Irina Neszeri, 05.07.2010

DIE LINKE im Mediendiskurs zur Wahl des Bundespräsidenten

Die Wahl des Bundespräsidenten stellt im Sommer 2010 ein bedeutendes Diskursereignis dar. Es ist über mehrere Wochen hinweg das zweit wichtigste Medienthema nach der Fußball Weltmeisterschaft.

Die Daten der Veröffentlichung der politischen Entscheidungen

Seit dem Rücktritt Horst Köhlers nach seiner umstrittenen Äußerung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan am 31.05.2010 beherrscht das Thema „Wahl des Bundespräsidenten“ einen erheblichen Teil der bundesdeutschen Presse.

Am 3. Juni wurde die Kandidatur Joachim Gaucks für SPD und Grüne und die Entscheidung der schwarz-gelben Regierungsmehrheit für Christian Wulff bekannt.

Am 8. Juni veröffentlichte DIE LINKE, dass sie Luc Jochimsen als Kandidatin aufstelle.

Am 30. Juni wurde Christian Wulff im dritten Wahlgang mit der absoluten Mehrheit der Stimmen in der Bundesversammlung gewählt. Im ersten und zweiten Wahlgang hatte DIE LINKE ihre eigene Kandidatin unterstützt, diese dann zum dritten Wahlgang zurückgezogen und die Abstimmung frei gegeben. Die Mehrheit der LINKEN Mitglieder der Bundesversammlung im dritten Wahlgang dürften zu den 121 Enthaltungen gehört haben.

Diskursfragmente (Medientexte) zum Diskursereignis Präsidentenwahl

Am Tag der Nominierung Gaucks lautete das öffentlich wahrnehmbare Argument DER LINKEN zunächst, „Gauck sei aus Sicht der Linken auch nicht der geeignete Kandidat, um in der jetzigen Situation die richtigen Impulse zu geben. Die Linke wurde laut Ernst weder von der SPD noch von den Grünen vorab über die Nominierung Gaucks informiert .“ (Zitat in Berliner Morgenpost, 4.6.2010 )

Ebenfalls am 4.6.2010 , dem Tag nach der Bekanntgabe der Kandidaturen Wulffs und Gaucks, erklärten die Parteivorsitzenden der LINKEN, Ernst und Lötzsch, die Partei werde einen eigenen Kandidaten aufstellen.

Die öffentliche Botschaft der LINKEN vom 4.6.2010 lautete: „Wir tragen weder Wulff noch Gauck und werden einen eigenen Kandidaten aufstellen.“

Am 6./7. Juni kippte diese Botschaft durch die Veröffentlichung von Aussagen des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden in einem Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung. In den bundesweiten Mediendiskurs wurden die Äußerungen durch die Agentur ddp, die WELT und die Rheinische Post eingespeist.

In einer Pressemitteilung der Agentur ddp vom 6. Juni unter der Überschrift „Linke uneins über eigenen Präsidentschaftskandidaten“ wird Dietmar Bartschs zitiert: „Wir müssen alle Optionen sehr ernsthaft prüfen. Ob man einen eigenen Kandidaten ins Rennen schicke, sei offen. Da gehen die Meinungen auseinander. “ Unter der Überschrift „ Linke-Fraktionsvize Bartsch wirbt für Gauck“ zitiert RP-online Dietmar Bartsch am 7. Juni: Wenn der schwarz-gelbe Kandidat, Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), im ersten Wahlgang keine Mehrheit erhalte, "dann muss die Linke alles dafür tun, dass der Kandidat der Regierung keine Mehrheit bekommt. Dafür werde ich ab sofort werben" (aus „Linke-Fraktionsvize Bartsch wirbt für Gauck, RP-online, 07.06.2010).

Die öffentliche Botschaft der LINKEN vom 6./7.6.2010 lautete: „ Wir sind uneinig in der Frage einer eigenen Präsidentschaftskandidatur und halten die Option offen, Gauck nach dem ersten Wahlgang zu wählen.“

Mit der Aufstellung Luc Jochimsens zur eigenen Kandidatin am 8.6.2010 wurde auch inhaltliche Kritik an Gauck öffentlich wahrnehmbar: Klaus Ernst sagte in der Tagesschau, „er wünsche sich für das Bundespräsidentenamt einen Menschen mit Erfahrung in Sozial- und Wirtschaftspolitik. Joachim Gauck erfülle diese Ansprüche nicht.“ (tagesschau.de, 8.6.2010 )

Gregor Gysi nannte in seinem Interview in der „tageszeitung“ drei zentrale Gründe, warum Gauck für DIE LINKE grundsätzlich nicht wählbar sei: Dass Gauck sich zwar für Freiheit, nicht aber für soziale Gerechtigkeit einsetze, dass er die DDR mit dem Nationalsozialismus gleich setze und dass er den Afghanistankrieg befürworte. Gysi wörtlich: „Wenn wir Gauck wählen, muss ich in der Partei erklären, warum wir einen Kriegsbefürworter wählen . Selbst wenn mir das gelänge, würden die Medien schreiben, das sei alles nicht glaubwürdig.“ (vgl. Interview „Ich will nicht als Sozi sterben“ in der „tageszeitung“ vom 14.06.2010 )

Die öffentliche Botschaft der LINKEN vom 8.6.2010 bis zum 14.6.2010 lautete: „Wir haben grundsätzliche inhaltliche Kritik an Wulff und Gauck. Beide sind wir uns nicht wählbar, deshalb haben wir mit Luc Jochimsen eine eigene Kandidatin für eine friedliche, soziale Politik aufgestellt.“

Ab dem 15. Juni , einen Tag nach der Veröffentlichung der grundsätzlichen Stellungnahme Gregor Gysis in der taz, setzte sich mit einer Veröffentlichung bei spiegel-online wieder das Bild der Zerstrittenheit durch. Über drei Tage war über DIE LINKE flächendeckend in den bundesdeutschen Medien zu lesen, dass Dietmar Bartsch, Bodo Ramelow, die „ostdeutschen Landeschefs“ und „viele Abgeordnete“ der LINKEN die Wahl von Gauck nicht ausschließen wollen.

Spiegel-online vom 15. Juni: "Es geht dann nicht nur um die Frage, ob Wulff Bundespräsident wird. Es geht dann auch um die Frage, ob Bundeskanzlerin gescheitert ist", sagte Ramelow SPIEGEL ONLINE.

Auf die Möglichkeit, der Bundesregierung mitten in ihrer Krise eine schwere politische Niederlage zuzufügen, hat auch Bundestagsfraktionsvizechef Dietmar Bartsch aufmerksam gemacht. Schon vor Tagen warb er für eine Wahl Gaucks, sollte Wulff im ersten Wahlgang keine Mehrheit bekommen : "Es geht darum, dass über diese Personalentscheidung Schwarz-Gelb stürzt", sagte er der "Welt".

[…] Dieses Modell hat in der Linksfraktion weitere Anhänger. Sie mögen darüber nur nicht offen sprechen, weil sie von Gysi zur Disziplin verdonnert wurden . Der Fraktionschef war nach Informationen von SPIEGEL ONLINE schwer verärgert, als er Berichte über Gauck-Gedankenspiele mancher Genossen las. An deren Meinung ändert das aber nichts: "In der Bundesversammlung könnten wir im dritten Wahlgang durch unser Abstimmungsverhalten unseren strategischen Horizont erweitern", sagt ein Parlamentarier SPIEGEL ONLINE.“

Ebenfalls am 15. Juni wurde über stern.de die grundsätzliche Kritik Oskar Lafontaines am Kandidaten Gauck publik gemacht: „Lafontaine hingegen hält den 70-jährigen Theologen aus Rostock nicht für wählbar. "Joachim Gauck befürwortet den Krieg in Afghanistan und absolut einseitige Sparaktionen bei den Bürgern", sagte er Stern.de. Im Osten seien "Stimmen nicht zu überhören, die darauf hinweisen, dass auch Gauck sich wie andere evangelische Pfarrer mit dem DDR-Regime arrangiert" hatte. Gauck habe von der Staatssicherheit Privilegien erhalten, so Lafontaine . Seine Kinder hätten nach ihrer Ausreise aus der DDR zu Besuchen zurückkehren können.“ (aus „Lafontaine wirft Gauck Stasi-Privileg vor“, fr-online, 15.06.2010)

Gregor Gysi erklärt am 16. Juni (im Unterschied zum taz-Interview vom 14. Juni), über das Abstimmungsverhalten der LINKEN in einem möglichen dritten Wahlgang müsse beraten werden: „Sollte der Kandidat der schwarz-gelben Koalition, Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff, in den ersten beiden Wahlgängen scheitern, "dann brauchen wir auch eine Auszeit", sagte Linken- Fraktionschef Gregor Gysi am Mittwoch in . Seine Partei müsse dann überlegen, ob die eigene Kandidatin Luc Jochimsen zurückgezogen und wie weiter vorgegangen werde. Eine gescheiterte Wahl Wulffs gilt als mögliche Bruchstelle für die schwarz-gelbe Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel.“ (aus Linkspartei schließt Wahl von Gauck nicht kategorisch aus, , 16.06.2010)

Der Medientag 17. Juni ist für DIE LINKE ein geprägt von einem breit veröffentlichen Bild der Zerstrittenheit.

Die öffentliche Botschaft der LINKEN vom 15.6.2010 bis zum 30.6.2010 lautete: „Wir sind uneinig über unser politisches Verhältnis zu Gauck, uneinig in der Einschätzung, welche Folgen die Wahl Gaucks im zweiten oder dritten Wahlgang hätte. Wir sind unsicher, wie mit der Situation umzugehen ist.“

Das öffentliche Bild von der LINKEN

Das Bild, das im Mediendiskurs über die Wahl zum Bundespräsidenten gezeichnet wurde, ist das einer männlichen autoritären Partei. Wahlweise sind es oder Gregor Gysi, die als Despoten dargestellt werden, nach deren Pfeife getanzt wird. Auch die viel zitierten Akteure Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow werden in das Bild männlicher Schachspieler eingereiht. Sie erscheinen als die Diadochen, die sich gegen die beiden Überväter auflehnen. Einer der beiden, Gysi, so zumindest die öffentliche Darstellung, knickt dann auch ein und bestimmt die Wahrnehmung, die von der LINKEN zum Wahltag vorherrscht. Einerseits grundsätzlich und links, andererseits unsicher, wie mit der (vermeintlichen) Option des Sturzes der Bundesregierung umzugehen sei.

Anhang:

Ausgewählte Presseartikel, die die häufigsten Aussagen rund um das Diskursereignis repräsentieren

Berliner Morgenpost, 04.06.2010:

Schwar-gelb nominiert Wulff als Bundespräsident

Unter: http://www.morgenpost.de/politik/article1319093/Schwarz-gelb-nominiert-Wulff-als- Bundespraesident.html

ddp, 06.06.2010:

Linke uneins über eigenen Präsidentschaftskandidaten unter: http://www.ad-hoc-news.de/linke-uneins-ueber-eigenen-praesidentschaftskandidaten-- /de/News/21373732

RP-online, 07.06.2010:

Bundespräsidentenkandidat greift Partei an

Linke-Fraktionsvize Bartsch wirbt für Gauck

Unter: http://www.rp-online.de/politik/deutschland/Linke-Fraktionsvize-Bartsch-wirbt-fuer- Gauck_aid_866054.html

zeit.de, 08.06.2010:

Linkspartei nominiert Luc Jochimsen unter: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-06/bundespraesident-luc-jochimsen-linkspartei

tagesschau.de, 08.06.2010:

Jochimsen ist Kandidatin der Linkspartei unter: http://www.tagesschau.de/inland/koehlernachfolge140.html

die tageszeitung, 14.06.2010: Interview: Gregor Gysi über Gauck und Rot-Rot-Grün

"Ich will nicht als Sozi sterben" unter: http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/die-ganze-aktion-ist-zirkus/

Spiegel online, 15.06.2010:

Präsidentenwahl

Linke Front gegen Gauck bröckelt unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,700631,00.html

fr-online, 15.06.2010:

Bundespräsidentenwahl

Lafontaine wirft Gauck Stasi-Privileg vor unter: http://www.fr- online.de/in_und_ausland/politik/dossiers/abschied_von_horst_koehler/2754251_Lafontaine-wirft- Gauck-Stasi-Privileg-vor.html

Reuters, 16.06.2010:

Linkspartei schließt Wahl von Gauck nicht kategorisch aus unter: http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE65F0CA20100616

tagesschau.de, 17.06.2010:

[…]

Stimmen für Gauck im dritten Wahlgang? unter: http://www.tagesschau.de/inland/linkspartei248.html

Tagesspiegl, 17.06.2010:

Linke uneins: Gauck wählen oder nicht? unter: http://www.tagesspiegel.de/politik/linke-uneins-gauck-waehlen-oder-nicht-/1860980.html

Neues Deutschland, 18.06.2010:

Was tun mit Gauck?

Unter: http://www.neues-deutschland.de/artikel/173347.was-tun-mit-gauck.html

Sueddeutsche.de, 30.06.2010:

Bartsch will mögliches Votum für Gauck offen halten unter: http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1007850

Süddeutsche Zeitung vom 01.07.2010:

Bundespräsident: Die Linke

Erst beleidigt, dann wütend unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/bundespraesident-die-linke-erst-beleidigt-dann-wuetend- 1.968438

Reuters, 04.07.2010:

Rot/Grün und Linkspartei finden nicht zusammen unter: http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE66309120100704

WAZ, 05.07.2010

Kommentar : Koch und Kellner – von Miguel Sanches unter: http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/Koch-und-Kellner-von-Miguel-Sanches- id3192621.html