowohl die lokalpolitische Ebene als auch Architekten sahen gar im Wohnbauprojekt River Garden in New Orleans ein Modell, nach dem New Orleans wiederaufgebaut werden solle. Die Projekte des mixed-income housing sind in New Orleans aufgrund der engen Kooperation

77 River Garden war eines der ersten Umbauprojekte in New Orleans. 78 Katalysieren wird in dieser Arbeit als ein Beschleunigen von stadtentwicklungspolitischen Produk- ten und Prozessen verstanden; katalytisch dementsprechend als beschleunigend.

202 zwischen der Bundesregierung und der Stadt schnell umgesetzt worden. Der Minis- ter für Wohnraum und Stadtentwicklung Donovan war in seiner Amtszeit häufig in New Orleans präsent. Er brachte HANO durch eine personelle Neubesetzung wäh- rend der Zwangsverwaltung dazu, die Behörde wieder funktionsfähig zu machen. Während sein Vorgänger, Steve Preston, noch die finanziellen Lücken der lokalen Behörde überwachen musste, die mit dem Beginn der Bauarbeiten von Harmony Oaks und Columbia Parc auftraten, sorgte Donovan und sein neues HANO-Team dafür, dass das Projekt Lafitte umgesetzt werden kann. (Reckdahl 04.02.2011)

Die katalytische Durchsetzung von mixed-income housing in New Orleans spiegelt insgesamt einen Trend in der US-amerikanischen Stadtentwicklungspolitik wider. Dieses Modell zur Schaffung von Wohnraum wird nur zu oft als „alternativlos“ in Bezug zum alten public housing dargestellt. Es stellt im Verhältnis zu wenig be- zahlbaren Wohnraum bereit und stellt manchmal sogar Highend-Wohnrauminseln inmitten armer Nachbarschaften dar (Bsp. Harmony Oaks 2012, New Orleans). Mixed-income housing zeigt im Zusammenhang mit weiteren Feldern der Wohn- raumpolitik weiteren Forschungsbedarf auf, da diese Felder bislang weitesgehend isoliert voneinander untersucht wurden. Dazu gehört die reale Verfügbarkeit von Mietwohnungsbau im Zusammenhang mit einer Knappheit von bezahlbarem Wohnraum oder Wohnraumverfall als Tendenz mit starken stadträumlichen Aus- wirkungen, auf die im nachfolgenden Unterkapitel nur kurz eingegangen wird. So sollten Untersuchungen einzelner Felder der Wohnraumpolitik79 dazu genutzt wer- den, eine Gesamtschau städtischer Wohnraumsituation und -politik zu erarbeiten.

3.2.2 Leerstand und Verfall von Wohnraum in den Nachbarschaften von New Orleans

Hurrikan Katrina hat in New Orleans den prozentual höchsten Stand von Wohn- raumverfall in den USA hervorgerufen. Fünf Jahre nach Hurrikan Katrina, im Jahr 2010 wurde die Zahl des verfallenen Wohnraums in New Orleans auf etwa 44.000

79 Aufschlussreich sind die Veröffentlichung von John Arena (2012) zur Rolle des Nonprofit-Sektors im Wohnungsbau vor und nach Katrina sowie Untersuchungen von Housing NOLA in Zusammenar- beit mit der Greater New Orleans Housing Alliance und der Louisiana Housing Alliance (Housin- gNOLA o.J.).

203 geschätzt. (Finn 23.08.2015) Zehn Jahre nach Katrina ist die Zahl verfallener Im- mobilien80 wieder auf das Niveau von vor Katrina gesunken. (White 29.08.2015) Demnach ist die „Geißel“ städtischer Verfall in New Orleans weder neu, noch wurde sie durch Katrina verursacht. (White 29.08.2015) Das Verfallsproblem der Stadt hat politische Ursachen: Seit Jahrzehnten hatte (und hat) New Orleans mit denselben Herausforderungen zu kämpfen wie viele Städte des Mittleren Westens und Südens in den USA: wirtschaftliche Stagnation, einen starken Bevölkerungs- rückgang etc. Hatte New Orleans 1960 noch 627.000 Einwohner, waren es 2004 noch 445.000; ein Rückgang um 30 Prozent. New Orleans ist zwar eine Stadt von historischer Schönheit und Charme, aber die Einwohnerzahl ging zurück und die Anzahl der leerstehenden Wohnimmobilien stieg, die mit der Zeit verfallen sind. (White 20.08.2015) Die „weiße“ Bewohnerschaft wanderte verstärkt in die Vororte ab, nachdem nach Aufhebung der Rassentrennung (Civil Rights Act 1964) in öf- fentlichen Schulen afroamerikanische und „weiße“ Kinder gemeinsam unterrichtet wurden. Die Aufhebung bewirkte auch, dass Afroamerikaner der Arbeiter- und Mittelklasse ihren Wohnstandort in andere Städte, vor allem Los Angeles und spä- ter Atlanta verlegten. (Gelinas 21.11.2010) Seit Dekaden war also bereits vor Kat- rina städtischer Verfall von Wohnraum sichtbar (etwa 30.000 verfallene Wohnhäu- ser)81 und die Stadt hatte eines der größten Verfallsprobleme in den USA als Katri- na auf die Stadt traf. (Finn 23.08.2015; vgl. auch White 20.08.2015) Laut dem Census des Jahres 2000 hatte die Stadt 27.000 verfallene Immobilien zu verzeich- nen. (White 29.08.2015; vgl. auch White 20.08.2015)

Die Folgen von Hurrikan Katrina haben dieses Problem verschärft. (Finn 23.08.2015; vgl. auch White 20.08.2015): etwa 80.000 Wohneinheiten wurden stark beschädigt.82 So wurde Verfall zu einem ernsthaften Hindernis für einen Wiederaufbau der Stadt (Finn 23.08.2015), denn dadurch wurden vor allem Nach- barschaften in große Bedängnis gebracht, die sich nur langsam von den Folgen von

80 Das Bureau for Governmental Research (BGR) definiert blight und blighted als stark verfallene oder beschädigte Immobilien, unanhängig davon, ob diese Immoblien im Rahmen eines lokalen städ- tischen Programms formell als blighted eingestuft wurden. (Bureau of Governmental Research 2008: 1) 81 Die Zahlen von brachgefallenen Immobilien differieren in den Quellen. Gillian B. White (20.08.2015) spricht von einer Anzahl von 26.000. 82 Andere Quellen sprechen von einer Anzahl von 130.000 bis 150.000 verfallenen Immobilien un- mittelbar nach der Überschwemmung in New Orleans. (White 29.08.2015)

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Hurrikan Katrina – und Hurrikan Rita – erholen konnten und können. (White 29.08.2015) So destablisisiert verfallenes Eigentum Nachbarschaften, drückt den Wert der Immobilien und setzt die Bewohner Gefahren hinsichtlich Sicherheit und Gesundheit aus. Verfall verhindert Investitionen und erhöht die Wahrscheinlich- keit, dass benachbarte Immobilien ebenfalls an Wert verlieren und verfallen. Nach Katrina hindert ein Umfeld von Verfall die Bewohner daran, ihr Eigentum wieder- aufzubauen. Zudem stellt eine hohe städtische Verfallsrate auch ein verlorenes Potential an Steuereinnahmen in einer Stadt dar, die fiskalische Probleme aufweist. (Bureau of Governmental Research 2008: 1) Ein Jahr vor Katrina begannen die Stadt New Orleans und die Institution National Vacant Properties Campaign, heu- te als Center for Community Progress bekannt, Möglichkeiten zu eruieren, wie man dem Verfallsproblem städtisch begegnen kann. Der erarbeitete Bericht sollte am 5. September 2005 veröffentlicht werden. Dazu kam es infolge von Hurrikan Katrina nicht mehr. (White 29.08.2015) Unglücklicherweise werden New Orleans’ lokale Aktivitäten, verfallenes Eigentum zu reduzieren, als historisch ineffektiv bewertet: In den fünf Jahren vor Katrina hat die City of New Orleans und die New Orleans Redevelopment Authority (NORA), die Behörde, die in der Stadt mit der Sanierung von verfallenen Gebäuden beauftragt ist, nur wenige hundert Immobi- lien jährlich erworben und saniert. (Bureau of Governmental Research 2008: 1) Schon 1968 wurde die Community Improvement Agency (CIA), die Vorgängerin der lokalen Behörde NORA, unter bundesstaatlichem Recht gegründet, um eine Ausdehnung von Elendsvierteln und eine Verwahrlosung zu verhindern, mit dem Ziel, im Einklang mit den sogenannten Community Improvement Plans zu arbeiten. Die CIA war vor Katrina chronisch unterfinanziert. Somit hat CIA nicht in großem Umfang sanieren können und in der Realität nur eine geringe Rolle im Rahmen der städtischen Erneuerung in New Orleans gespielt. (Emerson 2008) Die nahezu ge- samtstädtische Zerstörung durch Katrina veranlasste die Stadtregierung 2007, die relativ kleine Behörde CIA zu reformieren und arbeitsfähig zu machen: Der Be- hörde wurden die finanziellen Mittel aufgestockt und der Lenkungsausschuss wur- de erweitert. Die bundesstaatliche Gesetzgebung wurde unter dem Druck seitens der Stadt ausgeweitet, um die Kompetenzen der Behörde hinsichtlich der städti- schen Aneignung von Grund und Boden zu erweitern. (Emerson 2008)

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Die umorganisierte Behörde wurde mit der Aufgabe betreut, das stadteigene Eigen- tum zurück in den Markt zu bringen. Der Geschäftsbereich umfasste nun nicht nur den Umgang mit Leerstand; ein Bereich, für den die Behörde ursprünglich zustän- dig war, sondern war von diesem Zeitpunkt an auch für Grundstücke verantwort- lich, deren Eigentümer keine Steuern gezahlt hatten sowie für Grundstücke, die durch das bundesstaatliche Programm Road Home in den Besitz der Stadt überge- gangen waren. (Russell 20.12.2006) Dennoch war nach Katrina das einzige greif- bare Zeichen einer Sanierung von Leerstand und Verfall die Übertragung von etwa sechshundert Immobilien von NORA und der Stadt an Entwickler (Bureau of Governmental Research 2008: 1), denen dadurch Steuervergünstigungen in Aus- sicht standen. In der Zeit nach Hurrikan Katrina taten die örtlichen Behörden we- nig, um dem Verfall von Wohnraum zu begegnen, zum Teil wegen der Sorge, dass ein hartes Vorgehen Bewohner davon abhalten würde, zurückzukehren. Beispiels- weise wurden keine Verordnungen in Bezug auf die äußere Instandhaltung eines Wohnhauses erzwungen. Stattdessen wurden die Eigentümer ermutigt, ihre zerstör- ten Wohnhäuser wiederaufzubauen und das Wohnumfeld zu pflegen, so Ellen Lee, leitende Angestellte der Stadt New Orleans.83 (White 29.08.2015)

3.2.3 Vernachlässigte soziale und technische Infrastruktur

Ingenieure und Stadtplaner wussten Jahre vor Katrina, dass die Infrastruktur vieler alternder Städte (Wassersystem, Straßen, Verkehrsnetz, Gas- und Stromsystem, Schulsystem) Sichtungsbedarf hatten. Vier Monate vor Katrina machte ein Treffen des Urban Land Institute Konsequenzen von Desinvestitionen in New Orleans’ städtischer Infrastruktur deutlich. Ein Bericht der American Society of Civil Engi- neers (ASCE), der alle vier Jahre veröffentlicht wird und der etwa zur gleichen Zeit wie der ULI-Bericht veröffentlicht wurde, hat den Rang, der den Stand der lokalen Infrastruktur im Verhältnis zur Infrastruktur nationalweit bestimmt, von D+ auf D abgesenkt. (Powell 2007) Die städtische Infrastruktur von New Orleans war vor Katrina aufgrund von Desinvestitionen verfallen. Das betraf neben dem Hochwas-

83 Ellen Lee war während der Amtszeit von Bürgermeister Ray Nagin Deputy Executive Assistant for Neighborhood Development und seit der Amtszeit von Bürgermeister Mitch Landrieu ist sie Leiterin der Abteilung für Wohnraum und Quartiersentwicklung (Director of Housing Policy and Community Development). (White 29.08.2015)

206 serschutzsystem (vgl. C I 1.2) beispielsweise auch die Fernverkehrsinfrastruktur84 (highways, technische Infrastruktur). Auch in das öffentliche Schulsystem (als Bei- spiel der sozialen Infrastruktur) wurde über Jahre nicht investiert. Vor Katrina hat- ten die meisten Schüler öffentlicher Schulen keine Basiskenntnisse im Lesen und in der Mathematik. (Gelinas 21.11.2010)

Zusammenfassend wurden also in erster Linie stadtpolitische Handlungsfelder, die auf Stadtteil- und Quartiersebene von Bedeutung sind, vernachlässigt: In New Or- leans wurde sozialer Wohnungsbau (public housing) durch mixed-income housing ersetzt, eine Strategie, die weitreichende Folgen für die Mehrheit der ehemaligen Bewohnerschaft des sozialen Wohnungsbaus hat und dessen Ausstrahlungseffekte auf umliegende Nachbarschaften begrenzt bis unklar sind. Die Stadt New Orleans scheint mit der Anzahl leerstehender und verfallender Immobilien überfordert, auch wenn die Stadt nicht mehr Spitzenreiter im US-Vergleich ist, und prägt noch immer das Bild in einer Vielzahl von Nachbarschaften und Quartieren, was Folge- wirkungen mit sich bringt, so wie die vernachlässigte soziale und technische Infra- struktur. Nachdem auf den Fokus der Stadtentwicklungspolitik vor Katrina (C I 3.1) eingegangen wurde und aufgezeigt wurde, welche Handlungsbereiche vor Katrina gesamtstädtisch vernachlässigt wurden (C I 3.2), wird nun auf die Ausfüh- rung der Planungsaufgabe in New Orleans vor Katrina eingegangen (C I 3.3).

3.3 Der Stellenwert räumlicher Planung in New Orleans vor Katrina

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind eine Nation, in der der öffentliche Sek- tor nicht notwendigerweise die Kontrolle über die Stadtentwicklung hat und in der Stadtplanung stadtpolitisch eine relativ geringe Bedeutung zugeschrieben wird. Vor diesem Hintergrund wird nun im nachfolgenden Unterkapitel dem Stellenwert von räumlicher Planung in New Orleans vor Katrina nachgegangen und aufgezeigt, dass neben einer ohnehin bereits relativ schwach ausgeprägten Planungsfunktion in den USA, Planung von stadträumlicher Entwicklung in New Orleans vor außeror-

84 Die Zahl des Verkehrsaufkommens hat sich seit 1982 verdreifacht. (Powell 2007) Der Highway Interstate 10 (I-10) wurde in den 1950er und 1960er Jahren durch eine historische – vorrangig afro- amerikanische – Nachbarschaften (Tremé u.a.) in New Orleans gebaut.

207 dentlichen Herausforderungen stand und eine urbane Katastrophe diese Schwächen in der unmittelbaren bis mittelfristigen Folgezeit nach Katrina verstärkte. Diese Erkenntnisse werden als Ausgangslage angesehen für die Frage dieser Arbeit nach Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung nach urbanen Katastrophen forcieren und blockieren.

Der Prozess um die Erarbeitung eines sogenannten recovery plan in der Folgezeit von Hurrikan Katrina war nicht nur herausfordernd durch das Ausmaß der Kata- strophe, sondern auch durch ein soziales und politisches Umfeld das „Planung“ in der Vergangenheit nicht unterstützte. Das City Council, der Stadtrat von New Or- leans, beeinflusste stark die Arbeit der City Planning Commission (CPC), der hie- sigen Stadtplanungsbehörde. (Eggler 28.10.2008 zit. in Collins 2011: 162; Burns, Thomas 2015: Pos. 750-772) So hatte die Stadt 1970 zwar eine Comprehensive Zoning Ordinance entwickelt, aber die Regularien zur Flächennutzung hatten im stadtentwicklungspolitischen Alltag im Grunde keine Relevanz. Denn jeder Ent- wickler konnte zu jeder Zeit eine Sondergenehmigung in Bezug auf die Flächen- nutzungsregularien (zoning law) erhalten, wenn der Stadtrat für das Projekt votier- te. (Eggler 28.10.2008 zit. in Collins 2011: 163) So wurden stadträumliche Ent- wicklungen vor Katrina eher durch individuelle lokalpolitische Akteure als durch die Stadtplanungsbehörde entschieden. Es gehörte zu diesem Alltag, dass ein po- tentieller Entwickler eines Areals ein Stadtratsmitglied persönlich kontaktierte, um Flächennutzungsänderungen zu „diskutieren“. Ein Planungsprozess im stadtpoliti- schen Alltag von New Orleans war also politisch stark aufgeladen. Laut einem Bericht des Bureau for Governmental Research (BGR) (2003) ließen Stadtratsmit- glieder „Flächennutzungsentscheidungen“ ihrer Kollegen im City Council gewäh- ren, weil sie diese Option gelegentlich selbst nutzen wollten. Das BGR bezeichnete das City Council aufgrund dessen als Hindernis für die räumliche Entwicklung von New Orleans. In der Regel wurde so einer Initiierung eines formalen Planungspro- zesses ausgewichen; ein Planungsprozess, der normalerweise mit einem formalen Antrag bei der Stadtplanungsbehörde beginnt. (Eggler 28.10.2008 zit. in Collins 2011: 162; Burns, Thomas 2015: Pos. 750-772) Im Wesentlichen war ein derartiger Planungsprozess der Vergangenheit also nicht immer ein unbefangener politischer Prozess. Bill Borah, Rechtsanwalt für Grundstücks- und Flächennutzung in New Orleans, beschreibt dieses Phänomen als planning by surprise. Empfehlungen der

208

Stadtplanungsbehörde wurden routinemäßig ignoriert.85 (Reichard 31.01.2000 zit. in Collins 2011: 162–163) Dementsprechend war es nicht möglich vorauszusagen, ob eine vorgeschlagene Flächennutzung auch umgesetzt werden würde; Flächen- nutzungsregularien konnten in einer willkürlichen und unberechenbaren Art und Weise verhindert werden. (Collins 2011: 163, 2015) Zudem war das Instrument zur Flächensteuerung, die Comprehensive Zoning Ordinance von 1970, allerdings lan- ge überholt. Das Instrument war für die Umsetzung eines Masterplans bedeutend. (American Planning Association 11.2005: 5) Seit der Genehmigung der Compre- hensive Zoning Ordinance im Jahre 1970, zu einer Zeit, in der die Stadt zum größ- ten Teil gebaut war, war beispielsweise auch schon vor Katrina ein bedeutender Teil des Wohnraumbestandes nicht mehr konform mit der Verordnung. (American Planning Association 11.2005: 13) Das Instrument konnte darüber hinaus aufgrund seiner Überholtheit nicht angewendet werden, um bestimmte Aspekte einer Neu- entwicklung nach Katrina zu regulieren, wie beispielsweise eine Etablierung von Nutzungen, die ersteinmal nicht konform mit der Verordung waren, oder Entwick- lungen von Nutzungsmischung. (American Planning Association 11.2005: 5)

Vor Katrina hatte die City Planning Commission (CPC) 24 Mitarbeiter. Das ent- sprach einer Anzahl, die laut der American Planning Association für eine Stadt mit der Größe von New Orleans und deren Komplexität nicht angemessen war. Zudem war (nur) etwa die Hälfte der Stellen von professionellen Planern besetzt. (Ameri- can Planning Association 11.2005: 5) Normalerweise hätten die fünf Abteilun- gen86, die vor Katrina existierten, vollständig besetzt sein müssen. (American Plan- ning Association 11.2005: 16) Nach Katrina hatte die CPC acht Mitarbeiter. Auf- grund des Ausmaßes der Katastrophe mit ihren städtischen und stadträumlichen Folgen war die CPC dementsprechend nach Katrina noch stärker unterbesetzt. So- mit konnte der Planungsaufgabe in New Orleans nicht effektiv nachgekommen werden. Die CPC war vor Katrina sogar so stark unterbesetzt, dass externes Fach-

85 In diese sogenannten Zoning and Preservation Review Processes waren normalerweise die City Planning Commission, die Historic Districts Landmarks Commission (HDLC) und die Vieux Carre Commission (VCC) involviert. (American Planning Association 11.2005: 11) 86 Das waren die Abteilung der formalen Administration und die Abteilungen Comprehensive Plan- ning, Land Use, Geographical Information System und Zoning Adjustments. Geplant war, zusätzliche Mitarbeiter für eine Neighborhood Planning Division, für Capital Programming und Functional Planning einzustellen. (American Planning Association 11.2005: 16)

209 personal engagiert werden musste: In den späten 1990er Jahren hatte die CPC ex- terne Berater beauftragt, um beispielsweise die Entwicklung der sogenannten Re- naissance Plans des Lower Garden District und die der Stadtteile von New Orleans East zu koordinieren. Auch wurde Neighborhood One, die städtische Abteilung für Wohnraum und Quartiersentwicklung87 von der University New Orleans (College of Urban and Public Affairs Public Outreach der Universität) unterstützt. UNO erarbeitete in Zusammenarbeit mit Nachbarschaftsorganisationen und kirchlichen Einrichtungen Nachbarschaftspläne für bestimmte Gebiete der Stadt; einschließlich der Upper Ninth Ward und Lower Ninth Ward, Holy Cross und der Holy Ghost Nachbarschaft in Central City. Die CPC war in keine der Planerarbeitungen direkt involviert. Selbst mit voller Mitarbeiterbesetzung wäre es laut APA für die CPC eine Herausforderung gewesen, Nachbarschaftspläne für jede Nachbarschaft zu entwickeln. Die APA empfiehlt, dass die CPC weiterhin die lokale Planungsexper- tise von Beratern oder Nonprofits nutzen sollte und die Pläne idealerweise durch die CPC und das City Council genehmigen lassen sollten. Denn vielerorts helfen formal anerkannte Nachbarschaftspläne bei Entscheidungen zur Verteilung von öffentlichen und privaten Ressourcen als auch im Entscheidungsprozess, der sich auf Vorschläge zur räumlichen Entwicklung bezieht. (American Planning Associa- tion 11.2005: 15)

Normalerweise sind in US-amerikanischen Städten die Handlungsfelder Verkehr, wirtschaftliche Entwicklung, Umweltplanung und Katastrophenabwehr typische Verantwortungsbereiche großer City Planning Departments. Denn umfassende Planung erfordere eine Koordination dieser und anderer Funktionen. Vor Katrina hatte die CPC von New Orleans die Rolle des Schlüsselakteurs in diesen Hand- lungsfeldern nicht inne. (American Planning Association 11.2005: 6) Zu den wich- tigsten Aufgaben der City Planning Commission gehört es laut APA zudem sicher- zugehen, dass finanzielle Mittel für öffentliche Anlagen und Infrastrukturverbesse- rungen zur Verfügung stehen, um die Funktionsfähigkeit der Stadt in Überein- stimmung mit den Zielen eines Master Plans aufrechtzuerhalten. Eine City Plan- ning Commission arbeitet mit der Haushaltsabteilung (budget office) zusammen, um alle fünf Jahre ein sogenanntes Capital Improvement Program (CIP) zu erar- beiten, das einen Bewertungsprozess für Projekte skizziert und ein Prioritätensys-

87 Zu dieser Zeit wurde die Abteilung Division of Housing and Neighborhood Development genannt.

210 tem für eine finanzielle Mittelvergabe in Übereinstimmung mit dem Masterplan etabliert. Auch das war in New Orleans nicht der Fall und die APA empfiehlt, dass die CPC ihre Beteiligung in der Haushaltsabteilung ausbauen und die Führungsrol- le in Bezug auf das CIP übernehmen sollte. (American Planning Association 11.2005: 15–16)

So hatte die Stadt New Orleans vor Katrina auch keinen genehmigten und verbind- lichen Masterplan. Ein genehmigter Masterplan wird zwar insgesamt nicht als ein- flussreiches und wirksames Instrument für die Entwicklung der Stadt beurteilt. Seine Leitprinzipien und Flächennutzungspolitik können aber lokalen Entschei- dungsträgern eine wertvolle Richtung zur Entscheidungsfindung anzeigen. So auch ein Masterplan der Stadt New Orleans, der vor Katrina in Arbeit war. Diesem fehl- te allerdings eine klare, prägnante und markante Botschaft, die sich an die Stadtge- sellschaft richtete. Dementsprechend haben sich nur einige der öffentlichen Ent- scheidungsträger und Vertretungen von Nachbarschaften auf den Masterplan als eine Quelle mit Steuerungspotential verlassen. Laut Studien hat der Stadtrat routi- nemäßig eine Vielzahl von Empfehlungen der CPC gekippt, sogar wenn diese Empfehlungen eindeutig mit den Inhalten des Masterplans übereinstimmten. (Ame- rican Planning Association 11.2005: 5) Im Oktober 1997 hat die CPC der Stadt diesen Masterplan-Prozess initiiert. Ein Technical Advisory Committee und ein Master Plan Advisory Committee wurden etabliert, in denen auch Vertretungen der Bewohnerschaft mitarbeiteten, um einen Rahmen zu erarbeiten, welche Elemente eines Masterplans entwickelt werden müssten und wie ein Prozess zu gestalten sei, der den Masterplan regelmäßig überprüft, wenn er erst einmal genehmigt ist. Das Advisory Committee hat so ursprünglich einen Rahmen für 18 Elemente erarbeitet, die die CPC mit minimalen Änderungen genehmigte (einige Elemente wurden zusammengefasst und das Element „Tourismus“ hinzugefügt). Schließlich wurde beschlossen, dass der Masterplan zwölf Komponenten enthalten soll. In den darauf- folgenden Jahren wurden acht der zwölf Elemente einschließlich der Flächennut- zungskompomente erarbeitet und durch den Stadtrat genehmigt. Die restlichen vier Elemente hätten noch erarbeitet werden sollen: Wohnraum, städtische Einrichtun-

211 gen und Infrastruktur, Umgang mit Naturgefahren und Umwelt.88 Ironischerweise waren das die Handlungsfelder, die zu den größten städtischen Problemen nach Hurrikan Katrina führten. (American Planning Association 11.2005: 14)

Die Stadt arbeitete vor Katrina auch an einem Orleans Parish Hazard Mitigation Plan. Dieser Prozess war allerdings bis Hurrikan Katrina nicht abgeschlossen, so dass es nach Hurrikan Katrina keinen genehmigten Plan gab. (American Planning Association 11.2005: 6) Ein Disaster Mitigation Act aus dem Jahr 2000 (DMA2K) forderte Gemeinden auf, sogenannte Mitigation Plans aufzustellen. Damit können sie im Rahmen des Hazard Mitigation Grant Program (HMGP) und des Pre- Disaster Mitigation (PDM) Program (beide von FEMA) finanzielle Mittel für eine Katastrophenbewältigung erhalten. Mitigation wird dabei verstanden als „nachhal- tige Handlung, um langfristige Risiken für menschliches Leben und Eigentum von natürlichen Gefahren und ihrer Effekte zu reduzieren oder zu eliminieren.“ (Amer- ican Planning Association 11.2005: 6–7) Der Orleans Parish Mitigation Plan wurde vor Katrina im Office of Emergency Prepeardness erarbeitet. Die CPC hatte wenig bis gar keinen Beitrag zu der Erarbeitung des Plans geleistet. Laut APA wurden allerdings die besten Mitigation Plans in den USA in Kommunen erarbei- tet, in denen das Dokument partnerschaftlich vom örtlichen Notfallmanagement und der lokalen Planungsbehörde erarbeitet wurde.89

Zudem zeichnete sich Stadtplanung und Stadtentwicklung in New Orleans vor Katrina durch eine sehr schwache Bürgerbeteiligung aus (Weil 2010 zit. in Collins 2011: 163). Nachbarschaftsvertretungen sowie Bürgern mangelte es an Möglich- keiten, regulär und „wirksam“ am städtischen Planungsprozess teilzunehmen, da es an inklusiven und effektiven Prozessen öffentlicher Beteiligung mangelte.90 Viele

88 Diese Elemente wurden lokal folgendermaßen benannt: housing, community facilities and infra- structure, natural hazards and cititcal and sensitive areas und environmental quality. (American Planning Association 11.2005: 14) 89 Das Bundesgesetz (DMA2K) erfordert sogar, dass existierende Planungsdokumente bei der Erar- beitung des Planes berücksichtigt werden (Requirement 201.6) und dass dem Plan eine Debatte vo- rangeht, wie die Lokalregierung die Empfehlungen des Planes in andere lokale Pläne integrieren wird (Requirement 201.6 (c)(4)(ii). (American Planning Association 11.2005: 7) 90 Bemühungen, eine regionale Vision im Rahmen eines breiten öffentlichen Partizipationsprozess zu erarbeiten, gab es in den vergangenen Jahren in vielen metropolitanen Räumen und Städten ein-

212 gut informierte Bürger, die eine Vielzahl von Interessen vertreten und unterschied- liche sozioökonomische Hintergründe haben, beklagten, von Planungsprozessen in der Vergangenheit ausgeschlossen gewesen zu sein. (American Planning Associa- tion 11.2005: 5) Ein Planungsprozess in New Orleans wäre nicht „integrativ“ und „inhärent“ angelegt gewesen; ein öffentlicher Standpunkt konnte so nicht heraus- gearbeitet werden nach Aussage organisierter Nachbarschafts- und Denkmal- schutzgruppen sowie individueller Bewohner. Während es die CPC und das City Council als ihre gesetzliche Pflicht ansahen, benachbarte Eigentümer über bevor- stehende Flächennutzungs- und Parzellierungsänderungen zu unterrichten, wurden gleichzeitig betroffene Nachbarschaften im Allgemeinen gar nicht und Bürger zu spät in den Prozess einbezogen. (American Planning Association 11.2005: 14–15) Im Oktober 2003 stellte das Bureau of Governmental Research einen „ungesunden Mangel von Mechanismen der Bürgerbeteiligung“ fest und dies als eines der we- sentlichsten Probleme identifiziert, das den Planungsprozess in New Orleans belas- tet. Unter Nachbarschaftsgruppen bestehe Konsens darin, dass es an einer Stimme im Planungsprozess auf allen Ebenen mangelte. (American Planning Association 11.2005: 15) Als Entwicklungen, die sich möglicherweise gegenseitig verstärkten, ergänzte dieser Mangel eines formalen öffentlichen Prozesses der Bürgerbeteili- gung eine Kultur des „Losgelöstseins“, der „Abkopplung“ und im weiteren Sinne der „Unverbindlichkeit“ (culture of disengagement). Das spiegelte eine laissez- faire Haltung wider, die wiederum geneigt ist, alle Aspekte des täglichen Lebens in New Orleans zu durchdringen (Collins 2011: 163; vgl. 2015) Städte mit einer ver- gleichbaren Größe haben vielfältige Lösungen verfolgt, um dem Problem von in- adäquaten Politiken öffentlicher Beteiligung zu begegnen91 (American Planning Association 11.2005: 15).

Laut APA sind in Bezug auf die Planungstätigkeit in New Orleans aber auch Po- tentiale zu erkennen, auf die nach Katrina aufgebaut werden sollte: Hinterlassen-

schließlich in Birmingham, Houston und Atlanta, die als „gute“ Praxisbeispiele bezeichnet werden. (American Planning Association 11.2005: 12) 91 Erfolg hätte laut APA ein Nachbarschaftsansatz, der Vorschläge von Bürgern repräsentiere. Dem- entsprechend würden jeweils Mitarbeiter des Planungsamtes für Nachbarschaften oder Gruppen von Nachbarschaften verantwortlich sein und damit eine Verbindung zur Verwaltung darstellen, damit Informationen zu Vorschlägen für eine Nachbarschaft frühzeitig in übergeeordnete Planungsprozesse einbezogen werden können. (American Planning Association 11.2005: 15)

213 schaften visionärer Planung werden oft assoziiert mit der Historie der Stadt, von der französischen Kolonialära über den Aufstieg von zeitgenössischem Denkmal- schutz bis hin zu Bewegungen des Städtebaus. Diese Hinterlassenschaften werden durch Planungsaktivitäten der Stadt aufgegriffen; einschließlich der Bemühungen, eine angemessene Entwicklung entlang des Flussufers von Downtown New Or- leans zu fördern. (American Planning Association 11.2005: 4) Ein anderes bedeu- tendes Potential zeigt sich in einer aktiven Einbeziehung von Nachbarschaften und Denkmalschützern in den städtischen und stadträumlichen Planungsprozess, die zusammen mit dem fachlichen Ressourcenreichtum von Akademikern und Nonpro- fits, die die planungs- und städtebaulichen Aktivitäten der Stadt unterstützen (von UNO, Tulane University, Bureau of Governmental Research, Preservation Res- source Center und anderen lokalen Institutionen). (American Planning Association 11.2005: 4) Darüber hinaus unterstützen unterschiedliche Fachverbände und - organisationen auf lokaler und nationaler Ebene städtische Planungsprozesse, denn APA, ULI, AIA haben aktive Lokalgruppen in Louisiana. (American Planning Association 11.2005: 4) Damit hat die APA Potentiale der Planungstätigkeit vor Katrina und unmittelbar nach Katrina in New Orleans aufgegriffen, die nicht son- derlich ausgeprägt waren: Fokus auf städtebauliche und planerische „Hinterlassen- schaften“ im Stadtraum und auf die Einbeziehung von Nachbarschaften und Denkmalschützern, Fachpolitik und Nonprofits.

Insgesamt war demnach ein Prozess zur Erarbeitung eines sogenannten recovery plan in der Folgezeit Hurrikan Katrinas nicht nur herausfordernd durch das Aus- maß der Katastrophe an sich, sondern vorbelastet durch einige Defizite der Pla- nungsfunktion (trotz einiger Potentiale städtischer Planungsaktivitäten): Planungs- prozesse und -verfahren, die als willkürlich bezeichnet werden konnten und die mehr als in anderen US-amerikanischen Städten politisch besetzt waren; überholte und unvollständige Planungsinstrumente (Comprehensive Zoning Ordinance, Mas- terplan, Hazard Mitigation Plan), die keine Anwendung finden konnten, eine chro- nisch unterbesetzte Planungsbehörde, die der Planungsfunktion der Stadt nicht gerecht werden konnte, ein Mangel an angemessenen formalen öffentlichen Betei- ligungsformen, der mit einer culture of disengagement gekoppelt war und eine mangelnde Zusammenarbeit mit anderen stadtentwicklungsrelevanten städtischen Behörden.

214

3.4 Zwischenfazit: Stadtentwicklungspolitik und Stadtplanung vor Hur- rikan Katrina - Beharrungsvermögen und Hinweise auf Bedingun- gen von Reformfähigkeit

Stadtentwicklungspolitisch hat sich die Stadt New Orleans vor Katrina wie andere und nicht nur US-amerikanische Städte vorrangig auf innerstädtische Großprojekte, Großereignisse und den Ausbau des Tourismussektors konzentriert aufgrund von Deindustialisierung, Globalisierung und Dezentralisierung (vgl. C I.2). In der Rückschau legte Hurrikan Katrina Herausforderungen von Stadtentwicklung offen, die sich in erster Linie in Quartieren und Nachbarschaften niederschlugen: sozialer Wohnungsbau sowie technische und soziale städtische Infrastruktur und insbeson- dere das Hochwasserschutzsystem (vgl. C I.1) wurden stadtpolitisch vernachlässigt und eine stadtweite Leerstands- und Verfallsproblematik wurde offensichtlich.

Vor dem Hintergrund des lokalen Standortwettbewerbs wurden lokalpolitische Arrangements zwischen politischen Ebenen und unter Beteiligung des privaten Sektors unter Nutzung der jeweilig zur Verfügung stehenden Ressourcen geschlos- sen, um Großprojekte in Downtown New Orleans vor Katrina zu realisieren. In diesem Zusammenhang sollte auch lokale Handlungsfähigkeit demonstriert wer- den. Änderungen von Planungen und Flächennutzungen und neue bundesstaatliche Gesetze waren das Ergebnis dieses Akteurshandelns, das den Weg für derartige Großprojekte und innerstädtische Revitalisierungsprojekte ebnete. (vgl. C I.3.1) Diese Entwicklungen waren denen in anderen US-amerikanischen Städten ähnlich.

Vernachlässigte Handlungsfelder wie beispielsweise sozialer Wohnungsbau haben städtebauliche, stadträumliche und soziale Missstände zur Folge. Um diesen Miss- ständen zu begegnen (als Kampf unter anderem gegen Armut und Gewalt), war der Umbau des sozialen Wohnungsbaus in den USA auch lokal in New Orleans vor Katrina geplant und konnte teilweise bereits umgesetzt werden (River Garden). Dabei übten überlokale Kräfte wie die Förderpolitik des Bundes oder die Paradig- men fachpolitischer Organisationen (Congress for New Urbanism) Einfluss aus. Nach Katrina sind Projekte des mixed-income housing in New Orleans sehr schnell umgesetzt worden aufgrund einer engen Kooperation zwischen Bundesregierung und Stadt. Parallel dazu stand die lokale Wohnungsbaubehörde (HANO) über Jahre

215 wegen Misswirtschaft unter Zwangsverwaltung (2002-2014). Durch eine personel- le Neubesetzung von HANO durch den zuständigen Bundesminister wurde die lokale Behörde wieder funktionsfähig. Die stadträumliche Leerstands- und Ver- fallsproblematik wurde zwar vor Katrina stadtpolitisch registriert, jedoch wurden nur unentschlossene oder erst späte Versuche unternommen, dieser zu begegnen (mangelnde personelle und finanzielle Ressourcenausstattung von NORA im Ver- hältnis zum stadträumlichen Handlungsfeld und späte Evaluierung von Problem und Problemlösung durch eine Zusammenarbeit von lokalen und überlokalen (zi- vilgesellschaftlichen) Organisationen). Desinvestitionen im Bereich der öffentli- chen technischen und sozialen infrastrukturellen Ausstattung prägten über Jahr- zehnte das Stadtbild und haben private Desinvestitionen und Destabilisierung von städtischen Räumen zur Folge. (vgl. C I.3.2)

Eine disfunktionale Planungsfunktion der Stadt charakterisiert die Stadtentwick- lungspolitik vor Katrina (mit überholten und unvollständigen Planungsinstrumen- ten, mit einer chronisch unterbesetzten Planungsbehörde, die auf externes Fachper- sonal angewiesen war, mit einem Mangel an angemessenen formalen öffentlichen Beteiligungsformen trotz einer relativen Bedeutungszunahme von Bürgerbeteili- gung westlicher Industrienationen, und mit mangelnder Zusammenarbeit mit ande- ren stadtentwicklungsrelevanten städtischen Behörden). Diese disfunktionale Pla- nungsfunktion ist darüber hinaus Ergebnis eines sozialen und politischen Umfel- des, das wiederum für willkürliche und übermäßig politisch besetzte Planungspro- zesse und -verfahren verantwortlich war.

Vor dem Hintergrund der Fragestellung nach Bedingungen, die lokale Reformfä- higkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren, deutet sich folgendes an: Strukturelle, historisch gewachsene und stark verwurzelte stadtpoliti- sche Charakteristika weisen auch in Stadtentwicklungspolitik und Planung Behar- rungsvermögen92 auf wie die Mitwirkung überlokaler Ebenen und deren Ressour- cen (Bundesstaat mit Gouverneur oder Förderpolitik des Bundes trotz Dezentrali- sierung), wie Paradigmen fachpolitischer Organisationen, wie ein soziales und

92 Die substanziell-materiellen Tendenzen der Stadtentwicklung, die sich beharrlich vor Hurrikan Katrina (und teilweise auch danach) halten, werden im Gesamtfazit von Teil C (C III) zusammenge- fasst.

216 politisches Umfeld von Planung, das für willkürliche und übermäßig politisch be- setzte Planungsprozesse und -verfahren verantwortlich war, und eine culture of disengagement, die mit einem Mangel angemessener formaler öffentlicher Beteili- gungsformen in engem Zusammenhang steht.

Zu den Hinweisen auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockie- ren, zählen lokalpolitische Arrangements (Gouverneur, Bürgermeister und Unter- nehmen oder Stadtverordnete und Entwickler), die Änderungen von Planungen und Flächennutzungen sowie neue bundesstaatliche Gesetze zur Folge haben. Des Wei- teren stellen Desinvestition, Disfunktionalität, Misswirtschaft aber auch die Zu- sammenarbeit städtischer Behörden mit zivilgesellschaftlichen Organisationen (nationalen NGOs und lokalem externen Fachpersonal) Hinweise auf Bedingungen dar, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren können.

C II New Orleans nach Hurrikan Katrina: Rahmen der gesamtstädtischen Planwerksprozesse vor dem Hintergrund von Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit

Im Anschluss an die Darstellung des stadtenwicklungspolitischen Kontextes vor Hurrikan Katrina (stadtgeschichtliche und räumliche Entwicklungslinien in C I 1, überlokale und Rahmenbedingungen der lokalen Stadtentwicklungspolitik in C I 2, sowie der Fokus der Stadtentwicklungspolitik vor Katrina in C I 3), wird nun auf den stadtentwicklungspolitischen Kontext nach Hurrikan Katrina eingegangen (C II 1-3), in den sich die Planwerkserarbeitungen nach Katrina einbetten. Nachfol- gend wird demnach zunächst auf die Katastrophensituation in New Orleans nach Katrina eingegangen und kurz umrissen, wie es zu einer urbanen Katastrophe kommen konnte (C II 1). Im Anschluss werden wesentliche Debatten und Tenden- zen der Stadtentwicklung dargelegt und damit beleuchtet, in welchen Handlungs- feldern parallel zu den Prozessen der Planwerksentwicklungen stadtentwicklungs- politisch gearbeitet wurde (C II 2). Abschließend werden bedeutende stadtpoliti- sche Akteure, Institutionen und Förderprogramme aufgezeigt, die für die gesamt-

217 städtischen Planwerksentwicklungen relevant sind (C II 3). Auch in diesen Kapi- teln (C II 1-3) werden Hinweise auf Bedingungen herausgearbeitet, die Reformfä- higkeit in der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren. Auch werden stadtpoliti- sche Charakteristika mit Beharrungsvermögen eruiert, die die Prozesse der Plan- werksentwicklungen beeinflussen.

C II.1 Eine Stadt im Ausnahmezustand: Situation in New Orleans unmittelbar nach Hurrikan Katrina

Das National Hurricane Center hat (am Abend des 27. August 2005) die Lokalre- gierung von New Orleans und anderen Kommunen auf die Schwere von Hurrikan Katrina hingewiesen, der für den 29. August vorhergesagt wurde.93 Die Lokalregie- rung reagierte zunächst mit einer obligatorischen Evakuierung, um dann am Mor- gen des 28. August 2005 eine stadtweit verpflichtende Evakuierung anzuordnen. Etwa zeitgleich veröffentlichte die lokale Wetterstation des National Weather Ser- vice in New Orleans eine Vorhersage möglicher Sturmschäden. Obwohl Bürger- meister Ray Nagin diese verpflichtende Evakierung der Stadt (am Morgen des 28. August) aussprach – die erste in der Geschichte von New Orleans – blieben über 100.000 Menschen in der Stadt. (vgl. 30.08.2005; Nolan 28.08.2005; CNN 29.08.2005; BBC 02.09.2005) Die Gründe dafür waren unterschiedlich.94 Die sozi- alen Folgen waren verheerend und wurden weltweit medial aufgegriffen. Der Loui- siana Superdome als Shelter Of Last Resort wurde zum Sinnbild für die Folgen von

93 Auch der damalige US-Präsident, George W. Bush, wurde persönlich von der Behörde informiert und im Bundesstaat Lousiana und Mississippi wurde der Notstand ausgerufen, was der nationalen Koordinationsstelle für Katastrophenhilfe (Federal Emergency Management Agency, FEMA) und dem US-amerikanischen Heimatschutzministeriums (United States Department of Homeland Securi- ty, DHS) in den betroffenen Gebieten erlaubte, mit der Koordinierung der Katastrophenhilfe zu be- ginnen. (Axtmann 30.08.2005) 94 Darunter war auch der Glaube, dass die Wohnung oder das Wohnhaus, in denen sie planten zu bleiben, genügend Schutz bot. Auch der Mangel an finanziellen Ressourcen oder dem mangelnden Zugang zu Beförderungsmöglichkeiten sowie dem Verdacht, verpflichtet zu werden, ihr Eigentum zu schützen, veranlasste die Menschen dazu, in New Orleans während Katrina zu bleiben. Dazu kam die Erfahrung, dass bei einer Evakuierung ein Jahr zuvor (bei Hurrikan Ivan) Verkehrsstaus aufkamen mit einem zeitlichen Umfang von sechs bis zehn Stunden. Auch die Tatsache, dass sich Katrina am Ende eines Monats ereignete, kurz bevor neue Löhne ausgezahlt wurden, war bedeutend. (Fussell 11.06.2006)

218

Hurrikan Katrina. Bewohner, die ihre Häuser und Zufluchtsorte nicht vor dem Ein- treffen von Hurrikan Katrina verlassen hatten, wurden evakuiert. Mit Rettungsboo- ten und Helikoptern wurden sie gerettet und mit Bussen in benachbarte Städte und Bundesstaaten gebracht. (Urban Land Institute 2006: 11)

Abbildung 13: Das Stadtgebiet von New Orleans wurde zu 80 Prozent überflutet. Hier die Nach- barschaft St. Roch und im Hintergrund der CBD und der Mississippi (Campanella 2006: 396).

Findet ein so stadträumlich einschneidendes Ereignis wie Hurrikan Katrina statt, dessen Folgen eine urbane Katastrophe in New Orleans 2005 auslöste, wird die „Regierungsfähigkeit“ einer Lokalregierung insbesondere an der unmittelbaren Katastrophenbewältigung gemessen. Die Verwaltungen von Louisianas Gouver- neurin Kathleen Blanco und von Bürgermeister Nagin waren offensichtlich und nachweislich überwältigt von dem Moment an, an dem der Sturm niederging, wenn nicht schon vorher. (Cooper, Block 2006: xvi). Eine viel zitierte Botschaft des da- maligen Bürgermeisters Ray Nagin, die an den Bundesstaat und die Bundesregie- rung gerichtet war, verdeutlicht dies über die eigentliche Botschaft hinaus, dass der

219

Hochwasserschutz auch eine überlokale Angelegenheit war: „I don’t know whether it’s the governor’s problem. I don’t know whether it’s the president’s problem. But somebody needs to get their ass on a plane and sit down, the two of them, and fig- ure it out.” (Nagin zit. in Judd, Swanstrom 2008: 397; zit in Dreier 2006: 528) Nach Cooper und Block (2006: xvi) wurden jedoch die katastrophalen Folgen des Sturms selbst von der Bundesregierung weit im Voraus erkannt.

Die Handlungsunfähigkeit der Lokalregierung unmittelbar nach Katrina kann als mehr oder weniger symptomatisch für eine generell eingeschränkte Regierungs- und Handlungsfähigkeit von New Orleans bezeichnet werden (vgl. regimeless ci- ties in Burns, Thomas 2006), die die Stadt – wie auch andere nonregime cities – nach einem Ereignis wie dem von Hurrikan Katrina in stärkere Bedrängnis bringt als Städte mit stabilen Regimen (Burns, Thomas 2006: 517–518). Nach Burns und Thomas (2006) behinderte ein nonregime in New Orleans eine Koordination zwi- schen bundesstaatlichen, staatlichen und lokalen Akteuren. In New Orleans wiesen lokale Regierungsvertreter weder die Art der Regierungspartner noch die Ressour- cen auf, die notwendig gewesen wären, um eine groß angelegte Evakuierung zu planen und durchzuführen. Ohne ein Regime kennzeichnete Chaos die lokalstaali- che Reaktion in Bezug auf den Hurrikan. Als Hurrikan Katrina auf New Orleans traf, konnten weder der Bundesstaat noch die Stadt eine themenbezogene Koalition bilden, die in der Lage gewesen wäre, die Stadt zu evakuieren und die adäquat auf einen Hurrikan dieser Stärke reagiert hätte. Durch die Langsamkeit, mit der the- menbezogene Koalitionen gebildet werden, und durch einen Mangel an Vertraut- heit unter Regierungsvertretern auf lokaler, bundesstaatlicher und föderaler Ebene wurden bundesstaatliche und lokale Bemühungen stark behindert, eine temporäre Partnerschaft aufzubauen, die den Umgang mit einem Hurrikan erleichterte. (Burns, Thomas 2006: 520–521) Allerdings gibt es selbst in einer „handlungs- und funktionsfähigen“ Stadt Krisensituationen, die eine Stadt nicht allein bewältigen kann und in denen sie auf bundesstaatliche beziehungsweise föderale Hilfe ange- wiesen ist (Judd, Swanstrom 2008: 397–398).

Nachfolgend wird die städtische Situation in New Orleans unmittelbar nach Hurri- kan Katrina umrissen und dessen Folgen aufgezeigt. Somit werden der Ausnahme- zustand der Stadt und das Ausmaß der Katastrophe deutlich gemacht (C II 1.1) und

220 erste Anzeichen von „Erholung“ aufgezeigt (C II 1.2). Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren, werden auch in diesem Kapitel her- ausgearbeitet und zusammengefasst (C II 1.3).

1.1 Hurrikan Katrina und Folgen für die Stadt

Am 29. August 2005 um 5:00 Uhr morgens traf Katrina als Hurrikan der Kategorie vier auf eine schmale Halbinsel des Louisiana Bayou, an der der Mississippi in den Golf von Mexiko eintritt. Sechs Stunden später traf Katrina als Hurrikan der Kate- gorie Drei auf das kontinentale Festland an der Grenze der Bundesstaaten von Louisiana und Mississippi. Das Auge des Hurrikans überquerte den Mississippi mit allmählich abnehmenden Winden und veränderte sich von einem großen tropischen Sturm um 11:00 Uhr in Columbus, Mississippi zu einem "gewöhnlichen" Sturm in Tennessee, westlich von Nashville. Entlang der Golfküste zerstörte eine zehn bis zwanzig Fuß (etwa drei bis sechs Meter) hohe Sturmwelle kleine Städte, entwurzel- te und beschädigte Ölplattformen, Häfen und Brücken. Eine fast zehn Meter hohe Sturmwelle trat auf den Lake Pontchartrain über seine Kanalverbindung zum Golf von Mexiko. Diese Sturmwelle überwand Flutwände, die New Orleans vor dem See schützen sollten. (Congleton 2006: 5) Die Wände zweier Kanälen brachen und das Wasser des Lake Ponchartrain überflutete daraufhin die Stadt (achtzig Prozent der Stadtfläche). Wasserpumpen der Stadt fielen aus.

Die Folgen waren verheerend: Die Sturmflut, starke Winde und sintflutartige Re- genfälle sowie ein Scheitern des Hochwasserschutzsysems führten zu mehr als 1.200 Todesfällen.95 (Congleton 2006) Mehr als zwei Millionen Menschen in den Bundesstaaten Louisiana, Mississippi und Alabama stand keine Elektrizität zur Verfügung und mehr als eine halbe Million Menschen waren ohne Obdach. (Congleton 2006: 5) Viele Geflüchtete und Evakuierte kehrten bis heute nicht in die Stadt New Orleans zurück. Als Folge verringerte sich die Bevölkerungszahl von New Orleans unmittelbar nach Katrina um mehr als die Hälfte. Im Juli 2005 lebten in New Orleans noch 452.170 Menschen. (Burns, Thomas 2010) Über 75

95 Die Angaben zu den Todesfällen variieren: 1.299 Menschen (Steiner et al. 2006: 66), 1.800 Men- schen (Lay 2009)

221

Prozent von New Orleans’ gebauter Umwelt wurden zerstört (Lay 2009). Durch die Überschwemmung wurden vorrangig ärmere Wohnviertel im östlichen Teil der Stadt vollständig zerstört. Die städtische Infrastrukturversorgung wie Strom, Was- ser, Kommunikationsnetze etc. wurde stark beschädigt.

Abbildung 14: New Orleans und die Stadtregion (links), New Orleans und die Stadtregion unter- schiedlich stark überflutet, dargestellt hell- bis dunkelila (rechts) (Campanella 2006: 390).

New Orleans ist aus demographischer Sicht die Stadt in den USA, die bislang am stärksten von den Auswirkungen eines Hurrikans getroffen wurde. Nur Atlanta war während des Civil War noch stärker betroffen. Das zeigt das Ausmaß der unmittel- baren „Streuung“ beziehungsweise „Umsiedlung“ evakuierter Menschen. (Steiner et al. 2006: 66) Mehr als eine Million Menschen waren im Exil (Powell 2007). Campanella (21.09.2005) spricht in diesem Zusammenhang von der „größten in- ternen Migration von Amerikanern seit den 1950er Jahren“ (Campanella 21.09.2005). Allerdings weist Campanella auch darauf hin, dass es nicht die ärme- ren Einwohner und Geringverdiener waren, die die Stadt rechtzeitig verließen, auch wenn es keine „perfekte Korrelation zwischen höher gelegenen Stadtgebieten,

222

Überflutungsrisiko, Rasse und Klasse in New Orleans gab“ (Campanella 21.09.2005). Nachdem einige Wochen nach Katrina die Hurrikans Rita und Wilma das Stadtgebiet heimsuchten, registrierte die nationale Katastrophenbehörde FEMA Ende September 2005 2.530.657 Meldungen von Hurrikanopfern. Insgesamt wur- den 527.000 Menschen obdachlos. (Steiner et al. 2006: 66)

Nach Katrina waren bedeutende städtische Dienstleistungen wie Polizei und Feu- erwehr kaum in Betrieb und alle anderen Dienstleistungen der Stadt New Orleans kamen zum Stillstand. (Burns, Thomas 2010: 321) Noch Mitte September 2005 hatten in New Orleans mehr als 200.000 Haushalte keine Stromversorgung. Eine Vielzahl dieser Haushalte befand sich in den am meisten zerstörten Gebieten der Stadt. Als erstes wurde die Stromversorgung im Central Business District und im French Quarter wiederhergestellt (MSNBC News Services 25.09.2005). Die Sturmflut, die durch Hurrikan Rita aufkam, untergrub die Reparaturarbeiten am Deichsystem, die nach Hurrikan Katrina vorgenommen wurden und das bereits zerstörte Gebiet der Nachbarschaft Lower Ninth Ward wurder wiederum über- schwemmt (MSNBC News Services 25.09.2005).

Nach Powell (2007) werde Hurrikan Katrina in die politischen Jahrbücher einge- hen, denn die Folgen des Sturms überbieten alles das, was im vergangenen Jahr- hundert in diesem Zusammenhang in den USA stattgefunden hat.96 Hurrikan Katri- na ist das Naturereignis der US-amerikanischen Geschichte, das die größten mate- riellen Zerstörungen und den größten finanziellen Schaden mit achtzig Milliarden US-Dollar Sachbeschädigung zur Folge hatte (Powell 2007).97 Diese Einschätzun- gen beruhen auf der Erfassung der Zahl der Todesopfer, der Evakuierungen vor Katrina, der Umsiedlungen nach Katrina, der Anzahl des zerstörten und beschädig- ten Wohnraums und privaten Eigentums sowie dem Ausmaß der zerstörten Infra- struktur (Olshansky, Johnson 2010: 6–7). Der Bund hat unter anderem das räumli- che Ausmaß der Katastrophe ermittelt (Federal Disaster Declarations). Demnach

96 Die Angriffe auf das World Trade Center in New York City 2001 sind dabei eingeschlossen. Die Weltkriege bilden allerdings eine eigene Kategorie in der Systematisierung von Katastrophen. (Pow- ell 2007) 97 Nach Lay (2009) wurde eine Schadenshöhe von etwa einhundert Milliarden US-Dollar ermittelt.

223 war eine Fläche von 90.000 square miles (etwa 233.000 Quadratkilometer) betrof- fen. (Urban Land Institute 2006: 11)

Die Folgen von Hurrikan Katrina machten aus planerischer Sicht zentrale Heraus- forderungen der Stadtentwicklung nicht nur in der Stadt New Orleans selbst, son- dern in den USA insgesamt sichtbar: bezahlbaren Wohnraum schaffen, soziale und technische Infrastrukturen erneuern, den Status von Planung überdenken; vor allem vor dem Hintergrund der Analyse von Armut, Ungleichheit und Diskriminierung, die in Folge von Hurrikan Katrina starke öffentliche Resonanz erfuhr. (u.a. Nossi- ter 25.09.2008; Logan 2006)

1.2 Stadtpolitische Entwicklungen in einer ersten Erholungsphase nach der Katastrophe

In einer ersten Phase nach Hurrikan Katrina bildeten stadtpolitische Entwicklungen in New Orleans den Hintergrund wesentlicher stadtentwicklungspolitischer Debat- ten und Tendenzen (vgl. C II.2) und der ersten Planwerkserarbeitungen (Teil D). So war die Stadt nach Katrina unüberschaubaren Herausforderungen eines Wieder- und Neuaufbaus ausgesetzt (Burns, Thomas 2008: 260). Dennoch prognostizierte Powell (2007), dass sich New Orleans „zweifellos“ erholen werde. Allerdings wür- den sicherlich weite Teile der Stadt über Jahre „in der Schwebe“ sein. So zeigt zwar die Forschung, dass widerstandsfähige Städte nach Katastrophen fast immer von einem vitalen Wirtschaftsleben profitieren (vgl. Teil B). Allerdings war eine Revitalisierung des Wirtschaftslebens in New Orleans unmittelbar nach Katrina kaum zu erkennen. So war in New Orleans nach Katrina das erste Mal in der Ge- schichte der USA für fast ein Jahr „Untätigkeit“ erkennbar, die als Folge eines ökonomischen Niedergangs, der seit Jahren vor Katrina in New Orleans zugegen war, interpretiert wurde. Sogar die Hafenindustrie, die einen wirtschaftlichen An- ker der Stadt ausmachte, verlor an Bedeutung und die Städte Houston und Mobile gewannen gegenüber New Orleans wirtschaftlich an Gewicht. Der einzige wirt- schaftlich florierende Sektor ist die Bewirtungsindustrie. Allerdings wird diese zu sehr durch eine Niedriglohnpolitik angetrieben. (Powell 2007) Demgegenüber sieht Toledano (2007) die Stadt unmittelbar nach Katrina engagierter denn je in Bezug

224 auf ihre wirtschaftlichen Haupteinnahmequellen: den Tourismus, den Hafen und New Orleans als Veranstaltungsort für Tagungen und Kongresse.98 (Toledano 2007: 27) Auch Liu (2008) verweist darauf, dass Bürgermeister Ray Nagin nach Katrina grundsätzlich den Mustern seiner Vorgänger folgte und sich als erstes auf das Wiederherstellen der elementaren Infrastruktur und der Wirtschaftsstruktur konzentrierte. Von einer langfristigen Erholung der Bewirtungbranche wurde grundsätzlich ausgegangen, da große Sport- und Unterhaltungsveranstaltungen – trotz der Folgen von Katrina – stattfinden konnten. Steuereinnahmen von Hotels und Motels (Übernachtungssektor) stiegen im Frühjahr 2008 fast auf das Niveau der Zeit vor Katrina. (Liu, Plyer 2008) Durch finanzielle Unterstützung des Bundes für den Wiederaufbau konnten große Unternehmen beauftragt werden, die Auf- räumarbeiten in der Stadt zu übernehmen (Colten et al. 2008: 12–13). Diese Unter- nehmen hatten enge Kontakte zum Bund. Verträge über mehrere Millionen US- Dollar wurden für Aufräumarbeiten abgeschlossen. Erste Anzeichen eines markt- getriebenen Wiederaufbaus waren nach Powell nicht zu übersehen. (Powell 2007; vgl. Davis 24.08.2006) Eine Aufbauhilfe in der Höhe von 16 Milliarden US-Dollar wurde zugesichert. 35 Prozent dieser Infrastrukturmittel der FEMA, die dem Bun- desstaat von Louisiana zugesprochen wurden, erhielt die Stadt New Orleans. (Col- ten et al. 2008: 12–13) Das entsprach einem prozentual geringeren Anteil im Ver- hältnis zu anderen betroffenen Kommunen in Louisiana.

Bis 2007 blieb die städtische Wirtschaftsleistung unter dem Niveau von der Zeit vor Katrina (Scott 2007). Im Frühjahr 2008 war die Arbeitslosigkeit in der Region auf einem niedrigen Niveau. Dennoch mangelte es an Arbeitskräften, zurückge- kehrten Bewohnern und bezahlbarem Wohnraum. Während der Stadt finanzielle Aufbauhilfe zur Verfügung stand, kämpften viele kleine lokale Unternehmen da-

98 Nach Hurrikan Katrina zeichnete sich die Entwicklung von vielen Start-up-Neugründungen ab in anderen Wirtschaftszweigen als die des Tourismus- und Tagungssektors, von denen New Orleans größtenteils auch nach Katrina abhängig bleibt. (Gelinas 21.11.2010) Auch haben steuerliche Anreize des Bundesstaates Louisiana dazu beigetragen, dass die Filmindustrie in New Orleans nach Katrina stark gewachsen ist. Werden allerdings diese bundesstaalichen Steuervergünstigungen aufgehoben, wechseln Unternehmen (noch am gleichen Tag) den Standort und verlegen den Produktionsort bei- spielsweise nach Atlanta. (DiMarco 16.02.2017) Allerdings erkennt Louisianas Gouverneur John Bel Edwards im April 2017 auch an, dass Privatpersonen im Bundesstaat Louisiana mit der Zahlung von Steuern übermäßig belastet sind, währdend zu viele Unternehmen keine Körperschaftssteuer zahlen. (Edwards 24.04.2017a, 24.04.2017b)

225 rum, ihre Belegschaft zu halten. Denn große externe Unternehmen unterboten loka- le Unternehmen in Bezug auf Vertragsgestaltungen und Personalausstattung. In der Hurrikan Saison kam der Tourismus zum erliegen, so dass die Personalbesetzung in Restaurants und Hotels eine finanzielle Belastung für die Inhaber war. Mitte 2007 verließen 9.300 Arbeitnehmer die Stadt, gleichzeitig sind aber 6.000 Start Up-Unternehmen und andere Unternehmen in die Stadt gezogen. (Colten et al. 2008: 13; Liu, Plyer 2008)99

Institutionen für höhere Bildung und Medizin, die neben dem Tourismus die Haupt- stützen der Wirtschaft in New Orleans ausmachten, litten längerfristig unter den Folgen des Sturms. Weniger Personalkapazitäten und Immatrikulationen verhinder- ten eine Wiederbelebung der Universitäten. Medizinschulen, die nach Katrina ver- lagert wurden, sind zwar größtenteils zurückgekehrt, aber mit reduzierten Perso- nalkapazitäten. Der Verlust von Arbeitsplätzen und Möglichkeiten für eine höhere Ausbildung haben ernsthafte langfristige Auswirkungen auf die städtische Ent- wicklung. (Colten et al. 2008: 13) Krankenhäuser wurden nach Katrina geschlossen (z.B. das Charity Hospital), so dass die Gesundheitsvorsorge als defizitär galt. Die Stadt konnte nur drei Viertel der Personalkapazitäten in den Krankenhäusern wie- dereinstellen, litt an einem großen Verlust ausgebildeter medizinischer Arbeitskräf- te und dem Wegzug von Medizinern aus New Orleans und der Region. (Eaton 24.07.2007; Colten et al. 2008: 13) Nach zwei Jahren sind nur 57 Prozent der Krankenhäuser wieder in Betrieb. Aber auch sonst litt die Stadt in dieser Zeit an einem Infrastrukturdilemma, das sich aus der Zeit vor Katrina fortsetzte: So sind nur 62 Prozent der Schulen und 38 Prozent der Kindertagesstätten wieder in Be- trieb. Aufgrund dieser und anderer Zahlen, die eine ähnliche Tendenz aufweisen, wurde der Wiederaufbau als langsam bezeichnet. Diese Tendenz wurde trotz einer wieder steigenden Bevölkerungzahl festgestellt. Die Steuereinnahmen sind wieder auf 94 Prozent zu der Zeit vor Katrina angestiegen; eine Zahl die in der unmittelba- ren Folgezeit einstürzt war. (Burns, Thomas 2008: 261) New Orleans war vor Kat- rina für seine hohen Kriminalitätsraten bekannt. Die Kriminalitätsrate ging nach

99 Der Unternehmenssektor hat dynamische Inkubatoren hervorgebracht, wodurch sich ein Zusam- menspiel auf unterschiedliche Art und Weise entwickelte. Denn es treten nicht nur Unternehmen (for profits) als Inkubatoren (Idea Village, Propella) auf, sondern es zeichnen sich zudem Nonprofits als Inkubatoren ab (The Lens).

226

Katrina kurzzeitig zurück, stieg dann aber mit zunehmender Bevölkerung und mit der Rückkehr entsprechender Personenkreise wieder an. Somit bleibt die städtische Sicherheit eines der wichtigsten stadtpolitischen Handlungsfelder in New Orleans auch nach Katrina.100 (Burns, Thomas 2015; Gelinas 21.11.2010, u.a.)

Wohnraum war aufgrund der überproportionalen Zerstörung nach Katrina knapp. Wohnraum wiederherzustellen war demnach eine Schlüsselkomponente im Erho- lungsprozess (vgl. C II.2). Zu akuten Themen der Wohnraumfrage gehören die Zukunft des sozialen Wohnungsbaus, „temporäres Wohnen“ wie beispielsweise in trailer parks oder poverty zones (Hack 2006) und Obdachlosigkeit. Unmittelbar nach Katrina wurde versucht, temporären Wohnraum zu schaffen. Wohnwagen der FEMA wurden in einem sehr langsamen Prozess zur Verfügung gestellt. Teilweise lag es an der verantwortlichen Bundesbehörde (FEMA) selbst und teilweise lag es am Widerstand lokaler Stadträte, die versuchten, Wohnwagenhöfe in ihrem Distrikt zu verhindern. Im Laufe des Prozesses kamen Bedenken in Bezug auf giftige Emissionen von Materialen in den Wohnwagen auf. Erst 2008, infolge eines Be- schlusses des US-Kongresses, wurde die Sicherheit der Wohnwagen durch FEMA getestet (Walsh 17.01.2008). 2008 wurden die Wohnwagenhöfe geschlossen, was die Wohnraumknappheit in Stadt und Region verschlimmerte. (Federal Emergency Management Agency 2006, 2007; Colten et al. 2008: 13–14) Innerhalb des ersten Jahres nach Katrina hatten die ACE mehr als 200 Meilen (von 350 Meilen) des Hochwasserschutzsystems wieder in Stand gesetzt. Es wurden Schleusentore und Pumpen in den Mündungen der Kanäle gebaut um das Risiko eines weiteren Deichbruchs entlang der Wasserwege zu verringern. (Colten et al. 2008: 15)

Eine Revitalisierung von Nachbarschaften durch einen Wiederaufbau privaten Wohneigentums begann (etwa) im November 2005 in New Orleans und an der gesamten Golfküste. Von Nachbarschaft zu Nachbarschaft gab es unterschiedliche Erfolge, da ein Wiederaufbau von der privaten Verfügbarkeit finanzieller Ressour- cen abhängig war. (Urban Land Institute 2005b: 11) Gerade in Nachbarschaften,

100 Erst mit dem Amstantritt von Bürgermeister Mitch Landrieu 2010 wurde Strafverfolgung ernsthaft angestrebt. Seit 2007 überwacht eine zivilgesellschaftliche Interessensgruppe (Court Watch NOLA) Gerichtsverhandlungen, um Transparenz zu schaffen. (Gelinas 21.11.2010)

227 die für unterschiedliche musikalische Kulturen bekannt waren, waren noch lange nicht wieder „zurückgekehrt“. Die Stadt befand sich also in einer ersten Phase der Erholung, dennoch sah die Zukunft der Stadt zu diesem Zeitpunkt nicht „rosig“ aus. (Powell 2007)

1.3 Zwischenfazit: Folgen von Hurrikan Katrina stadtpolitisch und stadtentwicklungspolitisch herausfordernd

Hurrikan Katrina hat in einigen US-Bundesstaaten (Louisiana, Mississippi, Alaba- ma, Georgia und Florida) und vor allem im Großraum New Orleans schwerwie- gende Folgen ausgelöst: Starke Winde, Regen und Sturmwellen sowie das Schei- tern des Hochwasserschutzsystems ließen achtzig Prozent der Stadtfläche von New Orleans überfluten. Die darauf gefolgte urbane Katastrophe in New Orleans (To- desopfer und stadträumliche Zerstörung) legte stadtpolitische Herausforderungen des 21. Jahrhunderts offen (vgl. Nossiter 21.01.2007, 25.09.2008; Dreier 2006: 530). Eine eingeschränkte Handlungsfähigkeit der lokalen Ebene im Zusammen- spiel mit überlokalen politischen Ebenen wurde sichtbar. Dem Verhältnis mangelte es an Vertrauen und war von der Schwierigkeit geprägt, temporär effektive Koali- tionen bilden zu können. Hurrikan Katrina war das folgenschwerste Naturereignis in den USA seit dem 20. Jahrhundert.

Eine erste Erholungsphase nach Hurrikan Katrina (bis etwa zwei Jahre nach dem Sturm) war stadtpolitisch besonders herausfordernd. Der Wiederaufbau wurde als „langsam“ bezeichnet, da die wirtschaftliche Entwicklung weiterhin stagnierte und die infrastrukturelle Erneuerung nicht voranging. Diese Tendenzen setzten sich nicht nur aus der Zeit vor Katrina fort, sondern verstärkten sich aufgrund der Fol- gen des Wirbelsturmes. Ein Wiederaufbau von Wohnraum war die größte Heraus- forderung nach Katrina. Dieser Prozess war aber nicht nur für die Bewohnerschaft von New Orleans essentiell, sondern auch für eine Revitalisierung der Nachbar- schaften insgesamt. Nachbarschaften „erholten“ sich unterschiedlich schnell. Maß- geblich dazu trug eine unterschiedliche individuelle Ressourcenausstattung bei, so dass aus längerfristiger Perspektive von uneven recovery die Rede ist (vgl. „ Kam- merbauer 2013 #1589 Kammerbauer 2013) (vgl. B I 2.2.2).

228

Vor dem Hintergrund der Fragestellung nach Bedingungen, die lokale Reformfä- higkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren, deutet sich folgendes an: Strukturelle, historisch gewachsene und demnach stark verwurzelte stadtpolitische Charakteristika weisen auch in der unmittelbaren Folgezeit von Katrina und einer ersten Erholungsphase Anzeichen von stadtentwicklungspoliti- schen Charakteristika mit Beharrungsvermögen auf. Dazu gehört die generell ein- geschränkte Regierungs- und Handlungsfähigkeit der lokalen Behörden, ein Man- gel an stabilen Koalitionen und ein Mangel an Vertrauen unter Regierungsvertre- tern auf lokaler, bundesstaatlicher und föderaler Ebene. Eine stagnierende Wirt- schaftsentwicklung setzt sich – im besten Falle – fort wie auch Tendenzen der inf- rastrukturellen Ausstattung und Erneuerung. Eine Reproduktion des gesamtstädti- schen Wohnraum- und Nachbarschaftsmusters deutet sich an. In diesem Falle sind die Anzeichen von Beharrungsvermögen auch gleichzeitig Hinweise auf Bedin- gungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren; in diesem Falle blockieren diese eher eine lokale Reformfähigkeit.

C II.2 Wesentliche Debatten und Tendenzen der Stadtentwicklung in New Orleans nach Hurrikan Katrina

Während sich der nationale Fokus nach Hurrikan Katrina in erster Linie auf die Frage richtete, welche politisch-administrative Ebene (Bund, Bundesstaat, Kom- mune/Stadt) für die Bewältigung der unmittelbaren Folgen von Hurrikan Katrina in New Orleans verantwortlich war und wer die Verantwortung für die politisch- administrative Reaktion übernimmt, war die Frage nach der zukünftigen Entwick- lung von New Orleans für die Bewohnerschaft von größerer Bedeutung: Würden die Deiche instand gesetzt werden und die Stadt vor einem weiteren Sturm schüt- zen? Wann würden Dämme und Deiche den Wassermassen wieder standhalten? Wie sieht der Wiederaufbauplan der Stadt aus? Wer wird den Wiederaufbau steu- ern? Wie sollte das Wohnraumproblem gelöst werden – Würde es adäquaten Wohnraum, adäquate Schulen und Arbeitsplätze geben und würden Einwohner von New Orleans vor Kriminalität sicher sein? (Lay 2009: 645–646) Über längere Zeit nach Hurrikan Katrina war nicht klar, wie mit den Folgen von Katrina umgegangen

229 wird; wie also etwa die akuten lokalpolitischen (Überlebens-)Fragen beantwortet werden sollen. Parallel zu diesen zentralen – realpolitischen – Problemstellungen stand auf nationaler und lokaler Ebene aber auch grundsätzlich stadtentwicklungs- politisch der Standort New Orleans zur Debatte: Inwiefern soll die Stadt wieder vollständig aufgebaut werden? Sollten nur Teile der Stadt wiederaufgebaut werden, wie ist was möglich und „sinnvoll“? Diese Fragen machten vier Problemkomplexe deutlich: Erstens ist Überschwemmungs- und Hochwasserschutz zu gewährleisten, ohne monetäre Kosten zu scheuen (Schwartz 19.11.2005 zit. in Giegengack, Foster 2006: 32–33; Birch 2006: 133). Dennoch wird ein Überflutungsrisiko aufgrund der räumlichen Gegebenheiten stets bestehen, auch Hochtechnologien des Hochwas- serschutzes zum Einsatz kommen (Giegengack, Foster 2006: 33). Zweitens hat sich die Bevölkerungszahl der Stadt New Orleans nach dem Hurrikan um mehr als die Hälfte verringert.101 (Vale 2006: 166; Barnett, Beckman 2006: 291–293; Nossiter 01.04.2008) Der Bevölkerungsschwund hat nicht nur Auswirkungen auf die Vitali- tät der Stadt, sondern auch Folgen auf die städtischen Steuereinnahmen. Zudem warf der Tiefstand der Einwohnerzahlen Fragen bezüglich der sozialen und techni- schen Infrastrukturversorgung der Stadt auf. Drittens ist das Ausmaß der Infra- struktur- und Wohnraumzerstörung groß (Birch 2006: 133; Williams 09.02.2006; Steiner et al. 2006: 66). Zu den offenen Fragen hinsichtlich der zukünftigen Wohn- raumversorgung gehören, wo gebaut werden darf (Hack 2006: 240), welche Bau- richtlinien überhaupt gelten beziehungsweise geschaffen werden müssen und wer eine Überschwemmungsversicherung abschließen darf (Lubell 2006: 168). Die Rolle des privaten und zivilgesellschaftlichen Sektors bei Wiederaufbau und Er- neuerung war in diesem Zusammenhang ebenfalls unklar. Viertens wurde eine unterschiedlich starke sozialräumliche, sozioökonomische und ethnische Betroffen- heit durch Katrinas Folgen sichtbar: Die größeren Herausforderungen bestanden in Nachbarschaften, die aufgrund ihrer topographisch sehr niedrigen Lage stark über- flutet wurden und in denen Evakuierungen lang andauerten. (Vale 2006: 161) Ein Großteil der Bewohner verloren ihr gesamtes Wohneigentum und ihre Existenz-

101 Bürger, die New Orleans aufgrund von Hurrikan Katrina verlassen haben, verteilten sich auf mehr als siebenhundert Kommunen der Vereinigten Staaten. Einige dieser Kommunen waren mehr als viertausend Meilen von New Orleans entfernt. Bewohner aus einer überwiegend „weißen“ Nachbar- schaft wurden im Durchschnitt in Orte 193 Meilen weit entfernt evakuiert, während Bewohner aus einer überwiegend afroamerikanischen Nachbarschaft durchschnittlich 349 Meilen von New Orleans entfernt untergebracht wurden. (Emcke 26.06.2008)

230 grundlage, was überproportional viele ältere und ärmere Bürger sowie Bürger einer Rassenminorität betraf (Giegengack, Foster 2006; Logan 2006).

Der politische Umgang mit diesen städtischen Problemkomplexen macht Grundli- nien von Handlungsunfähigkeit der lokalpolitischen, bundesstaatlichen und staatli- chen Steuerung (politisch-administrative Ebene) im Wiederaufbauprozess deutlich (vgl. C II.1).102 Aufgrund der hohen Evakuierungsrate nach Katrina kam es auf lokalpolitischer Ebene zudem zu starken personellen Engpässen, die die Hand- lungsfähigkeit der Lokalregierung zusätzlich stark einschränkten (z.B. City Plan- ning Commission, vgl. C I.3). Somit hat die Wiederherstellung und der Aufbau von bezahlbarem Wohnraum und Infrastruktur nur mit starker zeitlicher Verzögerung begonnen (Lubell 2006). Zudem waren bürokratische Hindernisse von Bewohnern zu überwinden, die durch die Katastrophe ihr Eigentum verloren hatten.103

Vor dem Hintergrund dieser städtischen Problemstellungen und Herausforderun- gen, die ein derartiges Ereignis und dessen Folgen mit sich brachte und sichtbar gemacht hatte, werden in einem ersten Teil dieses Kapitels städtische Debatten (C II 2.1) aufgegriffen, die im engeren Zusammenhang mit dem Politikfeld der Stadt- entwicklung stehen. Der zweite Teil des Kapitels (C II 2.2) zeigt einige Tendenzen der Stadtentwicklung nach Katrina auf. Vor dem Hintergrund dieser stadtentwick- lungspolitischen Aktivitäten und Handlungsfelder werden die gesamtstädtichen Planwerke zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt entwickelt (Teil D).

102 Tendenzen von Korruption in der lokalen Politik werden beklagt. (Lang 2006: 133, 2006: 100) 103 Beispielsweise wurden von staatlichen Behörden sogenannte „Gutscheine“ ausgegeben, um die Miete der Unterkunft zu begleichen. Allerdings wurde eine Mietkaution, die für einen Abschluss eines Mietvertrages notwendig ist, von den staatlichen Behörden nicht zur Verfügung gestellt. (Emcke 26.06.2008) In Folge dessen wurde es vielen relativ einkommenschwachen Hurrikanopfern erschwert, eine adäquate Unterkunft zu finden.

231

2.1 Stadtentwicklungspolitische Debatten mit Einfluss auf den Prozess der Planwerkserarbeitungen nach Hurrikan Katrina

Unmittelbar nach Hurrikan Katrina wurden einige Themenfelder104 debattiert, die die erste Zeit nach Katrina prägten und die dann auch im Prozess zur Erarbeitung der gesamtstädtischen Planwerke zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt (Teil D) von Bedeutung waren.

2.1.1 Städtische Armut und Race

Wie bekannt, kann ein Ereignis und dessen Folgen wie die von Hurrikan Katrina ökonomische und soziale Probleme und Tendenzen einer Stadt verstärken, die be- reits vor diesem Ereignis die Stadt charakterisierten. In New Orleans sind das unter anderem Problemfelder wie ein weit verbreiteter Rassismus oder eine hohe Ar- beitslosigkeit und Armutsrate. (Vale 2006)105 Darüber hinaus löste Hurrikan Katri- na landesweit eine neue Armutsdebatte aus angesichts einer überproportionalen Offenlegung der Lebenssituation einer Vielzahl von Einwohnern von New Olreans (Powell 2007). Somit hatte Katrina einen „langen Schatten auf nationale Politiken“ geworfen: Nach Krugmann (31.08.2007) ist die Reaktion des damals amtierenden US-Präsidenten George W. Bush und seiner Administration auf Hurrikan Katrina zum politischen Standard geworden, so dass „Katrina All the Time“ zugegen war. Dieser Standard zeichnet sich durch eine Mischung aus der Vernachlässigung der Bedürftigen und dem Vergessen ihrer Notlage sowie der Beglückwünschung zur eigenen Politik diesbezüglich aus. Nach Krugman stelle Katrina ohne Zweifel ei- nen Wendepunkt dar. Die Frage sei aber, ob Katrina als der Moment interpretiert werde, an dem sich die USA an die Bedeutsamkeit von „gutem Regieren“ erinnere oder an dem Gleichgültigkeit und folglich auch Vernachlässigung und Vergess- lichkeit in Bezug auf Bedürfnisse anderer den neuen US-amerikanischen Weg ausmachen werde. (Krugman 31.08.2007)

104 Die Themenfelder sind in ihrer Reihenfolge nicht gewichtet oder zeitlich sortiert. 105 Bullard et al. (2009) zeigen Facetten des tief sitzenden Rassismus auf, die vor allem nach einer Katastrophe verstärkt zum Vorschein kommen.

232

Die Folgen von Hurrikan Katrina zogen soziale Auswirkungen nach sich: Die Ein- wohnerzahl von New Orleans hatte sich nach Katrina erheblich reduziert. Der sozi- ale Wohungsbau und privater Wohnraum waren aufgrund des hohen Zerstörungs- grades und des städtischen Verbots des Wiederbezugs nicht mehr bewohnbar. Ins- gesamt reduzierte sich die Arbeitslosigkeit unmittelbar nach Katrina dadurch, der Verkauf von illegalen Drogen wurde geschwächt, die Zahl der außerehelichen Ge- burten durch Teenager und die Schülerzahlen des öffentlichen Schulsystems redu- zierte sich drastisch. Insgesamt war New Orleans’ Einwohnerschaft unmittelbar nach Katrina „kleiner“ und „weißer“ (Toledano 2007: 27; vgl. Logan 2009) Zudem legte die Katastrophe Rassen- und Klassenunterschiede schonungslos offen, die bereits vor dem Sturm existierten: Eine große Mehrheit der mittellosen Einwohner- schaft war afroamerikanisch. Die Bewohner von New Orleans, die durch die Kata- strophe nur einen geringen materiellen Schaden zu verzeichnen hatten, waren ge- bildeter und wohlhabender. Nach Lay (2009: 649) haben sie wahrscheinlich keinen afroamerikanischen Hintergrund. Dieser Teil der Bewohnerschaft lebte in Nach- barschaften, die höher gelegen waren und in relativer Entfernung zu den zerstörten Deichen; er lebte in einigen der ältesten und stabilsten Wohnungsbeständen der Stadt und hatte bessere Eigentums- und Hochwasserversicherungen.

In New Orleans standen unmittelbar nach Hurrikan Katrina – und später auch nach Hurrikan Rita – in erster Linie fünf stadtpolitische Themen im Vordergrund: Inwie- fern sollte die Stadt New Orleans überhaupt wiederaufgebaut werden? In welchen Stadtteilen sollte wiederaufgebaut werden und mit welcher infrastrukturellen Aus- stattung, insbesondere in Bezug auf den Hochwasserschutz? Wie wird sich die Einwohnerzahl generell entwickeln? Die Art der individuellen Gebäude- und Ei- gentumsversicherung ist als ein Schlüssel des Wiederaufbaus zu betrachten. Die Debatten der oben aufgeworfenen Fragen werden nachfolgend kurz umrissen.

2.1.2 Wiederaufbauen oder nicht – heimkehren oder nicht?

Nachdem die Folgen von Hurrikan Katrina und Rita sichtbar wurden, wurde auch sogleich lokal und überlokal – wenn auch nur kurzzeitig – die Frage laut gestellt, ob New Orleans überhaupt wiederaufgebaut werden sollte (vgl. Costa 22.11.2016; Toledano 2007: 27 u.a.). Begründet wurde die Überlegung mit dem Niedergang

233 von New Orleans, der seit vielen Dekaden stattgefunden hatte und nach dem Sturm jetzt nur stark verzögert aufkam. Um dieser Überlegung nach Katrina entgegenzu- treten, wurde eine kulturelle Debatte zum Verlust städtischer Architektur, einer besonderen Küche und Musik geführt. Damit wurde stark die Notwendigkeit pro- klamiert, New Orleans zu „schützen“ und „wiederaufzubauen“. (Toledano 2007: 27) Nach Toledano war allerdings ein „Niedergang“ New Orleans’ als eine große US-amerikanische Stadt unausweichlich: Erstens veränderte sich das nationale Transportnetzwerk und so verlor der Hafen von New Orleans an Bedeutung. Die städtische Lage mit der eine Stadtgründung ursprünglich begründet wurde und die Wohlstand bescherte, war aufgrund dessen nicht mehr entscheidend. So konnte New Orleans als eine Stadt, die einen schweren Bedeutungsverlust des Hafens hinnehmen musste, nur in einen „Themenpark für Kongressteilnehmer“ abgleiten. (Toledano 2007: 32) (vgl. C I 2.3) Zweitens wäre ein Niedergang unausweichlich gewesen, da mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Whitney National Bank keine aktive Kraft geworden ist. Damals war sie die bedeutendste Bank im Süden der USA. Auch hätte New Orleans eine Luftfahrtdrehscheibe werden können, wenn „The Gateway to the Americas“106 nicht nur ein Slogan geblieben wäre. Grundsätz- lich hätte eine neue Wirtschaftsausrichtung energisch angestrebt werden sollen. Deshalb wäre auch drittens ein Niedergang unausweichlich gewesen: Denn die Unbeständigkeit der Öl- und Gasindustrie wurde beschuldigt. Zudem wurden New Orleans’ städtische Probleme (Armut, Bildungsarmut, Arbeitslosigkeit, Korruption etc.) als Fakten des individuellen Lebens betrachtet und nicht als systembedingte Fehler. Somit wurde auch keine Verantwortung dafür übernommen. (Toledano 2007: 32) Durch eine weitere Tatsache wurde ein Wiederaufbau zunächst in Frage gestellt: New Orleans war in der Folgezeit von Katrina noch größtenteils unbe- wohnt und so wurde zu dieser Zeit bezweifelt, dass die Einwohnerzahl wieder so- weit ansteigt, dass ein Wiederaufbau eines derartig großen Stadtgebietes gerecht- fertigt wäre. Und selbst wenn ein Wiederaufbau stattfinde, könnten nicht alle Teile der Stadt zur gleichen Zeit wieder aufgebaut werden aufgrund mangelnder Res- sourcen. (Canizaro zit. inRobertson 22.02.2014) Damit verweist Canizaro, Immo-

106 The Gateway to the Americas ist der Slogan des Louis Armstrong International Airport in New Orleans. Die Stadt New Orleans als auch der Flughafen selbst wird als Tor – in erster Linie nach Mittel- und Latainamerika – verstanden.

234 bilienentwickler und Akteur in der BNOB-Kommission, auf Vorschläge zur Flä- chennutzung der Wiederaufbaukommission Bring New Orleans Back (BNOB).

Entscheidend für einen „Wiederaufbau“ war aber nun die Tatsache, dass auf höchs- ter politischer Ebene (lokale Ebene und Bundesebene) ausschließlich ein „Wieder- aufbau“ proklamiert wurde: Bürgermeister Ray Nagin versprach, die Stadt mit „all ihrer früheren Erhabenheit“ wiederaufzubauen und US-Präsident Bush verkündete, dass nicht nur wiederaufgebaut werden solle, sondern sogar „besser“ wiederaufge- baut werden solle. (Powell 2007) Zudem wurde bereits kurze Zeit nach Katrina (spätestens im September 2005) eine Rückkehr in einige Stadtgebiete von New Orleans erlaubt. Damit wurden Fakten geschaffen, wodurch ein „Wiederaufbau“ politisch unumgänglich war.107 Insofern gab es politisch wenig Raum für ein Infra- gestellen eines Wiederaufbaus, wenn sogleich nach einem derartigen Ereignis einer Rückkehr stattgegeben wird.

Auf die Frage wie wiederaufgebaut werden sollte, äußerte sich einer von Bürger- meister Nagins engsten Vertrauten und wohlhabendsten Spendern, James Reiss einige Tage nach Katrina: „Those who want to see this city rebuilt want to see it done in a completely different way: demographically, geographically and political- ly.... I'm not just speaking for myself here. The way we've been living is not going to happen again or we're out.” (Powell 2007; vgl. Cooper 08.09.2005) Demnach deutete eine Gruppe einflussreicher städtischer Akteure bereits kurze Zeit nach Katrina an, dass Veränderungen in diesen Bereichen angestrebt werden. Dieses Zitat schlug medial hohe Wellen, weil Reiss Veränderungen in einem kleineren und „weißeren“ New Orleans durchsetzen wollte und damit implizit afroamerikani- sche „Problembereiter“, inklusive Politiker, aus der Stadt heraushalten wollte. Stu- dien zur Bürgermeisterwahl 2006 haben gezeigt, dass Hurrikan Katrina demogra- phische Veränderungen in der Stadt zur Folge hatte. Schlüsselverschiebungen in der Wählerschaft wurden erkannt: Afroamerikaner verloren zehn Prozent ihrer

107 Der Vizeadmiral der Küstenwache Thad Allen, der für die Katastrophenbewältigung auf Bundes- ebene verantwortlich war, gab bekannt, dass die städtischen Behörden eine Rückkehr von Unterneh- men und von Bewohnern in nicht betroffene Gebiete der Stadtteile West Bank und Algier erlauben dürfen. Die U.S. Army Corps of Engineers (ACE) gingen unmittelbar nach Hurrikan Katrina und Rita davon aus, dass die Sanierungs- und Reparaturarbeiten des Deichsystems bis Juni 2006 abgeschlossen sind. (MSNBC News Services 25.09.2005)

235

Wählerschaft, so dass die „weiße“ Wählerschaft zehn Prozent hinzugewann. Zu- dem verfügte ein höherer Anteil der Wählerschaft über höhere Einkommen. (Burns, Thomas 2008: 269) Damit nahm der Anteil der einkommensschwachen Wählerschaft quantitativ nach Katrina durch die Umsiedlungen ab und so war New Orleans insgesamt nach Hurrikan Katrina „weißer“ und „reicher“, was eine Rah- menbedingung von Stadtpolitik veränderte.

2.1.3 Infrastruktur und Hochwasserschutz

Öffentlich debattiert wurde die Sorge um die technische Infrastruktur, die mit der Deichzerstörung in New Orleans nach Katrina aufkam. Teile der lokalen Bewoh- nerschaft und der Stadtregierung von New Orleans reagieren bereits zynisch, wenn es um die Sicherheit des Hochwasserschutzsystems und den Grad ging, den große US-Behöden wie die ACE und FEMA hinsichtlich der Erfüllung ihrer Aufgaben erreichen. Seit Katrina kamen zwei Themen bezüglich widerstandsfähigem Han- deln auf: Erstens war ein Überfluss an Sicherheitsbemühungungen zugegen und zweitens sollten Privatpersonen auf sich selbst Acht geben. (Beck 1992) Risikoun- tersuchungen machten deutlich, dass Privatpersonen bei extremer Gefahr die Kon- trolle verlieren und sich notwendigerweise in die Arme großer Bürokratien bege- ben. Die politisch-administrative Handlungsunfähigkeit nach Hurrikan Katrina (vgl. C II.1) löste ein Überdenken dieses Untersuchungsergebnisses aus. (Colten et al. 2008: 15) Nachdem die demokratische Partei im US-Kongress wieder eine Mehrheit hatte und eine neue US-Präsidentenwahl in Vorbereitung war, wurden (2007) wieder vermehrt die Finanzhilfen in den Irak in Frage gestellt und beklagt, dass im Verhältnis dazu, zu wenig in Städte wie New Orleans oder Biloxi investiert werde. Politische Aufmerksamkeit solle nicht nur die nationale Wirtschaft erhalten, sondern auch die Infrastruktur.108 Denn die „Mondlandschaft“ in New Orleans und der Golfküste seien das Argument für Investitionen in Infrastruktur. (Powell 2007) Reparaturen und Sanierungen von Straßen und öffentlicher Infrastruktur, die in New Orleans seit langem überfällig waren (Colten et al. 2008: 18), sollten letztlich

108 Der damalige demokatische Senator von Virgina, James Webb, hatte folgende Frage gestellt, nachdem US-Präsident George W. Bush 2007 seine Ansprache zur Lage der Nation gehalten hatte: „How can we keep sending billions of dollars over to Iraq and not fund a really energetic effort to help places like New Orleans?” (Webb zit. in Powell 2007)

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– durch die finanzielle Wiederaufbauhilfe des Bundes – lokal in Angriff genom- men werden.

2.1.4 Entwicklung der Einwohnerzahl von New Orleans nach Katrina

Lokalpolitisch ist die Einwohnerzahl einer Stadt oder Kommune bedeutend, da von der Höhe der Einwohnerzahl auch die Steuereinnahmen abhängen und damit auch lokalpolitische Möglichkeiten hinsichlich eines Ausbaus oder einer Sanierung sozi- aler und technischer Infrastruktur der Stadt und anderen städtischen Handlungsfel- dern. Somit wird – neben Wahlkampf – auch diese Tatsache ein Grund für Bür- germeister Ray Nagin gewesen sein, gegenüber den Bürgern von New Orleans, die die Stadt in Folge von Hurrikan Katrina verlassen mussten, Anfang Dezember 2005 nach Katrina folgendes zu proklamieren: „I want you all to come back, and we can work this out.” (Toledano 2007: 31) Denn Hurrikan Katrina hatte die De- mographie neu kalibriert. Anfang 2007 gab es noch Zweifel, ob New Orleans je- mals wieder ein Bevölkerungsmaximum von der Hälfte der Bevölkerungsanzahl von vor Katrina (etwa 444.000) erreichen wird. Diese Zweifel so Nossiter, basier- ten aber mehrheitlich nicht auf den weitreichenden Schäden, die durch die Flut entstanden. Diese Zweifel basierten auf den erwähnten „lähmenden Problemen“, die lange vor Katrina in New Orleans existierten. (Nossiter 21.01.2007)109 Laut Brookings Institution war im Februar 2008 die Rückkehr der Bevölkerung gemes- sen am Wohnraummangel und dem Mangel an öffentlichen Dienstleistungen bes- ser als erwartet. Dennoch war von einer „schleppenden“ Revitalisierung der Stadt die Rede, was auch an der sehr extrem verringerten Zahl der Einwohnerschaft nach Katrina lag. Wurden 1960 noch 627.525 Einwohner (Nossiter 21.01.2007) und im

109 Die Bevölkerungsentwicklung von New Orleans hängt auch mittelbar mit der Entwicklung der Kommunen zusammen, in die New Orleanians aufgrund von Hurrikan Katrina zugezogen sind. Die Entwicklung dieser Kommunen wurde zwar nicht zentral debattiert, zeigt aber, dass eine Katastrophe auf regionalem Maßstab eine unmittelbar lokale Wirkung hat. Die American Planning Association thematisierte in der unmittelbaren Folgezeit Kommunen in einem Umkreis von einigen hundert Mei- len um New Orleans, die die Auswirkungen von Katrina spüren, weil sie viele Zuzügler aufgenom- men haben. Gleichzeitig zeichnete sich Entwicklungsdruck ab, temporären oder dauerhaften Wohn- raum zu schaffen. Dieser solle aber nicht im Außenraum (auf der grünen Wiese), weit entfernt von Infrastrukturen oder Dienstleistungen entstehen, so der geschäftsführende Direktor, Paul Farmer, der APA. Diese Kommunen bräuchten vor diesem Hintergrund unmittelbare planerische Unterstützung. (Farmer 2005)

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Juli 2005 454.865 Einwohner gezählt, waren es 2006 nur noch 223.288 Einwohner (Jakob, Schorb 2008: 41).110

Für die Ermittlung der Einwohnerzahl wurde das Instrument der Postadressen her- angezogen, die so auch über die Rückkehr der Bevölkerung Auskunft gab. Im Feb- ruar 2008 lag die Einwohnerzahl bei 71 Prozent im Verhältnis zu der Zeit vor Kat- rina. (Liu, Plyer 2008) Die Rückkehrer werden seit 2006 von einer Welle neuer (junger) Zuwanderer begleitet (Campanella 2006c: 145; Perry 15.02.2017), die zum Teil Start-Ups anderer wirtschaftlicher Branchen sind als die des Tourismus- und Tagungssektors. Vom letzgenannten bleibt die städtische Wirtschaftskraft von New Orleans größtenteils bis heute abhängig. (Gelinas 21.11.2010) Der Zuzug dieser Bevölkerungsgruppe hat allerdings auch Gentrifizierungstendenzen von einigen innenstadtnahen Stadtteilen und Nachbarschaften zur Folge.111 (Horne 20.02.2017) Das Data Center kann allerdings keine Aussagen zu der Frage machen, wieviele derzeitige Einwohner vor Katrina in New Orleans lebten im Verhältnis zu neu zugezogenen Einwohnern nach Katrina: „Unfortunately there is no easy way to know how many current residents lived in New Orleans before Katrina and how many current residents are new post-Katrina. This has been a question of great interest by many people and we have looked high and low for a readily available answer and there is no regularly collected data that can answer this question. Fed- eral statistical systems simply do not report where a person lived 12 years ago. We know of only small sample surveys conducted in 2010 and 2015 that attempted to answer this question. They were conducted by the Kaiser Family Foundation.“ (Plyer 18.09.2017)

Bewohner der Nachbarschaften, die stark überflutet waren, lebten lange Zeit in Atlanta, Houston und Nashville und sind teilweise zurückgekehrt. Durch neuen Zuzug und diesen Rückzug lag die Einwohnerzahl 2014 wieder bei 370.000

110 Die Quellen zitieren den US-Census. Andere Quellen zeigen andere Zahlen auf: Vor Hurrikan Katrina (2005) lag die Einwohnerzahl bei 437.186. Im Juli 2006 lag die Einwohnerzahl geschätzt bei 210.198. Für New Orleans ist eine eindeutige Angabe der Bevölkerungszahl schwierig, da es Unter- schiede zwischen den tabellarischen Angaben der Post und des Zensus gab. (Liu, Plyer 2008) So gab beispielsweise die LRA im November 2006 die Einwohnerzahl 191.000 bekannt (Nossiter 21.01.2007). 111 Horne (20.02.2017) spricht von einem „influx of young people“ und „New York came here“.

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(Robertson 22.02.2014) und damit bei weniger als sechzig Prozent in Bezug auf die Einwohnerzahl von 1960, als das Stadtgebiet noch kleiner war. Die Milliardenför- derung der US-Regierung sei sogar vor dem Hintergrund dieser Einwohnerzahl ungenügend, um die gesamte Stadt wiederaufzubauen. (Robertson 22.02.2014). Somit ist zwar die Einwohnerzahl nach Katrina wieder erheblich gestiegen, aller- dings wurde auch 2017 das erste Mal seit Katrina festgestellt, dass mehr Menschen New Orleans verlassen und in andere Teile der USA ziehen, als aus anderen Teilen der USA Menschen nach New Orleans ziehen. (Adelson 22.03.2017)

Durch Hurrikan Katrina hat sich die Bevölkerungsentwicklung in der Region um New Orleans verändert. Die Bevölkerung ist nun eher regional verteilt. Diese Ent- wicklung ersetzt ein früheres zentralisiertes New Orleans. (Colten, Yodis 2007 zit. in Colten et al. 2008: 13) Der benachbarte Lankreis Jefferson Parish hat 98 Prozent seiner Bevölkerung von vor dem Sturm wieder erreicht, während St. Bernard Pa- rish, das durch Katrina schwer betroffen wurde, bei 43 Prozent seiner Gesamtbe- völkerung im Verhältnis zu der Zeit vor Katrina 2005 verhaften bleibt. Die paris- hes flussaufwärts und am nördlichen Ufer des Lake Pontchartrain sind etwa um fünf Prozent gewachsen. Nicht alle Migranten sind allerdings in der Region geblie- ben: So wurden 11.000 Menschen in den drei größten Städten in Texas und weitere 1.200 Menschen in Atlanta im August 2007 gezählt. (Louisiana Recovery Corps 2007)

2.1.5 Städtische Grundfläche und neu entflammter Rassismus

In der Folgezeit von Hurrikan Katrina wurde lokal ein planerischer Vorschlag (der BNOB-Kommission) stark debattiert, da dieser die Spannungen zwischen den Ras- sen sofort offenlegte. Der Vorschlag wurde bei seiner öffentlichen Präsentation so verstanden, dass die Stadtfläche zukünftig verkleinert werden würde und nur noch in höher gelegene Stadtgebiete eine Rückkehr möglich wäre. Mit diesem Vor- schlag, der nicht realisiert wurde (vgl. Teil D I), wären einige niedriggelegene Nachbarschaften nicht wiederaufgebaut worden (Powell 2007), in denen zum Großteil eine afroamerikanische Bewohnerschaft lebte. Das rief großen öffentli- chen Protest hervor. Cynthia Hedge-Morrell, ein Mitglied des damaligen Stadtrates von New Orleans, reagierte auf diesen Vorschlag, der die Stadtfläche von New

239

Orleans reduzieren sollte, wie folgt: „You are underestimating the intelligence of the people of New Orleans. They know what they are doing.” Die Bewohnerschaft von New Orleans solle also gemäß US-amerikanischer Gesellschaftsphilosopie (planungspolitisch) nicht bevormundet werden, da das einzelne Individuum selbst am besten weiß, was gut für sie oder ihn ist. Allerdings können die meisten Le- bensbedingungen in New Orleans vor dem Hurrikan als lebensunwürdig bewertet werden. Die Frage sei daher eher, so Toledano (2007) zu welchem Zustand die Stadt zurückkommen solle, wenn sie insgesamt wiederaufgebaut werden wird. Toledano interpretiert diese politische Aussage von Hedge Morell folgendermaßen: Komm zurück und mache unsere Stadt zu siebzig Prozent wieder afroamerika- nisch, so dass wir weiterhin Afroamerikaner in fast jedes öffentliche Amt wählen können. (Toledano 2007: 31) (vgl. C I 2.3) Zu den Hintergründen der Überlegun- gen zur Stadtflächenreduzierung gehörte, dass mögliche Gefahren der Folgen zu- künftiger Wirbelstürme umgangen werden sollten und dass man einem geringeren Einwohnerwachstum gerecht werden wollte, welches wiederum eine adäquate Inf- rastrukturausstattung verlangte. Das Konzept zur Reduzierung der städtischen Grundfläche befürworteten Unternehmer, Entwickler, Nachbarschaftsvertreter und Universitätspräsidenten, die eine Mehrheit der BNOB-Kommission ausmachten. (Powell 2007) Die Frage, wer also wo zukünftig sicher wohnen werde und mit welcher infrastrukturellen Ausstattung wurde im Verlauf des Planwerksprozesses zum Wiederaufbau zu einem stadtentwicklungspolitischen „Dauerbrenner“. Diese Debatte um Wiederbesiedlung und race gehörte zu einem der Schlüsselereignisse im Wiederaufbauprozess. Dementsprechend wird die Frage im Rahmen des Pro- zesses zur Erarbeitung eines strategischen Planwerks zum Wiederaufbau noch einmal aufgegriffen (Teil D) und wurde hier nur angedeutet.

2.1.6 Versicherungsindustrie und Versicherung von Eigentum als „unsichtbarer“ Schlüssel zum Wiederaufbau

Ein Wiederaufbau einer Stadt nach einem Ereignis wie Hurrikan Katrina und des- sen Folgen wird insbesondere beeinflusst von der Art der individuellen Versiche- rungspolicen in Bezug auf das Hauseigentum. Diese Tatsache wurde zwar nicht im engsten Sinne öffentlich debattiert, spielte aber eine Rolle bei der individuellen Inanspruchnahme eines eigens nach der Katastrophe aufgelegten Förderprogramms

240 des Bundesstaates Louisiana zur Förderung von Hauseigentum nach Katrina (Road Home). Beides – Versicherungspolice und Förderung aus dem Road Home Pro- gramm – beeinflusste in hohem Maße die individuellen Entscheidungen der Ein- wohner in Bezug auf eine Rückkehr nach New Orleans nach Katrina. Der Grad der individuellen Rückkehrentscheidungen hatte wiederum stadtentwicklungspolitische Auswirkungen auf die Neuentwicklung von Nachbarschaften und Stadtteilen. Denn wer seine Immobilien sehr gut, gut oder auch gar nicht versicherte, konnte in der Regel seine Immobilie, die durch eine Katastrophe zerstört wurde, finanziell sehr gut, gut oder schlimmstenfalls gar nicht wiederaufbauen, da dafür die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen oder fehlen. Aber auch wenn eine Mehrheit der Haus- eigentümerschaft in New Orleans ihr Eigentum auf irgendeine Art versichert hatte, mussten im Falle New Orleans’ Verzögerungen in Kauf genommen werden, bevor die Versicherung zahlte.112 Das verlangsamte einen Wiederaufbauprozess in Nach- barschaften und ganzen Stadtteilen. Als schließlich die Zahlungen der Versiche- rungen getätigt wurden, gab es typischerweise ein Gefälle zwischen den Zahlungen der Versicherung und den tatsächlichen Reparaturkosten am Hauseigentum. (Col- ten et al. 2008: 13)

Eine Versicherung gilt als „Lebensblut des Immobilenmarktes“ (Powell 2007). Ohne Absicherungspotential können Eigentümer keine Hypothek aufnehmen. Während die Kosten der Versicherung hoch bleiben, können Investoren beim Bau bezahlbaren Wohnraums Steuergutschriften nicht profitabel nutzen. Nun hat aber der Supreme Court 1868 entschieden, dass Versicherungsregularien den Bundes- staaten zu überlassen seien und der US-Kongress hatte der gerichtlichen Entschei- dung im McCarran-Ferguson Act113 von 1945 stattgegeben. Nach Powell erzählt die Versicherungsindustrie die Geschichte, wie externe Schocks – wie die Feuer von Chicago und Boston 1871 und 1872 und die Depression der 1890er Jahre – dazu beitrugen, dass die Anwälte der Versicherungsnehmer in Bundesstaaten Ta- rifregulierungen durchfechten. 1988 erhielt Powell zufolge die Versicherungsin- dustrie eine Niederlage, als Wähler in Kalifornien das betrügerisch verabredete

112 Auch die Auszahlungen aus dem Road Home Program haben sich über einen sehr langen Zeit- raum hingezogen (vgl. C II 2.2.2) 113 Der McCarran-Ferguson Act ist ein US-amerikanisches Bundesgesetz, das Versicherungsuntern- hemen von den meisten Verordnungen des Bundes befreit.

241

Teilen von versicherungstechnischen Daten stoppten. Seit 2000 stiegen die Anfra- gen im Kongress, die Versicherungsindustrie unter die föderale Kontrolle des Bun- des zu nehmen. Der 11. September 2001 und die Hurrikan Saison 2004 in Florida erhöhten dahingehgend den Druck. Hurrikan Katrina zog nun den größten Einzel- schaden in der Geschichte der Versicherungsindustrie mit 41 Milliarden US-Dollar nach sich. (Powell 2007)

Im Frühjahr 2007 stellte der US-Kongress neue Forderungen, die die Versicherer strenger prüfen und unter Kontrolle bringen sollten. Durch Hurrikan Katrina wurde öffentlicher Druck dahingehend erzeugt, die größtenteils deregulierte Versiche- rungsindustrie im Zaum zu halten. Der Bund sollte intervenieren.114 In New Or- leans schrie der schleppende Wiederaufbau und die verzögerte Reaktion der Bun- desregierung gar nach einer wahrhaftigen „low-intensity citizens' revolution“ (Nos- siter 27.08.2006 zit. in Powell 2007). Im März 2007 kritisierte der US-Senator Chris Dodd ein Versicherungsunternehmen stark, da das Unternehmen im Ein- zugsbereich von New Orleans Versicherungen annulliert hatte. Und das tat Dodd trotz der Tatsache, dass sich viele Versicherungsunternehmen in seinem Heimat- bundesstaat Connecticut konzentrieren: „What is happening here, it can happen all over the country. (...) This is a national issue.“ (Powell 2007) Darüber hinaus wur- de kontinuierlich über eine Einrichtung eines nationalen Katastrophenfunds debat- tiert (enactment of a national catastrophe fund). Sogenannte Katastrophenanleihen (catastrophe bonds) sind als eine marktorientierte Art zu verstehen, die Risiken nach Katrina zu streuen. Letztlich etablierte ein Gesetzesvorschlag einen nationalen Katastrophenfund gemäß des Versicherungsprogramms zum Terrorismus, das nach dem 11. September 2001 in Kraft gesetzt worden war. Darüber hinaus gab es De- batten in Bezug auf Untersuchungen des US-Kongresses und der Justizbehörden der USA: Versicherer wurden beschuldigt, ihre eigenen Schadensanspruchshaftun- gen auf das Bundesprogramm zur Hochwasserversicherung abgewälzt zu haben. Ein Gesetzentwurf des US-Kongresses sah vor, das National Flood Insurance Pro-

114 Im Bundesstaat Mississippi, in dem ebenfalls die Hurrikans Katrina und Rita schwere Schäden verursachten, forderte eine basisdemokratische Kampagne die gesetzgebende Gewalt dazu auf, eine sogenannte „Insurance Bill of Rights“ zu verabschieden. Der Aktionismus betroffener Bürger, von denen viele zum ersten Mal einer Bürgerorganisation beigetreten sind, versinnbildliche die Politik nach Katrina, so Powell (2007).

242 gram auszudehnen. Dies beinhaltete mehrere Risiken und verdoppelte die Deckung der Haftungssumme einer Police. (Powell 2007)

Zusammenfassend wurden vor dem Hintergrund des Politikfeldes der Stadtent- wicklung unmittelbar nach Hurrikan Katrina politische Themenfelder in unter- schiedlicher Art und Weise öffentlich debattiert: Armut und Rassismus, vor allem im Zusammenhang mit der Nutzung der städtischen Grundfläche, ein politisches Bekenntnis zum Wiederaufbau und Hochwasserschutz als Grundvoraussetzungen für einen Wiederaufbau, Einwohnerentwicklung als kritisches Moment beim Wie- deraufbau und die Versicherungslogik als eine „unsichtbare“ Steuerung von indivi- duellem Wiederaufbau. Deutlich wurde wiederum, dass städtische und stadtpoliti- sche Problemlagen und Handlungsfelder in der Gesamtschau durch eine Vielzahl von Akteursinteressen geprägt sind. Diese Themenfelder mit ihren Interessensver- tretungen spielen im weiteren Verlauf der Katastrophenbewältigung eine Rolle. Sie können als diskursiv inhaltlicher Hintergrund nicht nur einiger Tendenzen der Stadtentwicklung (vgl. C II 2.2), die sich nach Katrina abzeichneten, sondern auch als Hintergrund der Prozesse zur Erarbeitung eines Planwerkes zum Wiederaufbau in New Orleans nach Hurrikan Katrina interpretiert werden (vgl. Teil D).

2.2 Tendenzen der Stadtentwicklung nach Hurrikan Katrina: Klima lokaler Reformfähigkeit?

Nachdem wesentliche Themenfelder, die unmittelbar nach Hurrikan Katrina eine Relevanz für das Politikfeld der Stadtentwicklung darstellten, aufgezeigt wurden, werden nun Tendenzen der Stadtentwicklung nach Katrina an sich umrissen, die nach Katrina eine gesamtstädtische und/oder mediale Wirkung erzielten oder von stadtentwicklungspolitischer Relevanz sind. Diese Tendenzen stellen in dieser Ar- beit einen inhaltlichen Rahmen der Stadtentwicklung dar, in den sich die Prozesse zur Erarbeitung eines Planwerks zum Wiederaufbau und zur gesamtstädtischen Neuentwicklung von New Orleans (Masterplan) einfügen. Vor dem Hintergrund dieser Prozesse werden zuträgliche und abträgliche Bedingungen von lokaler Re- formfähigkeit herausgearbeitet (Fragestellung der Arbeit, vgl. Teil D). Hier soll darüber hinaus implizit umrissen werden, inwiefern und wie Stadtpolitik in US- amerikanischen Städten – in diesem Fall nach einer Katatastrophe – mit bestimm-

243 ten gesamtgesellschaftlichen Reformherausforderungen der Stadt im 21. Jahrhun- dert umgeht, und zwar sowohl mit ökonomischen Fragen nach Möglichkeiten einer Revitalisierung von Innenstädten vor dem Hintergrund fortschreitender Suburbani- sierung (Wohnraumschaffung) oder dem stadtpolitischen Umgang mit wirtschaftli- chem Strukturwandel und Umstrukturierungen des Arbeitsmarktes (Großprojekte und Tourismus) als auch sozialen und ökologischen Herausforderungen mit stadt- räumlichen und stadtsoziologischen Auswirkungen wie Einwanderungsfragen und Multiethnizität, einer steigenden Armutsrate und einer sozioökonomischen Un- gleichheit (Verfall von Wohnraum und Immobilien, Hochwasserschutz).

Laut der American Planning Association gehörten folgende Handlungsfelder zu den größten Problemfeldern in New Orleans nach Hurrikan Katrina: Wohnraum, städtische Einrichtungen und Infrastruktur, Umgang mit Naturgefahren und Um- welt. Ironischerweise waren diese Handlungsfelder, diese vier Elemente eines ge- samtstädtischen Masterplanes, der vor Katrina in Arbeit war und die noch ausgear- beitet werden sollten. (American Planning Association 11.2005: 14) (vgl. C I 3.3) Dann wurde die Stadt mit Hurrikan Katrina konfrontiert und diese städtischen Problemfelder mussten aufgrund des Katastrophenereignisses neu bewertet werden und wurden neu be- und verhandelt. So gehören sie teilweise zu den zentralen Ten- denzen der Stadtentwicklung in New Orleans nach Hurrikan Katrina:

Zu den zentralen Tendenzen der Stadtentwicklung nach Katrina, die eine gesamt- städtische Wirkung und Bedeutung haben, gehören der Hochwasserschutz mit Al- ternativen (C II 2.2.1) und die Umorganisation von Wohnraum (C II 2.2.2). Erstens wurde Wohnraum geschaffen, der unterschiedlichen Einkommensschichten zur Verfügung stehen sollte (mixed-income housing). Zweitens entstand Wohnraum durch Wohltätigkeitsprojekte (charity-supported housing projects). Der lokalstaat- liche Umgang mit der Wohnraumfrage, vor allem mit dem Abriss sozialen Woh- nungsbaus in der Stadt wurde im Zusammenhang mit dem ohnehin knappen Wohnraum in New Orleans kontrovers bewertet, denn eine Vielzahl einkommens- schwächerer Bewohner blieb (gezwungenermaßen) der Stadt auch aus diesem Grund fern.

244

Drittens setzt sich die Tendenz einer steten Aufwertung des innerstädtischen Quar- tiers French Quarter als Fremdenverkehrsziel fort und lokal- und bundesstaatlich geförderte städtebauliche Großprojekte werden mit dem Ziel initiiert (C II 2.2.3), längerfristig die ökonomsiche Basis der Stadt zu stärken. Dazu gehören die neuen Krankenhäuser und medizinischen Ausbildungszentren der Louisiana State Uni- versity (Louisiana State University Health Sciences Center New Orleans) und des Department of Veteran Affairs (VA Medical Center), die funktional das Charity Hospital ersetzen. Ein zweites Großprojekt der Stadt Reinventing the Crescent, das nach Katrina konkret geplant und umgesetzt wurde, ist die Aufwertung der inner- städtischen Uferpromenade des Mississippi mit dem Ziel, die Innenstadt als Anzie- hungspunkt von Tourismus, Investorentum und einer neuen Bewohnerschaft weiter zu attraktivieren.

Abschließend zeigen akteursbezogene Tendenzen (C II 2.2.5), dass im umfangrei- chen Handlungsfeld der Nachbarschaftsrevitalisierung in erster Linie zivilgesell- schaftliche Akteure mit einer gewissen Ressourcenausstattung (zum Beispiel Geld oder fachlichen Kompetenzen) aktiv sind. Initiiert und angestoßen wurden die Pro- zesse oft durch einzelne entschlossene Privatpersonen, die neue Lokalgruppen, soziale Unternehmungen, Nachbarschaftsorganisationen oder Stiftungen gründeten und Freiwilligenprojekte vorantrieben. Dabei spielt auch die Präsenz überlokaler Akteure wie zum Beispiel von privaten Philanthropen, nationalen NGOs und Think Tanks oder fachpolitschen Organisationen, wie die der breiten Planerbewegung des Cogress of New Urbanism oder der American Planning Organization, eine bedeu- tende Rolle.115 Diese Akteure setzten sich beispielsweise für nachhaltiges ökologi- sches Bauen und für den Bau bezahlbaren Wohnraums ein oder unterstützen um- fassende Planungen und Strategien unter anderem zur Quartiersentwicklung und der Wohnraumfrage (vgl. C II 2.2.2). Sie arbeiteten neben lokalen Nachbarschafts- organisationen und lokalen NGOs, die sich vor und nach Katrina gegründet haben. Diese Vielzahl an zivilgesellschaftlichen Ansätzen und Akteuren auf lokaler Ebene kann, so Vale (2006) auch Spannungen hervorrufen und im planerischen Ergebnis

115 APA, ULI und AIA waren die bedeutendsten fachpolitischen Organisationen, die Planungsfragen in New Orleans nach Hurrikan Katrina zu ihrem Gegenstand machten. (American Planning Associa- tion 11.2005: 13)

245 unkoordiniert einen eher additiven Effekt denn Mehrwert in der Nachbarschaftsre- vitalisierung haben. (Vale 2006: 162–163)

2.2.1 Konventioneller und alternativer Hochwasserschutz

New Orleans ist historisch stark durch „Wasser“ geprägt. Die Stadt wurde im Sumpfland gebaut. Zunächst wurde mit dem Wasser gelebt. Seit dem 20. und 21. Jahrhundert wurde dann versucht, die Stadt mit Deichen, Dämmen, Pumpen und Entwässerungskanälen vor Wasser zu schützen. (Schleifstein 07.04.2010) Somit weist New Orleans und seine Region (Greater New Orleans) ein Hochwasser- schutzsystem auf, das über einhundert Jahre alt ist und das die Region beispiels- weise vor Auswirkungen von Wirbelstürmen schützen soll; ein Infrastruktursys- tem, das nicht in allen Küstenstädten zu finden ist.

2.2.1.1 Hochwasserschutz der Kategorie Drei oder Fünf?

Nach Hurrikan Katrina wurden Baufehler und eine schwache Instandhaltung der letzten Jahre vorgefunden, so dass konstatiert wurde, dass die Akteursstrukturen zur Hochwasserkontrolle (Levee Board) letztlich um einiges „schwächer“ waren als erwartet (Schwartz 22.01.2006) (vgl. C I 1.2). Durch Hurrikan Katrina und Hur- rikan Rita wurde deutlich, dass ohne große finanzielle Investitionen in Drainage- systeme und in eine Flutkontrolle die Stadt „nicht überleben“ könne. Jeder neue Hurrikan kann die Wassermassen des Lake Pontchartrain wieder über seine Däm- me peitschen lassen. (Colten 2006: 32)

Inmitten der städtischen Debatten und Auseinandersetzungen um den Wiederauf- bau von New Orleans, gab es ein Handlungsfeld, bei dem es zunächst so aussah, dass Konsens herrschte: Das Hochwasserschutzsystem der Stadt müsse so instand- gesetzt werden, dass New Orleans vor einem erneuten Hochwasser geschützt ist. Diese Instandsetzung müsse erfolgen, bevor die Stadt wieder vollständig aufgebaut werden kann. Allerdings wurde gestritten um das Niveau des Hochwasserschutzes. Dabei ging es um die Kategorie Drei oder Fünf: Bis November 2005 wurde von der ACE, der Army Corps of Engineers als zuständige Bundesbehörde, ausschließlich die rudimentärsten Reparaturarbeiten ausgeführt. Löcher im Deichsystem wurden

246 repariert und Pfahlwerk aus Stahl wurde verbaut, um eine schnelle Schutzversion gegen Hurrikans der Kategorie Drei zu schaffen. Um allerdings das Vertrauen der Bewohnerschaft zurückzugewinnen, müsse der Hochwasserschutz soweit erhöht werden, damit dieser einem Wirbelsturm der Kategorie Fünf standhält, folgt man der Meinung nahezu aller städtischen und bundesstaatlichen Vertreter. (Steinhauer 08.11.2005) Auch nach Andy Kopplin, dem damaligen geschäftsführenden Direk- tor der Wiederaufbaubehörde von Louisiana (Louisiana Recovery Authority, LRA), muss ein Hochwasserschutzsystem und eine umfassende Küstenrekultivierung die „top federal priority“ sein, um Wirbelstürmen der Kategorie Fünf standzuhalten. Diese Maßnahmen seien essentiell für eine langfristige „Erholung“ New Orleans’. Allerdings würde dieses Versprechen laut Bundesstaat zehn bis zwanzig Milliarden US-Dollar kosten und bis zur Fertigstellung würden zehn Jahre vergehen. Die Küs- tenrekultivierung wurde zudem auf 14 Milliarden US-Dollar geschätzt. Im Novem- ber 2005 gab es keine Anzeichen dafür, dass der Bund diese finanziellen Mittel genehmigen würde. (Steinhauer 08.11.2005)

Anfang November 2005 legte US-Präsident George W. Bush dem US-Kongress eine Anfrage vor, (spending request), die Ausgaben von 1,6 Milliarden US-Dollar für die Instandsetzung des Hochwasserschutzsystems und der Feuchtgebiete vor- sah. Zusätzlich wurde vorgeschlagen, 4,6 Millionen US-Dollar für eine Studie be- reitzustellen, in der Möglichkeiten eruiert werden sollten, wie das Hochwasser- schutzsystem verbessert werden konnte. Dieser Vorschlag wurde von Kongress- mitgliedern der betroffenen Bundesstaaten als gänzlich unzureichend kritisiert. (Steinhauer 08.11.2005) Währenddessen gingen die unmittelbaren Instandset- zungsarbeiten nur langsam voran. Die ACE hatten 49 Verträge für Ingenieurs- und Bauarbeiten angekündigt, wobei ausschließlich ein Dutzend bis November 2005 geschlossen wurden, so der Leiter der ACE Taskforce Lewis F. Setliff III. (Stein- hauer 08.11.2005)

Noch Anfang Dezember 2005 – mehr als drei Monate nach Hurrikan Katrina – hatte Donald Powell als top hurricane-relief adviser, ranghöchster Verantwortli- cher des Wiederaufbaus an der Golfküste der Bush-Administration, nicht entschie- den, ob der Bund finanzielle Mittel zur Verfügung stellen soll, um das Hochwas- serschutzsystem in Louisiana „besser“ wiederaufzubauen, als es vor Katrina war.

247

Er sammelte zu diesem Zeitpunkt noch Informationen von lokalen und bundes- staatlichen Entscheidungsträgern. Powell stand mit Gouverneurin Blanco im Aus- tausch als Teil einer fact-finding tour an der Golfküste. (Simpson 01.12.2005) Letztendlich hatte Donald Powell der Bush-Administration aber doch den Auf- und Ausbau des Deichsystems empfohlen. Powell versprach, dass die US-Regierung ein Hochwasserschutzsystem bauen wird, das „besser und widerstandsfähiger“ sei als je zuvor. (Schwartz 22.01.2006)

Dieser Entscheidung ging voraus, dass Louisianas Gouverneurin Kathleen Blanco und andere politische Entscheidungsträger aus Louisiana sowie Unternehmen und Eigentümer ein verbessertes Schutzsystem forderten; ein Schutzsystem, das einem Wirbelsturm der Kategorie Fünf standhält und das Menschen ermutigt, in die Regi- on zurückzukehren. Dabei wurde stets darauf verwiesen, dass derartige Verbesse- rungen des Schutzsystems Bundesfördermittel erfordern würden. Schätzungen lagen bei 32 Milliarden US-Dollar, wobei die Konsten zunächst auf zehn bis 20 Milliarden US-Dollar geschätzt wurden. Bis zur Fertigstellung würden dreißig Jahre vergehen. Die ACE haben zu diesem Zeitpunkt (Dezember 2005) daran gear- beitet, das Deich- oder Hochwasserschutzsystem so instandzusetzen, dass New Orleans vor einem Sturm der Kategorie Drei geschützt sein würde. (Simpson 01.12.2005)

Fraglich sei, inwiefern das neue Hochwasserschutzsystem die Gefahr einer neuen Flutkatastrophe vollständig eliminiert oder inwiefern es in erster Line um eine „Ri- sikominimierung“ und einen „Einhundertjahresschutz“ geht, so dass für einen Wir- belsturm, der statistisch nur ein Mal in einem Jahrhundert auftritt, das Überflu- tungsrisiko gesenkt wird. (Hurrikan Katrina wurde als Sturm eingestuft, der statis- tisch alle vier Jahrhunderte auftritt.) (Lindner 29.08.2010) Während die ACE ar- gumentieren, dass die massiven Reparaturarbeiten das Deichsystem extrem ge- stärkt haben, meinen Kritiker wie Robert Bea, Ingenieur und Professor der Univer- sity of Berkeley, dass das System gerade einmal einem Sturm der Kategorie Drei standhalten würde. Zudem sei dieser Schutz erst 2011 erreicht und es wäre un- wahrscheinlich, dass dieses System jemals für einen Sturm der Kategorie Fünf stark genug sein würde. (Schulte 11.06.2008) Das Hochwasserschutzsystem gehöre zur ersten Priorität der Wiederaufbaukommission Bring New Orleans Back

248

(BNOB), so Immobilienentwickler und Vorsitzende des Land Use Subcommittee der Wiederaufbaukommission BNOB Joseph Canizaro. Canizaro forderte im Rah- men der Erarbeitung des Wiederaufbauplanes Zusicherungen, dass die ACE ver- pflichtet würden, eine Schutzsystem zu bauen, das Wirbelstürme der Kategorie Drei abwehrt. Einige Deiche müssten erhöht werden (1,5 Meter). Dafür müsste ein Unterbau, der beständiger ist, geschaffen werden. Genau das wurde dann auch getan. (Meitrodt, Donze 13.12.2005) Nach Schwartz habe die US-Behörde ACE von vornherein kein Schutzsystem für Wirbelstürme der Kategorie Fünf verspro- chen. Denn das wäre ein Schutzsystem für den extremsten Zustand, den die Natur in diesem Zusammenhang hervorbringen könne. (Schwartz 22.01.2006)

2011 sollte das Hochwasserschutzsystem durch die ACE fertig gestellt werden. Im Sommer 2012 hat sich das System in einer „Überprüfung mit Funktionskontrolle“ der ACE behauptet. (Pohl 2014: 388; vgl. Lindner 29.08.2010) Die Kosten dieses massiven Infrastrukturprojekts zum Schutz von Menschen und Eigentum in und um New Orleans belief sich auf fünfzehn Milliarden US-Dollar. (Gelinas 21.11.2010)

Kommunale Entscheidungskompetenzen und Entscheidungen aus Sicht es Hoch- wasserschutzes: Die Instandsetzung und Verstärkung des Hochwasserschutzes ist Aufgabe des Bundes, konkret liegt diese Aufgabe im Verantwortungsbereich der U.S. Army Corps of Engineers (ACE). Kommunale Behörden haben eigene Ent- scheidungskompetenzen. Dazu gehört beispielsweise das Anheben von Gebäude- standards, das Hochwassermanagement durch sogennannte Levee Boards116 und eine Notfallbereitschaft; Aufgaben, die sich auf den Grad der Risiken und auf Schäden an Leben und Eigentum auswirken. (Nance 2009: 26) Allerdings wurden diese kommunalen Entscheidungskompetenzen nicht ausgenutzt: So war die Stadt New Orleans nach Hurrikan Katrina und Rita nicht in der Lage, Anordnungen zu Gebäudestandards wie eine Aufständerung voranzutreiben, während bereits erheb-

116 In der Region New Orleans gab es zehn dieser Levee Boards. Eine neue Interessensgruppe Citi- zens for 1 Greater New Orleans setzte sich für eine Verfassungsänderung ein, diese zehn Ausschüsse durch zwei zu ersetzen. Ziel dieser Gruppe war es, eine Verschwendung, die mit diesen zehn Aus- schüssen in Verbindung gebracht wurde, zu reduzieren und die öffentliche und mediale Aufmerksam- keit auf die Situation der Deiche zu lenken. Ein Immobilienmarkler des Stadtteils Uptown in New Orleans, Ruthie Frierson, unterstützte die Gründung dieser neuen Interessensgruppe. (Gelinas 21.11.2010)

249 lich zerstörtes Eigentum wiederaufgebaut wurde, obwohl durch die Folgen von Hurrikan Katrina in New Orleans regelrecht eine Bühne geschaffen wurde, um überflutete Quartiere zu stärken und um die Risiko- und Gefahrenverringerung in den städtischen Wiederaufbauprozess einzubeziehen. (Nance 2009: 26) Auch im Zusammenhang mit dem Wiederaufbauplan Unified New Orleans Plan (UNOP) (vgl. Teil D), der eine Wiederbesiedlung überall im Stadtgebiet erlaubt und so auch in stark überflutungsgefährdeten Gebieten, nimmt der lokale Staat eine schwache Haltung an: Er übergibt die Verantwortung des Hochwasserschutzes wie auch schon vor Katrina dem technischen Hochwasserschutzsystem beziehungsweise den Bundesbehörden. Neue Eigentumsimmobilien sollen – einfach – aufgeständert und „intelligenter“ gebaut werden, so Tony Facine, ein Mitarbeiter des lokalen Wieder- aufbaubeauftragten Edward Blakely, der nach der Verabschiedung des Wiederauf- bauplanes UNOP die Operationaliserung des Planwerks im Stadtgebiet vorantrei- ben sollte. (Schulte 11.06.2008)

Insgesamt waren aber nicht nur das Hochwasserschutzsystem an sich und die lo- kalstaatlichen Entscheidungen hinsichlich des Hochwasserschutzes sind für diesen in New Orleans nach Katrina von Bedeutung. Auch sogenannte Hochwasser- schutzkarten sind ein Instrument zur Verringerung des individuellen Hochwasserri- sikos. Die Erarbeitung dieser Karten, die sich als langwierig herausstellte, lag in der Verantwortung der Bundesbeörde Federal Emergency Management Agency (FEMA). (Schwartz 31.03.2006)117 Ungeachtet dieser Karten war es allerdings Bewohnern von New Orleans gestattet, ihre Wohnhäuser wiederaufbauen. Die bundesstaatliche Louisiana Recovery Authority (LRA) befürchtete aber zu diesem Zeitpunkt, dass sich viele Eigentümer dagegen entscheiden, wiederaufzubauen, weil die Risiken zu hoch seien (und ohne Hochwasserschutzkarten die Risiken individuell schwer oder gar nicht einschätzbar seien). Ziel der Louisiana Recovery Authority (LRA) ist es allerdings, die Bewohnerschaft in Bezug auf ihre Rückkehr zu unterstützen und Anreize zu schaffen, ihr individuelles Eigentum wiederaufzu- bauen. Gleichzeitig sollen Rückkehrer aber FEMA-Anforderungen erfüllen und an „sicheren“ Standorten in der Stadt siedeln. (Schwartz 31.03.2006)

117 2016 wurden die flood maps final und überarbeitet veröffentlicht. (City of New Orleans 30.03.2016)

250

Abbildung 15: Die Abbildung zeigt eine Verstärkung des Hochwasserschutzsystems in New Orel- ans seit Hurrikan Katrina (grün markiert). Die rot markierten Deiche und Flutwände stellen die größten Schwachstellen in Bezug auf Überflutungen dar, insbesondere im Osten und Süden der Stadt New Orleans. Stand August 2007 (Schwartz 17.08.2007).

251

2.2.1.2 Alternative Strategien zum Schutz vor Hochwasser – von Dutch Dialogues zum Urban Water Plan

Mit mehr als 1500 Millimeter Regenwasser (60 inches) pro Quadratmeter und Jahr und steigenden Risiken durch Klimaveränderungen, ist die Entwässerungsinfra- struktur der Stadt New Orleans des letzten Jahrhunderts in Bezug auf gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen nicht mehr angemessen. Die Konsequenzen dieses derzeitigen Ansatzes des Wassermanagements, der insbesondere Regenwas- ser so schnell wie möglich im Boden versickern lässt, sind sichtbar geworden: Der Boden senkt sich ab und städtische Infrastruktur wird peu à peu zerstört. (Waggon- ner & Ball Architects o.J.) Denn das derzeitige – konventionelle – Entwässerungs- system in New Orleans hat einen destruktiven Kreislauf geschaffen, in dem Pum- pen und Niedrigwasserniveaus den Boden absinken lassen haben. Das erfordert dann eine erhöhte Pumpkapazität, damit die Stadt trocken bleibt, was wiederum das Absinken des Bodens vorantreibt, so Charles Taylor von der Countries Associ- ation. (Waller 06.08.2014)

Einige Bundesstaaten, insbesondere die, die in den letzten Jahren mit großen Wir- belstürmen konfrontiert waren, wurden und werden aktiv, um sich auf eine intensi- ve Zeit mit „Wasser“ und Wirbelstürmen einzustellen. New York City und New Orleans beispielsweise gaben weitreichende neue Pläne zum lokalen Wasserma- nagement bekannt. Anders als vorangegangene Pläne schließen diese als innovativ bezeichneten Ansätze ein gemeinschaftliches Vorgehen ein. (Brown 09.09.2014) In New Orleans arbeiteten nach Hurrikan Katrina niederländische Experten des Was- sermanagements mit lokalen Interessensvertretern und Planern zusammen, um die Stadt zu einem „nachhaltigen“ Ort zu entwickeln: Mit dem Wasser müsse „gearbei- tet“ werden, anstatt zu versuchen, das Wasser stetig „wegzupumpen“ (Waller 06.08.2014): So sieht der Urban Water Plan konkret vor, binnenländische Wasser- wege in der Stadt zu nutzen, um Regenwasser aufzufangen und somit Grund und Boden feucht zu halten mit dem Effekt, dass sich das Absinken des Bodens ver- langsamt. (Waller, 29.08.2014) New Orleans und New York City gelten somit als Beispiele für Städte, die neue Wege für eine Koexistenz mit größeren Einfällen von Wasser suchen, die – so wird angenommen – durch Klimawandel und einen stei- genden Meeresspiegel verursacht werden. (Waller 11.09.2014) In New Orleans

252 wurde aus einer fachpolitischen Idee eine Planungsstudie entwickelt, die zwar ei- nen informellen Status hatte, aber dennoch erste Realisierungsschritte in der Regi- on New Orleans zu verzeichnen hat:

„Dutch Dialogues“ als Impulsgeber für den Greater New Orleans Urban Water Plan

Der sogenannte Greater New Orleans Urban Water Plan wurde in Zusammenar- beit mit niederländischen Experten des Wassermanagements entwickelt. Die Arbeit mit den Niederländern begann unmittelbar nach Katrina. In einer Reihe von Tref- fen und Konferenzen zum Wassermanagement – den sogenannten Dutch Dialogues – wurden Diskussionsergebnisse erarbeitet, die sich zu Kernelementen des Greater New Orleans Urban Water Plan entwickelten. Die Niederländer entpuppten sich als Schlüsselpartner dieses Planes, die ebenfalls aus dieser Partnerschaft gelernt hätten. Denn die Niederlande haben normalerweise nicht mit derartigen Wirbel- stürmen zu kämpfen und somit auch nicht mit so heftigen Regenfällen, so dass sie auf dieser Ebene neues Wissen generieren müssten. (Brown 09.09.2014)

Initiator der Dutch Dialogues ist David Waggonner, Architekt aus New Orleans, der die Lokalgruppe der American Planning Association in New Orleans umge- hend von seinen Beobachtungen unterrichtete, dass der Umgang mit Wasser in der Stadt New Orleans und seiner Region verändert werden müsse. Waggonner und die APA thematisierten den Umgang mit Wasser und dessen Bedeutung nach Hurrikan Katrina in einer ersten Phase in den Dutch Dialogues in Form von Workshops, die im März und Oktober 2008 sowie im April 2010 stattfanden. Vertreter der Ameri- can Planning Association (APA) und ein Team bestehend aus niederländischen Planern, Städtebauern, Landschaftsarchitekten und Vertretern der niederländischen Botschaft sowie dessen Regierungsabteilungen von Planung, Verkehr, öffentliche Infrastruktur und Wassermanagement tauschten sich über bewährte Verfahren und Methoden hinsichtlich eines effektiven und attraktiven Wassermanagements aus. (American Planning Association o. J.b; Shea 07.10.2008) 2008 wurden so Pla- nungsansätze auf drei Maßstabsebenen und Richtlinien für bestimmte Sachgebiete entwickelt: für Überschwemmungsschutz und Sicherheit, für bauliche Sanierung, für ein gewisses „widerstandsfähiges System“ und für die „Vorzüge von Wasser“.

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(Dutch Dialogues o. J.). Architekten und Planer aus New Orleans versprachen sich von dem Austausch den „Import“ des niederländischen Modells, denn die Nieder- länder sind seit langem mit den Auswirkungen von Wasser konfrontiert: „Over eight centuries they have wrested control of their environment to create a place that is at once safe and desirable. […] Water is the foundation for their [dutch] plan- ning, rather than an afterthought or secondary aspect of development.” (Waggonner zit. in Shea 07.10.2008) Eine Gruppe US-amerikanischer und niederländischer Architekten und Stadtplaner trafen Anfang April 2010 in New Orleans für ein drit- tes Treffen zusammen, um lokale Lösungsansätze zu entwickeln, Wasser in städti- sche Handlungsfelder und Maßnahmen zu integrieren. (American Planning Associ- ation o. J.b) Ziel war es, eine Umgestaltung von Teilen der Stadt New Orleans in Gang zu setzen, in denen Wasserwege, städtische Feuchtgebiete und Grünflächen genutzt werden können, um zusätzliches Regenwasser zu absorbieren. Beim Neu- bau von Straßen und Fußwegen werden gestalterische Möglichkeit gesehen, das Regenwasser zu absorbieren; Zisternen oder Wasservorhaltebecken sind weitere Möglichkeiten. (Schleifstein 07.04.2010)

Greater New Orleans Urban Water Plan und der neue Umgang mit „Wasser“

Die Ursprünge des Urban Water Plan – die Planungsarbeit und das Knüpfen von Partnerschaften – gehen auf das Jahr 2005 zurück. 2006 wirkten die Büros Wag- gonner & Ball und H3 Studio als Leiter des St. Bernard Parish Planning Frame- work für das Citizens Recovery Committee im Prozess des Unified New Orleans Plan mit. 2006 initiierten Waggonner & Ball die Dutch Dialogues-Workshops, die als Vorläufer des Urban Water Plan gelten. (Waggonner & Ball Architects o.J.)

Der Plan sieht in groben Zügen vor, „Wasser“ in nachbarschaftliche Funktionen einzubinden anstatt es durch Dämme und Deiche aus der Stadt herauszuhalten. Ziel ist es, eine städtische Landschaft zu entwickeln, die mit „Regengärten“ und natürli- chen Bodensenkungen ausgestattet, sowie mit neuen oder modernisierten Kanälen und Teichen verbunden ist. (Waller 11.09.2014) Im gesamten Stadtgebiet soll der Boden für den Regenwasseroberflächenabfluss genutzt werden. Das Wasser soll in Staubecken und Kanälen gehalten werden, um das Absinken des Bodens zu ver- hindern. Vision des Plans ist es, mehr kontrollierte Wasserwege in die städtische

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Infrastruktur zu integrieren und somit auch in das tägliche Leben der Einwohner- schaft von New Orleans. (Waller 06.08.2014) Diese Vision folgt nachhaltigen Prinzipien des Wassermanagements. Angestrebt wird dadurch, die Sicherheit und Lebensqualität in New Orleans zu verbessern sowie ökonomisches Wachstum zu generieren. Derzeit wird jegliches Regenwasser aus der Stadt abgepumpt; ein An- satz, bei dem es offenkundig zu Ungleichgewichten zwischen Wasser und Boden kam. Ein Umbau und ein neuer Ansatz hinsichtlich des Regen- und Grundwasser- managements werde „messbar“ mehr Sicherheit schaffen, das Tempo, in dem die Region absinkt, werde sich verringern und die Identität von Greater New Orleans – als ein Ort, der reich an öffentlichen Gütern, Industrie und Innovation ist – werde sich festigen, so die Verfasser des Planes. Die Prinzipien des Planes orientieren sich an den Dimensionen Wasser, Ökologie und Mensch. (Waggonner & Ball Ar- chitects o.J.) Der Plan gilt insgesamt als ein Vorstoß, eine Region zu „verändern“, die „Wasser“ momentan eher als eine Bedrohung denn als einen Gewinn betrachte. Unterstützer dieser neuen Haltung (Rainey 06.09.2013) wollen dabei nicht den Urban Water Plan anstelle des derzeitigen Hochwasserschutzes sehen, sondern einen Weg, die Widerstandsfähigkeit der Region insgesamt zu erhöhen. Diese Stra- tegie umfasst drei Säulen: Schutz durch Deiche und Dämme (herkömmlicher Hochwasserschutz), Investitionen in die Rekultivierung der Küste und die Umset- zung des Urban Water Plan in der Region. Dieser Ansatz bedeutet ein neues Sys- tem für eine Stadt, die effektiv mit Wasser lebt, so Robin Barnes, stellvertretender Vorsitzender und Geschäftsführer von Greater New Orleans Inc., eine Interessens- gruppe für wirtschaftliche Entwicklung. (Brown 09.09.2014)

Der Greater New Orleans Urban Water Plan stellt zunächst eine informelle Pla- nungsstudie dar, die nachhaltige Strategien zum Umgang mit der Ressource Was- ser in den Kommunen St. Bernard sowie der East Banks von Jefferson und Orleans Parishes vorschlägt. Das Planwerk thematisiert dabei drei grundlegende Sachver- halte: Überflutung durch starke Regenfälle, Bodensenkung durch das Abpumpen von Regenwasser und verschwendete Wassergüter. (Waggonner & Ball Architects o.J.) 2010 hat die Disaster Recovery Unit des bundesstaatlichen Office of Commu- nity Development die Greater New Orleans, Inc. (GNO, Inc.) finanziell unterstützt, damit der Greater New Orleans Urban Water Plan entwickelt werden kann. Dafür wurden öffentliche Fördermittel des Community Development Block Grant und

255 speziell die finanziellen Mittel des Disaster Recovery Programms des Bundes be- ziehungsweise des Departments of Housing and Urban Development genutzt. Das Architektur- und Planungsbüro Waggoner & Ball aus New Orleans leitete den Pro- zess der Planentwicklung mit lokalen und internationalen Experten des Wasserma- nagements. (Waggonner & Ball Architects o.J.) Anfang September 2013 wurde der Greater New Orleans Urban Water Plan öffentlich durch Würdenträger, Architek- ten und öffentliche Vertreter im Hafen von New Orleans präsentiert. Die Army Corps of Enginieers (ACE), die für das große Infrastrukturprojekt des konventio- nellen Hochwasserschutzes in New Orleans verantwortlich sind, waren bei der Präsentation nicht anwesend. Jedes der Projekte der ACE setze die Philosophie der Entwässerung fort; eine Philosophie, die mithilfe des Urban Water Plans verändert werden soll. Öffentlicher Druck aus den Nachbarschaften und ein Verständnis, wie die Bürokratie der ACE funktioniere, seien Waggonner zufolge die Schlüssel, um die Bundesbehörde mit ins Boot zu bekommen. Der Plan soll langfristig – bis 2050 – umgesetzt werden. (Rainey 06.09.2013)

Lokale wirtschaftliche Effekte

Obwohl die Zahlen schwer nachzuprüfen sind, haben Michael Hecht, Geschäfts- führender Direktor der Greater New Orleans, Inc. (GNO, Inc.) und andere Unter- stützer des Planes einen ökonomischen Nutzen in Höhe von 11,3 Milliarden US- Dollar für die Region errechnet. Dabei beziehen sich die Schätzungen auf einen Anstieg von Eigentums- und Immobilienwerten und auf ein vermindertes Über- schwemmungsrisiko. (Rainey 06.09.2013) Zudem hat sich nach Hurrikan Katrina eine Expertise wirtschaftlicher Unternehmen aus Louisiana hinsichtlich Architek- tur, Ingenieurswesen, Bau und Planung entwickelt. So hat die Greater New Or- leans Inc. (GNO Inc.) beispielsweise 327 Millionen US-Dollar errechnet, die für Wiederaufbauarbeiten nach Hurrikan Sandy von diesen Unternehmen aus Louisia- na für Regierungsbehörden des Bundesstaates und des Bundes in Rechnung gestellt wurden. (Waller 29.08.2014)

Als der Wiederaufbau nach Hurrikan Katrina in Gang gekommen war, sich der Golf von Mexiko von der Ölkatastrophe erholt hatte und die Küstenrenaturierung geplant war, sind die Arbeitsstellen im Bereich des Wassermanagements in Südost

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Louisiana von 2010 bis 2013 um 7.832 angestiegen. Somit hat der Bundesstaat Louisiana eine höhere Konzentration derartiger Arbeitsstellen zu verzeichnen als der nationale Durchschnitt. Louisiana sei Vorreiter. Wirtschaftswissenschaftlern zufolge könnten sich New Orleans größte Schwächen wie Wirbelstürme, Überflu- tungen, Feuchtgebiete und absinkender Boden zu den größten ökonomischen Vor- teilen entwickeln. Die Region entwickelte eine Fachexpertise, die andere Orte zu- nehmend nötig hätten. Neben den Niederlanden hat sich die Region zu einer aner- kannten Größe im Bereich des Wassermanagements entwickelt (Waller 29.08.2014): So wurden lokale Unternehmen in und um New Orleans zu Experten, die überlokal nachgefragt werden. Beispielsweise wurde das erwähnte Architektur- und Planungsbüro Waggonner & Ball durch seine führende Position bei der Erar- beitung des Greater New Orleans Water Plan überregional bekannt. Auch hat sich das Architekturbüro Eskew+Dumez+Ripple in Bezug auf das Entwerfen von ener- gieeffizienten und wassersparenden Gebäuden einen Namen gemacht (mit dem New Orleans BioInnovation Center und dem L.B. Landry-O. Perry Walker High School Campus in Algiers). New Orleans begegne extremen Klimabedingungen, die sich in anderen Regionen verstärken, so Smith aus dem Büro. Nach Smith war die Arbeit im Büro einst mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert und nun profitiere das Büro von der Fachexpertise, die an „herausfordernden“ Orten erar- beitet wurde. (Waller 29.08.2014)

Tendenzen des Hochwasserschutzes nach Katrina können folgendermaßen zusam- mengefasst werden: Der Hochwasserschutz ist eine Aufgabe des Bundes, die lokal ausgeführt wird. In Folge von Hurrikan Katrina wurde in erster Linie zwischen Bund und Bundesstaat darum gestritten, inwiefern der Hochwasserschutz von Dämmen und Deichen nach einer derartigen Katastrophe „verbessert“ werden soll- te. Dabei ging es einerseits um erhebliche finanzielle Ressourcen, die der Bund bereitstellen musste und andererseits um den Schutz von Menschen und Eigentum für den sich lokale Behörden stark machten. Letztendlich ist ein Hochwasser- schutzsystem in und um New Orleans der Kategorie Drei instandgesetzt und ver- bessert worden, parallel zu zivilgesellschaftlichen Anstrengungen, dem Wasserma- nagement der Stadt holistisch zu begegnen: Bemerkenswert ist, dass sich die Hal- tung und das „Klima“ in Fachkreisen verändert und ein Umdenken in Bereich des Wassermanagements stattfindet. Das ist als eine Entwicklung zu sehen, die durch

257 die Auswirkungen der Wirbelstürme Katrina und Rita 2005 ausgelöst wurde. Noch bemerkenswerter ist, dass diese Entwicklung über die Grenzen von Zivilgesell- schaft, Politik und Wirtschaft stattgefunden hat. Das Planwerk hat sich aus der Fachkreisen und fachpolitischen Organisationen, die als Teil der „Zivilgesell- schaft“ betrachtet werden können, heraus entwickelt, wobei die Dutch Dialogues den Ausgangspunkt für diesen Urban Water Plan darstellen. Diese Entwicklung war allerdings ausschließlich mit dem „Rückenwind“ politischer Akteure möglich; beispielsweise durch die Finanzierung verschiedener Positionen. Zudem hat we- sentlich dazu beigetragen, dass – ganz und gar „US-amerikanisch“ – wirtschaftli- che Vorteile aus diesem neuen Ansatz erkannt wurden. Eine wirtschaftliche Vorrei- terrolle wird im Wassermanagement angestrebt. Durch eine wirtschaftliche Interes- sensgruppe (GNO Inc.) wird versucht, Unternehmen zu überzeugen, auf neue Zweige im Wassermanagement umzusatteln. Der Greater New Orleans Urban Water Plan hat selbstverständlich das Ziel, eine weitere mögliche Katastrophe zu lindern. Der Plan soll aber New Orleans zugleich als Ort dabei helfen, eine Vorrei- terrolle der Wassertechnologie einzunehmen. Denn wirtschaftliche Perspektiven seien vorhanden: Die Niederlande erwirtschafteten 2008 im Wassersektor 16,4 Milliarden Euro. 6,5 Milliarden Euro stammen von Exporten. New Orleans eifert diesen Gewinnen nach, folgt man dem Greater New Orleans Urban Water Plan. Die Niederlande gelten insofern als ein globaler Anführer in Regenwasserma- nagement und als eine Quelle von Inspiration und Expertise bezüglich des Plans in New Orleans und seiner der Region. (Owens 07.02.2014)

2.2.2 Die Wohnraumfrage nach Hurrikan Katrina

In Folge von Hurrikan Katrina wurde Wohnraum in New Orleans stark zerstört. Am stärksten davon betroffen waren ärmere Wohnviertel im östlichen Teil der Stadt. Nach Colten (2008) war die Wiederherstellung von Wohnraum nach Hurri- kan Katrina eine der Schlüsselaufgaben im Wiederaufbauprozess der Stadt. Über 105.000 Wohneinheiten benötigten einen substanziellen Wiederaufbau. So war bereits die Unterbringung von Bewohnern, die New Orleans aufgrund des Hurri- kans nicht verlassen hatten, sowie von Arbeitskräften, die in einer ersten Wieder- aufbauphase nach Katrina am Wiederaufbau beteiligt waren, herausfordernd. Ins- gesamt gestaltete sich der Prozess, Wohnraum wiederaufzubauen, schleppend.

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Unter anderem war der Arbeitsumfang im Stadtraum außergewöhnlich hoch und Arbeitskräfte, die Sanierungs- und Reparaturleistungen vornehmen konnten, waren schwer zu finden. (Colten et al. 2008: 13)

Eine Tendenz der Wohnraumentwicklung in New Orleans nach Hurrikan Katrina hat sich aus neuen politischen Programmen und zivilgesellschaftlichen Initiativen zur Bewältigung der Wohnraumzerstörungen und deren Folgen entwickelt. Verfal- lenes Wohneigentum wurde wiederaufgebaut und brachliegende Grundstücke wur- den wieder nutzbar gemacht. Eine zweite Tendenz, die im Bereich der Wohnraum- entwicklung nach Katrina sichtbar wurde, spiegelt die nationale Wohnraumpolitik wider und wurde bereits vor Katrina teilweise lokal umgesetzt. Das ist zunächst nicht überraschend, da für den Bundesstaat Louisiana und die Stadt New Orleans die gleichen Wohnraumprogramme und Fördermöglichkeiten des Bundes gelten wie in anderen Bundesstaaten und Städten der USA. Dennoch zeichnet sich in New Orleans nach Hurrikan Katrina eine Besonderheit ab: Der nationale Trend in der Wohnraumversorgung wird nun lokal in New Orleans mit Nachdruck verfolgt, verändert punktuell die stadträumliche Struktur in Stadtquartieren und hat sozial- räumliche „Verschiebungen“ zur Folge.

Vor diesem Hintergrund der einerseits neuen und andererseits fortgeführten, aber beschleunigten Wohnraumtendenzen sind drei grundlegende Richtungen der Wohnraumentwicklung in New Orleans zu erkennen: Erstens wurden neue lokalstaatliche Programme aufgelegt, die mit finanzieller Unterstützung von Bund und Bundesstaat private Hauseigentümer unterstützen, ihre Immobilie nach Katrina und Rita wiederaufzubauen. Zweitens wird sogenanntes mixed-income housing an ehemaligen Standorten des Sozialen Wohnungsbaus, der nach Katrina abgerissen wurde, katalytisch geschaffen. Das Zusammenwirken privater Entwickler und Investoren, fachpolitischer Organisationen, Stiftungen, Nonprofits und staatlicher Wohnungsbaubehörden macht dabei die Rolle überlokaler Einflussgrößen deutlich. Der Bau von mixed-income housing in New Orleans folgt somit dem Trend der US-amerikanischen Wohnungspolitik. Drittens werden Wohnungsbauprojekte unter anderem für einkommensschwache Bewohnerschichten entwickelt, die von NGOs, philanthropischen Organisationen oder Stiftungen umgesetzt werden. „Nachhaltiges“ Wohnen wird ermöglicht und damit Hauseigentum weiterhin

259 gefördert. „Affordable Housing goes Green“ ist mittlerweile ein Trend118 in den USA, der zwar nur einen Bruchteil auf dem Wohnungsmarkt ausmacht, der aber in New Orleans sein Laboratorium fand.

2.2.2.1 Innerstädtisch katalysiert: Mixed-Income Housing

Nach Katrina trieb das Ministerium für Wohnungsbau und Stadtentwicklung (U.S. Department of Housing and Urban Development HUD) Pläne voran, die vier größten Ensemble des Sozialen Wohnungsbaus in New Orleans abreißen zu lassen und neu zu entwickeln (Dewan 12.07.2007). Im Dezember 2007 (12.12.2007) wurde in New Orleans im Auftrag der städtischen Wohnungsbaubehörde (Housing Authority of New Orleans HANO119) mit dem Abriss der vier größten Ensembles des Sozialen Wohnungsbaus The Big Four begonnen. Die Ensembles wurden Public Housing Projects oder auch nur Projects genannt und umfassten etwa 4.500 Wohnungen. Drei von den vier Projects befanden sich im Innenstadtbereich (B.W. Cooper, anfangs Calliope; C.J. Peete, anfangs Magnolia; Tremé/Lafitte). Stadtweit gab es zu diesem Zeitpunkt zehn Wohnkomplexe des Sozialen Wohnungsbaus mit fast achttausend Wohnungen. Ausschließlich zwei dieser Komplexe wurden durch die Folgen von Katrina völlig zerstört. Die übrigen acht Ensembles wurden beschädigt, darunter auch The Big Four. Nach Katrina wurden die Ensembles von der städtischen Wohnungbaubehörde HANO zunächst aus Sicherheitsgründen abgeriegelt und ein Rückzug der einstigen Bewohnerschaft war nicht mehr möglich. Das löste politische Proteste aus, die allerdings die Schließung der Ensembles nicht rückgängig machten.

118 Auf bundesstaalicher Ebene ist „grünes Bauen“ zum fundamentalen Element geworden seit Global Green USA 2005 erste Untersuchungen dazu machte. 2005 entwickelte Global Green USA ein Ran- king System, um die Bemühungen der Bundesstaaten im Hinblick auf nachhaltig gestaltetes, „gesun- des“ und energieeffizientes Bauen im bezahlbaren Wohnungsbau zu vergleichen. Untersucht wurden die sogenannten Qualified Allocation Plans (QAPs). Der Gebrauch von Normenwerken Dritter wächst ebenfalls. Im ersten Jahr der Untersuchung (2005) hatten nur acht Bundesstaaten ein „third party green building certification program“ in ihren QAP erwähnt. 2012 weisen mehr als die Hälfte der Bundesstaaten auf nationale oder regionale Programme hin wie LEED, Enterprise Green Com- munities, Green Point Rated und Earthcraft. (Wells 06.12.2014) 119 Die Behörde wurde von 2002 bis Ende Juni 2014 vom Ministerium des Bundes für Wohungsbau und Stadtentwicklung (HUD) aufgrund von Misswirtschaft zwangsverwaltet. (White 01.06.2014)

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Die vier Projects wurden durch weniger „dichten“ Wohnungsbau ersetzt, der formal Menschen aller Einkommensschichten zur Verfügung steht. Sogenanntes mixed-income housing wurde gebaut: Ein Drittel der Wohnungen, die entstanden sind, werden auf dem freien Markt, das zweite Drittel als subventionierter Wohnungsbau und das letzte Drittel als Sozialer Wohnungsbau (public housing) (Jakob, Schorb 2008: 84) angeboten. Über siebzig Prozent der Sozialwohnungen, die abgerissen wurden, wurden nicht wiederaufgebaut. Die Immobiliengesellschaften, Redeveloper genannt, die gleichzeitig die neuen Eigentümer sind, erhalten für ihren Neubau staatliche Subventionen. So waren nach Architekturkritiker Nicolai Ouroussoff unmittelbar nach Hurrikan Katrina die katastrophalen Folgen von Katrina „Gelegenheit“ und „Schicksal“ zugleich, die Geschichte der Stadt New Orleans unwiderruflich „auszuradieren“. Ouroussoff sah voraus, dass es eine Welle von Projekten des New Urbanism á la River Garden120 geben werde (Ouroussoff zit. in MacCash 10.12.2006). Zu diesem Zeitpunkt war allerdings noch nicht klar, wie sich ein derartiges Szenario entfalten würde, insbesondere wenn große Teile der Stadt mit einer Architektur des 19. Jahrhunderts intakt und in den Touristenführern aufgeführt sind (MacCash 16.11.2005).

Nach Katrina wurde im Juni 2006 durch HANO der Abriss der sogenannten Big Four (B.W. Cooper, C.J. Peete, Lafitte und St. Bernard) beschlossen. Diese Ent- scheidung wurde zwar kontrovers diskutiert, aber durch ein Votum des Stadtrates 2007 unterstützt. (Reckdahl 29.01.2012) Der Weg für „moderne Nachbarschaften“ solle geebnet werden und den Menschen aller Einkommenschichten zugutekom- men. Denn die Bauten des Sozialen Wohnungsbaus „(...) were obsolete. (...) It was a failing system. The housing authority had been investing millions into the devel- opments for repairs“, so Karen Cato-Turner, geschäftsführende Direktorin der Housing Authority of New Orleans (HANO). (Cato-Turner zit. in Filosa 19.02.2008b) Auch nach Donald Babers121, dem Vorsitzenden des Board of the Housing Authority of New Orleans (HANO), war der Soziale Wohnungsbau der

120 Die lokalpolitische Ebene als auch Architekten sahen nach Katrina gar in dem New Urbanism- Projekt River Garden als eines der ersten Projekte dieser Art in New Orleans, ein Modell, nach dem New Orleans wieder aufgebaut werden könnte. 121 Barbers war von 2006 bis 2008 Recovery Advisor und Chairman of the Board of the Housing Authority of New Orleans (HANO). (U.S. Department of Housing and Urban Development 27.05.2010) (vgl. C II 2.2.2)

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Stadt vor Katrina in höchstem Maße sanierungsbedürftig. Ein Großteil der Woh- nungen hat nach Katrina den allgemeinen Wohnstandards nicht entsprochen. Fi- nanziell sei die Sanierung der sturmgeschädigten Ensembles nach Barbers keine Option gewesen, um die Anlagen zu erhalten. Zudem hätten die Familien, die auf HANO angewiesen sind, „Besseres“ verdient. Barbers wies auf die Wohnanlagen des neuen und alten Fischer (heute William J Fischer seit 2003/2008) und Guste (seit 2002) hin, bei denen bereits ein Umbau stattgefunden hatte. (Babers zit. in Filosa 19.02.2008b)

Im Frühjahr 2008 wurde mit dem Abriss der Big Four im Auftrag von HUD be- gonnen. 3.077 Wohneinheiten wurden zerstört. (Reckdahl 05.05.2012) Das En- semble Iberville in der Innenstadt wurde als letztes umgebaut (Reckdahl 29.01.2012). Den neuen mixed-income housing developments wurden neue Namen verliehen: Marrero Commons 2012 (ehemals B.W. Cooper), Faubourg Lafitte 2008 (ehemals Tremé/Lafitte), Harmony Oaks 2010 (ehemals C.J. Peete) und Columbia Parc 2007 (ehemals St. Bernard). Unterschiedliche Geschäftsmodelle kennzeich- nen die Neuentwicklung. Die Wohnanlage Columbia Parc wird als Vorzeigepro- jekt für Strategien im Kampf gegen Armut und Gewalt gewertet. Noch 2005 waren an diesem Ort 134 abbruchreife Gebäude eines Sozialen Wohnungsbaukomplexes vorhanden, den Gewalt und Drogen beherrschten. Aber als nach Katrina der Zu- sammenbruch der Deiche die Nachbarschaft mehr als zehn Fuß (etwa drei Meter) überschwemmte, wurde auch hier der Ansatz immer lauter, eine neue Nachbar- schaft zu schaffen, die gemischte Einkommensschichten beherbergt und der den sozialen Wohnungsbaukomplex ersetzt. Für Familien, die oft Kriminalität ausge- setzt waren und eine schwache Ausbildung hatten, sollten alternative Lebensmög- lichkeiten geschaffen werden. (Webster 02.10.2013)

Nach HUD Secretary Steven Preston122, der bis 2008 in der Bush-Administration im Amt war, sind die entscheidenden Schlüsselelemente, die eine Finanzierung der Neuentwicklungen der Big Four möglich machten, finanzstarke Investoren und

122 Steven Preston wurde als Minister des U.S. Department of Housing and Urban Development (HUD) Anfang Juni 2008 vereidigt nachdem Alphonso Jackson zurückgetreten war. Ihm wurde vor- geworfen, dass er seine Position genutzt hätte, um Verträge mit „Freunden“ im Bauwesen abzuschlie- ßen. (Filosa 30.06.2008)

262 eine zeitliche Erweiterung von Steuernachlässen bis Dezember 2010. Die Regie- rung von US-Präsident Obama musste diesbezüglich bereits 2008 aktiv werden (Morris 05.12.2008), denn auch eine Erweiterung bis 2010 würde nicht ausreichen, um die Neuentwicklungen fertig zu stellen. Als Barack Obama 2008 das Amt des US-Präsidenten übernahm, verkündete sein zuständiger Minister für Wohnungsbau und Stadtentwicklung HUD Secretary Shaun Donovan, dass kein Bewohner zurück in die Big Four müsse, denn diese seien „unbewohnbar“. Aufgrund der Neuent- wicklung wohnten bereits 2011 wieder 700 Familien auf den vier Arealen der ehe- maligen Big Four. (Reckdahl 04.02.2011) Geplant war, dass bis Ende des Jahres 2010 1.904 Wohneinheiten wiederaufgebaut sind (von ehemals 3.077). Steuerer- leichterungen für Entwickler und Investoren, die durch das Bundesprogramm Gulf Opportunity Zone, genutzt werden konnten, trugen zu den Neuentwicklungen bei. Allerdings wurde im April 2010 deutlich, dass HUD nur sechzig Prozent von die- sem Plan realisieren konnte, da die Finanzkrise die Entwickler in finanzielle Eng- pässe gebracht hatte. HUD Secretary Shan Donovan arbeitete daran, dass das Pro- gramm um weitere zwei Jahre verlängert und ein Gesetz dazu (Verlängerung der GO-Zone Tax Credit) vom US-Kongress verabschiedet und vom US-Präsidenten unterschieben wird. (Reckdahl 12.04.2010)

Insgesamt wurde also eine lang geplante öffentliche Wohnraumpolitik nach Katri- na im großen Maßstab katalysiert. Eine Mischung von Menschen mit unterschied- lichem Einkommen wurde angestrebt, um in erster Linie über veränderte städtebau- liche Rahmenbedingungen die Lebensbedingungen in der Nachbarschaft zu verbes- sern. Insgesamt sollte die Innenstadt aufgewertet werden, denn ein Großteil der Ensembles liegt im Innenstadtbereich. Eine der fundamentalen Kehrseiten ist aber nichtsdestoweniger die Verdrängung einer Vielzahl von ehemaligen Bewohnern des Public Housing (vgl. auch Colten et al. 2008: 14), da bereits rein rechnerisch die neuen Quartiere bei weitem nicht so viele Wohneinheiten für Menschen mit niedrigem oder geringem Einkommen bereitstellen. Aufwertungsbestrebungen in der Innenstadt ziehen so auch gleichzeitig Verdrängungseffekte einer (Mieter- )Bewohnerschaft im innenstadtnahen Bereich nach sich, die nach Katrina noch katalysiert wurden.123 Der „soziale Pakt“ (Ouroussoff 18.10.2005) wurde mit dem

123 Der Bund bietet Immobilenentwicklern Steuererleichterungen an (so gennte low-income tax cre- dits), um der Knappheit von Mietwohnungen entgegenzuwirken. Die Empfänger dieser Steuererleich-

263 großflächigen Abriss des Sozialen Wohnungsbaus aufgegeben und die Lebenssi- tuationen von Menschen der untersten Einkommenschichten der Gesellschaft wur- den nicht zum Gegenstand von Politik gemacht. Zudem waren die zwei bis drei geschossigen Wohnensembles, die mit stabilen Ziegelsteinbau Mitte des letzten Jahrhunderts gebaut wurden und die von öffentlichem Raum und schattenspenden- den Bäumen umgeben waren, „menschenwürdigere“ Unterkünfte als der hochge- schossige öffentliche Wohnungsbau, der in anderen Städten gebaut wurde. (Ouroussoff 19.11.2006 zit. in Colten et al. 2008: 14)

Auf etwa 700 Millionen US-Dollar werden die mittelbaren und unmittelbaren staat- lichen Subventionen aus Steuermitteln für den Neubau der mixed-income housing developments in New Orleans geschätzt. Im Gegensatz dazu wurde eine umfassen- de Sanierung und Modernisierung der Public Housing Ensembles, die bereits vor Katrina renovierungsbedürftig waren, auf nur 420 Millionen Dollar geschätzt. (Ja- kob, Schorb 2008: 81, 2008: 83) Kritiker dieser mixed-income housing-Politik be- klagen, dass öffentliche Gelder für die Vernichtung günstigen Wohnraums in zent- ralen Lagen ausgegeben und so gleichzeitig Niedriglohnverdiener aus innenstadt- nahen Gebieten verdrängt würden. „Diese aus anderen amerikanischen Großstädten bekannte Strategie wird [nun auch] in New Orleans […] im Zeitraffer umgesetzt.“ (Jakob, Schorb 2008: 45) Eine Strategie, die bereits vor Katrina in New Orleans geplant war (Robertson 02.10.2008), hatte durch die Folgen von Hurrikan Katrina die Chance, umgesetzt zu werden. Gleichzeitig spiegelt diese Entwicklung die Tendenzen der US-amerikanischen Wohnungspolitik wider. An dieser Wohnraum- politik zeigt sich das Zusammenspiel von Staat, Markt und Zivilgesellschaft (vgl. Arena 2012) und insbesondere der Einfluss überlokaler Einflussgrößen wie die Förderpolitik des Bundes oder die Prinzipien der fachpolitischen Organisation des New Urbanism, die von der US-Bundesregierung übernommen wurden und schon weit vor Katrina und nicht nur in New Orleans angewendet wurden.

terungen verkaufen diese für gewöhnlich an große Unternehmen. Die Unternehmen können die Gut- schriften nutzen, um ihre Steuern (gegenüber Bund und Bundesstaat) zu senken. Die meisten dieser Gutschriften bleiben allerdings ungenutzt aufgrund steigender Versicherungs- und Baukosten. (Powell 2007)

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Abbildung 16: Mixed-income housing development Columbia Parc, New Orleans (eigene Auf- nahme 2017).

Abbildung 17: Mixed-income housing development Columbia Parc, New Orleans (eigene Auf- nahme 2017).

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Abbildung 18: Angrenzende Nachbarschaft von Columbia Parc, New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

Abbildung 19: Mixed-income housing development Harmony Oaks, New Orleans (eigene Auf- nahme 2017).

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Abbildung 20: Angrenzende Nachbarschaft von Harmony Oaks, New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

Abbildung 21: Mixed-income housing development Lafitte, New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

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Abbildung 22: Abgeriegeltes Public Housing Ensemble von Lafitte, New Orleans (eigene Auf- nahme 2017).

2.2.2.2 Punktuelles Laboratorium: Affordable Housing Goes Green

„Affordable Housing goes Green“ ist eine Entwicklung, die sich in New Orleans projektbezogen – nicht programmbezogen – ausbreitet. Es kann zwar nicht von einer gesamtstädtischen Strategie gesprochen werden, allerdings von Projekten, die einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben und somit die Idee der Kombinati- on von bezahlbarem Bauen mit „grünen“ Standards protegieren. Drei Projekte mit Modellcharakter – so ihre „Vermarkter“ – stehen in New Orleans für diese Ent- wicklung: Project Home Again im Stadtteil Gentilly, Make It Right und The Holy Cross Project im Stadtteil Lower Ninth Ward.

101+x: Project Home Again

Project Home Again ist ein Projekt zum Wohnhausbau und eine Nonprofit- Organisation, die qualitativ hochwertigen, energieeffizienten Wohnraum für Fami- lien aus New Orleans mit niedrigem und moderatem Einkommen, entwickelte

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(Project Home Again o.J.; Pope 17.10.2012). Leonard und Louise Riggio, Inhaber des Buchhandels Barnes & Noble, sowie ihr langjähriger Freund Bill Lynch, ehe- maliger stellvertretender Bürgermeister von New York City, haben Project Home Again gegründet. Ihre Idee und ihr Ziel war es, Wohnraum zu schaffen und Nach- barschaften für Familien wiederaufzubauen, die durch die Folgen von Hurrikan Katrina ihr Eigentum verloren hatten. (Project Home Again o.J.; vgl. Shea 29.02.2012) Leonard Riggio ist persönlich mit New Orleans verbunden: Er besuch- te stets das Jazzfest und Heritage Festival in New Orleans und die Großeltern sei- ner Ehefrau waren zu Beginn des letzten Jahrhunderts von Italien nach New Or- leans emigriert. Riggio wollte nach Katrina „etwas tun“. Denn die Bilder menschli- chen Leidens im Superdome hatten ihn stark getroffen (Mowbray 10.11.2011): „I’ll never forget the image, the stripping away of the human dignity that this re- presented. (...) I thought, how could we take this great American city and have it become like a third world nation and leave our people to our own devices without making a major effort to help them rebuild their lives? This is the kind of event where citizens need to lend a hand to their neighbors. (...) We felt compelled to jump in and be at the side of these good people." (Riggio zit. in (Mowbray 10.11.2011); Eggler 16.10.2012) So entschied er, dass die Leonard and Louise Riggio Foundation einhundert Einfamilienhäuser im nördlichen Teil des Stadtteils Gentilly baut und zum Verkauf anbietet (Project Home Again o.J.). Riggio wählte den Stadtteil Gentilly für das Projekt, weil dort traditionell die Arbeiterklasse der Stadt lebte. Das erinnerte ihn an die Nachbarschaft in New York City, in der er aufgewachsen war. Bürgern von New Orleans ein eigenes Heim nach einer derarti- gen Katastrophe zurückzugeben würde ihre Würde wiederherstellen, wie er glaubt. Er möchte sie dabei finanziell unterstützen, nach New Orleans zurückkehren: „The major objective was to protect the working class of New Orleans. Very clearly, they represent the culture of this great city. (...) In effect, we’re helping these fami- lies to get to a point where they have financial stability for years to come, and gen- erational wealth.” (Riggio zit. in Mowbray 10.10.2005) „We thought working-class people were the fabric and the culture and the backbone of this city.“ (Riggio zit. in Pope 17.10.2012) Die Bewohnerschaft dieser Häuser würde dadurch wieder in die „Welt der Hausbesitzer“ zurückkehren. (Mowbray 10.10.2005)

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Abbildung 23: Einfamilienhaus fügt sich in das Quartier ein. Bildabfolge: oben beschädigtes Ei- genheim, Mitte Bauphase, unten fertiggestelltes Eigenheim von Project Home Again (Project Home Again o.J.).

Leonard Riggio und seine Frau, Louise Riggio, stifteten Project Home Again zwanzig Millionen US-Dollar (Pope 17.10.2012). Anfangs wollte Riggio zwanzig Wohnhäuser bauen. Dann kaufte er in New Orleans ein Haus für sich und seine Familie. Dieser persönliche Hausbau brachte ihn dazu, noch mehr in andere Fami- lien zu investieren. Denn wenn er für sich so viel Geld ausgeben könne, könne er das auch für andere. So entschieden die Riggions einhundert Wohnhäuser zu bau- en. (Shea 29.02.2012) Die erste Gruppe von zwanzig Häusern wurde auf der St. Bernard Avenue in der Nachbarschaft Paris Oaks/Bancroft Park gebaut. Weitere

270

Häuser befinden sich in den Nachbarschaften St. Anthony, Seabrook und South Oak Park.

Abbildung 24: Lage der Wohnhäuser von Project Home Again im Stadtteil Gentilly (Mowbray 10.11.2011).

Sieben verschiedene Modelle (im craftsman-style) mit verschiedenen kleinen und großen Grundrissen wurden entwickelt. Die Wohnhäuser haben zwischen zwei und vier Schlafräumen und zwei Bädern. Die Standards zur Energieeffizienz wurden erhöht. Diese Standards richten sich nach dem Programm Builders’ Challenge des

271 damaligen US Department of Energy. Die Häuser verbrauchen vierzig Prozent weniger Energie als vergleichbare neue Bauten in der Region. (Project Home Again o.J.) Das städtische Soft Second Mortgage Program vergibt entschuldbare Darlehen an Familien mit niedrigem und moderatem Einkommen, die ihr erstes Haus kaufen. Diese einkommensabhängige Subvention kann die Hauskosten bis zu 85.000 US-Dollar senken. (Pope 17.10.2012; vgl. City of New Orleans o.J.e) Die New Orleans Redevelopment Authority (NORA) subventioniert Project Home Again mit 1,26 Millionen US-Dollar aus dem Neighborhood Stabilization Program (Pope 17.10.2012). Dadurch konnten Wohnhäuser, die durch die Folgen von Hur- rikan Katrina beschädigt oder zerstört wurden, abgerissen (City of New Orleans 26.02.2013) und ein Neubau auf dem jeweiligen Grundstück errichtet werden. Pro- ject Home Again war auch ein Empfänger von öffentlichen Fördergeldern, die das städtische Amt für Quartiers- und Nachbarschaftsentwicklung vergeben hat (Lee 20.02.2017); die sogenannten Community Development Block Grants (CDBG).

Brian Lawlor, ehemaliger Leiter des städtischen Amtes für Housing Policy and Community Development begrüßte die Initiative, denn der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum sei hoch. Project Home Again sei das bislang größte privat finanzierte Einfamilienhausprojekt in New Orleans. (Pope 17.10.2012; Mowbray 10.11.2011; Eggler 16.10.2012) Laut Bürgermeister Landrieu ist die Initiative das beste Bei- spiel, die US-amerikanische Mittelklasse zu unterstützen, um Eigentum zu schaffen und so den Amerikanischen Traum zu unterstützen (Pope 17.10.2012).124 Die Rig- gios machten ein großes „Geschenk“ mit wenig Aufsehen: „He did it under the

124 Um sich als Eigentümer für die neuen Einfamilienhäuser zu qualifizieren, muss das jährliche Haushaltseinkommen unter einhundertzwanzig Prozent des mittleren Einkommens der Region liegen, was in New Orleans 73.320 US-Dollar für eine Familie von vier Personen entspricht. Der Antragstel- ler muss beschäftigt sein, eine Kreditprüfung und ein Training im Wohneigentum durchlaufen und darf keine Grundstücksbelastung auf sein Grundstück haben. (Mowbray 10.11.2011; Eggler 16.10.2012) (Pope (17.10.2012) beziffert das jährliche Einkommen weniger als 61.875 US-Dollar.) Wer für das Programm qualifiziert ist, überlässt sein Grundstück mit oder ohne dem unsanierten Haus Project Home Again. Project Home Again baut im Gegenzug ein neues Haus und überlässt die Innen- einrichtung den neuen Bewohnern. Allen Häusern wird ein Wert von 150.000 bis 175.000 US-Dollar zugeschrieben. 30.000 US-Dollar des Darlehens werden jedes Jahr entschuldet, so dass es den Pro- grammteilnehmern nach etwa fünf Jahren gehört. (Mowbray 10.11.2011; Eggler 13.09.2012) Die Riggios kommen für die restlichen Kosten auf. Project Home Again bietet den Familien das Haus zum Verkauf an, die die Kriterien des städtischen Programms Soft Second Mortgage erfüllen. (Pro- grebin 03.12.2007)

272 radar. He wasn’t looking for a lot of applause. (...) It sets just a tremendous exam- ple of philanthropy for the entire country. People give for a lot of different reasons. It’s rare when you find one of those people who gives for the pure joy of giving.” (Landrieu zit. in Mowbray 10.11.2011) Anfänglich wurde in der Nachbarschaft allerdings kritisch gesehen, dass das Projekt plötzlich gestartet ist und umgesetzt wurde. Dennoch habe das Projektteam gut gearbeitet, nachdem es ein Teil der Nachbarschaft geworden ist, in der gearbeitet wurde. (Nelson 07.12.2016)

Das Projekt hatte zu Beginn Schwierigkeiten unmittelbar nach Katrina lokalpoli- tisch unterstützt zu werden. Leonard Riggios rein philanthropische Initiative traf auf lokalpolitisches Unverständnis, denn an Projektideen, die keinen Profit ver- sprechen, war man lokal nicht „gewöhnt“. Zudem konnte kein zusammenhängen- des Baugebiet für die ersten Wohnhäuser gefunden werden. Aufgrund dessen wur- de auf den Ansatz der Baulückenschließung (infill development) umgeschwenkt. (Shea, 29.02.2012) Project Home Again baute auf Grundstücken, über die die städ- tische New Orleans Redevelopment Authority (NORA) verfügt. Da NORA in erster Linie unzusammenhängende Grundstücke zur Verfügung stehen, sind auch die Wohnhäuser des Projektes in den Nachbarschaften räumlich verteilt. Die neuen Wohnhäuser, so der neue Projektansatz, sollen zudem andere Akteure ermuntern, die Bebauungsdichte in einer Nachbarschaft zu erhöhen. So wurden von Beginn an Wohnhäuser entworfen, die sie sich in den bestehenden Wohnhausbestand einer Nachbarschaft einfügen sollten. (Pope 17.10.2012) Dennoch geht es letztlich um den Standort: Wenn ein Grundstück gut gelegen ist, baut Project Home Again auf diesem Grundstück ein neues Wohnhaus. Andernfalls wird im Zusammenarbeit mit NORA versucht, das „ungünstig“ gelegene Grundstück gegen ein Grundstück zu tauschen, das näher an anderen Wohnhäusern oder an anderen Projektwohnhäusern gelegen ist, um „Dichte“ zu schaffen (stadtentwicklungspolitischer Ansatz Grund- stückstausch, land swap).125 (Mowbray 10.11.2011; Eggler 13.09.2012) „It was

125 Obwohl in der Wissenschaft Wiederaufbau nach einer urbanen Katastrophe als Möglichkeit inter- pretiert wird, sichere Nachbarschaften in weniger verletzlichen Gebieten für Naturkatastrophen zu bauen, sind weiträumliche Flächennutzungsänderungen und Umsiedlungen (relocations) in den USA selten. Die Bewohnerschaft lehnt Umsiedlungen oft ab und versucht wird, die Stadt so wiederaufzu- bauen, wie sie vor der Katastrophe existierte. Dennoch bietet Landtausch Potential einer konzentrier- teren Neuentwicklung von Flächen nach einer Katastrophe, die weniger anfällig für Naturgefahren ist.

273 able to bring back density in certain neighborhoods. (...) You can really see a dif- ference in neighborhoods where they’ve chosen to do their work“ (Lee, Greater New Orleans Foundation zit. in Mowbray 10.11.2011).

Der Bau der ersten Häuser hat 2008 begonnen. Im November 2011 wurden die ersten einhundert Wohnhäuser fertig gestellt (Mowbray 10.11.2011). Durch die Riggios wurden zwar die anfangs versprochenen einhundert Wohnhäuser gebaut, aber Riggio wollte sich persönlich weiter engagieren: „The home-building phase has been completed. But we’re going to have a continuing involvement in New Orleans for a long, long time,” Riggio said. “We’ve begun to work with the mayor, so we are looking at other projects we might get involved in.“ (Riggio zit. in Mow- bray 10.11.2011) Das Projekt wurde im Oktober 2012 fortgesetzt: Der Inhaber der Buchhandelskette kündigte an, weitere einhundert Wohnhäuser zu bauen. (Pope 17.10.2012) Bislang wurden durch Project Home Again insgesamt 131 Einfamili- enhäuser fertig gestellt (Stand August 2014) (vgl. Project Home Again o.J.). Pro- jekt Home Again ist abgeschlossen (Keegan 15.02.2017) und hat das Unternehmen Home By Hand gegründet, das 2016 mit einem neuen Wohnhausbauprojekt gestar- tet ist (Toriello 07.01.2016).

Zudem werden Optionen für eine Wiederbesiedlungen für Bewohner erweitert, die zurückkehren. (Nelson 23.02.2015)

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Abbildung 25: Einfamilienhaus Project Home Again im Stadtteil Gentilly, New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

Abbildung 26: Einfamilienhäuser Project Home Again im Stadtteil Gentilly, New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

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Avantgardearchitektur oder Ufos im Nirgendwo?

Im Mai 2014 hat die Make It Right Foundation nach sieben Jahren Stiftungsarbeit einhundert Wohnhäuser für Familien fertiggestellt. Dieses Ereignis wurde mit einer großen Fundraising-Gala gefeiert. Schauspieler Brad Pitt, der als „Architekturen- thusiast“ bekannt ist, ist Initiator des Projektes und nutzte seine Bekanntheit, um das Wohnhausprojekt möglich zu machen. (MacCash 14.05.2014) Pitt überzeugte den Architekten William McDonough von seinem Vorhaben und Prototypen wur- den gebaut (Foreman, 27.08.2010). Bis August 2015 wurden 109 Wohnhäuser fertig gestellt (MacCash 14.09.2015; Pitt 28.08.2015)126

2007 hat der Schauspieler gemeinsam mit Steve Bing, einem Filmproduzenten, der gleichzeitig Immobilienentwickler ist, die Stiftung Make It Right (MIR) gegründet. Unterstützt wurde die Stiftung von der Global Philanthropy Group; einem phi- lanthropischen Beratungsunternehmen. (Pitt zit. in Strom 10.11.2010) Die Make It Right Foundation ist im Stadtviertel Lower Ninth Ward aktiv, in dem vor Hurrikan Katrina in erster Linie einkommensschwache und afroamerikanische Bürger lebten. Durch die Folgen von Katrina gehörte das Wohnviertel zu den Gebieten der Stadt, die am stärksten zerstört waren. Mehr als 4.000 Einfamilienhäuser wurden zerstört. Die Überreste der zerstörten Wohnhäuser und infrastrukturellen Anlagen wurden nach Katrina beseitigt, das Viertel wurde jedoch lange Zeit zum Großteil nicht wiederaufgebaut. So wurden viele Hektar der Nachbarschaft der Natur überlassen und verwilderten. (Bernstein 29.11.2009)

Abbildung 27: Anfang 2007 war das Stadtviertel Lower Ninth Ward noch immer zerstört (Make It Right o.J.b).

126 Die aktuellste Quelle gibt den Stand von September 2015 an (letzter Zugriff 29.03.2017).

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Abbildung 28: Geplant war der Bau von 150 Einfamilienhäusern (eigene Aufnahme 2012).

Die Stiftung setzte sich zum Ziel, mindestens 150 Wohnhäuser im Viertel Lower Ninth Ward zu bauen (Bernstein 29.11.2009). Architekturbüros wurden beauftragt, Entwürfe für bezahlbaren und „ökologisch nachhaltigen“ Wohnhausbau zu erarbei- ten. Die Wohnhäuser sollen den klimatischen Rahmenbedingungen der Region angepasst sein. Damit wurden Lösungen für die Frage erarbeitet, wie bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden kann, der sich durch eine leistungsstarke „ökolo- gisch nachhaltige“ Hochtechnologie auszeichnet. So sollen die Betriebskosten von Familien mit einem niedrigen Einkommensniveau gesenkt und dennoch ein hoher Lebensstandard erreicht werden. (Foreman 27.08.2010) Bis zu diesem Zeitpunkt wurden „grüne“ Technologien ausschließlich für eine einkommensstarke Bewoh- nerschaft „angedacht“; ein Denkansatz, den Pitt durch sein Projekt aufbrechen wollte (Pitt zit. in Strom 10.11.2010). Die Wohnhäuser sind für die Bewohner des Viertels vorgesehen, die nach Hurrikan Katrina nach New Orleans zurückkehren wollen. Dadurch soll eine Nachbarschaft wiederaufgebaut werden. (Bernstein 29.11.2009; Foreman 27.08.2010) Die Ziele des Projektes werden mit vier Adjek-

277 tiven zusammengefasst: „safe, green, beautiful and affordable homes to people who thought they could never have a real home again.“ (Schlaikjer 24.09.2009)

Pitt hatte darüber hinaus langfristige Ziele: Da die Wohnhäuser seine Erwartungen übertroffen haben und jedes bereits gebaute Wohnhaus mehr Energie produziert, als es verbraucht, sollte diese Bauweise global verbreitet werden. (Pitt zit. in Fo- reman 27.08.2010; Timberlake zit. in Appelbaum 10.12.2007) Für Pitt kam es nicht in Frage, kostenintensive Wohnhäuser in einer Nachbarschaft „abzuwerfen“, die nicht vervielfältigt werden könnten (Schlaikjer 24.09.2009).

Ziel der Stiftung ist es weiterhin, eine Nachbarschaft zu entwickeln. Im Laufe der Zeit erkannte die Stiftung, dass zu einer lebendigen und nachhaltigen Nachbar- schaft mehr als nur Wohnhäuser gehören. Obgleich der Schwerpunkt der Stiftung also auf dem Wiederaufbau von einhundertfünfzig Einfamilienhäusern liegt, unter- stützt Make It Right den Wiederaufbau der gesamten Nachbarschaft. Nach Make It Right ist die Stiftung in „innovative Bestrebungen“ involviert, die zur Instandset- zung und Verbesserung von Infrastruktur beitragen. Dazu gehören der Bau von Straßen, die Vorbereitung auf einen nochmaligen Hurrikan und deren Folgen sowie die Gestaltung des Wohnumfeldes mit natürlicher Landschaftsgestaltung und Gär- ten aller Art. Beispielsweise wurden urbane Gärten in der Martin Luther King School oder im Tekrema Community Center mit der Unterstützung von Make It Right geschaffen. (Make It Right 2010) Brad Pitt stellt sein Projekt auf der Tagung der Clinton Global Initiative (CGI) in einem Themenblock zur Infrastruktur vor. „Infrastruktur“ wurde in diesem Rahmen von der neuen Bewohnerschaft der MIR- Wohnhäuser als „Zuhause“ oder „Nachbarschaft“ verstanden: „Now we have a community. There are people coming all around, watching the rebuilding process. It’s awesome.“ (Bewohnerin zit. in Schlaikjer 24.09.2009) „Infrastruktur“ wurde auf dieser Tagung umfassender definiert als nur die Ausstattung durch Straßen, öffentliche Gebäude, Strom- und Wasserversorgung; „(...) als die soziale Struktur einer Nachbarschaft und dem kollektiven Gedächtnis einer städtischen Geogra- phie“ (Schlaikjer 24.09.2009). Tom Darden, der Geschäftsführer von Make It Right, war stolz, als ein Besucher des Viertels sagte: „‚Was für eine coole Nach- barschaft’“, anstelle von „‚Was für coole Häuser.’“ Eine lebendige Nachbarschaft

278 sei gewachsen, wo einst nur Sicherheitspfeiler aus Beton und kaputte Straßen zu sehen waren. (MacCash 14.05.2014)

Abbildung 29: Eine Nachbarschaft sollte sich jenseits des Baus der Wohnhäuser entwickeln. (Make It Right o.J.b)

Abbildung 30: Viele Wohnhäuser in mittelbarer und unmittelbarer Nachbarschaft zum Projekt Make It Right sind noch nicht wieder aufgebaut (eigene Aufnahme 2017).

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Abbildung 31: Das Viertel entsteht in unmittelbarer Nähe zur sanierten Flutmauer (eigene Auf- nahme 2012).

Abbildung 32: Im Dezember 2007 wurde die Kunstinstallation Pink Project als Spendenaktion inszeniert (Make It Right o.J.b).

Anfang Dezember 2007 wurden dreizehn Wohnhausentwürfe öffentlich vorgestellt (Appelbaum 10.12.2007). Um Aufmerksamkeit auf das Projekt zu lenken, fand eine öffentlichkeitswirksame Kunstinstallation mit einhundertfünfzig pinkfarbigen

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Stoffhäusern von Dezember 2007 bis Januar 2008 statt (Reckdahl 07.01.2008). Im März 2008 war die Grundsteinlegung der ersten Wohnhäuser. Im August 2008 waren die ersten Häuser gebaut und die Finanzierung von zunächst 84 der mindes- tens 150 Wohnhäuser stand. (Reckdahl 19.08.2008) Im November 2009 schließlich waren fünfzehn Wohnhäuser bewohnt (Bernstein 29.11.2009). Ein Großteil der Wohnhäuser war zu diesem Zeitpunkt im Bau (Metcalfe 30.11.2009). Im Mai 2014 wurden letztlich einhundert Einfamilienhäuser fertig gestellt (MacCash 14.05.2014) und das Quartier wurde – aufgrund der für New Orleans „besonderen“ Architektur und dem Bekanntheitsgrad von Brad Pitt – zu einer Touristenattraktion (Bernstein 29.11.2009).

Abbildung 33: Lage des Projektes in New Orleans und Lage der fertiggestellten Wohnhäuser (Make It Right o.J.a).

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Als das Projekt 2007 startete, war das Stadtgebiet auf der östlichen Seite der Judge Seeber Bridge als Katastrophenzone ausgewiesen. Es gehörte zu jenen Gebieten der Stadt, die am schlimmsten von dem Versagen des Hochwasserschutzsystems 2005 nach Katrina getroffen wurden. Noch lange Zeit danach waren viele Grund- stücke verwildert und lagen brach. Aber die einhundert neuen Wohnhäuser wurden auf einigen Blöcken des Stadtgebietes geschaffen entlang der Straßen Jourdan, Deslonde, Tennessee, Reynes und Forstall. (MacCash 14.05.2014) Das Projekt selbst arbeitet auf einem Areal von fünf mal fünf Blocks zwischen N Galvez Street im Norden, der Lizsardi Street im Osten, der N Claiborne Avenue im Süden und der Jourdan Avenue beziehungsweise dem Industrial Canal im Westen. (Make It Right 2010)

Die Initiative der Stiftung Make It Right wird unterschiedlich bewertet. Einerseits werden die Wohnhäuser als „inspirierende“ Antworten auf den Sturm bezeichnet, die den US-amerikanischen volunteerism nach Hurrikan Katrina sichtbar machen (Brinkley, Times-Picayune 25.08.2010). Zudem wird Pitt für seinen Einsatz be- wundert, denn er habe mehr für New Orleans getan als einige Regierungsorganisa- tionen (Bernstein 29.11.2009). Denn während darüber geklagt wurde, dass die Bü- rokratie nach Katrina langsam war und Wohnraumschaffung eines der wichtigsten Handlungsfelder nach Katrina in New Orleans war, stelle Brad Pitts Stiftung statt- dessen ein beachtliches Beispiel von privatem Einsatz dar, das Wohnraum an ei- nem Ort schafft, der durch die Überflutungen gänzlich zerstört wurde. Darüber hinaus wird das Projekt für seine relativ schnelle Realisierung von der Idee bis zur Ausführung gelobt. (Reckdahl 19.08.2008) Insgesamt repräsentieren die Wohnhäu- ser nicht nur einen neuen Start für die neuen Eigentümer selbst. Die Wohnhäuser stehen darüber hinaus konzeptionell für eine bezahlbare, sturmresistente und nach- haltige Wohnhausgestaltung. Das Projekt ist somit auch ein Laboratorium für ein Modell, das weltweit umgesetzt werden könne (Kennedy 11.12.2008).

So wird Pitts Neuentwicklung auch als architektonisches Avantgardewerk nach Hurrikan Katrina bezeichnet. Die Wohnhäuser werden für ihre Architektur – aus den selben Gründen – aber auch kritisiert: Die Wohnhäuser seien besser für eine Ausstellung der Avantgarde-Architektur geeignet als für eine Nachbarschaft, die wiederaufgebaut werden müsse. Einige Architekten beklagen, dass architektoni-

282 sche Elemente, die typisch für die Region sind, nicht aufgenommen worden sind und so die Bewohnerschaft nicht ermutigen würden, zurückzukehren. (MacCash 14.05.2014) Für eine „neue alte“ Bewohnerin steht die architektonische Gestaltung der Wohnhäuser weniger im Vordergrund. Wichtig ist für sie, dass die Nachbar- schaft wiederaufgebaut wird: „By the hand of God, I know that the 9th Ward will come back […] This is home for me. It's home for our family, for all of us.” (Be- wohnerin zit. in Reckdahl 07.01.2008) Pitt selbst schwärmt von der „neuen Freund- lichkeit“ im Viertel, die nicht ohne die Spendenfreudigkeit möglich wäre: Viele Bewohner hätten nicht mehr den zynischen Blick von der Zeit unmittelbar nach Katrina, sondern würden nun wieder eine Perspektive im Leben haben. „And when I say kindness I mean Make It Right was built on the donations of people“, so Pitt. US-amerikanische Bürger spendeten für dieses Projekt und ebendiese Spenden- freundlichkeit hatte eine große Wirkung auf das Leben der neuen Hausbesitzer. Beispielsweise wurden nun Solaranlagen genutzt, die von US-Amerikanern bezahlt werden und nicht von der US-amerikanischen Regierung, so Pitt. (Brinkley, Times- Picayune 25.08.2010) Pitt scheint die Unabhängigkeit des Projekts vom Staat und das „Gutmenschentum“ der US-Amerikaner besonders betonen zu wollen.

Für Brad Pitt wurde durch dieses Projekt deutlich, dass sich ein niedriges Einkom- men und ein Einfamilienhaus mit Hochtechnologie nicht ausschließen müssen: Alle sogenannten Niedrigenergiehäuser erzeugen mehr Energie als sie verbrau- chen, verschmutzen nichts, sind hoch leistungsfähig, sicher, sehen ästhetisch aus und sind bezahlbar, so Pitt. Nach Pitt müssen dennoch die Baukosten mehr gesenkt werden und Experten des Wohnungsbaus müssen auf das Projekt aufmerksam wer- den. (Brinkley, Times-Picayune 25.08.2010) Er versteht seine Initiative von Be- ginn an als ein Pilotprojekt: als einen Prototyp für ein Quartier, der weltweit umge- setzt werden kann. Das Projekt könnte Pitt zufolge eine Vorlage für den Bau zu- künftiger Nachbarschaften in jeglichen klimatischen Breiten sein. Im Rahmen des Projekts Vertragspartner ausgebildet, die diese Art der Wohnhäuser bauen können. (Brinkley, Times-Picayune 25.08.2010; vgl. auch Schlaikjer 24.09.2009) Pitt setzt darauf, dass sich „die Idee“ in den USA, wenn nicht sogar weltweit verbreitet. Zu- dem könnte er mit noch mehr Spenden das Projekt auch in anderen Teilen der Stadt umsetzten. (Foreman 27.08.2010) Wenn sich das Modell verbreiten soll, sind die Nachbarschaften auf die Unterstützung der politisch-administrativen Ebene ange-

283 wiesen, so die Erkenntnis der Stiftung. Nach Architekt William McDonough sollte auch „die Regierung“ im Kampf um eine ökologische Bauweise eine Rolle spielen. Das könnte bedeuten, dass Anreize für Entwickler für energieeffizientes Bauen sowie sicheres und gerechtes Wohnen geschaffen werden könnten. Öffentlich- private Partnerschaften müssten etabliert werden, um die finanziellen Mittel und Ressourcen, die zur Verfügung stehen, wirksam einzusetzen. (Schlaikjer 24.09.2009)

Nach Pitt müsse Architektur Lösungen finden, die nachhaltige städtische Nachbar- schaften schaffen. Nach Katrina war das Stadtviertel Lower Ninth Ward ein Ground Zero, auf dem alles „weggewaschen“ war: „If you have this blank slate and this great technology out there, what better test than low-income housing?” (Pitt zit. in Progrebin 03.12.2007) In einer historisch gewachsenen Nachbarschaft sollte sein Projekt starten; in einer Nachbarschaft, die durch Katrina zerstört wurde. Für Pitt ist der Standort in der Lower Ninth Ward der Ort, der die Folgen von Hurrikan Katrina am stärksten deutlich gemacht hatte; ein Ort, der durch Wassermassen zerstört und an dem die Bewohnerschaft über Jahre marginalisiert wurde. (Foreman 27.08.2010) Der Industrial Canal hielt am 29. August 2005 dem Druck der Was- sermassen nicht stand, so dass das sehr niedrig gelegene Stadtgebiet über- schwemmt wurde. Dieser Ort war dementsprechend immer schon anfällig für der- artige Überflutungen. Aber es ist auch ein Ort, den Familiengenerationen als Hei- mat betrachten. (MacCash 14.05.2014) Aufgrund dessen sollten die Wohnhäuser der Make It Right Foundation genau dort gebaut werden (Brinkley, Times- Picayune 25.08.2010). Die Frage nach der Standortsicherheit in Bezug auf zukünf- tige Hurrikans der Kategorie Drei oder Vier wurde innerhalb des Planungsprozes- ses hinsichtlich der Frage aufgeworfen, inwieweit Menschen in eine gefährliche Zone zurückkehren können. Auf diese Frage reagierte die Stiftung mit architekto- nischen Argumenten: Die Wohnhäuser wurden aufgeständert gebaut und mit Fluchtluken auf dem Dach versehen. (Brinkley, Times-Picayune 25.08.2010; vgl. MacCash 14.05.2014) Zudem spricht laut Pitt alles für diesen Standort am Deich des Industrial Canal, da dort mehr Reparaturarbeiten stattfanden als bei den ande- ren Deichen der Stadt. Pitt ist vom Standort seines Projektes überzeugt und bean- standet stattdessen die Reparaturarbeiten des Deiches in der Upper Ninth Ward: “You know what my worry is? My worry is not the Lower 9th, it’s the upper 9th.

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Because that protection wall wasn’t dealt with. It’s a foot or two lower than the levee in our neighborhood. If the Army Corps would just have spent a little bit more time, put in a little more focus and a little bit more money and done it right the first time, New Orleans would be a far safer place. And it wouldn’t have cost the billions of dollars to fix what was wrong. And I find that inexcusable. So our Make It Right homes are built right. And that’s where the title came from: Make It Right. Just make it right for everybody. Make things fair to the people of New Or- leans. Make it right.“ (Pitt zit. in Brinkley, Times-Picayune 25.08.2010)

In vielen Teilen der Lower Ninth Ward liegen Grundstücke noch immer brach (Stand 2009, über 4.000 zerstörte Einfamilienhäuser nach Hurrikan Katrina) (Pieh- ler 10.10.2008; Reckdahl, Tilove 11.10.2009). Es scheint, als habe die mediale Aufmerksamkeit, die die Lower Ninth Ward nach Katrina bekommen hat, und die Versprechen, dass sich die Nachbarschaft mit politischer Hilfe erholen werde, kei- nen investiven Effekt im Stadtviertel gehabt. Denn in der Lower Ninth Ward cha- rakterisiert umfassendes Desinvestment, sowie Leerstand und Verfall die Entwick- lung des Stadtviertels nach Katrina. (Gotham, Greenberg 2014: 175 zit. in Nelson 23.02.2015: 3) Der einzige Fortschritt im Stadtviertel verbirgt sich in diesem Clus- ter von Einfamilienhäusern des Projektes Make It Right. (Reckdahl, Tilove 11.10.2009) So wurden insgesamt finanzielle Ressourcen, die durch dieses Projekt in das Stadtviertel flossen, räumlich auch ausschließlich an diesem Ort kon- zentriert; in einem Quartier des Viertels Lower Ninth Ward.

Global Green’s sustainable village: The Holy Cross Project

Als Matt Peterson, Vorsitzender von Global Green USA, unmittelbar nach Hurri- kan Katrina die städtische Zerstörung in New Orleans sah, veranlasste er, dass auch seine Organisation helfen müsse. Spendengelder wurden genutzt, um vor Ort ein Büro zu eröffnen. (Lopez 30.09.2008). So hat sich Global Green USA verpflichtet, New Orleans durch verschiedene Aktivitäten zu unterstützen und „nachhaltig“ wiederaufzubauen (Global Green USA o.J.b). Unter anderem wurde ein Quartier mit bezahlbarem Wohnraum und ein Nachbarschaftszentrum in der Lower Ninth Ward gebaut, das „nachhaltigen“ Standards enspricht. Auch Global Green wählte

285 dieses Stadtgebiet (wie Make It Right), weil es am schlimmsten von den Folgen des Sturmes zerstört wurde. (Global Green USA o.J.a) Für das Projekt wurde ein Areal gewählt, das bis dato unbebaut war. Das Areal wurde von einem privaten Eigentü- mer abgekauft. (Lopez 30.09.2008) Global Green kooperierte mit der Nachbar- schaftsorganisation Holy Cross Neighborhood Association, da deren Ziele (nach- haltiges Bauen) mit den Zielen von Global Green am ehesten übereinstimmten.127 (Lopez 30.09.2008)

Als Teil des Versprechens New Orleans „nachhaltig“ wiederaufzubauen und der Bekundung „grünes Bauen“ als eine Antwort auf die globale Erwärmung national- weit zu fördern, hat Global Green USA einen internationalen „Entwurfswettbewerb der Nachhaltigkeit“ während des Sommers 2006 gefördert. Der Schauspieler Brad Pitt war Vorsitzender der Jury. (Global Green USA o.J.a; Lopez 30.09.2008) Mehr als 125 Entwürfe sind eingegangen. Jeder Vorschlag sollte einen Entwurf mit ei- nem bezahlbaren Null-Energie-Haus und einem Nachbarschaftszentrum im Quar- tier Holy Cross im Stadtteil Lower Ninth Ward präsentieren. Als Gewinner wurde der Entwurf von Matthew Berman und Andrew Kotchen vom Büro Workshop/apd ausgewählt. Das junge Architekturbüro aus New York City gilt als Expertenteam des nachhaltigen Bauens. (Global Green USA o.J.b) Mit der Unterstützung der Lead Funding Partner Home Depot Foundation arbeitete Global Green mit work- shop/adp und der Holy Cross Neighborhood Association zusammen, um den Ge- winnerentwurf zu realisieren. (Global Green USA o.J.a)

Das Projekt hatte alle städtischen Genehmigungsprozesse zu durchlaufen und alle städtischen Gebühren zu zahlen; es erhielt keine Sonderbehandlung. Da die Holy Cross Neighborhood ein historisches Viertel ist, musste die architektonische Aus- gestaltung der Gebäude mit der Historic District Landmark Commission (HDLC) abgestimmt werden. Das Projekt musste vom Stadtrat genehmigt werden. Bei- spielsweise wurde die Nachbarschaftsorganisation Holy Cross Neighborhood Or- ganization vom Stadtrat befragt, inwieweit ihre Ziele mit den Zielen von Global Green übereinstimmten. Letztlich wurde der Stadtrat davon überzeugt, dass Global

127 Die Nachbarschaft hat das Ziel, 2020 als eine der ersten Nachbarschaften in den USA städtisch und ländlich zugleich entwickelt zu sein. Nach Ansicht der Nachbarschaftsorganisation legte das Projekt von Global Green den Grundstein dafür. (Lopez 30.09.2008)

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Green im Sinne der Nachbarschaft handle und nicht nur eigene Interessen durch- setzen wolle: „Now the City Council know that we are very interested in making the neighbourhood better. We are transparent. We want to tell everybody the sto- ry.” (Lopez 30.09.2008)

Abbildung 34: Das Visitor Center des Holy Cross-Projektes in New Orleans (Global Green USA o.J.a).

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Abbildung 35: Entwurf von Matthew Berman und Andrew Kotchen, Workshop/apd (Global Green USA o.J.a).

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Abbildung 36: Realisierungsplanung mit Einfamilienhäusern, Besucherzentrum, Nachbarschafts- zentrum, Geschosswohnungsbau und Außenanlagen (Global Green USA o.J.a).

Im Rahmen des Projektes wurden fünf Einfamilienhäuser, ein Geschosswohnungs- bau mit achtzehn Wohneinheiten und ein Nachbarschaftszentrum für eine Bewoh- nerschaft der Lower Ninth Ward geplant. (Global Green USA o.J.b) Ziel des Pro- jektes war es, den ökologischen Standard LEED Platin zu erreichen (LEED for Home für die Einfamilienhäuser und LEED ND für die anderen Gebäude).128 Das erste Haus wurde im Mai 2008 fertiggestellt und dient nun als Besucherzentrum für „Grünes Bauen“ in dieser Klimazone. Dieses Besucherzentrum mit dem Namen Sustainable Design and Climate Action Institute gilt als Kernstück des Projektes und demonstriert Global Greens fortlaufende Präsenz in New Orleans. Es wird von Global Green als „Excellenzzentrum für Wiederaufbau“ an der Golfküste bezeich- net, das der Bewohnerschaft, Touristen, Entwicklern oder Unternehmen Aspekte von „grünem Bauen“ aufzeigt. Dieses Besucherzentrum, oder auch Visitor’s and Green Building Resource Center genannt, ist in das Nachbarschaftszentrum Com-

128 Durch Solaranlagen, das Heizungs- und Belüftungssystem (Heating, Ventilation and Air Conditio- ning, HVAC), einem Energie- und Ressourcen Monitoring-System und energieeffiziente Geräte nutzen die Wohnhäuser im Holy Cross Project mindestens 75 Prozent weniger Energie als klassische Gebäude. Die Bewohner sparen pro Jahr 1.200 bis 2.400 US-Dollar Betriebskosten. Moderate Gebüh- ren an die Homeowner Association erlauben es den Bewohnern, sich an den Projektmanager wenden zu können, um die Regenwassersammlung zu gewährleisten und um das geothermale und solare Versorgungssystem korrekt aufrecht zu erhalten. Das maximiert die Ersparnisse. (Global Green USA o.J.a)

289 munity Development and Climate Action Center integriert, welchens soziale und kulturelle Dienstleistungen anbietet. Der Geschosswohnungsbau mit achtzehn Wohneinheiten ist ebenfalls „nachhaltig“ gebaut und ermöglicht einen besonderen Blick auf den Mississippi und das Stadtzentrum von New Orleans. Die Wohnein- heiten stehen einer Bewohnerschaft mit niedrigem Einkommen zur Verfügung, die nach New Orleans nach Katrina zurückkehren wollen. Die Einfamilienhäuser wur- den 2012 an eine lokale Bewohnerschaft verkauft. (Global Green USA o.J.a)

Abbildung 37: Einfamilienhäuser Holy Cross Project (Global Green USA o.J.a).

Für alle drei Projekte von Affordable Green Housing in New Orleans kann zusam- menfassend Folgendes festgestellt werden: Zunächst sind alle Projekte durch menschliche Anteilnahme von Philanthropen und fachpolitischen Organisationen an der katastrophalen Situation in New Orleans nach Hurrikan Katrina und Rita ausgelöst worden. Die Anzahl der geschaffenen Wohneinheiten machen im Ver- hältnis zum gesamten Wohnungsmarkt (nur) einen Bruchteil aus, da es sich um räumlich begrenzte Projekte handelt. Nichtsdestoweniger haben alle drei Initiatoren die Vision, Modelle zu entwickeln, die sich gesamtstädtisch und überregional, wenn nicht gar weltweit, zur Anwendung kommen sollen. Der Zugang zu dieser

290

Art des Wohnens ist für Menschen begrenzt, die nicht in dem jeweiligen Stadtteil gewohnt haben. Denn die Projektinitiatoren – Philanthropen und ihre Stiftungen und fachpolitische Organisationen – haben die Zugangskritierien selbst aufgestellt, die aber auch teilweise mit den Zugangskriterien öffentlicher Programme überein- stimmen (vgl. Project Home Again). Wenn der Zugang zu Wohnen im Rahmen eines dieser Projekte gewährt wird, kann das Wohnen der neuen Eigentümer als „luxoriös“ bewertet werden. Im Verhältnis zu den umliegenden Nachbarschaften erscheinen die Projekte Make It Right und Global Green als „Luxusinseln im Nir- gendwo“. Denn die Projekte streben zwar an, durch Maßnahmen die umliegenden Nachbarschaften zu entwickeln. Die Wirkung scheint allerdings begrenzt. Die drei vorgestellten Projekte haben einen philanthropischen Hintergrund. Der Markt zeigt eine Nachfrage auf, der allerdings „leise“ durch staatliche Subventionen (finanziel- le Förderung, vgl. Project Home Again) gelenkt wird. In die Projekte sind keine krisenanfälligen Marktakteure wie Entwickler und Investoren involviert, die sich beispielsweise durch die Finanzkrise 2008 aus Wohnungsbauprojekten zurückge- zogen haben. Stiftungen sind in diesem Sinne weniger krisenanfällig und die drei Projekte konnten auch in Zeiten der Finanzkrise 2008 ihre Vorhaben weiterentwi- ckeln und umsetzen. (vgl. Make It Right und Project Home Again, vgl. Nelson 23.02.2015)

2.2.2.3 Der Staat und das Eigenheim: Der Kampf um Rückkehrer nach New Orleans und gegen urban blight

Das individuell gestaltete Eigenheim hat in den USA einen hohen Stellenwert. Es gilt als Symbol für die „Freiheit des Individuums“ und wird traditionell staatlich gefördert. Nach Katrina gibt es keine politische Abkehr von dieser Förderung. Da Tausende Einwohner ihr Eigenheim aufgrund der Ereignisse in New Orleans zu- rücklassen mussten, aber politisch angestrebt wurde, dass die Menschen wieder zurückkehren, wurde ihnen auf Initiative des Bundesstaates in der Folgezeit von Katrina ein Angebot gemacht: Die Eigentümer konnten entweder ihr Haus mit ei- ner finanziellen Unterstützung des Bundesstaates wiederaufbauen oder es an die öffentliche Hand „verkaufen“, damit das Grundstück und die Immobilie wieder auf dem Markt angeboten werden können. (Road Home-Programm) Ersteres erforderte – trotz staatlicher Unterstützung und Versicherungsleistungen – erhebliche private

291 finanzielle Ressourcen und letzteres war oftmals für die Eigentümer mit erhebli- chen finanziellen Einbußen verbunden. Auch das sogenannte Soft Second Mortage Program oder das Lot Next Door Program fördern das individuelle Eigentum. Stadtentwicklungspolitisch wird demnach deutlich, dass eine Rückkehr der Be- wohnerschaft gefördert wird (Unterkapitel Road Home Program) sowie ein Rück- gang von städtischer Verwahrlosung und Leerstand verfolgt wird (Unterkapitel Urban Blight).

Einer der Schlüsselakteure dieser stadtpolitischen Unternehmungen ist die New Orleans Redevelopment Authority (NORA). Diese städtische Institution wurde nach Katrina reformiert, da sich aufgrund der nahezu gesamtstädtischen Zerstörung der stadtpolitische Handlungsdruck in Bezug auf städtische Verwahrlosung und Leerstand erheblich erhöhte. Zwar war bereits vor Katrina das Problem von Leer- stand und Verfall offensichtlich. Denn die Zahl an leerstehenden Wohnhäusern stieg aufgrund des Bevölkerungsverlustes, der seit den 1960er Jahren anhielt, ste- tig. Nach Katrina drohte New Orleans allerdings an diesem Problem zu ersticken. So veranlasste die Stadtregierung 2007 – in der Implementierungsphase des Wie- deraufbauplanes UNOP – die städtische Körperschaft Community Improvement Agency (CIA) zu reformieren, arbeitsfähig zu machen und in New Orleans Redeve- lopment Authority (NORA)129 umzubenennen. Schon CIA war dafür verantwort- lich, die Ausdehnung von Elendsvierteln und Verwahrlosung einzudämmen und zu verhindern (Emerson 2008). Das städtische Amt war aber vor Katrina chronisch unterfinanziert und relativ klein, so dass die Arbeit des Amtes in der Realität nur eine geringe Rolle im Rahmen der städtischen Erneuerung spielte. NORA wurde dagegen mit mehr finanziellen Mitteln ausgestattet und der Lenkungsausschuss wurde erweitert. Die bundesstaatliche Gesetzgebung wurde unter dem Druck der

129 Für etwa dreißig Jahre hat die Behörde nur eine geringe Rolle bei der Umsetzung dieser Pläne in der Stadt gespielt. In den vergangenen Jahren hat die Behörde einen neuen Weg eingeschlagen und ist nun in der Lage, in Partnerschaft mit anderen Akteuren die Kontrolle über brachgefallene Grundstü- cke zu erhalten, dessen Anzahl nach Katrina stark angestiegen ist (von etwa 30.000 zu über 100.000), wodurch der Behörde eine bedeutendere Rolle beim Wiederaufbau von New Orleans’ Nachbarschaf- ten zukam. Durch die Initiierung von formellen Community Improvement Plans in der gesamten Stadt und einer vollständigen Ausnutzung ihrer finanziellen Mittel, Grundstücksakquise und strategischen Planungskompetenz, wollte NORA offiziell eine führende Rolle bei der Revitalisierung der Stadt übernehmen. (New Orleans Redevelopment Authority o.J.)

292

Stadtregierung geändert, um die Kompetenzen der Behörde zu erweitern in Bezug auf die städtische Aneignung von Grund und Boden. (Emerson 2008)

So hat NORA Eigentum erlangt, das bereits vor Katrina und nun nach Katrina auf- grund der Überschwemmung leer stand oder brachlag. NORA verwaltet das Eigen- tum, das Bewohner freiwillig an den Bundesstaat Louisiana im Rahmen des Road Home Program verkauft hatten. Der Veräußerung von Eigentum im Rahmen dieses Programms hat die Louisiana Recovery Authority (LRA) am 11. Dezember 2007 zugestimmt. (Olshansky et al. 2008: 277–278) Der Ankauf von Grundstücken, die aufgegeben und/oder verwahrlost sind, erfolgt über das Instrument der Enteignung (expropriation oder Zwangsenteignung). (Emerson 2008) NORA ist darüber hinaus auch für sogenannte Community Improvement Projects verantwortlich, die es im Rahmen der stadtweiten Planwerke voranzutreiben und umzusetzen gilt. Nachfol- gend zeigt sowohl das Road Home Program als auch die städtische Entwicklung von Leerstand und Verfall den hohen Stellenwert von Grundstücks- und Immobili- eneigentum in der US-amerikanischen Stadtentwicklungs- und Wohnraumpolitik im Gegensatz zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums.

Road Home Program: Finanzielle Unterstützung für Hauseigentümer

Die Vorbereitung zur Umsetzung des Road Home Program erfolgte in einer Zeit, in der die öffentliche Zustimmung zum ersten lokalen Wiederaufbauplans Bring New Orleans Back (BNOB) ausblieb (vgl. D I). Es war eine Zeit nach Hurrikan Katrina, in der nur wenige Fördermittel des Bundes auf lokaler Ebene eintrafen. Die finanziellen Mittel des Bundes zur Unterstützung des „Wiederaufbaus“ waren von der Genehmigung eines Wiederaufbauplanes abhängig, die zu diesem Zeit- punkt noch ausstand. Der letztlich bewilligte Wiederaufbauplan UNOP (Januar 2007, vgl. D III) erlaubte explizit, dass im gesamten Stadtgebiet von New Orleans wieder gesiedelt werden dürfe; eine stadtpolitische „Erlaubnis“, die die Ziele des Road Home Program unterstützte. Parallel dazu wurden wie erwähnt die Ressour- cen der städtischen Sanierungsbehörde NORA aufgestockt, damit der erhebliche Zugang von Grundstücken aus dem Road Home Program bearbeitet werden konn- te. (vgl. Schulte 11.06.2008)

293

Das Road Home Program des Bundesstaates Louisiana ist bislang das größte Pro- gramm zum Wiederaufbau von Wohnraum in der US-amerikanischen Geschichte, das die demokratische Gouverneurin von Louisiana, Kathleen Blanco, politisch initiiert hat. Grundlage dafür sind finanzielle Mittel des Bundes, die US-Präsident George W. Bush im Rahmen der Emergency Supplemental Spending Bill freigab. Das Programm wurde aufgelegt, um Hauseigentümern etwa 150.000 US-Dollar130 für ihr Hauseigentum zurückzuerstatten. Die Eigentümer sollen entweder bei einem Wiederaufbau des Eigentums (Reparatur, Sanierung) oder bei einer Umsiedlung unterstützt werden. (Alpert 16.06.2006) Entscheiden sich Eigentümer für einen Wiederaufbau sollen die Mittel eine „finanzielle Brücke“ bilden zwischen den Auszahlungen der Versicherung und den Kosten der Reparatur ihrer Wohnhäuser. Entscheiden sich die Eigentümer für eine Umsiedlung beziehungsweise einen Wegzug von ihrem Heimatstandort können Familien durch diese Mittel einen Teil ihres Eigenkapitals retten. (Colten et al. 2008: 14) Nachdem Eigentümer ihr Eigen- tum an den Bundesstaat verkauft haben, können sie innerhalb des Bundesstaates umziehen oder aus dem Bundesstaat wegziehen. Wenn der Bundesstaat verlassen wird, wird eine Auszahlung geleistet, die sich auf sechzig Prozent des Wertes des Eigentums von vor Hurrikan Katrina bezieht, Versicherungs- und andere Kosten werden abgezogen. Diejenigen, die keine Versicherung für ihr Eigentum abge- schlossen haben, müssen eine dreißigprozentige Einbuße hinnehmen. (Alpert 16.06.2006)

Nach Andy Kopplin, Geschäftsführender Direktor der Louisiana Recovery Authori- ty (LRA) war der Bundesstaat fest entschlossen Fehler der FEMA zu vermeiden. Denn nach einem Bericht des US-Kongresses wurden betrügerische Auszahlungen von mehr als einer Milliarde US-Dollar Gesamtsumme nach Hurrikan Katrina ge- macht. Der Bundesstaat habe daraufhin vorsorglich ein Programm zur Betrugsbe- kämpfung mit Hilfe der Staatsanwaltschaft des Bundes und des Bundesstaates aus- gearbeitet (Alpert 16.06.2006), was auch bei dem Road Home Program zur An- wendung kommen sollte. Hierbei wird die große Sorge deutlich, dass öffentliche Gelder nicht für ihren entsprechenden Zweck eingesetzt werden. Diese Sorge be-

130 Eine andere Quelle von 2010 gibt eine durchschnittliche Förderung von 66.000 US-Dollar an. (Gelinas 21.11.2010)

294 zieht sich auf Korruptionsvorgänge lokalpolitscher Akteure, oder wie hier auf indi- viduelle betrügerische Handlungen von Privatpersonen.

Bei der Umsetzung des Programms traten bürokratische Schwierigkeiten auf: Im Juni 2006 wurden 90.000 Eigentümer als Antragsteller registriert. (Alpert 16.06.2006) Im Januar 2008 gab es immernoch 60.000 Anträge von Eigentümern aus Orleans Parish (Colten et al. 2008: 14). Die ersten Gelder wurden Ende des Sommers 2006 an Eigentümer ausgezahlt. Das Unternehmen ICF International aus Virgina wurde mit der Mittelverteilung beauftragt und vor allem ausgewählt, weil das Unternehmen den Eindruck machte, die Gelder „schneller“ als konkurrierende Unternehmen verteilen zu können. (Alpert 16.06.2006) Von 100.000 Anspruchsberechtigten in Louisiana, die einen Antrag einreichten, haben bis Mitte Februar 2007 allerdings nur 532 ihre finanzielle Unterstützung erhalten.131 (Powell 2007) Mitte 2007 hat der Bundesstaat Louisiana – entgegen früherer Annahmen und Beteuerungen – festgestellt, dass er nicht genügend eigene finanzielle Mittel zur Verfügung hatte, um die finanziellen Mittel des Bundes für dieses Eigentümerhilfsprogramm zu ergänzen. (Powell 2007)

Besitzen versus Mieten: Das Besitzen von Eigentum spielt in der US- amerikanischen Gesellschaft eine bedeutende Rolle und spiegelt sich insgesamt bei der Prioritätensetzung zur Mittelverwendung einzelner politischer Programme wider: Neben der Bereitstellung von 6,3 Milliarden US-Dollar132 durch Bund und Bundesstaat für das Road Home Program für Eigentümer, wurden 869 Millionen US-Dollar im Rahmen des Small Rental Property Program zugesagt, durch den bezahlbarer Wohnraum schnell erneuert werden könne. Das Road Home Program wurde aufgrund dessen zunächst entsprechend gekürzt. In diesem Zusammenhang wurde gleichzeitig vorgeschlagen, etwa 667 Millionen US-Dollar vom Mietwohnungsprogramm zum Hauseigentümerprogramm zu transferieren, so Broderick Bagert von der Jeremiah Group; eine Organisation, die Mieter vertritt. Dem Vorschlag wurde letztlich nicht in dieser Höhe nachgekommen. Allerdings

131 Davon wurden bei etwa neunzig Anträgen nur etwa 550 US-Dollar bewilligt. Zudem wurden Anträge oft mit Fehlern eingereicht. (Powell 2007) 132 Die Zahlen variieren von Quelle zu Quelle: 6,4 Milliarden US-Dollar (Schulte 11.06.2008), 6,3 Milliarden US-Dollar (Deltares), 7,5 Milliarden US-Dollar (Powell 2007).

295 hat die Louisiana Recovery Authority (LRA), die die Zuwendungen kontrolliert, entschieden, fünf Prozent des Budgets, das Mietern zur Verfügung stand, dem Budget für Eigentümer zu überführen. Laut Walter J. Leger Jr., dem Aufsichtsratsvorsitzenden der LRA wäre dieser Fünf-Prozent-Transfer nur temporär, damit der Bundesstaat die Bedingungen des US-Kongresses erfüllen kann und damit die fehlenden finanziellen Mittel, die der Bundesstaat für das Road Home Program bereitstellen muss, ergänzen kann. Auch nach Leger Jr. liege der Fokus des Bundesstaates auf der Förderung der Eigentümer. Allerdings räumte er auch ein, dass es notwendig ist, mehr für Mieter „zu tun“. Der Bundesstaat ist gerne bereit, das Mietwohnungsprogramm stärker zu unterstützen, wenn er auch hier eine (finanzielle) Unterstützung des Bundes bekäme. (Dewan 12.07.2007)

Zu dem Zeitpunkt, als dem Bundestaat die finanziellen Mittel für die Kofinanzierung des Road Home Program fehlten (Mitte 2007), hatte ausschließlich jeder fünfte Antragsteller Geld aus dem Programm erhalten (Nossiter 02.07.2007). Das bedeutete, dass Bewohner noch länger warten mussten, bis die Bundesgelder aus dem Road Home Program ausgezahlt wurden und somit auch länger warten, bis Reparaturarbeiten an ihren Häusern beginnen und sie nach New Orleans zurückkehren konnten. (Saulny 02.07.2007) Viele Menschen der Mittelklasse brauchten diese finanzielle Unterstützung, da die Ersparnisse langsam aufgebraucht waren. (Dewan 12.07.2007) Im Oktober 2007 war das Programm in Gang gekommen und die Mehrzahl der Anträge bearbeitet (64.000 Anträge von 100.000 Anspruchsberechtigten) (Powell 2007). 75 Prozent der Bewohner von Orleans Parish, die die Road Home-Fördermittel beantragten, wollten ihr Eigentum wiederaufbauen (reparieren, sanieren) (Colten et al. 2008: 14) und nach New Orleans zurückkehren. Demnach haben sich nur 25 Prozent der Antragsteller aus New Orleans für einen Wegzug entschieden.

Das Road Home Program hat rund sechs Milliarden US-Dollar an Opfer der Kata- strophe bis Mitte 2008 verteilt (Schulte 11.06.2008). Ende 2010 waren es 8,6 Mil- liarden US-Dollar (Gelinas 21.11.2010). Als nach einigen Anlaufschwierigkeiten die finanziellen Mittel des Programms verfügbar waren und die Eigentümer nach und nach erreichten, beschleunigte sich der Wiederaufbauprozess in New Orleans und der Region. So wurden mit Hilfe von Road Home – und Nonprofit Organisati-

296 onen wie zum Beispeil ARCORN oder der Make It Right Foundation133 – zwar in den ersten Jahren nach Katrina Wohnhäuser wiederaufgebaut, aber weniger ganze Nachbarschaften. Das betraf beispielsweise Nachbarschaften in den Stadtteilen New Orleans East oder Lower Ninth Ward. Ganze Straßenblöcke in der Lower Ninth Ward (am Industrial Canal) wurden und werden zum Teil noch immer der Natur überlassen. Sie sind ausschließlich mit Betonabsätzen von Hausfundamenten und Straßen durchsetzt, die im Nirgendwo enden. Infrastrukturelle soziale Einrich- tungen der Nachbarschaften sind seit Jahren verschlossen und abgeriegelt oder wurden ganz aufgegeben. (Schulte 11.06.2008)

Trotz Ineffizienzen, Inkonsistenzen und Betrugspotential führte das Road Home Program zu massiven Wohnrauminvestitionen in der Stadt. Das Programm wurde anfänglich dafür kritisiert, dass es den Exodus von Südost-Louisiana subventionie- ren würde. Tatsachlich haben sich aber letztendlich 89 Prozent der Familien aus New Orleans, die das Programm in Anspruch genommen haben, für den Wieder- aufbau des Eigentums entschieden (Stand 2010).134 (Gelinas 21.11.2010) Die Obama-Administration hat vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise zudem dafür gesorgt, dass auch die Menschen in ihren Wohnhäusern bleiben konn- ten, die sich keine neuen sogenannten teaser-rate-Hypotheken leisten können, die vom Bund gefördert wurden. Das hat auch Kreditgeber gerettet, die diese Unter- stützung des Bundes in Anspruch nahmen, um Verluste geringzuhalten und not- wendige Zwangsvollstreckungen zu verzögern. (Gelinas 21.11.2010)

Urban blight im Überfluss und der Mangel bezahlbaren Wohnraums

Blight als der Verfall baulicher Strukturen ist ein Phänomen, das in Städten der gesamten USA auftritt und zu stadträumlichen und sozialen Problemen führt. In New Orleans stieg die Rate des verfallenen und leerstehenden Wohnraumes nach Hurrikan Katrina besonders an und prägt – in unterschiedlichem Ausmaß – den

133 Brad Pitt kritisiert das Road Home Program insgesamt: Das Programm stelle insgesamt nicht genügend finanzielle Ressourcen für Reparatur- und Sanierungsarbeiten bereit, denn die Hauseigen- tümer sollen mit ihrer Rückkehr kein Risiko eingehen: „In our eyes, you’re setting people up for another catastrophe.“ (Pitt zit. inBrinkley, Times-Picayune 25.08.2010) 134 2008 waren es noch 75 Prozent (Colten et al. 2008: 14; vgl. Norcross, Skriba 2010).

297 gesamten Stadtraum. Seit einigen Jahren werden in New Orleans und anderen grö- ßeren Städten der USA Erhebungen der Nonprofit Organisation Greater New Or- leans Community Data Center durchgeführt, wie hoch die Anzahl von unbewohn- tem – leerstehendem oder verfallenem – Wohnraum ist. Analysiert werden dafür Daten des U.S. Postal Service. Aufgrund der Zerstörungen durch Hurrikan Katrina und Rita ist die Zahl in New Orleans rapide angestiegen. Noch heute stellt sich das Phänomen des Verfalls als eines der sichtbarsten stadtentwicklungspolitischen Probleme in New Orleans dar, obgleich die Verfallsrate insgesamt zurückgegangen ist. (Ortiz, Plyer 21.08.2012; White 20.08.2015) Nachfolgend werden die Entwick- lung der Verfallsraten nach Hurrikan Katrina umrissen sowie Gegenstrategien und -maßnahmen der städtischen Akteure aufgezeigt.

Abbildung 38: Verfallenes Eigentum, New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

298

Laut einer Studie des Data Center von 2009 und 2010 geht die Anzahl des verfal- lenen Eigentums in New Orleans mehr und mehr zurück. (Greater New Orleans Community Data Center 19.11.2009, 07.05.2010; vgl. Krupa 13.05.2009).135 Nach Allison Plyer, Geschäftsführerein des Data Center zeigt der Abfall im Jahr 2009 einen substanziellen Fortschritt im Wiederaufbau und in der Neuentwicklung von Nachbarschaften, die 2005 überflutet wurden. (Krupa 20.11.2009) Mehr als die Hälfte von etwa 200.000 Wohnhäusern in New Orleans wurden nach Hurrikan Katrina ernsthaft zerstört. (Krupa 20.11.2009) Der hohe Bestand unbewohnter Wohnhäuser ist in der gesamten Stadt (2008 von fast 70.000 auf 61.000) zurückge- gangen, während in anderen US-amerikanischen Städten die großen Bestände von verfallenen oder leerstehenden Wohnimmobilien gewachsen sind. (Krupa 13.05.2009, 20.11.2009; Hammer 11.12.2009) Über die Stadt New Orleans verteilt sind etwa 54.000 Grundstücke verfallen, während fast 7.500 Eigenheime möglich- erweise bewohnbar wären, aber leerstehen (Stand November 2009). (Krupa 20.11.2009) New Orleans blieb dennoch auf der Liste von Städten mit dem höchs- ten Anteil von leerstehenden Wohnhäusern weit oben. Denn 31 Prozent des gesam- ten Wohneigentums stehen leer oder sind verfallen. (November 2009 bei 29 Pro- zent Verfall aller Wohnhäuser Krupa 20.11.2009) Von fünf anderen Städten, die untersucht wurden und die eine große Anzahl von unbewohnten Wohnhäusern aufweist, war Flinth, Mich. die nächste Stadt auf der Liste mit zwanzig Prozent der Wohnhäuser, die unbewohnt sind, gefolgt von Detroit, Baltimore, Pittsburgh und Washington, D.C..) (Krupa 13.05.2009) Anders als in New Orleans ist aber der prozentuale Anteil von Verfall in den anderen Städten zwischen März 2008 und März 2009 um zwei Prozentpunkte gestiegen. Washington hat den höchsten An- stieg zu verzeichnen mit mehr als 8.100 zusätzlichen leerstehenden Wohnhäusern 2009. Im Gegensatz dazu fiel in New Orleans der Anteil leerstehenden Eigentums im März 2008 um drei Prozentpunkte auf 34 Prozent. Im März 2009 hatte New Orleans 65.888 leerstehende oder unbewohnte Wohnhäuser; gegenüber 71.657 im März 2008. Die gesamte Anzahl von Wohneinheiten in der Stadt fiel im Laufe des gleichen Jahres um 345 Einheiten auf 213.345. (Krupa 13.05.2009) Neuere Statis-

135 In jeder Stadt wurde der Bestand von unbewohnten Wohnhäusern in zwei Kategorien unterteilt: Leer heißt, dass die Adresse für neunzig Tage keine Post erhielt. No stat ist ein Ausdruck der Post, der ebenfalls aussagt, dass die Adresse für eine lange Zeit keine Post erhielt oder dass sich das Grund- stück im Bau befand. In Kommunen, die durch Hurrikan Katrina und Rita zerstört wurden, schließen die no-stat-Adressen stark zerstörte Wohnhäuser ein. (Krupa 13.05.2009)

299 tiken untermauern den Trend, dass der Verfall in New Orleans zurückgegangen ist. Laut dem Greater New Orleans Community Data Center wies New Orleans 2009 nur noch etwa 65.900 und 2010 nur noch etwa 57.500 leerstehende oder unbe- wohnte Wohnhäuser auf. (Greater New Orleans Community Data Center 19.11.2009, 07.05.2010; vgl. Krupa 20.11.2009) (Im Jahr 2015 wurde die Zahl auf 20.000 bis 30.000 geschätzt. (White 20.08.2015) Auffällig ist allerdings, dass der Verfall in New Orleans räumlich ungleich verteilt ist. Während in einigen Stadttei- len – wie Pontchartrain Park oder Teile von Gentilly – der Verfall zurückgegangen ist, hat sich die Verfallsrate in anderen Stadtteilen nicht wesentlich verändert. In Central City hat sich die Situation seit 2010 nur wenig verbessert. Einkommens- schwache Bewohner haben nicht die finanziellen Mittel, um ihre Wohnhäuser zu reparieren oder zu sanieren. Aufgrund dessen bleibt die stadtpolitische Herausfor- derung groß, städtischen Verfall zu bewältigen. (Rainey 20.08.2012)

In New Orleans sinkt die Verfallsrate aufgrund der Wiederaufbauhilfe durch För- dermittel des bundesstaatlichen Road Home Program und anderer lokalpolitischer Schlüsselaktivitäten (Krupa 20.11.2009). Somit ist auch der lokalpolitische Um- gang mit städtischem Verfall bedeutsam. Der Rückgang des Verfallsbestandes hat sich in den politischen Amtszeiten der Bürgermeister Ray Nagin (2002 bis 2010) und Mitch Landrieu (2010 bis 2018) unterschiedlich stark entwickelt. Die Verwal- tung von Bürgermeister Ray Nagin wollte die Verfallsrate von Wohnraum über das Prinzip „Bestrafung“ verringern. Beispielsweise wurde Eigentümern, die ihr Grundstück verwahrlosen ließen, eine städtische Strafgebühr mit der Begründung in Rechnung gestellt, sich nicht an die Stadtsatzung zu halten und ein positives Erscheinungsbild des Wohnhauses nicht aufrechtzuerhalten. (Krupa 20.11.2009) Das Amt für Code Enforcement hat so dafür gesorgt, dass in der Stadt 2009 9.000 Grundstücke weniger vom Verfall betroffen waren. (Hammer 11.12.2009) Durch stadtpolitische Herausforderungen (beispielsweise ein eingeschränkter Finanzetat der Stadt) während der Amtszeit von Ray Nagin (bis 2010) wurden allerdings die Bemühungen zum Abbau des Verfalls drastisch zurückgefahren: Ein Teil der Rechtsanwälte, die Anhörungen (sogenannte blight hearings) in Bezug auf leerste- henden oder verfallenen Wohnraum abhielten, konnten aufgrund von Haushalts- kürzungen nicht mehr bezahlt werden. Diese Anhörungen sind allerdings das erste

300

Instrument mit dem die Stadt versucht, Hauseigentümer dazu zu bewegen, ihr ab- bruchreifes Eigentum zu reparieren oder zu sanieren. (Hammer 11.12.2009)

Am 1. Oktober 2010, fünf Monate nachdem Mitch Landrieu das Bürgermeisteramt übernahm, erklärte dieser seine Intention, die Zahl des verfallenen Eigentums um 10.000 bis Ende 2014 zu verringern. Das Ziel wurde bei weitem erreicht. (City of New Orleans 09.01.2014) So wurden 2010 noch 43.755 bachliegende Grundstücke gezählt. (Eggler 29.12.2011; Hammer 17.11.2011; Galofaro 11.10.2012) Die Stadt hat die Federal Emergency Management Agency (FEMA) des Bundes angehalten, Eigentum, das durch Katrina zerstört wurde, abzureißen und brachte den Louisiana Land Trust dazu, verfallene Strukturen über das Road Home Program an den Bun- desstaat zu verkaufen (Eggler 29.12.2011). Als politische Strategien wurde der Abriss beziehungsweise eine Eliminierung und Zwangsräumung einerseits und eine Freilegung von Grundstücken und eine Wiederherstellung von Wohnhäusern ande- rerseits verfolgt. (Hammer 17.11.2011; Eggler 29.12.2011) Eine Kombination von abbruchreifen Strukturen, bewachsenen Grundstücken und illegalen Schutthalden veranlassten eine Eliminierung (Hammer 17.11.2011). In Bezug auf eine Zwangs- räumung hat die Stadt das Recht, jene Grundstücke zu verkaufen, die durch Pfand- verschreibungen von Zwangsversteigerungen belastet sind (sogenannte sheriff's sales) (Eggler 29.12.2011). Allerdings stand auch Bürgermeister Mitch Landrieu und seine Administration vor der Herausforderung städtischen Verfall zu reduzie- ren. Denn der Prozess bis zur Freigabe für eine Zwangsversteigerung gestaltete sich als unvorhergesehen umfangreich und langwierig.136 (Vanacore 14.01.2013) Darüber hinaus hat nur die bloße Ankündigung der Stadt, Grund und Boden durch eine striktere Anwendung von lokalen Gesetzen zu beschlagnahmen, Eigentümer veranlasst, Reparaturen am Wohnhaus vorzunehmen und es demensprechend wie- derherzustellen oder auch nur von Bewachsung freizulegen. Diese Art der Politik hatte neben der Zwangsversteigerung von Eigentum Priorität in der Landrieu- Administration. Damit war auch ein Vorschlag der Stadtverwaltung verbunden, Vorschriften bewohnter Gebäude (occupied-building codes) wieder in Kraft zu

136 Viele Nachforschungen sind in Bezug auf die Eigentümerfrage etc. nötig. Den Eigentümern dann mitzuteilen, dass die städtischen Vorschriften verletzt würden, habe sich ebenfalls als eine unvorher- gesehene Herausforderung herausgestellt. Ohne eine genaue Dokumentation des Falles wird die Poli- zei nicht aktiv. Die Polizei hat bereits einige Fälle an die Stadt zurückgegeben, damit diese noch einmal von der Stadt geprüft würden. (Vanacore 14.01.2013)

301 setzen, die nach Katrina erst einmal ausgesetzt wurden. Landrieu erweiterte diese sogar: Eigentümern sollte erlaubt werden nach New Orleans zurückzukehren, auch wenn das Wohnhaus noch sturmgeschädigt war, so dass dieses peu à peu wieder- aufgebaut werden könne. (Webster 03.06.2013) Auch wurden die Möglichkeiten für die Bewohnerschaft erleichtert, angrenzende – verfallene – Grundstücke zu erwerben. Dadurch erhöhten sich zudem die städtischen Einnahmen zwischen 2009 und 2011 um über einhundert Prozent.137 (Eggler 29.12.2011; Hammer 17.11.2011) Insgesamt wurden vierzehn politische Instrumente implementiert; und das aus Sicht der Stadt erfolgreich.

Zu diesen Instrumenten gehört auch die Koordination und Trasparenz aller Infor- mationen, die städtsichen Verfall betreffen. In ein Informationssystem der Stadt werden Daten aller Nachbarschaften eingespeist und somit transparent gemacht. Das System nennt sich BlightStat138 (Eggler 29.12.2011; Hammer 17.11.2011) und wird als Ergebnis eines „Laboratoriums für Innovation“ bezeichnet, so eine Mitar- beiterin der Nonprofit-Organisation Code for America: „The mayor likes to talk about how New Orleans is a laboratory for innovation. (...) This is one thing that has come out of this laboratory that can spread across the United States.” (Wales

137 791.000 US-Dollar in 2009 und 703.000 US-Dollar in 2010 auf 1,65 Millionen US-Dollar in 2011 (Eggler 29.12.2011) 138 Im Frühjahr 2012 wurden externe Programmierer mit der Aufgabe beauftragt, eine Technologie zu entwickeln, um das Problem des städtischen Verfalls anzugehen. Die Nonprofit-Organisation Code for America entwickelte eine Website, die die Behörden dabei unterstützt, verfallene und verlassene Grundstücke aufzuspüren und die den Weg durch das Code Enforcement-System der Stadt bahnt. Die Website blightstatus.nola.gov zeigt in Bezug auf eine bestimmte Adresse die Geschichte und den Status eines spezifischen Grundstückes an (von der Überprüfung, über die Anhörung bis zum Be- schluss). Die Nutzer können ihre Beobachtungen hinsichtlich eines verfallenen Grundstücks angeben oder werden über den Status von bestimmten Grundstücken benachrichtigt. Code for America hat New Orleans als eine von acht Städten für ihr Programm ausgewählt. Die Organisation hat Compu- terprogrammierer in diese Städte gesandt, mit dem Ziel, öffentliche städtische Probleme aufzuspüren, die sich durch einen Mangel an Technologie verschärfen. Die Nonprofit-Organisation arbeitetet eng mit der Stadtverwaltung und Nachbarschaftsgruppen zusammen. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Nutzung einer Vielzahl von Websites notwendig, um Basisinformationen zum Status dieser Grund- stücke heraus zu finden. Die Website erhöht zwar nicht die Geschwindigkeit der jeweiligen Fallbear- beitung, sie ist aber automatisch mit anderen Datensätzen der Stadtverwaltung verbunden (Code Enforcement, Begutachtung). Das Programm kostete 300.000 US-Dollar. Die Open Society Foundati- on beteiligte sich mit 150.000 US-Dollar, die Greater New Orleans Foundation und die Ford Founda- tion gaben weitere 125.000 US-Dollar dazu und die Stadt New Orleans zahlte 25.000 US-Dollar. (Galofaro 11.10.2012)

302 zit. in Galofaro 11.10.2012) Sogar nach starken Kritiker der städtischen Verfallspo- litik wie Rita Legrand und Mary Anne Colwart, Mitglieder der Lakeview Civic Improvement Association, mache die Stadt in Bezug auf die Verfallsproblematik Fortschritte. Die BlightStat-Treffen seien der Schlüssel dafür. Denn ein geschlos- sener Prozess ist nun für die „Öffentlichkeit“ transparent. Dennoch werden mehr finanzielle Mittel benötigt, um den Verfall noch stärker reduzieren zu können, so die Kritiker. (Hammer 17.11.2011)

Seit Mitte August 2012 ist New Orleans nicht länger die Stadt mit der höchsten Verfallsrate in den USA. Nach einer weiteren Studie des Greater New Orleans Data Center, in der wiederum die sechs Städte untersucht wurden, in denen seit langem dieses städtische Problem herrscht, haben nun die Städte Detroit und Flint (Michigan) eine höhere Prozentzahl an verfallenen Grundstücken als New Orleans. In New Orleans liegen noch rund 21 Prozent aller Grundstücke brach oder Wohn- häuser sind verfallen, in Flint sind es 27 Prozent und in Detroit 24 Prozent. (Ortiz, Plyer 21.08.2012; Rainey 20.08.2012; Vanacore 14.01.2013; Webster 03.06.2013) Der Verfall in New Orleans ist in Teilen durch die Initiative von Landrieu zurück- gegangen, der die Zahl der verfallenen Wohnhäuser und brachliegenden Grundstü- cke bis 2014 um 10.000 reduzieren wollte. (Rainey 20.08.2012) Waren 2008 noch 34 Prozent (71.657) des städtischen Wohnraums unbewohnbar (Rainey 20.08.2012; Krupa 13.05.2009) bleibt trotz dieser Anstrengungen „Verfall“ eines der großen städtischen Probleme von New Orleans. 2010 ist die Anzahl des verfal- lenen Eigentums auf mehr als 43.000 angestiegen, was mehr als einem Viertel des Wohnbestandes in New Orleans entsprach. (vgl. White 20.08.2015) Auch noch 2015, zehn Jahre nach Hurrikan Katrina, gehen Schätzungen von 20.000 bis 30.000 verfallenen und brachliegenden Grundstücken aus. Das entspricht etwa der glei- chen Anzahl wie vor dem Sturm, die allerdings das Resultat eines jahrzehntelangen Bevölkerungsrückgangs war. New Orleans gehört damit noch immer zu den Städ- ten, die am schlimmsten von dem Verfall von Wohnraum und folge dessen auch von ganzen Nachbarschaften (sogenanntes neighborhood blight) betroffen sind (neben Detroit und Philadelphia). (vgl. White 20.08.2015)

Ein Zuwachs der städtischen Bevölkerung führt zwar zwangsläufig auch zu einer Rehabilitation und zum Verkauf von Wohnhäusern. Das ist ein Faktor von vielen,

303 der zur Reduzierung von Verfall beiträgt. Die Einwohnerzahl nahm nach Katrina auch wieder zu, da in New Orleans die Lebenserhaltenskosten angemessen waren und während der Finanz- und Wirtschaftskrise nach 2008 in New Orleans ein Ar- beitsmarkt vorhanden war, der im Verhältnis zum nationalen Arbeitsmarkt als rela- tiv stabil galt (aufgrund der andauernden Wiederaufbauaktivitäten in der Stadt). (Rainey 20.08.2012) Dennoch ist parallel dazu die Entwicklung zu beobachten, dass es trotz einer hohen Anzahl an verfallenen Wohnhäusern und brachliegenden Grundstücken gleichzeitig keinen bezahlbaren Wohnraum gibt. (vgl. White 20.08.2015)

Zusammenfassend wird im Rahmen der Wiederaufbaubemühungen von Wohn- raum (durch das Road Home Program und die Neuausrichtung eines städtischen Amtes CIA zu NORA) deutlich, dass auch in Folge einer Katastrophe wie nach Hurrikan Katrina Eigentum und Eigentümer wesentlich intensiver gefördert werden als Mietwohnungsbau und deren Mietparteien und das in einer Stadt, in der eine große Anzahl der Einwohnerschaft Mieter gewesen waren. Diese Prioritätenset- zung spiegelt sich auch im sogenannten Soft Second Mortgage-Programm wider: Seit 2008 strebt die Stadt an, Wohneigentum für jedermann zu ermöglichen, indem die Stadt eine finanzielle Unterstützung von Wohneigentum bis 50.000 US-Dollar gewährt. Zwei Millionen US-Dollar von etwa zehn Millionen US-Dollar wurden 2008 bewilligt. (Schulte 11.06.2008) In Bezug auf die Beseitigung des städtischen und stadträumlichen Problems von urban blight hat zwar New Orleans einen be- achtenswerten Erfolg zu verzeichnen durch diese und andere Instrumente und Maßnahmen, wie dauerhafte Bemühungen abzureißen, zu versteigern und den Zu- stand der Wohnhäuser zu überprüfen. (Robertson 22.02.2014) Dennoch bleibt Leerstand und Verfall von Wohnraum und Immobilien eines der größten Probleme der Stadt, da die Verfallsrate mit 20.000 bis 30.000 Gebäuden und Grundstücken (2015) etwa wieder auf dem Niveau der Zeit vor Katrina ist. Nichtsdestotrotz spie- gelt die Entwicklung der Verfallsrate in New Orleans die politischen Amtszeiten von Bürgermeister Ray Nagin und Mitch Landrieu mit ihren jeweiligen politischen Steuerungsinstrumenten wider. Die Verfallsrate ist selbstverständlich nach den Zerstörungen von Hurrikan Katrina stark angestiegen, dann aber durch den Einsatz politischer Instrumente, Programme und unter anderem überlokale finanzielle Wiederaufbauressourcen stark zurückgegangen, anders als in anderen größeren

304

Städten der USA, die von Verfall betroffen sind. Nichtsdestoweniger zeichnet sich in der Ära von Bürgermeister Ray Nagin noch weniger eine stadtpolitische Strate- gie ab als in der Amtszeit von Mitch Landrieu. Landrieu setzte das Problem „Ver- fall und Leerstand“ aber zumindest zu Beginn seiner Amtszeit auf seiner politi- schen Prioritätenliste nach oben mit einer klaren Zielvorgabe. Binnen von drei Jahren sollten im Stadtgebiet 10.000 verfallsbetroffene Wohnhäuser weniger ge- zählt werden. Trotz Schwierigkeiten im operativen Geschäft der Landrieu- Verwaltung ist die Stadt New Orleans 2012 nicht mehr die Anführerin der Liste der Städte, die stark von Leerstand und Verfall betroffen sind. Inwiefern dieses Ergeb- nis Zeugnis dieser lokalen Politikstrategie ist oder auch geprägt wurde durch zu- sätzliche Faktoren (wie Zuzug von Einwohnern, stadtpolitisches Klima insgesamt wie etwa das Verhältnis zwischen dem Stadtrat und dem Bürgermeisterbüro), die der wieder eingekehrten „Normalität“ nach einer Katastrophe zuzuschreiben sind, bleibt im Rahmen dieser Arbeit offen. In der Amtszeit von Bürgermeister Nagin wurde dem Thema Verfall zwar auch große Bedeutung eingeräumt, allerdings – so scheint es – ohne einen so starken Nachdruck wie in der Landrieu-Ära. Allerdings werden Instrumente angewandt, die eher als repressiv gegenüber der Eigentümer- schaft und als sozialpolitisch fragwürdig zu interpretieren sind. Denn Bewohner mit geringem Einkommen, die aber dennoch Eigentümer sind, haben möglicher- weise nicht die privaten finanziellen Mittel, um das Eigentum wiederaufzubauen oder aufrechtzuerhalten.139 Insgesamt ist allerdings keine stadträumliche Ge- samtstrategie erkennbar, die über den stadtentwicklungspolitischen Ansatz „Abriss, Zwangsversteigerung und administrativer Druck gegenüber Eigentümern“ hinaus- geht und die hier als „Stadterneuerung“ interpretiert werden kann.

2.2.3 Innenstadtrevitalisierung durch eine Förderung eventfähiger Räume

Auskunft über die Ausrichtung der Stadtentwicklung in New Orleans nach Hurri- kan Katrina geben auch stadtpolitische Strategien, die im Zusammenhang mit einer

139 Nach Laura Tuggle, tätige Rechtsanwältin bei Southeast Louisiana Legal Services, würden die Familien noch mehr getroffen werden, wenn die Stadt beginnen würde, Strafen gegen sie einzutrei- ben. Sie bat den Stadtrat, das zu bedenken, bevor über das Gesetz endgültig abstimmt wird. Nach Una Anderson, Geschäftsführerin von Harmony Neighborhood Development, lebten zu viele Menschen in minderwertigem Wohnraum und in den meisten Fällen haben diese Familien Kinder oder es sind ältere Menschen, deren finanzielle Mittel begrenzt sind. (Webster 03.06.2013)

305

Positionierung der Stadt vor dem Hintergrund des Städtewettbewerbs stehen. Auch wenn sich stadtpolitisch aktive innerstädtische Revitalisierungsstrategien in New Orleans im Vergleich zu anderen US-amerikanischen Städten wie Chicago oder Boston in Grenzen halten, sind Ansätze in dieser Richtung retrospektiv erkennbar. Nichtsdestoweniger sollen sie in erster Linie ein positives Image für New Orleans und somit überregionale Ausstrahlungseffekte erzeugen, um den Dienstleistungs- und Tourismussektor vor allem in der Innenstadt (downtown) und im historischen Altstadtviertel French Quarter zu stärken.

So wird im Altstadtviertel French Quarter, dem Gründungsort von New Orleans, seit Jahrzehnten mit dem Erhalt der historischen Bausubstanz als Standortfaktor geworben und eine bauliche Aufwertung von Gebäudesubstanz verfolgt (Instru- ment historic tax credits). Die Mietpreise steigen zusehends und ein Prozess der Gentrifizierung findet seit langem statt (Gotham 2005; vgl. auch Gladstone, Preau 2008). Die bauliche Aufwertung wird durch eine starke Fremdenverkehrsorientie- rung ergänzt. Branding- und Marketingstrategien für den Tourismusstandort New Orleans werden verstärkt seit den 1980er Jahren verfolgt. Seit Katrina wird ver- sucht, ein Bild von New Orleans zu transportieren, das die Stadt als „authentisch“ präsentiert. Dieses Bild lässt die Quartiere außen vor, die durch die Folgen von Hurrikan Katrina besonders stark überflutet wurden. Somit wird bereits der Touris- ten-hot spot French Quarter als hermetisch abgeriegelte Enklave bezeichnet, die insgesamt als sicher und kriminalitätsfrei gilt (Gotham 2005: 836).140

Besuchergerechte Laissez faire-Politiken in Bezug auf den Genussmittelkonsum im öffentlichen Raum – keine Sperrstunde und kein Alkoholverbot auf der Straße – werden umgesetzt und durch restriktive Politiken hinsichtlich Ordnung und Sau- berkeit ergänzt. Seit Mitte März 2009 wird im Touristenzentrum French Quarter eine Straßenreinigungspolitik „wie in Disneyland“ (Donze 05.02.2009) betrieben: Unter anderem wurde die Abfallbeseitigung rund um die Uhr wiedereingeführt, die kurz zuvor auf zwei Mal täglich reduziert worden war. Stadtrat und Bürgermeister stritten wochenlang über die Finanzierbarkeit des Unterfangens im Kontext der

140 Parallel dazu werden in erster Line von NGOs die Nachbarschaften, die stark überflutet wurden, als „touristische Sehenswürdigkeiten“ thematisiert. So hat sich beispielsweise in der Lower Ninth Ward ein sogenannter Katrina Tourism enwickelt.

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Haushaltsplandebatte: Durch die Vielzahl von Dienstleistungen und die damit in Zusammenhang stehenden Kosten für die Stadt entschied Bürgermeister Nagin, dass sich eine Stadt mit Liquiditätsproblemen dies nicht länger leisten kann. Die Kürzung zog Proteste von Stadtrat und Vertretern der Tourismusbranche nach sich. Das French Quarter sauber zu halten ist eine wirtschaftliche Angelegenheit und bevorzugt nicht ein Quartier gegenüber einem anderen, so Stadtratsvorsitzender Jackie Clarkson. Clarkson weiter: „Tourism is our leading economy. […] To kill the French Quarter is to kill the city. There was no choice here. There was just finding the route to do it” (Donze 05.02.2009). Der Stadtrat setzte sich letztlich im Rahmen eines internen Abkommens mit dem Bürgermeister durch: Bürgermeister Nagin verpflichtete sich, 2,5 Millionen US-Dollar aus dem Economic Development Fund, einem Fonds, der Steuergelder umfasst, für die Straßenreinigung bereitzu- stellen. Im Gegenzug geht der Stadtrat auf einige Forderungen von Ray Nagin ein, die er seit einiger Zeit durchsetzen wollte: Der städtische Notfallfonds und die letz- ten zehn Millionen US-Dollar der insgesamt 240 Millionen US-Dollar Bundesan- leihen, die für Katastrophenfälle bereit gestellt wurden (federal disaster loans), bleiben unangetastet (Donze 05.02.2009).

Diese Art Stadtpolitik, die bestimmte städtische Räume fördert, wird nach Katrina – 2005 und 2006 – durch Überlegungen der Unternehmerelite, städtisch beauftragte Tourismusunternehmen und/oder politischen Eliten, wie dem Bürgermeister selbst, nochmals verstärkt: Bürgermeister Nagin selbst hat vorgeschlagen Downtown New Orleans als theatre district oder casino district auszuweisen. Diese Idee setzte sich allerdings in Folge einer starken lokalpolitischen und bundesstaatlichen Opposition nicht durch (Gotham 2007: 841ff). Die Bewohnerschaft befürchtete, dass durch diese Art Tourismuspolitik, die durch wirtschaftliche Unternehmen angetrieben und vielerorts praktiziert wird, die Stadt kulturell „vereinheitlichen“ und eine Stan- dardisierung kultureller Einrichtungen forciert würde (Gotham 2007: 842).

307

Abbildung 39: Downtown, Canal Street, New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

Abbildung 40: Kasino Harrah’s, Downtown New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

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Abbildung 41: Uferpromenade, New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

Abbildung 42: Vernachlässigter Immobilenbestand, Downtown New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

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Abbildung 43: French Quarter, New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

Abbildung 44: French Quarter, Blick Richtung Canal Street, New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

310

Aber nicht nur die lokale Stadtpolitik kann dazu beitragen, eventfähige Räume zu schaffen. Auch Bund und Bundesstaat wirken daran mit: So setzt die Tourismus- branche auf Anreize, die durch die sogenannte Gulf Opportunity Zone (GO Zone) geschaffen wurden. Das Instrument der GO Zone wurde vom Bund nach Katrina unterstützt. Dadurch konnten Planung und Bau von Unterhaltungsräumen und At- traktionen entlang der innerstädtischen Canal Street, die an das French Quarter angrenzt, forciert werden. Bundesstaatliche und lokale Politik nutzten Steuergut- schriften des Bundesstaates Louisiana aus den Jahren 2005 und 2006, um die Ent- wicklung der Musik- und Filmbranche voranzutreiben. Hintergrund ist die Strate- gie des urban branding. Diese Strategie ist konzerngetrieben: Internationale Unter- nehmen und Konzerne sind institutionell in der Lage, einen großen Kapitalumfang an Standorten „wirksam“ einzusetzen, die sich „finanziell auszahlen“. Mit diesem Wissen haben Politik- und Wirtschaftseliten aus New Orleans lukrative Steuergut- schriften stark propagiert, damit corporate brands am Standort New Orleans inves- tieren und somit den Wiederaufbauprozess mitfinanzieren (Gotham 2007: 838).

2.2.4 Großprojekte als Vehikel für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt

Stadträumliche und städtebauliche Großprojekte haben das planerische Ziel, brach- liegende oder leerstehende innerstädtische Räume in „lebendige“ öffentliche Räu- me zu verwandeln und die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt zu fördern. Die Großprojekte in New Orleans zielen auf die Nutzungen Kultur, Unterhaltung und Freizeit ab und sind in zwei der drei Fälle durch imagebildende Architektur ge- prägt, um Eventfähigkeit zu signalisieren: erstens das Großprojekt Reinventing the Crescent am Ufer des Mississippi, zweitens ein Jazz Center, das nach Katrina als Idee aufkam (New Orleans Convention & Visitors Bureau 31.05.2006; Bergen 31.05.2006; Gotham 2007: 834; Ouroussoff 28.08.2007; Park 05.08.2007), und drittens der stadtpolitische Vorstoß zur Sanierung und Wiedernutzung des Munici- pal Auditorium im innerstädtischen Louis Armstrong Park (Litten 18.01.2017; Donze 10.11.2009; vgl. Krupa 09.11.2009). Diese Projekte wurden in enger Part- nerschaft mit dem privaten Sektor initiiert und geplant. Ausschließlich das Groß- projekt Reinventing the Crescent befindet sich in der Umsetzungsphase (C II 2.2.4.1). Als weitere Großprojekte in der Innenstadt (Stadtteil Central City) nach

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Hurrikan Katrina ist der Bau zweier Krankenhäuser zu nennen, die in ihrer Funkti- on das historische Charity Hospital ersetzen. Durch den Neubau der Kliniken mussten Eigenheime in diesen Nachbarschaften weichen, die nach Katrina bereits wiederaufgebaut worden waren. (C II 2.2.4.2)

2.2.4.1 Revitalisierung der innerstädtischen Uferpromenade am Mississippi

Im großen Maßstab wurde drei Jahre nach Katrina mit der Realisierung des inner- städtischen städtebaulichen Großprojektes Reinventing the Crescent, eines der stra- tegischen Planungsprojekte, das die Stadt im Städtewettbewerb langfristig stärken soll, begonnen. So wird vor allem von städtebaulich interessanten Großprojekten ein „internationaler Imageeffekt“ sowie ein „finanzieller ‚Mehrwert’“ erwartet, in der Hoffnung, „dynamische Wirtschaftsaktivitäten und internationale Besucher anziehen zu können“. Das trägt insgesamt zur „strukturellen Änderung der Finanz- einnahmen und Wirtschaftsstruktur“ einer Stadt bei, so die Hoffnung (Heeg 2008: 55–56; Swyngedouw et al. 2002). Ein Mix aus Unterhaltungsnutzungen und Ange- boten der tertiären Ökonomie ist geplant. So werden am Ufer des Mississippi indi- rekt innerstädtisch Orte geschaffen, an denen potentiell Großereignisse stattfinden können.

Bereits im Jahre 2000 hat der Stadtrat von New Orleans die New Orleans Building Corporation (NOBC) geschaffen, die am 15. Dezember 2016 mit der Canal Street Development Corporation (CSDC) fusioniert ist.141 Der lokale Immobilienentwick- ler Sean Cummings leitete die Entwicklungsgesellschaft.142 NOBC wurde von ei-

141 Beide sogenannten gemeinnützigen Körperschaften (public benefit corporations) sind mit der Verpachtung, der Entwicklung und Verwaltung des Immobilienbestandes von New Orleans beauf- tragt. Durch den Zusammenschluss wird die NOBC die Projekte der CSDC übernehmen. Der NOBC- Vorstand wird auf 11 Mitglieder erweitert, um das größere Geschäftsvolumen mit einer breiten Palet- te von Themen effektiv zu verwalten. Darin sind Akquise und Entwicklung in den Bereichen Einzel- handel, Parken, Wohnen und Unterhaltung (Gastgewerbe, Glücksspiel, Theater) eingeschlossen. Die Grundstücke und Immobilien der NOBC und Eigentum der City of New Orleans, schließen den Uni- on Passenger Terminal, den Crescent Park, das ehemalige World Trade Center-Gebäude, den St. Roch Market und Lincoln Beach ein. Zu den Grundstücke und Immobilien der CSDC gehören die Piazza d’Italia und der angrenzende Parkraum, das Saenger Theatre, das Hyatt French Quarter Ho- tel, die DH Holmes Apartments mit Parkhaus und Harrah’s New Orleans Casino. (19.12.2016) 142 Sean Cummings plant den Bau eines Entwicklungsprojektes, das sechs Gebäude umfasst, die etwa sieben bis 23 Meter (25 bis 75 feet) hoch sind und eine Fläche von zwei Straßenblöcken einnehmen.

312 nem siebenköpfigen Vorstand gelenkt, dem der Bürgermeister, Stadtratsmitglieder und Bürger angehören. NOBC wurde von der Stadt beauftragt, brachgefallene und ungenutzte städtische Immobilien und Grundeigentum zu verpachten, zu verwalten und zu entwickeln. In Zusammenarbeit mit dem Stadtrat identifizierte NOBC öf- fentliches Eigentum mit wirtschaftlichem oder kulturellem Potential, definierte Entwicklungspotentiale und lenkte den Erneuerungsprozess. Auftrag der NOBC ist es, Immobilien- und Grundstückskapital der Stadt zu vermarkten und zu investie- ren, um größeres ökonomisches Wachstum zu generieren. Michael Hecht, Ge- schäftsführer der Greater New Orleans, Inc. unterstützt das Projekt: „(...) You’ve got my personal support on this one. I’ve watched the Embarcadero, East London, the Brooklyn waterfront: This is real economic development. Very exciting!“ (Mi- chael Hecht (CEO Greater New Orleans) zit. in Reinventing the Crescent o.J.b) Nach Schätzungen liegt der wirtschaftliche Nutzen bei mehr als 24.000 neuen Ar- beitsstellen, nahezu 3,6 Milliarden US-Dollar neuen privaten Investitionen und mehr als 63 Millionen US-Dollar Einnahmen des Bundesstaates und der Stadt New Orleans pro Jahr. (New Orleans Building Corporation 27.02.2008)

NOBC verfolgt bei der Entwicklung von Projekten dementsprechend einen unter- nehmerischen Ansatz. So wurde die offizielle Idee für das Großprojekt Reinventing the Cresent vor dem Hintergrund innerstädtischer Trends in anderen Städten und des globalen Städtewettbewerbs entwickelt: „[I]t is important to understand a basic trend. Cities are […] increasingly places where people choose to live to experience a higher quality of life. Reinventing our riverfront is, thus, a tool. Much in the same way that the Superdome functioned in the 20th Century or St. Louis Cathedral functioned in the 19th Century, this majestic riverfront and its ensemble of archi- tectural and landscape elements can become the proud face of New Orleans for the 21st Century. It will signal a new and hopeful Time. Yet it will reflect the unique sense of Place that is the enduring mark of a proud people. If we do our work skil-

Damit werden 260 Einheiten für Wohnen und Einzelhandel (Mischnutzung) entlang des Ufers des Mississippi im Stadtteil Bywater geschaffen. Bywater gehört derzeit zu den „beliebtesten“ Nachbar- schaften der Stadt. Das Projekt wird ein saniertes Lagerhaus und fünf neue Gebäude umfassen. Cum- mings hat die Baugenehmigung dafür im November 2015 erhalten. Das Projekt befindet sich in un- mittelbarer Nähe zum Crescent Park. Bei der Entwicklung des Parks am Ufer des Mississippi spielte Cummings eine Schlüsselrolle als geschäftsführender Direktor der New Orleans Building Corporati- on während der der Amtszeit von Bürgermeister Ray Nagin. (Thompson 04.11.2015)

313 fully, we can fundamentally boost the quality of life for all locals and visitors, of- fering a compelling new reason to live in this joyful city” (New Orleans Building Corporation 27.02.2008).

Mehr als 294 Millionen US-Dollar werden investiert, um die Uferzone zu revitali- sieren. Ein Teil wird mit Bundesmitteln des U.S. Department of Housing and Ur- ban Development aus sogenannten Disaster-Community Development Block Grants (D-CDBG) finanziert, die für Maßnahmen zur Quartiersrevitalisierung nach Katastrophen zur Verfügung stehen. Ziel der New Orleans Building Corporation NOBC ist es, das Projekt bis 2018 in drei Phasen zu realisieren. (Reinventing the Crescent o.J.a) Mit mehr als dreißig Millionen US-Dollar wurde der sogenannte Crescent Park, die erste Phase des Projektes, im Juli 2015 fertig gestellt und zu den Stadtteilen Marigny und Bywater geöffnet. Der Park umfasst 1,4 Meilen von der Elysian Fields Avenue im Stadtteil Marigny zur Mazant Street im Stadtteil Bywa- ter. Der Crescent Park schließt die Entwicklung von zwanzig acres (etwa acht Hektar) einheimischem Landschaftsbau mit Picknickplätzen und Wanderwegen sowie zwei ehemaligen Werften ein. (Sanchez 04.06.2015) Das Projekt, das Teile des Mississippi Ufers nicht länger für den Hafenbetrieb vorhält, sondern eine Park- landschaft am Ufer des Mississippi schafft, wurde durch die Stadt New Orleans und die NOBC entwickelt. Die Umsetzung der ersten Phase begann 2008 als dem Projekt 31,2 Millionen US-Dollar zugesprochen wurden. (Sanchez 04.06.2015) Im Januar 2009 hat NOBC hat ein internationales Architektenteam ausgewählt, um die erste Phase umzusetzen.143 (Reinventing the Crescent o.J.b)

Das Entwicklungsgebiet wurde durch die Folgen von Hurrikan Katrina minimal zerstört. Bereits seit den 1980er Jahren wurde das Areal durch Einkaufszentren, Restaurantketten und ein Kongresszentrum vom Stadtzentrum abgeschnitten. Durch die Neuentwicklung wird die Stadt wieder mit der Uferzone verbunden über grünen Terrassen und Parks. Somit werden beispielsweise Schnellrestaurants am Fuße der Canal Street „verdrängt“ und stattdessen eine ausgedehnte Plaza am

143 Alex Krieger von Chan Krieger Sieniewicz (Cambridge), George Hargreaves von Hargreaves Associates (Cambridge, New York, San Francisco, London), Allen Eskew von Eskew+Dumez+Ripple (New Orleans), David Adjaye von Adjaye/Associates (London, Berlin, New York) und Michael Maltzan von Michael Maltzan Architecture (Los Angeles) (Reinventing the Cres- cent o.J.b)

314

Wasser geschaffen (Ouroussoff 28.08.2007). New York Times-Architekturkritiker Nicolai Ouroussoff äußert sich kritisch in Bezug auf die Klassenfrage, die sich in Einzelelementen (Wohnraum) des Großprojektes präsentiert. Letztlich relativiert er diesen Punkt allerdings im Kontext des gesamten Projektes: „In some respects the riverfront proposal reflects the willingness to turn over large segments of the public domain to private interests. The ‘towers in the park’ could be seen as reinforcing class stratification: an enclave of luxurious glass towers overlooking the poverty- stricken neighborhood of the Lower Ninth Ward. Yet the notion of the riverfront as a cohesive element in a fractured city is powerful, especially because it avoids the banal historicism threatening to engulf what’s left of the authentic city” (Ourous- soff 28.08.2007).

Die Umsetzung des Großprojektes ist ambitioniert und gleichzeitig kostspielig für den öffentlichen Haushalt: Teile der Bewohnerschaft kritisieren, inwiefern eine Uferpromenade ein notwendiges Bestreben in einer Stadt sein sollte, die seit Katri- na nur langsam bezahlbaren Wohnraum und andere technische und soziale Infra- strukturen schafft. Die Kritik wird politisch unterstützt: „Councilwoman Cynthia Willard-Lewis has also expressed reservations about using block grant money, which she said would be better spent rebuilding infrastructure in the Lower 9th Ward or eastern New Orleans” (DeGregorio 14.01.2009). Dem Projekt wurden Disaster-Community Development Block Grants (D-CDBG) zugesprochen auf Grundlage des New Orleans Citywide Strategic Recovery and Rebuilding Plan (CSRRP UNOP) (vgl. D III). Entsprechend dem Planwerk UNOP treiben die vor- geschlagenen Wiederaufbauprojekte und -programme, die mit D-CDBG gefördert werden, im Rahmen des Wiederaufbauprozesses eine langfristige Erholung und Stabilität in bestimmten Prioritätskategorien voran. So trage auch der Downriver Park zur “Erholung” insbesondere folgender Prioritätskategorien bei: städtische Infrastruktur, Gemeinschaftseinrichtungen, wirtschaftliche Entwicklung, Reduzie- rung von baulichem Verfall und Nachbarschaftsrevitalisierung. So sei der Downri- ver Park eine facettenreiche Investition und ein katalytisches Projekt, das darauf abzielt, die langfristige Erholung der Stadt zu sichern. (Reinventing the Crescent o.J.a)

315

Insgesamt zeichnet sich diese Art der Stadtpolitik, die sich durch den internationa- len Städtewettbewerb antreiben lässt, durch architektonisch und städtebaulich krea- tive Versuche aus (Ouroussoff 28.08.2007) und versucht, die Stadt über punktuelle innenstadt- und projektbezogene Maßnahmen vorrangig in „Touristenzonen“ wie- deraufzubauen. Öffentlicher Raum wird „aufgewertet“, was längerfristig einen Entwicklungsprozess angrenzender Gebiete und ihrer Immobilien nach sich ziehen soll und dementsprechend Marktakteuren (Immobilienentwickler und Investoren) Renditen verschafft. Konflikte entstehen in imageträchtigen Planungsprozessen durch artikulierte Gegenmachtpositionen zivilgesellschaftlicher Akteure. Teilweise sind es Proteste, die sich als „Not in my backyard“ beschreiben lassen, da sie sich gegen Projekte in den unmittelbar angrenzenden Nachbarschaften wehren.

2.2.4.2 Neubau innerstädtischer Großprojekte

Seit Hurrikan Katrina wird das innerstädtische Krankenhaus Charity Hospital der Stadt New Orleans nicht mehr für die medizinische Versorgung der städtischen Einwohnerschaft genutzt. Stattdessen wurde das neues Krankenhaus University Medical Center (UMC) der Louisiana State University von 2011 bis 2015 (Eigen- tümer Bundesstaat) und das Krankenhaus Southeast Louisiana Veterans Health Care System Medical Center von 2010 bis 2016 (Eigentümer Bund) in New Or- leans gebaut. Dafür mussten Eigenheime in diesen Nachbarschaften weichen, die durch die Folgen von Hurrikan Katrina zunächst zerstört, aber bereits wieder auf- gebaut wurden. (Stokes 14.02.2017; vgl. Brandes Gratz 2015; Burns, Thomas 2015) Durch den Neubau der beiden Großprojekte wurde zudem das historische Straßenraster aufgegeben (Stokes 14.02.2017).

Der Bundesstaat Louisiana hatte unmittelbar nach Katrina die Untersuchung des baulichen Zustandes des Charity Hospital in New Orleans veranlasst. Die Stiftung Foundation for Historical Louisiana, wurde vor diesem Hintergrund bauftragt, diese unabhängige Bewertung vornehmen und eine Machbarkeitsstudie für die Wiedernutzung des Krankenhauses erstellen zu lassen. Die Stiftung beauftragte RMJM Hillier als international renommiertes Architekturbüro für Denkmalschutz, das sich in der baulichen Gestaltung von Krankenhäusern spezialisiert hat. (vgl.

316

Foundation for Historical Louisiana 2008) Die Studie zeigte, dass ausschließlich der Keller des Charity Hospital überschwemmt und der übrige Teil des Gebäudes in einem guten Zustand war, so dass eine Wiedernutzung durchaus möglich gewe- sen wäre. (vgl. Foundation for Historical Louisiana 2008) Das Militär und Ange- stellte des Krankenhauses reinigten das Gebäude in privater Inititative, so dass es nach kurzer Zeit hätte wieder eröffnet werden können in einer Stadt, die nach Kat- rina eine medizinische Versorgung dringend benötigte.144 Der Bundesstaat ent- schied sich dagegen, denn der Bund würde nur Fördermittel für den Bau eines neu- en Krankenhauses freigeben, wenn das alte Krankenhaus katastrophenbedingt zer- stört sei und nicht wiedereröffnet werden könnte. So blieb das Charity Hospital geschlossen, systematischer Vandalismus (Stokes 14.02.2017) war zu beobachten und der Neubau wurde vorbereitet.145 (Stokes 14.02.2017)

Das brachte eine zivilgesellschaftliche Initiative ins Rollen: Die Stiftung Foundati- on for Historical Louisiana setzte sich in der Folgezeit dafür ein, das alte Charity Hospital wieder zu eröffnen. Denn dieses Gebäude war aus Sicht der Stiftung nicht nur historisch schützenswert (Art Deco der 1930er Jahre), sondern das Charity Hospital galt als „Institution für die Armen“ und war ein bedeutendes medizini- sches Ausbildungszentrum vor Katrina. „They Wanted to get away from Charity and poor people to built a private hospital that would make money“, so Stokes (14.02.2017). Nach Stokes sollte die Neuentwicklung vor allem Privatpatienten zur Verfügung stehen. Aber aufgrund der Bedeutungsschwere des alten Krankenhauses machte die Stiftung einen Gegenentwurf: Sie schlug einen architektonischen Um- bau des Charity Hospital vor, der vorsah, die Fassade des Krankenhauses zu erhal- ten und ein neues Krankenhaus innerhalb der Gebäudehülle zu errichten. Die Initi- tative kämpfte auch mit anderen Mitteln gegen den Bau der neuen Krankenhäuser und wollte dementsprechend auch den Abriss der Eigenheime in den Nachbar- schaften verhindern: Sie warben für das Charity Hospital, machten Umfragen,

144In der Folgezeit von Katrina wurden Zelte aufgebaut, um eine medizinische Versorgung zu ge- währleisten. Nach Stokes konnte das Charity Hospital nicht genutzt werden, da dadurch ggf. die Fördermittel für ein neues Krankenhaus reduziert worden wären. Dieses Risiko wollten die Akteure nicht eingehen. (Stokes 14.02.2017) 145 Bei einem neu erbauten Krankenhaus soll der Terminus charity im Titel nicht mehr vorkommen, da es eine Einrichtung für „arme Menschen“ impliziere, so Sandra Stokes, Vorstandsmitglied der Stiftung Foundation for Historical Louisiana. (Stokes 14.02.2017)

317 sammelten Geld, reichten beispielsweise beim Ministerium HUD Peditionen ein und koalierten mit Advocaten und überlokalen Denkmalschutzorganisationen.146 Aber die Einfamilienhäuser wurden dennoch abgerissen „(...) and that was it“ (Stokes 14.02.2017).

Die beiden neuen Krankenhäuser wurden auf einem siebzig acre (rund 28 Hektar) großen Areal gebaut, auf dem sich nach Katrina durch den Wiederaufbau von Ei- genheimen nach Stokes wieder eine Nachbarschaft entwickelte: „They took their houses. They bougth them for low value. (...) They killed of the community, they (the community) worked together after Katrina“ (Stokes 14.02.2017). Einige histo- rische Wohnhäuser konnten erhalten bleiben, indem sie aufwendig umgesiedelt wurden. Dieser Vorgang wurde durch ein Regierungsprogramm finanziert. Diese Wohnhäuser konnten dadurch zwar geschützt werden, sie machten allerdings nur einen Bruchteil der betroffenen Eigenheime aus. (Stokes 14.02.2017) Einige Eigen- tümer sind in die unmittelbare Nachbarschaft gezogen. Für andere Eigentümer war es finanziell nicht möglich, in der unmittelbaren Nachbarschaft zu verbleiben, so dass nur ein Wegzug in Frage kam. Die Entschädigung für ihr Eigenheim war nicht hoch genug, als dass sie sich ein gleichwertiges Haus in der unmittelbaren Nach- barschaft hätten kaufen können. (Stokes 14.02.2017; vgl. Webster 24.11.2012)

Der Bund, das U.S. Department of Veterans Affairs, war Bauherr des Krankenhau- ses VA Medical Center und der Bundesstaat, die Louisiana State University, Bau- herrin des LSU Health Science Center New Orleans. Die verantwortlichen Akteure waren und sind also überlokale Akteure und nach Stokes hat sich die Stadtregie- rung aus der „Angelegenheit“ herausgehalten: „Blanco, Jindal, City – the city ne- ver took a vote“. (Stokes 14.02.2017) Zur gleichen Zeit wurde der Master Plan der Stadt erarbeitet. Die Entwicklung dieser Areale wurde aus dem neuen Masterplan ausgelassen.147 (Stokes 14.02.2017; vgl. Barrow 25.03.2010)

146 Darunter waren nach Stokes (14.02.2017) auch Angestellte der LSU, die das aber nicht öffentlich machen wollten. Auch lokale Rechtsanwälte Bill Borah oder andere Anwälte aus Washington der Denkmalschutzorganisation National Trust of Historic Preservation unterstützen die lokale Inititative. 147 Diese Großprojekte sind im Kapitel Health and Human Services des neuen Master Plans nicht aufgeführt. (vgl. City of New Orleans 2010d)

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Abbildung 45: Stillgelegtes Charity Hospital, New Orleans (eigene Aufnahme 2017).

Abbildung 46: Charity Hospital im Stadtraum, Rückseite (eigene Aufnahme 2017).

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Abbildung 47: Southeast Louisiana Veterans Health Care System Medical Center (eigene Auf- nahme 2017).

Abbildung 48: University Medical Center (eigene Aufnahme 2017).

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Abbildung 49: University Medical Center (rechts) grenzt an den Stadtraum (eigene Aufnahme 2017).

Nach Stokes setzte die Stadt New Orleans nach Katrina andere stadtpolitische Prio- ritäten, als in die Aufrecherhaltung des Charity Hospital zu investieren, „(...) be- cause LSU wanted it“ (Stokes 14.02.2017). Nach Stokes hätte durch die Umnut- zung des Krankenhauses viel Geld gespart werden können. Fördergelder von Bund und Bundesstaat hätten sogar umgewidmet werden können, so dass Stokes zu dem Schluss kommt: „(...) we could have rebuilt it faster, cheaper, and without de- stroying a neighborhood.“ (Stokes 14.02.2017) Eine Kosten-Nutzen-Analyse hat ergeben, dass der Bau der beiden neuen Krankenhäuser 1,1 Milliarden US-Dollar Kosten verursacht hat. Die Projekte wurden mit 465 Millionen US-Dollar vom Bund gefördert. In den neuen Krankenhäusern stehen über 450 Betten zur Verfü- gung. Seit der Eröffnung sind erst 120 Betten belegt (Stand 2017). Qualitizierte Ärzte und medizinisches Personal fehlen. Das alte Krankenhaus – Charity Hospital

321

– steht seit zwölf Jahren leer (2017) als „valuable building at a valuable location“ (Stokes 14.02.2017). Den Enteignungsvorgang von Grundeigentum in den „alten“ Nachbarschaften bezeichnet Stokes als „illegal“, da der Grund und Boden an im Grunde privatwirtschaftliche Krankenhausunternehmen verpachtet wurde. Zudem verlor die Stadt durch den Abriss der Eigenheime in den „alten“ Nachbarschaften städtische Grundsteuereinnahmen. Nach Stokes zahlen die neuen Einrichtungen von Bund und Bundesstaat diese Steuern nicht. (Stokes 14.02.2017)

Festzuhalten bleibt, dass die Großprojekte zur Revitalisierung der innerstädtischen Uferzone Reinventing the Crecent und die innerstädtischen medizinischen Klinik- komplexe der Louisiana State University und des U.S. Department of Veterans Affairs wurden unter anderem mit überlokalen Ressourcen finanziert, die im Rah- men der Katastrophenbewältigung durch den Bund genehmigt wurden und die lokal ohne Katrina nicht zur Verfügung gestanden hätten. Demnach konnten also vor dem Hintergrund der Katastrophe stadtpolitische Projekte in großem Maßstab realisiert werden, die erst durch die Katastrophe öffentlich thematisiert wurden. Mit beiden Großprojekten wird letztendlich das Ziel verfolgt, wirtschaftliches Wachs- tum zu schaffen. Diese stadtpolitische Argumentation wird spätestens seit den 1980er Jahren für viele stadträumliche Großvorhaben angebracht. Auch deshalb zeigen diese Großprojekte einen stadtentwicklungspolitischen Trend innerhalb und außerhalb der USA auf. Für beide Großprojekte sind Akteure verantwortlich, die außerhalb der demokratisch legitimierten lokalen Institutionen lokalstaatlich agie- ren (die New Orleans Building Corporation, die Louisiana State University und das U.S. Department of Veterans Affairs). Zivilgesellschaftlich organisierter „Gegen- wind“ bleibt in diesen Fällen wirkungslos.

2.2.5 Bottom Up Recovery in den Nachbarschaften

Den akteursbezogenen Hintergrund dieser und auch anderer Tendenzen der Stadt- entwicklung von New Orleans nach Hurrikan Katrina bildet oftmals ein überdurch- schnittliches privates zivilgesellschaftliches Engagement im Wiederaufbau- und Erholungsprozess der Stadt beziehungsweise in den Nachbarschaften, das oft als community recovery, citizen-driven renaissance oder volunteerism beschrieben

322 wird. (Brandes Gratz 16.02.2017; Powell 2007; Chamlee-Wright, Storr 2010; Geli- nas 21.11.2010 u.a.) So liege in den Nachbarschaften und ihrer Bewohnerschaft die eigentliche Stärke der Stadt (Brandes Gratz 16.02.2017) und die Folgeerscheinun- gen, die durch Hurrikan Katrina aufgetreten sind, zogen eine „soziale Mobilisie- rung“ nach sich. Zwar wurde stets ein „schleppender“ Wiederaufbau beklagt. Al- lerdings schließt diese Beschreibung in keiner Weise auf zivilgesellschaftliche Kräfte als Akteure ein, die nach Hurrikan Katrina überdurchschnittlich initiativ wurden. Powell 2007

Entschlossene Privatpersonen gründen politische Gruppen und betreiben Social Entrepreneurship: In der Folgezeit von Katrina war die Stadt auf dem Weg, dank entschlossener Privatpersonen zu einer „städtischen Erfolgsgeschichte“ (Gelinas 2010) zu werden. So sind Einwohner, die wegen Katrina die Stadt verlassen muss- ten, mit einem Sinn für „staatsbürgerlichen Stolz und Überzeugung“ in die Stadt zurückgekehrt, weil sie sich aktiv für New Orleans entschieden haben.148 (Stouwe 24.11.2010; Gelinas 21.11.2010) Eine engagierte Einwohnerschaft hat aus (wirt- schaftlichem) Eigeninteresse Lokalpolitiker zur Verantwortung gezogen und si- chergestellt, dass finanzielle Wiederaufbaumittel des Bundes für den städtischen Umbau genutzt werden.149 Während die Bürgerschaft anderer Teile der USA noch immer unter der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 litten, habe die Einwohner- schaft von New Orleans an einem „Aufschwung“ gearbeitet, (Gelinas 21.11.2010) der New Orleans als ein Modell für die gesamte USA in Folge der Finanzkrise abbildet. (Stouwe 24.11.2010; Gelinas 21.11.2010) Durch sogenanntes Social Ent- repreneurship oder eine Verbindung zu sozialen Netzwerken setzten Privatperso- nen soziale Ressourcen wirksam ein und haben so zu einem Erholungsprozess in Nachbarschaften beigetragen. (Chamlee-Wright, Storr 2010; Runst 2010)

148 Diese Tatsache war für den Wiederaufbau der Stadt sehr wichtig; wichtiger noch als die finanziel- len Wiederaufbaumittel des Bundes. 71,5 Milliarden US-Dollar hat die Bundesregierung unter US- Präsident George W. Bush für den den Wiederaufbau von Louisiana bereitgestellt. (Stouwe 24.11.2010) 149 Neue zivilgesellschaftliche Gruppen wurden teilweise von einflussreichen Privatpersonen gegrün- det und beziehen sich auf unterschiedliche thematische Schwerpunkte. Vgl. zum Beispiel Court Watch NOLA, Citizens for 1 Greater New Orleans (Hochwasserschutz). (Gelinas 21.11.2010)

323

Rückkehr und Neugründung von Community Organizations: Eine Vielzahl von sogenannten community organizations sind nach Katrina in die Stadt zurückge- kehrt. Zudem haben sich neue Nachbarschaftsorganisationen gegründet, so dass die Stadt in der Zeit nach Hurrikan Katrina die höchste Dichte dieser Art Organisatio- nen in den USA zu verzeichnen hatte. (Nelson et al. 2007; Polk City Directory 2005, 2007) Nachbarschaftsorganisationen in Quartieren wie Holy Cross oder der vietnamesischen Gemeinde in Versailles haben soziale Netzwerke entwickelt, um die Zerstörungen des Sturms zu überwinden. (Leong et al. 2007; Breunlin, Regis 2006 zit. in Colten et al. 2008: 14)

Nonprofit Organizations und Volunteers: Gemeinnützige Organisationen (not-for- profits, nonprofit organizations) und Freiwilligenarbeit in Organisationen haben vor allem eine große Rolle beim Wiederaufbau von Wohnraum und bei der Wie- derherstellung bedeutender Dienstleistungen gespielt (Powell 2007). Diese Akteure haben erfolgreich zu einer nachbarschaftlichen Widerstandsfähigkeit beigetragen. Stadtweite Planwerke aber haben bei der Arbeit dieser zivilgesellschaftlichen Or- ganisationen keine Rolle gespielt, was sich als zentral für den Wiederaufbau unmit- telbar nach Katrina herausstellte (Colten et al. 2008: 14): Unmittelbar nach Katrina haben sich hunderte Freiwillige in der Stadt beim Wiederaufbau in professionell organisierten Gruppen engagiert. Die Association of Community Organizations for Reform Now (ARCORN) war eine dieser Organisationen. Sie hat ihren Hauptsitz seit 1978 in New Orleans und setzt sich für die Belange der Arbeiterklasse ein. Ihre Mitgliedschaften hat sie dementsprechend in Nachbarschaften mit niedrigem bis mittleren Einkommen. So setzte sich die Organisation unmittelbar nach Katrina bei der US-Regierung in Washington D.C. für das „Recht auf Rückkehr“ in alle Stadt- teile in New Orleans ein, improvisierte unmittelbar nach Katrina neue soziale und kommunikative Netzwerke, leistete Überzeugungsarbeit bei Banken, Zahlungsfris- ten für Hypotheken auszuweiten beziehungsweise einem Tilgungsaufschub für Eigentümer zuzustimmen. ACORN erhielt freiwillige Unterstützung von nationa- len Partnern und Tochtergesellschaften in Städten entlang der Golfküste. Auch andere zivilgesellschaftliche Aktivistengruppen kamen mit vergleichbarer erster reakionärer Unterstützung von außerhalb. Denn es wurde eine Lücke deutlich, die zeitlich zwischen den artikulierten Bedürfnissen der Einwohnerschaft und der Handlungsfähigkeit der politisch-administrativen Ebene klaffte. Diese Lücke woll-

324 ten diese Gruppen schließen (z.B. Emergency Communities aus New York, Com- mon Ground Collective, auch bekannt als Common Ground Relief). Darunter waren auch missionierte und apolitische Aktivisten oder kirchliche Organisationen. Da- über hinaus hätte Hurrikan Katrina gar volunteerism zum voluntourism geändert, da die Anzahl ehrenamtlicher und Tätigkeiten nach Katrina so stark anstieg (Powell 2007), dass sich daraus eine gewisse touristische Eigendynamik entwickel- te.

Stiftungen: Zu diesen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die unmittelbar nach Katrina in New Orleans aktiv wurden, können auch kleine Stiftungen gezählt wer- den. Auch diese Stiftungen wurden nach Katrina gegründet, um einen Wiederauf- bau voranzutreiben, so beispielsweise die kleine Stiftung Make It Right (MIR). (vgl. C II 2.2.2)

Diese unterschiedlichen Ausprägungen von zivilgesellschaftlichem Engagement im Rahmen lokaler Wiederaufbauprozesse zeichnen als lokales Phänomen ein weiteres Merkmal US-amerikanischer Stadtentwicklung ab: Lokales und überlokales zivil- gesellschaftliches Engagement und eine hohe Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit mit ebenso heterogenen stadträumlichen Wirkungen wie die zivilgesellschaftliche Akteurs- und Organisationslandschaft selbst als heterogen zu bezeichnen ist. In Bezug auf oben andedeutete Beispiele resultiert dieses Engagement aus einer Mi- schung „gefühlten Misstrauens“ gegenüber der politisch-administrativen Ebene und aus der tatsächlichen „Abwesenheit“ der politisch-administrativen Ebene in einzelnen Handlungsfeldern und/oder zu bestimmten Zeitpunkten (zum Beispiel unmittelbar nach Hurrikan Katrina). Private Eigeninteressen (beispielsweise öko- nomischer Art) treiben zusätzlich das lokale Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure an (vgl. C I 2.2.3), so dass nachfolgend zivilgesellschaftliches Engagement in diesem Zusammenhang auch als zivilgesellschaftliche Initiative bezeichnet wer- den kann. Auch das „Not in my Backyard-Prinzip“ als Sinnbild für das Verfolgen privater Eigeninteressen ist hier in Bezug auf das Verhindern einer bestimmten Flächennutzung als Treiber dieser Initiativen zu interpretieren (vgl. Protest gegen den Green Dot Plan und deshalb Engagement in der Nachbarschaft für den Erhalt einer Wohnnutzung).

325

Insgesamt lassen sich aus einigen der stadtentwicklungspolitischen Debatten, die nach Hurrikan Katrina medial und stadtgesellschaftlich aufkamen (vgl. C II 2.1) und die bis in die Erarbeitung der Wiederaufbauplanwerke hineinwirkten (vgl. Teil D), Tendenzen der Stadtentwicklung nach Hurrikan Katrina ablesen: Am deutlichs- ten wird das am Beispiel des Hochwasserschutzes (vgl. C II 2.2.1). Auch bei den umrissenen Tendenzen in der Wohnraumfrage nach Hurrikan Katrina (vgl. C II 2.2.2) spielten die Debatten um Möglichkeiten zur Heimkehr, Armut und Rassis- mus, Versicherung des Wohneigentums und die Entwicklung der Einwohnerzahl nach Hurrikan Katrina eine besondere Rolle. Die stadtentwicklungspolitischen Tendenzen um Tourismus und Kultur sowie um einige Großprojekte in den innen- städtischen Gebieten (vgl. C II 2.2.3 und C II 2.2.4) sind insgesamt vor dem Hin- tergrund der Stadtentwicklung im Verhältnis zu anderen Themen nicht sehr laut- stark nach Hurrikan Katrina öffentlich (medial und/oder stadtgesellschaftlich) de- battiert worden, obgleich natürlich Gegenpositionen artikuliert wurden und diese Tendenzen ebenfalls teils umfangreiche stadträumliche Auswirkungen erkennen ließen. Eine vitale und sehr heterogene zivilgesellschaftliche Sphäre wurde hier als eigenständige akteursbezogene Tendenz erwähnt, da der Grad ihrer Aktivität und der medialen Aufmerksamkeit hoch war und insofern Gegenstand von Debatten und Tendenzen nach Hurrikan Katrina war (C II 2.2.5). Aber vor allem hatten zi- vilgesellschaftliche lokale und überlokale Akteure (vor allem die Bewohnerschaft von New Orleans, fachpolitische Akteure und Organisationen und Stiftungen) im Rahmen der Prozesse zur Erarbeitung eines Wiederaufbauplanes eine besondere Bedeutung (vgl. Teil D). Insgesamt bilden die Tendenzen der Stadtentwicklung, wie oben erwähnt, in dieser Arbeit den inhaltlichen Rahmen der Stadtentwicklung in New Orleans nach Hurrikan Katrina, in dem die Prozesse zur Erarbeitung der Planwerke zum Wiederaufbau und zur gesamtstädtischen Neuentwicklung von New Orleans (Master Plan) stattfanden (vgl. Teil D).

2.3 Zwischenfazit: Wesentliche Debatten und Tendenzen der Stadtent- wicklung in New Orleans nach Hurrikan Katrina

Im nächsten Teil dieser Arbeit (Teil D) werden Bedingungen, die Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung forcieren und blockieren am Beispiel der Prozesse zur

326

Erarbeitung eines Planwerks zum Wiederaufbau und eines Planwerks zur gesamt- städtischen Neuentwicklung von New Orleans (Master Plan) herausgearbeitet. Nachfolgend werden aber zunächst die soeben aufgeführten Debatten und Tenden- zen in New Orleans’ Stadtentwicklung nach Hurrikan Katrina, die in dieser Arbeit die Planwerksprozesse stadtwicklungspolitisch inhaltlich rahmen, in Bezug auf „Veränderung“ und Beharrungsvermögen nach Katrina kurz reflektiert. Denn in- wiefern schafft dieser inhaltliche Rahmen von Debatten und Tendenzen stadtent- wicklungspolitisch ein „Klima von Reformfähigkeit“ und inwiefern sind Hinweise auf Bedingungen zu erkennen, die lokale Reformfähigkeit forcieren oder blockie- ren?

Im Rahmen stadtentwicklungspolitischer Themenfelder, die nach Hurrikan Katrina medial und/oder stadtgesellschaftlich debattiert wurden und die eine Relevanz für den weiteren Wiederaufbauprozess hatten (hier als Debatten benannt) (C II 2.1), sind sowohl Anzeichen von Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blo- ckieren, zu erkennen als auch Anzeichen von stadtpolitischen Charakteristika mit Beharrungsvermögen:

Die Folgen von Hurrikan Katrina legten Rassen- und Klassenunterschiede scho- nungslos offen, die bereits vor dem Sturm existierten. Sie schlagen sich weiterhin in einem weit verbreiteten Rassismus, einer hohen Arbeitslosenquote, Armutsrate und anderen ökonomischen und sozialen Problemen und Tendenzen der Stadt nie- der (Beharrlichkeit). Diese stadtpolitischen Problemfelder wurden sogleich in den USA zum Gegenstand einer Diskussion, die Paul Krugman als „Katrina all the time“ fasste: Eine Mischung aus der Vernachlässigung von Bedürftigen und dem „Vergessen“ ihrer Notlage ist spätestens unter US-Präsident George W. Bush zum politischen Standard geworden.

Lange vor Hurrikan Katrina wurde ein ökonomischer „Niedergang“ der Stadt New Orleans mit seinen sozialen Folgen beobachtet, der nach Hurrikan Katrina kurzzei- tig zur Frage führte, ob New Orleans überhaupt wiederaufgebaut werden solle. Aufgrund dessen gab es auch Zweifel, ob die Einwohnerzahl nach Katrina wieder- ansteigen werde. Allerdings wurde von lokaler Ebene und Bundesebene politisch ausschließlich eine Wiederaufbauargumentation proklamiert. (Beharrlichkeit) Nag-

327 ins sogenannte „chocolate city speech“ und die Rede von US-Präsident George W. Bush auf dem Jackson Square in New Orleans am 15. September 2005 standen dafür symbolisch. Diese Wiederaufbauargumentation berief sich in erster Linie auf den kulturellen und historischen Reichtum von New Orleans.

Die Folgen von Hurrikan Katrina zeigten demographische Verschiebungen in der Stadt auf: New Orleans war unmittelbar nach Katrina insgesamt „kleiner“, „wei- ßer“ und „reicher“. Zudem wurden mittel- bis längerfristig durch eine Welle neuer (junger) Zuwanderer nach New Orleans Gentrifizierungstendenzen in einigen Stadtteilen von New Orleans sichtbar. (Veränderung) Konkrete stadträumliche Bezüge hatten die Debatten um den Zustand von öffentlicher Infrastruktur inklusi- ve des Hochwasserschutzes und um die städtische Grundfläche im Zusammenhang mit der sozialräumlichen und ethnischen Bevölkerungszusammensetzung in New Orleans: Eine finanzielle Wiederaufbauhilfe des Bundes (Beharrlichkeit) stand für Sanierungsleistungen von öffentlicher technischer Infrastruktur (Beharrlichkeit) zur Verfügung, die seit langem in einem Zustand war, der beklagt wurde. An der Debatte um die Nutzung der städtischen Grundfläche und der Frage, wer wo zu- künftig sicher wohnen werde und mit welcher infrastrukturellen Ausstattung, die im Verlauf des Planwerksprozesses zum Wiederaufbau zu einem stadtentwick- lungspolitischen Dauerbrenner wurde (vgl. Teil D), wurde vor allem ein Behar- rungsvermögen von Rassismus deutlich, das sich historisch begründet (vgl. C I 2.3) und die Stadtgesellschaft in New Orleans noch heute spaltet. Auch die individuelle Versicherung von Eigentum wurde zu einem „unsichtbaren“ Schlüssel im stadt- räumlichen Wiederaufbau und spiegelt das Beharrungsvermögen von Grund- stücksgrenzen, Eigentumsrecht und Versicherungsansprüchen wider.

Auch bei Tendenzen der Stadtentwicklung in New Orleans nach Hurrikan Katrina (C II 2.2) werden Anzeichen von Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren, sowie Anzeichen stadtpolitischer Charakteristika mit Beharrungsver- mögen deutlich: Zu den zentralen Tendenzen der Stadtentwicklung nach Katrina, die eine gesamtstädtische Wirkung und Bedeutung haben, gehören der konventio- nelle Hochwasserschutz und eine alternative Strategie zum Hochwasserschutz, die den herkömmlichen Hochwasserschutz konzeptionell ergänzt (C II 2.2.1). Beim konventionellen Hochwasserschutz stritten bundesstaatliche Akteure einschließlich

328 der damaligen Gouverneurin Kathleen Blanco und der Bund um das Niveau Drei oder Fünf. Letztlich setzte der Bund das Niveau Drei durch, versprach aber einen Auf- und Ausbau des Hochwasserschutzsystems, das „besser und widerstandsfähi- ger“ als je zuvor sein würde, so der Wiederaufbaubeauftragte des Bundes, Donald Powell. 2012 hat das neue Hochwasserschutzsystem um und in New Orleans einer Überprüfung der verantwortlichen US-Behörde (ACE) standgehalten. Somit ist das Fünfzehn-Milliarden-US-Dollar-Infrastrukturprojekt Symbol und Bekenntnis zu- gleich für den Schutz von Menschen und Eigentum in und um New Orleans. Eine grundlegende politische Voraussetzung für den Wiederaufbau der Stadt konnte somit geschaffen werden. (Beharrlichkeit) Eine Ergänzung des konventionellen technischen Hochwasserschutzes stellen die Inhalte des sogenannten Greater New Orleans Urban Water Plan dar. Die Neuentwicklung gründet auf dem Prinzip mit dem Wasser, das die Stadt erreicht, zu arbeiten, anstatt dagegen, so wie der kon- ventionelle Hochwasserschutz angelegt ist. Nicht nur New Orleans, sondern auch andere Städte und Regionen wurden in dieser Richtung aktiv und betonen ein ge- meinschaftliches Vorgehen über die Grenzen von Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft hinweg: So wurden in New Orleans lokale Interessensvertreter, Planer und Architekten initiativ, die mit überlokalen fachpolitischen Organisationen (APA) und niederländischen Experten des Wassermanagements zusammenarbeite- ten und politische Akteure des Bundesstaates involvierten. Eine neue Haltung ge- genüber dem Umgang mit Wasser wird erkennbar, der sich auch Akteure aus der Wirtschaft anschlossen (Greater New Orleans, Inc., GNO, Inc.) und sogar die insti- tutionelle Federführung bei der Entwicklung des Planes übernahmen. (Verände- rung) Überlokale finanzielle Ressourcen des Bundes (CDBGs) wurden für die Entwicklung des Planes genutzt, dessen Umsetzung einen ökonomischen Nutzen in Höhe von 11,3 Milliarden US-Dollar für die Region und sich die Region dadurch eine gewisse wirtschaftliche Vormachtstellung verspricht.

In der Wohnraumpolitik wurde nach Hurrikan Katrina die Strategie der Förderung von Eigentum statt Mietwohnraum verfolgt, wie in den USA seit einiger Zeit üb- lich: Dazu gehört auch der Abriss Sozialen Wohnungsbaus. Dieser war lange ge- plant und die Folgen von Katrina gaben den Anlass, diesen vor allem schnell stadtweit durchzusetzen. Als Ersatz wurde die Neuentwicklung von mixed-income housing ebenfalls katalytisch angestrebt und durchgesetzt. Diese Wohnraumstrate-

329 gie ist auf unterschiedliche Einkommensschichten ausgerichtet, die aber letztlich weit weniger bezahlbaren Wohnraum in New Orleans schaffte, als vor Katrina zur Verfügung stand. Stadträumliche Muster veränderten sich, so wie sich das Leitbild des sozialen Wohnungsbaus hin zur Privatisierung von Wohnraum im großen Stil. (Veränderung) Willkommener Anlass dieser „Umorganisation“ des sozialen Woh- nungsbaus war die Sturmschädigung der Ensembles nach Hurrikan Katrina selbst. Über das Ausmaß der Zerstörung und dessen lokale Interpretation wurde zwischen lokalem Staat und Akteuren der Zivilgesellschaft unmittelbar nach Katrina gestrit- ten. Die „Umorganisation“ wurde in erster Linie forciert durch einen überlokalen politisch-administrativen Willen (U.S. Department of Housing and Urban Develo- pment, HUD) (Veränderung), der lokal durch die Wohnungsbaubehörde (HANO) ausgeführt wurde. Der Stadtrat von New Orleans hat das Vorgehen relativ ge- räuschlos beschlossen. Immobiliengesellschaften als die neuen Eigentümer profi- tieren von den staatlichen Subventionen. Somit gelten finanzstarke Investoren und Immobiliengesellschaften sowie die staatlichen Subventionen in Form von Steuer- nachlässen als die entscheidenden Schlüsselelemente bei der Neuentwicklung. Die- ses nun schon in den USA übliche „Prozedere“ zwischen Staat und Markt ist aller- dings auch krisenanfällig (Finanzkrise 2008). Aber es zeigen sich nicht nur überlo- kale Einflussgrößen wie die Förderpolitik des Bundes in dieser Art Wohnraumpoli- tik deutlich, sondern auch die Prinzipien des New Urbanism, die Einzug in die För- derprogrammatik der US-Bundesregierung hielten und schon weit vor Hurrikan Katrina und sich nicht nur in New Orleans in sogenannten mixed-income housing developments widerspiegeln.

Der Bau bezahlbaren Wohnraums in Kombination mit einer „nachhaltigen“ Bau- weise und Ausstattung (Affodable Green Housing) war in der Zeit, in der die Ideen der Initiatoren aufkamen, relativ neu. (Veränderung) Mittlerweile ist der Ansatz auch anderenorts zu erkennen. New Orleans setzte allerdings ein deutlich medien- wirksames Zeichen in diesem Zusammenhang. Begünstigt wurde diese Entwick- lung zunächst einmal durch die katastrophale Situation nach Hurrikan Katrina und Rita selbst, die den Initiatoren der Projekte den Rahmen verschaffte, in New Or- leans lokal aktiv zu werden. Durch die Initiative dieser überlokalen Akteure kam es in New Orleans zu stadträumlich punktuellen Reformprojekten, die den Anspruch der Modellhaftigkeit und damit auch der überlokalen Übertragbarkeit proklamier-

330 ten. Die Hauptakteure waren neu gegründete oder bereits etablierte Stiftungen mit ihren Führungspersonen, die aus einem philanthropischen Interesse heraus in New Orleans lokal handeln. (Veränderung) Die lokale politisch-administrative Ebene lässt diese Entwicklungen erst einmal zu; reagiert sogar eher passiv (oder skep- tisch, wie im Fall von Global Green und Project Home Again) und fördert diese Projekte nur teilweise durch eine individuelle finanzielle Unterstützung von Rück- kehrern nach New Orleans oder durch den Abriss von unbewohnbarem Wohnraum. Das stadtpolitische Handlungsfeld Wohnraum scheint in New Orleans somit zu- mindest in Teilen reformfähig und wenn auch nur wie in diesem Falle auf Projekt- ebene. Denn wie beispielsweise das Road Home Program zeigt, bleibt dieses Handlungsfeld insgesamt seinem Pfad treu und fördert weiterhin das individuelle Eigentum und Einfamilienhaus überall im Stadtraum (Beharrlichkeit) trotz des kollektiven Wissens um die katastrophalen stadträumlichen Auswirkungen, die ein Naturereignis in New Orleans und der Region mit sich bringen kann. Auch in Be- zug auf die stadtpolitischen Ansätze Verfall und Leerstand zu beseitigen, deutete sich insgesamt auch keine Veränderung des politischen Umganges damit an: In erster Linie werden weiterhin stadtpolitische Instrumente wie „Abriss“, Zwangsversteigerung und „individuelle Restriktionen“ verfolgt, die mal mehr und mal weniger intensiv von einer periodisch wechselnden Stadtregierung verfolgt werden. Bei der Betrachtung der Wohnraumsituation in New Orleans insgesamt zeigt sich „Mangel“ und „Überfluss“ von Wohnraum an ein- und demselben Ort. Zwei Seiten der gleichen Medaille werden deutlich, woran auch die Projekte des Affordable Green Housing langfristig nichts ändern konnten: In New Orleans man- gelt es an bewohnbarem und vor allem bezahlbarem Wohnraum. Denn durch die Zerstörungen von Hurrikan Katrina sind Wohnhäuser zusätzlich unbewohnbar geworden, so dass gleichzeitig ein Überfluss an unbewohnbarem Wohnraum zu erkennen ist. Das stadträumliche Phänomen „Verfall“ gehört zu den größten stadt- entwicklungspolitischen Herausforderungen trotz stadtpolitisch angewandter Ge- genstrategien.

Die stadtentwicklungspolitische Tendenz einer steten Aufwertung des innerstädti- schen Quartiers French Quarter als Fremdenverkehrsziel wird vor dem Hinter- grund des globalen Städtewettbewerbs und der Stärkung der lokalen ökonomischen Basis nach Hurrikan Katrina unbeirrt fortgesetzt. Diese Entwicklung wird verstärkt

331 seit den 1980er Jahren verfolgt und wird weiterhin forciert durch den Einsatz von Instrumenten zur Aufwertung der Gebäudesubstanz (historic tax credits) sowie Branding- und Marketingstrategien. Eine Stadtpolitik, die den Genussmittelkon- sum im öffentlichen Raum besuchergerecht lockert (keine Sperrstunde und kein Alkoholverbot auf der Straße) und die restriktiv für Ordnung und Sicherheit sorgt, unterstützt auch die Schaffung eventfähiger Räume. Auch Bund und Bundesstaat haben über Anreize der Gulf Opportunity Zone (GO Zone) an Planung und Bau von innerstädtischen Unterhaltungsräumen und Attraktionen, die an das French Quarter angrenzen, mitgewirkt.

Auch der stadtentwicklungspolitische Ansatz von Planung und Neubau städtebauli- cher und stadträumlicher Großprojekte wird nach Katrina weiterhin verfolgt (C II 2.2.3). Dieser Ansatz spiegelt damit die stadtentwicklungspolitische Strategie städ- tischer Wachstumspolitik wider, die über die USA hinaus weit verbreitet ist: Die neuen Kliniken der Louisiana State University (Louisiana State University Health Sciences Center New Orleans) und des Department of Veteran Affairs (VA Medical Center) ersetzen funktional das historisch bedeutsame Charity Hospital. Sie wur- den in innerstädtischen Gebieten gebaut, in denen sich nach Katrina bereits Nach- barschaften neu entwickelt hatten. Trotz einer möglichen Wiedernutzung des Cha- rity Hospital nach Katrina, wurde der Neubau der Kliniken in erster Linie aufgrund von Förderprogrammvorgaben des Bundes in Kombination mit einem politisch- administrativen Willen der überlokalen Bauherren (Bund und Bundesstaat) und deren finanzielle Ressourcen forciert und umgesetzt. Die Stadtregierung von New Orleans verhielt sich in diesen Prozessen „zurückhaltend“. Durch das zweite Groß- projekt der Stadt (Reinventing the Crescent) wurde die innerstädtische Uferzone des Mississippi neu entwickelt und aufgewertet. Es konnte ebenfalls erst durch überlokale finanzielle Unterstützung umgesetzt werden (Disaster-CDBG des U.S. Department of Housing and Urban Development HUD). Diese Art der Stadtpolitik ist demnach auch auf überregionale politische Akteursebenen, zum Beispiel in Form von finanzieller Unterstützung des Bundes und des Bundesstaates, sowie internationale landschaftsarchitektonische Fachexpertise angewiesen, um eventfä- hige Räume schaffen zu können. Die Stadt bleibt also insgesamt ihrem Kurs treu, den sie vor Katrina verfolgt hat und stadtentwicklungspolitische Merkmale werden deutlich, die durch Katrina katalysiert wurden: Der lokale Staat, der mit dem globa-

332 len Städtewettbewerb konfrontiert ist, fokussiert sich im Politikfeld der Stadtent- wicklung auf eine partnerschaftlich angelegte Innenstädtische Erneuerung, die stark durch Tourismus fördernde Strategien und Imageprojekte mit Ausstrahlungs- effekt und entertainment destinations gekennzeichnet ist. Die Planungsprozesse dieser Projekte sind durch Formen städtischer Governance geprägt, die sich in ers- ter Linie durch Koalitionsbildung zwischen lokalem Staat und Privatwirtschaft beziehungsweise Wirtschaftseliten auszeichnen und sich auch schon vor Katrina institutionell gebildet hatten (beispielsweise in der städtischen Entwicklungsgesell- schaft NOBC mit einem unternehmerischen Ansatz, dessen Vorsitzender einige Zeit lang ein junger Immobilienentwickler war). Die Realisierung von städtebauli- chen und stadträumlichen Großprojekten in New Orleans nach Hurrikan Katrina sind in erster Linie Ausdruck der Interessen der öffentlichen Hand (lokal und über- lokal) und privatwirtschaftlicher Unternehmer.

Nach Katrina wurde die heterogene Sphäre zivilgesellschaftlicher Akteure (non- profits, volunteers, Stiftungen, Philantrophen, community organizations etc.) in erster Linie im Rahmen der Revitalisierung von Nachbarschaften aktiv. Diese wa- ren mit gewissen Ressourcen ausgestattet wie zum Beispiel finanziellen Mitteln oder fachlichen Kompetenzen. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen waren lokal und überlokal vernetzt und engagierten sich kleinräumlich projektbezogen; waren aber weniger stadtentwicklungspolitisch strategisch eingebunden. Dennoch bezeichnet Adam Nossiter ihre Arbeit – gerade in der unmittelbaren Folgezeit von Katrina – nichtsdestoweniger als „excellent example how American self-help ideo- logy played an potential for urban reconstruction” (Nossiter 25.09.2008) (Beharr- lichkeit). Initiiert und angestoßen wurden Prozesse aber oft auch durch entschlos- sene Privatpersonen, die ebenfalls mit diesen Ressourcen ausgestattet waren und die neue Lokalgruppen, soziale Unternehmungen, Nachbarschaftsorganisationen oder Stiftungen gründeten und Freiwilligenprojekte vorangetrieben haben.

Inwiefern deutet sich nun insgesamt ein stadtentwicklungspolitisches Klima lokaler Reformfähigkeit in New Orleans nach Hurrikan Katrina an? Vorangegangene De- batten und Tendenzen in der Stadtentwicklung von New Orleans nach Hurrikan Katrina, stellen in dieser Arbeit den stadtentwicklungspolitischen Hintergrund der Planwerksprozesse dar. So spiegeln einige Bereiche stadtpolitischer Handlungsfel-

333 der (alternativer Hochwasserschutz neu entwickelt, Wohnraum: mixed-income housing katalysiert und affordable green housing neu entwickelt) lokale Reformfä- higkeit wider. Andere Bereiche dieser Handlungsfelder zeichnen sich aber gleich- zeitig durch Beharrungsvermögen aus (konventioneller Hochwasserschutz mit dem Glauben an technische Risikovermeidung, Wohnraum durch das Paradigma Eigen- heim und Eigentum). Weitere stadtpolitische Handlungsfelder (Tourismus, Kultur, Großprojekte) orientieren sich weiterhin an der übergeordneten stadtpolitischen Strategie, die auch schon vor Katrina verfolgt wurde (wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung aufgrund des globalen Standortwettbewerbs forcieren). Aller- dings konnten Großprojekte und Maßnahmen erst nach Katrina umgesetzt werden, weil dafür erst dann vor allem überlokale finanzielle Wiederaufbauressourcen des Bundes zur Verfügung standen. Zwar veränderte sich das stadträumliche Muster, allerdings änderten sich in diesen Handlungsfeldern und Bereichen Leitbilder und Ziele nicht grundsätzlich. Insgesamt ist New Orleans’ Stadtentwicklung nach Kat- rina also substanziell-materiell (stadträumlich) und prozessual von Veränderung unterschiedlicher Reichweite „durchzogen“, so dass sich ein stadtentwicklungspoli- tisches „Klima lokaler Reformfähigkeit“ andeutet. Dieses „Klima lokaler Reform- fähigkeit“ wird in dieser Arbeit als stadtentwicklungspolitischer Rahmen für die Prozesse zur Erarbeitung eines Planwerks zum Wiederaufbauplan und zur gesamt- städtischen Neuentwicklung von New Orleans interpretiert.

Vor dem Hintergrund der Fragestellung nach Bedingungen, die lokale Reformfä- higkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren, werden nachfolgend noch einmal die stadtpolitischen Charakteristika mit Beharrungsver- mögen zusammengefasst, die sich auch nach Katrina in Debatten und Tendenzen der Stadtentwicklung andeuteten, und abschließend werden Hinweise auf Bedin- gungen aufgezeigt, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren: Zu den stadtpo- litischen Charakteristika mit Beharrungsvermögen gehören die Sichtbarkeit und weitere Präsenz eines weit verbreiteten Rassismus, einer hohen Arbeitslosenquote und Armutsrate; politische Dissonanzen zwischen Bundesstaat und Bund; eine stadtpolitische Einflussnahme von Bundesstaat und Bund auf stadträumliche lokale Entwicklungen sowie eine (themenbezogene) Koalitionsbildung zwischen lokalem Staat und Privatwirtschaft. Systembedingtes Beharrungsvermögen weist der lokal und überlokal politisch proklamierte Wiederaufbau auf und die Bereitstellung über-

334 lokaler finanzieller Ressourcen des Bundes zum Wiederaufbau (vgl. Teil B Kata- strophenbewältigung). Zudem setzt sich die „American self-help ideology“ (Nossi- ter) als zivilgesellschaftliche Tendenz auch und vor allem nach Hurrikan Katrina fort.

Darüber hinaus ist ein stadtspezifischer und handlungsbezogener Kontext erkenn- bar, der Hinweise auf Bedingungen lokaler Reformfähigkeit erkennen lässt: Stadt- spezifisch haben sich nach Katrina demographische „Verschiebungen“ ergeben. Zu den handlungsbezogenen Bedingungen gehören ein gemeinschaftliches Vorgehen über die Grenzen von Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft hinweg; ein überlo- kaler politisch-administrativer „Wille“ und überlokale finanzielle Ressourcen des Bundes zum Wiederaufbau; Marktakteure, die auf politisch-administrative Steuer- anreize reagieren; die Artikulation philanthropischer Interessen in Auseinanderset- zung mit einer skeptischen bis passiven städtischen politisch-administrativen Ebe- ne; und die Ressourcenausstattung zivilgesellschaftlicher Akteure.

C II.3 Politisch-administrativer und institutioneller Rahmen der Planwerksprozesse nach Hurrikan Katrina

Nachfolgend wird in erster Linie auf politisch-administrative Institutionen und Akteure eingegangen, die bei der Katastrophenbewältigung in New Orleans nach Katrina mitwirkten und die eine Rolle bei den Prozessen zur Erarbeitung eines Wiederaufbauplanes und eines Planwerks zur gesamtstädtischen Neuentwicklung der Stadt (Master Plan) spielten. Da stadtentwicklungspolitische Planungsprozesse in den USA in einem unternehmerisch und zivilgesellschaftlich geprägten stadtpo- litischen Klima stattfinden, wird eingangs hier nochmal erwähnt, dass an der Stadt- politik in US-amerikanischen Städten neben der politisch-administrativen Ebene auch nationale und internationale zivilgesellschaftliche und privatwirtschaftliche Akteuren mitwirken: So treffen staatliche und bundesstaatliche Politiken des US- amerikanischen föderalen Systems und „überlokale“ zivilgesellschaftliche und fachpolitische Organisationen sowie privatwirtschaftliche Akteure auf lokaler Ebe- ne zusammen, die vielerorts von chronischer lokaler Finanzknappheit geprägt ist.

335

(vgl. C I 2.2) Aufgrund dessen ist es oftmals Ziel der politisch-administrativen Ebene, vorrangig prestigeträchtige Großprojekte voranzutreiben, eine einkom- mensstarke Bewohnerschaft in der Stadt zu halten oder anzuziehen und einen aus- geprägten Tourismus zu fördern. Dadurch sollen Steuereinnahmen konstant gehal- ten und besser noch erhöht werden, um zumindest die Kosten städtischer Dienst- leistungen abdecken zu können. (Unter Stadtpolitik in US-amerikanischen Städten wird in diesem Zusammenhang grundlegend ein komplexes Zusammenspiel zwi- schen Staat (Rechtssetzungen, Förderprogrammen, Planungen), Markt (privaten Akteuren) und Zivilgesellschaft (Organisationen, Verbänden, Vereinen) auf lokaler Ebene verstanden im Sinne einer multi-level governance (vgl. Peters, Pierre 2004: 82; Benz 2007: 297–299, 2007: 302–308). Multi-level governance wird hier als ein Ausdruck des Zusammenspiels lokaler und überlokaler Ebenen der Sphären von Staat, Markt und Zivilgesellschaft interpretiert.

So wie die politisch-administrativen Ebenen von lokalem Staat, dem Bundesstaat und dem Bund im Wiederaufbauprozess eine wesentliche Rolle spielen, haben sich auch fachpolitisch tätige Organisationen und Think Tanks als bedeutende Akteure bei Katastrophenbewältigung und Wiederaufbau erwiesen. Vor dem Hintergrund der Betrachtung der Akteurs- und Institutionenlandschaft in diesem Kapitel, wird hier zunächst darauf verwiesen, dass das Feld der fachpolitischen Einflussnahme selbst sehr heterogen ist, ebenso wie der Grad sowie die Art der direkten oder indi- rekten Einflussnahme auf stadträumliche Entwicklungen. Aufgrund der Aufmerk- samkeit, die die Katastrophe nach Hurrikan Katrina mit sich brachte, sind im Rah- men des Wiederaufbauprozesses überlokale fachpolitisch tätige Institutionen, Think Tanks oder NGOs nach Katrina auf der lokalen Bühne New Orleans in be- sonderem Maße präsent. Sie haben sowohl an den Prozessen zur Erarbeitung der Planwerke als auch an der Entwicklung von Quartiersstrategien in unterschiedli- chen Rollen aktiv mitgewirkt. (vgl. Teil D) Dabei haben lokale Akteure der wis- senschaftlichen community oftmals zusätzlich die Rolle von Bewohnern oder sind in professionellen Vereinigungen wie der APA aktiv. Externe fachpolitische Ak- teure, die vor Ort nach Katrina forschen, sind oftmals eng mit dem Wiederaufbau- prozess verflochten (vgl. Olshansky et al. 2008; Olshansky, Johnson 2010). Ebenso wie fachpolitisch tätige Organisationen spielen lokale und externe Stiftungen (oft- mals auch Philanthropen) im Politikfeld der Stadtentwicklung in New Orleans nach

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Katrina eine wesentliche Rolle. Ihr Verhältnis zu anderen Akteuren, ihre Mitwir- kung am Prozess zur Planwerkserarbeitung und ihr Beitrag zur Reformfähigkeit wird im Teil D vertiefend betrachtet. In der Gesamtbetrachtung der Akteurs- und Institutionenlandschaft wird deutlich, dass auch diese Akteurskategorie heterogen und die Art und der Grad ihrer Einflussnahme unterschiedlich sind. So stehen pri- vate Philanthropen und Stiftungen in einem scharfen Kontrast zu staatlichen, bun- desstaatlichen oder lokalpolitischen Körperschaften (in Bezug auf Flexibilität, Res- sourceneinsatz, Konstanz) und spielen eine bedeutende Rolle in der Stadtentwick- lung im New Orleans nach Katrina.

Im nachfolgenden Kapitel werden politisch-administrative Institutionen und Akteu- re beziehungsweise ihre ortsspezifischen Rollen und Ausprägungen gesondert be- trachtet. Denn „Planung“ ist trotz eines eher unternehmerischen stadtpolitischen Klimas in den USA eine staatliche Aufgabe, so dass diese politisch-administrativen Institutionen und Akteure per se die Prozesse zur Erarbeitung eines Wiederaufbau- planes und eines Planwerks zur gesamtstädtischen Neuentwicklung der Stadt (Mas- ter Plan) in besonderem Maße prägten.

Die politisch-administrativen Institutionen und Akteure, die in New Orleans nach den Wirbelstürmen Katrina und Rita zur Katastrophenbewältigung und Wiederauf- bauplanung beigetragen haben, betten sich in das heterogen strukturierte politisch- administrative System der USA ein. New Orleans gilt – sowohl vor als auch unmit- telbar nach dem Wirbelsturm – als lokalpolitisch relativ „schwache“ US- amerikanische Stadt. Denn New Orleans war bereits vor Katrina durch eine ver- stärkte Betonung von Partikularinteressen, durch Rassenpolitik und durch politi- sches Misstrauen des Bundes und des Bundesstaates gegenüber der Stadt geprägt. Dieses Misstrauen wurde vor allem durch Korruptionsaffären hervorgerufen. Diese „örtlichen Spezifika“ beeinflussten auch nach Katrina die Stadtentwicklungspolitik des „Wiederaufbaus“. Dennoch gab es nach Powell (2007) nach Hurrikan Katrina Anzeichen, dass sich die politische Landschaft und somit auch die stadtpolitische Agenda verändern könnte, denn durch die Kommunalwahl im Mai 2006 wandelte sich die Dynamik der politisch-administrativen Ebene in New Orleans: Beispiels- weise war der Stadtrat nicht mehr mehrheitlich afroamerikanisch. Die Wählerschaft war zu diesem Zeitpunkt „kleiner“, „weißer“ und „reicher.

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Als institutionelle Akteure spielen im Rahmen der Prozesse zur Entwicklung eines Planwerks zum Wiederaufbau und zur gesamtstädtischen Neuentwicklung der Stadt (Master Plan) in erster Linie der Bürgermeister (Mayor), der Stadtrat (City Council) (C II 3.1) und die lokale Stadtplanungsbehörde (City Planning Commissi- on) eine Rolle. Als Hurrikan Katrina die Stadt erreichte, war New Orleans lokalpo- litisch geschwächt, so dass – auch dadurch – eine Revitalisierung der Stadt schlep- pend voranging. (Gelinas 21.11.2010) Die als führungsschwach bekannte Lokalre- gierung war nach Hurrikan Katrina anfällig für einen „totally break-down in power“ (Finger 03.10.2008). Der Bürgermeister selbst erscheint unmittelbar nach Katrina nochmals „führungsschwächer“ (vgl. C II 1.2). Der Stadtrat gewinnt in der Stadtentwicklungspolitik insbesondere in Bezug auf die Wiederaufbauplanung an Bedeutung, da sich die Institution unter anderem aktiv in den Prozess zur Entwick- lung eines Wiederaufbauplanwerks einschaltete (vgl. D II). Die lokale Stadtpla- nungsbehörde schien im Rahmen der Erarbeitung von Planwerken und Strategien sowie der Fördermittelakquise in den ersten drei Jahren nach Katrina eher „funkti- onslos“, demonstrierte aber mit der Initiierung eines gesamtstädtischen Prozesses zur Entwicklung eines Masterplanes im Jahr 2008 neue Handlungs- und wie sich herausstellte auch Reformfähigkeit (vgl. D V). Zudem beeinflusste das gesell- schaftspolitische Klassen- und Rassensystem mit ihrer städtischen Elite (C II 3.2) und die überlokalen politisch-administrativen Ebenen von Bund und Bundesstaat, deren Förderprogrammpolitik (C II 3.3) und deren finanzielle Mittel zur Katastro- phenbewältigung und zum Wiederaufbau (C II 3.4) die Prozesse zur Entwicklung eines Planwerks zum Wiederaufbau und zur gesamtstädtischen Neuentwicklung (Masterplan).

3.1 Lokaler politisch-administrativer Rahmen der Stadtentwicklung: Bürgermeister und Stadtrat

Die Rolle des Bürgermeisters ist in der US-amerikanischen Stadtentwicklung eine besondere. Denn durch die relative fiskale lokalstaatliche Autonomie einerseits, aber auch die lokalstaatliche rechtliche und finanzielle Abhängigkeit vom Bundes- staat andererseits sind Bürgermeister Kraft ihres Amtes besonders gefordert, die lokalstaatliche finanzielle Handlungsfähigkeit zu bewahren und somit in Bezug auf

338 die Stadtentwicklung meist durch den versprochenen Mehrwert von Großprojekten und Festivals städtische Infrastrukturen aufrechtzuerhalten und gegebenenfalls erneuern zu können. Insbesondere obliegt einem Bürgermeister nach einem Ereig- nis wie Hurrikan Katrina und dessen Folgen eine besondere formale Verantwor- tung in Bezug auf das Notfallmanagement (Evakuierung etc.) und eine längerfristig auch informelle Verantwortung in Bezug auf Fragen zum Wiederaufbau der Stadt. So spielte auch Bürgermeister Nagin – der vor, während und nach Katrina im Amt war – bei der Erarbeitung eines sogenannten Wiederaufbauplanes (recovery plan) eine besondere Rolle (vgl. Teil D). Mitch Landrieu hat Bürgermeister Nagin 2010 aus dem Amt abgelöst und wurde von daher Bürgermeister einer Stadt, die sich nicht mehr in einer Notfallphase (unmittelbar nach Katrina) befand, sondern die sich allmählich wieder konsolidierte und stabilisierte. Nachfolgend werden die Bürgermeister Ray Nagin (2002 bis 2010) und Mitch Landrieu (2010 bis 2018) vor dem Hintergrund des jeweiligen stadt- und gesellschaftspolitischen Kontextes vor- gestellt, (zumal Mitch Landrieu bereits 2006 zur Bürgermeisterwahl antrat, aber zu diesem Zeitpunkt noch Ray Nagin unterlegen war). Dabei zeigt sich, dass die stadtpolitische Entwicklung einer Stadt, insbesondere nach einem Katastrophener- eignis, nicht nur von insitutionellen und strukturellen lokalen und überlokalen Ge- gebenheiten abhängig ist, sondern auch stark von der Ausführung des Bürgermeis- teramtes.150 Da auch das City Council, der Stadtrat von New Orleans, als stadtpoli- tische Institution in dem Prozess um die Entwicklung eines Wiederaufbauplanes stark involviert war, wird auch der Stadtrat nachfolgend kurz vorgestellt.

Im Mai 2006, neun Monate nach Hurrikan Katrina, wurde Bürgermeister Nagin von New Orleans’ Bürgern wiedergewählt. Nach dem Wahlrecht des Bundesstaates Louisiana war eine Mehrheit der Wählerschaft für einen Sieg erforderlich: Im ers- ten Wahlgang am 22. April 2006 erhielt Nagin 38 Prozent der Stimmen und sein Gegenkandidat Mitch Landrieu 29 Prozent. In der Stichwahl am 20. Mai 2006 wurde Nagin mit 52 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Die Wahl polarisierte sich entlang der Linien der Rassenzugehörigkeit: Nagin und Landrieu erhielten achtzig Prozent der Stimmen der Wählerschaft aus vorwiegend afroamerikanischen und nicht afroamerikanischen Gebieten der Stadt. (Lay 2009: 651) Medien brach-

150 Die Ausführung des Amtes wird wiederum beeinflusst durch die Prägung von unterschiedlichen politischen Traditionen, gesellschaftlicher Herkunft und gesellschaftspolitischer Wurzeln.

339 ten landes- und weltweit ihr Erstaunen über das Ergebnis zum Ausdruck. Nicht verstanden wurde, warum die Wählerschaft jemanden wiedergewählt hat, der nach ihren Einschätzungen, so deutlich seine Aufgabe als Bürgermeister verfehlt hatte. Die Medien beschrieben Nagins Verhalten nach der Katastrophe bestenfalls als „seltsam“. (Lay 2009: 646, 2009: 651) So wurde Bürgermeister Nagin nach Katri- na auch als unfähig beschrieben, die Stadt durch eine Katastrophe steuern zu kön- nen (Gelinas 21.11.2010). Denn er hatte – nach Einschätzungen Externer – wäh- rend einer Katastrophe Tausende seiner ärmsten Stadtbewohner sich selbst überlas- sen (Lay 2009: 656). Galt Ray Nagin vor Katrina insgesamt als neuer Bürgermeis- ter unschlagbar (Howell et al. 2004 zit. in Lay 2009: 650), schien er somit zunächst nach Katrina als „wahrscheinlicher Verlierer“. (Lay 2009: 646) Allerdings instru- mentalisierte er die Rassenzugehörigkeit der Einwohnerschaft während seines Wahlkampfes 2006 („chocolate city speech“), um die afroamerikanische Wähler- schaft für sich zu gewinnen (Gelinas 21.11.2010). Das gelang ihm auch:

Wie sich herausstellen sollte, waren zwar viele Wähler der Meinung, dass Nagin die Bewohnerschaft und Stadt unzureichend durch die städtische Katastrophe nach Hurrikan Katrina gesteuert hatte. Allerdings stand für viele Wähler die US- Bundesregierung in einer größeren Verantwortung, auf die Folgen von Katrina angemessen zu reagieren. (Denn technische Infrastrukturen wie ein Hochwasser- schutzsystem wurden in erster LInie als Aufgabenbereich des Bundes angesehen und so wurde auch dessen Versagen der US-Bundesregierung zugesprochen.) So waren die Wähler von New Orleans eher unzufrieden mit der Arbeit der Bundesre- gierung als mit der Arbeit lokaler Behörden oder konkret mit der von Ray Nagin als Bürgermeister. (Lay 2009: 657) So konnte die Rassenidentität ein wichtiger Faktor im Wählerverhalten von 2006151 werden (Lay 2009: 645), da Nagin trotz seiner „Seltsamkeiten“ unmittelbar vor, während und nach Hurrikan Katrina unter- stützt wurde: Nagins öffentliches Auftreten war während dieser Zeit zwar sehr

151 Bereits nach Hurrikan Betsy 1965 wurde herausgefunden, dass das Ausmaß von persönlichem Schaden das persönliche Wahlverhalten wenig beeinflusste. Bewohner, die in überfluteten Gebieten in New Orleans lebten, wählten den amtierenden Bürgermeister nicht bedeutend weniger wahrschein- lich als die Einwohnerschaft von Gebieten, die nicht überflutet waren. Geschlussfolgert wird, dass die Wählerschaft den amtierenden Bürgermeister generell nicht für die Folgen des Hurrikans verantwort- lich machte. Der amtierende Bürgermeister wurde nur ein paar Monate nach dem Sturm wiederge- wählt. (Lay 2009: 647–648)

340 wichtig für die Wählerschaft. Rassenzugehörigkeit und -identität waren aber die wichtigsten Faktoren in dieser Wahl. Der Wahlkampf hat nicht so „rassengeleitet“ angefangen, wie er geendet hat: Noch zwei Monate vor der Wahl unterstützen „weiße“ Wähler Ray Nagin in seiner Arbeit bis einige Tage vor der Wahl. Im Lau- fe des Wahlkampfes polarisierten sich die Haltungen entlang der Rassenidentität zunehmend. (Lay 2009: 657) So sah auch zunehmend die „weiße“ Wählerschaft in der Wahl von 2006 die Möglichkeit, einen „weißen“ Bürgermeister wählen zu können. Denn seit Dekaden wurden afroamerikanische Bürgermeister gewählt. (Lay 2009: 658) Noch im Januar 2006 war mehr als die Hälfte der Einwohner- schaft von New Orleans in Städten der USA wohnhaft. Prognostiziert wurde zu- dem, dass die Mehrheit der Wählerschaft der Wahlen 2006 „weiß“ sein würde und diese prozentual über ein bedeutend höheres Einkommen als zuvor verfügen wür- den. (Logan 2006; vgl. Thevenot 01.2006 zit. in Lay 2009: 650) Die Zusammen- setzung der Wählerschaft nach Rassenzugehörigkeit und nach Klassenzugehörig- keit veränderte sich demnach. (Burns, Thomas 2008: 269) (vgl. C II 2.1.2)

Die Rassenzugehörigkeit und damit auch Rassenidentität spielte seit den 1970er Jahren eine bedeutende Rolle in den Stadtwahlen von New Orleans. 1977 wählte die Stadt ihren ersten afroamerikanischen Bürgermeister. Seitdem sind afroameri- kanische und „weiße“ Kandidaten gegeneinander angetreten. Die Wahlen waren nach Hautfarbe polarisiert. 2002 gewann dann Ray Nagin, der auch von einer „weißen“ Wählerschaft unterstützt wurde. (Lay 2009: 650) So trugen letztendlich Nagins’ choclate city steech, eine „weiße“ Wählerschaft und Nagins’ defensive Haltung gegenüber dem Planwerk zum Wiederaufbau BNOB152 zu seiner Wieder- wahl 2006 bei. Nagins Wiederwahl wird darüber hinaus damit begründet, dass die Einwohnerschaft von New Orleans politischen Institutionen in New Orleans per se nicht vertraute (und ihnen politische Führung somit ein Stück weit egal ist). Statt- dessen verfolgte die Einwohnerschaft selbst kleinmaßstäbliche Veränderungen in Eigeninitiative, um ihrer Stadt, Stadtteil oder Nachbarschaft zu helfen und somit auch ihre eigenen Lebensumstände zu verbessern. Dieser „pragmatische Ansatz“

152 Dieses Planwerk zum Wiederaufbau wurde bei dessen Veröffentlichung öffentlich stark opponiert, da in diesem Planwerk anstelle von niedrig gelegegen Nachbarschaften, in denen vor allem Afroame- rikaner vor Katrina wohnten, größtenteils Grünflächen vorgesehen waren. Bürgermeister Nagin schloss sich den Opponenten spontan an und lehnte das Planwerk seitdem ebenfalls öffentlich ab. (vgl. Teil D)

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(Gelinas 21.11.2010) zur Selbsthilfe ist Ausdruck eines US-amerikanischen eher regierungsfernen Staatsverständnisses und der sich auch in anderen Bereichen der Stadtentwicklung nach Hurrikan Katrina widerspiegelt (vgl. C II 2.2.5). (Gelinas 21.11.2010)

Nach Katrina stand nicht nur ein Bürgermeister zur Wahl (2006). Auch der Stadtrat (City Council) wurde nach Katrina neu gewählt und somit auch neu besetzt. Der demographische Wandel der Stadt beeinflusste auch die Ergebnisse der Wahl nach Katrina. 2007 war das City Council mehrheitlich „weiß“. Das war nach 22 Jahren zum ersten Mal der Fall. In New Orleans waren Posten der Stadtpolitik, die über Jahre afroamerikanisch besetzt waren, nach Katrina nicht mehr afroamerikanisch besetzt. Das betraf nicht nur das City Council, sondern auch Gericht und Richter etc. (Burns, Thomas 2008: 260–261) 2010 war dann nur noch eines der sieben ge- wählten Stadtratsmitglieder bereits Stadtratsmitglied vor Katrina. Die anderen Sitze wurden seit 2006 neu besetzt. Bedeutender aber war, dass sich der Lebenslauf und professioneller Hintergrund der neuen Stadtratsmitglieder stark zu den Lebensum- ständen der Stadtratsmitglieder, die vor Katrina das City Council besetzten, verän- dert hat: Arbeiteten die Abgeordneten vormals eher in professionellen Zusammen- hängen des community-organizing oder von sozialen Dienstleistungen, hatten sie nun eine berufliche Karriere in Recht, Immobilien oder Management. (vgl. auch Head 29.11.2016) Die neuen Mitglieder betrachteten eine Stadtregierung als „Be- reitsteller effizienter öffentlicher Dienstleistungen“ und gleichzeitig als ein Instru- ment, um soziale Gerechtigkeit herzustellen oder Arbeitsplätze zu schaffen. Die neuen Stadtratsmitglieder besaßen ein Bewusstsein, dass die Wählerschaft mehr denn je die lokalpolitischen Vorgänge verfolgten. Im politischen Tagesgeschäft veränderte sich demnach das „Niveau der Bürgerbeteiligung“ der Wählerschaft. (Gelinas 21.11.2010)

Nachdem Bürgermeister Nagin weitere vier Jahren die Stadt regierte (2006 bis 2010) und fünf Jahre nach Katrina vergangen waren, war die Einwohnerschaft von New Orleans bereit für einen frappanten Regierungswechsel: Der Demokrat Mitch Landrieu wurde 2010 zum Bürgermeister gewählt. (Gelinas 21.11.2010) Landrieu ist bereits 2006 zur Bürgermeisterwahl angetreten. Er hatte damals 22 Konkurren- ten. Erst nach der Rede von Nagin zur „chocolate city“ 2006 sind einige dieser

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Kandidaten in den Wahlkampf zur Bürgermeisterwahl eingetreten. Damals er- schien Lt. Mitch Landrieu als eindrucksvollster nicht afroamerikanischer Kanditat: „The most formidable White challenger was Lt. Governor Mitch Landrieu. A re- vered member of Louisiana’s version of the Kennedy family, Landrieu had wide name recognition (...).“ (Lay 2009: 650) Mitch Landrieus Vater war der letzte „weiße“ Bürgermeister von New Orleans bevor ausschließlich afroamerikanische Bürgermeister gewählt wurden. Seine Schwester Mary Landrieu war von 1997 bis 2015 Senatorin von Louisiana. Auch andere Mitglieder der Landrieu-Familie haben lokale und bundesstaatliche Positionen inne. Die politische Familie setzte sich stets für eine Bildung von stadtpolitischen Koalitionen ein, der afroamerikanische und nicht afroamerikanische politische Verteter angehören. (Lay 2009: 650) Die Lo- kalwahl von 2010 hat gezeigt, dass die Einwohnerschaft von New Orleans jenseits der Rassenlinien gewählt hat. Das war vier Jahre zuvor nicht möglich. Obwohl die afroamerikanische Einwohnerschaft nach Katrina leicht geschrumpft ist, blieb die Stadt nach Angaben des Greater New Orleans Community Data Center noch im- mer zu 61 Prozent afroamerikanisch. 2010 hat sich aber die Mehrheit der Afroame- rikaner Wählern angeschlossen, die für Mitch Landrieu als neuen Bürgermeister stimmten. (Gelinas 21.11.2010)

Nach Horne (20.02.2017) verfügen Bürgermeister – ebenso wie Gouverneure – der Südstaaten der USA über (informelle) Macht, die über die formalen Kompetenzen hinausgeht. Denn diese Region der USA ist stark durch eine „patriotical world“ geprägt als eine Folge des alten Plantagensystems der Südstaaten „when you had the master up in his big house and anybody else is kind of support him“ (Horne 20.02.2017). Das formte Horne (20.02.2017) zufolge die politische und unterneh- merische Kultur in den Südstaaten. Als weitere Facette deutet sich an, dass sich die Haltung zum städtischen Regieren von Nagin und Landrieu unterscheiden: Unter- schiedliche kulturellen Politiktraditionen (political culture traditions) prägen den Politikstil beider Bürgermeister: Die Landrieu-Familie, die zum politischen Estab- lishment gehört, folgt einer altruistischen Tradition, die sich mit ihrem ganzen Le- ben der Verbesserung der Lebensumstände armer Bevölkerungsschichten widmen. Den Politikstil Nagins’ prägte eine Generation von Afroamerikanern, die unter der Unterdrückung „der Weißen“ litt. (Horne 20.02.2017) Aber seit dem politischen Machtwechsel von einer „weißen“ zu afroamerikanischen Führerschaft in New

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Orleans in den 1970er Jahren sah diese Generation von Afroamerikanern die Mög- lichkeit, nach langjähriger Unterdrückung persönlichen Wohlstand aufzubauen: „I oath to my people to get rich, it is our turn“ (Horne 20.02.2017; vgl. Toledano 2007). (vgl. C I 2.3.2) Diese zwei unterschiedlichen Politikstile agierten demnach im Bürgermeisteramt vor dem Hintergrund einer spezifischen regionalen Kultur, die wiederum ihrerseits eine Folge von Sklaverei und Unterdrückung widerspie- gelt. Nach Horne formt Sklaverei zwar nicht mehr den politischen Absichten der Akteure von New Orleans, aber die historischen kulturellen Institutionen (wie bei- spielsweise Mardi Gras Krewes) agieren laut Horne noch immer im Hintergrund, sind rassistisch motiviert und verleihen der „Ungerechtigkeit“ Macht. Als „letzter Atemzug“ der alten Südstaaten scheint diese soziokulturelle Ausprägung noch im- mer Teil der Gegenwart zu sein. (Horne 20.02.2017)

Resümierend wird für dieses Unterkapitel (C II 3.1) eine systembedingte Rahmen- bedingung in Bezug auf die lokalpolitische Handlungsfähigkeit in New Orleans deutlich: Das Amt des Bürgermeisters ist mit Machtkompetenzen ausgestattet, die die jeweilige Führungsperson einer Stadt individuell einsetzt. Der jeweilige Politik- stil ist unter anderem geprägt durch gesamtgesellschaftlich kollektive historische Pfade, die sich in unterschiedlich sozikulturellen Politiktraditionen ausdrücken und die Auswirkungen auf den jeweiligen stadtpolitischen Führungsstil haben und demnach auch auf stadtentwicklungspolitische Entscheidungen. Darüber hinaus wird vor dem Hintergrund der Wiederwahl von Bürgermeister Nagin 2006 das kollektive Misstrauen der US-amerikanischen Bevölkerung gegenüber politisch- administrativem Regierungshandeln deutlich.

3.2 Urban Regime, Power Elite oder Urban Growth Machine in New Orleans?

Als stadtpolitisch struktureller Rahmen für stadtentwicklungspolitische Prozesse, insbesondere bei der Erarbeitung eines Wiederaufbauplanes nach Hurrikan Katrina, wird die generell eingeschränkte Handlungs- und Regierungsfähigkeit der Stadt vor, während und unmittelbar nach Katrina nocheinmal aufgegriffen (vgl. C I 2.2, C II 1): Diese im besten Falle eingeschränkte Handlungsfähigkeit resultiert nach

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Burns und Thomas (2006: 517–518) unter anderem aus der Abhängigkeit von kurz- fristig aufgebauten themenbezogenen Koalitionen, so dass sich die Stadtpolitik nicht auf längerfristig stabile Akteursbündnisse (unter Mitwirkung von Privatwirt- schaft und/oder Zivilgesellschaft) stützen kann (vgl. C I 2.2, C II 1). Nachfolgend werden Hinweise auf Akteurszusammenhänge und deren stadtpolitischen Einfluss- nahme aufgezeigt.

New Orleans ist für seine sogenannte „small business community“ bekannt; eine Unternehmerwelt, die Brandes Gratz (16.02.2017) als „überaus eigennützig“ be- zeichnet. Bereits vor Katrina hatte New Orleans keine großen privaten Institutionen wie ein sogenanntes Business Council oder große Banken in New York City oder der Westküste der USA (Cowen 10.02.2017). In New Orleans ist eher von privaten Bürgern die Rede, die institutionell eingebunden sind und die in Organisationen tätig sind (Canizaro 16.02.2017; Cowen 10.02.2017). Hurrikan Katrina, so Cowen, brachte die städtische Gemeinschaft zusammen. Privatpersonen wurden als einizel- ne Individuen im privaten Sektor aktiv; auf Regierungsbehörden wollte man nicht warten (Cowen 10.02.2017). Private Bürger – statt große private Institutionen – wurden auch (Cowen 10.02.2017) in Handlungsfeldern der Stadtentwicklung aktiv, um ihr Unternehmen und ihren wirtschaftlichen Profit nach Hurrikan Katrina zu retten (Bollinger 14.02.2017; Canizaro 16.02.2017).

Die lokal als business community bezeichnete Privatwirtschaft hat vor Katrina auch nicht eng mit der Stadtregierung zusammengearbeitet.153 Als Ray Nagin im Jahr 2002 das Bürgermeisteramt aufnahm, wurde zwar eine Studie zur Zukunft der Stadt mit Reprästentanten aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam erarbei- tet. Diese hatte allerdings keine weitreichende Wirkung, auch wenn afroamerikani- sche und nicht afroamerikanische Akteure versuchten, als eine Gemeinschaft zu- sammenzuarbeiten („we were trying to work together as a community“). Denn nach Joseph Canizaro, einem Immobilienentwickler der Stadt, war und ist Rassen- zugehörigkeit (race) immer ein Thema, wenn nicht gar ein Problem. (Canizaro

153 Damit sind nicht klassische Auftragsarbeiten des privaten Sektors gemeint, die lokale städtische Behörden in Auftrag geben. Denn insbesondere durch Hurrikan Katrina gab es für Unternehmen Möglichkeiten zu profitieren. Durch diese Interkationen zwischen Stadtregierung und Unternehmen sind allerdings auch nach Katrina wieder klassische Formen von Korruption aufgetreten (vgl. Bsp. NORA). (Horne 20.02.2017)

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16.02.2017) Auch, wenn nach Canizaro die business community nicht eng mit der Stadtregierung zusammengearbeitet habe, gab es unter den Bürgermeistern Mauri- ce Edwin „Moon“ Landrieu154 und Ernest N. „Dutch“ Morial155 eine stadtpolitische Führung, die die städtische Gemeinschaft [hinsichtlich städtischer Entwicklungs- projekte, Anm. d. Verf.] zusammengerufen habe. Canizaro bezeichnet Moon Land- rieu als den bislang „besten“ Bürgermeister der Stadt; er hatte einen Masterplan für den gesamten Innenstadtbereich entwickeln lassen. „Dutch“ Morial war in Groß- projekte im Innenstadtbereich involviert, die die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt, vor allem den Tourismus, vorantreiben sollten (vgl. C I 3). Canizaro zeigt sich von Bürgermeister Ray Nagin enttäuscht, der in seiner Amtszeit die Führung der Stadt nie richtig übernommen hatte. Die business community habe ihn zwar gewählt, aber Nagin habe nicht das gehalten, was er versprochen habe. Sein Nach- folger, Mitch Landrieu, dagegen sei ein starker Bürgermeister, der die städtischen Problemfelder angehe. (Canizaro 16.02.2017)

So kann in New Orleans zwar weniger von einem urban regime im Sinne von Clarence Stone gesprochen werden (vgl. Burns, Thomas 2006), in dem politisch- administrative (staatlichen Sphäre) und der privatwirtschaftliche (Markt-)Akteure dauerhaft koalieren und stadtpolitisch handlungsfähig sind, indem langfristige Vi- sionen und Projekte umgesetzt werden. In Bezug auf New Orleans ist eher von einer sogenannten power elite die Rede, so wie jede Stadt ein Establishment hat. Das Besondere in New Orleans sei aber nun, dass sich diese power elite aus mehre- ren Gruppen mit Untergruppen zusammensetzt, die entlang der Rassenzugehörig- keit agieren. (Horne 20.02.2017) Die power elite von New Orleans setzt sich inso- fern aus – mindestens – zwei Gruppen zusammen, einer afroamerikanischen politi- schen Klasse und einer „weißen“ Elite. Die politische Klasse setzt sich fast voll- ständig aus Afroamerikanern zusammen – nur durch den Fakt, dass New Orleans demokratisch (und nicht republikanisch) regiert wird. Parallel dazu ist die „Elite des Geldes“ („money elite“) im überwiegend „weißen“ Stadtviertel Uptown veran-

154 Maurice Edwin „Moon“ Landrieu war der 56. Bürgermeister von New Orleans (1970-1978) und war von 1979-1981 United States Secretary of Housing and Urban Development (HUD). 155 Ernest N. „Dutch“ Morial war der 57. Bürgermeister von New Orleans (1978-1986) und erster afroamerikanischer Bürgermeister der Stadt.

346 kert, was auch bereits vor Katrina der Fall gewesen war (entlang der Charles Ave- nue und um das Quartier Audubon Place).156 (Horne 20.02.2017)

Innerhalb der afroamerikanischen Einwohnerschaft von New Orleans gibt es zwei verschiedene Gruppen, die eine Ortsspezifik von New Orleans darstellen. Einer- seits ist eine alte kreolische Elite in der Stadt präsent, die sich bereits vor dem American Civil War (1861-1865) herausbildete. Nach Horne hatte diese Gruppe den größten Bevölkerungsverlust in New Orleans nach Katrina zu verzeichnen.157 Viele Kreolen blieben der Stadt nach Katrina fern (und entschieden sich beispiels- weise für den Wohnstandort Los Angeles). Diese Afroamerikaner haben ihren Weg in die Politik gefunden (Dutch Morial, der erste afroamerikanische Bürgermeister, sein Sohn Marc Morial war der dritte afroamerikanische Bürgermeister bevor Ray Nagin gewählt wurde) und bilden das afroamerikanische politische Establishment. Vor Katrina galt Bürgermeister Ray Nagin als „Liebling“ der „weißen“ Unterneh- meselite von Uptown und wurde eher als Instrument der kreolischen Elite wahrge- nommen. Denn Nagin schien für die „weiße“ Elite hervorragend geeignet als Bür- germeister, weil er keinen politischen Hintergrund besaß und die Unternehmens- mentalität in der Stadt verstand. (Horne 20.02.2017) Nach Katrina verloren die „Weißen“ aus Uptown an Macht und als sich die Demographie der Rassenzugehö- rigkeit veränderte, verloren auch sie (wie viele Afroamerikaner) viele politische Posten. Dennoch konnte diese Elite einen beachtlichen Einfluss über öffentliche Politiken beibehalten: Sie nutzten Wahlkampfspenden, das Bureau of Governmen- tal Research (BGR) und den Zugang zu Medien, insbesondere der lokale Tageszei- tung Times Picayune, um Einfluss auszuüben. (Burns, Thomas 2008: 260)

Die zweite Gruppe innerhalb der afroamerikanischen Einwohnerschaft ist die Mit- tel- und Unterklasse der Afroamerikaner, die typischerweise dunklere Haut haben und die historisch noch nicht so lange in New Orleans verwurzelt sind. Diese drei Kräfte, die zwei afroamerikanischen Gruppen und die „weiße“ Uptown Elite inter- agieren auf allen Ebenen mit mal mehr und mal weniger Spannung: Erstens ist eine

156 Nach Horne (20.02.2017) war und ist das Establishment im Bankenwesen wahrscheinlich über- proportional „weiß“ und diejenigen in führenden Positionen des Schulsystems sind in erster Linie afroamerikanisch. 157 Das waren nach Horne (20.02.2017) nicht die Bewohnerschaften mit niedrigem Einkommen.

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Spannung vorhanden zwischen afroamerikanischem Unternehmertum und afro- amerikanischer als auch „weißer“ politischer Klasse. Zweitens gibt es eine Span- nung zwischen der großen Mittelklasse und Unterklasse der „dunkleren“ Afroame- rikaner. Eine komplizierte Mischung von Kräften beziehungsweise das Zusammen- spiel von Kreolen, „Schwarzen“ und „Weißen“ macht die Komplexität afroameri- kanischer Politik deutlich. (Horne 20.02.2017)

Zusammenfassend für dieses Unterkapitel (C II 3.2) ist festzuhalten, dass die lo- kalpolitische Handlungsfähigkeit in New Orleans, die im besten Falle als einge- schränkt bezeichnet wird, von kurzfristig gebildeten themenbezogenen Koalitionen abhängig ist: Diesen Koalitionen gehören privatwirtschaftliche Akteure einer grundsätzlich eher kleinen business community. Dieser business community zeich- net sich in erster Linie durch Unternehmer als Privatpersonen aus, die privatwirt- schaftliche Interessen in der Stadtentwicklung verfolgen. Zudem ist in New Or- leans wie auch in anderen Städten von einer power elite die Rede, der selbstver- ständlich Mitglieder der business community angehören. Die sogenannte power elite setzt sich in New Orleans tendenziell aus einem afroamerikanischen politi- schen Establishment, das die alte kreolische Elite ausmacht, und einer „weißen Elite des Geldes“ (Horne 20.02.2017) auch noch nach Katrina zusammen. Diese power elite schließt eine zweite Gruppe innerhalb der afroamerikanischen Einwoh- nerschaft aus: die Mittel- und Unterklasse.

3.3 Rolle von Bund und Bundesstaat bei der Katastrophenbewältigung

Städte sind zunehmend auf finanzielle Unterstützung von Bund und Bundesstaat angewiesen aufgrund starker Dezentralisierungstendenzen (Burns, Thomas 2004 u.a.). So beeinflussen stadtentwicklungspolitische Förderprogramme der US- amerikanischen Bundesregierung als auch des Bundesstaates158 die räumliche Ent- wicklung. Die US-amerikanische Förderpolitik ist heterogen und hat unterschied- lich starke Auswirkungen auf die gesamtstädtische Entwicklung. Die lokalpoliti-

158 Bundesstaaten beziehungsweise Gouverneure setzen Großprojekte und Politiken auf städtischer Ebene auch deshalb durch, weil es an privatwirtschaftlichen Investitionen in den Städten mangelt. (Burns, Thomas 2004) (vgl. C I 3.1)

348 sche Ebene kann aber nur in begrenzter Weise informell (beispielsweise durch Lobbyismus) auf die Zuteilung von überlokalen Fördermitteln Einfluss nehmen, weil ihr die rechtlichen Grundlagen fehlen (Städte sind Kreaturen des Bundesstaa- tes). Im Wesentlichen hat die bundesstaatliche Ebene die finanzielle Verteilungs- kompetenz – auch und gerade nach einer Katastrophe.159 Gerade nach einer Kata- strophe sind aufgrund des Zerstörungsgrades überlokale Förderprogramme und dessen Finanzhilfen lokal von entscheidender Bedeutung für einen „Wiederauf- bau“. So spielt auch im Fall New Orleans die überlokale Förderpolitik bei unmit- telbaren als auch längerfristigen Wiederaufbauprozessen eine entscheidende Rolle mit direktem oder indirektem Einfluss auf die stadträumliche Entwicklung von New Orleans.

3.3.1 Rolle von Bund und Bundesstaat in New Orleans’ Stadtpolitik nach Hurrikan Katrina

An der Förderpolitik ist per se ein großes Spektrum von Akteuren und Institutionen der Bundesebene, des Bundesstaates als „Schaltstelle“ und der lokalen Ebene betei- ligt. Präsident George W. Bush gab am 15. September 2005 in New Orleans das politische Versprechen, den Wiederaufbau in aller Form zu unterstützen. Dessen Einhaltung stützte sich im Wesentlichen auf die förderprogrammatische Hilfe durch die US-amerikanische Bundesregierung (Barnett, Beckman 2006: 288–289) nach einer Katastrophe. Für New Orleans ist diese Unterstützung nicht nur vor dem Hintergrund der katastrophalen Folgen von Katrina und Rita wichtig. Denn – wie in vielen US-amerikanischen Städten – schränkt die chronische Finanzknappheit ernsthaft die lokalpolitische Handlungsfähigkeit ein: Vor allem nach Katrina nahm die Stadt nur noch die Hälfte ihrer Steuern ein. New Orleans stand aber unter star- kem Druck, beispielsweise die städtische Infrastruktur zu erneuern. (Birch 2006: 147; vgl. auch Walsh 28.03.2006) Die finanzielle lokalpolitische Lage war bereits „angespannt“, als sich Hurrikan Katrina 2005 ereignete. Die Stadt hatte Probleme, öffentliche Dienstleistungen aufrechtzuerhalten. Wie viele Städte und Bundesstaa- ten hatte auch New Orleans öffentliche Ausgaben zu leisten, wie beispielsweise die Entlohnung seiner städtischen Mitarbeiter, denen die Stadt kaum mehr nachkom-

159 Die Erkenntnisse zur Förderpolitik stehen hier in enger Verbindung zu den Erkenntnissen von intergovernmental relations.

349 men konnte. Nach Hurrikan Katrina wurden leise Anzeichen eines stadtpolitischen Bewusstseins erkennbar, dass beispielsweise eine stärkere Kundenorientierung im ÖPNV zur sukzessiven Stärkung des Standortes New Orleans beiträgt. (vgl. auch Walsh 28.03.2006) Aufgrund der angespannten Haushaltslage wurden also überlo- kale Fördermittel umso wichtiger für die Stadt, gerade vor dem Hintergrund einer Katastrophe. Allerdings birgt das das Risiko einer immer größer werdenden Ab- hängigkeit des lokalen Staates von mehr oder weniger „unplanbaren“ überlokalen Finanzmitteln, die nur im Falle einer Katastrophe lokal eintreffen.

In der Folgezeit von Hurrikan Katrina wurde die bedeutende Rolle deutlich, die die Regierung des Bundesstaates Louisiana in der Stadtpolitik beim Wiederaufbau spielt. Der Bundesstaat behielt die Autorität über die Verteilung der Bundesmittel zur Katastrophenbewältigung. Zudem hat der Bundestaat in der Folgezeit von Kat- rina Politiken verabschiedet, nicht nur wie die Stadt ihre Regierungsgeschäfte füh- ren soll, sondern beispielsweise auch wie Polizeikräfte eingesetzt werden sollen. (Burns/Thomas 2008: 261) Zudem leitete der Bundesstaat einen Prozess ein, das disfunktionale Levee Board auflösen zu lassen. Auch wurde durch den Bundesstaat die Anzahl der sogenannten Inspector General auf einen begrenzt; eine Position, die für Untersuchungen von Korruption verantwortlich ist und die städtische Aus- gaben überwacht. Misstrauen des Bundesstaates gegenüber New Orleans bestimm- te im Hintergrund den Wiederaufbauprozess und veranlasste den Bundesstaat zum Diktat. Denn der Bundesstaat wollte aufgrund fortbestehender städtischer Probleme mit Korruption und Missmanagement die Kontrolle über die finanzielle Unterstüt- zung des Bundes behalten (hundreds of millions of federal recovery dollars) und diktierte der Stadt, wie die Mittel einzusetzen seien. (Burns, Thomas 2008: 268) Auf der anderen Seite hat Hurrikan Katrina auch nichts an der Tatsache geändert, die bereits vor Katrina vorhanden war, dass sich die Stadt New Orleans vom Bun- desstaat nicht unterstützt fühlt (Burns, Thomas 2008: 269). So wird beispielsweise zögerliches bundesstaatliches Weiterleiten von Bundesmitteln an die Stadt zum Teil dafür verantwortlich gemacht, dass der Wiederaufbau im Handlungsfeld Wohnraum „träge“, wie er oft bezeichnet wird, von statten ging. (Burns, Thomas 2010: 332) Nach Powell (2007) hat die Regierung des Bundesstaates in Baton Rouge Wiederaufbaubemühungen, aber darüber hinaus durch ihr Imageproblem gegenüber der Bundesregierung gelähmt: „Washington doesn't trust us with the

350 money we need to recover, and we don't trust each other“, so die Feststellung in Bezug auf den Prozess zur Konsolidierung des South Louisiana Levee Board. (Powell 2007) Ein Mangel an gegenseitigem politischen Vertrauen aller politischer Ebenen behindert also nicht nur eine unmittelbare Katastrophenbewältigung (vgl. C II.1 Evakuierung), sondern lähmt auch längerfristige Wiederaufbauprozesse (vgl. Teil D).

So setzen sich nach Burns und Thomas (2010) sogar im „totalen Chaos“ historische Muster zwischen Stadt und Bundesstaat fort. Zu diesen Mustern gehören Ausei- nandersetzungen dieser beiden politischen Ebenen über Fördermittel, über die Richtung eines Wiederaufbaus und die Funktionsweise von Schlüsseldienstleistun- gen. Sie scheinen auch nach Katrina wieder auf und erklären Konflikte und Span- nungen. (Burns, Thomas 2010: 332) Die Konflikte intensivieren sich sogar insbe- sondere in Bezug auf die finanzielle Unterstützung durch Fördermittel, denn insbe- sondere „Geld“ treibt den Wiederaufbau an (Burns, Thomas 2008: 268–269). Auch nach Berman (2003) machen Finanzen (Geld), Kontrolle und Unterschiede zwi- schen städtischen und ländlichen Gebieten (Städten und dem restlichen Bundes- staat) tief verwurzelte historische Muster aus, die die Beziehung zwischen Bundes- staaten und ihren Städten beeinflussen. (Berman 2003 zit. in Burns, Thomas 2008: 262) Burns und Thomas (2008) zeigen in einem historischen Überblick, dass finan- zielle Unterstützung (Geld), die Kontrolle über städtische Politiken, Programme, bürokratische Vorgänge (Kontrolle) und kulturelle, sozioökonomische und ethni- sche Unterschiede zwischen Stadt und dem restlichen Bundesstaat die größten Ur- sachen von Konflikten sind zwischen New Orleans und Louisiana in der Zeit nach Hurrikan Katrina. (Burns, Thomas 2008: 265) Diese Konfliktlinien bedingen sich zudem noch gegenseitig.

So haben sicherlich persönliche Animositäten und politische Differenzen zwischen Gouverneurin Blanco (Demokratin, 2004 bis 2008 im Amt) und New Orleans Bür- germeister Ray Nagin (Demokrat, 2002 bis 2010 im Amt) die Beziehung zwischen Louisiana und New Orleans verkompliziert, was zu Reibungen, Spannungen und Missstimmung nach Katrina zwischen Bundesstaat und Stadt führte. Aber oben genannte historische Muster, die jenseits personeller Politik wirken, erklären auch die Dauerhaftigkeit der Spannungen zwischen dem Bundesstaat Louisiana und

351

New Orleans. (Burns/Thomas 2008: 259) So setzte sich also der Charakter der Beziehung zwischen Bundesstaat und lokaler Ebene über das Katastrophenereignis infolge von Katrina hinweg fort und beeinflusste die Stadtpolitik von New Orleans. Die Stadtpolitik New Orleans’ ist vor und nach Katrina durch ähnliche Tendenzen beeinflusst (Burns, Thomas 2008: 261), die durch Misstrauen geprägt sind.

3.3.2 Förderprogramme mit Auswirkungen auf die räumliche Entwicklung

Trotz einer eher „angespannten Beziehung“ zwischen Bundesstaat und lokalem Staat in New Orleans (vgl. C II 3.3.1) finden formal selbstverständlich Förderpro- gramme von Bund und Bundesstaat im Rahmen des Wiederaufbaus von New Or- leans Anwendung. Diese haben als überlokale Einflussgröße Auswirkungen auf die lokale Stadtentwicklung. Neben der überlokalen Unterstützung von Rettungs-, Bergungs- und Aufräumarbeiten waren die häufigsten unmittelbaren Regierungs- hilfen individuelle Unterstützungsleistungen in Bezug auf das Einkommen der Bevölkerung und in Bezug auf die Wohnraumschaffung.160 Die staatlichen und bundesstaatlichen Leistungen, die in der Golfregion und New Orleans nach Katrina und Rita in Anspruch genommen wurden, werden in dieser Arbeit als „kontinuier- lich verfügbare“ und als „katastrophenbedingte“ Leistungen verstanden. Die För- derpolitik des „Wiederaufbaus“ von New Orleans zeichnet sich durch katastro- phenbedingte Zuwendungen (in dieser Arbeit als Typ A bezeichnet) von Bund und Bundesstaat aus; vorrangig durch Investitionen über die nationale Emergency Sup- port Function 14 (ESF 14)161 und über das bundesstaatliche Programm Louisiana Road Home162, das den individuellen Wiederaufbau von Hauseigentum unterstützt (vgl. Birch 2006; Zandi et al. 2006). Kontinuierlich verfügbare Zuwendungen (in dieser Arbeit als Typ B bezeichnet) werden über sogenannte Community Develop- ment Block Grants des U.S. Department of Housing and Urban Development (HUD) nach der Katastrophe bereitgestellt (Disaster Community Development Block Grants). Diese Fördermittel sind bedeutend für die Quartiersentwicklung, da

160 Zur Wiederaufbauhilfe des Bundes in Bezug auf Wohnraum in den betroffenen Bundesstaaten nach Hurrikan Katrina und Rita (vgl. United States Government Accountability Office 2010). 161 Die Katastrophenbehörde des Bundes (Federal Emergency Management Agency, FEMA) verfolgt einen Planungsprozess, der sich Emergency Support Function 14 (ESF 14) nennt und eine Schadens- bewertung von baulichen Anlagen mit Entschädigungsanspruch beinhaltet. 162 Das Louisiana Road Home Program und seine Intention wird in C II 2.2.2 (Wohnraum) umrissen.

352 sie relativ flexibel einsetzbar sind und relativ umfangreich sein können. Kritische Stimmen (Flaherty 2008:44; vgl. Dreier 2006) gehen allerdings davon aus, dass die politischen Ziele der US-Bundesregierung mit einer Förderung beziehungsweise Unterstützung „einkommensschwacher“ Bevölkerungsschichten, finanzschwacher Städte oder gar afroamerikanisch geprägter Gemeinwesen nicht übereinstimmen. Diese Beschreibungen betreffen auch die Stadt New Orleans. Hinweise auf den policy-Charakter und mögliche Auswirkungen dieser Programme liegen bereits vor (vgl. Zandi et al. 2006; Birch 2006). In der unmittelbaren Folgezeit, der Phase von Notfall- und Aufräumarbeiten, profitierten von föderalen Subventionen für Unter- nehmen verstärkt „lokale Eliten“ zum Beispiel bei Reparatur und Bau von Däm- men, Deichen und Wohnraum (Flaherty 2008: 44; vgl. Dreier 2006).

Beispielhaft wird an dieser Stelle auf die föderale Förderung des Disaster Commu- nity Development Block Grant eingegangen. Die lokale Wirksamkeit wird an dieser Stelle ausschließlich angedeutet: Lokale Führungskräfte nutzten als Katastrophen- hilfe Community Development Block Grants (CDBGs) und private Anleihen (pri- vate activity bonds). Das hatte eine ungleichmäßige räumliche Verteilung von Wiederaufbauaktivitäten und von einer Neuentwicklung nach der Katastrophe in New Orleans zur Folge.163 (Gotham, Greenberg 2014 zit. in Nelson 23.02.2015: 2) Das Ministerum des Bundes Housing and Urban Development (HUD) hat das Pro- gramm der CDBG seit den frühen 1990er Jahren genutzt, um Wiederaufbau und Neuentwicklung nach Katastrophen zu unterstützen. Der US-Kongress hat in Reak- tion auf den 11. September 2001 die Struktur und die Anwendungsreichweite des Programms verändert. Dieser Prozess wurde von lokalen Führungskräften in New York City beeinflusst. Im Wesentlichen erhöhte der US-Kongress die finanzielle Unterstützung, die durch das Programm kanalisiert wurde, und erlaubte den Bun- desstaaten, unabhängige Behörden zu gründen, um die CDBG zu verteilen sowie Wiederaufbau und Neuentwicklung zu überwachen. (Nelson 23.02.2015: 2) So wurde auf der Ebene des Bundesstaates von Louisiana nach Katrina und Rita 2005 die Louisiana Recovery Authority (LRA) nach dem Vorbild der Lower

163 Gotham und Greenberg (2014) untersuchten die Ressourcen, die für den Wiederaubau und für eine Neuentwicklung vom World Trade Center in New York City nach dem 11. September 2001 und die Ressourcen, die nach Hurrikan Katrina und Rita in New Orleans 2005 zur Verfügung standen. Sie untersuchten die „politische Mobilität“ zwischen diesen beiden Ereignissen. ((Gotham, Greenberg 2014) zit. in (Nelson 23.02.2015: 2)

353

Redevelopment Corporation (LMDC), die nach dem 11. September 2001 in New York City geschaffen wurde, gegründet. 2001 hat das Bundesministerium HUD Einkommensgrenzen außer Acht gelassen. Zudem hat das Ministerium keine An- forderungen an öffentliche Leistungen und an Bürgerbeteiligung nach 9/11 formu- liert. Im Ergebnis sind die CDBG-Mittel nach dem 11. September 2001 in New York City größtenteils nicht Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen zu Gute gekommen, denen das Programm eigentlich helfen soll. Von diesen Mitteln haben in erster Linie Entwickler und große Unternehmen profitiert. (Nelson 23.02.2015: 2)

Die Änderungen des CDBG-Programms nach dem 11. September haben einen Präzedenzfall für Deregulierung und Liberalisierung von Programmregeln nach Hurrikan Katrina geschaffen. In Louisiana hat HUD eine Anforderung geändert: Ursprünglich sollten siebzig Prozent von den CDBG so verwendet werden, dass niedrige und mittlere Einkommen davon profitieren. Nun müssen nur noch fünfzig Prozent der CDBG so eingesetzt werden. Zudem war es der LRA erlaubt, private Unternehmen zu beauftragen, um das Road Home Program lokal abzuwickeln. Das bundesstaatliche Programm war mit mehreren Milliarden US-Dollar ausgestattet und wurde über CDBG des Bundes finanziert. Das Programm basierte auf einer Bewertung des Marktwertes von Wohnraum vor Katrina. HUD genehmigte eine Formel dafür, die, wie sich herausstellte, eine diskriminierende Wirkung in erster Linie für Afroamerikaner hatte: Die Wohnhäuser in vornehmlich afroamerikani- schen Nachbarschaften wurden mit einem niedrigeren Marktwert bewertet als ver- gleichbare Wohnhäuser in vornehmlich „weißen“ Nachbarschaften. Somit erhielten Eigentümer in afroamerikanischen Nachbarschaften eine geringere Summe an in- dividueller Wiederaufbauhilfe, auch wenn die Sanierungs- und Reparaturkosten gleich hoch waren. (Nelson 23.02.2015: 2) So erhielten beispielsweise Eigentümer im Stadtviertel Lower Ninth Ward weniger finanzielle Unterstützung zum Wieder- aufbau ihres Eigentums als Eigentümer im Stadtviertel Lakeview.164 Demnach machten es unzureichende staatliche Zuschüsse zum Wiederaufbau, begrenzte per-

164 Die zwei Nachbarschaften hatten einen ähnlichen Stand der Zerstörung durch Überschwemmung, unterschieden sich aber hinsichtlich des sozioökonomischen Status und demographischen Charak- tieristiken vor Katrina: Lakeview war überwiegend „weiß“ und wohlhabends; und die Lower Ninth Ward war gekennzeichnet von niedrigen Einkommen und war fast vollständig afroamerikanisch. (Nelson 23.02.2015: 3)

354 sönliche Ersparnisse und eine unzureichende oder keine Versicherung, die vor fi- nanziellen Verlusten bei Hochwasser schützte, für die Bewohnerschaft der Lower Ninth Ward schwer, nach Katrina in ihr Viertel zurückzukehren und ihr Eigentum wiederaufzubauen. Diejenigen, die zurückkehrten, kämpften um Aufmerksamkeit und finanzielle Ressourcen nach Katrina nachdem das Viertel bereits seit Jahrzehn- ten von der Stadt vernachlässigt wurde. Im Stadtviertel Lakeview hingegen stieg die Bevölkerungsanzahl relativ schnell wieder an. Auch die kommerzielle Revitali- sierung in Lakeview war ausgeprägter als die in der Lower Ninth Ward. Durch per- sönliche finanzielle Ressourcen der Bewohnerschaft von Lakeview und einem dis- proportunalen Anteil der Bundeshilfe durch CDBG stehen heute die beiden Stadt- viertel im starken Kontrast zueinander: Die Revitalisierung von Lakeview setzt sich fort, während in der Lower Ninth Ward umfassendes Desinvestment, sowie Leer- stand und Verfall die Entwicklung des Stadtviertels nach Katrina charaktierisiert. (Gotham, Greenberg 2014: 175; Nelson 23.02.2015: 3)

Darüber hinaus hat die US-Bundesregierung nach den Wirbelstürmen von 2005 Anreize für Investitionen der Privatwirtschaft geschaffen. Durch den sogenannten Gulf Opportunity (GO) Zone Act wurde die Nutzung von sogenannten GO Zone bonds rechtlich zugelassen (in Anlehnung an das Liberty Bond-Programm in New York nach dem 11. September), um den Wiederaufbau der Golfküste zu unterstüt- zen. Durch die Anleihen sollten Investitionen in den Gebieten fördert werden, die durch Hurrikan Katrina und Rita geschädigt wurden. Die so gennannte Golf Oppor- tunity Zone zeichnet sich demnach durch Steuernachlässe für investierende Unter- nehmen aus, die konkrete räumliche Auswirkungen hatten: So wurde entlang der Interstate 10 Wohnraum geschaffen; in einem Umfeld, das nicht attraktiv zum Wohnen ist. Immobilienentwickler haben ein return on investment von etwa fünf- zig Prozent erhalten. (Horne 20.02.2017) So profitierten nach Nelson (23.02.2015) in Louisiana nicht die Gebiete und Unternehmen von den Anleihen, die durch die Folgen der Hurrikane am meisten geschädigt wurden (Nelson 23.02.2015: 2). Die- se Gebiete erhielten eine relativ kleine Summe der GO Zone-Anleihen, während beispielsweise große Öl- und Gasunternehmen einen disproportionalen Anteil von Anleihen für Projekte erhielten, die sich nicht auf Revitalisierung und Wiederauf- bau auswirkten (Nelson 23.02.2015: 2–3). Auch das Energieversorgungsunterneh- men in New Orleans hat Subventionen vom Bund erhalten. Allerdings erst, nach-

355 dem sich das Unternehmen als bankrott erklärte. Nach Horne (20.02.2017) wollte der Bund ursprünglich das Unternehmen nicht subventionieren, da New Orleans als Stadt nicht bedeutend genug im Verhältnis zu anderen Städten ist (wie beispiels- weise New York City). Der Bund subventionierte das Unternehmen dann doch, um Arbeitsplätze in der Region zu erhalten.

Für dieses Unterkapitel (C II 3.3) wird resümiert, dass Bund und Bundesstaat also eine bedeutende Rolle bei einer Katastrophenbewältigung spielen: Mit einer chro- nischen Finanzknappheit, die nicht nur New Orleans vor Katrina betraf, sondern auch andere US-amerikansiche Städte betrifft, werden überlokale Fördermittel gerade vor dem Hintergrund einer Katastrophensituation umso wichtiger für eine Stadt trotz des Risikos, dass die überlokale politische Abhängigkeit des lokalen Staates noch mehr wächst. Fallspezifisch für New Orleans ist zunächst ein gegen- seitiges Misstrauen aller politischen Ebenen besonders. Spannungen zwischen dem Bundesstaat und der Stadt New Orleans sind dauerhaft aufgrund besonderer Kon- fliktursachen: Vor als auch nach Hurrikan Katrina sind finanzielle Fördermittel, politische Kontrolle und regionale Unterschiede zwischen New Orleans und Loui- siana die größten Ursachen für Konflikte. Nichtsdestoweniger hat der Bund formal finanzielle Ressourcen aus der formalen Förderprogrammatik letztendlich zuge- standen.

3.4 Wiederaufbauhilfe des Bundes zur Katastrophenbewältigung

Die Folgen von Hurrikan Katrina und Rita wurden letztendlich lokal mit unter- schiedlichen Erfolgen vor allem durch finanzielle Wiederaufbaumittel des Bundes bewältigt. Diese wurden durch die betroffenen Bundesstaaten zunächst verwaltet und dann an die Kommunen verteilt. Der US-Senat verabschiedete in Folge der Wirbelstürme Katrina und Rita am 15. Juni 2006 – neuneinhalb Monate nach Kat- rina – ein Notfallgesetz zur Wohnraumförderung und Revitalisierung von Nachbar- schaften sowie zur Wiederherstellung des Deichsystems. Diese sogenannte Emergency Supplemental Spending Bill bezog sich auf die Bundesstaaten der Golf- küste und war mit einer finanziellen Hilfe von 94,5 Milliarden US-Dollar ausge-

356 stattet. Der US-Senat stimmte 98 zu einer Stimme für das Förderprogramm. (Alpert 16.06.2006)

Mit der Freigabe der Bundesfördermittel zum Wiederaufbau wurden auch mit gro- ßen Ingenieurbüros Verträge abgeschlossen (Colten et al. 2008: 12; vgl. Flaherty 2008; vgl. Dreier 2006). Über 16 Milliarden US-Dollar öffentliche Mittel für Bau und Wiederaufbau waren dafür bestimmt, die Wirtschaft für mindestens zwei Jahre am Laufen zu halten (Colten et al. 2008: 12). Dem Bundesstaat Louisiana wurden Community Development Block Grants in Höhe von 4,2 Milliarden US-Dollar zu- geschrieben und 3,7 Milliarden US-Dollar für die Wiederherstellung und Verbesse- rung des Hochwasserschutzes in New Orleans (Alpert 16.06.2006). Insgesamt wurden dem Bundesstaat Louisiana allein 71,5 Milliarden US-Dollar vom Weißen Haus und dem US-Kongress in Washington zugesprochen. Etwa 37 Prozent (oder 27 Milliarden US-Dollar) dieser Summe waren für Infrastrukturleistungen vorge- sehen. (Gelinas 21.11.2010; vgl. Stouwe 24.11.2010) Davon wiederum gingen nur 35 Prozent an die Stadt New Orleans (Infrastrukturmittel der Federal Emergency Managemet Agency (FEMA), die dem Bundesstaat von Louisiana im Rahmen des sogenannten Public Assistance Grant Program der FEMA165 zugesprochen wur- den) (Colten et al. 2008: 12–13). Das löste lokales Unverständnis, wenn nicht gar Empörung aus, da der Bundesstaat Mississippi eine prozentual höhere Förderung erhielt.

165 FEMA stellt Katastrophenhilfe, sogenannte Disaster Assistance, für Bewohner und Kommunen bereit, die durch Naturkatstrophen wie Wirbelstürme oder Überschwemmungen geschädigt wurden. Der Gouverneur eines Bundesstaates, der von einer Naturkatastrophe betroffen ist, muss zunächt dem amtierenden US-Präsidenten eine sogenannte request for assistance einreichen. Dieser Antrag muss erklären, inwiefern es sich um eine Katastrophe (Ausmaß) handelt und dass eine wirksame Reaktion über die Möglichkeiten des Bundesstaates und der betroffenen lokalen Regierungen hinausgeht. Dar- über hinaus ist von Bedeutung, dass die letzte Änderung des Stafford Act im Jahr 2013 den Lokalre- gierungen das Recht gab, sich direkt an die FEMA zu wenden, ohne den Weg über ihren Gouverneurs zu gehen. Zweitens hilft eine öffentliche Erklärung zur Unterstützung (PA) (Public Assistance decla- ration) einem Bundesstaat, Kosten zu kompensieren, die von einer Stadt, einem Landkreis oder städ- tischen Einrichtung für die Instandsetzung öffentlicher Infrastruktur (Straßen und Brücken) anfallen; wie zum Beispiel Kosten für die Katastrophenbewältigung (z.B. Überstunden für Polizeibeamte) und andere Kosten, die einer staatlichen Stelle entstehen können, wenn sie auf eine Naturkatastrophe reagieren muss (wie zum Beispiel bei der Beseitigung von Schutt oder Trümmern). FEMA kann drittens Hausbesitzern kleine Kredite über die Small Business Administration (SBA) für Hausrepara- turen und den Austausch persönlicher Güter zur Verfügung stellen. (Beers 23.09.2016)

357

Das Greater New Orleans Data Center veröffentlichte zum 11. Jahrestag von Kat- rina, dass sich die Wiederaufbauförderung des Bundes auf insgesamt 120,5 Milli- arden US-Dollar belief. Der Hauptteil von etwa 75 Milliarden US-Dollar wurde für die Notfallhilfe genutzt; nicht für Wiederaufbauleistungen. (Die philantropische Hilfe belief sich ausschließlich auf 6,5 Milliarden US-Dollar, obgleich sie sich für die Bewältigung von Hurrikan Katrina und Rita verdoppelte in Bezug auf den Tsunami 2004 in Südostasien oder die Ereignisse des 11. September 2001 in New York City. Unterdessen deckten private Versicherungsansprüche weniger als drei- ßig Milliarden US-Dollar der angefallenen Schäden ab.) (Plyer 26.08.2016)

Abbildung 50: Verteilung der finanziellen Unterstützung zwischen Wohltätigkeitsorganisationen (grün), privaten Versicherungsansprüche (rot) und staatlichen Institutionen (blau) (Ahlers et al. 01.2008).

Resümierend ist für dieses Unterkapitel (C II 3.4) in Bezug auf den Umfang und die Verteilung von US-Bundesmitteln zum Wiederaufbau zweierlei hervorzuheben: Zum einen wurde eine scheinbar einfache mathematische Rechnung zur Verteilung der Bundesmittel auf die betroffenen Bundesstaaten zum Konfliktpunkt zwischen

358 den Bundesstaaten Mississippi und Louisiana, wobei sich der Bundesstaat Louisia- na widerum benachteiligt fühlte. Zweitens wird deutlich, dass die staatliche Wie- deraufbauförderung des Bundes (120,5 Milliarden US-Dollar) im Verhältnis dem etwa Neunzehnfachen der philanthropischen Hilfe (6,5 Milliarden US-Dollar) ent- spricht. Diese Tatsache widerspricht dem Eindruck, der medial transportiert wird: Politisch-administrativem Regierungshandeln vertraut die US-amerikanische Be- völkerung per se nicht und wird mit einer eher kritischen Haltung beäugt (Die in- dividuelle Entscheidungsfreitheit soll nicht durch staatliche Regulierung einge- schränkt werden). Philanthropischem Handeln wird aufgrund des proklamierten „Gutmenschentums“ ein Vertrauensbonus zugesprochen und daher wird es öffent- lich eher gelobt und stark hervorgehoben. Somit entsteht im Zusammenhang einer finanziellen Unterstützung von Katastrophenbewältigung und Wiederaufbau ein Eindruck, der der Philanthropie eine höhere finanzielle Ausstattung, stadtpolitische Bedeutung und Wirkmächtigkeit zuschreibt als es im Verhältnis zur staatlichen finanziellen Unterstützung tatsächlich der Fall ist.

3.5 Zwischenfazit: Politisch-administrativer und institutioneller Rah- men für die Entwicklung der gesamtstädtischen Planwerke nach Hurrikan Katrina

Im vorangegangenen Kapitel (C II 3) wurde in die stadtpolitische Akteurs-, Institu- tionen- und Förderlandschaft eingeführt, indem politisch-administrative Institutio- nen und Akteure vorgestellt wurden, die eine wesentliche Rolle bei den Prozessen zur Erarbeitung eines Planwerks zum Wiederaufbau und zur gesamtstädtischen Neuentwicklung der Stadt (Master Plan) spielten. Auch in diesem Zwischenfazit werden stadtpolitische Charakteristika mit Beharrungsvermögen und Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren, zusammengefasst.

Dem Spagat lokalstaatlicher Autonomie versus Abhängigkeit vom Bundesstaat als Stadt(-regierung), gerecht zu werden und Handlungsfähigkeit zu bewahren, gehört zu den größten Herausforderungen des lokalen Staates, respektive des Bürgermeis- ters, insbesondere während und nach einem urbanen Katastrophenereignis in Folge eines Naturereignisses wie Hurrikan Katrina in New Orleans. Nun wurde Ray

359

Nagin bei den Kommunalwahlen 2006 als Bürgermeister wiedergewählt. Das stieß überlokal aufgrund seines als „schlecht“ bezeichneten lokalen Krisenmanagements nach Katrina medial auf relativ großes Unverständnis, da ihn eine lokale Hand- lungsfähigkeit eindeutig abgesprochen wurde. Nagin wurde wiedergewählt, weil die lokale Wählerschaft in erster Linie die überlokalen politisch-administrativen Ebenen für das Krisenmanagement während der urbanen Katastrophe verantwort- lich machte. Darüber hinaus haben zu Nagins Wiederwahl vor allem seine soge- nannte „chocolate city speech“ und ein generelles Desinteresse und letzten Endes Misstrauen der Einwohnerschaft gegenüber Regierungsinstitutionen aller Ebenen beigetragen. Der Staat löse keine Probleme; jedes einzelne Individuum ist selbst für sein Schicksal verantwortlich, so wurde auch dementsprechend nach einer Kata- strophe an kleinteiligen individuellen Lösungen gearbeitet. Das ist eine wider- sprüchliche Haltung, denn an anderen Stellen war der Ruf nach Hilfe vom Staat laut. (Beharrlichkeit systembedingt) Insgesamt hing die Art der lokalstaatlichen Katastrophenbewältigung und des Wiederaufbaus von der Institution des Bürger- meisters ab, da das Bürgermeisteramt in der US-amerikanischen Stadtpolitik per se aufgrund einer formalen lokalen Autonomie mit vielen Machtkompetenzen ausge- stattet ist. (Beharrlichkeit systembedingt) Vergleicht man individuelle städtische Führungs- und Politikstile (hier Ray Nagin und sein Nachfolger Mitch Landrieu) sind sie im Falle von New Orleans durch unterschiedliche politische Traditionen und unterschiedliche gesellschaftliche und professionelle Hintergründe geprägt, die sich wiederum aus gesellschaftspolitischen Wurzeln heraus entwickelt haben. (Be- harrlichkeit systembedingt) Der Stadtrat wurde nicht lange nach Hurrikan Katrina neu gewählt und war zum ersten Mal seit mehr als zwei Dekaden mehrheitlich nicht mehr afroamerikanisch. (Veränderung) (C II 3.1)

Für die US-amerikanischen Stadtpolitik und Stadtentwicklung sind Koalitionen zwischen Privatwirtschaft und lokalem Staat „üblich“, um stadtpolitisch und/oder stadtentwicklungspolitisch handlungsfähig zu sein. Diese Bündnisse sind verschie- denartig lokal ausgeprägt und werden mit jeweils unterschiedlichem Fokus und auf Grundlage unterschiedlicher Kriterien mal als Urban Regime oder Urban Growth Machine bezeichnet, die meistens in einer power elite der Stadt vereint sind. So auch in New Orleans. Auch wenn in New Orleans eher weiterhin von einer small business community auszugehen ist oder auch als eine Stadt bezeichnet werden

360 kann, die keine „vital business community“ (Horne 2017) hat und eher als Nonre- gime City bezeichnet wird, gelingt es, dass Unternehmer als Privatpersonen mit ihren immanenten Geschäftsinteressen und Unternehmenszielen in politisch- administrativen Prozessen mitwirken und stadtentwicklungspolitisches Handeln mitbestimmen (vgl. BNOB Commission, vgl. Teil D) entgegen der öffentlich ge- äußerten Einschätzung einzelner Akteure aus der Privatwirtschaft (vgl. Canizaro 16.02.2017; Bollinger 14.02.2017). (Beharrlichkeit) (C II 3.2)

Weitere relevante stadtpolitische und stadtentwicklungspolitische Akteure und Institutionen sind Bund (US-Regierung) und Bundesstaat (Louisiana), vor allem bei der Katastrophenbewältigung aufgrund finanzieller Zuwendungen beim „Wie- deraufbau“ auch in New Orleans (C II 3.3 und C II 3.4). Diese staatlichen finanzi- ellen Zuwendungen in Form von Förderprogrammen mögen zwar hier und da in Bezug auf die Verteilung im Detail kritisiert werden. Die Förderprogramme zeich- nen sich aber auch durch Konstanz in Philosophie und Zielsetzung aus (beispiels- weise Paradigma Eigenheim, Paradigma technischer Hochwasserschutz, Paradigma Steueranreize für die Privatwirtschaft, Paradigma Deregulierung und Liberalisie- rung beispielsweise bei Programmregeln sogenannter Disaster-CDBG zur flexiblen Quartiers- und Nachbarschaftsrevitalisierung). (Beharrlichkeit systembedingt) (C II 3.4) Diese formalen systembedingten Rahmenbedingungen bei Katastrophenbewäl- tigung und Wiederaufbau sind informell im Falle von New Orleans von lokalen Konflikten (über Finanzen, politische Kontrolle und Unterschiede zwischen New Orleans und dem übrigen Teil des Bundesstaates) überschattet. Die Folge ist eine andauernde Spannung vor allem zwischen Bundesstaat und New Orleans aufgrund von gegenseitigem Misstrauen, was die Geschwindigkeit von Katastrophenbewäl- tigung und „Wiederaufbau“ stark beeinflusste. Dieses informelle Muster hält sich über die Katastrophensituation hinaus dementsprechend beharrlich. (vgl. Burns, Thomas 2008) (vgl. C II 3.3)

Auch zum Abschluss dieses Kapitels (C II 3) wird vor dem Hintergrund der Frage- stellung nach Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadt- entwicklung forcieren oder blockieren, noch einmal auf stadtpolitische Charakteris- tika mit Beharrungsvermögen hingewiesen. Abschließend werden Hinweise auf Bedingungen zusammengefasst, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren

361 können. Auch in diesem Kapitel sind stadtpolitische Charakteristika deutlich ge- worden, die sich beharrlich über Hurrikan Katrina hinweg hielten, teilweise sys- tembedingt sind und die bereits zum Teil in anderen Kapiteln deutlich wurden: Dazu gehören ein gewisses Desinteresse und letzten Endes Misstrauen der Ein- wohnerschaft gegenüber Regierungsinstitutionen aller Ebenen (systembedingt); ein Bürgermeisteramt, dem systembedingt Machtkompetenz obliegt; eine Amtsausfüh- rung, die durch politische Traditionen und eine unterschiedliche gesellschaftliche Herkunft geprägt ist (systembedingt); eine beharrliche power elite (systembedingt und gleichzeitig fallspezifisch hinsichtlich der Ausprägung in New Orleans) und die Mitwirkung einzelner Personen aus der Privatwirtschaft an Stadtentwicklungs- prozessen (fallspezifisch); eine überlokale finanzielle Ressourcenbereitstellung und deren Paradigmentreue (systembedingt). Außerdem halten sich Konflikte zwischen den politisch-administrativen Ebenen beharrlich, die auf gegenseitigem Misstrauen beruhen. Darüber hinaus wurde in diesem Kapitel ausschließlich eine Veränderung deutlich, die sowohl als fall- als auch als stadtspezifisch bezeichnet werden kann und die einen Hinweis auf eine Bedingung darstellt, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren könnte: Der nach Katrina neu gewählte Stadtrat war nicht mehr mehrheitlich afroamerikanisch.

C III Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit und Beharrungsvermögen vor und nach Katrina

Vor dem Hintergrund der Fragestellung nach Bedingungen, die Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren, konnten Tendenzen von Reform- fähigkeit und von Beharrlichkeit in der Stadtentwicklung von New Orleans im Kontext US-amerikanischer Stadtentwicklungspolitik (Teil C) festgestellt werden. Veränderung fand also substanziell materiell in einigen Handlungsfeldern der Stadtentwicklung statt (C III 1), in denen dementsprechend ein Prozess vorausge- gangen sein muss, in dem kollektives Vermögen den Status Quo veränderte (Re- formfähigkeit). Insgesamt wurde also substanziell-materiell Reformfähigkeit deut- lich. Strukturell-prozessuale Reformfähigkeit schien in diesem Teil der Arbeit (Teil C) nur ansatzweise durch, da auch nur ansatzweise Prozesse hinter den „Produk-

362 ten“ in der Stadtentwicklung beleuchtet wurden. Die Prozessanalyse steht aller- dings in Bezug auf die Entwicklung der Planwerke nach Hurrikan Katrina im Fo- kus (Teil D), um Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren, an diesem Beispiel aufzeigen zu können.

Nachfolgend werden zusammenfassend drei Stränge skizziert, die sich vor dem Hintergrund der Frage nach Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blo- ckieren, (im Teil C) herauskristallisiert haben: Zunächst werden handlungsbezoge- ne Hinweise auf Bedingungen aufgezeigt, die vor dem Hintergrund der Darstellung von Facetten der Stadtentwicklung (in Teil C) von New Orleans vor und nach Kat- rina tatsächlich Reformfähigkeit forcierten (C III 2). Darüber hinaus wurden hand- lungsbezogene Hinweise auf Bedingungen deutlich, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren könnten (C III 3). Kriterium dafür war der Hinweis auf Akteure, Akteurskonstellationen und ihr Handeln (wie auch bei C III 2). Inwiefern einzelne dieser Hinweise Veränderung beeinflussen und damit Reformfähigkeit tatsächlich forcieren oder blockieren, wird erst bei einer Analyse konkrete stadtentwicklungs- politischer Prozesse deutlich werden (Teil D). Somit wird an dieser Stelle aus- schließlich eine Bandbreite an Hinweisen auf Bedingungen aufgezeigt, die Re- formfähigkeit forcieren oder blockieren könnten, da sie aus der Betrachtung unter- schiedlicher Facetten von Stadtentwicklung vor und nach Hurrikan Katrina entwi- ckelt wurde. Diese Bandbreite an Hinweisen bildet einen nützlichen Rahmen für die Untersuchung der Prozesse von Planwerksentwicklungen und deren Ergebnisse (in Teil D). Darüber hinaus wurden stadtpolitische Charakteristika mit Behar- rungsvermögen (C III 4) sichtbar, die sich als handlungsbezogen oder strukturell jeweils lokal als auch überlokal herausstellten. Inwiefern auch einzelne dieser „be- harrlichen“ Charakteristika Veränderung beeinflussen und damit Reformfähigkeit bedingen, kann wiederum erst bei der Analyse von konkreten Prozessen deutlich werden (erfolgt in Teil D). Somit zeigt sich auch hier ausschließlich eine Bandbrei- te stadtpolitischer Charakteristika mit Beharrungsvermögen, die aus der Betrach- tung unterschiedlicher Facetten von Stadtentwicklung vor und nach Hurrikan Kat- rina resultiert. Diese Charakteristika könnten im Zusammenhang mit Reformfähig- keit stehen, müssen aber nicht, was eine Analyse konkreter Prozesse zeigen wird.

363

C III.1 Beharrungsvermögen und Veränderung von Tendenzen und Handlungsfeldern der Stadtentwicklung vor und nach Katrina

Folgende Tendenzen und Handlungsfelder der Stadtentwicklung vor und nach Kat- rina (Teil C) zeigen aus der Retrospektive ein gewisses Beharrungsvermögen sub- stanziell-materieller Art auf. Das kann sich auf Leitbilder, Ziele, Instrumente, Pro- gramme oder Projekten mit einem räumlichen Muster als Ergebnis beziehen: Für die Zeit vor Katrina war die Vernachlässigung public housing, Leerstand und Ver- fall von Wohnraum und Immobilien und der Verfall der technischen und sozialen Infrastruktur beharrlich. In der Zeit nach Katrina war zu erkennen, dass sich der wachstumspolitische Ansatz der Zentrumsrevitalisierung, der Großprojekte, Große- reignisse und des Tourismus aus der Zeit vor Katrina fortgesetzt hat (Leitbilder, Ziele). Auch wird nach Katrina weiterhin auf einen konventionellen Hochwasser- schutz gesetzt und auf die Förderung des individuellen Eigentums und das Einfa- milienhaus überall im Stadtraum, so dass sich nach Katrina die Reproduktion des gesamtstädtischen Wohnraum- und Nachbarschaftsmusters andeutet und durchsetzt (Leitbilder, Programme). Auch nach Katrina wird weiterhin die Beseitigung von städtischem Leerstand und Verfall durch stadtpolitische Maßnahmen aus der Zeit vor Katrina verfolgt (Instrumente).

Reformfähigkeit – im Sinne eines kollektiven Vermögens, den Status Quo zu ver- ändern – bewiesen folgende Tendenzen und Handlungsfelder der Stadtentwicklung substanziell-materiell Art vor und nach Katrina in der Rückschau: Zum einen wur- de nach Katrina das sogenannte mixed-income housing beschleunigt und schnell durchgesetzt, ein Beispiel katalytischer Durchsetzung par excellence (C I 3, C II 2). Der Prozess begann vor Katrina in New Orleans und wurde nach Katrina poli- tisch legitimiert durch die Zerstörung vermeintlich aller großen Komplexe sozialen Wohnungsbaus durch die Katastrophe nach Katrina (Leitbild, Ziel, Programm). Neu entwickelt wurden Ansätze eines alternativen Hochwasserschutzes mit einem Urban Water Plan für New Orleans und die Region (Leitbild, Ziel, Instrument) und stadträumlich punktuelle Projekte des affordable green housing (Leitbild, Ziel, Projekt) (C II 2).

364

Vor dem Hintergrund dieser Beispiele substanziell-materieller Art mit Beharrungsvermögen und Beispielen, die Reformfähigkeit attestieren, werden nachfolgend Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren (C III 2), Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren könnten (C III 3) und stadtpolitische Charakteristika mit Beharrungsvermögen (C III 4) aufgezeigt, die aus der Betrachtung von Facetten der Stadtentwicklung von New Orleans in dieser Arbeit abgeleitet wurden.

C III.2 Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren könnten

Die Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren könnten, werden hier auf drei Ebenen verortet: handlungsbezogene Hinweise auf Akteure und ihre Konstellationen (1), Ergebnisse ihres Handelns (2) und handlungsbezogene Fähig- keiten (3). In Bezug auf Hinweise auf Akteure und ihre Konstellationen (1) wurde die Kooperation zwischen den staatlichen Ebenen deutlich (Bundesregierung und Stadt) und zwischen Staat (Stadt New Orleans) und Markt (Entwickler) auch schon vor Katrina (C I 3) und die zivilgesellschaftliche Einflussnahme, unter anderem durch die Artikulation philanthropischer Interessen, die dadurch Neuentwicklungen forcierten (C II 2). Durch überlokale personelle Neubesetzungen von lokalen Äm- tern und Behörden nach Katrina (C I 3) und durch „reformieren“ lokaler Akteure wurde Reformfähigkeit forciert. Die politökonomische Strömung zeigte im Allge- meinen, dass als ein zentrales Ergebnis (2) von Akteurshandeln Handlungs- und Funktionsfähigkeit empirisch hergestellt werden kann. Dafür werden Ressourcen gekoppelt und die zur Verfügung stehenden Ressourcen effektiv verwendet sowie eine gemeinsame Zielvorstellung und stabile Koalitionen entwickelt (C I 2). Für den Fall New Orleans zeigte sich zunächst einmal, dass ein weiteres Ergebnis die- ses Akteurshandelns der überlokale Ressourceneinsatz (C II 2) nach Katrina ist. Als handlungsbezogene Fähigkeiten (3), die Reformfähigkeit forcieren, können ein gemeinschaftliches Vorgehen über die Grenzen von Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft hinweg (C II 2) und ein überlokaler politisch-administrativer „Wille“ (C II 2) interpretiert werden.

365

C III.3 Hinweise auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren könnten

Auch die nähere Betrachtung von Hinweisen auf Bedingungen, die Reformfähig- keit forcieren oder blockieren könnten, zeigt sich (in Teil C) auf drei Ebenen (handlungsbezogene Hinweise auf Akteure und ihre Konstellationen (1), Ergebnis- se ihres Handelns (2) und einen strukturellen Rahmen der Stadtentwicklung (3), der in diesem Fall ausschließlich ortspezifisch ist (im Gegensatz zur überlokalen Gültigkeit). Auf der Ebene der Akteure und ihrer Konstellationen (1) wurde in erster Linie die Zusammenarbeit von Staat (städtische Behörden) und Zivilgesell- schaft (zivilgesellschaftlichen Organisationen) vor Katrina (C I 3) deutlich sowie lokalpolitische Arrangements zwischen lokalem Staat und Bundesstaat. In Bezug auf Ergebnisse von Akteurshandeln wurden innerstädtische Entwicklungen deut- lich, die durch lokalpolitische Arrangements vor Katrina forciert wurden (C I 3). Lokalpolitische Arrangements bewirkten beispielsweise, dass „Planung“ vor Katri- na im Prinzip wirkungslos war (C I 3). Als strukturell ortsspezifischer Rahmen der Stadtentwicklung, der Reformfähigkeit forcieren oder blockieren könnte, kann vor Katrina eine schwache Lokalregierung (C I 2), eine parteipolitische Färbung der Stadtregierung und Stadtgesellschaft (Demokratenhochburg im republikanischen Süden) (C I 2), eine Disfunktionalität stadtpolitischer Handlungsfelder (C I 2, 3), Misswirtschaft und Korruption (C I 2, 3) und Desinvestitionen in stadtpolitischen Handlungsfeldern (C I 3) interpretiert werden. Nach Katrina können demographi- sche „Verschiebungen“ (C II 2) und ein neu gewählter Stadtrat, der nicht mehr mehrheitlich afroamerikanisch ist (C II 3), als Hinweise auf Bedingungen in Be- tracht gezogen werden, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren könnten.

C III.4 Stadtpolitische Charakteristika mit Beharrungsvermögen

Im Falle von New Orleans weisen folgende stadtpolitische Charakteristika der Zeit vor Hurrikan Katrina ein Beharrungsvermögen auf, die auch nach Katrina die Stadtpolitik beeinflussten und könnten sich somit auch auf die Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung auswirken. Sie werden in dieser Arbeit ebenfalls als eine

366

Bandbreite von Bedingungen interpretiert, die die Planwerksentwicklungen nach Katrina und damit auch Reformfähigkeit beeinflussen könnten.

Diese Charakteristika sind entweder handlungsbezogen (1) (ortsspezifisch oder überlokal gültig) oder bilden einen strukturellen Kontext der Stadtentwicklung (2): Zu den handlungsbezogenen ortsspezifischen Charakteristika gehören lokalpoliti- sche Arrangements (C I 1) und eine Koalitionsbildung zwischen lokalem Staat und Privatwirtschaft (C II 2); stadtpolitisch überlokales Misstrauen (C I 2), parteipoliti- sche Dissonanzen (C I 2) unter anderem zwischen Bundesstaat und Bund (C II 2), die Mitwirkung des Bundesstaates (Gouverneur/in) in der Stadtentwicklungspolitik (C I 3, C II 2), eine eingeschränkte lokale Regierungs- und Handlungsfähigkeit (C II 2), ein Mangel an stabilen Koalitionen und Vertrauen unter Regierungsvertretern aller Ebenen (C II 1), überlokale finanzielle Ressourcen des Bundes (C II 2), eine Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Akteure (C II 2) und eine beharrliche power elite (systembedingt und gleichzeitig fallspezifisch hinsichtlich der Ausprägung in New Orleans) (C II 3). Zudem haben sich überlokal gültige handlungsbezogene stadtpolitische Charakteristika mit Beharrungsvermögen der Stadtentwicklung von New Orleans gezeigt: Dazu gehören auf politischer Ebene eine verstärkte Dezent- ralisierungspolitik des Bundes und damit auch eine ablehnende Haltung des Bun- des gegenüber New Orleans aufgrund gesellschaftskultureller Züge (laissez faire und Korruption) und parteipolitischer Dissonanzen (C I 1), ein politisch überloka- les Desinteresse an „Stadt“ (C I 2), eine permanente Förderpolitik des Bundes (C II 2), ein lokal und überlokal proklamierter Wiederaufbau (C II 2), ein Bürgermeis- teramt, das mit viel „Macht“ ausgestattet ist und eine Amtsausführung des Bürger- meisters, die durch politische Traditionen und gesellschaftliche Herkunft stark geprägt ist (C II 3). Auf zivilgesellschaftlicher Ebene zeigte sich eine Einflussnah- me von Paradigmen fachpolitischer Organisationen (C I 3, C II 2) beharrlich, die sogenannte „American self-help ideology“ (Nossiter 25.09.2008) (C II 2) sowie ein Desinteresse und Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Regierungsinstitutionen aller Ebenen (C II 3).

Ein struktureller Kontext der Stadtentwicklung (2) von New Orleans, der ebenfalls Ergebnis von beharrlichem Akteurshandeln im weitesten Sinne ist, ist auf politi- scher Ebene zu erkennen (willkürliche und übermäßig politisch besetzte Planungs-

367 prozesse und -verfahren vor Katrina (C I 3), föderalistische Strukturen, die auch überlokal gültig sind (C I 2), eine instabile Infrastruktur (C II 2) ein Mangel von angemessenen formalen öffentlichen Beteiligungsformen vor Katrina (C I 3)), auf sozialer Ebene (sozialräumliche Struktur (C I 1), Rassismus, Arbeitslosigkeit und Armut (C II 2), ein diskriminierendes soziales System (C I 2)), auf kultureller Ebe- ne (eine „einzigartige“ Kultur (C I 2), eine laissez faire-Mentalität und korrupte Tendenzen (C I 1), eine culture of disengagement vor Katrina (C I 3)) und auf wirt- schaftlicher Ebene (ein ökonomischer Imperativ (C I 1) und eine stagnierende Wirtschaftsentwicklung (C II 2)).

C III.5 Ableitung von Hypothesen zur Weiterarbeit

Aus diesen Erkenntnissen leitet sich für diese Arbeit folgende Hypothese ab, die die Grundlage der Untersuchung der Prozesse zu den Planwerksentwicklungen nach Hurrikan Katrina bildet: Aufbauend auf die forschungsleitende These von Teil B (längerfristige Katastrophenbewältigung kann Gelegenheit für Veränderung sein, deren Bedingungen im Politikfeld der Stadtentwicklung eine black box dar- stellt), folgen Annahmen, die vor dem Hintergrund der Stadtentwicklungspolitik vor und nach Katrina in New Orleans im weiteren Verlauf der Arbeit (Teil D) for- schungsleitend sind:

Grundsätzlich wird angenommen, dass eine Katastrophe im urbanen Kontext infol- ge eines Naturereignisses Veränderung im Politikfeld der Stadtentwicklung in US- amerikanischen Städten nach sich zieht und damit Reformfähigkeit ex post auf- zeigt: Anzeichen substanziell-materieller und strukturell-prozessualer Veränderung werden in Handlungsfeldern der Stadtentwicklungspolitik sichtbar, die lokale Re- formfähigkeit auf zweierlei Wegen widerspiegeln: Zum einen werden Produkte und Prozesse (von Leitbildern, Zielen, Instrumenten und Verfahrensweisen, Pro- grammen oder Projekten) weiter oder gänzlich neu entwickelt. Zum anderen zeigt sich Reformfähigkeit, wenn nach einer Katastrophe vormals angedachte Prozesse und Produkte (von Leitbildern, Zielen, Instrumenten und Verfahrensweisen, Pro- grammen oder Projekten) im Rahmen stadtentwicklungspolitischer Handlungsfel- der beschleunigt und schnell durchgesetzt werden. (Die Katalysatorthese meint die

368

Beschleunigung von stadtentwicklungspolitischen Produkten und Prozessen.) Fol- gende Feststellung liegt also der weiteren Arbeit (Teil D) zu Grunde: Die Katastro- phensituation kann zum Gelegenheitsfenster werden, das erstens als Katalysator zu Veränderung führt oder das zweitens Neu- und Weiterentwicklungen und damit längerfristig ebenfalls Veränderung vorantreibt in Bezug auf Leitbilder, Ziele, In- strumente und Verfahrensweise, Programme oder Projekte. Denn „Disasters as catastrophic and as awful as they are create moments of great opportunity.“ (Perry 15.02.2017)

Abbildung 51: Black Box von Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren und blockieren, in Bezug auf das Politikfeld der Stadtentwicklung (eigene Darstellung).

Als black box erweist sich allerdings die Gelegenheitsstruktur, die zu Veränderung nach einer urbanen Katastrophe führt. Damit sind Bedingungen gemeint, die lokale Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung forcieren und blockieren. Aus der Vielzahl unbestimmter Hinweise auf Bedingungen aus den theoretischen Zu- gängen (Teil B)166 und vor dem Hintergrund der Stadtentwicklungspolitik von New Orleans vor und nach Hurrikan Katrina (Teil C), werden nachfolgend Hinweise auf Bedingungen von Reformfähigkeit auf unterschiedlichen Ebenen herausgefiltert, die im Kontext des Politikfeldes der Stadtentwicklung fruchtbar erscheinen: Auf einer ersten Ebene werden Hinweise auf Akteure und ihre Koalitionen deutlich. So

166 Die Vielzahl unbestimmter Hinweise auf Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren können (Teil B), stellt eine methodische Schwierig- keit der Arbeit dar.

369 wird zunächst die vermutet, dass eine überlokale Mitwirkung in besonderer Weise zu Katastrophenbewältigung und zu lokaler Reformfähigkeit beiträgt und sich Koa- litionen von lokalen und überlokalen Akteuren bilden (erste Bedingung): In der Stadtentwicklungspolitik wirken infolge eines Naturereignisses, das eine Katastro- phe nach sich zieht, überlokale Akteure aus den Sphären Staat, Markt und Zivilge- sellschaft mit, die (in den meisten Fällen) mit lokalen Akteuren dieser Sphären Koalitionen bilden und erst so „Veränderung“ vorantreiben. Diese Kooperationen finden in erster Linie zwischen staatlichen Akteuren von Bund, Bundesstaat und/oder Stadt, zwischen Staat (Stadt) und Markt (Entwickler) oder zwischen Staat (Stadt) und Zivilgesellschaft (Stiftungen, Philanthropen) statt und weniger zwi- schen allen drei Sphären beziehungsweise zwischen Zivilgesellschaft und Markt (1). Auf einer zweiten Ebene entsteht als handlungsbezogenes Ergebnis Hand- lungsfähigkeit, die aufbauend auf stabilen Koalitionen zwischen Staat, Markt und/oder Zivilgesellschaft durch den Einsatz und die Kopplung von Ressourcen (zweite Bedingung), eine effektive Ressourcenverwendung und einer gemeinsamen Zielvorstellung zustande kommt. Denn vor allem nach einer urbanen Katastrophe bringen diese überlokalen Akteure organisieren Ressourcen oder bringen Ressour- cen mit und setzen sie ein (Entscheidungsbefugnisse (Letztentscheidungskompe- tenz) und Fähigkeiten (Durchsetzungs-, Kompromissfähigkeit), Fachwissen, finan- zielle Mittel (Stiftungs- oder Fördergelder), um Produkte und Prozesse voranzu- treiben, so dass Ergebnisse ihres Handelns sichtbar werden (2). Auf einer dritten Ebene bedingen handlungsbezogene Fähigkeiten Reformfähigkeit wie ein gemein- schaftliches Vorgehen über die Grenzen von ZG, Politik und Privatwirtschaft hin- weg (dritte Bedingung) und ein lokaler und überlokaler politisch-administrativer „Wille“ (vierte Bedingung) (3). Darüber hinaus wird angenommen, dass neben den Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren, im Rahmen eines strukturellen loka- len und überlokalen Kontextes stadtpolitische Charakteristika (die im Grunde auch auf Akteurshandeln basieren) aufgrund ihres Beharrungsvermögens das Erreichen von Reformfähigkeit eher erschweren und hemmen statt forcieren (4).

Die Betrachtung der Facetten von Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik vor und nach Katrina in New Orleans (Teil C) machte darüber hinaus deutlich, dass vor allem in der Folgezeit von Hurrikan Katrina der „große Pfad“ der Stadtent- wicklungspolitik nicht verlassen wurde: „Städtisches Wachstum“ soll vor dem

370

Hintergrund des globalen Städtewettbewerbs generiert werden und der ökonomi- sche Imperativ bestimmt die Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik. Auch wurden stadtentwicklungspolitisch bedeutsame Themen wie „Eigentum“ und „Be- sitz“ trotz der städtischen und stadträumlichen „Verletzlichkeit“ von New Orleans, stadtentwicklungspolitisch nicht angetastet. Diese Verletzlichkeit wurde historisch heraufbeschworen, wurde durch die Folgen von Hurrikan Katrina offengelegt und ist politisch und gesamtgesellschaftlich (wieder) ins Bewusstsein gerückt. Und dennoch: In einigen Handlungsfeldern wurde lokale Reformfähigkeit deutlich, woran in erster Linie überlokale Akteure aus Staat, Markt und Zivilgesellschaft in unterschiedlichen Rollen mitgewirkt haben, obgleich sie nicht immer Initiatoren dieser Prozesse waren. („Klima von Reformfähigkeit“, vgl. Zwischenfazit C II 2.3) Vor diesem Hintergrund stellen die Prozesse zur Entwicklung eines Planwerks zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung in New Orleans ausschließlich eine Facette von Stadtentwicklungspolitik dar, die aus planerischer Sicht als grundlegend – nicht nur nach einem Katastrophenereignis – interpretiert wird. Die Prozesse der Planwerkserarbeitungen betten sich demnach in die längerfristige stadtentwick- lungspolitische Bewältigung der Katastrophe ein, an der eine Vielzahl von Akteu- ren, Institutionen und Organisationen mitgewirkt haben. Die Prozesse der Plan- werkserarbeitungen spiegeln somit inhaltliche planerische Handlungsfelder mit stadtentwicklungspolitischer Relevanz in gewisser Form wider, die nach Katrina öffentlich und medial diskutiert wurden.

371

Teil D New Orleans’ Pop Up-Planning nach Hurrikan Katrina: Strategische Planwerke als ein Zeugnis lokaler Reformfähigkeit

Für das Politikfeld der Stadtentwicklung wird vor dem Hintergrund theorie- (Teil B) und fallbezogener Betrachtungen der Stadtentwicklung von New Orleans vor und nach Hurrikan Katrina (Teil C) deutlich, dass eine urbane Katastrophensituati- on zum Gelegenheitsfenster werden kann: Es kann als Katalysator zu Veränderung führen oder es kann Neu- und Weiterentwicklungen hervorbringen und damit län- gerfristig ebenfalls Veränderung vorantreiben in Bezug auf Leitbilder, Ziele, In- strumente und Verfahrensweise, Programme oder Projekte. Die Bedingungen, die in diesem Zusammenhang lokale substanziell-materielle und strukturell- prozessuale Reformfähigkeit forcieren oder blockieren, stellen allerdings für das Poltikfeld der Stadtentwicklung im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbe- wältigung eine black box dar, wenngleich sich vier Bedingungen vor dem Hinter- grund der vorangegangen Betrachtungen (Teil B und Teil C) für das Politikfeld der Stadtentwicklung als relevant andeuten: Zu den Bedingungen, die eine substanzi- ell-materielle und strukturell-prozessuale Reformfähigkeit im Rahmen einer län- gerfristigen Katastrophenbewältigung forcieren, gehören die (Art der) Mitwirkung überlokaler Akteure auf lokaler Ebene (Koalitionen) und ihrer Ressourcen sowie die Fähigkeit beteiligter Akteure, gemeinschaftlich vorzugehen. Lokale Reformfä- higkeit ist vor diesem Hintergrund auch vom Beharrungsvermögen des strukturel- len überlokalen und lokalen Kontextes abhängig; stadtpolitische strukturelle Cha- rakteristika können Reformfähigkeit hemmen oder erschweren. (vgl. Abb. 52)

Nach Hurrikan Katrina waren Ausmaß und Komplexität der planerischen Heraus- forderungen in New Orleans zum Zeitpunkt, an dem die Folgen des Sturms im Stadtraum sichtbar wurden, beispiellos. (Collins 2011: 169) (vgl. C II 1) Auf loka- ler Ebene wurden aufgrund dessen in der unmittelbaren und mittelbaren Folgezeit von Hurrikan Katrina unterschiedliche Akteure aktiv und initiierten die Erarbeitung drei unterschiedlicher Planwerke zum Wiederaufbau, eines Planwerks, das daraus operationalisiert wurde, und eines Masterplans zur Neuentwicklung der Stadt.

372

Während beispielsweise der erste Planungsprozess (der Bring New Orleans Back Commission BNOBC) noch stattfand, initiierte der Stadtrat von New Orleans einen eigenen Nachbarschaftsplanungsprozess. Unstimmigkeiten zwischen dem damali- gen Bürgermeister und dem Stadtrat, der eigene Planer beauftragt hatte, trugen dazu bei (Powell 2007). Dieses Vorgehen hat vor allem in den ersten zwei Jahren nach Hurrikan Katrina zu einem verwirrenden, nicht linearen Prozess von konkur- rierenden Plänen beigetragen (Collins 2011: 162) und die sogenannte Wiederauf- bauplanung wird retrospektiv als ein Durcheinander beschrieben (vgl. u.a. Ols- hansky, Johnson 2010).167 In der Rückschau war die Planung zum Wiederaufbau der Stadt insgesamt gekennzeichnet durch inter- und innerbehördliche Spaltungen. Eine Kluft zwischen den Rassen in New Orleans wurde offensichtlich. (Burns, Thomas 2015: Pos. 630) Chaos und Verwirrung, die daraus resultierten, prägten das Handlungsfeld gesamtstädtischer strategischer Planung in der ersten Zeit nach Hurrikan Katrina.

Vor diesem Hintergrund kann dennoch retrospektiv von lokaler Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung am Beispiel der Entwicklung gesamtstädtischer strategischer Planwerke nach Katrina gesprochen werden. Denn offensichtlich stört ein „chaoti- sches Klima“ Reformfähigkeit nicht, denn eine Veränderung trat mindestens ein: Die Stadt New Orleans hat seit 2012 einen Masterplan mit Gesetzeskraft, der zur Vorlage für die Umsetzung von stadtweiten Strategien erklärt wurde und dem au- genscheinlich ein Prozess vorausgegangen sein muss, der von Reformfähigkeit geprägt war (Phänomen). Inwiefern kann lokale Reformfähigkeit am Beispiel des Entwicklungsprozesses der Planwerke festgestellt werden und wie kam es stadt- entwicklungspolitisch dazu? Somit wird gefragt, welche Bedingungen Reformfä- higkeit in der Stadtentwicklung am Beispiel der Entwicklung gesamtstädtischer strategischer Planwerke nach Katrina forcieren oder auch blockieren – trotz oder gerade aufgrund von Chaos und Durcheinander. Welche Reichweite von Reform- fähigkeit ist durch die Planwerke und deren Erarbeitung an sich zu erkennen (Teil D) und welche Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit stellen sich heraus, die möglicherweise als systembedingt bezeichnet werden können (Teil E)?

167 Olshansky and Johnson (2010) betiteln gar ihre Veröffentlichung mit „Clear as Mud. Planning for the Rebuilding New Orleans“.

373

Abbildung 52: Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit: Phänomen und Hypothesen (eige- ne Darstellung).

Vor dem Hintergrund einer planerischen Neubewertung strategischer Planung168 seit der Jahrtausendwende in Deutschland (Wiechmann 2008; Hamedinger et al. 2008), wird gesamtstädtischen Planwerken nachgesagt, dass sie von bedeutender Relevanz für die Stadtentwicklungspolitik seien, da sie einen strategischen Rahmen für die Richtung der städtischen und stadträumlichen Entwicklung schaffen würden (Leitfunktion). Diese Funktion erfüllt die ebenfalls populäre projektorientierte Pla- nung nicht. Denn erst stadtweite strategische Planwerke haben das Potential, pro-

168 Da „strategische Planung“ als ein informelles Planungsinstrument bezeichnet werden kann und dies einem eher „weichen“ planungstheoretischen und planungspraktischen Ansatz entspricht, kursie- ren unterschiedliche Bezeichnungen für diesen Ansatz. Grundlegende inhaltliche Unterscheidungen bei den Termini strategische Planung, strategieorientierte Planung, gesamtstädtischer Plan, gesamt- städtisches Planwerk oder Masterplan sind nach Durchsicht der Literatur nicht auszumachen. In der Praxis mögen sich allerdings entwickelte Planwerke in vielerlei Hinsicht unterscheiden (Maßstab, Konkretisierungsgrad von Leitbild, Strategien, und Maßnahmen, Prozess etc.) aufgrund des informel- len Charakters des planerischen Steuerungsansatzes.

374 jektorientierte Einzelplanungen strategisch aufeinander auszurichten, akteurskons- tellationsbedingte Synergien zu erzeugen und so einen Mehrwert für die gesamt- städtische Stadtentwicklung schaffen, welcher dann möglicherweise zu substanzi- ell-materieller oder strukturell-prozessualer Veränderung führt.

Da strategische Planwerke den empirischen Gegenstand darstellen, wird einführend auf den Ansatz und die Bedeutung von strategischer Planung eingegangen und kurz dargelegt, wie der Planungsansatz der strategischen Planung aufgekommen ist, welche Bedeutung strategischer Planung zugeschrieben wird und welche Rolle von dieser Art stadtentwicklungspolitischer Planung für die Situation nach urbanen Katastrophen zunächst grundsätzlich abgeleitet werden kann. Anschließend wird in die Einzelfallstudie der Arbeit Prozess der Entwicklung von Planwerken zum Wie- deraufbau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans eingeführt. Abschlie- ßend wird noch einmal auf den Untersuchungsrahmen verwiesen, bevor der Ein- stieg in die Untersuchung erfolgt (D I bis D VI), die mit einem zusammenfassen- den Rückblick auf Teil D endet (D VII).

Bedeutung strategischer Planung

Strategische Planung wird als Antwort auf die Defizite inkrementeller Planung durch Projekte verstanden: In den 1980er und 1990er Jahren war projektorientiertes Vorgehen in der Planung en vogue (Turn to Projects). Kennzeichen dieser Art von Planung waren inkrementelle und fragmentierte Ansätze in der lokalen und regio- nalen Planungspraxis. Da aber Defizite inkrementeller Planung durch Projekte und durch Fachplanungen durch unkoordiniertes Handeln offenkundig wurden, wurde planvolles, integratives Vorgehens wieder notwendig. (Wiechmann 2008: 267)169 Beispielsweise wies die Europäische Kommission (2004) in ihrem Dritten Bericht zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in Europa auf „soziale, ökonomi- sche und räumliche Fragmentierungsprozesse“ hin und dem „Weiterbestehen und die teilweise Zunahme von räumlichen Disparitäten (national, inter- und intraregi-

169 Zur Vertiefung der Entstehungsgeschichte strategischer Planung, der deutschen Rezeption der Debatte, der konzeptionellen Grundlagen strategischer Planung, der Anwendungsbeispiele und zur Bewertung strategischer Pläne (Wiechmann 2008: 266–267).

375 onal, aber auch innerhalb von Städten).“ (Hamedinger et al. 2008: 15) Gleicherma- ßen wurde aber auch deutlich, dass „Planung mit flächendeckendem Anspruch und hierarchischem Aufbau sowie in aufeinanderfolgenden chronologischen Schritten den aktuellen Handlungserfordernissen und Rahmenbedingungen nicht gerecht werden“ kann (Pahl-Weber, Henckel 2008: 257). Eine Debatte über eine „Renais- sance“ strategischer Planung in Europa (Salet, Faludi 2000; Albrechts et al. 2003; Hutter 2006; Wiechmann 2008) wurde ausgelöst und ein „Turn to Strategy“ (Healey 2007: 183) war zu beobachten. In Europa (z.B. in London, Wien, Barcelona, Zürich und Berlin) sind „strategische Konzepte zur gesamtstädtischen Entwicklung erarbeitet worden, die wie eine Neuauflage ambitionierter Stadtent- wicklungspläne aus früheren Tagen wirken, jedoch um Nachhaltigkeitsforderungen und zivilgesellschaftliche Elemente ergänzt wurden.“ (Hamedinger et al. 2008: 9) „Leistungsfähige Strategien“ sollen zu einer „effektiveren Planungspraxis führen“ (Wiechmann 2008: 265).

Rahmenbedingungen und Entstehung in den USA, Europa und Deutschland: Stra- tegische Planung hat durch den „ökonomischen und gesellschaftlichen Struktur- wandel“ (Pahl-Weber, Henckel 2008: 257), dem Städte seit den 1970er Jahren, spätestens aber seit den 1990er Jahren ausgesetzt sind (Hamedinger et al. 2008: 16), an Bedeutung in der Planungspraxis gewonnen. Die strategische Planung hat sich aus dem strategischen Management der Wirtschaftswissenschaften seit den 1950er Jahren entwickelt. Denn die öffentliche Hand steht seit den 1990er Jahren aufgrund von veränderten wirtschaftlichen Parametern in Folge von Globalisie- rungstendenzen unter Druck, die Wettbewerbsfähigkeit von Städten und Regionen zu steigern, so dass auf „Methoden der Unternehmenssteuerung“ zurückgegriffen wurde. Die strategische Dimension in der Planung müsse wiedergewonnen werden und das Planungssystem sollte sich stärker an seiner Entwicklungsfunktion orien- tieren. Neue integrative Strategien sollten entwickelt werden, die gezielt in Zu- sammenarbeit mit Akteuren aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft entwickelt werden und diese auch ansprechen. (Wiechmann 2008: 268) Ursprünglich aus dem Unter- nehmensbereich kommend, wurde strategische Planung im öffentlichen Sektor ab den 1980er Jahren angewendet. Die ersten Strategiepläne in der kommunalen Pra- xis wurden in Dallas (1992) und San Francisco (1983) gemacht. Nach Wiechmann wurde strategische Planung im öffentlichen Sektor in den USA populär, als diese

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Kritik im privaten Sektor erfuhr.170 (Wiechmann 2008: 266) In Europa wurde stra- tegische Planung für Städte und Regionen etwa zehn Jahre später (seit den 1990er Jahren) diskutiert. In Europa gilt „strategische Planung als integrative und entwick- lungsorientierte Form der Planung“ und in den USA „als planungsbasierte Form der Strategieentwicklung“. (Wiechmann 2008: 267) Bis zur Jahrtausendwende wurden in Deutschland die Inhalte strategischer Planung als integrierte Entwick- lungsplanung, Leitbildentwicklung, Regionalmanagement oder regionale Entwick- lungskonzepte bezeichnet, bevor auch der Terminus strategische Planung in Deutschland Einzug hielt. (Wiechmann 2008: 268; Hamedinger et al. 2008: 9)

Planungsansatz von strategischer Planung: Strategische Planung stellt einen me- thodischen Ansatz dar, bei dem „Planungsziele in Maßnahmebündel und Realisie- rungsschritte umgesetzt werden, die auf unterschiedlichen Planungsebenen ange- siedelt sind und die verschiedene Zeithorizonte umfassen können.“ (Pahl-Weber, Henckel 2008: 257) Strategische Ziele zur räumlichen Steuerung werden in Koope- rations- und Kommunikationsprozessen (Hamedinger et al. 2008: 26) von Akteuren der Sphären Staat, Markt und Zivilgesellschaft entwickelt. Strategische Planung soll sowohl sektoralen Planungen als auch einzelnen Projekten einen integrativen Rahmen geben und so Synergien herstellen. (Wiechmann 2008: 266–267) Strate- gien liefern vereinfachende Konzepte, zeigen Prioritäten auf und begründen diese. Sie liefern Bezugspunkte für eine Orientierung vor dem Hintergrund einer komple- xen Umwelt. Dementsprechend reduzieren gute Strategiepläne Komplexität und fördern konsistentes Handeln. Von ihrem Abstraktionsgrad ist abhängig inwiefern sich Strategien in Leitbildern171 und Visionen, in übergeordneten Zielkategorien,

170 In den USA ist generell ein eher unternehmerisches Denken in Städten und Regionen vorherr- schend, was einen wettbewerbsorientierten Ansatz öffentlichen Handelns nach sich zieht. Angelehnt an „das ‚Corporate Planning’ wird strategische Planung als disziplinierte Anstrengung zur Herbeifüh- rung fundamentaler Entscheidungen verstanden“ (Olsen, Eadie 1982; Bryson 2004 zit. in Wiechmann 2008: 266). Selten wird in den USA das Übertragen privatwirtschaftlicher Steuerungsansätze auf die Politik und Handlungsfelder der öffentlichen Hand kritisch gesehen. „Strategische Planung wird als praktikables Set von Standards für die erfolgreiche Steuerung von privatwirtschaftlichen, gemeinnüt- zigen und öffentlichen Organisationen und die Anpassung der eigenen Maßnahmen an ein komplexe und dynamische Umwelt betrachtet.“ (Wiechmann 2008: 266) 171 In dieser Arbeit wird der Leitbildbegriff von Kuder (2001) genutzt, der im Rahmen einer pla- nungswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte von Leitbildern entstan- den ist: „Zusammengefaßt kann ein Leitbild beschrieben werden als eine in diskursivem Prozeß ent- wickelte, einen Konsens über Wertmaßstäbe voraussetzende, anschauliche Konkretion einer komple-

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Programmen und Plänen, oder in konkreten Projekten und einzelnen Handlungen widerspiegeln. (Wiechmann 2008: 268) Unter einem Leitmotiv oder -bild können Reformprojekte oder -segmente entwickelt werden (Blöcker et al. 1997: 14). Das Aufkeimen neuer Leitbilder kann zu Reformen und Reformfähigkeit führen. Leit- bilder, „die für den gesamtgesellschaftlichen Wandel wirksam werden“, können allerdings nur entwickelt werden, wenn verschiedene Akteure mit ihren Interessen- strukturen, Werten und Handlungsorientierungen in diesem Prozess mitarbeiten. (Blöcker et al. 1997: 24) Insofern versteht sich strategische Planung, in der Leitbil- der eine bedeutende Rolle spielen, nicht als „formalisiertes Verfahren“, sondern als sozialer Prozess (Wiechmann 2008: 267), in dem wie in den USA Ansätze „kom- munikativer Planung“ angewandt werden (Wiechmann 2008: 266–267). Das linea- re und das adaptive Strategiemodell stehen sich in der Organisations- und Ma- nagementtheorie diametral gegenüber und entsprechen in der Planungsdiskussion im Wesentlichen der „Unterscheidung zwischen dem entscheidungslogischen Kon- zept und dem inkremental-pragmatischen Konzept“.172

Bedeutung strategischer Planung: Strategischer Planung wird eine „übergreifende Leitfunktion“ zugesprochen (Pahl-Weber, Henckel 2008: 257). Auch wird sie als eine „große bildhafte Vision des Ganzen“ mit konkreten Umsetzungsschritten ver- standen (Hamedinger et al. 2008: 25–26; vgl. Fassbinder 1993). Noch heute gilt Planung, auch räumliche Planung, in den westlichen Industrienationen „als eine leistungsfähige Art, strategische Entscheidungen vorzubereiten und so in rationaler Weise Einfluss auf die politische Steuerung der Gesellschaft zu nehmen (Wiech- mann 2008: 273) In den 1950er und 1960er Jahren war es Ziel von Planung, ratio- nale Entscheidungen zu treffen vor dem Hintergrund eines Steuerungsverständnis- ses, das ein Gottvater-Modell darstellt (Siebel 1989: 91–92 zit. in Hamedinger et al. 2008: 20). In den 1980er und 1990er Jahren erhielt Planung einen eher kommu- xen und idealtypischen (möglicherweise konkret utopischen) Zielvorstellung, die der Orientierung und Steuerung, der Motivierung, Kommunikation und Kooperation, der Konkretisierung von Zielvor- stellungen und der Entscheidung inhaltlicher und prozessualer Aufgaben im Zusammenhang mit Fragen einer gewünschten zukünftigen Entwicklung dient.“ (Kuder 2001: 57) 172 Zur Unterscheidung beider Konzepte siehe Wiechmann ((Wiechmann 2008: 268 /yearonly)) „Die positivistische Tradition des linearen Strategiemodells versteht Strategieentwicklung als einen ratio- nalen, analysebasierten Planungsprozess, der Top-down gesteuert wird. Die Kritik an derartigen Ansätzen baut hingegen auf der tatsächlich beobachteten Emergenz von Strategien auf und betont die begrenzte Rationalität einer Vielzahl oft spontan handelnder Akteure.“ (Wiechmann 2008: 268)

378 nikativen Charakter. Technische Rationalität trat in den Hintergrund und „Planung als kommunikative Handlung und Lerninstrument“ mit politischer Logik soll hand- lungsfähig machen und Innovationen inszenieren. (Wiechmann 2008: 273–275) Die Planinhalte können letztlich von den Handlungen abweichen, denn Akteure korrigieren und hinterfragen in der Regel im Lauf eines Planungsprozesses ihre Ziele und Maßnahmen, was Ausdruck eines Lernprozesses sein kann. Wenn The- men öffentlich vermittelt werden, befördert das einen kollektiven Lernprozess und in Entscheidungssituationen haben Akteure einen konkreten Bezugsrahmen. The- men werden aber zunächst besetzt und die öffentliche Wahrnehmung insofern ge- lenkt. (Wiechmann 2008: 275) Strategische Planwerke sollten Handlungsalternati- ven deutlich machen und Entscheidungssituationen definieren. Dabei ist strategi- sche Planung ein rationaler Suchprozess nach Mitteln, die von einer gegebenen Ausgangssituation zu einem formulierten Ziel führen. (Wiechmann 2008: 274– 275)

Strategische Planung nach urbanen Katastrophen: Vor diesem Hintergrund scheint gerade die Entwicklung eines gesamtstädtischen strategischen Planwerks zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung einer Stadt im Rahmen einer längerfristi- gen Katastrophenbewältigung aufgrund der Ausnahmesituationen in Folge von Katastrophen im urbanen Kontext unerlässlich. Denn erst mit einem gesamtstädti- schen strategischen Planwerk zum Wiederaufbau oder zur Weiterentwicklung der Stadt, kann Planungssicherheit für Investitionen und Akteure aus Privat- und Zivil- gesellschaft geschaffen werden; ein Argument, das gerade im US-amerikanischen Kontext betont wird und zur Einsicht führt, dass strategische Planung sinnvoll ist: Ein vorhersagbares und systematisches Planwerk zu haben, ist nach einer Katastro- phe in der Phase des Wieder- oder Neuaufbaus entscheidend, um die Ausgaben von öffentlichen und privaten finanziellen Mitteln zu priorisieren und über diese Aus- gaben, die in einer Stadt nach einer Katastrophe investiert werden, zu informieren. Denn die Ressourcen sind gerade im Rahmen einer längerfristigen Katastrophen- bewältigung begrenzt, was bedeutet, dass nicht jedes Wiederaufbauprojekt finan- ziert werden kann. Strategische Planung kann helfen, die Projekte zu identifizieren, die für einen Wiederaufbau entscheidend sind (öffentliche Infrastruktur), sie kann der Bewohnerschaft Sicherheit geben in Bezug auf das Bestehenbleiben einer Nachbarschaft und sie kann Immobilienentwicklern und privaten Investoren helfen,

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Entscheidungen zu treffen. (Collins 2011: 161) Überlokale und lokale finanzielle Ressourcen können strategie- und/oder projektbezogen politisch-administrativ aber erst freigegeben werden, wenn ein strategischer stadtentwicklungspolitischer Rah- men für deren Verwendung entwickelt ist.

New Orleans’ strategische Planwerke nach Hurrikan Katrina

Burns und Thomas (2015) bezeichnen die strategischen Planwerke, die in New Orleans in der Zeit nach Katrina erarbeitet wurden, nicht als „Reformwerke“. Sie erkennen eher Reformen in gesellschaftspolitischen Handlungsfeldern, in denen sich die Ergebnisse niederschlagen, die aus diesen Planwerken entstanden: „Plan- ning produced lots of outputs and activity in the post-Katrina period, but reform is where the outcomes and actions were. This is a critical point, because the reforms were the necessary foundation for business, which needed to regain trust in a re- formed local governance structure.“ (Burns, Thomas 2015: Pos. 630) Unabhängig davon, ob Burns und Thomas damit die Wirkung von Planung oder unabhängige Erfolge und Aktivitäten von Planung meinen, ist Gegenstand dieser Arbeit planeri- sches Handeln nach einer urbanen Katastrophe; ein planerisches Handeln, das sich im Entwicklungsprozess der Planwerke und in den strategischen Planwerken nie- derschlägt und vor diesem Hintergrund nach Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren, fragt:

So fanden in New Orleans in Folge von Hurrikan Katrina im August 2005 zunächst drei Planwerksprozesse zum Wiederaufbau statt, deren Ergebnisse lokal als recovery plans bezeichnet werden. Diese Prozesse mündeten in Planwerken, die retrospektiv betrachtet einen strategischen Ansatz von unterschiedlicher Qualität und Reichweite aufweisen. Die Planwerksprozesse überschnitten sich zeitlich unter Einbezug der jeweiligen Prozessvorbereitung (vgl. Abb. 53, Nelson et al. 2007: 28): Bring New Orleans Back (Ende September 2005 bis Januar bzw. März 2006), New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan (Anfang Dezember 2005 bis Septem- ber 2006), Unified New Orleans Plan (April 2006 bis Januar 2007). Ein viertes Planwerk, der Recovery Management Plan (Dezember 2006 bis Ende März 2007),

380 gilt als operationalisiertes Planwerk, dass durch das städtische Büro für Wiederauf- bau erarbeitet wurde.173

Die Ursachen der Entwicklung der Planwerke zum Wiederaufbau lagen grundsätz- lich in der Pluralität der Ereignisse und in akteursspezifischen Aktivitäten. Diesen Aktivitäten lagen konkurrierende Planungsvorstellungen zu Grunde. (Bres 2007; vgl. Abb. Nelson et al. 2007: 28) Laut Becker174 (23.02.2012) herrschte nach die- sem Naturereignis, das eine Katastrophe nach sich zog, ein unausgesprochener Konsens in der Stadt: Die Stadt sollte sich unmittelbar nach dem Ereignis „erho- len“; sofort sollte Normalität eintreten. Auch deshalb wurden diverse Planungsbe- mühungen gestartet: Der Bürgermeister von New Orleans, Ray Nagin, initiierte den Planungsprozess um das Planwerk Bring New Orleans Back (BNOB). Die Bundes- behörde Federal Emergency Management Agency (FEMA) startete den ESF 14- Prozess; ein Verfahren, das die Schadensfälle nach einer Katastrophe bewertete. Viele Nachbarschaften wollten einen eigenen Wiederaufbauplan erarbeiten und zudem kam nach Katrina eine Vielzahl bezahlter aber auch unbezahlter Planungs- experten nach New Orleans, um am Wiederaufbauprozess mitzuwirken. Dennoch ist anfänglich aus diesen Aktivitäten keine organisierte Bemühung erwachsen, die zu einem Wiederaufbauplan geführt hätte, der vom städtischen Planungsamt, der City Planning Commission (CPC), hätte genehmigt werden können und der von der US-Regierung als „Wiederaufbauplan“ anerkannt hätte werden können, so dass finanzielle Mittel zum Wiederaufbau hätten freigegeben werden können. Denn als eines der wichtigsten Anliegen in Folge der Katastrophe galt es, der Stadt überlo- kale finanzielle Mittel zum Wiederaufbau zu verschaffen. Aber erst im Laufe der Zeit wurde auf lokaler Ebene erkannt, dass es in Folge einer Katastrophe mindes-

173 Über diese vier Planwerke hinaus wurde in New Orleans in den ersten zwei Jahren nach Katrina ein fünfter Planungsprozess gestartet, dessen Ergebnis den Wiederaufbau steuern sollte: Den ESF-14- Prozess der Bundesbehörde Federal Emergency Management Agency (FEMA), der aber aufgrund des Ausmaßes der Katastrophe und der Dringlichkeit des Wiederaufbaus nicht angemessen war. (Shea 02.03.2012) Die anderen Prozesse wurden von unterschiedlichen Insitutionen initiiert: der BNOB- Prozess initiiert vom Bürgermeister, der NONRP-Prozess initiiert vom Stadtrat, der UNOP-Prozess initiiert von der LRA und der Prozess des städtischen Büros für Wiederaufbau (ORM), der Recovery Management Plan. (Collins 2011: 163; Burns, Thomas 2015: Pos. 782) 174 Robert Becker ist ehemaliger Leiter der Stadtplanungsbehörde von New Orleans (Executive Direc- tor of New Orleans City Planning Commission von 1982 bis 1988) und seit 2001 Geschäftsführer der City Park Improvement Association in New Orleans.

381 tens genauso bedeutend war, einen gesamtstädtischen Wiederaufbauplan im Rah- men eines „adäquaten“ Planungsprozesses zu entwickeln, den der Bund als solchen bestätigt und dessen Genehmigung überlokale finanzielle Mittel zum Wiederaufbau freisetzt. (Becker 23.02.2012) Mit dem Unified New Orleans Plan wurden vom Bund letztlich finanzielle Mittel zum Wiederaufbau freigegeben. Im September 2008 begann ein Prozess zu Erarbeitung eines Masterplan. Dieses Planwerk war ebenfalls gesamtstädtisch ausgerichtet und baut offiziell auf den Ergebnissen der Planwerke zum Wiederaufbau auf. Der Master Plan stellt den offiziellen Rahmen für eine gesamtstädtische Neuentwicklung von New Orleans dar.175

Abbildung 53: Zeitschiene Planwerke nach Hurrikan Katrina (eigene Darstellung in Anlehnung an Nelson et al. 2007: 28).

Nach Nelson et al. (2007) spielten in den Planwerksprozessen zum Wiederaufbau zwei zusammenhängende und zugleich einzeln ausgeprägte Spannungen eine Rol- le: Zunächst sei es notwendig gewesen, einerseits schnell eine Wiederaufbauskizze formulieren zu müssen, die aber andererseits auch bedächtig erarbeitet werden müsse (vgl. auch Olshansky et al. 2008; Becker 23.02.2012). Zudem waren einer- seits professionelle und andererseits bewohnerschaftliche Bewertungen und Priori-

175 Letztendlich setzen diese Planwerke einen sicheren Hochwasserschutz voraus sowohl für New Orleans als auch für die gesamte Golfküste ((Schwartz 19.11.2005) zit. in Giegengack, Foster 2006: 32–33). Giegengack und Foster machen allerdings deutlich, dass technologisch zwar die Möglichkeit einer erneuten Katastrophe verringert werden kann, aber es unmöglich ist, derartige Katastrophen zukünftig gänzlich zu verhindern. (Giegengack, Foster 2006: 33)

382 täten beim Erarbeiten dieser Agenden zum Wiederaufbau relativ bedeutsam. Beide Spannungsverhältnisse waren begleitet von Misstrauen der Einwohnerschaft von New Orleans gegenüber Regierungsinstitutionen und Experten. (vgl. Nelson et al. 2007)

Die drei Planwerke zum Wiederaufbau, ein operationalisierter Wiederaufbauplan (Recovery Management Plan) und der Master Plan zur gesamtstädtischen Neuent- wicklung von New Orleans (Plan for the 21st Century) wurden im Verhältnis zur unmittelbaren Katastrophenbewältigung (vgl. Teil B I) längerfristig nach einer der urbanen Katastrophe infolge eines Naturereignisses (Hurrikan Katrina im August 2005) erarbeitet und erregten international Aufmerksamkeit. Diese Planwerke wer- den in dieser Arbeit als Ausdruck von Planungsaktivität einer Stadt in Folge einer Katastrophe als Gesamtpaket betrachtet. Sie sind damit Gegenstand eines zentra- len, wenn nicht gar entscheidenden, lokalen stadtentwicklungspolitischen Hand- lungsfeldes nach einer Katastrophe. An der Entwicklung dieser Planwerke wirkte eine Vielzahl von lokalen und überlokalen Akteuren mit, die Planungsfunktion der Stadt wurde gestärkt und ein neues Planungsverständnis entwickelte sich. Auf- grund dessen wurde der Prozess der Entwicklung von Planwerken zum Wiederauf- bau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans als Einzelfallstudie gewählt und in Hinblick auf Bedingungen befragt, die lokale Reformfähigkeit in der Stadt- entwicklung nach Katastrophen forcieren oder blockieren.

Ansatz zur Untersuchung strategischer Planwerke und deren Reform- fähigkeit

In Anlehnung an Teil B III werden nachfolgend die Untersuchungsfragen an die Einzelfallstudie und das Analysegerüst als Einstieg in die Untersuchung der Einzel- fallstudie erneut aufgegriffen. Anschließend werden Indikatoren vorgestellt, die lokale Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung anzeigen können. Die- se Indikatoren sind abgeleitet aus den theoretischen Zugängen (Teil B) sowie den fallbezogenen Erkenntnissen, in welchen Handlungsfeldern des Politikfeldes der Stadtentwicklung sich nach Hurrikan Katrina Veränderung abzeichnete (Teil C).

383

Um Bedingungen strukturell-prozessualer und substanziell-materieller lokaler Re- formfähigkeit in der Stadtentwicklung in Folge einer urbanen Katastrophe heraus- zuarbeiten176 (Fragestellung verkürzt), werden erstens die Ergebnisse der gesamt- städtischen Planwerke herangezogen, die seit Hurrikan Katrina einschließlich des Master Plans entwickelt wurden (Produktebene: Planungsebene und teilweise ma- terielle Ebene). Zweitens wird das Zusammenwirken von Staat, Markt und Zivilge- sellschaft unter besonderer Berücksichtigung der Mitwirkung von überlokalen Akt- euren analysiert (Prozessebene) und drittens wird der strukturelle stadtentwick- lungspolitische Kontext (lokal, überlokal) einbezogen, in dem die Planwerke ent- wickelt wurden (Kontext). Vier Fragenkomplexe ordnen sich dem unter und sind in diesem Teil der Arbeit (Teil D) forschungsleitend: • Inwiefern sind gesamtstädtische strategische Ziele erkennbar, die durch die Planwerke direkt oder indirekt verfolgt werden? [Ergebnis- bzw. Produktbezug] (1) • Inwieweit sind Akteure oder Koalitionen aus Staat, Markt und Zivilgesellschaft zu erkennen, die bei den Planungsprozessen aktiv sind? Warum sind diese Akteure beteiligt? Was war der Auslöser für die Entwicklung des jeweiligen Planwerks? Inwiefern lassen sich richtungsweisende Entscheidungspunkte im Prozess identifizieren? [Prozessbezug - Akteure] (2) • Welche Leitidee, welcher Ansatz oder welche Logik hat sich letztendlich von wem durchgesetzt oder nicht durchgesetzt und warum? Welche Rolle spielen überlokale Akteure dabei? [Prozessbezug - Ergebnis] (3) • Auf welchen strukturellen stadtentwicklungspolitischen Kontext (stadtpolitisch, stadträumlich, demographisch, wirtschaftlich, stadtgeschichtlich) trafen Hurrikan Katrina und Rita? Wie hat sich dieser Kontext im Laufe der Entwicklung der Planwerke verändert? In welcher Ausgangssituation befindet sich der jeweilige Prozess zur Planwerksentwicklung? Inwiefern lassen sich lokale und überlokale stadtpolitische Charakteristika erkennen? [Kontextbezug] (4)

176 Warum sind Reformen, im Sinne von Veränderung oder gar Neuordnung, im Rahmen einer Kata- strophenbewältigung in New Orleans im Politikfeld der Stadtentwicklung möglich oder nicht mög- lich? Denn eine Flächennutzungsreform (wie im sogenannten BNOB) wurde zivilgesellschaftlich abgelehnt, aber lokale Reformfähigkeit ist in Bezug auf die Entwicklung eines später erarbeiteten Masterplan in gewisser Weise zu erkennen.

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Vor dem Hintergrund dieser Fragenkomplexe wird nachfolgend die Einzelfallstu- die der Planwerksprozesse nach Hurrikan Katrina in New Orleans entlang von gro- ben Untersuchungskriterien analysiert177: Auslöser, Ausgangssituation und struktu- reller Kontext; gesamtstädtische strategische Ziele; Akteure und Koalitionen; Leit- idee, Ansatz oder Logik und Argumente für die Durchsetzung oder Nichtdurchset- zung, die dementsprechend produktorientierte und prozessorientierte Kriterien umfassen.

Analysegerüst zur Untersuchung von lokaler Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwick- lung (Handlungsfeld strategische Stadtentwicklungsplanung)

Auslöser für Planwerk, Ausgangssituation und struktureller Kontext Ziele, gesamtstädtisch, strategisch Akteure und Koalitionen / Konstellationen, Gewichtung, Ziele, Ressourcen Akteurskonstellation: • wer beteiligt, Funktionen, Kompetenzen • Interessen • Ausstattung mit „Macht“ und Ressourcen Akteursbeziehungen: • Kooperationen und Koalitionen, damit automatisch nach Interessensgegensätzen zwischen Akteuren, nach Art und Weise, in der diese – formalisierten und nicht-formalisierten – Be- ziehungen organisiert sind • Richtungsweisende Entscheidungen • Prozessbegleitende Situationen oder Handlungen als potentielle Veränderung des Status quo

Ergebnis: Leitidee, Ansatz oder Logik und Argumente für die Durchsetzung oder Nichtdurchset- zung

Abbildung 54: Analysegerüst zur Untersuchung von lokaler Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung (eigene Darstellung).

177 Das Analysegerüst ist abgeleitet und weiterentwickelt aus theoretischen Zugängen zur Untersu- chung von Reformfähigkeit in Anlehnung an Petring (2010), Egle (2009), Scharpf (2000) und Gep- pert (2012).

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Anzeiger von lokaler Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung wurden auf substanziell-materieller und strukturell-prozessualer Ebene aus den bisherigen Betrachtungen deutlich: Anzeiger substanziell-materieller Reformfähigkeit können Instrumente (wie beispielsweise Planwerke), Ziele, Leitbilder mit möglicherweise neuer Rationalität, Programme, Projekte und räumliche Muster sein, die entweder neu entwickelt oder nach Hurrikan Katrina beschleunigt wurden. Als Anzeiger strukturell-prozessualer Reformfähigkeit sind bislang neue und beschleunigte Ver- fahrensweisen im Allgemeinen deutlich geworden. (vgl. Abb. 51) Im Allgemeinen spielen darüber hinaus in Bezug auf Anzeiger von Reformfähigkeit Instrumente und Ziele – in unterschiedlichen Konstellationen von alt und neu sowie innerhalb eines Politikfeldes und zwischen einzelnen Politikfeldern – eine Rolle, da sie über die Reichweite einer Veränderung genauer Auskunft geben. (Hall 1993: 281–287; vgl. Petring 2010).

Anzeiger substanziell-materieller Reformfähigkeit • neue oder beschleunigte Instrumente (z.B. Planwerke) (vgl. Hall 1993: Reichweite von Veränderungen) • neue oder beschleunigte Ziele (gesamtstädtisch) (vgl. Hall 1993: Reichweite von Veränderungen) • neue oder beschleunigte Leitbilder mit neuer Rationalität • neue oder beschleunigte Programme • neue oder beschleunigte Projekte • neue oder beschleunigte räumliche Muster Anzeiger strukturell-prozessualer Reformfähigkeit • neue oder beschleunigte Verfahrensweisen

Das Untersuchungsmodell wurde vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der Stadt- entwicklung vor und nach Hurrikan Katrina angepasst und entsprechend der Hypo- thesen erweitert.

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Abbildung 55: Weiterentwicklung Untersuchungsmodell Katastrophenbewältigung und Reformfä- higkeit für das Politikfeld der Stadtentwicklung (eigene Darstellung).

D I Planwerk zum Wiederaufbau Bring New Orleans Back und „Shrinking of the Footprint“

Das gesamtstädtische Planwerk Bring New Orleans Back (BNOB), das zügig in Folge von Hurrikan Katrina erarbeitet wurde und als ein Planwerk zum „Wieder- aufbau“ bezeichnet werden kann, macht stadtentwicklungspolitische Vorschläge zur technischen und sozialen Infrastruktur sowie zur Nutzung des öffentlichen Raumes. Ein Flächennutzungskonzept wurde erarbeitet, das – vermeintlich – die Siedlungsfläche reduziert, indem einige Wohnquartiere nicht wiederaufgebaut werden sollten und stattdessen große Grünflächen im Stadtgebiet vorsieht. Auf dem Plan sind grüne Punkte erkennbar, was Aufregung und Bewohnerproteste auslöste und deshalb nicht nur das Flächennutzungskonzept, sondern das gesamte

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Planwerk Bring New Orleans Back (BNOB) lokal als Green Dot Plan bezeichnet wird. Finanzielle Engpässe im Planwerksprozess, Bewohnerproteste und bevorste- hende Wahlen verhinderten die stadtpolitische Weiterverfolgung und letztlich die Umsetzung der erarbeiteten Strategien. Das individuelle Recht auf Rückkehr in jeden Stadtteil in individueller Verantwortung wurde politisch formuliert. Der Wiederaufbau der Stadt wird somit weitestgehend dem „Markt“ überlassen.

Nachfolgend werden einleitend Ausgangssituation, Kontext und Auslöser für das Planwerk (D I.1) dargelegt, bevor die Ziele und der reformerische Ansatz näher beschrieben werden (D I.2), um anschließend auf die Rolle von Akteuren (D I.3) einzugehen und um deutlich zu machen, welche Bedingungen Reformfähigkeit forcieren oder blockieren (D I.4, D I.5).

D I.1 Ausgangssituation, stadtpolitischer Kontext und Auslöser für das Planwerk im Überblick

Die fachliche, formale und akteursbezogene Ausgangssituation für die Erarbeitung des BNOB gestaltete sich überblicksartig wie folgt: Achtzig Prozent der Stadtflä- che von New Orleans wurden überflutet, was eine großflächige Zerstörung von öffentlichem und privatem Eigentum nach sich zog. Unter anderem waren die gro- ßen Infrastruktursysteme der Stadt zerstört (Krankenhäuser, Verkehrssystem, Was- ser- und Abwasser) (Shea 02.03.2012). Immense „Wiederaufbaukosten“ wurden nach derartigen Ereignissen erwartet (fachlich). Formal war kein gesamtstädtischer Wiederaufbau- oder Masterplan vorhanden, um überlokale Fördergelder zum Wie- deraufbau zu erhalten (formal). In Bezug auf die akteursbezogene Ausgangssituati- on ist besonders, dass unmittelbar nach der Katastrophe der Stadtverwaltung (ins- besondere der städtischen Planungsbehörde) und dem Stadtrat weitaus weniger personelle Kapazitäten für den Wiederaufbau zur Verfügung standen als im „Nor- malbetrieb“, da auch Abgeordnete und Mitarbeiter die Stadt aufgrund des Hurri- kans verlassen mussten. Das schränkte die Handlungsfähigkeit der Verwaltung unmittelbar nach Katrina ein.

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Der BNOB wurde in folgendem stadtpolitischen Kontext erarbeitet: Am 5. Oktober 2005 kündigte Bürgermeister Nagin die Entlassung von etwa drei Tausend städti- schen Angestellten an. Diese Arbeitsstellen werden als „nicht unbedingt notwen- dig“ beschrieben. Die Zahl umfasst etwa die Hälfte der städtischen Belegschaft. (NOLAplans o.J.) Diese Maßnahme verdeutlicht die kritische finanzielle Lage der Stadt. Der Lokalregierung stehen für die Erarbeitung eines Wiederaufbauplanes und für den Wiederaufbau an sich zunächst keine gesonderten finanziellen Res- sourcen zur Verfügung. Von überlokaler Ebene werden finanzielle Ressourcen erwartet, die allerdings erst auf Grundlage eines Wiederaufbauplanes vom Bundes- staat freigegeben worden sind: Am 30. Dezember 2005 unterzeichnete US- Präsident Bush ein Gesetz (die sogenannte Emergency Supplemental Spending Bill), das Ausgaben des Bundes in Höhe von 29 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau der Golfküste festlegt (sogenannte recovery funds). Darunter waren 6,2 Milliarden US-Dollar als sogenannte Community Development Block Grants (CDBG) für den Bundesstaat Louisiana vorgesehen178 (NOLAplans o.J.; vgl. City of New Orleans, 05.07.2006) (finanzielle lokalpolitische Lage). Bürgermeister Nagin ringt um Unterstützung überlokaler politisch-administrativer Ebenen zur Katastrophenbewältigung in den Medien (CNN 02.09.2005). Der Stadtrat ist per- sonell aufgrund der Evakuierungsmaßnahmen geschwächt. Die Gouverneurin von Louisiana, Kathleen Blanco, bildete am 17. Oktober 2005 die Louisiana Recovery Authority (LRA); eine Kommission mit 23 Mitgliedern, die die Regierung des Bundesstaates hinsichtlich des Wiederaufbauprozesses in Louisiana anleiten soll. Den Vorsitz haben Norman Francis und Walter Isaacson. (NOLAplans o.J.) (politi- sche Lage) Der Stafford Act179 greift aufgrund der Katastrophensituation, der eine

178 Zur gleichen Zeit wurden zusätzlich fünfzig Milliarden US-Dollar für den militärischen Einsatz der USA in Irak und Afghanistan bereitgestellt. (NOLAplans o.J.) Alpert (16.06.2006) gibt andere Zahlen an: Finanzielle Unterstützung der Emergency Supplemental Spending Bill von 94,5 Milliarden US-Dollar, Community Development Block Grants in Höhe von 4,2 Milliarden US-Dollar für Louisi- ana. 179 Das Bundesgesetz Robert T. Stafford Disaster Relief and Emergency Assistance Act (kurz auch Stafford Act genannt) gibt den Bundesstaaten ein Recht auf Katastrophenhilfe durch den Bund. Der Gouverneur eines Bundesstaates hat die Erklärung des US-Präsidenten in Bezug auf staatliche Kata- strophenhilfe aber zunächst zu beantragen. (U.S. Department of Homeland Security 2008: 2) Staatli- che Katastrophenhilfe wird oft als Synonym für die Erklärung des US-Präsidenten und dem Stafford Act angesehen. Die Bundeshilfe für Bundesstaaten und lokale Körperschaften hat im Falle einer Kata- strophe viele Facetten. Die bekannteste Quelle, durch die für größere Vorfälle Hilfe geleistet wird, ist der Stafford Act. (U.S. Department of Homeland Security 2008: 4)

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Wiederaufbauhilfe des Bundes über die US-Behörde Federal Emergency Manage- ment Agency (FEMA) regelt (rechtliche Lage). Wirtschaftliche und kulturelle Akti- vitäten liegen zu diesem Zeitpunkt größtenteils brach (ökonomische und kulturelle Lage).

Als Auslöser für die Erarbeitung des BNOB gilt die Katastrophensituation nach einem Hurrikan, die eine weitreichende gesamtstädtische Zerstörung nach sich zog: Baulich-räumliches und kulturell öffentliches und individuelles Eigentum wurden zerstört, was Bürgermeister Nagin lokalpolitischen Anlass zum Handeln gab. Er rief eine Planungskommission (BNOB Commission) zusammen, die die Eliten der Stadt versammelte und die über die zukünftige gesamtstädtische Ausrichtung von New Orleans beraten sollte. Bürgermeister Nagin hat diese Kommission auch ein- berufen, weil der Stadtverwaltung nach Katrina keine personellen Kapazitäten zur Verfügung standen, um einen Wiederaufbauplan zu erarbeiten, so die damalige Leiterin der städtischen Planungsbehörde (City Planning Commission), Yolanda Rodriguez. So mussten auch viele Angestellte der Stadtverwaltung, auch der Pla- nungsbehörde, die Stadt verlassen und waren noch nicht zurückgekehrt. Die Stadt- verwaltung arbeitete zu diesem Zeitpunkt daran, grundlegende städtische Funktio- nen aufrecht zu erhalten oder wiederherzustellen. In der Planungsbehörde arbeite- ten nur noch sieben von etwa dreißig Mitarbeitern180, so dass die Behörde nach Rodriguez aufgrund dessen nicht in der Position war, über einen Wiederaufbau der Stadt zu beraten. Allerdings gibt die Stadtsatzung (Home Rule Charter)181 vor, dass die City Planning Commission (CPC) eine spezielle Rolle in der Stadt nach einer Katastophe innehat, indem sie der Verwaltung beratend beiseite steht und mithilfe eines Planwerkes der Stadtregierung emphielt, wie die Stadt wiederaufgebaut wer- den sollte und welche Art von öffentlichen Beteiligungsforen im Rahmen eines Wiederaufbauprozesses organisiert werden sollten. Diese spezifische Rolle konnte die Planungsbehörde aufgrund des Personalmangels nicht einnehmen, so dass

180 Ein Bericht der APA gibt an, dass sich die Mitarbeiterzahl auf 8 von 24 nach Katrina reduziert hatte. (vgl. American Planning Association 11.2005) 181 Auch soll die City Planning Commission laut Stadtsatzung in der aktuellen Fassung von 2014 Planwerke vorbereiten und dem Stadtrat empfehlen, die eine Neuplanung, eine Verbesserung und einen Wiederaufbau von Nachbarschaften und Gebieten der Stadt beinhalten, die ernsthaft von einem Naturereignis oder dessen Folgen zerstört wurden. Diese Pläne müssen mit dem jeweils gültigen Masterplan konsistent sein. (City of New Orleans 04.11.2014: 115–116)

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Nagin unter anderem wohl deswegen die Bring New Orleans Back Commission einberief, die diese Aufgabe in individueller Besetzung übernahm. (Rodriguez 23.02.2012) Rodriguez betont in diesem Zusammenhang aber auch, dass die Stadt- regierung aufgrund des Ausmaßes dieser Katastrophe eine breit angelegte Verfah- rensweise verfolgt hat und so eine Kommission bildete, die unterschiedliche Hand- lungsfelder der Stadt – und nicht ausschließlich der Stadtentwicklung – repräsen- tierte.182 Dennoch war, so Rodriguez, die BNOB Commission nicht die Idee der City Planning Commission: „So it really was not the idea of the commission and the commission really did not give the administration the idea of the BNOB com- mission.“ (Rodriguez 23.02.2012)

D I.2 BNOB: Gesamtstädtische strategische Ziele mit reformerischem Ansatz?

Der Bürgermeister von New Orleans bezeichnet das Planwerk Bring New Orleans Back (BNOB) als „Plan zum Wiederaufbau von New Orleans“ (Vorwort von Nagin in City of New Orleans, Bring New Orleans Back Commission 2006)Er rief die BNOB-Kommission zusammen, um stadtweite kurz- und langfristige Empfeh- lungen für den Wiederaufbau und für die Zukunft der Stadt formulieren zu lassen (vgl. City of New Orleans 2007: 8), damit New Orleans sich zu einer „sustainable, environmentally safe, socially equitable community with a vibrant economy“ (City of New Orleans 2007: 13) entwickelt. Ziel war es „[…] to provide an overarching framework for rebulding. […] For our neighbourhoods, the plan invests where the citizens are investing – rebuilding communities in partnership with the stakeholders of the communities. For our children, the plan invests in teaching and learning, […] But it will take all of us working together – to return, to rebuilt, to reinvest.“ (Vor- wort von Nagin in City of New Orleans, Bring New Orleans Back Commission 2006)

182 Die bundesstaatliche Ebene war nach Rodriguez der wichtigste strategische Partner der City Plan- ning Commission in dieser Zeit: „We had some friends on the state level that understood planning with the Office of Community Development; that understood the importance of having a recovery plan.“ (Rodriguez 23.02.2012)

391

Acht Komitees erarbeiteten vor dem Hintergrund dieses Ziels strategische Pläne von Oktober 2005 bis Januar 2006 (Land Use, Levee and Flood Protection, Public Transit, Criminal Justice, Culture, Education, Health and Social Services, Eco- nomic Development, Government Effectiveness). Räumlich ausgerichtet waren in erster Linie das Handlungsfeld Öffentlicher Nahverkehr, Infrastruktur inklusive des Hochwasserschutzes sowie Siedlungsentwicklung und Flächennutzung. Da die Vorschläge zur Siedlungs- und Flächennutzung in der Öffentlichkeit stark für Furo- re sorgten und der Plan ein Kernelement der zukünftigen gesamtstädtischen Stadt- entwicklung darstellte, werden die Ziele im Folgenden näher betrachtet.183

Zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Siedlungs- und Flächennutzung wurde ein sogenanntes Urban Planning Committee vom Bürgermeister eingesetzt, das eine umfassende Vision für die Stadt New Orleans formulierte: „New Orleans will be sustainable, environmentally safe, socially equitable community with a vibrant economy. Its neighbourhoods will be planned with its citizen and connect to jobs and the region. Each will preserve and celebrate its heritage of culture, landscape, and architecture” (City of New Orleans, Bring New Orleans Back Commission 2006: 1; vgl. Barnett, Beckman 2006: 293). Laut Barnett und Beckman (2006) ist das wichtigste Ziel dieses Planes der Wiederanstieg der Einwohnerzahl. Dement- sprechend sollen Möglichkeiten für eine Rückkehr der Bewohnerschaft eruiert und Anreize für einen Zuzug neuer Bürger geschaffen werden (vgl. Barnett, Beckman 2006: 299). Im Plan wurden sechs allgemeine Schlüsselziele formuliert: In allen Quartieren sollen Überschwemmungs- und Sturmflutsysteme installiert werden (Hochwasserschutz) (1). Die Bewohnerschaft erhält Informationen und wird durch Expertise unterstützt, um den Wiederaufbau der Nachbarschaften voranzutreiben (2). Infrastrukturell soll in die Quartiere investiert werden, in die eine Bewohner- schaft zurückkehrt und die die Bewohnerschaft somit wiederaufbauen will (3). Sichergestellt werden soll, dass die Eigentümerschaft der am schwersten betroffe- nen Gebiete, eine einhundertprozentige Rückerstattung des Marktwertes ihrer Wohnhäuser bekommen (4). Die Nachbarschaften sollen mit öffentlichem Nahver-

183 Im so geannten Land Use Plan wird nochmals betont, dass es sich nicht nur um eine Naturkata- strophe handelte. Sondern es war das Versagen des Hochwasserschutzsystems, dass zu der Katastro- phe in diesem Ausmaß führte. Damit war eine Fläche der Stadt betroffen, die etwas kleiner als die Fläche von Großbritannien war (etwa 23.827.891 Hektar (92.000 Square Miles)).

392 kehr – Busverbindungen und „Light Rail“ – ausgestattet werden (5). Mindestens 25 Prozent der Fördermittel des Bundes (sogenannte Community Development Block Grants) sollen für bezahlbaren Wohnungsbau eingesetzt werden; potentiell werden 33 Prozent angestrebt (6) (City of New Orleans, Bring New Orleans Back Com- mission 2006: 1). Mit diesen Zielen werden drei Denkweisen deutlich: Erstens wird beim Wiederaufbau von einer starken Selbsthilfe der Bewohnerschaft, die zurück- kehrt, ausgegangen. Zweitens werden öffentliche Mittel nur dort investiert, wo die Bewohnerschaft starken Willen zur Rückkehr bekundet. Drittens werden die Men- schen unterstützt, die nicht in die stark überfluteten Quartiere zurückkehren wollen. Denn Ziel ist es, dass nicht alle Quartiere und Nachbarschaften von New Orleans wieder besiedelt werden, da von stark limitierten öffentlichen Ressourcen auszuge- hen ist.184

Vier Teilpläne wurden im Rahmen des Urban Planning Committee erarbeitet: Flood and Storm Water Protection Plan, Transit and Transportation Plan, Parks and Open Space Plan und Rebuilding Neighborhoods Plan. In Letzterem werden Aussagen zum Schutz des historischen Altstadtviertels (Historic Districs) und zum Wohnraum (Housing) gemacht. Beispielsweise soll weiterhin die Sanierung des historischen Altstadtviertels durch Steuergutschriften staatlich gefördert werden können. Im Wohnungsbau soll die Strategie der mixed-income community und des Mehrfamilienwohnungsbaus angestrebt werden. In diesem Rahmen sollen für be- zahlbaren Wohnraum Fördermittel des Bundes (25 Prozent der Community Deve- lopment Block Grants, CDBG) genutzt werden, wie in den Schlüsselzielen er- wähnt. Das Verkehrskonzept schlägt im Kern vor, das bestehende Straßenbahnsys- tem auszubauen und ein „loop network“ zu schaffen. Das Konzept des öffentlichen Raumes (Parks and Open Space) sieht die Aufrechterhaltung und gar den Ausbau

184 Interessanterweise nennen Barnett und Beckman als Planer und Mitglieder des Urban Planning Committee und somit am Planungsprozess Beteiligte drei entscheidende Ziele, die das Komitee der BNOB für den Wiederaufbau der Quartiere entwickelte und interpretieren diese in eine andere Richtung: Erstens ist die Stadt vor derartigen Ereignissen wie Katrina zu schützen. Zweitens ist jeder Teil der Stadt zugänglich zu machen, so dass sich jeder Ort zu einer lebendigen und beliebten Nachbarschaft entwickelt. Drittens müssen vor allem Parks und öffentliche Grünflächen geplant werden, damit Bewohner von New Orleans wieder in die Stadt zurückkehren und die Stadt insgesamt nachhaltig verbessern. Die drei Ziele implizieren einen Wiederaufbau von jeder Nachbarschaft und damit auch die notwendigen öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen. Diese Haltung wurde stark debat- tiert. (Barnett, Beckman 2006: 294) Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass New Orleans immer eine Stadt der „Nachbarschaften“ war und sich die meisten Nachbarschaften durch individuelles Eigentum identifizie- ren. (Barnett, Beckman 2006: 299)

393 der gesamtstädtischen Grünflächen vor. (City of New Orleans, Bring New Orleans Back Commission 2006: 2–3)

Als Kernstück des Planes gilt der Rebuilding Neighborhoods Plan. Der Teilplan hat drei verschiedene Arten von Entwicklungsgebieten vorgeschlagen: Immediate Opportunity Areas, Infill Development Areas und Neighborhood Planning Areas, für die ein sogenanntes Building Moratorium vorgesehen war. Nachbarschaftspläne sollten entwickelt werden und die Bewohnerschaft dabei unterstützen, eine Ent- scheidung hinsichtlich des Wiederaufbaus ihres Eigentums zu treffen und die Wie- deraufbaukosten zu ermitteln.185 (Barnett, Beckman 2006: 301) Der Planungspro- zess in den Nachbarschaften bietet somit Anreizmechanismen, die es der Bewoh- nerschaft erleichtern sollen, in Quartiere zu ziehen, die zukünftig mit adäquater Infrastruktur ausgestattet sind. Im Umkehrschluss wird nicht mehr stadtweit öffent- lich investiert. Denn durch eine geringere Einwohnerzahl in New Orleans werden auch weniger städtische Steuern eingenommen und somit werden auch die notwen- digen öffentlichen Dienst- und Infrastrukturleistungen zurückgehen müssen. So wurde im Nachbarschaftskonzept vorgeschlagen, dass die Stadt in Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen in den Stadtvierteln investieren soll, in denen deutlich wird, dass die Bewohnerschaft zurückkehren möchte. In diesem Zusammenhang wurde vorgeschlagen, dass Eigentümer, die nicht zurückkehren möchten, die Mög- lichkeit bekommen sollen, ihr Eigentum auf dem freien Markt zu verkaufen oder den Aufkauf ihres Eigentums durch Staat oder Bundesstaat zu akzeptieren. Auch ein Umzug innerhalb New Orleans’ soll für Bewohner, die verkaufen wollen, ge- währleistet werden (City of New Orleans, Bring New Orleans Back Commission 2006: 2–3). Der Plan sah insgesamt einen Neighborhood Based Planning Process vor, um verschiedene Möglichkeiten des Wiederaufbaus stadtweit und langfristig hinsichtlich verfügbarer Expertise und vorhandener Ressourcen in jedem Quartier zu eruieren. Die New Orleans Planning Commission wies in diesem Zusammen- hang vierzehn städtische Distrikte aus. (Barnett, Beckman 2006: 300, 2006: 303)

185 Die Federal Emergency Management Agency (FEMA) kann die Wiederaufbaukosten in den nächsten Haushaltsplan einbringen (Barnett, Beckman 2006: 301).

394

Abbildung 56: Die lokale Tageszeitung Times Picayune veröffentlichte am 11. Januar 2006 in dieser Form die Planvorstellungen des Urban Planning Committee der BNOBC (Campanella 2015; vgl. Bring New Orleans Back Commission 29.11.2005).

Die vier Teilpläne des Urban Planning Committee schaffen einen Rahmen für eine Neuordnung der Flächennutzung, die durch das Parks and Open Space-Konzept eine Umwidmung der Flächennutzung und eine Reduzierung der Siedlungsfläche zur Folge hat. Allerdings stieß vor allem das Parks and Open Space-Konzept in Verbindung mit dem Nachbarschaftskonzept (Rebuilding Neighborhoods Plan) und einem sogenannten „Stillhalteabkommen“ auch für andere Flächen auf öffent- lichen Widerstand. In diesem Zusammenhang wurde der Terminus Green Dot Plan medial geprägt und verbreitet. (vgl. Abb. 57, 58)

395

Die Planungen sollen stadtweit koordiniert werden, wie im City-wide Coordination Plan vorgeschlagen. Damit werden die Planungsvorhaben in den einzelnen Quar- tieren gebündelt und werden als Empfehlung an die städtische Planungsbehörde (City Planning Commission) weitergegeben, um sie in einen stadtweiten Master- plan überführen zu können (Bring New Orleans Back Commission, Urban Plan- ning Committee 11.01.2006: 18; Barnett, Beckman 2006: 303). Diese stadtweite Perspektive eines Masterplans sollte auf die vier Teilpläne aufbauen, Analysedaten liefern und Informations- und Koordinationsleistungen erbringen.186

Das Urban Planning Committee hat darüber hinaus konkrete Handlungsempfeh- lungen formuliert. Diese geben Hinweise auf den Hintergrund der Ziele und den Prozess der Nachbarschaftsplanung und zeigen auf, wie das Planwerk zu bewerten ist: Das Planwerk stellt ausschließlich einen strategischen Rahmen – eine Vorstufe – für konkrete Umsetzungsinitiativen dar, die durch die Zusammenarbeit aller staatlichen Ebenen, der Sphäre des Marktes und der Zivilgesellschaft umgesetzt werden sollen. Vier Punkte werden in dieser Arbeit herausgestellt: Erstens wird die Stadtverwaltung nachdrücklich angehalten, keine Baugenehmigungen in schwer überfluteten Gebieten zu erteilen (Bring New Orleans Back Commission, Urban Planning Committee 11.01.2006: Figure 53, 61) bis der Bewohnerschaft die Be- dingungen, unter denen sie zurückkehren würden, unterbreitet worden sind. Dazu zählt unter anderem, dass die Bewohnerschaft an sich zurückkehren muss, sich also wieder eine Nachbarschaft entwickelt. Zudem sollte eine Beratungsstelle etabliert werden, die über bauliche Verordnungen Auskunft gibt. Angemessene und effizi- ente Infrastrukturen sollten verfügbar sein. (Bring New Orleans Back Commission, Urban Planning Committee 11.01.2006: Figure 53,). Schwer beschädigtes Eigen- tum sollte angekauft werden. Diejenigen, die zurückkehren, ihr Eigentum wieder instandsetzen und wiederaufbauen wollen, sollten unterstützt werden. Zweitens sollten Prognosen der städtischen Entwicklung von einer Wiederaufbaugesellschaft (cooperation) erarbeitet werden, die neu gegründet werden müsste. Zudem sollte ein neuer Masterplan erarbeitet werden und der städtischen Planungsbehörde sollte die Autorität zur Flächennutzung erteilt werden. Eine gesetzliche Grundlage sollte geschaffen werden, um die städtische Satzung zu ändern. Die Revision des Flä- chennutzungsplanes und der Bauvorschriften sollte veranlasst werden, um einen

186 Detaillierte Vorschläge dazu zeigen Barnett und Beckman (2006, S. 303-304) auf.

396

Masterplan umsetzen zu können. (Bring New Orleans Back Commission, Urban Planning Committee 11.01.2006: Figure 55) Drittens wird vorgeschlagen, Bun- desmittel der FEMA und Mittel des Community Development Block Grant (CDBG) massiv einzuwerben, um die Vorschläge des BNOB implementieren zu können. Viertens sollen externe Finanzexperten einberufen werden, um Programme und Pläne zu entwickeln, die die Eigentümer-, die Unternehmer- und die Investoren- schaft unterstützen, den Wiederaufbauplan umzusetzen (Steueranreize, Hypotheken unter dem Marktwert, CDBG-Mittel einwerben, Institutionen identifizieren, die sich Nachbarschaften „annehmen“, um Fördermittel zu akquirieren, die nicht durch andere Ressourcen verfügbar sind Bring New Orleans Back Commission, Urban Planning Committee 11.01.2006: Figure 55). Finanzkräftige Entwickler sollen ge- funden werden, um einen Großteil des Wohnraumes in sogenannten Target Deve- lopment Areas zu schaffen. (Bring New Orleans Back Commission, Urban Plan- ning Committee 11.01.2006: Figure 56)

Diese gesamtstädtischen Ziele des Strategieplans BNOB stellen insbesondere durch das neue Siedlungsflächenkonzept einen „neuen“ loaklen substaniell-materiellen Planungsansatz dar. Sie sind das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses, der nach- folgend dargelegt wird. Dieser Entwicklungsprozess wird auf Bedingungen unter- sucht, die lokale Reformfähigkeit forcieren und blockieren.

D I.3 Entwicklungsprozess des Strategieplans: BNOB als Elitenwerk mit überlokalem richtungsweisenden Einfluss

Das Planwerk BNOB hatte seinen Ursprung in der unmittelbaren Folgezeit von Hurrikan Katrina: Als Rettungsmaßnahmen und Evakuierungen von Katrina- Opfern noch vonstatten gingen, initiierte der amtierende Bürgermeister von New Orleans, Ray Nagin, am 30. September 2005 die Erarbeitung eines Wiederaufbau- plans (NOLAplans 20.03.2010). Nach einer Reihe von öffentlichen Anhörungen präsentierte Bürgermeister Nagin der Öffentlichkeit den Action Plan des Urban Planning Committee im Rahmen der Präsentation des gesamten BNOB-Planwerks am 20. März 2006 (BNOB/Planning Committee (2006): Action Plan, Forward), das

397 von der Bring New Orleans Back Commission veröffentlicht wurde. Die Umset- zung des strategischen Planwerks wurde auf einen Umfang von etwa 12,9 Milliar- den US-Dollar geschätzt (NOLAplans o.J.), so dass bereits im ersten Entwurf des BNOB alle politisch-administrativen Amtspersonen aufgefordert wurden, aufgrund dieses finanziellen Ausmaßes eine gemeinsame Anfrage auf finanzielle Unterstüt- zung beim US-Kongress zu stellen (Collins 2011: 163).

Auffällig ist das Verhältnis von lokalen und überlokalen Akteuren im Rahmen der Erarbeitung des Planwerks: So wurde die BNOBC durch einige Hundert Freiwilli- ge unterstützt, inklusive einem Team des Urban Land Institute.187 (Collins 2011: 163) Denn fachliche Organisationen wie die American Planning Association (APA) oder das Urban Land Institute (ULI) schickten kurz nach Katrina ihre Ex- perten nach New Orleans. Da die Stadt weitestgehend evakuiert war, waren auch viele Mitarbeiter der lokalen Planungsbehörde nicht verfügbar und somit die lokale institutionelle Planungskapazität klein (23.02.2012; vgl. Rodriguez 23.02.2012). Dennoch wurden aber lokal aktive Akteure nach Katrina benötigt, die den Zugang zu Daten, Fakten oder Karten hatten und die externen Akteuren für ihre Arbeit zur Verfügung gestanden hätten. Viele Dokumente gingen aber auch aufgrund der Fol- gen von Katrina verloren. Insgesamt begrüßte Becker einerseits, dass externe pro- fessionelle Organisationen nach New Orleans kamen und Hilfe anboten. Anderer- seits waren die externen Akteure auf lokale Unterstützung angewiesen (Kartenma- terial, statistische Daten von Stadt und Nachbarschaften, etc.). Diese Dokumente wurden auch eingefordert, so dass sich nach Becker die wenigen lokalen Akteure, die noch vor Ort waren, teilweise „ausgenutzt“ gefühlt haben. (Becker 23.02.2012)

187 Das ULI gilt als ein nationaler Think Tank mit Akteuren aus dem Immobiliensektor und Experten für Flächennutzung aus dem privaten oder öffentlichen Sektor. Powell (2007) bezeichnet das ULI als „entwicklerorientiert“. (Powell 2007) Das ULI wurde 1936 als Forschungseinrichtung der National Association of Real Estate Boards gegründet. 1940 wurde die Einrichtung unabhängig und heute hat das ULI etwa 40.000 Mitglieder weltweit. Das ULI sieht sich als Reprästentant des gesamten Spekt- rums von Disziplinien, die sich auf Flächennutzung und Immobilienentwicklung beziehen und von Akteuren, die in diesen Berechen in privaten Unternehmen als auch im öffentlichen Sektor arbeiten. Das ULI, the Urban Land Institute, ist rechtlich eine Nonprofit-Organisation (501(c) (3) nonprofit research and education organization), die durch ihre Mitglieder unterstützt wird. (Urban Land Institu- te o.J.)

398

Offiziell wurde das Planwerk BNOB von der City of New Orleans in Auftrag ge- geben. Bürgermeister Nagin rief im Rahmen der Bring New Orleans Back Com- mission die Elite der Stadt zusammen: Darunter waren Vertreter von Nonprofit- und Profit-Unternehmen oder von Bildungseinrichtungen, wie von den Universitä- ten der Stadt. Diese Akteure galten als Quellen von Ressourcen und als Wissens- pool, der in der Lage war, einen Wiederaufbauplan zu erarbeiten.188 (Johnson 27.02.2012) Die Kommission bestand aus siebzehn Mitgliedern (NOLAplans 20.03.2010), darunter waren acht Afroamerikaner und ein Vertreter mit lateiname- rikanischem Hintergrund. Die Mitglieder der Kommission waren unter anderem189 Vertreter aus Politik und Immobilienwirtschaft. Mindestens zehn Vertreter waren Unternehmer und Geschäftsleute. Zwei Personen waren als Vertreter der Kirche involviert. (Burns, Thomas 2015: Pos. 750-772) Zu den Schlüsselpersonen in der Kommission gehörte Joseph C. Canizaro, ein lokaler Immobilieninvestor, der den stellvertretenden Vorsitz der Planungskommission innerhalb der BNOBC über- nommen hat. Auch Oliver Thomas, ein damaliges Stadtratsmitglied in New Or- leans, hatte eine führende Rolle im Prozess um das Planwerk BNOB. Den Vorsitz der Kommission hatten Mel Lagarde190, ein Experte aus dem Gesundheitswesen, und Barbara Major, Geschäftsführerin der St. Thomas Health Care Clinic. (NOLAplans 20.03.2010; Johnson 27.02.2012)

188 Mitglieder BNOB Commission waren folgende Personen: C. Ray Nagin als Bürgermeister der Stadt New Orleans zu diesem Zeitpunkt; Mitvorsitzende der Kommission waren Mel Lagarde und Barbara Major; außerdem: Boysie Bollinger, Kim Boyle, Caesar Burgos, Joe Canizaro, Dr. Scott Cowen, Rev. Fred Luter, Wynton Marsalis, Alden McDonald, Dan Packer, Anthony Patton, Jimmy Reiss, Gary Solomon, Vorsitzender des Stadtrates Oliver Thomas, David White. Beispielsweise war Kommissionsmitglied Gary N. Solomon, Sr. zu dieser Zeit aktiver Risikokapitalgeber, Unternehmer und involviert in viele Nonprofit-Organisationen als Philanthrop. Reed Kroloff war zu dieser Zeit Dekan der School of Architecture der Tulane University in New Orleans und Kritiker des New Urba- nism. Er legte sein Amt in der Bring New Orleans Back Kommission nieder. (Pogrebin 24.05.2006) 189 Als Planer und Architekten war auch das Büro Manning Architects vertreten. Raymond Manning wurde vom Bürgermeister persönlich gebeten, in der Planungskommission mitzuarbeiten. Laut John- son, einem Mitarbeiter von Manning Architects, sollte Manning in der BNOBC mitarbeiten, weil er in der Lage ist, den privaten Sektor (wie beispielsweise Immobilienentwickler) und den öffentlichen Sektor „zusammenzubringen“. (Johnson 27.02.2012) 190 Mr. Lagarde war zu dieser Zeit Präsident und Geschäftsführer der Delta Division von HCA, einem Gesundheitsnetzwerk, und verantwortlich für den Betrieb von siebzehn Krankenhäusern und fünf Chirurgischen Abteilungen in Louisiana, South Mississippi und Austin, Texas. Er war involviert in zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen als Ausschussmitglied oder Vorsitzender (beispiels- weise der New Orleans Police Foundation, des New oder des Bureau of Governmental Research (BGR) (Bring New Orleans Back Commission o.J.)

399

Die BNOBC verkündete eine Mission: Mit ihrer Arbeit wollte sie einen Master Plan-Prozess beenden, der seit einigen Jahren in der städtischen Planungsbehörde erarbeitet wurde, und die direkte Finanzierung des Wiederaufbaus in kultureller, sozialer und ökonomischer Hinsicht beraten und unterstützen. Ziel der BNOBC war es zudem, eine Art übergreifende Kooperation zu etablieren, indem der öffent- liche und private Sektor in einer bislang beispiellosen Art in New Orleans verbun- den werden sollte. (Burns, Thomas 2015: Pos. 750-772) Bürgermeister Nagin er- klärte dem US-Kongress, dass seine „Vision New Orleans wiederaufzubauen, Bür- ger, den privaten Sektor und die Stadtregierung berücksichtigt.“ (Burns, Thomas 2015: Pos. 784) Offiziell war das Planwerk adressiert an New Orleans Bürger so- wie Interessensvertreter bzw. städtische Akteure (Vorwort von Nagin in City of New Orleans, Bring New Orleans Back Commission 2006). Formal ist das Plan- werk im Bring New Orleans Back Fund angelegt, um finanzielle Ressourcen, in dem Falle Spenden oder Stiftungsgelder, einwerben zu können.191 Als ausführendes Organ, das für die Bereitstellung der Geldmittel verantwortlich ist, wird das Amt des Mayor of New Orleans genannt (NOLAplans 20.03.2010).

Die BNOB-Kommission wurde sowohl durch das ULI als auch von individuellen Spenden von Philanthropen und Immobilienunternehmen finanziert. (Collins 2011: 163) Dieses relativ große Konsortium wurde in sehr kurzer Zeit zusammengerufen. In dieser Zeit waren aufgrund der Folgen der Katastrophe nur wenige Daten ver- fügbar. Menschen weltweit unterstützen die Arbeit der BNOBC und generierten Daten für jedes städtische Handlungsfeld in New Orleans (Geologie, Ökonomie, Tourismus, Gesundheitswesen etc.). Der Informationsfluss war hoch und ein detail- liertes Planwerk mit Handlungsempfehlungen war das Ergebnis. (Johnson 27.02.2012)

Nach Johnson waren die vorgeschlagenen Ansätze zur zukünftigen Entwicklung der Stadt „etwas idealistisch“. Das Planwerk BNOB selbst sei zudem mit Ansätzen aufgeladen, die den Einfluss von Unternehmenseliten und Personen des öffentli- chen Lebens repräsentieren. (Johnson 27.02.2012) Die BNOBC an sich hatte zwar

191 Der Bring New Orleans Back Fund war als eine steuerbefreite Organisation nach Section 501 (c) (3) des sogenannten Internal Revenue Code angelegt wie Nonprofit-Organisationen.

400 einen Weg geebnet, dass Stadtregierung und Unternehmen miteinander ins Ge- spräch kommen und über die zukünftige ökonomische Entwicklung der Stadt nachdenken. Die Mitglieder drängten in diesem Zusammenhang auf ein schnelles Vorankommen. Aber diese Geschwindigkeit verwehrte Menschen, die wegen Hur- rikan Katrina die Stadt verlassen mussten, ein Mitspracherecht in diesem Prozess. (Burns, Thomas 2015: Pos. 795) Davis (04.04.2006) bezeichnet das BNOB- Konsortium als „konservative Expertenkommission“, der New Urbanists und Neo- demokraten angehören, die die lokale Geschäftselite beraten. Die lokale Geschäfts- elite übernahm in diesem Prozess „nahezu jede Funktion der Regierung“, so Davis. Davis weiter: „Unter weitgehendem Ausschluss des Stadtrates planen vom Bür- germeister ernannte Kommissionen und auswärtige Experten – vorwiegend weiße Republikaner – eine mehrheitlich schwarze demokratische Stadt radikal umzumo- deln.“ (Davis 24.08.2006)

In der BNOBC arbeiteten sieben Komitees, so auch das Urban Planning Commit- tee. Den Vorsitz des Urban Planning Committee hatte als Kommissionsmitglied der lokale Entwickler Joseph C. Canizaro192. Jonathan Barnett und John Beckman vom Büro Wallace Roberts & Todd, LLC mit Sitz in Philadelphia wurden vom Urban Planning Committee im November 2005 mit der Erarbeitung des planeri- schen Strategieplans beauftragt. So konnte das Urban Planning Committee den sogenannten „Action Plan for New Orleans: The New American City” der Stadt New Orleans am 11. Januar 2006 und dem Bundesstaat Louisiana am 13. Januar 2006 präsentieren. (BNOB/Planning Committee (2006): Action Plan, Forward) Sechs Ausschüsse waren an der Erarbeitung beteiligt: Historic Preservation, Hou- sing, Infrastructure/Data, Land Use, Sustainability und Urban Design.193 (BNOB/Planning Committee (2006): Action Plan, Folie 63-68) Am 28. Januar 2006 hat die BNOB die Abschlussberichte von den anderen sechs Komitees ange-

192 Canizaro gilt als Schlüsselfigur in der Planerarbeitung. Er ist ein enger Gefährte von George W. Bush und hatte einstmals den Vorsitz des Urban Land Institute inne. 193 Urban Planning Committee: Vorsitz Joseph C. Canizaro, Koordinator Nathan Watson; Historic Preservation Sub-committee: Vorsitzende Edgar Chase und Peter Trapolin; Housing Sub-committee: Vorsitzende Lauren An- derson, Kathy Laborde und Mtumishi St. Julien; Infrastructure/Data Sub-committee: Vorsitz Gregory Rigamer Chair; Land Use Sub-committee: Vorsitzende Walter Brooks und Larry Schmidt; Sustainability Sub-committee: Vorsitzende Pam Dashielle und Douglas Meffert; Urban Design Sub-committee: Reed Kroloff Vorsitz (Bring New Orleans Back Commission, Urban Planning Committee 11.01.2006: Figure 63-68)

401 nommen (Education, Infrastructure, Economic Development, Health/Social Ser- vices, Culture, Administration/Governmental Efficiency) (NOLAplans o.J.).

Das Planungsbüro Wallance Roberts & Todd, LLC aus Philadelphia und eine Viel- zahl freiwilliger Helfer erarbeiteten den Plan des Urban Planning Committee in- nerhalb von zehn Wochen. Das Komitee hatte die Aufgabe, die räumlichen Aspek- te des Wiederaufbaus herauszuarbeiten. (Bring New Orleans Back Commission, Urban Planning Committee 11.01.2006: Vorwort) Der sogenannte Action Plan, der als strategisches Werk zu verstehen ist, sollte die Grundlage für weitere Planwerke bilden: In einer nächsten Phase sollte ein sogenannter Recovery Plan erarbeitet werden, der den Anforderungen der FEMA entspräche. Darin sollten stadtweite Strategien hinsichtlich der schwer beschädigten Infrastruktur, der Umsiedlung von Schulen und anderer öffentlicher Einrichtungen, die Schaffung neuer stadtweiter Grünanlagen und ein Verkehrssystem eingebettet sein (Barnett, Beckman 2006: 288). Als Grundlage für die Arbeit zog die Kommission Erkenntnisse und Vor- schläge von Foren und Konferenzen zum Wiederaufbau heran, die zum Beispiel von der American Planning Organization (APA), der Brooking Institution, dem United States Green Building Council, dem National Trust for Historic Preservati- on und dem American Institute of Architects (AIA) veranstaltet wurden. Das nach Barnett und Beckman einflussreichste Forum hinsichtlich der Zukunft des BNOB- Prozesses wurde vom Urban Land Institute (ULI)194 organisiert (Barnett, Beckman 2006: 289).

In diesem Rahmen hat das ULI auch selbst ein Konzept vorgeschlagen. Und wie sich herausstellte, waren die Empfehlungen des ULI richtungsweisend für den wei- teren Verlauf des Prozesses: Die Vorschläge des ULI gingen auf die Fragen ein, wo

194 Das ULI war in mehreren Feldern nach Katrina aktiv. Es sponserte auch die Konferenz Louisiana Speaks, die nach Katrina vom Bundesstaat Louisiana organisiert wurde und im Marriott Hotel in New Orleans stattfand. 300 bis 400 Menschen nahmen aus unterschiedlichen Fachressorts daran teil (Housing, Education, Facility Planning, Community based planning u.a.): „There was a lot of planning conversation going on and a lot of people flying in who were experts who were giving there advice on how to rebuild the city.“ So sprach beispielsweise Bob Berkebile von BNIM über green design und green lead certification als Experte von disaster recovery planning. Gleichzeitig waren auf der Konferenz sehr wenige Fachexperten als Vortragende aus New Orleans vertreten. Auch aus den Niederlanden reisten Experten für Hochwasserschutz an, die später im Rahmen der sogenannten Dutch Dialouges beteiligt waren. So entwickelten sich aus der Konferenz Louisiana Speaks heraus verschiedene Initiativen wie beispielsweise die sogenannten Dutch Dialogues und Schools and Centers of Community. (Bingler 28.02.2012)

402

New Orleans’ Bewohnerschaft wieder angesiedelt werden könnte und in welchen Zeitfenstern das geschehen sollte. So hat das ULI unter anderem vorgeschlagen, die Siedlungsfläche der Stadt insgesamt phasenweise zu verringern: Die Quartiere des Stadtgebietes, die niedrig gelegen sind und die aufgrund dessen am meisten zerstört waren, sollten stufenweise zu Grünflächen entwickelt werden. Staatlich finanzierte Ausverkäufe von Eigentum sollten dies möglich machen (Olshansky et al. 2008: 275; vgl. Barnett, Beckman 2006: 289). Grundsätzliches Ziel des Plans war es, die Siedlungsfläche bis zu den natürlichen Deichen zu verringern und das Stadtwachstum zu begrenzen. Moderne hydraulische Systeme sollten eingesetzt werden. Nachbarschaften sollten davor bewahrt werden, in Stückwerk zu verfallen (jack-o-lantern effect), denn für New Orleans wurde zukünftig eine geringere Ein- wohnerzahl erwartet, so dass dem ULI die Siedlungsfllächenbegrenzung in diesem Zusammenhang angemessen erschien. Das ULI schlug städtischen Vertretern vor, ein Moratorium voranzutreiben, das für Baugenehmigungen in überfluteten Gebie- ten galt. (Powell 2007) Niedrig gelegene Stadtgebiete sollten also den Feuchtgebie- ten zurückgeführt werden, die als sogenannte Investitionszonen unbebaut bleiben sollte. (Burns, Thomas 2015: Pos. 803) Insgesamt flossen die Empfehlungen des ULI in den Erarbeitungsprozess des BNOB-Planwerks ein, da in diesen Prozess viele Mitarbeiter des ULI involviert waren. (Bingler 28.02.2012)

So stimmte Joe Canizaro, lokaler Entwickler und stellvertretender Leiter des Urban Planning Committee, den Vorschlägen des ULI grundsätzlich zu, schlug aber vor, dass es der Bewohnerschaft innerhalb von drei Jahren erlaubt sei, dorthin wieder zurückzukehren, woimmer sie wollten: „At the end of three yaers, we’ll see who is there. And if a neighboorhood is not developing adequately to support the services it needs to support it, we’ll try to shrink it then.“ (Canizaro zit. in Burns, Thomas 2015: Pos. 797) In seinem Abschlussbericht hat das Urban Planning Committee dafür geworben, das Nachbarschaften für nur vier Monate ihre „Lebensfähigkeit“ auf den Prüfstand stellen. Andernfalls sollen Grundstücke dieser Nachbarschaften von einer neuen Wiederaufbaubehörde aufgekauft werden können. Der Abschluss- bericht spricht sich darüber hinaus insgesamt für ein Moratorium für Baugenehmi- gungen in stark überfluteten Gebieten aus, für die Bereitstellung von 3,3 Milliarden US-Dollar für Investitionen in das Verkehrssystem von New Orleans und zwölf Milliarden US-Dollar für den Aufkauf von Grundstücken. (NOLAplans o.J.) So

403 hatte Joseph Canizaro in die BNOBC eingebracht, dieses Moratorium in den nied- rig gelegenen Teilen der Stadt für Bauen und Wohnen zu verhängen. Das betraf die Stadtteile New Orleans East, Lower Ninth Ward, Gentilly, Mid-City und Holly- grove. Damit war ein Ziel der BNOBC fehlgeschlagen: Die BNOBC wollte dazu beitragen, lang andauernde Partnerschaften innerhalb der Stadtgesellschaft zu etab- lieren und so die Stadt wiederaufbauen. (Burns, Thomas 2015: Pos. 795) Denn die Gebiete, in denen ein Moratorium empfohlen wurde, waren das Zuhause einer Vielzahl von Armut betroffener Menschen, Menschen der Arbeiterklasse und der afroamerikanischen Bewohnerschaft. (Collins 2011: 164)

Am 11. Januar 2006 wurde das Planwerk der BNOBC im Rahmen eines öffentli- chen Forums präsentiert, auf dem auch das Siedlungsflächenkonzept vorgestellt wurde: Die BNOBC präsentierte ein Konzept, das aus Nachbarschaften bestehe, die miteinander vernetzt waren. Jeder Nachbarschaft stand eine eigene Einzelhan- delszone, Schulen und eine gewisse infrastrukturelle Ausstattung zur Verfügung. Das Planwerk zeigte auch einige niedrig gelegene Gebiete, die mit grünen Punkten markiert waren und potentielle Parks und Grünzonen vorsahen. Das erzürnte die anwesende Bewohnerschaft, denn diese Punkte wurden von der Bewohnerschaft als ganze Nachbarschaften interpretiert, die zu Grünflächen umgenutzt werden sollten. Etwa eintausend Menschen waren im Raum und anwesende Bewohner beschimpften das Podium, wie es sein könne, dass ihre Nachbarschaft einfach in einen Park umgewandelt werden könne. (Schulte 11.06.2008) Auch Joe Canizaro wurde verbal angegriffen. Anwesend waren unter anderen der Bürgermeister, Stadtratsmitglieder und Raymond Manning, ein afroamerikansicher Architekt und Planer aus New Orleans, der an dem Planwerk mitarbeitete. (Bingler 28.02.2012) Die Glaubwürdigkeit der BNOBC war durch die Veröffentlichung des sogenannten Green Dot Plan beschädigt (Collins 2011: 164) und BNOB-Kommissionsmitglied Reed Kroloff gab umgehend Fehler der Kommission zu: Die Darstellung sei feh- lerhaft und es sei das Unvermögen der Kommission, die Planungsintentionen nicht genau erklärt zu haben: „When you combine our errors in graphic design and our inability to correctly explain what we intended, it created a vortex” (Kroloff zit. in Schulte 11.06.2008).

404

Die Lokalzeitung The Times Picayune bildete eine graphische Darstellung am 11. Januar 2006 auf Seite Eins ab, die auf den Empfehlungen der BNOBC basierte. Auch die Zeitung nutzte grüne Punkte, um die Gebiete zu markieren, die nicht wieder entwickelt werden sollten. Dieser Green Dot Plan, wie er lokal genannt wurde, zeigte, so Burns und Thomas (2015), dass afroamerikanische Nachbarschaf- ten zuletzt entwickelt werden sollten. Lakeview, eine Nachbarschaft der gehobenen Mittelschicht, in der mehrheitlich eine nicht afroamerikanische Einwohnerschaft wohnte, war auch niedrig gelegen und wurde auch durch die Folgen von Hurrikan Katrina stark überflutet und zerstört. Dennoch hat die BNOBC dieses Stadtviertel nicht als Grünzone ausgewiesen. (Burns, Thomas 2015: Pos. 803)

So wurde der Plan des Urban Planning Committee, der stark von den Empfehlun- gen des ULI beeinflusst wurde, von der afroamerikanischen Einwohnerschaft fol- gendermaßen interpretiert: Ihre Nachbarschaften wurden „abgeschrieben“ ohne deren Einwilligung oder wenigstens Konsultation. Denn der ULI-Plan erinnerte die afroamerikanische Einwohnerschaft an New Orleans in den 1870er Jahren als die „weiße Elite“ der Stadt die bundesstaatliche Regierung, die als pro afroamerika- nisch bekannt war, zu Fall brachte und anfing, Afroamerikaner ihrer Grundrechte zu enteignen.195 (Powell 2007) Steven Bingler, Gründer und Geschäftsführer des in New Orleans ansässigen Planungsbüros Concordia, untermauert die Bedeutsamkeit einer kulturellen Geographie in New Orleans. Er kommentiert das Konzept des ULI, indem er beschreibt, dass „A lot of people came in from the outside and they could say: There are some low lands and some high lands. So may be it make more sense not to rebuild in the low lands. The problem is that they did not understand New Orleans. They understood geography. They understood water levels. They did not understand cultural geography of New Orleans. They understood the physical geography of New Orleans.“ (Bingler 28.02.2012) Auch Becker bemängelte den Vorschlag einer externen Institution, nur höher gelegene Nachbarschaften wieder- aufzubauen, da dieser in New Orleans auf ein Klima traf, dass nach Rassen polari- siert war und dieser Vorschlag die Rassenspaltung noch mehr forciert habe: „We

195 1879 wurde eine neue Louisiana State Constitution ratifiziert, die sich bedeutend auf die Ge- schichte der Südstaaten auswirkte: Die rassische und soziale Vorherrschaft der „Weißen“ wurde u.a. aufrechterhalten, die den größten Teil der staatlichen, kirchlichen und kommunalen Institutionen kontrollierten. (Louisiana Department of Culture, Recreation and Tourism o.J.; Tulane University o.J.)

405 have a very polarized racial climate here.“ Nach Becker schien der Vorschlag zwar „logisch“ für Externe, aber „(...) they do not really apply when you actually dealing with the real people who live there and who want to come back and we have a cul- ture and a network of support (Becker 23.02.2012). Mit dieser externen Institution war das Urban Land Institute gemeint.

Zunächst hat sich Bürgermeister Nagin nicht zum Plan und zu dem Vorschlag, die Stadtfläche zu verkleinern, geäußert. Einige Tage nach der öffentlichen Präsentati- on, am 17. Januar 2006, hielt Bürgermeister Nagin im Rathaus anlässlich des Mar- tin Luther King Day eine Rede, die als „Chocolate City speech“ in die Geschichte einging: „(...) It’s time for us to rebuild a New Orleans, the one that should be a chocolate New Orleans. (...) This city will be chocolate at the end of the day. This city will be a majority African-American city. It's the way God wants it to be. (...)“ (Nagin 2006) Diese Rede war der Beginn für Nagins Wahlkampf zu seiner Wie- derwahl als Bürgermeister 2006.196 (Burns, Thomas 2015: Pos. 814) Dann am 21. Januar 2006, zehn Tage nachdem das Moratorium zum Wiederaufbau von der BNOB-Kommission öffentlich vorgeschlagen wurde, gab Bürgermeister Nagin bekannt, dass er dieses nicht unterstütze. (NOLAplans o.J.) Bis zu diesem Zeit- punkt hatte Bürgermeister Nagin den Prozess weder entscheidend unterstützt noch entscheidend opponiert197, obwohl er alle Kommissionsmitglieder eingesetzt hat und ihm der Plan intern – im Vorfeld der öffentlichen Präsentation am 11. Januar 2006 – vorgestellt wurde. Bei vielen Bürgern löste dieses Verhalten öffentlicher Amtspersonen Verunsicherung aus, und die Frage stand im Raum, wer in der Ver- antwortung ist. (Collins 2011: 164)

196 In dieser Kampagne betonte er Rassenunterschiede zwischen ihm und den „weißen“ Bewerbern. 2002 hat Nagin mit 59 Prozent seinen Gegenkandidaten, der ebenfalls Afroamerikaner war, bezwun- gen (Polizeipräsident Richard Pennington). 2006 unterlag dann Mitch Landrieu Ray Nagin, der acht- zig Prozent der afroamerikanischen Wählerschaft und zwanzig Prozent der „weißen“ Wählerschaft für sich gewann. Die Frage der Rassenidentität war der stärkste Faktor in der Wahl 2006. Wähler nahmen zwar Nagins Verhalten nach Katrina wahr, machten aber deutlich, dass sie der Bundesregie- rung – nicht dem Bürgermeister – die Schuld an der Katastrophe gaben. (Burns, Thomas 2015: Pos. 814) 197 Die Quellen widersprechen sich, wann sich Ray Nagin von den Planungen distanzierte: Entweder direkt zum Zeitunkt der öffentlichen Präsentation (Powell 2007) oder erst ein paar Tage später (Col- lins 2011: 164).

406

So lehnte Bürgermeister Nagin den Plan aus Gründen des politischen Selbstschut- zes insgesamt ab, als die Reaktion der Öffentlichkeit deutlich wurde. So hatte New Orleans jüngster kreolischer Bürgermeister letztendlich den Individualismus des freien Marktes begrüßt und eine marktgetriebene Strategie proklamiert: Eigentümer sollten mit relevanten Informationen versorgt werden. Herausgefunden werden sollte, welche Gebiete der Stadt zu risikoreich sind, um wiederaufgebaut werden zu können. Nichtsdestoweniger sollte aber Eigentümern erlaubt werden, selbst zu entscheiden, wo und wie sie ihre Bankanleihen, öffentlichen Zuschüsse und Versi- cherungsauszahlungen investieren möchten. Nach Nagin werden zerstörte Nach- barschaften niedergehen oder wiederaufgebaut, weil das die Menschen, die dort leben und arbeiten, entscheiden. (Powell 2007)

Der öffentliche Eklat in Bezug auf den Vorschlag um die Verkleinerung der Sied- lungsfläche wird auf dreierlei Weise erklärt. Darstellungsfehler, ein Mangel an Informationen und vermeintlich kein frühzeitiges Einbeziehen der Betroffenen werden als Hauptursachen erkannt: Wie bereits Reed Kroloff andeutete, waren auch nach Chris Johnson, Mitarbeiter von Manning Architects, Darstellungsfehler die Ursache des Fehlschlages, der durch den sogenannten Green Dot Plan ausge- löst wurde. Er spricht von einem Missverständnis, das es unmöglich machte, ver- antwortliche Akteure und die Öffentlichkeit zur Auflösung des Problems zu bewe- gen: „Lesson learned on graphics. When you make a presentation: When you want to make a park – use green, when you want to make water – use blue. If you don't intent to make a park – don't use green. The green dot fiasco happened because the color green was selected for areas of the city that seem to be risky for reinvestment in the immediate future. When the color green was used, there was a immediate misrepresentation – a misunderstanding by the general public that that land was supposed to be revoked and go back to public and turn into green space. And that would be an enormous amount of expropriation by a public entity – by eminent domain. Take that land and bring it back to the public sector. It was a misunder- standing. A downside of that whole scenario was that people in the public room took that seriously. There was no getting back. There was no bringing anybody to the table at that point. So everybody from that moment forward had to be very deli- cate with how they approach the topic of the footprint. So you saw political cam- paigns based on the slogan: Never use the footprint. And that was a policy for the

407 campaign. It was never really under consideration to reduce the footprint but it became - charged of that others run of this - as a politically campaign platform.“ (Johnson 27.02.2012) Johnson zieht zwei Lehren aus den Ereignissen in Bezug auf den Green Dot Plan: „I think also that you have to learn that you have to know your media you are recording to. So that was the second lesson learned is: Work with your media and trust them but may be just be careful when you work with them and when you trust them." (Johnson 27.02.2012)

Das Planungsbüros Wallace Roberts & Todd hatte die Federführung bei der Erar- beitung des Action Plan und demnach auch des Green Dot Plan im Speziellen. Nach Robert Becker, einem ehemaligen Leiter der städtischen Planungsbehörde, wurde das externe Planungsbüro Wallance Roberts & Todd beauftragt, trotz widri- ger Umstände eine Neuentwicklung von New Orleans vorzuschlagen, die unter anderem auch im Green Dot Plan mündete198: „He was hired to come in and put something together, again no data, no information, no nothing; just come in here and create a redevelopment plan. And so he outlined areas; he did circles around areas and said: These are really low, they have been badly flooded, so there might be some value in buying up land (...). He also said in the document that the neigh- borhood should be consulted about this before anything happen but nobody listen to that. Anybody just pulled this map out and said: Oh my god, my house is under the green dot. Take my house. There were a lot of very good things in that plan, but they never really saw the light of the day because everybody was just traumatized by the one map. The one map. (...) And there were a bunch of maps. Once this map came out nobody could see past anythings else. And he did a lot of good work. There is a lot of good work in that plan but Todd mean something as a planner: You have to be really careful about the maps that you show to people after a disas- ter because no matter what you write in the report, people say: look at that, look at this, my house is in there. I think that was very unfortunate because he did a lot of good work and he never intended that what happend. (...) (I)t was nobody back and nobody here he could talk to. He could not go up and talk to neighborhood leaders because it was nobody here. All he had were certain maps and a tour in the city and

198 Die Quellen lassen unterschiedliche Standpunkte zu, wer die Idee der green dots im Grunde auf- gebracht hat; eine Idee des Büros Wallance Roberts & Todd (Becker 23.02.2012) oder eine Idee des ULI (Olshansky et al. 2008: 275; vgl. Barnett, Beckman 2006: 289).

408 seeing the lowlying flooded areas. So he did not really had any idea whether people who were flooded wanted to come back.“ (Becker 23.02.2012)

Abbildung 57: Der ursprüngliche Parks and Open Space Plan der Bring New Orleans Back Commission vom 11. Januar 2006 (Campanella 2015).

Das Planungsbüro plädierte also auch entschieden dafür, die betroffene Bewohner- schaft zu konsultieren, bevor offizielle politische Schritte eingeleitet wurden, was ansatzweise und nur vermeintlich nicht geschah: Tatsache ist, dass im Dezember 2005 von der APA und dem ULI im Rahmen des Planungsprozesses um das Plan- werk Bürgerveranstaltungen in den Rathäusern der Städte Atlanta, Baton Rouge, Dallas/Fort Worth, Houston und Memphis organisiert wurden. Dort hatten Bürger von New Orleans, die noch nicht zurückkehren konnten die Möglichkeit, sich an den Planungen zum Wiederaufbau von New Orleans zu beteiligen. Die Veranstal- tungen wurden durch die Fannie Mae Foundation unterstützt (American Planning Association o. J.b). Sechs dieser überlokalen Bürgerveranstaltungen wurden orga-

409 nisiert.199 An diesen sogenannten Town Hall Meetings sollten so viele Bürger wie möglich teilnehmen, um eine Vielzahl an inhaltlichen Beiträgen zum Wiederauf- bauprozess zu generieren und um eine konstruktive Beteiligung am Wiederaufbau von New Orleans zu sichern. Diese Städte wurden ausgewählt, weil sie die Um- siedlungsgebiete repräsentieren, die die Mehrheit der Bürger von New Orleans nach Katrina aufgenommen haben. Diese Town Hall Meetings wurden vom Urban Land Institute200, der American Planning Association201 und der Georgia Planning Association organisiert. (Urban Land Institute 17.11.2005)

Johnson erklärt die eigentliche Absicht des Siedlungsflächenkonzeptes: Dieses Dokument war als vorläufige Strategie gedacht, bis ein Plan entwickelt werden konnte, in dem eine zukünftige Entwicklung bestimmter Gebiete der Stadt vorge- schlagen wurde (Johnson 27.02.2012; vgl. auch Olshansky et al. 2008: 275). Auf Grundlage dieses Plans sollten dann erst private und öffentliche Gelder investiert werden. Die Bewohnerschaft von New Orleans sollte erst einmal nicht in sehr risi- koreiche Gebiete der Stadt investieren und sich auf dieses Stillhalteabkommen einlassen. Zunächst war erst einmal ein besseres Verständnis davon nötig, wer von bestimmten Entwicklungen profitieren würde und wie Kapitalerträge erreicht wer- den könnten, von denen Menschen leben könnten. Die Bewertung des Risikos von Standorten stand demnach im Mittelpunkt des Konzeptes: „When you talk about an area identified as being a higher risk zone for redevelopment or reassessment, it was only a matter of bringing people to pause for a moment before they put money of investment into this area until a plan could be formulated for how to improve that area; for making it more sound of a location to invest your public or private

199 Die Veranstaltungen fanden in Atlanta am 6. Dezember 2005 statt, in Houston am 10. Dezember, in Baton Rouge und Memphis am 4. Dezember, in Dallas am 6. Dezember und in Fort Worth am 5. Dezember 2005. 200 Das Urban Land Institute (www.uli.org) versteht sich als ein Nonprofit-Bildungs- und For- schungsinstitut, das durch seine Mitglieder unterstützt wird. (Urban Land Institute 17.11.2005) 201 Die APA versteht sich als eine Nonprofit-Organisation des öffentlichen Interesses und der For- schung und als Repräsentant von 37.000 praktisch arbeitenden Planern, Angestellten in Behörden und Bürgern, die in städtische und ländliche Planungsangelegenheiten involviert sind. Die Mission der APA ist es, eine führende Rolle bei der Entwicklung von lebendigen Nachbarschaften zu spielen, indem sie „exzellente“ Nachbarschaftsplanung anwaltschaftlich vertritt, Bildung und bürgerschaftli- ches Engagement fördert sowie Instrumente bereitstellt und Unterstützung leistet, um Herausforde- rungen von Wachstum und Wandel gerecht zu werden. (Urban Land Institute 17.11.2005; vgl. Ame- rican Planning Association o.J.a)

410 dollars. That needed a better understanding of where your risks where. They need better to understand who was going to benefit from those developments and how to have a return on investment that people can live with. What is the risk of ‚as we were’. That was the real goal of having the green dot map.“ (Johnson 27.02.2012)

Abbildung 58: Die lokale Tageszeitung Times Picayune überarbeitete die Darstellung des Planes und veröffentlichte diese Darstellung am 23.08.2010 (Hill 14.09.2010).

Steven Bingler, lokaler Planer und Augenzeuge der Ereignisse bei der öffentlichen Präsentation des BNOB Planwerks, weist auf unterschiedliche Dimensionen von „Planung“ hin, die das ULI nicht erkannt hatte. Bingler erklärt zudem die Sichtwei- se externer Planer, denen es natürlicherweise verwehrt ist, lokale Gegebenheiten wahrzunehmen, wenn es keinen Bürgerbeteiligungsprozess im Rahmen einer Plan-

411 entwicklung gäbe; ein Prozess, der lokale Eigenheiten von New Orleans „aufge- deckt“ hätte. Damit wurde die Rassenfrage zum Thema, worauf vor allem die afro- amerikanische Bewohnerschaft in New Orleans aufgrund der Historie empfindlich reagierte: „I was there in the meeting and it was ... it was very sad ... it was very very tragic. And part of the problem was that – the planners did not separate the physical geography from the cultural geography. And so they were recommending that certain areas could be rebuilt; they were actually lower in physical geography then some other areas that they were recommending that should not be rebuild. And most of the areas that they were recommending that should not be rebuilt were black neighborhoods. So immediately New Orleans was locked in the box of race and equity. It is a long story. It really has been this whole issue of equity and race of part of New Orleans since the very beginning. So, in a way what happens is – because the community was not consulted – there was no way for these planners to know and understand this other dimension of planning that was completely left out of the process.“ (Bingler 28.02.2012)

Wie sich zudem herausstellte, sind die Gebiete, die mit einem grünen Punkt auf dem Plan gekennzeichnet waren, nicht so tief gelegen wie andere. Es gibt zudem auch Gebiete im Stadtteil Lower Ninth Ward, das mit einem grünen Punkt gekenn- zeichnet war, die höher gelegen sind als Teile in anderen Gebieten. Auch gibt es Gebiete in New Orleans East, die höher liegen als andere Gebiete. Nach Bingler würden die Menschen, die zurückkommen, ohnehin in den Teilen der gekenn- zeichneten Gebiete bauen, die höher gelegen sind. Demnach sei die Idee, so Bing- ler, unverständlich, warum eine gesamte Nachbarschaft einen grünen Punkt erhielt, nur weil einige Teile des Gebietes sehr niedrig gelegen sind. Seiner Meinung nach wollten die verantwortlichen Planer „zuviel“ in „zu kurzer Zeit“. Aber bedauerli- cherweise sei das Konzept öffentlich bekannt gemacht worden, bevor es einer Überprüfung unterzogen werden konnte. (Bingler 28.02.2012)

Nach der Veranstaltung brach der Bürgermeister den BNOB-Prozess ab. Bingler bezeichnet diese Beendigung des Prozesses als ziemlich unglücklich, weil der Pro- zess verschiedene Bestandteile hatte, von denen viele positiv waren und erfolgreich

412 hätten werden können.202 Nach Bingler war der gesamte Prozess in dem Moment beendet, als Rasse und Gerechtigkeit zum Thema wurden. Nach Bingler hatte Bür- germeister Nagin vor dem Hintergrund der Ereignisse sogar zu der Situation beige- tragen, als er die Stadt zur zukünftigen Chocolate City ausrief. Das spaltete die Bewohnerschaft von New Orleans, denn vor diesen Ereignissen gab es mehr Zu- sammenarbeit über die Rassen hinweg. (Bingler 28.02.2012)

Abbildung 59: Diese Darstellung des National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) zeigt die geschätzte Tiefe der Hochwasserstände vom 3. September 2005 innerhalb der Stadtgrenze von New Orleans (Campanella 2015).

Nach Burns und Thomas (2015) verängstigte der Green Dot Plan und der Prozess, wie dieser entwickelt wurde, die afroamerikanische Bewohnerschaft von New Or-

202 Beispielsweise lobte Bingler die Arbeit rund um die Neuentwicklung und Umstrukturierung der Schulen, was ein Ergebnis des Komitees für Bildung im BNOB-Prozess war. Zudem wurden Konzep- te hinsichtlich der ökonomischen Entwicklung und der Restrukturierung der Stadtregierung erarbeitet. (Bingler 28.02.2012)

413 leans: Katrina würde von der „weißen“ Elite der Stadt als ein Vorwand benutzt, um die Rassenstruktur und die sozioökonomische Zusammensetzung von New Orleans zu verändern sowie um ihre Autorität und Macht zu erweitern.203 (Burns, Thomas 2015: Pos. 803) Nach Powell (2007) hätte der Plan einige Nachbarschaften wie ein Schlag getroffen. Sobald klar war, dass individuelle Eigentümer selbst in der Pflicht waren, die überschwemmten Nachbarschaften wiederaufzubauen, beantrag- ten tausende Bewohner Baugenehmigungen. Sie gründeten neue Bürgerinitiativen, reaktivierten alte Organisationen oder Nachbarschaftsgruppen ernannten sich selbst zu Planungskommittees. Dabei war die Mittelklasse der Stadt, egal ob afroameri- kanisch oder „weiß“, durch umfangreichere Ressourcen bekanntermaßen besser organisiert. (Powell 2007)204

Insgesamt erweist sich retrospektiv darüber hinaus ein Missverständnis im Pro- zessverlauf als richtungsweisend für den gesamten Wiederaufbauprozess: Die Kommissionsleitung des BNOB plante einen viermonatigen Nachbarschaftspro- zess, um den vermeintlichen „Mangel an Bürgerbeteiligung“ zu beheben (Ols- hansky et al. 2008: 275–276). Am 11. Januar 2006 wurden im Rahmen der öffent- lichen Präsentation des BNOB-Planwerks der lokale Architekt Ray Manning und der Dekan des Architekturinstituts der Tulane University in New Orleans, Reed Kroloff, vom Urban Planning Committee der BNOB Commission beauftragt, Pla- nungstreffen im Rahmen des weiteren Verlaufs des BNOB-Prozesses durchzufüh- ren, die am 20. März 2006 beginnen sollten. (NOLAplans o.J.) Denn die Kommis- sionsleitung ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass FEMA die finanziellen Mit-

203 Der ehemaliger Bürgermeister Marc Morial, der zu dieser Zeit Vorsitzender der National Urban League war, hat den Green Dot Plan als einen „massive red-lining plan wrapped around a giant land grab“ (Morial zit. Rivlin 12.01.2006; Burns, Thomas 2015: Pos. 803). Er sprach sich für ein Hoch- wasserschutzsystem aus, das einem Sturm der Kategorie Fünf standhielt, so dass jeder Teil der Stadt geschützt werde. (Burns, Thomas 2015: Pos. 803) 204 Bürger richteten Stellen ein, um Werkzeug zu verleihen, bauten Internetauftritte und elektronische Foren auf. Die städtische Behörde für Straßenwesen (Public Works Division) war unterbesetzt, so dass lokale Bewohner Straßenschilder improvisierten und Schlaglöcher füllten. Aspekte dieser soge- nannten take-charge politics sind historisch im good-government activism von Uptown New Orleans begründet, wie Pamela Tyler aufzeigt: Innerhalb der ersten Wochen nach Katrina haben verschiedene hochrangige „weiße“ Frauen dafür gesorgt, dass der verwurzelte Klientelismus umgestoßen wird: Sie organisierten eine erfolgreiche Initiative, die die Levee Boards der Region konsolidieren sollte und sie beseitigten das städtische archaische Steuersystem. Diese bürgerliche Mobilisierung zog Nachbar- schaften über die Grenzen von Rasse und Klasse hinweg an. (Powell 2007; vgl. Tyler 2007)

414 tel dafür bereitstellte. 7,5 Millionen US-Dollar waren dafür notwendig. FEMA wies allerdings eine derartige Aussage mit der Begründung zurück, dass die Be- hörde rein rechtlich keine Berater für lokale Planungsprozesse fördern könne. (Olshansky et al. 2008: 276). Am 10. März 2006 versprach die LRA die notwendi- gen 7,5 Millionen US-Dollar für den Planungsprozess, der von Manning und Kro- loff geleitet werden sollte (NOLAplans o.J.). Dazu kam es offensichtlich nicht und ohne eine finanzielle Förderung eines Nachbarschaftsplanungsprozesses kam der BNOB-Prozess zum Stillstand. „Planung“ an sich erlitt einen bedeutenden öffentli- chen Vertrauensverlust und die Stadt war einige Monate nach dem Wirbelsturm ohne „Planung“. (Olshansky et al. 2008: 276) Inzwischen wurde die Bewohner- schaft der am meisten zerstörten Stadtviertel und Nachbarschaften aktiv. Einige dieser Bemühungen, vor allem die in den Stadtvierteln Broadmoore und Lower Ninth Ward, haben von der Hilfe überlokaler Universitäten profitiert. (Olshansky et al. 2008: 276)

Insgesamt ist Burns und Thomas (2015) zufolge der Versuch der BNOBC, rassen- übergreifend eine stadtgesellschaftliche Partnerschaft zu entwickeln, mit der Rede zur „Chocolate City“ von Bürgermeister Nagin fehlgeschlagen. Die Diskussion um eine verkleinerte Stadtfläche und die bevorstehende Bürgermeisterwahl entfachten eine Debatte zur Entwicklungsfähigkeit von Nachbarschaften im Rahmen der nach- folgenden Prozesse um die Entwicklung der Planwerke. (Burns, Thomas 2015: Pos. 825) Die öffentliche Reaktion auf den Green Dot Plan der BNOBC führte bei den stadtpolitisch gewählten Vertretern und den neuen Bürgermeisterkandidaten das Versprechen herbei, dass die Bürger ein Recht auf Rückkehr in jede Nachbar- schaft der Stadt haben. Die Stadtregierung würde zwar nicht jede Art sozialer und infrastruktureller Dienstleistung in jedem Teil der Stadt garantieren, aber wenn Bewohner zurückkehren wollten, würde ihnen das nicht untersagt werden. Die Stadt würde nicht versprechen, dass Deiche bestimmte Teile der Stadt schützen würden. Aber nach der Kontroverse in Bezug auf den Green Dot Plan ordne sich „Sicherheit“ dem „Recht auf Rückkehr“ unter. (Burns, Thomas 2015: Pos. 825) Einige städtische Vertreter sahen zudem vor dem Hintergrund der Debatte um den Green Dot Plan einen rationalen Diskurs zum Wiederaufbau von New Orleans als beendet an. (Burns, Thomas 2015: Pos. 834) Vertreter des Bureau of Governmental Research (BGR) forderten einen fairen und kriteriengeleiteten Ansatz, um einer

415 räumlichen Unausgeglichenheit und einer Gefahrenabwehr gerecht zu werden. In einem Bericht vom 22. Dezember 2005 mit dem Titel „Wanted: A Realistic Deve- lopment Strategy“ stellte das BGR heraus, dass die Stadt es seiner Einwohnerschaft schuldig sei, einen Plan zu entwickeln, der aufzeigt, welche Teile der Stadt wieder- aufgebaut werden können und zu welchem Zeitpunkt. Der Plan müsse auf einer sorgfältigen Analyse der physischen und demographischen Realitäten basieren, die in der Stadt vorherrschen, und nicht auf politischen Abwägungen. Diese Art von Plan würde es nach dem Green Dot Plan allerdings nicht mehr geben. (Burns, Thomas 2015: Pos. 834)

Insgesamt war also der Widerstand der Einwohnerschaft und die darauf gefolgte stadtpolitische Entscheidung nicht ausschließlich der Grund für einen Abbruch des BNOB-Planungsprozesses: Obwohl die BNOB-Kommission darauf hinwies, dass der Green Dot Plan zunächst eine Skizze darstelle und obwohl Bürgerbeteili- gungsverfahren stattgefunden oder geplant waren, könnte auch der Widerstand der Bundesbehörde FEMA als Zünglein an der Waage interpretiert werden. FEMA erklärte sich nicht bereit, ein größeres Partizipationsverfahren zu fördern.

D I.4 Prozessergebnis Planwerk Bring New Orleans Back

Nachdem auf den stadtpolitischen Kontext, die gesamtstädtischen Ziele und den Erarbeitungsprozess des Planwerks eingegangen wurde (1.1 – 1.3), wird kurz zu- sammengefasst, welche Leitidee, welcher Ansatz oder welche Logik sich letztend- lich von welchem Akteur oder welcher Akteurskonstellation stadtpolitisch durch- gesetzt205 oder nicht durchgesetzt hat und die Gründe dafür werden herausgearbei- tet.

205 Durchgesetzt hat sich ein Planwerk beziehungsweise eine Leitidee, ein Ansatz oder Logik eines Planwerks im Rahmen dieser Arbeit, wenn dieses öffentlich kollektiv (von der Einwohnerschaft, städtischen Institutionen und Organisationen, respektive Akteuren der Sphären Staat, Markt und Zivilgesellschaft) gebilligt, akzeptiert oder angenommen oder es von zuständigen stadtpolitischen Akteuren und Institutionen offiziell beschlossen und genehmigt wurde. Die Untersuchung einer Durchsetzung im Sinne einer stadträumlichen Wirkung stand in dieser Arbeit nicht im Mittelpunkt, stellt aber weiteren Forschungsbedarf dar.

416

Auslöser für diesen Wiederaufbauplan ist die Katastrophe an sich und die unmit- telbare Initiative von einem zentralen lokalen Entscheidungsträger, dem damaligen Bürgermeister der Stadt New Orleans Ray Nagin, eine Wiederaufbaukommission (BNOBC) zusammenzurufen. Diese Kommission hatte die Aufgabe, einen Plan zum Wiederaufbau zu erarbeiten. Diese neue Wiederaufbaukommission und dem- nach auch die Erarbeitung des Planwerks wurde vornehmlich durch zwei lokale Faktoren gefördert: Die städtische Planungsbehörde (City Planning Commission) hatte aufgrund der Evakuierungen durch Hurrikan Katrina einen extremen Perso- nalmangel und war aufgrund dessen schon personell nicht in der Lage, Empfehlun- gen zur Entwicklung der Stadt nach der Katastrophe abzugeben, wofür die Institu- tion laut Stadtsatzung eigentlich in dieser Situation zuständig war. Darüber hinaus kann das Verhältnis zwischen Bürgermeister und der Planungsbehörde an sich als „unstimmig“ bezeichnet werden. (Faktoren, die eine Planwerksentwicklung im Nachgang der Katastrophe zunächst gefördert haben)

Das Planwerk zum Wiederaufbau Bring New Orleans Back und insbesondere das Siedlungsflächenkonzept, das vom Urban Planning Committee präsentiert wurde, wurde von „Öffentlichkeit“ und den lokalen Medien bestenfalls als affront gegen die afroamerikanische Einwohnerschaft von New Orleans interpretiert: Verstanden wurde, dass in niedrig gelegenen Teilen der Stadt – in denen überwiegend Afro- amerikaner wohnten und in denen die Überschwemmungsgefahr besonders hoch ist – Grünflächen entwickelt werden sollen und das Wohnen beziehungsweise Siedeln in höher gelegene Teilen der Stadt konzentriert werden soll. Vorgeschlagen wurde, die Stadtfläche phasenweise unter bestimmten Bedingungen einzugrenzen, was als eine Art Neuentwicklung der Stadtfläche interpretiert werden kann. (Leitidee, An- satz oder Logik gesamtstädtischer strategischer Ziele) Dieser inhaltlich-materielle Planwerksansatz des BNOB in Bezug auf die Flächennutzung (letztlich Verkleine- rung der Siedlungsfläche) wurde stark von überlokalen Fachplanern (Büro Wallace Roberts & Todd) und von einem externen Think Tank (Urban Land Institute, ULI) beeinflusst. (überlokale Mitwirkung von Fachexpertise und fachpolitischen Orga- nisationen)

Dieses Flächennutzungsmodell konnte sich als Leitidee für den Wiederaufbau nicht durchsetzen: Das Planwerk Bring New Orleans Back (BNOB) hat scheinbar lokal

417 eine Flächennutzungsneuordnung mit radikalem Ansatz vorgeschlagen, von der sich die vornehmlich afroamerikanische Bewohnerschaft provoziert fühlte: Vor einem geschichtlichen und kulturellen Hintergrund sind in New Orleans Erfahrun- gen der afroamerikanischen Einwohnerschaft von Rassismus und sozialer Benach- teiligung kollektiv durch ein lange währendes diskriminierendes soziales System tief verwurzelt (vgl. C I 2). Dadurch wurde öffentlich kollektiver Widerspruch lautstark und ein unterschwelliges Misstrauen der Einwohnerschaft gegenüber Re- gierungsorganisationen zudem offensichtlich. Der damalige Bürgermeister (Ray Nagin) distanzierte sich öffentlich von dem Planwerk und verkündete öffentlich, dass überall gesiedelt werden dürfe. Bürgermeisterwahlen standen unmittelbar bevor, so dass der Verlust einer (afroamerikanischen) Wählerschaft zum Amtsver- lust des amtierenden Bürgermeisters hätte führen können. In der Konsequenz blo- ckierte demnach die Entscheidungsbefugnis des Bürgermeisters die Fortschreibung des Planwerksprozesses. Die Lokalregierung gilt in diesem Zusammenhang als „schwach“. Denn ihr war es nicht möglich, das Flächennutzungskonzept öffentlich zu kontextualisieren und in einen produktiven öffentlichen Diskurs zu treten bezie- hungsweise die notwendigen Schritte dafür einzuleiten. Insgesamt war aber ein Ignorieren des Willens der Bewohnerschaft offenbar nicht möglich und der öko- nomische Imperativ in der Stadtentwicklung setzte sich letztendlich durch. Der strukturell-prozessuale Ansatz des Planwerkes, einen bewohnerschaftlichen Parti- zipationsprozess in eine spätere Phase des Planwerksprozesses zu terminieren, war insgesamt gescheitert, zumal fehlende überlokale finanzielle Ressourcen (für die- sen Partizipationsprozess) eine Weiterentwicklung des Planwerks insgesamt ver- hindert hatten. Es mangelte demnach grundsätzlich an frühzeitigen und angemes- senen formalen Bürgerbeteiligungsformen. (Faktoren, die eine Weiterentwicklung des Planwerks im Nachgang der Katastrophe blockiert haben)

Diesem Planwerk und insbesondere dem Siedlungsflächenkonzept kann ein ratio- nales Planungsverständnis mit einer gewissen Zweck-Mittel-Rationalität zuge- schrieben werden. Denn was aus planerischer Sicht rational und praktikabel er- scheint, kann der Kultur und der Historie des Ortes widersprechen, so dass sich – wie in diesem Fall – beispielsweise zivilgesellschaftlicher Widerstand formiert und das Planwerk aus politischen und finanziellen Gründen nicht weiterentwickelt wird. (Art der Rationalität)

418

Abbildung 60: Planwerk Wiederaufbau Bring New Orleans Back (BNOB) (substanziell reformfä- hig, prozessual nicht reformfähig) (eigene Darstellung).

D I.5 Zwischenfazit BNOB: Chance auf Umsetzung von lokaler Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung vertan

In diesem Zwischenfazit wird die Art lokaler Reformfähigkeit (strukturell- prozessual und/oder substanziell-materiell) sowie deren Reichweite interpretiert. Anschließend werden Bedingungen zusammengefasst, die lokale Reformfähigkeit im Entwicklungsprozess des Planwerks forciert oder blockiert haben.

419

Grundsätzlich spiegelt dieses Planwerk lokale Reformfähigkeit wider, obgleich sich die Leitidee des Siedlungsflächenkonzeptes nicht durchsetzen konnte (vgl. 1.4): Aufgrund seines Konzeptes, die Siedlungsentwicklung insgesamt neu zu defi- nieren und eine Wiederbesiedlung erst einmal nur in höher gelegenen Teilen der Stadt nach der Katastrophe anzustreben, wird ein „neuer“ inhaltlich-materieller Planungsansatz deutlich. Sein strukturell-prozessualer Ansatz, der als elitär und top-down bezeichnet werden kann, zeigt sich in Bezug auf die lokale Planungspra- xis vor Hurrikan Katrina nicht reformfähig, obgleich die Einberufung und die Ar- beit der Wiederaufbaukommission (BNOBC) an sich in New Orleans neu ist und durch den Bürgermeister (Ray Nagin) forciert wurde. In der Systematik der Reich- weite von Reformen (nach Hall 1993) kann das Planwerk als Reform 3. Ordnung bezeichnet werden, in der ein neues Instrument für ein neues Ziel entwickelt wird. (Reichweite einer strukturell-prozessualen oder inhaltlich-materiellen Reformfä- higkeit)

Vor dem Hintergrund des dargelegten Planungsprozesses, dessen Ergebnis und Kontextes war an der subtanziell-materiellen Reformfähigkeit die Mitwirkung neu- er überlokaler Akteure von entscheidender Bedeutung aufgrund einer neuen Ak- teurskonstellation, die die Dynamik des Planwerksprozesses insgesamt bestimmte: Die städtische „Elite“ aus Wirtschaft und Politik arbeitete mit fachlichen Experten und fachpolitischen Organisationen zusammen, die sowohl fachlich-ideelle als auch finanzielle Ressourcen in diesem Planungsprozess bereitstellten (Ressourcen). Zwar macht der strukturell-prozessuale Ansatz des Planwerks an sich (elitär und top-down erarbeitet) keine lokale Reformfähigkeit deutlich, denn beispielsweise wird in New Orleans erst im Zuge der Erarbeitung des Master Plans ein formaler Bürgerbeteiligungsprozess im Rahmen der Stadtentwicklung institutionalisiert. Aber im Rahmen des elitären Ansatzes wurde die BNOBC, die eigens nach Katrina einberufen wurde, dennoch neu institutionalisiert. Erst durch die Katastrophensi- tuation wurde diese Art der Kommission legitim und der offizielle Status einer Elitenpolitik hat sich in diesem Moment verändert; vor Hurrikan Katrina nahm „die Elite“ eher informell Einfluss, nach Hurrikan Katrina nun offiziell. Durch diese Akteurskonstellation konnte paradoxerweise eine substanziell-materielle Reform- fähigkeit erreicht werden: Diese offizielle personelle und institutionelle Neubeset- zung in Bezug auf die Erledigung der Planungsaufgabe in New Orleans macht ei-

420 nerseits eine öffentlich legitimierte Koalitionsbildung von lokalem Staat und Pri- vatwirtschaft deutlich und zeigt andererseits eine gewisse Beharrlichkeit der power elite im Fall von New Orleans. Denn für die Erledigung der Planungsaufgabe und somit insbesondere auch für die Erarbeitung eines Planwerks zum Wiederaufbau ist laut Stadtsatzung die städtische Planungsbehörde zuständig. Allerdings hatte die lokale Planungsbehörde nicht die notwendige Personalkapazität nach Hurrikan Katrina und kam demnach (vor allem für den Bürgermeister) nicht in Frage, diese Aufgabe auszuführen. So kann diese institutionelle Veränderung nach Hurrikan Katrina paradoxerweise als weitere Bedingung für die aufgekommene inhaltlich- materielle Reformfähigkeit interpretiert werden, die – und wenn auch nur kurzzei- tig – auf der Entscheidungsbefugnis des Bürgermeisters basiert. Aufgrund von Aktionismus, Pragmatismus oder Ignoranz besinnt dieser sich in Zeiten von Stress – möglicherweise unbewusst – auf sein vertrautes Umfeld der Unternehmerwelt und sah aufgrund dessen keinen Anlass, die städtische Planungsbehörde in den Planungsprozess zum Wiederaufbau einzubeziehen. Er gestand ihr weder diese Aufgabe zu, noch setzte er sich dafür ein, die Personalkapazität zu erhöhen, um eine Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten. Die Einwohnerschaft in irgendeiner Weise in den Planungsprozess von Anfang an mitzunehmen, wurde offiziell versäumt. Möglicherweise hätte sich das aufgrund der hohen Evakuierungsrate oder dem psychischen Stress der Einwohnerschaft in der unmittelbaren Folgezeit von Hurri- kan Katrina als ein schwieriger Prozess gestaltet. Insgesamt hat sich in diesem Pro- zess also gezeigt, dass die Kombination der Bedingungen von neuer überlokaler Mitwirkung (Fachexpertise) und lokaler institutioneller Veränderung und deren Ressourcen lokale inhaltlich-materielle Reformfähigkeit forcieren kann. (Bedin- gungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren oder blockieren)

421

D II Planwerk zum Wiederaufbau New Orleans Neighbor- hoods Rebuilding Plan (NONRP) mit Bottom-Up- Protestcharakter

Von März 2006 bis Oktober 2006, also teilweise zeitlich parallel zur Kommissi- onsarbeit des Planwerks Bring New Orleans Back (Ende September 2005 – offizi- ell bis Oktober 2006) fand in den Quartieren, die von der Überflutung betroffen waren, ein Nachbarschaftsplanungsprozess statt. Der so erarbeitete New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan (NONRP) schlägt vor, in welcher Art und Weise Nachbarschaften erneuert oder umgebaut werden sollen. Laut Planwerk sind die Pläne vom Nachbarschaftsplan dazu geeignet, in einen stadtweiten Wiederaufbau- plan eingearbeitet zu werden, um durch diesen wiederum vom Bundesstaat Louisi- ana und der Bundesregierung Fördermittel akquirieren zu können (City of New Orleans 31.10.2006b: 3). Diese Eignung und Absicht wurde öffentlich nicht in dieser Form debattiert oder bekannt gemacht. Stattdessen wurde das Planwerk in der Öffentlichkeit als Wiederaufbauplan verstanden, der den Behörden von Bund und Bundesstaat vorgelegt werden könne, um Wiederaufbaugelder zu aquirieren. Da die bundesstaatliche Wiederaufbaubehörde Louisiana Recovery Authority (LRA)206 allerdings eine umfassende stadtweite Strategie zum Wiederaufbau for- derte, um Fördermittel freigeben zu können, wurde das Planwerk von der LRA als stadtweite Strategie letztlich nicht akzeptiert. Somit sollte ein weiteres Planwerk (Unified New Orleans Plan), das bereits in Arbeit war und nicht ausschließlich Strategien für einzelne Quartiere umfasste, sondern gesamtstädtischen Charakter hatte, die Ergebnisse kompensieren. Der New Orleans Neigborhood Rebuilding Plan zeichnet sich durch die Zusammenarbeit einer Vielzahl von lokalen und über- lokalen Akteuren aus, an dem im Gegensatz zum BNOB nicht ein Teil der städti- schen Elite, sondern nachbarschaftliche Akteure mitwirkten. Das Planwerk umfasst Nachbarschaftspläne, der stark überfluteten Stadtteile von New Orleans und spie- gelt einen quartiersbezogenen Ansatz wider, der durch einen breit angelegten Nachbarschaftsplanungsprozess erarbeitet wurde.

206 Die Gouverneurin Kathleen Babineaux Blanco hat die Louisiana Recovery Authority (LRA) durch eine Ausführungsverordnung im Oktober 2005 geschaffen. Die LRA wurde von der Legislative wäh- rend der ersten Sondertagung 2006 gesetzlich verankert. (Louisiana Recovery Authority o.J.)

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D II.1 Ausgangssituation, stadtpolitischer Kontext und Auslöser für das Planwerk im Überblick

Folgende fachliche, formale und akteursbezogene Ausgangssituation ist für die Erarbeitung des New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan erkennbar: Nachdem achtzig Prozent der Stadtfläche im August 2005 überflutet wurden, befand sich die Stadt (im Dezember 2005) real noch immer im Ausnahmezustand – mehr als drei Monate, nachdem dieser offiziell aufgehoben wurde. Ein Teil der Einwohnerschaft von New Orleans hatte begonnen, ihr Eigenheim wiederaufzubauen. Darunter wa- ren insbesondere Bewohner, die über ein Automobil verfügten und deren Kinder in Privatschulen gingen. (Fellowes et al. 07.12.2005) Fast ein Viertel der Erwachse- nen kehrte noch immer nicht nach New Orleans zurück. (Fellowes et al. 05.07.2006) Infrastruktursysteme wie beispielsweise der öffentliche Nahverkehr waren punktuell in Betrieb (Fellowes et al. 07.12.2005). Allerdings wurden Däm- me und Deiche zu einem Großteil wieder in Stand gesetzt. Probleme gab es zu dieser Zeit bei der Wiedereröffnung von Schulen und Krankenhäusern. Die Auf- räumarbeiten gingen voran: Einige Millionen Tonnen Schutt wurden beseitigt. Über sechs Milliarden US-Dollar wurden als finanzielle Unterstützung für Hausei- gentümer in Louisiana bereitgestellt. 1,5 Milliarden US-Dollar wurden für die Er- neuerung des Bestandes von bezahlbarem Wohnraum in Louisiana ergänzt. (Fello- wes et al. 05.07.2006) (fachlich) Formal war noch immer kein gesamtstädtischer Wiederaufbau- oder Masterplan verfügbar, um überlokale Fördergelder zum Wie- deraufbau zu erhalten: Die Vorarbeit des NONRP begann zwar bereits im Dezem- ber 2005 parallel zur Erarbeitung des BNOB. Aber nachdem das BNOB-Planwerk des Urban Planning Committee abgelehnt wurde, war die Stadt New Orleans noch immer ohne Plan. Am 26. Januar 2006 fand das erste Treffen des Advisory Com- mittee on Hurricane Recovery statt (150 Tage nach Katrina). Dieses Beratungs- gremium wurde vom City Council ernannt, um diesen zu beraten, wie die Wieder- aufbaubemühungen nach Hurrikan Katrina und Rita unterstützt werden könnten. (NOLAplans o.J.) (formal) In Bezug auf die akteursbezogene Ausgangssituation ist besonders, dass einige Monate nach der Katastrophe deutlich wurde, dass Bürger- meister und Stadtrat auf unterschiedliche Akteure setzten: Der Bürgermeister rief die BNOB-Kommission ein und der Stadtrat engagierte ein Planungsteam, um den

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New Orleans Neighborhood Rebuiling Plan (NONRP oder Lambert Plan) erarbei- ten zu lassen.

Der New Orleans Neighborhood Rebuiling Plan wurde in folgendem stadtpoliti- schen Kontext erarbeitet: Erste Fördermittel des Bundes zum Wiederaufbau in die Golfküstenregion wurden Ende 2005, und somit auch nach New Orleans für den Wiederaufbau freigegeben (Fellowes et al. 05.07.2006). Gleichzeitig galt die Lo- kalregierung von New Orleans noch Ende 2005 als zahlungsunfähig (Fellowes et al. 07.12.2005). US-Präsident Bush gab am 15. Februar bekannt, dass er im US- Kongress weitere 4,2 Milliarden US-Dollar in Form von Community Development Block Grants (CDBG) für Louisiana beantragen werde (NOLAplans o.J.). (finanzi- elle lokalpolitische Lage) Das US-Repräsentantenhaus lehnte am 17. Februar 2006 die Housing Trust Bill ab, die von Gouverneurin Blanco vorgeschlagen wurde, nachdem der Gesetzentwurf vom US-Senat mit Mühe angenommen wurde. Am 20. Februar 2006 gab Gouverneurin Blanco das Road Home Program öffentlich be- kannt, und am 16. März 2006 genehmigte die Gouverneurin das Programm in ei- nem Umfang von 7,5 Milliarden US-Dollar. Am 26. April genehmigt die LRA die endgültige Version des Road Home Program. (NOLAplans o.J.) Bürgermeister Nagin wurde im Mai 2006 für seine zweite Amtszeit wiedergewählt. Auch der Stadtrat wurde in dieser Zeit neu gewählt. Vier von sieben Stadtratsmitgliedern sind neu in den Stadtrat eingezogen. Der ESF-Prozess war am 28. März 2006 abge- schlossen und die FEMA entwickelte sogenannte Advisory Base Flood Elevation Maps, die Eigentümern helfen sollen, Gebäude vor dem Hintergrund neu ermittel- ter Fluthöhen wiederaufzubauen. Diese Karten basieren auf der sogenannten Flood Recovery Guidance für New Orleans und seine Region, der im April 2006 von FEMA veröffentlicht wurde. (NOLAplans o.J.; Federal Emergency Management Agency 22.04.2015) (politische und rechtliche Lage). Die Tourismusbranche ist weiter gewachsen. Das trug zur Stärkung des kulturellen Sektors bei und forcierte die Rückkehr und Ankunft von Musikern in die Stadt. Allerdings waren die Mög- lichkeiten auf dem Arbeitsmarkt Ende 2005 noch bedeutend geringer als vor Hur- rikan Katrina. (Fellowes et al. 07.12.2005) Über 300.000 Arbeitskräfte waren im

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Juli 2006 noch immer nicht nach New Orleans zurückgekehrt.207 (Fellowes et al. 05.07.2006) (ökonomische und kulturelle Lage).

Als Auslöser für die Erarbeitung des New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan kann ein Beschluss des City Council etwa einhundert Tage nach Hurrikan Katrina (Anfang Dezember 2005) genannt werden. (City of New Orleans 31.10.2006a: 2) In diesem Beschluss wurde die Wichtigkeit der Etablierung von Nachbarschafts- planungsprozessen in den gefluteten Vierteln beziehungsweise in den am stärksten zerstörten Quartieren betont. Partizipationsprozesse sollten stattfinden. Diesem Beschluss ging ein Antrag (M-05-592)208 von Stadtratsmitglied Willard-Lewis beim Stadtrat voraus. (; ; Lambert 03.08.2006) Parallel zum BNOB-Prozess initi- ierte also der Stadtrat von New Orleans einen gesonderten Planungsprozess für die Erarbeitung von Wiederaufbauplänen in ausschließlich den niedrig gelegenen Stadtteilen.

D II.2 NONRP: Gesamtstädtische strategische Ziele mit reform- orientiertem Ansatz?

Der New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan (NONRP) ist, auch wie das Planwerk Bring New Orleans Back, ein Planwerk strategischer Art, das sich im Grundsatz auf die Quartiers- und Nachbarschaftsebene bezieht. Damit unterschei- det es sich in einem ersten wesentlichen Punkt vom BNOB. Die Erarbeitung des New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan ist als Gegenreaktion auf die Formie- rung der Wiederaufbaukommission BNOBC zu verstehen. Das BNOB hat laut NONRP Politikansätze befürwortet, die dazu beigetragen hätten, „that large areas

207 Von diesen potentiell möglichen Erwerbstätigen, die zu diesem Zeitpunkt noch in Houston, Atlan- ta oder einem anderen Ort der USA leben, sind fast ein Viertel arbeitslos. (Fellowes et al. 05.07.2006) 208 Die Recherchen ließen offen, inwiefern der Antrag eine Reaktion des Stadtrates auf den BNOB- Prozess war, der bis zu diesem Zeitpunkt keinen offiziellen Partizipationsprozess eingeleitet hatte und der Stadtrat diesen damit fordern wollte und insbesondere Wiederaufbaugelder für die am meisten gefluteten Nachbarschaften forderte. Zu diesem Zeitpunkt war das BNOB-Planwerk noch nicht veröf- fentlicht. Dennoch stellt der NONRP inhaltlich eine gewisse Gegenreaktion auf den Green Dot Plan dar.

425 in the flooded sections of the City not be rebuilt“(City of New Orleans 31.10.2006b: 7).

Das Planwerk NONRP konzentriert sich ausschließlich auf diese überschwemmten Stadtgebiete: Es umfasst individuelle Wiederaufbaupläne für 49 Quartiere, die offiziell als stark überflutet anerkannt wurden (von insgesamt 73 städtischen Quar- tieren). In diesen Quartieren stand das Wasser mehr als einen halben Meter (zwei Fuß) hoch (City of New Orleans 31.10.2006b: 7). Das Planwerk repräsentiert laut City Planning Commission mehr als zwei Drittel der gesamten Nachbarschaften und der Einwohnerschaft sowie fast neunzig Prozent der Stadtfläche (City of New Orleans 31.10.2006b: 8). Aus zwei Gründen sollten Pläne ausschließlich für die stark überschwemmten Quartiere erarbeitet werden: Erstens gibt das Bundesgesetz vor, dass die Fördermittel des Community Development Block Grant (Disaster- CDBG) autorisiert und bestimmt sind „to be used in areas of ‚concentrated distress’ where a majority of homes had major or severe damage from the strom“. Laut Planwerk war dieser Notfallgrad fast nur in den überschwemmten Nachbarschaften vorzufinden (City of New Orleans 31.10.2006b: 7). Damit wird ein Widerspruch zwischen dem Bundesgesetz und dem Verständnis des Bundesstaates beziehungs- weise der bundesstaatlichen Wiederaufbaubehörde LRA deutlich: Der Bundesstaat gibt die finanziellen Mittel (CDBG) nur an umfassende stadtweite Planwerke frei. Zumindest war das die Begründung der LRA, warum der New Orleans Neigh- borhood Rebuilding Plan letztlich nicht von der LRA aktzeptiert wurde. Dennoch dürften die Mittel grundsätzlich nur für „areas of ‚concentrated distress’“ verwen- det werden.209 Zweitens wurde eine räumlich eingeschränkte Planerarbeitung ver- folgt, weil der Fokus auf die überfluteten Quartiere laut Planwerk eine praktikable und effiziente Methode darstellte, die Stadt als Ganze wiederaufzubauen (City of New Orleans 31.10.2006b: 7).

In Planwerk NONRP wurden zwei übergeordnete und langfristige Ziele formuliert: Erstens sollte jedes Quartier zumindest den Status Quo erreichen, auf dem es vor Hurrikan Katrina war: Wohnraum sowie technische und soziale Infrastrukturen sollen wiederhergestellt werden (Straßen, Schulen, Supermärkte, Apotheken etc.).

209 Dieser Widerspruch wurde im Detail nicht aufgelöst, so dass letztlich die Definition von areas of ‚concentrated disstress’ von Bedeutung für diesen Zusammenhang ist.

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Zweitens haben viele einzelne Nachbarschaftspläne das grundsätzliche Ziel formu- liert, für die Bewohnerschaft „Verbesserungen“ im Quartier im Verhältnis zum Zustand vor Katrina zu entwickeln. Dabei soll es sich um „Verbesserungen“ han- deln, die spezifisch und einzigartig für das Quartier sind, die aber dennoch keine Gentrifizierung herbeiführen (City of New Orleans 31.10.2006b: 4). Das Planwerk spiegelt vor dem Hintergrund dieser Ziele – gerade mit dem ersten Ziel – keine Vision einer stadträumlichen Reform im inhaltlich-materiellen Sinne wider. Das Planwerk spiegelt eher Ansätze eines stadtpolitischen Reformwerks in strukturell- prozessualer Hinsicht wider, das im Gegensatz zu der Stadtpolitik vor Katrina den Quartieren und ihrer Bewohnerschaft strategisch höchste Priorität zukommen lässt.

Neben den Zielen werden im Planwerk auch eigene Grenzen aufgezeigt, da die Erarbeitung des Planwerks selbst mit Einschränkungen in Bezug auf Anwendungs- bereich, Zeit und Zielvorstellung verbunden war. Deutlich wurde der Rahmen, in dem sich das Planwerk bewegt: In Bezug auf stadtweite und überlokale Erforder- nisse in der räumlichen Entwicklung von New Orleans wird neben sektoralen Handlungsfeldern (stadtweit: Hochwasserschutz, Infrastruktur, Bildung, Wohn- raum, wirtschaftliche Entwicklung) deutlich darauf hingewiesen, dass sich zwar das Planwerk bis zu einem bestimmten Grad an land regulating and zoning richtet. Das Planwerk stelle aber keinen umfassenden Flächennutzungsplan oder eine um- fassende Flächennutzungspolitik dar, die dennoch für den funktionalen Wiederauf- bau der Nachbarschaften erforderlich ist. Aufgabe des Planwerks sei es vor allem, die Basis für einen Plan zu bilden, der Fördermittel des Bundes und des Bundes- staates einwerben könne. (City of New Orleans 31.10.2006b: 6)

Aufbauend auf die Grenzen des Planwerks wurde ebenso offen kommuniziert, auf welchen Prämissen das Planwerk basiert. Viele davon waren und wurden zu der Zeit der Planwerkserarbeitung bereits etabliert. Somit wurde der New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan auf einem bereits bestehenden Fundament von Markt- und Politikgrundsätzen erarbeitet, das durch Entscheidungen von Bund und Bundesstaat etabliert war und in den Nachbarschaftsplänen berücksichtigt wurde. Das betrifft in erster Linie den Katastrophenschutz (Hochwasserschutzsystem des Bundes ist essentiell, Bauvorschriften, die einer Windzerstörung standhalten, Stra- ßenraster und stadträumliche Struktur bleibt erhalten, ein Hurrikan-Evakuierungs-

427 plan ist notwendig). Laut Planwerk muss daran gearbeitet werden, dass ein soge- nanntes Nationales Programm zur Hochwasserschutzversicherung etabliert wird, so dass die überschwemmten Gebiete wieder versichert und entwickelt werden kön- nen. Damit sollen ausreichend finanzielle Fördermittel für den Katastrophenschutz, die Wohnungspolitik und die städtische Infrastruktur bereitgestellt werden (wie zum Beispiel CDBG) (City of New Orleans 31.10.2006b: 6). Im Planwerk wird somit kenntlich gemacht, dass umfassende übergeordnete – gesamtstädtische – Planung und Politik (vor allem Förderprogramme) nötig sind. Diese Prämissen, die in sich schlüssig sind, stellen die Vorraussetzungen für alle Bemühungen auf Nachbarschaftsebene dar. Letztlich zeigt die lokale Auseinandersetzung mit den Grenzen und Prämissen des Planwerks im Erarbeitungsprozess, dass das stadtpoli- tische Umfeld für die Erarbeitung des Planwerks erkannt wurde und das Planwerk vor diesem Hintergrund entwickelt wurde.

Als formales Produkt dieser Nachbarschaftsplanung wurden Ende September 2006 42 Quartierspläne210 präsentiert. Die Pläne wurden jeweils mit einer ähnlichen in- haltlichen Struktur erarbeitet (vgl. zum Beispiel MidCity und Lower Ninth Ward: Quartierscharakteristik, Rahmenbedingungen vor Katrina, Auswirkungen von Kat- rina, Wiederaufbauszenarios, Wiederaufbauplan des Quartiers und Umsetzungs- und Finanzierungsstrategien. Eine Plansammlung mit Abbildungen und Plänen der Quartiere und eine Finanzierungs-, Projekt-und Prioritätenmatrix sind zudem Ge- genstand der Pläne. Teil des Planungsprozesses war eine Bewohnerumfrage.) (City of New Orleans 31.10.2006b: 4)

210 49 Quartiere waren ursprünglich Teil des Nachbarschaftsplans. Zwei Nachbarschaften repräsen- tiert der Plan letztendlich nicht: In einer Nachbarschaft wurde ohne die Unterstützung des City Coun- cil geplant und eine zweite Nachbarschaft ist Eigentum der Housing Authority von New Orleans (HANO). In dieser Nachbarschaft war ein großflächiger Abriss von Wohnraum geplant. Insgesamt wurden 42 Pläne für 47 Nachbarschaften erarbeitet. (City of New Orleans 31.10.2006b: 4, 31.10.2006b: 8)

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D II.3 Entwicklungsprozess des Strategieplans: NONRP als Protest- werk mit Bottom-Up-Charakter und überlokaler Mitwirkung

Die Erarbeitung des New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan wurde durch den Stadtrat von New Orleans initiiert und ist somit – wie das Planwerk Bring New Orleans Back – offiziell ein Dokument der City of New Orleans. Lambert Adviso- ry, LLC und SHEDO, LLC wurden vom Stadtrat mit dem Projektmanagement beauftragt (NOLAplans 23.09.2006). Diese nachbarschaftsbasierte Wiederaufbau- planung fand im Sommer 2006 in New Orleans als Teil eines Projektes der Greater New Orleans Community Support Foundation statt (American Planning Associati- on o. J.b). An der Erarbeitung des Planwerks waren Planer beteiligt, die an einer gesamtstädtischen Perspektive arbeiteten, wie Bermello-Ajamil & Partners, Inc. und Hewitt-Washington, Inc., und sieben Planungsteams waren direkt in den Quar- tieren tätig, die jeweils mehrere Quartiere betreuten. Vier Teams waren lokale Pla- nungs- und Architekturbüros aus New Orleans und drei Planungsteams waren über- lokal ansässig (Boston und Miami (CNU)). Aufgabe der Planungsteams war es, die Bewohnerschaft bei der Erarbeitung der Quartierspläne zu unterstützen (NOLA- plans 23.09.2006). Am Planungsprozess waren zudem überlokale fachpolitische Organisationen wie die American Planning Association (APA) stark beteiligt: Der Prozess wurde zusätzlich durch ein fachübergreifendes Expertenteam betreut, das von Stephen Villavaso, FAICP, dem Vorsitzenden der Lokalgruppe der APA- Louisiana geleitet wurde (American Planning Association o. J.b). Das Planwerk ist an die Einwohnerschaft von New Orleans adressiert, sollte aber letztlich auch über- lokale Fördermittel aquirieren. Als Institution, die die finanziellen Mittel verwaltet, wurde das New Orleans City Council bestimmt, das somit Mittel des Community Development Block Grant bereitstellen sollte. Finanziert wurde der Planungspro- zess des NONRP ebenfalls mit Mitteln des CDBG, die vom Stadtrat am 16. Febru- ar 2006 genehmigt wurden. Für den Erarbeitungsprozess wurden fast drei Millio- nen US-Dollar (2.974 Million US-Dollar) bereit gestellt. (NOLAplans 23.09.2006)

Noch während des Planwerksprozesses von Bring New Orleans Back beschloss das City Council unabhängig vom Bürgermeister die Erarbeitung „von Nachbar- schaftsplänen mit der Intention, zerstörte Nachbarschaften wiederaufzubauen und den Bürgern so schnell wie möglich die Möglichkeit zu geben, wieder nach New

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Orleans zurückzukehren“ (Olshansky et al. 2008: 276). Dem Beschluss vom City Council ging etwa einhundert Tage nach Hurrikan Katrina ein Antrag (M-05-592) von Stadtratsmitglied Willard-Lewis beim City Council voraus. Einstimmig wurde beschlossen, dass Nachbarschaftsplanungsprozesse für überschwemmte Viertel beziehungsweise für die am stärksten zerstörten Quartiere von New Orleans zentral sind. Am 15. Dezember 2005 beschloss der Stadtrat, einen Vertrag mit Paul Lam- bert und Sheila Danzey von dem lokalen Planungsbüro Shedo LLC, der bereits existierte, zu erweitern. Lambert wurde am 30. März 2006 beauftragt, für die 49 überfluteten Nachbarschaften Pläne zu erarbeiten: „In March of 2006, my firm was honored to accept the challenge to serve as an integral part of New Orleans' renais- sance and rebuilding. We were unanimously selected by the New Orleans City Council to work with you to develop neighborhood plans in order to bring New Orleanians home.“ (Lambert 03.08.2006) Zu dieser Zeit steckte der BNOB-Prozess bereits in der Krise. Im Mai 2006 begann der Nachbarschaftsprozess. Sieben Ar- chitektur- und Planungsteams, mit denen ebenfalls im März 2006 Verträge ge- schlossen wurden, entwickelten mit Bewohnern in regelmäßigen Nachbarschafts- treffen langfristige Strategien für ihre Quartiere (Olshansky et al. 2008: 276). Vor- schläge für derartig langfristige Strategien wurden von Planern des New Urbanism im Rahmen der Planwerksentwicklung für die Nachbarschaften Gentilly und French Quarter gemacht. Die Planungsteams nutzten die Stadtteilgrenzen, die von der Bring New Orleans Back Commission festgelegt wurden, mit wenig öffentli- cher Beteiligung. Im Laufe der Jahre hatten sich allerdings informelle Grenzen zwischen den Nachbarschaften herausgebildet, die mit den offiziellen Stadtteil- grenzen nicht übereinstimmten. Dennoch sollten Nachbarschaftspläne innerhalb der offiziellen Stadtdteilgrenzen entwickelt werden, was wiederum öffentlich Skepsis mit sich brachte. (Project New Orleans 2007)

Nach Bingler waren Mitglieder des Stadtrates darüber erbaut, dass der Bürgermeis- ter mit seinem BNOB-Prozess gescheitert war. Denn so habe es für den Stadtrat die Möglichkeit gegeben, im Rahmen des Wiederaufbauprozesses selbst zur Geltung zu kommen – mit einem eigenen Vorschlag und Prozess, der von Afroamerikanern gesteuert wurde, die meinten, sich um „ihre Leute“ kümmern zu müssen. Folgende Logik liegt dem zugrunde: ‚Es gibt 73 Nachbarschaften in der Stadt, aber es gibt keinen Grund, aus dem Nachbarschaften, die nicht vom Sturm betroffen waren,

430 einen Plan brauchen. Beispielsweise brauche die Nachbarschaft Uptown New Or- leans keinen Plan und somit auch keine Wiederaufbaugelder. Diejenigen, die fi- nanzielle Unterstützung benötigen würden, lebten in den niedrig gelegenen Gebie- ten der Stadt. Somit seien auch ausschließlich Pläne für diese Nachbarschaften notwendig.’ Bingler setzt empört hinzu: „And that is what they perceived to be an equitable approach“. (Bingler 28.02.2012)

Am 23. September 2006 präsentierte Lambert Advisory LLC & Shedo LLC dem Stadtrat ein Planwerk mit über vierzig Nachbarschaftsplänen (Nee, Horne; NOLA- plans 23.09.2006), das lokal auch Lambert Plan genannt wird. Am 27. Oktober 2006 wurde der New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan vom Stadtrat ein- stimmig angenommen . Ein Unterschied zum BNOB-Prozess bestand darin, dass eine Diskussion um die Realisierbarkeit der Pläne explizit vermieden wurde. Statt- dessen wurde eine detaillierte Liste von Projekten vorgeschlagen, die durch die Nachbarschaftsprozesse erarbeitet wurde und der die Prämisse zugrunde lag, dass die Stadt grundlegend intakt war (Olshansky et al. 2008: 276). Allerdings dauerte es nicht lange, bis klar wurde, dass keiner der Nachbarschaftspläne umgesetzt wer- den könnte, weil die Louisiana Recovery Authority dem City Council verdeutlichte, dass sie kein Planwerk mit nur etwa vierzig Nachbarschaftsplänen und somit nur einen halben Plan genehmigen würde. (Bingler 28.02.2012) So wurde das Plan- werk in dieser Form weder von der City Planning Commission genehmigt, noch erfüllte es formal die Bedingung der LRA: Damit die Stadt Fördermittel für den Wiederaufbau erhielt, musste für das gesamte Stadtgebiet ein Planwerk entwickelt werden. Für alle 73 Nachbarschaften mussten neue Pläne entwickelt werden. (Bingler 28.02.2012) Somit konnten letztlich mit dem Lambert Plan keine Förder- mittel aquiriert werden (Olshansky et al. 2008: 276). Allerdings war dies laut Planwerksdokument, wie bereits angedeutet, auch gar nicht dessen Anspruch: Diese Pläne „can be formed into a citywide recovery and improvement plan for submission to the State of Louisiana and federal government” (City of New Orle- ans 31.10.2006b: 3). Dennoch hatten aber viele Akteure während des Prozesses die Vorstellung, mit den Nachbarschaftsplänen selbst Fördermittel akquirieren zu kön- nen. Auch Lambert selbst gibt gegenüber der Lokalzeitung Times Picayune am 3. August 2006 an, dass der Plan, nachdem dieser vom Stadtrat angenommen sei, sofort bei den bundesstaatlichen und Bundesbehörden eingereicht werden könne

431 und nicht erst die Ergebnisse des UNOP-Planes abwarten müsse, die nicht vor Frühsommer 2007 erwartet werden (Lambert 03.08.2006).

Die Absage der LRA führte öffentlich zu Verstimmung und Unverständnis. Nach Bingler wurde diese Ablehnung wiederum als Rassendiskriminierung interpretiert. Denn in den niedrig gelegenen Nachbarschaften, für die nun diese Pläne entwickelt wurden, waren zumeinst vormals Afroamerikaner wohnhaft: „And here again, the issue was equity, race and equity.“ (Bingler 28.02.2012)

3.1 Überlokale Förderansprüche und deren lokale Interpretation

Wie bereits angedeutet, wollte das City Council mit dem Planwerk überlokale För- dermittel einwerben: So sollte das Planwerk lokal genehmigt werden. Am 27. Ok- tober 2006 wurde von Council Member Thomas ein Antrag in die Sitzung des Stadtrates eingebracht, der die Genehmigung der Nachbarschaftspläne zum Wie- deraufbau durch das City Council vorsah. Das City Council akzeptierte somit den finalen Bericht von Lambert Advisory LLC „als Ausführung von Pflichten in ei- nem autorisierten Vertragseinverständnis“ . Mit einem vorangegangenen Antrag im Stadtrat (Motion M-06-064211) wurde dem Planungsprozess die finanzielle Grund- lage zugesprochen: Vor dem Hintergrund der Förderrichtlinien der Community Development Block Grant (CDBG) können Fördermittelbeihilfen für Nachbar- schaften im Normal- und im Ausnahmezustand vergeben werden, so dass stadtwei- te Revitalisierungserfordernisse umgesetzt werden können. (; vgl. )

Der Stadtrat von New Orleans unternahm den Versuch, den Bundesstaat Louisiana von seinem Vorhaben zu überzeugen, mit dem Planwerk überlokale Fördermittel zum Wiederaufbau einwerben zu können: Da Community Development Block Grants (CDBG) an Wiederaufbaumaßnahmen gebunden sind, gibt das City Council CDBG, die vom Bundesstaat Louisiana für den Wiederaufbau vergeben werden,

211 Im Archiv der Stadt New Orleans (https://library.municode.com/la/new_orleans) ist ausschließlich Motion M-6-64 auffindbar, nicht aber erwähnte M-6-064 in Motion M-06-460. (vgl. ). Die inhaltli- chen Aussagen der beiden Versionen erscheinen gleich, so dass davon ausgegangen wird, dass die Schreibweise (mit und ohne Null) zu Irritation führte.

432 exklusiv für diesen Zweck und nicht für andere Maßnahmen frei. Fördermittel, die für zerstörte Gebiete im Bundesstaat bereitgestellt werden, sollten laut Stadtrat ebenfalls ausschließlich für den Wiederaufbau dieser zerstörten Stadtstrukturen genutzt werden. Das Kriterium, das für den Finanzierungsschlüssel angewandt werden sollte, sollte der Zerstörungsgrad der Stadt sein. Dafür sei der finanzielle Bedarf einer Nachbarschaft entscheidend. (Punkt 8)} Laut Stadtrat war die Stadt zu 65 bis 70 Prozent zerstört und somit sollten der Stadt New Orleans auch 65 bis 70 Prozent der gesamten CDBG-Fördermittel vom Bundesstaat zugestanden werden. Diese Forderung stimme laut Stadtrat mit der Intention des US-Kongresses über- ein, die die Grundlage für die Förderung darstelle. Des Weiteren plädierte der Stadtrat dafür, dass Fördergelder des Road Home Program, die möglicherweise übrigbleiben, für das Planwerk Neigborhood Rebuilding Plan verwandt werden sollten. Laut Stadtrat orientieren sich die Nachbarschaftspläne insgesamt am Be- darf der Quartiere, der von der City Planning Commission, der FEMA und dem ESF-14-Prozess skizziert wurde, wie es die LRA forderte (Punkt 3).

Insgesamt scheint auf lokaler Ebene nicht klar gewesen zu sein, dass ein umfassen- des stadtweites Planwerk dem Bundesstaat einzureichen sei und demnach Pläne von nur einigen Nachbarschaften nicht ausreichen würden. Inwiefern dementspre- chend die lokale Ebene in New Orleans die Förderkriterien der LRA insgesamt missverstanden hat oder die LRA diese nicht eindeutig definiert hat, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden. Dennoch wird auch im Punkt vier des Dokuments die Überzeugung des City Council deutlich, dass mit den Neigh- borhood Rebulding Plans Fördermittel akquiriert werden können: Das Planwerk wird an die City Planning Commission und die LRA weitergeleitet, damit Förder- mittel freigegeben werden können (Punkt 4). Auch Paul Lambert war zuversicht- lich, dass die Öffentlichkeit dem Planwerk zustimmen wird und dieses danach um- gehend an die überlokalen Behörden weitergeleitet werde. Auch das bestätigt wie- derum die Annahme, dass auf lokaler Ebene angenommen wurde, dass das Format des Planwerks von den überlokalen Behörden akzeptiert werden würde: „Once it does, it should immediately be submitted to State and Federal funding agencies to spur the release of significant funding for neighborhood projects. It cannot and should not wait for the fledgling Unified New Orleans Plan which the principal organizers have indicated will not be ready until late spring, 2007.“ (Lambert

433

03.08.2006) Offensichtlich war Anfang August 2006 auch nicht klar, welche Funk- tion das Planwerk UNOP grundsätzlich haben werde und Lambert drängte darauf, mit dem Neighborhood Rebuilding Plan die Fördermittel einzuwerben. Der UNOP- Prozess wurde Ende Juli 2006 angestoßen.

3.2 Politik einer breiten Partizipation mit Unterstützung überlokaler fachlicher Akteure

Im Planwerk wird die Art der bewohnerschaftlichen Beteiligung betont. Insbeson- dere wird das Verhältnis zwischen „Beratern der Nachbarschaften“ wie beispiels- weise überlokalen Planern und der Bewohnerschaft thematisiert; einer Partner- schaft von Akteuren, in der sich jeweils auf Augenhöhe begegnetet wurde: „Lam- bert Adviso[r]y and our team of local and national planners are working on behalf of the residents of the 49 flooded neighborhoods in the city“ (Lambert 03.08.2006). Die Pläne seien nicht die Pläne der engagierten Planerschaft, der Stadt, des Bun- desstaates oder des Bundes; sie seien die Pläne der Nachbarschaften (City of New Orleans 31.10.2006b: 12). Die Planerschaft versuchte, „alles richtig“ zu machen, indem deutlich kommuniziert wurde, welche Ideen und Projekte in die Realität umsetzbar wären. Vertrauen sollte geschaffen werden (City of New Orleans 31.10.2006b: 12), um nicht die gleichen Fehler wie das ULI zu machen (City of New Orleans 31.10.2006b: 13). Dem Prozess wurde ein hohes Partizipationsniveau zugeschrieben: „Community organizing“ fand integrativ zwischen den Nachbar- schaften statt. Zudem wurden drei öffentliche Veranstaltungen zur Bürgerbeteili- gung außerhalb von New Orleans organisiert; in Baton Rouge, Atlanta und Hous- ton. (City of New Orleans 31.10.2006b: 13) Der Prozess umfasste 84 öffentliche Veranstaltungen zur Bürgerbeteiligung. Nach Lambert haben stadtweit 7.500 Be- wohner an den Veranstaltungen teilgenommen. (Project New Orleans 2007) Die Autoren des Planwerks bewerten den Beteiligungsprozess in Bezug auf den An- wendungsbereich als auch in Bezug auf die Ebenen der Beteiligung als außerge- wöhnlich. Mit dem Prozess konnten sich laut Planwerk die Quartiere organisieren und etablieren, so dass eine Revitalisierung der Nachbarschaften eingeleitet wurde. (City of New Orleans 31.10.2006b: 13)

434

3.3 Umsetzung, Einbettung und Format der Nachbarschaftspläne

Im Planwerk NONRP selbst sind sogenannte Implementation Initiatives formuliert, die aus der Perspektive der Quartiersentwicklung hinsichtlich eines Wiederaufbaus als strategische Empfehlungen zum Verfahren bezeichnet werden können und übergeordnete politische Strategien beschleunigen, erweitern oder spezifizieren sollen: Da das Planwerk quartiersweise erarbeitet wurde, wurden – nicht überra- schend – Politikfelder identifiziert, die in jeder Nachbarschaft in Bezug auf den Wiederaufbau diskutiert wurden und für die Empfehlungen erarbeitet wurden: Wohnraumpolitik, Wirtschaftsentwicklung, Flächennutzung und Umsetzungsma- nagement. (City of New Orleans 31.10.2006b: 14–27)

Der NONRP hatte Einfluss auf die Arbeit der städtischen Planungsbehörde: Die Planungsbehörde hat im Juni 2006 einen so geannten Neighborhood Rebuilding Guide veröffentlicht. Die Anleitung dieses offiziellen Dokuments stimmt mit der Struktur und dem Format der Nachbarschaftspläne des NONRP grundlegend über- ein. In Bezug auf die Erarbeitung des Planwerks NONRP wurden folgende Verfah- rensschritte nacheinander ausgeführt, die somit auch die städtische Planungsbehör- de weiterempfiehlt: Zunächst wurde der Anwendungsbereich festgelegt. Anschlie- ßend wurden bestehende Rahmenbedingungen bewertet. Dann wurden Entwick- lungsoptionen konzeptionell erarbeitet, Planungsvorschläge ausgewählt und priori- siert sowie eine Finanzierungsmatrix aufgestellt. Bei einem übergeordneten Treffen wurden die Inhalte aller Nachbarschaften erfasst. Die Nachbarschaftspläne wurden am 23. September 2006 veröffentlicht und jeder dieser Pläne wurde so erarbeitet, dass sich dieser in einen übergeordneten Wiederaufbauplan integrieren kann. (City of New Orleans 31.10.2006b: 11) Auch hier ist im Planwerk angedeutet, dass die Inhalte des NONRP dazu geeignet sind, in ein übergeordnetes Planwerk eingebettet zu werden. Demnach müsse das Planwerk NONRP auch keine Wiederaufbaumittel einwerben, entgegen der Annahme der lokalpolitischen Ebene und insbesondere des Stadtrates, der mit seinem Dokument auf Gegenteiliges abzielte.

435

3.4 Kommunikationspolitik zugunsten überlokaler Akteure

Kommunikative Missverständnisse und Unstimmigkeiten schienen den Planwerks- prozess um den NONRP zu begleiten, die Verfahrensfragen in Bezug auf die Ar- beit überlokaler Akteure aufgeworfen haben: Lambert versuchte in einem öffentli- chen Brief in der Lokalzeitung Times Picayune (03.08.2006) Punkte des Planwerk- prozesses aus seiner Sicht richtigzustellen. Laut Lambert muss beispielsweise nicht jede Nachbarschaft einen Planer von einer Liste auswählen, die bereits für den UNOP-Prozess zusammengestellt wurde, um Fördermittel für Projekte und Investi- tionen zu erhalten. Nach Lambert wäre eine derartige Regelung, die sich vorab unter den Nachbarschaften verbreitet hatte, sogar „falsch“ und gar „dumm, denn das Vertrauen der Nachbarschaften würde missbraucht werden. Zudem wäre es laut Lambert „verschwenderisch“, wenn im UNOP-Prozess die Arbeit, die bereits im Lambert-Prozess gemacht wurde, im UNOP-Prozess noch einmal gemacht werden würde. Stattdessen sollten Planer, die zur Verfügung stehen, eher die Nachbar- schaften in einem Nachbarschaftsprozess unterstützen, die nicht überschwemmt wurden und die bislang im Rahmen des Lambert Plans nicht bearbeitet wurden. (Lambert 03.08.2006) Damit weist Lambert in gewisser Weise auf seine Arbeit hin, die im weiteren Verfahren nicht diskreditiert werden sollte. Zudem macht dies deutlich, dass diese Verfahrensfragen lokal nicht geklärt waren.

3.5 Externe Prüfungsinstanz, Kompetenzen und die Institutionalisierung des Umsetzungsprozesses

Der Stadtrat hat sich für eine zusätzliche Instanz ausgesprochen, die das ausgear- beitete Planwerk noch einmal in Augenschein nahm. Drei externe Persönlichkeiten sollten das Planwerk gleichberechtigt prüfen: Edward J. Blakely als „international disaster specialist“, Dr. Phil Clay als Kanzler des Massachusetts Institute of Tech- nology (MIT) und Prof. für Stadtplanung sowie Dianne Rodriguez, die sich als Wiederaufbauspezialistin nach Hurrikan Andrew einen Namen machte. (Punkt 2)

Weiterhin plädierte der Stadtrat dafür, dass Lambert Advisory die Projekte in den Nachbarschaften sowie die stadtweiten Projekte gleichermaßen vorantreiben sollte.

436

Somit wird eine gewisse Gleichrangigkeit von Projekten in Nachbarschaften und von stadtweiten Leuchtturmprojekten angestrebt. Die städtischen Vertreter haben – weiterhin – eine aktive Rolle im Planungs- und Implementationsprozess: Falls die Projekte in den Nachbarschaftsplänen noch ein weiteres Mal priorisiert werden müssten, werde dies der Bürgermeister und der Stadtrat in Abstimmung mit den Nachbarschaftsorganisationen der betroffenen Nachbarschaften tun. (Punkt 6)

Der Stadtrat schlug eine Organisations- und Institutionalisierungsstruktur zur Wei- terarbeit vor: Dem Bürgermeister wurde die Unterstützung des Stadtrates zuge- sprochen, ein sogenanntes Office for Recovery and Rebuilding (ORR) zu etablie- ren, damit der NONRP operationalisiert werden kann. Dieses ORR sollte direkt dem Bürgermeister unterstehen und mit dem Stadtrat zusammenarbeiten. (Punkt 7) Die Infrastrukturpolitik blieb weiterhin originäres Handlungsfeld der Stadtregie- rung und der städtischen Behörden entsprechend der Stadtsatzung unter der Füh- rung des Bürgermeisters. (Punkt 8) Damit wurde die Verantwortung der Infrastruk- turpolitik auf die hierarchisch höchste institutionelle Körperschaft der Stadt über- tragen und der Infrastrukturpolitik somit symbolisch Priorität eingeräumt. Der Stadtrat betonte diesen Punkt der Infrastrukturpolitik so explizit, da die städtische Infrastrukturausstattung nach Katrina und die damit zusammenhängende Ressour- cenverteilung implizit einer der Kernpunkte des Siedlungsflächenkonzeptes des BNOB war und somit die öffentliche Debatte um das Siedlungsflächenkonzept beeinflusste.

D II.4 Prozessergebnis Planwerk New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan

Nachdem auch in Bezug auf den NONRP der stadtpolitische Kontext, die gesamt- städtischen Ziele und der Erarbeitungsprozess des Planwerks betrachtet wurden (2.1 – 2.3), wird nun kurz darauf eingegangen, welche Leitidee, welcher Ansatz oder welche Logik sich letztendlich von welchem Akteur oder welcher Ak- teurskonstellation lokal durchgesetzt oder nicht durchgesetzt hat und die Gründe dafür zusammengefasst.

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Als Auslöser für das Planwerk zum Wiederaufbau New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan (NONRP) gilt der Beschluss des City Council, einen weiteren Wiederaufbauplan als Gegenreaktion auf das erste Planwerk (BNOB) erarbeiten zu lassen. Denn der BNOB berücksichtigte nach Ansicht des Stadtrates nicht die Inte- ressen der Bewohnerschaft der besonders stark überschwemmten Nachbarschaften der Stadt. Ansatz des Planwerkes war es demnach, dass sich Planungen zur räumli- chen Entwicklung nach Hurrikan Katrina insbesondere in Bezug auf Wohnen aus- schließlich auf niedrig gelegene Teile der Stadt beziehen. Denn höher gelegene Teile der Stadt wurden bereits in der Zeit vor Hurrikan Katrina privilegiert behan- delt, so der Stadtrat. Während es die Logik des BNOB war, die Nachbarschaftspla- nung zu nutzen, um die nachbarschaftliche Entwicklungs- oder Lebensfähigkeit zu eruieren, folgte der NONRP dem Ansatz, das Überleben aller überschwemmten Nachbarschaften zu fördern und zu sichern. Die Initiierung eines Nachbarschafts- planungsprozesses durch den Stadtrat, hat insgesamt einen verwirrenden, nicht linearen Planungsprozess mit konkurrierenden Planwerken ausgelöst. (vgl. Collins 2011) (Leitidee, Ansatz oder Logik gesamtstädtischer strategischer Ziele) Dieser inhaltlich-materielle Planwerksansatz zur Flächennutzung machte in diesen niedrig gelegenen Teilen der Stadt wiederum das Siedeln überall möglich. Über die forma- le Entscheidung des Stadtrates hinaus hat an diesem Planwerk ebenfalls stark eine überlokale Planerschaft mit ihrer prozessualen und fachlichen Expertise (Lambert Advisory, LLC und SHEDO, LLC) mitgewirkt. Die Planungsbüros, die in den nachbarschaftlichen Planungsteams arbeiteten, waren sowohl lokal als auch über- lokal ansässig. (überlokale Mitwirkung von Fachexpertise)

Der inhaltlich-materielle Ansatz – die Leitidee – dieses Planwerks konnte sich nicht durchsetzen: Der NONRP wurde blockiert durch die Richtlinien des Bundes- staates, Fördergelder zur Umsetzung eines Planwerks zum Wiederaufbau nur frei- geben zu können, wenn sich ein Planwerk auf das gesamte Stadtgebiet bezieht. Das tat der NONRP nicht, der auch lokal Lambert Plan genannt wurde nach dem lei- tenden Fachplaner des Planwerks (Paul Lambert), der durch den Stadtrat beauftragt wurde. Denn der Lambert Plan machte ausschließlich die überfluteten Gebiete der Stadt zu seinem Planungsgegenstand aus politischen Gründen (vor Katrina privile- giert). So haben letztendlich überlokale politisch-administrative Akteure, unter ihnen insbesondere die Gouverneurin des Bundesstaates, und deren Richtlinien und

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Entscheidungsbefugnisse die Durchsetzung der Leitidee und letztlich des Plan- werks insgesamt verhindert. Eine Rolle spielte möglicherweise das Misstrauen überlokaler politisch-administrativer Ebenen gegenüber der Stadt New Orleans in Bezug auf die Verwendung überlokaler Fördermittel in der Vergangenheit (Beharr- lichkeit von Korruption und Misswirtschaft). Insgesamt führt allerdings offenbar ein lokales Ignorieren der Interessen von Bund und Bundesstaat in Bezug auf För- dermodalitäten nicht zum Erfolg. (Faktoren, die eine Weiterentwicklung des Plan- werks im Nachgang der Katastrophe blockiert haben)

Abbildung 61: Planwerk Wiederaufbau New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan (NONRP) (substanziell nicht reformfähig, prozessual reformfähig) (eigene Darstellung).

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Diesem Planwerk kann eine gewisse Werterationalität zugeschrieben werden: Denn der Fokus des Planwerkes lag auf den überschwemmten Nachbarschaften, um der gesellschaftlichen Benachteiligung, die in diesen Nachbarschaften vor Katrina vor- herrschte, durch dieses Planwerk entgegenzuwirken: ‚Nun sind diese Nachbar- schaften auch mal dran.’ (Art der Rationalität)

D II.5 Zwischenfazit NONRP: Lokale Reformfähigkeit durch Anstiftung zum Bottom Up-Protest

Nachfolgend wird die lokale Reformfähigkeit des strukturell-prozessualen und inhaltlich-materiellen Ansatzes reflektiert sowie anschließend die Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren zusammengefasst.

Trotz der Leitidee des NONRP, die sich als nicht durchsetzungsfähig erwies, zeigt sich an diesem Planwerk lokale Reformfähigkeit. Denn der strukturell-prozessuale Ansatz ist lokal neu: Ein Ansatz breiter Bürgerbeteiligung (bottom-up) wurde ver- folgt, der sich ausschließlich auf die niedrig gelegenen Nachbarschaften der Stadt bezog. Zudem wird durch das „Aufbäumen“ des Stadtrates und des führenden Fachplaners gegen das vorherige Planwerk BNOB der „Protestcharakter“ eines Planwerkes (NONRP) deutlich. Diese Art des Widerstandes in Kombination mit einem breiten Partizipationsansatz ist im Rahmen der Stadtentwicklungspolitik neu. Das Planwerk spiegelt somit einen Ansatz von Reformfähigkeit in strukturell- prozessualer Hinsicht wider; es räumt – im Gegensatz zu der Stadt- und Stadtent- wicklungspolitik vor Hurrikan Katrina – bestimmten Quartieren und ihrer Bewoh- nerschaft strategisch höchste Priorität ein. Sein substanziell-materieller Ansatz, der als wirtschaftsliberal bis willkürlich bezeichnet werden kann, zeigt sich vor dem Hintergrund der lokalen Planungspraxis vor Hurrikan Katrina nicht reformfähig. In allen Nachbarschaften kann gesiedelt werden und alle Nachbarschaften sollen inf- rastrukturell (technisch und sozial) ausgestattet werden. Eine Vision, die einer stadträumlichen Reform im substanziell-materiellen Sinne gleichkommt, ist nicht erkennbar. In der Systematik der Reichweite von Reformen (nach Hall 1993) kann dieses Planwerk als Reform 2. Ordnung bezeichnet werden, in der ein neues In-

440 strument für ein bisheriges Ziel eingesetzt wird. (Reichweite einer strukturell- prozessualen oder inhaltlich-materiellen Reformfähigkeit)

Der Planungsprozess und dessen Ergebnis macht also eine lokale strukturell- prozessuale Reformfähigkeit deutlich, bei der die Mitwirkung neuer überlokaler Akteure ebenfalls von Bedeutung ist. Eine neue Interessenkonstellation von Akteu- ren bildete sich heraus aus Stadtrat, Planerschaft und Bewohnerschaft. Stadtrat und Planerschaft lehnten sich gegen das erste Planwerk (BNOB) auf. Hintergrund dafür waren die Rassenfrage und eine stete stadtpolitische Benachteiligung von Bevölke- rungsgruppen im Zusammenhang mit einem diskriminierenden sozialen System. Diese gesellschaftspolitischen Tendenzen, die sich in der sozialräumlichen Struktur niederschlagen, hielten sich über Hurrikan Katrina hinaus beharrlich. Insgesamt arbeiteten städtische Institutionen also mit einem Fachexpertentum und der Be- wohnerschaft besagter Nachbarschaften an einem Planwerk zum Wiederaufbau von New Orleans in der Hoffnung, finanzielle Mittel des Bundes dafür zu erhalten. Dieses Vorgehen hat den Planungsprozess zum Wiederaufbau insgesamt verändert. Die Entscheidungsbefugnis des Stadtrates, einen derartigen Prozess zu initiieren und dafür finanzielle Ressourcen der Stadt liquide zu machen sowie die fachlich- ideellen Ressourcen (der Fachplanerschaft) waren in diesem Prozess von besonde- rer Bedeutung. Der breit angelegte Partizipationsprozess (bottom-up), der in die- sem Fall durch die American self-help ideology befeuert wurde, steht an sich be- reits für eine strukturell-prozessuale Reformfähigkeit. Insgesamt bedingen dem- nach in diesem Planwerksprozess eine strukturell-prozessuale Reformfähigkeit die gesellschaftspolitischen Hintergründe, die Kooperation zwischen lokalem Staat und Fachplaner- und Bewohnerschaft, deren Ressourcen und Motivationen und der Partizipationsprozess an sich. (Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren oder blockieren)

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D III Planwerk zum Wiederaufbau Unified New Orleans Plan (UNOP) und das inszenierte Bottom-up-Prozedere

Der Prozess des Planwerks Bring New Orleans Back war zu der Zeit bereits abge- brochen, als der Prozess um den Unified New Orleans Plan (UNOP) begann (Au- gust 2006). Dennoch gingen einzelne Konzepte des BNOB in die nachfolgenden Planwerke über, so auch in den Unified New Orleans Plan (UNOP). (Shea 02.03.2012) UNOP sieht nun einen Wiederaufbau für das gesamte Stadtgebiet vor und bündelt im Kern zahlreiche Vorstellungen zur Stadtentwicklung von New Or- leans nach Hurrikan Katrina. Diese Vorstellungen wurden – so die Statistik – im größten Beteiligungsprozess der US-amerikanischen Geschichte formuliert.

Die beiden vorangegangenen Planwerksprozesse (BNOB und NONRP) wurden von der Stadtregierung (Mayor’s Office und City Council) initiiert und gesteuert. Nach Steven Bingler sollte der Ansatz von UNOP ein anderer sein: „Our approach was to turn it around and to find a way to have a plan that could come from the people.“ (Bingler 28.02.2012) Letztlich konnten mit diesem Planwerk die ausste- henden überlokalen finanziellen Ressourcen für den Wiederaufbau akquiriert wer- den. Damit wurde die Hoffnung verbunden, private finanzielle Ressourcen anzie- hen zu können, die für den Wiederaufbau einer Stadt ebenso notwendig sind. Das Planwerk ist gekennzeichnet durch das Recht auf Wiederbesiedlung in allen Stadt- teilen und durch einen quartiersbezogenen und projektorientierten Ansatz.

D III.1 Ausgangssituation, stadtpolitischer Kontext und Auslöser für das Planwerk im Überblick

Die fachliche, formale und akteursbezogene Ausgangssituation für die Erarbeitung des Unified New Orleans Plan kann wie folgt beschrieben werden: In der Stadt New Orleans fanden Aufräumarbeiten vieler Millionen Tonnen Schutt noch immer statt. Dämme und Deiche wurden wieder in Stand gesetzt. Probleme gab es noch immer bei der Inbetriebnahme der städtischen Dienstleistungen wie des öffentli- chen Nahverkehrs. Das erschwerte es insbesondere Arbeitskräften im Dienstleis-

442 tungssektor, in der Tourismusbranche von New Orleans zu arbeiten. (Fellowes et al. 05.07.2006) Mitte August 2006 gab Gouverneurin Blanco die Einführung des Programms Road Home offiziell bekannt. (NOLAplans o.J.) (fachlich) Die Vorar- beit von UNOP begann zwar bereits im April 2006 – in etwa parallel zur Erarbei- tung des NONRP. Aber nachdem der BNOB abgelehnt worden war und der NONRP sich ausschließlich auf die niedrig gelegenen Nachbarschaften bezog, war die Gesamtstadt noch immer ohne Plan (formal). Akteursbezogen ist für die Aus- gangssituation von UNOP von Bedeutung, dass sich nun der Bundesstaat und ins- besondere Gouverneurin Blanco und die Louisiana Recovery Authority (LRA) ein- schalteten mit dem Hinweis, dass auch New Orleans wie alle anderen betroffenen Kommunen in Louisiana einen gesamtstädtischen Wiederaufbauplan einreichen müsse, bevor Wiederaufbaugelder frei gegeben werden.

Der Unified New Orleans Plan (UNOP) wurde vor dem Hintergrund eines ähnli- chen stadtpolitischen Kontextes erarbeitet wie der New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan (NONRP), da die Planwerkserarbeitungen zeitlich eng beieinander lagen212: Zusätzlich zu den ersten Fördermitteln des Bundes zum Wiederaufbau in der Golfküstenregion Ende 2005 (Fellowes et al. 05.07.2006) wurden weitere 4,2 Milliarden US-Dollar durch die Unterzeichnung der sogenannten Emergency Spen- ding Bill von US-Präsident George W. Bush freigegeben. (NOLAplans o.J.) Das hatte auf die Planwerkserarbeitung zunächst keine Auswirkungen, denn die Erar- beitung von UNOP wurde durch Stiftungen finanziert. (finanzielle lokalpolitische Lage) Bürgermeister Nagin wurde am 2. Mai 2006 wiedergewählt. Sein Mitbewer- ber Mitch Landrieu unterliegt Nagin und wird erst 2010 zum Bürgermeister von New Orleans gewählt (NOLAplans o.J.) (politische Lage). Im April und Mai 2006 wurde das Road Home Program des Bundesstaates Louisiana von der LRA, dem Senat des Bundesstaates Louisiana und dem Bundesministerium für Wohnraum und Stadtentwicklung (U.S. Department of Housing and Urban Development HUD) genehmigt. Darüber hinaus genehmigte der Stadtrat die sogenannten flood elevation maps, die von FEMA erarbeitet wurden. (NOLAplans o.J.) (rechtliche Lage). In Bezug auf den Tourismussektor waren Mitte 2006 im Vergleich zu der

212 Die Vorarbeit des NONRP hat Anfang Dezember 2005 begonnen. Das Planwerk wurde von Mai bis September 2006 erarbeitet. Die Vorarbeit des UNOP fand seit April 2006 statt. Erarbeitet wurde UNOP von Juni 2006 bis Ende Januar 2007.

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Zeit vor Katrina bereits wieder 64 Prozent der Hotels geöffnet und in vollem Be- trieb, was sich auch auf die Vitalität des kulturellen Sektors auswirkte. (Im Dezem- ber 2005 waren es noch 56 Prozent aller Hotels.) Allerdings stieg die Arbeitslosen- quote Mitte 2006 wieder auf 6,4 Prozent an, nachdem sie Ende 2005 bei 4,3 Pro- zent lag. Vor Hurrikan Katrina lag die Arbeitslosenquote bei 5,8 Prozent. (Fellowes et al. 05.07.2006) (ökonomische und kulturelle Lage).

Als Auslöser für die Erarbeitung des Unified New Orleans Plan (UNOP) kann die Initiative der Louisiana Recovery Authority (LRA) und deren Drängen, einen ge- samtstädtischen Wiederaufbauplan zu erarbeiten, angesehen werden. Denn die US- Bundesregierung forderte einen offiziellen Wiederaufbauplan der städtischen Be- höden für die Stadt New Orleans, damit die Stadt bestimmte Typen von Infrastruk- turgeldern über Community Development Block Grants erhält, die die LRA im Namen der Bundesregierung letztlich freigibt. (Collins 2011: 167–168) Die LRA suchte den Kontakt zur Rockefeller Foundation, die unter anderem einen breit an- gelegten Bürgerbeteiligungsprozess zur Bedingung für eine Förderung machte. Die Rockefeller Foundation hatte bereits am 20. April 2006 bekannt gegeben, dass sie den UNOP-Prozess mit 3,5 Millionen US-Dollar unterstützen würde. (NOLAplans o.J.) Zu diesem Zeitpunkt hatte der NONRP nicht einmal richtig begonnen, der seit Dezember 2005 vorbereitet worden war und offiziell von Mai 2006 bis September 2006 stattfand.

D III.2 UNOP: Gesamtstädtische strategische Ziele mit einem Ansatz von Reformfähigkeit?

Der Unified New Orleans Plan (UNOP) wird offiziell als Citywide Strategic Re- covery and Rebuilding Plan, auch Citywide Plan bezeichnet. Das Planwerk, das von August 2006 bis Januar 2007 erarbeitet wurde, integriert offiziell die bereits erarbeiteten Nachbarschaftspläne des NONRP in einem umfassenden Plan zum Wiederaufbau und stellt so einen offiziellen recovery plan dar. Unter einem recov- ery plan wird im Falle von New Orleans ein Instrument verstanden „to help guide the repair and rebuilding of N.O. in a rational way that creates stability and paves the way for future growth and prosperity” (City of New Orleans 2007: 9). Im

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Planwerk selbst wurde unmissverständlich der Unterschied des Planwerks zu ei- nem Master Land Use Plan oder Comprehensive Plan deutlich gemacht. Der UNOP Recovery Plan konzentrierte sich auf Investitionsprojekte und -programme, die sich unmittelbar auf die Situation nach der Katastrophe beziehen, und skizzierte einen kurzen zeitlichen Rahmen von Monaten – und nicht von Jahren213 (City of New Orleans 2007: 10).

Warum UNOP – nach den Planwerken BNOB und NONRP – initiiert wurde, wur- de im Planwerk selbst offiziell nicht vermerkt. Erwähnt ist im Planwerk ausschließ- lich, dass nach dem NONRP letztlich UNOP erarbeitet wurde, da die Greater New Orleans Foundation als die älteste und größte philanthropische Organisation der Region Fördergelder für einen breiten Beteiligungsprozess aquirieren konnte (City of New Orleans 2007: 8). Bekannt wurde, dass die Louisiana Recovery Authority (LRA) die Stadt zur Erarbeitung eines Wiederaufbauplanes aufforderte, der eine breite öffentliche Unterstützung demonstriert und gesamtstädtisch ausgerichtet wird (und sich nicht nur auf zerstörte Stadtgebiete konzentrierte). Das markierte einen Entscheidungspunkt im Planungsprozess rund um den Wiederaufbau. Die US-Bundesregierung würde zudem keinen Plan aktzeptieren, der keine Vorschläge zur technischen und sozialen Infrastruktur (Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser, Verkehr und Wassermanagement) beinhaltet. Nach Shea war dies der einzige Leit- faden, den der Bund für den Planungsprozess vorgab und gleichzeitig eine Vorgabe für die Freigabe von Fördergeldern (Community Development Block Grants, CDBG). Die LRA wurde nach Shea zu einer Art Sprachrohr der US- Bundesregierung. (Shea 02.03.2012) So wurde ein Prozess initiiert, der alle voran- gegangenen Planungsbemühungen durch einen „öffentlich geführten“ Prozess zu- sammenzuführen sollte (City of New Orleans 2007: 14; vgl. Olshansky et al. 2008: 276).

Carey Shea, damalige leitende Mitarbeiterin der Rockfeller Foundation, beschreibt die Situation in Bezug auf die Förderfähigkeit einer Kommune durch den Bund nach einem Katastrophenereignis: Normalerweise verhandele die US- Bundesregierung nach einer Katastrophe direkt mit einer Lokalregierung und auch

213 Dennoch wird insgesamt für New Orleans eine zehnjährige Wiederaufbauzeit angenommen: „Ten years is set as a goal to achieve Recovery“. (City of New Orleans 2007: 10)

445 die finanzielle Hilfe erfolge auf direktem Weg. In diesem Rahmen verfolgt die Katastrophenbehörde des Bundes (Federal Emergency Management Agency, FEMA) einen Planungsprozess, der sich ESF 14 nennt und eine Schadensbewer- tung von baulichen Anlagen mit Entschädigungsanspruch darstellt.214 Allerdings war die bauliche Zerstörung in New Orleans so hoch, dass die Bewertung noch Jahre gedauert hätte und demnach nicht angemessen erschien. Somit wurde nach einer anderen Art eines Planungsprozesses gesucht, mit dem die Stadt wiederauf- gebaut werden kann (Shea 02.03.2012); ein Prozess, der im Planwerk UNOP mün- dete.

Im Planwerk UNOP selbst wird die Erarbeitung eines Recovery and Rebuilding Plan wie folgt begründet: Aus finanzieller und personeller Knappheit auf lokaler Ebene müssen Prioritäten gesetzt werden. Neue Siedlungsmuster, die einen effi- zienten Wiederaufbau gewährleisten, waren notwendig, um die Stadt wiederaufzu- bauen. Hintergrund dessen war auch, dass im Rahmen von UNOP angenommen wird, dass nicht jeder Bürger von New Orleans in die Stadt zurückkehrt, die Steu- ereinnahmen niedrig sind und somit knappe Ressourcen lokalräumlich konzentriert werden müssten (City of New Orleans 2007: 9). Darüber hinaus hat UNOP das Ziel, vier Kernpunkte zu vereinen, die den Anspruch eines relativ hohen Grades einer Konkretisierung des Planwerks aufzeigen: Ein Finanzierungsplan zum Wie- deraufbau sollte aufgestellt werden, Fördermittelprinzipien und -strategien sollten entwickelt werden, um die Fördermittel tatsächlich zu erhalten, mögliche Förder- mittelressourcen sollten skizziert und ein Fördermittelszenario entwickelt werden (City of New Orleans 2007: 160–186).

Auch UNOP liegen Prämissen zugrunde, die sich zum Teil von den vorangegange- nen Planwerken im Grundgedanken unterscheiden: Erstens hatte laut UNOP jeder Bürger von New Orleans das Recht zurückzukehren und jede Nachbarschaft konnte wiederaufgebaut werden. Damit spricht sich das Planwerk gegen das Planwerk BNOB aus, da bereits in jeder Nachbarschaft wieder gesiedelt wird, so die offiziel-

214 Dabei wird beispielsweise der Schaden eines Gebäudes bewertet in Bezug aud den Wert und das Alter, den das Gebäude unmittelbar vor dem Katastrophenereignis hatte. Somit wird der Betroffene entsprechend dem Schaden nach dem Katastrophenereignis und Alter beziehungsweise Wert des Gebäudes vor dem Katastrophenereignis entschädigt. (Shea 02.03.2012)

446 le Erklärung. Laut Planwerk gab es Möglichkeiten, die Infrastrukturausstattung effizient zu gestalten, auch ohne die Siedlungsfläche der Stadt zu reduzieren (City of New Orleans 2007: 18). Zweitens benötigte die Eigentümerschaft laut UNOP staatliche finanzielle Unterstützung, um sich gegen zukünftige Überschwemmun- gen abzusichern. Drittens wird davon ausgegangen, dass die Stadt in jedem Fall die Möglichkeit hatte, sich „neu“ zu erfinden und zwar in einer Art und Weise, die „smarter, stronger and safer“ war. Viertens spricht sich das Planwerk dafür aus, dass die baulich-räumliche Gestalt der Stadt überprüft werden sollte; ein Master- plan und eine neue Comprehensive Zoning Ordinance sollten erarbeitet werden (City of New Orleans 2007: 18). Mit Punkt drei und vier wird angedeutet, dass „Neuordnungen“ stattfinden könnten und sollten. In welcher Art und zu wessen Gunsten das passieren werde, wird in diesem Rahmen nicht ausgeführt. Der Ansatz des Planwerks ist nichtsdestoweniger von zwei zusammenhängenden Faktoren abhängig: von der Zahl der zurückkehrenden Einwohner nach New Orleans und von dem Risiko einer weiteren stadtweiten Überflutung durch einen Hurrikan. (Ci- ty of New Orleans 2007: 10).

Das Planwerk verfolgt Ziele, die teilweise die oben genannten Prämissen des Planwerks widerspiegeln. Diese Ziele wurden in einem breit angelegten öffentli- chen Beteiligungsprozess erarbeitet: Die Stadt müsse vor zukünftigen Über- schwemmungen sicher sein. Nachbarschaften sollten wiederaufgebaut werden. Für die Einwohnerschaft von New Orleans sollte es die Möglichkeit geben, in jeden Teil der Stadt zurückzukehren. Öffentliche Infrastruktur und Schulen sollten im Stadtgebiet nachhaltig und gerecht verteilt sein, um den Bedarfen der Nachbar- schaften gerecht zu werden. (American Planning Association 31.01.2007)

Da UNOP einen sogenannten Comprehensive Recovery Plan darstellt (und keinen Comprehensive Plan), wurde auf die Grenzen des Planwerks in vier Punkten hin- gewiesen. UNOP stelle eine Skizze dar (1): Die vorgeschlagenen Programme wa- ren Konzeptentwürfe und müssen in ihrer Umsetzung weiterentwickelt werden. Neue Programme sollten ausgearbeitet werden, die von den Abteilungen der Stadt- regierung, wie vom Office of Recovery Management oder der City Planning Com-

447 mission betreut werden.215 Die Implementation des Planwerks war vollständig von externen Finanzierungsquellen und Ressourcen abhängig (2), unabhängig davon, ob es sich um die Sicherung des Hochwasserschutzsystems oder um die Umset- zung des Road Home Program handelt. UNOP stellte einen strategischen Rahmen dar, der Entscheidungsträgern die Flexibilität bietet, Investitionen auf der Grundla- ge von vorhandenen Ressourcen zu tätigen. In diesem Zusammenhang wurde da- rauf verwiesen, dass verschiedene Schlüsselelemente außerhalb der Kontrolle der lokalen städtischen Ebene liegen (3).216 Zudem wurden keine räumlichen Veror- tungen vorgenommen, sondern darauf hingewiesen, dass der Planwerksansatz eine Minimierung von öffentlichen Investitionen anstrebt (4): Ansatz war ein Kriterien- gerüst. Sollten bestimmte Kriterien erfüllt sein, wurde empfohlen, öffentliche In- vestitionen zu tätigen. Das Planwerk zeigte demnach keine sogenannten recovery planning policy areas auf. Diese zu erarbeiten, müsse laut Planwerk Teil der Um- setzungsphase sein, wenn eine Finanzierung gesichert sei (City of New Orleans 2007: 18–19).

Um mögliche Leitlinien einer zukünftigen räumlichen Entwicklung der Stadt und eine Verteilungslogik von Ressourcen innerhalb der Stadt erkennen zu können, werden Organisation und Inhalt des Planwerks nachfolgend betrachtet: Auffällig ist, dass das Planwerk klassisch planerisch strategisch aufgebaut ist: Nach einem Recovery Assessment, das den Status Quo in einzelnen Sektoren beschreibt, folgt ein Citywide Recovery Framework, in dem Visionen und Ziele des Wiederaufbaus, Wiederaufbauszenarios, ein strategischer Wiederaufbaurahmen und Wiederauf- baustrategien erarbeitet wurden. In einer Summary of Recovery Projects wurden Programme und Projekte durch das stadtweite Planungsteam empfohlen und über zehn Jahre priorisiert. Im Kapitel Implementation wurde eine Struktur zur Umset- zung des Planwerks herausgearbeitet. Der Financial Plan zeigt eine Kostenschät-

215 In diesem Rahmen soll auch das Neighborhood Stabilization Program weiter ausgearbeitet wer- den, um Nachbarschaftsprozesse „gerechter“ zu gestalten. 216 Es wird darauf hingewiesen, dass das Road Home Program ein bundesstaatliches Programm ist, das ausschließlich Eigentümer unterstützt und nicht die Stadt an sich. Ziel des Wiederaufbauplanes ist es aber, Nachbarschaften zu revitalisieren (und nicht einzelne Individuen). Die Verbesserung des Hochwasserschutzsystems wird von der ACE und dem US-Kongress kontrolliert und auch das Ge- sundheits- und Schulsystem wird in erster Linie eine überlokale Angelegenheit sein.

448 zung der Umsetzung und mögliche Finanzierungsressourcen auf.217 Nachfolgend wird auf Inhalt und die Prinzipien von Recovery Assessment, dem Citywide Recovery Framework und dem Financial Plan dataillierter eingegangen.

Beim sektoralen Recovery Assessment, einer sektoralen Bestandsaufnahme, wird in erster Linie auf die räumlich unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in Bezug auf Bevölkerungsentwicklung, Infrastruktur, Wohnraum und Einzelhandelsentwick- lung in den Quartieren hingewiesen. Aufgrund dessen wird in einigen Quartieren eher ein Wendepunkt der Wiederaufbautätigkeit erreicht werden können als in anderen; einige Quartiere werden schneller wiederaufgebaut werden als andere. Einer der Hauptfaktoren für die Rückkehr der Bewohner ist der Standort und das Maß von Wohnraumneubau. Als Anreizinstrumente werden die Ausweitung des New Market Tax Credit oder der bundesweite Historic Rehabilitaion Tax Credit empfohlen, die laut Planwerk einen Katalysator für innerstädtisches Wachstum bilden werden (City of New Orleans 2007: 30). Im Handlungsfeld Historic Preser- vation and Urban Design wird auf verschiedene Regularien hingewiesen, die das Planwerk und insbesondere die überarbeitete Version von UNOP unterstützt. So hatte beispielsweise der New Century New Orleans Plan (NCNO) laut UNOP eine führende Rolle im Denkmalschutz inne, der in diesem Zusammenhang eine Wohn- raum- und Wirtschaftsentwicklung, die unterstützt werden müsse, aufzeigte. Der Citywide Plan des Planwerks bezieht sich auf die Konzepte zur gesetzmäßigen Erarbeitung eines Master Land Use Plan sowie auf die Überarbeitung der Compre- hensive Zoning Ordiance und der Zoning Maps; Planungsinstrumente, die durch das Planwerk UNOP planungspolitisch unterstützt werden. (City of New Orleans 2007: 45)

Als strategischer Rahmen zum Wiederaufbau (Strategic Recovery Framework) wurden drei Strategien entwickelt: Re-pair, Re-build, Re-vision. Damit wurde laut Planwerk die Grundlage für eine umfassende Vision, für Ziele und für einen strate- gischen Politikrahmen geschaffen, um den Wiederaufbau der Stadt zu steuern (City of New Orleans 2007: 56). Durch Szenarien, die in diesem Planwerk einen zwei-

217 Im Anhang sind sogenannte Citywide Recovery Project Summary Sheets und eine Liste von Plan- ning District Projects aufgeführt (City of New Orleans 2007: 20).

449 dimensionalen Plan ersetzen218, wurden diese sogenannten Recovery Policy Areas definiert. (City of New Orleans 2007: 64) Die Bewertung der Umsetzungsstrate- gien basierten auf drei Kriterien: auf unterschiedlichen Umsetzungszeiträume (in- nerhalb von zwei Jahren, von zwei bis fünf Jahren, und mehr als fünf Jahre), auf Prognosen in Bezug auf das Überschwemmungsrisiko und auf Prognosen zur Rückkehr der Bewohnerschaft von New Orleans. (American Planning Association 31.01.2007; vgl. American Planning Association o. J.b)219

Auch die Prinzipien des Finanzierungsplans geben Aufschluss über das Planungs- verständnis, das vom Planwerk ausgeht: Durch das Planwerk wird stark die indivi- duelle Wahl in der persönlichen Entscheidungsfindung unterstützt (Das Individuum steht im Mittelpunkt). Finanzielle Fördermittel in umfassender Art und Weise soll- ten jedem Einwohner sowie jedem Unternehmen zur Verfügung stehen. Anreize sollten für jedes Individuum gelten, mit dem Argument Nachbarschaften nicht ge- geneinander ausspielen zu wollen. Weiterhin müsse eine Mannigfaltigkeit hinsicht- lich einer finanziellen Ressourcennutzung gesichert werden. Es sollten lokale und externe Ressourcen, private und öffentliche Ressourcen genutzt werden (City of New Orleans 2007: 160–161, 2007: 160–161, 2007: 168–169). Durch diese Prinzi- pien wird eher eine Förderung des Individuums im US-amerikanischen Planungs- verständnis deutlich und es steht weniger eine integrierte Quartiers- und Nachbar- schaftsförderung im Mittelpunkt.

Als formales Produkt waren im Januar 2007 13 Planning District Recovery Plans erarbeitet. Dieser Prozess wurde durch eine Planer- und Architektenschaft unter- stützt, die national bekannt war. Jeder District Plan steht für sich. Ein übergreifen-

218 Mit der Ablehnung des zweidimensionalen Green Dot Plan der BNOBC wurde eine stadtpoliti- sche Situation geschaffen, die sich nicht wiederholgen sollte. 219 Im Planwerk UNOP ist ein sogenanntes Neighborhood Stabilization Program formuliert. Dieses Programm soll die Bewohnerschaft in den am stärksten zerstörten Gebieten der Stadt unterstützen, sich eher in sogenannten cluster developments anzusiedeln. Diese cluster developments sind Gebiete der Stadt, die weniger Zerstörung aufwiesen und in denen die Stadt die Infrastruktur in jedem Fall verbessern will und in denen soziale Dienstleistungen und Handel ausgebaut sind. Zudem schließt das Planwerk UNOP Programme ein, die die Bewohnerschaft dabei unterstützen, ihre Wohnhäuser wie- der aufzubauen. Der Wiederaufbau von individuellem Eigentum sollte in Übereinstimmung mit den sogenannten Base Flood Elevations (BFE) geschehen, für die US-Bundesbehörde FEMA verantwort- lich war. (City of New Orleans 2007: 36)

450 der Citywide Plan konzentrierte sich auf Projekte und Programme, die von stadt- weiter Bedeutung jenseits der Neighborhood Plans sind (City of New Orleans 2007: 14, 2007: 16). Im Citywide Plan wurden stadtweite Zusammenhänge analy- siert, die an die Stadtteile weitergegeben wurden. Beide Arten von Plänen wurden in jeweils drei Phasen erarbeitet: Recovery Assessment, Scenario Development, Citywide and District Plan Development (City of New Orleans 2007: 14). Im Planwerk ist für den Wiederaufbau der Stadt ein zehnjähriger Zeitrahmen aufge- rührt. (City of New Orleans 2007)

2.1 Einschätzung der gesamtstädtischen strategischen Ziele im UNOP

Resümierend versucht UNOP, normativ „gute Planungsziele“ zu vereinen und hat weitestgehend eine Logik einer politischen Rationalität inne. UNOP hat keinen inhaltlichen Fokus und ein klares Leitbild ist nicht erkennbar. Aus dem Namen des Planwerks (unified) kann abgeleitet werden, dass das Planwerk planerische Ansätze aus den anderen Planwerken und unterschiedliche Sichtweisen, Ansätze und Ziel- vorstellungen von Akteuren aus den Sphären Staat, Markt und Zivilgesellschaft vereint.

UNOP zeichnet sich durch Handlungsfelder aus, die typisch für strategische Plan- werke sind; sie scheinen weniger auf New Orleans zugeschnitten zu sein. Trotz einer umfassenden Bestandsaufnahme (Recovery Assessment) wird wenig Bezug innerhalb des Planwerks zwischen der Bestandsaufnahme und den Strategien-, Handlungs- und Projektvorschlägen deutlich. Letzteres erscheint aufgrund dessen mehr oder weniger „aus der Luft gegriffen“. Projektvorschläge sind wenig in Stra- tegien verankert. Das kann zu einem Missverständnis in der Öffentlichkeit beige- tragen haben, die davon ausging, dass alle Projekte umgesetzt werden würden und nicht nachvollziehbar war, welches Ziel oder welche Ziele das Planwerk grundle- gend verfolge. Grundsätzlich sind die planerischen Ansätze im Planwerk unter Beachtung des vorherrschenden politischen und institutionellen Kontextes rational nachvollziehbar, auch wenn – oder gerade weil – es wenig konkret ist.

451

Paradoxerweise kann dennoch durch das Planwerk UNOP Veränderung beobachtet werden, welche lokale Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung verdeutlicht: Seit Jahren wurde kein Planwerk erarbeitet, das auch beendet wurde und dem zudem ein derartiger öffentlicher Beteiligungsprozess vorausging, der alle bisherigen Be- teiligungsprozesse der US-amerikanischen Geschichte in den Schatten gestellt hat; sogar den Partizipationsprozess zu den Planungen von New York City’s Ground Zero. Nach Becker war vor Hurrikan Katrina das öffentliche Interesse an Planung nicht vorhanden. Nach Hurrikan Katrina wurde die Notwendigkeit von Planung erkannt und plötzlich war jeder ein Planungsexperte, so Becker220. Diese Neuerung könne als eine Art „Reformfähigkeit“ auf lokaler Ebene interpretiert werden. Auf- grund der zahlreichen Planungsworkshops, die nach Katrina stattgefunden haben, sei nach Becker die Einwohnerschaft von New Orleans wahrscheinlich die am bes- ten gebildete Einwohnerschaft hinsichtlich „Planung“ in den USA. „(...) So, having a plan that everybody adopted was pretty new, pretty new.“ (Becker 23.02.2012)

UNOP war nicht als Planwerk für eine Neuentwicklung der Stadt vorgesehen. Nach Becker war von Bedeutung, dass nach Katrina überhaupt ein Plan entwickelt wurde – egal welcher Qualität, so dass überlokale finanzielle Ressourcen freigege- ben werden konnten.221 (Becker 23.02.2012) So sei es wichtiger gewesen, dass die Stadt New Orleans einen Plan hatte, als dass dieser Plan sehr gut war: „Because everyone went... 'what is the plan? (…) How do we going to recover?' And when the UNOP plan was adopted everybody went: Oh, we have a plan. (…) It is really not that good a plan. But at the time (…) you just needed a plan that everybody recognize and brought into. And UNOP did that. And so, the perception of having

220 Robert Becker war im Rahmen des UNOP-Prozesses in die Planungen zur zukünftigen Entwicklung von Grün-, Park- und Erholungsflächen involviert. Er wurde für die Mitarbeit angefragt, da er als Vertretungsprofessor in der University of New Orleans und als Geschäftsführer der City Park Improvement Association tätig war. Die University of New Orleans hatte sich vertraglich bereit erklärt, einen Teil des UNOP-Planwerks zu erarbeiten und somit wurde auch er gebeten, daran mitzuarbeiten. City Park ist die größte Erholungsfläche in der Stadt und deshalb sollte er als Geschäftsführer der Association am Planwerk mitarbeiten. Zudem war Becker von 1982 bis 1988 Leiter der City Planning Commission; eine Position, in der er viele Akteure der Stadt kennengelernt habe. (Becker 23.02.2012) 221 Mit der Genehmigung von UNOP wurden Fördermittel zur Umsetzung des Planwerks frei. Bei- spielsweise hat die City Park Improvement Association vier Millionen US-Dollar Community Develo- pment Block Grants bekommen, da sie ein Projekt in UNOP integriert hatte, das eine eine Fläche im Park umgestalten sollte: Ein alter Golfplatz sollte als Joggerstrecke und als Fußballfelder neu gestaltet werden. Der Bürgermeister entschied, einen Teil der CDBG dafür bereitzustellen. (Becker 23.02.2012)

452 a great plan was not as important as having the plan.“ (Becker 23.02.2012) Der Plan war notwendig, denn Einwohner- und Unternehmerschaft wusste nicht, in welchen Teil der Stadt investiert werden könne und welche Projekte und Strategien geplant seien. Das Planwerk sei laut Becker grundsätzlich ein Katalog jeglicher Entwicklungsprojekte der Stadt und hatte bei vollständiger Implementation einen Umfang von 14 Milliarden US-Dollar. Einerseits war 2005 und 2006 nicht klar, wieviel finanzielle Ressourcen in die Stadt fließen würden, so dass jede Nachbar- schaft ihren Plan und ihre Projekte in UNOP integriert sehen wollten. Andererseits war es (selbstverständlich) unwahrscheinlich, 14 Milliarden US-Dollar externe Ressourcen einwerben zu können, um alles umsetzen zu können. Dennoch war es wichtig, einen Plan zu haben. Das war das Wichtigste in Bezug auf UNOP. (Becker 23.02.2012) Denn mit einem Plan ist die lokalstaatliche Ebene nach einer Kata- strophe beispielsweise schnell in der Lage, Fördermittel oder Spendengelder zu akquirieren. Becker führt das Beispiel der City Park Improvement Association an: Die Organisation hatte bereits einen Plan vor Hurrikan Katrina entwickelt, was ihr nach Katrina umgehend finanzielle Ressourcen einbrachte: „So that is the diffe- rence between having a plan and not having a plan. If the city would have had a plan – I believe strongly – they could have organized recources and recovery quicker. But it took time to go through and do the plan, time to do it. And as a re- sult I think a lot of our opportunities were lost for the city. And people’s memories are short; you know one disaster this year and another disaster that year.“ (Becker 23.02.2012) Nach Becker hatte die Stadt insgesamt Möglichkeiten vertan, finan- zielle Ressourcen für die Stadt einzuwerben, da nicht schnell genug ein Planwerk entwickelt wurde und zur Verfügung stand. Denn die Zeit sei schnelllebig und Ka- tastrophen finden auch in anderen Städten und Regionen statt, so dass somit mög- licherweise finanzielle Ressourcen für potentielle Projekte oder Strategien ausblei- ben. (Becker 23.02.2012)

Inhaltlich unterscheidet sich das Ergebnis von UNOP paradoxerweise nicht erheb- lich von den Inhalten des BNOB, denn die planerische Darstellungweise des UNOP macht dies nicht offensichtlich: Laut UNOP könne zwar (im Gegensatz zum Green Dot Plan des BNOB) überall im Stadtgebiet wieder gesiedelt werden, allerdings wurden im Planwerk UNOP Kriterien formuliert, unter welchen Bedi- nungen wieder öffentlich investiert wird und demnach der individuelle bewohner-

453 schaftliche Wiederaufbau infrastrukturell unterstützt wird. Dementsprechend könn- te auch im Rahmen von UNOP in einigen Quartieren nicht wieder öffentlich inves- tiert werden (wie im Rahmen vom BNOB). (Brooks 29.09.2008) Die Darstel- lungsweise beider Planwerksstrategien war also entscheidend (zweidimensionaler Plan versus Kriterien, die kein offensichtliches Verbot zur Folge haben. Insgesamt wurden die meisten Ideen der Nachbarschaftspläne im Planwerk UNOP berück- sichtigt. Nach Becker sei UNOP „nur“ eine Auflistung all dieser Pläne und Projek- te, denn grundsätzlich war das Ziel, eine einheitliche Strategie aufzuzeigen; „irgen- detwas, dem der Bund zustimmen würde“. (Becker 23.02.2012)

Inhaltlich sind Themen der Stadtentwicklung, die vor Katrina bedeutend waren, in UNOP integriert worden, so zum Beispiel der Ausbau des Straßenbahnsystems, Erneuerungen des Flughafens und des Hafens. Große städtische Infrastrukturpro- jekte also, die vor Katrina bereits geplant waren, sind in das Planwerk UNOP ein- geflossen. Denn nach Becker schafft eine Katastrophe die Möglichkeit, geplante Projekte „aus der Schublade zu holen“ und voranzubringen: „Disaster (...) gives you the opportunity to take things that might have been in a plan but in the back shelf and bring them forward.“ (Becker 23.02.2012)222 Zudem waren alle städti- schen Behörden (Hafen, Deichsystem, Flughafen, Wassergesellschaft, Küstenreku- litvierung) angehalten, für UNOP einen Plan zu entwickeln und in das Planwerk einfließen zu lassen. Denn nach Becker würden nur auf Grundlage von UNOP ex- terne finanzielle Ressourcen auf absehbare Zeit in Vorhaben investiert werden. (Becker 23.02.2012)

2.2 Vorschläge zur Implementierung im Planwerk und vom Planwerk: Formale Akteursstruktur und Verantwortlichkeiten

Die Akteurs- und Managementstruktur war im UNOP-Prozess nicht weniger kom- plex als in den vorangegangenen Planwerksprozessen: Formal war die Greater

222 Zudem herrschte in Bezug auf die Schulausbildung in der Stadt große Unzufriedenheit auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen. UNOP bot nun den Rahmen, ein neues Schulsystem in New Orleans zu entwickeln (sogenannte Charter Schools statt Public Schools). Das Schulsystem von New Orleans wurde privatisiert, überlokal bekannt und gilt als „reformiert“. (Saltman 2007)

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New Orleans Foundation (GNOF) die Institution, die den Prozess steuerte. Sie bildete wiederum eine gesonderte Stiftung, die Community Support Foundation, und beauftragte ein privates Planungsbüro, Concordia223, das für die Umsetzung der Verträge verantwortlich war. Formal und rechtmäßig ist die städtische Pla- nungsbehörde die Institution, die für Stadtplanung und Stadtentwicklung in New Orleans verantwortlich ist {Olshansky 2008 #87: 276(Bureau of Governmental Research 03.2007: 2)224 Diese Tatsache wurde vom Bürgermeister und vom Stadt- rat offenbar ignoriert und wiederum ohne öffentlichen Protest hingenommen. Al- lerdings waren auch bis zu diesem Zeitpunkt viele Einwohner noch nicht wieder nach New Orleans zurückgekehrt, so dass möglicherweise die personellen Kapazi- täten in der Planungsbehörde noch nicht aufgestockt werden konnten und für diese Aufgabe insofern auch nicht zur Verfügung standen. Letztlich lenkte die Communi- ty Support Organization (CSO) den UNOP-Prozess. Im Leitungsgremium waren Repräsentanten des Bürgermeisters, des Stadtrates, der Planungsbehörde und von Nachbarschaftsorganisationen vertreten. (Olshansky et al. 2008: 276)

Der Unified New Orleans Plan war das erste Planwerk im Rahmen des Wiederauf- bauprozesses, das auch einen Plan zur Umsetzung entwickelte. Dieser Plan hatte die Zusammenarbeit von lokalen und überlokalen Behörden erfordert. (City of New Orleans 2007: 131) Im Planwerk selbst wurde festgeschrieben, dass an der Umsetzung von UNOP „viele Akteure“ beteiligt sein sollten. Die Kooperation und Koordination aller lokaler Behörden und politischen Entscheidungsträger sei zent- ral; im Besonderen die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Behörden (Stadt, Bundesstaat und Bund) und dem Privat- sowie Nonprofit-Sektor (City of New Or- leans 2007: 131). Staatliche Verantwortungsbereiche wurden im Planwerk gere- gelt: Auf lokaler Ebene etablierte der Bürgermeister von New Orleans im Dezem- ber 2006 das Office of Recovery Management, das in Zusammenarbeit mit ver- schiedenen Abteilungen der Stadtverwaltung, zum Beispiel der City Planning

223 Die Arbeit des Planungsbüros Concordia, gegründet und geleitet von Steven Bingler, konzentriert sich auf die Organisation von demokratischen (Beteiligungs-)Prozessen. Bingler betont: „Concordia means harmony. Harmony means agreement between people. (...). We say that is our one word mis- sion statement.“ (Bingler 28.02.2012) 224 Die Stadtsatung in der aktuellen Fassung von 2014 besagt, dass die City Planning Commission auch Planwerke zum Wiederaufbau im Falle einer urbanen Katastrophe vorbereiten und dem Stadtrat zur Genehmigung vorschlagen soll. (City of New Orleans 04.11.2014: 115–116) Das war nach Rodri- guez (23.02.2012) auch bereits 2005 der Fall.

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Commission, am Wiederaufbau mitwirken soll. Die bundesstaatliche Ebene ist in erster Linie dafür verantwortlich, die Golfküste auf Grundlage des Comprehensive Coastal Protection Master Plan wieder zu entwickeln und zu sichern. Die US- Bundesebene hat für den Hochwasserschutz zu sorgen und wird durch das US Army Corps of Engineers (ACE) in New Orleans repräsentiert. Zivilgesellschaftli- che Beteiligung, vor allem der Einwohnerschaft von New Orleans, ist als integraler Bestandteil des UNOP-Prozesses beschrieben. Laut Planwerk müssen Prioritäten, die in erster Linie im Rahmen der Bürgerbeteiligungsprozesse (Community Con- gresses) herausgearbeitet wurden, auch bei der Umsetzung des Planwerks beachtet werden. (City of New Orleans 2007: 14–16). Formal war die zivilgesellschaftliche Ebene allerdings nicht konkret in die Implementierung des Planwerks eingebunden.

Der gesamtstädtische Plan (Citywide Plan) des UNOP-Planwerk sollte durch ein sogenanntes Parishwide Recovery Committee und das städtische Office for Recovery Management (ORM) gesteuert und umgesetzt werden (City of New Or- leans 2007: 132). Im Planwerk wird darauf hingewiesen, dass temporär Mitarbeiter eingestellt werden müssten, um Planwerksstrategien und -projekte umzusetzen. Das finanzielle Buget stand für kurz-, mittel- und langfristige Bedarfe pro Sektor bereit. (City of New Orleans 2007: 134).

2.3 Local Recovery Governance Model

Der umfassende Charakter des Planwerks UNOP spiegelt sich auch in einem Mo- dell für ein Parishwide Recovery Management wider, das den Wiederaufbau im gesamten Verwaltungsbezirk von New Orleans lenken sollte. In diesem Rahmen wurden Zusammenarbeit, Kompetenzen und Arbeitsfelder definiert, die auch für die Stadtentwicklung von New Orleans von Bedeutung waren. Dabei wurde offen- gelegt, dass Koordination und Kooperation in vielen großen Organisationen schwierig seien. Das sei insbesondere im Orleans Parish225 der Fall, das sich durch viele Regierungsinstitutionen auszeichnet. Im Local Recovery Governance Model des Planwerks wurden Schlüsselrollen und Verantwortungsbereiche für das Wie-

225 Ein parish ist als eine territoriale Einheit in Louisiana ein county gemeint im Sinne von einem Landkreis eines Bundesstaates). Der US-Bundesstaat Louisiana umfasst acht parishes.

456 deraufbaumanagement identifiziert. Spezifische Behörden wurden benannt, die die Umsetzung der Politiken, Programme und Projekte übernehmen könnten und die im Citywide Plan vorgeschlagen wurden. Das Modell ist relativ detailliert und um- fassend und es symbolisiert somit auch die Ernsthaftigkeit, mit der die Umsetzung des Planwerks angedacht wurde.

Das Local Recovery Governance Model sah die Zusammenarbeit von institutionel- len Akteuren vor: Parishwide Recovery Committee, Office of the Mayor, New Or- leans City Council sowie städtische und regionale Behörden. Diese Institutionen, die unterschiedliche stadtpolitische Verantwortungsbereiche repräsentieren, setzen sich jeweils aus heterogenen Akteursgruppen mit wiederum unterschiedlichen Ar- beitsbereichen zusammen: Das Parishwide Recovery Committee symbolisierte die Stimme der gesamten Stadt, in dem eine Vielzahl von Akteuren arbeiteten (CPC, NORA, RTA, RPC, S&WB, HANO, NOPBR, LANOIA, Port Authority, Orleans Public Schools und weitere Akteure). Für das Office of the Mayor wurde der Bür- germeister zur Führungsperson respektive zum „Executive Leader of the City’s recovery” im Prozess des Wiederaufbaus definiert. Ausgewählte Abteilungen der Stadtverwaltung sollten eng mit dem Bürgermeister zusammen arbeiten: Office of the Chief Administrative Officer, Office of Economic Development, Office of Inter- governmental Affairs, Office of Homeland Security, City Attorney, und dem neu etablierten Amt des Wiederaufbaus, dem Office of Recovery Management (City of New Orleans 2007: 137–149). Vertreter des städtischen Office of Community Deve- lopment, der New Orleans Housing Authority (HANO) oder dem New Orleans Re- creation Department (NORD) wurden nicht in diesen engeren Kreis um den Bür- germeister berufen. Nachfolgend wird auf die städtischen Institutionen und Akteure sowie deren Aufgabenbereiche kurz eingegangen, die im Planwerk UNOP festge- schrieben sind und die im weiteren Verlauf des Prozesses zum Wiederaufbau von New Orleans von Bedeutung waren:

Dem Office of Recovery Management (ORM), das tatsächlich im Dezember 2006 etabliert worden war, wurde im Planwerk eine Reihe von Aufgaben zugeschrieben. Interessanterweise hatte die Institution neben vielem anderen die Leitung und Auf- sicht über die Umsetzung der Schlüsselprogramme des Neighborhood Stabilization and Flood Protection Sectors inne; Schlüsselprogramme, die im Planwerk aufge-

457 führt sind. Vor allem ersteres gibt zu erkennen, dass eine Stabilisierung der Nach- barschaften ernsthaft angestrebt wurde. Aufgaben, die im Rahmen einer Innen- stadtrevitalisierung Priorität hatten, wurden in diesem Zusammenhang nicht aufge- führt. Allerdings war das Planwerk insgesamt auch weniger räumlich ausgerichtet als die vorangegangenen Planwerke.226 Zudem wurde als Aufgabe des Office of Recovery Management formuliert, eng mit der städtischen Wohnraumbehörde HANO zusammenzuarbeiten: Ein umfassendes Informations- und Monitoringsys- tem für die Bewohnerschaft in New Orleans vor Ort und für Umgesiedelte in ande- re Städte müsse geschaffen werden. Damit könnten der Bearbeitungsstatus, die Rückerstattungsentscheide und die Probleme bei der Rückkehr der Menschen nach New Orleans erfasst werden. Eine umfassende Wohnraumstrategie mit kurz-, mit- tel- und langfristiger Perspektive sollte das Office of Recovery Management in Ko- operation mit der City Planning Commission und HANO erarbeiten (City of New Orleans 2007: 140). Im Rahmen dieser Strategie sollten sogenannte cluster loca- tions ausgewiesen werden. Damit waren städtische Räume gemeint, in denen sich Wohnraum konzentrieren sollte. Des Weiteren sollten Vorschläge für die künftige Nutzung von Grund und Boden herausgearbeitet werden. Denn durch das soge- nannte Road Home Program hatte die Stadt eine Vielzahl von Grundstücken stadtweit erworben. Das ORM soll zudem gemeinsam mit dem Office of Economic Development Fördermittelanträge erarbeiten sowie ergänzende Fördermittel und Investitionsmöglichkeiten ausfindig machen.227 (City of New Orleans 2007: 140)

Das New Orleans City Council „is the City’s governing authority and legislative body“ (City of New Orleans 2007: 143). So ist der Stadtrat verantwortlich für die

226 Viele der aufgeführten Programme und Projekte sind stadtweit ausgerichtet. Nur wenige sind räumlich verankert und reagieren auf spezifische räumliche Erfordernisse, die auf die Rückkehrrate und das Hochwasserrisiko basieren (vgl. Section 4 der Summary of Recovery Projects) (City of New Orleans 2007: 69, 69-130). Im Rahmen des Handlungsfeldes zur Ökonomischen Entwicklung werden speziell Vorschläge zur Innenstadtrevitalisierung gemacht. Ein sogenanntes corridor revitalization pogram soll etabliert werden, in dem die Attraktivität von kommerziellen Zonen in der Stadt gestei- gert werden soll. So soll beispielsweise ein „Canal Street/Downtown revitalization program“ geschaf- fen werden. (City of New Orleans 2007: 92–93) Die Umsetzung beider Programmvorschläge werden im Rahmen der Aufgaben des Office of Recovery Management nicht mehr erwähnt. 227 Der Cluster-Ansatz wurde im Zusammenhang mit UNOP nicht öffentlich und/oder medial thema- tisiert oder kritisiert, obgleich konzeptionelle Ähnlichkeiten mit dem Green Dot Plan des BNOB erkennbar sind. Inwiefern und wie das Office of Recovery Management diese „Aufträge“ des UNOP operationalisiert vgl. Teil D IV.

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Verabschiedung eines Planwerks zum Wiederaufbau, die eine Umsetzung dieses Planwerks ermöglicht. Der Stadtrat von New Orleans bildete ein Recovery Com- mittee nach dem Vorbild von Los Angeles nach dem Erdbeben in Northridge (City of New Orleans 2007: 143).

Die städtischen Behörden und solche, die formal dem Verwaltungsbezirk New Orleans zugeordnet sind, waren durch UNOP angehalten, eng zusammenarbeiten. Die städtische Planungsbehörde (CPC) sei laut Stadtsatzung für die Vorbereitung eines Planwerks zum Wiederaufbau nach einer Katastrophe verantwortlich. Die Planungsbehörde sollte das stadtweite Planwerk und die Wiederaufbaupläne der einzelnen Stadtteile überprüfen und gegenüber dem Stadtrat eine Empfehlung zur Verabschiedung des Planwerks vorlegen. Laut Planwerk sollte die städtische Pla- nungsbehörde den stadtweiten Plan des Planwerks (Citywide Plan) als ein offiziel- les Element des City Master Plan deklarieren, so dass das Planwerk in zukünftige stadtweite Planungen eingebettet werden könne (City of New Orleans 2007: 144).

Des Weiteren wird im Planwerk für inhaltliche Geschlossenheit (beispielsweise in Bezug auf die Wohnraumfrage) und für eine institutionelle Zusammenarbeit plä- diert. Die Planungsbehörde sollte die Arbeit an der Wohnraumfrage im Rahmen der Erarbeitung eines städtischen Masterplans umgehend beginnen und eng mit der Arbeit des ORM und HANO koordiniert werden. Damit könne laut Planwerk eine umfassende Wohnraumstrategie für die gesamte Bewohnerschaft von New Orleans kurz-, mittel- und langfristig sichergestellt werden. Der stadtweite Plan (Citywide Plan) und die Stadtteilpläne (District Plans) des Planwerks können ebenfalls als Grundlage für „updates und revisions to other administrative rules and key regula- tory devices“ dienen insbesondere in Bezug auf einen städtischen Masterplan und die Comprehensive Zoning Ordinance. Damit wurden auch Festsetzungen für einen Unified Development Code oder alternativ für Erschließung und Parzellierung ent- wickelt. Gemäß der Stadtsatzung war die städtische Planungsbehörde zusammen mit der New Orleans Redevelopment Authority (NORA) für die Erarbeitung eines Entwicklungsplans in Bezug auf vernachlässigte Grundstücke verantwortlich. NORA solle diesen Plan nach Fertigstellung umsetzen (City of New Orleans 2007: 144). Aufgabe der New Orleans Redevelopment Authority (NORA) war es laut Planwerk darüber hinaus, Eigentum, das der Behörde zugesprochen worden war,

459 aufgrund von Vernachlässigung oder Ähnlichem anzukaufen und weiterzuverkau- fen oder zu vermitteln. Die Behörde steht unter bundesstaatlichem Recht und arbei- tet als treuhänderische Grundstücksverwaltung. Die Behörde war angehalten, mit dem City Council, der City Planning Commission und Neighborhood One228 zu- sammenzuarbeiten (City of New Orleans 2007: 145).

Die Verantwortung der Housing Authority of New Orleans (HANO) liegt laut UNOP in „providing safe, decent, affordable housing for low-income citizens by creating and sustaining viable communities; and to facilitate resident self- sufficiency and upward mobility through productive collaboration“(Housing Au- thority of New Orleans o.J.). HANO war angehalten, mit der City Planning Com- mission (CPC), dem Office of Recovery Management (ORM), der New Orleans Redevelopment Authority (NORA) und der staatlichen Wohnungsbehörde (HUD) zusammenzuarbeiten (City of New Orleans 2007: 146). In den Wiederaufbau nach Hurrikan Katrina und Rita waren weitere städtische Behörden und Behörden, die formal dem Verwaltungsbezirk New Orleans zugeordnet sind, wie die Behörde des Recovery School District und die Regional Transit Authority eingebunden (City of New Orleans 2007: 147). Eine regionale Behörde, die Regional Planning Commis- sion (RPC) war mit stadtweiten Verkehrs- und Infrastrukturstrategien für die In- standsetzung und die Beseitigung der größten Schäden im Straßennetz stadtweit verantwortlich und muss dafür sorgen, dass keine weiteren Schäden durch man- gelnde Instandsetzung entstehen. Eine weitere Behörde für Verkehr und Infrastruk- tur, Metropolitan Planning Organization genannt, beaufsichtigte Planung, Bau und die Erhaltung aller größeren Straßen und Highways in der Region (City of New Orleans 2007: 147).

Insgesamt mag zwar die substanziell-materielle Ausrichtung dieses strategischen Planwerks sicherlich ein Potpourri zusammengetragener Strategien und Ideen von Projekten sein, der strukturell-prozessuale Ansatz von UNOP insbesondere in Be- zug auf die Umsetzung des Planwerks nach dessen Genehmigung, kann allerdings

228 Neighborhood One arbeitet als städtische Institution in Nachbarschaften auf der Grundlage von Programmen der Division of Housing and Neighborhood Development (DHND) der Stadt New Or- leans. Neighborhood One geht strategische Partnerschaften mit der Stadtregierung, der Bewohner- schaft, Nachbarschaftsorganisationen, Nonprofit-Organsationen und Immobilienentwicklern ein, um die Programme in den Nachbarschaften umzusetzen. (City of New Orleans o.J.c)

460 als weit durchdacht bezeichnet werden: Das Planwerk greift vorhandene Struktu- ren, Instrumente, Akteure und deren Zuständigkeiten auf, bettet diese in den aktuel- len städtischen Kontext und seine Bedarfe ein und entwickelt daraus neue Zustän- digkeiten, die einer Vernetzung bedürfen, um einem Wiederaufbau gerecht zu wer- den.

D III.3 Entwicklungsprozess des Strategieplans: UNOP als Kompro- misswerk unter breiter lokaler und überlokaler Mitwirkung

Etwa zwei Jahre (22 Monate) nach Hurrikan Katrina und nach einem etwa einjäh- rigen Planungsprozess wurde UNOP – The Unified New Orleans Plan im Juni 2007 durch den Stadtrat der Stadt New Orleans (City Council) genehmigt und von der bundesstaatlichen LRA angenommen. Die LRA leitete das Planwerk an die US-Bundesregierung nach Washington D.C. weiter, um weitere Bundesmittel zum Aufbau der Infrastruktur in New Orleans zu erhalten. (Collins 2011: 165)

Das strategische Planwerk UNOP, das offiziell als Citywide Strategic Recovery And Rebuilding Plan betitelt wird, bündelt zahlreiche städtische und stadträumliche Vorschläge und Vorstellungen zur künftigen Stadtentwicklung. Das Planwerk stellt offiziell eine umfassende und stadtweite Wiederaufbaustrategie dar. Am Planungs- prozessverfahren wirkten – wie auch schon im NONRP – landesweit tätige Archi- tektur- und Planungsbüros mit, die für die 13 offiziellen Planungsdistrikte von New Orleans Strategien erarbeiteten. Im Rahmen dieses Prozesses wurde im Gegensatz zu den vorangegangenen Planwerksprozessen die finanzielle Spanne deutlich ge- macht zwischen finanziellen Ressourcen, die bereits für den Wiederaubau zur Ver- fügung standen, und Fördermitteln, die darüber hinaus für einen stadtweiten Wie- deraufbau laut UNOP notwendig sein würden: Diese Differenz beträgt insgesamt über vierzehn Milliarden US-Dollar, die in den darauf folgenden zehn Jahren ge- braucht werden würden (Olshansky et al. 2008: 15).

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3.1 Schlüsselakteure und Zuständigkeiten im Überblick

Der Unified New Orleans Plan wurde wie das Planwerk Bring New Orleans Back von der Stadt New Orleans durch den Bürgermeister (dem Mayor’s Office) initiiert. Erarbeitet wurde es durch eine neu gegründete öffentlich-private Partnerschaft, der New Orleans Community Support Foundation (NOCSF) und der Community Sup- port Organization (CSO). An der Entwicklung des Planwerks waren der Bera- tungsausschuss der CSO mit Vertretern der städtischen Planungsbehörde, des Stadtrates und eines sogenannten National Advisory Team229 beteiligt. Die Pla- nungskoordination übernahm das Planungs- und Architekturbüro Concordia LLC aus New Orleans. Das Büro hatte eine zwanzig jährige Planungserfahrung, die durch bottom up-Prozesse gekennzeichnet ist. (Bingler 28.02.2012)

Im sogenannten Citywide Planning Team arbeiteten lokal ansässige Planer, darun- ter auch ein Team der American Planning Association (APA) der Lokalgruppe von Louisiana mit ihrem Vorsitzenden Stephen Villavaso. Villavaso gehörte auch ei- nem Team der University of New Orleans230 (UNO) an. Ein weiterer Schlüsselak- teur im Citywide Planning Team war Henry Consulting, ein Büro für Unterneh- mensberatung aus New Orleans. Das Citywide Planning Team erarbeitete stadtwei- te Zusammenhänge, die den Planern in den Stadtbezirken (District Planners) als Arbeitsgrundlage dienten (City of New Orleans 2007: 14). Die sogenannten Dis- trict Planning Teams waren von lokalen und überlokalen Architektur- und Pla- nungsbüros besetzt. Zu den überlokalen Büros gehörten beispielsweise Frederic Schwartz Architects oder Duany Plater-Zyberk231. Diese, district planners genannt,

229 Dem National Advisory Team gehörte auch Robert Olshansky an. Olshansky lehrt Planung an der University of Illinois und zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Katastrophenvermeidung und -bewältigung in Bezug auf Naturereignisse. 230 Auch Jane Brooks gehörte dem Citywide Planning Team an. Auch sie ist Mitglied der American Planning Association (APA) und Professorin an der University of New Orleans (UNO). Vor dem Hintergrund dieser Arbeit fand ein Interview am 29.09.2008 statt. 231 Andres Duany war einer von vielen Planern, die zu dieser Zeit in New Orleans aktiv waren. Nach Becker (23.02.2012) wurde lokal kritisiert, dass seine Arbeit zu stark charette-orientiert ist undauf- grund seiner starken Persönlichkeit gestalteten sich öffentliche Diskussionen oftmals schwierig. Zu- dem symbolisierte Duany lokal eine externe Planerschaft, die unmittelbar nach Fertigstellung des Planwerks die Stadt wieder verlassen haben, ohne die Planung lokal umzusetzen. Das stieß bei der lokalen Bewohnerschaft ebenfalls auf Kritik. „But that is the way consultants do it you know. They come in and they get out. They make their money and then get out.“ (Becker 23.02.2012) Einige

462 hatten die Aufgabe, die 49 Nachbarschaftspläne des NONRP und deren Integration in die District Plans von UNOP zu prüfen (City of New Orleans 2007: 16). Nach Becker schien absurderweise alles wie ein „Rennen“: ‚Wer ist dein Planer? Wer deiner?’ (Becker 23.02.2012). Dieser Bearbeitungsprozess der Nachbarschaftsplä- ne konnte erst mit der Zusicherung überlokaler finanzieller Ressourcen, die zum Beispiel die Rockefeller Foundation bereitstellte, beginnen. (Becker 23.02.2012) Insgesamt stellte sich durch diese überlokalen Akteure, die am UNOP-Prozess beteiligt waren (die Rockefeller Foundation und die Architektur- und Planungsbü- ros), laut Bingler (28.02.2012) eine gewisse „Ausgewogenheit“ ein. Denn weder der BNOB-Prozess war „ausgewogen“, noch war es der Prozess des NONRP. Am BNOB-Prozess wirkten nach Bingler (2012) „zu viele“ überlokale Akteure mit und der NONRP-Prozess verursachte ebenfalls ungewollt eine Art „Unausgeglichen- heit“. So wurde im Prozess des NONRP versucht, in erster Linie die Interessen der afroamerikanischen Einwohnerschaft zu vertreten, die gleichzeitig in den am nied- rigsten gelegenen Gebiete der Stadt ansässig waren. (Bingler 28.02.2012)

Laut UNOP sollen viele Akteure in die Umsetzungsphase involviert werden. Nach Becker (23.02.2012) gab es diese Kooperationen bereits aufgrund der Planwerkser- arbeitung, an der einige Schlüsselakteure beteiligt waren. Darunter gab es auch einige „eigenartige Beziehungen“, die sich entwickelt hatten, weil der Bund finan- zielle Ressourcen bereitstellte und gleichzeitig eine lokalstaatliche Skepsis gegen- über Bund und Staat vorhanden war. Bekanntlich wird eine finanzielle Katastro- phenhilfe vom Bund über den Bundesstaat an die Stadt geleitet. Offenkundig waren aber auch die politischen Beziehungen der Stadt New Orleans und des Bundesstaa- tes Louisiana angespannt. (Becker 23.02.2012) (vgl. Teil C) Bevor der Bundesstaat nach Katrina die finanziellen Mittel des Bundes auf die verschiedenen Förderpro-

Planer waren sechs Monate in New Orleans vor Ort. Duany arbeitete auch in anderen Landkreisen und Bundesstaaten der Golfküste: „He seems like everywhere. (...) But he generally is not in for a long run. So after you get all excited and see all this pretty pictures, everybody gets excited, he is gone and leaves the neighbors, the citizens, the local planners with the hard work of trying make his plans a reality. He tends to make big pictures, it is nothing for him to move things around: We take that school, we put it overhere. We take this gas station, move it over here. It doesen't work that way. It can be frustrating. In the end you have an wounderful plan but there is no possible way to can be achieved, no possible way.“ (Becker 23.02.2012) Grundsätzlich hätte die Planerschaft nach Becker aber gute Arbeit geleistet.

463 gramme verteilte, wurde auf bundesstaatlicher Ebene ein Portfolio für Infrastruk- turförderungen entwickelt (Long Term Recovery-Program) um so genanntes com- munity recovery auf lokaler Ebene voranzutreiben. Das bundesstaatliche Pro- gramm ermöglichte unter anderem einen lokalen Bürgerbeteiligungsprozess, den es zuvor nicht gab. Grundsätzlich war im Programm auch verankert, dass jeder Land- kreis dem Bundesstaat ein umfassendes Planwerk zum Wiederaufbau vorlegt, in dem die lokale Ebene aufzeigt, wie überlokale Fördermittel lokal genutzt werden würden. Erst wenn der Plan vorlag, gab der Bundesstaat die Fördermittel für den jeweiligen Landkreis auf lokaler Ebene frei und Akteure auf lokaler Ebene konnten mit der Umsetzung der Planwerksinhalte beginnen. Ohne diesen Plan teilte der Bundesstaat die vorgesehenen Fördermittel nicht zu. (Keegan 15.02.2017)

Nach Katrina wurde insofern eine Kooperation zwischen allen politisch- administrativen Ebenen angestrebt und so im Falle von New Orleans auch ein poli- tisch sachlicher Weg gefunden, mit dem kollektiven politischen Misstrauen des Bundes gegenüber dem Bundesstaat und der Stadt New Orleans umzugehen, das vor Katrina herrschte, in Bezug auf die Verwaltung und Verwendung öffentlicher Mittel. Nach Katrina arbeiteten bundesstaatliche Akteure, insbesondere die LRA u.a. daran, Vereinbarungen mit anderen parishes im Bundesstaat (unter anderem westlich von New Orleans) zu erzielen, die nicht nur durch die Folgen von Hurri- kan Katrina, sondern auch von Hurrikan Rita Zerstörungen aufwiesen. Damit ver- suchte der Bundesstaat eine Art Ausgeglichenheit herzustellen (Becker 23.02.2012) und kollektives Vertrauen zu schaffen: „So they tried to balance everybody's needs and allocate resources as best they can. And of course we in the city... we really don't care what Baton Rouge has and how much damage. You try to get what you need to recover. So that leads to I think some strange relationships.“ (Becker 23.02.2012) Der Bundesstaat hatte innerhalb der Institution der LRA einen Pla- nungschef (director of planning) berufen, Jeff Hebert. Hebert hatte insofern am UNOP Prozess in New Orleans mitgewirkt, als dass er den gesamten Prozess be- aufsichtigte, technische Unterstützung bereitstellte, auf den Zeitplan achtete und unter anderem auch Richtlinien für die Planungsprozesse schrieb. (Keegan 15.02.2017) Die City Planning Commission, die städtische Behörde, die für die Siedlungs- und Flächenentwicklung originär verantwortlich ist, war allerdings nur formal ein Schlüsselakteur und im Prozess der Planwerkserarbeitung selbst passiv.

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Bedeutender Akteur in Bezug auf einen zu diesem Zeitpunkt noch nie dagewese- nen Beteiligungsprozesses war die Nonprofit-Organisation America Speaks. Sie wurde beauftragt, zwei von drei Bürgerbeteiligungsprozessen, die sogenannten Community Congresses II und III, zu organisieren und auszugestalten (City of New Orleans 2007). Die Nonprofit-Organisation wird in dieser Arbeit als bedeutender Akteur bezeichnet, da sie für ihre Arbeit eine Rechnung über den Betrag von drei Millionen US-Dollar ausstellte; Ressourcen, die der Stadt zu diesem Zeitpunkt für einen Planungsprozess nicht zur Verfügung standen.

3.2 Der Planungsprozess und sein Reformpotential

Der Planungsprozess zur Entwicklung von UNOP wurde parallel zum New Orleans Neighborhoods Rebuilding Plan (NONRP) angestoßen. Am 7. April 2006 beauf- tragte der Stadtrat von New Orleans die Planungs- und Architekturbüros von Paul Lambert und Sheila Danzey mit der Koordination der Entwicklung des New Or- leans Neighborhood Rebuilding Plan (NOLAplans o.J.; Nee, Horne) und noch im gleichen Monat (im April 2006) gaben die Gouverneurin von Louisiana, Kathleen Blanco, und die Louisiana Recovery Authority (LRA) hinsichtlich der Nachbar- schaftspläne zu bedenken, dass das Ergebnis dieses Prozesses nicht wie gefordert stadtweit umfassend sein werde und somit eine Förderung nicht in Frage käme (Nee, Horne). Die LRA gab somit der lokalen Ebene in New Orleans eine Richtung vor und nach Shea (2012) wurde die LRA auf eine Art das Sprachrohr des Bundes (Shea 02.03.2012). Lambert Advisory widersprach öffentlich dem UNOP-Plan und der Wettstreit zwischen den Plänen vollzog sich. Der NONRP wurde dem Stadtrat im September 2006 von Lambert präsentiert und der Stadtrat genehmigte den NONRP im Oktober 2006. Zu diesem Zeitpunkt wurde UNOP bereits erarbeitet. (Collins 2011: 164) Später flossen die Inhalte des NONRP in UNOP ein. (Collins 2011: 165)

Der UNOP-Prozess wurde letztlich durch die bundesstaatliche LRA forciert und von der Greater New Orleans Foundation (GNOF) gesteuert: Dazu kam es, weil vor dem UNOP-Prozess nach einer Finanzierung eines Beteiligungsverfahrens gesucht wurde, das die FEMA im Rahmen von ESF 14 nicht finanzierte. So bot die

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GNOF in diesem Zusammenhang der Stadt an, finanzielle Mittel für diese „plan- ning exercise“, wie es Yolanda Rodriguez, damalige Leiterin der städtischen Pla- nungsbehörde bezeichnete, bereitzustellen: „We are not going to just give the mo- ney over to the city. We will pay for the process but we need to – for the funds – to stay were they are.“, so Rodriguez, die die GNOF zitierte und die Positionen beider Seiten wie folgt wiedergab: „That means that it used to be a public outreach portion of it; that needs to be a RFP [Request for Proposals, Anm. d. Verf.], that needs to be pulled out. We need to make the selection of the consultant open bid process which is a lot different, how things were done on the private side. But they were willing to do that. They [GNOF, Anm. d. Verf.] were like: ‚Ok, whatever process it is that you normally do, we will help to do it; we just want you to go ahead and follow your normal process. The only difference is that we will fund it.’ It was a little bit different and a little unorthodox to have that situation. (...) But again the way we went about doing was a little unorthodox where you did have a nonprofit coming in and fund a mayor planning initiative like a rebuilding plan.“ (Rodriguez 23.02.2012)

Der offizielle Start des UNOP-Planungsprozesses wird mit dem 5. Juni 2006 ver- bunden, als zwischen dem Bürgermeister, dem Stadtrat, der LRA und lokalen Ver- tretern die Vereinbarung getroffen wurde, den Planungsprozess zum Wiederaufbau nun unter der Leitung der New Orleans Community Support Foundation (NOSF) voranzutreiben. Die NOSF wurde als eigene Stiftung unter der GNOF gegründet. Offiziell hatte ausschließlich die NOSF die Aufgabe, die finanziellen Mittel zum Wiederaufbau treuhänderisch zu verwalten (Nee, Horne). Nach Steven Bingler wurden folgende Absprachen getroffen:

Laut den Vertretern der involvierten politischen Ebenen wird das Planwerk, nach- dem es erfolgreich entwickelt wurde, auch genehmigt werden: Wenn die GNOF in der Lage ist, den Plan zu entwickeln, so werde dieser auch genehmigt. Diese Plan- entwicklung sollte unter den Bedingungen eines breit angelegten Planungsprozes- ses und in relativ kurzer Zeit erfolgen, so Steven Bingler, der unmittelbar in den Prozess durch die GNOF involviert wurde. Nach Bingler forderte der lokale Planer und Architekt Ray Manning, der stark in den BNOB-Prozess einbezogen war, dass nun 65 Prozent Afroamerikaner am UNOP-Prozess beteiligt sein sollten. Das ist

466 der Prozentsatz der afroamerikanischen Einwohnerschaft von New Orleans vor Hurrikan Katrina. Laut Bingler war das ein hoher Anspruch, denn vor allem lebten viele afroamerikanische Bürger zu diesem Zeitpunkt in vielen Städten über die USA verstreut. Aber eine Lösung sollte dafür gefunden werden, denn es herrschte zu diesem Zeitpunkt viel gegenseitiges Misstrauen. „Gerecht“ zu sein, war die ein- zige Möglichkeit, diesem Misstrauen zu begegnen. So wurde das Thema „Gerech- tigkeit“ zum Hauptanliegen in diesem Planungsprozess. Das passiere in einem Pla- nungsprozess nicht oft. Manchmal werde Verkehr, ökonomische Entwicklung oder Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt eines Planungsprozesses gestellt, aber „(i)n this case equity became the Number One issue for recovery planning in New Orleans“, so Bingler. Gerechtigkeit stand nach Binglers Vermutung zu diesem Zeitpunkt im Fokus, da seit Hurrikan Katrina bereits relativ viel Zeit vergangen war und viele Menschen in New Orleans in einer misslicheren Lage waren als noch einige Zeit zuvor. Aus dieser Situation ergaben sich zwei Herausforderungen an den Pla- nungsprozess, die miteinander konkurrierten und die Bürgermeister Nagin zu Be- ginn des Planungsprozesses als Bedingungen für eine Genehmigung des Planwerks formulierte: Die Organisation eines breit angelegten Nachbarschaftsprozesses mit einer Vielzahl von Menschen und den Abschluss des Prozesses in nur fünf Mona- ten, eine relativ kurze Zeit für diese Art Planungsprozess. Nach Bingler waren das relativ „strenge“ Kriterien für einen Planungsprozess. Nach Bingler spielten auch Akteure des privaten Sektors im Planungsprozess eine „gewisse Rolle“, was er als Herausforderung im Planungsprozess bezeichnete. (Bingler 28.02.2012)

Insgesamt war es das Ziel des UNOP-Prozesses, bei allen Schlüsselakteuren Kon- sens zu schaffen und vorangegangene Planungen in den Prozess zu integrieren. Auch die Nachbarschaftspläne des NONRP, die zu diesem Zeitpunkt noch erarbei- tet wurden, sollten in den UNOP-Prozess einfließen (Olshansky et al. 2008: 276). Allerdings ließ sich das Lambert-Team von den Geschehnissen nicht irritieren und blieb bei seiner Ansicht, dass die LRA einen Plan fördern könne, der sich auf einen Teil der Stadt beziehe. Wenn die LRA das aber täte, würde das die Stadt spalten in die 43 Nachbarschaften des NONRP und die anderen 30 Nachbarschaften, für die kein Plan entwickelt wurde. Das würde die Debatte um Rassenidentität und Ras- senzugehörigkeit allerdings noch mehr anheizen in einer städtischen Situation, in der aufgrund einer urbanen Katastrophe dieses Grundproblem der Stadt offengelegt

467 wurde. Denn tausende Menschen sind im Superdome gestrandet, weil 29 Prozent der Einwohnerschaft von New Orleans aufgrund von Armut nicht mobil waren, um der Katastrophensituation zu entkommen. Die Mehrheit davon waren Afroameri- kaner. (Bingler 28.02.2012) Die Spaltung der Einwohnerschaft entlang der Rassen- linien wird in Bezug auf den BNOB und den NONRP besonders deutlich.

Unabhängig vom andauernden und kontroversen Prozess um das Planwerk NONRP, der soeben geschildert wurde, veröffentlichte die Greater New Orleans Foundation (GNOF) ebenfalls am 5. Juni 2006 ein sogenanntes Request for Quali- fications (RFQ).232 Einerseits wurden in Folge dessen Planungsteams ernannt, die Nachbarschaftspläne im gesamten Stadtgebiet entwickeln und anderseits wurde ein Team ausgewählt, das einen stadtübergreifenden Plan erarbeitete und den gesamten Prozess von Planungstreffen steuerte. Adressaten dieser Ausschreibung waren Pla- nungsbüros, die in den USA als diese anerkannt waren. Fünf Wochen später, am 21. Juli 2006, qualifizierte ein Expertenteam 15 von 23 Planungsteams als soge- nannte Nachbarschafts- oder Distriktplaner. In diesem Expertenteam waren das Büro Concordia und die Rockefeller Foundation vertreten. Das Team wurde von der American Planning Association (APA) beraten. (Nee, Horne) und die New Orleans Community Support Foundation hat die Planungsteams, die von diesem Team empfohlen wurden, offiziell bestätigt (NOLAplans o.J.). Einige Planungsbü- ros waren lokal in New Orleans ansässig und einige Büros kamen von auswärts. Als stadtweites Team wurden zwei Büros aus New Orleans ernannt; Villavaso and Associates und Henry Consulting. (Nee, Horne) Diesem Prozess ging im Mai 2006 ein Einwand von Janet Howard, Mitarbeiterin im lokal ansässigen Bureau for Government Research (BGR), voraus: Die Wahl der Planungsteams müsse öffent- lich über ein Request for Qualifications in einem derartigen Planungsprozess aus- geschrieben werden. Beispielsweise dürfe einem Engagement des Architekten und Planers Raymond Manning, der im BNOB-Prozess sehr aktiv war, oder von Paul Lambert, der im NONRP-Prozess aktiv ist, verfahrenstechnisch und stadtpolitisch nicht einfach stattgegeben werden. Anfang Juni 2006 wurde dann die nationale Ausschreibung veröffentlicht. (Bingler 28.02.2012)

232 Weder Lambert noch Manning reichten eine Bewerbung ein. Laut Bingler rechneten die Büros damit, automatisch an dem Planungsprozess teilzunehmen. (Bingler 28.02.2012)

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Bei der Beauftragung der Planungsbüros war die städtische Planungsbehörde beteiligt und spielte somit im UNOP-Prozess das erste Mal seit Hurrikan Katrina überhaupt eine Rolle im Prozess um den Wiederaufbau. Die Behörde war in die Planungsprozesse um die Planwerke BNOB und NONRP nicht involviert; sie wurde auf eine Art politisch außen vor gelassen. Da sie allerdings die Planungsbehörde der Stadt ist, wurde sie im Gegensatz zu den anderen Planungsprozessen aktiv von Steven Bingler und seinem Team in den UNOP- Prozess involviert. Nach Bingler war die Mitarbeiterschaft der Planungsbehörde sogar erfreut, dass sie nun eingebunden wurden und Interesse an ihrer Arbeit gezeigt wurde; beispielsweise warum und wie die Planungsdistrikte überarbeitet und neu geordnet wurden.233 Die City Planning Commission hatte zuvor die Planungsdistrikte von 13 auf zehn reduziert. Einige Distrikte wurden zusammengelegt, weil in einigen Distrikten die Einwohnerzahl in Bezug zur Fläche zu gering war. Durch die Zusammenlegung konnte eine gewisse „Einheitlichkeit“ (Einwohnerzahl in Bezug zur Stadtfläche) geschaffen werden. (Bingler 28.02.2012)Im Rahmen der Zusammenarbeit der Akteure, die unmittelbar in den UNOP-Prozess involviert waren, und der Planungsbehörde wurde ein gesondertes Gremium gebildet, in dem Repräsentanten eines jeden Stadtteils vertreten waren. Dieses sogenannten Review Committee agierte letzlich parallel zum City Council und war kein gewähltes politisches Gremium. Es galt als ein freiwilliger Ausschuss. Die Repräsentanten wurden ausschließlich von der lokalen Stiftung GNOF ernannt. Einige Personen wurden von diesem Gremium ausgeschlossen, weil ihnen von der Rockefeller Foundation fehlende Unabhängigkeit angelastet wurde.234 Das Gremium hielt ihre Treffen im Sitzungssaal des Stadtrates ab. (Bingler 28.02.2012)

233 Nach Carey Shea hingegen, damalige Mitarbeiterin der Rockefeller Foundation, habe der damalige Leiter der City Planning Commission, Timothy H. Jackson, im Rahmen der Planung von UNOP „nicht ein Wort gesagt“, was nach Shea einen gewissen Interpretationsspielraum zugelassen habe. (Shea 02.03.2012) 234 Die Rockefeller Foundation, die zu diesem Zeitpunkt bereits in den UNOP-Prozess involviert war, kündigte an, die Zusammenarbeit zu kündigen, wenn ein Akteur des Stadtteils New Orleans East, der von einem Stadtratsmitglied vorgeschlagen wurde, in diese Kommission (Advisory Board) aufge- nommen werden würde. Die GNOF folgte dem und teilte mit, dass die Person zu „politisch“ und „nicht unabhängig“ wäre. Die Rockefeller Foundation lehnte auch die Mitarbeit von Joseph Canizaro ab, denn aufgund seiner Mitwirkung im BNOB-Prozess habe er an Vertrauen verloren. Vertrauen war ein wichtiges Kriterium, um in dieser Kommission mitzuarbeiten, so Bingler. (Bingler 28.02.2012)

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Am 30. Juli 2006 fand – noch immer parallel zum Prozess des NONRP – ein erstes stadtweites Bürgerforum statt. Diese öffentliche Veranstaltung diente informatori- schen Zwecken und Kriterien für die Arbeit mit den Planungsteams wurden festge- legt. (NOLAplans o.J.) Die Veranstaltung wurde vom Stadtrat finanziert (Nee, Horne). Zu diesem Zeitpunkt standen keine anderen Finanzierungsquellen zur Ver- fügung. Der Bürgermeister, der Stadtrat und die GNOF unterzeichneten am 28. August 2006 ein Memorandum of Understanding (NOLAplans o.J.), das dem UNOP-Prozess seinen offiziellen Status verlieh. Erst zu diesem Zeitpunkt hatten die Unterzeichner den Verträgen in allen Punkten zugestimmt. Laut Olshansky verkomplizierte dieser verspätete Akt den Planungsprozess von UNOP insgesamt: Da der Prozess bereits informell begann, wurden viele Herausforderungen in Be- zug auf Organisation des Arbeitsbeginns der Beraterteams sichtbar, die durch eine derartige Vereinbarung im Vorhinein möglicherweise gar nicht aufgekommen wä- ren. Zudem hatte diese späte Vereinbarung Auswirkungen auf die Funktion der Community Support Organization (CSO), die so ausschließlich reagieren und bera- ten konnte, entgegen ihrer offiziellen Rolle, den Prozess aktiv zu steuern. (Ols- hansky et al. 2008: 276)

Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Planwerksverfahren von BNOB und NONRP kann der UNOP-Prozess als Fortsetzung des BNOB-Prozesses verstanden werden: Am 8. März 2006 fand die letzte öffentliche Veranstaltung der BNOBC statt. Bereits am 10. März 2006 bot die bundesstaatliche LRA dem Mayor’s Office an, das Büro bei der Suche nach einer Finanzierung von über 7,5 Millionen US- Dollar zu unterstützen, damit ein Nachbarschaftsprozess im Rahmen des BNOB- Prozesses finanziert werden könne. Denn sowohl die FEMA (Nee, Horne) als auch die LRA selbst lehnten es ab, einen derartigen öffentlichen Beteiligungsprozess finanziell zu unterstützen (Olshansky et al. 2008: 276). Etwa eine Woche später, am 20. März 2006, wurde das BNOB-Planwerk von der BNOBC und dem Bür- germeister offiziell veröffentlicht, obwohl aufgrund von Finanzierungsschwierig- keiten die Weiterführung des Planungsprozesses bereits ungewiss war und letzend- lich abgebrochen wurde. Am 5. Juni 2006 – parallel zum NONRP-Planungsprozess – hatte bereits der Prozess zur Entwicklung des Planwerks UNOP begonnen auf der Grundlage der Vereinbarung zwischen Stadt, Bundesstaat und der lokalen Stiftung GNOF, den Planungsprozess zum Wiederaufbau nun unter der Leitung der New

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Orleans Community Support Foundation (NOSF) voranzutreiben. Nach Bingler (28.02.2012) versuchte sein Planungsteam, das „Beste“ aus dem Planwerk BNOB zu eruieren und zu verwenden sowie positive Aspekte des Prozesses um den NONRP in eine Idee zu integrieren, die „zukunftsweisend“ sei. (Bingler 28.02.2012)

Kurz vor der Veröffentlichung des Planwerks UNOP ließen die fachpolitischen Organisationen und Verbände American Planning Association (APA) und das American Institute of Certified Planners (AICP) sowie lokale Planer, die ein poli- tisch-administratives Amt in New Orleans innehatten und/oder mit diesen Organi- sationen eng verbunden waren, die Inhalte des Unified New Orleans Plan intern Revue passieren. Anwesend waren in erster Linie UNOP-Koordinator Steven Bing- ler, Steven Villavaso, der Leiter der städtischen Planungsbehörde Timothy H. Jackson und der Leiter der City Park Improvement Association Robert Becker, der von 1982 bis 1988 auch die städtische Planungsbehörde von New Orleans geleitet hatte. (American Planning Association 31.01.2007)

Der Unified New Orleans Plan wurde am 30. Januar 2007 offiziell veröffentlicht. Dieser stadtweite Wiederaufbauplan, dessen Entwicklung etwa sechs Monate an- gedauert und einige (Entscheidungs-)Prozesse seit Hurrikan Katrina und Rita hinter sich gelassen hatte, wurde der städtischen Planungsbehörde im Januar 2007 über- geben. Die Planungsbehörde hatte damit die Aufgabe, das Planwerk zu prüfen und dem Stadtrat ein offizielles Planwerk zur Genehmigung vorzulegen. Das geneh- migte Planwerk sollte dem lokalen Amt für Wiederaufbau, dem Office for Recovery Management (ORM), als Schlüsselinstrument zur Verfügung stehen, damit das Amt konkrete Schritte in Bezug auf die Umsetzung des Planwerks einlei- ten könne. (American Planning Association 31.01.2007). Ende Juni 2007 nahm die LRA das Planwerk UNOP an. Mit diesem stadtentwicklungspolitischen Instrument eines Planwerks zur Katastrophenbewältigung wurden 117 Millionen US-Dollar freigegeben, sodass Stadtverwaltung und Administration lokal an einigen der 95 Investitions- und Infrastrukturprojekten arbeiten konnten, die der Plan vorgeschla- gen hatte. (Burns, Thomas 2015: Pos. 834)

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Robert Becker forderte als „planerischer Großkopf“ von New Orleans die Planer- schaft, stadtentwicklungspolitische Entscheidungsträger und fachpolitische Organi- sationen wie die APA dazu auf, den Umsetzungsprozess von UNOP aktiv durch Lobby-, Informations- und Reflexionsarbeit zu unterstützen: Die Planer sollten mit ihren Repräsentanten des US-Kongresses über eine Erhöhung der Bundesmittel zum Wiederaufbau sprechen. Sie sollten den Gesetzgebern die Bedeutung von pro- fessioneller Planung beim Wiederaufbau der Golfküste vermitteln. Letztlich sollte der Umsetzungsprozess in New Orleans systematisch durch Planer beobachtet und beaufsichtigt werden. (American Planning Association 31.01.2007)

3.3 Finanzierung des Planwerksprozesses

Der Prozess zur Entwicklung des Planwerks UNOP wurde in erster Linie durch Stiftungsgelder finanziert. Am 20. April 2006, etwa eineinhalb Monate vor dem eigentlichen Beginn des UNOP-Prozesses am 5. Juni 2006, gab die Rockefeller Foundation bekannt, dass sie 3,5 Millionen US-Dollar stiftet. Die Greater New Orleans Foundation (GNOF), die den Prozess steuerte, stellte eine Million US- Dollar bereit. Später erklärte sich der Bush-Clinton-Katrina Fund bereit, eine Mil- lion Dollar zu spenden. Insgesamt standen damit 5,5 Millionen US-Dollar für den Planwerksprozess zur Verfügung (Olshansky et al. 2008: 276; City of New Orleans 2007; NOLAplans 15.01.2007; New Orleans City Business 20.11.2006). Mit der Zuwendung des Bush-Clinton-Katrina Funds standen beispielsweise zusätzliche Personalmittel für Planer bereit. Damit wurde auf den hohen unvorhergesehenen planerischen Arbeitsaufwand bei der Entwicklung des Planwerks reagiert, so dass das Planwerk in der dafür vorgesehenen Zeit erarbeitet werden konnte. Andere finanzielle Posten standen in Konkurrenz zueinander: Da sich das Honorar der Nonprofit-Organisation America Speaks235 (drei Millionen US-Dollar) auf über die Hälfte der Gesamtkosten des Planungsprozesses belief, überstieg es damit im Ver- hältnis die Kosten, die für die Arbeit der sogenannten City Council Consultants zur

235 Die Nonprofit-Organisation America Speaks ist auf die Ausrichtung großer Partizipationsprozesse in öffentlichen Entscheidungsprozessen spezialisiert. America Speaks organisierte auch den Beteili- gungsprozess zur zukünftigen Entwicklung von Ground Zero in New York City nach dem 11. Sep- tember 2001 und gestaltete in New Orleans zwei öffentliche Beteiligungsforen des Planungsprozes- ses, die Community Processes II und III.

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Verfügung standen (2,9 Millionen US-Dollar), die aber über mehrere Monate die Nachbarschaftspläne von UNOP entwickelten und erarbeiteten (Warner 12.10.2006). Die Case Foundation, die Carnegie Foundation, die W.K. Kellogg Foundation, die Ford Foundation, die Louisiana Disaster Recovery Foundation, die Louisiana Recovery Authority (LRA), die Mary Reynolds Babcock Foundation, der Rockefeller Brothers Fund, nochmals die Rockefeller Foundation und die Surdna Foundation stellten zusätzlich finanzielle Mittel für die öffentlichen Betei- ligungsverfahren bereit (Rockefeller Foundation 11.01.2007). Die LRA trug dabei laut Burns (2015) drei Millionen US-Dollar bei und die Rockefeller Foundation nochmals eine Million US-Dollar, damit UNOP entwickelt werden konnte. (Burns, Thomas 2015: Pos. 834)

3.4 Die Rolle der Rockefeller Foundation und weiterer Stiftungen im Planungsprozess von UNOP

Die Rockefeller Foundation war in erheblichem Maße in den Planungsprozess von UNOP involviert und die Stiftung wirkte an richtungweisenden Entscheidungen im Rahmen des Prozesses mit: Nach Carey Shea, einer damaligen Mitarbeiterin der Rockefeller Foundation, die in den UNOP Prozess involviert war, war das „allge- meine Gefühl“ aufgekommen, dass die städtische Planungsbehörde von New Or- leans nach Hurrikan Kartina nicht überaus aktiv war und nicht die Kontrolle über den Wiederaufbau übernahm. Eine Personalknappheit in der Behörde aufgrund der Evakuierungen durch Katrina war ein Grund dafür. Somit wurde letztendlich einer anderen Institution diese Rolle stadtpolitisch zugesprochen. In Folge dessen war nach Katrina auf lokaler Ebene über längere Zeit eine Art Konfusion zu spüren über die Frage, wer die Kontrolle über den Planungsprozess zum Wiederaufbau hatte. Nach Shea hätte es diese Konfusion und den Aushandlungsprozess darum nicht geben müssen, da die städtische Planungsbehörde laut Stadtsatzung im Falle einer Katastrophe diese Aufgabe innehat236: „When a disaster happens (...) that

236 Nach Shea mache die City Planning Commission unter „normalen Umständen” gute Arbeit. Aller- dings haben Shea zwei Meldungen in der Tageszeitung ein Jahr nach Katrina irritiert: Die City Plan- ning Commission investierte ihre Arbeitskapazitäten in die Genehmigung eines Swimming Pools und

473 negotiation process and that confusion doesn't have to be so and everybody have to waste a lot of time and money. I think that's a real lesson – just a really practical lesson that can be learned of this.“ (Shea 02.03.2012) Des weiteren führt Shea die Person des Bürgermeisters nach Hurrikan Katrina an, der nicht „hinter“ der städti- schen Planungsbehörde stand. Bürgermeister Nagin kannte sich nach Shea mit „Planung“ (und Stadtentwicklung, Amn. d. Verf.) nicht aus aufgrund seiner Karrie- re im privaten Unternehmenssektor. So war ihm womöglich ein land use plan oder recovery plan unbekannt. Letztendlich entmachtete er seine eigene Planungsbehör- de. Zudem gab es lautstarke Mitspieler, die sich „einmischten”. Auch der Bund hatte kein Vertrauen zur Stadtregierung und von daher auch nicht in den Planungs- prozess. Zudem gab es eine Spannung zwischen Bürgermeister Nagin und der Gouverneurin von Louisiana, Kathleen Blanco. Der Bürgermeister wollte das BNOB-Planwerk zwar lokal entwickeln lassen, aber als sich der Prozess „verselb- ständigte”, nahm er seine Unterstützung zurück. (Shea 02.03.2012)

Letztendlich wurde die Rockefeller Foundation um Unterstützung gebeten: Die Stiftung hatte ihre Hilfe nicht aus eigenen Stücken angeboten und verkündet, dass sie in der Verantwortung sei. Die Rockefeller Foundation war vor Hurrikan Katrina und Rita 2005 nie zuvor als Stiftung in New Orleans aktiv gewesen. Die Program- me der Stiftung unterstützen zwar vielerorts die Nachbarschafts- und Quartiersent- wicklung. Die Stiftung konnte aber diese Förderwege im Falle von New Orleans nicht anwenden aufgrund der Art und des Ausmaßes der Katastrophe nach Hurri- kan Katrina. Somit wählte die Stiftung für den Fall New Orleans einen „speziellen Weg“ und die Fördergelder wurden regelrecht „geschnitzt“, so Shea. (Shea 02.03.2012) Die zwei Führungspersonen der Stiftung waren persönlich dafür ver- antwortlich, dass die Rockefeller Foundation in New Orleans nach Katrina aktiv wurde: Darren Walker237, Vizepräsident der Rockefeller Foundation und langjähri- ger Verfechter von Nachbarschaftsentwicklung, und Judith Rodin, Päsidentin der eines Condodevelopment am Fluss; nach Shea Luxusprojekte, die ein Jahr nach Sturm vorangetrieben wurden. (Shea 02.03.2012) 237 Walker setzte sich im Verlauf seiner Berufszeit stets für eine nachhaltige Nachbarschaftsentwick- lung ein. Beispielsweise arbeitete er bei der Abyssinian Development Corporation, einer gemeinnüt- zigen Organisation für eine umfassende Nachbarschaftsentwicklung und für lokale wirtschaftliche Entwicklung in Harlem (New York City). Sie realisierte den Bau von bezahlbarem Wohnraum und Infrastrukturerneuerungen. 2002 begann Walker bei der Rockefeller Foundation zu arbeiten und war später für die Überwachung der Stiftungsgelder verantwortlich. (Evitts 10.05.2007)

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Stiftung, die sich ebenfalls in das Handlungsfeld der Nachbarschaftsentwicklung einbrachte.238 Nach Shea hänge es von Personen ab, ob die Stiftung bereit ist, fi- nanzielle Mittel bereit zu stellen oder nicht. So schien der Vorstand der Rockefeller Foundation den „Instinkten der beiden [Walker und Rodin, Anm. d. Verf.] zu fol- gen“ (Shea 02.03.2012). Die Rockefeller Foundation trat in Person von Darren Walker als Geldgeber auf und Walker und Rodin haben in diesem Zusammenhang auch unmittelbar entschieden, eine Vollzeitstelle vor Ort einzurichten. Diese Stelle besetzte dann Carey Shea als leitende Mitarbeiterin der Rockefeller Foundation. (Shea 02.03.2012)

Darren Walker trug bereits zu Beginn des Planungsprozesses dazu bei, dass sich der offizielle Wiederaufbauprozess von einem eher elitären Planungsprozess (vgl. BNOB-Prozess) zu einem partizipativen und inklusiven Prozess veränderte: Walker wurde von der Louisiana Recovery Authority (LRA)239 und der Greater New Orleans Foundation (GNOF) zu einem Treffen nach New Orleans geladen, dem er unter einer Bedingung zustimmte: Diese Zusammenkunft sollte mit so vie- len Nachbarschaftsvertretern wie möglich stattfinden (Evitts 10.05.2007; Brooks 29.09.2008). „Without an appreciation of the wisdom of local knowledge, the best thinkers in urban planning will fail in the redevelopment.” (Walker zit. in Evitts 10.05.2007) Die Rockefeller Foundation forderte zudem, dass alle Teile der Ge- sellschaft einen Beitrag leisten und dass die „besten“ Planer eine Strategie entwer- fen. Das Planwerk solle darüber hinaus schnell vervollständigt werden, indem die früheren Pläne einbezogen und eine einheitliche Strategie entwickelt werden kann. Somit können auch überlokale finanzielle Mittel bereitgestellt werden (Burns, Thomas 2015: Pos. 834). Die Rockefeller Foundation arbeitete mit dem Bürger- meister, dem Stadtrat und der städtischen Planungsbehörde mindestens einen Mo- nat die Rollen dieser Akteure im Wiederaufbauprozess aus, um sicherzustellen,

238 Rodin initiierte einen Prozess einer nachhaltigen Nachbarschaftsentwicklung in der Umgebung der University of Pennsylvania. (Shea 02.03.2012) 239 Andrew „Andy“ Kopplin, der zu dieser Zeit geschäftsführender Direktor der Louisiana Recovery Authority (LRA) war, war in die Gespräche mit der Rockefeller Foundation involviert und organisier- te so die Ressourcen für den UNOP Prozess. Kopplin arbeitete aber auch mit dem Bürgermeister zusammen und sorgte letztendlich dafür, dass dieser umfassende Wiederaufbauplan entwickelt wurde. (Keegan 15.02.2017)

475 dass UNOP als offizieller Wiederaufbauplan der Stadt anerkannt würde. (Burns, Thomas 2015: Pos. 856)

Dem ging das Debakel um die Finanzierung eines viermonatigen Prozesses zur Nachbarschaftsplanung im Rahmen des ersten Planwerks (BNOB) Ende Januar 2006 voraus. Die lokale Ebene nahm an, dass FEMA diesen Prozess finanzieren würde; FEMA dementierte, diese Zusicherung gegeben zu haben. Die 7,5 Millio- nen US-Dollar, die für einen derartigen Beteiligungsprozess benötigt wurden, wur- den daraufhin bei der LRA angefragt (Olshansky et al. 2008: 275–276). Quellen widersprechen sich, von wem diese Anfrage an die LRA ausging: Entweder vom Büro des Bürgermeisters (Olshansky et al. 2008: 276) oder von Joseph C. Caniza- ro, lokaler Immobilienunternehmer240 (Nee, Horne o.J.a). Nach Ben Johnson, dem Geschäftsführer der Greater New Orleans Foundation (GNOF), wandten sich Sean Reilly und Walter Isaacson, beide Beiratsmitglieder der LRA, an die Rockefeller- Stiftung, um diese finanzielle Unterstützung anzufragen241 (Nee, Horne o.J.a). Die- se Kontaktaufnahme zur Rockefeller Foundation kann als Startpunkt des UNOP- Prozesses interpretiert werden und somit auch als ein Entscheidungspunkt im Pro- zess um die Entwicklung der Planwerke. Zu diesem Zeitpunkt wurden bereits in allen betroffenen Kommunen im Bundesstaat Planwerke zum Wiederaufbau entwi- ckelt. Die LRA hatte somit auch auf ein Planwerk zum Wiederaufbau von New Orleans „gewartet“, so Bingler. (vgl. Bingler 28.02.2012) Die Rockefeller Founda- tion stimmte einer Förderung des Planwerksprozesses von New Orleans unter den Bedingungen zu, dass die Fördergelder von einer lokalen Stiftung, in dem Falle der GNOF, verwaltet werden und dass das Planwerk gesamtstädtisch erarbeitet wird. Der Inhalt des Aushandlungsprozesses zwischen der LRA, der GNOF und der Ro- ckefeller Foundation wurde nicht veröffentlicht und ist auch Shea nach eigener Aussage nicht bekannt. (Shea 02.03.2012) Letzlich sind die Förderbedingungen der

240 Joseph C. Canizaro hat Columbus Properties, ein Immobilienunternehmen mit Projekten in New Orleans, dem Südosten und Südwesten der USA gegründet und war 2005 Geschäftsführer und CEO. (Nee, Horne o.J.a)

241 Carey Shea beschreibt die Sitation als Leiterin von Rockefellers’ Inititative in New Orleans folgendermaßen: Nachdem der BNOB-Prozess und der Lambert-Prozess gescheitert waren und der Bund verärgert war, weil der Wiederaufbauplan von New Orleans noch immer nicht fertig war, hat die Gouverneurin des Bundesstaates Louisiana eingegriffen und die Rockefeller Foundation hinsichtlich der Finanzierung eines Beteiligungsprozesses um Hilfe gebeten. (Shea 02.03.2012)

476

Stiftung und die Bedingungen der bundesstaatlichen Ebene (LRA) kongruent (ge- samtstädtischer Planwerksbezug). Mit der initialen finanziellen Zuwendung der Rockefeller Foundation über 3,5 Millionen US-Dollar und ihrer Bedingungen in Bezug auf die Ausgestaltung eines derartigen Planungsprozesses, durch den eine Vielzahl von Akteuren „ausgetauscht“ wurde, sowie einem zusätzlichen Beitrag von über einer Million US-Dollar von der GNOF war der BNOB-Prozess definitiv beendet und der neue Prozess um UNOP wurde gestartet. Letzterer erfüllte dann staatliche und bundesstaatliche Vorgaben für die Gewährung von CDBG- Fördermitteln für New Orleans (Nee, Horne o.J.a). Im Prinzip sprang die Rockefel- ler Foundation ein, weil FEMA die erhofften finanziellen Mittel für einen Nachbar- schaftsplanungsprozess nicht bereitgestellt hatte. (Shea 02.03.2012)

Die Organisationsstruktur des Planungsprozesses von UNOP war komplex und spiegelt die bedeutende Rolle von Stiftungen in diesem Wiederaufbauprozess ins- gesamt wider. Die lokale Greater New Orleans Foundation (GNOF) wurde, wie bereits erwähnt, mit der Steuerung des Planungsprozesses UNOP beauftragt: Laut Bingler (2012) hat die Rockefeller Foundation bei der GNOF angefragt, ob die lokale Stiftung einige Planungsleistungen koordinieren könnte. Zu diesem Zeit- punkt bestand lokal die Sorge, letztendlich sogar gar kein Planwerk vorweisen zu könnne. Allerdings konnte die GNOF keine Expertise diesbezüglich aufweisen, wollte aber laut Bingler auch nicht, dass kein Planwerk zum Wiederaufbau für New Orleans erarbeitet wird, „nur“ weil diese Art der Arbeit nicht zu dem Aufga- benfeld der Stiftung gehört. Ben Johnson, Geschäftsführer der GNOF, war sich der Dringlichkeit der Entwicklung eines gesamtstädtischen Planwerks bewusst und fragte Steven Bingler bezüglich dieser Aufgabe an, Gründer und Geschäftsführer des lokalen Planungsbüros Concordia: Johnson brauchte einen Akteur, dem er vertrauen könnte und der ihn bezüglich dieses Planwerksprozesses berät, da er selbst kein Planungsverständnis hätte. Bingler stimmte zu. Nach Bingler kannte Johnson die Arbeit des Büros Concordia. Sechzig bis siebzig Prozent der Arbeit von Concordia wird von Stiftungen finanziert. (Bingler 28.02.2012; vgl. Shea 02.03.2012)

So bildete die GNOF eine gesonderte Tochtergesellschaft, die New Orleans Com- munity Support Foundation (CSF). Die Stiftung war als Treuhänderin beauftragt,

477 die Aufsicht über die Verteilung der Fördermittel zu übernehmen. Die CSF enga- gierte offiziell das private Planungsbüro Concordia. Das Planungsbüro hatte die Aufgabe, den Planungsprozess personell zu besetzen. Unter anderem sollte ein Beratungsgremium, die Community Support Organization (CSO), zusammengeru- fen werden können (Nee, Horne o.J.a). Diese Organisationsstruktur schirmte zwar nach Olshansky et al. (2008) den Planungsprozess von lokalen Politikeinflüssen ab, riskierte allerdings den Vorwurf, externen Bemühungen zu folgen, die der Stadt von der LRA und der Rockefeller Foundation „aufgezwungen“ werden würden (Olshansky et al. 2008: 276).

Die Rockefeller Foundation spielte zudem bei der Wahl der Planungsteams für die Entwicklung der Distriktpläne eine Rolle: Nachdem die GNOF Anfang Juni 2006 die Ausschreibung veröffentlichte, hat eine Gruppe von Planungsexperten die Dis- triktplaner ausgewählt. Die Gruppe von Planungsexperten wurde wiederum durch das Büro Concordia und die Rockfeller Foundation bestimmt. Die American Plan- ning Association war in beratender Funktion tätig (Olshansky et al. 2008: 276). Die Gruppe von Planungsexperten bestand aus einem Viertel überlokaler Personen. Unter den lokalen Experten war auch die Leiterin der städtischen Planungsbehörde, Yolanda Rodriguez (Brooks 29.09.2008).

3.5 Exkurs Rockefeller Foundation: Ansätze, Charity Policies und Politics im Wiederaufbauprozess

Die Rockefeller Foundation wurde 1913 durch John D. Rockefeller, Sr. in der Ab- sicht gegründet, das „Wohlbefinden der Menschheit“ zu unterstützen, indem grundlegende Ursachen ernsthafter Probleme der städtischen Umwelt angegangen werden. Die Stiftung hat das Ziel, die Chancen für eine gute Lebensqualität ein- kommensschwacher oder gefährdeter Bevölkerungsgruppen zu erhöhen. Sie möch- te daran mitwirken, dass die Vorteile der Globalisierung „breiter“ verteilt wer- den.242 Die Stiftung ist mit einem Vermögenswert von 3,5 Milliarden US-Dollar

242 Die Rockefeller Foundation, die in New York City ihren Hauptsitz hat, hat an einer Reihe von Themen gearbeitet, an denen auch die große Nonprofit-Organisation Regional Plan Association arbei- tet, die ebenfalls in New York City ihren Sitz hat: an der Verbesserung des regionalen öffentlichen

478 eine der wenigen Organisationen, die inhaltlich breit gefächert in den USA und weltweit arbeiten kann; so auch in New Orleans nach Hurrikan Katrina und Rita. (Rockefeller Foundation o.J.) Die Stiftung bewies Reformfähigkeit im Zusammen- hang mit den Ereignissen nach Hurrikan Katrina. Veränderung erfolgte in diesem Fall durch ihre institutionelle Anpassungsfähigkeit: Die Stiftung ging auf die An- frage der bundesstaatlichen LRA unmittelbar ein, obgleich der Stiftung in diesem Moment kein entsprechendes Stiftungsprogramm zur Verfügung stand, mit dem die Stiftung die Leistungen hätte finanzieren können. Weitere Stiftungen folgten dem Handeln der Rockefeller Foundation und so konnte lokal eine längerfristige Kata- strophenbewältigung gewährleistet werden. (Shea 02.03.2012) Der Beitrag der Stiftung zur längerfristigen Bewältigung der Katastrophe geht über die Mitwirkung am Planungsprozess von UNOP hinaus. Nachfolgend werden die finanziellen In- vestitionen der Stiftung und deren Resultate zusammengefasst.

3.5.1 Die Rockefeller Foundation in New Orleans: Förderfelder und Rezeption

Nach Hurrikan Katrina investierte die Rockefeller Foundation bis etwa Ende 2011 (Shea 02.03.2012)mehr als zehn Millionen US-Dollar in einen längerfristigen Wie- deraufbau von New Orleans (11,2 Millionen US-Dollar). Dabei wurden in erster Linie investive Maßnahmen und Humankapital von Nonprofit-Organisationen, Bürgerbeteiligungsprozesse auf Quartiers- und gesamtstädtischer Ebene und Hu- mankapital der Stadtverwaltung von New Orleans gefördert. In folgenden Förder- feldern war die Rockfeller Foundation aktiv:

Die Rockefeller Foundation stellte 3,5 Millionen US-Dollar für die Entwicklung des Unified New Orleans Plan (UNOP) bereit. (Rockefeller Foundation 20.04.2006) Die Planungsbemühungen, die sechs Monate andauerten, steuerte die neu gegründete Community Fund Support Organization. Der Bund hielt die För- dergelder für einen Wiederaufbau (Community Development Block Grants) so lan- ge zurück, bis die Stadt einen umfassenden Plan entwickelt hatte. (The Chronical of Philanthrophy 20.04.2006) Nachdem der Planungsprozess zum Wiederaufbau von New Orleans unter die Leitung der Greater New Orleans Foundation gestellt

Verkehrs, an der Umgestaltung des Times Square oder an der Entwicklung von Quartieren mit einer Bewohnerschaft unterschiedlicher Einkommensschichten. (Rodin 18.04.2008)

479 und von der Rockefeller Foundation finanziell unterstützt worden war, begann dieser nach Powell erst „richtig“ – etwa ein Jahr nach Hurrikan Katrina (Powell 2007).

Die Rockefeller Foundation und weitere Stiftungen (Ford, Gates, Bush-Clinton) förderten das New Orleans Office of Recovery Management (ORM) mit mehr als 1,5 Millionen US-Dollar.243 Das ORM wurde von Bürgermeister Nagin nach Hur- rikan Katrina etabliert und erhielt auch einige Male von der lokalen Greater New Orleans Foundation finanzielle Zuwendungen. Das ORM gründete eine Stiftung, die Orleans Recovery Foundation, um die Spenden (von Stiftungen) zu verwalten und so Mitarbeiter finanzieren zu können. Im Office for Recovery Management konnten in Folge dessen insgesamt 23 Personen angestellt werden. Auch Mitarbei- ter der New Orleans Redevelopment Authority (NORA) wurden mit diesen Stif- tungsgeldern finanziert. Auf diese Weise wurden in dieser Zeit die personellen Kapazitäten der Stadtverwaltung aufgestockt. (Padgett 28.09.2008; City of New Orleans, Mayor's Press Office 24.04.2007; Rockefeller Foundation o.J.) Laut Ed Blakely, dem Leiter des Amtes für Wiederaufbau (ORM), wurden die Zuwendun- gen nicht nur als Personalkosten des Office of Recovery Management eingesetzt. Die Zuwendungen wurden auch dafür verwendet, um den „Informationsfluss“ zur Bewohnerschaft aufrecht zu halten, die noch nicht nach New Orleans zurückkehren konnte. (Donze 25.04.2007) Nach Padgett (28.09.2008), einer Mitarbeiterin des ORM, sind Verantwortliche städtischer Institutionen stets auf der Suche nach fi- nanzierungswilligen Stiftungen in der Hoffnung, dass den Stiftungen die administ- rativen Programme der Verwaltung „gefallen“. Administrative Institutionen waren dementsprechend in der Zeit nach Hurrikan Katrina mehr oder weniger von Stif- tungsgeldern abhängig. Das war etwas ungewöhnlich, aber der Krisensituation nach Katrina zuzuschreiben. (Padgett 28.09.2008)

Das Office of Recovery Management (ORM) und einige weitere Ämter der Stadt- verwaltung, die in Wiederaufbauprozesse eingebunden waren, wurden im Novem- ber 2007 zum sogenannten Office of Recovery and Development Administration (ORDA) zusammengelegt. Ziel war es, die Zusammenarbeit zwischen den Ämtern

243 Die Stiftungen Rockefeller, Gates und Ford haben etwa jeweils 500.000 US-Dollar mehr gestiftet, als sie vorher öffentlich verkündigt hatten (Donze 25.04.2007).

480 und Abteilungen der Stadtverwaltung in Bezug auf den Wiederaufbau zu intensi- vieren. Anfang September 2009 wurde aber auch diese Organisationsstruktur wie- der aufgelöst und einige Abteilungen von ORDA (Wohnraum und Wirtschaftsent- wicklung) wurden Teil eines anderen Amtes: dem Office of Community Develop- ment. Nach Carey Shea initiierte die Rockefeller Foundation die thematische Zu- sammenführung von Wohnraum- und Nachbarschaftsentwicklung in ein Amt auf- grund des gesamtstädtischen Handlungsbedarfs in Folge von Hurrikan Katrina. Das gab dem Amt zudem mehr administratives Gewicht innerhalb der Stadtverwaltung und eine institutionelle Nähe zum Bürgermeisteramt wurde geschaffen. Shea traf den Leiter des neu ausgerichteten Amtes zufällig: „I realized that his title was di- rector of Housing Policy and Community Development and I had to laugh because that was one of the positions that I was fought really hard for when I was at the Rockefeller Foundation that this position would be created. And the Rockefeller Foundation found this position and did so for the first few years. (...) Even now Rockefeller is gone, the position still exists. It's now part of the city budget.“ Shea bemerkte in diesem Zusammenhang, dass sich die Wohnraumfrage stärker in der Stadtverwaltung positionierte und das Amt für Community Development nun auch für die spezifischen Angelegenheiten der Entwicklung von Wohnraum und Flä- chennutzung verantwortlich sei. Shea bezeichnet das als Teil des Erbes, das die Rockefeller Foundation hinterließ. „And what I really wanted to see and what I think Darren [Walker, Anm. d. Verf.] wanted to see happen was: The city housing development had already folded it in to this larger community development world of departments at the City of New Orleans and had never been clearly defined de- partments, where the head of the department was just one or two steps following the Mayor. And that was clearly someone who was the director of real expertise. And they never had so great housing people. They were always under the sort of larger umbrella and one of many within it. And I think that now it is a much more distinct department within the city handling specifically housing and land use is- sues. So it's part of the legacy within Rockefeller.“ (Shea 02.03.2012) Die Rocke- feller Foundation unterstütze somit nicht nur die Neuausrichtung des Amtes der Stadtverwaltung finanziell als auch inhaltlich. Sondern die Rockefeller Foundation initiiere und forciere diese Neuausrichtung des Office of Community Development letztendlich. (Shea 02.03.2012)

481

Die Rockefeller Foundation stellte 2,2 Millionen US-Dollar für das Redevelopment Fellowship Program bereit; auch New Orleans ‘Rebuilding’ Fellowships genannt. Dieses Programm der Stiftung entsandte und finanzierte 25 Fachexperten mit ers- ten Berufserfahrungen in Schlüsselorganisationen und Regierungsinstitutionen, die meistens direkt in Wiederaufbauvorhaben in New Orleans eingebunden waren. (vgl. Rockefeller Foundation 18.06.2007) Es gilt als Programm der Nachbar- schafts- und Quartiersentwicklung und wurde vom Center for Urban Redevelop- ment Excellence (CUREx) der University of Pennsylvania ausgestaltet und geleitet. Nach Judith Rodin, die von 2005 bis 2017 den Vorsitz der Stiftung innehatte, überwindet dieses Programm Problemfelder: Durch ein neu organisiertes Netzwerk wurden lange bestehende Probleme der Kommunikation, der Umsetzung von Vor- haben und sogar der Rassenspannungen in der Stadt und ihrer unzähligen Instituti- onen angegangen. Nach Rodin verbesserten sich der behördenübergreifende Dia- log, die Koordination und die Umsetzung von Vorhaben durch das Programm be- achtlich. Wiederaufbau- und Neugestaltungsprojekte wurden effektiv gestaltet und durch die Fachexperten gesteuert, so dass nach Rodin viele Projekte erfolgreich umgesetzt wurden. (Rodin 2010: 8) Die Rockefeller Foundation schaffte weitere Anreize, damit die Fachexperten mit ihren Fähigkeiten in New Orleans wohnhaft bleiben würden, aus den aufgebauten Netzwerken und anderen Beziehungen profi- tieren und so zum Wiederaufbau der Stadt weiter beitragen würden. Damit institu- tionalisierte die Stiftung den Erfolg des Programms, so Rodin: 2008 schuf die Stif- tung den Urban Innovation Fund. Der Fond wurde mit einer Million US-Dollar ausgestattet und von der Nonprofit Organisation The Idea Village gesteuert; einer Organisation, die das Unternehmertum in New Orleans fördert. Damit wurde nach Rodin ein konkurrenzfähiger Ort für die Fachexperten geschaffen, um Projekte und Interventionen mit dem Fokus auf Wohnungsbau und Nachbarschaftsrevitalisie- rung voranzutreiben.244 (Rodin 2010: 9)

Darüber hinaus war die Rockefeller Foundation in weiteren Förderfeldern vor dem Hintergrund einer unmittelbaren und längerfristigen Katastrophenbewältigung in

244 Eine Innovationsförderung erhielt zum Beispiel eine Nonprofit Organisation, die die Alternative Housing Support Corporation gegründet hat und die bezahlbaren Mietwohnungsbau in benachteilig- ten Nachbarschaften schafft. Eine andere Förderung erhielt das neu gegründete Unternehmen Sustainable Environmental Enterprises. Sustainable Environmental Enterprises baut nachhaltige Energiesysteme in Wohnanlagen mit einer einkommensschwachen Bewohnerschaft. (Rodin 2010: 9)

482

New Orleans aktiv: Um unmittelbar nach Hurrikan Katrina humanitäre Hilfe zu leisten sowie eine längerfristige Wohnraumbereitstellung und die wirtschaftliche Erneuerung der Stadt zu unterstützen, stiftete die Rockefeller Foundation einen finanziellen Betrag von drei Millionen US-Dollar an die Greater New Orleans Foundation in den Katrina Disaster Relief Fund. (Rockefeller Foundation 08.09.2005) Darüber hinaus unterstützte die Rockefeller Foundation die Greater New Orleans Foundation (GNOF) dabei, den New Orleans Community Revitaliza- tion Fund (CRF) zu etablieren. Nationale und lokale Stiftungen stellten in diesem Rahmen finanzielle Mittel bereit (Gates, Hiltom, Kellog und Surdna). (The Rocke- feller Foundation, o.J.) Die Rockefeller Foundation tätigte zudem eine Reihe von Zuwendungen an nationale Organisationen, einschließlich der Local Initiatives Support Corporation und Enterprise Community Partners. Dadurch nutzte die Stiftung zusätzlich ihre Expertise, um New Orleans bei einer Vielfalt von Belangen zu unterstützen und sogar neue Instrumente zu entwickeln: Dabei wurden histori- sche Denkmalschutzprojekte technisch unterstützt, denen Schulungen vorausgin- gen. Zudem wurde die Entwicklung von Systemen und Modellprozessen für Land- nutzung und -gewinnung unterstützt sowie Strategien zur Finanzierung von Neu- entwicklungen. (The Rockefeller Foundation, o.J.) Außerdem unterstützte die Stif- tung zwei lokale Organisationen, die mit privaten Immobilienentwicklern den So- zialen Wohnungsbau der Stadt in mixed-income housing umgebaut haben. (Rocke- feller Foundation o.J.) Die Stiftung förderte mit 975.000 US-Dollar auch den Do- kumentarfilm When the Levees Broke von Filmemacher Spike Lee und eine Milli- on US-Dollar an das Teachers College der Columbia University, um Bildungsin- halte auf der Basis des Films zu erarbeiten. Darin wurde die Rolle von Rasse, Klas- se, Armut und Politik thematisiert. Die Ergebnisse wurden im September 2007 gemeinsam mit dem Film in Schulen, Bibliotheken und Nachbarschaftszentren eingebracht. (Rockefeller Foundation 10.01.2007)

Die Förderinitiativen der Rockefeller Foundation wurden relativ wenig öffentlich rezipiert. Die Förderung durch Stiftungen wird in der US-amerikanischen Stadt- entwicklung scheinbar als selbstverständlich angesehen und stellt somit eine „feste Größe“ in der Förderlandschaft dar. Stets wird ausschließlich das Engagement der Stiftung im Planungsprozess um den Unified New Orleans Plan hervorgehoben. Aber selten wird dieses auch kommentiert wie beispielsweise Nee und Horne (o.J.)

483 es tun: Der Planungsprozess wurde durch den Einstieg der Rockefeller Foundation „depolitisiert“ und „fachplanerisch ausgestaltet“. Das sei aus zwei Gründen bedeut- sam gewesen. Erstens habe die Louisiana Recovery Authority gewissermaßen einen derartigen Prozess vorgeschrieben. Die LRA konnte dadurch entscheiden, ob und wann die Stadt New Orleans bereit ist, Fördergelder zum Wiederaufbau zu erhal- ten. Zweitens wurde auf der Grundlage von Gesprächen mit Führungskräften von Nonprofits in der Stadt deutlich, dass Akteure der privaten Philanthropie grund- sätzlich auf Grundlage immer gleicher Kriterien eine Förderfähigkeit von Projekten abwägen, wie auch städtische oder staatliche Behörden auf der Grundlage von Kri- terien Entscheidungen zur Förderfähigkeit treffen. Da die Rockefeller Foundation als erste Stiftung in New Orleans Fördergelder für den Planungsprozess von UNOP zusagte, ging die Stiftung ein Risiko ein. Die Stiftung hätte erwartet, dass andere nationale Stiftungen „mitziehen“ und den Prozess ebenfalls unterstützen würden. Der Plan ging auf. (Nee, Horne o.J.b)

Nach Carey Shea war die Rockefeller Foundation in New Orleans automatisch erfolgreich. Denn zunächst haben die Führungskräfte der Stiftung (Walker und Rodin) die Mitwirkung schnell entschieden. Zudem wurde das Planwerk am Ende des Planungsprozesses im Rahmen wöchentlicher Treffen an die städtische Pla- nungsbehörde sukzessive übergeben. Das Planwerk symbolisiere nach Shea die stadtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit Werten wie Gleichheit und Inklusi- on sowie den Wandel der Stadtbevölkerung. Das Planwerk treibe zwar ebenfalls die Besiedlung in nur bestimmten Teilen der Stadt voran. Im Unterschied zum BNOB-Prozess kam die Rockefeller Foundation „ergebnisoffen“ in die Stadt und nicht mit einem bestimmten Ergebnis. So ist es den Akteuren im Planungsprozess gelungen, „integrierend“ zu wirken, denn Planung in den USA sei (oft) mit „rassis- tischen Vertreibungstendenzen“ verbunden. Shea ergänzt: „I was at a meeting – a big large meeting with all the kind of government – and the governor is mentioned one evening and he said: 'For black people to be suspicious of planning processes, is a good thing.'“(Shea 02.03.2012) Die größte Herausforderung für die Rockefeller Foundation245 war allerdings die Konfusion, die nach Hurrikan Katrina aufkam und der Mangel an Klarheit bezüglich des Planungsprozesses: Wie soll der Planungs-

245 Carey Shea vertrat die Rockefeller Foundation in New Orleans in leitender Position. (Shea 02.03.2012)

484 prozess zum Wiederaufbau stattfinden und welche Institution ist in der Verantwor- tung?246 (Shea 02.03.2012)

Im Zusammenhang mit dem Engagement der Rockefeller Foundation und anderer Stiftungen in New Orleans und vor dem Hintergrund der aus Sicht der Stadtregie- rung zögerlichen Freigabe von Fördermitteln des Bundes für den Wiederaufbau der kommunalen Infrastruktur bekannte Bürgermeister Nagin, dass die philanthropi- sche Hilfe von unschätzbarem Wert für den Wiederaufbau sei: „We couldn't do it without them and we're deeply indebted to them“. Eine längerfristige Unterstüt- zung durch die Stiftung sei wichtig, da New Orleans eine große Herausforderung zu bewältigen habe und die Stiftungen Türen zu zusätzlicher Unterstützung öffnen könnten.247 (Donze 25.04.2007)

3.5.2 Grundgedanken und Intentionen der Rockefeller Foundation

Die Grundgedanken und Intentionen der Rockefeller Foundation geben Anlass, die Stiftung im Zusammenhang mit dem Fall New Orleans als „Retterin öffentlicher Planung“, als „Investorin in Humankapital“ und als „Förderin sozialer Innovatio- nen“ zu bezeichnen. Die Grundgedanken und Intentionen werden aufgrund dessen nachfolgend näher betrachtet:

Nach Judith Rodin, der Vorsitzenden der Rockefeller Foundation von 2005 bis 2017, erfuhr die US-amerikanische Öffentlichkeit durch den Fall von New Orleans, was geschieht, wenn die Auswirkungen des Klimawandels, schlechter Planung, Fehlfunktionen von städtischer Infrastruktur und dauerhafter Armut aufeinander- prallen. In der Folgezeit von Hurrikan Katrina wäre demnach eine „robuste“ und

246 Shea verweist in diesem Zusammenhang auf die Veröffentlichung von Robert B. Olshanksy et al. (2010): Clear as Mud. (Shea 02.03.2012) 247 Nichtsdestoweniger schien es kommunikative Missverständnisse zwischen der Behörde und den Stiftungen zu geben: Als die Nagin-Administration ein paar Monate zuvor zum ersten Mal die Höhe der Zuwendungen bekannt gab, hat es ein Sprecher des Büros für Wiederaufbau abgelehnt, die Höhe der Löhne der neun Angestellten zu veröffentlichen, die von den Stiftungen gezahlt werden, mit dem Hinweis, dass die Stiftungen es so wollten. Das dementierte Carey Shea als associate director der Rockefeller Foundation: „Foundation money is public. All information about foundation money is public.” (Shea zit. in Donze 25.04.2007)

485

„fortschrittliche“ Planung notwendig und Investitionen in Infrastruktur und Ver- kehr müssten im Mittelpunkt stehen. Vor diesem Hintergrund stellte die Rockefell- er Foundation finanzielle Mittel unter anderem für den Planungsprozess zum Wie- deraufbau von New Orleans bereit (Rodin 18.04.2008) und unterstützte somit zu- nächst offizielle Planungsabläufe auf kommunaler Ebene. Die Konstellation von Umständen, die in New Orleans aufgetreten sind, sei nicht einzigartig. Denn diese Art Gefährdungen seien latent in vielen Nachbarschaften in den USA und weltweit zu erkennen. (Rodin 18.04.2008)

Die Stiftung unterstütze seit etwa einem Jahrhundert Innovationen, die Herausfor- derungen weltweit, aber vor allem in Städten begegnen. Die Gefahren in Städten aber auch die Möglichkeiten von Städten veränderten sich im Laufe der Zeit. Die Rockefeller Foundation forciert und fördert dementsprechend auch eine neue Ge- neration von städtischen Innovationen und hat das Ziel, bis dato bewährte Metho- den und Verfahren weltweit zu vergleichen und einer steten Erneuerung zu unter- ziehen. Die Stiftung bezieht sich damit auf städtische Themenfelder wie Luftquali- tät und Verkehr, nachhaltiger Wohnungsbau bis hin zur Entwicklung von Informa- tionstechnologien in Städten. „Städtische Innovationen zu fördern“ und gleichzeitig den „Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen“ sei auch der Stiftungs- ansatz in Bezug auf den Wiederaufbau von New Orleans. Die Stiftung förderte zunächst unmittelbare Hilfsleistungen, darunter auch Unterkünfte. Allerdings sind erfahrungsgemäß im Rahmen von Wiederaufbaubemühungen Interventionen erfor- derlich, die – durch Innovationen – zu einem systematischen Wandel führen. Denn dieser Wandel werde in New Orleans so dringend gebraucht. (Rodin 2010)

Im Frühjahr 2006 war der Wiederaufbauprozess in New Orleans in einer schwieri- gen Phase: Es mangelte an öffentlichen Ressourcen und an Vertrauen. Die Frustra- tion und Unsicherheit war hoch. Es herrschten zu viele Interessen, die miteinander konkurrierten und es gab nicht genug Anreize für Kompromisse. Auch waren die Bemühungen, die städtische Bewohnerschaft in den Wiederaufbauprozess einzu- binden, nicht fokussiert. So spiegele die Zerstörung der physischen Infrastruktur den Zustand der „zivilgesellschaftlichen Infrastruktur“ wider. Somit suchte die Rockefeller Foundation zusammen mit anderen Organisationen innovative Ansät- ze, um die soziale Grundlage des „American life“ zu erneuern und wiederherzustel-

486 len. Vor dem Hintergrund dieser Mission vergab die Rockefeller Foundation seit Hurrikan Katrina 42 finanzielle Zuwendungen im Gesamtwert von 22 Millionen US-Dollar an zivilgesellschaftliche Institutionen und Organisationen. Diese Institu- tionen und Organisationen setzten sich nachdrücklich für bürgerschaftliche Beteili- gungsprozesse ein und bildeten Humankapital. Zwei finanzielle Zuwendungen illustrierten die Wirkung dieser Investitionen besonders und würden die Strategie der Stiftung verdeutlichen: Förderung sozialer Innovationen in New Orleans und weltweit. (Rodin 2010: 6–7)

Erstens unterstützte die Stiftung den „unified, inclusive, and cooperative planning process for the city’s recovery“ (Rodin 2010: 7): Im April 2006 übergab die Stif- tung 3,5 Millionen US-Dollar an die älteste Stiftung in New Orleans, die Greater New Orleans Foundation (GNOF). Die Stiftung arbeitete mit der Rockefeller Foundation eng zusammen und steuerte die Entwicklung des Unified New Orleans Plan. Die Rockefeller Foundation glaubt an die Kraft der Innovation, die auf Bür- gerbeteiligung basiert. Denn bei allen Prozessen, die auf Bürgerbeteiligung basie- ren, kommen neue Ideen auf, die Planungsexperten und Politiker dazu veranlassen, Probleme „umzudeuten“ und potentielle Lösungen „umzudenken“. Vor diesem Hintergrund hat die Stiftung der Finanzierung der Nonprofit-Organisation America Speaks zugestimmt. Die Organisation organisiert und dokumentiert große Veran- staltungen zur Bürgerbeteiligung und gestaltete im Rahmen des UNOP-Prozesses zwei große sogenannte Community Congresses aus. Dieser Beteiligungs- und somit aktiv gestaltete Innovationsprozess bilde neue Netzwerke zwischen lokalen Part- nern mit unterschiedlichen und konkurrierenden Interessen, inklusive denen des Bürgermeisters und des Stadtrates, der Gouverneurin, der Louisiana Recovery Au- thority (LRA) und den Vertretern von mehr als siebzig Nachbarschaften der Stadt. Die Rockefeller Foundation folgt dem Ansatz von Hardagon248, nach dem diese

248 Andrew Hardagon ist Professor für Technology Management an der UC-Davis Graduate School of Management sowie ehemaliger Ingenieur und Designer von IDEO und Apple. Nach Hardagon waren einige der effektivsten und wichtigsten technologischen Entwicklungen und Produkte Innovationen, die aus „klug“ kombinierten bereits existierenden Erfindungen entstanden sind. Hardagon nennt sie „rekombinant Innovationen“. So entstehen diese Art Innovationen oftmals durch das Verbinden von verschiedenen Quartieren und durch den Bau neuer Quartiere. Dadurch werden auch neue Netzwerke geschaffen, die davon profitieren. (Rodin 2010: 7)

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Netzwerke inhärent leistungsstark sind, da diese Netzwerke Innovationen be- schleunigen. (Rodin 2010: 7)

Durch den Aufbau, die Reorganisation und die Stärkung von Netzwerken, die aus Interessensvertretern der Bewohnerschaft, Nachbarschaftsvertretern und gewählten politischen Vertretern bestehen, verhalf die Rockefeller Foundation und die GNOF der Stadt New Orleans zu einer breiten Koalition: Das Planwerk UNOP wurde gemeinsamt entwickelt und verabschiedet. Mit dem Planwerk gingen der Stadt 411 Millionen US-Dollar Bundesmittel zu, die dem Wiederaufbau der Stadt zur Verfü- gung standen. Das Office of Recovery Management (ORM), der Downtown Deve- lopment District, die New Orleans Redevelopment Authority (NORA) und andere Ämter und Behörden der Stadt nutzten UNOP als Grundlage für ihre weitere Ar- beit. UNOP diente auch einem gesamtstädtischen Masterplan als Grundlage, der von der lokalen Planungsbehörde ab 2008 vorangetrieben wurde. Die Verabschie- dung des Planwerks sei eine direkte Konsequenz eines lokalen und inklusiven Pla- nungsprozesses. Das Planwerk ist auch ein Beispiel für die Leistungsfähigkeit von Netzwerken. Denn es wurde nicht nur eine „Produktinnovation“, sondern auch „soziale Innovation“ erreicht. (Rodin 2010: 7–8)

Die zweite finanzielle Zuwendung der Rockefeller Foundation, die lokal besonders wirksam gewesen sei und soziale Innovation fördere, wurde im Rahmen des Rede- velopment Fellowship Program angelegt. Dabei fokussierte sich die Rockefeller Foundation auf die Erhaltung und die Bildung von Humankapital, um soziale In- novation zu veranlassen oder zu erhalten, während gleichzeitig mit anderen Akteu- ren in den Wiederaufbau der physischen Infrastruktur investiert wird. (Rodin 2010: 8)

Insgesamt kann also im Zusammenhang mit dem Fall New Orleans die Rockfeller Foundation als „Retterin öffentlicher Planung“, als „Investorin in Humankapital“ und als „Förderin sozialer Innovationen“ bezeichnet werden. Zudem wurde deut- lich, dass die Stiftung augenscheinlich keiner räumlichen Verteilungslogik von finanziellen Ressourcen folgt. So beziehen sich zwar die Förderfelder der Stiftung auf den städtischen Raum und dessen Herausforderungen und dabei in erster Linie auf die Förderung von Verfahren und Methoden, die soziale Innovationen schaffen.

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Eine konkrete räumliche Ausrichtung wird dennoch nicht explizit betont. Implizit schlagen sich die finanziellen Zuwendungen dann aber doch – natürlichweise – räumlich nieder. So wird beispielsweise die Bildung von Netzwerken oder von Humankapital in bestimmten Räumen der Stadt gefördert. Bei einigen Zuwendun- gen wird deutlich, dass Nonprofit-Organisationen gefördert werden, die in benach- teiligten Quartieren arbeiten.

3.5.3 Lokales Engagement der Rockfeller Foundation

Die Rockefeller Foundation veranlassen zwei Umstände zum lokalen Engagement: Erstens habe sich das Paradigma „sozialer Innovation“ verändert und die Rockefel- ler Foundation fühlt sich in Folge dessen zum Engagement verpflichtet. Zweitens engagiert sich die Rockefeller Foundation, wenn „Visionäre“ aktiv sind, denn nach Rodin beginnt „Fortschritt“ immer mit gewagten Ideen (Rodin 18.04.2008):

Das Paradigma sozialer Innovation verändert sich und erfordert das Engagement von Philanthropen: Die Rollen der Institutionen, wie Universitäten, Unternehmen, Philanthropen und Regierungsinstitutionen, verändern sich. Grenzlinien ver- schwinden, die diese Institutionen vormals getrennt hatten. Rodin sah Philanthro- pen wie die Rockefeller Foundation als „social venture capitalists“. Neuartige Ideen wurden im Rahmen des traditionellen Modells von sozialer Innovation in Pilotprojekten erkannt. Philanthropen hatten die Aufgabe, erfolgreiche Innovatio- nen zu erkennen und an staatliche Institutionen oder großen Unternehmen zu über- geben. Heutzutage aber sei dieses alte Paradigma, das separate Rollen für die un- terschiedlichen Sektoren [oder Sphären, Anm. d. Verf.] vorsieht, nicht länger halt- bar. Denn Globalisierungstendenzen hätten die Regeln verändert. Heutzutage muss jeder Sektor [oder jede Sphäre, Anm. d. Verf.] ein Motor von sozialer Innovation sein, damit einen dauerhafter sozialen Nutzen erzeugt werde. Vor dem Hintergrund heutiger Herausforderungen249 in stets wachsenden Städten des 21. Jahrhunderts ist „urban innovation and engagement” äußerst wichtig, wie die Entwicklung des Planwerk UNOP in New Orleans gezeigt hat. (Rodin 08.09.2010: 2–3)

249 Dazu zählt beispielsweise eine unzureichende Infrastruktur, soziale Ungleichheit, Armut und Luftverschmutzung.

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Philanthropische Unterstützung von Visionären: Nicht nur für die Rockfeller Foundation, sondern auch für eine Vielzahl anderer Stiftungen und Unternehmen scheinen „berühmte Visionäre“ eine Unterstützung von Stiftungen hervorzurufen. Dazu zählen verschiedene Utopiepläne, die für den Wiederaufbau von New Or- leans und der Region nach Hurrikan Katrina bekannt wurden, von Andres Duany (für New Urbanism), Harry Connick Jr. (für Habitat for Humanity), Brad Pitt (für Global Green), Thom Mayne (für das Hyatt Hotel) (MacCash 16.11.2005) bis Pres Kabacoff (New Orleans als „Afro-Caribbean version of Paris“) (Bridges 2013).250 Inwiefern dabei eine fachliche Überzeugung (Prinzipien des New Urbanism, von Global Green oder von Habitat for Humanity) zur Stiftungstätigkeit führt, ist offen.

Nach Carey Shea, ehemalige stellvertretende Direktorin der Rockefeller Foundati- on und Leiterin der Initiative der Stiftung in New Orleans, ist ein innerlicher An- trieb für eine philanthropische Aktivität verantwortlich: Stiftungen und Philanthro- pen würden sich zwar in Szene setzen. Sie würden aber auch Visionen und Ent- wicklungsrichtungen aufzeigen. Die Stiftungswelt helfe in vielen Fällen, Prototy- pen zu kreieren, die neue Wege in der Unternehmenswelt definieren. Allerdings schaffe die Stiftungswelt oft ein paralleles System (wie beispielsweise beim micro lending). (Shea 02.03.2012)

Engagieren sich philanthropische Akteure lokal wie die Rockefeller Foundation, müssten sie in Folge dessen zunächst anerkennen, dass ein Katastrophenwiederauf- bau automatisch erst einmal eine staatliche Angelegenheit sei. Die Philanthropie müsse Fördermechanismen der Unterstützungsleistungen des Staates in Bezug auf eine Katastrophe verstehen, wie die Fördermittel des Community Development Block Grant (CDBG) sowie die Mechanismen der Versicherungsindustrie. Nichts- destoweniger fordert Carey Shea – in Anbetracht der Erfahrungen von Hurrikan Katrina – eine Katastrophenphilanthropie, die ortsansässig ist und sich für Planung einsetze, bevor überhaupt eine Katastrophe eintrete. Viele Philanthropen hätten Erfahrung in Planung, Quartiers- und Nachbarschaftsentwicklung oder Flächennut- zung. Darunter fallen auch Stiftungen in New York City, in San Francisco, im Raum Miami und nun im mittleren Westen der USA. Diese Städte und Regionen

250 Nach Shea, ist es für Stiftungen nicht wichtig, ob bestimmte Visionäre, wie Pitt oder Duany, in einer Stadt aktiv sind. (Shea 02.03.2012)

490 sind stets gefährdet und heute schon betroffen von Tornado- und Überschwem- mungsschäden. Diese Organisationen sollten sich einen Moment Zeit nehmen (et- wa sechs Monate), um ein derartiges Katastrophenereignis zu verstehen; Verant- wortlichkeiten klären, um einen Konsens zu schaffen, bevor eine Katastrophe ein- tritt und somit eine Art Katastrophenplanung forcieren: „That being said: The time to figure it out is not after the disaster has happened. (...) And to get consensus before the disaster happens about how this would go.“ (Shea 02.03.2012)

3.6 Partizipations- und Genehmigungsprozess des Planwerks

Das Verb planen sei wichtiger als das Substantiv Planung, da es im Zusammen- hang mit Stadtentwicklung und Wiederaufbau für beteiligte Akteure und die be- troffene Stadtgesellschaft insgesamt stets um einen Prozess gehe (Shea 02.03.2012). So war an der Entwicklung vom Planwerk UNOP – wie bereits im Prozess des NONRP – die Einwohnerschaft von New Orleans beteiligt. Im Unter- schied zum NONRP wurde nun das gesamte Stadtgebiet einbezogen und somit waren auch verhältnismäßig mehr Bürger von New Orleans in das Planen einbezo- gen. (Olshansky et al. 2008: 277) In den gesamten Planungsprozess waren zwi- schen neuntausend und zehntausend Bürger involviert (Bingler 28.02.2012).

Zu diesem dritten Planungsprozess zum Wiederaufbau nach Hurrikan Katrina kam es laut Bingler aufgrund von „Unausgeglichenheit“ in den bisherigen Planungsbe- mühungen des BNOB und des NONRP. Der Planungsprozess um UNOP erforderte nun ein Höchstmaß an bürgerschaftlicher Partiziaption: Im ersten Planungsprozess (BNOB) sei eine Art „professionelle Unausgeglichenheit“ zu erkennen, die sich in einer „kulturellen Unausgeglichenheit“ niedergeschlagen habe. Denn die verant- wortliche Planerschaft habe die kulturelle Geschichte der Stadt nicht beachtet. Den zweiten Planungsprozess (NONRP) bezeichnet er als eine „beabsichtigte rassisti- sche Unausgeglichenheit“. Das Planwerk stelle mehr als eine „ökonomische Un- ausgeglichenheit“ dar, denn hinter dem Ansatz des NONRP verberge sich mehr als die Tatsache, dass eine wohlhabende Bewohnerschaft in höher gelegenen Gebieten der Stadt lebe und eine ärmere Bewohnerschaft in den niedrig gelegenen und öko- nomisch nicht sehr wertvollen Gebieten der Stadt lebe. Mit dem dritten Planungs-

491 prozess (UNOP) habe es nun die Möglichkeit gegeben, dieses Ungleichgewicht auszugleichen. (...) In den vorangegangenen Planungsprozessen von BNOB und NONRP wurde um verschiedene Sachverhalte gerungen. Ziel von UNOP war es somit gewesen, herauszufinden, wie die verschiedenen Kräfte in Einklang gebracht werden können. Wäre das nicht gelungen, hätte es erneut ein „unausgewogenes Planwerk“ mit UNOP gegeben. (Bingler 28.02.2012)

Aber „Unausgeglichenheit“ sei unbeliebt, so Bingler. Aufgrund dessen wurden zunächst eine Reihe überlokaler Experten in den Prozess einbezogen. Zudem machte der Bürgermeister für die Genehmigung des Planwerks zur Bedingung, dass alle Nachbarschaften mit einer Vielzahl von Bewohnern in die Entwicklung des Planwerks demokratisch einzubeziehen sind. Nach Bingler war der UNOP- Prozess letzlich ausgeglichen, denn die „besten“ Experten von top down – Planer- und Architektenschaft – und die „besten“ Experten von bottom up – lokale Bewoh- nerschaft – waren in den Prozesss involviert. Zu dieser Zeit gründeten sich parallel zum Planungsprozess Nachbarschaftszentren, Nachbarschaftsorganisationen sowie eine Dachorganisation von Nachbarschaftsorganisationen (Neighborhood Planning Network, NPN). Dieser Zusammenschluss unterstützte einzelne Nachbarschaftsor- ganisationen dabei, sich vor dem Hintergrund des Planungsprozesses zu vernetzen. Seitdem der Planungsprozess von UNOP beendet ist, nennt sich die Dachorganisa- tion Neighborhoods Partnership Network. (Bingler 28.02.2012)

Zudem wurde erkannt, dass ein stadtweiter Planungsprozess – mit einem Höchst- maß an partizipativen Elementen – andere Techniken und Verfahren benötige als ein nachbarschaftlicher Planungsprozess (Shea 02.03.2012): So wurden Planungs- teams gebildet, die über ein nationales Auswahlverfahren Fachexperten integrierten und offiziell Bürgerbeteiligungsforen organisiert, sogenannte Community Congres- ses.

Die Planungsteams folgten bei ihrer Arbeit einer Drei-Phasen-Struktur: Erstens wurde eine umfassende Bestandsaufnahme (Comprehensive Recovery Assessment) gemacht, zweitens wurden Szenarien zum Wiederaufbau (Recovery Scenario Pre- ferences) erarbeitet und drittens wurde eine Prioritätenliste in Bezug auf die vorge- schlagenen Projekte zum Wiederaufbau (Prioritized List of Recovery Projects)

492 entwickelt. Innerhalb dieser Arbeitsphasen fanden an vier Wochenenden Treffen in jedem Stadtteil statt. Diese Treffen wurden von den Planungsteams initiiert, die für die Planentwicklung in den einzelnen Stadtteilen verantwortlich waren. Die Pla- nungsteams der Nachbarschaften und das stadtweite Steuerungsgremium beriefen in den meisten Quartieren zusätzlich noch Treffen ein.251 Hunderte Bewohner252 nahmen an diesen Treffen teil, die von Beratern, Studierenden und Freiwilligen unterstützt wurden. (Olshansky et al. 2008: 277) Um das Planwerk auf der Grund- lage von Fakten zu entwickeln, wurden speziell für diesen Partizipationsprozess Daten erhoben. Dabei handelte es sich hauptsächlich um demographische Daten von New Orleans und der Region, die von allen Planerteams genutzt werden soll- ten. Insgesamt fanden 53 Nachbarschaftstreffen im Rahmen des Planwerksprozes- ses statt. (Bingler 28.02.2012)

Im Rahmen des UNOP-Prozesses wurden drei Bürgerbeteiligungsforen (Communi- ty Congresses) organisiert, an denen zwischen 300 und 2.500 Bürger teilnahmen. (Olshansky et al. 2008: 277) Das erste öffentliche Forum finanzierte die Stadtregie- rung, respektive das Büro des Bürgermeisters. (Bingler 28.02.2012) Das Forum galt allerdings nicht als gelungen, da nur wenige Menschen daran teilnahmen (etwa 200 nach Aussage von Bingler). Aufgrund dessen wurde darüber nachgedacht, sich Unterstützung von „extern“ zu organisieren, um sicherzugehen, dass „genügend“

251 Der Prozess begann mit Treffen auf Nachbarschaftsebene. Die Ergebnisse, die dort herausgearbei- tet wurden, wurden in ein stadtweites Treffen eingebracht. Daraufhin fanden weitere Nachbarschafts- treffen statt und abschließend ein finales stadtweites Treffen. (Bingler 28.02.2012) Dieses Vorgehen wird für einen derartig groß angelegten Planungsprozess an sich als relativ „üblich“ angesehen. 252 Da Nachbarschaften sowohl in New Orleans als auch in den gesamten USA eine hohe städtische Bedeutung haben, wollten die Verantwortlichen des UNOP-Prozesses die Bedeutung der Nachbar- schaften auch in diesem Prozess forcieren. Nachdem klar wurde, dass ein drittes Planwerk entwickelt werden sollte, ragierten die Bewohner der Nachbarschaften pragmatisch: Nach Bingler nahmen sie keine politische Haltung ein, sondern handelten in ihrem eigenen Interesse: ‚Was haben die Planun- gen für Auswirkungen auf mich, meine Familie und meine Nachbarschaft?’. Die Bewohnerschaft war nicht verwirrt, dass sich ein neuer Architekt zeigte, weil sie beim Prozess um den BNOB niemals mit einem Architekten in Kontakt kamen. Der BNOB-Prozess fand nach Bingler „in einer Blase“ mit anderen Architekten und Planern statt. Der Lambert-Prozess umfasste Bürgerbeteiligungsverfahren und Nachbarschaftstreffen fanden statt. Etwas Verwirrung gab es zwar nach Bingler, warum dies und das jetzt getan werde, aber letztendlich wurde der UNOP-Prozess mit der Hilfe der Medien transpa- rent gestaltet. Die Medien hatten eine aktive Rolle in diesem Prozess; Planer traten fast jeden Abend im Fernsehen auf und teilten mit, wann die Treffen stattfanden, was der Prozess beinhaltete und wie der Prozess zu einem guten Abschluss kommen kann. (Bingler 28.02.2012)

493

Menschen an den öffentlichen Foren teilnehmen. Denn das war eine Auflage des Bürgermeisters, die er den Verantwortlichen des Prozesses zu Beginn auferlegt hatte. (Bingler 28.02.2012) Shea zufolge brachte eine Mitarbeiterin der Kirche die Idee ein, die Nonprofit-Organisation America Speaks253 zu engagieren. Für Carey Shea war es ein hoher Aufwand, die finanziellen Mittel für das Engagement von America Speaks zu organisieren (2,9 Millionen US-Dollar). Letzlich haben sich dann noch andere Stiftungen zu einer finanziellen Unterstützung bekannt und Ame- rica Speaks konnte für die Organisation und Koordination von weiteren Beteili- gungsforen engagiert werden. (Shea 02.03.2012)

So organisierte America Speaks die Community Meetings II und III. Die Foren wurden simultan in New Orleans, Houston, Dallas, Atlanta (und Baton Rouge, vgl. Bingler 28.02.2012) über eine Internetübertragung veranstaltet. Somit wurden so- wohl die Bewohnerschaft von New Orleans beteiligt als auch Bürger, die in Folge von Katrina zwangsweise insbesondere in die oben genannten Städte umgesiedelt waren. (Olshansky et al. 2008: 277) Im Vorfeld warben etwa 150 Mitarbeiter von America Speaks agressiv um die bürgerschaftliche Beteiligung an den Foren mit einer Tür zu Tür-Offensive, über Aushänge und telefonische Anfragen. Bingler nannte diesen Prozess „community organizing“. Im Ergebnis nahmen am zweiten Forum 1.500 Menschen im New Orleans Convention Center teil. Durch eine tech- nische Ausstattung konnte die Übertragung von und nach Houston, Dallas, Baton Rouge und Atlanta gewährleistet werden. Dadurch waren insgesamt 2.500 Men- schen an dem zweiten Beteiligungsforum beteiligt. Technisch wurde es möglich gemacht, die demographische Zusammensetzung der Veranstaltung transparent zu machen. Denn an dem Prozess mussten Afroamerikaner zu 65 Prozent teilnehmen; ein Kriterium, für dessen Einhaltung America Speaks sorgen musste.254 Bingler bezeichnete dieses zweite Forum als großen Erfolg. Bingler 28.02.2012 Auch Ols-

253 Olshansky formuliert die Art des Zustandeskommens der Zusammenarbeit zwischen Verantwortlichen des UNOP Prozesses und America Speaks allgemeiner. Laut Olshansky hat sich America Speaks „mit UNOP zusam- mengetan“. Auch nach Olshansky kostete das Engagement von America Speaks im UNOP Prozess etwa drei Millionen US-Dollar. (Olshansky et al. 2008: 277) 254 Vgl. dazu den Beteiligungsprozess um den Wiederaufbau von Ground Zero in New York City nach dem 11. September 2001. Auch diesen Prozess hat America Speaks organisiert und technisch ausgestattet.

494 hansky charakterisierte die hohe Beteiligung von Bürgern als entscheidendes Er- folgselement im UNOP-Prozess.255 (Olshansky et al. 2008: 277)

Auf dem dritten Bürgerforum (Community Congress III) am 13. Januar 2007 wurde der Entwurf des Planwerks zum Wiederaufbau vorgestellt (Nee, Horne) und zur Abstimmung frei gegeben: Neunzig Prozent der Beteiligten befürworteten das Planwerk UNOP. Dabei wurde deutlich, dass die Umsetzung der darin vorgeschla- genen Wiederaufbauprojekte in den nächsten zehn Jahren 14 Milliarden US-Dollar kosten würde. Diese Summe sei aber durch die finanziellen Ressourcen nicht ge- deckt, die zur Verfügung standen. Diese Tatsache, dass das Planwerk vollständig umgesetzt werden könne, erzeugte öffentlichen Unmut. Nichtsdestoweniger war das Planwerk darauf angelegt, soviele Projektvorschläge wie möglich zu integrie- ren für den Fall, dass der Stadt mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen wür- den, als zu diesem Zeitpunkt erwartet wurde. (Olshansky et al. 2008: 277; vgl. Warner 15.10.2007)

Nach einem fünfmonatigen Prozess wurde der Plan offiziell am 22. Januar 2007 an den Bürgermeister übergeben und am 30. Januar 2007 wurde es der städtischen Planungsbehörde zur Prüfung vorgelegt. Allerdings gab es zwischen dem Bürger- meister und dem Stadtrat Unstimmigkeiten, so dass die Entscheidung, ob der Plan genehmigt werden würde, letztlich vier Monate offen war. Nach Bingler ging es dabei „um Politik“ und die LRA in Baton Rouge wartete weiter. (Bingler 28.02.2012) Denn die Behörde des Bundesstaates (LRA) war davon ausgegangen, dass das Planwerk bereits im Frühjahr 2007 vom US-Kongress genehmigt werden könnte. Da aber der Verfahrensweg eingehalten werden musste, musste das Plan- werk zunächst von der City Planning Commission geprüft und überarbeitet sowie vom Bürgermeister und dem City Council der Stadt New Orleans genehmigt wer- den, bevor es der LRA und dem US-Kongress übergeben werden konnte (Ols- hansky et al. 2008: 277; vgl. Bingler 28.02.2012) und somit konnte die LRA ihren Zeitplan nicht einhalten.

255 Shea wies darauf hin, dass selbst bei diesen Foren einige Menschen noch psychologisch betreut werden mussten, da der psychische Schock, den die Folgen von Katrina auslöste, noch zu groß war (Shea 02.03.2012).

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Am 22. Mai 2007 stimmte der Stadtrat – nach dem Bürgermeister und der städtischen Planungsbehörde – dem Planwerk UNOP zu. Allerdings bestritten einige Stadtverordnete die Notwendigkeit von UNOP noch immer und waren der Meinung, dass die Lambert-Pläne „nützlicher“ seien, insbesondere die der Stadtviertel Broadmoore und Lower Ninth Ward. Das waren auch die Stadtviertel, die besondere universitäre Unterstützung bei der Entwicklung ihrer Nachbarschaftspläne erhielten. Am 21. Juni 2007 wurde dann das Planwerk UNOP offiziell von der Stadt beschlossen. (Olshansky et al. 2008: 277) Ein paar Tage später, am 25. Juni 2007, genehmigte die LRA offiziell sowohl den Unified New Orleans Plan als Basis für den Orleans Parish recovery plan und den New Orleans Strategic Recovery and Redevelopment Plan als offiziellen Wiederaufbauplan für das Parish von New Orleans. Somit konnte die LRA nun Fördermittel für den Wiederaufbau auch der Stadt New Orleans zukommen lassen, inklusive einer anfänglichen Summe von 117 Millionen US-Dollar sogenannter Community Development Block Grant (CDBG). Darüber hinaus hatten Stadt und Bundesstaat mit UNOP eine offiziell genehmigte Strategie zum Wiederaufbau, die auf einem Prozess mit hoher Bürgerbeteiligung basiert. (Olshansky et al. 2008: 277) Durch den Prozess zur Entwicklung von UNOP wisse die Einwohnerschaft von New Orleans nun, was Planung ist (Johnson 27.02.2012).

So war nicht nur die Entwicklung des Planwerks als großer Partizipationsprozess angelegt, der als beispiellos in den USA gefeiert wurde (neben dem von Ground Zero nach dem 11. September 2001). Im Planwerk selbst wurde eine Strategie zur Umsetzung (Implementation Plan) entwickelt, in der Grundsätze zur Beteiligung und Mitwirkung für drei definierte Akteursgruppen formuliert wurden: erstens für die Bewohnerschaft von New Orleans, zweitens für bundesstaatliche und staatliche Akteure und drittens für den Non-Profit- und privaten Sektor (City of New Orleans 2007: 148–151). Für die Beteiligung des Non-Profit- und privaten Sektors sollten „alle erforderlichen Informationen für Individuen, Geschäftsleute und Investoren bereit gestellt werden, um den Wiederaufbau der Stadt zu ermöglichen“ (City of New Orleans 2007: 151). Im Planwerk wird davon ausgegangen, dass „viele Politiken, Programme und Projekte, die im stadtweiten Plan aufgeführt sind, eine Unterstützung und eine Beteiligung von nicht staatlichen Akteuren erfordern werden“ (City of New Orleans 2007: 151). Zudem wurden Schlüsselsektoren im

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Planwerk aufgeführt, für die Investitionen aus dem Non-Profit- und privaten Sektor gebraucht werden (Housing, Economic Development, Citizen Participation, Healthcare, Education, Recreation and Library Cultural Recources und Historic Preservation/Urban Design) (City of New Orleans 2007: 151). Zunächst sind diese Ausführungen im Planwerk allgemein und scheinen trivial. Allerdings scheint das Planwerk betonen zu wollen, dass ein Wiederaufbau und eine Neuentwicklung der Stadt New Orleans ausschließlich mit einer Vielzahl von Akteuren aus den Sphären Staat, Markt und Zivilgesellschaft möglich ist. Darüber hinaus zeigt dieses Bekenntnis an sich bereits eine gewisse Reformfähigkeit einer Stadt(gesellschaft), der es bis zu diesem Zeitpunkt nicht gelungen war, eine gesamtstädtische Entwicklungsstrategie, respektive einen Masterplan, festzuschreiben und zu verabschieden, der von einer Vielzahl von institutionellen und bewohnerschaftlichen Akteuren gesamtstädtisch entwickelt wurde und somit auch getragen wird.

3.7 New Urbanism und UNOP

Im Planungsprozess von UNOP war eine Architekten- und Planerschaft beteiligt, die sich an Prinzipien des New Urbanism beim Planen und Entwerfen orientieren und die mit dem sogenannten New Urbanism movement verbunden sind (Council for New Urbanism, CNU) (Rybczynski 24.08.2006). Im Rahmen von UNOP wur- den für die Erarbeitung der Nachbarschaftspläne von vierzig Bewerbungen fünf- zehn Büros ausgewählt, die beispielsweise eine starke fachpolitische Ausrichtung des New Urbanism vertraten, die Erfahrungen mit Planungsprozessen in gemischt genutzten Nachbarschaften haben und die Vorschläge zur Revitalisierung für Nachbarschaften machen können, die vom Hurrikan stark geschädigt wurden. Zu den Büros, die sich am New Urbanism orientieren, gehörten Duany Plater-Zyberk, HDR und HOK, Goody Clancy und H3 Studio.256 (Congress for the New Urbanism 26.07.2006)

256 Das Büro Duany Plater-Zyberk gehört zwei Mitbegründern des CNU: Elizabeth Plater-Zyberk als Dekanin der Architecture School der University of Miami und Andres Duany, der in die Wiederauf- bauplanungen von Florida City nach Hurrikan Andrew involviert war und insofern Planungserfahrun- gen hatte, um den Wiederaufbau der Golfküste nach Hurrikan Katrina zu unterstützen. Beispielsweise

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New Urbanists waren nach Hurrikan Katrina und Rita zunächst im Bundesstaat Mississippi aktiv, bevor sie auch in Louisiana und New Orleans am Planungspro- zess zum Wiederaufbau mitwirkten: Auf Initiative des Gouverneurs von Mississip- pi, Haley Barbour, hat Andres Duany und eine Gruppe von etwa zweihundert Ar- chitekten und Planern im Rahmen eines Forums architektonische Entwürfe für die Küstengemeinden im Bundesstaat Mississippi entwickelt. Ein ähnlicher Planungs- workshop, der zunächst einen Ideenfindungsprozess darstellte, wurde im April 2006 im Stadtteil Gentilly in New Orleans veranstaltet. Ursprünglich wurde die Arbeit von New Urbanists in New Orleans lokalpolitisch eher skeptisch bewertet, bis sie im benachbarten St. Bernard Parish Möglichkeiten aufgezeigt haben, wie einstige Katastrophengebiete neu entwickelt werden könnten. Daraufhin lud New Orleans’ Stadtratsmitglied Cynthia Hedge-Morell New Urbanists nach New Or- leans ein, um Planungen für den Stadtteil Gentilly zu entwickeln. (Pogrebin 24.05.2006). Laut CNU fand auf Initiative der Bewohnerschaft von Gentilly und Stadtratsmitglied Hedge-Morrell im April 2006 mit mehr als vierzig Planern des CNU eine Charrette für Gentilly statt, an der alle unentgeltlich teilgenommen ha- ben (Congress for the New Urbanism 26.07.2006).

Andres Duany, einer der Mitbegründer des CNU, ist einer der gefeierten „Visionä- re“257 in New Orleans nach Hurrikan Katrina, die unterschiedliche utopische Pläne

arbeiteten im sogenannten Mississippi Renewal Forum des CNU mehr als 140 überlokale und lokale Planer an Planungen für elf große Städte an der Golfküste des US-Bundesstaates Mississippi. Die Zusammenarbeit der Büros HDR und HOK wurde von James Moore, als stellvertretenden Geschäfts- führer von HDR, und Steve Schukraft, als ehemaliger Planer von HOK und Leiter des HDR-Büros in Tampa, geleitet. Moore und Schukraft haben am Mississippi Renewal Forum Charrette im Oktober 2005 teilgenommen und den Erarbeitungsprozess der Wiederaufbauplanungen für zwei Städte gelei- tet. Goody Clancy ist ein Architektur- und Planungsbüro aus Boston, das sieben sogenannte CNU Charter Awards für Arbeiten gewonnen hat, die die Prinzipien der Charter des New Urbanism bei- spielhaft veranschaulichen wie zum Beispiel den Boston Smart Growth Corridor Plan oder zwei Wohnungsbauprojekte des Bundesprogramms Hope VI. Das Büro H3 Studio aus St. Louis gewann den CNU Charter Award 2002 für den Confluence Master Plan: Ein Plan für einen städtischen Korri- dor, der für den baulichen Erhalt und bauliches Erbe sowie für Erholung steht. (Congress for the New Urbanism 26.07.2006) 257 Neben Andres Duany hatten auch andere Personen Pläne für den Wiederaufbau in New Orleans: Harry Connick Jr. und Habitat for Humanity, Brad Pitt und Global Green, Thom Mayne für das Hyatt Hotel und lokaler Immobilenentwickler Pres Kabacoff und seine Vision für die Innenstadt von New Orleans.

498 für den Wiederaufbau der Region haben. Angetrieben durch Stiftungsgelder von Wohltätern und Institutionen, einschließlich des ehemaligen CEO des Unterneh- mens Netscape Jim Barksdale, der Knight Foundation, der Rockefeller Foundation und der Louisiana Recovery Authority, haben Duany und sein Team Vorschläge zum Wiederaufbau in großen und kleinen Städten der Region entwickelt. Im No- vember 2006 wurde Duany in Rahmen des Planungsprozesses zum Unified New Orleans Plan eingeladen, die Leitung der Planungen von drei Stadtteilen zu über- nehmen: Gentilly, Central Business District und das French Quarter. Duany veran- staltete ein viertägiges öffentliches Forum – eine Charrette – mit Denkmalschüt- zern, Einzelhändlern, Entwicklern sowie der Bewohnerschaft und entwickelte Nachbarschaftspläne für diese Stadtteile (MacCash 10.12.2006).

Am 11. November 2006 präsentierte Duany dann die Ergebnisse und stellte Pla- nungsideen für ein „besseres“ French Quarter vor. Für Duany ist das French Quar- ter eine immer wiederkehrende Inspiration seit Dekaden. Denn jenseits des Baual- ters der Gebäude sieht Duany die kompakte, fußläufige und diverse Nachbarschaft als ein Modell für eine energetisch sichere Zukunft. Es sollten sich alle Städte nach New Orleans richten. Denn die meisten Städte [in den USA, Anm. d. Verf.] würden Aufmerksamkeit auf sich ziehen können, wenn sie in einigen Blöcken Eigenschaf- ten vom French Quarter aufweisen könnten. Allerdings überwältigt der Tourismus das French Quarter, so dass das Viertel eher eine „unangenehme“ Wohnumgebung darstellt. Dennoch könne das Wohnumfeld durch die Umsetzung moderater Vor- schläge beträchtlich verbessert werden: Am Ufer des Mississippi sieht das Pla- nungsteam fünfgeschossige Gebäude vor, da der Grund und Boden für die bisheri- gen eingeschossigen Gebäude und Parkflächen zu wertvoll ist. Parkplatzflächen sind in die Entwürfe integriert: Die Rampart Street soll wie in Paris in einen Bou- levard umgebaut werden, der den Besuchern des French Quarters Parkplatzflächen in Parkhäusern anbietet. Das größte Problem im French Quarter ist der Mangel an Bewohnerparkplätzen am Straßenrand, so dass für Duany am wichtigsten war, eine Lösung für Parkplatzflächen zu finden. Seine Pläne werden letztlich von freiem Parken von Bewohnern auf der Straße bestimmt. Duany möchte Menschen nicht vorschreiben, nicht das Auto zu nutzen. Duany möchte sie eher zum ‚zu Fuß ge- hen’ einladen: „I want to invite them to walk.“ (Duany zit. in MacCash 10.12.2006) Duany plädiert des Weiteren dafür, den Sozialwohnungsbaukomplex

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Iberville aus städtebaulichen Gründen zu erhalten. Dieser Vorschlag stieß bei den Bewohnern des French Quarter auf Widerstand, da von dem Komplex Kriminalität ausgehen würde. Zudem sollten derzeitige Vorschriften des French Quarter überar- beitet werden, die die Müllabfuhr, Lärm, Abfall, den Gebäudeabriss, Parkplatzflä- chen usw. betreffen (MacCash 10.12.2006).

Ebenfalls im November 2006 gab die New Orleans Building Corporation (NOBC) Pläne zur Entwicklung des Mississippi Flussufers öffentlich bekannt. Das planeri- sche Großprojekt, das Reinventing the Crescent genannt wird, dehnt sich vom French Quarter über das Viertel Bywater aus und integriert architektonische Ent- würfe von Frank Gehry, Zaha Hadid and Daniel Libeskind. Duany bewertet derar- tig auffallende und kostenintensive Projekte wie Reinventing the Crescent als „Kö- nigsweglösungen“. New Orleans habe bereits derartige Großprojekte zur Stadtent- wicklung nutzen wollen: Das Aquarium, das Convention Center und die Großver- anstaltung einer Weltausstellung wären „Königswege“ gewesen, um eine Stadt mit vielen Problemen zu revitalisieren. Dieser öffentlichkeitswirksame Weg würde real das Lösen von städtischen Problemen ersetzen. Die Architekten, die in diesen Fäl- len beauftragt werden, seien per se zu teuer für eine Stadt, die in einer Krise steckt, obwohl selbstverständlich deren architektronische Ergebnisse „gut“ seien und Tou- rismus anziehen würden. Aber diese Strategie würde die Probleme der Stadt nicht lösen (MacCash 10.12.2006). So würden Städte prinzipiell erst einmal eine funkti- onierende Grundstruktur in Bezug auf sichere Straßen, gute Schulen, ein funktio- nierendes Abwassersystem, Fußläufigkeit und Mobilität benötigen, bevor ein Großprojekt wie beispielsweise Reinventing the Crescent oder ein New Orleans Jazz Park, wie vorgeschlagen, entwickelt werde. Duanys städtebaulicher Stil unter- scheide sich zwar von dem der Großprojekte Reinventing the Crescent oder New Orleans Jazz Park. Aufgrund des schillernden und stark geometrischen Modernis- mus habe Duany dennoch nichts gegen diese Projekte. (MacCash 10.12.2006)

Trotz Duanys Vorbehalte gegen Großprojekte entwarf er eine Alternative für das Viertel Marigny, das einen planerischen Teilbereich des Projekts Reinventing the Crecent darstellte. Um den nutzbaren Raum zu maximieren, schlug Duany unterir- dische Parkplatzflächen vor, die an die Uferzone von Marigny angebunden sind. Die St. Peters Street und die Bahnanlagen am Ufer sollten untertunnelt und land-

500 schaftsplanerisch zu einem „Garagenbankett“ gestaltet werden. Oberirdisch sollten dreigeschossige Wohnhäuser und Einkaufsflächen entstehen. Diese Gebäude soll- ten eine städtebauliche Dichte erzeugen, in leuchtenden Farben und im kreolischen Stil erscheinen und sich auf bestehenden Hafenanlagen zu einer Promenade hin öffnen. Die Bewohnerschaft und Besucher würden somit einen einmaligen Blick auf den Fluss genießen können. (MacCash 10.12.2006)

Duany fungierte im UNOP-Prozess als Berater und Planer. Die Vorschläge wurden im Rahmen der Nachbarschaftsplanungen des UNOP-Prozesses öffentlich präsen- tiert und diskutiert, bevor die Planungen vor dem Hintergrund der Zustimmung zum gesamten UNOP-Planwerk genehmigt wurden. (MacCash 10.12.2006) Über die Umsetzung seiner Planungsvorschläge entscheidet die letztendlich die Stadt New Orleans so wie auch über die anderen Planungsideen der New Urban-ists.

D III.4 Prozessergebnis Planwerk Unified New Orleans Plan

Nach der Betrachtung des stadtpolitischen Kontextes, der gesamtstädtischen Ziele und des Erarbeitungsprozesses des Planwerks UNOP (3.1 – 3.3) wird auch hier zusammengefasst, welche Leitidee, Ansatz oder Logik sich von welchem Akteur oder welcher Akteurskonstellation aus welchen Gründen lokal durchsetzte oder nicht durchsetzte.

Als Auslöser für diesen dritten Wiederaufbauplan UNOP gilt die Initiative der Louisiana Recovery Authority (LRA) und ihr Drängen auf einen gesamtstädtischen Wiederaufbauplan, da ausschließlich mit einem gesamtstädtischen Planwerk über- lokale Fördermittel des Bundes freigegeben werden könnten. Im UNOP, der Teil- elemente vom BNOB und von NONRP enthält (Collins 2011: 167–168), ist keine „greifbare“ Vision oder Strategie in Bezug auf die zukünftige Stadtentwicklung von New Orleans erkennbar. UNOP gilt als Planungsdokument, das einen „Blu- menstrauß an Projekten“ zur Umsetzung anbietet. Eine thematische stadtentwick- lungspolitische Priorisierung blieb aus. Viele Projekte wurden von den Akteuren, die in den Planungsprozess involviert waren, „aus der Schublade gezogen“. Dar- über hinaus ist UNOP in Bezug auf den inhaltlichen Ansatz einer Flächennutzung

501 nicht neu; eine große Überholung in Bezug auf die Flächennutzung in New Orleans hat nicht stattgefunden (Colten et al. 2008: 14). Das Planwerk folgt weiterhin dem ökonomischen Imperativ in der Stadtentwicklung, der ein Siedeln im gesamten Stadtgebiet erlaubt. Dennoch bietet das Planwerk eine moderate Förderung an, um die Einwohnerschaft in „sichere“ Gebiete der Stadt zu „locken“. Dieser Versuch einer Konzentration von Wohnen (clustering) in höher gelegene Gebiete, konnte sich allerdings real nie durchsetzen. Denn Bewohner befürchteten, dass schwer getroffenen Stadtvierteln die finanziellen Ressourcen zum Wiederaufbau aberkannt werden könnten. Das Planwerk bietet darüber hinaus eine beachtliche Unterstüt- zung, um Wohnhäuser überschwemmungssicher zu machen. (Colten et al. 2008: 14) (Leitidee, Ansatz oder Logik gesamtstädtischer strategischer Ziele) Abgesehen von diesem substanziell-materiellen Planwerksansatz zur Flächennutzung wurde der strukturell-prozessuale Ansatz des Planwerkes von überlokalen Akteuren be- stimmt. Das Kriterium einer gesamtstädtischen Ausrichtung legten überlokale poli- tisch-administrative Akteure und letztendlich die Louisiana Recovery Authority LRA fest. Die Rockefeller Foundation setzte unter anderem einen breit angelegten Partizipationsansatz durch. Diese Stiftung nahm somit als philanthropischer Akteur fachlich-ideell und finanziell Einfluss auf den Planungsprozess. (überlokale Mit- wirkung von Bundesstaat und externer Stiftung)

Der strukturell-prozessuale Ansatz des Planwerks UNOP trug entscheidend dazu bei, dass das Planwerk UNOP öffentlich angenommen und offiziell genehmigt wurde. Das Planwerk setzte sich somit insgesamt durch, wegen oder trotz eines beharrlich verfolgten ökonomischen Imperativs, der inhaltlich-materiell im Plan- werk deutlich wird. Für die Durchsetzung des strukturell-prozessualen Ansatzes ist ebenfalls eine Kombination von Faktoren verantwortlich, die oben bereits angedeu- tet sind: Dieser dritte Planungsprozess zum Wiederaufbau kam auf Initiative des Bundesstaates zustande, der wiederum darauf hingewiesen hatte, dass die Entwick- lung eines gesamtstädtischen Wiederaufbauplanes aufgrund von überlokalen Richt- linien nötig wäre, um Fördergelder vom Bund erhalten zu können. Die Aussicht auf überlokale Ressourcen des Bundes und damit implizit auch ein proklamierter Wie- deraufbau durch die Bundesregierung waren in diesem Sinne die Treiber. Darüber hinaus entstand diese Art von Planungsprozess, da die Rockefeller-Stiftung darauf gedrängt hatte, dass nur ein breit angelegter Beteiligungsprozess zu einem „akzep-

502 tablen“ Ergebnis führt und Vertrauen bei den Bürgern von New Orleans schafft. Eine Einbindung der Interessen der Bewohnerschaft ist offenbar in „modernen“ Planungsprozessen nicht mehr zu ignorieren. Der strukturell-prozessuale Ansatz des Planwerkes, erstens einen „aufwendigen“ Partizipationsansatz zu gestalten und zweitens die Interessen aller Nachbarschaften zu berücksichtigen, hat sich dem- nach durchgesetzt. (Faktoren, die eine Weiterentwicklung des Planwerks im Nach- gang der Katastrophe gefördert haben)

Abbildung 62: Planwerk Wiederaufbau Unified New Orleans Plan (UNOP) (substanziell nicht reformfähig, prozessual reformfähig) (eigene Darstellung).

503

Dieses Planwerk folgt einer gewissen politischen Rationalität, um breite Unterstüt- zung der Einwohnerschaft von New Orleans zu erhalten: Somit ist sachlich jegliche Nutzung überall im Stadtgebiet von New Orleans gestattet; dem Ansatz „alles ist überall möglich“ wird gefolgt. Das Ergebnis zeigt ein „additives“ Dokument zum Wiederaufbau, damit keinem potentiellen Projektträger formal Fördergelder ver- wehrt werden können. Prozessual wird der Ansatz verfolgt, „Der Weg ist das Ziel“. Denn ein breit angelegter Beteiligungsprozess – so die Annahme auf lokaler Ebene – führe zu lokaler „Identifikation“ und Vertrauen. (Art der Rationalität)

D III.5 Zwischenfazit UNOP: Lokale Reformfähigkeit durch richtungs- weisende überlokale Mitwirkung

In diesem Zwischenfazit wird die Reichweite einer lokalen Reformfähigkeit des strukturell-prozessualen und des substanziell-materiellen Ansatzes reflektiert. An- schließend werden die Bedingungen, die eine derartige lokale Reformfähigkeit forcieren oder blockieren, zusammengefasst.

Auch in der Erarbeitung dieses Planwerks zeigt sich lokale Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung nach Hurrikan Katrina. Der strukturell- prozessuale Ansatz dieses Planwerks wurde lokal erstmalig angewendet: So stellt der Partizipationsprozess im Rahmen der Erarbeitung des Planwerks UNOP ein bottom-up-Prozedere dar, das in der Planungsgeschichte der USA so noch nie zu- vor praktiziert wurde und das auch die Einwohner von New Orleans einbezog, die New Orleans aufgrund der Katastrophe vermeintlich temporär verlassen mussten (vgl. C II 1). Selbst der Partizipationsprozess, der im Rahmen der Neuentwicklung des Word Trade Center-Areals in New York City nach 2001 stattfand, wurde durch den Prozess in New Orleans übertroffen. Der substanziell-materielle Ansatz von UNOP kann als wirtschaftsliberal bezeichnet werden und ist in erster Linie ge- kennzeichnet durch einen „Blumenstrauß von Projekten“ (laundry list Powell 2007). Eine derartige Ausrichtung spiegelt keine substanziell-materielle Reformfä- higkeit wider. In der Systematik der Reichweite von Reformen (nach Hall 1993) kann dieses Planwerk als Reform 2. Ordnung bezeichnet werden, in der ein neues

504

Instrument für ein bisheriges Ziel eingesetzt wird. (Reichweite einer strukturell- prozessualen oder inhaltlich-materiellen Reformfähigkeit)

Vor dem Hintergrund des Planungsprozesses, dessen Ergebnis und stadtentwick- lungspolitischen Kontextes ist für den Fall des Planwerk UNOP in Bezug auf eine lokale strukturell-prozessuale Reformfähigkeit die Mitwirkung neuer überlokaler Akteure von außerordentlicher Bedeutung. Eine Akteurskonstellation hat sich ge- bildet, die richtungsweisend für den weiteren Prozessverlauf war. Zwei überlokale Körperschaften (Louisiana Recovery Authority und die Rockefeller Foundation) forcierten, dass die lokale politisch-administrative Ebene, die Einwohnerschaft und zivilgesellschaftliche Organisationen lokal zusammenarbeiteten, um einen weiteren stadtweiten Plan zu entwickeln. (Burns, Thomas 2015: Pos. 856) Die Stiftung arti- kulierte philanthropische Paradigmen und folgte grundsätzlich stiftungsinternen Interessen. Entscheidungsbefugnisse (Louisiana Recovery Autority und die US- Bundesebene) sowie fachlich-ideelle und finanzielle Ressourcen (Rockefeller Foundation) dieser überlokalen Mitwirkung waren vor diesem Hintergrund ent- scheidend. Darüber hinaus wurde die professionelle Planerschaft in diesem Prozess neu besetzt, die die Forderung der Rockefeller Foundation, einen umfassenden Partizipationsprozess zu gestalten, professionell umsetzte. Diese Bedächtigkeit von Fachexperten und der Beteiligungsprozess, der daraus resultierte, forcierten diese strukturell-prozessuale Reformfähigkeit. (Der umfassende Beteiligungsprozess ist gleichzeitig ihr Indikator.) Als weitere Bedingungen dieser Art von Reformfähig- keit zeigen sich im Rahmen von UNOP zwei stadtpolitische Charakteristika, die beharrlich über Hurrikan Katrina hinaus wirksam waren und somit auch Einfluss auf den UNOP-Prozess hatten: Die formale Förderpolitik und -struktur des Bundes erforderte diese Art des Planwerkes und gilt somit auch als Treiber dieser Art Re- formfähigkeit in New Orleans. Zudem prägte noch immer kollektives politisches Misstrauen überlokaler Akteure gegenüber der Stadt New Orleans den gesamten Planungsprozess zum Wiederaufbau. Dieses Misstrauen, das tief verwurzelt scheint, treibt aber nun Akteure auf lokaler Ebene an, einen „korrekten“ Planungs- prozess zu gestalten und ein Planwerk zum Wiederaufbau vorzulegen, um damit Vertrauen zu schaffen. Eine gewisse lokalstaatliche Skepsis gegenüber dem Bund und eine gewisse Spannung zwischen Bundesstaat und New Orleans bleiben davon unberührt. Insgesamt forcieren demnach eine strukturell-prozessuale Reformfähig-

505 keit im Rahmen dieses Prozesses, das Zusammenwirken von überlokalen und loka- len Akteuren, deren Ressourcen und die Mitarbeit von Fachexperten, die grundle- gend von einer formalen überlokalen Förderpolitik und dem Willen zum Ausmer- zen von überlokalem Misstrauen angetrieben sind. (Bedingungen, die lokale Re- formfähigkeit forcieren oder blockieren)

D IV Planwerk zum Wiederaufbau operationalisiert: Prioritätensetzung durch Recovery Management Plan und Target Zones

Der Beginn der Umsetzung der vorangegangenen Planungsbemühungen (Planwer- ke zum Wiederaufbau BNOB, NONRP und UNOP) repräsentiert seit Dezember 2006 eine neu geschaffene lokale Institution zur Koordination des Wiederaufbaus: das Office for Recovery Management (ORM). Im November 2007 wurde das ORM dann offiziell reorganisiert und umbenannt in Office of Recovery and Development Administration ORDA und Anfang September 2009 von Bürgermeister Nagin wie- der aufgelöst. Über die Koordination von konkreten Wiederaufbaumaßnahmen und -projekten hinaus war das lokale Amt für Wiederaufbau dafür verantwortlich, län- gerfristige Wiederaufbaustrategien zu entwickeln, Fördermittel zu akquirieren und mit bundesstaatlichen und staatlichen Behörden zusammenzuarbeiten (Olshansky et al. 2008: 277).

Im November 2007 wurde das Office of Recovery and Development Administration (ORDA) neu eingerichtet, um Bemühungen des Wiederaufbaus besser zu koordi- nieren, die bis zu diesem Zeitpunkt als „unzusammenhängend“ bezeichnet wurden. Somit wurden das Office of Recovery Management (ORM) und einige andere Äm- ter, die den Wiederaufbau steuern sollten, unter einem organisatorischen Dach formell zusammengelegt. Zu den Ämtern gehörten Economic Development, Hous- ing, Job and Workforce Development, Safety and Permits, Code Enforcement, His- toric District Landmarks Commission, Vieux Carre Commission, Business Reten- tion und Arts & Tourism. Die neue Behörde, Office of Recovery and Development Administration (ORDA), war dafür verantwortlich, Programme zu entwickeln und

506 umzusetzen, die den baulich räumlichen Verfall verringern sollten und die politi- sche Strategien zur wirtschaftlichen Entwicklung beinhalten. ORDA sollte sieb- zehn Förderzonen (Target Areas) überwachen, die die Zusammenarbeit mit der New Orleans Redevelopment Authority (NORA) fördern und die den leerstehenden Gebäuden und brach liegenden Grundstücken wieder eine Nutzung zufügen. (Egg- ler 01.09.2009)

Ab Januar 2007 wurde das ORM und später das ORDA von Ed Blakely geleitet. Ed Blakely war bis Ende Juni 2009 offiziell im Amt. Bürgermeister Nagin setzte sich persönlich dafür ein, dass Blakely die Leitung des Büros für Wiederaufbau in New Orleans übernimmt (Hammer 02.11.2009). Er ließ den damals siebzigjährigen Stadtplaner Ed Blakely einberufen, da er sich international hohes Ansehen als Pla- ner und in der APA verschafft hatte aufgrund seiner Mitwirkung beim Wiederauf- bau von Oakland nach dem Erdbeben 1989 (Schulte 11.06.2008; vgl. Burns, Thomas 2015: Pos. 844) und seiner langjährigen akademischen Karriere in Planung und ökonomischer Entwicklung (vgl. Hammer, 02.11.2009). Zudem leitete er das Urban Planning Center an der University of Sydney in Australien (Krupa 17.01.2012). Blakely symbolisiert geradezu für den Fall New Orleans überlokale Mitwirkung in Bezug auf die Bemühungen zum Wiederaufbau. Er stellt auf eine Weise einen weiteren Schlüsselakteur in den Erarbeitungsprozessen der Planwerke zum Wiederaufbau von New Orleans nach Hurrikan Katrina dar.258 Mit seiner Per- son verband sich eine Art lokale kollektive Hoffnung, einen bis dahin „zähen“ Wiederaufbau der Stadt beschleunigen zu können.

Städtische Entwicklungen wie die der Einwohnerzahl, des Einkommens oder einer Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs können ohne eine gewollte und organisierte Steuerung durch die Lokalregierung nicht direkt beeinflusst werden. Die Lokalre- gierung kann durch politische Strategien und Programme das öffentliche Schulsys- tem, eine individuelle finanzielle Unterstützung, die städtische Sicherheit oder Wohnungspolitik beeinflussen und dadurch die Lebensqualität in einer Stadt erhö-

258 Zu den Schlüsselakteuren zählen Bürgermeister Nagin, der Stadtrat, die Lousisiana Recovery Authority und die Bundesebene, Gouverneurin Blanco des Bundesstaates Louisiana, das Urban Land Institute (ULI), Immobilenentwickler Joseph Canizaro, die Greater New Orleans Foundation (GNOF) und die Rockefeller Foundation.

507 hen (aber möglicherweise auch zu größeren individuellen und städtischen Proble- men führen). Einige Strategien, die die Einwohnerzahl, Einkommen und die Nut- zung des öffentlichen Nahverkehrs steigern könnten, wurden in New Orleans nach Hurrikan Katrina in Angriff genommen. So hatte das lokale Amt für Wiederaufbau (ORM und später ORDA) vor, bestimmte Infrastrukturen in Förderzonen, die das Amt festgesetzt hatte, instand zu setzen. (Trinh o. J.) Der Recovery Management Plan, der ebenfalls als ein Strategieplan bezeichnet werden kann, wurde von die- sem lokalen Amt für Wiederaufbau erarbeitet.

Nachdem nachfolgend in die Ausgangssituation, den stadtpolitischen Kontext und Auslöser des Planwerks eingeführt wurde, werden Ziele und das Konzept des Recovery Management Plan dargestellt und anschließend Herausforderungen bei dessen Umsetzung und Ergebnisse aufgezeigt. Anschließend wird auf die Rolle von Schlüsselakteuren und -institutionen eingegangen, um resümierend Bedingun- gen, die Reformfähigkeit forcieren oder blockieren in Bezug auf den Recovery Management Plan in Verbindung mit dem Zusammenspiel von Schlüsselakteuren zusammenzufassen.

D IV.1 Ausgangssituation, stadtpolitischer Kontext und Auslöser für das Planwerk im Überblick

Die fachliche, formale und akteursbezogene Ausgangssituation gestaltete sich für die Entwicklung des Recovery Management Plan259 wie folgt: Im Jahr 2007, zwei Jahre nach Hurrikan Katrina, waren Anzeichen von Aufschwung, städtischer Bele- bung und Erholung zu erkennen. (Holmes, Liu 28.08.2007) Zu dieser Einschätzung trug die Einwohnerzahl bei, die sich positiv entwickelt hatte. Denn die Zahl war im September 2007 wieder auf 69 Prozent der Einwohnerzahl von vor Hurrikan Katri- na angestiegen (Trinh o. J.).260 Allerdings wurde ein eher langsamer Fortschritt in

259 Seit Dezember 2006 ist das Büro für Wiederaufbau (ORM) eingerichtet und am 29. März 2007 wurde der Recovery Management Plan veröffentlicht. 260 Nach Greg Rigamer (2008), lokaler Demographieexperte, wird die Einwohnerzahl bei 360.000 ihren Höchstpunkt erreichen. Menschen, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht in die Stadt zurück- gekehrt sind, werden es nach Rigamer wohl auch nicht mehr tun: „The sense of urgency is past. After 2½ years, you start to think of things of a practical nature, getting your kids in school, sound infra-

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Bezug auf eine Verbesserung der Qualität der öffentlichen Schulen, der öffentli- chen Sicherheit und des Zugangs zu Kinderbetreuung und Gesundheitsversorgung verzeichnet. Im Mai 2007 hatten weniger als die Hälfte der Schulen in New Or- leans wieder geöffnet. Auch die Wohnraumsituation in New Orleans verbesserte sich nur bedingt. Die Sanierung von Wohnhäusern verlangsamte sich, da viele Fa- milien auf die Auszahlung des bundesstaatlichen Programms zum Wiederaufbau von Wohnraum warteten, die sogenannten Road Home Grants. Mehr als 180.000 Familien hatten diese individuelle Wiederaufbauhilfe beantragt. Aber bis zum Sommer 2007 erhielten nur 22 Prozent dieser Antragsteller diese finanzielle Unter- stützung. Da viele Wohnhäuser noch immer nicht in Stand gesetzt waren, fielen die Grundstückswerte in den Gebieten der Stadt weiter, die am stärksten von den Fol- gen von Hurrikan Katrina betroffenen waren. Zu diesem Zeitpunkt stiegen sogar die Preise in den Vorstädten bereits wieder an. Der Wohnungsmarkt ist angespannt und die Mietpreise steigen. (Holmes, Liu 28.08.2007) (fachlich) Im Dezember 2006 wurde offiziell das Amt für Wiederaufbau (Office of Recovery Management ORM261) von Bürgermeister Nagin etabliert. Das Amt erarbeitete in erster Linie den Recovery Management Plan. Der Planungsprozess des Planwerks UNOP wur- de im Januar 2007 beendet. Offiziell diente UNOP dem Amt für Wiederaufbau ORM als Grundlage für die Erarbeitung eines weiteren Planes, der nun allerings die Funktion haben sollte, die Ziele und Strategien von UNOP zu operationalisie- ren. Zur Erarbeitung des Planwerks kam es, weil die finanzielle Summe, die die Implementierung von UNOP erfordern würde, niemals akquiriert werden könne und somit im Rahmen einer realistischen Fördersumme Schwerpunkte gesetzt wer- den mussten. (formal) Der Recovery Management Plan wurde unter der Leitung eines externen Akteurs (Blakely) entwickelt, der lokal zunächst als sogenannter Recovery Czar bezeichnet wurde (akteursbezogen).

Der Recovery Management Plan wurde in folgendem stadtpolitischen Kontext entwickelt: Die Erarbeitung eines derartigen Planes war finanzpolitisch zu diesem Zeitpunkt in New Orleans keine Selbstverständlichkeit. Der Recovery Management structure, employment.” Insofern wird sich der jack-o'-lantern effect in den Nachbarschaften durch eine erheblich geringere Einwohnerzahl durchzusetzen (Schulte 11.06.2008). 261 Das Stadtrecht gibt dem Bürgermeister das Recht, ein derartiges Büro einzurichten. Es ist ein ausführendes Organ der Stadtregierung, das direkt an den Bürgermeister berichtet ohne legislative oder exekutive Macht. (Rodriguez 23.02.2012)

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Plan konnte letztlich nur entwickelt werden, da Mitarbeiter des Amtes für Wieder- aufbau (ORM) insgesamt durch Stiftungsgelder finanziert werden konnten (durch die Rockefeller Foundation). Die Stelle der Leitung des Amtes wurde mit öffentli- chen Mitteln finanziert (Hammer 02.11.2009; vgl. Gill 09.11.2009) trotz einer wei- terhin prekären finanzpolitischen Lage in New Orleans. Die Stadt war somit auf überlokale finanzielle Ressourcen zwingend angewiesen, um die grundlegende öffentliche Infrastruktur und Dienstleistungen wiederherstellen zu können und aufrecht zu erhalten. (finanzielle lokalpolitische Lage) Im Mai 2006 wurde Bür- germeister Ray Nagin wiedergewählt. Im Bundesstaat Louisiana wurde noch 2007 ein neuer republikanischer Gouverneur gewählt, Bobby Jindal, der die Demokratin Kathleen Blanco ablöste. 2008 standen neue Präsidentschaftswahlen in den USA an. Der Wiederaufbau von New Orleans und Louisiana stand dementsprechend insgesamt unter dem Einfluss von politischen Wahlkampagnen und Wahlverspre- chen. (Holmes, Liu 28.08.2007) (politische Lage). Im April 2007 wird ein langfris- tiger Plan für den Bundesstaat hinsichtlich eines größeren Hurrikanschutzes und einer umfassenden Renaturierung der Golfküste der Legislative von Louisiana und den US-Army Corps of Engineers zur Genehmigung eingereicht (Strate o.J.) (rechtliche Lage). In dieser Zeit hatte sich die lokale Wirtschaft leicht erholt: Der Anteil der Erwerbsbevölkerung stieg auf 78 Prozent in Bezug auf die Zeit vor Hur- rikan Katrina und die Mehrwertsteuereinnahmen lagen nun bei 84 Prozent. Nichts- destoweniger zeigen Indikatoren, dass die wirtschaftliche Aktivität eher in die Vor- städte von New Orleans gewandert ist. Auch wenn es in der Stadt New Orleans mehr Arbeitskräfte gibt, ist ein größerer Anteil arbeitslos als im Vorjahr. In den lokal wichtigen Wirtschaftsbranchen wie Gesundheit, Bildung oder Dienstleistun- gen im Tourismussektor fehlen noch immer entscheidene Arbeitskräfte. (Holmes, Liu 28.08.2007) (ökonomische und kulturelle Lage).

Offiziell wurden im Planwerk UNOP dem ORM die Aufgaben angetragen, Räume im Stadtraum auszuweisen, in denen sich Wohnraum konzentrieren soll, und Vor- schläge für die zukünftige Nutzung von Grund und Boden herauszuarbeiten. (City of New Orleans 2007: 140) Diese Aufgaben können insofern als ein Ausgangs- punkt für die Erarbeitung des RMP interpretiert werden. Der Recovery Manage- ment Plan wurde wie bereits kurz erwähnt zudem erarbeitet, da die Implementie- rung des Planwerk UNOP auf etwa vierzehn Milliarden US-Dollar geschätzt wur-

510 de; eine finanzielle Summe, die für Wiederaufbaumaßnahmen vom Bund und an- deren Ressourcenbereitstellern niemals akquiriert werden könne. Nach Becker erkundigte sich der neue Leiter des ORM, Blakely, vor diesem Hintergrund nach der Summe der Fördermittel, die tatsächlich zur Verfügung stünde. Becker schätzte daraufhin die tatsächlich vorhandene Summe auf etwa eine Milliarde US-Dollar und gab die Situation folgendermaßen wieder: „What are we gonna do? And he [Blakely, Anm. d. Verf.] said: ‚I gonna target this money to some strategic areas so that I can make the biggest impact.’ And that was the right thing to do. You can only do what you have. And they [ORM, Anm. d. Verf.] tried to pick out from all those [UNOP, Anm. d. Verf.] projects... (…) with the biggest impact and calls pri- vate development to occur and then invest these billion in those target areas.“ (Be- cker 23.02.2012) Insofern wurde ein pagmatischer Ansatz gesucht und letztlich verfolgt, um die finanziellen Mittel, die zur Verfügung stünden, so effektiv wie möglich einzusetzen. (Auslöser)

D IV.2 Recovery Management Plan und Target Zones: Gesamtstädtische strategische Ziele mit reformerischem Ansatz?

Der Recovery Management Plan wurde vom Office of Recovery Management erar- beitet und am 29. März 2007 veröffentlicht. Der Plan sah vor, öffentliche Förder- mittel räumlich strategisch zu investieren, mit dem Ziel, private Investitionen anzu- ziehen. Siebzehn Förderzonen (Target Zones) wurden im Stadtgebiet eruiert. Die Förderzonen zeichnen sich durch Knotenpunkte zentraler Verkehrsachsen und Ge- schäftsbereiche von New Orleans aus, die auf Grundlage des Plans erneuert werden sollten. (Trinh o. J.) Die Vitaltität von kommerziellen Korridoren in der Stadt sollte gesteigert werden (Olshansky et al. 2008: 277). Die Förderzonen sind Gebiete im Stadtgebiet, in denen aus Sicht der Stadtverwaltung die vorhandene Verkehrsinfra- struktur erneuert sowie öffentliche Anlagen und infrastrukturelle Einrichtungen wiederhergestellt werden müssen und günstige Darlehen für private Investitionen vergeben werden sollten. Durch diese Maßnahmen sollten sich neue Unternehmen ansiedeln. Ziel war es zudem, dass in die Quartiere, in denen die Förderzonen lie- gen, eine neue Bewohnerschaft ziehe. (Trinh o. J.) So sollte beispielsweise ein neuer biomedizinischer Komplex in der Innenstadt mit einer Größe von rund 620

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Hektar (2.4 square miles) entstehen, der die Stadt New Orleans in ein Global Rese- arch Center verwandelt. Dieser Komplex wurde als Teil einer vielschichtigen Ökonomie propagiert, die sich nicht nur auf die wirtschaftlichen Sektoren Touris- mus, Hotellerie und das Gaststättengewerbe stützen sollte. Insgesamt sollten die Förderzonen nicht nur dem Zweck dienen, Einzelhandel in diesen Gebieten zu etablieren; die Förderzonen sollten als „Wiederbelebungsversuch“ der Stadt ver- standen werden. (Trinh o. J.) 262

Abbildung 63: Recovery Management Plan und siebzehn Target Zones (City of New Orleans, Office of Recovery Management 12.03.2007).

262 Weitere Pläne für die Stadt prägen die Planungen für den Wiederaufbau: Etwa 300 Millionen US- Dollar werden in das Großprojekt „Reinventing the Crescent“ öffentlich investiert, wodurch unge- nutzte Räume entlang der Uferpromenade durch Parks und Promenaden ersetzt werden, die sich über sechs Meilen erstrecken. Der Immobilienentwickler Sean Cummings gilt als Vorkämpfer für dieses Projekts. Laut Cummings habe New Orleans in vielerlei Hinsicht den „Blick für seine Großartigkeit“ und den „Blick für die Notwendigkeit“ verloren, sich selbst neu zu erfinden. (Schulte 11.06.2008) (vgl. Teil C)

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1,1 Milliarden US-Dollar sollten in den Förderzonen investiert werden263, die durch unterschiedliche Finanzierungsquellen zusammengetragen werden mussten. Die Förderzonen wurden als „logische Knotenpunkte mit Wachstumspotential“ be- zeichnet und durch Mitarbeiter des ORM und der städtischen Planungsbehörde eruiert. (Olshansky et al. 2008: 277) Das ORM entwickelte drei Strategien, die in den Förderzonen verfolgt werden sollten: Wiederaufbau, Weiterentwicklung oder Erneuerung (rebuilding, redeveloping, renewing). Die Behörde klassifizierte die Gebiete: Rebuilding target areas sind Gebiete mit starker Zerstörung, die bedeu- tende Ressourcen für den Wiederaufbau benötigen. Redevelop target areas sind Gebiete mit moderater Zerstörung, die moderate Ressourcen benötigen. Renewal target areas sind Gebiete mit minimaler Zerstörung, die wenig Ressourcen in An- spruch nehmen müssen (Almonte 02.10.2007). Der Stadtrat und die LRA geneh- migten den Recovery Management Plan im Juni 2007. (Burns, Thomas 2015: Pos. 844)

Herausforderungen bei der Umsetzung des Recovery Management Plan

Das lokale Amt für Wiederaufbau in New Orleans (ORM und später ORDA) war im Rahmen verschiedener Aufgabenbereiche im Ergebnis unterschiedlich erfolg- reich. Einige Beispiele im Anschluss repräsentieren den Implementationsprozess des Recovery Management Plan, die Arbeitsweise des Amtes an sich sowie die öffentliche Wirkung des Leiters Ed Blakely. Dadurch wird deutlich, inwiefern lo- kale Reformfähigkeit im Planungs- und Umsetzungsprozess eine Rolle spielte.

Im Rahmen der Implementation des Recovery Management Plan kam es in den Target Areas oftmals zu Problemen bei der Umsetzung der Planvorstellungen.264

263 Diese Summe stand in diesem Sinne in keinem Verhältnis zu den etwa vierzehn Milliarden US- Dollar, die die Implementierung des Planwerk UNOP benötigt hätte. 264 In der Förderzone Carrolton Ave/I10 in der Gertown Neighborhood gibt es ein „problematisches“ Grundstück, auf dem sich vor der Katastrophe eine Notfallambulanz und ein Schwimmbad befanden. Nachdem das ORM etabliert war, wurde der Fokus auf städtische Grundstücke innerhalb der Target Areas gerichtet. Denn diese öffentlichen Flächen inklusive Bibliotheken, Parks und Notaufnahmen sollen als Entwicklungsimpulse genutzt werden, um diese etablierten Grundstücke zu fördern. Die Ambulanz und das Schwimmbad sollten für ihren Wiederaufbau finanzielle Mittel aus dem FEMA Public Assistance Funds bekommen. Im Rahmen der Planungsprozesse des New Orleans Neigh-

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Die Aufgabenbereiche „Vermarktung“ und „Finanzierung“ der Förderzonen erwie- sen sich als die größten Herausforderungen bei der Realisierung der Planvorstel- lungen:

Als eine Herausforderung bei der Umsetzung der Planvorstellungen stellte sich die Vermarktung der Target Areas heraus; insbesondere in Teilen der Stadt, die am stärksten vom Hurrikan und der Überflutung betroffen waren. Kleine oder „abge- schnittene“ Flurstücke charakterisieren diese Stadtteile, so dass am Interesse von Immobilienentwicklern bereits anfänglich gezweifelt wurde. Einige größere und unbebaute Grundstücke könnten vermarktet werden. Aber bei den meisten handelte es sich um unbebaute Grundstücke oder um leerstehende Gebäude in nicht vakan- ten Wohn- und Geschäftsgegenden, die sich im großen Maßstab nur entwickeln ließen, wenn angrenzende genutzte Grundstücke angekauft würden. Am Zuschnitt einiger Grundstücke zeigten sich also Vermarktungsherausforderungen. Das ORM versuchte dennoch potentiellen Investoren einen Markt aufzuzeigen, der nach der Katastrophe zurückkehren werde. (Trinh o. J.)

borhood Rebuilding Plan und des Unified New Orleans Plan wurde ein neuer Standort für das Schwimmbad einige Blocks südlich vom Originalstandort vorgeschlagen. Im Recovery Plan vom ORM wurde es allerdings als aussichtslos erachtet, dass die Mittel der FEMA die Kosten für einen Wiederaufbau an einem anderen Standort decken würden. Zudem war der Originalstandort in der Nähe zum Geschäftskorridor der Carrollton Avenue und der Xavier Universität, eine Tatsache, die die Pläne des ORM unterstützte: Geplant wurde ein Korridor mit Mischnutzung, der an das Gertown- Schwimmbad angrenzt. Um das Schwimmbad sollte eine niedrige bis mittlere Dichte von Wohnein- heiten entstehen und eine fußgängerfreundliche Verbindung zur Xavier Universität geschaffen wer- den. Das universitäre Umfeld würde der Belebung des Quartiers nutzen. Gegen diese Planungen und den Wiederaufbau des „Gerton Pools“ wehrten sich Bewohner der Nachbarschaft. Denn sie sahen die Zerstörung der Klinik und des Schwimmbades als eine Möglichkeit, diese öffentlichen Anlagen aus der Nachbarschaft rauszuhalten. Das Planungsteam des ORM las diese Opposition der Bewohner- schaft aus den vorliegenden Planwerken nicht „heraus“. Denn die Target Area und die Gertown Neighborhood wurden in zwei Lambert Plänen und zwei Planungsdistrikten bearbeitet und die Ergeb- nisse waren ähnlich. Bei nachträglichen Recherchen fand das ORM-Team heraus, dass die Xavier University als „Eindringling“ in der Nachbarschaft betrachtet wird. Somit hätte die geplante fussgän- gerfreundliche Verbindung zwischen Xavier und der Nachbarschaft die Situation nur verschlimmert. Letztlich verfolgte ORM den ursprünglichen Plan, die Originalstandorte beizubehalten, um von der günstigen Lage der kommerziellen Einrichtungen der Carrollton Avenue und der Nähe zur Universität zu profitieren. Für die ORM waren diese beiden Faktoren entscheidend für den Wiederaufbau der Nachbarschaft und für eine langfristige „Lebendigkeit“ im Quartier. (Almonte 02.10.2007)

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Abbildung 64: Beispiel des Typs RE-Built in der Lower Ninth Ward (City of New Orleans, Office of Recovery Management 12.03.2007).

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Die zweite große Herausforderung im Rahmen der Umsetzung des Recovery Ma- nagement Plans ist die Finanzierung. Im Dezember 2007 wurde ein Mangel an sicheren Finanzierungsquellen deutlich, um dem Ziel zu folgen und die Vitalität in kommerziellen Korridoren zu steigern. Von den 1,1 Milliarden US-Dollar, die da- für erforderlich waren, standen nur 117 Millionen US-Dollar in Form von Commu- nity Development Block Grants zur Verfügung. Etwa 300 Millionen US-Dollar versprach zusätzlich die Louisiana Recovery Authority (LRA) im Dezember 2007. Laut Olshansky et al. (2008) würden allerdings über die Hälfte der kalkulierten finanziellen Mittel niemals aufzubringen sein (Olshansky et al. 2008: 277). Nach Olshansky hänge der Erfolg des Planes davon ab, wie der Wiederaufbau in diesen Stadtgebieten wahrgenommen wurde. Allerdings sei dieser und andere Pläne in einer „unvorhersehbaren“ stadtentwicklungspolitischen Situation entwickelt wor- den, da beispielsweise die finanziellen Ressourcen zur Umsetzung nicht gesichert waren: „They are making policies and plans in an extremely unpredictable en- vironment. [Success] all depends on how people perceive the recovery.” (Olshan- sky zit. in Schulte 11.06.2008)

Nun hatte das Amt für Wiederaufbau in weniger als drei Monaten nach dessen Einrichtung unter der Leitung Ed Blakelys den Recovery Management Plan mit den ausgewiesenen Target Zones erarbeitet und vorgelegt: Der Plan wurde zu- nächst öffentlich begrüßt, geriet aber schon bald bei der Einwohnerschaft von New Orleans in Vergessenheit, weil der Plan mit den „realen Gegebenheiten“ und den Kosten seiner Umsetzung nicht übereinstimmte, Umsetzungserfolge für die Ein- wohnerschaft nicht sichtbar wurden und sich so öffentlich Enttäuschung einstellte. Denn Blakely hatte relativ zeitnah nach seinem Amtsantritt in New Orleans im Februar 2007 eine Aussage getätigt, die lokal als ein Versprechen interpretiert und wörtlich genommen worden war: Nach seinen Erfolgen im Wiederaufbau in Kali- fornien würden auch in New Orleans im September 2007 „Kräne im Himmel“ zu sehen sein. (Krupa 17.01.2012) Bürgermeister Nagin verhielt sich reserviert in Bezug auf diese Vorhersage vor dem Hintergrund, dass die Stadt in der Vergan- genheit Schwierigkeiten hatte, große Projekte zum Abschluss zu bringen. Ein Jahr später waren noch immer keine „Kräne im Himmel“ zu sehen; die Einwohnerschaft von New Orleans wartete auf sichtbare Fortschritte und die ökonomische Entwick-

516 lung in der Stadt wurde als „zu langsam“ bewertet. (Burns, Thomas 2015: Pos. 844)

So haben sich seit Hurrikan Katrina 2005 einige Projekte in den Förderzonen nach Jahren (2012) noch immer nicht entwickelt, wie beispielsweise der St. Roch Mar- ket.265 In den Förderzonen, in die investiert wurde, war der Bewohnerschaft nicht klar, welche Bedeutung die Bezeichnung „Förderzone“ hatte. Die Freret Street beispielsweise hatte sich im Stadtteil Uptown seit Katrina verändert. Der Straßen- korridor wurde kommerziell wiederbelebt. Nach Greg Enslen, Nachbarschaftsver- treter und Geschäftsführer des Open-Air Freret Market, verdiene eher die Stadt- verordnete Stacy Head und die städtische Planungsbehörde Lob für diese Entwick- lung und nicht das Amt für Wiederaufbau unter der Leitung Ed Blakelys. Nach Enslen half Blakely Nachbarschaftsbewohnern ausschließlich mit einem kleinen Zuschuss, um wieder mit dem Monatsmarkt im Quartier zu beginnen, obgleich die Bewohnerschaft im Dezember 2007 den Bedarf in der Nachbarschaft nach Katrina verschriftlichte (neues Straßenlicht, niedrige Darlehen für kleine Unternehmen, Zuschüsse für Fassadenmodernisierungen). Allerdings sei nichts von dem realisiert worden. (Krupa 17.01.2012) Dennoch zeichneten sich einige wenige Entwicklun- gen innerhalb der verschiedenen Förderzonen ab, die weitere private Investitionen anlocken sollten: Entwickler bauten in der Nähe der ehemaligen Bierbrauerei Fal- staff nördlich von Downtown Wohnanlagen mit Eigentumswohnungen, die mit einer Million US-Dollar öffentlicher Mittel der Stadt gefördert wurden. Ein anderes Grundstück in der Nähe wurde von der Stadt zur Hälfte seines Wertes verkauft, um einen weiteren Entwickler „anzulocken“. In der Hollygrove Neighborhood, die durch die Folgen von Hurrikan Katrina zerstört wurde, fördert die Stadt eine neue Wohnanlage für Senioren mit geringem Einkommen. (Schulte 11.06.2008)

Blakely zufolge habe der Plan nach Hickhack, Dissens, Ärger und Feindseligkeiten zu einem „heilenden Prozess“ geführt und die Förderzonen symbolisierten für alle Stadtteile „Hoffnung“. Das sei für ihn persönlich eine hoch erfreuliche Entwick-

265 St. Roch Market als ein ehemaliger Fischmarkt im Stadtteil Marigny wurde nach Katrina nicht mehr genutzt als Ort in der Nachbarschaft, an dem preiswerte Meeresfrüchte und lokale Po-Boy- Sandwiches verkauft wurden. Vor dem Hintergrund des Resilient Cities-Programms der Stadt wurde der Markt 2012 bis 2015 saniert und wieder in Betrieb genommen als Southern Food Hall mit einem vielfältigen Angebot an Speisen und Getränken.

517 lung gewesen. (Krupa 17.01.2012) Nach Blakely war der Plan, 17 Förderzonen auszuweisen, um Investitionen in New Orleans anzuziehen, demnach „erfolgreich“ und dieser Plan wurde nichtsdestoweniger zu einem „Treiber“ des hart erkämpften Wiederaufbaus nach Hurrikan Katrina. Diese Sichtweise wurde ihm von der Be- wohnerschaft alledings persönlich übelgenommen. Denn die Förderzonen eher als Treiber zu bezeichnen als die Bewohnerschaft wurde in einer Stadt als Affront ver- standen, in der Nachbarschafts- und Quartiersplanung eine lange Tradition hatten und aus Sicht der Bewohnerschaft sie selbst den Wiederaufbau von New Orleans nach Hurrikan Katrina antrieben. Besonders kühn sei diese Aussage von jeman- dem, der nach seinen eigenen Aussagen nach New Orleans kam ohne ein klareres Mandat von Bürgermeister Nagin bekommen zu haben als die Aufforderung „to fix it." (Krupa 17.01.2012) Darüber hinaus symbolisierten Spannungen zwischen loka- ler und überlokaler Ebene den Prozess: Aus dem Amt für Wiederaufbau wurden die weitreichenden Verzögerungen der Finanzierung von Projekten mit Blick auf die Bundesregierung beklagt. Die Bundesregierung und die bundestaatliche Ebene waren unzufrieden, weil sie die lokale Ebene desorganisiert erfahren hatten. (Krupa 17.01.2012)

Das Amt für Wiederaufbau (ORM) entwickelte neben den Förderzonen ein Pro- gramm, das einen Grundstückstausch förderte. Ziel des Programms war es, Anreize für eine Rückkehr von Bewohnern nach New Orleans zu schaffen und Eigentum auf eine „sichere“ und „nachhaltige“ Art und Weise wiederaufzubauen. Vorgese- hen war, dass Bewohner nicht nur die Eigentümerschaft behalten, sondern zudem auch noch den Eigentumswert erhöhen, wenn ihr neues Wohneigentum in einem höher gelegenen Stadtteil gebaut und demnach hochwassersicher ist. Allerdings waren beispielsweise Bewohner des Stadtteils Lower Ninth Ward schwer davon zu überzeugen, in eine andere Nachbarschaft oder einen anderen Teil der Stadt zu ziehen. Denn diese Stadteile prägen eine lange Wohntradition und Wohnhäuser wurden von Generation zu Generation weitergegeben (Almonte 02.10.2007).

Während der Amtszeit Blakelys spielte die Stadt neben der Entwicklung der För- derzonen und des Programms zum Grundstückstausch eine Schlüsselrolle bei der Förderung von weiteren Privatinvestitionen, wie die Erweiterung des World War II Museum und die Wiedereröffnung des Roosevelt Hotel in New Orleans. Nach

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Blakely wurden Fördermittel wirksam eingesetzt und Steuererleichterungen wur- den veranlasst. Die Stadt war auf diese Weise in einige großmaßstäbliche Projekte in New Orleans involviert. (Eggler 21.05.2009) Laut dem Unternehmen MWH, das den Wiederaufbau von öffentlichen Einrichtungen überwachte, waren (bis Mai 2009) über 650 Projekte im Rahmen des Wiederaufbaus öffentlicher Einrichtungen der Stadt in Arbeit in einem Umfang von 1,35 Milliarden US-Dollar. Neue Projekte wurden wöchentlich ausgeschrieben. Projekte in einem Umfang von mehr als 400 Millionen US-Dollar sollten beispielsweise im Mai 2010 im Bau sein, wenn Ray Nagin aus dem Bürgermeisteramt ausscheiden würde. Nach Blakely sei gutes Bau- en wichtiger als schnelles Bauen. (Eggler 21.05.2009)

Über diese ersten quantitativen Angaben zum „Fortschritt“ des Wiederaufbaus hinaus zeigten Aussagen von Ed Blakely persönlich vor dem Recovery Committee des Stadtrates nach seiner Amtszeit im Mai 2009 zum Stand des Wiederaufbaus und sein unmittelbares Wirken in diesem Zusammenhang, dass Blakely mit seiner Arbeit zufrieden war. Bürgermeister Nagin übergab ihm die Leitung des Büros für Wiederaufbau mit dem ganz allgemeinen Auftrag, die Steuerung der bis dahin sto- ckenden Versuche zu übernehmen, die Stadt wieder aufzubauen (Eggler 21.05.2009; Grace 11.05.2009) und zudem hatte die Stadt noch immer keinen ge- samtstädtischen Wiederaufbauplan266 und nur wenig finanzielle Mittel, um einen Plan zu implementieren, als Blakely Anfang 2007 seine Arbeit in New Orleans aufgenommen hatte. Als er im Mai 2009 jedoch sein Amt niederlegte, hatte die Stadt sowohl einen Plan als auch einige Ressourcen zur Umsetzung, betonte Blakely. (Eggler 21.05.2009) Zudem habe er die Stadt in Richtung „Normalität“ geführt (Krupa 17.01.2012; vgl. Gill 18.01.2012). Zu Beginn seiner Amtszeit hatte die Stadt an zwei Wiederaufbauprojekten gearbeitet, im Mai 2009 an mehr als sechshundert Projekten.267 (Eggler 21.05.2009)

266 Offiziell wurde UNOP im Januar 2007 durch den Stadtrat der Stadt New Orleans genehmigt und von der bundesstaatlichen LRA angenommen. 267 Blakely kündigte zu Beginn seiner Amtszeit an, dass im September 2007 „Kräne im Himmel“ zu sehen sein werden. Diese Behauptung sei von vielen Einwohnern der Stadt missverstanden worden: „Cranes on the skyline“ sei eine bekannte Metapher dafür, dass Projekte gestartet werden, die nicht wörtlich zu nehmen ist. Mit den Kränen seien keine schweren Arbeitsmaschinen gemeint gewesen, so Blakely. Als Blakely die Stadt im Mai 2009 verließ, war er der Meinung – entweder methaphorisch oder wörtlich – das Ziel erreicht zu haben: „I signed off on hundreds of projects that when approved would put cranes on the skyline for the next two or three years with more than half of all the streets in

519

Nach der lokalen Tageszeitung Times Picayune sind die Erfolge Blakelys kritischer zu sehen (The Times-Picayune Editorial Board 04.11.2009): Beispielsweise hatte Blakely (in einem Interview im Mai 2009) darauf hingewiesen, dass er zum einen ausgehandelt habe, das ehemalige Methodist Hospital im Stadtteil Eastern New Orleans öffentlich anzukaufen und dass er zum anderen auf die Entwicklung von einem Masterplan268 gedrängt habe. Die lokale Tageszeitung Times Picayune ent- gegnete, dass der Kauf des Methodist Hospital noch immer nicht von statten ge- gangen sei und Jahre vor Hurrikan Katrina auf einen Masterplan gedrängt worden war; der Masterplan sei von einer engagierten Bewohnerschaft vorangetrieben worden. Laut Times Picayune sei die Liste der Erfolge seiner Amtszeit ziemlich kurz gewesen, gemessen an der Autorität, die ihm von Bürgermeister Nagin ge- währt wurde. Zudem sei die Art der genehmigten Projekte zum Wiederaufbau be- zeichnend gewesen für seine Amtszeit in New Orleans: Dacherneuerungen, Fahr- stuhlreparaturen, Straßenpflasterung, einige Gebäudesanierungen. Das seien nicht die „aufregenden Dinge“ gewesen, die Blakely versprochen hatte. (The Times- Picayune Editorial Board 04.11.2009)

D IV.3 Entwicklungsprozess des Strategieplans: Überlokale Schlüssel- akteure federführend

Im Rahmen der Erarbeitung des Recovery Management Plan und der Arbeit des Amtes für Wiederaufbau zählen sowohl lokale als auch überlokale Akteure zu den Schlüsselakteuren, die drei Akteursgruppen repräsentieren: Dabei benötigt die poli- tisch-administrative Ebene der Stadt New Orleans die Unterstützung überlokaler

the city repaved, many with streetscaping, combined with a host of environmental programs designed to prevent or mitigate storm and flood damages across the city.“ (Blakely zit. in Krupa 17.01.2012) Blakely beanspruchte weitere Erfolge von New Orleans für sich, die er aber in seiner Veröffentli- chung nicht näher erläuterte. Dazu gehörte eine Strategie, um die lokale Wirtschaft wiederaufzubau- en. Blakely unterstützte die Wiederbelebung kleiner Technologieprojekte am Ufer des Mississippi. (Krupa 17.01.2012; vgl. Gill 18.01.2012) 268 Als Blakely auf seinen Erfolg hinwies, führte er die Bemühungen um einen gesamtstädtischen Masterplan und um die Überarbeitung der Comprehensive Zoning Ordinance als seine Leistung an. Blakely bewilligte Community Development Block Grants in Höhe von etwa zwei Millionen US- Dollar. Nach Grace gab es Bemühungen in diesen Bereichen jedoch lange bevor der Amtszeit von Blakely in der Stadt. (Grace 11.05.2009)

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Akteure, insbesondere die von Stiftungen und fachpolitischen Organisationen, um in dieser Phase nach Hurrikan Katrina handlungsfähig zu sein. Die lokale politisch- administrative Ebene und insbesondere Bürgermeister Nagin als Schlüsselperson versprach sich vom Engagement eines überlokalen Akteurs (Ed Blakely) mit inter- nationaler Erfahrung bei einer Katastrophenbewältigung zum Leiter des Amtes für Wiederaufbau lokal sichtbare Erfolge. Dabei definierte Bürgermeister Nagin die Aufgabe dieser Führungsposition im Prozess eines Wiederaufbaus nicht näher, was lokal Konsequenzen nach sich zog.

3.1 Mitwirkung von Stiftungen und fachpolitischen Organisationen im Umsetzungsprozess

Die Mitwirkung von Stiftungen und fachpolitischen Organisationen bezieht sich in erster Linie auf eine finanzielle Unterstützung einer Institution der Stadt, die in Folge der Katastrophe neu etabliert wurde: dem Office of Recovery Management (ORM). Finanzielle Ressourcen von Philanthropen und Stiftungen wurden für den Wiederaufbau und die Erneuerung von öffentlichen infrastrukturellen Anlagen und Gebäuden benötigt.

Die Stadt New Orleans erhielt von den Stiftungen Rockefeller, Gates und Ford mehr als 1,5 Millionen US-Dollar, damit das ORM Planungsempfehlungen der vorangegangenen Wiederaufbauplanungen (UNOP und anderen Planungsbemü- hungen) in Wiederaufbauaktivitäten integrieren und diese umsetzen konnte (City of New Orleans, Mayors Office of Communications 24.04.2007). Die Stiftungen ga- ben jeweils etwa 500.000 US-Dollar zusätzlich zu dem, was sie bislang einbrach- ten, um das Office of Recovery Management zu unterstützen. Die Zuwendungen wurden in erster Linie für Löhne und Gehälter von neun der 17 Mitarbeiter des ORM verwendet. (Donze 25.04.2007).

Auch die American Planning Association stellte über die APA Planning Foundati- on finanzielle Unterstützung für das Office of Recovery Management im Sommer 2007 bereit. Diese Finanzierung wurde durch Spenden an die APA möglich (Ame- rican Planning Association o. J.b). Die Stiftung der APA vergab mit diesen Mitteln

521

Stipendien. Konkret arbeiteten die Stipendiaten im ORM, das auf diese Weise per- sonell erweitert wurde. Die Stipendiaten erarbeiteten zum Beispiel Business Deve- lopment Plans (Almonte 02.10.2007) und das ORM arbeitete zu diesem Zeitpunkt mit zwanzig Vollzeitmitarbeitern. (Almonte 02.10.2007)

Bereits im Januar 2007 waren Blakely und Nagin nach New York City gereist, um weitere Philanthropen und potentielle Finanziers zu überzeugen, in den Wiederauf- bau der Stadt zu investieren (Krupa 21.01.2007). Im Sommer 2008 waren staatliche Fördermittel zum Wiederaufbau, sogenannte public assistance funds269, noch nicht auf lokaler Ebene eingetroffen, die von FEMA zugesagt wurden, um Schäden an öffentlichem Eigentum (städtische Infrastruktur) zu beseitigen. Diese Mittel benö- tigte die Stadt allerdings dringend beispielsweise für die Erneuerung des Straßen- und Abwassersystems. (Olshansky et al. 2008: 277) Die philanthropische Hilfe sei nach Bürgermeister Nagin vor dem Hintergrund des insgesamt zähen Prozesses zur Freigabe staatlicher Fördermittel von „unschätzbarem Wert“ für den Wiederaufbau der Stadt (Nagin zit. in Donze 25.04.2007).

3.2 Ed Blakely in New Orleans

Die nachfolgenden Betrachtungen von Ed Blakely als Leiter des Amtes für Wie- deraufbau in New Orleans, als Stadtplaner und als Person machen allgemeine Kontroversen deutlich, die auftreten (können), wenn externe Akteure auf lokaler Ebene mitwirken (sollen) – nicht nur insbesondere in New Orleans. In diesem Sin- ne stellt Ed Blakely einen repräsentativen Fall dar – selbstverständlich nicht in jeder Einzelheit – für ein mögliches Verhältnis zwischen lokalen – alteingesesse- nen – Akteuren und externen überlokalen Akteuren, die neu auf die lokale Ebene treffen. Aufgrund dessen wird der Fall Ed Blakely in New Orleans etwas ausführli- cher dargestellt. Insbesondere werden an dem Fall Spannungen auf unterschiedli- chen Ebenen deutlich: Externe kritische Einschätzungen (zur Stadt und Stadtent- wicklung) treffen auf lokalen Stolz, so dass auch eine externe fachliche Bewertung (der Stadtentwicklung) auf eine gewisse lokale „Empfindlichkeit“ trifft. Lokale

269 Mit Public Assistance Funds kann eine Entschädigung für Schäden an öffentlichem Eigentum und öffentlichen Einrichtungen gezahlt werden.

522

Kritik trifft auf Egozentrik externer Experten. Ein lokales verwaltungsinternes „Wir-machen-das-immer-so“ trifft auf externe innovative Vorschläge (im Sinne von „neu“). Darüber hinaus spiegelt dieser Fall Schwierigkeiten von Planung und Stadtentwicklung in der Öffentlichkeit wider: Stadtentwicklung ist ein Prozess, an dessen Ergebnis eine Vielzahl von Akteuren beteiligt ist und nicht nur die Planer. Nichtsdestoweniger ist die Planerschaft für die Wahl und Ausgestaltung der In- strumente zur räumlichen Entwicklung in der Verantwortung.

3.2.1 Blakely als Leiter des Büros für Wiederaufbau

Blakely zufolge sei er in die Position des Leiters des Wiederaufbaus gekommen, nachdem er und andere Fachexperten öffentlich proklamiert hatten, dass die Stadt eine Art „Zar des Wiederaufbaus“ brauchen würde, nachdem er einige Male die Stadt New Orleans nach Hurrikan Katrina besucht hatte und nachdem ein einziges Treffen mit Bürgermeister Nagin stattgefunden hatte.270 Nach Krupa zeige diese Entscheidung Bürgermeister Nagins impulsive Natur. (Krupa 17.01.2012) Laut Carey Shea ist die Wahl von Ed Blakely als zufällig zu interpretieren. Denn Bür- germeister Nagin wollte ursprünglich einen Prozess beginnen, in dem international nach einem „Zar des Wiederaufbaus“ gesucht würde. Dieser Prozess fand niemals statt (Shea 02.03.2012), da Blakely informell von Bürgermeister Nagin für diese Position ausgewählt wurde. Blakely hingegen ging von einer Beratungstätigkeit in Teilzeit aus. Zu seinem Amtsantritt in der Stadtverwaltung im Januar 2007 war ihm das Ausmaß seines Aufgabenbereiches und seiner Amtsbefugnis vermutlich nicht bewusst. Bürgermeister Nagin gab ihm ausschließlich den allgemeinen Auftrag „fix it“. (Krupa 17.01.2012) Blakely bekam von Nagin keine detaillierten Anwei- sungen, was von dieser Position erwartet wurde (Shea 02.03.2012). Das Amt für Wiederaufbau ORM hatte nun allerdings den Auftrag, den Wiederaufbauplan (UNOP) umzusetzen und den Wiederaufbau zu steuern. (Rodriguez 23.02.2012)

270 In seiner Veröffentlichung (2011) stellt Ed Blakely seine Sicht von New Orleans nach Hurrikan Katrina, den Wiederaufbau und seine Rolle im Wiederaufbau dar: „My Storm: Managing the Recovery of New Orleans in the Wake of Katrina“ (University of Pennsylvania Press). ("vgl. " Krupa 24.02.2011)

523

Spannungen wurden deutlich zwischen dem externen Akteur Blakely, der nun der neue Leiter des Amtes für Wiederaufbau war, und der lokalen Ebene: Einerseits kritisierte Blakely die Stadtverwaltung für ihre Ausführung in Bezug auf die Wie- deraufbaubemühungen, die er als unflexibler, überholter und schwerfällige Verwal- tungsvorgang bezeichnete. Insofern wirkte er daran mit, das Office of Recovery and Development Administration (ORDA) einzurichten und die städtischen Abteilungen für wirtschaftliche Entwicklung und Wohnungswesen in das neu eingerichtete Amt für Wiederaufbau zu integrieren. (Krupa 17.01.2012; vgl. The Times-Picayune Editorial Board 04.11.2009) Blakelys Beschreibungen über die Fehlfunktion von Nagins Stadtverwaltung (Krupa 17.01.2012; Gill 18.01.2012) trafen auf Kritik aus der Verwaltung. Bürokratische Wege innerhalb der Stadtverwaltung würden nicht eingehalten werden. Allerdings erforderte die Ausweisung der 17 Förderzonen die Zusammenarbeit mit der städtischen Planungsbehörde, der City Planning Commis- sion. Gegen Ende der Amtszeit Blakelys arbeiteten die Institutionen nach Rodrigu- ez, der Leiterin der städtischen Planungsbehörde, etwas zusammen, wobei die Zu- sammenarbeit mit den Abteilungen der Stadtverwaltung insgesamt unterschiedlich eng und erfolgreich waren. (Rodriguez 23.02.2012)

Die Finanzierung von Ed Blakely als Leiter des Amtes für Wiederaufbau ist lokal umstritten. Im Laufe der Zeit wurden Details dazu öffentlich: Bürgermeister Nagin zahlte der University of Sydney 100.000 US-Dollar; Ausgaben, die nicht im Haus- haltsplan der Stadt eingeplant waren. Zusätzlich erhielt Blakely 150.000 US-Dollar Bezüge. Nagin nutze dafür einen Fund, der Anlagen von Katrina-Spenden enthielt. Die restliche Summe wurde verwendet, um die psychische Gesundheit von Kin- dern zu unterstützen. Zudem bezog Blakely die Hälfte seines Gehaltes der Univer- sität in Sydney weiter als er das Amt für Wiederaufbau in New Orleans leitete. (Hammer 02.11.2009; vgl. Hammer 23.04.2009, Aufschlüsselung der Kosten; vgl. Gill 09.11.2009)

Nachdem Blakely sein Amt niederlegte, äußerte sich Blakely überaus positiv in Bezug auf die Stadt: New Orleans habe das Recht, sich als „Seele von Amerika“ zu bezeichnen und er fühlte sich privilegiert, Teil davon zu sein (Eggler 21.05.2009).

524

3.2.2 Blakelys Vision für New Orleans und seine Kritik an der Stadt

Ed Blakely machte neben seinem Vorschlag des Recovery Management Plans langfristige planerische Vorschläge für New Orleans Zukunft. Blakely wies bei seiner Abschiedsrede vor dem Recovery Committee des Stadtrates darauf hin, dass sich die Stadt auf langfristige Belange konzentrieren müsse, wie die Verbesserung der Wasser- und Abwassersysteme, die Eindämmung baulichen Verfalls und die Wiederherstellung von Wohnraum. Er spricht auch von einer Neupositionierung der Stadt: "We are not just rebuilding now. We are repositioning". Nach Blakely solle sich die Stadt nach „Süden“ orientieren mit einer Konzentration auf den Han- del mit Lateinamerika und der Karibik, um sich als wichtigster Hafen der USA für Frachtschifffahrt durch den erweiterten Panamakanal zu etablieren. Des Weiteren empfohl Blakely, eine medizinische und biomedizinische Industrie aufzubauen, die sich auf tropische Krankheiten konzentriert. In diesem Zusammenhang wäre der Wiederaufbau des Methodist Hospital im Stadtteil Eastern New Orleans von Be- deutung. (Eggler 21.05.2009)

Blakely warnte vor dem Hochwasserschutz- und Deichsystem, das er als „verletz- lich“ bezeichnete. Er lobte den Master Plan für Elemente, durch die Wohngebiete der Stadt durch Wasser nicht mehr grundsätzlich gefährdet werden. Gleichzeitig bedauerte er aber die Unfähigkeit des Master Plans, einen Vorschlag für einen in- dividuellen Grundstückstausch der Bewohnerschaft innerhalb der Stadt zu machen. Denn nach Ansicht von Blakely (vgl. Ansatz BNOB) wäre es für die Bewohner- schaft am sichersten, in niedrig gelegenen Gebieten der Stadt gar nicht mehr zu bauen aufgrund der bekannten Hochwassergefahr. Dem gegenüber wies allerdings der Recovery Management Plan beispielsweise einen großen Bereich im niedrig gelegenen Stadtviertel Lower Ninth Ward aus. Dennoch empfohl Blakely in diesen Stadtgebieten nicht wiederaufzubauen. Blakely sprach sich darüber hinaus für ei- nen Umzug des Port of New Orleans an einen Ort am Atchafalaya River, um das Überschwemmungsrisiko zu verringern, aus. Der Hafen von New Orleans ist ein Dreh- und Angelpunkt der lokalen Wirtschaft und war ausschlaggebend für die Gründung der Stadt. (Krupa, 17.01.2012, vgl. Blakely 2012) Insgesamt bean- spruchte Blakely den Verdienst für sich, den Wiederaufbau in New Orleans ange- trieben zu haben. Blakely prognostizierte, dass New Orleans „isn't long for this

525 world“, trotz seiner Bemühungen, die Stadt widerstandsfähig zu machen: New Orleans werde es wahrscheinlich in einhundert Jahren aufgrund von Über- schwemmungen nicht mehr geben.271 (Blakely 08.02.2012; Krupa 17.01.2012; vgl. Hammer 02.11.2009; vgl. Gill 09.11.2009)

3.2.3 Blakely und Nagin: Zwei vom gleichen Schlag

Der Recovery Management Plan von 2007, der 17 Förderzonen mit einem ge- schätzten finanziellen Umfang von 1,1 Milliarden US-Dollar ausweist, könnte laut Lokalzeitung auch eine Initiative von Bürgermeister Nagin gewesen sein. Denn insgesamt wurde der anspruchsvolle Plan weder offiziell als nichtig erklärt, noch hätte sich viel daraus entwickelt. Bereits 2009 wäre der Plan öffentlich nicht mehr erwähnt worden, weder von Nagin, Blakely oder irgendeinem anderen städtischen Mitarbeiter. Der Plan wurde als ein Kernstück der Wiederaufbauagenda der Ver- waltung angekündigt. Allerdings sehe keine Förderzone anders aus als andere Ge- biete in der Stadt. (Grace 11.05.2009)

In der Lokalzeitung war die Kritik an Blakelys inhaltlicher Arbeit und persönli- chem Stil beständig vehement: Die Hoffnungen, die mit dem Recovery Manage- ment Plan oder anderen Projekten verbunden wurden, waren nach nur kurzer Zeit zerstört. Das würde, so die Lokalzeitung, viel über Blakelys kontroverse und letzt- endlich enttäuschende Amtszeit in New Orleans aussagen und noch mehr über einen Bürgermeister, der ihn einstellte. Um einen Wiederaufbau der Stadt offensiv zu gestalten, hätte Bürgermeister Nagin jemanden auswählen sollen, der ihn ergän- zen würde, so die Kritik. Nagins Arbeit charakterisiert sich durch eindrucksvolle Ideen, die den Status der Planung niemals verließen. Nagin hätte eine besonnene, detail- und umsetzungsorientierte Person engagieren können. Wenn seine Pläne

271 Auch vor dem Hintergrund seines Abschiedes von New Orleans hat er im Interview mit der Uni- versity of California in Berkeley im CalTV prognostiziert, dass die Stadt in einhundert Jahren nicht mehr existieren würde und kurz vor Rassenunruhen stände. Die Lokalzeitung reagierte empört: Zwei- fellos gäbe es Rassenspannungen in der Stadt und der Golf von Mexiko „bedrohe“ South Louisiana. Aber beide Probleme seien viel differenzierter zu betrachten als Blakely dies darstellte und keines der Probleme sei ein hoffnungsloser Fall laut der Lokalzeitung. (The Times-Picayune Editorial Board 04.11.2009)

526 scheitern würden, dann nicht deswegen, weil er mit seiner Person in New Orleans scheiterte, sondern weil New Orleans an sich selbst scheitere, so Blakely. (Grace 11.05.2009)

Laut Lokalzeitung wäre der Umgang mit Blakelys – wie auch Nagins – Exzentrizi- tät einfacher gewesen, wenn Vorhaben vorangegangen wären. Aber weder waren „Kräne im Himmel“ zu sehen noch größere Umsetzungserfolge in den Förderzonen als prominenteste Beispiele von Blakelys unerfüllten Versprechen. Zudem scheiter- te Blakely mit seinem Vorschlag, sogenannte blight bonds zu verkaufen. Mit die- sen Anleihepapieren hätte die Stadt zerstörtes privates Eigentum als Pfand nutzen und verkaufen können, um Anreize zu schaffen und andere Kapitalanlagen in Nachbarschaften zu ziehen. Dafür gäbe es allerdings keinen Markt. Das Amt für Wiederaufbau versuchte auch Initiativen der New Orleans Redevelopment Authori- ty NORA nach Katrina in den Förderzonen zu konzentrieren. Die ersten großen Entwicklungen fanden allerdings auf den Grundstücken von NORA beispielweise in den Nachbarschaften Pontchartrain Park und Gentilly Woods statt, die durch das Road Home Program erworben wurden. Keines der Grundstücke liegt in den För- derzonen. Beide Projekte wurden aufgrund der Initiative von privaten Interessen und nicht durch die städtischen Behörden gestartet. (Grace 11.05.2009)

3.2.4 Nach dem Amt für Wiederaufbau

Bürgermeister Ray Nagin löste Anfang September 2009 das Office of Recovery and Development Administration ORDA im Zuge von Reorganisationsmaßnahmen in der Stadtverwaltung auf. Das Amt war zu dieser Zeit zwei Jahre alt. Diese erneute Neuordnung sollte den Übergang von der Wiederaufbauplanung zur Umsetzung vorantreiben. Die Abteilungen von ORDA, die unter anderem mit Wohnraumfra- gen und Wirtschaftsentwicklung beauftragt waren, wurden dem Office of Commu- nity Development zugeordnet. Diese neue Behörde wurde zu diesem Zeitpunkt von Austin Penny, ehemaliger leitender Geschäftsführer von ORDA, geleitet. Die Ab- teilung Project Delivery Unit, die Ende 2007 geschaffen wurde, war ein Teil von ORDA und war nun verantwortlich für die Überwachung der Fortführung der Wie- deraufbauprojekte der Stadt; die Project Delivery Unit hatte die Aufgabe, die Pro-

527 jekte umzusetzen. Blakely hat im Mai 2009 (offiziell Ende Juni 2009) das Office of Recovery and Development Administration verlassen. (Eggler 01.09.2009)

Die Project Delivery Unit arbeitete kooperativ mit FEMA zusammen in Bezug auf die Bewertung, wie viele Fördermittel der FEMA an die Stadt freigegeben würden, um öffentliche Einrichtungen wiederaufzubauen oder zu sanieren. Im Ergebnis wurden sechzig Millionen US-Dollar seit Juni 2009 zusätzlich freigegeben. Darun- ter waren vier Millionen US-Dollar für Bibliotheken, acht Millionen US-Dollar für Parks und Spielplätze und 3,9 Millionen US-Dollar für die städtische Feuerwehr. Weitere 25 städtische Einrichtungen wurden mit einer Zerstörung von mindestens 50 Prozent bewertet. Damit war deren Abriss förderfähig. Ein Neubau wird mit 100 Prozent vom Bund gefördert. Das betrifft unter anderem fünf Feuerwehrwachen und zwei Polizeiwachen im 5. und 7. Bezirk. Die Project Recovery Unit will ein neues „One-Stop Service Center“ einrichten, das für Vertrags- und Rechtsangele- genheiten bei Wiederaufbauprojekten verantwortlich sein wird. Durch die Arbeit der Project Recovery Unit wurden die Ausgaben für externe Anbieter und Auftrag- nehmer um dreißig Prozent im städtischen Haushalt reduziert. (Eggler 01.09.2009)

D IV.4 Prozessergebnis Recovery Management Plan

Nachdem der stadtpolitische Kontext, die gesamtstädtischen Ziele und der Erarbei- tungsprozess auch von diesem Planwerk ausgeführt wurden (4.1 – 4.3), wird kurz reflektiert, welche Leitidee, welcher Ansatz oder welche Logik sich letztendlich von welchem Akteur oder welcher Akteurskonstellation aus welchen Gründen stadtpolitisch durchsetzte beziehungsweise sich nicht durchsetzen konnte.

Nachdem das Planwerk UNOP genehmigt wurde, wurden überlokale Fördermittel offiziell freigegeben und das Planwerk stand formal als Grundlage für weitere Pla- nungen zur Verfügung. Insofern entwickelte das Amt für Wiederaufbau (ORM und später ORDA) einen Recovery Management Plan, der offiziell die Ziele von UNOP operationalisierte, um die begrenzten finanziellen Mittel so effektiv wie möglich einzusetzen. (Auslöser) Somit wurde unter Federführung eines sogenannten recovery czar (Ed Blakely) die gesamtstädtische Strategie entwickelt, die sich

528 durch eine Ausweisung von siebzehn Target Zones (Förderzonen) auszeichnet. Ziel war es, „logische Knotenpunkte mit Wachstumspotential“ zu identifizieren und diese städtischen Gebiete auf der Grundlage des Planes zu erneuern. Diese Knoten- punkte zeichneten sich durch die Lage an zentralen Verkehrsachsen und in Ge- schäftszentren aus. Durch die Umsetzung des Planes sollte nach Hurrikan Katrina in erster Linie „städtisches Wachstum organisiert werden“. (Leitidee, Ansatz oder Logik gesamtstädtischer strategischer Ziele) Dieser inhaltlich-materielle Plan- werksansatz zur Reorganisation von finanziellen Ressourcen wurde von einem externen Fachplaner initiiert, der dafür von der Stadt (Bürgermeister) eigens einge- stellt wurde. Auschlaggebend für die Ausrichtung dieses operationalisierten Wie- deraufbauplanes war seine fachliche Expertise in Bezug auf die ökonomische Ent- wicklung der Stadt und in Bezug auf einen Wiederaufbau von Städten insgesamt. (überlokale Mitwirkung von Fachexpertise)

Der inhaltlich-materielle Ansatz des Planwerks mit der Leitidee der Reorganisation finanzieller Ressourcen durch sogenannte Target Zones konnte sich in diesem Fall in erster Linie durchsetzen, da der Prozess zur Entwicklung des Planwerks der Au- torität eines einzelnen Akteurs (Ed Blakely) oblag. Denn ihm wurde durch die Ent- scheidungskompetenz des Bürgermeisters die Leitung des Amtes für Wiederaufbau mit inhaltlich fachlichen Freiheiten übertragen. Die Tatsache, dass dieser Akteur von außerhalb kam, spielt im fachlichen Zusammenhang zwar eine untergeordnete Rolle, hatte aber Spannungen auf Verwaltungsebene zur Folge. Die Erarbeitung des Planes war darüber hinaus nur möglich, da externe finanzielle Mittel von zivil- gesellschaftlichen Akteuren angeboten wurden (Stiftungen der APA und Rockefel- ler Foundation für Humankapital). Überlokale finanzielle Ressourcen, die das Planwerk UNOP eingeworben hatte, standen für die Umsetzung von Projekten zur Verfügung. Durch Letztentscheidungskompetenz und finanzielle Ressourcen konn- ten sich wie in diesem Fall offenbar Leitideen oder Ansätze durchsetzen. Da der lokalen Ebene und somit auch diesem neu gegründeten Amt für Wiederaufbau durch die Genehmigung des Planwerks zum Wiederaufbau UNOP nun überlokale finanzielle Ressourcen zustanden, wurde eine „schnellere“ Umsetzung von Wie- deraufbauprojekten „öffentlich“ erwartet, als sie tatsächlich eingetreten ist. Bei- spielsweise reagierten auch Marktakteure nicht wie erhofft auf die öffentlichen

529

Anreize in den Target Zones. (Faktoren, die eine Entwicklung des Planwerks im Nachgang der Katastrophe gefördert haben)

Abbildung 65: Planwerk Wiederaufbau operationalisiert Recovery Management Plan (RMP) mit Target Zones (substanziell reformfähig, prozessual nicht reformfähig) (eigene Darstellung).

Dieses Planwerk folgt einer gewissen wirtschaftsfreundlichen Rationalität, um städtisches Wachstum in New Orleans nach Hurrikan Katrina neu zu organisieren und die wenigen finanziellen Ressourcen gemäß dieser Logik zu konzentrieren und möglicherweise einen stadtentwicklungspolitischen Mehrwert zu schaffen. Vor diesem Hintergrund wurde somit aus der Not eine Tugend und pragmatisch gehan- delt. Denn das „geringe Wachstum“, das überhaupt geschaffen werden könne, soll- te zumindest räumlich gebündelt werden. (Art der Rationalität)

530

D IV.5 Zwischenfazit Recovery Management Plan: Lokale inhaltlich- materielle Reformfähigkeit durch Mitwirkung eines externen Akteurs

Auch hier wird nachfolgend die Reichweite einer strukturell-prozessualen und in- haltlich-materiellen Reformfähigkeit beurteilt und im Anschluss die Bedingungen, die diese Art lokaler Reformfähigkeit forcieren und blockieren zusammenfassend herausgearbeitet.

Auch der Recovery Management Plan zeigt eine gewisse Art von Reformfähigkeit: Sein substanziell-materieller Ansatz kann ebenfalls als lokal neu erprobt, bewertet werden; eine planerisch stadträumliche Priorisierung von Entwicklungsprojekten, in denen öffentliche Fördermittel strategisch in die Infrastruktur investiert werden sollen, mit dem Ziel, private Investitionen nachzuziehen. Die übergeordnete Logik dieses Ansatzes zur Stadtentwicklung in New Orleans folgt ökonomischen Prinzi- pien, die sich in vielen Städten der USA widerspiegelt und damit überlokal verbrei- tet ist. Sein strukturell-prozessualer Ansatz verdeutlicht weniger Reformfähigkeit: Der Plan wurde verwaltungsintern und top down entwickelt. Ein neuartiges Ele- ment ist dennoch in diesem Erarbeitungsprozess zu erkennen: Die Förderzonen wurden von Stipendiaten der Stiftung der APA eruiert, die eine Zeit lang in der Stadtverwaltung mitgearbeitet hatten und die Stadtverwaltung aufgrund finanzieller Ressourcenknappheit unterstützt hatten. In der Systematik der Reichweite von Re- formen (nach Hall 1993) kann dieses Planwerk aufgrund seines konkreten inhalt- lich-materiellen Ansatzes als Reform 3. Ordnung bezeichnet werden, in der lokal ein neues Instrument für ein neues Ziel lokal entwickelt wurde. (Reichweite einer strukturell-prozessualen oder inhaltlich-materiellen Reformfähigkeit)

Vor dem Hintergrund des dargelegten Planungsprozesses, dessen Ergebnis und Kontextes ist im Fall des Recovery Management Plan in Bezug auf eine lokale subtanziell-materielle Reformfähigkeit die Mitwirkung eines überlokalen Akteurs von Bedeutung. Dieser Akteur wurde vom Bürgermeister autorisiert, den Wieder- aufbau mit allen Befugnissen eines Office of Recovery Management voranzutreiben und in diesem Zusammenhang das offizielle Planwerk zum Wiederaufbau UNOP zu operationalisieren. Ein derartiger strategischer Plan war das Ergebnis. Die lokale

531

Entscheidung des Bürgermeisters, den Leiter des Amtes für Wiederaufbau „einfach machen zu lassen“, da dieser externe Akteur internationale Erfahrung im Zusam- menhang mit Katastrophenbewältigung und Wiederaufbau hatte, war entscheidend für den Entwicklungsprozess um das Planwerk und seine Implementationsversu- che. Die Zusammenarbeit dieses städtischen Amtes mit zivilgesellschaftlichen Or- ganisationen (APA-Stipendiaten) brachte letztlich als Prozessergebnis den Recovery Management Plan hervor. Wiederum führten Entscheidungsbefugnis (Blakely und das Amt für Wiederaufbau), fachlich-ideelle (Blakely in Zusammen- arbeit mit APA-Stipendiaten) und finanzielle (Mittel von Stiftungen für Humanka- pital im ORM) Ressourcen zum Planwerksergebnis. Die lokale Entscheidungsbe- fugnis des Bürgermeisters, einen externen Akteur zu beauftragen, war letztlich allerdings die Voraussetzung dafür. Insgesamt forcieren demnach eine substanziell- materielle Reformfähigkeit im Rahmen dieses Prozesses die Entscheidungsbefug- nis einzelner Akteure (lokal und lokal angestellt, aber extern) und finanzielle Res- sourcen fachpolitischer Organisationen. (Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren oder blockieren)

D V New Orleans 2030: Ein Masterplan als Inbegriff von Reformfähigkeit

New Orleans hat seit August 2010 einen Masterplan; das erste Mal in der Stadtge- schichte. Der Plan mit dem Titel „Plan for the 21st Century: New Orleans 2030“ setzt drei Schwerpunkte für eine zukünftige räumliche Entwicklung und Flächen- nutzung in New Orleans: Livability, Prosperity und Sustainability. Innerhalb dieser Themen wurden Ziele, Strategien und Grundsätze ausgearbeitet. Der Master Plan hat seine Wurzeln in drei strategischen Planwerken zum Wiederaufbau der Stadt nach Hurrikan Katrina (BNOB, NONRP und UNOP), die von 2006 bis 2007 in der Stadt entwickelt wurden. Bereits formulierte Ziele werden weiterverfolgt. Durch das Planwerk mit einem Zeithorizont von zwanzig Jahren soll nicht nur ein „Wie- deraufbau“ weiter forciert werden. Es sollen auch neue ambitionierte Ziele in der Stadtentwicklung erreicht werden. (City of New Orleans 2010a: 114)

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Der Master Plan stellt einen Leitfaden vor allem hinsichtlich der Bündelung von Ressourcen und der Priorisierung von öffentlichen Investitionen in infrastrukturelle Vorhaben dar. Er schafft somit Transparenz und damit Planungssicherheit vor al- lem für Stadtpolitik und -verwaltung, Einwohnerschaft und Investoren. (City of New Orleans 2010a: 9; Johnson 27.02.2012) Der Master Plan soll vor diesem Hin- tergrund nun „Wachstum und Entwicklung steuern“, im Gegensatz zu den voran- gegangenen strategischen Planwerken, wie BNOB, NONRP oder UNOP, die Planwerke zum Wiederaufbau darstellen (Shea 02.03.2012). Dem entsprechend wurden nach Katrina zwei Arten von Planwerken entwickelt: Die Planwerke zum Wiederaufbau, die Wiederaufbauaktivitäten steuern sollten (Collins 2011: 165), und der Master Plan, der die „Zukunft von heute abbildet“ (Rodriguez 23.02.2012) beziehungsweise der eine umfassende Gestaltung und physische Entwicklung der Stadt längerfristig lenken soll (Collins 2011: 165). Die Erarbeitung der Planwerke zum Wiederaufbau (BNOB, NONRP, UNOP) war in der Rückschau notwendig, damit auf deren Informationsgrundlage der Master Plan anschließend entwickelt werden konnte.272 (Johnson 27.02.2012) Der Master Plan sei eine „Skizze von dem, was entwickelt werden soll“, und stelle die Grundlage für eine Entwicklung einer Comprehensive Zoning Ordinance dar, so die ehemalige Leiterin der städtischen Planungsbehörde, Yolanda Rodriguez. Für das Planwerk UNOP war bereits 2010 – zum Zeitpunkt der Genehmigung des Master Plans – nicht klar, wieviele der aufge- listeten Projekte im UNOP noch relevant sind. Dennoch ist aber UNOP als Plan- werk zum Wiederaufbau noch gültig. Der Master Plan ersetze UNOP laut Rodrigu- ez nicht. (Rodriguez 23.02.2012).

Der Master Plan umfasst drei Bände: Volume 1 – Executive Summary, Volume 2 – Strategies and Actions und Volume 3 – Context and Appendix. Die Zusammenfas- sung fasst überblicksartig den Planungsprozess zusammen und stellt tabellarisch die Ziele, Strategien und Maßnahmen eines jeden Kapitels im Planwerk dar. Band 2 konzentriert sich auf eine schriftliche Erläuterung der Strategien und der Maß- nahmen. Im Band 3 werden sektorale Analysen der Stadtentwicklung und kurze Rückblicke der Öffentlichkeit in Bezug auf Sachthemen der vorangegangen Plan- werke und zum Prozess des Master Plans zusammengefasst. (City of New Orleans

272 Die Planwerke zum Wiederaufbau sind keine Dokumente, die eine Rechtsbindung haben. Nur der Master Plan ist ein Dokument, das Gesetzeskraft hat (Johnson 27.02.2012).

533

2010a: 9) Im Plan werden auch Strategien von Praxisbeispielen, die sich weltweit bewährt haben, aufgezeigt und auf Bedarfe und Gegebenheiten der Stadtentwick- lung von New Orleans angepasst, um die Ziele und Grundsätze des Planwerkes zu unterstützen. (City of New Orleans 2010a: 114)

Nachfolgend werden Ausgangssituation, Kontext und Auslöser (5.1) sowie die Ziele und der Ansatz des Master Plans (5.2) dargelegt. Anschließend wird auf be- teiligte Akteure und ihre Mitwirkung bei der Entwicklung des Master Plans einge- gangen (5.3), bevor das Prozessergebnis zusammengefasst wird (5.4). In einem Zwischenfazit wird die Frage nach der Reformfähigkeit in Bezug auf die Entwick- lung des Master Plans thematisiert und Bedingungen zusammengefasst, die Re- formfähigkeit forciert oder blockiert haben.

D V.1 Ausgangssituation, stadtpolitischer Kontext und Auslöser für das Planwerk im Überblick

Die fachliche, formale und akteursbezogene Ausgangssituation für die Entwick- lung des Master Plans ist geprägt von einer noch immer währenden Erholungspha- se der Stadt von den Folgen von Hurrikan Katrina (City of New Orleans 2010a: 114).273 Einige Gebiete der Stadt sind noch immer nicht wieder bewohnt und be- lebt, vor allem die niedrig gelegenen Nachbarschaften, die der Sturm besonders stark zerstört hat. (fachlich) Formal diente ein gesamtstädtisches Planwerk zum Wiederaufbau (UNOP) wie erwähnt als Grundlage, das überlokale Fördergelder zum Wiederaufbau freisetzte. Vor diesem Hintergrund konnte beispielsweise der Wiederaufbau von öffentlichen Einrichtungen beginnen, die durch die Folgen des Sturms zerstört wurden (City of New Orleans 2010a: 114). (formal) Die akteursbe- zogene Ausgangssituation zeichnet sich durch eine erhöhte Anzahl von Mitarbei- tern in der städtischen Planungsbehörde aufgrund von Neubesetzungen aus. Zudem hat sich durch die Verfügbarkeit der Fördermittel zum Wiederaufbau die Situation ergeben, externe „Berater“ über ein Ausschreibungsverfahren engagieren zu kön-

273 Städte benötigen etwa zehn Jahre nach einer Katastrophe, um die Folgen mehr oder weniger zu bewältigen. (City of New Orleans 2010a: 114; vgl. auch Teil B dieser Arbeit zur Katastrophenbewäl- tigung)

534 nen, die den Erarbeitungsprozess in Abstimmung mit der städtischen Planungsbe- hörde leiten (Planungsbüro Goody Clancy aus Boston). Ausgangspunkt dafür war ein Beschluss des Stadtrates Anfang 2008, das Planungsbüro mit der Steuerung der Entwicklung eines umfassenden Masterplans zu beauftragen (Collins 2011: 165). (akteursbezogen)

Der Master Plan wurde vor dem Hintergrund unterschiedlicher Dimensionen ent- wickelt, die gleichzeitig den Kontext des Master Plans darstellen und darüber hin- aus mit einander verwoben sind: die Stadt am Flussdelta vor den Auswirkungen eines ansteigenden Meeresspiegels schützen, die Veränderungen der ökonomischen und sozialen Dynamik beachten und den einzigartigen Charakter der Stadt in Be- zug auf ihre vielfältigen Nachbarschaften bewahren. Das waren auch gleichzeitig die Herausforderungen, vor denen die Stadt nach Katrina stand. (City of New Or- leans 2010a: 114) Der stadtpolitische Kontext, in dem die Erarbeitung des Master Plans stattfand, hatte folgende Ausprägungen: Der lokalen Ebene stehen nun durch die Genehmigung von UNOP finanzielle Ressourcen zur Verfügung; die sogenann- ten Community Development Block Grant - Disaster Recovery (CDBG-DR) (finan- ziell lokalpolitisch). Stadtpolitische Schlüsselakteure wie Bürgermeister Nagin und der Stadtrat halten sich aus der Entwicklung weitestgehend, aber nicht vollständig heraus. (politisch) Wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure können sich mittlerweile an sogenannten Flood Maps orientieren (rechtliche Lage). Die wirt- schaftliche Entwicklung zeichnet sich in dieser Zeit durch den Tourismus im Stadt- zentrum aus, der wieder zunimmt. Die Bourbon Street im Stadtviertel French Quarter ist wieder Tourismusmagnet. Musikschaffende kehren zunehmend in die Nachbarschaften zurück oder ziehen neu nach New Orleans in innenstadtnahe Quartiere und Nachbarschaften (ökonomisch und kulturell).

Als Auslöser für die Erarbeitung des neuen Master Plans gelten die Freigabe der Fördergelder zum Wiederaufbau des Bundes durch die Genehmigung des Plan- werks zum Wiederaufbau UNOP und die Tatsache, dass das Personal der städti- schen Planungsbehörde dadurch erstmals nach Katrina wieder aufgestockt wurde und somit personelle Kapazitäten für eine Neuentwicklung vorhanden waren. In dieser Situation war die Aufgabe der städtischen Planungsbehörde klar: Der Pro- zess des Masterplans, der sich seit einigen Jahren in der Erarbeitung befand, sollte

535 gestoppt werden und ein neuer Entwicklungsprozess eines Masterplans begann offiziell auf der fachlichen Grundlage des Planwerks zum Wiederaufbau UNOP.

D V.2 Master Plan: Gesamtstädtische strategische Ziele mit neuem lokalen Ansatz

Der Master Plan von New Orleans ist ein mehr als fünfhundertseitiges Planungs- dokument, das das „städtische Wachstum“ der nächsten zwanzig Jahre steuern soll. (City of New Orleans 2010a: 9) Der Plan startet mit einer Darstellung, die Plan und Karte in einem ist. Nicht in allen Punkten wird deutlich, ob die Maßnahme bereits existiert oder als Vorhaben geplant ist. Am auffälligsten ist in diesem Zu- sammenhang eine Darstellung von zehn Verkehrsknotenpunkten, die gleichzeitig als Nachbarschaftszentren geplant sind. Offenkundig ist auch, dass die unterschied- lichen Zustände der Nachbarschaften im Stadtgebiet aufgezeigt wird: Nachbar- schaften, die vorrangig in den höher gelegenen Teilen der Stadt liegen und die nicht sehr stark überflutet waren, sind als „stabil“ (stable) gekennzeichnet. Andere Nachbarschaften sind dabei, sich zu „erneuern“ (recovering). Letztlich werden die Nachbarschaften dargestellt, die wieder und noch immer entwickelt werden müssen (revitalization). Diese befinden sich vorrangig in den Stadtgebieten, die sehr nied- rig gelegen sind und die durch die Folgen von Hurrikan Katrina am stärksten über- flutet waren. Ein dritter markanter Punkt in der Darstellung ist „a vibrant down- town“, die verschiedene Funktionen wahrnimmt oder wahrnehmen soll. Viertens ist der Hinweis auf das Stadtrecht von Bedeutung, welches geändert wurde: Zum ersten Mal in der Geschichte von New Orleans hat der Master Plan Gesetzeskraft. Somit müssen sich zukünftig alle Maßnahmen der Flächennutzung nach den Inhal- ten des Master Plans richten und mit diesen übereinstimmen. Auch der jährliche Haushaltsplan der Stadt muss mit den Zielen und Strategien des Master Plans abge- stimmt sein. (City of New Orleans 2010a: 2)

Als Kernstück des Master Plans können drei Richtungen eines Zukunftsbildes in Verbindung mit Zielvorgaben interpretiert werden: Vision for Livability, Vision for Opportunity, Vision for Sustainability. Diese scheinen im ersten Moment aus- tauschbar mit denen anderer Städte zu sein. Vor dem Hintergrund geschichtlicher

536

Ereignisse und der Entwicklung der Stadt New Orleans sind diese Ausrichtungen ganz und gar nicht austauschbar oder gar zufällig: Ein vitales Nachbarschafts- und Quartiersleben spielt in New Orleans seit jeher eine große Rolle (vgl. Ziele Vision for Livability). Vision for Opportunity knüpft an die sozioökonomischen Gegeben- heiten vor Ort an und spiegelt die Notwendigkeit wider, die Arbeitsmarktchancen der Einwohnerschaft zu erhöhen. Vision for Sustainability zeigt, dass aus den Na- turereignissen und deren Folgen der Vergangenheit gelernt wurde. Strategien wer- den vorgeschlagen, um mit dem Wasser zu leben, das die Stadt seit ihrer Gründung herausfordert, anstatt ausschließlich gegen das Wasser mit einem technischen Hochwasserschutzsystem anzukämpfen. (City of New Orleans 2010a: 3, 14-15) Auch eine Tendenz derzeitiger Stadtentwicklungsansätze wurde nicht außer Acht gelassen: New Orleans „will become one of America’s greenest cities“. (City of New Orleans 2010a: 15) Als Basis dieser inhaltlichen Ausrichtungen wird die Zu- sammenarbeit von Akteuren proklamiert (A Vision for Partnerships to Shape a Shared Destiny): mit Bürgern, Unternehmen und Institutionen, mit Akteuren der Immobilien- und Wohnungswirtschaft sowie mit Nonprofit-Organisationen. (City of New Orleans 2010a: 3)

Im Zusammenhang mit der Thematik der regionalen Entwicklung bekennt sich New Orleans im Master Plan zur Abhängigkeit von der Region. Erkannt wurde, dass die Stadt mit ihren Nachbarn zusammenarbeiten muss, um zahlreichen kom- plexen und zusammenhängenden Aufgaben zu begegnen, die die gesamte Region vom Südosten von Louisiana betreffen (Wiederherstellung der küstennahen Feuchtgebiete, Ausbau eines regionalen Transportwesens, gleichberechtigte Bereit- stellung von bezahlbarem Wohnraum, Bereitstellung von angemessener Gesund- heitsfürsorge für die gesamte Einwohnerschaft und nicht nur Teile davon). Das Ausmaß dieser physischen und fiskalischen Herausforderungen sei so hoch, dass keine Kommune diesen Aufgaben allein gerecht werden könnte, sondern diese Herausforderungen nur durch eine Zusammenarbeit, insbesondere durch größere Kooperationen zwischen den Kommunen, zu bewältigen sind. (City of New Or- leans 2010a: 8)

Über die deutlich ausgewiesenen Richtungen von Zukunftsbildern hinaus sind in- haltliche Schwerpunkte innerhalb des Master Plans schwer zu erkennen. Diese

537 werden weniger im Dokument selbst deutlich als vielmehr durch Aussagen der Autoren des Master Plans: Mit Hilfe des Planwerks wird versucht, wirtschaftliches Wachstum zu generieren unter der Prämisse, das Stadtgefüge zu erhalten und wei- ter zu entwickeln. (Cendón 08.05.2009) Der Plan beinhaltet viele Facetten – über die Schaffung von Arbeitsplätzen bis hin zur städtebaulichen Denkmalpflege. Dar- über hinaus sollen der Master Plan und die sogenannte Comprehensive Zoning Ordninance die Stadtentwicklung von New Orleans über die nächsten zwanzig Jahre steuern. (Cendón 08.05.2009) Nach Dixon, Chefplaner des Master Plans vom Planungsbüro Goody Clancy aus Boston, gehörten zu den obersten Prioritäten, 60.000 leerstehende und brachgefallene Grundstücke neu zu entwickeln und öffent- lich-private Partnerschaften zu etablieren, die die städtische Wirtschaft „abwechs- lungsreicher“ gestalten. Darüber hinaus sind Strategien von besonderer Bedeutung, die die Stadt und Region vor den Auswirkungen eines steigenden Wasserspiegels und des globalen Klimawandels schützen. (Eggler 24.11.2009) Die Empfehlungen zur Entwicklung und Stadtgestaltung zeigen, dass New Orleans’ kulturelles Erbe als wirksamstes Mittel angesehen wird, damit in der Stadt Investitionen getätigt werden und die Stadt „Talent“ anzieht und etabliert. (Dixon in Eggler 26.01.2010, 12.08.2010) Dixon zufolge zeigten die Stabilität und Beständigkeit der Stadt Bür- gern von New Orleans, dass eine Rückkehr in die Stadt nach Katrina möglich ist. Entscheidend aber sei, dass die Annehmlichkeiten der Stadt, ihr Charakter, ihre Kultur und Fußläufigkeit zwingende Grundlagen sind, um Innovationen anzuzie- hen. (Dixon in Cendón 08.05.2009)

Zwei Punkte der inhaltlichen Prioritätenliste werden nachfolgend aufgrund ihrer lokalen und städtischen Bedeutungsschwere etwas näher ausgeführt: Wirtschaftli- ches Wachstum und stadträumliche Schutzmaßnahmen, die aufgrund veränderter Umweltbedingungen notwendig geworden sind. Wirtschaftliches Wachstum in New Orleans zu schaffen, bedeutet einerseits etablierte Industrien wie Tourismus, Energie, Luft- und Raumfahrt und den Schiffsbau zu unterstützen. Andererseits sind Investitionen in aufsteigenden wirtschaftlichen Feldern notwendig, wie in die biochemische Industrie, in kreative Unternehmen von Design, Film und digitaler Medienproduktion. Der Master Plan befürwortet auch den Ausbau regenerativer Energien und schlägt eine Bandbreite von Instrumenten vor, um das Arbeitskräfte- potential zu fördern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. (Cendón 08.05.2009)

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Räumlich wird das Stadtzentrum (Downtown) als wirtschaftlicher Motor der Stadt betrachtet. Maßnahmen für dessen Revitalisierung werden vorgeschlagen. Der Plan befürwortet darüber hinaus die Erneuerung und die Wiederbesiedlung der städti- schen Nachbarschaften. Der historische Charakter der Stadt soll bewahrt werden. Laut Jackie Clarkson, der Vorsitzenden des Stadtrates zu dieser Zeit, haben die historischen städtischen Strukturen in New Orleans sogar eine große Bedeutung in der Architekturgeschichte der USA. Städtebauliche Neuentwicklungen sollen dem- nach den historischen Charakter und die Integrität der alten Nachbarschaften nicht zerstören. (Clarkson zit. in Cendón 08.05.2009)

Vor dem Hintergrund der Aufgabe für stadträumliche Schutzmaßnahmen zu sor- gen, die durch veränderte Umweltbedingungen notwendig geworden sind, wird im Master Plan die Prämisse formuliert, dass nach der Beendigung der Ver- und Aus- besserungsarbeiten der städtischen Infrastruktur, insbesondere des Hochwasser- schutzsystems durch die US-Bundesbehörde Army Corpy of Engineers (ACE), grundsätzlich das Sicherheitsniveau überall im Stadtgebiet gleich hoch ist (im Ge- gensatz zu der Zeit vor Hurrikan Katrina). Um die Stadt „widerstandsfähig“ gegen- über Klimawandel und extremen Wetterereignissen zu machen, werden im Master Plan eine Vielzahl von Strategien und Maßnahmen vorgeschlagen. Der Einsatz von „grüner“ und „blauer“ Infrastruktur wird als Maßnahme deklariert, die Wider- standsfähigkeit in Bezug auf Wirbelstürme und Überschwemmungen zu steigern. So erkennt auch der Master Plan – wie auch schon das Planwerk UNOP – an, dass ein Lernen von den Niederlanden im Umgang mit Wasser für die Zukunft der Stadt New Orleans notwendig ist. (Kazmierczak, Carter 2010) In diesem Zusammanhang wird im Plan auch der Schutz der Sümpfe und Feuchtgebiete um New Orleans empfohlen, um die Überschwemmungsgefahr der Nachbarschaften in New Orleans zu verringern (Cendón 08.05.2009). Dass diese Aufgaben im Master Plan formu- liert sind, signalisiert einen bedeutenden Wandel für den Überschwemmungsschutz in der Region. Der Fokus liege zwar auf einem technischen Hochwasserschutzsys- tem mit Schutzdämmen und Schleusentoren, aber „natürliche Lösungen“ sollen eingebunden werden. Die nun offizielle politische Anerkennung, dass Feuchtgebie- te ein natürlicher Puffer gegen Hochwasser sind, ist als ein Ergebnis der Forderun- gen aus der Forschung zu interpretieren. (Kazmierczak, Carter 2010) Ein wichtiger Schritt in Bezug auf eine „ökologische Sicherheit“ sei auch ein Vorschlag des Mas-

539 ter Plans, eine neue Behörde einzurichten, die die politisch-administrative Ebene stetig über Schutzmaßnahmen unterrichtet. Auch sollen Wohnhäuser in den Teilen der Stadt baulich erhöht werden.274 Das betrifft Stadtgebiete, die durch eine soge- nannte Fünfhundertjahresflut gefährdet sind. (Cendón 08.05.2009) Der Master Plan spricht sich darüber hinaus für New Orleans als „America’s greenest city“ aus. Vorschläge für die Förderung von „nachhaltigem Wachstum“ und Energieeffizienz wurden entwickelt. Zudem wird im Master Plan die Einführung eines Klima- schutzplanes (climate plan) als Instrument vorgeschlagen. (Cendón 08.05.2009)

Insgesamt sind eine inhaltliche Ausrichtung, eine eindeutige thematische Prioritä- tensetzung oder inhaltliche Schwerpunkte aus dem Master Plan schwer herauszule- sen. Als Leitmotiv könnte formuliert werden „nachbarschaftlich – wirtschaftlich – grün“. „Grün“ würde dabei inhaltlich einen reformfähigen Charakter des Master Plans gerade noch widerspiegeln, da dieser Ansatz von Stadtentwicklung lokal für New Orleans neuartig ist. Darüber hinaus wird der Master Plan lokal als „proak- tives“ Instrument bezeichnet: „Before the Master Plan, everthing that we did from that point – from Katrina on – was reactionary. A project came before, we really had to react or respond to it. I think what a Master Plan does gives us predictability because it is a document that sort of prejects future land use as well as looking at current land use. I think for that reason it is very proactive. It has allowed a lot of projects to go forward and at the same time it has also said: ‚Ok, this project really cannot go forward because that is not with the community and vision for this par- ticular block or this particular neighborhood’, which again it is a very powerful tool for planning and for development.“ (Rodriguez 23.02.2012) Damit wurde ein In- strument für die Stadtentwicklung nach Katrina erarbeitet, das aufgrund seines substanziell-materiellen neu entwickelten Ansatzes (proaktiv) lokale Reformfähig- keit widerspiegelt; die als kollektives Vermögen von Staat, Markt und Zivilgesell- schaft, in diesem Fall ein Instrument neu formuliert und auszugestaltet hat. (vgl. Teil B, Reformfähigkeit)

274 Einige Ansätze aus dem Planwerk UNOP sind in den Master Plan eingeflossen wie beispielsweise die Aufständerung von Eigenheimen oder Vorschläge zu einem sogenannten Lot Next Door- Programm (Becker 23.02.2012). Durch das Programm können Bewohner einer Nachbarschaft ein benachbartes Grundstück oder Wohnhaus relativ kostengünstig erwerben und in Stand setzen sowie das Grundstück pflegen. Auf diese Weise sollten sich Nachbarschaften erneuern und weiterentwi- ckeln.

540

Laut Chris Johnson, Mitarbeiter von Manning Architects, verschoben sich nach der Katastrophe die Prioritäten in der Stadt so stark, dass sich die Erarbeitung eines neuen Masterplans regelrecht aufgezwungen habe. Der alte Master Plan, dessen Erarbeitung vor Katrina noch nicht beendet war, spielte bei der Entwicklung des neuen Master Plans keine große Rolle: „I think that the initiatives in the city; the priorities of the city were shifted by such a degree by the storm that it might have been time to rewrite the book. That's a hunch (Ahnung) but there is a possibility that the planning commission did have information from the previous Masterplan that they thought it was still viable and may be, they did bring it forward. But I am not certain if they did that or not. I personally didn't touch the older Masterplan but others, may be, they did, may be they did not.“ (Johnson 27.02.2012) Das Büro Manning Architects aus New Orleans unterstützte das externe Büro Goody Clancy bei der Erarbeitung des neuen Master Plans. Die Tatsache, dass nicht einmal eines der Büros mit dem alten Master Plan gearbeitet hat, das an der Erarbeitung des neuen Master Plans beteiligt war, lässt die Bedeutung des alten Masterplans in der Stadtentwicklungspolitik auf Null sinken. Denn bevor begonnen wurde, einen neu- en Masterplan zu entwickeln, befand sich der alte Masterplan offiziell noch in Be- arbeitung. Vorläufige Ergebnisse hätten genutzt werden können.

D V.3 Entwicklungsprozess des Strategieplans: Mitwirkung überlo- kaler Stiftungen und fachpolitischer Organisationen

Der Master Plan wurde 18 Monate lang erarbeitet275 und dieser Entwicklungspro- zess kostete zwei Millionen US-Dollar. Eine Reihe öffentlicher partizipativer Ver-

275 Im September 2008 hat der Prozess um die Entwicklung des Master Plans begonnen und das erste öffentliche Beteiligungsforum fand statt. 2009 lag ein erster Entwurf vor (Cendón 08.05.2009; Eggler 14.10.2009) und am 26. Januar 2010 stimmt die City Planning Commission dem Master Plan zu (Eggler 26.01.2010). Im April 2010 lag eine überarbeitete Version des Plans vor (Revised Draft Plan) (Bureau of Governmental Research 2010) und am 27. April 2010 geht der Plan zurück an City Planning Commission und am 23. Juni 2010 zurück an das City Council. Am 12. August 2010 stimmt das City Council dem Plan zu (Approval) (Eggler 12.08.2010) und am 18. August 2010 wurde der Master Plan von Bürgermeister Landrieu angenommen. Laut Stadtsatzung können Anträge auf Änderungen im Master Plan ein Mal pro Jahr eingereicht werden. Ein sogenannter amendment application process ist laut Stadtsatzung alle fünf Jahre erforderlich. 2012 haben die City Planning Commission und das City Council Maßnahmen für die erste Runde von Änderungen ergriffen. Im Februar 2012 werden am Master Plan erste Nachbesserungen nach dessen Genehmigung 2010 vorgenommen (Johnson 27.02.2012; vgl. City of New Orleans o.J.a, o.J.b).

541 anstaltungen erlaubte der Einwohnerschaft von New Orleans, Bedenken hinsicht- lich der Planentwicklung zu äußern. Das Büro Goody Clancy berief mit der Hilfe einer großen Gruppe lokaler Planer Nachbarschaftstreffen und Treffen, die einen gesamtstädtischen inhaltlichen Fokus hatten, ein, um dafür einen Rahmen zu schaf- fen. Am 25. Januar 2010 stimmte die städtische Planungsbehörde einstimmig ei- nem Entwurf mit dem Titel „Plan for the 21st Century: New Orleans 2030“ zu. (City of New Orleans 2010b; Collins 2011: 165; Eggler 26.01.2010, 12.08.2010) Am 22. April 2010 sandte der Stadtrat den Entwurf mit einer Liste von Änderungs- vorschlägen zurück an die Planungsbehörde auf Grundlage einer Abstimmung von sechs zu null und einem Mitglied, das abwesend war: Umfassende Änderungen im Aufbau und in Bezug auf den Ansatz sollten vorgenommen werden. Darüber hin- aus wurden beispielsweise Änderungen gefordert, die mit der zukünftigen Flächen- nutzung zusammenhängen. So müsse beipielsweise im gesamten Dokument über- prüft werden, ob die vorgeschlagenen Flächennutzungsstrategien, Maßnahmen und die sogenannten opportunity sites mit Parametern der Verfassung übereinstimmen wie beispielsweise das Vorschreiben der Verortung von Wohnraum, das auf dem Einkommen basiert oder eine verpflichtende Überprüfung von Wohnraum in zeitli- chen Abständen vor dem Hintergrund eines freien Marktes (Punkt 9). Zudem sollte auch eine Karte erstellt werden, die die Unterschiede zwischen der existenten und der geplanten Flächennutzung deutlich macht (Punkt 1). Der Stadtrat machte dar- über hinaus auch speziell stadtteilbezogene Änderungsvorschläge. Die Planungs- behörde hatte laut Stadtsatzung sechzig Tage Zeit, um auf die Vorschläge des Stadtrates zu reagieren. Damit wurden Änderungen in einem Dokument gefordert, an dem lokale und externe Planer lange gearbeitet hatten. (Eggler 20.06.2010) Am 23. Juni 2010 wurde der Plan von der lokalen Planungsbehörde endgültig verab- schiedet, so dass der Entwurf wieder zurück zum Stadtrat gesandt wurde, damit der Stadtrat final abstimmen konnte. Entsprechend der Stadtsatzung wurde der Master Plan innerhalb von neunzig Tagen vom Stadtrat durchgesehen und am 12. August 2010 verabschiedet (Abstimmung sechs zu null, ein Mitglied abwesend). Der neue Bürgermeister Mitch Landrieu unterzeichnete das Dokument am 18. August 2010. (City of New Orleans 2010b; Collins 2011: 165; Eggler 26.01.2010, 20.06.2010, 12.08.2010)

542

Zwar war in der Stadtsatzung seit eingen Jahrzehnten die Entwicklung eines Mas- terplans vorgeschrieben, allerdings wurde ein derartiges Dokument niemals voll- ständig erarbeitet. Erst die Wiederaufbaumittel des Bundes machten dies grund- sätzlich möglich. (Eggler 20.06.2010, 14.10.2009) Yolanda Rodriguez, die Leiterin der städtischen Planungsbehörde, leitete den Prozess zur Erarbeitung des Master Plans. Laut Rodriguez war es für das Planungsteam herausfordernd, einen Master Plan zu entwickeln, noch während sich die Stadt von einer großen Katastrophe erholte (Krupa 21.01.2011). Die Stadtregierung unter Bürgermeister Nagin musste zunächst von der Bedeutung eines Masterplans überzeugt werden. Erst dann konn- ten entsprechende Fördermittel über die bundesstaatliche Ebene beantragt werden. Daran beteiligt waren einzelne Vertreter des Bundesstaates, der Stadtverwaltung und des Stadtrates. Der Prozess war langwierig, bis die Planungsbehörde mit Per- sonal ausgestattet276 und die finanziellen Mittel aufgestockt wurden, unabhängig davon so Rodriguez, dass die Behörde mehr Verantwortung übertragen bekam. (Rodriguez 23.02.2012)

Das Bureau for Governmental Research (BGR), ein Forschungsinstitut, das in der Region New Orleans arbeitet, prägte den Entwicklungsprozess des Master Plans stark. Bereits einige Zeit vor Hurrikan Katrina hatte das BGR einen Bericht veröf- fentlicht277, in dem das Institut der Stadt unter anderem empfohlen hatte, eine Än- derung der Stadtsatzung vorzunehmen und einem Masterplan Gesetzeskraft zu verleihen, (Bureau of Governmental Research 2003: 8) da eine fehlende Planung in New Orleans kritisiert wurde. Auch wurden Vertreter des Stadtrates letztlich als ein Hindernis für die (ökonomische) Entwicklung von New Orleans bezeichnet. Denn laut diesem Bericht würden Stadtratsmitglieder Vorschlägen zu Flächennutzung ihrer Kollegen zustimmen, da sie dasselbe auch im Gegenzug erwarteten. (Bureau of Governmental Research 2003; Burns, Thomas 2015: Pos. 750-772) (vgl. C I) In einem weiteren Bericht aus dem Jahre 2006 betonte das BGR278 noch einmal die Änderung der Stadtsatzung und rief direkt zu Reformen auf, um eine Veränderung

276 Vor Hurrikan Katrina arbeiteten im Amt dreißig Mitarbeiter, nach Katrina sieben und 2012 waren es 22 Mitarbeiter. Nach Rodriguez war die City Planning Commission bereits vor Katrina unterbe- setzt. (Rodriguez 23.02.2012) 277 Der Bericht des BGR (2003) nennt sich „Runaway Discretion: Land Use Decision Making in New Orleans”. 278 Der Bericht des BGR (2006) trägt den Titel „Planning for a New Era”.

543 der Flächennutzungspolitik und des -prozederes in New Orleans herbeizuführen. Zudem wurde kritisiert, dass es der Stadt überhaupt an einem Masterplan mangelte und dass der Stadtrat mit nur vier Stimmen Flächennutzungsregelungen verändern könne. Darüber hinaus würden spezielle Ausnahmen zu einer unausgeglichenen Flächennutzungspolitik führen, wodurch beispielswiese kommerzielle Nutzungen, Wohnen und Mischnutzung im gleichen Gebiet ungleichgewichtig ausgewiesen wurden. (Bureau of Governmental Research 2006: 2; Burns, Thomas 2015: Pos. 760) 2008 reichte dann Jackie Clarkson als Council Member at-large einen Antrag zur Änderung der Stadtsatzung beim Stadtrat ein, die einem offiziellen Masterplan Gesetzeskraft verleihen würde. Ihr ursprünglicher Vorschlag spiegelte die Empfeh- lungen wider, die das BGR bereits 2006 im Bericht „Runaway Discretions“ ge- macht hatte. Die vorgeschlagene Änderung von Clarkson wurde vom Stadtrat im Juli 2008 ohne Gegenstimmen angenommen. (Burns, Thomas 2015: Pos. 760)

Am 4. November 2008, dem Tag der US-Präsidentschaftswahlen 2008, stimmte die Einwohnerschaft von New Orleans insofern auch über eine Änderung der Stadtsat- zung ab. Die Wählerschaft stimmte zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt zu, einem stadtweiten Masterplan Schlüsselkompetenzen zu verleihen und einem der- artigen Planungsdokument Gesetzeskraft zuzusprechen. Die Wahlbeteiligung war hoch. (Krupa 21.01.2011; Eggler 26.01.2010; Collins 2011: 165) Nach einem lan- gen Entwicklungs- und Erarbeitungsprozess des Master Plans stimmte die städti- sche Wählerschaft auch der endgültigen Version mit 52 Prozent knapp zu. (Burns, Thomas 2015: Pos. 760)

Die Änderung der Stadtsatzung und den Master Plan unterstützen eher wohlhaben- de Nachbarschaften von New Orleans, während sich sechzig Prozent der Wähler- schaft in den ärmeren Teilen von New Orleans East und der Lower Ninth Ward gegen die Änderung aussprachen. (Burns, Thomas 2015: Pos. 761) 62 Prozent der Wählerschaft der mehrheitlich „weißen“ Stadtteile und 45 Prozent der Wähler- schaft in mehrheitlich afroamerikanischen Stadtteilen stimmten für die Gesetzes- kraft des Master Plans. (Burns, Thomas 2015: Pos. 761-771) Unternehmer, Immo- bilienentwickler, neu gegründete zivilgesellschaftliche Gruppen wie beispielsweise Citizens for 1 Greater New Orleans und Teile der „weißen“ Oberschicht unter- stützten die Änderung des rechtlichen Status des Master Plans. Insbesondere Im-

544 mobilienentwickler sprachen sich für einen gradlinigen und aussagekräftigen Pla- nungsprozess aus. Denn vor Hurrikan Katrina wurden Planungsgesetzte willkürlich interpretiert und zudem mussten Entwickler mit ihren Projekten unterschiedliche Gremien durchlaufen, um ein Projekt umsetzen zu können. (Burns, Thomas 2015: Pos. 770) Einige Afroamerikaner befürchteten allerdings, dass Gebiete wie New Orleans East und die Lower Ninth Ward beim Wiederaufbau nicht berücksichtigt werden würden. Eine Analyse der Wiederaufbauprojekte der Stadt von 2008 zeigte, dass der District E, in welchem sich beispielsweise New Orleans East befindet, nur 112 Infrastrukturprojekte ausgewiesen hatte, während in den anderen vier Bezirken (A bis D) zwischen 129 und 171 derartiger Projekte geplant oder im Bau waren. (Burns, Thomas 2015: Pos. 770) Diese Tatsache muss allerdings nicht ethnisch motiviert sein, sondern kann andere Ursachen haben. Denn für Infrastrukturprojek- te spielen unterschiedliche Standortfaktoren eine Rolle (gesamtstädtische Lage der Projekte, physische Beschaffenheit von Grund und Boden, demographische Ent- wicklung usw.).

Alle Entscheidungen zur Flächennutzung müssen seit der Änderung der Stadtsat- zung mit den Inhalten des Master Plans übereinstimmen. (Eggler 14.10.2009, 26.01.2010) Die Änderung zieht ebenfalls nach sich, dass die Stadt – dem Master Plan angepasst – eine Comprehensive Zonig Ordinance erarbeitet. (Collins 2011: 165) Die Entscheidungen zur Flächennutzung von Stadtrat und Stadtverwaltung müssen konform mit den Zielen, den Grundsätzen und den Strategien der Flächen- nutzung, die im Master Plan festgeschrieben sind, sein. Andere Teile des Master Plans unterliegen nicht dem Gesetz, wie zum Beispiel die Forderung nach einer Studie zum Abriss einer Autobahn über der Claiborne Avenue. (Krupa 21.01.2011; Eggler 12.08.2010) Die Befürwortung der Änderung der Stadtsatzung, die dem Master Plan Gesetzeskraft verleiht, hat auch bewirkt, dass die städtische Planungs- behörde ein sogenanntes Citizen Participation Program (CPP) entwickelt. Das CPP ist ein standardisierter Prozess, der es Bürgern formal erlaubt, vorgeschlagene Änderungen der Flächennutzung zu beurteilen. (Collins 2011: 168–169; Eggler 26.01.2010)

Diese rechtliche Statusänderung eines Masterplans hatte ihre Wirkung und war bereits Ausdruck lokaler Reformfähigkeit: Das öffentliche Interesse an der Arbeit

545 des öffentlichen Sektors, respektive an „Planung“, wurde geweckt, weil der Mehr- wert eines Masterplans von der Öffentlichkeit erkannt wurde. Die vorangegangen Planwerke zum Wiederaufbau wurden zu realen Planwerken der Flächennutzung (Master Plan und Comprehensive Zonig Ordinance) umgearbeitet, so Chris John- son von Manning Architects: „When we had this vote in 2008 to make the Master Plan into the voice of law, the people voted to have it as a legal document. And from that point forward there was a great public interest in the public sector; in the individual personality. The individuals in the city who understood this was going to be a legal document. And they became much more interested because this docu- ment couldn't be put under a shelf. It had to be put into law. And because it was going to have that legal status more people turned out for public meetings, more people turned out to ask to participate, more people turned out to their neighbors asking for them to come. And voices of neighborhood organizations understood - there are dozens of planning efforts all the time - where do we focus our attention. They focused their attention because it was the one that was going to be our legal document. So in that way we were able to generate much more interest. (...) People understood the value of having a Master Plan and that's why they voted it into law: They didn't like the fact of having people in some areas, in that they were not able to access for example conversation between political entity one and private devel- oper two. But a private resident who lives across the street never heard about that conversation and feels left out and feels like the decisions were made behind her back. They didn't like that; they wanted to have a legal document that really spoke to their interests and their needs. So that’s why that became more official. (...) That means the intermeshing of the Master Plan with the Zoning Ordinance. Because the Zoning Ordinance would be revisited and revised and modified to reflect the inter- ests of the people expressed in UNOP and the BNOB and the Lambert plan to make those documents enforceable. (...) And the Zoning Ordinance had to be part- nered with a land use document. So, you have these previous planning documents that have been conducted and you develop them into real land use documents.“ (Johnson 27.02.2012) Diese Neuerungen (öffentliches Interesse durch das Erken- nen des Mehrwerts eines Masterplans und die Umarbeitung von Planwerken zum Wiederaufbau in Planwerke zukünftiger Flächennutzung) sind als Ausdruck von Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung von New Orleans zu interpretieren.

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Die städtische Planungsbehörde wählte gemeinsam mit dem Planungsbüro Goody Clancy ein Team von Experten aus New Orleans und den gesamten USA aus, um den Master Plan und die Comprehensive Zoning Ordinance (CZO) zu entwickeln. Goody Clancy hatte bereits verschiedene Stadtteilpläne als Teil des Wiederaufbau- planes Unified New Orleans Plan (UNOP) entwickelt. (Goody Clancy) Das Vor- haben, einen Masterplan zu entwickeln, konzentrierte sich in erster Linie auf die Integration und den Ausgleich von Interessen und der Gleichbehandlung aller Nachbarschaften der Stadt, so Goody Clancy: Eine Vision, Ziele, Strategien und ein Aktionsplan für die zukünftige physische Entwicklung der Stadt müssen erar- beitet werden. Die Stadt werde so an einen positiven Wandel herangeführt, der aktiv gesucht werde. Es solle nicht mehr einfach nur reagiert werden, sondern ak- tiv ein Wandel eingeleitet werden. Zukünftige Entwicklungen sollen so für die Einwohnerschaft, die Unternehmerschaft und Entwickler vorhersehbar werden. Die Stadt soll finanzielle Ressourcen sparen durch die Planung von Investitionen in Dienstleistungen sowie in infrastrukturelle Anlangen und Einrichtungen. New Or- leans soll so geholfen werden, den „sense of place and identity“ zu bewahren, der die Stadt einzigartig mache. (Goody Clancy) Laut David Dixon, dem Leiter des Planungsbüros Goody Glancy, bedeutet die Genehmigung des Master Plans, dass New Orleans zum ersten Mal ein Planwerk besitze, das eine glaubhafte und legiti- me Basis für die zukünftige öffentliche Politik und die Entscheidungsfindung in Bezug auf Flächennutzung, städtische Entwicklung und Bebauung, städtische Ka- pitalausgaben, Verkehr und ähnliche fundamentale städtische Entscheidungen sei. (Eggler 26.01.2010, 12.08.2010)

Einer der bedeutendsten Schritte, um den Master Plan umsetzen zu können, ist die Neugestaltung der Comprehensive Zoning Ordinance (CZO), einer flächendecken- den Bauverordnung. Yolanda Rodriguez betont diesbezüglich eine hohe Nachfrage in New Orleans nach Hurrikan Katrina (Rodriguez 23.02.2012). Nachdem der Master Plan genehmigt wurde, begann die städtische Planungsbehörde mit dem Prozess einer kompletten Revision der (alten) Comprehensive Zoning Ordinance (CZO) der Stadt. Eines der Ziele war es, die CZO mit einem ähnlich großen Pro- zess der Bürgerbeteiligung zu entwickeln wie bei der Entwicklung des Master Plans. Eine Zoning Map reflektiert die Strategien des neuen Master Plans. (City of New Orleans 2010a: 7) Die neue CZO regelt nun, wie die Prinzipien des Master

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Plans auf jedem einzelnen Grundstück der Stadt (250.000 individuelle Parzellen) angewendet werden sollen. (Eggler 26.01.2010) Die weit gefassten Flächennut- zungskategorien und Prinzipien des Master Plans wurden in spezielle Regeln zur Flächennutzung übersetzt. Dadurch wird für jedes Grundstück der Stadt deutlich, welche Art der Flächennutzung zulässing und nicht zulässig ist. (Eggler 12.08.2010) Das alte Gesetz zur Flächennutzung (zoning law), das seit den 1970er Jahren Bestand hatte und vielfach geändert worden war, war „so komplex, verwir- rend und veraltet“, dass Experten von Planung und Stadtentwicklung seit Jahren einen Ersatz forderten. (Eggler 26.01.2010) Auch Johnson betont die Aufgabentei- lung zwischen Master Plan und CZO: „(...) And the land use document, being the Master Plan, is being given the force of law. That translates also into the Zoning Ordinance which has a measurable way of addressing the people’s needs on one level. Not at all levels; it doesn't detail where investment can occur. But what it does say is 'how the city can look', how massing will happen, where public areas will be parks, official parks, or where the city can use more sustainable strategies and require people to reclaim more of their water. Ideas like that can be brought into the Zoning Ordiance. So the partnership between the Zoning Ordinance and the land use plan really cements it into the force of law. So if you have a land use plan that is given the force of law (...) it's a bridge between the abstract world of the planning documents that the neighborhoods developed and the Zoning Ordi- nance.“ (Johnson 27.02.2012) Die neue Comprehensive Zoning Ordinance (CZO) bezeichnet Goody Clancy als benutzerfreundlich (Goody Clancy).

Aus dem Wiederaufbauplan UNOP wurden einige inhaltliche Ziele, Johnson nennt sie „Prioritäten“279, in die CZO und den Master Plan übernommen. UNOP bezeich- net er als „Wunschliste der Nachbarschaften“: „There are… priorities: you have ‘sustainable city’ concepts that are very well described at the UNOP process but are hard to codify. So we are trying to make that effort in the Zoning Ordinance: trying to bring in more storm water management, trying certain ways to allow power generation within the property, within the lot, in ways that people can live with. So there is an interest for that, that was brought forward from the UNOP into

279 Eine der Prioritäten liegt auf einer „nachhaltigen Infrastruktur“. Relativ einfach und schnell seien beispielsweise Fahrradwege zu realisieren, denn das „Einfachste“ müsse zuerst umgesetzt werden (Johnson 27.02.2012).

548 the Zoning Ordinance. That's only one example, though. There are strategies for how to consider the transportation. Now the land use will deal with that, more than zoning. But transportation was a major concern brought up in UNOP. People like streetcars, people want more efficient busses, people want alternative fuels used, people want bus stations that are attractive and safe. But the land use--we´ll talk about it in one of the sections on transportation and infrastructure—how to try to consolidate and make an efficient transportation network, utilizing multimodal transportation between buses, BRT [Bus Rapid Transit, Anm. d. Verf.]… and para- transit and street car and light rail. And [we need to, Anm. d. Verf.] try to docu- ment—Well, although the neighborhood A wanted it; neighborhood B wanted it, C wanted it, we need to try to consider how the city will use that when they cross borders between the neighborhoods. What is the most efficient deployment of that concept? So, in that sense the UNOP ideals were everybody's ‘neighborhood wish list’ and then the land use plan tried to make cohesion and efficiency of concept for all those plans. And where allowable or where reasonable they could be brought into the Zoning Ordinance to allow the parcel to be measurable. (...) Then you would have broad concepts, like the infrastructure master plan, or storm water management plan on an urban scale.“ (Johnson 27.02.2012)

Zum Master Plan gehört nicht nur das Dokument des Master Plans an sich. Das Dokument ist der Abschluss eines langen Arbeitsprozesses, an dem eine Vielzahl von Akteuren beteiligt war. Die City Planning Commission und die Büros Goody Clancy und Manning Architects, die offiziell als Berater tätig waren, waren die Hauptakteure im Prozess. Bei der städtischen Planungsbehörde veränderten sich einige Punkte im Entwicklungsprozess eines Masterplans: Für die Entwicklung eines neuen Plans war letztendlich die Finanzierung gesichert. Die Planungsbehör- de entwickelte eine neue Arbeitsplanung, denn der vorherige Master Plan war ei- nerseits zu umfangreich und andererseits waren die Mitarbeiterressourcen nicht vorhanden, um den Erarbeitungsprozess zu beenden. Der neue Master Plan enthält nun ausschließlich Ministudien. Bei der Erarbeitung des neuen Master Plan- Dokuments waren Berater beteiligt, das noch immer alle nötigen Elemente enthält, aber nicht mehr so detailliert ist wie der vorhergehende Plan. Heute hat der Master Plan drei Bände statt 16. „I think for practical purposes it works for us. That was the difference between the Master Plan of then and the Master Plan that we have

549 now.“ (Rodriguez 23.02.2012) Unterschiedliche Akteure erarbeiteten „Rohmateri- al“ für den Plan und Goody Clancy als Hauptbearbeiter verarbeitete diese Pla- nungsinformationen im Plan. Das Büro als externer Akteur280 hatte die Kapazitä- ten, Fähigkeiten und Erfahrung, um ein großes Planwerk wie dieses zu erarbeiten. In New Orleans selbst war ein Planungsbüro mit dieser Kombination von Eigen- schaften nicht ansässig: „They have been extremely knowledgeable in planning at a large scale. Not everybody has that. It is a very unique set of characteristics that you need, to be able to develop a plan at the level of this population. So they do plans for other cities and this is one of their larger projects. So, you don't find a lot of local ability here in New Orleans to develop a comprehensive plan that encom- passes that many people. Whether there are people who can do that.” (Johnson 27.02.2012) Nach Johnson war Goody Clancy stets bemüht, effizient zu arbeiten und ein produktives Ergebnis zu erarbeiten. (Johnson 27.02.2012) Das lokale Büro Manning Architects war bereits in den Wiederaufbauplan BNOB involviert. Nach der Ablehnung des Planwerks hatte sich das Büro aus der Erarbeitung der darauf- folgenden Planwerke zum Wiederaufbau herausgehalten. Das Büro wurde aber aufgrund lokaler Kenntnis und Erfahrung sowie aufgrund von Kontakten angefragt, am Master Plan mitzuarbeiten. (Johnson 27.02.2012)

Am Entwicklungsprozess des Master Plans waren, über die genannten Hauptakteu- re hinaus eine Vielzahl von Bürgern beteiligt, die im Rahmen eines groß angeleg- ten Partizipationsprozesses involviert waren. Um es vorweg zu nehmen: Das Ni- veau, auf dem die Bürger in den Planungsprozess involviert wurden, war jenseits von dem, was für Beteiligung an der Entwicklung eines Masterplans in anderen Städten üblich ist (City of New Orleans 2010a: 6), als sollte gar ein Exempel für andere Städte der USA statuiert werden (Cendón 08.05.2009). Den Erarbeitungs- prozess des Master Plans bezeichnet Shea im Gegensatz zu den Prozessen der Planwerke zum Wiederaufbau als einen „besseren Prozess”. Denn nach Shea sei eine gewisse individuelle und kollektive Ruhe eingekeht; Akteure und Beteiligte waren nun sicher, dass die Stadt eine Zukunft hatte. Die Atmosphäre, in der der Prozess stattfand, beschreibt Shea als dementsprechend „anders”. (Shea 02.03.2012) Der Beginn des Erarbeitungsprozesses des Master Plans 2008 kann als

280 Auch für die Erarbeitung der Comprehensive Zoning Ordinance wurde ein externes Büro (Camiros, Ltd. aus Chicago) beauftragt. (Johnson 27.02.2012)

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Anbruch einer neuen Planungsära in New Orleans betrachtet werden. Denn nicht nur die Gesetzeskraft des Master Plans hat, noch bevor dieser fertiggestellt war, informell Wirkung entfaltet, sondern auch die nötige individuelle und kollektive „Ruhe” sorgte für lokale Reformfähigkeit.

Der Prozess zur Entwicklung des Master Plans begann mit einer Reihe von stadt- weiten Foren im Herbst 2008, der öffentliche Stadtteilveranstaltungen und Nach- barschaftstreffen folgten. (Cendón 08.05.2009; Times-Picayune Staff 08.03.2010, 15.03.2010, 23.03.2010; Eggler 16.03.2010) Als ein Ergebnis der vielen Nachbar- schaftstreffen, die im Vorfeld des Master Plans stattfanden, wurde der Citizen Par- ticipation Process (CPP) in den Master Plan institutionalisiert. Damit wurde es wahrscheinlicher, dass diese demokratischen Impulse fortgeführt werden. Das neu entwickelte Citizen Participation Program (CPP) formalisiert die Treffen von so- genannten District Planners und Nachbarschaftsgruppen im Rahmen des Master Plan-Prozesses. District Planner dienen als Bindeglied zwischen der städtischen Planungsbehörde und Nachbarschaftsorganisationen. (Collins 2011: 168–169)

Der Partizipationsprozess unterteilte sich in einige Phasen und folgte verschiede- nen Prinzipien, die den Prozess erfolgreich machten: Zuhören, Ideen erarbeiten, vorstellen, kommentieren lassen, überarbeiten. Beispielsweise präsentierte das Büro Goody Clancy erste Überlegungen zum Master Plan erst nach einer ersten Informationsveranstaltung und nachdem Meinungen dazu von der Einwohnerschaft eingeholt wurden. Johnson wies in Anspielung auf die Erfahrungen beim BNOB darauf hin, dass diese unterschiedlichen Phasen des Planungsprozesses auch mit den Medien funktioniert hätten. (Johnson 27.02.2012) Die Einwohnerschaft von New Orleans nahm an vielen öffentlichen Veranstaltungen den Master Plan betref- fend teil. Goody Clancy vereinbarte beispielsweise Treffen mit Stadtratsmitglied Cynthia Willard-Lewis und anderen afroamerikanischen Führungspersönlichkeiten und hielt ein Planungstreffen im Stadtteil New Orleans East ab, um mit Bewohnern dieses Stadtteils ins Gespräch zu kommen. Bürger machten formal 337 Kommenta- re und Vorschläge für die städtische Planungsbehörde. 147 davon waren auch noch im endgültigen Entwurf des Master Plans integriert. (Burns, Thomas 2015: Pos. 770)

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Der Planungsprozess wurde insgesamt als „offen“ und „dynamisch“ beschrieben; ein Prozess wurde gestaltet, der Veränderungen zulasse. Der Master Plan wurde vor dem Hintergrund einer Inklusions- und Integrationsstrategie entwickelt. Diese Strategie sollte sicherstellen, dass der Master Plan politische und öffentliche Unter- stützung erfährt (Johnson 27.02.2012), um die Erfahrungen des BNOB-Prozesses nicht noch einmal zu wiederholen: „I think that's been most important to develop a strategy of how to get people into this. It is allowing them to go into it, allowing them to voice their concerns and allowing them to disagree; not just allowing them but encouraging them. That has been most effective to get people to understand what we are doing. And what we do is in line with what they want to see, or it is not in line with what they want to see. They understand why decisions were made and that they may not agree with. But they see the rationale behind the decision. So, it is a rational process.” (Johnson 27.02.2012) Ziel der öffentlichen Veranstal- tungen war es, Rückmeldungen zum Arbeitsstand zu erhalten und eine öffentliche Beteiligung zu fördern. Das war keine einfache Aufgabe in einer Stadt, die seit 2005 verschiedene Planungsbemühungen unternommen hatte (ESF 14, BNOB, Lambert, UNOP): Zu Beginn des Prozesses war eine gewisse Planungsmüdigkeit zu bemerken. (vgl. Collins 2015) Das änderte sich, als die Bürger von New Orleans Anfang November 2008 einem Masterplan offiziell die Kraft des Gesetzes zuge- sprachen. Diese Änderung eines der Schlüsselparagraphen in der Stadtsatzung führte dann im fortlaufenden Prozess zu einer großen Bürgerbeteiligung. Im Er- gebnis reflektieren nun Flächennutzungs- und Bauvorschriften der Stadt den Mas- ter Plan. Kapitalausgaben der Stadt richten sich nach dem Master Plan. Zudem ist nun ein formaler Bürgerbeteiligungsprozess in den Master Plan integriert und gilt fortan als Bestandteil jeglichen Planungsprozesses. (Cendón 08.05.2009) Auch Rodriguez sprach von einem großen Interesse der Öffentlichkeit an der Planent- wicklung. Zunächst erwartete die Planungsbehörde eine kollektive „Pla- nungsmüdigkeit“, aber laut Rodriguez sei das Gegenteil der Fall gewesen: „And what we found out was - once we started putting out the public notices - we found that the opposite happened: that folks were attending these meetings at record set- ting numbers. The public was very interested in what we do and they very much wanted to see what we were planning and in what we were trying to do. That I think is probably the greatest contributer to this whole process, if I had to identify one external stakeholder or partner in this whole process. We just need the citizens

552 and the public in general.“ (Rodriguez 23.02.2012) Rodriguez erklärt in diesem Zusammenhang die Bürger zu dem Akteur, der den größten Beitrag in diesem Pro- zess leistete. (Rodriguez 23.02.2012)

Der Prozess zur Entwicklung des Master Plans begann mit einer Debatte von The- men, die in New Orleans spannungsgeladen waren aufgrund der Entwicklung bis- heriger Planungen zum Wiederaufbau (in erster Linie das Planwerk BNOB): Inwie- fern sollte der Master Plan Menschen unterstützen, die in die Stadt zurückgekehrt sind oder inwiefern diejenigen, die noch immer außerhalb der Stadt wohnen oder inwiefern gar einer neuen Einwohnerschaft, die den Wiederaufbau der Stadt unter- stützt? Inwiefern sollte die Besiedlungsfläche der Stadt reduziert werden? Inwie- fern hatte die Stadt zu viel oder zu wenig bezahlbaren Wohnraum? Inwiefern kon- trollierte Uptown oder Downtown den Prozess des Wiederaufbaus? (City of New Orleans 2010a: 6–7) Auch wenn diese Art der Fragen Beteiligte am Planungspro- zess des Master Plans möglicherweise provozierte, war es offenbar dennoch not- wendig, diese „Wunden“ offen zu diskutieren und dementsprechend Erwartungs- haltungen abzufangen und (psychologisch) einen Rahmen für die Entwicklung des neuen Plans abzustecken.

Auf dem Weg bis zur Genehmigung des Master Plans wurden Entwürfe des Plans kritisiert: Diskutiert wurden Verkehrsmuster in Zusammenhang mit einer Revitali- sierung der Nachbarschaften. Beispielsweise wurde vorgeschlagen, einen Teil einer aufgeständerten Autobahn (I-10 Expressway) abzureißen, der vor einigen Jahr- zehnten gebaut worden war und eine traditionelle Nachbarschaft zerstörte. (Cendón 08.05.2009) Neben Teilnehmern der Nachbarschaftstreffen, die regelmäßig öffent- lich stattfanden, kritisierten auch externe Akteure Vorversionen des Master Plans (Eggler 14.10.2009). Paul Sedway, Vorstandsmitglied der American Planning Association und Vizepräsident des American Institute of Planners, wurde vom Bureau of Governmental Research (BGR) beauftragt, den Stand des Master Plans zu beurteilen. Er kam zu dem Ergebnis, dass der Plan nochmals überarbeitet wer- den müsse: Die Version des Planes sei mit fünfhundert Seiten zu lang und in Bezug

553 auf seine eigentlichen Aufgabenbereiche zu breit angelegt.281 Das Handlungsfeld der Flächennutzung, das eine Grundlage des Master Plans für jegliche Art zukünf- tiger Planung sein solle, befindet sich am Ende des Dokuments und es würden in diesem Teil Strategien fehlen, mit denen die Stadtverwaltung täglich arbeiten kön- ne. Fehlende Bestandteile wie ein Index und eine Karte, die allen Planungen des Planwerks zu Grunde liegt, oder das Fehlen nummerierter Abschnitte und Quer- verweise würden es Sachbearbeitern erschweren, mit dem Dokument zu arbeiten. David Dixon, Chefautor des Planwerks, nahm die Kritik grundsätzlich an, vertei- digte allerdings umgehend die Länge des Master Plans: New Orleans hatte diese Art von Planungsarbeit noch nicht geleistet, so dass erst einmal eine Grundlage geschaffen werden müsse. (Eggler 14.10.2009) Das BGR kritisierte einige Monate später einen neuen Entwurf, da der Plan gegenüber dem vorherigen Entwurf nur bedingt verbessert wurde. Laut BGR mache der überarbeitete Entwurf seiner Mis- sion in Schlüsselfeldern keine Ehre. Das Forschungsinstitut formulierte spezifische Empfehlungen, um das Dokument zu einem Masterplan zu verbessern. (Times- Picayune Staff 07.04.2010; Bureau of Governmental Research 2010)

Während des Prozesses im Jahr 2009 konzentrierten sich Diskussionen auf einen gesonderten Vorschlag: Ein medizinischer Distrikt mit den Kliniken der Louisiana State University (LSU) und des U.S. Department of Veterans Affairs sollte entwi- ckelt werden in der Hoffnung, Investitionen nach New Orleans zu ziehen, die drin- gend gebraucht würden. Die Planentwicklung in Bezug auf den neuen Distrikt schritt schneller voran, als Gegnern lieb war. Da die Kliniken formal Projekte der Regierungen von Bund und Bundesstaat sind, sind sie demnach auch nicht Gegen- stand kommunaler Flächennutzung und lokaler Planungsgesetze. Die politisch- administrativen Akteure von Bund und Bundesstaat standen „hinter“ ihren Ent- wicklungsprojekten (Bureau of Governmental Research 2010) und Gegner der Projekte konnten sich nicht durchsetzen. (vgl. C II) Mittlerweile sind die Großpro- jekte im Stadtraum zu sehen.282 Laut BGR könnte dieses (leichtsinnige) Verfahren

281 Im Plan wird beispielsweise der Gesundheitsbereich stark thematisiert. Der Detaillierungsgrad ist in einigen Bereichen zu hoch. So schlägt der Plan beispielsweise Strategien zum Umgang mit Plastik- tüten vor. 282 Louisiana State University: Das University Medical Center (UMC) der Louisiana State University wurde von 2011-2015 gebaut (Catalanello 17.06.2015). Das Veterans Affairs Hospital des US-Department of Veter- ans Affairs wurde von 2010-2016 gebaut (Guillot 12.04.2016).

554 einer quasi abwesenden Bürgerbeteiligung auf lange Sicht alle bisherigen Bemü- hungen schwächen, eine beteiligende Planungskultur in der Stadt langfristig zu etablieren (Bureau of Governmental Research 2010), (vgl. C II)

Nach Johnson haben der Master Plan und die Comprehensive Zoning Ordinance noch drei große Hürden zu nehmen, damit sich die erhofften stadträumlichen Wir- kungen entfalten: Zögerlich führt er an, dass die finanzielle Umsetzung des Master Plans nicht gesichert sei. Er bezweifelt, dass das Dokument die Umsetzungskosten decke wie ein investment document. Des Weiteren habe sich stadtgesellschaftlich noch nicht das Verständnis entwickelt, was die Empfehlungen der Flächennutzung für das Eigentum bedeuten. Drittens gehörte zu den Zielen der CZO, „bessere“ Gestaltungsstandards für architektonische Elemente an Gebäuden festzusetzen. Auch diese Neuheit, die die Kriteriendichte beim Bauen erhöht, erfordere zunächst einmal einen stadtgesellschaftlichen – individuellen und kollektiven – „Lernpro- zess“. (Johnson 27.02.2012) Vor diesem Hintergrund haben nach Johnson die Punkte des Master Plans, die die größten Herausforderungen darstellen, eine lang- fristige Wirkung. Allerdings erfordern gerade diese Herausforderungen eine hohe Mobilisierung an politischem Willen, an ökonomischem Kapital und an Umset- zungsmacht. (Johnson 27.02.2012) Dennoch wurde durch den Entwicklungspro- zess des Master Plans erreicht, dass sich bei Bürgern ein gewisser Grad von Ver- antwortlichkeit eingestellt hat. Auf Grundlage des Master Plans ist nun eindeutig, welche stadträumlichen Entwicklungen rechtmäßig sind und welche nicht. Das gibt der Einwohnerschaft gegebenenfalls Selbstvertrauen in ihre eigenen Grundstücks- verkäufe. (Johnson 27.02.2012)

Auf der Grundlage des Master Plans und der Comprehensive Zoning Ordinance erhoffen sich die Autoren der Dokumente städtische Wirkungen, die indirekt auch die Flächennutzung an sich beeinflussen. (Johnson 27.02.2012) Das betraf bei- spielsweise das Vorhaben, das Straßenbahnnetz in New Orleans auszubauen, das im erarbeiteten Verkehrsplan integriert ist und durch Fördermittel des Bundes (TIGER Grant) umgesetzt werden soll. Auch das Vorhaben das Hyatt Hotel auszu- bauen hat städtische und stadträumliche Wirkungen, denn es stellt ein Entwick- lungsvorhaben dar, das mehrere Straßenblocks umfasst. Mischnutzung wird ange- strebt. In diesem Sinne stellt der Master Plan und die CZO ein Vertrauensvotum

555 ihrer Befürworterschaft dar: Die erwünschte Richtung einer Entwicklung der Flä- chennutzung der Stadt wird auf Grundlage der Dokumente angezeigt. Dieser An- satz manifestiert sich beispielsweise in der bundesstaatlichen Finanzierungskom- ponente mit dem Ziel, private Investitionen nachzuziehen. Denn ein öffentliches Planwerk zieht auch öffentliche Investitionen nach sich, die beispielsweise zum Ausbau der Straßenbahnlinien führen.283 Diese Investitionen sollen widerum pri- vate Entwicklungen manifestieren: „And that is what the public dollars are always trying to achieve is encourage investment for the private sector to take over what the public sector leaves off. Public sector would start the flow; a private develop- ment would come after that.“ (Johnson 27.02.2012) Johnson problematisiert aller- dings ein allgemeines Investitionsverhältnis und -verhalten zwischen öffentlichem und privatem Sektor und überträgt tendenziell der öffentlichen Hand und ihrer Zah- lungsunfähigkeit durch Inflation die Verantwortung dafür, dass viele private Pro- jekte nicht beendet werden können und damit Neuerungen nicht stattfinden: „(...) this is not speaking about New Orleans but more generally: With investment that’s dried up from the recession where few private developers or private investors with any capacity are willing to take the risk. And that is why you find so many private developments have stopped. You find the public is running out of money or they cannot possibly afford the cost of investing because of inflation over the years; you find that the public dollar does not go as far as it used to. So maybe, public dollars are inadequate to foster change on an appreciable level.“ (Johnson 27.02.2012)

Insgesamt jedoch verstehe nach Johnson die Stadt New Orleans nun nach Hurrikan Katrina mehr und mehr, auf welche Weise der öffentliche und der private Sektor miteinander verbunden sind und wie „die Öffentlichkeit“ von einer öffentlichen Initiative überzeugt werden kann, die private Inititativen erzeugen soll: „(...) we are getting better as a city to understand the links between public and private and how to get the public behind a public initiative that can generate private initiative. So, although we are all a little urban planner heads, general public can see that as well, too.“ (Johnson 27.02.2012) Collins zufolge ist in Bezug auf diese Entwicklung ein positives Ergebnis zu erkennen. Denn die Stadt hat durch den Master Plan die Pla- nungstradition gestärkt, die vor Hurrikan Katrina sehr schwach ausgebildet war (vgl. C I) und der Stadt gegenüber anderen großen Städten in den USA einen Nach-

283 Die Straßenbahn und sogenannte Street Car gehört zu den Touristenattraktionen in New Orleans.

556 teil verschaffte, vor allem in Bezug auf Standortentscheidungen von Unternehmen. Denn die meisten Unternehmen orientieren sich an Ordnung und Vorhersagbarheit in Bezug auf die Flächennutzung. Das war in New Orleans in der Vergangenheit nicht möglich (vgl. C I). (Collins 2011: 169)

Im Zusammenhang mit städtischen Wirkungen, die das Dokument des Master Plans hervorbringen soll, interpretiert Yolanda Rodriguez den Master Plan als Do- kument, das die Grundlage für alle weiteren Regularien schafft, die die Flächen- nutzung in der Stadt beeinflussen: „Obviously now we have a basis for creating a new zoning ordinance. Those two documents automatically link. And then hopeful- ly from there the Master Plan will also give us some guidance as to how we deve- lop our capital improvement program and how we go back and revise and subdivi- sion regulations. It is a document that is going to stand at the core of a lot of things that we do.“ (Rodriguez 23.02.2012) Ausgehend vom Master Plan müssen unter- schiedliche Strategien und Rahmenrichtlinien beispielsweise für die Handlungsfel- der der Verkehrsinfrastruktur oder für Wohnraum erarbeitet werden. Eine nachhal- tige Entwicklungsstrategie soll sich nicht nur auf öffentliche Gebäude, sondern auch auf private Entwicklungen beziehen. (Rodriguez 23.02.2012) Der Master Plan ist Teil des täglichen Arbeitslebens in der Stadtverwaltung von New Orleans. Das kann als wichtiger Entscheidungspunkt im Prozess um die Implementierung inter- pretiert werden. Denn die tägliche Arbeit basiert nun auf dem Master Plan. So müssen alle neuen Projekt und Politiken, die erarbeitet wurden, mit dem Master Plan konform sein und zur Prüfung eingereicht werden. Nach Rodriguez lag die größte Herausforderung in der Zusammenarbeit mit der Verwaltung: Kleine Bera- tungssitzungen waren mit den Abteilungen notwendig, deren Arbeit Auswirkungen auf die Flächennutzung hatte.284 Denn ein kollektiver Lernprozess innerhalb der Stadtverwaltung war notwendig, wie die Inhalte des Master Plans anzuwenden und zu nutzen sind, um formale Pläne und Initiativen in den jeweiligen Abteilungen erarbeiten zu können. (Rodriguez 23.02.2012)

284 Für die City Planning Commission war beispielsweise die Zusammenarbeit mit dem Mayors Office of Capital Improvement oder der Abteilung Public Works and Safety notwendig (Rodriguez 23.02.2012).

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Insgesamt jedoch ist ein derartiges stadtweites Planwerk nach Johnson eine Refe- renz für jede öffentliche Behörde (Johnson 27.02.2012). Der Master Plan wurde einerseits für die Verwaltungs- und lokale Regierungsebene entwickelt, um seine Umsetzung mit finanziellen Mitteln ausstatten zu können. (City of New Orleans 2010a: 9) Ressourcen sollen gebündelt und auf der Grundlage des Master Plans genutzt und nach einer Priorisierung von Vorhaben eingesetzt werden (Johnson 27.02.2012). So soll das Planwerk als Leitfaden dienen, um willkürliche Entschei- dungen in der Stadtentwicklung zu vermeiden. Die lokalen Behörden hatte die Aufgabe, andere städtische Pläne dem Master Plan entsprechend anzupassen. Der Master Plan stellt darüber hinaus ein Leitfaden für die Einwohnerschaft von New Orleans dar, um aus einer stadtweiten Perspektive Tendenzen, Möglichkeiten und Grenzen der räumlichen Entwicklung aufzuzeigen und kollektive Konsensfähigkeit zu demonstrieren. (City of New Orleans 2010a: 9) Das Planwerk hat aber vor allem die Funktion, bei privaten Entwicklern Vertrauen für Investitionen schaffen (John- son 27.02.2012) aufgrund der damit verbundenen Sichtbarkeit von öffentlichen Investitionen in infrastrukturelle Vorhaben der Stadt.

Der Master Plan unterliegt einem ständigen Überarbeitungsmodus. So nahm die City Planning Commission bereits bis zum 29. Juli 2016 Anträge für Änderungen entgegen. (vgl. City Planning Commission o.J.; City of New Orleans o.J.b)

D V.4 Prozessergebnis Master Plan 2030

Auch an dieser Stelle wird nun kurz darauf eingegangen, welche Leitidee, welcher Ansatz oder welche Logik sich letztendlich von welchem Akteur oder welcher Akteurskonstellation aus welchen Gründen stadtpolitisch durchgesetzt hat, denn der Master Plan wurde öffentlich angenommen und institutionell genehmigt.

Nachdem das Planwerk zum Wiederaufbau UNOP letztendlich institutionell auf politisch-administrativer Ebene genehmigt wurde und damit überlokale Fördermit- tel offiziell freigegeben wurden, wurde die städtische Planungsbehörde auch perso- nell wieder erweitert. Die städtische Planungsbehörde hatte somit Personalkapazi- täten als auch weitere finanzielle Ressourcen, um einen Prozess zur Entwicklung

558 eines stadtweiten Master Plan einzuleiten. (Auslöser) Der Master Plan folgt zwar derzeit „gängigen“ Prinzipien und Zielen in der Stadtentwicklung. Aus lokaler Perspektive bedeuten diese dennoch eine Fokussierung auf die Qualitäten der Stadt (Nachbarschaften) und eine Prioritätensetzung hinsichtlich stadtpolitischer (öko- nomischer) Notwendigkeiten (ökonomische und nachhaltige Entwicklung). Das Planwerk ist somit zwar insgesamt „grüner“ ausgerichtet. Das spiegelt sich aber nicht unbedingt in einer greifbaren Vision, einer Gesamtstrategie oder einem Stra- tegiemodell wider. (Leitidee, Ansatz oder Logik gesamtstädtischer strategischer Ziele) Dieser inhaltlich-materielle Planwerksansatz, der als eine „Priorisierung von zeitgemäßen zukunftsweisenden Handlungsfeldern zur lokalen Stadtentwicklung“ interpretiert werden kann, wurde wiederum im Rahmen eines extrem partizipatori- schen Prozessverlaufs entwickelt. Daran wirkten wie bei vorangegangenen Pla- nungsprozessen auch überlokale Fachplaner mit ihrer prozessualen und fachlichen Expertise stark mit. In diesem Fall wurde sogar die Steuerung des Planungsprozes- ses extern übernommen (Planungsbüro Goody Clancy). Die Mitwirkung externer Steuerungs- und Fachexpertise bei der Entwicklung eines Masterplan für eine Stadt dieser Größe wie New Orleans ist offenbar aufgrund von mangelnder lokaler Pla- nungskapazität und -expertise privater Planungsbüros notwendig und darüber hin- aus in Folge von nationalweiten Ausschreibungsprozessen in der Planung nicht mehr wegzudenken. (überlokale Mitwirkung von Fachexpertise)

Vor dem Hintergrund aller gesamtstädtischer Planungen hat sich der inhaltliche und strukturelle Ansatz des Master Plans sowie der Comprehensive Zoning Ordi- nance durch jeweils eine Kombination von Faktoren durchgesetzt: Die Entwick- lung dieser Planungsdokumente folgt einem überlokalen Trend, benötigte aber externe finanzielle Mittel, die die Bundesebene für den Wiederaufbau bereitgestellt hat. Das Ergebnis des Master Plan-Prozesses wurde öffentlich angenommen, da er im Rahmen eines breit angelegten Partizipationsprozesses entwickelt worden war. Für die inhaltliche und prozessuale Steuerung des Prozesses war eine starke fachli- che Expertise (Büro Goody Clancy) verantwortlich. Der Master Plan-Prozess mani- festierte letztlich ein verändertes Planungsverständnis lokaler Zivilgesellschaft, das sich durch die vorangegangenen Wiederaufbauplanungen langsam entwickelte. Ein

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Faktor scheint ausschlaggebend für seine Durchsetzungskraft285 zu sein: Die Ein- wohnerschaft hat einer Änderung der Stadtsatzung zugestimmt und verleiht dem Master Plan Gesetzeskraft. Der politische Wille des Stadtrates gab den Anstoß dazu. Dadurch verschafft das Planwerk Akteuren des Marktes und der Zivilgesell- schaft individuelle Planungssicherheit. Als zwei Jahre vor Hurrikan Katrina, 2003, die Änderung der Stadtsatzung bereits von einem lokalen Think Tank vorgeschla- gen wurde (BGR), wurde der Vorschlag im Stadtrat noch nicht debattiert und zur gesamtstädtischen Abstimmung gebracht. Zu diesem Zeitpunkt folgten Stadtrats- mitglieder in Bezug auf stadträumliche Planungsentscheidungen der Logik „eine Hand wäscht die andere“; an einer rationalen Logik hinsichtlich Flächennutzungs- änderungen und Entscheidungen in Bezug auf Stadtentwicklungsplanung mangelte es. (Faktoren, die eine Entwicklung des Planwerks im Nachgang der Katastrophe gefördert haben)

Dieses Planwerk ist das erste in dieser Reihe von Planwerken, das als Ergebnis eine Mischung aus einer planerischen Werterationalität und einer politischen Rationali- tät darstellt. Es folgt in erster Linie der Logik, dass öffentliche Investitionen in die Infrastruktur „vorhersehbar“ sein müssen und somit Planungssicherheit (bei Inves- toren und Immobilienentwicklern) schafft. Denn der Master Plan in Verbindung mit der neuen Comprehensive Zoning Ordinance wird der lokalstaatlichen Ebene dabei helfen, private Investitionen anzuziehen. Nach Collins (2011: 169) wäre das ohne den „post-Katrina planning process“ insgesamt nicht möglich gewesen, der unter anderem finanzielle Mittel dafür bereitstellte. (Art der Rationalität)

285 Unter Durchsetzungskraft wird hier öffentliche Akzeptanz und lokalstaatliche Genehmigung ver- standen.

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Abbildung 66: Planwerk zur Neuentwicklung der Stadt Master Plan 2030 (substanziell reformfä- hig, prozessual reformfähig) (eigene Darstellung).

D V.5 Zwischenfazit: Lokale Reformfähigkeit durch Prozess und Ergebnis des gesamtstädtischen strategischen Master Plans

Nachfolgend wird, wie nach der Untersuchung der vorangegangenen Planwerke auch, die Reichweite einer strukturell-prozessualen und inhaltlich-materiellen Re- formfähigkeit reflektiert. Anschließend werden Bedingungen zusammengefasst, die diese Art lokaler Reformfähigkeit forcieren oder blockieren.

561

An diesem Planwerk wird lokale Reformfähigkeit auf zwei Ebenen deutlich: auf der inhaltlich-materiellen Ebene und auf der strukturell-prozessualen Ebene; eine lokale Neuheit in der Serie der Entwicklung gesamtstädtischer strategischer Plan- werke. Denn eine Priorisierung von zeitgemäßen zukunftsweisenden Themen (in- haltlich-materieller Ansatz) kann hier als lokal neu erprobt bezeichnet werden. Die ebenfalls neu entwickelte Comprehensive Zoning Ordinance, die nach dem Master Plan erarbeitet wurde, hat die Planungsfunktion in New Orleans insgesamt gestärkt, denn eine Flächennutzung ist nun auf dieser Grundlage „vorhersehbar“ (vgl. Col- lins 2011: 169). Vor allem sind aber Elemente des strukturell-prozessualen Ansat- zes neu in New Orleans und spiegeln somit Reformfähigkeit wider: Das Planwerk hat Gesetzeskraft. Das Planwerk ist durch einen breiten – ebenfalls neu institutio- nalisierten – Partizipationsprozess entwickelt worden. In der Systematik der Reichweite von Reformen (nach Hall 1993) kann dieses Planwerk aufgrund seines inhaltlich-materiellen und seines strukturell-prozessualen Ansatzes als Reform 3. Ordnung bezeichnet werden, in der lokal ein neues Instrument für ein neues Ziel lokal eingesetzt wird. (Reichweite einer strukturell-prozessualen und inhaltlich- materiellen Reformfähigkeit)

Vor dem Hintergrund des dargelegten Planungsprozesses, dessen Ergebnis und dessen Kontextes sind im Fall des Master Plans und seiner substanziell-materiellen als auch strukturell-prozessualen Reformfähigkeit ebenfalls die Mitwirkung eines überlokalen Akteurs, des Planungsbüros Goody Clancy, von Bedeutung. Durch Fachexpertise dieses „überlokalen Mitwirkens“ gelang ein adäquater Partizipa- tions- und Ergebnisprozess; zeitgemäße zukunftsweisende Themen wurden entwi- ckelt und priorisiert (substanziell-materieller Ansatz) und ein umfassender Partizi- pationsprozesses veranstaltet (strukturell-prozessualer Ansatz) (fachlich-ideelle Ressource). Auch in diesem Planungsprozess wurde demnach eine personelle Neu- besetzung von fachlicher Expertise vorgenommen und zum ersten Mal seit Hurri- kan Katrina durch die städtische Planungsbehörde. Dadurch gelang es, auch diesen Prozess wie bereits beim Planwerk UNOP zu „entpolitisieren“, was eine lokale Reformfähigkeit forcierte. Ein gemeinschaftliches Vorgehen bei der Erarbeitung der Planwerksinhalte (Partizipationsprozess) zwischen lokalstaatlichen, zivilgesell- schaftlichen Akteuren und Akteuren, die zudem ein privatwirtschaftliches Interesse verfolgen, war neu und forcierte gleichzeitig eine inhaltlich-materielle und struktu-

562 rell-prozessuale Reformfähigkeit. Die Gesetzeskraft des Planwerks wurde zunächst durch einen lokalen Think Tank (BGR) vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde anschließend von der lokalstaatlichen Ebene (City Council) aufgenommen, debat- tiert und lokal zur Abstimmung gestellt. Dazu kam es, weil sich die Zusammenset- zung des Stadtrates im Zuge von Wahlen verändert hatte (Veränderung der institu- tionellen Zusammensetzung). Der neue Stadtrat stellte sich gegen die früheren Praktiken zur Entscheidungsfindung in der Flächennutzung und Planung der Stadt. In diesem Fall ist eine lokale Mitwirkung in Bezug auf eine lokale Reformfähigkeit von besonderer Bedeutung. Denn der lokale Think Tank (BGR) konnte fachlich- ideelle Ressourcen in den Prozess einbringen und der Stadtrat im Zusammenhang mit der Einwohnerschaft von New Orleans hatte die Antrags- und Entscheidungs- befugnis. Der Einwohnerschaft wurde im Rahmen des Prozesses der Sinn von „Planung“ deutlich, was die lokale Reformfähigkeit ebenfalls forcierte. Insgesamt konnte aber unter der Bedingung der Verfügbarkeit von überlokalen finanziellen Ressourcen, die für den Wiederaufbau auf der Grundlage des Planwerks UNOP nun lokal zur Verfügung standen, und durch eine personell erstarkte städtische Planungsbehörde der Prozess zur Neuentwicklung eines gesamtstädtischen Master Plan erst lokal in die Wege geleitet werden. Obgleich sich der ökonomische Impe- rativ in der Stadtentwicklung beharrlich auch in diesem Planwerksprozess hielt, spiegelt der Master Plan in Prozess und Ergebnis dennoch lokale Reformfähigkeit wider. Insgesamt forcieren demnach eine inhaltlich-materielle und strukturell- prozessuale Reformfähigkeit im Rahmen dieses Prozesses insbesondere eine Neu- besetzung und Mitwirkung überlokaler Akteure mit Fachexpertise, ein lokales ge- meinschaftliches Vorgehen im Partizipationsprozess sowie eine Mitwirkung loka- ler Akteure mit Entscheidungsbefugnissen, um dem Planwerk Gesetzeskraft zu verleihen. Für einen derartigen Prozess standen öffentliche finanzielle Ressourcen zur Verfügung; keine Selbstverständlichkeit für die Stadt New Orleans. (Bedingun- gen, die lokale Reformfähigkeit forcieren oder blockieren)

Die lokale Reformfähigkeit, die der Prozess zur Entwicklung des Master Plans aufzeigt, unterscheidet sich somit von der Reformfähigkeit, die die Prozesse zur Entwicklung vorangegangener gesamtstädtischer strategischer Planwerke zum Wiederaufbau verdeutlichten; in ihrer Reichweite und in den Bedingungen, die diese lokale Reformfähigkeit forciert haben. New Orleans scheint damit erst nach

563 einigen Anläufen stadtentwicklungspolitisch in der Lage, ein zukunftsweisendes strategisches Planungsdokument zu erarbeiten, das eine inhaltlich-materielle und strukturell-prozessuale Reformfähigkeit widerspiegelt. Planung in New Orleans zeigt damit auch eine Entwicklungsdynamik auf, die in planerischer Qualitätsver- änderung beziehungsweise -steigerung in New Orleans nach Hurrikan Katrina mündet.

D VI Vorzeigeprojekt lokaler Reformfähigkeit: Studie zum Rückbau eines Teilstücks des Interstate-10 Claiborne Expressway

Der neue Master Plan von New Orleans beinhaltet eine Vielzahl von Projekten, die im Sinne übergeordnerter Ziele bis 2030 und darüber hinaus verfolgt werden soll- ten. Unter anderem werden eine Umgestaltung von Entwässerungskanälen in inner- städtische Flüsse als ein Teilelement des Urban Water Plan und die Neugestaltung des Erhard Expressway zu einer ebenerdigen Straße mit Einzelhandel vorgeschla- gen. Ebenso wird im Master Plan empfohlen, Auswirkungen eines Rückbaus der Interstate-10 Claiborne Expressway zu untersuchen. Das betrifft einen Teilab- schnitt einer Schnellstraße, die durch Downtown New Orleans führt. (James, Nor- quist 20.08.2010; City of New Orleans 2010c: 11.6)

Der Entstehungsprozess der hier letztgenannten Empfehlung des Master Plans, eine Studie zum Rückbau eines Teilstücks des Interstate-10 Claiborne Expressway an- fertigen zu lassen, wird nachfolgend vertiefend aus zwei Gründen betrachtet: Ers- tens lässt sich beispielhaft ein Entstehungsprozess derartiger Projektempfehlungen inklusive Debatten mit Interessensbekundungen in strategischen Planwerken able- sen. Dieser Entstehungsprozess zeigt auf, dass Projektempfehlungen in derartigen Planwerken historisch gewachsen sind und dass Interessen einer Vielzahl von loka- len und überlokalen Akteuren verhandelt werden. Zweitens spiegelt der Prozess und das Ergebnis an sich ein neues Denken und einen neuen Umgang mit großen Verkehrsinfrastrukturen sowohl in New Orleans und als auch USA-weit wider. Diese Projektempfehlung des Master Plans kann somit als ein Beitrag interpretiert

564 werden, der lokale Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung von New Orleans nach Hurrikan Katrina anzeigt. Nachfolgend sollen, wie in den vorangegangenen Unter- kapiteln auch, Bedingungen herausgearbeitet werden, die diese Art der Reformfä- higkeit forciert haben. Akteursbezogen deutet sich diesbezüglich insbesondere ein Zusammenwirken einer lokalen zivilgesellschaftlichen Initiative mit der überloka- len fachpolitischen Organisation des Congress for New Urbanism (CNU) an. Dabei ist sicherlich auch von Bedeutung, dass die Stadt New Orleans unter CNU- Mitgliedern als die Stadt gilt, die seit Langem für ihre städtische Struktur und die intensiven Wiederaufbauplanungen des New Urbanism in der Folge von Hurrikan Katrina 2005 „verehrt“ wird (Filmanowicz 09.08.2010).

Aufgrund dessen wird nachfolgend zunächst auf den Zusammenhang zwischen dem Congress for New Urbanism (CNU) und der Autobahn Interstate-10 Claibor- ne Expressway eingegangen (6.1). Darauf folgend wird die historische Entstehung der Autobahn aufgezeigt (6.2), um die aktuellen Debatten nach Hurrikan Katrina um den Rückbau eines Teilabschnittes dieser Autobahn zu verstehen (6.3). Dabei spielt das Votum zivilgesellschaftlicher Akteuren eine besondere Rolle (vgl. 6.1.3). Abschließend wird zur Durchsetzungsfähigkeit der Leitidee dieser Projektempfeh- lung Stellung genommen (6.4) und die Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit zusammenfassend dargestellt (6.5).

D VI.1 Der Congress for the New Urbanism und New Orleans’ Interstate-10 Claiborne Expressway

Die fachpolitische Organisation Congress for the New Urbanism (CNU), die sich unter anderem für fußgängerfreundliche Nachbarschaften einsetzt und städtebauli- che Alternativen zur städtischen Zersiedlung sucht, hat im Februar 2014 eine Auf- liste von den innerstädtischen Autobahnen und Schnellstraßen in den USA veröf- fentlicht, die abrissreif sind und in denen Highways durch Boulevards ersetzt wer- den könnten und sollten.286 Die Städte New Orleans, Syracuse und Detroit führen diese Liste an. Laut CNU sind Boulevards eine realisierbare Alternative, die bereits

286 Diese Auslistung mit dem Titel „Freeways Without Futures“ wird seit 2008 jährlich veröffentlicht.

565 umgesetzt wird. Mitte des 20. Jahrhunderts galt es im Sinne von Robert Moses als ein Zeichen von „Fortschritt“, Autobahnen oder Schnellstraßen direkt in und durch US-amerikanische Städte zu bauen. Einige wenige Bürgerinitiativen haben den Bau anfänglich stoppen können. Aber vielerorts wurden Schnellstraßen aufgeständert durch Nachbarschaften gebaut und damit oft auch historische Nachbarschaften zerstört. Allerdings wächst mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts mehr und mehr das Verständnis, dass der Rückbau von innerstädtischen Schnellstraßen und anstel- le dessen der Neubau von sogenannten Boulevards das städtebauliche Gefüge wie- derherstellt, neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet und noch immer den Indivi- dualverkehr effizient gewähren lässt. Die ersten zehn Schnellstraßen auf der Liste, die der CNU eruiert hat, haben zwar keine Rangfolge. Der Claiborne Expressway in New Orleans führt dennoch die Liste an, da er einen bedeutenden Fall darstelle. (Halbur 12.02.2014; vgl. Congress for the New Urbanism 11.02.2014; New Urban Network 01.10.2009) Der CNU hat diese Liste nach verschiedenen Kriterien erar- beitet: das Alter und die Ausgestaltung der Autobahn, das Entwicklungspotential, das Potential der Kosteneinsparung durch einen Abriss, die Möglichkeit, die Mobi- lität und den lokalen Zugang zur stadträumlichen Umgebung zu verbessern, anste- hende Entscheidungen zur Infrastruktur (auf stadtpolitischer Ebene) und die lokale zivilgesellschaftliche Unterstützung eines Abrisses. (Congress for the New Urba- nism 11.02.2014) Vorsitzender des CNU ist John Norquist. Norquist war Bürger- meister von Milwaukee und er forcierte den Rückbau des innerstädtischen Park East Freeway 2003. Das traditionelle Straßenraster wurde wiederhergestellt (Elie 11.07.2009).

In den Empfehlungen des New Orleans Master Plans (City of New Orleans 2010c: S. 11.8, 11.23–11.26) wurde die Erarbeitung einer Studie vorgeschlagen. Unter- sucht werden sollte, inwiefern der Claiborne Avenue Expressway bis zur St. Ber- nard Avenue zurückgebaut werden könnte. Der Claiborne Avenue Expressway, der auch Interstate 10 Expressway (I-10) genannt wird, wurde in den 1960er Jahren über der Claiborne Avenue gebaut. Die Claiborne Avenue war ein breiter Boule- vard, der mit Eichenbäumen umsäumt war. Eine Interessengruppe sprach sich nach Hurrikan Katrina dafür aus, den Verkehr wieder auf ebenerdiges Straßenniveau zurückzubringen und die Interstate 10 (I-10) zurückzubauen. Die Gruppe hat Auf- sehen erregt. Denn zum einen wurde sie in ihrer Idee von professionellen Planern

566 unterstützt und zum anderen hat der Expressway eine größere Überholung nötig. Der Interstate-10 Expressway verläuft durch die Nachbarschaften Tremé und Lo- wer Mid-City, nordwestlich des French Quarter und endet in der Nähe des Super- dome (Filmanowicz 09.08.2010; Peirce 02.09.2010).

New Orleans zählt zu den Städten, in der ernsthaft der Rückbau einer Aufstände- rung einer Schnellstraße von Befürwortern in Erwägung gezogen wurde, um einen bedeutenden städtischen Korridor ökonomisch und kulturell durch einen ebenerdi- gen Boulevard zu erneuern (Filmanowicz 09.08.2010). So war New Orleans nach Hurrikan Katrina in der Situation, in der sich Milwaukee, San Francisco und New York City vor einigen Dekaden befanden (James, Norquist 20.08.2010). Der West Side Highway in New York City brach 1973 zusammen und wurde später durch die West Avenue ersetzt; ein Boulevard mit einem Fahrradweg, der parallel zum Fluss- ufer verläuft. In San Francisco zerstörte das Erdbeben Loma Prieta 1989 zwei Au- tobahnen. Der Central Freeway in San Francisco wurde zunächst geschlossen und letztendlich abgerissen.287 In diesen Fällen wurden die Nachbarschaften in der Um- gebung zu Magneten für Wohnbevölkerung, Unternehmen und Kultur (James, Norquist 20.08.2010; vgl. Peirce 02.09.2010; vgl. Press 29.03.2011).

Nachdem der Claiborne Expressway auf dieser Liste des CNU „Freeways Without Futures“ erschien, wurden im Sommer 2010 in die Öffentlichkeit kollektive Erwar- tungen geschürt, dass es durchaus möglich wäre, den Expressway durch ein eben- erdiges Straßennetz zu ersetzen (Filmanowicz 09.08.2010). Die Pläne gehen auf 1976 zurück. Die neue Kampagne bezog sich auch auf Planungsbemühungen, die von Clifton James288 und Dr. Rudy Lombard 1976 im Claiborne Avenue Design Team Report gemacht wurden und von dem Louisiana Department of Highways in Auftrag gegeben wurde.

287 Auf der Liste des CNU „Freeways Without Futures” stehen beispielsweise die Route 34 in New Haven Connecticut, die Interstates 81 durch Syracuse, New York und 64 in Louisville, Kentucky, die Route 29 in Trenton, New Jersey, der Sheridan Expressway in der Bronx, New York City, der Gardi- ner Expressway in Toronto, der Skyway und die Route 5 in Buffalo, New York und die 11th Street Bridges und der Southeast Freeway in Washington, D.C. Laut CNU sollten alle diese Infrastrukturen abgerissen und das vormalige Straßenraster wiederhergestellt werden. 288 Clifton James ist Architekt und Leiter des Urban Design Research Center in New Orleans. Er hat an der Studie zur Claiborne Avenue 1976 mitgearbeitet. John Norquist ist Vorsitzender des Congress for New Urbanism und war Bürgermeister von Milwaukee.

567

Abbildung 67: Interstate-10 Expressway führt durch Nachbarschaften in New Orleans (Congress for the New Urbanism 11.02.2014).

Bereits 2007 griff die Bewegung des CNU, auch Highways-to-Boulevards genannt, die Idee wieder auf, den Expressway zurückzubauen. Auf lokaler Ebene formierte sich die lokale Interessengruppe Claiborne Corridor Improvement Coalition (CCIC) mit dem Ziel, die Schnellstraße durch einen ebenerdigen Boulevard zu ersetzen (Condon 08.08.2010).289 Clifton James war Mitbegründer eines Bündnis- ses, die eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Befürworter vereint. Die Initiative erarbeitete Anforderungen an den innerstädtischen Korridor mit dem Ziel, die Claiborne Avenue wieder zu etablieren als „a healthy, vibrant boulevard to serve as an anchor for the immediate neighborhoods and the whole city of New Orleans.“ (Filmanowicz 09.08.2010) Des Weiteren leiteten Jack Davis290 als Vorstandsmit- glied des CNU und Vertreter von Smart Growth for Louisiana; Vaughn Fauria, Geschäftsfrau und Aktivistin in Tremé; sowie Jim Kelly als Vertreter der Nonprofit Organisation Providence Community Housing und Catholic Charities Archdiocese

289 Die Idee, die Aufständerung der Schnellstraße zurückzubauen, wurde nach Clifton James bereits vor Hurrikan Katrina geboren (2003/2004) (James 24.02.2012). 290 Jack Davis war Herausgeber des Courant und gründete die Place section.

568 of New Orleans das Bündnis Claiborne Corridor Improvement Coalition (CCIC) (Filmanowicz 09.08.2010).

Abbildung 68: Lage des I-10 Claiborne Expressway im Stadtraum (City of New Orleans 2010c: 11.22).

Am Fall des Claiborne Expressway wird die Unterstützung einer fachpolitischen Organisation (CNU), deren Mitglieder unter anderem unternehmerische Geschäfts- felder verfolgen, von einem lokal ansässigen Interessenbündnis (CCIC) deutlich. In dem lokalen Bündnis sind auch Mitglieder der fachpolitischen Organisation vertre- ten. Strategien und Erfolge zeigen sich in Bezug auf das gemeinsame Ziel.

569

D VI.2 Historie der Claiborne Avenue und der Interstate 10 Expressway

Die Einkaufsstraße Claiborne Avenue und die umliegende Nachbarschaft mussten in den 1960er Jahren aufgrund verschiedener Faktoren an nachbarschaftlicher Vita- lität einbüßen: Nach Aufhebung der Rassentrennung wanderte die Wohnbevölke- rung und der Einzelhandel in den suburbanen Raum ab. Damit erweiterten sich auch Einzelhandelsoptionen afroamerikanischer Kunden und darunter litt der in- nerstädtische Einzelhandel. Der Bau der Interstate 10 als aufgeständerte Schnell- straße schränkte allerdings das kommerzielle und nachbarschaftliche Leben auf der North Claiborne Avenue erheblich ein. (Elie 11.07.2009; vgl. Filmanowicz 09.08.2010). Die Autobahn wurde durch die mehrheitlich afroamerikanische Nachbarschaft Tremé zu einer Zeit gebaut, in der der Bau dieser Art Schnellstraßen als fortschrittlich galt. Auch die kreolische Aristokratie in New Orleans befürwor- tete den Bau, die zu dieser Zeit erheblichen stadtpolitischen Einfluss in New Or- leans hatte (Peirce 02.09.2010, vgl. C I). Die Befürworterschaft ging auch davon aus, dass der Bau von Schnellstraßen direkt in der Innenstadt von New Orleans die Lebendigkeit dieser bewahren würde, da dadurch ein schneller Automobilanschluss gegeben sei (Eggler 22.07.2010). Der Abschnitt der Autobahn ist zwar nach Peirce mehr ein „Nebengleis“ als ein essentieller Bestandteil des Interstate-Systems. Den- noch waren dessen Konsequenzen in Bezug auf die Vitalität der Nachbarschaft Tremé – unbedachterweise – nachteilig (Peirce 02.09.2010):

Die North Claiborne Avenue war einst ein belebter Einkaufsboulevard in den Nachbarschaften von Tulane/Gravier, Tremé/Lafitte und der 7th Ward. Der Mittel- streifen wurde als öffentlicher Raum genutzt. Anders als die South Claiborne Ave- nue war dieser von Eichenbäumen gesäumt und somit beliebt als ein Ort des öf- fentlichen Lebens (Picknicks etc). (Elie 11.07.2009; vgl. Congress for the New Urbanism 11.02.2014) „That was like black people's Canal Street“, so Armand Charbonnet, ein alt eingesessener Familienunternehmer von Charbonnet-Labat Funeral Home in Tremé (Charbonnet zit. inElie 11.07.2009). Die North Claiborne Avenue war die zentrale Ader für Festumzüge der Mardi Gras Indians und der afroamerikanischen Marching Bands. Diese und andere Festivitäten wurden durch den Bau der Interstate verbannt. (Elie 11.07.2009) Die Claiborne Avenue galt so- mit lange als Hauptader für die afroamerikanische und kreolische Geschäftswelt,

570

Musik und Kultur (Filmanowicz 09.08.2010). Der Bau der Interstate hat eine be- liebte Flaniermeile von Louis Armstrong und anderen bekannten Persönlichkeiten aus New Orleans zerstört (James, Norquist 20.08.2010). Durch den Bau wurde aber auch die Nachbarschaft Tremé, eine der ersten freien afroamerikanischen und einst eine der wohlhabendsten Nachbarschaften, physisch gespalten und sozial ruiniert. (Congress for the New Urbanism 2011)

US-Bundespolitiken trieben die Entwicklung von Suburbanisierung und den Bau von Schnellstraßen voran und die finanziellen Investitionen in die US- amerikanischen Innenstädte verringerten sich. 1956 wurde das Interstate-Highway- Gesetz des Bundes verabschiedet: Wenn ein Bundesstaat einen sogenannten Inter- state Highway baut, stellt die Bundesregierung neunzig Prozent dieser Baukosten als finanzielle Mittel bereit. (Elie 11.07.2009; vgl. Peirce 02.09.2010). Bereits in den 1950er Jahren forderte die Handelskammer, dass in New Orleans einige Schnellstraßen gebaut wurden. In diesem Zusammenhang wurden auch der River- front Expressway, der durch das French Quarter führen sollte, und der Claiborne Expressway vorgeschlagen (Elie 11.07.2009). Einflussreiche Aktivisten im French Quarter verhinderten den Riverfront Expressway. (Baumbach, Borah 1980) Aber die mehrheitlich afroamerikanische Bewohnerschaft von Tremé konnte die Zerstö- rung des Claiborne Boulevard nicht abwenden. (Elie 11.07.2009) So wurde 1966 die Mehrheit der Eichenbäume abgeholzt; in einigen Fällen in andere Teile der Stadt umgesetzt und durch Betonpfeiler der neuen Schnellstraße ersetzt. Etwa fünfhundert Wohn- und Geschäftsgebäude wurden abgerissen, um Raum für den Bau der Schnellstraße zu schaffen. (Congress for the New Urbanism 11.02.2014) 1968 waren bereits Abschnitte der neuen Schnellstraße eröffnet (Elie 11.07.2009). Proteste der vornehmlich afroamerikanischen Nachbarschaften – Bewohnerschaft und Geschäftsleute – hatten keinen Erfolg und konnten den Bau nicht verhindern (James, Norquist 20.08.2010).

In den letzten Jahren wurden viele der älteren Gebäude in der Nachbarschaft Tremé renoviert und saniert. Aber Straßenblocks, die sich nahe des Expressways befinden, gelten als nicht attraktiv für Investitionen und die Gebäude sind aufgrund ihrer Vernachlässigung zerstörungsanfällig (Elie 11.07.2009). Die Zahl der Einzelhänd- ler ist von 1960 bis zum Jahr 2000 von 132 auf 35 gesunken (Peirce 02.09.2010).

571

Eine Wiederherstellung des Boulevards biete nach James (20.08.2010) die Mög- lichkeit, eine stadträumliche Umgebung für wachsende und lokal ansässige Unter- nehmen zu schaffen und erhöhe die Chance, Arbeitsplätze für eine lokal ansässige Bewohnerschaft zu schaffen. Nach James und Norquist wäre das der beste Weg, um „Hoffnung nach Tremé und die Lower Mid-City zu bringen“. Der Boulevard würde darüber hinaus allen Einwohnern in New Orleans als öffentlicher Raum zur Verfügung stehen (James, Norquist 20.08.2010). Laut Norquist hatte die Claiborne Avenue einen bedeutenden ökonomischen und kulturellen Wert. „If the avenue is restored, a great wrong can be righted and new opportunities pursued” (Norquist zit. in Filmanowicz 09.08.2010).

D VI.3 Prozess zur Debatte über den Rückbau des Interstate 10 Expressway

Zwei Sachverhalte führten zur Debatte über einen potentiellen Rückbau eines Teil- abschnittes des Interstate 10 Expressways: Die Abkehr vom nationalen Trend, Schnellstraßen auf Pfeilern durch Innenstädte zu bauen, und die monetären Kosten zur Aufrechterhaltung der Schnellstraßen in den Innenstädten. Somit erhöhte sich die Möglichkeit, auch einen Teilabschnitt des Claiborne Expressways vom Pon- tchartrain Expressway bis zur Elysian Fields Avenue zurückzubauen (Elie 11.07.2009). Die Bewegung, die einen Rückbau befürwortete, ist nicht nur ge- wachsen, weil sie Unterstützung von Planern bekam, sondern auch, weil der Ex- pressway selbst sehr bald eine Generalüberholung nötig hat, um die Sicherheit zu gewährleisten, so eine Studie des CNU und der lokalen Claiborne Corridor Impro- vement Association (CCIC) (Peirce 02.09.2010). Es würde zusätzliche finanzielle Mittel erfordern, die Straße wieder instand zu setzen, als einen Teilabschnitt zu- rückzubauen (Elie 11.07.2009). Nach Aussage der National Bridge Inventory der Federal Highway Administration sind einige Anschlussauffahrten baulich verfallen und benötigen eine Überholung oder gar einen Abriss und eine Erneuerung. Allein diese Maßnahmen würden fünfzig Millionen US-Dollar kosten (Eggler 22.07.2010; vgl. Peirce 02.09.2010). Da die Schnellstraße aber nun bereits einige Jahrzehnte in Benutzung ist, müsste mit einem erheblich höheren Betrag gerechnet werden (Ja- mes, Norquist 20.08.2010; vgl. Eggler 04.04.2013). Das Beispiel Milwaukee zeigt

572 aber, dass sich ein Abriss einer innerstädtischen Schnellstraße und der Bau eines ebenerdigen Straßensystems rechne: Dreißig Millionen US-Dollar hat der Abriss und Neubau gekostet. Achtzig Millionen US-Dollar wären benötigt worden, um die Autobahn wiederaufzubauen. (Peirce 02.09.2010) Trotz politischer und finanzieller Herausforderungen könnte auch das Projekt in New Orleans Kosten sparen, da die Kosten für die Instandsetzung gegengerechnet werden müssten (Filmanowicz 09.08.2010). Tatsächlich könnte ein Abriss – zumindest der Teil eines unbedeuten- den Straßenabschnittes – für den Bund finanziell attraktiver sein als die Instandset- zung. Denn das Bundesverkehrsministerium, U.S. Department of Transportation (DOT), wäre grundsätzlich für die Bereitstellung finanzieller Mittel verantwortlich, um die Schnellstraße technisch wieder auf den neuesten Stand zu bringen (Peirce 02.09.2010; vgl. Congress for the New Urbanism 2009).291

3.1 Stadtpolitisches Stimmungsbild zur Idee des Rückbaus und Planungsvorstellungen

Ohne Schnellstraßen würden laut CNU die regulären städtischen Bodenwerte stei- gen, die Mobilität zunehmen und die Zersiedlung eingedämmt werden. Des weite- ren stärke ein reguläres ebenerdiges Straßenraster kompakte, fußgängerfreundliche und mischgenutzte Nachbarschaften. Der CNU befürwortet, Highway-Planungen des Bundes zugunsten von Verbesserungen des ebenerdigen Straßensystems zu überdenken, anstatt Viadukte, Tunnel und Hochstraßen zu fördern (Peirce 02.09.2010).

Der Vorschlag, den Claiborne Expressway zurückzubauen, wurde in den Unified New Orleans Plan integriert (vgl. Eggler 04.04.2013): Nach der Zerstörung 2005 und den anschließenden Wiederaufbaubemühungen wuchs der Zuspruch, die Rolle der Interstate 10 im nördlichen Korridor der Claiborne Avenue zu überdenken, insbesondere in Bezug auf das Alter der baulichen Strukturen und die Zerstörungen nach dem Wirbelsturm. Schon der Unified New Orleans Plan hat angedeutet, dass

291 Insofern könnte die Neugestaltung der Claiborne Avenue mit finanziellen Mitteln des Bundes erfolgen; mit sogenannten TIGER 2/Sustainable Communities Grant Applications laut Filmanowicz (Filmanowicz 09.08.2010).

573 der Abriss der I-10 beachtenswerte „positive Wirkungen“ hätte.292 Im UNOP wird demnach ein vollständiger Abriss von zwei Meilen der aufgeständerten I-10 emp- fohlen. (Congress for the New Urbanism 11.02.2014) So wurde das Projekt auch zu einer Schlüsselempfehlung im Entwurf des Master Plans und später in der ge- nehmigten Version des Master Plans. (Eggler 22.07.2010; vgl. Eggler 04.04.2013)

Während der Amtszeit von Bürgermeister Nagin wurde einem derartigen Projekt in der Stadtregierung und -verwaltung nicht die oberste Priorität zugesprochen, da andere Infrastrukturprojekte als dringlicher bewertet wurden: „It's not that it's not a priority. (...) It's just that we have some immediate infrastructure needs that we have got to take care of in order to handle what is happening day to day with regard to transportation and streets”, so Julie Schwam Harris, Leiterin des Office for In- tergovernmental Relations der Stadt während der Amtszeit von Bürgermeister Nagin. (Harris zit. in Elie 11.07.2009) Bürgermeister Mitch Landrieu hielt sich alle Wege politisch offen in Bezug auf den Vorschlag, einen Teil der Schnellstraße zurückzubauen. Auf einer Veranstaltung des Urban Land Institutes gab er Folgen- des bekannt: „It could be a game-changer. It could reconnect two of the city's most historic neighborhoods […] I'm not saying I'm for it. […] I'm just saying it's worth thinking about.” (Landrieu zit. in Eggler 22.07.2010; vgl. Filmanowicz 09.08.2010) Am 20. Juli 2010 sprachen sich die Stadtratsmitglieder Jon Johnson, Kristin Palmer und Stacy Head für einen Rückbau im Rahmen eines Treffens mit Bürgermeister Landrieu aus (Filmanowicz 09.08.2010). Auch John Norquist unterstützte seit 2007 aktiv den Rückbau und die Neugestaltung der Claiborne Avenue. Vor dem Hinter- grund einer breiten öffentlichen Unterstützung und der Unterstützung des CNU, dem relativ positiven Verhalten des neuen Bürgermeisters und dem Engagement von Schlüsselakteuren des Stadtrates avancierte das Projekt zu einem Spitzenthema in New Orleans. (Davis zit. in Filmanowicz 09.08.2010).

292 Zu den positiven Auswirkungen würden neue räumliche Verbindungen in die Nachbarschaften und eine Wiederherstellung der boulevardartigen Straße gehören. Eine Verlagerung des Autoverkehrs auf ein ebenerdiges Straßennetz oder auf die Interstate 610 (Elie 11.07.2009) verspricht ökonomische Entwicklungseffekte in einem räumlichen Korridor, in dem dann ein städtischer Raum von 35 bis 40 Straßenblocks für Wohnen sowie 20 bis 25 Straßenblocks zusätzlich zur Verfügung steht. (Congress for the New Urbanism 11.02.2014)

574

3.2 Votum aus der Zivilgesellschaft

In New Orleans formierte sich eine zivilgesellschaftliche Bewegung, die von der überlokalen fachlichen Organisation CNU stark befürwortet und unterstützt wurde (Peirce 02.09.2010): In dieser Interessengruppe, der Claiborne Corridor Improve- ment Coalition CCIC, schlossen sich zivilgesellschaftliche Aktivisten und Planer zusammen und veröffentlichten im Juli 2010 (am 22.07.2010) eine Studie, die sich für einen Rückbau eines Teils der Schnellstraße über der Claiborne Avenue aus- spricht (Eggler 23.04.2011). Der ursprüngliche Planungsvorschlag ist aus dem Jahr 1976 und nennt sich Claiborne Avenue Masterplan 1976 (James 24.02.2012 vgl. oben). Die lokale Interessengruppe CCIC und der Congress for the New Urbanism hatte die Erarbeitung des sechzigseitigen Dokuments in Auftrag gegeben bei Wag- gonner & Ball, einem Architekturbüro aus New Orleans und Smart Mobility Inc., einem Consultingunternehmen aus Norwich, Vermont. (Eggler 22.07.2010) Die Auftragnehmer erarbeiteten Varianten für eine planerische Alternative zu einem Teilabschnitt der derzeit aufgeständerten Schnellstraße I-10 (Condon 08.08.2010; vgl. Congress for the New Urbanism 2011)

Auf diese Aktivität des CNU und seinen Bündnispartnern folgte ein mehrtägiges Treffen mit städtischen Vertretern, ein Nachbarschaftstreffen und eine Presseerklä- rung. Die Rückbauvorschläge des CNU und der aktiven und wachsenden Bewe- gung dahinter wurden medial einige Tage vor dem tropischen Sturm Bonnie, der die Küste von Louisiana erreichte, stark thematisiert. (Filmanowicz 09.08.2010) Der CNU erhielt als New Orleans’ Bündnispartner von der National Endowment for the Arts und von der Ford Foundation finanzielle Unterstützung, um für das Vorhaben, Schnellstraßen in Boulevards umzugestalten, technische und fachliche Unterstützung in Auftrag geben zu können (Filmanowicz 09.08.2010).

3.2.1 Die Studie „Restoring Claiborne Avenue: Alternatives for the Future of Claiborne Avenue“ der Interessenskoalition CCIC und des CNU

Die Büros Waggonner & Ball und Smart Mobility Inc. erarbeiteten die Studie „Re- storing Claiborne Avenue: Alternatives for the Future of Claiborne Avenue“ für

575 einen Abschnitt des Expressway zwischen der Elysian Fields Avenue und dem Pontchartrain Expressway. Der Abschnitt ist 2,2 Meilen (3,5 Kilometer) lang und soll sich in das ebenerdige Straßenraster als Boulevard einfügen. (Condon 08.08.2010; Congress for the New Urbanism 2011)

Die Studie macht Vorteile eines Rückbaus für die umgebene Nachbarschaft und für New Orleans als Gesamtstadt deutlich (Congress for the New Urbanism 2011): Orte der Verwahrlosung würden beseitigt werden, Lärm und Verschmutzung wür- den reduziert, die Möglichkeit, den öffentlichen Nahverkehr zu stärken, würde erhöht und in die Nachbarschaften Tremé und 7th Ward würde wieder öffentlich und privat investiert werden. (Eggler 04.04.2013; vgl. Eggler 22.07.2010; vgl. Condon 08.08.2010). Eine Verlagerung des Individualverkehrs auf Straßenniveau und die Schaffung einer parkähnlichen Umgebung für Fußgänger würde zu einem lebendigen und sicheren Boulevard mit mehr Einzelhandel führen. Die afroameri- kanische Kultur und Geschichte sollen wieder mit der Nachbarschaft verbunden werden, so James und Norquist. (James, Norquist 20.08.2010). In den angrenzen- den Quartieren könnten sich eine Mischnutzung und lebendige Nachbarschaften entwickeln, die durch die Flächensanierungspraxis der 1960er Jahre zerstört wur- den. Verdichtung wäre möglich, allerdings sollte der historische Kontext der Nach- barschaften und die städtische Struktur der Stadt respektiert werden (Congress for the New Urbanism 2009). Bei einer Umsetzung der Planungen werden etwa fünf- zig acre (etwa zwanzig Hektar) Grund und Boden verfügbar, die bislang als Park- plätze genutzt werden. Dieser „Flächenzugewinn“ würden dann für öffentliche Nutzungen und eine vollständige Neugestaltung zur Verfügung stehen. Filmano- wicz 09.08.2010; vgl. Congress for the New Urbanism 2011; vgl. Condon 08.08.2010). Auch Jeffrey Schwartz, Gründer von Transport for NOLA, einer Inte- ressengruppe in New Orleans, und Vorsitzender der Broad Community Connec- tions Organization, stellt heraus, dass ein Teilabriss des Claiborne Expressway, der sich nördlich des French Quarter befindet, einen Effekt auf die Neuentwicklung von einigen weniger wohlhabenden und manchmal vergessenen Gebieten der Stadt haben könnte (Planetizen 06.09.2010).

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Abbildung 69: Stadträumlicher Korridor Claiborne Avenue Expressway (oben: derzeitiger Stand, unten: mögliche Planung) (Smart Mobility Inc., Waggonner & Ball Architects (15.07.2010): ii).

577

Laut der Studie ist der Boulevard mit drei Spuren in jede Richtung angedacht. Da- mit wird er die gleiche Kapazität aufweisen wie der Expressway. (James, Norquist 20.08.2010) Ein Rückbau von Schnellstraßen ende generell nicht im Verkehrscha- os, weil ein ebenerdiges Straßennetz teilweise mehr Fahroptionen zulässt als eine Schnellstraße (Bsp. Embarcadero Freeway in San Francisco). Nach Norquist ist das Straßenraster in New Orleans insgesamt komplex. So werden Kreuzungen nach jedem Block des Boulevards Staus lindern, da auf andere Strecken ausgewichen werden kann. Beim jetzigen Expressway liegen die Ausfahrten weit voneinander entfernt und einem Stau ist nicht leicht zu entkommen. (Elie 11.07.2009). Nach der Studie sei eine Autobahn nicht notwendig, um sich in einer Innenstadt fortzubewe- gen aufgrund der relativ kurzen Wege zu den Fahrzielen. Ein dichtes Straßennetz eigne sich besser, um den Verkehr durch eine komplexe Ordnung von Fahrzielen in einer Stadt zu führen. (vgl. Eggler 22.07.2010)

In der Studie wurde auch das konkrete Verkehrsaufkommen berechnet. Die Fahr- zeiten auf dem Boulevard würden sich zwar gegenüber der Nutzung des Express- ways um einige Minuten verlängern, aber eine Anbindung an das French Quarter und andere Teile der Stadt, die sich entlang des heutigen Expressways befinden, würde die Lebendigkeit dieser Quartiere durch ein besser verbundenes Straßennetz steigern (Eggler 22.07.2010; vgl. Eggler 04.04.2013). Die Studie zeigt, dass weni- ger als zwanzig Prozent der Nutzerschaft die Hochstraße von ihrem Anfang bis zum Ende nutzen. Der Boulevard würde somit noch immer für die Mehrheit der Nutzerschaft eine effiziente Route darstellen. Auf der Gesamtstrecke von 2,2 Mei- len würden drei Minuten mehr Zeit in Anspruch genommen werden müssen und während der Hauptverkehrszeit sechs Minuten. Würden kleinere Strecken auf dem Boulevard gefahren, verringere sich diese geschätzte Zeitverzögerung. Der Boule- vard biete zudem eine verbesserte Luftzirkulation. (James, Norquist 20.08.2010)

Die Erarbeitung der Studie hat bereits die „Spielregeln“ verändert: Die Studie stellt insgesamt eine Verkehrswirkungsanalyse dar, die detailliert verschiedene Abris- soptionen aufzeigt. Demnach sagt die Studie darüber hinaus aus, dass ein Rückbau eines Teilabschnittes auf der Grundlage dieser Abrissoptionen aus der Perspektive der Verkehrsführung und ihrer Kapazitäten durchaus durchführbar sei und sich sogar aus ökonomischer Sicht rechnet. Im Master Plan wurde aber nun die Erarbei-

578 tung einer weiteren und umfassenden ingenieurwissenschaftlichen Studie mit for- malen Plänen empfohlen, in der nochmals grundlegend die Auswirkungen eines Rückbaus mit Boulevard und eines Erhalts mit Erneuerung erarbeitet werden. Die Studie hat den Titel The Livable Claiborne Communities und wurde von 2011 bis 2013 erarbeitet (vgl. D VI 3.3). Diese Studie erforderte eine Koordination und Ko- operation der Stadtregierung und -verwaltung von New Orleans, der Regional Planning Commission und dem Louisiana Department of Transportation and De- velopment. (Filmanowicz 09.08.2010)

3.2.2 Arbeit, involvierte Akteure, Art der Zusammenarbeit und Erfolge der Claiborne Corridor Improvement Coalition (CCIC)

Die Studie Restoring Claiborne Avenue ist vor dem Hintergrund der Arbeit der lokalen Interessengruppe Claiborne Corridor Improvement Coalition (CCIC) ent- standen, da ohnehin im Rahmen der Entwicklung des New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan (NONRP) die überfluteten Nachbarschaften nach James (24.02.2012) „Masterpläne“ erarbeiten sollten. Dazu gehörte auch das Projektge- biet und dafür wurden bereits existierende Daten durchgesehen, wobei der Plan von 1976 wiederauftauchte (Claiborne Avenue Masterpan 1976). James zufolge war seine Interessengruppe die einzige, die einen Masterplan vorweisen konnte, da dieser bereits lange vor Hurrikan Katrina erarbeitet wurde. Allerdings wurden vor Katrina „’Masterpläne’ in dieser Stadt nicht beachtet“ (James 24.02.2012), so dass nach Katrina alte Planungsbemühungen wieder ins Spiel gebracht wurden: Eine der Initiativen, die an dem ursprünglichen Plan beteiligt war, war eine Gruppe, die sich für die Wiedernutzung der stillgelegten Eisenbahnschienen einsetzte: Vom City Park bis nach Downtown sollte eine Verbindung geschaffen werden, die den Mis- sissippi River mit dem Lake Pontchartrain verbindet. Das war ein Teil der Studie von 1976. Heute ist dieser Korridor für Fußgänger nutzbar (Greenway). Zudem gab es den sogenannten „Low Car Masterplan“. In jedem dieser einzelenen Planungs- vorschläge war die Claiborne Avenue prominenter Bestandteil und die Ideen von 1976 wurden wiederaufgenommen. Wenn es den Wirbelsturm nicht gegeben hätte, würden die Ergebnisse der Zeit nach Katrina laut James (24.02.2012) nicht in die- ser Form vorhanden sein. „Katrina richtete viel Schaden an, viel Leid. Aber nun

579 wird alles nochmal überdacht und für Claiborne wurden neue Ideen zur Wie- dernutzung entwickelt.“ (James 24.02.2012)

James betrachtete die weitere Entwicklung des Prozesses nüchtern, der die Erarbei- tung einer weiteren Studie (The Livable Claiborne Communities) umfasste. Die Erarbeitung dieser Studie wurde im Master Plan vorgeschlagen, damit sie eine der drei folgenden Richtungen empfehlen werde: Die Autobahn bleibe erhalten und werde punktuell saniert, sie werde abgerissen oder sie bleibe unverändert. Wenn also nach James vorgeschlagen wird, das Autobahnteilstück zu erhalten, müsse überlegt werden, was getan werden kann, um die negativen Wirkungen auf die Nachbarschaft und insbesondere auf Tremé einzudämmen. Ein Abriss war 1976 noch keine Option, weil sie gerade erst gebaut wurde und es nach einigen Jahren nach der Inbetriebnahme noch keinen Verschleiß gab. Aber die Situation sei nach Katrina nun eine andere, denn die Autobahn sei gealtert und es müssen umfassende Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Wenn man also nun über einen Ab- riss sprechen wolle, sei nun der passende Zeitpunkt dafür, so James. Alle Optionen müssten sowohl für die lokal ansässige Bewohnerschaft der Nachbarschaften als auch für die Einwohnerschaft von New Orleans insgesamt sowie für die Einwoh- nerschaft, die auf der anderen Seite des Flusses, in New Orleans East oder in Sli- dell wohnt, geprüft werden. Denn der regionale Kontext müsse einbezogen werden. Das Ergebnis könne die Richtung beeinflussen, in die sich die Stadt und Region bewege. Ein Rückbau oder „Abriss“ sei nach James nur eine der Optionen. (James 24.02.2012)

Die Mitglieder der Interessengruppe CCIC repräsentieren unterschiedliche Initiati- ven, die in Downtown New Orleans aktiv sind. Die Inititativen reagieren auf Ver- änderungen in Downtown mit Projekten, die räumlich auch vom Claiborne Ex- pressway beeinflusst werden. Somit haben diese Inititiativen ein Interesse an einer „Thematisierung der Zukunft“ der Schnellstraße: Die Iberville Choice Neigh- borhoods Initiative bezieht sich räumlich auf Downtown und das French Quarter. Ein Block von der Canal Street grenzt der Aktionsraum der Initiative an die Clai- borne und die New Orleans Avenue. Das Greenway Project führt durch angrenzen- de Nachbarschaften. Die Neuentwicklung des Municipal Auditorium, die Wie- dernutzbarmachung des Armstrong Park und die Neuentwicklung des Bywater

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Districts prägen ebenfalls die Entwicklung Downtowns und werden vom Claiborne Expressway beeinflusst. Diese Entwicklungen und Initiativen überlappen sich räumlich und bilden ein Netz von Projekten. Als Planer, so James, mache es keinen Sinn, diese Projekte isoliert voneinander zu betrachten: „So we caught a couple of people in the different camps: So, we have to come together, we really want to do something positive. (...) So, we agree that for the benefit of the whole, we gonna make this one project. So it was not difficult given the fact that the first time the city of New Orleans is in a planning mood. They do planning, here, there. Every- body knows what a masterplan is, sure we will do that. So that is the situation when the coalition came together.“ (James 24.02.2012) Nach James wurde eine „neue Stadt zusammengerufen“. Denn unterschiedliche Organisationen, Interessengrup- pen und eine individuelle Bewohnerschaft kamen zusammen und debattierten über Neuerungen in den Nachbarschaften, Projektüberschneidungen und den gegenseiti- gen Einfluss. Eine formale Mitgliedschaft in der Interessengruppe war nicht erfor- derlich, denn es gab auch keine formale Organisationsstruktur und somit sei die Interessengruppe auch keine formale Organisation. Die Interessengruppe stützte sich auf eine Art Freiwilligkeit. An der Claiborne Corridor Improvement Coalition waren Menschen beteiligt, die an der Entwicklung der Stadt interessiert sind. (Ja- mes 24.02.2012)

Die politisch-administrative Ebene ist in Teilen in die Arbeit dieses zivilgesell- schaftlichen Bündnisses involviert: Einige Abteilungen der Stadtregierung von New Orleans, wie die Community Development Division, werden durch Mitarbeiter bei den Treffen vertreten: „People whose job it is to develop the community and to serve the citizens.“ (James 24.02.2012) Auch die lokale Behörde für Wohnungswe- sen, die Housing Authority of New Orleans (HANO), war bei allen Treffen vertre- ten. Beispielsweise wurden von HANO Schlüsselinformationen bereitgestellt. In- wiefern bei den regelmäßigen Treffen die lokale Behörde für Verkehrswesen an- wesend war, kann James nicht mehr sagen. Sofern die Claiborne Avenue umgebaut werde, werden diese städtischen Ämter und Behörden – wie Community Develop- ment und Transportation – involviert sein; auch die Institutionen des Bundesstaates und des Bundes. Nach James würden zum ersten Mal das US-Department of Hou- sing and Community Development und das US-Department of Transportation im Rahmen dieses Projektes zusammenarbeiten. Bislang würden alle Verwaltungsein-

581 heiten (Ministerien, Behörden und Ämter) isoliert voneinander arbeiten. Nach Ja- mes sollten sie aber demonstrieren, dass diese Institutionen koordiniert werden können, was für einen Planungsprozess nur sinnvoll ist. (James 24.02.2012)

Der Bürgermeister von New Orleans, Mitch Landrieu, ist in das Projekt politisch involviert und nach James (24.02.2012) reagierte er wie ein gewöhnlicher „Politi- ker“. Aufgrund seiner Wahl durch die Bürgerschaft interessierte er sich für das Votum seiner Wählerschaft. Diese sowie externe Fachleute sollten in den Prozess einbezogen werden. Das Projekt müsse zu einer Gewinnsituation für möglichst viele Interessen werden und in diesem Sinne wählte der Bürgermeister seine Worte so, dass sie zunächst Zufriedenheit bei der Wählerschaft auslösten. Nach James könnte nachfolgender Wortlaut vom Bürgermeister stammen: ‚Geht und macht eure Hausaufgaben und kommt zurück mit einer Empfehlung. Dann schaue ich sie mir an und treffe eine Entscheidung.’ (James 24.02.2012) Der Bürgermeister war bei vielen Treffen anwesend, verpflichtete sich aber in keiner Weise. „Neuem“ gegenüber zeigte er sich offen. Auch James persönlich war mit dem Bürgermeister in Bezug auf die Zukunft des Expressway im Gespräch, denn er wollte ihn über- zeugen, dass die Idee, dieses Projekt anzugehen, nicht „verrückt“ ist. James und die Interessengruppe nutzten die Studie Restoring Claiborne Avenue: Alternatives for the Future of Claiborne Avenue von 2010 als Gesprächsgrundlage, die sich als einer der Vorteile herausstellte: Denn mit dieser Studie wurde weitere Unterstüt- zung für das Projekt aufgebaut. Damit konnten Alternativen aufgezeigt werden. Die Studie war ein nützliches vorübergehendes Instrument, das die Interessengrup- pe brauchte, weil sie nicht – ohne Informationen – agieren und den Abriss befür- worten konnte. Die Gruppe war so in der Lage auf der Grundlage von Zahlen und Alternativen einen öffentlichen Dialog zu entspinnen. Dennoch wurden eine weite- re umfassende Analyse und Alternativen erarbeitet und eine Entscheidung über die Zukunft des Claiborne Expressway werde erst fallen, wenn diese Studie von HUD und dem Department of Transportation vorliege. Die Interessengruppe werde diese Entscheidung akzeptieren: „We gonna let it be what ever it should be. Is it to take it down, we will take it down. If it is to leave it up, we leave it up.“ Auch James als Planer zeigt sich offen gegenüber dem Ergebnis. Denn was er persönlich denke, habe nichts mit ihm als Planer zu tun, als Urban Designer. (James 24.02.2012)

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Letztlich ist, wie erwähnt, die fachpolitische Organisation CNU mit seinem Vorsit- zenden John Norquist in das Projekt involviert, der die Bemühungen der Interes- sengruppe unterstützt. Der stellvertretende Vorsitzende des CCIC ist auch in den CNU involviert und nach James hat somit dieser John Norquist auf das Projekt in New Orleans aufmerksam gemacht. Der CNU war unmittelbar an dem Projekt interessiert und wollte die lokale Gruppe unterstützen; unterstützen, um lokal als auch national Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. (James 24.02.2012) Der CNU proklamiert die Initiierung des Prozesses für sich, den Bau der Schnellstraße rückgängig zu machen, den die Organisation als „Fehler” bezeichnet (Filmanowicz 09.08.2010). Nach James wurde allerdings der initiale Vorschlag, ein Teilstück des Claiborne Expressway zurückzubauen, von einem Mitglied der lokalen Interessen- gruppe CCIC aus der Nachbarschaft gemacht. James wurde als Planer angefragt, sich der Interessengruppe anzuschließen. Erste Nachbarschaftstreffen gehen bereits auf die Jahre 2003/2004 zurück. Bei einem dieser Treffen äußerte eine Hauseigen- tümerin der Claiborne Avenue, dass es eine Schande sei, mit der Autobahn zu le- ben. (James 24.02.2012) James reagierte sofort und fragte sie, was sie denn so si- cher mache, dass sie mit der Schnellstraße leben müsse. So kam im Rahmen der Planungsbemühungen nach Hurrikan Katrina während eines Planungstreffens der Vorschlag wieder auf, einen Teil der Schnellstraße zurückzubauen. Der Vorschlag wurde in das Planwerk NONRP eingearbeitet, an dem James als Planer mitarbeite- te, und später in das Planwerk UNOP übernommen. Die Aktivisten schätzten die Umsetzung ihrer Hoffnung auf Rückbau zunächst als unrealistisch ein, wurden dann aber laut James zu Visionären. (James 24.02.2012) Auch Marktteilnehmer sind in das Projekt involviert, denn Immobilienentwickler würden nach James an den Treffen teilnehmen. Das Verhältnis zu anderen Akteuren gestalte sich offen und eine Zusammenarbeit zwischen Markt, Zivilgesellschaft und Staat kann bestä- tigt werden, was ein „Experiment“ für die beteiligten Akteure James zufolge dar- stellte. (James 24.02.2012)

Im Rahmen eines Planungsprozesses veränderte sich nach James die Art der Zu- sammenarbeit in New Orleans, denn die Auffassung von „Planung“ habe sich in New Orleans generell verändert: Bürger mit finanziellen Mitteln setzten vor Hurri- kan Katrina ihre Interessen ohne Rücksprache durch. Mittellose Bürger waren handlungsunfähig und in erster Linie „Zuschauer“ in der Stadtpolitik. Dieser Me-

583 chanismus ist mit Hurrikan Katrina gebrochen. Denn die Folgen von Hurrikan Kat- rina und Rita haben das Verhältnis der Stadt zur Nation und zur Welt verändert. Die Stadt war im „Scheinwerferlicht“ und Bauskandale sind somit beispielsweise inakzeptabel. Das Motto ‚Baue, was immer du willst, wo immer du bauen willst’ war passé. Das zähle zu den positiven Folgen der Katastrophe. (James 24.02.2012) Auf Nachbarschaftstreffen gab es auch weniger kontroverse Debatte. Die Bewoh- nerschaft lernte, Kompromisse auszuhandeln und wurde in Bezug auf Ziele und Grundsätze sensibilisiert. Denn die Interessengruppe arbeitete nicht in unterschie- dlichen Einheiten, sondern „We now come together as one interest group and it is about give and take, and negotiate that everybody means“.(James 24.02.2012) Nach James wurden für die Nachbarschaften Pläne auf „revolutionäre“ Art und Weise entwickelt: Zunächst wurden sogenannte Charettes mit Beratern und Fach- experten und anschließend mit der Bewohnerschaft der Nachbarschaften veranstal- tet. Beide Teilergebnisse wurden zusammengeführt, um alle Interessen repräsentie- ren zu können. Als James den Planungsprozess in dieser Nachbarschaft nach Katri- na 2006 begann, war die Bewohnerschaft mit der Arbeit eines Architekten und Planers nicht vertraut: „They said: ‚Mr. James, what do you want to see in the neighborhood? What do you think what should be here? Show us how you gonna do this.’ I said: ‚Hold on. (...) It is not about me, it is about what you want, not what I want.’ (...) Every meeting I had to go back: ‚What do you think should go there, Mr. James.’ I said: ‚No, I think what do you think should go there.’ And they finally finally started talking about their vision, their dreams. (...) That is how I live, that is how I work, that is how I design. (...) We used to have meetings in the community with all these different interests in one neighborhood. (...) And the Council Woman from that district (Planning District 4) was involved all the way through. And in the end of the planning I had captured head, dreams, visions, the Council Woman came up to speak. She said: ‚Mr. James you have done such a wounderful job pulling this community together and create a plan; you have done a fantastic job.’ I said: ‚That is our plan.’ I was so proud, I will never forget that. (...) Planners have to teach the community. That is where I come from and will get a recognition from the community.“ (James 24.02.2012)

Das Claiborne-Projekt wurde nach James indirekt auch durch den früheren US- Präsidenten Barack Obama unterstützt. Denn Obama erklärte öffentlich, dass ‚man

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New Orleans zurückbringen werde’. James bezeichnet diese politische Positionie- rung nach dem Wirbelsturm als eine „große Ressource“. Dabei gehe es nicht um finanzielle Mittel, sondern um ein Ziel und Führungsstärke. New Orleans habe die politische Unterstützung des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und somit stünden der Stadt alle damit zusammenhängenden Ressourcen zur Verfü- gung.293 Darüber hinaus steuere nach James die Bundesregierung in Washington D.C. den Wiederaufbau in New Orleans nicht „aus der Ferne“, wie es im stadtpoli- tischen Alltag der Fall wäre. So proklamiert James die lokale Anwesenheit der Bundesregierung in New Orleans auch in der mittelbaren Folgezeit als positiv (und nicht als Einmischung in lokale stadtpolitische Angelegenheiten): Beispielsweise entsandte das US-Ministerium für Wohnungswesen und Stadtentwicklung (Hou- sing and Urban Development HUD)294 für längere Zeit eine Mitarbeiterschaft nach New Orleans und unterstützte die Stadt dabei, das lokale Amt für Wohnungswesen (Housing Authority New Orleans HANO) nach langer Zeit wieder funktionsfähig zu machen; eine Gelegenheit, die in Folge von Hurrikan Katrina ergriffen wurde. HANO konnte der Bundesregierung im Gegenzug aufzeigen, dass die Stadt nun ein Verständnis für die lokale Anwendbar- und Funktionsfähigkeit von überlokalen Bundesprogrammen entwickelt habe. Die lokale und überlokale Ebene arbeiten in dieser Zeit gemeinsam an politischen Inhalten im Unterschied zu der Zeit vor Hur- rikan Katrina.295 So habe sich die Art der lokalen und überlokalen politisch- administrativen Zusammenarbeit nach Hurrikan Katrina insgesamt durch das präsi- dentiale Bekenntnis, die Stadt wiederaufzubauen, verändert. Daraus resultierte eine kollektive gesesellschaftliche Zuversicht und Verbundenheit in New Orleans. Nach

293 Auch der frühere US-Präsident George W. Bush hat der Stadt im September 2005 auf dem Jack- son Square in New Orleans einen Wiederaufbau „versprochen“ (vgl. Teil C II). Diese Tatsache hat James in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Zwei Ursachen dafür liegen nahe: Obama wurde 2008 zum US-Präsident gewählt; einer Zeit, in der das Claiborne-Projekt aufgrund der Initiative der Interessengruppe CCIC und des CNU auf seinem Höhepunkt war. Überlokale politische Unter- stützung war dafür besonders wichtig. James fühlt sich als Afroamerikaner womöglich aus ethnischen Gründen mit US-Präsident Obama verbunden, so dass er das politische Verhalten des Präsidenten in Bezug auf New Orleans besonders honoriert. 294 Auch das US-Verkehrministerium war durch einen Mitarbeiterstab in New Orleans vor Ort ver- treten. (James 24.02.2012) 295 Typischerweise werde die Arbeit der lokalen Ebene nach „Washington“ gesandt. Dort werde es einer Überprüfung unterzogen und zurückgesandt. Die lokale Ebene würde die Anmerkungen aus „Washington“ nicht verstehen und das Verfahren würde hin und her gehen. (James 24.02.2012)

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James stelle das eine große „Ressource“ dar und zeige einen Weg, wie eine Bun- desregierung auf lokaler Ebene arbeiten sollte. (James, 24.02.2012)

Die Interessengruppe CCIC hatte laut James Erfolge errungen: Erstens kam die Interessengruppe als zivilgesellschaftliches Bündnis an sich überhaupt vor einigen Jahren zusammen. Zweitens wurde als Neuheit nach Hurrikan Katrina eine Debatte in Gang gesetzt, die zunächst innerhalb der Interessengemeinschaft mit der ansäs- sigen Bewohnerschaft und dann in den gesamten USA geführt wurde. Ein dritter Erfolg ist die Dauerhaftigkeit der Zusammenarbeit durch den Zusammenhalt der Interessenpartner aus Eigeninteresse. Kollektiv wurde erkannt, dass durch eine Bündelung von Interessen, Verbindungen geschaffen werden können und ein ge- samtheitlicher Ansatz verfolgt werden kann. Dazu führte James zufolge die Art des Planungsprozesses; ein nachbarschaftsbasierter professionell gesteuerter Prozess, der die lokal ansässige Bewohnerschaft an Planungsthemen heranführte. Die Be- wohnerschaft erhielt laut James so die „Kontrolle“ zurück, war ein Teil des Wie- deraufbauprozesses und kämpfte nicht mehr gegeneinander. Die Notwendigkeit einer Dachorganisation wurde erkannt, um als Nachbarschaft „mit einer Stimme zu sprechen“.296 (James 24.02.2012)

296 James betont die Art des Planungsprozesses in dieser Weise, da er wie er sagte im Grunde die Arbeitsweise der Planer- und Architektenschaft in der Vergangenheit kritisiert, die oft einen Plan als die Lösung präsentierte, ein Instrument nutzte, um das Problem zu lösen und anschließend schon wieder in einer anderen Kommune planerische Lösungen anbot. Dieses Vorgehen war nie Teil seines professionellen Ansatzes als Planer oder als Architekt, das er auch bei Absolventen der Universität beobachte und als Nachteil bezeichnet. Anstatt stets Antworten zu präsentieren, habe er immer Fragen gestellt. So war ihm die Architektengemeinschaft nach Katrina regelrecht peinlich, denn jeder Archi- tekt hätte einen Plan und Antworten präsentiert nach dem Motto ‚Hey, alle zuhören!’: „Diese großen Superarchitekten“ wären nach James „einfach da“ gewesen, wären nicht in ein Zwiegespräch mit der lokalen Architekten- und Planerschaft getreten und zollten den lokalen Architekten und Planern, die in diesen Nachbarschaften arbeiteten, keinen Respekt. Sie hätten zur Frustration vieler Nachbar- schaftsbewohner beigetragen, weil sie das Gegenteil von dem befürworteten, was die Nachbar- schaftsgruppen entwickelt hätten. Das wäre nicht während der Planungen von NONRP oder UNOP passiert, sondern gleich nach Hurrikan Katrina. (James 24.02.2012) James bezieht sich wahrschein- lich auf die Vorschläge des ULI im Rahmen der Erarbeitung des BNOB oder auf das Projekt Make It Right in der Lower Ninth Ward. In der konkreten Interviewsituation war es nicht möglich, diesen Bezug zu erfragen.

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3.3 Die Studie The Livable Claiborne Communities

Die Interessengruppe Claiborne Corridor Improvement Coalition (CCIC) hat mit ihrer Studie 2010 vorgeschlagen, die aufgeständerte innerstädtische Schnellstraße I-10 über der North Claiborne Avenue zurückzubauen. Bevor über die Zukunft dieses Abschnittes der Schnellstraße politisch entschieden werden konnte, müsse eine weitere Studie erarbeitet werden, die unter anderem Auswirkungen auf den Individualverkehr aufzeigt, so Norquist.297 (Elie 11.07.2009; vgl. oben) Vor diesem Hintergrund gab im Oktober 2010 die Landrieu-Administration bekannt (Eggler 23.04.2011), dass das U.S. Department of Housing and Urban Development (HUD) und das U.S. Department of Transportation (USDOT) gemeinsam Förder- mittel (TIGER) von 2,7 Millionen US-Dollar bereitstellen, um diese Studie erarbei- ten zu lassen (Congress for the New Urbanism 11.02.2014). Damit hat eine wichti- ge Politikveränderung auf Bundesebene stattgefunden, denn diese Ministerien ha- ben erstmalig gemeinsam Fördermittel für ein derartiges Anliegen genehmigt. Dem liegt möglicherweise die Erkenntnis zu Grunde, dass ein handlungsfeldübergrei- fender und räumlich integrativer Ansatz in der Stadt- und Quartiersentwicklung notwendig ist. Mit Hilfe zusätzlicher finanzieller Mittel der Stadt New Orleans und lokalen Nonprofit-Organisationen wurde diese Studie in Auftrag gegeben (Con- gress for the New Urbanism 11.02.2014).

In der Studie298 wurde das Gebiet eines 3,9 Meilen langen Korridors von der South bis zur North Claiborne und von der Napoleon Avenue bis zur Elysian Fields Ave- nue untersucht (Eggler 04.04.2013). Auf der Grundlage einer Analyse des Stadt- raumes, beispielsweise bezüglich der ökonomischen Entwicklung, sollten Mög- lichkeiten für eine Revitalisierung des Claiborne Avenue-Korridors eruiert werden

297 CNU hat 15.000 US-Dollar Zuwendungen von der National Endowment for the Arts bekommen, um einen Planungsprozess zur Stadtentwicklung und Umweltschutz in Bezug auf die North Claiborne Avenue zu unterstützen. Eine ähnliche Studie hat in Baltimore 60.000 US-Dollar gekostet. Dement- sprechend wurde davon ausgegangen, dass weitere finanzielle Mittel für eine derartige Studie einge- worben werden müssen. (Elie 11.07.2009) 298 Der Antrag zur Studie, der von der Stadt gestellt wurde, macht die „Sympathien“ der Autoren hinsichtlich des Sachstandes deutlich: Der Antrag beschreibt die Geschichte der Autobahn als eine Geschichte von ökologischer und sozialer Ungerechtigkeit, die an den allgemeinen Niedergang von historischen und kulturell bedeutenden Nachbarschaften gekoppelt ist. (Eggler 04.04.2013) Die Interessengruppe unterstützte 2011 die Erarbeitung des Antrages (James 24.02.2012).

587 inklusive eines möglichen Rückbaus des Interstate 10 Expressways. Drei Alterna- tiven sollten für den Claiborne Corridor entwickelt werden. (Congress for the New Urbanism 11.02.2014) Die öffentlichen Auslegungen begannen im Dezember 2012 (Nettler 30.11.2012). Nach mehr als einem Jahr des öffentlichen Dialogs wurde die Studie „The Livable Claiborne Communities“ mit einem letzten Treffen im Okto- ber 2013 abgeschlossen. (Congress for the New Urbanism 11.02.2014)

Im April 2011 wurde das Büro Kittelson & Associates, Inc. aus Baltimore ausge- wählt und beauftragt, die Studie zu erarbeiten. Das Büro zeichnet sich durch die Verschränkung von Verkehrs- und Planungsprojekten aus.299 Der Stadtrat von New Orleans stimmte zwei Kooperationsvereinbarungen zwischen der Stadt New Or- leans und den bundesstaatlichen Behörden zu, die den Rahmen für die Durchfüh- rung der Untersuchung vorgeben. Beispielsweise ist der Beitrag der Stadt New Orleans festgeschrieben: Die Stadt ist finanziell mit 758.000 US-Dollar oder in Form von Dienstleistungen beteiligt. Auf der Grundlage dieser Vereinbarungen hat die Stadt den Prozess gestartet, Fachexperten für die Erarbeitung der Studie auszu- wählen. (Eggler 23.04.2011) Die Studie wurde vom Office of Place-Based Plan- ning, als eine Untereinheit des Büros des Bürgermeisters, gesteuert (Eggler 04.04.2013).

Am 8. Dezember 2012 begannen im Rahmen eines Bürgerbeteiligungsprozesses öffentliche Veranstaltungen. Bei einem überregionalen Treffen, dem einige Nach- barschaftstreffen folgten, wurde die Bewohner- und Einwohnerschaft aufgefordert, sich zu einem potentiellen Rückbau der Schnellstraße zu äußern. Diese Diskussion wurde angeregt durch die Studie der Interessengruppe von 2010, die gleichzeitig als Förderantrag beim Bund eingereicht wurde.300 Stadtpolitisch proklamierte Bür-

299 Auch haben Mitglieder der Interessenskoalition wie Clifton James in einem Team auf die Ausschreibung (Re- quest for Proposals) reagiert und ein Angebot für die Studie zur Claiborne Avenue ausgearbeitet. James sieht die Bewerbung als Fortsetzung vom dem, was vor vierzig Jahren begann. Die ursprünglichen Pläne sind aus dem Jahr 1976. Wenn die Studie nach James ernst genommen werde, könnte das Ergebnis den gesamten Kontext von New Orleans verändern, weil die Autobahn sich durch die gesamte Stadt ziehe und jeden städtischen Aspekt berühre. Somit sei die Studie sehr wichtig und James und sein Team würden gerne den Auftrag bekommen, die Studie durchzuführen, so dass sie beenden könnten, was sie angefangen haben. Allerdings gäbe es viele Mitbewerber, die den Auftrag für die Studien bekommen wollen; der Wettbewerb ist groß. (James 24.02.2012) 300 Den Förderantrag „Claiborne Corridor Plan: Infrastructure to Build Inter-parish Access and Equi- ty“ hat offiziell die City of New Orleans beim sogenannten HUD Challenge hinsichtich der DOT TIGER II Planning Grant Funding Request eingereicht. Die Interessengruppe hatte der Stadt vorges-

588 germeister Landrieu, dass alle Bürger einbezogen werden sollten, die die Verkehrs- ader nutzen würden, um Möglichkeiten für die Zukunft des Korridors aufzeigen zu können. Die Stadtregierung sei daran interessiert, die Nutzerschaft dieser Ver- kehrsader aus der Nachbarschaft, der Stadt und der Region näher zu bestimmen. Der Beitrag der Bürger sei sehr wertvoll, denn nur so könnten potentielle Verbesse- rungen in jeder Nachbarschaft herausgearbeitet und die Bedürfnisse in Bezug auf den Individualverkehr von der Planerschaft besser verstanden werden. (Nettler 30.11.2012; vgl. Eggler 28.11.2012)

In der Studie Livable Claiborne Communities wurden potentielle Investitionen analysiert, um die Verkehrslage und die Fußläufigkeit im Claiborne-Korridor ver- bessern zu können. Die Studie verbindet die Handlungsfelder Wohnen und Arbei- ten, thematisiert die Verfügbarkeit und Qualität der schulischen Einrichtungen und die Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge. Ziel soll es sein lebenswerte Nachbar- schaften sowie die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Die Studie zeigt unter anderem Wege auf, die die Auswirkungen des Verkehrsaufkommens auf dem auf- geständerten Abschnitt der I-10 abschwächen, einschließlich der Idee, einen Teil der Schnellstraße von der Tulane Avenue bis zur St. Bernard Avenue zurückzubau- en. (Nettler 30.11.2012; vgl. Eggler 23.04.2011) Die Studie skizziert vier Szenarien für die Zukunft des Claiborne-Korridors (Congress for the New Urbanism 11.02.2014): In zwei Vorschlägen wird die Schnellstraße erhalten. Dabei sollten aber einige Auffahrten entfernt werden; zwischen der Tulane Avenue und der St. Bernard Avenue. (Eggler 04.04.2013) Darüber hinaus wurde vorgeschlagen, die Entgelte für den öffentlichen Nahverkehr zu senken, um einkommensschwache Familien ohne Automobil zu unterstützen. Die Planungsbemühungen basieren auf lokalpolitischen Versprechen und existierenden Partnerschaften, die Problemen wie einer mangelnden Verteilungsgerechtigkeit und einem Ausschluss vom gesell- schaftlichen Leben begegnen wollen. Laut Stadtrat sollen diese Bemühungen reali- sierbare Alternativen hervorbringen, um eine Nachbarschaft – räumlich, sozial, wirtschaftich und kulturell – wieder zu vereinen, die durch eine Schnellstraße ge- trennt wurde. (Eggler 23.04.2011)

chlagen, diese Fördergelder bei HUD zu beantragen. Die Stadt folgte dem Vorschlag und bekam den Zuschlag von HUD für eine umfassende Studie. (James 24.02.2012)

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Die Studie hat einen beträchtlichen Umfang. Der umstrittenste Punkt, der sich im Rahmen des Beteiligungsprozesses herauskristallisierte und der am meisten Auf- merksamkeit erregte, war der Erhalt oder der Rückbau der aufgeständerten Schnellstraße. Die Einwohnerschaft stimmte den großen Zielen der Studie zu, wie der Sicherung eines gleichberechtigten Zugangs zur ökonomischen Prosperität oder der Erschließung nachhaltiger Lösungen für die überflutungsanfällige Umgebung. So trafen auch andere Ideen auf wenig Widerstand seitens der Einwohnerschaft, wie beispielsweise eine Wiederbepflanzung der Straßen durch Baumreihen, oder eine aministrative Unterstützung der Bewohnerschaft bei der Arbeitssuche bei- spielsweise in den neuen Krankenhäusern, die gebaut wurden. Auch wurden die Vorschläge befürwortet, einen größtmöglichen Zugang zum öffentlichen Nahver- kehr zu schaffen, um den Weg zur Arbeit zu garantieren. Gegen die Vorschläge, die nachbarschaftliche Kultur zu schützen und die Anzahl der Wohneinheiten von bezahlbarem Wohnraum zu erhöhen, hatte die Bewohnerschaft auch nichts. Aber die Idee, ein Teilstück der Autobahn zurückzubauen, die von mehr als 60.000 Fahrzeugen pro Tag befahren wird, traf auf Widerstand. So wurde noch von Tom Condon, Kolumnist der Tageszeitung The Hartford Courant, der Interstate 10 Ex- pressway über der Claiborne Avenue seit Dekaden in New Orleans als „unbeliebt“ bezeichnet. Insofern würden die Aussichten auf einen Rückbau mit Unterstützung des Congress for New Urbanism, der Claiborne Corridor Improvement Coalition CCIC und Jack Davis301 als stellvertretenden Vorsitzenden dieser zivilgesellschaft- lichen Interessengruppe wachsen. (Condon 08.08.2010) Auch nach David Dixon, Chefplaner vom Büro Goody Clancy, das den Prozess zur Entwicklung des Master Plans maßgeblich steuerte, genieße die Interstate 10 bei der Einwohnerschaft von New Orleans keine hohe Popularität, (Elie 11.07.2009), so dass die Möglichkeiten eines Rückbaus laut UNOP und Master Plan geprüft werden müssen (Eggler 22.07.2010, 04.04.2013). Im Rahmen dieses Bürgerbeteiligungsprozesses zur Stu- die The Livable Claiborne Communities stellte sich jedoch spätestens heraus, dass einige Bewohner den Raum unter der Hochstraße mögen und nutzen; ein Raum für Kunst, Erholung und nachbarschaftliche Ereignisse. Bei den ersten öffentlichen Veranstaltungen zur Zukunft der Autobahn im Dezember 2012 äußerten viele Teil-

301 Davis hat die Place section gegründet als er vor einigen Jahren Herausgeber des Hartford Courant war als die größte Tageszeitung im Bundesstaat Connecticut. Er ist zudem im Vorstand des CNU und leitet die Interessengruppe Smart Growth for Louisiana.

590 nehmende Bedenken, wirtschaftliche Netzwerke und das Nachbarschaftsleben zu verlieren, wenn ein Teil der Schnellstraße abgerissen werden würde. Andere Teil- nehmende sahen einen Abriss als Möglichkeit, die Nachbarschaft zu revitalisieren und zu erneuern. Zustimmung erfuhr das Konzept der Verkehrsführung bei einem Rückbau: der Individualverkehr würde durch und um die Nachbarschaften geleitet. Ergebnis der Partizipationstreffen war eine offene Kommunikation der Argumente von Gegnern und Befürwortern. Die Gegner des Expressways mussten versuchen, mit kritischen Äußerungen zum Rückbau umzugehen.302 (Eggler 04.04.2013)

Nach David Dixon, Stadtplaner aus Boston und Chefplaner des New Orleans’ Mas- ter Plans von 2010, ist das vorliegende Dokument eine Studie und kein Plan. Die fertige Studie ist also nicht als Empfehlung für einen speziellen Aktionsplan zu verstehen. Stattdessen werden mit dieser Studie diverse Optionen in den Hand- lungsfeldern Verkehr, ökonomische Entwicklung, Nachbarschaftsrevitalisierung, Arbeitsmarkt, Wohnraum und kulturelle Bestandserhaltung präsentiert. Die Alter- nativen werden vor dem Hintergrund des National Environmental Policy Act evalu- iert, so dass eine Alternative ausgewählt werden kann. (Eggler 04.04.2013)

302 So war auch bereits im Vorfeld der Studie die Bewohnerschaft der Claiborne Avenue an der Debat- te um die Zukunft des Claiborne Expressway beteiligt, die sich für den Verbleib der Aufständerung der Schnellstraße aussprachen. Auch in dieser Phase des Prozesses wurden bereits folgende Argu- mente angeführt: Der Expressway könne als Brücke genutzt werden, unter der Feste, Picknicks und Konzerte veranstaltet werden können. Zudem wäre der Claiborne Expressway ein „Teil der Geschich- te“. Auch ein Teil der Einwohnerschaft der Stadt Slidell befürwortet den Erhalt des Expressway, da er die schnellste Verbindung zwischen Wohn- und Arbeitsort ist. Bezweifelt wird, dass der Boulevard jemals zurückkommen werde, da es keine Notwendigkeit dafür gäbe. Einkaufsmöglichkeiten gäbe es „überall“ und aufgrund der aufgehobenen Rassentrennung nun auch die Freiheit, zu konsumieren, wo immer man wolle. Ein anderer Teil der Bewohnerschaft befürwortete jedoch einen Rückbau und damit eine Rückkehr einer ökonomischen Vitalität und beispielsweise Einrichtungen der Gesund- heitsvorsorge (Arztpraxen etc.), die vor dem Bau des Expressway in der umgebenen Nachbarschaft ansässig waren. Interessanterweise befürwortete die gesamte Bewohnerschaft eine Revitalisierung der Nachbarschaft, obgleich damit unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der zukünftigen Entwick- lung einhergingen. Nach James haben sich insofern „interessante Dialoge“ entwickelt, da sich insge- samt herausgestellt hat, dass die ansässige Bewohnerschaft nicht geschlossen für den Rückbau der Aufständerung ausspricht. Insofern musste nach James der Nutzen des Expressway im Rahmen einer grundlegenden Analyse herausgearbeitet werden. (James 24.02.2012) Diese Analyse wurde in der Studie Livable Claiborne Communities von Frühjahr 2011 bis Herbst 2013 vorgenommen.

591

D VI.4 Projektergebnis zur Master Plan-Empfehlung

Auch bei dem vertiefenden Blick auf eine Empfehlung im Master Plan wird nach- folgend kurz zusammengefasst, inwiefern sich die Leitidee, der Ansatz oder die Logik letztendlich durchgesetzt oder nicht durchgesetzt hat. Auch hier werden die Gründe dafür zusammenfassend herausgearbeitet.

Die Empfehlung des Master Plans, eine Studie zu städtischen und stadträumlichen Auswirkungen eines Rückbaus oder Erhalts von 2,2 Meilen des Interstate-10 Clai- borne Expressways in der Nähe Downtowns New Orleans erarbeiten zu lassen, kann als ein Teilergebnis eines Kampfes um einen innerstädtischen Boulevard in- terpretiert werden, der eine Revitalisierung der umliegenden Nachbarschaften an- zustoßen vermag. Dieser Kampf wird als Teil einer national engagierten Bewegung gesehen, die sich gegen den Erhalt stark sanierungsbedürftiger innerstädtischer Schnellstraßen auflehnt (Condon 08.08.2010). Nach Peirce könnte ein Abriss von sogenannten Freeways und Interstates noch populärer werden, die in der Nach- kriegszeit des Zweiten Weltkriegs einen Bauboom erlebten: In Anbetracht begrenz- ter Bundesmittel, die zur Aufrechterhaltung dieser Schnellstraßen bereit gestellt werden, muss geprüft werden, inwiefern die Aufrechterhaltung finanziell teurer ist als ihr Rückbau. Obgleich offen ist, inwiefern die USA gesellschafts- und stadtpo- litisch für einen Abriss weiterer aufgeständerter Schnellstraßen „bereit“ ist, wäre es vor dem Hintergrund der Bewegung Highways to Boulevards genau der richtige Zeitpunkt, eine weitere Zersiedelung abzuwenden und Strategien zur Innenstadt- entwicklung zu fördern. (Peirce 02.09.2010) Bevor nachfolgend insbesondere auf die überlokale Mitwirkung eingegangen wird, werden der Auslöser und die Leit- idee des Projektes zusammengefasst. Insofern hat das lokale Interessenbündnis Claiborne Corridor Improvement Coalition (CCIC) seine Ursprünge in den Jahren vor Hurrikan Katrina und seine Ziele wurden durch den CNU unterstützt. Der Um- stand, dass die Schnellstraße unter einer starken Sanierungsbedürftigkeit leidet, ist durch die Folgen von Hurrikan Katrina offensichtlich geworden und forcierte das Projekt (Auslöser). Die Initiative wollte eine ebenerdige Verkehrsführung auf der Claiborne Avenue, eine Vitalisierung der angrenzenden Nachbarschaften und der lokalen Ökonomie erreichen. (Leitidee, Ansatz oder Logik) Am Fall des Interstate- 10 Claiborne Expressways wird das Verhältnis zwischen einem überlokalen fach-

592 politischen Akteur (Congress for New Urbanism, CNU) und des lokal ansässigen Interessenbündnisses (CCIC) deutlich: Lokal wird darauf „bestanden“, dass der Rückbau eine lokale (substanziell-materielle) Idee und Initiative sei, und nicht durch den CNU initiiert worden sei, sondern unterstützt wurde mit richtungswei- senden Auswirkungen auf den Prozessverlauf. Durch die Mit-Trägerschaft des CNU von der zivilgesellschaftlichen – der ersten – Studie zum Rückbau der Auto- bahn konnte ein Förderantrag beim Bund gestellt werden, um die Alternativen für die Zukunft (eines Teilabschnittes) des Expressways zu erarbeiten (Vorstudie). Die Studie von CNU und CCIC nahm also nicht nur Einfluss auf den politischen Pro- zess, sondern diese Studie initiierte den politischen Prozess sogar durch die In- tegration des Projektes in UNOP und in den Master Plan. Eine starke und intensive Zusammenarbeit von lokalen und überlokalen zivilgesellschaftlichen Akteuren kann also zu Erfolgen führen; zumindest zu Aufsehen erregenden Kampagnen, die das fachpolitische Klima hinsichtlich Themenfelder der Stadtentwicklung beein- flussen können. (überlokale Mitwirkung fachpolitischer Organisationen und über- lokaler politisch-administrativer Ebenen)

Die Leitidee einer zivilgesellschaftlichen Initiative, ein Teilstück einer Schnellstra- ße (I-10) in New Orleans zurückzubauen, korrespondiert mit einem überlokalen Trend und hat zumindest insofern Eingang in den Master Plan gefunden, als dass die Erarbeitung einer Vorstudie zu den Auswirkungen von Erhalt und Abriss der Schnellstraße empfohlen wurde. Ein entscheidender Faktor, der die „Neuauflage“ des Projektes in der Folgezeit von Hurrikan Katrina förderte, war die Etablierung eines zivilgesellschaftlichen Interessenbündnisses, die zwar aus kleinen Interessen- gruppen besteht, aber das große Ziel verfolgte, den Expressway zurückzubauen. Ein weiterer Faktor, der politische Überlegungen eines Rückbaus förderte, ist die wirtschaftliche Rentabilität des Projektes. Denn ein Abriss könnte finanziell rentab- ler sein als eine nötige Generalüberholung der Schnellstraße, insbesondere nach Hurrikan Katrina. Zudem wurden externe staatliche Fördermittel eingeworben, um eine Vorstudie erarbeiten zu lassen. Trotz dieser „guten“ Voraussetzungen, das Ziel des Interessenbündnisses umzusetzen, ist das Projekt stadtpolitisch nicht mehr zu vernehmen. Nach Head sei dem Interessenbündnis die „Puste ausgegangen“, denn auch Stadtratsmitglieder bringen in der Regel nur derartige Themen in den Stadtrat ein, wenn öffentlich Furore gemacht werde und eine zivilgesellschaftliche Unter-

593 stützung garantiert sei (Head 29.11.2016). (Faktoren, die eine Projektentwicklung im Nachgang der Katastrophe gefördert haben)

Dieses Projekt folgt einer gewissen planerischen Werterationalität: Eine ebenerdige Verkehrsführung kann zur Revitalisierung von Nachbarschaften beitragen und fördert die lokale Ökonomie. (Art der Rationalität)

Abbildung 70: Master Plan-Projektempfehlung Rückbau Expressway (substanziell und prozessu- al reformfähig) (eigene Darstellung).

594

D VI.5 Zwischenfazit: Lokale Reformfähigkeit durch lokale Initiative und überlokale Mitwirkung

Auch hier soll anschließend die Reichweite einer strukturell-prozessualen und einer inhaltlich materiellen Reformfähigkeit eingeschätzt werden. Abschließend werden ebenfalls die Bedingungen dargelegt, die diese Art lokaler Reformfähigkeit forcie- ren oder blockieren.

Der substanziell-materielle Planungsansatz des Rückbaus eines Teilabschnittes einer innerstädtischen Schnellstraße ist überlokal verbreitet und wird deshalb in New Orleans mit Erfahrungen aus anderen Städten der USA „angeheizt“. Dennoch ist die lokale Entwicklung des Projektes in New Orleans neu, auch wenn die Ur- sprungsidee bis in das Jahr 1976 zurückreicht. Lokale Reformfähigkeit wird dem- nach aufgrund des substanziell-materiellen Ansatzes an sich deutlich (Rückbau eines Teilstückes der I-10). (Würde dieser substanziell-materielle Planungsansatz lokal in New Orleans gar umgesetzt werden, würde das Projekt noch immer zu einer Handvoll von Projekten dieser Art zählen, was zusätzlich eine lokale Reform- fähigkeit widerspiegeln würde.) Auch der strukturell-prozessuale Ansatz des Pro- jektes zeigt lokal neue Dimensionen auf. Vor allem sind zwei Elemente des struk- turell-prozessualen Ansatzes des Projektes bemerkenswert: Erstens das klassische US-amerikanische community based planning, das von lokalen Fachexperten (Ar- chitekt und Planer) vorangetrieben wird – basisdemokratisch und moderierend. Und zweitens die Zusammenarbeit einer lokalen Dachorganisation und des CNU. In der Systematik der Reichweite von Reformen (nach Hall 1993) kann dieses Pro- jekt aufgrund seines inhaltlich-materiellen und seines strukturell-prozessualen Ansatzes als Reform 3. Ordnung interpretiert werden, bei der ein neues Instrument für ein neues Ziel eingesetzt wird. (Reichweite einer strukturell-prozessualen und inhaltlich-materiellen Reformfähigkeit)

In Bezug auf den Planungsprozess und das Ergebnis ist im Fall des Projektes und seiner substanziell-materiellen sowie strukturell-prozessualen Reformfähigkeit wiederum die Mitwirkung eines überlokalen Akteurs, des Congress for New Urba- nism (CNU), von Bedeutung. Maßgeblich haben zu dieser „überlokalen Mitwir- kung“ des CNU in erster Line fachlich-ideelle, aber auch finanzielle Ressourcen

595 beigetragen. Denn die planerische Expertise und fachlichen Paradigmen dieser fachpolitischen Organisation und seine finanziellen Mittel trugen dazu bei, das Thema auf der nationalen Agenda zu platzieren (im Rahmen einer nationalen Kampagne, die den Abriss sanierungsbedürftiger innerstädtischer Schnellstraßen befürwortet). Ein überlokaler Trend wirkt unterstützend und überlokale Tendenzen werden lokal en vogue, wodurch die Weiterentwicklung des Projektes (auf Grund- lage einer zivilgesellschaftlichen Studie) beeinflusst wurde. Durch die gelungene Etablierung des Projektansatzes in einem Planwerk zum Wiederaufbau (UNOP) und später in einem gesamtstädtischen Masterplan war die Vorausetzung für die überlokale Mitwirkung des Bundes geschaffen, was das Projekt richtungsweisend beeinflusste: Denn erst durch externe (staatliche) Fördermittel konnte eine grund- legende Studie (Vorstudie) erarbeitet werden. Die instrumentelle Verankerung des Projektes und in Folge dessen die finanziellen Ressourcen überlokaler Akteure auf der Grundlage der Förderpolitik des Bundes bedingten den Fortgang des Projektes. Auch in diesem Projekt stellt die überlokale Mitwirkung von Akteuren nur eine Bedingung dar, die diese Art lokaler Reformfähigkeit forcierte. Eine zweite Bedin- gung, die Reformfähigkeit forcierte, ist das lokale – in dem Fall sogar lose organi- sierte zivilgesellschaftliche – Engagement (in Form eines Interessenbündnisses); eine Bedingung, die eine strukturell-prozessuale Reformfähigkeit in diesem Fall forcierte. Diese zivilgesellschaftliche Einflussnahme basiert auf einer American Self Help Ideology (Nossiter 2008) und wurde darüber hinaus angetrieben von ei- nem proklamierten Wiederaufbau von New Orleans durch den ehemaligen US- Präsidenten Barack Obama. Auch die sehr heterogene Sphäre lokaler zivilgesell- schaftlicher Akteure war mit Ressourcen ausgestattet; in erster Linie mit fachlichen Kompetenzen. Durch das Interesse des CNU hat sich eine gemeinsame Zielvorstel- lung ergeben, durch die das Projekt vorangetrieben werden konnte (zivilgesell- schaftliche Studie). Drittens wurde lokale Reformfähigkeit forciert, durch eine zunächst abwartende Haltung der lokalen politisch-administrativen Ebene. Den weiteren Prozessverlauf bestimmt eine Zusammenarbeit zwischen städtischen Be- hörden und dem zivilgesellschaftlichen Interessenbündnis (Antrag für Vorstudie), die in einer Bewilligung überlokaler Fördermittel mündet. Viertens erzeugte der lokale materielle Kontext (stadträumlich und infrastrukturell) an sich Handlungs- druck: Der baulich schlechte Zustand der Schnellstraße, insbesondere nach Hurri- kan Katrina, war eine Folge jahrelanger Desinvestition und einer infrastrukturellen

596

Ausstattung und Erneuerung, die als unbeständig bezeichnet werden kann. Mit einem Rückbau wurde unter anderem die Hoffnung auf eine ökonomische Ent- wicklung in der Nachbarschaft verbunden und die Hoffnung, dass Marktakteure auf infrastrukturelle Anreize reagieren. Demnach hält sich wiederum der ökonomi- sche Imperativ in der Stadtentwicklung beharrlich. Insgesamt forcieren demnach eine strukturell-prozessuale und substanziell-materiell Reformfähigkeit im Rahmen dieses Falls die Kombination aus einer überlokalen Mitwirkung, eines lokalen zi- vilgesellschaftlichen Engagements, das durch verschiedene Motivationen angetrie- ben wurde, einer Kooperation von städtischen Behörden und einem zivilgesell- schaftlichen Interessenbündnis sowie dem Handlungsdruck des lokal vorhandenen materiellen (stadträumlichen und infrastrukturellen) Kontextes. (Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren oder blockieren)

Der vertiefende Blick auf eine Empfehlung des Master Plans zeigt darüber hinaus, dass der Master Plan-Prozess (Beginn 2008) als Erarbeitungsprozess eines gesamt- städtischen Strategieplans, eine gewisse Dynamik in Bezug auf die Umsetzung von Projekten erzeugte. In diesen Prozess sind eine Vielzahl von Akteuren lokaler und überlokaler Ebenen mit ihren jeweiligen Ressourcen involviert. Das Zusammen- wirken von Akteuren, die Etablierung des Themas im stadtentwicklungspolitischen Diskurs und die Aufnahme des Projektes in den stadtweiten Master Plan spiegelt insgesamt eine gewisse lokale Reformfähigkeit wider: Das Denken und der Um- gang mit großen Verkehrsinfrastrukturen haben sich dadurch nach Hurrikan Katri- na stadtentwicklungspolitisch – wenn auch nur geringfügig und ohne bisherige reale Umsetzung – in New Orleans verändert.

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D VII Strategische Planwerke als ein Zeugnis lokaler Reformfähigkeit nach Hurrikan Katrina

Einige Jahre nach der Entwicklung der Planwerke zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt hat New Orleans eine bedeutende Zahl an großen öffent- lichen Bauprojekten zu verzeichnen. Am 10. Mai 2013 sind 80 Investitionsprojekte in Arbeit. 2014 hat die Stadt 25 Investitionsprojekte mit einem Umfang von 60 Millionen US-Dollar abgeschlossen. (Burns, Thomas 2015: Pos. 860) Laut Bür- germeister Mitch Landrieu, dem Nachfolger von Ray Nagin, haben in Bezug auf öffentliche Investitionsprojekte Bibliotheken, Parks, Spielplätze und Einrichtungen der öffentlichen Sicherheit Priorität. In einer seiner jährlichen Reden zur Lage der Stadt (State of the City 2013) versicherte Bürgermeister Landrieu, dass die Arbei- ten an neuen Krankenhäusern in den Stadtteilen Mid-City und New Orleans East, an der Sanierung des Flughafens Louis Armstrong Airport, die 826 Millionen US- Dollar kostet, am Bau von zusätzlichen Straßenbahnlinien, an Verbesserungsmaß- nahmen des City Park und des öffentlichen Raumes am Fuße der Canal Street zum 300. Geburtstag der Stadt (2018) fertiggestellt sein würden (Burns, Thomas 2015: Pos. 860); Investitionsprojekte, die sich als „Aushängeschild“ für die Stadt eignen. Bevor dieser regelrechte „Bauboom“ in diese öffentlichen Investitionsprojekte begann, ist der gesamtstädtische Wiederaufbauprozess nach Hurrikan Katrina fragmentarisch und unsystematisch verlaufen (Burns, Thomas 2015: Pos. 860):

Denn bis zur Erarbeitung des Master Plans erwies sich der Prozess als „turbulent“, zunächst erst einmal ein durchführbares und tragfähiges Planwerk zum Wiederauf- bau zu entwickeln. Nach einem ersten erarbeiteten Planwerk, an dem das Urban Land Institute (Urban Land Institute 2005a) mitgewirkt hatte und das die Einwoh- nerschaft entschieden abgelehnt hat (Colten et al. 2008), gerieten auch nachfolgen- de Planungsbemühungen in Bedrängnis. (Nelson et al. 2007) Nelson et al. (2007) bewerten eine Tatsache in den Planwerksprozessen als Schwierigkeit: Planerische Aufgaben wurden in erheblichem Maße an Experten vergeben, die normalerweise nicht involviert gewesen wären, so dass im Grunde Nichtregierungsorganisationen lokale oder nationale Gruppen und Interessen repräsentierten. (Bres 2007; vgl. Nelson et al. 2007: 2) Unter anderem führte aber die Beteiligung der Einwohner-

598 schaft im Rahmen eines gesamtstädtischen nachbarschaftsbasierten Planungspro- zesses dazu, dass im Sommer 2007 das Planwerk UNOP von lokalen und überloka- len Entscheidungsträgern genehmigt wurde. (City of New Orleans 2007)

Trotz dieses viel gelobten Partizipationsansatzes verurteilten Nachbarschaftsvertre- ter (civic leaders) die verschiedenen Planungsprozesse als „a bunch of fluff“, „junk food“ oder „complete chaos“. Einige Bürger waren mit der Zeit „planungsmüde“, weil „one silly process after another“ stattfand. Nach Burns (2015) war die Reakti- on der Nachbarschaften auf die Planungsprozesse größtenteils negativ. (Burns, Thomas 2015: Pos. 860) Bürgermeister Nagin wurde von Nachbarschaftsvertretern beschuldigt, nach dem Sturm keine Agenda gehabt zu haben oder die Führung in Bezug auf den Wiederaufbau Ed Blakely überlassen zu haben. Zudem wurde kriti- siert, dass der Bund die Regeln aufstellte und im Grunde die lokale Führung über- nahm. Als eine Reaktion darauf war in einigen Stadtteilen ein ausgeprägtes civic engagement zu beobachten, welches jenseits der offiziellen Planungsprozesse zur Revitalisierung von Nachbarschaften beigetragen hat. (Burns, Thomas 2015: Pos. 872; vgl. Brandes Gratz 2015)

In der unmittelbaren und mittelbaren Folgezeit einer Katastrophe erfordert ein oft- mals hoher stadträumlicher Zerstörungsgrad einer Stadt oder Region einen „ir- gendwie gearteten“ Planungsprozess zum Wiederaufbau, der ein Planwerk zum Wiederaufbau zum Ergebnis hat.303 Denn ein derartiges gesamtstädtisches strategi- sches Planwerk schafft Planungssicherheit sowohl für die Einwohnerschaft als auch für Investoren und Entwickler und macht überlokale finanzielle Mittel ver- fügbar. Im Fall von New Orleans wird dieser Erarbeitungsprozess, der mehrere Anläufe benötigte, von Collins (2011: 167–169) trotz aller Unwägbarkeiten (lang, kostenintensiv und ineffizient) (Collins 2011: 169) und Reaktionen aus der Ein- wohnerschaft (vgl. oben Burns, Thomas 2015) in vier Punkten als positiv bewertet. Gerade die letzten drei Punkte spiegeln dabei eine strukturell-prozessuale Reform- fähigkeit und Veränderung wider: Erstens erarbeitete die Stadt mit dem Planwerk

303 Diese Notwendigkeit besteht paradoxerweise auch, wenn wie im Fall von New Orleans erst ver- schiedene Prozesse zu einem offiziell genehmigten Planwerk zum Wiederaufbau und zur Neuent- wicklung der Stadt führen. Die Vielzahl der Planungsprozesse hat dann Auswirkungen auf das Parti- zipationsverhalten und die -bereitschaft der städtischen Akteure und dabei insbesondere der Einwoh- nerschaft hinsichtlich Planungsprozesse und -verfahren. (vgl. oben Burns, Thomas 2015)

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UNOP einen gesamtstädtischen Wiederaufbauplan, der, wie angestrebt, die lang ersehnten Infrastrukturgelder der Bundesregierung verfügbar machte; ein politisch- administrativer Vorgang, der ohne Plan nicht möglich gewesen wäre. Zweitens hat die Stadt nun einen qualitativ hochwertigen Master Plan, der bewährte Methoden, Verfahren oder Vorgehensweisen zur Neuentwicklung einer Stadt lokal anpasste (lokal neu). Drittens trug der Planungsprozess dazu bei, dass sich Nachbarschaften insgesamt zu einem größeren Ausmaß organisierten als es vor Katrina der Fall war. Im Master Plan wurde zudem formal ein sogenannter community participation process institutionalisiert. Viertens wurde die Planungsfunktion der Stadt nach Katrina gestärkt (letztendlich durch die comprehensive zoning ordinance, die auf den Master Plan folgte). Vor Katrina wurde die Planungsfunktion als „schwach“ ausgebildet beschrieben. (Collins 2011: 167–169)

Lokale Reformfähigkeit wird hier zusammenfassend verkürzt verstanden als kol- lektives Vermögen, den Status quo zu verändern.304 Vor dem Hintergrund der Pla- nungsprozesse zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung von New Orleans nach Hurrikan Katrina wurden zwei Arten von Reformfähigkeit deutlich. Setzte sich ein neuer inhaltlich-materieller Ansatz durch305 oder wurde ein neuer strukturell- prozessualer Ansatz angewendet, zeigt sich jeweils diesbezüglich auch eine lokale Reformfähigkeit, die hier als substanziell-materielle oder strukturell-prozessuale Reformfähigkeit bezeichnet wird. Im Laufe des Prozesses wird deutlich, dass ein Planwerk entweder aufgrund seiner inhaltlich-materiellen oder aufgrund seiner strukturell-prozessuale Reformfähigkeit scheiterte (nicht öffentlich angenommen oder genehmigt wurde) aufgrund politisch stark aufgeladener Prozesse (BNOB und NONRP). Dazu trug zum einen ein Veto der Einwohnerschaft von New Orleans und zum anderen das Veto überlokaler politisch-administrativer Ebenen (Bundes- staat) bei. Erst durch einen neuen strukturell-prozessualen Ansatz konnte sich ein Planwerk durchsetzen. Der inhaltlich-materielle Ansatz war dabei weniger aus-

304 Reformfähigkeit ist definiert als kollektives Vermögen, den Status quo zu verändern von Leitbil- dern und Zielen, Instrumenten und Verfahrensweisen, oder auch Programmen und Projekten. In die- ser Arbeit geht es demnach nicht um die Betrachtung von Veränderung des Status quo räumlicher Muster im Stadtraum beziehungsweise die räumlichen Auswirkungen des Instrumentes eines strategi- schen Planwerkes im Stadtraum. (Vgl. auch Teil B Reformfähigkeit) 305 Durchsetzen wird hier verstanden als öffentlich gebilligt, akzeptiert oder angenommen und (lokal) staatlich offiziell genehmigt.

600 schlaggebend und trug aber dazu bei, dass eine gewisse Ruhe in den gesamten Pro- zess einkehrte, denn jede Planungsidee fand im Planwerk Berücksichtigung (UNOP).

Nachfolgend werden Ergebnisse von Teil D zusammengefasst. Zum einen zeigen die gesamtstädtischen Ziele der Planwerke, die direkt oder indirekt verfolgt werden (D VII.2), und zum anderen die Prozesse der Planwerksentwicklungen unter Be- rücksichtigung von Akteurskonstellationen, Entscheidungsfindung und Partizipati- onsansätzen (D VII.3), die jeweilige planerische Logik der einzelnen gesamtstädti- schen Strategien und inwiefern die Planwerke Ansätze von Reformfähigkeit wider- spiegeln. Eingangs werden Ausgangssituationen, Kontext und Auslöser (D VII.1) zusammengefasst. Als Prozessergebnis (D VII.4) zeigt sich, inwiefern sich eine Leitidee, Vision oder Logik als ein Ausdruck des inhaltlich-materiellen Ansatzes durchsetzte. Anschließend wird auf Bedingungen eingegangen, die lokale Reform- fähigkeit in der Stadtentwicklung am Beispiel der Entwicklung von Planwerken zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung im Fall von New Orleans forcieren und blockieren (D VII.5). Daraus werden einige ergänzende Erkenntnisse abgelei- tet (D VII.6).

D VII.1 Ausgangssituationen, stadtpolitischer Kontext und Auslöser der Planwerkserarbeitungen

Als Auslöser für die Entwicklung der jeweiligen Planwerke zum Wiederaufbau und für den Master Plan gelten jeweils unterschiedliche Umstände (wie beispielsweise die Katastrophe in Folge von Hurrikan Katrina an sich (BNOB), Personalmangel (BNOB) und spätere personelle Wiederaufstockung (Master Plan) in der städti- schen Verwaltung beziehungsweise der Planungsbehörde, Vorgaben des Bundes- staates (UNOP), begrenztes Fördermittelvolumen für Wiederaufbauprojekte und Maßnahmen (RMP)). Im Zusammenspiel mit diesen jeweils unterschiedlichen Um- ständen lösten u.a. unterschiedliche fachlich-inhaltliche Ansätze die Planwerke jeweils aus, die sich vor allem auf die Siedlungsflächenentwicklung beziehen: För- derung des Wiederaufbaus höher gelegener Nachbarschaften (BNOB), Förderung des Wiederaufbaus niedrig gelegener Nachbarschaften (NONRP), stadtweiter Wie-

601 deraufbau (UNOP), Förderung des Wiederaufbaus wirtschaftlich und infrastruktu- reller Knotenpunkte (RMP), Förderung von zukunftweisenden Entwicklungsstrate- gien und -projekten (Master Plan).

Die fachliche, formale und akteursbezogene Ausgangssituation der jeweiligen Planwerke zeigen auch jeweils eine Entwicklungslinie auf: Nach dieser weitrei- chenden stadträumlichen Zerstörung durch die Folgen von Hurrikan Katrina waren etwa zwei Jahre nach Hurrikan Katrina erste stadtweite Anzeichen einer städti- schen „Erholung“ und Neuentwicklung zu erkennen. Bis zu diesem Zeitpunkt gin- gen noch immer Aufräumarbeiten vonstatten und die Inbetriebnahme städtischer Infrastruktur bereitete noch immer Probleme. Als mit der Erarbeitung des Master Plans begonnen wurde, hatte sich die Stadt allerdings noch immer nicht von den Folgen von Hurrikan Katrina „erholt“. Vor allem wurde zu diesem Zeitpunkt eine ungleichmäßige und langsame Wiederbesiedlung der Nachbarschaften immer deut- licher. (fachliche Ausgangssituation) Formal war die Genehmigung des UNOP als gesamtstädtisches Planwerk zum Wiederaufbau ein Wendepunkt im Rahmen der Entwicklung von Planwerken. Denn durch UNOP konnten finanzielle Mittel zum Wiederaufbau des Bundes endlich freigegeben werden. Diese Mittel konnten dann offiziell lokal in einem weiteren Planwerk priorisiert (RMP) und gleichzeitig für die Erarbeitung eines Planwerks zur Neuentwicklung der Stadt, den Master Plan, verwandt werden, da dafür bis zu diesem Zeitpunkt lokal keine finanziellen Mittel zur Verfügung standen (formale Ausgangssituation). Anfängliches Konkurrenzver- halten lokalpolitischer Institutionen und ihre unterschiedlichen Ansätze zum Wie- deraufbau (Bürgermeister und Stadtrat) resultierten insgesamt in der Erarbeitung der unterschiedlichen Planwerke zum Wiederaufbau. Einerseits waren dabei die Kooperation durch Eliten der Stadt mit externen fachpolitischen Organisationen und planerischer Fachexpertise (BNOB) und andererseits eine Kooperation einer lokalpolitischen Institution (Stadtrat) mit externer planerischer Fachexpertise (NONRP) ausschlaggebend. Erst durch die Entscheidungsbefugnis überlokaler Akteure (LRA, Bund) und externe Ressourcen (Rockefeller Foundation) kam es zu einem gesamtstädtischen Planwerk zum Wiederaufbau. Die damit verfügbaren finanziellen Mittel der Bundesebene konnten von einem externen „Zar des Wieder- aufbaus“, der vom Bürgermeister eingestellt wurde, für den Wiederaufbau von Infrastruktur vorrangig in bestimmten Förderzonen der Stadt verwandt werden.

602

Zudem war die lokale städtische Planungsbehörde (durch personelle Neueinstel- lung) wieder handlungsfähig und bereitete den Prozess für die Entwicklung eines neuen Masterplans. Dieser Prozess konnte nun ebenfalls von externen Akteuren in Abstimmung mit der städtischen Planungsbehörde gesteuert werden. In diesem Sinne ist eine zunehmende Mitwirkung überlokaler Akteure (Fachexpertise und finanzielle Ressourcen) in Bezug auf die Entwicklung der Planwerke zu verzeich- nen. (akteursbezogene Ausgangssituation)

Der stadtpolitische Kontext in Bezug auf die Erarbeitung der Planwerke veränderte sich im Verlauf der Zeit teilweise: Die finanzielle lokalpolitische Lage ist prekär und entwickelte sich bis hin zur Zahlungsunfähigkeit, bis überlokal (von Bund und Stiftungen) finanzielle Mittel zum Wiederaufbau zur Verfügung standen. Durch diese Mittel konnten auch ein gesamtstädtischer Wiederaufbau- und ein Master Plan erarbeitet werden. Die politische Lage war geprägt durch die Lokalwahlen (Bürgermeister und Stadtrat im Mai 2006) und anstehende Wahlen in Bundesstaat und Bund (Gouverneur 2007, US-Präsident 2008). Der nach Hurrikan Katrina ge- schwächte Bürgermeister (Nagin) wurde wiedergewählt und in den Stadtrat zogen teilweise neue Abgeordnete mit dem Ziel ein, lokalpolitische Veränderungen anzu- streben. Rechtlich standen in erster Linie überlokale Richtlinien und Programme die ersten eineinhalb Jahre nach Hurrikan Katrina zur Katastrophenbewältigung und Wiederaufbau der Stadt im Fokus, die allerdings aufgrund des Ausmaßes der Katastrophe nicht gegriffen haben, neu erarbeitet werden mussten oder erst spät Umsetzungserfolge erzielten (Stafford Act und Advisory Base Flood Elevation Maps des Bundes und das Road Home Program des Bundesstaates). Eine lokale planerische Grundlage, die für Wiederaufbau und Neuentwicklung der Stadt zur Anwendung hätte kommen können, gab es nicht, weshalb die Forderung des Bun- des nach einem Wiederaufbauplan die Stadt New Orleans in Bedrängnis brachte. Die ökonomische und kulturelle Lage der Stadt veränderte sich während der jewei- ligen Planwerkserarbeitungen, hatte allerdings höchstens mittelbaren Einfluss auf die Erarbeitung der Planwerke. Unmittelbar nach Hurrikan Katrina lagen ökonomi- sche und kulturelle Aktivitäten weitestgehend brach. Der Tourismus blühte zwar Mitte 2006 (der UNOP-Prozess begann) wieder mit entsprechenden Auswirkungen auf den kulturellen Sektor, aber die Arbeitslosenrate war insgesamt sogar höher als vor Hurrikan Katrina. Eine wirtschaftliche „Wiederbelebung“ zeichnete sich auch

603 anschließend eher in den Vorstädten ab und trotz einer hohen Arbeitslosenrate fehl- ten in bedeutenden Wirtschaftsbranchen Arbeitskräfte (Gesundheit, Bildung, Dienstleistungen im Tourismussektor). Als der Master Plan erarbeitet wurde, flo- rierte auch der Tourismus in New Orleans wieder als bedeutender wirtschaftlicher Sektor der Stadt mit all seinen Nebenerscheinungen. Nichtsdestoweniger hatte die Finanzkrise 2008 bis 2012 die lokalen wirtschaftlichen Auswirkungen in New Or- leans.

D VII.2 Gesamtstädtische strategische Ziele mit Ansätzen von Reformfähigkeit?

Die Reflexion der gesamtstädtischen strategischen Ziele umfasst nachfolgend in erster Linie Grundgedanken und Intentionen der Planwerke zum Wiederaufbau, ihre fiskale räumliche Verteilungslogik und eine potentielle stadträumliche Ent- wicklung aufgrund lokal diskursiver Kontroversen. Vor diesem Hintergrund wer- den abschließend die Ansätze einer lokalen substanziell-materiellen Reformfähig- keit aller Planwerksstrategien in den Blick genommen und Anzeiger von Reform- fähigkeit daraus hergeleitet.

Grundgedanken und Intentionen: Die Planwerksstrategien zum sogenannten Wie- deraufbau (BNOB, NONRP und UNOP) spiegeln unterschiedliche politische Grundgedanken und Intentionen wider: „The BNOB was a mayor-initiated project that was followed by the City Planning Commission initiating their own project to focus on certain low-lying areas that had more flood damage. That was the neigborhood plans or what they called the Lambert plan. That was followed by UNOP or the Unified New Orleans Plan. That was supposed to be more holistic, including the Lambert plan areas plus the dry areas. That felt, 'yes we were not flooded but we need rebuilding as well.' Because there were social structures that were disrupted. You have people who have other areas of their lives that are dis- rupted [like, Anm. d. Verf.] jobs... So you dodged this bullet but who is to say you won’t get hit by the next one. The dry areas had their own needs. The UNOP was supposed to address those needs and the needs of the white areas as one citywide plan.“ (Johnson 27.02.2012) Das Planwerk BNOB wurde aufgrund seines Flächen-

604 nutzungsansatzes kontrovers diskutiert und letztlich lokalpolitisch offiziell verwor- fen. Das Planwerk NONRP wurde offiziell nicht weiterverfolgt, da er ausschließ- lich die stark überschwemmten Gebiete der Stadt repräsentierte, während das Planwerk UNOP letztlich politisch anerkannt und administrativ genehmigt wurde: „So you know, it was a really interesting time and a really interesting lesson about recovery (lacht) planning per se. But the plans were developed in different times to represent different things and I think that automatly you did get it right with the adoption of the UNOP plan. Because it was that plan that really allowed us to move forward with the development given dispersonal funds that we needed.“ (Rodrigu- ez 23.02.2012) Das Planwerk UNOP war im Gegensatz zum Planwerk BNOB in- haltlich detaillierter, schlug eine stadträumliche Risikobewertung vor, bevor eine Investition getätigt wird. Es zeichnete sich zudem durch planerische Vorschläge zur stadtweiten Infrastruktur aus. (Johnson 27.02.2012) Der Recovery Management Plan schlug eine räumliche Konzentration von öffentlichen Mitteln und Anreize für private Investitionen vor und der Master Plan besann sich inhaltlich auf lokale Stärken und griff überlokale stadtentwicklungspolitische Tendenzen auf.

Fiskale räumliche Verteilungslogik: Diese unterschiedlichen gesamtstädtischen Ziele der Planwerke zum Wiederaufbau, die direkt und indirekt verfolgt werden, verdeutlichen jeweils auch eine unterschiedliche öffentliche fiskale Verteilungslo- gik für eine Bereitstellung von öffentlicher Infrastruktur in der Gesamtstadt und damit auch die Richtung einer zukünftigen stadträumlichen Entwicklung: Im stra- tegischen Planwerk BNOB sollen zunächst einmal die Stadtgebiete finanziell im Rahmen eines Nachbarschaftsmodells gefördert werden, die nicht so stark von der Überflutung betroffen waren (höher gelegene Nachbarschaften). Diese Stadtteile und Nachbarschaften müssen für eine Förderung bestimmte stadträumliche Charak- teristika aufweisen. Im Planwerk NONRP, das als „Protestplanwerk“ verstanden werden kann, sollten gerade die entgegen gesetzten Nachbarschaften finanziell und somit infrastrukturell gefördert werden; die Nachbarschaften, die von der Flut stark betroffen sind (niedrig gelegene Nachbarschaften). UNOP als drittes Planwerk setzte keine offensichtlich – in einer medienwirksamen Karte dargestellten – fis- kalen Verteilungsprioritäten, sondern beinhaltete eher Entwicklungsszenarien, die aber im Endeffekt zunächst auch Gebiete der Stadt förderte, die nicht so stark von der Katastrophe betroffen waren. Damit war UNOP dem Planwerk BNOB inhalt-

605 lich ähnlicher als öffentlich dargestellt und diskutiert wurde. Die fiskale Vertei- lungspriorität des Recovery Management Plan liegt auf wirtschaftlichen und infra- strukturellen Knotenpunkten im Stadtraum. Im Master Plan ist zwar die fiskale Verteilungslogik wie beim UNOP nicht offensichtlich, aber lokale Nachbarschafts- vertreter kritisieren am Beispiel von zwei Nachbarschaften, dass sich die Anzahl förderfähiger Entwicklungsprojekte und -maßnahmen von Nachbarschaft zu Nach- barschaft erheblich unterscheidet.

Potentiell stadträumliche Entwicklung: Insgesamt wird also die potentiell räumli- che Entwicklung der Stadt durch das Planwerk BNOB, der lokal als Green Dot Plan bezeichnet wird, am deutlichsten: Durch den Vorschlag, niedrig gelegene Teile der Stadt stufenweise in Grünflächen umzuwidmen, wenn keine signifikante Revitalisierung in diesen Teilen der Stadt über einen gewissen Zeitraum zu erken- nen ist, wird ein Grobkonzept zur künftigen räumlichen Entwicklung vorgeschla- gen. Das Konzept spiegelt in seiner Art für eine US-amerikanische Stadt und ihren stadtentwicklungspolitischen Kontext zunächst einen eher radikalen und reformori- entierten Ansatz wider (da im Grunde eine individuelle Freiheit eingeschränkt und reguliert wird). Gleichzeitig setzt der BNOB auf ein bekanntes US-amerikanisches politisches Credo, das auch bei den anderen beiden Planwerken zum Wiederaufbau (NONRP und UNOP) durchscheint: In erster Linie wird politisch auf individuelle Selbsthilfekräfte in Bezug auf den Wiederaufbau vertraut. Insbesondere beim BNOB und UNOP wird individueller Wiederaufbau von Eigentum für öffentliche Investitionen in Infrastruktur vorausgesetzt. Von dieser Logik ist auch das Plan- werk zur Neuentwicklung der Stadt (Master Plan) nicht ausgenommen. Von politi- schem Desinteresse scheint in diesem Zusammenhang zu sein, dass Teile der Ein- wohnerschaft zu einem individuellen Wiederaufbau ihres Wohneigentums und Wohnumfeldes finanziell nicht in der Lage sind und somit nicht in ihre Nachbar- schaften zurückkehren können. Von weiterem politischen Desinteresse scheint zu sein, dass ein anderer Teil der Bewohnerschaft in diese Wohngebiete zurückkehrt, dieser aber infrastrukturell abgehängt werden beziehungsweise bleiben würde, was wiederum Ausstrahlungseffekte auf angrenzende Nachbarschaften hat. Ein Beispiel dafür ist der besser situierte Stadtteil Lakeview, die weitgehend überflutet wurde, aber mit entsprechenden privaten finanziellen Ressourcen wiederaufgebaut werden konnte. Dahingegen standen im Stadtteil Lower Ninth Ward derartige private fi-

606 nanzielle Ressourcen nicht zur Verfügung und dementsprechend sich noch heute große Teile des Stadtteils nicht wiederaufgebaut. (Costa 22.11.2016; Rüb 28.08.2006) Insgesamt ist jedes der Planwerke zum Wiederaufbau und das Plan- werk zur Neuentwicklung der Stadt (Master Plan) in sich inhaltlich „geschlossen“ vor dem Hintergrund des jeweiligen stadtpolitischen Kontextes, der Logik der Ini- tiatoren und seiner Bearbeiter sowie der strukturellen Grenzen, in denen sich jede Planwerkserarbeitung bewegte. Jedes Planwerk folgt so einer eigenen Rationalität.

Ansätze einer lokalen substanziell-materiellen Reformfähigkeit zeigen drei von fünf erarbeiteten Planwerksstrategien nach Hurrikan Katrina: Gemessen an der Pla- nungspraxis in New Orleans vor Hurrikan Katrina insgesamt und an den Planwer- ken und Steuerungsinstrumenten der Stadtentwicklung, die vor Hurrikan Katrina in New Orleans zur Verfügung standen (ein stadtweites Planwerk, das sich in Erarbei- tung befand und eine sogenannte Zoning Ordinance aus den 1970er Jahren) zeugt vor allem der BNOB von einer lokalen substanziellen-materiellen Reformfähigkeit. Aber auch die substanziell-materiellen Ansätze des Recovery Management Plans mit einer stadträumlichen Priorisierung von Entwicklungsprojekten und der Master Plan mit einem besonderen Fokus auf „zeitgemäße“ und „zukunftsweisende“ stadt- entwicklungspolitische Themen spiegeln substanziell-materiell neue Ansätze in Bezug auf die Stadtentwicklung in New Orleans wider. Die Planwerke NONRP und UNOP zeigen im Grunde die laissez-faire Planungspraxis der Zeit vor Hurri- kan Katrina in New Orleans auf und zeugen insofern subtanziell-materiell nicht von Reformfähigkeit. Als Anzeiger einer lokalen substanziell-materiellen Reform- fähigkeit in der Stadtentwicklung in New Orleans werden also neue Instrumente und neue Ziele, die eine neue gesamtstädtische Flächennutzung widerspiegeln, mit jeweils unterschiedlicher (neuer) Rationalität, deutlich.

D VII.3 Entwicklungsprozess der Planwerksstrategien mit Ansätzen strukturell-prozessualer Reformfähigkeit?

Im Rahmen der Untersuchung der Erarbeitungs- oder Entwicklungsprozesse der Planwerke nach Katrina stellten sich als Anzeiger einer lokalen strukturell- prozessualen Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung in New Orleans eine neue

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Art der bewohnerschaftlicher Partizipation in Planungsprozessen (1) und neue Akteurskonstellationen (2) heraus. Dabei wurde insbesondere eine neue Mitwirkung überlokaler externer Akteure sowie neue Initiativen lokaler Akteure (wie der Stadtrat oder die Einwohnerschaft) deutlich, die zuvor nicht oder in einer anderen Art und Weise aktiv waren. Mit der Genehmigung des Master Plans, der gesetzlich verankert ist, kann auf eine neue Art der Entscheidungsfindung in Bezug auf die Flächennutzung der Stadt und im Verhältnis zu der Zeit vor Hurrikan Katrina (vgl. C I) als dritter Anzeiger von strukturell-prozessualer Reformfähigkeit geschlossen werden (3).

Ansätze der Anzeiger strukturell-prozessualer Reformfähigkeit in Bezug auf neue Partizipationsansätze (1) wurden zunächst am deutlichsten im Rahmen des UNOP- Prozesses. Ein umfassender Partizipationsprozess wurde initiiert, um die Einwohnerschaft von New Orleans und die Menschen in die Entwicklung des Planwerks einzubeziehen, die New Orleans aufgrund von Hurrikan Katrina verlassen mussten und die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht in die Stadt zurückgekehrt sind. „I think that that definitely changed a lot.“, so Yolanda Rodriguez. So gab es nach Hurrikan Katrina und im Vorfeld von UNOP eine große Debatte über eine Formalisierung des Systems von öffentlicher Partizipation, denn „(...) the public [has been] making the demand to be more involved in the decision making process, whether it involves just a typical zoning or land use case or involves the rebuilding of a public school and investment of capital dollars, or the rebuilding of an entire city. They just wanted a more predictable, more realistic or... just a more real way to contribute to the decision making process.“ (Rodriguez 23.02.2012) Aufgrund dessen arbeitete die städtische Planungsbehörde „on a system that would allow the public to engage and to be part of that process; meaningful, that is what it is: a meaningful process.“ (Rodriguez 23.02.2012) Aber auch schon vor dem UNOP-Prozess fand bei der Entwicklung des NONRP ein breiter Partizipationsprozess (bottom-up) statt, was lokal eine Neuerung darstellte. Der Erarbeitungsprozess des Master Plans krönt diese Entwicklung. Denn ein neu institutionalisierter Partizipationsprozess wurde angewandt. Bei der Erarbeitung des BNOB war ein Beteiligungsprozess geplant, zu dem es aber nicht kam, und der Recovery Management Plan wurde verwaltungsintern und letztendlich top down entwickelt.

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Bei der Entwicklung der jeweiligen Planwerke zum Wiederaufbau und Neuentwicklung der Stadt sind neue Akteurskonstellationen (2) zu erkennen, die sich durch eine Mitwirkung überlokaler Akteure charakterisieren. Diese Mitwirkung wirkte sich teilweise auf die substanziell-materielle Reformfähigkeit aus und macht eine strukturell-prozessuale Reformfähigkeit deutlich. Strukturell- prozessuale Reformfähigkeit zeigt sich in New Orleans in diesem Zusammenhang auch durch neue Initiativen lokaler Akteure in den Planwerksprozessen (Stadtrat, städtische Planungsbehörde und Einwohnerschaft), die vor Hurrikan Katrina in der Planung nicht oder auf andere Art und Weise aktiv waren: Mit der Initiierung des NONRP bäumt sich der Stadtrat symbolisch gegenüber dem Bürgermeister auf, denn ein bottom up-Ansatz sei bei der Erarbeitung eines Wiederaufbauplans von Nöten. In Folge dessen wurde die Einwohnerschaft zum ersten Mal in einen offiziellen Planungsprozess zum Wiederaufbau aktiv und umfänglich eingebunden; ein Vorgehen, das im Prozess des UNOP und Master Plan fortgesetzt wurde. Strukturell-prozessual reformfähig zeigt sich auch die städtische Planungsbehörde, da sie in Bezug auf die Erarbeitung eines neuen Masterplans initiativ wurde.

Insgesamt ist auffällig, dass sich die Planwerke, die einen neuen substanziell- materiellen Ansatz verfolgen (substanziell-materielle Reformfähigkeit: BNOB, RMP), auf der strukturell-prozessualen Ebene allerdings nicht reformfähig zeigen durch ihre elitäre oder top down-Ausrichtung. Für die Planwerke zum Wiederaufbau, die in einem stadtentwicklungspolitischen „Ausnahmezustand“ entstanden sind, ist unter einer breiten Beteiligung eine geringe substanziell- materielle Reformfähigkeit zu erkennen. Sie spiegeln jedoch aufgrund der breiten Beteiligung in diesem Fall eine größere strukturell-prozessuale Reformfähigkeit wider. Kann also ein neuer substanziell-materieller Ansatz ausschließlich ohne partizipativen Planungsansatz entwickelt werden? Die Entwicklungsgeschichte des Master Plans zeigt das Gegenteil: Er zeigt lokal eine substanziell-materielle Reformfähigkeit trotz lokal prozessual-struktureller Reformfähigkeit. Anzeiger für letzteres in diesem Fall sind die neue Gesetzeskraft des Master Plans und ein neu institutionalisierter Partizipationsprozess. Allerdings ist der Master Plan ist bereits im stadtentwicklungspolitischen „Alltag“ entstanden; der stadtentwicklungs- politische „Ausnahmezustand“ einer Katastrophensituation wurde zu diesem Zeitpunkt bereits überwunden.

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Abbildung 71: Parallelen von Akteurshandeln in den Planwerksprozessen (eigene Darstellung).

D VII.4 Prozessergebnis mit durchschlagkräftigen Leitideen und Visionen?

Nicht von allen Planwerken, die nach Hurrikan Katrina entwickelt wurden, konnten sich die Leitidee, Vision oder Logik als ein Ausdruck des substanziell-materiellen Ansatzes durchsetzen, sondern ausschließlich ein Planwerk jeder Planwerkskatego- rie: ein Planwerk zum Wiederaufbau mit einer Mischung von Planungsansätzen und Projekten und einem umfassenden Partizipationsprozess (UNOP), ein operati- onalisiertes Planwerk mit der Leitidee der räumlichen Reorganisation von Förder- mitteln unter Federführung eines „Zars des Wiederaufbaus“ (RMP) und ein Plan- werk zur Neuentwicklung der Stadt mit „zukunftsweisenden“ Handlungsfeldern der lokalen Stadtentwicklung in New Orleans und einem umfassenden Partizipations- prozess (Master Plan 2030). Die substanziell-materielle Ausrichtung der ersten beiden Planwerke zum Wiederaufbau (BNOB, NONRP) konnte sich nicht durch- setzten. Sie wurden entweder inhaltlich von der Einwohnerschaft abgelehnt, was stadtpolitisch unterstützt wurde (BNOB) oder entsprachen nicht den Förderrichtli- nien überlokaler politisch-administrativer Körperschaften (gesamtstädtischer Plan, LRA).

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Die einzelnen Planwerke und deren Erarbeitung hatten Effekte auf unterschiedli- chen Ebenen. Substanziell-materiell wurden von Planwerk zu Planwerk (Wieder- aufbau) die planerischen Inhalte des BNOB auf eine besondere Art in den UNOP weitergetragen. Beim UNOP ist der Ansatz der Reduzierung der Siedlungsfläche nun nicht mehr. Auch die planerischen Inhalte des NONRP wurden im UNOP wei- terentwickelt. Die planerischen Inhalte des Recovery Management Plan stehen als offizielle Operationalisierung eines Wiederaufbauplanes für sich. Ausgangspunkt für die Entwicklung des Master Plans ist das Planwerk UNOP. (Substanziell- materielle Ebene) Prozessual-strukturell wurde zum einen der Partizipationsansatz in New Orleans neu entdeckt, der sich in seiner Aufführung von Planwerk zu Planwerk invensivierte.306 Allerdings ist der partizipatorische Effekt umstritten. Denn einerseits wird stets betont, dass in der Zeit nach Hurrikan Katrina „jeder zum Planer oder zur Planerin“ wurde. Andererseits ist von Planungsmüdigkeit in New Orleans die Rede, gerade weil viele Planungsprozesse in sehr kurzer Zeit stattfanden (Collins 2015). Die Mitwirkung überlokaler Akteure an allen Planwer- ken hatte den Effekt, dass insgesamt ein Masterplan herausgearbeitet werden konn- te, der Entwicklungsstrategien in zukunftsweisenden Handlungsfeldern aufzeigt und somit auch einen internationalen Standard erreichte. Insgesamt hat die Erarbei- tung des Master Plans die Planungsfunktion in der Stadt New Orleans an sich ge- stärkt. (prozessual-strukturelle Ebene) Das offiziell genehmigte Planwerk zum Wiederaufbau und der Recovery Management Plan spielt mit der Genehmigung des Master Plans real für die Entwicklung des Stadtraumes von New Orleans keine Rolle mehr, obgleich sich die Art der Planwerke unterschied (Planwerke zum Wie- deraufbau und Planwerk zur Neuentwicklung der Stadt). Dennoch stellen diese Planwerke zum Wiederaufbau real – inhaltliche und formale – Vorboten für den Master Plan dar, der nun Gesetzeskraft hat, Leitlinien für öffentliche und private Investitionen umfasst und somit Planungssicherheit für Investitionen schafft. Al- lerdings klammert der Master Plan bedeutende stadträumliche – und lokal umstrit- tene – Entwicklungsprojekte überlokaler Ebenen aus307 und könnte somit auch als „Schön-Wetter-Planwerk“ interpretiert werden. (stadträumliche Ebene)

306 Ausnahmen stellen das elitär erarbeitete erste Planwerk zum Wiederaufbau (BNOB) und das ope- rationalisierte Planwerk zum Wiederaufbau (RMP) dar. 307 So finden beispielsweise die innerstädtischen Krankenhäuser der LSU (Bundesstaat) und des U.S. Department of Veterans Affairs (VA) (Bund) als städtebauliche Großprojekte keine planerische Er- wähnung.

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D VII.5 Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren und blockieren

In dieser Arbeit sind Bedingungen von Interesse, die lokale Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren. Um darauf einzugehen, wird vor dem Hintergrund der Zusammenfassung von Ausgangssituation, Kontext und Auslöser (D VII.1), der gesamtstädtischen strategischen Ziele (D VII.2), dem Entwicklungs- prozess der Planwerke (D VII.3) und den Prozessergebnissen (D VII.4) nachfol- gend auf identifizierte Bedingungen resümierend eingegangen, die lokale Reform- fähigkeit im Zusammenhang mit der Entwicklung der Planwerke zum Wiederauf- bau und zur Neuentwicklung der Stadt forciert (D VII.5.1) und blockiert (D VII.5.2) haben. Dabei wird insbesondere deutlich, dass eine überlokale Mitwirkung unterschiedlicher Akteure ausschließlich eine Bedingung von lokaler Reformfähig- keit darstellt. Diese stellte sich allerdings als nicht unbedeutend im Zusammenhang mit einer längerfristigen Katastrophenbewältigung heraus. Nachfolgend wird auch aufgezeigt, dass sich einige Bedingungen bereits in der Stadtentwicklungspolitik in New Orleans vor und nach Katrina in unterschiedlichen Zusammenhängen als „Hinweise auf lokale Reformfähigkeit“ andeuteten (Teil C) und sich somit auch im Entwicklungsprozess der Planwerke zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung von New Orleans nach Hurrikan Katrina widerspiegeln (vgl. Abb. 72, vgl. im An- hang Übersicht Bedingungen von Reformfähigkeit). Die Nummerierung in der Dar- stellung bezeichnet Akteurshandeln und Akteurskonstellationen und wird nachfol- gend (D VII 5.1) in Bezug auf die Ebene „Akteure und Konstellationen“ erläutert. Im Anhang dieser Arbeit ist die Übersicht „Bedingungen lokaler Reformfähigkeit“ zu finden, die aus Teil B, C und D herausgearbeitet wurde.

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72 : Bedingungen lokaler Reformfähigkeit am Beispiel strategischer Stadtentwicklungspolitik in New Orleans

Abbildung Darstellung). (eigene Katrina Hurrikan nach

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5.1 Was Reformfähigkeit nach Hurrikan Katrina forciert

Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren, wurden auf folgenden Ebenen deut- lich und nachfolgend ausgeführt: Akteure und Konstellationen; Ergebnisse ihres Handelns; Fähigkeiten, Motivationen, Ansichten, und ein struktureller Kontext, der ortsspezifisch und überlokal gültig ist beziehungsweise stadtpolitische Charakteris- tika, die eine gewisse Beharrlichkeit besitzen. Diese Ebenen kristallisierten in Teil B heraus und fanden im empirischen Teil Anwendung.

Akteure und Konstellationen

Neue Akteure und Akteurskonstellationen können abhängig von der jeweiligen Perspektive entweder Anzeiger einer lokalen strukturell-prozessualen Reformfä- higkeit in Bezug auf einen Planungsprozess sein (vgl. 7.3 Entwicklungsprozess der Strategiepläne) oder können als Bedingung von lokaler Reformfähigkeit in Bezug auf ein planerisches Endprodukt verstanden werden. Nachfolgend wird auf die Perspektive der Bedingung eingegangen. So haben insbesondere nachfolgende Akteure und Konstellationen eine substanziell-materielle oder eine strukturell- prozessuale Reformfähigkeit forciert – in Bezug auf das Planwerk als Endprodukt. Sie trugen im Prozess dazu bei, dass sich eine substanziell-materielle oder eine strukturell-prozessuale Reformfähigkeit in Form eines Planwerks durchgesetzt hat bzw. zu erkennen war. Das Planwerk wurde in diesem Sinne öffentlich gebilligt, akzeptiert oder angenommen, oder offiziell genehmigt.

Kooperationen: Überaus auffällig wird vor dem Hintergrund einer Katastrophen- bewältigung eine extreme überlokale und neue Mitwirkung von Akteuren in vielen Variationen deutlich, die jeweils für sich Neues hervorbrachten, was wiederum Ausdruck von Reformfähigkeit ist: Das betrifft die Kooperation einer lokalen Elite aus Staat, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft (BNOBC) mit überlokalen Fach- experten (Think Tanks und Planungsbüros) (1), die Zusammenarbeit lokaler städti- scher Behörden mit überlokalen fachpolitischen Organisationen (APA) und Fach- experten (2, 4). Ein gemeinsamer politischer Wille von lokalen städtischen Akteu- ren und der Einwohnerschaft (5) forcierte Neues (Master Plan) so, wie die Koope- ration von Staat (in diesem Falle Bundesstaat als überlokaler Akteur und dem Au-

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ßenvorlassen der lokalen politisch-administrativen Ebene) mit lokalen und überlo- kalen Stiftungen (3), die Kooperation von lokalen und externen Fachexperten (ex- ternes Büro Goody Clancy und und lokales Büro Manning Architects, Master Plan) (6) oder die überlokale Mitwirkung einer fachpolitischen Organisation bei den Vorhaben einer lokalen zivilgesellschaftlichen Organisation und der späteren Ein- beziehung des Bundes (Claiborne Avenue Expressway, CAE) (7, 12). Die Bezie- hung lokal – überlokal wird in allen Akteursverhältnissen deutlich, bei der „lokale“ Akteure eine besondere Rolle spielen: Den Anker stellt immer die lokale Ebene dar (die städtische Elite beim BNOB, der Stadtrat beim NONRP, die GNOF beim UNOP, Bürgermeister beim RMP, City Planning Commission beim Master Plan, die CCIC beim Master Plan Projekt Claiborne Expressway). Deutlich wird insbe- sondere, dass ohne verfügbare Ressourcen der überlokalen Ebene eine lokale Re- formfähigkeit in dieser Art und Weise nicht möglich gewesen wäre. Die lokale Ebene stellte ihrerseits als Ressource lokale Informationen bereit und war in den meisten Fällen initiativ, wenn sie auch nicht immer führend bei der inhaltlichen und prozessualen Ausgestaltung der Planwerksprozesse war.

Sphäre Staat, Zivilgesellschaft und insbesondere Fachpolitik und Fachexpertise: Zu den Akteuren, die eine der beiden Arten von lokaler Reformfähigkeit (substan- ziell-materiell oder strukturell-prozessual) forcierten, wirkten in erster Linie lokal- staatliche Akteure und zivilgesellschaftliche Akteure und insbesondere Fachpolitik und Fachexperten mit. Bezüglich der lokalstaatlichen Ebene ist neben der Instituti- on des Bürgermeisters und des Stadtrates, die die Planungsprozesse stark beein- flussten, die wieder erstarkte städtische Planungsbehörde im Rahmen der länger- fristigen Katastrophenbewältigung von Bedeutung (8). Zudem zeigte sich die Ten- denz, dass die politisch-administrative Ebene eine planerische Neuentwicklung eher passiv „beobachtet“. Später kam es aber vor dem Hintergrund einer Aussicht auf überlokale Fördermittel zu einer Zusammenarbeit zwischen lokalem Staat und Zivilgesellschaft (CAE) (9). Auf der zivilgesellschaftlichen Ebene steigerte sich insbesondere die Einflussnahme der Einwohnerschaft von Wiederaufbauplanwerk zu Wiederaufbauplanwerk und trug somit im Rahmen der Partizipationsprozesse zur vornehmlich strukturell-prozessualen Reformfähigkeit des jeweiligen Plan- werks bei, wobei die Sphäre zivilgesellschaftlicher Akteure von Heterogenität ge- prägt war (vgl. Teil C I) (10, 11). Insbesondere prägten Fachexperten und Akteure

615 fachpolitischer Organisationen die Planungsprozesse und forcierten durch ihre Mitwirkung Reformfähigkeit (vgl. Teil C) (13). Dabei prägte den Gesamtprozess der Planungen zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung von New Orleans dies- bezüglich eine jeweilige personelle Neubesetzung und ein jeweiliges lokal- überlokales Bündnis (14). Denn im Verlauf des Prozesses wurde immer deutlicher, dass ohne die Kapazitäten überlokaler Fachexperten eine derartige Planungsaufga- be nach einer Katastrophe, wie dieser in New Orleans, nicht möglich gewesen wä- re. Eine derartig „geballte Kraft“ von fachlicher Expertise musste geradezu zu lo- kaler Reformfähigkeit beitragen (15). Denn in einer Stadt, in der rationale Planung vor Katrina keinen großen Stellenwert hatte, stellt diese Mitwirkung von fachlicher planerischer Expertise in der Rückschau eine Neuheit dar, die gleichzeitig als Be- dingung von lokaler Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung interpretiert werden kann.

Sphäre Markt: Obgleich die Planwerke inhaltlich dem ökonomischen Imperativ folgen und unter anderem eine ökonomische Entwicklung der Stadt anstreben, ge- ben sich im Verlauf des Gesamtprozesses zur Erarbeitung der Planwerke (außer beim BNOB) keine Akteure der Privatwirtschaft offensichtlich zu erkennen. So ist allerdings die Entwicklung eines gesamtstädtischen Planwerks zunächst ein origi- när öffentliches Handlungsfeld. Zudem „mischten“ sich Akteure der Privatwirt- schaft unter eine zivilgesellschaftliche Beteiligung. Denn New Orleans hat ohnehin keine große business community und Akteure der Privatwirtschaft traten nach eige- nen Aussagen eher als Privatleute auf. Nichtsdestoweniger verfolgten sie privat- wirtschaftliche Interessen, gerade in der unmittelbaren Folgezeit von Hurrikan Katrina, um die Unternehmung zu retten.

Ergebnisse von Akteurshandeln

Insbesondere haben nachfolgende handlungsbezogene Ergebnisse von Akteurshan- deln308 im Rahmen des Prozesses dazu beigetragen, dass der gesamte Planwerks- prozess als Ausdruck einer strukturell-prozessualen Reformfähigkeit bezeichnet

308 Hierfür erforderliche Metakompetenzen, die sich aus der Analyse heraus zeigen, können hier nicht weiter vertieft werden, da diese Aspekte aus einer psychologischen Perspektive betrachtet werden müssten.

616 werden kann. Als Ergebnis ist letztendlich ein Planwerk zum Wiederaufbau ge- nehmigt worden (UNOP), ein Planwerk wurde entwickelt (RMP), das das Plan- werk zum Wiederaufbau offiziell operationalisierte, und ein Planwerk zur gesamt- städtischen Neuentwicklung von New Orleans (Masterplan) ist entstanden. Über dieses Ergebnis hinaus sind noch weitere „Produkte“ im Verlauf des gesamten Prozesses entstanden, die in erster Linie strukturell-prozessuale Reformfähigkeit in Bezug auf ein planerisches Endprodukt bedingen und teilweise gleichzeitig auch strukturell-prozessuale Reformfähigkeit in Bezug auf einen Planungsprozess an sich anzeigen. Zu diesen weiteren „Produkten“, die auch als „Nebenprodukte“ oder als „Ergebnisse von Akteurshandeln“ bezeichnet werden können und die Reform- fähigkeit sowohl bedingen als auch teilweise an sich anzeigen, gehören Partizipati- onsprozesse der jeweiligen Planwerksprozesse. Diese Prozesse gab es in dieser Form in New Orleans zuvor noch nicht. Zu den „Nebenprodukten“ gehörten auch adäquate Problemanalysen, die den historischen, gesellschaftspolitischen und kul- turellen Kontext mit einbeziehen, wodurch sich ein Planwerk dann auch „durch- setzt“, und die Entwicklung von konsensorientierten Zielvorstellungen im Rahmen der Planwerksprozesse und des Master Plan-Projektes (CAE). Der Status der Ge- setzeskraft, der für ein Planwerk erreicht wurde, ist ebenfalls ein Ergebnis von Akteurshandeln, der aufgrund des politischen Willens von Stadtrat und Einwohner- schaft erreicht wurde. (vgl. Teil D, Entwicklungsprozess der Strategiepläne)

Institutionalisierung von Akteuren: Strukturell-prozessuale Reformfähigkeit kommt darüber hinaus durch das „Nebenprodukt“ einer formalen, wenn auch nur temporären, Institutionalisierung von Akteuren zustande, die vor Hurrikan Katrina möglicherweise ausschließlich informell zusammengearbeitet hatten (BNOBC). Insbesondere wurden durch eine personelle Neubesetzung stadtpolitische Aufgaben temporär einer städtischen Institution formal entzogen, die dadurch regelrecht ent- machtet wurde, später aber wieder durch überlokale finanzielle Ressourcen (BNOBC vs. CPC) erstarkte. Der jeweilige Austausch fachlicher Expertise in den Planwerksprozessen (fachlich professionelle Neubesetzung) trug ebenfalls zur lo- kalen Reformfähigkeit bei. Die Kombination einer erstarkten städtischen Pla- nungsbehörde und einer personellen (fachlich professionelle) Neubesetzung war ausschlaggebend für eine gewisse „Entpolitisierung“ des Planwerksprozesses bei der Durchsetzung eines Planwerks insgesamt (UNOP, Master Plan).

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Unterstützend zur Entwicklung dieser Planwerke wirkte grundlegend der überlokal politisch proklamierte Wiederaufbau der Stadt, der trotz einer öffentlichen Debatte zur Infragestellung des Wiederaufbaus Mitte September 2005 durch US-Präsident Bush und später US-Präsident Obama beteuert wurde. Ein proklamierter Wieder- aufbau kann wie in vielen Städten (Chicago nach dem Feuer 1871, San Francisco nach dem Erdbeben 1906, vgl. Teil B), die eine urbane Katastrophe zu bewältigen hatten, auch in New Orleans als Treiber betrachtet werden, lokal überlokale Bedin- gungen zu erfüllen. In diesem Zusammenhang wird lokal auch auf die überlokalen finanziellen Ressourcen für die lokale Ebene gebaut. Darüber hinaus wirkt eine instrumentelle Verankerung von Projekten (im Master Plan) unterstützend, wenn es um die (finanzielle) Mitwirkung überlokaler Ebenen geht.

Struktureller Rahmen

Insbesondere haben nachfolgende stadtpolitische Charakteristika mit Beharrungs- vermögen als struktureller Rahmen309 im Prozess eine substanziell-materielle oder eine strukturell-prozessuale Reformfähigkeit nicht verhindert. Es zeigt sich also, dass Beharrungstendenzen nicht notwendigerweise Reformfähigkeit blockieren. Dennoch können sie jedoch in einigen Fällen lokale Reformfähigkeit in der Stadt- entwicklung erschweren. Zwischen einem lokalen (ortsspezifischen) strukturellen Rahmen und einem überlokal gültigen strukturellen Rahmen wird unterschieden.

Ortsspezifischer struktureller Rahmen: Zu den ortsspezifischen stadtpolitischen Charakteristika, die ein Beharrungsvermögen aufweisen und im Zusammenhang mit der Entwicklung der Planwerke sogar als struktureller Rahmen bezeichnet wer- den können, wird punktuell der schwelende Konflikt um Rassenzugehörigkeit und -identität besonders deutlich (BNOB, NONRP). Dieser Konflikt kann als eine Fol- ge sowie Begleiterscheinung eines lokal tief verwurzelten diskriminierenden sozia- les Systems in New Orleans bezeichnet werden (vgl. Teil C). Auch wurde kollekti- ves Misstrauen in den Planwerksprozessen auf mehreren Ebenen deutlich. Es zählt zu diesen ortsspezifischen stadtpolitischen Charakteristika, die lokale Reformfä- higkeit nicht unbedingt notwendigerweise blockieren, aber doch erschweren gerade nach einer Katastrophe, in der der Handlungsdruck besonders hoch und offensicht-

309 Im weiteren Sinne wird ein struktureller Rahmen auch als Ergebnis von Akteurshandeln betrachtet.

618 lich ist. Kollektives Misstrauen wird im Gesamtprozess auf zwei Ebenen deutlich. Zunächst zwischen den politisch-administrativen Ebenen von Bund, Bundesstaat und der Stadt New Orleans (Bund gegenüber lokalem Staat und Bundesstaat; Bun- desstaat gegenüber lokalem Staat; lokalstaatliche Skepsis gegenüber dem Bund; vgl. Teil C). Darüber hinaus ist ein lokales kollektives Misstrauen der Einwohner- schaft gegenüber externen Akteuren an einigen Zeitpunkten der Erarbeitung der Planungsprozesse auffällig geworden. Das erwies sich sich als Spannung zwischen lokalen und externen Akteuren (RMP). Erst die Analyse eines konkreten Projektes machte den Handlungsdruck im stadträumlichen Kontext in New Orleans sichtbar (inadäquate infrastrukturelle Ausstattung und Erneuerung und Desinvestition) und damit auch einen strukturellen Rahmen, der die Stadtentwicklung in unterschiedli- chen Zusammenhängen in New Orleans beeinflusst (räumliche Disparitäten auf- grund sozialräumlicher Struktur). Mit derartigen Projekten werden lokal Hoffnun- gen verbunden, die allerdings grundsätzlich dem Paradigma des ökonomischen Imperativs folgen (Hoffnung auf ökonomische Entwicklung bzw. auf Marktakteu- re, die auf stadtpolitische Anreize reagieren).

Überlokal gültiger struktureller Rahmen: Das Paradigma des ökonomischen Impe- rativs zieht sich durch alle Planwerke. Er wird sowohl deutlich, wenn ein Planwerk abgelehnt wird (BNOB), als auch wenn ein Planwerk befürwortet und genehmigt wird (UNOP, Target Zones, Master Plan, Projekt Master Plan Claiborne Avenue). Das Paradigma des ökonomischen Imperativs deutete sich nicht nur in Handlungs- feldern der Stadtentwicklungspolitik wie Wohnraum- oder Innenstadtentwicklung an (vgl. Teil C), sondern zeigte sich auch im Zusammenhang mit der Entwicklung von gesamtstädtischen strategischen Planwerken. Die Förderpolitik des Bundes und damit verbundene finanzielle Ressourcen für die lokale Ebene sind nicht nur als beharrlich zu bezeichnen, sondern als regelrechter Treiber lokalen Handelns, wenn nicht sogar von Reformfähigkeit, wie die Analyse der Planwerke zeigte.

Fähigkeiten, Motivationen, Ansichten

Insbesondere trugen nachfolgende handlungsbezogenen Fähigkeiten, Motivationen und Ansichten dazu bei, dass der Entwicklungsprozess der Planwerke durch eine substanziell-materielle oder eine strukturell-prozessuale lokale Reformfähigkeit

619 geprägt wurde: Erst ein Planwerk wurde öffentlich angenommen und offiziell ge- nehmigt, das sich durch einen umfassenden Partizipationsansatz auszeichnete, der in New Orleans neuartig war. Dieser erwies sich aber erst als strukturell-prozessual reformfähig durch ein gemeinschaftliches Vorgehen im Sinne eines kollektiven Handelns, in das die gesamte Einwohnerschaft paritätitsch offiziell einbezogen wurde (UNOP, Master Plan). Darüber hinaus wurden die Planwerke öffentlich angenommen und offiziell genehmigt, die gemeinschaftlich beziehungsweise kol- lektiv kooperativ erarbeitet und zudem weitestgehend „entpolitisiert“ wurden. In diesen Fällen überzeichneten mehr fachliche Expertise und weniger politisch- administrative Akteure einen Planwerksprozess (UNOP, Master Plan), obgleich Planung immer auch Politik ist. Darüber hinaus wurden die Planungsprozesse und der Wiederaufbau der Nachbarschaften im Allgemeinen kollektiv durch eine Ame- rican self-help ideology angetrieben (NONRP, individueller Wiederaufbau von Wohnhäusern, Nachbarschaftsorganisationen gründen). Eine tendenziell kollektive Skepsis gegenüber US-amerikanischen Regierungsinstitutionen korrespondiert damit. Diese Motivation zur Selbsthilfe kann auch stadtpolitisch kalkuliert sein (BNOB). Dennoch kann die Arbeit von Nachbarschaftsorganisationen auch moti- viert werden, wenn ein Wiederaufbau seitens der Regierungsorganisationen (Mas- ter Plan Projekt CAE) überlokal politisch proklamiert wird (Inwiefern dies ge- schah, weil dieses politische Versprechen von US-Präsident Obama diesen zu ei- nem symbolischen Verbündeten der afroamerikanische Nachbarschaft machte, konnte hier nicht geklärt werden.)

Ressourcen

Nachfolgende Ressourcen trugen insbesondere dazu bei, dass der Prozess von einer substanziell-materiellen oder einer strukturell-prozessualen lokalen Reformfähig- keit geprägt wurde. Dabei wird Ressource310 hier als Mittel verstanden, das einem Akteur zur Verfügung steht, um ein Ziel zu erreichen. Dabei wurden Ressourcen deutlich wie eine fachliche Expertise und Kompetenzen, fachliche ideelle Paradig- men und finanzielle Mittel (fachlich, ideell, finanziell). Auch wird die Entschei- dungsbefugnis auf der Grundlage von lokalen oder überlokalen Gesetzen oder

310 In dieser Arbeit wird explizit nicht der Terminus Mittel verwendet, weil daraus eine Verfügbarkeit noch nicht deutlich wird.

620

Verwaltungsvorschriften hier als Ressource verstanden. Alle diese Ressourcen spielen im Entwicklungssprozess jedes Planwerks auf lokaler als auch überlokaler Ebene eine Rolle (Ressourcen lokaler und überlokaler Ebenen). Finanzielle Mittel standen in erster Linie von überlokaler Ebene zur Verfügung. Zudem wurde in diesem Prozess deutlich, dass finanzielle Mittel an fachliche Paradigmen überloka- ler Ebenen gekoppelt waren (Bundesstaat, Bund, Stiftungen; Verknüpfung fachli- cher Paradigmen mit finanziellen Ressourcen). Insbesondere konnte sich erst im Laufe des gesamten Prozesses eine fachliche Expertise als Ressource im Verhältnis zu anderen Ressourcen hervorstellen. Sie wurde insofern in Bezug auf eine lokale Reformfähigkeit immer gewichtiger (Master Plan) und wurde durch eine gewisse Entpolitisierung des Planungsprozesses forciert. (Bedeutungsgewinn von fachlicher Expertise)

5.2 Was Reformfähigkeit blockiert nach Hurrikan Katrina

Reformfähigkeit blockiert erst einmal grundsätzlich das Gegenteil von dem, was Reformfähigkeit forciert. Hier soll allerdings darauf eingegangen werden, was sich empirisch auf der Grundlage der Betrachtung der Planwerke herausstellte. Das wurde insbesondere erst dann deutlich, als sich ein Planwerk insgesamt nicht durchsetzte, weil es öffentlich nicht gebilligt, akzeptiert oder offiziell nicht geneh- migt wurde. Lokale Reformfähigkeit kann auf folgenden Ebenen blockiert werden: Akteure und Konstellationen, Ergebnisse ihres Handelns und die ihnen zur Verfü- gung stehenden Ressourcen sowie stadtpolitische Charakteristika mit Beharrungs- vermögen.311

Akteure und Konstellationen und Ergebnisse von Akteurshandeln

Zu den Akteuren, die im Prozess in erster Linie dazu beitrugen, dass sich ein Plan- werk insgesamt nicht durchsetzte und demnach eine Art lokaler Reformfähigkeit (substanziell-materiell oder strukturell-prozessual) auch nicht erkennbar war, ge-

311 Für die Ebene Fähigkeiten, Motivationen, Ansichten stellte sich empirisch kein direktes Ergebnis heraus, denn psychologische Metakompetenzen oder Nichtkompetenzen wurden auch hier nicht einbezogen.

621 hörte die lokale Einwohnerschaft. Denn unter medialer Mitwirkung kam es zum Protest der lokalen Einwohnerschaft, woraufhin die Lokalregierung dem Planwerk insgesamt ihre Zustimmung entzog (BNOB). So hat der öffentliche Protest der lokalen Einwohnerschaft auf der Ebene des Akteurshandelns, lokale Reformfähig- keit blockiert (BNOB). Darüber hinaus kann die bundesstaatliche Ebene aufgrund von Entscheidungsbefugnissen dazu beitragen, dass ein Planwerk nicht genehmigt wird (NONRP), obgleich es sich durch lokale stukturell-prozessuale Reformfähig- keit auszeichnet. Auf der Ebene des Akteurshandelns hat auch ein Mangel an an- gemessenen formalen Beteiligungsformen (BNOB) im Entwicklungsprozess dazu geführt, dass sich das Planwerk insgesamt nicht durchsetzt hat.

Ressourcen

Als Ressourcen, die dazu beitrugen, dass ein Planwerk insgesamt blockiert wurde, zählten die Entscheidungsbefugnis auf der Grundlage von Gesetzen, Vorschriften und Richtlinien (NONRP) und ein lokalstaatlicher finanzieller Ressourcenmangel, der beispielsweise für einen Partizipationsprozess vorgesehen war (BNOB).

Struktureller Rahmen

Der Entwicklungsprozess zeigt auch stadtpolitische Charakteristika auf, die ein Beharrungsvermögen aufwiesen, die im Grunde Ergebnisse von Akteurshandeln im weiteren Sinne sind und die im Prozess in erster Linie dazu beitrugen, dass sich das Planwerk insgesamt nicht durchsetzt hat. Dazu gehören ortsbezogen in einigen Planwerksprozessen ein kollektives Misstrauen der Einwohnerschaft gegenüber lokalstaatlichen Einrichtungen und gegenüber der Elite der Stadt (BNOB) sowie ein kollektiv gegenseitiges Misstrauen der politisch-administrativen Ebenen (NONRP). Stadtpolitische Kontroversen bezüglich Rassenidentität und Rassenzu- gehörigkeit sowie sozialer Benachteiligung haben ein Planwerk insgesamt blockiert und dadurch auch einen Ansatz von lokaler Reformfähigkeit (BNOB). Als überlo- kal struktureller Rahmen prägte der „ökonomische Imperativ“ die Katastrophen- bewältigung und Stadtentwicklung von New Orleans nach Katrina und trug dazu bei, dass eine inhaltlich-materielle Reformfähigkeit (BNOB) blockiert wurde.

622

D VII.6 Ergänzende fallbezogene Erkenntnisse über Bedingungen von Reformfähigkeit hinaus

Nach der vorangegangenen Zusammenschau von Ausgangssituation, stadtpoliti- schem Kontext und Auslöser, sowie gesamtstädtischer Zielen, von Ansätzen inhalt- lich-materieller und strukturell-prozessualer Reformfähigkeit und der Durchset- zungsfähigkeit eines jeden Planwerks, wird hier noch einmal schlaglichtartig dar- gelegt, warum die Stadt New Orleans einige Planungsprozesse unterschiedlicher Art (Planwerke zum Wiederaufbau, Operationalisierte Wiederaufbauplanung) be- nötigte, bevor ein Planwerk zur Neuentwicklung mit einer stadtentwicklungspoliti- schen Entwicklungsstrategie (Master Plan) vorgewiesen werden konnte: Vor Hur- rikan Katrina war Planung in New Orleans dysfunktional, wurde ignoriert und war stadtpolitisch unbedeutsam. Dem Planwerk BNOB fehlte ein bürgerschaftlicher Partizipationsprozess. Zwischen Bürgermeister und Stadtrat herrschte politische Uneinigkeit (BNOB und NONRP). Das Planwerk NONRP war nicht stadtweit ausgerichtet und erfüllte insofern nicht die überlokalen Anforderungen einer Wie- deraufbauplanung. Fachliche Uneinigkeit, Unkenntnis oder Ignoranz in Bezug auf Planungsprinzipien hemmten eine jeweilige Durchsetzung (Partizipation beim BNOB und gesamtstädtischer Ansatz beim NONRP). Erst im Rahmen von UNOP konnte ein kleinster gemeinsamer inhaltlich-fachlicher Nenner entwickelt werden und erst der Recovery Management Plan (RMP) konnte die Inhalte des UNOP operationalisieren. Der Prozess zur Entwicklung eines Masterplans erforderte fi- nanzielle Mittel und höhere Personalkapazitäten in der städtischen Planungsbehör- de (City Planning Commission).

Dennoch können die fünf Planwerke als ein Zeugnis lokaler Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung mit unterschiedlichen Reichweiten interpretiert werden, entweder aufgrund ihres substanziell-materiellen Ansatzes oder ihres strukturell- prozessualen Ansatzes. Der Master Plan ist ein Zeugnis von Reformfähigkeit bei- der Ansätze. Im Fall New Orleans spiegelt das Dilemma zwischen Zweck-Mittel- Rationalität (BNOB) und politischer Rationalität (UNOP) in der Planung par exel- lance wider. Es drängt sich für diesen Fall die Frage auf, ob möglicherweise „zu- viel“ Reform gewollt wurde.

623

Unabhängig davon wurde im Fall von New Orleans deutlich, dass lokale Reform- fähigkeit insbesondere durch Aktivitäten und das Handeln überlokaler Institutionen und Akteure und deren Mitwirkung an den Planwerksprozessen zustande kam. So kann das plötzliche Auftauchen überlokaler Akteure und ihrer Ressourcen (fach- lich-ideell, finanziell, Entscheidungsbefugnis) als pop-up planning bezeichnet wer- den. Entscheidend dabei ist, dass diese überlokale Mitwirkung stets lokal legiti- miert, erlaubt oder eingeleitet wurde. Dieses pop-up planning konnte hier als eine bedeutende Bedingung für einen Prozess identifiziert werden, bei dem die Kata- strophe oder auch eine andere stadtentwicklungspolitische Situation mit extremem Handlungsdruck zum Gelegenheitsfenster wurde, „Planung“ in einem urbanen Kontext (in dem Fall New Orleans nach Hurrikan Katrina) zu katalysieren und überhaupt neu und weiter zu entwickeln (neu zu positionieren und neu anzuwen- den).

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Teil E New Orleans Pop Up-Planning nach Hurrikan Katrina: Zusammenfassung, Fazit und Ausblick

Extreme Naturereignisse wie die jüngsten Hurrikans, die sich im Sommer und Herbst 2017 im Atlantik formierten, kommen immer häufiger vor.312 Oft kosten sie Menschenleben und immer kosten sie Geld. (Das Erste 11.10.2017) Ein Klima- wandel ist unbestritten, aber ob und inwiefern er menschengemacht ist, ist umstrit- ten. So wird tendenziell der Natur im urbanen Kontext getrotzt und der Bürger- meister von South Miami, eine Stadtregion, die durch einen ansteigenden Meeres- spiegel extrem gefährdet ist, bringt es auf den Punkt: „We know we are gonna go under water, but in the meantime we can have a great life.“ (Bürgermeister von South Miami zit. in Casciato, Meyersohn 2016)

Dennoch sind nach urbanen Katastrophen kleine reformorientierte Entwicklungen zu erkennen, die allerdings in der Gesamtheit der Stadtentwicklung als Makulatur erscheinen mögen. Die vorliegende Arbeit ging vor diesem Hintergrund der Frage nach, welche Bedingungen eine lokale Reformfähigkeit nach einer urbanen Kata- strophe im Politikfeld der Stadtentwicklung forcieren oder blockieren können. Da- mit soll dazu beigetragen werden, Bedingungen zu eruieren, die lokale Reformpro- zesse künftig forcieren können. Anlass der Untersuchung war der Fall New Orleans nach Hurrikan Katrina 2005, der erste in der jüngsten Serie von Wirbelstürmen mit erheblichem zerstörerischen Ausmaß im urbanen Kontext der USA (Sandy 2012,

312 Dazu gehörte auch Hurrikan Irma, der eine Stärke von mehr als dreihundert Kilometer pro Stunde über dem Atlantik erreichte. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen haben eine ähnliche Stärke wie Irma bisher nur vier andere Stürme erreicht, allerdings erst in den Randmeeren des Atlantik, dem Golf von Mexiko und dem Karibischen Meer. Dazu gehört ein Sturm auf den Florida Keys im Jahr 1935, Hurrikan Gilbert 1988 und Wilma im Jahr 2005. Hurrikan Allen im Jahr 1980 war sogar stärker als dreihundert Kilometer pro Stunde. (Die Zeit 06.09.2017) Überall dort wo Irma auf Land traf, wie auf den kleinen Antillen wurden Häuser zerstört, Bäume entwurzelt, Häfen verwüstet. Ganze Städte wurden überschwemmt. Barbuda wurde zu 95 Prozent zerstört. (Das Erste 07.09.2017; Die Zeit 07.09.2017) Für Florida, Puerto Rico und die Amerikanischen Jungferninseln hat US-Präsident Do- nald Trump den Notstand ausgerufen. Mit dieser Erklärung können das US-amerikanische Heimat- schutzministerium (DHS) und die nationale Koordinationsstelle für Katastrophenhilfe (FEMA) in den betroffenen Gebieten mit der Koordinierung der Katastrophenhilfe beginnen. (Die Zeit 06.09.2017)

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Harvey 2017). Im Rahmen der Katastrophenbewältigung der Stadt New Orleans nach wurden vor dem Hintergrund strategischer Stadtentwicklungsplanung die Planwerke zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt untersucht. Somit werden Erklärungsansätze herausgearbeitet, warum New Orleans nach Hurrikan Katrina drei Prozesse benötigte, um einen Wiederaufbauplan zu entwickeln, wie es zu einem Masterplan kam, inwiefern sich insgesamt in diesen verschiedenen Pla- nungsprozessen zur gesamtstädtischen strategischen Stadtentwicklungsplanung im Rahmen der Katastrophenbewältigung lokale Reformfähigkeit widerspiegelt und welche Bedingungen diese lokale Reformfähigkeit forciert oder blockiert haben. Nach einer Katastrophe kann Veränderung stattfinden. Aber inwiefern und warum findet Veränderung statt – im Politikfeld der Stadtentwicklung nach einem Natur- ereignis, das im urbanen Kontext eine Katastrophe nach sich zieht?

Um dieser Fragestellung nachzugehen, wurden zunächst theoretische Zugänge von Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit betrachtet (Teil B), anschließend wurde vor dem Hintergrund US-amerikanischer Stadtentwicklungspolitik die Stadtentwicklung von New Orleans vor und nach Hurrikan Katrina in den Blick genommen (Teil C) und in einem dritten Schritt die Planungsprozesse der Plan- werke zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans unter- sucht (Teil D), die Ausdruck gesamtstädtischer strategische Stadtentwicklungspla- nung sind. Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend zunächst Kennzeichen des sogenannten recovery process in New Orleans in Bezug auf das Politikfeld der Stadtentwicklung zusammengefasst (Teil B, C und D) (1). Daran anschließend wird als zentrales Ergebnis dieser Arbeit ein Set von Bedingungen erläutert, die lokale Reformfähigkeit im Rahmen einer Katastrophenbewältigung im urbanen Kontext forcieren (Thesen) (2). Ein Ausblick schließt die Arbeit ab (3).

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Kennzeichen der Stadtentwicklung und von Prozessen des Wiederaufbaus in New Orleans

Theoretische Zugänge von Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit und der Fall New Orleans

Die Stadt New Orleans hatte nach Hurrikan Katrina eine urbane Katastrophe zu bewältigen. Diese Katastrophenbewältigung, als bewusst und auch unbewusst an- gewandte Strategien, die längerfristig nach diesem Naturereignis verfolgt wurden, dauerte etwa acht bis zehn Jahre (2005 bis 2013/2015). Vor dem Hintergrund eines Phasenschemas des Wiederaufbaus von Haas und Kates (Haas, Kates 1977) ist das der Zeitraum, in der sich ein Wiederaufbau im Allgemeinen in seiner dritten Phase (replacement reconstruction period) befindet. Nach dieser Zeit sind städtische Funktionen – auch im Fall von New Orleans – größtenteils wiederhergestellt oder gar erneuert, so dass der medial als langsam bezeichnete Wiederaufbau zeitlich dennoch mit diesem Phasenschema konform geht. Trotzdem ist ein Teil der Be- wohnerschaft von New Orleans (noch immer) nicht nach New Orleans zurückge- kehrt und teilweise liegen (noch immer) Nachbarschaften brach.

Der Wiederaufbau und die Katastrophenbewältigung von New Orleans spiegeln zudem Merkmale eines Wiederaufbauprozesses wider. So wurde beispielsweise trotz diverser Debatten in New Orleans ein Wiederaufbau politisch nie ernsthaft angezweifelt; sondern wurde politisch stets proklamiert, was auch eine besondere US-amerikanische Can do-Haltung aufzeigt. Auch war in der unmittelbaren Folge- zeit der Katastrophe der private Sektor dominant neben dem politisch- administrativen Handeln des Staates bei Aufräumarbeiten, einer Wiederherstellung des Hochwasserschutzsystems und anfänglich bei der Entwicklung eines Wieder- aufbauplanes. Dabei wurde ein paralleles, räumlich begrenztes Handeln deutlich, das im Fall von New Orleans nicht notwendigerweise Synergieeffekte hervorrief. Auf der anderen Seite zeigten der Wiederaufbau und die Katastrophenbewältigung von New Orleans aber auch Merkmale von Widerstandsfähigkeit auf. Eine Wider- standsfähigkeit der Stadt wurde von überlokalen Akteuren garantiert und die Kata- strophe hat die Art der Widerstandsfähigkeit der Lokalregierung verdeutlicht. Da- bei spielte lokal das Bilden von Allianzen eine Rolle. Zudem zeigte sich in New

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Orleans ein Beharrungsvermögen früherer Investitionen und eine Kraft des Ortes entfaltete sich, die sich durch soziale städtische Netzwerke, den Besitz von pri- vatem Eigentum, bauliche Überreste und technische Infrastruktur, geographische und ökonomische Vorteile und die Versicherungsindustrie auszeichnete. Dabei waren die lokale Ebene und insbesondere die Führungsschicht der Stadt bedeut- sam. Insgesamt haben die Merkmale städtischer Widerstandsfähigkeit, die sich durch Veränderungspotential auszeichnen, eher einen prozessualen und weniger einen konkret materiellen Bezug. Insgesamt weist der Wiederaufbau in New Or- leans einige allgemeingültige Merkmale eines Wiederaufbauprozesses und Phasen eines Wiederaufbauprozesses auf. Vor dem Hintergrund der theoretischen Zugänge wurden allerdings ausschließlich Hinweise auf Veränderungspotential deutlich. Ebenso wurde theoretisch lokale Reformfähigkeit, die ein Potential an Verände- rung birgt, im Rahmen von Planungsprozessen im Politikfeld der Stadtentwicklung nicht explizit. Aus den theoretischen Zugängen wurden Hinweise auf Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit und auf Bedingungen von lokaler Reformfähigkeit im Zusammenhang mit einer längerfristigen Katastrophenbewältigung herausgearbei- tet (vgl. Abb. 8).

Vor dem Hintergrund der theoretischen Zugänge zur Reformfähigkeit zeigte sich zunächst die Tatsache, dass Problemdruck Handlungsdruck erzeugt und durch Ak- teurshandeln Handlungsspielraum entsteht. Insofern bildeten Problemdruck und Akteurshandeln einen natürlichen Rahmen für Hinweise auf Bedingungen von Re- formfähigkeit. Reformfähigkeit – als kollektives Vermögen von Staat, Markt und Zivilgesellschaft, den Status Quo zu ändern, verstanden – spielt, anders als in der Politikwissenschaft, in der Stadtforschung keine explizite Rolle. Nichtsdestoweni- ger geht es im Politikfeld der Stadtentwicklung und Planung stets um Veränderung, so dass lokale Reformfähigkeit hier auch als eine erweiterte Perspektive von Hand- lungsfähigkeit verstanden werden kann und zwar vor dem Hintergrund einer Kata- strophenbewältigung. Denn Handlungsfähigkeit muss nicht immer zu Veränderung führen, da durch Stadtpolitik in erster Linie Handlungsfähigkeit zu erzeugen ver- sucht wird, „angesichts des ökonomischen Wandels und der politischen Fragmen- tierung der Stadtgesellschaften“ (Häußermann, Läpple 2008: 349; vgl. urban governance). Vor diesem Hintergrund wurde aus den theoretischen Zugängen von Reformfähigkeit hier ein Untersuchungsrahmen abgeleitet und Hinweise auf Be-

629 dingungen von Reformfähigkeit aufgezeigt, die verdeutlichen, dass nach Katastro- phen Reformen ausgelöst werden können, die lokale Reformfähigkeit aufzeigen.

Die Zusammenführung von Hinweisen auf Bedingungen der theoretischen Zugänge von Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit hat die Bedeutung eines Unter- suchungskriteriums bei einer Katastrophenbewältigung aufgezeigt, das hier als struktureller Kontext bezeichnet wird. (Das Kriterium eines strukturellen Kontextes spielt ausschließlich bei den theoretischen Zugängen von Katastrophenbewältigung eine Rolle; bei den theoretischen Zugängen von Reformfähigkeit nicht.) Die theo- retische Analyse hat gezeigt, dass der strukturelle Kontext bei der Untersuchung von Reformfähigkeit im Kontext einer Katastrophenbewältigung im Politikfeld der Stadtentwicklung von Bedeutung ist; vor dem Hintergrund einer adäquaten Analy- se des strukturellen Kontextes in der stadt- und regionalplanerischen Profession. Im Zusammenhang mit Reformfähigkeit steht ein struktureller Kontext eher für Behar- rungstendenzen. Der Fall der strategischen Stadtentwicklungsplanung in New Or- leans zeigte, dass diese Beharrungstendenzen lokale Reformfähigkeit zwar nicht blockieren müssen, aber lokale Reformfähigkeit erschweren und letztlich substan- ziell-materielle Reformen (beispielsweise im Sinne eines neuen Flächennutzungs- modells oder Leitbildes) blockieren können. Somit sind die Hinweise auf Bedin- gungen beider theoretischer Zugänge (Katastrophenbewältigung und Reformfähig- keit) bedeutsam, wie zum Beispiel ein lokalpolitischer Wille zum Wiederaufbau oder eine adäquate Problemanalyse (vgl. Abb. 8), um einen Ansatz zu entwickeln, Reformfähigkeit zu erklären und deren Bedingungen herauszustellen.

Stadtentwicklung von New Orleans vor und nach Hurrikan Katrina

Einige Tendenzen der Stadtentwicklung in New Orleans aus der Zeit vor Hurrikan Katrina sind nach dem Wirbelsturm und seinen Folgen wiederzuerkennen. Andere Entwicklungen der Stadt verdeutlichen aber auch Veränderung, so dass hier in Bezug auf das Politikfeld der Stadtentwicklung ein Klima von Reformfähigkeit aufscheint. Das Handlungsfeld strategischer Stadtentwicklungsplanung in New Orleans lässt sich in diesem Spannungsfeld von Beharrlichkeit und Veränderung verorten.

630

New Orleans als Stadt, die an der Einmündung des Mississippi und dem Golf von Mexiko gelegen ist, galt stadtgeschichtlich als ein Tor nach Amerika. Verschiedene Einwanderungswellen prägten seit dem 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Handel die besondere kulturelle Identität bis in die Region. Inso- fern gilt die New Orleans im Verhältnis zu anderen Städten der USA als ein beson- derer Ort in Bezug auf Stadtgestaltung und Bauwerke, Essen und Musik. Nichts- destoweniger gehörten zu den städtischen Problemen vor Katrina lokalpolitische Korruption und Misswirtschaft, was zu einer städtischen und stadtpolitischen Dys- funktionalität vieler Handlungsfelder führte, sowie ein weit verbreiteter Rassismus (ähnlich wie in anderen US-amerikanischen Städten). Derartige Entwicklungen sind in New Orleans historisch aus einem diskriminierenden sozialen System er- wachsen, in dem die Mehrheit der Einwohnerschaft von New Orleans von einer umfassenden sozialen Teilnahme aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder ökonomischen Umständen ausgeschlossen wurde.313 (Toledano 2007: 32) Auch nach Hurrikan Katrina hat New Orleans eine hohe Armuts- und Kriminali- tätsrate zu verzeichnen, trotz stadtpolitischer Versuche, dagegen zu steuern. Grün- de dafür sind, wie sie für viele deindustrialisierte Städte typisch sind, ökonomische und soziale Problemlagen.

Die Stadtentwicklungspolitik von New Orleans spiegelt Tendenzen US- amerikanischer Stadtentwicklungspolitik insgesamt wider. Die Stadt muss vor al- lem mit Herausforderungen einer Globalisierung umgehen, die seit den 1990er Jahren eine neue Qualität von hoher Kapitalmobilität aufweist, und ist mit einer Dezentralisierung staatlicher Aufgaben auf die lokale Ebene konfrontiert. Dieser überlokale strukturelle Kontext stellt grundsätzliche Rahmenbedingungen von ur- ban governance dar. (Altrock 2003) Die Stadtpolitik von New Orleans ist zwar in das US-amerikanisch föderale stadtpolitische System eingebettet, die lokale Ebene muss aber dennoch finanzielle Mittel für anstehende Aufgaben erst einwerben –

313 So wurden insbesondere in New Orleans der Zugang zu Machtstrukturen und die Zugehörigkeit zum Establishment durch die „Blutlinie“ bestimmt und hingen nicht von Leistung und/oder finanziel- lem Erfolg ab. Korruption galt vor Hurrikan Katrina in der Stadt als „Kavaliersdelikt“, was ein Miss- trauen überlokaler staatlicher Ebenen gegenüber der lokalen Ebene zur Folge hatte und den Wieder- aufbau insgesamt an einem guten Start hinderte. Nach Hurrikan Katrina werden Korruptionsvorfälle stadtgesellschaftlich eher verurteilt.

631 auch im Rahmen eines Wiederaufbauprozesses. Der Bundesstaat Louisiana kann vor diesem Hintergrund als „Schaltstelle“ zwischen Bund und Stadt interpretiert werden, der in Abhängigkeit vom Bund der Stadt den politischen und finanziellen Rahmen absteckt. So ist insgesamt auch die Rede von Städten, die von Bund und Bundesstaat aufgrund eines überlokalen politischen Desinteresses an „Stadt“ und Stadtentwicklung an sich „vernachlässigt“ wurden. Gleichzeitig sind Städte von einer finanziellen Förderung von Bund und Bundesstaat formal und real „abhän- gig“, obgleich sie versuchen, in adäquater Weise zumindest eine städtische Grund- versorgung sicherzustellen. Die lokalstaatliche Ebene reagiert vielerorts seit spätes- tens den 1980er Jahren darauf mit dem Versuch die Stadt zur entrepreneurial city zu entwickeln, in der Wachstumskoalitionen und urbane Regime vorherrschend den stadtpolitischen Kurs bestimmen.

Tendenzen von Reformfähigkeit und Beharrlichkeit werden in der Stadtentwick- lung von New Orleans vor dem Hintergrund einer derartigen Stadtpolitik sichtbar, die nicht nur für US-amerikanische Städte typisch ist: Die Stadtentwicklung der Zeit vor Hurrikan Katrina in New Orleans zeichnete sich durch eine städtebauliche und stadträumliche Vernachlässigung sozialen Wohnungsbaus aus. Sie war des Weiteren durch Leerstand und Verfall von Wohnraum und Immobilien sowie von schwacher technischer und sozialer Infrastruktur insgesamt gekennzeichnet. Die öffentliche Planung war in New Orleans als eher schwach zu bezeichnen, was Stadtentwicklung und Wiederaufbau zunächst beeinträchtigte, obgleich eine öffent- liche Planung in vielen US-amerikanischen Städten nie besonders stark ausgebildet ist. Nach Katrina kristallisiert sich der wachstumspolitische Ansatz im Rahmen der Stadtentwicklung im Verhältnis zu der Zeit vor Hurrikan Katrina erst heraus. Denn: Der Fokus der Stadtentwicklung liegt – aufgrund mangelnder lokaler finanzieller Ressourcen – mehr denn je auf Zentrumsrevitalisierung und Großprojekten, die zum Teil das Ziel haben, weitere wirtschaftliche Akzente zu setzen. Zusätzlich werden stadtpolitisch die Veranstaltung von Großereignissen und der Tourismus gefördert; lokale Wirtschaftsbereiche, die stark mit dem lokalen Kultur- und Mu- siksektor verknüpft sind. Diese stadtentwicklungspolitische Strategie verfolgen vielerorts deindustrialisierte Städte; nicht nur in den USA.

632

Stadträumliche Verletzlichkeit kann ebenfalls als Kennzeichen von New Orleans bezeichnet werden, die der Stadt durch die Folgen von Hurrikan Katrina 2005 zum Verhängnis wurde. Drei Jahrhunderte lang wurde versucht, dieser Verletzlichkeit durch Maßnahmen des technischen Hochwasserschutzes zu begegnen. Der Natur zum Trotz wurden vor allem seit den 1950er und 1960er Jahren Stadterweiterungen und Flächenversiegelung in Stadtgebieten vorangetrieben, die teilweise unter dem Meeresspiegel lagen. Durch die Folgen von Hurrikan Katrina wurden vor allem einige dieser Gebiete in hohem Maße überschwemmt. Auch nach Hurrikan Katrina wurde weiterhin die Strategie des konventionellen Hochwasserschutzes verfolgt, der sich durch eine massive technische Infrastruktur auszeichnet. Insbesondere wurde mit der Erneuerung eines 350 Meilen langen Damm- und Deichsystem um die Stadt versucht, Wasser aus der Stadt in Folge eines derartigen Naturereignisses herauszuhalten. Insgesamt hat ein Wiederaufbau von öffentlicher Infrastruktur, der die Erneuerung des Hochwasserschutzsystems einschloss, aber auch die Erneue- rung von Bibliotheken, Schulen, Straßen und öffentlichen Raum umfasste, stattge- funden. Die US-Regierung hat 125 Milliarden US-Dollar zum Wiederaufbau der stadträumlichen Zerstörung bereitgestellt. (Die Zeit 31.08.2017)

New Orleans gilt aufgrund der innerstädtischen städtebaulichen Struktur insgesamt als „Mieterstadt“. Die stadträumliche Struktur der Nachbarschaften außerhalb des Innenstadtbereichs weist aber auch eine hohe Eigentumsrate auf und nach Hurrikan Katrina wurde politisch die Förderung von individuellem Wohn- und Immobilien- eigentum weiterhin verfolgt. Das Einfamilienhaus bildet vor und bleibt nach Katri- na die gängige städtebauliche Struktur außerhalb der Innenstadt in den Stadtteilen von New Orleans. Insofern wurde durch vorranging überlokale politische Pro- gramme das Wohnraum- und Nachbarschaftsmuster der Stadt nach Hurrikan Katri- na reproduziert. Allerdings deutete sich nach Hurrikan Katrina ein ungleicher Wie- deraufbau und eine ungleiche Neuentwicklung von Nachbarschaften an, die von den Folgen von Hurrikan Katrina besonders betroffen waren. Der sogenannte jack- o-lantern-Effekt314 verbreitete sich und Leerstand und Verfall prägen insbesondere nach Hurrikan Katrina das Stadtbild. Ursache dafür ist die hohe Leerstands- und

314 Das stadträumliche Phänomen beschreibt ein Flickwerk von wieder aufgebautem oder neuem Eigentum. Dieses Eigentum ist umgeben von einem Stadtraum, der von Verfall und Niedergang geprägt ist.

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Verfallsrate, die sich in den ersten Jahren nach Katrina stark erhöhte. Weite Teile von Nachbarschaften sind der Natur bis heute überlassen. Durch stadtpolitische Anstrengungen beziehungsweise den Einsatz alter und neuer stadtpolitischer In- strumente ist die Leerstandsrate heute wieder auf das Niveau von der Zeit vor Hur- rikan Katrina zurückgegangen. Diese Instrumente gehen allerdings nicht unbedingt mit den Interessen der Eigentümer konform (Zwangsversteigerung etc.). In anderen Stadtvierteln sind dagegen starke Tendenzen von Gentrifizierung zu beobachten; eine Entwicklung, die im Zeitraffer vonstatten geht. Die Stadt gehört heute unter den „jungen Weißen“ zu den beliebtesten Städten in den USA. Die Mietpreise stei- gen seit Hurrikan Katrina stark, da es an bewohnbarem Wohnraum in Kombination mit der erhöhten Nachfrage mangelt.

Zeugt diese Art der Stadtentwicklung von lokaler Reformfähigkeit im Sinne eines kollektiven Vermögens, den Status Quo zu verändern? Vor dem Hintergrund vo- rangegangener Ausführungen müsste dies verneint werden. Dennoch sind einige Akzentverschiebungen zu beobachten, die der Perspektive von lokaler Reformfä- higkeit Relevanz verschaffen: Insgesamt ging eine Privatisierung einiger stadtpoli- tischer Handlungsfelder seit Katrina vonstatten wie beispielsweise im Schul- und Gesundheitswesen oder in Bezug auf die Wohnraumentwicklung innerhalb der Stadt. Diese Entwicklungen brachten dementsprechend auch stadträumliche Ver- änderungen mit sich. In der Zeit nach Hurrikan Katrina wurde der nationale stadt- entwicklungspolitische Trend des Baus von sogenanntem mixed-income housing beschleunigt. Diese Wohnbauweise ersetzte vorhandene Ensembles des sozialen Wohnungsbaus (public housing) im Zeitraffer; eine Entwicklung, die sich auf die Bewohnerschaft des ehemaligen sozialen Wohnungsbaus auswirkte. Aufgrund von Hurrikan Katrina musste eine Vielzahl der Einwohner die Stadt verlassen, so auch diese Ensembles des sozialen Wohnungsbaus. Bis heute sind viele Einwohner nicht zurückkehrt. Ein Grund dafür ist, dass die Ensembles des sozialen Wohnungsbaus nach Katrina geschlossen wurden und in den neuen privatwirtschaftlich organisier- ten mixed-income housing-Komplexen quantitativ weitaus weniger Menschen wohnen können als vor Hurrikan Katrina in den Ensembles des sozialen Woh- nungsbaus lebten. Aber vor allem steht durch dieses Konzept quantitativ weitaus weniger Wohnraum für Menschen unterer Einkommensschichten zur Verfügung. So ist auch durch die Eliminierung von bezahlbarem Wohnraum diese Art von

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Wohnraum heute in New Orleans rar. Auf diese Situation reagierten Philanthropen und ihre Stiftungen nach Hurrikan Katrina teilweise: Projektbezogen wurde soge- nanntes affordable green housing und engergy efficent housing geschaffen; zum Teil mit entsprechenden medialen Effekten. Allerdings stellten diese Projekte be- zahlbaren Wohnraum in einem verhältnismäßig sehr kleinen Umfang bereit und haben somit auch eine verschwindend geringe Wirkung in Bezug auf die Wohn- raumsituation in der Gesamtstadt. Insgesamt ist die Einwohnerzahl in New Orleans nach Hurrikan Katrina gesunken und die Stadt wird demographisch als „weißer“ und „wohlhabender“ bezeichnet. Über das stadtentwicklungspolitische Handlungs- feld Wohnen hinaus wurden im Bereich der Infrastruktur neue Ansätze entwickelt. Ergänzend zum konventionellen Hochwasserschutz, der durch den technischen Ausbau von Dämmen, Deichen und Schleusentoren gekennzeichnet ist und das Ziel hat, Wasser aus der Stadt herauszuhalten, wurden natürliche Alternativen kon- zeptionell erarbeitet, die in einem Greater New Orleans Urban Water Plan münde- ten. Dieser Ansatz ist im gesamtstädtischen Master Plan festgeschrieben und wird zunächst projektbezogen prototypisch im Rahmen der Umsetzung von Ansätzen des Konzeptes Urban Resilience erprobt. Zu den Akzentverschiebungen von Ver- änderungstendenzen gehört auch eine öffentliche Debatte zum planerischen Ansatz eines Rückbaus von einem Teilstück einer Aufständerung einer innerstädtischen Autobahn. Zivilgesellschaftliche Vorschläge sahen vor, die Aufständerung zuguns- ten eines ebenerdigen Boulevards zurückzubauen, in der Hoffnung, dass umliegen- de Nachbarschaften wiederbelebt und verbunden werden. Dieser lokale Ansatz spiegelt die breitere Debatte Highways to Boulevards in Städten der USA wider.

Auch wenn sich einige stadtpolitische Tendenzen aus der Zeit vor Hurrikan Katrina auch nach dem Wirbelsturm beharrlich fortsetzten, sind neue stadtentwicklungspo- litische Ansätze und Ausprägungen in Form von Programmen und Projekten im Rahmen des Wiederaufbaus lokal sichtbar. Insofern wird ein Klima von lokaler Reformfähigkeit deutlich, unabhängig davon, dass die wenigsten Ansätze bislang stadträumlich weitreichende Wirkung entfalten. Als Ausdruck dieses Klimas ist die strategische Stadtentwicklungsplanung der Stadt zu bezeichnen, die hier in Bezug auf Ansätze lokaler Reformfähigkeit und deren Bedingungen untersucht wurde. Denn der Fall New Orleans zeigt, dass sich in der Folgezeit der urbanen Katastro- phe ein Gelegenheitsfenster für substanziell-materielle und strukturell-prozessuale

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Reformfähigkeit öffnete. Diese Feststellung war in Bezug auf die strategische Stadtentwicklungsplanung hier Ausgangspunkt der Untersuchung. Insofern wurden einige Hinweise, die lokale Reformfähigkeit forcieren oder blockieren können, identifiziert (vgl. Abb. 72, vgl. im Anhang Übersicht Bedingungen von Reformfä- higkeit). Sie kamen teilweise bei der Erarbeitung der Planwerke zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt zum tragen und erklären auch die Art von loka- ler Reformfähigkeit (substanziell-materiell, strukturell-prozessual) und die Reich- weite von lokaler Reformfähigkeit.

Planwerke zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt als ein Zeugnis lokaler Reformfähigkeit

Eine Stadt, die durch ein Naturereignis mit derartig katastrophalen Folgen konfron- tiert ist, benötigt einen Plan, eine Strategie, einen Weg, um diese urbane Katastro- phe bewältigen zu können und zwar längerfristig. Die Planwerke zum Wiederauf- bau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans, die in Folge von Hurrikan Katrina 2005 erarbeitet wurden, spiegeln retrospektiv strategische Ansätze zur zukünftigen Stadtentwicklung wider. Sie sind zugleich Bestandteil eines Prozesses einer urbanen Katastrophenbewältigung, der von prozessualer Unklarheit begleitet war. Davon abgesehen kann der Prozess der Entwicklung dieser Planwerke retro- spektiv insgesamt aber als Zeugnis lokaler Reformfähigkeit interpretiert werden. Denn der Fall bildet bereits lokale Reformfähigkeit in Anbetracht der Tatsache ab, dass eine gesamtstädtische strategische Planung, die durch eine partizipative Pla- nungskultur begleitet ist, in New Orleans vor Katrina in dieser Form nicht existier- te und insofern nach Katrina von Grund auf neu entwickelt werden musste, nach- dem lokal die Sinnhaftigkeit von „Planung“ erkannt wurde. Darüber hinaus weist jedes einzelne Planwerk Aspekte lokaler Reformfähigkeit auf, auch wenn sich je- des einzelne Planwerk in Art und Reichweite dieser unterscheidet. Die ersten drei Planwerke – Planwerke zum Wiederaufbau – sind jeweils reaktiven Ursprungs aufgrund verschiedener stadtpolitischer Umstände und Akteure. Sie zeigen unter- schiedliche planerische Ansätze auf und können somit rückblickend als Konkur- renzplanungen bezeichnet werden. Der darauffolgende Plan (RMP) stellt in dieser Reihe den offiziellen Versuch dar, die vorangegangenen Planwerke für einen Wie-

636 deraufbauprozess anwendbar zu machen. Das letzte Planwerk dieser Reihe – der Master Plan – setzte sich von den vorangegangenen Planwerken insofern ab, als dass es einen Weg zur Neuentwicklung der Stadt aufzeigen sollte. Dieser Prozess der Entwicklung von Planwerken zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans wurde als ein Fall strategischer Stadtentwicklungsplanung in Folge einer urbanen Katastrophe verstanden, der lokale Reformfähigkeit wider- spiegelt.

Diesen Fall strategischer Stadtentwicklungsplanung in New Orleans nach Hurrikan Katrina prägen darüber hinaus Eigenschaften auf den Ebenen Akteure und Ak- teurskonstellationen, Ressourcen, Ergebnisse ihres Handelns, Fähigkeiten und Motivation sowie der Ebene des strukturellen Kontextes. Diese Eigenschaften be- stätigen einerseits Erkenntnisse aus den theoretischen Zugängen (Teil B) in Bezug auf lokale Reformfähigkeit, sie setzen sich andererseits von diesen Erkenntnissen ab:

Auf der Ebene der Akteure und Akteurskonstellationen wird zunächst die überloka- le Mitwirkung an der Entwicklung der Planwerke deutlich. Das zeigte sich bei der Initiierung der Planwerke zum Wiederaufbau und setzte sich im jeweiligen weite- ren Prozessverlauf fort: Wurden die ersten beiden Planwerke jeweils von unter- schiedlichen lokalpolitischen Institutionen aufgrund von politischen Dissonanzen (zwischen Bürgermeister und Stadtrat) initiiert, die jeweils unterschiedliche plane- rische Ansätze verfolgten, wurde die Initiative für ein drittes Planwerk durch eine bundesstaatliche Institution (LRA) ergriffen, die Unterstützung bei einer überloka- len Stiftung suchte und damit insgesamt den Prozess richtungsweisend beeinfluss- te. Bei diesen Prozessen blieb die lokalpolitische Planungsinstitution der Stadt New Orleans (City Planning Commission) außen vor. Erst als finanzielle und personelle Kapazitäten vorhanden waren, initiierte sie ein Planwerk zur Neuentwicklung der Stadt, einen Masterplan. Dessen Entwicklung wäre allerdings ohne überlokale Mitwirkung nicht möglich gewesen. Diese städtische Planungsinstitution hatte vor Hurrikan Katrina begrenzte gesetzliche Befugnisse und Vollmachten sowie be- schränkten politischen Einfluss. Sie hätte zwar per se eine wesentlich stärkere Füh- rung übernehmen können, allerdings wurde sie insgesamt lokalpolitisch in Bezug auf Entscheidungen zur Neuentwicklung und Erneuerung der Stadt nicht als rele-

637 vanter Akteur wahrgenommen. (Costa 22.11.2016) Der Lokalregierung selbst wur- de vor dem Hintergrund der unmittelbaren Katastrophenbewältigung zwar oft Füh- rungsschwäche und Handlungsunfähigkeit vorgeworfen, die durch Hurrikan Katri- na offensichtlich wurde. Allerdings scheint das in Bezug auf den Prozess einer Planwerkserarbeitung zum Wiederaufbau nicht eindeutig: Einerseits hat die Lokal- regierung in Person des Bürgermeisters zusammen mit privatwirtschaftlichen Akt- euren im Hintergrund unmittelbar nach der Katastrophe eine Kommission zum Wiederaufbau einberufen (wie Akteure in Chicago nach dem großen Feuer 1889) und dadurch Handlungsfähigkeit demonstriert. Zudem haben lokalstaatliche Insti- tutionen die Kooperation mit überlokalen Ebenen des Staates, fachpolitischen Insti- tutionen und Fachexpertise Planungsprozesse initiiert. Andererseits hat die lokale Führungsebene in Person des Bürgermeisters in einer richtungsweisenden Situation des Prozesses zur Erarbeitung eines Wiederaufbauplanwerks aus wahltaktischen Gründen seine Unterstützung gegenüber dem ersten Planwerk (BNOB) zurückge- zogen. Das ließ ihn überlokal insgesamt als „schwach“ erscheinen und wurde von stadtentwicklungspolitischen Gegenmächten (Stadtrat) genutzt (vom BNOB zum NONRP). Insgesamt war demnach überraschend, dass eine vermeintlich „schwa- che“ Lokalregierung den Planungsprozess so stark beeinflusste und in Korrespon- denz mit der überlokalen Ebene prägte, wenn doch wesentliche Impulse zum Fort- gang des Prozesses (UNOP) von überlokalen Akteuren ausgingen, die allerdings stets mit lokalen Akteuren (Fachplanerschaft und Stiftungen) kooperierten. Inso- fern wird zwar eine überlokale Mitwirkung bei Wiederaufbauprozessen immer wieder betont (Teil B), aber hier wurde für das Handlungsfeld strategischer Stadt- entwicklungsplanung infolge einer urbanen Katastrophe deutlich, dass überlokale politisch-administrative Akteure und fachpolitische Organisationen und Stiftungen diese Prozesse richtungsweisend beeinflussten. Insofern können Akteure der zivil- gesellschaftlichen Sphäre unmittelbare Wiederaufbaupolitiken beeinflussen, wenn diese organisiert ist. Dieser Sphäre sind neben Nonprofit-Organisationen und bür- gerschaftlichen Interessensgruppen auch Stiftungen und Philanthropen, Think Tanks sowie fachpolitische Verbände oder Vereine zuzuordnen. Diese Akteure waren im Fall von New Orleans in einer ersten Phase nach Hurrikan Katrina zu- nächst in supplementärer, aber insgesamt in komplementärer Funktion tätig. Grö- ßere externe zivilgesellschaftliche Organisationen wie Stiftungen, Think Tanks oder fachpolitische Verbände oder Vereine waren also in strategische Stadtent-

638 wicklungsprozesse und im weiterem Sinne in Leitbilddebatten auf lokaler Ebene in New Orleans involviert. Dabei verfolgten und vertraten sie ihre organisationsinter- nen fachlichen Paradigmen. Stiftungen machten von der Umsetzung ihrer Paradig- men ihre finanziellen Zuwendungen abhängig. Insgesamt können diese Akteure zur Veränderung von lokalen Institutionen staatlicher Planung beitragen. Denn bei- spielsweise finanzieren sie in kurzfristigen Intervallen punktuell personelle Kapazi- täten. Allerdings können sie langfristig die Fragilität dieser Institutionen fördern, da dadurch die personelle Leistungsfähigkeit beispielsweise einer staatlichen Pla- nungsbehörde von der Gunst von Stiftungen abhängig gemacht wird.

Unabhängig davon konnte auf Akteursebene die städtische Planungsbehörde im Verlauf des Prozesses in erster Linie aufgrund überlokaler finanzieller Ressourcen einen Funktionszugewinn verzeichnen. Eine lokale und überlokale Fachexpertise (Planer- und Architektenschaft) gestaltete die jeweiligen Planwerksprozesse sub- stanziell und später prozessual aus. Der Prozess wurde anfänglich auf lokaler Ebe- ne von einer Einwohnerschaft, die sich richtungsweisend gegen eine Wiederauf- bauplanung von städtischen Eliten stellte, geprägt. So wurde in New Orleans wie in Chicago die Unternehmerelite und der Bürgermeister nach der Katastrophe aktiv und die Einwohnerschaft hat dieses Bündnis erfolgreich opponiert (Vale 2006). Grundsätzlich sehen politisch-administrative Entscheidungsträger eine Katastrophe als Möglichkeit, Fehlentwicklungen zu beheben (Campanella zit. in Robertson 22.02.2014). Allerdings ist der kollektive Wunsch der Einwohnerschaft nach „Normalität“ nach einer Katastrophe nicht zu unterschätzen. Auf das Ablehnen der offiziellen Planungsidee, die Nutzung von Grund und Boden in New Orleans zu „reorganisieren“, folgte ein Ausbruch von Bürgeraktivismus auf Blockebene, der wiederum einen Wiederaufbau in den vorrangig betroffenen Stadtteilen angefeuert hat. (Robertson 22.02.2014) Marktakteure und ihre Interessen waren ab dem Zeit- punkt „unsichtbar“, seitdem die lokalpolitische Unterstützung für den Vorschlag zum Wiederaufbau der Stadt zurückgezogen wurde. Wie die theoretischen Zugänge (Teil B) aufzeigten, einte auch im Fall New Orleans alle Akteure allerdings letzt- endlich ein lokaler und überlokaler Wille zum Wiederaufbau. Die Ressourcen, die den Akteuren zur Verfügung standen, zeichneten sich durch ihre individuelle situa- tive Bedeutsamkeit aus: Dabei prägten insbesondere den Prozess die Art der Ent- scheidungsbefugnis auf der Grundlage von lokalen oder überlokalen Gesetzen oder

639

Verwaltungsvorschriften (Letztentscheidungskompetenz), fachliche Expertise und Kompetenzen (fachlich), fachliche Paradigmen (ideell) und finanzielle Ressourcen (finanziell).

Auf der Ergebnisebene brachte der Prozess in New Orleans zunächst ein neues Leitbild als stadtentwicklungspolitische Strategie zum Wiederaufbau hervor (BNOB). So hatte die Wiederaufbaukommission BNOBC, der unter anderem auch Akteure aus der Privatwirtschaft angehörten, als einziges Gremium dieses Prozes- ses eine substanziell-materielle Flächennutzungsreform vorgeschlagen, die den Bodenmarkt gravierend beeinflusst hätte. Dieser Vorschlag einer Flächennutzungs- reform wurde allerdings von der lokalen Einwohnerschaft abgelehnt und das Plan- werk scheiterte insgesamt. Zudem zeigte sich auf der Ergebnisebene in diesem Zusammenhang eine nicht adäquate Problemanalyse (vgl. auch Teil B). Dabei kam in New Orleans zum Tragen, dass beim Wiederaufbauprozess das „Bestehende“ in Konkurrenz zu „Neuartigem“ stand und neue Planungskonzepte mit alten Gege- benheiten einer Stadt konkurrierten (vgl. auch Teil B). Selbstverständlich sind die entwickelten Planwerke an sich Ergebnis dieses Prozesses: Auf den ersten Blick scheinen sich die Faktoren, die den Abschluss einer Planwerksentwicklung blo- ckieren oder fördern, stark voneinander zu unterscheiden. Allerdings fördern oder blockieren letztendlich entweder eine politisch-administrative Autorität oder finan- zielle Gründe die Genehmigung und schließlich auch Umsetzung eines Planwerks. Aus dieser Perspektive entstehen Wiederaufbauplanwerke nicht anders als andere Planwerke, da diese einem bestimmten strukturellen Kontext unterliegen. Im Fall von New Orleans wird keine überlokale finanzielle Förderung eines Wiederaufbaus vom Bund gewährt, wenn sich das erarbeitete Planwerk nicht auf das gesamte Stadtgebiet bezieht. Die gesamtstädtischen Planwerke, die lokal und überlokal ge- nehmigt wurden, haben gemeinsam, dass eine externe finanzielle Förderung zum Erfolg führte.

Insgesamt war weiterhin auf der Ergebnisebene der Prozessverlauf geprägt von ständigen personellen Neubesetzungen und verschiedenartigen Partizipationspro- zessen auf dem Weg zum jeweiligen Planwerk. Zwar gab es in New Orleans auch vor Hurrikan Katrina Bürgerbeteiligungsprozesse. Allerdings wurde im Rahmen der Prozesse nach Katrina offenkundig, dass eine intensive Beteiligung stattfindet,

640 wenn es um das Vertreten der eigenen individuellen Interessen und Vorteile geht. Die Bewohnerschaft „beteiligt“ sich, wenn der persönliche (ökonomische) Nutzen oder Nachteil (Not in my backyard-Haltung) einer planerischen Idee klar wird be- ziehungsweise als eine Aufgabe von Planung verständlich gemacht werden konnte. Das ist vor allem im Prozess um das Planwerk BNOB und den Master Plan deut- lich geworden. Vor Hurrikan Katrina ging es überwiegend in den öffentlichen An- hörungen um Änderungen der Flächennutzung im Quartier, die eine Zustimmung der Einwohnerschaft erforderten und die einen Prozess in einem Vakuum darstell- ten, der mit einem gewissen Desinteresse der Einwohnerschaft einherging und der die städtische Planungsbehörde herausforderte, Beteiligung zu organisieren. Nach Katrina ging es darum sicherzustellen, dass der individuelle Nutzen höher ist als vorher für die Gemeinschaft und dass mit dem Planwerk individuelle Bedarfe ge- deckt werden. (Billes 14.02.2017) Darüber hinaus wird im Fall von New Orleans sichtbar, dass Partizipation in erster Linie auf Leitbildebene erfolgreich und die Einwohnerschaft bis zu einem gewissen Grad befriedet, aber die großen Linien der Stadtentwicklung unangetastet bleiben (Wohnraum, Großprojekte zur Förderung der ökonomischen Entwicklung) (Altrock 2007: 246). Zwar wird in Verbindung mit den Planwerksprozessen in New Orleans von einem Entpolitisierungsprozess gesprochen, der in einem Planwerk mündet, das Gesetzeskraft hat und eine Grund- lage für eine lokale Neuentwicklung in New Orleans nach Katrina darstellt (Master Plan). Nicht zu verkennen sind allerdings eine natürliche Vielzahl von Individual- interessen und das lokalpolitische Ausblenden wahrlich „schwieriger“ Themen der Stadtentwicklung im Prozess um den Master Plan. Von einer konsequenten Entpo- litisierung des Planungsprozesses kann aufgrund dessen nicht ausgegangen werden. Dennoch erwies sich beim Prozess um den Master Plan ein gemeinschaftlich ko- operatives Vorgehen und Handeln als kollektive Fähigkeit von Akteuren als erfolg- reich. Dieses gemeinschaftlich kooperative Vorgehen führte letztlich – wie auch die theoretischen Zugänge verdeutlichten (vgl. Teil B) – zu diesem Prozessergebnis eines stadtweiten Master Plans mit Gesetzeskraft in New Orleans. Bezüglich der Flächennutzung markierte dann die Vervollständigung und Umsetzung der soge- nannten Comprehensive Zoning Ordinance das Ende der Wiederaufbauplanungen und einen Beginn eines Wachstumsprozesses (Collins 2011: 170), respektive eines Prozesses zur Neuentwicklung der Stadt.

641

Den Fall New Orleans zeichnet auf der Ebene des strukturellen Kontextes eine lokale Spannung aus: eine gelebte American self-help ideology, die einem Regie- rungshandeln grundsätzlich skeptisch gegenübersteht, gepaart mit lokalem Stolz und kollektivem Selbstbewusstsein der Einwohnerschaft. Dem steht ein kollektiver Ruf nach überlokaler Hilfe und Unterstützung vom Bund aus Washington D.C. gegenüber, um die Stadt wiederaufbauen zu können in Folge einer urbanen Kata- strophe, die ein Ausmaß hatte, das lokal nicht bewältigt werden konnte. Auf der Ebene des strukturellen Kontextes ist der Fall darüber hinaus von einem hohen Handlungsdruck, der sich aufgrund der städtischen Problemlagen vor Hurrikan Katrina durch die urbane Katastrophe noch verstärkte, geprägt. Der Entwicklungs- prozess der Planwerke zeichnet sich immer wieder durch schwelende Konflikte aufgrund von Rassismus und sozialer Benachteiligung sowie politischem und ge- sellschaftlichen lokalem und überlokalem Misstrauen aus. Der Prozess wurde durch einen ökonomischen Imperativ im Sinne eines marktgetriebenen Wiederauf- baus und durch eine überlokale Förderpolitik gelenkt. Denn die Stadt New Orleans sitzt bildlich – wie viele Kommunen in Zeiten des Städtewettbewerbs – im golde- nen Käfig: Wenn Forderungen überlokaler Ebenen erfüllt werden, dann erfolgt eine überlokale finanzielle kommunale Förderung. Für den Fall New Orleans wird demnach eine lokalpolitische Abhängigkeit von überlokalen Ebenen deutlich, was eine der Auswirkungen überlokaler Mitwirkung im Rahmen von strategischer Stadtentwicklungsplanung darstellt. Dieser Abhängigkeit wird sich allerdings lokal nicht per se und ohne den Versuch einer Mitgestaltung unterworfen, wie der Fall New Orleans an einigen Punkten aufzeigte (Einwohnerschaft opponiert BNOB, Initiierung, Genehmigung, Ausgestaltung von Planungsprozessen). Am Beispiel der Funktionslosigkeit der städtischen Planungsbehörde bei den Prozessen der Entwicklung der Planwerke zum Wiederaufbau wird aber auch deutlich, dass diese Mitgestaltungsmöglichkeit im Fall von New Orleans nicht ausgeschöpft wurde.

Insgesamt wurden als Anzeiger substanziell-materieller Reformfähigkeit im Rah- men der Untersuchung der Erarbeitungs- oder Entwicklungsprozesse der Planwer- ke nach Katrina neue Instrumente und neue Ziele, die eine neue gesamtstädtische Flächennutzung widerspiegeln mit jeweils unterschiedlicher (neuer) Rationalität deutlich (Teil D). Zudem wurden empirisch für das Politikfeld der Stadtentwick- lung als Anzeiger substanziell-materieller Reformfähigkeit Programme, Projekte

642 und räumliche Muster deutlich, die entweder neu entwickelt oder nach Hurrikan Katrina beschleunigt wurden (Teil C). Als Anzeiger einer lokalen strukturell- prozessualen Reformfähigkeit in der Stadtentwicklung in New Orleans haben sich eine neue Art der bewohnerschaftlicher Partizipation in Planungsprozessen, eine neue Art der Entscheidungsfindung in Bezug auf die Flächennutzung der Stadt (gesetzliche Verankerung Master Plan) und neue Akteurskonstellationen herausge- stellt (Mitwirkung überlokaler externer Akteure im Zusammenspiel mit neuen Ini- tiativen lokaler Akteure) (Teil D).

Darüber hinaus zeigt die Studie über den Prozess der Entwicklung von Planwerken zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans folgendes: Die urbane Katastrophe als Stresstest für Stadtpolitik und Stadtentwicklungspolitik machte nicht nur die Problemlagen einer Stadt besonders sichtbar, sondern auch ihre Funktionsfähigkeit und Fähigkeit, diese zu bewältigen. Durch eine urbane Katastrophe wurden zudem Mechanismen eines stadtpolitischen Alltags und dem- entsprechend Beharrungstendenzen deutlich wie beispielsweise Förderstrukturen, die stark mit einer lokalpolitischen Anreizpolitik in Verbindung stehen oder mit dem fortwährenden Prinzip eines ökonomischen Imperativs in der Stadtentwick- lungspolitik. Außerdem verdeutlicht der Fall eine Facette einer langfristigen Kata- strophenbewältigung: Planung wurde erst dann ernst genommen, als eine wirt- schaftliche und individuelle Notwendigkeit von Planung aufgrund des hohen urba- nen Zerstörungsgrades sichtbar wurde und herausgestellt werden konnte; eine pla- nerische Sinnhaftigkeit wurde erkannt, die grundsätzlich in der gedanklichen Vor- wegnahme zukünftigen Handles liegt. Wenngleich der neue Master Plan der Stadt stadtgesellschaftlich umstritten ist, beispielsweise durch Ausklammerung einiger Themen der zukünftigen Stadtentwicklung oder vagen substanziellen Visionen, wurde doch ein planerisches Instrument entwickelt, das eine Grundlage zur Erar- beitung einer Comprehensive Zoning Ordinance darstellte, aber vor allem zunächst stadtgesellschaftlich konsensfähig war.

Auch wenn New Orleans heute ein Planwerk zur Verfügung steht, das Leitlinien für eine Neuentwicklung der Stadt formulierte und sich damit lokal per se bereits reformfähig zeigte, ist dessen stadträumliche Umsetzung und räumliche Wirkung im Zusammenhang mit umfassenden Stadtentwicklungstendenzen längerfristig zu

643 untersuchen. Denn trotz stadtpolitischer Anstrengungen bleibt New Orleans eine Stadt, die eine hohe Armuts- und Kriminalitätsrate aufweist, der es an bezahlbarem Wohnraum extrem mangelt, in der Verfall und Desinvestition eine ungleiche Ge- schwindigkeit eines baulich räumlichen Wiederaufbaus (Canizaro zit. in Robertson 22.02.2014; Kammerbauer 2013) überaus sichtbar machen. Die Stadt wird weiter- hin stark von Bundesmitteln abhängig sein, um Infrastrukturinvestitionen zu täti- gen. Denn die steuerlichen Einnahmen sind gefallen und die Regierungen von Stadt und Bundesstaat haben große Defizite im Haushalt zu verzeichnen.

New Orleans zeichnet sich heute durch Merkmale postfordistischer Stadtentwick- lung par excellance aus: Phänomene von Stadtentwicklung in den USA und westli- cher Industrienationen heute treten nach Hurrikan Katrina in der Stadt in extremer Art und Weise auf (jack-o-lantern-Effekt, Gentrifizierung, Privatisierung von Wohnraum (mixed-income housing)) und quasi in Reinform (affordable green hou- sing, energy efficent housing), so dass von einer neuen Qualität dieser Ausprägun- gen gesprochen werden kann. So könnte man auch heute – Jahre nach Hurrikan Katrina vorschlagen: ‚Wer sich eine Vorstellung von Stadtentwicklung in den USA machen möchte, sollte nach New Orleans schauen’, wurde doch bereits unmittelbar nach Hurrikan Katrina in Bezug auf städtische Probleme und Herausforderungen von Städten in den USA empfohlen: „Wer sich heute eine Vorstellung vom Inneren der USA machen möchte, sollte in New Orleans beginnen“ (Emcke 26.06.2008: 3), auch wenn Kultur, Geschichte, Architektur und Städtebau der Stadt als einzigartig gelten.

Der Fall zeigt letztlich, dass sich eine Stadt mit derartig kritischen stadtentwick- lungspolitischen Vorbedingungen und städtischen Problemlagen dennoch als lokal reformfähig in Bezug auf eine strategische Stadtentwicklungsplanung erwies. Inso- fern hat die Stadt infolge einer lokalen Reformfähigkeit in der Zeit nach Hurrikan Katrina in einigen stadtentwicklungspolitischen Bereichen „aufgeholt“ und stadt- entwicklungspolitische Normalität nachgeholt (Altrock Mai 2017). New Orleans wird im städtischen Vergleich der USA nicht mehr als „bottom of the bottom“ (DiMarco Februar 2017) angesehen.

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Bedingungen lokaler Reformfähigkeit im Rahmen strategischer Stadtentwicklungsplanung

Treten in urbanen Kontexten Katastrophen in Folge eines Naturereignisses auf, verkraften Städte diese in der Regel (vgl. Teil B). Vor diesem Hintergrund werden diese Städte hier als Comeback Cities bezeichnet. Denn ein Neu- und Wiederan- fang führt unweigerlich zu einer Neuentwicklung der Stadt, was per se ein Potenti- al lokaler Reformfähigkeit birgt. Dabei geht es zunächst weniger darum, dass nach einer urbanen Katstrophe grundsätzlich etwas anders als vorher ist, das sich auf die lokale Stadtentwicklungspolitik und strategische Stadtentwicklungsplanung aus- wirkt und lokale Reformfähigkeit beschreibt. Es zeigt sich eher, dass ein Mehr vom allem vorhanden ist, das neue Gelegenheitsstrukturen ebnet beziehungsweise Gele- genheitsfenster öffnet. Das zieht Veränderung nach sich und spiegelt demnach auch lokale Reformfähigkeit wider: Eine höhere (mediale) Aufmerksamkeit zieht ein größeres Interesse von Akteuren aller Sphären nach sich, wodurch mehr über- lokaler politisch-administrativer Handlungsdruck aufgebaut wird sowie Mitwir- kung und Einfluss möglich sind. Das betrifft eine erhöhte überlokale Mitwirkung und letztlich Einfluss zivilgesellschaftlicher Organisationen, Philanthropen, Stif- tungen, Think Tanks und einer Fachplanerschaft, wodurch grundsätzlich mehr Res- sourcen aller Art verfügbar gemacht werden.

Der Prozess der Entwicklung von Planwerken zum Wiederaufbau und zur Neuent- wicklung New Orleans zeigte, dass sich auf der Ergebnisebene Reformen einer größeren Reichweite und substanziell-materieller Art im Sinne eines neuen Flä- chennutzungsmodells, eines neuen Leitbilds zur Stadtentwicklung oder eine neue Siedlungsflächenstrategie nicht durchgesetzt haben. Denn beispielsweise haben Eigentumsrechte nach einer urbanen Katastrophe weiterhin Bestand und wurden politisch nicht in Frage gestellt. Das Siedeln in überschwemmungsgefährdeten Gebieten der Stadt New Orleans und das Wohnmodell des Einfamilienhauses, auch wenn architektonische Details wie das Errichten auf Stelzen populärer werden, ist demnach weiterhin als Siedlungsmodell vorherrschend. In letzter Konsequenz scheinen formale institutionelle Machtstrukturen mit demokratisch gewählten Akt- euren mit Letztentscheidungskompetenz wie einem Bürgermeister entscheidend zu sein, um reformorientierte Ansätze voranzutreiben oder zu opponieren. Lokale

645

Reformfähigkeit zeigte sich allerdings insbesondere in Bezug auf ein Planwerk zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung an sich (Ergebnis: Master Plan mit Gesetzeskraft) und in Bezug auf den Prozess der Planwerkserarbeitungen und des- sen „Nebenprodukte“ (Partizipationsprozesse). Denn diese Prozesse veränderten die Planungs- und Beteiligungskultur in New Orleans insgesamt. Insofern deuten sich Formen von Veränderung und Neuerung in substanziell-materieller und vor allem strukturell-prozessualer Hinsicht an und es lassen sich Bedingungen ablesen, die dies forcierten und die im Falle von New Orleans im Vergleich zu der Zeit vor der Katastrophe in dieser Form nicht zugegen waren. Diese Bedingungen könnten normativ „guter“ Planung zugerechnet werden, stellen aber hier ausschließlich ein analytisches Ergebnis dar. Eine Überprüfung der Übertragbarkeit von der Katastro- phenbewältigung auf den „stadtpolitischen Alltag“ – nicht nur in den USA – steht aus, wenn es um die Entwicklung eines strategischen Planwerks für eine Neu- und Weiterentwicklung einer Stadt geht.

Bezugnehmend auf Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit im Handlungsfeld strategischer Stadtentwicklungsplanung forcieren, wurden fünf Thesen abgeleitet. Diese Bedingungen konnten auf den Ebenen Akteure und Akteurskonstellationen, Ressourcen, Ergebnisse ihres Handelns, Fähigkeiten sowie struktureller Kontext herausgearbeitet werden:

These 1: Im Rahmen einer längerfristigen Katstrophenbewältigung kann lokale Reformfähigkeit im Handlungsfeld strategischer Stadtentwicklungsplanung forciert werden, wenn Akteure der lokalen und überlokalen Ebenen koalieren, basierend auf kollektivem Vertrauen über die Ebenen hinweg und zwischen den Sphären Staat, (Markt) und Zivilgesellschaft. Diese Kooperation zwischen lokaler und über- lokaler Ebene ist unmittelbar nach einem Katastrophenereignis und besser noch schnell abrufbar, aber vor allem dann längerfristig tragfähig. Die überlokale Ebene ist dabei massiv gefordert und hat den Anspruch, sich auf die lokale Ebene „einzu- lassen“. Die überlokale Ebene trifft auf eine lokale Ebene, die diese Art überlokaler Mitwirkung stets lokal gestattet, legitimiert oder gar einleitet, sollte Reformfähig- keit lokal angestrebt werden. Trotz lokal begrenzter Ressourcen, heißt das demnach nicht, dass lokale vor allem politisch-administrative Akteure vor Ort geschwächt sind oder sein müssen (was aber durchaus auch der Fall sein kann), dass überlokale

646

Akteure mit ihren Möglichkeiten zur Ressourcenmobilisierung aktiv werden und ein Zusammenwirken lokaler und überlokaler Akteure stattfindet. Im Rahmen des Handlungsfeldes der strategischen Stadtentwicklungsplanung ist auf überlokale Akteure wie Bund und Bundesstaat auf politisch-administrativer Ebene, Stiftungen, Think Tanks, fachpolitische Organisationen und Fachexpertise der zivilgesell- schaftlichen Sphäre nicht zu verzichten. Überlokale Mitwirkung forciert demnach lokale Reformfähigkeit erst, wenn es zu vertrauensbasierten Kooperationen zwi- schen lokalen und überlokalen Akteuren kommt und deren Ressourcen in Anspruch genommen werden. Der lokalen politisch-administrativen Ebene und zivilgesell- schaftlichen Sphäre (wie städtische politisch-administrative Institutionen, lokale Fachexperten und Stiftungen, Interessengruppen und Einwohnerschaft) kommt dabei eine starke Position zu, indem sie aktiv Bündnisse eingehen. Lokale Reform- fähigkeit wird in diesem Rahmen forciert, wenn Akteure der lokalen Ebene die Mitwirkung einer überlokalen Fachexpertise „zugestehen“ und eine Zusammenar- beit mit lokalen Fachexperten stattfindet; auch wenn dadurch eher ein erzwungener Pragmatismus deutlich werden kann, weil lokal fachliche Kapazitäten nicht vor- handen sind. Auch wird lokale Reformfähigkeit forciert, wenn die städtische Pla- nungsinstitution innerhalb des politisch-administrativen Systems eine starke Positi- on innehat oder (wieder) erstarkt beziehungsweise ihren Aufgaben laut Stadtsat- zung nachkommt; vielmehr nachkommen kann. Dafür ist unter anderem eine Lo- kalregierung erforderlich, die der städtischen Planungsbehörde ausreichend finan- zielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stellt und diese in ihren Hand- lungsfeldern nicht beschneidet. Diese Rolle einer städtischen Planungsbehörde im politisch-administrativen Gefüge einer Stadt – gerade im US-amerikanischen Kon- text – mag unausführbar erscheinen, sind doch lokale City Planning Commissions unbedeutende Akteure in der politischen Sphäre vieler Städte (obgleich sie durch stadtpolitischen Einfluss gekennzeichnet sind), der die personellen und finanziellen Kapazitäten fehlen, Visionen zu entwickeln und eine strategische Planung zu ver- folgen (Costa 22.11.2016).

These 2: Die Ressourcen, die überlokalen Akteuren zur Verfügung stehen, sind für eine Koalitionsbildung neben der Vertrauensbasis – selbstredend – der Schlüssel, der die Anwesenheit überlokaler Akteure auf lokale Ebene legitimiert und der loka- le Reformfähigkeit forciert. Dabei ist der Einsatz ihrer „natürlichen“ Ressourcen,

647 und insbesondere die finanzielle Komponente, nicht überraschend überaus bedeut- sam. Wenn diese überlokalen Ressourcen mit Ressourcen der lokalen Ebene wie Entscheidungsbefugnissen, Regeln, Verordnungen, Gesetzen (lokale Autorität) korrespondieren, wird lokale Reformfähigkeit forciert. In diesem Zusammenhang ist demnach ein Zusammenspiel von lokalen und überlokalen Ressourcen entschei- dend, um lokale Reformfähigkeit zu forcieren. Erkennbar war dabei, das fachlich- ideelle Paradigmen überlokaler staatlicher Ebenen und/oder zivilgesellschaftlicher Akteure (insbesondere Stiftungen) zwingend an finanzielle Ressourcen geknüpft waren. Insgesamt ist zu bedenken, dass finanzielle Ressourcen der lokalen und überlokalen zivilgesellschaftlichen Sphäre im Verhältnis zu den finanziellen Res- sourcen überlokaler staatlicher Akteure verschwindend gering sind. Nichtsdesto- weniger können diese Ressourcen – aus der Perspektive einer längerfristigen Kata- strophenbewältigung – die Funktion haben, einen Neustart von „Planung“ und ei- ner Planungskultur zu forcieren. Im Handlungsfeld strategischer Stadtentwick- lungsplanung wird lokale Reformfähigkeit darüber hinaus forciert, wenn fachlicher Expertise und Kompetenzen in einem Planungsprozess ein hoher Stellenwert zuge- sprochen wird oder fachliche Expertise einen Bedeutungsgewinn erzielt. Dabei kann eine überlokale Fachexpertise steuernd dominieren und die lokale Ebene un- terstützen, wenn auf lokaler Ebene keine Kapazitäten vorhanden sind. Auch exter- ner Input fachpolitischer Organisationen kann – wenn dieser lokal sensibel kom- muniziert wird – zu lokaler Reformfähigkeit beitragen.

These 3: Lokale Reformfähigkeit wird forciert, wenn selbst „Nebenprodukte“ stra- tegischer Stadtentwicklungsplanung Veränderung anzeigen, als wenn nur ein Planwerk in Substanz und Prozess Zeugnis von Veränderung ist: Auf der Ergeb- nisebene forcieren „Nebenprodukte“315 wie Partizipationsprozesse innerhalb von Planwerksprozessen lokale Reformfähigkeit und das insbesondere dann, wenn grundlegende Instrumente von Planung (wie beispielsweise Planwerke) lokal nicht vorhanden sind und neu erarbeitet werden müssen. Weiterhin werden Partizipati- onsprozesse forciert, wenn Bewohner ihre Eigeninteressen erkannt haben oder

315 Dabei findet hier der Terminus Nebenprodukt Anwendung in Abgrenzung zum substanziell- materiellen Ergebnis insgesamt, ein strategisches Planwerk entwickelt zu haben. Der Terminus wird hier nicht normativ, sondern analytisch verstanden und in diesem Zusammenhang Partizipation auch nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Ziel an sich.

648 ihnen diese verdeutlicht wurden und so eine bewohnerschaftliche Beteiligung so- wie Mitwirkung durch Gegenmachtbestrebungen hervorgerufen wurde. Kollektive Verbundenheit kann durch einen gemeinsamen Gegenspieler (Bund, gesellschaftli- che Elite) hervorgerufen werden. Darüber hinaus führt bewohnerschaftliche Parti- zipation in Verbindung mit politischer Unterstützung beziehungsweise durch Ver- bindungen zu Entscheidungsträgern, die über die Gestaltungshoheit von Regeln, Verordnungen und Gesetze verfügen, zum Erfolg, und kann lokale Reformfähig- keit forcieren. Partizipation und deren Institutionalisierung kann an sich ein Aus- druck von lokaler Reformfähigkeit sein. Denn lokale Reformfähigkeit wird for- ciert, wenn die Einwohnerschaft an der Entwicklung einer Agenda zum Wieder- aufbau und zur Neuentwicklung der Stadt mit Zielen und Maßnahmen (Planwerk) mitwirkt und dieser zustimmt. Dazu zählt auch der Prozess der Erarbeitung einer adäquaten Problemanalyse unter starker Berücksichtigung historischer und sozio- kultureller Muster der Stadt. Auf dieser Grundlage erfolgt die Entwicklung einer Zielvorstellung (Agenda). Denn paradoxerweise werden noch immer – nach jahr- zehntelanger Praxis von partizipativer Planung in westlichen Industrienationen – allzu oft Belange der ortsansässigen Einwohnerschaft im vorherrschenden lokalen Kontext ignoriert: „They didn’t know what they do.“ (Gadbois 09.02.2017). Insge- samt wird lokale Reformfähigkeit forciert, wenn institutionelle Veränderungen stattfinden, Gesetze oder gar die Stadtsatzung geändert werden – was an sich be- reits lokale Reformfähigkeit widerspiegelt – und eine überlokale personelle Neube- setzung von Fachexpertise erfolgt. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit höher, den Planungsprozess zu entpolitisieren, sollte das ein Problem vorangegangener Pro- zesse gewesen sein. Lokale Reformfähigkeit im Handlungsfeld strategischer Stadt- entwicklungsplanung wird darüber hinaus in Folge eines Katastrophenereignisses grundsätzlich forciert, wenn ein sogenannter Wiederaufbau lokal und überlokal proklamiert wird. Vor allem ein überlokales stadtpolitisches Interesse an einem Wiederaufbau kann eine kollektive Atmosphäre von Sicherheit und Ruhe bei der lokalen Einwohnerschaft fördern. Insofern ist ein proklamierter Wiederaufbau als Grundvoraussetzung und Treiber von Wiederaufbau und Neuentwicklung einer Stadt an sich anzuerkennen. Dabei spielt das Ausmaß einer urbanen Katastrophe eine Rolle. Denn ist dieses in westlichen Industrienationen hoch, ist auch die medi- ale Aufmerksamkeit hoch, was wiederum überlokalen politischen Handlungsdruck erhöht.

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These 4: Im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewältigung wird lokale Reformfähigkeit forciert, wenn kollektive Fähigkeiten von Akteuren genutzt wer- den: In Bezug auf spezifische Fähigkeiten, die lokale Reformfähigkeit forcieren, ist insofern ein gemeinschaftliches Vorgehen auf der Basis von Transparenz und Ver- trauen zwischen lokalen und überlokalen Akteuren, beispielsweise zwischen poli- tisch-administrativen Ebenen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, mit dem Ziel, einer transparenten Mitwirkung privatwirtschaftlicher Akteure und Interessen zu organisieren. Im Handlungsfeld strategischer Stadtentwicklungsplanung wird loka- le Reformfähigkeit forciert, wenn dem Einsatz fachlicher Expertise Raum ver- schafft wird. Darüber hinaus kann lokale Reformfähigkeit forciert werden, wenn eine kollektive Selbsthilfe nicht stadtpolitisch provoziert wird und individuelles privates Handeln nicht ausschließlich auf einer Verteidigung von Eigentum basiert, sondern eine kollektive Selbsthilfe im Rahmen einer Wiederaufbauagenda behut- sam gefördert wird. Insofern werden Bündnisse einer lokalpolitischen und zivilge- sellschaftlichen Opposition – durch eine gewisse Eigendynamik – eine substanzi- ell-materielle Reformfähigkeit nicht blockieren (vgl. Teil B), obgleich diese Bünd- nisse als Gegenmachtpositionen auch eine strukturell-prozessuale Reformfähigkeit forcieren können. Stadtentwicklungspolitische Fähigkeiten wie fachliche Sensibili- tät und Vorausschau sind für eine behutsame Förderung kollektiver Selbsthilfe notwendig.

These 5: Im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewältigung ist lokale Re- formfähigkeit trotz Beharrungstendenzen eines strukturellen Kontextes möglich. Forciert wird lokale Reformfähigkeit, wenn eine überlokale Förderpolitik zur An- wendung kommt, deren finanzielle Ressourcen lokal eingesetzt werden, die ent- sprechend programmatisch flexibel angelegt ist und auf kollektivem Vertrauen zwischen politisch-administrativen Ebenen aufbaut. Zwar weist der ökonomische Imperativ im Politikfeld der Stadtentwicklung Beharrlichkeit auf, kann aber inso- fern genutzt werden, als dass substanziell-materielle Veränderungstendenzen auf- treten, wie beispielsweise bei einer Realisierung alternativer Hochwasserschutzsys- teme sich neue lokale Wirtschaftszweige entwickeln. Allerdings verhindern derar- tige strukturelle Beharrungstendenzen letztendlich Reformausläufer mit noch grö- ßerer Reichweite durch entsprechende Pfadabhängigkeiten. Lokale Reformfähig- keit im Handlungsfeld strategischer Stadtentwicklungsplanung wird demnach for-

650 ciert, wenn ein lokales und überlokales Bewusstsein in Bezug auf einen strukturel- len Kontext, der in der Planung Berücksichtigung findet, entwickelt oder genutzt wird.

Aus diesen fünf Thesen stellt sich für das Handlungsfeld strategischer Stadtent- wicklungsplanung in Bezug auf lokale Reformfähigkeit vor dem Hintergrund einer längerfristigen Katastrophenbewältigung insofern heraus, dass sowohl lokale als auch überlokale Fachexpertise, eine adäquate Problemanalyse (Bestandsaufnahme), in der vor allem historische und soziokulturelle Muster einer Stadt bedeutend sind. Darüber hinaus bildet ein adäquater Partizipationsprozess mit seinen Potentialen und Grenzen einen Rahmen, der lokale Reformfähigkeit forcieren kann. In diesem Rahmen sind dann benannte Gefüge von politisch-administrativen und zivilgesell- schaftlichen Akteurskonstellationen der lokalen als auch der überlokalen Ebenen mithilfe ihrer Ressourcen entscheidend, inwiefern diese kollektiven Akteurskons- tellationen auf der Basis eines überlokalen stadtpolitischen Interesses an einem Wiederaufbau und einer Neuentwicklung sowie auf der Basis von Vertrauen und Transparenz aktiv werden oder aktiv sind.

Es lässt sich festhalten, dass sich erstens trotz eines strukturellen Kontextes, der im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewältigung Beharrlichkeit aufweist, Ansätze lokaler Reformfähigkeit, die Veränderung und Neuentwicklungen bei- spielsweise von Instrumenten nach sich zogen, eher gehemmt als vollständig blo- ckiert werden. Zweitens wurden Nuancen in Bezug auf den Einfluss und die Mit- wirkung überlokaler Akteure der politisch-administrativen und zivilgesellschaftli- chen Ebene im Rahmen strategischer Stadtentwicklungsplanung vor dem Hinter- grund einer längerfristigen Katastrophenbewältigung deutlich. Diese Mitwirkung stellt sich im Zusammenspiel mit lokalen Akteuren der Sphären Staat, Zivilgesell- schaft und Markt (wobei privatwirtschaftliche Akteure im Prozess der Planwerks- entwicklung zunehmend weniger präsent waren) als eine Bedingung von lokaler Reformfähigkeit heraus. Dabei wird hier zwar nicht von einer Dominanz überloka- ler Ebenen gesprochen; ein richtungsweisender punktueller und doch entscheiden- der Einfluss auf die Prozesse zur Erarbeitung der Planwerke aufgrund verfügbarer Ressourcen ist aber dennoch nicht von der Hand zu weisen. So wird hier das plötz- liche Auftauchen überlokaler Akteure und ihrer Ressourcen (fachlich-ideell, finan-

651 ziell, Entscheidungsbefugnis) als pop-up planning bezeichnet. Entscheidend dabei ist, dass diese überlokale Mitwirkung stets lokal legitimiert, erlaubt oder eingeleitet wurde. Insofern wird hier nicht von einem Verlust lokaler Handlungsfähigkeit ge- sprochen, wenn sich der Einfluss überlokaler Akteure erhöht. Im Gegenteil, der lokale Staat ist in der Lage, mit den hinzutretenden Akteuren neue Arrangements einzugehen, die zusätzliche stadtentwicklungspolitische Handlungsspielräume mo- bilisieren und somit auch lokale Reformfähigkeit beweisen. Lokale Reformfähig- keit wird in diesem Zusammenhang als Ergebnis eines Prozesses deutlich, der sich durch pop-up planning auszeichnet. Insofern wird unter extremen Handlungsdruck eine stadtentwicklungspolitische Situation zu einem Gelegenheitsfenster avanciert, in dem „Planung“ beziehungsweise die Planungsfunktion in einem urbanen Kon- text neu positioniert und angewendet, respektive katalysiert sowie neu und weiter- entwickelt wird.

Ausblick: Ein Blick in die USA, darüber hinaus und zurück

Der Blick in die USA zeigt, dass in den letzten Jahren eine fachpolitische und fachplanerische Debatte um städtische Widerstandsfähigkeit vor dem Hintergrund von Auswirkungen veränderter klimatischer Verhältnisse auf Städte und Regionen begonnen hat, die sich international ausweitet. Katastrophenbewältigung in Ver- bindung mit Reformfähigkeit stellt einen Zugang zu dieser Debatte dar, der die politikwissenschaftliche mit der planungswissenschaftlichen Dimension ver- schränkt und zur Beantwortung der Frage beigeträgt, wie stadtentwicklungspoli- tisch Veränderung forciert werden kann. Der Fall New Orleans hat gezeigt, das Gelegenheitsfenster zur Veränderung stadtentwicklungspolitisch genutzt wurden, wenngleich die Stadt mit stadtpolitischen Herausforderungen in vielen Dimensio- nen noch immer zu kämpfen hat.

New Orleans und die resiliente Stadt(region)?

In New Orleans ist durch diese Prozesse strategischer Stadtentwicklungsplanung (Teil D) mindestens ein bemerkenswerter stadtentwicklungspolitischer Prozess mit

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überregionaler Reichweite ausgelöst worden. Überlokale Initiativen von zivilge- sellschaftlichen Organisationen und später auch staatlichen Institutionen haben dazu beigetragen, dass ein stadtpolitischer Fokus in den USA heute auf der resili- enten Stadt liegt: Zum einen existiert heute in diesem Zusammenhang durch ein Programm der Rockefeller Foundation (100 Resilient Cities) ein weltweites Städte- netzwerk und zum anderen schrieb das US-Bundesministerium für Wohnen und Stadtentwicklung einen nationalen Wettbewerb in diesem Kontext aus (National Disaster Resilience Competition, NDRC). New Orleans wird vor diesem Hinter- grund gar als sogenanntes resilience lab hervorgehoben (Roig-Franzia 22.08.2015) und es wird lokal versucht, wirtschaftliche Vorteile aus Ansätzen resilienter Stadt- entwicklung herauszuschälen (vgl. Implementationsphase des Greater New Or- leans Urban Water Plan). Dennoch gilt New Orleans noch immer als „verletzlich“ (Vulnerability) und ist einem Überschwemmungsrisiko ausgesetzt. Vor dem Hin- tergrund aller städtischer Entwicklungen, die die Stadt seit Hurrikan Katrina durch- laufen hat, ist die Stadt Teil der Debatten um schrumpfende Städte, crisis cities oder patchwork cities (Nossiter 02.07.2007) oder eben Teil der Debatten um die Anpassung der Städte und vor dem Hintergrund von städtischer Widerstandsfähig- keit.

Im Rahmen einer derartigen Auseinandersetzung sollte es gestattet sein zu fragen, inwiefern ein Siedeln in derartig ‚verletzlichen’ Stadtregionen, rational vertretbar ist und inwiefern das Gewicht anderer Standortfaktoren als beispielsweise wirt- schaftliche oder kulturelle gestärkt werden sollten, so zum Beispiel ein Standort- faktor ‚ökologische Sensibilität’, angesichts der Tatsache, dass binnen zwölf Jahren in den USA drei urbane Katastrophen auftraten, die Folge eines Naturereignisses waren und in dem Fall eines Hurrikan (Katrina 2005, Sandy 2012 und Harvey 2017). Nach Hurrikan Katrina 2005 wurden insgesamt über einhundert Milliarden US-Dollar Regierungshilfe befürwortet. (Die Zeit 31.08.2017) Das wären dreihun- dert Milliarden US-Dollar in einem Zeitraum von zwölf Jahren. Dabei sind Folgen und Kosten von jüngsten Überschwemmungen in New Orleans selbst im Sommer 2017, die nur durch starke Regenfälle ausgelöst wurden, oder die der Louisiana Flut von 11.-13. August 2016, noch nicht einbezogen, die seit Hurrikan Sandy 2012 „the country’s ‘worst natural disaster’“ waren. (Brown et al. 17.08.2016; Center for Disaster Philanthropy 2016) Dennoch repräsentieren derartige Über-

653 schwemmungen „the city’s ‘new normal’” nach Cedric Grant, dem ehemaligen Leiter der lokalen Behörde für Abwasser und Wasserwirtschaft in New Orleans (Grant zit. in Horowitz 16.08.2017). Inwiefern sollten diese finanziellen Mittel nicht anderweitig investiert werden? Im Grunde gibt es zwei planerische Möglich- keiten: Entweder werden diese katastrophengefährdeten Städte und Stadtregionen langfristig aufgegeben und „umgesiedelt“; eine sicherlich politisch weder vertret- bare noch durchsetzbare Vision. Oder: sogenannte „Klimaanpassungsmaßnahmen“ werden sowohl auf individueller Ebene als auch quartiersbezogen und gesamtstäd- tisch erarbeitet bei denen unter anderem auch eine volkswirtschaftliche Perspektive einbezogen wird. Diese Maßnahmen erscheinen dann nicht nur als Makulatur, son- dern verlangen stadtentwicklungspolitisch Mut und Rückgrat. Beide Entwicklungs- richtungen erfordern stadtentwicklungspolitische Prozesse, die wiederum lokale Reformfähigkeit voraussetzen und bedingen:

Wird Klimaanpassung als stadtentwicklungspolitische Strategie verfolgt, die die gesellschaftliche Unter- und Mittelschicht präventiv davor schützt nach einer urba- nen Katastrophe „vor dem Nichts“ zu stehen, sollte auch in diesem Zusammenhang in die Entwicklung und Umsetzung ganzheitlicher Strategien investiert werden, um urbane Katastrophen zumindest abmildern zu können (vgl. mitigation planning). Auf der Ebene von Maßnahmen sind vor diesem Hintergrund systemverändernde politische Entscheidungen und Anreizpolitiken gemeint.316 Dabei wären staatliche Zuschüsse oder Steuerabschreibungen beim Bau von katastrophensicheren öffentli- chen Gebäuden wie sie die Obama-Administration eingeführt hat notwendig. Vor- stellbar sind aber auch staatliche Zuschüsse zu oder Steuerabschreibungen von Gebäudeversicherungen, die Übernahme von Versicherungsprämien durch den Staat oder ein mobiler Hausbau, der staatlich gefördert ist.

Aus ökologischer Perspektive stellen diese Maßnahmen weniger eine Option dar und scheinen Makulatur. Inwiefern ist es demnach stadtpolitisch denkbar, katastro- phengefährdete Städte und Stadtregionen nicht wiederaufzubauen, wenn doch wis-

316 Damit sind beispielsweise nicht Maßnahmen gemeint wie aufgeständerte Wohnhäuser zu errichten (New Orleans) oder ein städtisches Straßensystem um einen Meter zu erhöhen (Miami Beach), um die Folgen von Überschwemmungen zu verringern. Eine planerisch strategische Entsiegelung und ein Erhöhen der Regenwasserdurchlässigkeit zum Grundwasser (in Ergänzung zum technisierten Hoch- wasserschutzsystem) wie in New Orleans können aber erste stadträumliche Ansätze sein.

654 senschaftliche Beiträge zu städtischer vulnerability diese Gefährdungen in einer Vielzahl an Orten aufzeigen und diese Katastrophen die Einwohnerschaft unterer Einkommensschichten immer wieder am stärksten trifft? Inwiefern ist ein Attrakti- vieren (um nicht den sensiblen Terminus Umsiedlung zu gebrauchen) in weniger risikogefährdete (Stadt-)regionen in den Dimensionen gesellschaftlich, kulturell, wirtschaftlich und stadtpolitisch möglich? Rational wäre damit vor allem Bewoh- nerschaften der mittleren und unteren Einkommensschichten geholfen, da ihre in- dividuellen finanziellen Wiederaufbauressourcen gering bis gar nicht vorhanden sind. Allerdings ist ein Versuch eines derartigen Ansatzes einer innerstädtischen „Umsiedlung“ zumindest in New Orleans nach Hurrikan Katrina aus unterschiedli- chen Gründen bereits einmal gescheitert. Inwiefern können derartig vermeintlich utopische Ansätze überhaupt vernünftig auf allen räumlichen Maßstabsebenen (Quartier, Stadt, Region) organisiert werden und vor allem in einem pluralistischen und freiheitlichen politischen System wie dem der USA?

Wie weit reichen also stadtentwicklungspolitische Anstrengungen mit dem Ziel, eine resiliente Stadt oder Stadtregion zu entwickeln? Und inwiefern sollte, in An- betracht der Tatsache, dass die Folgen von Naturereignissen in immer kürzeren Abständen in Städten und Stadtregionen spürbar werden, dennoch über grundsätz- lichere städtische Leitbilder und Visionen für Städte in Zeiten des Klimawandels nachgedacht werden? Wie sinnvoll sind die derzeitig verfolgten „Klimaanpas- sungsmaßnahmen“ und wie „radikal“ können bzw. müssen sie sein, um Menschen- leben zu schützen und kann diese Aufgabe „räumliche“ Planung übernehmen? Vor dem Hintergrund dieser Fragen sind vor allem weiterhin vergleichende Untersu- chungen im Forschungsfeld Städte im Klimawandel und ihre „Anpassungsfähig- keit“ notwendig. Die Reichweite von Planung und räumlichen Steuerungsansätzen beziehungsweise ihren räumlichen Auswirkungen ist zukünftig zu untersuchen. Es sollte ebenso erfasst werden, welche Reichweite lokaler Reformfähigkeit gesell- schaftlich getragen und politisch geduldet wird. Eine retrospektive Perspektive auf die gesellschaftlich getragene und politisch geduldete Reichweite wurde anhand des Falls New Orleans eingenommen. Weitere Untersuchungen von Fällen, die zunächst das Ziel haben, die städtische „Verletzlichkeit“ zu verringern wie bei- spielsweise ein Urban Water Plan (für die Region Greater New Orleans), oder anhand von Fällen, die eine städtische „Verletzlichkeit“ erhöhen wie beispielsweise

655 eine anhaltende Versiegelung städtischer Siedlungsfläche, scheinen dafür geeignet. So wurde beispielsweise in Houston in den letzten 15 Jahren die Stadtfläche um 25 Prozent zusätzlich versiegelt. Diese städtebauliche Entwicklung, die ein rasantes Stadtwachstum aufzeigt und die eine Versiegelung natürlicher und potentieller Überschwemmungsgebiete mit sich bringt und damit zu wenig Fläche zur Verfü- gung steht, um Regenwasser aufzufangen „(...) verschlimmert die Schäden, die das Hochwasser mit sich bringt.“ (Brody 29.08.2017) Die Niederschläge, die Hurrikan Harvey 2017 mit sich brachte, erreichten die höchsten Werte, die je auf dem US- Festland gemessen wurden (Die Zeit 30.08.2017).

Längerfristige Katastrophenbewältigung und lokale Reformfähigkeit: Weiterer Forschungsbedarf

Aus der Untersuchung des Prozesses der Entwicklung von Planwerken zum Wie- deraufbau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans als eine Einzelfallstudie im Rahmen der Stadtentwicklung vor und nach einem Naturereignis, das eine ur- bane Katastrophe nach sich zog, und vor dem Hintergrund theoretischer Zugänge zu Reformfähigkeit und Katastrophenbewältigung, können aufgrund der methodi- schen Anlage der Studie keine allgemeingültigen Erkenntnisse zu lokaler Reform- fähigkeit in der Stadtentwicklungspolitik nach Katastrophen abgeleitet werden. Die Erkenntnisse sind insofern als Erkenntnisse aus dem Fall New Orleans zu verste- hen aufgrund einer geringen Verallgemeinerbarkeit von Ergebnissen eines Einzel- falls. Durch die eine explizite Zusammenführung theoretischer Zugänge (Katastro- phenbewältigung und Reformfähigkeit vor dem Hintergrund US-amerikanischer Stadtentwicklungspolitik), konnten Erkenntnisse im Politikfeld der Stadtentwick- lung hervorgebracht werden, die den bisherigen planungswissenschaftlichen Kor- pus der urban governance-Forschung anreichern. Sie stellen in diesem Kontext eine Perspektiverweiterung und damit Ansatzpunkte für eine Auseinandersetzung und Untersuchung ähnlich angelegter Fälle (auch in Deutschland) dar.

So liegt das Potential weiterer Forschungen zu einer längerfristigen Katastrophen- bewältigung im Zusammenhang mit lokaler Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung vor dem Hintergrund bisheriger Erkenntnisse der urban gover-

656 nance -Forschung in der Identifikation spezifischer Merkmale von Stadtpolitik durch das Zusammenwirken unterschiedlicher politischer Ebenen, privater Unter- nehmen und zivilgesellschaftlicher Akteure und Interessensgruppen – nicht nur in US-amerikanischen Städten. Dabei steht unter anderem eine systematische Unter- suchung der Rolle der Medien vor dem Hintergrund urbaner Katastrophen aus. Denn bislang zeigen Untersuchungen beispielsweise, dass eine hohe mediale Auf- merksamkeit, eine hohe philanthropische Aufmerksamkeit in diesen Gebieten nach sich zieht (Spenden).317 Denn was bedeutet es für einen Wiederaufbau und eine Neuentwicklung einer Stadt(region), wenn wie im Sommer 2017, die Medienbe- richterstattung und die Berichterstattung über einen Monsun im Norden von Indien, der ganze Landstriche zerstört hatte, im Verhältnis zu der Berichterstattung zu den Auswirkungen von Hurrikan Harvey in den USA, als Randbemerkung erscheint?

Insgesamt werden durch eine systematisch angelegte und vergleichende Stadtfor- schung von längerfristiger Katastrophenbewältigung im Zusammenhang mit loka- ler Reformfähigkeit weitere Beiträge zu einer Frage erwartet, die die politikwissen- schaftliche Stadtforschung seit einigen Jahrzehnten bewegt: Welche Handlungs- spielräume hat die lokale Ebene, um den derzeitigen städtischen Herausforderun- gen gerecht zu werden? Eine vergleichende Untersuchung weiterer Fälle könnte dazu dienen, in denen die zu untersuchenden Phänomene in vergleichsweise kurzer Zeit auf lokaler Ebene zusammenwirken und an denen in besonders augenscheinli- cher Weise deutlich wird, wie Stadtpolitik in US-amerikanischen Städten auf Kri- sensituationen reagiert, die in vielen Städten mittel- oder unmittelbar auftreten. Die Untersuchung des Prozesses der Entwicklung von Planwerken zum Wiederaufbau und zur Neuentwicklung der Stadt New Orleans stellt in diesem Zusammengang bislang einen herausgehobenen, extremen Einzelfall dar. Diese Untersuchung hat auch weiteren Forschungsbedarf in Bezug auf eine Verknüpfung des Politikfeldes der Stadtentwicklung mit psychologischer Forschung offengelegt, wie beispiels- weise der Metaebene von „Fähigkeiten“ kollektiven Akteurshandelns. Auch hat der Fall New Orleans offengelegt, dass die Untersuchung räumlicher Wirkungen von

317 Jede zusätzliche Minute bei den nächtlichen Nachrichten ließ den Umfang der Spenden beim Tsunami in Indien (2004) um 13 Prozent der durchschnittlichen täglichen Spenden für die typische Hilfsbehörde ansteigen. Ein zusätzlicher Bericht der NYT oder des Wall Street Journals erhöhte die Spenden um 18 Prozent des täglichen Durchschnitts. (Center for Disaster Philanthropy, Foundation Center 2014)

657 planerischen Leitbildern, die im Rahmen einer längerfristigen Katastrophenbewäl- tigung (möglicherweise auf der Grundlage vorhandener lokaler offizieller Planwer- ke) entwickelt wurden, weitgehend ausstehen (wie auch beispielsweise räumliche Wirkungen des Master Plans und die daraufhin entwickelte Comprehensive Zoning Ordinance von New Orleans). Forschungsleitend sind dabei auch Fragen, inwie- weit zeitgenössische Leitbilder, Strategien und Konzepte der Stadtentwicklung bei einem „Wiederaufbau“ eine Rolle spielen, insbesondere das weit verbreitete libera- listische Paradigma und seine stadtentwicklungspolitischen Facetten, welche Wir- kungsweise und Durchschlagkraft eine entwickelte Leitbildstrategie hat und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.

Insgesamt kann eine retrospektive Untersuchung weiterer Fälle vor dem Hinter- grund bisheriger Erkenntnisse der urban governance-Forschung eine empirische Grundlage für eine konzeptionelle Weiterentwicklung von Förderstrategien und - programmen schaffen, die Spielräume lokaler Handlungs- und Reformfähigkeit verbessern und gleichzeitig sozialräumliche Konditionen im urbanen Kontext kor- rigieren.

„Katrina saved the city“318

Aus der Perspektive einer vergleichenden planungswissenschaftlichen Stadtfor- schung, die den Anspruch hat, die Funktionsweise von Stadtentwicklung zu erklä- ren und Merkmale von Stadtentwicklungspolitik aufzuzeigen ist New Orleans als außergewöhnliche Stadt zu verstehen: Die Stadt hat sich vor der Katastrophe in vielen stadtpolitischen Handlungsfeldern der Stadtentwicklung behelfsmäßig ge- zeigt, bekam unmittelbar nach der Katastrophe die Folgen einer nicht vorhandenen Planungsmentalität zu spüren, ist nun aber dabei, längerfristig eine geordnete Pla- nungsaufgabe zu verfolgen. Diese verläuft selbstverständlich weder fehlerfrei noch ohne Unzulänglichkeiten oder schlägt sie sich bislang gesamtstädtisch sichtbar nieder, denn beispielsweise liegen große Teile der Stadt brach und eine stadträum- liche Entwicklung ist nicht abzusehen. Ebenso in anderen, vor allem sozialen stadtpolitischen Feldern besteht weiterhin Handlungsbedarf in Bezug auf racial

318 Robbie Robertson, Einwohner von New Orleans.

658 divided city, poverty, unemployment, low wage economy und corruption issues, die weiterhin auftreten. Die abgebildete Chronik der Stadt New Orleans zeigt, dass es der Stadt in einigen dieser stadtpolitischen Bereiche gelungen ist, ein Standardni- veau zu erreichen – als Stadt, die sich vor Hurrikan Katrina in nahezu allen stadt- politischen Bereichen im Niedergang befand, der dies aber nach Katrina unter an- derem durch überlokale Mitwirkung gelungen ist.

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Verzeichnis der Abbildungen und Interviews

Abbildungen

Abbildung 1: Stand der Forschung zum „groben“ Zusammenhang zwischen Katastrophe und Reformen (eigene Darstellung)...... 48 Abbildung 2: Theoretische Zugänge der Forschungsrichtungen Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit (eigene Darstellung)...... 49 Abbildung 3: Verortung der Arbeit (Elipse) (eigene Darstellung)...... 56 Abbildung 4: Längerfristige Katastrophenbewältigung theoretische Zugänge (eigene Darstellung)...... 58 Abbildung 5: Phasen eines Wiederaufbaus (Kates, Pijawka 1977: 4 zit. in Vale, Campanella 2005: 337)...... 70 Abbildung 6: Gegenüberstellung von Forschungsfeldern in Bezug auf Gefahren und Katastrophen (Colten et al. 2008: 2)...... 86 Abbildung 7: Rahmen zur Untersuchung von Reformfähigkeit als Ideal und als Grundlage für die Erarbeitung eines Analysegerüstes (eigene Darstellung)...... 123 Abbildung 8: Zusammenschau von Hinweisen auf Bedingungen, die Reformfähigkeit forcieren und blockieren. (eigene Darstellung). …………………………………..121 Abbildung 9: Analysegerüst (eigene Darstellung)...... 132 Abbildung 10: Modell zur Untersuchung von Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit (eigene Darstellung)...... 134 Abbildung 11: Stadtwachstum New Orleans und Region (Greater New Orleans) (Campanella 2006: 91)...... 146 Abbildung 12: Ethnische Geographie von Greater New Orleans (Campanella 2006: 379) ...... 148 Abbildung 13: Das Stadtgebiet von New Orleans wurde zu 80 Prozent überflutet. (Campanella 2006: 396)...... 218 Abbildung 14: New Orleans und die Stadtregion (links), New Orleans und die Stadtregion unterschiedlich stark überflutet, dargestellt hell- bis dunkelila (rechts) (Campanella 2006: 390)...... 221 Abbildung 15: Verstärkung des Hochwasserschutzsystems in New Orelans seit Hurrikan Katrina (Schwartz 17.08.2007)...... 250 Abbildung 16: Mixed-income housing development Columbia Parc, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 264 Abbildung 17: Mixed-income housing development Columbia Parc, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 264 Abbildung 18: Angrenzende Nachbarschaft von Columbia Parc, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 265

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Abbildung 19: Mixed-income housing development Harmony Oaks, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 265 Abbildung 20: Angrenzende Nachbarschaft von Harmony Oaks, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 266 Abbildung 21: Mixed-income housing development Lafitte, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 266 Abbildung 22: Abgeriegeltes Public Housing Ensemble von Lafitte, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 267 Abbildung 23: Einfamilienhaus fügt sich in das Quartier ein. (Project Home Again o.J.)...... 269 Abbildung 24: Lage der Wohnhäuser von Project Home Again im Stadtteil Gentilly (Mowbray 10.11.2011)...... 270 Abbildung 25: Einfamilienhaus Project Home Again im Stadtteil Gentilly, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 274 Abbildung 26: Einfamilienhäuser Project Home Again im Stadtteil Gentilly, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 274 Abbildung 27: Anfang 2007 war das Stadtviertel Lower Ninth Ward noch immer zerstört (Make It Right o.J.b)...... 275 Abbildung 28: Geplant war der Bau von 150 Einfamilienhäusern (eigene Aufnahme 2012)...... 276 Abbildung 29: Eine Nachbarschaft sollte sich jenseits des Baus der Wohnhäuser entwickeln. (Make It Right o.J.b) ...... 278 Abbildung 30: Viele Wohnhäuser in mittelbarer und unmittelbarer Nachbarschaft zum Projekt Make It Right sind noch nicht wieder aufgebaut (eigene Aufnahme 2017)...... 278 Abbildung 31: Das Viertel entsteht in unmittelbarer Nähe zur sanierten Flutmauer (eigene Aufnahme 2012)...... 279 Abbildung 32: Im Dezember 2007 wurde die Kunstinstallation Pink Project als Spendenaktion inszeniert (Make It Right o.J.b)...... 279 Abbildung 33: Lage des Projektes in New Orleans und Lage der fertiggestellten Wohnhäuser (Make It Right o.J.a)...... 280 Abbildung 34: Das Visitor Center des Holy Cross-Projektes in New Orleans (Global Green USA o.J.a)...... 286 Abbildung 35: Entwurf von Matthew Berman und Andrew Kotchen, Workshop/apd (Global Green USA o.J.a)...... 287 Abbildung 36: Realisierungsplanung mit Einfamilienhäusern, Besucherzentrum, Nachbarschaftszentrum, Geschosswohnungsbau und Außenanlagen (Global Green USA o.J.a)...... 288 Abbildung 37: Einfamilienhäuser Holy Cross Project (Global Green USA o.J.a)...... 289 Abbildung 38: Verfallenes Eigentum, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 297 Abbildung 39: Downtown, Canal Street, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 307 Abbildung 40: Kasino Harrah’s, Downtown New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 307

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Abbildung 41: Uferpromenade, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 308 Abbildung 42: Vernachlässigter Immobilenbestand, Downtown New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 308 Abbildung 43: French Quarter, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 309 Abbildung 44: French Quarter, Blick Richtung Canal Street, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 309 Abbildung 45: Stillgelegtes Charity Hospital, New Orleans (eigene Aufnahme 2017)...... 318 Abbildung 46: Charity Hospital im Stadtraum, Rückseite (eigene Aufnahme 2017)...... 318 Abbildung 47: Southeast Louisiana Veterans Health Care System Medical Center (eigene Aufnahme 2017)...... 319 Abbildung 48: University Medical Center (eigene Aufnahme 2017)...... 319 Abbildung 49: University Medical Center (rechts) grenzt an den Stadtraum (eigene Aufnahme 2017)...... 320 Abbildung 50: Verteilung der finanziellen Unterstützung zwischen Wohltätigkeitsorganisationen (grün), privaten Versicherungsansprüche (rot) und staatlichen Institutionen (blau) (Ahlers et al. 01.2008)...... 357 Abbildung 51: Black Box von Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren und blockieren, in Bezug auf das Politikfeld der Stadtentwicklung (eigene Darstellung)...... 368 Abbildung 52: Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit: Phänomen und Hypothesen (eigene Darstellung)...... 373 Abbildung 53: Zeitschiene Planwerke nach Hurrikan Katrina (eigene Darstellung in Anlehnung an Nelson et al. 2007: 28)...... 381 Abbildung 54: Analysegerüst zur Untersuchung von lokaler Reformfähigkeit im Politikfeld der Stadtentwicklung (eigene Darstellung)...... 384 Abbildung 55: Weiterentwicklung Untersuchungsmodell Katastrophenbewältigung und Reformfähigkeit für das Politikfeld der Stadtentwicklung (eigene Darstellung)...... 386 Abbildung 56: Die lokale Tageszeitung Times Picayune veröffentlichte am 11. Januar 2006 in dieser Form die Planvorstellungen des Urban Planning Committee der BNOBC (Campanella 2015; vgl. Bring New Orleans Back Commission 29.11.2005)...... 394 Abbildung 57: Der ursprüngliche Parks and Open Space Plan der Bring New Orleans Back Commission vom 11. Januar 2006 (Campanella 2015)...... 408 Abbildung 58: Die lokale Tageszeitung Times Picayune überarbeitete die Darstellung des Planes und veröffentlichte diese Darstellung am 23.08.2010 (Hill 14.09.2010)...... 410 Abbildung 59: Diese Darstellung des National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) zeigt die geschätzte Tiefe der Hochwasserstände vom 3. September 2005 innerhalb der Stadtgrenze von New Orleans (Campanella 2015)...... 412 Abbildung 60: Planwerk Wiederaufbau Bring New Orleans Back (BNOB) (substanziell reformfähig, prozessual nicht reformfähig) (eigene Darstellung)...... 418 Abbildung 61: Planwerk Wiederaufbau New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan (NONRP) (substanziell nicht reformfähig, prozessual reformfähig) (eigene Darstellung)...... 438

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Abbildung 62: Planwerk Wiederaufbau Unified New Orleans Plan (UNOP) (substanziell nicht reformfähig, prozessual reformfähig) (eigene Darstellung)...... 502 Abbildung 63: Recovery Management Plan und siebzehn Target Zones (City of New Orleans, Office of Recovery Management 12.03.2007)...... 511 Abbildung 64: Beispiel des Typs RE-Built in der Lower Ninth Ward (City of New Orleans, Office of Recovery Management 12.03.2007)...... 514 Abbildung 65: Planwerk Wiederaufbau operationalisiert Recovery Management Plan (RMP) mit Target Zones (substanziell reformfähig, prozessual nicht reformfähig) (eigene Darstellung)...... 529 Abbildung 66: Planwerk zur Neuentwicklung der Stadt Master Plan 2030 (substanziell reformfähig, prozessual reformfähig) (eigene Darstellung)...... 560 Abbildung 67: Interstate-10 Expressway führt durch Nachbarschaften in New Orleans (Congress for the New Urbanism 11.02.2014)...... 567 Abbildung 68: Lage des I-10 Claiborne Expressway im Stadtraum (City of New Orleans 2010c: 11.22)...... 568 Abbildung 69: Stadträumlicher Korridor Claiborne Avenue Expressway (Smart Mobility Inc., Waggonner & Ball Architects (15.07.2010): ii)...... 576 Abbildung 70: Master Plan-Projektempfehlung Rückbau Expressway (substanziell und prozessual reformfähig) (eigene Darstellung)...... 593 Abbildung 71: Parallelen von Akteurshandeln in den Planwerksprozessen (eigene Darstellung). .... 609 Abbildung 72: Bedingungen lokaler Reformfähigkeit am Beispiel strategischer Stadtentwicklungspolitik in New Orleans nach Hurrikan Katrina (eigene Darstellung). ..………………………………………………………...…………………… 604

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Interviews

Becker, Robert, Executive Director City Park Improvement Association, New Orleans, 23.02.2012 Billes, Gerry, Architect, Founder Gouldevans + Billes Architects, New Orleans, 14.02.2017 Bingler, Steven, Founder, President Concordia (Planungsbüro), New Orleans, 28.02.2012 Bollinger, Donald Boysie, Founder Bollinger Shipyards in Lockport, New Orleans, 14.02.2017 Brandes Gratz, Roberta, Journalist, Author, New Orleans, 16.02.2017 Brooks, Jane S., Professor, Faculty of Planning and Urban Studies, University of New Orleans UNO, New Orleans, 29.09.2008 Canizaro, Joseph, Founder, Chief Executive Officer, President Corporate Capital, LLC.; Founder, Chief Executive Officer, President Columbus Properties, L.P., New Orleans, 16.02.2017 Costa, Fernando, American Planning Association, Videointerview Kassel – Fort Worth, 22.11.2016 Cowen, Scott, President Tulane University, New Orleans, 10.02.2017 DiMarco, Frank, Available Lighting, New Orleans 16.02.2017 (Eine Audioaufnahme war nicht erwünscht.) Gadbois, Karen, Journalist The Lens, New Orleans, 09.02.2017 Gilmore, David, Executive Director Housing Authority New Orleans, New Orleans, 29.02.2012 Head, Stacy, Member City Council New Orleans, Videointerview Kassel – New Orleans, 29.11.2016 Horne, Jed, Journalist, Author, New Orleans 20.02.2017 James, Clifton, Architect, Planner, Founder Urban Design Research Center, New Orleans, 24.02.2012 Johnson, Christopher, Architect, Manning Architects, New Orleans, 27.02.2012 Keegan, Robin, Executive Director Lousiana Recovery Authority (LRA), New Orleans, 15.02.2017 Lopez, Michael, Global Green USA, New Orleans, 30.09.2008 Nelson, Marla, Associate Professor Faculty of Planning and Urban Studies, University of New Orle- ans UNO, Videointerview Kassel – New Orleans, 07.12.2016 Nossiter, Adam, Journalist New York Times, New Orleans, 25.09.2008 Perry, Stephen, President, CEO New Orleans Convention and Visitors Bureau, New Orleans, 15.02.2017 Robertson, Marvel, Field Office Director US Department of Housing and Urban Development, New Orleans, 02.10.2008 Rodriguez, Yolanda, Executive Director City Planning Commission, New Orleans, 23.02.2012 Shea, Carey, Associate Director Rockefeller Foundation, New Orleans, 02.03.2012 Shea, Carey, Executive Director Project Home Again, New Orleans, 29.02.2012 Stokes, Sandra L., President, Chairman of Advocacy Louisiana Landmarks Society and Pitot House, New Orleans, 14.02.2017

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Abkürzungsverzeichnis

ACE – Army Corps of Engineers AIA – American Institute of Architects AICP – American Institute of Certified Planners APA – American Planning Association ASCE – American Society of Civil Engineers BNOB – Bring New Orleans Back (Planwerk) BNOBC – Bring New Orleans Back Commission BWCRMC – B.W. Cooper Resident Management Corporation CAE – Claiborne Avenue Expressway CBD – Central Business District CC – City Council CCIC – Claiborne Corridor Improvement Coalition CDBG – Community Development Block Grants CDBG-DR – Community Development Block Grant - Disaster Recovery CEO – Chief Executive Officer CNU – Congress for the New Urbanism CPC – City Planning Commission CZO – Comprehensive Zoning Ordinance DHS – U.S. Department of Homeland Security DOT – U.S. Department of Transportation FEMA – Federal Emergency Management Agency GNOF – Greater New Orleans Foundation HANO – Housing Authority of New Orleans HDLC – Historic District Landmark Commission HUD – U.S. Department of Housing and Urban Development LISC – Local Initiatives Support Corp LRA – Louisiana Recovery Authority LSU – Louisiana State University NOAH – New Orleans Affordable Homeownership Corp. NONRP – New Orleans Neighborhood Rebuilding Plan (Planwerk) NSP2 – Neighborhood Stabilization Program NTHP – National Trust for Historic Preservation ORDA – Office of Recovery and Development Administration ORM – Office of Recovery Management PPCDC – Pontchartrain Park Community Development Corporation (PPCDC) QAPs – Qualified Allocation Plans RFQ – Request for Proposals RMP – Recovery Management Plan ULI – Urban Land Institute UNOP – Unified New Orleans Plan (Planwerk)

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Anhang

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Übersicht: Bedingungen, die lokale Reformfähigkeit forcieren319

319 Ausgehend von der Einzelfallstudie sind Erkenntnisse der theoretischen Zugänge, New Orleans’ Stadtentwicklung und strategischer Planung gegenübergestellt. Fett markiert sind Bedingungen, die sich in New Orleans (Teil C und D) im Verhältnis zu den theoretischen Zugängen (Katastrophenbe- wältigung und Reformfähigkeit, Teil B) neu zeigen.

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Interviewleitfäden Leitfäden für Akteure der Sphären Staat, Markt und Zivilgesellschaft

Interviewleitfaden: Akteure Sphäre Staat

Introduction • Ms. / Mr. ... thank you very much for your time regarding our interview today. • Would you mind if I record our conversation? • Could I quote you by your name in my thesis - or should I quote you without stat- ing your name - which means anonymous? • One final note before we begin: The interview is voluntary. (Questions don't have to be answered. You don't have to answer a question if you don't like it.)

Questions „Product Level“

I Development of Plan / Project 1 In your opinion how was it decided to develop and implement the plan / project?

II Realization of the Plan / Project 2 What goals / objectives and intentions became accepted in your opinion and how that came about? 3 How do you assess the success of implementation of the plan / project in general? 4 What strategies and tools were used to implement / to develop the plan / project? 5 Who do you think is significantly involved in the implementation / the development? 6 What issues / goals were not been implemented (yet) in your opinion and how that came about in your opinion? 7 What do you think are the biggest hurdles in the implementation? 8 What do you think are the main factors that led to the development of the plan and later its implementation?

III Context Urban Development Politics 9 How do you rate the overall urban impacts of the plan / projects and what spatial effects do you see? 10 How do you assess the role of the plan / the project in the daily routine of urban poli- tics? To what extent is - in your opinion - the plan / project used for urban policy deci- sions?

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Questions Process 11 What role does the implementation of the plan / project play in your daily work life? 12 How does it affect the progression / the development of other projects and programs in the city? 13 How your agency / institution came about to work on the plan / the project? 14 How did it happen in your opinion that your agency / institution is now involved in the development / the implementation of the plan / project? 15 Your agency / institution pursues different objectives concerning the development / implementation of the plan / project. Can you please state them again and also reveal the strategies to achieve this? 16 What strategies were most successful? 17 What did your enterprise do differently on the progress of this plan / project com- pared to the development / implementation of previous plans / projects? What did you do equally? 18 What resources or incentives were available to you as a public authority / institution? How does it differ from previous projects? What are the (underlying) causes for that in your opinion? 19 Who are your key strategic partners in the process of the development / implementa- tion of the plan / project? 20 What successes have already been achieved in the process of the development / im- plementation of the plan / project? 21 What role plays - in your opinion - your agency / institution in the process of devel- opment / implementation of the plan / project?

V General Questions 22 Who do you think are the main players / key persons in the plan / project and why? What is the role played by external players / key persons in your opinion? What spe- 23 cial resources, or skills did they have? 24 How would you describe the socio-political, economic and cultural climate before and after Katrina in New Orleans? What is different and what is still the same? 25 How do you assess the recovery as a whole in New Orleans? What makes the reconstruction progress slowly and what hinders the progress? Or why do you think it makes great progress? 26 What do you mean by recovery? What differences and similarities do you see in your understanding of reconstruction and the rebuilding that takes place in New Orleans?

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Interviewleitfaden: Akteure Sphäre Markt

Introduction • Ms. / Mr. ... thank you very much for your time regarding our interview today. • Would you mind if I record our conversation? • Could I quote you by your name in my thesis - or should I quote you without stat- ing your name - which means anonymous? • One final note before we begin: The interview is voluntary. (Questions don't have to be answered. You don't have to answer a question if you don't like it.)

Questions „Product Level“

I Development of the Plan / Project 1 What should be achieved by the plan / project in your opinion? 2 In your opinion how was it decided to develop and implement the plan / project?

II Realization of the Plan / Project 3 What goals / objectives and intentions became accepted in your opinion and how that came about? 4 What strategies and tools were used to implement / to develop the plan / project? 5 Who do you think is significantly involved in the implementation / the development? 6 (What factors played a role in your opinion that the plan / project was / will be im- plemented?) 7 What issues / goals were not been implemented (yet) in your opinion and how that came about in your opinion? 8 What do you think are the main factors that led to the development of the plan and later its implementation? In your opinion, how did the plan / project today and after the disaster become devel- opable and realizable? 9 What role do you think the disaster caused by Katrina played to make possible the development / implementation of the plan / project? 10 What has changed since than in your opinion?

III Context Urban Development Politics 11 What effect do you think the plan / project has on the entire city?

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Questions Process

IV Organization/Institution in Relation to Plan / Project 12 What role does the implementation of the plan / project play in your daily work life? 13 How did your enterprise come about to work on the plan / the project? 14 What interest does your company have concerning the plan / project? Could you explain it a bit more? 15 How, rather what strategies and tools you have you used in order to achieve the ob- jectives of the company? 16 What strategies were most successful? 17 What did your enterprise do differently on the progress of this plan / project com- pared to the development / implementation of previous plans / projects? What did you do equally? 18 What resources or incentives were available to your company? 19 How do they differ from previous projects? 20 Who are your key strategic partners in the process of the development / implementa- tion of the plan / project? 21 What successes have already been achieved in the process of the development / im- plementation of the plan / project? 22 What role plays – in your opinion - your company in the process of development / implementation of the plan / project?

V General Questions 23 Who do you think were the key persons in the development / implementation of plan / project and how did it happen in your opinion? 24 What special resources, or skills did they have? 25 What role was played and is still being played by external stakeholders / the external program XY in the process concerning the development / implementation of plan / project in your opinion? 26 Has the social, political, economic and cultural climate changed in New Orleans after Katrina in your opinion and in what way? 27 How would you describe the socio-political climate before and after Katrina in New 28 Orleans? To what extent are there differences? / What is different? 29 How do you assess the reconstruction as a whole in New Orleans? 30 What do you mean by recovery? What differences and similarities do you see in your understanding of reconstruction and the rebuilding that takes place in New Orleans?

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Interviewleitfaden: Akteure Sphäre Zivilgesellschaft

Introduction • Ms. / Mr. ... thank you very much for your time regarding our interview today. • Would you mind if I record our conversation? • Could I quote you by your name in my thesis - or should I quote you without stat- ing your name - which means anonymous? • One final note before we begin: The interview is voluntary. (Questions don't have to be answered. You don't have to answer a question if you don't like it.)

Questions „Product Level“

I Development of Plan / Project 1 What should be achieved by the plan / project in your opinion? What do you think 2 about the objectives and interventions? 3 Who do you think are the initiators of the plan / project? 4 In your opinion how was it decided to develop and implement the plan / project?

II Implementation of the Plan / Project 5 What objectives and intentions became accepted in your opinion? 6 And how that came about? 7 What strategies and tools were used to implement / to develop the plan / project? 8 Who - do you think - is significantly involved in the implementation / the develop- 9 ment? (What factors or by what the implementation was favored?) 10 What issues / objectives are not been implemented (yet) in your opinion? 11 And how that came about in your opinion? 12 What do you think are the biggest hurdles in the implementation? 13 In your opinion what are the main factors that led to the plan to be developed and later implemented?

III Context Urban Development Politics 14 What effect do you think the plan / project has on the city of New Orleans as a whole? 15 To what extent is the plan / project used for urban policy decisions in your opinion?

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Questions Process

IV Organization/Institution in Relation to Plan / Project 16 What role does the implementation of the plan / project play in your daily work life? How does it affect the progression / the development of other projects and programs 17 in the city in your opinion? 18 How your institution / organization came about to work on the plan / the project? 19 If you try to remember - what was your interest? What are you currently interested in it? 20 Your organization / institution pursues different objectives concerning the develop- ment / implementation of the plan / project. Can you please recall them again and also reveal the strategies used to achieve this? 20 What strategies were most successful? 21 What did your enterprise do differently on the progress of this plan / project com- pared to the development / implementation of previous plans / projects? What did you do equally? 22 What resources or incentives were available to you as an organization / institution? 23 How does it differ from previous projects? 24 What are the (underlying) causes for that in your opinion? 25 Who are your key strategic partners in the process of the development / implementa- tion of the plan / project? 26 What successes have already been listed together in the process of the development / implementation of the plan / project? 27 What role plays – in your opinion - your organization / foundation / institution in the process of development / implementation of the plan / project?

V General Questions 28 Who are / were the key players in the plan / project in your opinion and how it came about it in your opinion? 29 What special resources, or skills did they have? 30 What is the role played by external key players / ~ persons / stakeholders and the external program XY in your opinion? 31 How would you describe the socio-political, economic and cultural climate before and after Katrina in New Orleans? What is different and what is still equal? 32 What impact will this have on urban development in New Orleans in your opinion? 33 How do you assess the reconstruction as a whole in New Orleans? What do you mean by recovery? 34 What differences and similarities do you see in your understanding of reconstruction and the rebuilding that takes place in New Orleans?