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ars poetica 1. Monika Maron – Ein Stilporträt

Ein Film von Roland Schenke Beitrag: Simon Demmelhuber & Volker Eklkofer

Inhalt Heldinnen wegen ihrer Haltung ausgegrenzt oder grenzen sich selbst aus. Sie gehorchen nicht, Mit bislang sieben Romanen, fünf Essaybänden, rechnen ab und haben unbotmäßige Träume. Erzählungen und zahllosen Artikeln zählt Monika Sie neigen zur Radikalität auch wenn sie manch- Maron zu den bedeutendsten deutschen Gegen- mal Anlauf brauchen, um aus einer Lebenssitua- wartsautoren. Von 1951 bis 1988 lebte die 1941 tion, die unbefriedigend ist, herauszukommen. geborene Schriftstellerin in der DDR. Vor allem in ihren frühen Romanen, die in Ostdeutschland Eine streitbare Intellektuelle nicht erscheinen durften, arbeitet sie ihre eigenen Erfahrungen im totalitären Überwachungsstaat Über ihre literarische Arbeit hinaus äußert sich auf sehr kritische, stets eigenwillige und litera- Monika Maron immer wieder in oftmals pole- risch anspruchsvolle Weise auf. Auch nach der misch zugespitzten Artikeln zu aktuellen politi- Wende behält sie die ostdeutsche und deutsch- schen, gesellschaftlichen und kulturellen Gegen- deutsche Entwicklung im Blick, wobei sie sich wartsfragen. Für heftige öffentliche Debatten stets entschieden gegen den verbreiteten Hang sorgte etwa zuletzt ihre Forderung, dass dem Is- zur DDR-Nostalgie verwehrt. lam eine Zugehörigkeit zu Deutschland nur be- scheinigt werden könne, wenn gleichzeitig nötige Chronistin deutscher Daseinsmöglichkeiten Reformen benannt würden und sicher gestellt sei, dass der Islam kein Fremdkörper in einem In ihren letzten Büchern entfernt sich Maron zu- säkularen Staat bliebe. nehmend von einer Darstellung der DDR-Ver- gangenheit und widmet sich der literarischen Er- kundung individueller Lebenssituationen und Le- Fakten benskonstellation. Ihre Protagonistinnen, deren Lebensfäden sie teils über mehrere Bücher wei- 1. Ich, er, es - das gebrochene Verhältnis zwi- terspinnt, erweisen sich dabei wie eh und je als schen Autor und Erzählerinstanz störrische, eigensinnige, unangepasste und wi- dersprüchliche Sucher nach Überlebens- und Jedes neue Buch Monika Marons ist das Ergeb- Daseinsmöglichkeiten. Ob in "Flugasche" (1981), nis eines langwierigen, reflektierten Schreibpro- "Die Überläuferin" (1986), "Stille Zeile sechs" zesses, dessen Eigenart darin besteht, dass sich (1991), "Animal triste" (1996), "Endmoränen" der Stoff die ihm jeweils gemäße Form erschafft. (2003) oder "Ach Glück" (2007), stets werden die Weil sich dabei Inhalt und Darstellung gegensei-

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tig bedingen, sind die stilistischen Mittel, die Er- brauchen? Warum erzählt sie nicht gleich zählhaltungen und Erzählstrukturen nie bloßer selbst? Wenn ein anderes Ich als Johanna er- oder beliebiger Zweck, der sich von der Ge- zählen soll, brauche ich jemanden, der mehr schichte ablösen ließe, sondern stets auch „die über sie wissen kann als ich, einen Dritten, der Sache selbst“. Es geht bei Maron nie nur darum, nicht Johanna und auch nicht ich ist, einen Er- was erzählt wird, sondern immer auch darum wie zähler in meinem Auftrag. Ich selbst fühle mich es erzählt wird. Die den bloßen Bericht, die nicht legitimiert. („Wie ich ein Buch nicht schrei- schiere Mitteilung einer Begebenheit überschrei- ben kann und es trotzdem versuche“, S. 11.) tende künstlerische Auseinandersetzung mit dem Wesen und den Möglichkeiten des Erzählens ist Schreiben als perspektivisches Spiel ein charakteristischer Zug, der das gesamte Werk der Schriftstellerin auszeichnet. Häufig entscheidet sich Maron, die viele unter- schiedliche Erzählperspektiven souverän meis- Der Stoff sucht sich die Form tert und gerne auch mit überraschenden Positio- nen experimentiert, dafür, das Geschehen durch So macht sich Maron mit jedem neuen Buch die Einführung eines Ich-Erzählers zu organisie- abermals auf die Suche nach der dem Stoff ent- ren. Obwohl natürlich immer wieder autobiografi- sprechenden, ihn organisierenden Erzählerin- sche Elemente und eigenes, reales Erleben in stanz, nach der geeigneten Erzählperspektive ihre Romane einfließen, ist das „Ich“ dabei stets ein literarisches Konstrukt und keinesfalls mit der Autorin identisch. Gegen diese landläufige Ver- wechslung wehrt sich Maron entschieden: „Wenn ich einen Roman schreibe, spreche ich nicht über mich, auch nicht, wenn es so scheint. Die Versuchung, in dem erzählenden Ich eines Romans den Autor zu suchen oder gar zu erken- nen, ist offenbar so groß, dass selbst die, die es besser wissen, davon nicht absehen können. Aber dieses Ich ist eine andere Person und nicht ich. Ich bin ihr verfügbares Material.“ („Wie ich ein Buch nicht schreiben kann und es trotzdem und dem ihr gemäßen „richtigen Ton“. Typisch versuche“, S. 7.) für dieses tastende, immer wieder durch Hinder- nisse bedrohte Vorgehen sind jene Hürden, die Scheitern als Chance sie bei der Arbeit am 2007 erschienen Roman „Ach Glück“ überwinden musste. In ihrem fulmi- Auch im Roman „Endmoränen“ (2002) gibt eine nanten Werkstattbericht „Wie ich ein Buch nicht Ich-Erzählerin die Perspektive vor. Das war nicht schreiben kann und es trotzdem versuche“ schil- von Anfang an ausgemacht, denn zu Beginn hat- dert Maron mit großem Witz und stupender Of- te die Autorin an eine andere Form gedacht, die fenheit, mit welchen Schwierigkeiten sie beim sich jedoch im Verlauf des Schreibprozesses als Schreiben zu kämpfen hatte: undurchführbar erwies: „Ich hatte einen Anfang „Ich scheiterte auf der Seite neun, diesmal am schon ziemlich weit und dann habe ich gemerkt, Ton, an der Stimme, am erzählenden Nicht-Ich. das funktioniert nicht, was ich mir da vorgenom- Ich müsse jetzt erklären, sage ich vorhin beim men hatte und musste das alles wegschmeißen. Frühstück zu C., warum ich mit dem Ich und dem Das ist ziemlich schmerzlich für jemanden, der Nicht-Ich, egal ob personal oder auktorial, dieses so langsam schreibt, wie ich. Aber es ging nicht scheinbar unüberwindliche Problem habe. anders. Ich hatte eigentlich, inspiriert durch Na- C. sagt, dieses Problem sei nun wirklich totgere- talia Ginzburg, durch dieses wunderbare Buch det, und ich sage, das ändere nichts daran, dass „Die Stadt und das Haus, hatte ich gedacht: ich ich es habe. schreibe einen Briefroman. Und das war auch so Also: wenn Johanna ein Sie und nicht ein Ich ist, ein bisschen aus „Pawels Briefe“, dass ich dach- stellt sich die Frage: wer erzählt? Wessen Stim- te: ich will viele Stimmen haben, ich will mir was me ist zu hören? Meine? Bin ich, Monika Maron, ausdenken und so. Und dann habe ich gemerkt, dann das erzählende Ich? Weiß ich, was Johan- dass das einfach überhaupt nicht funktioniert. na denkt. fühlt, woran sie sich erinnert, und was Natalia Ginzburg hat eine ganz feste Geschichte, sie vergisst? Und warum sollte Johanna, wenn die sie erzählt mit verschiedenen Stimmen. Und ich aus ihrer Position erzähle und somit ihren ich hatte so eine feste Geschichte nicht und woll- Horizont nicht überschreite, mich überhaupt te die eigentlich auch gar nicht. Aber dann

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brauchte ich eben etwas Anderes, was die Sa- Ton“, dem sich letztlich auch die Struktur der Er- che zusammenhält. Ich brauchte wenigstens zählung unterzuordnen hat. Den richtigen Ton eine Erzählerstimme.“ und die richtige Stimme fand sie schließlich auf eher überraschende Weise: „Ich wollte eine Lie- Prismatisches Erzählen besgeschichte schreiben, weil ich das noch nie gemacht hatte und weil ich irgendwie Angst vor Doch selbst wenn sich Maron auf eine tonange- meiner eigenen Sprödigkeit hatte, und auch vor bende Erzählperspektive bzw. Erzählerfigur fest- meiner Schamhaftigkeit, habe ich gedacht, ich gelegt hat, meidet sie starre Konzepte und bricht muss einen Trick finden. Ich muss eine Möglich- immer wieder aus dem selbst gewählten Erzähl- keit finden, das zu erzählen, ohne dass ich von korsett aus. So etwa in ihrem dritten Roman „Stil- einer Peinlichkeit in die andere gerate, und habe le Zeile Sechs“ (1991), wo sich die Ich-Erzählerin mit dann diese alte Frau ausgedacht. Das heißt, Rosalind am Ende in drei Figuren aufspaltet. In die habe ich mir noch nicht einmal ausgedacht, die kam irgendwie eines Nachts angeflogen, als ich ein Tennisspiel mit Boris Becker sah, der ir- gendwie morgens um vier zeterte und schrie, und da dachte ich: das ist es. Ich brauche so eine Stimme, also eine Stimme, die sagt: das Le- ben ist, wie ich sage, und meine Erinnerung ist so, wie ich sage, und alles andere interessiert mich nicht.“

2. Wer hat an der Uhr gedreht? - die manipu- lierte Zeit als Erzählgerüst diesem Buch, einer Abrechnung mit der linien- treuen Vätergeneration, tötet die Protagonistin Manipulierte, das heißt gedehnte, geraffte und den Ex-Parteifunktionär Beerenbaum. Im ent- springende Zeitstrukturen sind ein wesentliches scheidenden Moment ist die Ich-Erzählerin gleich Kennzeichen des Erzählstils der Autorin. Sie dreifach präsent: Einmal als bloße Zuschauerin, meidet die „Fron des chronologischen Erzäh- einmal als Figur, die Beerenbaum verbal hinrich- lens“, was nach eigenem Bekunden allerdings tet, und einmal als Rosalind, die Beerenbaum tat- „weniger auf eine ästhetische Überzeugung als sächlich erschlägt: „Ich hörte Rosalind kreischen, auf eine dem Temperament entsprungene Vor- sah, wie sie dabei den Speichel in einem breiten liebe schließen lässt.“ Seit ihrem Erstling „Flug- Kegel versprühte und mit den Fäusten auf die asche“ (1981) hat sie sich so für ihre Romane Schreibmaschine einschlug. Das Schlimmste stets eine Erzählposition gesucht, die ihr „eine sah ich in ihren Augen, wo sich spiegelte, was andere Ordnung als die der Zeit erlaubte, eine sie nicht tat. Rosalind stehend vor Beerenbaum, assoziative, eine, die eher der Logik des Den- die Faust erhoben zum Schlag, die andere Hand kens und Erinnerns folgte als der des Gesche- an Beerenbaums Hals zwischen Kinn und Kehl- hens.“ kopf. Die Faust traf sein Gesicht, das Gebiss fiel ihm aus dem Mund. Sie schlug ihn wieder, bis er In ihrem Werkstattbericht „Wie ich ein Buch nicht vom Stuhl stürzte. Der wollene Hausmantel öff- schreiben kann und es trotzdem versuche“ spürt nete sich über den Beinen und Beerenbaums Maron dieser Eigenart nach. schlaffes Schenkelfleisch lag nackt auf dem Bo- den. Unter der weißen Wäsche sichtbar das wei- „Natürlich könnte ich dafür Gründe nennen […]. che Genital. Sie trat ihn gegen die Rippen, den Ich könnte sagen, dass mir eine solche Erzähl- Kopf, in die Hoden, beidbeinig sprang sie auf sei- weise jederzeit die Mehrfachbelichtung eines nen Brustkorb. Er rührte sich nicht. Als das Blut Augenblicks ermöglicht und die übereinander aus seinem Ohr lief, gab sie erschöpft auf. Als gelagerten Schichten der Erinnerung sichtbar ich endlich verstand, dass sie nichts tun würde, werden lässt; dass ich die Naivität des Erlebens um ihn zu retten, fand ich meine Stimme wieder.“ mit den möglichen nachträglichen Interpretatio- nen zu wechselnden Bilder verschmelzen kann. Von der Liebe sprechen- aber wie? Nicht nur das Erleben selbst unterliegt dem Zu- fall, sondern auch seine spätere Bewertung, je Im Roman „Animal triste“ (1996) bleibt die Ich-Er- nachdem, welche Erlebnisse, vielleicht erst Jah- zählerin, eine Naturwissenschaftlerin, namenlos. re später, dem einen folgen und zu welchen kau- Auch hier suchte Maron zunächst den „richtigen salen Konstruktionen sie uns verführen. Eine un-

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glückliche Liebe kann uns nachträglich als lassen zu müssen, nie wieder eine Zeit verlas- Glücksfall erscheinen, weil nur ihr Scheitern eine sen zu müssen für eine andere. Sie könnte fort- spätere Liebe, die wir für die wahre uns be- an bleiben, während sie fort ging und fort gehen, stimmte Liebe halten, ermöglicht hat. Noch spä- während sie blieb. Auch vergangene Zeiten ter, wenn auch diese Liebe gescheitert ist, sehen könnte sie in diesen Raum denken und mit belie- wir in der früheren wieder den Unglücksfall, der biger Zukunft zu dauernder Gegenwart ver- sie sie von Anfang an war. schmelzen. Eine nicht endende Orgie phantasti- Ich könnte sagen, dass mir nur das der Erinne- scher Ereignisse stand ihr bevor, ein wunderba- rung und Assoziation folgende Erzählen meinen res Chaos ohne Ziel und Zweck, sofern die ge- verliebten Umgang mit dem Wort „vielleicht“ er- wohnte Ordnung ihres Gehirns das zuließ.“ möglicht: vielleicht war es so, vielleicht war es anders. […] Das alles könnte ich sagen, aber ich Das Chaos des Lebens bändigen sage es nicht. Die Wahrheit ist: es macht mir so einfach mehr Spaß. Würde mir chronologisches Letztlich schlägt sich im souveränen Spiel mit Erzählen diesen Spaß bereiten, wären mir alle der angehaltenen Zeit ein zentrales Bedürfnis gepriesenen Vorzüge des nicht-chronologischen Erzählens auf andere Art vermutlich auch mög- lich.“ („Wie ich ein Buch nicht schreiben kann und es trotzdem versuche“, S. 80-82.)

Die ausgetrickste Zeit

Mit dem bewussten Verzicht auf lineares, chrono- logisches Erzählen und der Vorliebe für eine Form der vielfach gebrochenen Darstellung ex- perimentiert Maron auch im Roman „Die Überläu- ferin“ (1986), der sich mit dem DDR-Totalitaris- der Autorin und womöglich sogar ein entschei- mus befasst. In diesem Buch setzt sie besonders dender Schreibanlass nieder: „Nachdem ich ge- auf den schnellen Wechsel von realen und sur- merkt habe, dass ich das offenbar brauche, ha- realen Erzählebenen. Damit trägt sie ihrer Prot- dere ich damit auch nicht, sondern mache es agonistin Rosalind Rechnung, die eine körperli- halt so, wie ich es brauche. Ich denke auch, che Lähmung als Befreiung in die Welt ihres dass es irgendwie ein Abbild meines eigenen Le- Kopfes erlebt, und schafft so eine starke Verbin- bens ist. Da mischt sich das Schreiben einfach dungen zwischen Stoff und Erzählmodus. Dem mit dem, was ich auch so tue. Vielleicht ist das ja öffentlichen Leben und seinen Zeitvorgaben ent- überhaupt der Ausgangspunkt des Schreibens hoben, definiert Rosalind den Begriff „Zeit“ neu. gewesen, dass man das gelebt hat und das Be- Diese manipulierte Zeitstruktur öffnet den Text dürfnis hatte, es in eine eigene Form zu geben, für das Spiel mit Perspektiven und realen wie und nicht dem Chaos des Lebens an sich zu surrealen Zeitebenen. Gerade in der „Überläufe- überlassen.“ rin“ kostet sie, wie der folgenden Ausschnitt zeigt, diese schreibtechnischen Möglichkeiten Die von Maron inszenierten Zeitsprünge bedin- stilistisch und reflektierend aus wie in keinem ih- gen immer wieder harte Schnitte im Erzählverlauf rer anderen Romane. „Nachdem Rosalind von und überraschende Perspektivenwechsel. Vor al- der Haltbarkeit ihres Zustandes überzeugt war, len in „Stille Zeile Sechs“ wird dieses Stilmerkmal begann sie darüber nachzudenken, wie die un- zum tragenden Strukturelement. Die Rahmen- verstellbare Menge Zeit, die ihr plötzlich zur Ver- handlung des Romans beschreibt Rosalinds Teil- fügung stand, zu verwerten sei. Ob es sich tat- nahme am Begräbnis Beerenbaums. Da sie ab- sächlich um eine Menge Zeit handelte, die sie so seits der Trauergemeinde steht und das Gesche- oder so verteilen könnte, bis sie aufgebraucht hen im Kopf erneut aufrollt, entsteht der Effekt ei- war, oder ob sie die Zeit als einen Raum anse- nes Zeitvakuums. Um das zurückliegende hen wollte, der angefüllt wurde mit Ereignissen Hauptgeschehen, die Tötung des Ex-Parteifunk- und Gedanken. Sinnvoller wäre es, dachte sie, tionärs, zu schildern, setzt Maron die cineasti- die Zeit als einen bemessenen Raum zu betrach- sche Technik der Rückblende ein: „Die Schnitte ten, in dem sie die Erlebnisse sammeln wollte in der Geschichte oder in den Geschichten glau- wie Bücher in einer Bibliothek der jederzeit zu- be ich, könnte man einem nicht filmgeschulten gängliche und abrufbare Erinnerung. Eine einzig- Publikum oft gar nicht zumuten. Aber das, denke artige Möglichkeit, nie mehr etwas hinter sich ich, wissen die Leute einfach inzwischen, das ist

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ihre Art der Wahrnehmung geworden, dass man inzwischen abhanden gekommen, auch weil ich hart schneiden kann, und woanders geht die Ge- gedacht habe, ich kann das gar nicht. Es gibt ja schichte weiter.“ so verschiedene Phasen im Leben und ich habe nachträglich als die schwierigste, riskanteste und So sind wechselnde Erzählperspektiven, Manipu- gefährdetste den Berufsanfang in Erinnerung. lationen der Zeitstruktur und Schnitte im Erzähl- Damals, als ich mein erstes Buch schrieb, hatte verlauf zentrale Stilmittel, über die Maron den ich einen Freund, der schrieb auch Bücher. Und Befund eines nicht-lebbaren Lebens ästhetisch den habe ich bei ganz einfachen handwerklichen verarbeitet. Dingen immer angerufen. Ich wusste eben nicht, was ich mit drei Leuten am Tisch anfangen soll- 3. Konfusion in Sprache gefasst - Schreiban- te. Ich wusste, was zwei am Tisch machen und lass und Schreibprozess bei drei dachte ich: wie handhabt man das?“

Den Wunsch zu schreiben, verspürte Monika Die abwägende, tastende und immer risikoberei- Maron früh. Was ihn auslöste, ist letztlich auch te Arbeitsweise hat auch die mittlerweile aner- für sie selbst nicht wirklich erklärbar. Einen mögli- kannte und mit zahlreichen Preisen bedachte chen Anlass sieht sie im Versuch, das Chaos des Autorin nach bislang sieben erfolgreichen Roma- Lebens und die Flut zwiespältiger Erfahrungen nen beibehalten. Noch heute pflegt sie einen of- durch die literarische Gestaltung zu bannen. fenen Schreibprozess, dessen stets vorläufige „Vielleicht ist es eine frühe Erfahrung, dass et- Ergebnisse sie immer wieder aufs Neue prüft und verwirft. Patentrezepte oder die Wiederho- lung bewährter Kniffe haben dabei keinen Platz. Häufig endet die Arbeit an einem Kapitel mit ei- ner Art Bestandsaufnahme, bei der sie alles nochmals grundsätzlich in Frage stellt. Dieses aufwändige, äußerst reflektierte Herangehen charakterisierte auch die Entstehung des Ro- mans „Endmoränen“: „Es was ein Tief am ande- ren. Ich schreibe ja relativ konzeptlos, insofern als ich keinen Plan habe für dieses und jenes Kapitel. Sondern ich habe so das Gefühl, ich habe einen Schneeball und muss daraus eine was, über das man sprechen will oder kann, sich große Schneekugel machen und eine Schicht einem Stück Papier anvertrauen lässt, und dass muss immer ordentlich über die vorige.“ Konfusion, in Sprache gefasst, Gestalt annimmt; dass also etwas, das als Zuviel, als störender Form als Krisenerfahrung Überschuss an der eigenen Person empfunden wird, sich plötzlich als sinnstiftende Möglichkeit Damit stellt sich nicht zuletzt das Formproblem offenbart. Und wenn eine solche Erfahrung mit immer wieder neu. „Von meinen Büchern habe dem Lesen einhergeht und eines Tages der Blick ich, während ich schreibe, eher eine räumliche, auf das eigene Leben darin nach einer Form geometrische Vorstellung als ein in literarischen sucht, nach einer erzählbaren Form, kann der Wunsch entstehen, den unzähligen Büchern ein eigenes hinzuzufügen.“ ( „Wie ich ein Buch nicht schreiben kann und es trotzdem versuche“, S. 6f.)

Schreiben ist auch eine Frage des Handwerks

Trotz des ausgeprägten Schreibdrangs ging und geht ihr das Werk nicht leicht von der Hand. Vor allem am Anfang ihrer Karriere sah sich Monika Maron mit zahlreichen, damals überwiegend Kriterien benennbares Konzept. „Pawels Briefe“, handwerklichen Problemen konfrontiert: „Als ich die Geschichte meiner Familie durch das vorige ganz jung war, wollte ich sowieso unbedingt Jahrhundert, montiert aus Briefen, Erinnerungen Schriftstellerin werden. Das hielt ich für die er- meiner Mutter, eigenem Erleben, Mutmaßungen strebenswerteste Form der Existenz. Das ist mir und Leerstellen, erschien mir, sobald ich ver-

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suchte, mir das ganze Gebilde vorzustellen, als sen, ob ich kann, was ich mir vorgenommen eine aus vielen Plättchen zusammengesetzte habe, scheint überhaupt zu den wichtigsten Vor- Kugel, die wenn mir etwas misslungen oder aus aussetzungen des Schreibens zu gehören, je- dem Gleichgewicht geraten war, Beulen bekam denfalls für mich. So habe ich mein erstes Buch oder ihre Rundungen verlor. Als poetisches Kon- geschrieben, das Gelächter meiner ehemaligen zept ist das wahrscheinlich schwer zu vermitteln, Kollegen von der Zeitung im Rücken – ihre Ant- zumal andere Bücher andere Formen haben.“ wort auf meine Ankündigung, ich wollte nun („Wie ich ein Buch nicht schreiben kann und es einen Roman schreiben. Wenn die Zweifel nach- trotzdem versuche“, S. 80-82.) lassen, muss man sie eben durch Selbstzweifel ersetzen, um das nötige Maß an Nervosität, Ge- So bleibt die Neugierde auf bislang nicht gewag- reiztheit und Ehrgeiz in sich zu wecken.“ („Wie te, nicht erwogene oder noch nicht gefundene ich ein Buch nicht schreiben kann und es trotz- Möglichkeiten ein wesentlicher Schreibimpuls: dem versuche“, S. 92 und 94f.) Der eigentliche Motor des Schreibens ist das Schreiben selbst. Diese gespannte Neugierde Der Schreiballtag selbst gestaltet sich äußerst markiert auch den Beginn der Arbeit am Roman diszipliniert. Maron hält einen geregelten Arbeits- „Ach Glück“: „Je länger ich darüber nachdachte, tag ein und versucht, ein vorgegebenes Pensum womit ich mich in den folgenden zwei oder drei zu bewältigen. Die Regelmäßigkeit ist umso Jahren beschäftigen wollte, umso sicherer schi- en mir, dass ich dringlicher als alles andere wis- sen wollte, was Johanna, nachdem sie aus den Endmoränen in die Stadt zurückgekehrt ist, tut. […] Ich wollte nicht ein Buch schreiben, weil ich eine mitteilenswerte Geschichte kannte, sondern weil ich herausfinden wollte, wie die Geschichte, die ich in die Welt gesetzt hatte, weitergeht.“ („Wie ich ein Buch nicht schreiben kann und es trotzdem versuche“, S. 9.)

Am Widerstand reifen wichtiger, als sie im Schreibprozess immer wie- Die produktive Auseinandersetzung mit Wider- der neu ansetzt und das Buch gewissermaßen ständen und die Lust am Überwinden dieser Wi- immer wieder von vorne beginnt. Dieses retar- derstände ist vielleicht die letzte, eigentliche dierende Moment, verbunden mit einem ständi- Triebfeder des Schreibens. Wie dieser Motor gen Hinterfragen des bereits Verfassten, wirkt funktioniert, beschreibt Maron ebenfalls in ihrem nicht selten schreibhemmend. Drohen Blocka- Werkstattbericht. Auch als sie sich nach langem den, hilft nur eins: „Irgendwie sitzen bleiben. Eben nicht ablenken und irgend etwas Anderes tun, sondern sitzen bleiben und versuchen, die Tür zu finden, durch die man raus kann.“

Kollegiale Schulterschlüsse

Wertvolle Anregungen für den eigenen und vor allem für den ins Stocken geratenen Schreibpro- zess sucht und findet Maron häufig bei anderen Autoren. Die "gelebte" Intertextualität mündet je- doch nicht in platt-direkte Übernahmen. Die Aus- einandersetzung mit den Büchern anderer Auto- Überlegen dazu entschieden hat, eine männliche ren liefert vielmehr Denkstöße für eine produkti- Figur als Erzählerinstanz einzusetzen, bleiben ve Anverwandlung: „Eine Autorin, die erst jetzt Zweifel, ob sie die Herausforderung bewältigt. überhaupt erst gelesen habe, und die ich ganz Aber trotzdem und gerade deshalb entschließt wunderbar finde, und wo ich auch weiß, dass ich sie sich wie immer, das selbstgestellte Wagnis bei der schon gucke, wie macht die das, das ist einzugehen: „Natürlich bin ich mir nicht sicher, die Alice Monroe. Das begegnet einem immer dass es mir tatsächlich gelingt, ein männliches wieder. Für mich war Beckett, was man vielleicht Ich durch einen Roman zu führen, aber ich habe in meinen Texten gar nicht wiederfindet, ein sehr allergrößte Lust, es zu versuchen. Nicht zu wis- wichtiger Autor. Wo ich manchmal beim Schrei-

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ben, wenn ich nicht weiter wusste, eine Seite Im Mai 1978 beendet Moniak Maron ihre Tätig- aufgeschlagen habe und einen Ton gesucht keit für das MfS. Sie wird nun selbst observiert habe. Und trotzdem ist es ja Quatsch, zu su- und ab Juni 1978 als "feindliche Person" unter chen, wo schreibt sie wie Beckett, oder so. Und dem Decknamen "Wildsau" geführt. Was sie trotzdem weiß ich, dass ich von da irgendwas für dazu bewog, für die Stasi zu arbeiten, bleibt trotz mich habe übersetzen können.“ des Versuchs einer Aufarbeitung im Roman „Pa- wels Briefe“ dunkel. In einem Interview spricht Maron über die Gründe für diesen Schritt: Das ist 4. Monika Maron: Leben und Werk so schwer rekonstruierbar, weil ja alles unver- nünftig war. Ich fand das irgendwie spannend, Monika Eva Maron wird am 3. Juni 1941 in Ber- ich war neugierig, ich wollte wissen, was da lin-Neukölln geboren. Ihre Mutter Hella löst die kommt. Und es war nicht die Spitzel-Abteilung Verbindung zu Monikas leiblichem Vater und hei- von Mielke, die sich für mich interessierte, son- ratet den überzeugten Kommunisten Karl Maron. dern der als intelligent geltende Spionage-Dienst 1951 übersiedelt die Familie von West- nach Ost- von Markus Wolf. [...] Mit der Stasi habe ich den . Kontakt nach acht Monaten abgebrochen, ohne Der Stiefvater wird aktives SED-Mitglied, später etwas getan zu haben, das ich mir vorwerfen Generalinspekteur der Volkspolizei und ist von müsste. Mein Stasikontakt hat sich erst als un- 1955 bis 1963 Innenminister der DDR. korrigierbarer Fehler erwiesen, als der "Spiegel" daraus einen Skandal fabrizierte.“ Monika Maron wird Mitglied der FDJ, später tritt 1981 erscheint ihr erster Roman „Flugasche", in sie in die SED ein. Im Nachhinein wertet Maron dem sie offen gegen die Umweltverschmutzung die Parteimitgliedschaft als großen Fehler, der im Chemierevier anschreibt. sünden angepran- ihre Lebensentscheidungen für zwölf Jahre mit- gert wurden. Das Buch darf in der DDR nicht ver- bestimmte: „Ich bin erst ausgetreten, als ich frei- öffentlicht werden und erscheint, wie fortan ihr beruflich war und der Austritt nicht mehr die Be- Gesamtwerk, bei S. Fischer in Franfurt. Aufgrund endigung meiner materiellen Existenz bedeutete.“ des kritischen Inhalts distanziert sich die Mutter von ihrer Tochter. 1959 legt sie das Abitur ab und arbeitet anschlie- ßend ein Jahr lang als Fräserin in einem Flug- 1982 erscheint „Das Missverständnis, eine zeugwerk bei Dresden. Sammlung von Parabeln, Kurzgeschichten und dramatischen Szenen. Ab 1960 studiert sie Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte in Ost-Berlin. 1986 erscheint "Die Überläuferin".

Nach dem Studium arbeitet Maron als Regieas- Im Juni 1988 verlässt Maron die DDR mit einem sistentin beim Fernsehen und als wissenschaftli- Dreihjahresvisum, nachdem sie sich schon vor- che Aspirantin an der Schauspielschule in Berlin her mehrfach im Ausland aufgehalten hatte und tätig. trotz des Publikationsverbots und einer zuneh- menden inneren Entfremdung immer wieder zu- Anschließend arbeitet sie sechs Jahre als Repor- rückgekehrt war. terin, zunächst bei der Frauenzeitschrift "Für Dich", dann bei der "Wochenpost". Von 1988 bis 1992 lebt sie in .

Seit 1976 lebt sie als freie Schriftstellerin. 1991 erscheint der Roman "Stille Zeile Sechs", der einen Generationenkonflikt in der DDR aufar- Von Oktober 1977 bis Mai 1978 ist Monika Ma- beitet. Auf der einen Seite steht der Altkommu- ron unter dem Decknamen „Mitsu“ für das "Minis- nist, Emigrant und spätere Spitzenfunktionär terium für Staatssicherheit" der DDR tätig. Beerenbaum mit seinem Antifaschisten- und Auf- Nach eigenen Angaben fertigt sie lediglich zwei baupathos, auf der anderen die Dissidentin und Berichte über ihre Eindrücke während eines Zweiflerin Rosalind Polkowski, die seine Memoi- West-Berlin-Aufenthaltes an. ren nach Diktat schreiben soll und schließlich Die Berichte gehen hart mit der Wirklichkeit des nicht mehr kann, als die Mauer als "antifaschisti- sozialistischen Alltags und den staatlichen Me- scher Schutzwall" gepriesen wird. chanismen zu Gericht. "Ich empfand, um wie viel Möglichkeiten und Gefühle, die wir in uns haben, 1992 übersiedelt Monika Maron nach Berlin- wir betrogen werden", lässt sie das Amt wissen. Schöneberg, wo sie seither lebt.

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Im Sommer 1995 deckt der Spiegel ihre Sta- deutschen Verhältnis pointiert Stellung beziehen. si-Aktivitäten auf. Als Gegenreaktion veröffent- licht Monika Maron die beiden von ihr geschrie- Werke (Stand: September 2012) benen Stasi-Berichte in der Frankfurter Allgemei- nen Zeitung. Sie tragen einen ausgesprochen Romane DDR-kritischen Charakter. "Flugasche", 1981 "Die Überläuferin", 1986 1996 erscheint "Animal triste". Der Roman er- "Stille Zeile Sechs", 1991 zählt aus der Sicht einer alten, freiwillig von der "Animal triste", 1996 Außenwelt abgeschlossen lebenden Frau die Er- "Pawels Briefe. Eine Familiengeschichte", 1999 innerungen an ihre Liebe zu einem verheirateten, "Endmoränen", 2002 aus dem Westen kommenden Forscher. "Ach Glück", 2007

1999 folgt "Pawels Briefe". In diesem Buch spürt Erzählungen sie anhand von wiedergefundenen Briefen und "Das Missverständnis", 1982 Zeugen wie der eigenen Mutter der Geschichte ihrer konvertierten jüdisch-polnischen Großeltern Theaterarbeiten Josefa und Pawel Iglarz nach und setzt darüber "Ada und Evald", 1983 hinaus mit der eigenen Stasi-Verstrickung aus- einander. Essays / Artikel "Nach Maßgabe meiner Begreifungskraft", 1993 2002 erscheint „Endmoränen“. Protagonistin ist "quer über die Gleise. Essays, Artikel, die alternde Johanna, mithin erneut eine weibli- Zwischenrufe", 2000 che Ich-Erzählerin, die sich in ein kleines Dorf zu- "Geburtsort Berlin", 2003 rückzieht und nach Orientierung für die "öde lan- "Wie ich ein Buch nicht schreiben kann und es ge Restzeit" ihres Lebens sucht. Während sie an trotzdem versuche", 2005 der Biographie einer preußischen Mätresse "Bitterfelder Bogen. Ein Bericht", 2009 schreibt, erinnert sie sich der vergangenen Ver- "Zwei Brüder. Gedanken zur Einheit 1989 bis läufe ihres eigenen Lebens, seiner entgangenen 2009", 2010 Möglichkeiten und fehlgeschlagenen Wege. Preise / Auszeichnungen 2005 erscheint der Werkstattbericht "Wie ich ein Irmgard-Heilmann-Literaturpreis 1990 Buch nicht schreiben kann und es trotzdem ver- Brüder-Grimm-Preis der Stadt Hanau 1991 suche", in dem Maron ihre Arbeit am Roman Kleist-Preis 1992 „Ach Glück“ beschreibt. Solothurner Literaturpreis 1994 Roswitha-Gedenkmedaille der Stadt Bad 2007 erscheint "Ach Glück", ein Roman über Gandersheim 1994 Eheermüdung und Altersresignation. Die Prota- Buchpreis des Deutschen Verbandes gnostin ist wiederum Johanna, die nun einer grei- evangelischer Büchereien 1995 sen exilrussischen Aristokratin nach Mexiko folgt, Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg um den "Ausbruch aus der Nichtigkeit des Im- 2003 mergleichen" zu wagen und nach der legendären Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland- surrealistischen Künstlerin Leonora Carrington Pfalz 2003 zu fahnden, während sie zugleich ihren Mann Stiftungsgastdozentur Poetik an der Universität Achim, einen im Dienst der Kleist-Forschung er- Frankfurt/M. 2005 grauten Germanisten, verstört und ziellos in Ber- Mainzer Stadtschreiberin 2009 lin zurücklässt. Deutscher Nationalpreis 2009 Humanismus-Preis des Deutschen Neben ihren Romanen veröffentlicht sie Artikel Altphilologenverbandes 2010 und Essays, die zu politischen, gesellschaftlichen Lessing-Preis des Freistaates Sachsen 2011 und kulturellen Problemen sowohl der gesamt- deutschen Gegenwart als auch der ostdeutschen Monika Maron ist Mitglied des PEN-Zentrums Vergangenheit und insbesondere zum deutsch- Deutschland

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Didaktische Hinweise

Die Sendung ist für den Einsatz im Deutschunterricht ab der 9. Jahrgangsstufe geeignet.

Lehrplanbezüge

Hauptschule

9. Jgst. Deutsch 9.2.3 Zugang zu literarischen Texten finden - Handlungen und Handlungsmotive, Charaktereigenschaften und menschliche Grundsituationen, z. B. Heimat und Heimatlosigkeit, Liebe und Krankheit möglichst selbstständig erkennen, belegen, werten und auf unterschiedliche Arten darstellen - Informationen zum Autor und zur Entstehungszeit des Textes für das Verständnis heranziehen - wesentliche textsortentypische sprachliche Mittel erkennen, untersuchen und ihre Wirkung erfahren, z. B. sprachliche Bilder erklären und zeichnerisch umsetzen 9.2.4 Jugendbücher kennen lernen, lesen und vorstellen - Jugendbücher als Klassen- oder Gruppenlektüre lesen - den Inhalt des ausgewählten Buches erschließen, z. B. Monologe und Dialoge von Haupt- oder Nebenpersonen erfinden und spielen, Werbeplakat für ein Buch erstellen

Realschule

9. Jgst. Deutsch 9.4 Mit Texten und Medien umgehen Die Schüler lernen exemplarisch weitere Autoren und Autorinnen sowie Werke der literarischen Tradition kennen und gewinnen auch durch vergleichende Untersuchung Einblick in unterschiedliche Wert- und Lebensvorstellungen und deren künstlerische Umsetzung. Texte erschließen (jahrgangsstufengemäß anspruchsvoller) - Methoden der Texterschließung kennen und an Sachtexten und literarischen Texten anwenden - Inhalt und wesentliche Merkmale von Texten zunehmend selbstständig erschließen - sich kritisch zu Texten äußern, z. B. zu Inhalt, Sprache, Aufmachung Offenheit und Interesse für Texte entwicklen - auf Bücher, z. B. mit fächerübergreifenden Themenstellungen, hinweisen - unterschiedliche literarische Aussagen zu einem Thema oder Problem, möglichst auch zum pädagogischen Leitthema, vergleichen

10. Jgst. Deutsch 10.3 Sprache untersuchen und grammatische Strukturen beherrschen Sprachliche Darstellungsweisen vergleichen, beschreiben und bewerten - die erworbenen Fachbegriffe zusammenfassend wiederholen und für die Beschreibung von Texten gezielt einsetzen - die auffällige Häufung von Wortarten in Texten erkennen und in ihrer Wirkung beschreiben und beurteilen - Absicht und Wirkung verschiedener Satzstrukturen erkennen und beschreiben Vielfalt und Wandel der Sprache untersuchen und bewusst nutzen 10.4 Mit Texten und Medien umgehen Die Schüler wenden Verfahren zur Texterschließung selbstständig und variabel an. Texte erschließen (jahrgangsstufengemäß anspruchsvoller) - Methoden der Texterschließung an Sachtexten und literarischen Texten sicher anwenden - Inhalt und wesentliche Merkmale von Texten selbstständig erschließen - sich kritisch zu Texten äußern, z. B. zu Inhalt, Sprache, Aufmachung Offenheit und Interesse für Texte weiterentwickeln - zeitgenössische Bestseller, auch von ausländischen Autorinnen und Autoren, vorstellen, den literarischen Markt und seine Mechanismen hinterfragen und über Gründe für Erfolge sprechen

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- unterschiedliche literarische Aussagen zu einem Thema oder Problem, möglichst auch zum pädagogischen Leitthema, vergleichen - den kreativen Umgang mit literarischen Texten weiterentwickeln Einblick in die Literaturgeschichte und in aktuelle literarische Entwicklungen gewinnen - Werke z. B. von , und mindestens einer weiteren Autorin oder einem weiteren Autor der Gegenwart in Auszügen und Inhaltszusammenfassungen oder als Ganzschriften

Gymnasium

9. Jgst. Deutsch 9.4 Sich mit Literatur und Sachtexten auseinandersetzen Ihre Lesefertigkeit und Leseerfahrung vertiefen die Schüler, indem sie sich mit Sachtexten sowie mit literarischen Texten vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart beschäftigen. Die thematische Betrachtungsweise führen sie unter Ausweitung der Erschließungsverfahren fort. Dabei setzen sie sich mit den dargestellten Themen auseinander, erweitern ihre eigenen Erfahrungen und überprüfen ihre Werthaltungen. Sie gewinnen ein differenzierteres Verständnis für die Darstellung literarischer Stoffe und Figuren, sodass ihre Wahrnehmung und ihre Sensibilität für unterschiedliche Positionen, Verhaltensweisen und Lebensentwürfe geschärft werden. - Lesen und Verstehen exemplarischer Texte der Literatur vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart in ausgewählten Themenkreisen - Erweitern der Leseerfahrungen und Erschließungskategorien bei der Lektüre von poetischen Texten: Thema, Problemgehalt sowie Formen des Aufbaus und deren Funktion untersuchen; sprachliche Gestaltung und deren Wirkung anhand stilistischer Figuren und grammatischer Kategorien erfassen, Zeitbezug und biographische Informationen berücksichtigen; Handlungen, Verhaltensweisen und Verhaltensmotive bewerten - Berücksichtigen von Gattungsmerkmalen und gattungsspezifischen Gestaltungsmitteln beim Erschließen: Erzählverhalten und seine Funktion herausarbeiten; Novelle und Kurzgeschichte unterscheiden; den Konflikt und seine dramatische Gestaltung untersuchen; Figuren, Figurenkonstellation und Redeformen analysieren; die inhaltliche und formale Gestaltung von Lyrik und ihre Funktion erkennen Im Rahmen eines breit gefächerten Lektüreangebots sind mindestens zwei Ganzschriften angemessenen Umfangs zu lesen und im Unterricht zu behandeln.

10. Jgst. Deutsch 10.4 Sich mit Literatur und Sachtexten auseinandersetzen Die Beschäftigung mit Werken des oder der Aufklärung sowie der Gegenwart, auch im thematischen Vergleich, führt zur Auseinandersetzung mit den dargestellten Lebensentwürfen und Weltbildern. Die Schüler entwickeln ein vertieftes und differenziertes Verständnis für Figuren, Themen und Probleme auch dadurch, dass sie die Werke in ihren literaturgeschichtlichen Zusammenhängen sehen und unter ästhetischen Gesichtspunkten bewerten. Interpretationsansätze entwickeln sie zunehmend selbständig. - Lesen und Verstehen exemplarischer Texte des Sturm und Drang oder der Aufklärung sowie der Gegenwart - Anwenden allgemeiner Erschließungskategorien für poetische Texte: Problemstellung, Zeitbezug, leitende Ideen, epochentypische Merkmale sowie biographische Bezüge erarbeiten und für das Textverständnis fruchtbar machen - Kennen und Anwenden gattungsspezifischer Gestaltungsmittel für die Erschließung: Dialogführung, Konzeption, Darstellung und Funktion der Figuren, Raum- und Zeitgestaltung sowie Erzähltechnik; längere Erzählung und Roman unterscheiden - Auseinandersetzung mit Texten: begründet zu den dargestellten Themen, Problemen und der zum Ausdruck kommenden Weltsicht Stellung beziehen, eigene Werthaltungen überprüfen

Im Rahmen eines breit gefächerten Lektüreangebots sind mindestens ein Werk des Sturm und Drang oder der Aufklärung sowie ein Werk der Gegenwartsliteratur als Ganzschrift zu lesen und im Unterricht zu behandeln.

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12. Jgst. Deutsch 12.4 Sich mit Literatur und Sachtexten auseinandersetzen Die Schüler beschäftigen sich vor allem mit Werken des 20. Jahrhunderts wie der unmittelbaren Gegenwart und verstehen sie aus ihrem jeweiligen politischen, gesellschaftlichen und geistigen Umfeld, aber auch aus ihrem motivlichen und gattungspoetischen Hintergrund. Sie setzen sich mit den gewandelten Voraussetzungen für Menschenbild und Welterfahrung und der Entwicklung neuer Formen ebenso auseinander wie mit dem Problemgehalt der gestalteten Stoffe; sie erwerben sich, auch zum Aufbau eines Orientierungswissens, einen Überblick über literarische Strömungen und Tendenzen, werden zu individuellem Lesen angeregt und machen eigene ästhetische Erfahrungen. Literatur seit 1945 - Begreifen der literarischen Entwicklung nach 1945: Zusammenhänge zwischen Literatur und Politik, unterschiedliche Schreibweisen und poetologische Konzepte - Kennen und Interpretieren bedeutender literarischer Werke: nachgeholte Rezeption moderner Formen und Schreibweisen, Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in Ost- und Westdeutschland, Politisierung, neue Subjektivität, postmodernes Erzählen - Überblick über literarische Tendenzen: engagierte Literatur, hermetische Lyrik, Theater des Absurden, Literatur in der DDR, Postmoderne, Entwicklungen in der Gegenwartsliteratur Im Rahmen eines breit gefächerten Lektüreangebots sind mindestens ein repräsentativer Roman aus dem 20. bzw. dem beginnenden 21. Jahrhundert sowie ein Werk der Literatur nach 1945 als Ganzschrift zu lesen und im Unterricht zu behandeln.

Lernziele

Die Schülerinnen und Schüler sollen:

• Monika Maron als bedeutende deutsche Autorin der Gegenwart und ihr Werk in Grundzügen kennen lernen, • wesentliche stilistische Eigenheiten und narrative Strategien der Autorin in Grundzügen erfassen und benennen können, • Informationen zum Autor und zur Entstehungszeit des Textes für das Verständnis heranziehen können, • Hilfestellungen für das eigene Erkunden, Befragen und Einordnen von Literatur erhalten, • geeignete Fragestellungen und ein altersgemäßes begriffliches Rüstzeug für den Umgang mit Literatur entwickeln, • allgemeine Erschließungskategorien für poetische Texte (Problemstellung, Zeitbezug, leitende Ideen, epochentypische Merkmale sowie biographische Bezüge) erarbeiten und für das Textverständnis fruchtbar machen, • ein differenzierteres Verständnis für die Darstellung literarischer Stoffe und Figuren gewinnen und ihre Wahrnehmung und ihre Sensibilität für unterschiedliche Positionen, Verhaltensweisen und Lebensentwürfe schärfen, • eigene Leseerfahrungen und Werturteile formulieren präzisieren und untereinander austauschen können, • zum eigenständigen Lesen und zur eigenständigen kritischen Lektüre angeregt werden.

Anregungen

Ohne Grundkenntnisse der deutsch-deutschen Geschichte, insbesondere des totalitären DDR-Staats- und Zensurapparates, sind die inhaltlichen und stilistischen Eigenheiten der Romane Monika Marons nur schwer verständlich.

Es erscheint daher geboten, die nötigen Kenntnisse vor der gemeinsamen Betrachtung des Films zu vermitteln. Das erforderliche Wissen könnte entweder im Rahmen einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit dem Fach Geschichte oder durch Kurzreferate bzw. entsprechende Lehrervorträge grundgelegt werden.

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Um ein Verständnis der historischen Gegebenheiten sicherzustellen, sollten nach der gemeinsamen Filmbetrachtung zunächst offene Fragen geklärt werden.

Aufgrund der gedrängten filmischen Darstellung scheint es zudem angebracht, dass wesentliche Fragestellungen bereits vor der gemeinsamen Filmsichtung formuliert, als Beobachtungsaufgaben an die zuständigen Gruppen verteilt und im Anschluss aufgearbeitet werden. Zentrale Gesichtspunkte wären etwa: • Lebenslauf des Autors oder der Autorin • Wie ist der Schreibprozess organisiert, wodurch wird er angestoßen, was fördert, was hemmt ihn? • Welche Vorüberlegungen gehen dem Schreiben voraus? • Wie wichtig ist der erste Satz eines Romans? • Wie sind Leben und Werk, wie sind Dichtung und Realität verzahnt? • Was macht den individuellen Schreibstil aus, wodurch und warum entsteht der unverwechselbare Ton eines Autors? • Was tun bei Schreibblockaden?

Je nach vorhandenen Vorkenntnissen empfiehlt sich unter Umständen auch eine kurze vorbereitende Wiederholung zentraler Begriffe der Narrativik (z.B. Erzählperspektiven, Erzählhaltungen, Zeitstrukturen) in Form knapper Referate oder als Lehrervortrag.

Als weitere Gesichtspunkte der Behandlung im Unterricht bieten sich an: • die Problematisierung der Entstehung literarischer Arbeiten • die Bewusstmachung intertextueller Vorgehensweisendie Übernahme filmischer Erzählweisen als charakteristisches Stilmittel moderner Literatur

Für eine Einübung in die kritische Literaturbetrachtung und den Umgang mit Buchbesprechungen bieten die Rezensionsplattform oder etwa die Leserkritiken auf reiches Material.

Da die wenigsten Schülerinnen und Schüler die im Beitrag vorgestellten Bücher kennen dürften, eignen sich die genannten Online-Angebote zugleich dafür, knappe Inhaltsangaben entweder gemeinsam in der Klasse oder in Form einer Hausaufgabe erstellen zu lassen. Der Filmbeitrag behandelt schwerpunktmäßig die Romane: • Flugasche • Die Überläuferin • Stille Zeile Sechs • Animal triste

Sofern die Klasse mehrere Sendefolgen bearbeitet, ergibt sich die Möglichkeit des kontrastiven Vergleichs der unterschiedlichen Biografien, Arbeitstechniken und narrativen Strategien.

Arbeitsaufträge

Vor der gemeinsamen Filmbetrachtung vergibt die Lehrkraft konkrete arbeitsteilige Beobachtungsaufgaben. Die Gruppen bearbeiten folgende Fragestellungen: • Wer ist Monika Maron, wo ist sie aufgewachsen, wo lebt sie, was sind wichtige Stadien ihrer Biografie? • Wie organisiert Monika Maron ihren Schreibprozess, wodurch wird er angestoßen, was fördert, was hemmt ihn? • Welche Vorüberlegungen gehen dem Schreiben voraus? • Wie wichtig ist der erste Satz eines Romans? • Wie spiegelt sich ihr Leben in den Büchern wider? • Was macht ihren individuellen Schreibstil aus, wodurch und wie entsteht das, was sie als den eigenen Ton eines Buchs bezeichnet? • Was tut Monika Maron bei Schreibblockaden?

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Die Beobachtungen werden im Plenum ausgewertet und anschließend gesichert.

Im Rahmen einer handlungsorientierten Weiterführung des Themas führen die Schülerinnen und Schüler ein imaginäres Interview mit Monika Maron durch. Die Fragen werden in Gruppenarbeit erstellt und anschließend in der Klasse durchgespielt. Den Part der Autorin kann dabei entweder ein Schüler oder die Lehrkraft übernehmen.

Im Zuge des kreativen Schreibens versuchen die Schülerinnen und Schüler, die im Film vorgestellten narrativen Strategien auf eigene Texte zu übertragen.

Für eine Einübung in die kritische Literaturbetrachtung und den Umgang mit Buchbesprechungen bieten die Rezensionsplattform oder etwa die Leserkritiken auf reiches Material. Falls eines der Bücher Monika Marons im Unterricht gelesen wird, können die Schülerinnen und Schüler versuchen, eine eigene kurze Besprechung zu verfassen.

Zusätzliche Beobachtungsaufgaben

• Mit welchen Schwierigkeiten hatte Monika bei den Vorarbeiten zum Roman „Endmoränen“ zu kämpfen – wonach suchte sie in einem Buch der Autorin Natalia Ginzburg • Welche Probleme hatte Monika Maron am Beginn ihres Schriftstellerlebens? • Welche Vorstellungen leiten Monika Maron beim Schreiben? • Wie lässt sich Monika Maron beim Schreiben durch andere Autoren anregen, welche Impulse zieht sie aus der Lektüre? • Welche filmischen Erzähltechniken setzt Monika Maron bisweilen beim Schreiben ein und wie begründet sie die Wirksamkeit dieses Verfahrens? • Was bezeichnet Monika Maron als den „richtigen“ Ton“ und wie hat sie ihn für das Buch „Animal triste“ schließlich gefunden?

Literaturhinweise

Das Gesamtwerk Monika Marons erscheint im Fischer-Verlag. Informationen unter: http://www.fi- scherverlage.de/autor/Monika_Maron/3516

Monika Maron: Wie ich ein Buch nicht schreiben kann und es trotzdem versuche. Frankfurt am Main [Fischer Taschenbuch Verlag] 2006.

Katharina Boll: Erinnerung und Reflexion: Retrospektive Lebenskonstruktionen im Prosawerk Monika Marons. Würzburg [Königshausen & Neumann] 2002.

Elke Gilson (Hrsg.): Doch das Paradies ist verriegelt...“. Zum Werk von Monika Maron. Frankfurt am Main [Fischer] 2006. I

Hsin Chou: Von der Differenz zur Alterität. Das Verhältnis zum Anderen in der Fortschreibung von Identitätssuche in den Romanen Die Überläuferin und Stille Zeile sechs von Moni- ka Maron. Eine 2006 vorgelegte Dissertation mit umfangreichen Werkanalysen als elektronisch ver- fügbarer Gesamttext. http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/2611/pdf/Dissertation_Hsin_Chou_September_2006.pdf

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