Ausgabe 2.16

Denkmalpflege in Westfalen-Lippe

Umstrittene Moderne – Die Mensa im Schlosspark von Nordkirchen Barackenlager Lette Rheinisch-Westfälischer Staatspreis für Denkmalpflege 2015 – Fachwerkhaus „Hof Hallenberg“ © 2016 Ardey-Verlag Münster Alle Rechte vorbehalten Druck: Druckerei Kettler, Bönen Satz und Layout: Matthias Grunert, Münster Printed in ISSN 0947-8299 22.Jahrgang, Heft2/16

Erscheinungsweise 2mal jährlich zum Preis von 4,50Euro (Einzelheft) zuzüglich Versand über den Ardey-Verlag Münster, An den Speichern 6 48157 Münster

Herausgeber: LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen

Redaktion: Dr. Gisela Woltermann (Leitung), Dr. Jost Schäfer Dr. David Gropp Dr. Barbara Pankoke Dr. Dirk Strohmann

Anschrift: LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen Fürstenbergstr. 15 48147 Münster [email protected]

Die Autoren der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen: Wiss. Bibl. Sabine Becker M.A. Ricarda Bodi M.A. Anne Bonnermann M.A. Dr. David Gropp Anne Herden-Hubertus M.A. Katharina Kirchhoff M.A. Hedwig Nieland Dr. Barbara Pankoke Dipl.-Ing. Heike Schwalm Dr.-Ing. Barbara Seifen Dr. Knut Stegmann Dipl.-Ing. Philipp Strugalla Dr. Gisela Woltermann

Dipl.-Ing. Wolfgang Balzer Gartenstraße18 44534 Lünen

Friederike Jansen M.Sc. Lindemannstraße47 44137 Dortmund

Dr. Ulf-Dietrich Korn Potthoffweg1 48147 Münster

Diese Zeitschrift steht zum Download auf unserer Homepage bereit www.lwl-dlbw.de Inhalt

Seite 59 Editorial

Aufsätze

Seite 60 Erhaltung und Wandel – Die Martin-Luther-Kirche in Lünen-Brambauer Wolfgang Balzer

Seite 68 Das Dortmunder „Film Casino“ Friederike Jansen

Seite 74 Die Fotografie um 1900 am Beispiel des Provinzialkonservators Albert Ludorff Hedwig Nieland

Seite 78 Umstrittene Moderne – Zum Umgang mit der Mensa und anderen Neubauten der 1960er-/70er-Jahre im Schlosspark von Nordkirchen Knut Stegmann

Seite 86 Barackenlager Lette – Baulichkeiten und Nutzungsgeschichte eines vielschichtigen Denkmals Philipp Strugalla

Berichte

Seite 92 Rheinisch-Westfälischer Staatspreis für Denkmalpflege 2015 – Jutta Pinzler und Jörg Schütte wurden für ihr vorbildliches Engagement für ihr Fachwerkhaus „Hof Hallenberg“ ausgezeichnet Ricarda Bodi

Seite 95 Denkmalpflege und die Moderne 1960+ Bericht zum 7. Westfälischen Tag für Denkmalpflege in Marl Anne Bonnermann

Seite 96 Treffen der westfälischen DNK-Denkmalpreisträger würdigte das Engagement des Mühlenvereins im Kreis Minden-Lübbecke Heike Schwalm

Seite 97 Über die Grenzen hinaus Ein gemeinsames EUREGIO-Projekt der niederländischen Gelders Genootschap und der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen Katharina Kirchhoff

Seite 99 Neuerwerbungen der Bibliothek in Auswahl

Seite 101 Personalia Umschlag-Foto: Fachwerkhaus „Hof Hallenberg“ (Hochsauerlandkreis). siehe S.92ff. (Foto: LWL-DLBW, Heine-Hippler 2016) 59

Editorial

ser Epoche der Denkmalpflege auch die Chance, über das eigene Fach zu reflektieren: Die Bauten, die heute auf ihren Denkmalwert hin untersucht werden, sind z.T. dieselben, die man zum Zeit- punkt ihrer Erbauung zu verhindern suchte. Die in dieser Ausgabe in einem Aufsatz von Knut Steg- mann behandelte Mensa sowie die kombinierte Sport-/Schwimmhalle im Schlosspark von Nordkir- chen sind ein gutes Beispiel für dieses Phänomen. Einst wurden sie auch von der Denkmalpflege als Störung gebrandmarkt. Der Beitrag zeigt nun auf, dass es mit ausreichendem zeitlichen Abstand ge- lingen kann, die „Neubauten“ in ihren baulichen und städtebaulichen Qualitäten zu beschreiben, ihren Zeugniswert anzuerkennen und sie als wert- volle weitere Zeitschicht in der langen Geschichte der Schlossanlage zu würdigen. Über die Unterschutzstellung von Baudenkmälern Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass auch die der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und die Be- Zeitschicht des frühen 20.Jahrhunderts in Nordkir- mühungen um deren Erhalt zu berichten, ist mitt- chen lange brauchte, um eine angemessene Wür- lerweile fester Bestandteil unserer Amtszeitschrift. digung und Pflege zu erfahren. Darum ging es uns Auch die aktuelle Ausgabe widmet sich mit zwei in der Tagung, welche am 7. 10. aus Anlass des Beiträgen Objekten dieser Zeitstellung. Während 150.Geburtstags des Landschaftsarchitekten Achil- für die Zeugnisse der unmittelbaren Nachkriegs- les Duchêne und seines dortigen Schaffens statt- zeit schon viel im Sinne der Erfassung und Unter- fand. schutzstellung erreicht ist und man an vielen Orten Aktuell geht an vielen Stellen die Angst um, ange- an Konzepten für Instandsetzung und Instandhal- sichts der großen Zahl an noch existierenden Bau- tung – und manchmal auch für neue Nutzungen – ten der „Moderne 1960+“ könnte es zu einer mas- arbeitet (vgl. den Beitrag von Friederike Jansen senhaften Ausweisung neuer Baudenkmäler kom- zum Dortmunder „Film Casino“), stehen wir in Be- men. Am Beginn der Erfassung stehen auch heute zug auf die nachfolgende Epoche noch eher am zumeist öffentliche oder Sonderbauten. Aber Anfang. selbst bei den Ergebnissen dieser „exponierten“ Architektur und Städtebau der 1960er- und 1970er- Bauaufgaben mit häufig prominenten Urhebern Jahre sind Ausdruck einer Phase des gesellschaftli- gibt es keinen Automatismus, der von einer Unter- chen, politischen und wirtschaftlichen Umbruchs. suchung zwingend zu einer Unterschutzstellung Leider gelten Bauten dieser Epoche heute eher als führen muss. Eine solche ist etwa im Fall der Rat- hässlich oder als „unmenschlich“ in Gestaltung und häuser von Marl und Gronau aus guten Gründen Dimensionierung – oder aber schlicht als unmo- erfolgt. Beispiele für Bauten der öffentlichen Ver- dern. Erschwerend tritt hinzu, dass sie häufig durch waltung oder der Kirchen, bei denen keine Schutz- mangelnde Pflege bedingt vernachlässigt und „an- würdigkeit nach dem Gesetz attestiert werden geschmuddelt“ wirken. Aktuell lastet auf ihnen aus konnte, ließen sich hier aber dutzendfach anfüh- vielerlei Gründen ein großer Veränderungsdruck. ren. Eine Beschäftigung mit der Frage nach der Erhal- Eine Kulturguterfassung wie jene im Zusammen- tungswürdigkeit des baulichen Erbes dieser Epoche hang des Erlasses des Denkmalschutzgesetzes im ist deshalb überfällig – und nicht zufällig widmete Jahr 1980 könnte dabei helfen, eine verlässliche sich der 7. Westfälische Tag der Denkmalpflege, der Grundlage für die Bewertung des gesamten bauli- am 19./20.Mai in Marl stattfand, dem Thema der chen Erbes dieser Epoche und dessen Vermittlung „Moderne 1960+“ (vgl. den Bericht auf Seite 95). an die Öffentlichkeit zu schaffen. Sie würde wohl Der schlechte Ruf der Planungen der „Moderne auch für Entspannung in Bezug auf die mögliche 1960+“ liegt auch darin begründet, dass bei ihrer Anzahl neuer Baudenkmäler sorgen – dies könnte Umsetzung mit älterer Bausubstanz vielfach nicht allerdings nur mit einer wesentlichen Unterstüt- eben zimperlich umgegangen worden ist. Der da- zung durch das Land gelingen. malige Widerstand gegen den hierdurch beding- ten Verlust des baulichen Erbes bildete sogar eine der Wurzeln für die Denkmalschutzbewegung bzw. den Erlass gesetzlicher Regelungen in den einzelnen Bundesländern. Deshalb bietet die Be- Dr. Holger Mertens, schäftigung mit Architektur und Stadtplanung die- Landeskonservator 60

Wolfgang Balzer Erhaltung und Wandel Die Martin-Luther-Kirche in Lünen-Brambauer

… zur Wahrung der evangelischen Kirchen geziemenden Würde und Einfachheit, (sind) Überladung, Tand und Unächtes fern zu halten. Rathschläge 1898 Im frühen 20.Jahrhundert entstand in der Gemeinde Brambauer, heute ein Ortsteil der Stadt Lünen, die später nach Martin Luther benannte evangelische Kirche. Als Folge des Bergbaus in der ganzen Region die Bevölkerung stark angestiegen, die Zahl der Gläubigen ent- sprechend gewachsen, ein eigenes Gotteshaus wurde erforderlich. Das entstandene Gebäude dokumentiert mit seinem Kirchenraum die zeitgenössische Auffassung von der Gestaltung des evangelischen Gottesdienstes, wobei das Zusammensein der Gemeinde, die Predigt und die Feier des Abendmahls im Vordergrund stehen. Den damit verbundenen Ansprüchen wird der Raum bis heute gerecht, dazu finden zwischenzeitliche und aktuelle Auffassungen und Anforderungen ihren gestalterischen Ausdruck. Fragen des evangelischen Kirchenbaus bewe- gen Theologen und Baumeister seit der Reformation. Vor diesem Hintergrund soll die über hundert Jahre alte Martin-Luther-Kirche vorgestellt werden, die fünfhundertste Wiederkehr der Wittenberger Ereignisse ist der Anlass.

Weiden, Felder und umfangreiche Wälder prägten schen Rahmen für den Gottesdienst. Daher spie- im späten 19.Jahrhundert das Gebiet des heutigen geln Gustav Muckes Bauten – wie die damals ent- Brambauer. Im Jahre 1896 gab es hier, weitläufig stehenden evangelischen Kirchen insgesamt – die verteilt oder in kleinen Gruppen zusammenste- zeitgenössischen Auffassungen von der Gestaltung hend, 15 Höfe. Deren Bewohner waren in der eines Kirchenraumes. In den gebauten Lösungen zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts evangelisch zeigen sich entsprechend Unterschiede. geworden. Sie besuchten weiterhin die Pfarrkirche zu Brechten, die, vielleicht nach etwas „Möbel- rücken“1, jetzt als evangelisches Gotteshaus ge- nutzt wurde. Mit der Teufe des ersten Schachtes hielt 1897 der Bergbau Einzug in Brambauer, wei- tere Schächte folgten bis zum Jahr 1924. Zur Zeit der Jahrhundertwende wurden die ersten Siedlun- gen für Bergarbeiter gebaut und es entstanden Geschäftshäuser, Schulen, Friedhöfe und Kirchen. Die Wege zu den Nachbarorten wurden zu Haupt- straßen, an ihrer Kreuzung entstand das bauliche Zentrum des Ortes. Im Jahre 1896 lebten hier 680 Menschen, 1910 waren es 9.152 und 14.000 im Jahre 1930.2 Heute ist Brambauer ein Ortsteil mit etwa 19.000 Bewohnern. Die junge evangelische Kirchengemeinde Bram- bauer beschloss 1907 den Bau einer Kirche mit dem zugehörigen Pfarrhaus und beauftragte den in Ha- gen niedergelassenen Architekten Gustav Mucke mit den Entwurfsarbeiten.3 Im Jahre 1909 wurde die Kirche eingeweiht. Gustav Mucke, geboren 1861 in Zittau und 1940 in Wuppertal gestorben, war in den Jahren von 1895 bis zum Ersten Welt- krieg ein gefragter Architekt für den evangeli- schen Kirchenbau. Im heutigen Gebiet der Nach- barstadt Dortmund waren nach seinen Entwürfen bereits mehrere Gotteshäuser gebaut worden. Seine Kirchen in Dortmund-Husen und Lünen-Süd (Preußen) entstanden etwa zeitgleich mit dem Ge- bäude in Brambauer.4 Der Bau der Martin-Luther-Kirche fiel innerhalb der Evangelischen Kirche in eine Zeit der Suche nach dem „richtigen“ baulichen und gestalteri- 1 Turmansicht von Westen. 61

Baugedanken, „Regulativ“ und Im 19.Jahrhundert prägten Richtlinien, Empfeh- „Rathschläge“ lungen und Programme den evangelischen Kir- Die Vorstellung davon, wie ein evangelischer chenbau.8 Dabei war das „Eisenacher Regulativ“ Kirchenraum auszusehen habe, manifestierte sich von 1861 besonders wirkmächtig. Die Deutsche schon in der Schlosskapelle Torgau, die Martin Evangelische Kirchenkonferenz ließ 1898 daraus Luther 1544 persönlich einweihte und sie „damit die „Rathschläge“ entstehen, die jetzt, ohne nor- quasi als Modell einer evangelischen Kirche sank- mativen Charakter, beim Bau der Kirchen zu be- tionierte“.5 Umlaufende zweigeschossige Empo- achten waren.9 ren prägen den rechteckigen Raum, von dem Die „Rathschläge“ führen aus, dass die „Würde des Harald Homann schreibt,6 „daß er Platz für die evangelischen Kirchengebäudes (…) ernste und gesamte Gemeinde bietet und die Gemeinde sich edle Einfachheit“ verlangt, „welche am Sichersten zugleich im Raum als Einheit erleben kann.“ Der durch Anschluss an die älteren, geschichtlich ent- Altartisch vor der Schmalseite und die Kanzel an wickelten und vorzugsweise im Dienst der Kirche einem Pfeiler der Längswand sind die wichtigsten verwendeten Baustile erreicht wird.“ Sie empfeh- Stücke der Ausstattung. Sie stehen in unterschied- len die Ostung der Kirche und – bei größeren lichen Raumachsen, die sich rechtwinklig schnei- Gebäuden – die Gestalt des Kreuzes für den Grund- den. Der spätere evangelische Kirchenbau ist riss. „Ein Turm sollte nirgends fehlen“, heißt es bemüht, Altar und Kanzel räumlich einander anzu- weiter, und der Haupteingang sei am besten an der nähern.7 Schmalseite, gegenüber dem Altarraum. Als be-

2 Gustav Mucke, Längsschnitt 1907. 62 sonderes Anliegen wird die Schaffung eines ein- badener Programms“ Altar, Kanzel, Sängerempore heitlichen, ansehnlichen Kirchenraumes genannt, und Orgel baulich in der Sichtachse der Gemeinde in dem die Gläubigen einen ungehinderten Blick zusammen. auf Altar und Kanzel haben und den Geistlichen gut verstehen können. Die Martin-Luther-Kirche Der Altar soll frei stehen, so dass der Umgang mög- Die evangelische Kirche in Brambauer wurde im lich ist. Die Kanzel, so wird empfohlen, stehe „am Geist der „Rathschläge“ von 1898 errichtet, wobei Zweckmässigsten da, wo Chor und Schiff zusam- andere bauliche Lösungen, wie die genannten Bei- menstoßen, an einem Pfeiler des Chorbogens nach spiele zeigen, möglich gewesen wären. Es ist nicht dem Schiff zu.“ Der Taufstein, so die „Rath- bekannt, ob beziehungsweise wann die Gemeinde schläge“, ist „am Besten seitwärts gegenüber der entsprechende Vorgaben für die zu bauende Kir- Kanzel aufzustellen“. che erhalten oder selbst formuliert hätte. Schon „Regulativ“ und „Rathschläge“ waren nicht unum- bald nach seiner Beauftragung am 12.März 1907, stritten, sondern begleitet von Beratungen und stellte Architekt Mucke der Baukommission die Auseinandersetzungen.10 Vor diesem Hintergrund von ihm ausgearbeiteten Pläne vor, und es ist da- und als gegensätzliche Position zum offiziellen Kir- von auszugehen, dass die Entwurfsidee in diesem chenbau war bereits 1891 das „Wiesbadener Pro- Zusammenhang vor dem Hintergrund theologi- gramm“ veröffentlicht worden.11 Es löste sich von scher Erfordernisse und Auffassungen erörtert historischen Bauformen und wollte der Kirche „das wurde. Mit dem Beschluss der Baukommission vom Gepräge eines Versammlungshauses der feiernden 26.März 1907, die Sakristei und auch die Kanzel Gemeinde“ geben. Die Kanzel als Ort der Verkün- von der linken auf die rechte Seite zu verlegen, digung sollte „mindestens als mit dem Altar gleich- wird jedenfalls ein Einfluss auf das Entwurfsge- werthig“ behandelt werden und zusammen mit schehen erkennbar. diesem, mit der Orgel und der Sängerempore „im Nahezu am südlichen Ortsrand Brambauers erhebt Angesicht der Gemeinde“ ihren Platz haben. sich die Kirche freistehend aus der umgebenden Be- Die offizielle Kirche hat das „Wiesbadener Pro- bauung. In der vom Historismus des frühen 20.Jahr- gramm“ kaum zur Kenntnis genommen – aber, ge- hunderts geprägten Baugestalt zeigen sich Ein- baut wurde danach durchaus, zum Beispiel in Dort- flüsse des zeitgenössischen Jugendstils. Der Turm mund-Marten die Immanuel-Kirche (1908) durch mit dem Haupteingang ist nach Westen, zur Brech- den Wuppertaler Architekten Arno Eugen Fritsche. tener Straße gerichtet, es folgen ein Langhaus, ein Und der Architekt Gustav Mucke stellte 1899 in der breites, beidseitig stark vortretendes Querhaus mit Nachbarschaft Brambauers, in Eving, die Segens- steilen Giebeln und im Osten ein breiter Chor. Sicht- kirche fertig und fasste dabei im Sinne des „Wies- mauerwerk aus roten Ziegeln bestimmt die Fassa-

3 Südseite, Fenster im Querhausgiebel. 63 den der Kirche. Durch den Wechsel mit hellen Putz- Der Altar in der Art eines großen Tisches steht frei flächen, besonders unter den Traufen, an den Ort- im Chorraum. Noch vor dem Chorbogen haben in gängen und im oberen Turmbereich, sind lebhafte, „symmetrischer Raumsicht“12 rechts die Kanzel schmückende Strukturen entstanden. Der Ein- und links die Taufe ihren Platz. Seit Erbauung der gangsbereich der Kirche und des Turmes sind in der Kirche hat sich diese, den – „Rathschlägen“ fol- Gestaltung besonders hervorgehoben. gende – Anordnung nur unwesentlich geändert. Die Anordnung der Fenster in den Fassaden steht Die ursprünglichen steinernen Prinzipalstücke, ge- in Beziehung zu den Emporen im Innern der Kir- schaffen 1909 von den Kunstwerkstätten Marmon che. Unterhalb derselben sind schmale, rundbogig aus Sigmaringen, gingen 1969 im Rahmen einer schließende Fensterbahnen paarig zusammenge- großen Erneuerungsmaßnahme verloren. Ein sol- fasst, oberhalb befinden sich im Langhaus größere cher Vorgang war zu dieser Zeit häufiger zu beob- Öffnungen in den Symmetrieachsen der Fenster- achten, auch – nach dem Zweiten Vatikanischen paare darunter. Große, unter Verwendung von Konzil – bei katholischen Kirchen. Die neuen Stü- Formziegeln und Werkstein reich geschmückte cke sind, ohne besonderen künstlerischen An- Fensteranlagen prägen die Giebelseiten des Quer- spruch, in einem Duktus aus Holz gefertigt, wobei hauses. die Schale und der Deckel des ursprünglichen Tauf- Der Eingangsbereich der Kirche und der Turm – im steines in die heutige Taufe übernommen wurden. oberen Bereich klingt der zeitgenössische Jugend- Von der bauzeitlichen hohen Kanzel aus hatte der stil an – sind in der Gestaltung besonders hervor- Prediger auch die Zuhörer auf den Emporen gut er- gehoben. Eine mehrstufige Freitreppe führt zum reichen können. Diese wurden später nur noch we- Hauptportal, dessen Rundbogen von einem Gie- nig genutzt, so dass der neue Predigtstuhl entspre- beldreieck bekrönt ist. Treppenhäuser mit gerun- chend niedrig ausfiel. deten Enden und Türmchen darüber führen an bei- In der Mitte der 1990er-Jahre wünschte die Ge- den Seiten zu den Emporen im Innern der Kirche. meinde für neue Gottesdienstformen eine größere Chorraumfläche.13 Der Altartisch wurde daher Der Kirchenraum verkleinert und nach vorne gerückt, die ihn umge- Der Grundriss bildet die Form eines lateinischen bende Podeststufe entfiel. Seit dieser Zeit besteht Kreuzes. Langhaus und Querhaus haben die glei- der Bodenbelag um den Altar aus einem weichen, che Breite, beide sind im Innern einschiffig und nachgebenden Material, um es zum Beispiel tonnengewölbt. Sie durchdringen sich östlich der Kindern beim Kindergottesdienst zu erleichtern, Mitte des Langhauses, die Vierung ist durch Gurt- sich darauf zu setzen. Vor der Rückwand des Cho- bögen ausgeschieden, das Kappengewölbe leicht res steht heute ein Kreuz aus dem Jahre 1999, ent- gebust. An den Wänden des Langhauses verläuft worfen und gefertigt in der Benediktiner-Abtei dreiseitig eine Empore, die sich in die Querhaus- Königsmünster in Meschede. arme hinein fortsetzt. Im Osten öffnet sich zum Kir- Dem Chor gegenüber, auf der Ebene der Empore, chenschiff ein breiter Chor, der bei geringer Tiefe steht vor der Westwand die bauzeitliche Weigel- dreiseitig schließt. Gegenüber dem Langhaus ist er Orgel, das zugehörige Rückpositiv ist in die etwas eingezogen. Brüstung einbezogen. Hier nahm ursprünglich der

4 Gustav Mucke, Grundriss Emporengeschoss 1907. 64

Kirchenchor Aufstellung. Seit 1969 ist die Weigel- große Aktionsfläche geschaffen werden. Der Raum Orgel nicht mehr bespielbar, als Ersatz ist ein klei- unter der Orgelempore in Richtung Turm wird als neres 13-registriges Instrument der Firma Hammer Begegnungsfläche mit Kirchencafé vielfältig ge- vor der alten Orgel installiert worden. nutzt. Die Flächen der Querhausarme sind heute Im Langhaus und unter der Vierung sind die – 1969 mit Stühlen versehen und lassen eine variable Nut- erneuerten – Kirchenbänke wie bei der Erstaus- zung zu. So ist auf der Nordseite, wo auch ein Kon- stattung auf den Chorraum ausgerichtet. Ein Mit- zertflügel steht, ein kleiner Andachtsraum ent- telgang teilt die Reihen, seine Achse weist auf den standen. Auf den Emporen darüber sind die Bänke Altar. Seit 2010 stehen die Bänke auf Gleitfilz. So von 1909, wie ursprünglich, zur Mitte der Vierung kann, heutigen Ansprüchen an die Nutzung des gerichtet. Kirchenraumes folgend, unter der Vierung eine

5 Heutiger Blick nach Osten.

6 Heutiger Blick nach Westen. 65

Die Ausstattung Haltung zu sehen ist:17 Die Gemeinde hatte sich Um die gebotene Würde und Einfachheit zu wah- 1934 der „Bekennenden Kirche“ angeschlossen. In ren, sind „Überladung, Tand und Unächtes fern zu der Chronik heißt es: „Für die Bekennende Ge- halten“, so die „Rathschläge“ von 1898 zur künst- meinde, für die Treuen wird das Innere unseres lerischen Gestaltung der Innenräume. Und: „Bei Gotteshauses nach 27 Jahren neu gestaltet.“ Hilde der religiösen Symbolik des Zieraths sind Nachah- Viering malte nach dem Krieg erneut den Innen- mungen der nur für katholische Kirchen geeigne- raum aus, im Jahre 1969 erfolgte dann, unter Auf- ten Formen zu vermeiden. Vor der hier drohenden gabe älterer Fassungen, ein neuer Anstrich mit hel- Gefahr der Geschmacksverirrung sind Bauherren len Farben. und Baumeister zu warnen.“ Die heutige Ausmalung wurde 1997, denkmalpfle- Vielleicht fasste in diesem Sinne die Gemeinde im gerisch begleitet, zunächst im Chor durchgeführt Jahre 1908 den Beschluss: „Das Hauptchorfenster und im Jahre 2010, nach dem Konzept des Kir- soll das Abendmahl ohne Heiligenscheine enthal- chenmalers Stefan Pietryga, , im weiteren ten.“ Die ursprüngliche Verglasung und damit Kirchenraum.18 Nach der Befundlage auf der Basis auch das „Abendmahl“ fielen den Bombenangrif- von Suchschnitten fiel die Entscheidung, von einer fen zum Opfer, die heutigen Fenster entstanden im Auffrischung oder Rekonstruktion älterer Fassun- Jahre 1953.14 Hilde Viering, Glaskünstlerin und Kir- gen abzusehen, allerdings wurden die vorhande- chenmalerin aus Düsseldorf-Benrath, gestaltete nen Putze mit ihren Farben durch die Verwendung die neue Verglasung des Chorraumes.15 Das große reversibler Materialien gesichert. zentrale Fenster stellt mit kräftigen Blautönen und Das Innere der Kirche ist hell gefasst, auch um die expressivem Ausdruck die Kreuzigung Christi dar, Ausdruckskraft der Glasmalerei nicht zu schmä- die seitlichen Chorfenster zeigen Jesu Taufe im Jor- lern. Dabei wurden die Farben aus den Darstellun- dan und die Auferstehung. Eine einfache Gestal- gen des Chorfensters entwickelt und in der An- tung mit christlichen Symbolen prägt die weitere wendung zurückhaltend zur Architektur in Bezie- Verglasung. In den Giebeln des Querhauses sind, hung gesetzt. So stellen sich, um ein Beispiel zu jeweils kreisförmig eingefasst, die „Lutherrose“ nennen, die Gewölbefelder in hellgrauer Fassung und das „Auge Gottes“ dargestellt. Damit wird dar, mit einem Zusatz Blau, wie es sich als Farbe eine Vorgabe des Jahres 1908 aufgenommen, nach auch im Chorfenster findet. der für die Giebelfenster „Medaillons“ vorzusehen Oberhalb der Emporen erscheinen in den Quer- waren. hauswänden bauzeitliche Blendnischen in einem

Zur Ausmalung Otto F. Berg, in ganz Deutschland tätiger Kirchen- maler aus Berlin, erhielt 1909 den Auftrag zur Aus- malung der evangelischen Kirche in Brambauer. Er hatte zuvor bereits die Lutherkirche in Asseln (heute Dortmund-Asseln) ausgemalt, ebenfalls ein Werk des Architekten Gustav Mucke.16 „Wesent- lich schlichter als vorher“, so die Gemeindechronik, gestaltete Hilde Viering 1936 den Kirchenraum, wobei ihre Arbeit als Manifest einer politischen

7 Lutherrose im Fenster des linken Querhausgiebels. 8 Martin Luther beim Anschlag der Thesen. Relief im Mitte der 1950er Jahre. Langhaus. 66

9 Die Kreuzigung Christi. Mittleres Chorfenster von Hilde Viering 1953. reinen Ultramarinblau, das ebenfalls aus dem galt die Kirche zu öffnen und dabei neue Nutzun- Chorfenster hergeleitet ist. Unter Hinweis auf die gen wie Konzerte, Ausstellungen und Vorträge zu sakrale Kunst des Mittelalters und der Renaissance ermöglichen. ist Ultramarinblau, so Kirchenmaler Pietryga, „die Der Kirchenraum entspricht den heutigen Ansprü- Farbe des Himmels, der Ferne und bezeichnet den chen zur Gestaltung des Gottesdienstes. Hier kann Raum, wo Gott wohnt“. Die Nischen erscheinen so sich die Gemeinde versammeln – und dabei auch als Portale zu einem imaginären, heiligen Ort. selbst als Einheit empfinden. Der Raum ist gerich- An der heute einheitlich hellgrau gestrichenen Em- tet, vermittelt jedoch mit seiner Vierung, den Em- pore ist das erhalten gebliebene Ornament einer poren, der breiten Öffnung des Altarraumes die Kordel in Blattgold gefasst, womit an die reiche Wahrnehmung von Zentralität. Damit, wie durch historische Dekoration der Fläche erinnert wird. Sie der Anordnung der Prinzipalstücke, der Orgel und umschließt unterhalb der Emporen die Plätze der der Sängerempore, zeigt sich bis heute eine ein- Gläubigen und soll so den Zusammenhalt der Ge- drucksvolle evangelische Kirche des frühen meinde symbolisieren. 20.Jahrhunderts.

Zusammenfassung Herrn Pfarrer Horst Prenzel, Lünen-Brambauer, In der über hundertjährigen Baugeschichte der Herrn Dipl.-Ing. Ludger Sunder-Plassmann, Archi- Kirche zeigen sich Erhaltung und Wandel. So tekt in Münster, und Frau Dipl.-Ing. Sina Marks, erreichte das Gebäude unsere Zeit weitgehend in Evangelischer Kirchenkreis Dortmund, danke ich seiner ursprünglichen Gestalt und Materialität. Es herzlich für ihre Hilfe und wertvolle Hinweise. gab Wunden und Änderungen, sie sind Kriegsein- wirkungen, sonstigen äußeren Einflüssen oder Anmerkungen dem Verschleiß der Materialien geschuldet. Dazu 1 So beschreibt den verbreiteten Vorgang der Umnut- wirkten neue, sich wandelnde Auffassungen der zung Kathrin Ellwardt, Evangelischer Kirchenbau in Gemeinde von der Durchführung des Gottesdiens- Deutschland. Petersberg 2008, S.18. tes auf die Ausstattung ein. Auch war einem gerin- 2 Von der Vielzahl zur Einheit. Heft 7 der Schriftenreihe geren Gottesdienstbesuch Rechnung zu tragen, es des Stadtarchivs Lünen. Lünen 1987, S.20. 67

8 Gerhard Langmaack, Evangelischer Kirchenbau im 19. und 20.Jahrhundert. Kassel 1971, S.15–44. Bei Langmaack finden sich im Anhang die Kirchenbauprogramme im Wortlaut. 9 Rathschläge der XXIII. Deutschen evangelischen Kirchenkonferenz. Eisenach 1898. Siehe Langmaack (wie Anm.8), Anhang. 10 Langmaack (wie Anm.8), S.15–17 und 32–38. Siehe auch: Eva-Maria Seng, Kirchenbau zwischen Politik, Kunst und Liturgie – Theorie und Wirklichkeit im evangelischen Kirchenbau des 19.Jahrhunderts. Stuttgart 1995, S.201ff. Die späteren „Leitsätze“ von 1908 gingen den Gemein- den erst 1909 zu. 11 Es enthält die Forderungen des Wiesbadener Pfarrers Emil Veesenmeyer und des Architekten Johannes Otzen, veröffentlicht in der Deutschen Bauzeitung, Berlin 1891. Siehe hierzu Langmaack (wie Anm.8), S.16. 12 Langmaack (wie Anm.8), S.41, bezeichnet so die in dieser Weise häufig zu beobachtende Anordnung der Prinzipalstücke. 13 Die Maßnahmen, auch die der folgenden Jahre bis 2010, wurden durch das Architekturbüro Dipl.-Ing. Lud- ger Sunder-Plassmann, Münster, entwickelt und betreut. Siehe auch: Stadt Lünen als Denkmalbehörde, Projektak- ten, auch für alle folgenden Maßnahmen. 14 Stadtarchiv Lünen, Neues Archiv. Schreiben der evan- gelischen Kirchengemeinde vom 16.4. 1953 an die Stadt Lünen mit der Bitte um eine Beihilfe. Demnach galt es, die provisorische Verglasung aus dem Jahr 1946 zu ersetzen. Siehe auch: Stiftung Forschungsstelle Glasmalerei des 20.Jahrhunderts e.V. www.glasmalerei-ev.net 15 Gemeindearchiv (wie Anm.3), Protokolle. Eine Künst- 10 Jesu Taufe im Jordan. Linkes seitliches Chorfenster lerin oder ein Künstler für die weitere Verglasung ist nicht von Hilde Viering 1953. bekannt. Mit der Ausführung der Glaserarbeiten wurde die Firma Heinrich Behr aus Bochum beauftragt. Die Chor- 3 Die wesentlichen, das Gebäude betreffenden Quellen raumfenster von Hilde Viering zeigen übrigens einige sind: Evangelische Kirchengemeinde Brambauer, Gemein- Heiligenscheine. dearchiv, hier besonders die „Protokolle“, sowie: Ein feste 16 Dorothea Kluge führt zu Kirchen dieser Zeitstellung Burg ist unser Gott. 100 Jahre Martin-Luther-Kirche Bram- aus, dass die Innenräume von den Architekten in der Re- bauer. Chronik Lünen-Brambauer 2009. gel auf ihre Ausmalung hin angelegt seien. Beim Verlust 4 Die Kirche in Lünen-Süd (Preußen) ist der Martin- derselben bestehe die Gefahr von Fehlinterpretationen. Luther-Kirche sehr ähnlich. Das Formenrepertoire ent- Siehe Dorothea Kluge, Kurzinventarisation der Kirchen stammt hier der Gotik. Von den in Lünen-Süd ebenfalls und Kapellen des 19. und frühen 20.Jahrhunderts in geplanten Emporen wurde nur der Bereich an der Orgel Westfalen-Lippe 1970–1973, in: Westfalen 53, 1975, ausgeführt. S.223–252, hier S.234. In Dortmund-Asseln ist die origi- 5 Ellwardt (wie Anm.1), S.29ff. Auf die zum Teil unter- nale Ausmalung von Otto F. Berg erhalten. schiedlichen Auffassungen von Lutheranern und 17 Eine feste Burg ist unser Gott. Chronik wie Anm.3, Reformierten kann hier nicht eingegangen werden. S.16. 6 Harald Homann, Die Ideen der Reformation werden 18 Evangelische Kirchengemeinde Brambauer, Gemein- sichtbar, in: 450 Jahre Schlosskirche Torgau. Hg. von Eva dearchiv. Die künstlerischen Grundgedanken Pietrygas Meisel, Wolfgang Geppert und Ekkehard Saretz im Auf- sind unter dem Datum des 26.4. 2010 dargelegt. trag des Fördervereins „Schlosskirche Torgau“. Torgau 1994, S.32. Bildnachweis 7 Ellwardt (wie Anm.1), S.30. Wolfgang Balzer, Lünen: 1, 3, 8. – Evangelischer Kirchen- kreis Dortmund, Kreiskirchenbauamt: 2, 4. – Armin Wen- zel, Sielenbach: 5–6. – Stiftung Forschungsstelle Glasmale- rei des 20.Jh. e.V.: 7, 9–10. 68

Friederike Jansen Das Dortmunder „Film Casino“

In den Boomjahren der Nachkriegszeit gehörte Dortmund mit 79 Kinos im Jahr 1960 zu den führenden Kinostädten. Obwohl die Zuschauerzahlen bereits wieder rückläufig waren, eröff- nete das „Film Casino“ 1956 als letztes Filmtheater innerhalb des Dortmunder Walls.1 Am Ostenhellweg gelegen, grenzte es sich schon allein durch seinen Standort von dem damaligen Vergnügungsviertel an der Hansa- und Brückstraße ab. In unmittelbarer Nähe der ältesten Stadtkirche St.Reinoldi liegt es noch heute an einer der meist frequentierten Einkaufsstraßen Deutschlands. Die Besonderheit dieses Kinos besteht vor allem in seiner gesamtkonzeptio- nellen Gestaltung, die sich von den Fassaden über die Innenräume bis hin zu den Zeitungs- annoncen erstreckte und noch heute den Glanz der Kinolandschaft der 1950er-Jahre ver- mittelt.

Ursprünglich bestand die Parzelle des heutigen ber 1956 das „Film Casino“ mit dem Film „Heute „Film Casinos“ aus zwei Grundstücken und war mit heiratet mein Mann“ eröffnet wurde.6 Das „Film zwei giebelständigen Geschäftshäusern bebaut. Casino“ wurde zum Uraufführungstheater in bes- Dazu zählte unter anderem das ehemalige „Dren- ter innerstädtischer Lage, das sich in seiner Gestalt haus“. Zwischen den Häusern führte eine kleine in das Stadtbild integrierte und dadurch zu einem Passage zum hinteren Teil des Grundstücks, wo sich Paradebeispiel für die Urbanität der 1950er-Jahre eine von zwei Ölmühlen in Dortmund befand. Bis wurde, was sich bis heute noch zeigt. Da die Kamp- zum Zweiten Weltkrieg führte die rückwärtig gele- straße und der Hellweg zu Eröffnungszeiten noch gene Straße Rosental hinunter zum Ostenhellweg, für den Autoverkehr freigegeben waren, war auch an dessen Kreuzung sich das ehemalige „Gilden- die Anbindung an das städtische Verkehrsnetz ge- haus“ befand. Erst durch die Umlegung nach dem geben. Mit seinem Namen als Casino reihte sich das Krieg wurde das Rosental zu einem Seitenzweig neue Lichtspieltheater in die Gruppe der Repräsen- der Kleppingstraße.2 Wann genau die Gebäude im tationsbauten ein. Bereits an seinem Namen sollte Krieg zerstört wurden, ist nicht bekannt. Die letzte die Qualität des Kinos ablesbar sein und Unterhal- Aktennotiz stammt aus dem Jahre 1943. 1947 tung, Luxus, Größe sowie Wohlstand versprechen. wurde der Kaufmann Otto Nieweg Pächter beider Die Lichtspieltheater wurden zum Mittel des Mar- Grundstücke und plante dort ein sechsgeschossiges ketings und zum Bindeglied zwischen Film und Pu- Geschäftshaus mit Staffelgeschoss, für dessen Ent- blikum. Sie trugen entscheidend zur Wirkung des wurf er den Architekten August Wittmann jun. be- Filmgeschehens und somit auch zum Erfolg des auftragte. Das „Film Casino“ war Wittmanns erster einzelnen Filmes bei.7 Kinobau, ob weitere folgten, ist nicht bekannt. Im August Wittmann bediente sich psychologischer Jahr 1954 reichte er den Bauantrag für ein Ge- Tricks, um die Blicke und Menschen ins „Film Ca- schäftshaus im repräsentativen Stil der 1950er- sino“ zu locken. Unter anderem legte er die Pas- Jahre mit elf Fassadenachsen und stehenden Fens- sage am Ostenhellweg mit Hilfe einer freistehen- terformaten mit Lisenen ein. Das Erdgeschoss war den Vitrine trichterförmig an. Asymmetrische For- von einer Passage durchzogen, die dem eingetra- men standen für Dynamik und veranschaulichten genen Wegerecht der Stadt Dortmund nachkam, die Aufbruchstimmung der Nachkriegsjahre. Die um die Passantenströme vom Hellweg in die Sei- Passage ist 38m lang und überbrückt eine Höhen- tenstraßen zu leiten. Sowohl am Ostenhellweg als differenz zwischen Ostenhellweg und Rosental auch am Rosental handelte es sich um ein Büro- von 1m. Sie trägt unmittelbar zur Dramaturgie des und Geschäftshaus mit Innenhof auf Höhe des Gebäudes bei. Bei gleichbleibender Höhe der Fens- 1.Obergeschosses, welches das 1.204m² große terstürze steigen die Brüstungen mit der Passage Grundstück zu 100% überbaute. 1955 begannen an und vermitteln dadurch optisch einen über- die Erdarbeiten, doch noch während der Bauphase spitzten, perspektivischen Eindruck in die Passage des ersten Bauabschnitts reichte August Wittmann hin zum Eingang des Kinos. Die Fensteranlagen ein Nachtragsgesuch für die Universum GmbH ein, schließen bis zum Eingangsbereich an, um die Pas- die in den Obergeschossen ein Lichtspieltheater er- santen vom Ostenhellweg in die Passage und zum richten lassen wollte.3 Dies erforderte eine Neuor- Eingang zu leiten. Kinos waren Bauten, die vor al- ganisation der Passage durch den Architekten, da lem in der Dunkelheit ihre Wirkung entfalteten. die Schaufensterflächen bereits vor Baubeginn Tagsüber lagen sie schlicht in den Häuserfluchten, nach laufenden Metern vertraglich festgelegt wor- nachts traten sie durch ihre Beleuchtung in den den waren.4 Vordergrund und waren bereits von Weitem als Ki- Betreiberin des Kinos wurde Berni Derendorf, de- nos zu erkennen. Zu Beginn der 1950er-Jahre gab ren Familie bereits drei Kinos in Dortmund besaß.5 es überwiegend Kinoeinbauten in Geschäftshäu- Die Bauzeit für den zweiten Bauabschnitt betrug sern.8 Da es sich beim „Film Casino“ jedoch um ei- nur rund sechs Monate, so dass schon am 16.Okto- nen Kopfbau handelt, zeigte bereits die nahezu 69

1 Das Lichtspieltheater „Film Casino“ 1956. 2 Werbeannonce 1956. geschlossene Fassade die Größe der Leinwand und bot es sich ebenfalls an, den Saal im Obergeschoss wurde so ebenfalls ein Teil der Außenwerbung. anzuordnen. Dies wirkte sich des Weiteren positiv Durch den Saal als Dunkelraum war eine fenster- für die Bespielung des Erdgeschosses mit Verkaufs- lose Fassade eine logische Konsequenz. Unter- flächen und die damit verbundene gute Einbin- stützt wurde dies am „Film Casino“ durch den im dung in die städtische Situation aus. Der Weg in Mittel 2m hohen Schriftzug mit fast 9m hohem das Gebäude hinein wurde inszeniert und be- „F“ mit einer Lichtbandrahmung der gesamten wirkte eine emotionale und räumliche Distanz vom Fassade. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die Alltag und der Realität hin zur fiktiven surrealen Verkleidung des Sockels mit Diabas, einem Filmwelt. Unterstützt wurde dies oft durch schwarz-dunkelgrün anmutendem Basalt, der da- Leuchtskulpturen sowie Reklame- und Schaukäs- durch in den Hintergrund trat und mit dem eben- ten in grellen Farben und großen Schriften. falls die große geschlossene Fläche gerahmt Im Erdgeschoss waren ursprünglich vier Ladenlo- wurde. Die Fassade selbst wirkte daher bereits wie kale untergebracht. Am Ostenhellweg lag das Le- eine Filmleinwand und repräsentierte nach außen derwarengeschäft Birkendahl sowie Kaisers Kaf- die zu erwartende Leinwandgröße. Die filigranen feegeschäft, in der Passage der Wild- und Geflü- Schaufenster am Ostenhellweg wirkten wie leuch- gelhandel von Otto Nieweg und zum Rosental das tende Glaskuben, die lediglich in den Sockel hi- Möbelgeschäft von Hein de Groot. Der Eingang neingeschoben wurden. Das „Film Casino“ weist und das Treppenhaus wirken klar und elegant mit insgesamt vier Geschosse auf und ist am Ostenhell- weiß verputzten Wänden und haben bereits von weg rund 21m breit. Die Fassade misst eine Fläche außen eine elegante, großzügige Wirkung mit ein- von 280m². Das einzige Fenster in der Fassade trat ladender Geste. Das große stehende Lichtband an durch seine dunkle und unscheinbare Ausführung der Außenfassade des Rosentals bietet viel Licht in den Hintergrund und war zu Nachtzeiten kaum und seine Laibungen sind abgerundet und gehen wahrnehmbar. Hinter dem Fenster befinden sich in die Wände über. Das kleine Messingkassenhäus- Büroräume. Die Fassade wurde aufwändig durch chen mit zwei Verkaufsstellen fügt sich in die Wand ein Mosaik aus grauen, grünen und vorspringen- des S-förmigen Grundrisses ein. Der Boden hat den goldenen Steinen aus „ungarischer Zscholnay- helle polierte Fliesen, die ebenfalls die Auftritte bil- Keramik“9 hergestellt. Üblich war es jedoch, die den, wodurch sich die geschwungene Treppe aus Fassaden der Kinos mit großen Kacheln auszuge- dem Boden in die Höhe zu schrauben scheint und stalten. Das Mosaik verdeutlicht den besonderen den Besucher durch das 10m hohe und 14m lange Stellenwert des „Film Casinos“ und zeugt von der Treppenhaus in den 6m hohen Wartebereich trägt. positiven wirtschaftlichen Situation der Filmindus- Von dort gelangte man in ein vergleichsweise nied- trie in den 1950er-Jahren. Da das Grundstück am riges, 3m hohes Foyer in Nierenform. Das Foyer bot Ostenhellweg durch die Zusammenlegung der Par- eine Garderobe, Sanitärräume und eine Telefon- zellen einen unregelmäßigen Grundriss aufweist, möglichkeit. Foyer und Wartebereich waren durch 70

3 Längsschnitt „Film Casino“.

4 Blick in das Treppenhaus, Aufnahmejahr unbekannt. 5 Aufnahme des Innenraums zur Eröffnungszeit. eine Glaswand voneinander getrennt, die sich zu den Trichter-, Trapez- oder Korkenform verglichen beiden Seiten in Vitrinen auflöste und schwungvoll werden. Die Wände, die Decke und der Boden er- in die Wände des Foyers überging. Das Foyer er- hielten die gleiche Geometrie. Zur Leinwand hin streckte sich über die gesamte Breite des großen wird der Saal höher und zur Rückseite hin breiter. Saals und seine Wände und Böden waren in lichten Im Mittel ist er 8m hoch und weitet sich von 20 auf Farben gestaltet. Weiter zeigte es Figuren aus Mo- 27m. Um auftretendem Streulicht entgegen zu zarts Oper „Don Giovanni“ und verlieh dem Kino wirken, verzichtete man auf glänzende Oberflä- den künstlerischen und vornehmen Charakter ei- chen und bediente sich matter, dunkler Farben. Die nes Kulturortes.10 Im Schnitt wird der Saal des „Film Wände wurden mit dunkelblauem Velvet bespannt Casinos“ gerne mit der Form einer Muschel be- und der Boden mit weichem Nylon belegt. Die schrieben,11 deren Wände in die Decke überzuge- 11×4,25m große Leinwand wurde, wenn sie nicht hen scheinen und in der sich alle umfassenden Bau- gebraucht wurde, durch einen dunkelroten Vor- teile nach außen aufschwingen. Selbst der Boden hang verborgen. Auf Kopfhöhe wurden umlau- fällt zunächst ab und steigt dann wieder an. Es fende Punktlichter angeordnet, deren Lichtkegel handelt sich um eine besondere Form des Hochpar- jedoch nicht bis zur Decke reichten. Belichtet wird ketts, das bei begrenztem Platzangebot zum Tra- der Saal hauptsächlich durch ein in der Decke be- gen kam. Der Projektorraum wurde an der rück- leuchtetes und sich nach hinten verbreiterndes wärtigen Wand des Saals untergebracht. Die drei Lichtband in Form eines „T“. Durch die Betonung Bühnenlautsprecher wurden hinter der tondurch- der Mittelzone liegen die Übergänge zur Wand im lässigen Leinwand angeordnet. Die Technikräume, Dunkeln und vermitteln den Eindruck einer schwe- Büros und Lager sind völlig losgelöst vom Kinobe- benden Decke. Der Saal fasste 633 Plätze, verteilt trieb im zweiten Obergeschoss angeordnet und auf 25 unregelmäßig angelegte Stuhlreihen mit störten dadurch nicht das Kinoerlebnis. Seitengängen. Die Bühnengeometrie ist gegenläu- Die Wände des Saals wurden durch Birnbaumleis- fig zu den umfassenden Raumteilen und schwingt ten und -sockel vertikal unterteilt und ließen den in den Raum hinein. Die Notausgänge auf der Raum höher erscheinen. Der Übergang von der westlichen Seite des Saals führen auf einen nicht Wand in die Decke wurde ausgerundet. Der Grund- überdachten Innenhof und von dort zu einer ho- riss des Vorführsaals kann mit einer aufschwingen- hen Nottreppe. 71

6 Durchzeichnung des Grundrisses von 1956. 7 Durchzeichnung des Grundrisses von 1980.

Zusammengefasst entspricht der Gang durch das sino“ erhielt im Jahr 1980 einen zusätzlichen Vor- Gebäude einer Dramaturgie in der Abfolge der führraum. Der große Saal wurde in diesem Zuge Räume und einem Kreislauf, bei dem man von ei- ebenfalls neu bestuhlt. Das neue „Prinzess“ fasste ner schmalen Passage in ein offenes und sehr hohes 137 Plätze und wurde mit Teppich und Stoffbe- Treppenhaus, von dort durch einen mittelhohen spannungen an den Wänden ausgestattet. Das Wartebereich und ein niedriges Foyer hinein in den „Film Casino“ erhielt im großen Saal einen Logen- hohen Kinosaal und von dort zu der Nottreppe ge- bereich mit 138 Plätzen und einen Parkettbereich langt. mit 358 Plätzen. Insgesamt verringerte sich das Die rückwärtige Fassade zum Rosental wurde ana- Platzangebot im großen Saal, der Gesamtbestand log mit dem gleichen Mosaik wie am Ostenhellweg blieb jedoch konstant bei 633 Plätzen. Dem Einbau gestaltet und auch der massive Steinsockel zieht des „Prinzess“ fiel ein Teil des Foyers und die ge- sich bis dorthin durch. Zum Rosental präsentiert samte Garderobe zum Opfer. Anstelle der bisheri- sich das Kino durch zwei unterschiedlich hohe gen zwei Eingänge in den großen Saal gab es von Flachdachkuben. Die rückwärtigen Fassaden er- nun an nur noch einen. Seit den 1990er-Jahren hielten keine Lichtrahmung, sondern lediglich ein- wird die Passage zwischen 22 und 9Uhr durch zelne Lichtbänder. Das Gesamtkonzept des „Film weiße Sektionaltore geschlossen. Wann genau die Casinos“ zog sich bis zur Ausgestaltung der Zei- Verkleidung der Ostfassade des Rosentals mit gelb- tungsannoncen, die nicht wie üblich mit einem di- grünen Eternitplatten geschah, konnte aus den cken schwarzen Rahmen, sondern durch feine Rah- Bauakten nicht nachvollzogen werden. Auch ist men bestehend aus Doppellinien mit abgerunde- nicht bekannt, wann das Kino die heutigen weißen ten Ecken gedruckt wurden. Kunststofffenster erhielt. In der Passage auf östli- Seit der Eröffnung wurden die Erdgeschosszone cher Seite sind noch die Schaufenster aus den und die Ladenlokale mehrfach umgebaut. 1964 1950er-Jahren erhalten. 1994 beantragte Otto Nie- folgte durch den Umbau der Schaufensteranlagen wegs Witwe eine Angleichung der Südfassade des des Geschäfts Birkendahl der Abbruch der freiste- Rosentals ebenfalls mit Eternitplatten. Zu dieser henden Vitrine zum Ostenhellweg und auch Kai- Zeit war das „Film Casino“ der unteren Denkmal- sers Kaffeegeschäft ließ im Folgejahr seine Schau- behörde bereits als qualitätvoller Bau der 1950er- fensteranlagen bis zum Ostenhellweg vorziehen. Jahre bekannt, unterlag jedoch noch keinem 1968 erhielt die Fassade im Rosental über der Vi- Denkmalschutz. Dennoch lagen dem Bauamt keine trine im Erdgeschoss einen Filmanzeiger, 1976 bauphysikalischen Gründe zur Angleichung der wurde auf dem massiven Vordach am Ostenhell- Fassade vor, so dass man sich zusammen mit dem weg ebenfalls ein Filmanzeiger angebracht. Durch Architekten auf die ebenfalls noch vorhandene die Kinokrise folgte die „Verschachtelung“ vieler Metallausführung zur Fassadenverkleidung ei- Filmtheater durch den Einbau weiterer Säle aus nigte. Der im Rosental angebrachte historische Gründen der Wirtschaftlichkeit. Auch das „Film Ca- Schriftzug sollte erhalten bleiben; er wurde im 72

9 Das „Film Casino“ heute, Fassade im Rosental.

große Fassade genommen. Die Schaufensteranla- gen sind komplett an den Hellweg herangezogen, die Passage wirkt dunkel und wenig einladend. Der Schriftzug über dem Eingang des Treppenhau- ses und auch der Saal sind erhalten, jedoch wurden die Bestuhlung und auch die Textilbespannung der Wände entfernt. Der Bühneneinbau, die Leinwand und die Holzleisten sind noch vorhanden. 8 Das „Film Casino“ heute, Fassade am Ostenhellweg. In den vergangenen Jahren machte das „Film Ca- sino“ in der Regionalpresse immer wieder von sich Rahmen der Verkleidung mit den Eternitplatten reden. Laut eines Zeitungsartikels aus dem Jahr abgenommen und auf metallischem Untergrund 2012 ist das Interesse der Stadt an einer Weiterfüh- wieder angebracht. Ab 1990 betrieb Joachim rung eines Kinobetriebs groß und wurde im selben Flebbe als Mitbegründer der Cinemaxx AG das Artikel von der Besitzerin nicht verneint.12 Den- „Film Casino“. Dieses war zunächst noch gegen das noch wurde kurze Zeit später über den Abriss des 1997 eröffnete Cinestar an der Nordseite des Dort- Kinobaus und im gleichen Zuge über einen ge- munder Hauptbahnhofes konkurrenzfähig, da es planten Neubau berichtet.13 Nur kurz darauf er- neben einem großen Saal auch eine gute Ausstat- schienen die Pläne für den Bau eines viergeschossi- tung und eine sehr gute innerstädtische Lage bot. gen Geschäftshauses mit großen Verkaufs- und Bü- Auch die Entwicklung der Brückstraße zum mitt- roflächen.14 Es folgte ein dramatisch anmutender lerweile ehemaligen Rotlichtviertel und der immer Zeitungsbericht, der den Zustand des „Film Casi- weiter aufstrebende Westenhellweg brachten dem nos“ so darstellt, als gäbe es kaum Hoffnung auf „Film Casino“ weiterhin gute Besucherströme ein. eine Rettung für das alte Lichtspieltheater.15 Insge- Da die Besucherzahlen jedoch rückläufig waren, samt ist das Grundstück für Investoren seit der Auf- verlängerte Flebbe den Mietvertrag nicht und das wertung des Ostenhellwegs zum Westenhellweg „Film Casino“ schloss am 11.Januar 2000. Zuvor von immer größer werdendem Interesse und zeigt wurde es am 1.Juli 1998 als Geschäftshaus unter erneut die Stellung des „Film Casinos“ innerhalb Denkmalschutz gestellt. Dieser Schutz gilt für die des städtebaulichen Kontextes. Noch heute ver- gesamte bauliche Anlage oberhalb des Erdge- deutlicht das „Film Casino“ durch seine künstleri- schosses, nicht jedoch für das „Prinzess“. Die So- sche Ausgestaltung die Intentionen des Wieder- ckelzone ist mit dem konstruktiven Innengerüst aufbaus der Stadt Dortmund. Es zeigt die ökono- und der Ausgestaltung mit den Elementen der mische Stellung der Filmwirtschaft zu seiner Ent- 1950er-Jahre geschützt, wozu unter anderem auch stehungszeit und wurde zum Bindeglied zwischen die Fensteranlagen der Passage zählen. Die einge- den beschwerlichen Nachkriegsjahren und dem tragene Grunddienstbarkeit der Stadt Dortmund wirtschaftlichen Aufschwung und dadurch zum bietet dabei ebenfalls einen gewissen Erhaltungs- Symbol des Wirtschaftswunders. Es handelt sich um schutz. Der große und repräsentative Schriftzug an den einzigen Kinobau in Dortmund, der in seiner der Hauptfassade am Ostenhellweg wurde zwi- Gesamtgestalt nahezu komplett erhalten blieb. schen Mai und Juni 2012 abgenommen. Cafés, Bibliotheken und Museen sind alle dem Das heutige Erscheinungsbild des Gebäudes bildet Stadtraum zugewandte Einrichtungen. Das Innen- keine Einheit mehr zwischen Erd- und Oberge- stadtkino gehört dazu, kann auf gewachsene schoss. Zunehmend scheint das „Film Casino“ in Strukturen der Stadt zurückgreifen und bietet so Vergessenheit zu geraten. Durch die massiven wei- einen größeren Standortvorteil als ein Multiplex- ßen Vordächer wird den Passanten die Sicht auf die kino. Das Kino kann einen bedeutenden Beitrag 73 zur Stärkung und Belebung der Innenstadt leis- 7 Vgl. Christoph Bignens, Kinos. Architektur als Marke- ten.16 Über die Jahre hinweg verschwanden in ting. Kino als massenkulturelle Institution. Themen der Dortmund nahezu alle Kinos. Multiplexkinos wer- Architektur. Zürcher Kinos 1900–1963. Zürich 1988, S.31– den heute ausgelagert und auf der grünen Wiese 98. geplant. In Dortmund gibt es noch sieben Kinos in 8 Vgl. Paul Bode, Filmtheater und Filmvorführräume. Betrieb, darunter ein Multiplexkino. Vier dieser Ki- Grundlagen, Vorschriften, Beispiele, Werkzeichnungen. nos stammen aus den 1950er-Jahren. Das „Film Ca- München 1957. Vgl. Holger Klein-Wiele: Kinoarchitektur sino“ zeigt seit mittlerweile 16 Jahren keine Filme der fünfziger Jahre im Ruhrgebiet. Berlin 2006, S.210– mehr und die Findung eines neuen Betreibers oder 218, 246–248. aber einer neuen Nutzung gestaltet sich schwie- 9 Kaja Fischer, Das neue Dortmund nach 50 Jahren, Dort- rig.17 Interessant könnte es jedoch in der Diskus- mund 1999, S.50f. sion um das einstige Lichtspieltheater werden, 10 Vgl. „Film Casino“, Dortmund, in: Film-Echo 1956, wenn das Cinestar am Hauptbahnhof wie ange- H.94. kündigt im Jahr 2017 seinen Mietvertrag nicht ver- 11 Vgl. Zuschauerraum in Muschelform, Ruhr Nachrich- längert. Dies könnte eine neue Chance für das ten, 17.Oktober 1956. „Film Casino“ bedeuten, jedoch liegt bei der Stadt 12 Vgl. Antje Mosebach, Letzter Akt für Film Casino-Bau Dortmund seit einigen Monaten ein erneuter in Dortmund, in: Westfälische Allgemeine Zeitung, Abbruchantrag für das Lichtspieltheater vor. Durch 16.April 2012. den Abriss des einst als besonders stilvoll und 13 Vgl. Bettina Kiwitt, Abriss um Pizza Hut herum, in: elegant bezeichneten Kinos ginge der Stadt Ruhr Nachrichten, 27.November 2012; Heike Becker-San- Dortmund ein großes und wichtiges Zeitzeugnis der, Antje Mosebach, Abbruchantrag für „Film Casino“ verloren. eingereicht, in: Westfälische Rundschau, 28.November 2012. Anmerkungen 14 Vgl. Klaus Buske, Neubau statt Kino-Denkmal am Os- 1 Vgl. Martin Jacobs, Entwicklungsgeschichte und räum- tenhellweg, in: Westfälische Allgemeine Zeitung, 29.No- liche Verteilung von Filmtheatern am Beispiel der Stadt vember 2012. Dortmund. Dortmund 1990. 15 Vgl. Heike Becker-Sander, Asbeststaub rieselt bis in die 2 Hans Mönig, Stadt Dortmund. Die Ordnung von Grund letzten Ecken, in: Westfälische Allgemeine Zeitung, 24.Ja- und Boden in der Stadtgeschichte. Dortmund 1962. nuar 2013. 3 Vgl. Bund Deutscher Architekten BDA, Kreisgruppe 16 Vgl. Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtent- Dortmund (Hg.), Das neue Dortmund. Darmstadt 1958, wicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfa- S.59. len, Kultur und öffentlicher Raum, Teil2: Kinos. Dortmund 4 Ebd. 1999. 5 W. Richrath, Neu in Dortmund: „Film Casino“, in: Der 17 Vgl. Martin Spletter, Das vergessene Kino wird still neue Film, H.86, 1956, S.7. und leise 50, in: Westfälische Allgemeine Zeitung, 6.Ja- 6 Vgl. „Film Casino“ am Ostenhellweg, in: Westfälische nuar 2006. Rundschau, 8.August 1956; Das „Film Casino“, in: Dort- munder Tageblatt, 17.Oktober 1956. Bildnachweis BDA Dortmund, Das neue Dortmund, Darmstadt 1958, S.59: 1. – Westfälische Rundschau, 16.Oktober 1956: 2. – Holger Klein-Wiele, Kinoarchitektur der fünfziger Jahre im Ruhrgebiet. Bochum 2004, Abb.89: 3. – WAZ, Horst Müller: 4. – Fotograf unbekannt, Privatbesitz: 5. – Friede- rike Jansen: 6–9. 74

Hedwig Nieland Die Fotografie um 1900 am Beispiel des Provinzialkonservators Albert Ludorff

Als Albert Ludorff 1888 in den Dienst des Provinzialverbandes Westfalen-Lippe trat, war die Fotografie zwar schon populär, das Drucken der Bilder aber noch sehr kostspielig. Statt Fotos verwendete man im Buchdruck zur Illustration üblicherweise Reproduktionsgrafiken wie Stahlstiche, Holzstiche etc. Ludorffs Aufgabe beim Provinzialverband war die Fortführung der Inventarisationsbände „Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen“. Er vermied lange Texte zu den kunstgeschichtlich relevanten Objekten, indem er die Beschreibung der Werke auf die Datierung, Vermessung und eine stichwortartige Einordnung reduzierte. Um hierbei ganz auf die Macht der Abbildungen setzen zu können, wurde jedoch eine fotografische Erfassung notwendig.

Aus den monatlichen Berichten, die der Provinzial- Zu diesen Probeaufnahmen gehört sicher auch das konservator Ludorff für den Provinzialverband ver- Foto von der Baustelle an der Lambertikirche in fasste, wissen wir recht genau, wo er zu welchem Münster (Abb.1). Der Originalabzug hat keine Mo- Zeitpunkt fotografierte. Die Art zu fotografieren natsangabe, sondern ist lediglich mit 1889 datiert. können wir aber nur aus der einschlägigen Litera- Es könnte sich um einen ersten Versuch mit dem tur und den uns sehr zahlreich überlieferten Bildern neu erworbenen Weitwinkelobjektiv handeln. Au- ersehen. Albert Ludorff hatte eine Ausbildung im ßerdem gehört es zu einem der wenigen Bilder Lu- Bauwesen absolviert und drei Jahre Architektur stu- dorffs, auf dem Personen zu sehen sind. diert, daher ist anzunehmen, dass er, wie viele an- Aufgrund der ungünstigen Lichtverhältnisse in ge- dere, als Autodidakt zur Fotografie kam. Zwei Aus- schlossenen Räumen verlegte Ludorff seinen Auf- züge aus den monatlichen Berichten von Ludorff an nahmeort gerne ins Freie. Als Beispiel sei hier die den Landesdirektor der Provinz Westfalen belegen Abbildung 2 der Rokoko-Möbel aus dem Privatbe- dies: „Die nächste Zeit wird durch Übungen im Pho- sitz Wesseling in Legden (Kreis Ahaus) genannt. Er- tographischen in Anspruch genommen werden.“ staunlich ist bei diesem Objekt die Abbildung in (Bericht 1, Aug./Sept.1888)1 sowie „… nach Be- dem Buch „Bau- und Kunstdenkmäler in Westfa- schaffung von Vorrichtungen zur Aufbewahrung len“ (Band Ahaus, 1900, S.47), die nichts von der (?) des angelieferten photographischen Apparates Aufnahmesituation erahnen lässt (Abb.2 unten). nebst Zubehör und nach Einrichtung einer Dunkel- Deutlich anders stellen sich die Porzellankannen kammer wurden Übungen mit Hülfe des Photogra- aus der Sammlung Thomeé in Altena im Original- phen Risse durchgeführt.“ (Bericht 2, Okt. 1888).2 bild (Abb.3 oben) als in der Abbildung in „Bau- Bei dem in seinem Bericht erwähnten fotografi- und Kunstdenkmäler in Westfalen“ (Band Altena, schen Apparat handelte es sich um eine Kamera für 1911, Tafel 13) (Abb.3 unten) dar. Sie sind mit einer das Negativformat 18 ×24cm von der Firma Liese- weißen Deckfarbe vom Hintergrund abgesetzt und gang aus Düsseldorf. Es kamen Glasplatten mit mit dem Kommentar getrennt montieren am lichtempfindlicher Schicht zum Einsatz. Viele Foto- rechten unteren Rand versehen. Im Druck sind die grafen brachten diese lichtempfindliche Beschich- Kannen dann gänzlich freigestellt abgebildet. tung selbst auf die Glasplatten auf, da die konfek- Allerdings sind diese Aufnahmen wohl in einem tionierte Ware verhältnismäßig teuer war. Die ge- Innenraum gemacht worden, da man auf der Gla- ringe Lichtempfindlichkeit des Materials führte zu sur des Porzellans deutlich die Reflexe der Fenster langen Belichtungszeiten und daher bei Aufnah- erkennt. Diese Korrekturen für den Druck waren men mit Personen oft zu unscharfen Ergebnissen. Teil des gestalterischen Konzeptes der Inventarisa- Aber auch die Innenräume z.B. von Kirchen waren tion. eine Herausforderung, da mangels Elektrizität In Fällen, in denen Ludorff störendes Beiwerk für keine künstlichen Lichtquellen zur Verfügung stan- den Druck eliminieren wollte, kam das Verfahren den. seines Mitarbeiters Viktor Batteux zum Einsatz. Die ersten Schritte Ludorffs in Sachen Fotografie Hierbei handelt sich um ein patentiertes Verfah- beschreibt Dorothee Boesler 2013 wie folgt: ren, bei welchem auf das fotografische Bild mit Tu- „Bereits im November wagt er sich mit der Foto- sche eine Zeichnung erstellt wird. Durch ein Bleich- kamera vor Ort und es entstehen bis Februar 1889 verfahren verschwindet das reale Bild und es bleibt erste Aufnahmen vom Dom in Münster. Er schien lediglich die Tuschezeichnung sichtbar. Dieses Ver- selbst nicht sehr begeistert gewesen zu sein von fahren ist im Anhang des Vorwortes zum ersten seinen ersten Ergebnissen und bestellte im Januar Band „Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen“ 1889 eine Weitwinkel-Rectilinear-Linse zur Auf- (Band Lüdinghausen, 1893) beschrieben. Solche nahme sehr naheliegender, großer Gegen- Umzeichnungen wurden auch erstellt, wenn die stände.“3 Qualität der Bilder wegen schlechter Lichtverhält- 75

1 Münster Lambertikirche, 1889.

2 Rokoko-Möbel, Legden Privatbesitz Wesseling 1899; oben: Aufnahmesituation im Außenbereich; unten: Abbildung in Bau- und Kunstdenkmäler in West- 3 Porzellankannen, Sammlung Thomée, Altena; falen. Band Ahaus. 1900. oben: Originalbild mit Deckfarbe und dem Kommentar: getrennt montieren (unten rechts); unten: Abbildung in Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen. Band Altena. 1911. 76

4 Davensberg, Kirche. Originalbild Ludorff, 1891. 5 Davensberg, Kirche. Umzeichnung.

6 Kamin, ehem. Amtshaus in Lüdinghausen; oben: Originalbild mit aufgemaltem Vorhang und Adlerdekor, 1891; unten: Abbildung in Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen. Band Lüdinghausen. 1893. 77

7 Burg Hülshoff, Detailansichten eines Pokals. 8 Chorgitter in der ehem. Klosterkirche Karthaus bei Originalbild Ludorff, 1894. Dülmen. Originalbild Ludorff, 1912. nisse nicht ausreichend schien oder um Ornamente langen Belichtungszeit ein helles Tuch hinter dem besser darstellen zu können. Objekt hin und her bewegt wird. Die lichtempfind- Bei Abbildung 4 schienen Ludorff wohl die an die liche Schicht addiert während der langen Belich- Außenwand an der Kirche in Davensberg gelehn- tungszeit das Licht. Umgekehrt ist es auch möglich ten Hölzer zu stören, weshalb er für diese Darstel- bei der Beleuchtung störende Schatten zu verhin- lung im Buchdruck eine Umzeichnung (Abb.5) be- dern, indem man während langer Belichtungszeit vorzugte. Hierbei ist auch die Gliederung der Gie- die künstliche Lichtquelle bewegt. Der scharfe belwand und des Dachreiters klarer zu erkennen. Schatten einer Lampe wird dabei diffus bis nahezu Diese Zeichnung ist in „Bau- und Kunstdenkmäler unsichtbar. Alle Amtsfotografen haben mit diesem in Westfalen“ (Band Lüdinghausen, 1893, Tafel 5) „Wanderlicht“ gearbeitet, speziell im Bereich der abgebildet. analogen Schwarzweißfotografie. Ein weiteres Beispiel zeigt, wie wichtig die Infor- Der Provinzialkonservator Albert Ludorff stellte mationen auf den noch vorhandenen Original- den ersten Band der „Bau- und Kunstdenkmäler in negativen sind (Abb.6). Der Kamin im Amtshaus Westfalen“ (Band Lüdinghausen) 1893 vor. Bis zu Lüdinghausen wird in „Bau- und Kunstdenkmäler seinem Tod 1915 erschienen insgesamt 37 Bände in Westfalen“ (Band Lüdinghausen, 1893) gra- der Reihe. Zusammen mit den fast gänzlich er- phisch dargestellt (Abb.6 unten). Auf dem Origi- haltenen Originalplatten der Ludorff’schen Auf- nalbild (Abb.6 oben) erkennt man in der Öffnung nahmen ist dies ein kunst- und auch fotografie- des Kamines einen aufgemalten Vorhang mit ei- geschichtlich wertvolles Erbe für die Denkmal- nem Adlerdekor. Für Ludorff und seine Zeitgenos- pflege und Westfalen. sen war dies eine moderne Zutat, die es nicht wert war, abgebildet zu werden. Heute ist diese Malerei Anmerkungen sicher von kunstgeschichtlichem Interesse. 1 Arbeitsberichte Ludorffs 1888, LWL-Archivamt für Wie bereits zu Beginn erwähnt, war das Fotomate- Westfalen, Aktenbestand 711 Nr.101. rial teuer. Daher war es gängige Praxis, wie auf Ab- 2 Ebd. bildung 7 zu sehen, Platten mehrfach zu belichten. 3 Dorothee Boesler: … beizutragen zu dem Schutz der Bei einem geeigneten Objekt konnte man nachei- Denkmäler … Albert Ludorff und die Archive der Denk- nander alle Seiten aufnehmen, indem immer nur malpflege in Westfalen, in: Denkmalpflege in Westfalen- ein Segment der lichtempfindlichen Platte freige- Lippe 2/13, S.59. geben und der Rest mit einer entsprechenden Maske abgedeckt wurde. Bildnachweis Manchmal sind aber auch die längeren Belich- Albert Ludorff: 1–4, 6–8. – Bau- und Kunstdenkmäler in tungszeiten in Innenräumen von Vorteil gewesen. Westfalen. Band Ahaus. Münster 1900, S.47: 2 (unten). – Bei dem Metallgitter in der ehemaligen Klosterkir- Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen. Band Altena. che Karthaus bei Dülmen ist die Trennung vom Hin- Münster 1911, Taf.13: 3 (unten). – Bau- und Kunstdenk- tergrund sehr schwierig. Abbildung 8 zeigt dieses mäler in Westfalen. Band Lüdinghausen. Münster 1893, Gitter mit einem „nebelartigen“ Hintergrund, der Taf.5: 5. – Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen. Band das eigentliche Motiv klarer hervortreten lässt. Lüdinghausen. Münster 1893, Taf.58: 6 (unten). Dieser Effekt entsteht, wenn während der relativ 78

Knut Stegmann Umstrittene Moderne Zum Umgang mit der Mensa und anderen Neubauten der 1960er-/70er-Jahre im Schlosspark von Nordkirchen „Kantine gefährdet Schloß Nordkirchen“1 – so und ähnlich titelten 1969 zahlreiche regionale und überregionale Zeitungen wie die „Welt“. Sie warnten in fast gleich lautenden Artikeln eindringlich vor der geplanten Erweiterung der dortigen Finanzschule um eine Mensa in zeit- genössischen Formen. Hinter den Warnungen vor dem „unverantwortlich[en]“ Neubau steckte Karl Eugen Mummenhoff, Mitarbeiter der Inventarisation im damaligen Westfälischen Amt für Denkmalpflege. Etwas mehr als vier Jahrzehnte später wird nun genau dieser Bau- komplex in der Ostachse der Anlage auf Basis eines Gutachtens der LWL-Denkmalpflege un- ter Denkmalschutz gestellt. Ein Widerspruch? – Nur auf den ersten Blick.

Voraussetzungen der Erweiterungs- (1663–1729) begonnen und unter Johann Conrad planungen Schlaun (1695–1773) bis 1734 im Wesentlichen fer- Im Jahr 1962 stellte das Finanzbauamt Münster-Ost tiggestellt worden war.3 Veränderungen erfuhr die den Entwurf für einen beschränkte[n] Bauwettbe- Anlage vor allem nach dem Verkauf an den Herzog werb zur Erlangung von Vorentwurfszeichnungen Engelbert von Arenberg im Jahr 1903. Dazu gehört für die Erweiterungsbauten der Landesfinanz- die Errichtung von Verbindungsbauten in histori- schule Nordkirchen im Park des Schlosses auf.2 Das sierenden Formen zwischen den Schlossflügeln Bauprogramm umfasste neben einer Mensa für und dem südlich davon abgesetzten Kapellen- Einschichtbetrieb für 650 Lehrgangsteilnehmer bzw. Dienerflügel, durch die das heute prägende und Dozenten (zeitgenössisch häufig als „Wirt- Bild eines geschlossenen Cour d’honneur entstand. schaftsgebäude“ bezeichnet), einer kombinierten Untrennbar mit der Schlossanlage verbunden sind Schwimm- und Sporthalle auch Unterkunftsge- die Gartenplanungen, die bereits unter Pictorius bäude für Studenten und Bedienstete, ein Heizge- und Schlaun einsetzten und auf die Blickachsen be- bäude, ein Doppelwohnhaus für Parkplatzwärter zogen waren: Auf die Nord-Süd-Achse als Haupt- und Schwimmmeister sowie einen Parkplatz für achse, in deren Zentrum der Zentralbau des Schlos- 250 Fahrzeuge. Mit Hilfe dieser großzügigen Er- ses stand, und die Ost-West-Achse, die als Quer- weiterungsbauten sollte der rasch wachsende achse einen weiten, auch in späteren Planungen im- Raumbedarf der seit 1949 im Schloss unterge- mer freigehaltenen Blick in die Landschaft ermög- brachten Landesfinanzschule gedeckt werden. lichte. Nach teilweiser Umgestaltung der Gartenan- Kernbestand der bedeutenden Schlossanlage war lagen im Stil englischer Landschaftsgärten Mitte die barocke Bebauung der von Wassergräben um- des 19.Jahrhunderts ließ von Arenberg den Garten gebenen Schlossinsel aus dem 18.Jahrhundert, die 1906–14 durch den französischen Landschaftsarchi- unter Leitung von Gottfried Laurenz Pictorius tekten Achille Duchêne (1866–1947) wieder baro-

1 Schloss Nordkirchen, Mensa von Westen mit den von Erich Reusch geschaffenen Vier Plastiken aus Edelstahl auf dem Vorplatz. Durch die Fassade zu erkennen die Hohlspiegelwand (Sphärisches Objekt) von Adolf Luther. Der Aufzug vor der Fassade ist eine spätere Ergänzung. Im Vordergrund die historisierend gestaltete Ostbrücke von 1970. 2015. 79 ckisierend anlegen. Östlich der Schlossinsel ent- Konzeption der Erweiterung stand eine Waldanlage mit Wegenetz, in deren Als Bauplatz für die großen neuen Gebäudevolu- Zentrum in der Querachse der Schlossinsel der so- mina sah die Ausschreibung von 1962 den nördli- genannte Spiegel- oder auch Schwanenteich lag. chen Teil des Ostgartens mit dem Spiegelteich in Der Erste Weltkrieg beendete die Erneuerungs- Sichtweite der historischen Schlossanlage vor. An- phase. Nach Aufgabe des Schlosses als Wohnsitz gesichts deren überregionaler Bedeutung sollten der Familie Arenberg im Jahr 1918 verfiel die An- sich die Erweiterungsbauten allerdings stark zu- lage zusehends. Um den Erhalt zu sichern, mietete rücknehmen: Die Neubauten sollen abgesetzt von das Land Nordrhein-Westfalen 1949 zunächst die der historischen Schloßanlage im Waldgelände an Gebäude für die neue Landesfinanzschule und er- der Straße Nordkirchen-Südkirchen und in der warb schließlich 1958 die Anlage mitsamt den um- Lichtung des ehemaligen Schwanenteiches erstellt liegenden Außenflächen. werden. … Der Charakter des Schlosses und seiner

2 Achille Duchêne, Idealansicht von Schloss Nordkirchen von Norden. 1911. Am linken Bildrand etwa in der Mitte der neu gestaltete Ostgarten mit Spiegelteich.

3 Lageplan Schloss Nordkirchen mit den Erweiterungsbauten der 1960er-/70er-Jahre. 2016. 80 nächsten Umgebung darf durch die Erweiterungs- ohne Seitenblick auf moderne Bauführungen, also bauten nicht gestört werden. Eine starke Höhen- ganz ähnlich dem Vorgang von 1910, ohne jedoch entwicklung der Gebäude ist zu vermeiden. Der ängstlich historische Details zu verwenden und Baumbestand ist möglichst zu schonen, der Park- dem Gesamtkunstwerk Gewalt anzutun“.5 charakter des für die Neubauten vorgesehenen Ge- Währenddessen schuf das Finanzbauamt Münster- ländes ist unter allen Umständen zu erhalten. … Ost, das bereits 1964 auf Grundlage der Wettbe- Für die Gebäude ist Verblendmauerwerk vorzuse- werbsergebnisse zeitweise an der Erweiterungs- hen.4 planung gearbeitet hatte, einen neuen Gesamt- Zur Jury unter Vorsitz von Harald Deilmann (1920– entwurf für die Bauten im Schlosspark in Anknüp- 2008) gehörte mit Landeskonservator Dr. Hermann fung an den Beitrag des zweiten Preisträgers, des Busen (1913–71) ein Vertreter der Denkmalpflege, Architekten R. Bürgin aus Düsseldorf. Staatliche die seit Jahren Restaurierungsarbeiten am Schloss Hochbauämter zeichneten in dieser Zeit für viele mit großem Aufwand vorantrieb. Die Gewinner auch der prominenteren öffentlichen Hochbauten des Wettbewerbs, die Architekten P. Günther und verantwortlich, häufig unter Einbeziehung von H. Klement aus Gelsenkirchen, wollten als einzige Ergebnissen vorausgegangener Wettbewerbe. In Teilnehmer alle Neubauten im nordöstlichen Teil diesem Fall bestand die Anknüpfung vor allem in des Erweiterungsgebiets verdichten und dafür den der Grundidee, die Funktionen in flachen Baukör- Schwanenteich in alter Form wiederherstellen. Be- pern in der Ost-West-Achse unterzubringen. Wäh- reits 1964 fiel jedoch die Entscheidung, die Inter- rend Bürgin einen langgestreckten Baukomplex natsgebäude außerhalb des engeren Schlossparks vorsah, löste der im Dezember 1968 vorgelegte anzuordnen und die übrigen Baukörper auf dem Entwurf des Finanzbauamts das Gesamtvolumen in ehemaligen Schwanenteich zu errichten. drei Baugruppen auf.6 Direkt in der Ost-West- Das (damalige) Westfälische Amt für Denkmal- Achse sollten als separate Baukörper die Mensa mit pflege sah in der geplanten Erweiterung einen Fall nur 10m Abstand von der Schwanenallee und da- von so überregionaler Bedeutung, dass es Schloss hinter mit größerem Abstand die kombinierte Nordkirchen zu einem der Exkursionsziele bei der Sport-/Schwimmhalle entstehen. Diese Trennung Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenk- der Gebäudekörper sollte die quer zum ehemali- malpfleger im Juni 1968 machte. Die aus ganz gen Spiegelteich laufende Nord-Süd-Achse des Deutschland angereisten Vertreter der Denkmal- Ostgartens ungestört lassen. Die großzügige Ver- fachämter sprachen sich für eine angepasste Er- teilung der Gebäude wurde dadurch ermöglicht, weiterung aus „in einer konservativen Weise … dass das Heizkraftwerk und die Wohnungen für

4 R. Bürgin und Josef Schmitz (Mitarbeiter), nicht verwirklichter Entwurf zum Wettbewerb Erweiterung der Finanz- schule Nordkirchen, Modell. 1963. Im Zentrum der von der Schwanenallee zurückgesetzte und mit mehreren Baum- reihen zum Schloss abgeschirmte große, flache Baukomplex, der alle Funktionen abgesehen vom Studentenwohnen in sich vereinigen sollte. 81

Parkplatzwärter und Schwimmmeister als separa- Baukomplex Mensa und Sport-/Schwimm- ter Baukomplex in den Wald nördlich der Sport-/ halle Schwimmhalle gerückt werden sollten. Durch die Kern der Erweiterung im Schlosspark bildete der Stellung nah an der Schwanenallee war die Mensa 1969–71 errichtete Baukomplex aus Mensa und nach diesen Planungen trotz ihrer flachen Kubatur kombinierter Sport-/Schwimmhalle. Der unter Lei- vom Schlosshof deutlich wahrnehmbar. Während tung von Oberregierungsbaurat Martin Sabelus in der Ausschreibung zum Wettbewerb noch Ver- bearbeitete Entwurf verknüpfte die beiden Bau- blendmauerwerk gefordert wurde und die Denk- körper auf der Querachse der Schlossinsel durch malpflege „konservative“ Formen wünschte, prä- ähnliche Bauformen und Fassadenmaterialien: sentierten sich die Erweiterungen nach dem Ent- Beide Gebäude sind glatte, schlichte Kuben mit wurf des Finanzbauamts Münster-Ost in deutlich Flachdächern und weisen großflächige Verglasun- erkennbar modernen Materialien und Formen. Zur gen in dunkelbraun eloxierten Aluminiumrahmen Erschließung der Neubauten im Ostgarten war sowie Sandsteinplatten-Verkleidungen auf. eine Folge von zwei Stahlbetonbrücken in redu- Blickfang der Gebäudegruppe ist die im Oktober zierten Formen vorgesehen. 1971 in Betrieb genommene Mensa, deren westli- Die Planungen lösten heftigen Widerstand bei der che Fassade mit dem von dem Bildhauer Erich Denkmalpflege und anderen Beteiligten wie der Reusch (geboren 1925)9 gestalteten Vorplatz vom Arenberg’schen Grundbesitzverwaltung aus.7 Die Schloss sichtbar ist. Während Reuschs Bodenplastik intensive öffentliche Debatte um die angemessene aus vier flachen Edelstahlzylindern von 0,7m Höhe Form des Bauens in historischer Umgebung, die wie bei 3,1m bis 5,2m Durchmesser asymmetrisch auf eingangs dargestellt ihren Weg bis in überregio- dem Platz verteilt sind, zeichnet sich die dahinter- nale Zeitungen fand, ist auch im Kontext des in die- liegende Fassade der Mensa durch eine streng sym- ser Zeit wachsenden Interesses der Bevölkerung an metrische Gestaltung aus. Zum Schloss hin präsen- denkmalpflegerischen Fragen zu sehen. Als am tiert sich der quadratische Baukörper mit 24.Juli 1969 der Regierungspräsident in Münster 46,2×46,2m Grundfläche zurückhaltend als einge- die bauaufsichtliche Zulassung erteilte, bestand al- schossiger Flachbau. Zum Schwimmbad hingegen lerdings das einzige Zugeständnis darin, die Mensa liegt durch geschickte Ausnutzung der Geländeto- gegenüber den ursprünglichen Planungen um ei- pographie das Untergeschoss frei, so dass das Ge- nige Meter weiter von der Schwanenallee in den bäude hier zweigeschossig ist. Park zu rücken.8 Die Brückenanlage in den Ostgar- Das Obergeschoss der Mensa mit den öffentlichen ten wurde – möglicherweise als Geste an die Aren- Bereichen wird über eine großzügige Freitreppe berg’sche Grundbesitzverwaltung – 1970 als einzi- im Westen erschlossen. Die Fassaden sind komplett ger Teil der Erweiterung in historisierenden Formen verglast, wodurch das Gebäude leicht und transpa- mit Sand- und Backsteinoberflächen ausgeführt. rent wirken soll und zugleich vielfältige Sichtbe-

5 Mensa von Südwesten in der den Baukomplex prägenden Materialität. Das verglaste Obergeschoss mit der auskragenden Boden- und Deckenplatte gibt dem Gebäude eine stark horizontale Ausrichtung. 1975. 82 ziehungen zu Schloss und Park ermöglicht. Diese Blick Parallelen zur 1968 eröffneten Neuen Natio- Wirkung wird konstruktiv durch Stahlrundstützen nalgalerie in Berlin nach Plänen von Ludwig Mies verstärkt, die als tragende Elemente innen vor der van der Rohe (1886–1969) auf. In Nordkirchen ist Fassade stehen. Eine auf allen Seiten etwa 2m über allerdings die auskragende Bodenplatte des Ober- den Glaskörper auskragende, mit eloxierten Alu- geschosses als umlaufender Balkon ausgebildet, miniumprofilen verkleidete Boden- und Dach- von dessen nördlicher und südlicher Seite im Osten platte gibt dem Obergeschoss eine stark horizon- jeweils eine einläufige, freitragende Stahlbeton- tale Ausrichtung mit der Wirkung einer Scheibe, treppe in den Ostgarten führt. die auf dem zurückgesetzten, mit Sandsteinplat- Eine Deckenkonstruktion mit großdimensionierten ten verkleideten Untergeschoss als „Sockel“ ruht. Doppel-T-Trägern (verborgen durch eine abge- Während das Obergeschoss durch seine großflä- hängte Decke) ermöglicht im Obergeschoss der chige Verglasung geprägt ist, präsentiert sich das Mensa großzügige stützenfreie Räume. Mit roten Untergeschoss mit seiner gerasterten Sandstein- Sparverblendern verkleidete Einbauten trennen verblendung als Lochfassade mit einigen prägen- die Bereiche. Von der Freitreppe gelangt man zu- den horizontalen Fensterbändern. Die tragenden nächst in die großzügige Eingangshalle. Diese ist Wände sind – entsprechend der abweichend vom geprägt von einer etwa 21m langen Hohlspiegel- Obergeschoss angestrebten massiven Wirkung – in wand des Künstlers Adolf Luther (1912–90), der zu- Stahlbeton ausgeführt. Wohl nicht von ungefähr sammen mit Reusch den Auftrag zur künstleri- weist das Gebäude mit seiner überkragenden schen Ausgestaltung der im Rohbau fertiggestell- Dachscheibe und dem massiven Sockelgeschoss in ten Mensa erhielt. Die Hohlspiegelwand reflektiert seiner Grundform und Materialität auf den ersten auf vielfache Weise Schloss und Park und spielt so

6 Mensa, Eingangshalle mit der Hohlspiegelwand von Adolf Luther. 2015.

7 Mensa, großer Speisesaal mit Bühneneinbau (rechts). 2015. 83 mit dem räumlichen Kontext des Neubaus.10 nimmt Nordkirchen mit der Anordnung von Küche Gleichzeitig bildet das Kunstwerk die rückseitige und Speiseräumen auf getrennten Ebenen eine Ansicht des Einbaus für die Speisenausgabe und Sonderstellung ein, die sich aus den spezifischen Spülküche. Südlich grenzt an die Eingangshalle der örtlichen Gegebenheiten erklärt. abgetrennte Speisesaal für die Dozenten. Hinter In den Formen noch reduzierter als die Mensa ist dem Raum mit der Speisenausgabe und Spülküche das Äußere der dahinterliegenden kombinierten befinden sich die zwei Speisesäle für die Studie- Sport-/Schwimmhalle gehalten. Der 55,39×33,19 m renden, zwischen denen ein freistehender Büh- große Baukörper gliedert sich in drei Bauteile, die nenraum angeordnet ist. Die Bühnenanlage er- auch in den Fassaden ablesbar sind: In der Mitte laubt, den großen Speisesaal gleichzeitig als Ver- befindet sich die großzügige, 12,6m breite Ein- anstaltungsraum zu nutzen. Veranstaltungen soll- gangshalle, deren Glasfassaden im Vergleich zum ten – und wurden in der Anfangszeit auch – von übrigen Gebäude leicht zurückgezogen sind und Einwohnern der Gemeinde Nordkirchen besucht so den Bindegliedcharakter betonen. Im Westen werden, so dass über die Architektur die ange- schließt an die Eingangshalle die Schwimmhalle strebte engere Verknüpfung der räumlich getrenn- an, deren Ansicht mit Ausnahme der großflächig ten Gemeinde und der Fachhochschule im Schloss verglasten Westfassade durch eine geschlossene stattfand. Insgesamt ist das Obergeschoss der Fassade mit gerasterter Sandsteinverblendung ge- Mensa, abgesehen von der Hohlspiegelwand Lu- prägt ist. Die im Osten an die Eingangshalle gren- thers, zurückhaltend und schlicht, aber hochwertig zende Sporthalle besitzt eine komplett geschlos- gestaltet. Im funktional gestalteten „Sockel“ des sene Fassade mit ebenfalls gerasterter Sandstein- Gebäudes, der dank des Geländeversprungs stu- verblendung. Konstruktiv handelt es sich um eine fenfrei erschlossen und natürlich belichtet wird, Stahlbetonskelettkonstruktion mit Ausmauerung befindet sich außer den Nebenräumen eine sehr und teilweiser Verblendung auf einem massiv in große Küche für eine Speisenzubereitung mit zeit- Stahlbeton ausgeführten Kellergeschoss.11 Bemer- typisch hoher Fertigungstiefe. Über einen Speisen- kenswert ist das über der Sporthalle gespannte aufzug gelangt das Essen in die Speisenausgabe im Sheddach aus HP-Stahlbetonschalen, das eine na- Obergeschoss. Gegenüber den meisten zeitgleich türliche Belichtung der fensterlosen Halle ermög- entstandenen Mensen und Verpflegungsbauten licht. Im Inneren der Anlage zeugt vor allem die

8 Sport- und Schwimmhalle, Eingang mit Vorplatz. 2015. 9 Sport- und Schwimmhalle, Eingangshalle von der Reduzierte Formen in gleicher Materialität wie die südlichen Galerie (mit Blick auf den Eingang). 2015. Mensa. Im Vordergrund in der Mitte der Abgang zu den Umkleideräumen im Untergeschoss.

10 Sport- und Schwimmhalle, Längsschnitt Sporthalle mit Tribünen und Schalenkonstruktion (Dach). 84 aufwendig gestaltete Eingangshalle mit ihren Kämpfe gegen großflächige Abrissvorhaben und großzügigen Dimensionen und Treppenanlagen Störungen von gewachsenen historischen Struktu- vom Anspruch und den geplanten Benutzerzahlen. ren. Erst mit zunehmendem zeitlichen Abstand Tribünenanlagen über die gesamte Länge der und Verlusten in dieser Zeitschicht gewann die his- Sport- und Schwimmhalle ermöglichen die Nut- torische Perspektive an Bedeutung, für die die mit zung der Hallen für verschiedenste Veranstaltun- den Bauten verbundenen Eingriffe in historische gen wiederum auch mit dem Ziel, neue Verbindun- Strukturen weniger zentral waren als die differen- gen zwischen Gemeinde und Schule zu schaffen. zierte Beurteilung der Einzelobjekte im Hinblick Mensa und Sport-/Schwimmhalle wurden über auf ihren Zeugniswert für die Epoche.12 mehrere Jahrzehnte in ihrer ursprünglichen Funk- In einer solchen historischen Perspektive betrach- tion genutzt, die Sport-/Schwimmhalle seit einigen tet sind Mensa und Sport-/Schwimmhalle auf dem Jahren durch die Gemeinde Nordkirchen. Nicht zu- Gelände von Schloss Nordkirchen nicht einfach Stö- letzt mangelnder Bauunterhalt führte in jüngerer rungen des Parks, die zur Rekonstruktion eines his- Vergangenheit zu Überlegungen, die Funktionen torischen Zustands rückgebaut werden sollten (oh- in Neubauten an anderer Stelle zu verlagern und nehin stellt sich die Frage, welchen Zustand man die bestehenden Gebäude abzureißen. rekonstruieren wollte, da die gesamte Schlossan- lage das Ergebnis einer Reihe aufeinander folgen- Zeugniswert der Neubauten im Schlosspark der Eingriffe und Umgestaltungsprozesse bis in das Nur einige Jahre nach der baulichen Erweiterung 20.Jahrhundert hinein ist). Vielmehr bilden sie als wurde Schloss Nordkirchen mit Bescheid vom eigene Zeitschicht in anspruchsvoller Weise zeitge- 14.März 1983 in die Denkmalliste der Gemeinde nössische Konzepte zum Bauen in historischer Um- eingetragen. Von den Erweiterungsbauten der gebung ab, die in diesem Kontext zudem intensiv 1960er-/70er-Jahre schloss der Bescheid allerdings öffentlich diskutiert wurden. Der verwirklichte nur die 1970 in historisierenden Formen gestaltete Entwurf nimmt Bezug auf historische Strukturen Ostbrücke ein und nicht Mensa und Sport- bei gleichzeitig starker Eigenständigkeit in der Ge- /Schwimmhalle mit ihrer zeitgenössischen Formen- staltung. Prominent in die historische Ost-West- sprache. Bauten dieser Zeitschicht galten auch in Achse gestellt, hält die Erweiterung durch die Auf- der breiten Öffentlichkeit zunehmend als „hässli- teilung in zwei Gebäudevolumina die historische che Klötze“ oder „Bausünden“ und wegen ihrer Nord-Süd-Achse im Ostgarten frei und betont sie häufig vom baulichen Kontext abweichenden Pro- sogar noch. Die Gebäude suchen den Bezug zum portionen und Materialität als „Fremdkörper“. umgebenden Park, etwa durch die großflächige Überdies alterten einige der modernen Baustoffe Verglasung des Obergeschosses der Mensa, aber unschön, was sich durch mangelnden Bauunterhalt gleichzeitig stehen Mensa und Sport-/Schwimm- noch verstärkte. Die Denkmalpflege und Institutio- halle auf dem Spiegelteich als ehemaligem Zen- nen wie Heimatvereine erinnerten viele dieser Ob- trum des von Duchêne gestalteten Ostgartens. Der jekte an die mit der Errichtung verbundenen Entwurf ist das Ergebnis eines langjährigen Pla-

11 Blick vom Umgang der Mensa auf den Ostflügel von Schloss Nordkirchen. Bewusst eigenständige Gestaltung des Neubaus in zeitgenössischer Formensprache. Links die historisierend gestaltete Ostbrücke. 2015. 85 nungsprozesses mit vorhergegangenem Wettbe- Anmerkungen werb und bringt selbstbewusst eine eigenständige, 1 Karl-Heinz Henkel, Kantine gefährdet das Schloß Nord- zeitgenössische Formensprache in den Schlosspark. kirchen, in: Westfälische Nachrichten vom 28.März 1969. Dennoch treten die Gebäude gegenüber dem 2 LWL-Archivamt für Westfalen Akte 711, Nr.716, Bd.II. Schloss zurückhaltend auf. Alle Angaben zum Wettbewerb beruhen auf dieser Insgesamt präsentieren sich die Erweiterungsbau- Quelle. ten in zeittypischen Großformen und in einer Ar- 3 Karl Eugen Mummenhoff, Schloss Nordkirchen. Hg. chitektursprache auf der Höhe der Zeit, die durch und überarb. von Gert Dethlefs. Berlin/München 2012. den guten Überlieferungszustand bis hin zur Aus- Der folgende geschichtliche Abriss basiert auf dieser stattung und Möblierung sehr gut nachvollziehbar Quelle. ist. Gestaltet sind die Bauten nicht nur mit großem 4 Entwurf für die Wettbewerbsausschreibung 1968, in: Anspruch und Aufwand (hochwertige Materialien, LWL-Archivamt für Westfalen Akte 711, Nr.716, Bd.II. großzügige, natürlich belichtete Raumsituationen, 5 Hans Fredrich, Bericht über die Tagung der Landes- in der Sporthalle etwa über ein konstruktionsge- denkmalpfleger in Münster (Westfalen), in: Deutsche schichtlich bemerkenswertes Sheddach aus Stahl- Kunst und Denkmalpflege 26 (1968), Heft 2, S.118–123, betonschalen etc.), sondern insbesondere die hier S.122–123. Mensa weist hochkarätige Kunst am Bau auf. Diese 6 Gemeinde Nordkirchen, Bauaktenarchiv, Akte Schloß 1 – Kunst – Luthers Hohlspiegelwand in der Eingangs- Hallenbad. halle und Reuschs Edelstahlzylinder auf dem Vor- 7 Gemeinde Nordkirchen, Bauaktenarchiv, Akte Schloß 1 – platz – ist auf das Engste mit dem architektoni- Hallenbad. schen Entwurf verbunden und auf den Ort bezo- 8 LWL-Archivamt für Westfalen Akte 711, Nr.716, Bd.II. gen. Bei beiden Künstlern bildete der Auftrag in 9 Mehr zu Reusch: Volker Adolphs / Christoph Schreier, Nordkirchen den Auftakt zu einer Reihe von Folge- Erich Reusch. Arbeiten 1954–1998. Anlässlich der gleich- aufträgen. namigen Retrospektive im Kunstmuseum Bonn, 29.Ja- Darüber hinaus sind die Erweiterungsbauten der nuar bis 22.März 1998. Köln 1998. Landesfinanzschule für die Ortsgeschichte von gro- 10 Knut Stegmann, „Integrationen“ von Architektur und ßer Bedeutung, bilden sie in ihren Dimensionen Kunst – Adolf Luthers sphärische Hohlspiegelobjekte als und ihrem Anspruch das enorme Wachstum dieser Kunst am Bau, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 1/16, für die Entwicklung von Gemeinde und Umland S.9–15, hier S.10–11. wirtschaftlich bedeutenden Institution ab. Die 11 Gemeinde Nordkirchen, Bauaktenarchiv, Akte großzügigen Erweiterungsbauten beendeten die Schloß1 – Hallenbad. Zeit der Provisorien und legten den Grundstein für 12 Von der intensiven Auseinandersetzung der letzten eine langfristige Perspektive des Schulstandorts, Jahre zeugt eine große Zahl von Tagungen und Publika- der 1976 durch die Erhebung zur Fachhochschule tionen zum Thema, zuletzt unter anderem der 7. Westfä- weitere Aufwertung erfuhr. Die Erweiterungsbau- lische Tag für Denkmalpflege in Marl unter dem Titel ten sorgten für eine engere Verknüpfung von Ge- „Denkmalpflege und die Moderne 1960+“ am 19. und meinde und in einiger Entfernung gelegener 20.Mai 2016. Schule. Nicht zuletzt sichertern die Neubauten die Nutzung und damit den Erhalt des Schlosses. Bildnachweis Aus den genannten Gründen wurden die Mensa LWL-DLBW: 1, 6–7, 9, 11 (Angelika Brockmann-Peschel), und die kombinierte Sport-/Schwimmhalle am 3 (Kartengrundlage © OpenStreetMap-Mitwirkende, 20.Mai 2016 in die Denkmalliste der Gemeinde Open Database Licence 1.0, www.openstreetmap.org/ Nordkirchen eingetragen. Zurzeit laufen Überle- copyright, Bearbeitung Knut Stegmann), 5 (Christoph gungen zu einer langfristig tragfähigen Nutzung Bathe), 8 (Knut Stegmann). – Repro aus Marcel Fouquier, der Gebäude. De l’art des jardins du XVe au XXe siecle. Paris 1911: 2 (Tafel, Repro: LWL-DLBW). – LWL-Archivamt: 4 (Akte 711, Nr.716, Bd.II). – Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW, Niederlassung Münster, Planarchiv: 10. 86

Philipp Strugalla Barackenlager Lette Baulichkeiten und Nutzungsgeschichte eines vielschichtigen Denkmals Im Jahr 2006 wurde das zuletzt vom Katastrophenschutz genutzte Barackenlager im Letter Bruch bei Coesfeld durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) an einen Privat- eigentümer veräußert. Mit diesem Ereignis rückten das Denkmal und seine wechselvolle Ge- schichte in zunehmendem Maße ins öffentliche Bewusstsein.1 Das Barackenlager wurde ver- mutlich im Jahr 19332 als Ausbildungsstätte der SA auf einem südwestlich der Ortschaft Lette unmittelbar an der Kreisstraße gelegenen Grundstück errichtet. Es gehörte zu einem über das Deutsche Reich verteilten Netz gleichartiger Einrichtungen, die als „Sportschulen“3 bezeich- net wurden und der paramilitärischen Ausbildung von SA-Mitgliedern dienten. Um einen zen- tralen Appellplatz wurden Baracken aus vorgefertigten Holzelementen nach Norm des Reich- arbeitsdienstes (RAD) errichtet. Die ursprünglich annähernd symmetrische Anordnung der Ba- racken wurde durch die außermittig angeordnete Achse der Erschließungsstraße überlagert, die wiederum zentral auf die in zweiter Reihe positionierte Turnhalle ausgerichtet war. Die heute nur noch rudimentär überlieferte Struktur der Anlage weist in einzelnen Punkten Be- züge zur klassizistischen Kasernenarchitektur des 19.Jahrhunderts und zum Städtebau des Heimatstils auf.

Die Gebäude des Barackenlagers der Längsseite des Appellplatzes befindet, kam da- Die überwiegende Zahl der Gebäude wurde aus bei nach Lage und Form eine besondere Bedeu- vorgefertigten Elementen in Holztafelbauweise tung zu. Sie wird in einem Plan aus dem Jahr 1946 auf einem aus Ziegeln gemauerten Sockel errich- als „Magazin“ bezeichnet. Die exponierte Position tet. Die Baracken wurden aus doppelwandigen Ta- in der Querachse des Appellplatzes, der Grundriss- feln mit unterschiedlichen Deckschalen ausge- zuschnitt und die Ausstattung lassen es jedoch un- führt.4 Zur einfachen Demontage und Wiederauf- wahrscheinlich erscheinen, dass es sich hierbei um stellung sind die einzelnen Tafeln ineinanderge- ein gewöhnliches Gerätelager handelte.8 Beson- steckt und mit sichtbaren Schrauben untereinan- ders auffallend sind die mittig angeordneten, frei- der verbunden (Döcker-System).5 Die Stützen im In- stehenden Schmuckstützen des großen Raums, der neren der Baracken sind so genutet, dass ihr Quer- in etwa die südliche Hälfte der Baracke einnimmt, schnitt den Einschub von Innenwänden erlaubt. und die über den Eingängen schräg verzogene De- Das Dachwerk ist in der Regel als leichter Pfetten- ckenverkleidung. Die ursprüngliche Nutzung der dachstuhl konstruiert, der durch Längs- und Quer- Baracke bleibt im Dunkeln. Aufgrund des in Plänen verbände zu einer Art Fachwerk zusammengesetzt und Bauspuren überlieferten Raumzuschnitts darf wird. Als flächenbildendes Element dienen Dachta- jedoch vermutet werden, dass sich in diesem Ge- feln, die mit Flügelschrauben befestigt sind und bäude zur Erbauungszeit möglicherweise das Waf- eine Deckschicht aus Teerpappe aufweisen. fendepot und eine Art Lagerbüro oder Lagerkom- Die Fenster der Baracken bestehen durchgehend mando befand. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus schlichten, gleichformatigen Holzsprossenfens- wurde die Baracke für verschiedene Zwecke wei- tern, die innerhalb des Rasters an den Traufseiten tergenutzt. angeordnet sind, ebenso wie – abgesehen von we- Ein in den Bauunterlagen häufig als „Kantine“ be- nigen Ausnahmen – die Türen. Je nach Nutzung zeichneter, winkelförmiger Baukörper bildet den wurden die Gebäude mit Abhangdecken ausge- nordöstlichen Abschluss des Appellplatzes. Er setzt stattet. Decken und Innenwände wurden dabei in sich aus drei Gebäudeteilen jeweils unterschiedli- unterschiedlichen Qualitäten ausgeführt: In den cher Nutzung zusammen: Versammlungsraum, meisten Baracken wurden sie aus verleisteten Holz- Speisesaal und unterkellerter Küchenbau. Es ist zu hartfaserplatten hergestellt,6 einzelne Baracken vermuten, dass der durch die Verwendung einer wiesen dagegen eine farbig lasierte Nut-und- Holzbinderkonstruktion stützenfreie Versamm- Feder-Verschalung auf. lungsraum in der Zeit der Nutzung durch SA und Von der ursprünglichen Möblierung finden sich in RAD als Saal für Veranstaltungen und als Kino den erhaltenen Baracken heute keine Elemente diente. In der Mitte der Rückwand befindet sich mehr. In ihrer ersten Nutzungsphase wird sich diese eine quadratische, früher verschließbare Luke, ver- auf einfache Betten, Schränke, Tische und Stühle mutlich ursprünglich der Standort eines Filmpro- aus Holz beschränkt haben.7 jektors. Der Versammlungsraum der Kantine wird Neben Wohnbaracken wies das Barackenlager also aller Wahrscheinlichkeit nach während der NS- Lette einige Sonderbauten auf, die – mit Aus- Zeit als Kino für Schulungs- und Propagandafilme nahme eines Stallgebäudes – ebenfalls in Holzbau- gedient haben. Auf einigen wenigen Innenraum- weise errichtet wurden und heute nur noch in Tei- fotos ist die Ausstattung des an den Versamm- len vorhanden sind. Der Baracke, die sich mittig an lungsraum anschließenden Speisessaals in der Zeit 87 der Nutzung durch die SA überliefert. Sie be- schränkt sich auf in drei Reihen aufgestellte Holzti- sche und -stühle mit reduziertem Dekor, schlichte Glaskugel-Pendelleuchten und Garderobenhaken aus Stahl. Speisesaal und Küche wurden nach dem Zweiten Weltkrieg instandgesetzt und in gleicher Weise wieder genutzt. Der Versammlungsraum wird ver- mutlich zunächst unter anderem als Kino weiter- genutzt worden sein.9 Im Jahr 1950 wurde hier eine überkonfessionelle Kapelle eingerichtet.10 Ausstattung und Innenwände der drei Gebäude- teile der sogenannten Kantine haben sich nach 1960 nicht erhalten. Von zentraler Bedeutung für die paramilitärische 1 Luftaufnahme. 2015. Ausbildung war die Turnhalle, die sich östlich des zuvor beschriebenen Gebäudes befand und eine Stacheldrahtzaun mit oben auskragenden Beton- Ausdehnung von 30×13m aufwies. Das schlichte, pfosten errichtet. Über die Anlagen für die Aus- mit einem Satteldach gedeckte Gebäude wurde in führung der verschiedenen wehrsportlichen Dis- Proportionen, Dachneigung und Fassadengestal- ziplinen während der NS-Zeit ist bislang wenig be- tung an das Erscheinungsbild der Baracken ange- kannt. Einzelne Anlagen, die, wie es scheint, passt. Gleiches gilt für einen auf der Rückseite des Sprung- oder Wurfübungen dienten, sind auf his- Gebäudes angefügten Anbau mit Pultdach, der of- torischen Luftaufnahmen auf dem Appellplatz und fenbar beheizte Umkleideräume beinhaltete. im Bereich hinter der Turnhalle zu erkennen. Mög- Vermutlich wurde die Turnhalle ebenfalls von einer licherweise haben sich Spuren solcher auch im Rah- Holzbinderkonstruktion überspannt.11 Auf histori- men der Prüfungen für das SA-Sportabzeichen er- schen Aufnahmen ist zu erkennen, dass sie an ih- forderlichen Einrichtungen in den Freiflächen er- ren Längsseiten regelmäßig durchfenstert war. halten. Aus der Zeit als RAD-Ausbildungslager ist Große, mehrflügelige Fenster in den Proportionen darüber hinaus anhand von historischen Postkar- 2:3, mit traditioneller Sprossenteilung und Kämp- ten eine Vielfalt von Gestaltungselementen be- ferprofilen, wechselten sich mit gleich breiten, ge- kannt, die heute nicht mehr bestehen oder zumin- schlossenen Wandflächen mit waagerechter Brett- dest nicht mehr sichtbar sind. Dazu zählen Blu- schalung ab. Der auf Fotos überlieferten Wegefüh- menkübel, Pflanzbeete mit und ohne Randeinfas- rung nach lag der Hauptzugang auf der südlichen sung, Hecken und Ziermauern, die sehr wahr- Giebelseite der Halle. Ob es sich bei der Turnhalle scheinlich im Rahmen der praktischen Ausbildung ebenfalls um einen Typenbau handelte, konnte der angehenden Truppführer im Fach „Arbeits- noch nicht geklärt werden. Höchstwahrscheinlich technik“ hergestellt wurden. Auf einem Foto ist handelte es sich jedoch zumindest um eine vorge- die Einfriedung der straßenzugewandten Seite des fertigte Konstruktion, die nach dem Transport auf Lagers in Form eines Jägerzauns zu erkennen. Die das Gelände des Barackenlagers Lette zusammen- Zufahrt ist durch ein zwischen gemauerten Pfeilern gesetzt bzw. montiert wurde.12 befestigtes, niedriges Tor vor dem Wachhaus ver- Im Zweiten Weltkrieg wurde die Turnhalle stark schlossen, davor ein weiteres Wachhäuschen als beschädigt und 1946 abgebrochen.13 Wetterschutz für den Wachhabenden.15 Auf Fotos von 1963 ist auf dem gesamten Karree Die Außenanlagen des Barackenlagers des Appellplatzes ein dichter Bestand an regelmä- Der rund 120×60m große Appellplatz als zentraler ßig gepflanzten Säulenpappeln zu sehen.16 Sie Freiraum war vermutlich bereits in seiner Entste- wurden aller Wahrscheinlichkeit nach 1946, in der hungszeit in unterschiedliche Bereiche gegliedert. Zeit der Nutzung als Altenheim, gepflanzt und Auf einem 1937 entstandenen Schrägluftbild14 prägten ganz wesentlich das Erscheinungsbild des sind links und rechts der breiten Querachse ortho- Barackenlagers während der Nachkriegszeit. gonal zugeschnittene Wiesenflächen zu erkennen, deren äußere Begrenzung der umlaufende Er- Nutzung als SA-Sportschule 1933–1935 schließungsweg der Baracken bildete. Wege und Die Inbetriebnahme der SA-Sportschule im Letter Straßen waren einheitlich als Sandweg ausgebil- Bruch erfolgte innerhalb recht kurzer Zeit. Die det. Auf der gleichen Aufnahme ist zu erkennen, wehrsportlichen Lehrgänge, die der quasimilitäri- dass das weitläufige Gelände spätestens seit 1937 schen Ausbildung und ideologischen Schulung von von einem Drahtzaun umgeben war. Es scheint sich SA-Mitgliedern dienten, fanden wohl überwie- um die für Lager der NS-Zeit typische Zaunkon- gend auf dem Appellplatz, der unbebauten, struktion aus offen zwischen hohen Betonpfosten heideartigen Fläche im östlichen Bereich des gespanntem Stacheldraht zu handeln. An seiner Grundstücks sowie in der Turnhalle statt. Das zu Stelle wurde um 1960 der bis heute bestehende den Grundübungen zählende Schießtraining und 88

technik“, „Leibeserziehung“, „Exerzieren“, „Ord- nungsübung“ und „Verwaltung“ unterrichtet.22 Obwohl der Lehrbetrieb in Lette mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Herbst 1939 vermutlich fast vollständig eingestellt wurde,23 blieb ein Teil der Belegschaft bis zum Frühjahr 1945 im Barackenla- ger.24 Ob das Barackenlager Lette zwischen 1939 und 1945 im Zusammenhang mit einem der für die Ort- schaft Lette nachgewiesenen Kriegsgefangenenla- ger für polnische, französische und russische Zwangsarbeiter eine Rolle spielte, ist eine noch nicht abschließend geklärte Frage. So ist in einem Bericht des Roruper Amtsbürgermeisters an den 2 „Magazin“, Ansicht vom Appellplatz. 2014. Landrat des Kreises Coesfeld vom 11. November 1944 die Rede vom Lager einer Fa. Küster „im Let- die Gepäckmärsche wurden in der näheren Umge- terbruch“, in dem acht Ostarbeiter (russische bung durchgeführt.17 SA-Mitglieder, die an den Zwangsarbeiter) untergebracht seien.25 Ein grund- Lehrgängen teilnahmen, wurden in den Mann- sätzlicher Widerspruch zwischen der Anwesenheit schaftsbaracken rund um den Appellplatz unterge- von RAD-Mitgliedern und einer Internierung von bracht und auf dem Gelände versorgt. Kriegsgefangenen am gleichen Ort besteht nicht. Neben vorwiegend wohl aus dem Gau Westfalen So war die Bewachung und Beaufsichtigung von Nord stammenden deutschen SA-Mitgliedern wur- Kriegsgefangenen durch den RAD – entgegen ei- den in der SA-Sportschule Lette in den Jahren 1934 ner Weisung der RAD-Leitung im Jahr 1941 – nicht und 1935 auch Mitglieder der österreichischen SA unüblich.26 ausgebildet, die dort von Juni 1933 bis zur Anne- xion des Landes durch das Deutsche Reich 1938 ver- Durchgangslager für befreite Kriegs- boten war. Wenn diese auf Zeitzeugenberichten gefangene 1945 basierende Information zutrifft, handelt es mit ei- Der Aufenthalt von ehemaligen russischen Kriegs- niger Wahrscheinlichkeit um Teile der „Österrei- gefangenen27 ist für die Zeit nach dem Einmarsch chischen Legion“, die unter Hitlers Tarnbezeich- der alliierten Truppen im Westmünsterland be- nung „Hilfswerk Nordwest“ (HWNW) auf dem Ge- legt.28 Gleichzeitig erfolgten im Bereich des Lagers biet des Deutschen Reichs untergebracht und aus- bereits ab Ende März 1945 immer wieder Plünde- gebildet wurden.18 rungen durch Personen aus der einheimischen Be- völkerung. Die bewegliche Ausstattung wurde da- RAD-Truppführerschule 1935–1945 bei gemäß einer Bestandserfassung im März 1946 Die SA-Sportschule Lette, die infolge des „Röhm- zu großen Teilen entwendet.29 Putsches“ 1934 bereits an Bedeutung verloren Ein Schutthügel in der unmittelbaren Umgebung hatte, wurde 1935 in eine Truppführerschule des des Lagers, der in jüngster Zeit immer wieder Ziel Reichsarbeitsdienstes umgewandelt. Sie diente un- von Raubgrabungen war, weist Geschirr und an- ter der Bezeichnung „TS 8“ innerhalb der Hierar- dere Gegenstände mit Signets von RAD und Wehr- chie von RAD-Schulen der Ausbildung von Füh- macht auf. Eine archäologische Untersuchung, mit rungspersonal für die untere Laufbahn und war der möglicherweise die Frage nach dem Ursprung der Reichsführung des RAD direkt unterstellt.19 des Schutthügels geklärt werden kann, steht zum Der als „Ehrendienst am Deutschen Volk“ bezeich- Zeitpunkt der Drucklegung noch aus. nete sechsmonatige Arbeitsdienst beim verstaat- lichten Reichsarbeitsdienst RAD war im Juni 1935 Durchgangslager für Flüchtlinge für alle jungen Männer und Frauen verpflichtend Sofort nach Ende des Krieges mussten überall eingeführt worden. In der Folge bestand vermut- westlich der Oder-Neiße-Linie große Aufnahme- lich bereits mit Einrichtung der RAD-Truppführer- kapazitäten für geflüchtete, vertriebene und schule ein erhöhter Bedarf an Unterrichtsräumen. zwangsdeportierte Personen aus ehemals dem Im Jahr 1937 wurde das Barackenlager Lette um Deutschen Reich zugehörigen oder von deutschen zwei Baracken erweitert. Es handelt sich wahr- Minderheiten besiedelten Regionen Osteuropas scheinlich um die beiden größeren Baracken links geschaffen werden. und rechts der Turnhalle, die heute nicht mehr vor- Nachdem die Verwaltung von ehemaligem RAD- handen sind. Vermögen nach Kriegsende den örtlichen Finanz- Nach einem Zeitungsbericht vom Juli 1938 waren ämtern oblag, kam es im März 1946 zu Gesprächen im Lager 190 sogenannte Führeranwärter unterge- zwischen Vertretern des Finanzamts und dem bracht,20 hinzu kamen noch rund ein Dutzend Landrat des Kreises Coesfeld, in denen die zukünf- Angestellte.21 Die Anwärter wurden auf dem Ge- tige Nutzung des Barackenlagers als Durchgangs- lände des Barackenlagers in den Fächern „Arbeits- lager für Flüchtlinge diskutiert wurde.30 Das Bara- 89 ckenlager sollte solange als Durchgangslager in Anspruch genommen werden, bis diesen eine dau- erhafte Unterkunft zugewiesen werden konnte. Einrichtung und Betrieb des Lagers unterlag dem Kreis Coesfeld, der zu diesem Zweck eigens die Stelle eines Lagerleiters schuf. Auf dem Areal des Barackenlagers Lette sollte gemäß seinem am 24.März 1946 vorgelegten Entwurf eine Bele- gungszahl von 400–450 Flüchtlingen realisiert wer- den.31 Bereits am 30.April 1946 benachrichtigte der Land- rat das Regierungspräsidium über die Einsatzbe- reitschaft des Flüchtlingslagers.32 Ingeborg Höting schätzt in ihrer Studie zur Ge- schichte des Barackenlagers die Zahl der Personen, 3 Versammlungsraum. 2014. die zwischen April und September 1946 das Bara- ckenlager Lette durchlaufen haben, auf bis zu Luftschutzhilfsdienst (späterer Katastro- 10.000.33 phenschutz) Kurze Zeit nach der Aufgabe des Altenheims er- Altenheim für Ostvertriebene („Flüchtlings- folgte die Umnutzung des Barackenlagers zum altersheim“) Zentrallager des Luftschutzhilfsdienstes (LSHD);41 Ab dem 30.September 1946 wurde das Lager Lette das Grundstück ging in das Eigentum der Bundes- als Altenheim des Kreises weiter betrieben. Das Ba- republik Deutschland über. rackenlager wurde damit zur dauerhaften Bleibe Als Zentrallager des LSHD diente das Barackenla- für Flüchtlinge, die nicht als Arbeitskräfte in Un- ger Lette forthin der Wartung, Bevorratung und ternehmen und auf Bauernhöfe der Region ver- Verwaltung von Ausrüstung und Fahrzeugen für mittelt werden konnten („Alte und Sieche“).34 Die den Zivilschutz. Für diese Zwecke wurden im hinte- Einrichtung wurde im Rahmen der sogenannten ren Bereich des Grundstücks neue Gebäude errich- Kriegsfolgehilfe eingerichtet und betrieben. Sie tet, darunter im Jahr 1967 eine 68m lange Mehr- war dadurch offiziell den Flüchtlingen aus den zweckhalle. Alle nach 1960 errichteten Anlagen ehemaligen Deutschen Ostprovinzen und aus den und Gebäude befinden sich außerhalb des denk- von Deutschen besiedelten Gebieten osteuropäi- malgeschützten Bereichs des Barackenlagers. scher Länder vorbehalten.35 In den ersten Jahren Mit der Wiedervereinigung Deutschlands und dem waren dort zwischen 160 und 170 Heimbewohner Ende des Kalten Krieges wurde der Katastrophen- untergebracht.36 schutz in seiner bisherigen Ausprägung auf den Ab November 1950 wurde dem Heim der Name Prüfstand gestellt. Im Jahr 1998 folgte die Schlie- „Heidehof“ gegeben. Damit sollte die Bezeichnun- ßung der zwischenzeitlich in „Zentralwerkstatt für gen „Flüchtlingsaltersheim“ und die offenbar wei- Katastrophenschutz“42 umbenannten Einrichtung ter gebräuchlichen Begriffe „Lager“, „Lager Lette“ in Lette. und „Flüchtlingslager“ bewusst abgelöst wer- den.37 Unabhängig hiervon diente das Altenheim Ausblick von 1953 bis 1954 auch als Durchgangslager für Nach mehrjährigem Leerstand wurden schon wäh- Flüchtlinge aus der DDR.38 rend der Vorbereitungen zum Verkauf mögliche Mit der Errichtung eines Friedhofs in unmittelbarer Folgenutzungen für das Areal diskutiert, darunter Nähe des Barackenlagers39 sowie der Umnutzung insbesondere wohnwirtschaftliche Nutzungen. des Versammlungsraums zu einer Kapelle mit Glo- Seit dem Erwerb des Grundstücks und der darauf ckentürmchen40 wurde die Einrichtung im selben befindlichen denkmalgeschützten Baracken durch Jahr um wichtige Siedlungselemente ergänzt. Sie einen Privateigentümer konnte bislang jedoch vereinfachten nicht nur das Alltagsleben im Heim, noch keine dauerhaft tragfähige Nutzung gefun- sondern trugen wesentlich zur Identitätsstiftung den werden. Neben der Erfordernis einer nach den für seine Bewohner bei. An den Baracken wurden gängigen Maßstäben denkmalverträglichen Nut- zeitgleich verschiedene Umbau- und Instandset- zung sind insbesondere die Erfüllung bestehender zungsarbeiten durchgeführt. planungsrechtlicher Bedingungen43 und die gleich- Ab 1956 wurde über eine Neunutzung der Bara- zeitige Entwicklung eines dauerhaft tragfähigen cken und eine anderweitige Unterbringung der Konzeptes als wesentliche Aufgaben zu nennen. Pflegebedürftigen diskutiert. Die Verlegung der Die womöglich größte Herausforderung besteht Bewohner in das Altenheim der Heilig-Geist- jedoch darin, ein Nutzungskonzept zu entwickeln, Stiftung in Dülmen erfolgte schließlich im Septem- das dem Denkmal in seiner komplexen Bedeutung ber 1960. Auf dem „Heidefriedhof“ genannten als authentischer Geschichtsort entspricht. Diese Gräberfeld waren bis dahin rund 120 Menschen Komplexität besteht in der doppelten Funktion des bestattet worden. Denkmals sowohl als Ort der Täter (der SA in ihrer 90

Rolle beim Aufbau der nationalsozialistischen Ge- 6 Es handelt sich um eine Konstruktion, die seit den waltherrschaft), wie auch als Ort der Opfer (der in späten 1920er-Jahren im Holzhausbau üblich war. Feuer- der Folge des Zweiten Weltkriegs Vertriebenen aus beständige Hartfaserplatten wurden erstmals 1927 als den ehemals deutschen Ostgebieten).44 „Lignatplatte“ von Christoph und Unmack patentiert. Der Im Jahr 2013 wurde ein Verein gegründet, der die Einsatz dieses Materials im Barackenlager Lette könnte „Einrichtung einer Dokumentationsstelle, einer Er- ein Indiz dafür sein, dass die Gebäude in Lette von C&U innerungs- und Gedenkstätte sowie eines Lernor- oder deren Partnerunternehmen Kölner Holzbauwerke tes zur Geschichte der Barackenanlage Lette“45 auf hergestellt wurden. Zu Lignatplatten von C&U: Wolfgang dem Areal des Denkmals vorantreibt. Rug, Lebensdauer von Holzhäusern am Beispiel von Chris- Aus Sicht der in der Denkmalpflege Tätigen kann toph & Unmack Niesky, in: 3.Umgebindehauskolloquium. dieses Engagement im Sinne der Erforschung der Zittau 2006, S.2; zu C&U und den Kölner Holzbauwerken: Geschichte des Barackenlagers Lette und ihrer Ver- Thomas Spohn, Gebäude für die Translozierung ab Fabrik, mittlung an künftige Generationen nur begrüßt in: Markus Harzenetter u.a., Bauten in Bewegung (= werden. Insbesondere aufgrund seines Seltenheits- Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 47). Münster werts als eines der – im Widerspruch zur ursprüng- 2007, S.160. lichen massenhaften Verbreitung – wenigen erhal- 7 Bestandserhebung im Entwurf des Lagerleiters Horst tenen Barackenlager der NS-Zeit muss daneben die Steinhoff über die „Einrichtung der ehem. Truppführer- zukünftige bauliche Instandhaltung und Pflege schule zur Beherbergung von Flüchtlingen“ vom 24.3. des Denkmals gelingen. 1946 im Kreisarchiv Bestand4, Nr.114; bei Ingeborg Hö- ting, Das denkmalgeschützte Barackenlager in Lette und Anmerkungen seine wechselvolle Geschichte von 1933 bis 1960, in: Ge- 1 Die Eintragung in die Denkmalliste der Stadt Coesfeld schichtsblätter Kreis Coesfeld 2013, S.130f. erfolgte bereits im Jahr 1993 aufgrund eines Hinweises 8 Spätestens zum Zeitpunkt der Erweiterung des Lagers des Letter Pfarrers Hartmut von Hackewitz, der als einer durch den RAD 1937 bestand zu diesem Zweck neben der der Ersten die erinnerungskulturelle Dimension des Bara- Turnhalle ein Geräteschuppen. ckenlagers als „SA-Führerschule“, „Auffanglager“ und 9 Für die unmittelbare Nachkriegszeit sind Vorführungen „Unterkunft für ehem. russische Zwangsarbeiter“ er- von Unterhaltungsfilmen im Lager Lette überliefert. All- kannte; Schreiben an das Westfälische Amt für Denkmal- gemeine Zeitung Coesfeld vom 31.5. 1947; bei Höting pflege vom 2.12. 1991. Objektakte LWL-DLBW. (wie Anm.7), S.142. 2 Angaben zur Standortwahl, zu Planung und Bauablauf, 10 Siehe Abschnitt Nutzungsgeschichte. sowie zur Herkunft der Baracken sind nicht überliefert. 11 Andere Beispiele aus den 1920er- und 1930er-Jahren, 3 Der Begriff der „Sportschulen“ folgt simultan der ur- wie die Turnhalle von Hans Zimmermann in Hettingen sprünglichen Bezeichnung „Sportabteilung“ für die als weisen ebenfalls eine Binderkonstruktion auf. Abbildung „“ bekannt gewordene paramilitärische bei Konrad Wachsmann, Holzhausbau, Technik und Ge- Parteiorganisation der NSDAP. staltung. Berlin 1930, S.107. 4 Nur die heute nicht mehr bestehenden Latrinenbara- 12 Vgl. Turnhalle in Dortmund-Brackel von Christoph & cken und der Kohleschuppen wurden als einwandige Unmack 1922, Spohn (wie Anm.6), S.165, und Ausstel- Konstruktion ausgeführt. lungshalle des „Reichsverband der Wohnungsfürsorge“ 5 Das nach seinem Erfinder, dem dänischen Rittmeister von Ernst May, Wachsmann (wie Anm.11), S.106. Döcker, benannte Prinzip war die Basis des als „Reichs- 13 Der Abbruch erfolgte vor dem 15.10. 1946; Anmer- normalbaracke“ bezeichneten Standards des Reichsar- kung in der Bescheinigung des Oberkreisdirektors über beitsdienstes (RAD). Es handelt sich hierbei um ein für Mi- die Abgabe einer Baracke an einen Herrn Schülting; bei litärbaracken (auch „Feldhütten„) konzipiertes Holztafel- Höting (wie Anm.7), S.132. In seinem Entwurf über die bau-System. Das Raster, in dem sich geschlossene Holzele- Einrichtung der ehem. Truppführerschule bei Lette zur mente und Fenster- bzw. Türelemente abwechseln, er- Beherbergung von 400–500 Flüchtlingen vom 24.3. 1946 möglicht eine flexible Raumkonzeption und Ausdehnung schreibt der als Lagerverwalter bezeichnete spätere erste in Längsrichtung. Die Normung der Fertigelemente, die Heimleiter Horst Steinhoff die Turnhalle als „sehr stark im gesamten Deutschen Reich zu unterschiedlichsten beschädigt“; ebd. S.130. Zwecken zum Einsatz kamen, wurde dabei vom ständigen 14 Postkarte mit Foto vom 21.10. 1937; Reproduktion im Forschungskomitee des Reichsarbeitsdienstes, dem „Fo- Bildarchiv der LWL-DLBW. korad“, am Standort der Holzhausfabrik Christoph und 15 Titelbild der Geschichtsblätter Kreis Coesfeld 2013 mit Unmack (C&U) in Niesky vorangetrieben. Vgl. Heinrich dem Beitrag von Ingeborg Höting (wie Anm.7). Die Ab- Wurm, Die Industriealisierung des Holzbaus – Christoph bildung entstammt einer historischen Postkarte in Privat- und Unmack, in: Tradition – Zeitschrift für Firmenge- besitz. schichte und Unternehmenstradition. Ausgabe 14/1969, 16 Aufnahmen im Kreisarchiv Coesfeld, bei Höting (wie S.211f. Das in Lette angewendete Rastermaß beträgt Anm.7), S.193ff. meist 1,10m in Längsrichtung und 1,00m in der Tiefe. In- 17 Lette verfügte über einen Schießstand aus der Zeit des nerhalb der weiteren Erforschung des Lagers gilt es zu Ersten Weltkriegs; ebd. S.100. klären, ob es sich hierbei durchweg um Regeltypen han- 18 Ebd. S.103. Nach den dortigen Recherchen ist eine sol- delt und welche Typenbezeichnungen gemäß RAD-Norm che Nutzung auch für die SA-Sportschulen Velen, Bocholt, zutreffen. Dorsten, Borghorst und Lippstadt nachgewiesen. 91

19 Vgl. Michael Hansen, Idealisten und gescheiterte Exis- 31 „Entwurf über die Einrichtung der ehem. Truppfüh- tenzen – Das Führerkorps des Reichsarbeitsdienstes. Dis- rerschule bei Lette zur Beherbergung von 400–450 Flücht- sertation an der Universität Trier 2004, S.179 und S.261. lingen“ von Lagerleiter Horst Steinhoff; Kreisarchiv Be- Weitere RAD-Lager im Kreis Coesfeld befanden sich bei stand 4, Nr.114; bei Höting (wie Anm.7), S.130. der Karthaus in Dülmen-Weddern und in Darup-Gladbeck 32 Telegramm des Landrats, Kreisarchiv Bestand 4, (zu Nottuln), das letztgenannte als sogenanntes weibli- Nr.114; ebd. S.134. ches RAD-Lager. Die Ausbildung für die mittlere Laufbahn 33 Ebd. S.128. wurde für Westfalen in der auf Schloss Budenberg in 34 Es ist damit zugleich eines der ältesten Altenheime in Lünen untergebrachten Feldmeisterschule „FS 3“ durch- öffentlicher Trägerschaft im Münsterland. geführt. 35 Später nur noch „Ostvertriebene“ genannt. 20 Dülmener Zeitung vom 15.7. 38, bei Höting (wie 36 Die einschlägigen Belegungsvorschriften aus dem Jahr Anm.7), S.117. 1951 wurden später aufgeweicht; bei Höting (wie 21 Ebd. S.118: ein Koch, vier Küchenhilfen, Gärtner, Anm.7), S.157. Schreiner, Schlosser, Schneider, Schuhmacher, Kraftfahrer 37 Vgl. Mitteilung des Oberkreisdirektors vom 23.11. und zwei weitere Beschäftigte. 1950 im Kreisarchiv Bestand 4 Nr.114; ebd. S.156. Die Be- 22 Vgl. Hansen (wie Anm.20), S.187. zeichnung als „Lager“ blieb im allgemeinen Sprachge- 23 Laut Hansen (S.182) kam der Lehrbetrieb „besonders brauch offenbar dennoch bestehen und findet sich nach bei den Truppführer- und Feldmeisterschulen […] infolge 1950 auch weiterhin in Dokumenten der Kreisverwaltung. der Einberufung des jungen Nachwuchses zur Wehrmacht So wird die Wohnung des Heimleiters auf den Bestands- fast vollständig zum Erliegen“. plänen von 1960 immer noch als „Wohnung des Lagerlei- 24 Die Nachforschungen von Ingeborg Höting ergaben, ters“ bezeichnet. dass bis wenige Tage vor dem Einmarsch der Alliierten im 38 Kreis Coesfeld: Verwaltungsbericht 1945–1951; Mittei- März 1945 RAD-Mitglieder in Lette waren. Bei einem Luft- lung des Oberkreisdirektors (wie Anm.37), S.237 angriff am 14.3. 1945 sind demnach drei RAD-Mitglieder Anm.122; weitere Aufnahmeeinrichtungen für Flücht- ums Leben gekommen; Höting (wie Anm.7), S.119. Bei linge aus der SBZ z.B. in Haus Eliab in Darup; ebd. S.165. einem weiteren Angriff am 19.3. 1945 wurden nach ein- 39 Der sogenannte Heidefriedhof östlich des Lagerareals zelnen Zeitzeugenberichten drei Wohnbaracken auf dem ist bis heute erhalten und als Landschaftselement ge- Grundstück des Lagers zerstört. Dies steht im Widerspruch schützt. Die Stadt Coesfeld und der Heimatverein Lette zur Bestandserfassung vom 13.3. 1946. Hier ist ein gleich- teilen sich die Instandhaltung. bleibender Bestand an Gebäuden dargestellt. 40 Es handelt sich vermutlich um einen der ersten im 25 Stadtarchiv Dülmen, Amt Rorup B343, bei Höting (wie Sinne der Ökumene genutzten Sakralräume im Münster- Anm.7), S.120. land. 26 vgl. Hansen, wie Anmerkung 20, S.113. Er zitiert 41 Einer Einrichtung des Bundesamts für zivilen Bevölke- hierzu ein internes Schreiben des Rechtshofs vom 18.März rungsschutz (später: Bundesamt für Zivilschutz). 1940, BA, R77 / alt R15.20, Bd.3. und ein Telegramm des 42 Die Umbenennung erfolgte 1972 im Zuge der Um- ehem. Oberarbeitsführers Hackenberg an den Verteidiger strukturierung des Zivilschutzes in der BRD. des Reicharbeitsführers Hierl in dessen Spruchkammerver- 43 Das Grundstück unterliegt den Regelungen des §34 fahren, SAL, EL 903/2, Bü.1639. BauGB (Außenbereich). 27 Als sogenannte Displaced Persons (DP). 44 Auf die unterschiedlichen Konsequenzen dieser Phä- 28 Zahlreiche Belege bei Höting (wie Anm.7), S.120f. nomene im Umgang mit einem Denkmal hat unter ande- 29 Die Liste umfasst 50 Betten, 30 reparaturbedürftige rem Reinhard Bernbeck im Zusammenhang mit der Er- Schränke, 20 Tische, 5–10 Sitzgelegenheiten, „dazu einige schließung des ehemaligen Flughafens Berlin Tempelhof Küchen- und Vorratsregale und große Küchentische“ so- hingewiesen. Der Denkmalort Flughafen Berlin-Tempel- wie einige stark beschädigte Öfen. Entwurf des Lager- hof als politisch unbequemes Denkmal, Vortrag im Rah- leiters Steinhoff über die Einrichtung des Lagers, in Hö- men der VDL-Jahrestagung am 2.6. 2014. ting (wie Anm.7). 45 Satzung des „Denkmal Barackenlager Lette e.V.“ auf 30 Vermerk des Landrats vom 19.3. 1946, Kreisarchiv Be- der Internetseite des Vereins unter http://barackenlager- stand 4, Nr.114; bei Höting (wie Anm.7), S.129. Die Um- lette.de, abgerufen am 15.11. 2015. nutzung von Barackenlagern der NS-Zeit für die Unter- bringung von Flüchtlingen nach Ende des Zweiten Welt- Bildnachweis kriegs ist auch für andere Orte in Westfalen bekannt, so LWL-Medienzentrum: 2, 3 (Schüttemeyer). – Geodatenser- zum Beispiel für das Zwangsarbeiterlager Werdohl im ver NRW: 1. Märkischen Kreis, Abbildung bei Spohn (wie Anm.6), S.163. 92

Berichte

1 Fachwerkhaus „Hof Hallenberg“ wurde mit dem 2 Die Eigentümer haben das Haus denkmalgerecht zu Rheinisch-Westfälischen Staatspreis für Denkmalpflege einer Frühstückspension umgebaut und dabei viel Wert ausgezeichnet. auf den Erhalt der historischen Substanz gelegt.

Rheinisch-Westfälischer Staatspreis für Denkmalpflege 2015 – Jutta Pinzler und Jörg Schütte wurden für ihr vorbildliches Engagement für ihr Fachwerkhaus „Hof Hallenberg“ ausgezeichnet. Der Rheinisch-Westfälische Staatspreis für Denk- malpflege ging in diesem Jahr nach Hallenberg (Hochsauerlandkreis). Jutta Pinzler und Jörg Schütte erhielten den mit 7.000Euro dotierten Preis, den das Land NRW gestiftet hat und dessen Verleihung von der LWL-Denkmalpflege, Land- schafts- und Baukultur in Westfalen und dem NRW-Bauministerium organisiert wurde. NRW-Bauminister Michael Groschek überreichte 3 Preisverleihung im Erbdrostenhof in Münster: Vordere am Sonntag, den 21.Februar, zusammen mit Land- Reihe von links nach rechts: Jörg Schütte und Jutta tagspräsidentin Carina Gödecke und Jury-Sprecher Pinzler (Eigentümer), Marcus Beckmüller. Hintere Reihe Albert Simons von Bockum-Dolffs den Preis an die von links nach rechts: Dr. Holger Mertens, Leiter der Denkmaleigentümer. Er würdigte so ihr Engage- LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in ment für das Fachwerkhaus „Hof Hallenberg“, das Westfalen, Landtagspräsidentin Carina Gödecke, Dieter die Eigentümer trotz finanziellem Risiko erwor- Gebhard, Vorsitzender der LWL-Landschaftsversammlung ben, aufwendig saniert und denkmalgerecht zu ei- und des LWL-Kulturausschusses, NRW-Bauminister ner Frühstückspension umgebaut haben. Michael Groschek, Michael Kronauge, Bürgermeister der Die Preisverleihung fand im Erbdrostenhof in Stadt Hallenberg, Albert Simons von Bockum-Dolffs, Münster statt. Undotierte Anerkennungen erhiel- Sprecher der Jury, Dr. Thomas Otten, Referatsleiter im ten Denkmaleigentümer und Initiativen aus Bor- Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und chen (Kreis Paderborn), Lübbecke (Kreis Minden- Verkehr NRW. Lübbecke), Nottuln (Kreis Coesfeld), Rheda-Wie- denbrück (Kreis Gütersloh), Schmallenberg (Hoch- Kraft für ihr Denkmal einsetzen. Diesen freiwilli- sauerlandkreis) und Soest. An der Preisverleihung gen Einsatz möchten wir mit dem Staatspreis wür- nahmen ca.70 Gäste aus Politik und Denkmal- digen und fördern.“ pflege teil. „Private Denkmaleigentümer und bürgerschaftli- Insgesamt 28 Bewerbungen aus ganz Westfalen che Initiativen leisten einen wertvollen gesell- waren eingereicht worden, bei denen gefährdete schaftlichen Beitrag für die facettenreiche Denk- Baudenkmäler mit privatem und ehrenamtlichem mallandschaft in Westfalen-Lippe“, stellte auch Einsatz innerhalb der letzten zwei Jahre instand Dieter Gebhard, Vorsitzender der LWL-Land- gesetzt wurden. NRW-Bauminister Michael Gro- schaftsversammlung und des LWL-Kulturausschus- schek unterstrich die Bedeutung dieses privaten ses heraus. „Sie tragen damit ganz wesentlich zur Engagements: „Wir sind sehr froh, dass es Privat- Erhaltung unserer Baukultur und zu einer lebens- leute und ehrenamtliche Initiativen gibt, die sich und liebenswerten Umwelt in den westfälischen auf eine solch vorbildliche Weise mit viel Zeit und Städten und Regionen bei. Ihr Engagement ist da- 93 her für den Erhalt unseres kulturellen Erbes unver- „Es ist bemerkenswert, dass die neuen Eigentümer zichtbar.“ Herr Gebhard verdeutlichte in seiner aus Köln das nach langem Leerstand stark herun- Rede auch die Probleme der aktuellen Fördermit- tergekommene Gebäude trotz finanziellem Risiko telpolitik des Landes. Die tägliche Praxis belege, erwarben“, erläuterte Landeskonservator und Ju- wie schwierig es sei, vor Ort denkmalgerechte Lö- rymitglied Dr. Holger Mertens. Die denkmalge- sungen ohne den Einsatz von Fördermitteln durch- rechte Sanierung und die Umbauten seien auf ho- und umzusetzen. Auch als Unterstützung für eh- hem technischem und handwerklichem Niveau so- renamtliches Engagement sei die direkte finan- wie in enger Abstimmung mit der Denkmalpflege zielle Förderung unerlässlich. durchgeführt worden, lobte das Preiskomitee. Die Der Rheinisch-Westfälische Staatspreis für Denk- Liebe zum Detail und das Bemühen um den Erhalt malpflege wird alle zwei Jahre im Wechsel im jeglicher Originalsubstanz sei in allen Bereichen Rheinland und in Westfalen ausgelobt. Die Auslo- spürbar. „Auch die starke finanzielle und ideelle bung richtet sich an Denkmaleigentümer, die ein Unterstützung des Vorhabens der ortsfremden Ei- gefährdetes Denkmal vorbildlich instand gesetzt gentümer durch die Stadt und die Bürgerschaft ist haben. Neben Jurysprecher Albert Simons von beispielhaft“, so Mertens weiter. Bockum-Dolffs gehören auch Dr. Thomas Otten Eine der undotierten Anerkennungen erhielt (MBWSVNRW), Dr. Holger Mertens, Landeskonser- Christoph Olivier Lengyel für seinen Einsatz bei der vator für Westfalen-Lippe (LWL) und Dr. Andrea Erhaltung des 1830 erbauten Back- und Dörrhauses Pufke, Landeskonservatorin für das Rheinland auf dem Gelände des ehemaligen Meierhofes in (LVR) zur Auswahlkommission. Hinzu kamen pri- Nordborchen. Der Idee des Ortsvorstehers Harald vate Denkmaleigentümer und Vertreter der Kir- Kuhnigk, das vernachlässigte Gebäude zur 1000- chen, der Unteren Denkmalbehörden, des Westfä- Jahrfeier des Ortes wieder herzurichten, und dem lischen Heimatbundes, von Hochschulen und Kul- idealistischen Einsatz des Schweizer Eigentümers turjournalisten. Die Jury hatte im August 2015 eine ist es zu verdanken, dass dieses ortsbildprägende Vorauswahl getroffen und im Oktober und No- Denkmal restauriert und der Öffentlichkeit zu- vember 2015 die vorausgewählten Objekte vor Ort gänglich gemacht wurde. In Zukunft wird es dem besichtigt. Nach der Bereisung hat die Jury ent- neu gegründeten Heimatverein als Versammlungs- schieden neben dem dotierten Preis auch sechs un- raum dienen. dotierte Anerkennungen zu vergeben. Eine weitere Anerkennung ging an Karl-Dietrich Das Gebäude der Preisträger, das Fachwerkhaus im Freiherr von der Recke für die vorbildliche Sanie- historischen Stadtkern von Hallenberg, stammt rung des letzten erhaltenen Burgmannshofes in vermutlich aus dem 17.Jahrhundert und war bis in Lübbecke. Durch den denkmalgerechten Umbau das 20.Jahrhundert der Hof von wohlhabenden kann das multifunktionale Gebäude, welches aus Schafbauern, die hier auch Tuch herstellten. Laut dem 18.Jahrhundert stammt, nun als Kindertages- Inschrift ist der Hof 1818 grundlegend umgestaltet stätte und Fitnessstudio genutzt werden. worden. Dank des Engagements von Jutta Pinzler Die Eigentümerfamilie und der Förderkreis der und Jörg Schütte, die das vernachlässigte Bau- Wassermühle Schulze Westerath in Nottuln wur- denkmal 2012 gekauft, saniert und zur Frühstücks- den für den hohen ideellen Einsatz von der Jury pension umgebaut haben, konnte das Baudenk- mit einer Auszeichnung gewürdigt. Die Wasser- mal gerettet werden. Der „Hof Hallenberg“ ist mit mühle ist ein um 1490 erbauter repräsentativer seiner baulichen und wirtschaftlichen Geschichte Wohnsitz, der im 16.Jahrhundert zur Mühle umge- für Einwohner und Gäste so wieder erlebbar ge- baut wurde. Die Eigentümerfamilie Schulze Weste- worden. rath und der Förderkreis haben sich vorbildlich für

4 Das Back- und Dörrhaus auf dem Gelände des 5 Der Burgmannshof Lübbecke wurde von Karl-Dietrich ehemaligen Meierhofes in Nordborchen wurde mit einer Freiherr von der Recke denkmalgerecht saniert. Dafür undotierten Anerkennung ausgezeichnet. gab es von der Jury eine Anerkennung. 94

6 Die Eigentümerfamilie und der Förderkreis der 7 Rita Krane-Frankenfeld erhielt für ihren vorbildlichen Wassermühle Schulze Westerath in Nottuln wurden für Einsatz für ihr Fachwerkhaus in Rheda-Wiedenbrück eine den hohen ideellen Einsatz von der Jury mit einer Anerkennung. Auszeichnung gewürdigt. die Instandsetzung des Denkmalensembles enga- der die Malereien gereinigt und stellenweise be- giert und mit viel Eigenleistung dafür gesorgt, dass hutsam retuschiert wurden, entspricht der Bau Kinder- und Erwachsenengruppen hier Technikge- wieder weitgehend seinem ursprünglichen roma- schichte vor Ort erfahren können. nischen Aussehen. Die Maßnahmen wurden um- Eine weitere Anerkennung erhielt Rita Krane-Fran- fassend dokumentiert und von den LWL-Denkmal- kenfeld für ihren außergewöhnlichen Einsatz für pflegern begleitet. ihr Baudenkmal in Rheda-Wiedenbrück. Das Fach- Die St.Petrikirche in Soest wurde 1150 als Basilika werkhaus wurde ursprünglich 1622 erbaut und ist erbaut und ab 1230 zu einer Hallenkirche mit gro- eines der ältesten Bauten des historischen Stadt- ßen Emporen umgebaut. Die romanischen Dekora- kerns. In enger Zusammenarbeit mit den LWL- tions- und Wandmalereien gehören zu den ältes- Denkmalpflegern und der städtischen Denkmalbe- ten und umfangreichsten ihrer Art in Westfalen. hörde hat die neue Eigentümerin das lange unbe- Das qualitativ hochwertige Ergebnis der Dachsa- wohnte Gebäude aufwendig saniert. Durch die Er- nierung sowie der Restaurierung der Malereien ist weiterung mit einem direkt angrenzenden Neu- der engen Zusammenarbeit der Kirchen- und bau ist eine zukunftsfähige Nutzung als Pflegeresi- Denkmalbehörden zu verdanken. Der Kirchenge- denz gelungen, in der Senioren in angenehmer meinde mit Pfarrer Röger ist es gelungen, das öf- Umgebung wohnen. fentliche Verständnis für die Sinnhaftigkeit eines Zwei weitere Anerkennungen gingen an die Pfarr- Restaurierungskonzeptes zu gewinnen, bei dem kirche St.Cyriakus in Schmallenberg-Berghausen die Malereien als bauzeitlich ablesbar erhalten und die Petrikirche in Soest für die behutsame und bleiben. qualitativ hochwertige Restaurierung der mittelal- Ricarda Bodi terlichen Wandmalereien. In der romanischen Pfei- lerbasilika St.Cyriakus hat sich neben der bauzeitli- Bildnachweis chen Raumfassung in der Chorapsis auch figürliche Oliver Geiss: 1–2. – LWL-DLBW: 3 (Bodi), 4 (Schulenburg), Wandmalerei um 1210 erhalten. Dank der Restau- 2, 6, 9, 7 (Dülberg). – Lars Fahlbusch: 5. – Architekturbüro rierungsmaßnahmen im Inneren der Kirche, bei Günter J. Müller: 8.

8 Für die behutsame und qualitativ hochwertige 9 Die St.Petrikirche in Soest wurde für die vorsichtige Restaurierung der mittelalterlichen Wandmalereien und qualitätvolle Restaurierung der mittelalterlichen erhielt die Pfarrkirche St.Cyriakus in Schmallenberg- Wandmalereien mit einer Anerkennung gewürdigt. Berghausen eine Anerkennung. 95

Denkmalpflege und die Moderne 1960+ Bericht zum 7. Westfälischen Tag für Denkmalpflege in Marl Das Thema „Denkmalpflege und die Moderne 1960+“ stand im Mittelpunkt des 7. Westfälischen Tages für Denkmalpflege, den die LWL-Denkmal- pflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen am 19. und 20.Mai 2016 in der Scharounschule in Marl veranstaltete. Landeskonservator Dr. Holger Mertens und Axel Großer, stellvertretender Bür- germeister der Stadt Marl, begrüßten die Teilneh- mer aus den Bereichen Politik, Denkmalpflege, Stadtplanung, Kultur und Architektur zur Abend- veranstaltung am Donnerstag. Axel Großer bekräftigte die Aktualität des Themas 1 Musikschulleiter Günter Braunstein (v.l.), Dr. Fred für die Stadt: „Unser Rathauskomplex aus den Kaspar, Stiftung „Kleines Bürgerhaus“, stellvertretender 1960er-Jahren ist seit einem halben Jahr als Bau- Bürgermeister Axel Großer, LWL-Kulturdezernentin denkmal eingetragen und die Gebäude, insbeson- Dr. Barbara Rüschoff-Thale, Dr. Ulrich Krings, Kölner dere die beiden Türme, müssen dringend saniert Stadtkonservator a.D., Dr. Paul-A. Memmesheimer, werden. Dieses Projekt wird uns im Kontext eines Stiftung „Kleines Bürgerhaus“, und Landeskonservator umfassenden Erneuerungsprogramms für das Dr. Holger Mertens beim Auftakt des 7. Westfälischen Stadtzentrum in nächster Zukunft intensiv be- Tages für Denkmalpflege in der Scharounschule in Marl. schäftigen, daher freut es mich sehr, dass die LWL- Denkmalpfleger mit diesem Thema nach Marl ge- kommen sind.“ „Die Frage nach der Zukunft von Gebäuden und Anlagen der 1960-er und 1970er-Jahre ist in vielen Städten Westfalen-Lippes derzeit aktuell“, erläu- terte LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff- Thale die Themenwahl des Fachamtes. „Wir möch- ten zeigen, dass es sich lohnt, sie als Zeugnisse ei- ner Zeit des gesellschaftlichen Wandels und Um- bruchs zu erhalten, zu pflegen und zu nutzen.“ Und Landeskonservator Dr. Holger Mertens er- gänzte: „Unser Tagungsort, die Scharounschule hier in Marl, ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie es gelingen kann, dass Denkmalpfleger, Architekten, Stadtplaner und Stadtbewohner gemeinsam eine zukunftsfähige Lösung für ein Baudenkmal der 1960er-Jahre erarbeiten und umsetzen.“ Den Auftakt der zweitägigen Veranstaltung bil- dete das Abendprogramm am Donnerstag mit ei- nem Vortrag von Dr. Ulrich Krings. Unter dem Titel „Bausünde wird Baudenkmal. Karrieresprünge in der Denkmalpflege“, erläuterte der Kölner Stadt- konservator a.D., wie sich unser Blick auf Architek- 2 Im Rahmen der Exkursionen konnten die Teilnehme- tur mit wachsender zeitlicher Distanz verändert. So rinnen und Teilnehmer des 7. Westfälischen Tages für kann ein und dasselbe Gebäude bei seiner Entste- Denkmalpflege das Marler Rathaus kennenlernen. hung als visionäre Architektur gefeiert, wenige Der Baukomplex am Creiler Platz mit Sitzungstrakt und Jahre später als Bausünde verurteilt und wiederum zwei Bürotürmen, von den holländischen Architekten Jahre später als Baudenkmal gewürdigt werden. H. van den Broek und J.B. Bakema nach ihrem Wett- Anschließend verlieh die Stiftung „Kleines Bürger- bewerbssieg in den Jahren 1960–1967 errichtet, haus“, eine Treuhandstiftung in der Deutschen veranschaulicht die optimistische Stimmung eines Stiftung Denkmalschutz, ihren Preis „scheinbar un- wirtschaftlichen Aufschwungs, die ihren Ausdruck in der scheinbar“ an die Initiative „iserlohn-denkmal“. Formensprache der Architektur findet. Die Stiftung „Kleines Bürgerhaus“ in der Deut- schen Stiftung Denkmalschutz mit Sitz in Bonn und wahren und der breiten Öffentlichkeit zugänglich Telgte hat es sich zur Aufgabe gemacht, „scheinbar zu machen. „Im Zentrum stehen dabei neben den unscheinbare“ architektonische Zeugen der All- Gebäuden selbst auch die Wohn- und Lebensfor- tagskultur unserer Vorfahren in den Fokus der Auf- men, die sie repräsentieren“, so Dr. Fred Kaspar merksamkeit zu rücken, sie zu erforschen, zu be- von der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und 96

Baukultur und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Ein eigener Vortrag widmete sich dem Tagungsort, „Kleines Bürgerhaus“. Seit 2010 vergibt die Stif- also der Scharounschule, die in den Jahren 1964– tung alle zwei Jahre den mit insgesamt 10.000Euro 1970 nach den Plänen des Berliner Architekten dotierten Preis. Hans Scharoun errichtet und im Jahr 2004 in die Die Initiative „iserlohn-denkmal“ erhielt den Preis Denkmalliste der Stadt Marl eingetragen wurde. für ihr Engagement für das Fachwerkhaus Süder- Dennoch galt die Zukunft des Baudenkmals zu- graben 28 in Iserlohn, das im 18.Jahrhundert in nächst als unsicher. Dem Engagement von Denk- Reste der Stadtbefestigung eingebaut worden malpflegern, Architekten, Stadtplanern und Stadt- war. Nach langem Leerstand, der zu einem sichtba- bewohnern ist es zu verdanken, dass die Schule ren Verfall des Denkmals geführt hat, setzt sich der von 2009–2015 denkmalgerecht saniert werden Verein seit 2015 für das Haus ein und möchte es konnte und heute von der städtischen Musikschule nach den notwendigen Instandsetzungsarbeiten und der katholischen Aloysius-Grundschule ge- als Wohnmöglichkeit für junge Menschen im frei- meinsam genutzt wird. willigen sozialen oder kulturellen Jahr zur Verfü- Am Nachmittag führten Exkursionen die Tagungs- gung stellen. teilnehmer an unterschiedliche Orte in der Stadt Am Freitagvormittag wurde die Tagung fortge- Marl. Hier standen u.a. Kirchen der 1960er-Jahre setzt, indem die LWL-Fachleute die unterschiedli- und der Marler Rathauskomplex auf dem Pro- chen Bauaufgaben der 1960er- und 1970er-Jahre gramm. vorstellten. Die Referenten stellten u.a. Wohnbau- Die Beiträge zum 7. Westfälischen Tag für Denk- ten, Verwaltungsbauten, Freiraumplanungen und malpflege mit dem Thema „Denkmalpflege und Sakralbauten vor. Anschließend erläuterten sie an- die Moderne 1960+“ werden in der Reihe „Ar- hand von konkreten Beispielen denkmalpflegeri- beitshefte der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- sche Fragestellungen im Umgang mit Baudenkmä- und Baukultur in Westfalen“ publiziert. lern dieser Epoche. Hier ging es z.B. um die ener- Anne Bonnermann getische Ertüchtigung, die Beseitigung von Schad- stoffen, um Barrierefreiheit und Umnutzung. Bildnachweis LWL-DLBW: 1 (Schmidt), 2 (Woltering).

eindrucksvoll, wie bedeutend Baudenkmäler für das Bild und die Identität einer Region sein kön- nen. Sie seien damit auch ein Beleg dafür, dass ein Engagement im Bereich der Denkmalpflege nicht ausschließlich ökonomische Werte schaffe bzw. zu erhalten helfe, sagte Landeskonservator Dr. Holger Mertens zur Begrüßung der Teilnehmer. Er be- tonte, dass die Bereitstellung von Fördermitteln trotz der in erster Linie ideellen Ausrichtung eh- renamtlichen Handelns dennoch eine wesentliche Grundlage für dessen Erfolg darstelle. Denkmal- pflege sei eine Gemeinschaftsaufgabe. Die Pflege Die Westfälischen DNK-Preisträger und LWL-Experten und Erhaltung wertvollen Kulturgutes durch eh- der Denkmalpflege trafen sich in Minden-Lübbecke. renamtlich tätige Bürger, die sich in Stiftungen, Mit dabei Landeskonservator Dr. Holger Mertens Fördervereinen oder als Privatpersonen für den Er- (2.Reihe, zweiter von rechts) sowie Petershagens Bürger- halt unseres historischen Kulturgutes engagieren, meister Dieter Blume (1.Reihe, rechts). sei hierzu ein wesentlicher und besonders wertvol- ler Beitrag. Aber bürgerschaftliches Engagement Treffen der westfälischen DNK-Denkmal- sei auf staatliche Unterstützung angewiesen, so preisträger würdigte das Engagement des Mertens weiter. Er kritisierte deshalb erneut, dass Mühlenvereins im Kreis Minden-Lübbecke das Land Nordrhein-Westfalen 2014 die direkte Zu ihrem neunten Jahrestreffen kamen im Mai auf Denkmalförderung weitgehend durch Darlehns- dem Mühlenbauhof in Petershagen-Frille (Kreis programme ersetzt hatte. Minden-Lübbecke) die westfälisch-lippischen Preis- Die Arbeit der vielen Ehrenamtlichen im Mühlen- träger des „Deutschen Nationalkomitees für Denk- verein sei vorbildlich, denn der Erhalt und die malschutz“ (DNK) zusammen. Auf Initiative des Pflege der Mühlen gehe einher mit der Vermitt- Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) tref- lung ihrer Geschichte, lobte Dr. Ralf Niermann, fen sich seit 2008 die vom DNK ausgezeichneten Landrat und 1.Vorsitzender des Mühlenvereins. ehrenamtlichen westfälischen Denkmalpfleger Durch das facettenreiche Veranstaltungsangebot einmal im Jahr zum Erfahrungsaustausch. würden die Zeitzeugen der Mühlengeschichte zu Die rund 40 restaurierten Wind-, Wasser- und Ross- lebendigen Orten. Dieses ganzheitliche Nutzungs- mühlen im Mühlenkreis Minden-Lübbecke zeigten und Pflegekonzept helfe, dass sich auch jüngere 97

Generationen frühzeitig mit den historischen Spu- Die Preise des Deutschen Nationalkomitees für ren ihres Lebensumfeldes auseinandersetzen, er- Denkmalschutz – die „Silberne Halbkugel“ und der gänzte Petershagens Bürgermeister Dieter Blume. „Karl-Friedrich-Schinkel-Ring“ – gelten als höchste Für sein Engagement wurde der Verein 2011 mit deutsche Auszeichnungen für besondere ehren- dem Deutschen Preis für Denkmalpflege – der Sil- amtliche Verdienste im Denkmalschutz. Die Preise bernen Halbkugel – offiziell ausgezeichnet. werden vom Deutschen Nationalkomitee für Vereinsgeschäftsführer Friedrich Rohlfing sagte, Denkmalschutz in Bonn (DNK) vergeben. Das 1973 dass der Verein stolz darauf sei, in diesem Jahr gegründete DNK ist in Deutschland das übergrei- Gastgeber zu sein und dem Netzwerk der Preisträ- fende Forum für Denkmalschutz und Denkmal- ger die historische Kulturlandschaft des Mühlen- pflege. Es hat sich zum Ziel gesetzt, Bau- und Bo- kreises vorstellen zu dürfen. Sie würden damit dendenkmale als wichtiges Kulturerbe für nachfol- auch für die touristischen Potenziale Ost-Westfa- gende Generationen zu erhalten. len-Lippes werben. In der Präsentation stellte „Deutschlands größtes Freilichtmuseum liegt in Friedrich Rohlfing eindrucksvoll die geographische Minden-Lübbecke“, so werden die Mitglieder des Lage der Westfälischen Mühlenstraße und die ak- Mühlenvereins im Kreis Minden-Lübbecke e.V. zi- tive Denkmalpflege der Mühlenerhaltung durch tiert. Im Kreis Minden-Lübbecke haben unge- den Mühlenbauhof dar. Die Teilnehmer trafen sich wöhnlich viele Mühlen das „Mühlensterben“ ab zunächst im LWL-Industriemuseum der Glashütte ca. 1920 überlebt, drohten aber dennoch zu verfal- Gernheim in Petershagen, um sich über den aktu- len. 1973 entwickelten der damalige Kreisheimat- ellen Stand ihrer Projekte auszutauschen. Nach pfleger und der amtierende Oberkreisdirektor ei- zwei Fachvorträgen über das ländliche Bauen in nen Plan für deren Erhalt. Gemeinsam gelang es Minden-Lübbecke sowie über die Historie der den beiden späteren „Mühlenvätern“, Fördermit- Mühlen und ihrer Erhaltung erhielten die Teilneh- telgeber, Politik und Verwaltung auf kommunaler mer eine Führung durch den Mühlenbauhof. Im sowie auf Landesebene, Mühlenbesitzer, Kulturge- Anschluss besuchten sie die Wassermühle in Pe- meinschaften und Heimatvereine für das große tershagen-Döhren und die Windmühle in Peters- Projekt Mühlenrettung zu gewinnen. In Gang ge- hagen-Heimsen. setzt wurde ein einzigartiges Mühlenerhaltungs- Der Zusammenschluss der westfälischen DNK-Preis- programm, mit dem bis heute ca.40 Wind-, Wasser träger sei in Deutschland einmalig, so LWL-Denk- und Rossmühlen im gesamten Kreisgebiet restau- malpflegerin Dr. Barbara Pankoke, die für die Netz- riert wurden und unterhalten werden. Als Denk- werktreffen verantwortlich ist. Er mache deutlich, mäler zeigen sie die Entwicklung des Mühlenwe- dass die Erhaltung der Denkmäler ein gesellschaft- sens von ca.1650 bis 1950. Der Mühlenverein im liches Anliegen sei und in Westfalen zu vorbildli- Kreis Minden-Lübbecke e.V. ist verantwortlich für chem Engagement motivierte. Der LWL sei froh, die Instandhaltung und Vermittlung der Mühlen. mit den Jahrestreffen einen wichtigen Beitrag zur Heike Schwalm Kultur der Anerkennung leisten zu können. Damit möchte der LWL seine Wertschätzung zum Aus- Bildnachweis druck bringen und für das ehrenamtliche Engage- LWL-DLBW (Schwalm). ment in der Denkmalpflege werben.

Über die Grenzen hinaus turlandschaftlichen und baukulturellen Inhalten Ein gemeinsames EUREGIO-Projekt der und Fragestellungen in einer Grenzregion aus- niederländischen Gelders Genootschap und einandersetzen. Beide Einrichtungen befassen sich der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und unter anderem mit der Erfassung und Erforschung Baukultur in Westfalen landschaftlicher und kulturhistorischer Werte und Geldern und Westfalen sind nicht nur geogra- Güter, und leisten einen Beitrag zur Erhaltung und phisch eng verbunden. Die Beziehungen zwischen Entwicklung ihrer Region. Hinzu kommt, dass so- beiden Landesteilen lassen sich bis in das Mittelal- wohl die Gelders Genootschap als auch die LWL- ter zurückverfolgen. Bis heute kann man grenz- Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in übergreifende Entwicklungen ablesen, diese spie- Westfalen (LWL-DLBW) lokale Behörden in den Be- geln sich unter anderem in der Kulturgeschichte, reichen des gebauten und kulturlandschaftlichen der Dorfentwicklung sowie der Baukultur und In- Erbes beraten und unterstützen. frastruktur wider. Nach einigen Vorgesprächen startete im Herbst Anfang 2013 trat Janos Boros von der Gelders Ge- 2013 unter dem Titel „Grenzenlose Qualität“ das nootschap1 (GG), zuständig für den Bereich Um- gemeinsame EUREGIO-Projekt2 der Gelders Ge- weltqualität (manager omgevingskwaliteit), an nootschap und der LWL-DLBW. Die Finanzierung den damaligen westfälischen Landeskonservator, des Projekts erfolgte im Rahmen des von der Euro- Dr. Markus Harzenetter, heran. Boros schlug einen päischen Union initiierten Interreg-Programms In- grenzüberschreitenden Austausch zwischen den terreg IVA. Die Beantragung und die Koordination beiden Institutionen vor, die sich mit ähnlichen kul- der Projektmittel erfolgten durch die Genootschap. 98

Der Wissensaustausch, der Transfer von Arbeits- erfassten Inhalts. Um eine bessere Vergleichbarkeit weisen, ferner die Entwicklung gemeinsamer Pro- sowie ein Verständnis für die unterschiedlichen jekte zur Erhaltung bzw. Verbesserung der räumli- Vorgehensweisen zu erlangen, wurden in einem chen Qualität in der Grenzregion waren die 2013 weiteren Schritt die relevanten Gesetzeslagen, De- formulierten Ziele dieser Zusammenarbeit. Bei ver- finitionen sowie die Grundlagen und Herange- schiedenen Treffen in den Jahren 2013 und 2014 in hensweisen in den einzelnen Projekten herausge- Westfalen und in Geldern erhielten die Teilnehmer arbeitet. So können in den Niederlanden Denkmä- Einblicke in die jeweiligen Arbeitsabläufe und Vor- ler in unterschiedlichen Kategorien geschützt sein, gehensweisen zu den Themen Architektur, städti- zum Beispiel als rijksmonumente (staatlich ge- sche Planung, Landschaft und Kulturgeschichte, schützt), beschermde stads- en dorpsgezichten (ge- Baukultur sowie praktische Denkmalpflege. Darü- schützte Stadt- und Dorfbilder) und gemeentelijke ber hinaus erfolgte der Fachaustausch auch durch monumenten (kommunal geschützt) – die Aus- die Teilnahme an Veranstaltungen beider Häuser, wahlkriterien für letztere werden von jeder Ge- wie zum Beispiel am Kulturlandschaftskonvent meinde selbst festgelegt und variieren somit stark. oder dem jeweiligen Baukulturpreis. Darüber hinaus ermöglicht das „Gesetz zum Schutz Bereits bei einem Treffen in Arnheim im Februar von Naturschönheiten“ (Natuurschonwet) nicht 2014 sprach man darüber, „eine gemeinsame Karte nur den Landschafts- bzw. Naturschutz sondern in mit der historisch bedeutsamen Kulturlandschaft erster Linie den Schutz von Anwesen im Zusam- entlang der Grenze anzufertigen. (…) Diese Karte menhang mit dem dazugehörigen Land (Minimum wäre sicherlich auch eine gute Grundlage für das fünf Hektar). Dabei kommt es nicht darauf an, wie vorgenannte Projekt und andere zukünftige ge- alt das Anwesen ist, sondern darauf, dass be- meinsame Projektideen“.3 Dieses Vorhaben wurde stimmte vor allem landschaftliche Aspekte erfüllt beim folgenden Treffen im März 2014 in Münster werden. konkretisiert und ein Datenaustausch vereinbart. Vergleicht man die Inhalte der in ArcGIS zusam- Die Zusammenführung der Daten sollte unter an- mengeführten Shapes, so fällt unter anderem auf, derem als Diskussionsgrundlage für methodische dass die niederländischen Kolleginnen und Kolle- Fragen dienen, um auf diese Weise Gemeinsamkei- gen sich eher mit Objektgruppen befasst haben, ten und Unterschiede in der Herangehensweise he- wie rijksmonumente, Baudenkmäler sowie Land- rauszuarbeiten.4 Hierfür wurden Kartierungen zu sitze in den Niederlanden und Gelderland. Es wur- unterschiedlichen kulturhistorischen Themen ge- den denkmalgeschützte Objekte und geschützte sammelt, welche von der jeweiligen Seite bereits Landschaften erfasst, auch solche, die nicht unter zuvor bearbeitet und erfasst worden waren. Schutz stehen, die aber als Teil der Kulturland- Die Zusammenführung des Kartenmaterials in schaft für die Region prägend sind. Dabei wurde ArcGis erfolgte durch die Verfasserin im Zeitraum beispielsweise von einer Objektgruppe ausgehend von Oktober 2015 bis Januar 2016. Bei der Bearbei- festgestellt, wie viele Objekte es gibt, welche Flä- tung der niederländischen Daten und der Daten chen zu diesen gehören und in welcher Form sie aus der LWL-DLBW unter anderem aus dem Kultur- gegebenenfalls geschützt sind. landschaftlichen Fachbeitrag zum Regionalplan Dieser Ansatz unterscheidet sich von dem der Kol- Münsterland und dem Kulturlandschaftlichen leginnen und Kollegen der LWL-DLBW, die auf Pla- Fachbeitrag zur Landesplanung in Nordrhein-West- nungsebenen bezogen und nach Fachgruppen ge- falen in ArcGIS zeigte sich schnell, dass die Dateien trennt (Denkmalpflege, Archäologie, Landschafts- unterschiedliche Eigenschaften aufweisen, die eine kultur) erfasst und kartiert haben. Dabei wurden in Zusammenführung beträchtlich erschweren. Als einem definierten, regionalplanerischen Untersu- ein Beispiel hierfür sind unterschiedlich projizierte chungsgebiet Elemente der jeweiligen Kulturland- Koordinatensysteme zu nennen, die dazu führten, schaftsräume räumlich und sachlich aus unter- dass die Dateien im GIS-Programm nicht fehlerfrei schiedlicher Fachsicht erfasst, um somit unter an- über bzw. aneinander gelegt werden konnten. derem eine Grundlage bei der Abwägung mit an- Dies hatte zur Folge, dass jede Datei, in Form ihrer deren räumlichen Anforderungen auf den ver- unveränderten Ursprungsdatei, einzeln in einem schiedenen Planungsebenen zu schaffen. mehrstufigen Verfahren in ein einheitliches geo- In einem geplanten Folgeprojekt soll der gewinn- graphisches Koordinatensystem (ETRS1989 UTM bringende Austausch zwischen den beiden Institu- Zone 32N Berichtigungscode: 25832 EPSG) transfor- tionen, der Geldern Genootschap und der LWL- miert werden musste. Auf diese Weise konnten alle Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Dateien so zusammen geführt werden, dass sie in Westfalen weiter vertieft werden. einer Karte zu betrachten sind. Die erarbeitete Katharina Kirchhoff Karte besteht zurzeit aus 32 einzelnen, in verschie- denen Projekten entstandenen Shapes (18 von der Anmerkungen LWL-DLBW und 14 von der GG). 1 Die Geldern Genootschap (GG) ist eine unabhängige In- Neben der rein technischen Zusammenführung der stitution des Gelderlandes, die sich als Ziel gesetzt hat, Kartendaten erfolgte im Rahmen des Projekts ein Gelderland mit seinen identitätsstiftenden und charakte- analysierender Vergleich zu Art und Umfang des ristischen Merkmalen sowie räumlichen Qualitäten zu er- 99 halten und zu entwickeln. Experten beraten seit mehr als lichen Niederlanden zusammensetzt. 1958 gegründet, 90 Jahren Eigentümer und Gemeinden in den Bereichen fördert sie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Architektur, Stadtplanung, Kulturgeschichte, Baukul- zwischen Bürgern, Unternehmen und Organisationen tur, Archäologie und Landschaftsarchitektur. (http://www.euregio.eu/de/über-euregio Stand 23.2. 2016 2 EUREGIO ist ein deutsch-niederländischer Kommunal- 11:09Uhr). verband, der als eingetragener Verein fungiert und sich 3 Protokoll zum Treffen am 20.Februar 2014 in Arnheim. aus 129 Städten, Gemeinden und Kreisen aus dem Müns- 4 Protokoll zum Treffen am 26.März 2014 in Münster. terland, dem südwestlichen Niedersachsen sowie den öst-

Neuerwerbungen der Bibliothek in Auswahl

Bauer, Christine H. und Gabriele Patitz (Hg.): Sanierung historischer Stadtmauern. Stoffler, Johannes: Fliessendes Grün. Leit- Planung – Ausführung – Wartung & Pflege. faden zur Pflege und Wiederbepflanzung Fachkolloquium am 10.November 2015 in städtischer Freiflächen der Nachkriegs- Goslar. Stuttgart, 2016. ISBN 978-3-8167-9617-6 moderne. Zürich, 2016. ISBN 978-3-72813759-3 Viele Städte besitzen noch ihre historischen Stadt- Während die Beschäftigung mit den Gebäuden der befestigungen, die es mit denkmal- und bedarfs- Nachkriegsmoderne seit einiger Zeit intensiv ge- gerechten Maßnahmen zu erhalten gilt. Zum Er- führt wird, werden die Grünanlagen dieser Zeit fahrungsaustausch für den Umgang mit dieser eher unterschätzt. Als „dynamische Systeme“ soll- Bauaufgabe fand in Goslar ein Kolloquium statt. ten diese öffentlichen Grünzüge innerhalb der Die einzelnen Beiträge geben einen Überblick über Siedlungsumgebungen, Freibäder, Schulen und den aktuellen Wissensstand, neuere Forschungser- Friedhöfe als gestaltetes Grün durch die Stadt gebnisse und exemplarische Sanierungen. „fliessen“, um den Stadtbewohnern bessere Le- bensbedingungen zu verschaffen. Anhand bei- spielhafter Anlagen in Zürich und Umgebung wer- den Gestaltungsideen vorgestellt, die in ihrer Zeit Vorbildcharakter hatten und mit Hilfe dieses Leit- fadens fachgerecht gepflegt und wiederbepflanzt wurden. 100

Kramer, Kurt: Klänge der Unendlichkeit. Eine Reise durch die Kulturgeschichte der Glocke. Kevelaer, 2015. ISBN 978-3-7666-2178-8

Vereinigung der Landesdenkmalpfleger der Als Glockensachverständiger für das Bistum Frei- Bundesrepublik Deutschland (Hg.): burg war Kurt Kramer für etwa 6.000 Glocken zu- Denkmale der Industrie und Technik in ständig. Darüber hinaus kennt er einen Großteil Deutschland. Berlin, 2016. ISBN 978-3-945880- der Glocken der Welt und ihre Geschichte. In einem 09-8 umfassenden Überblick stellt er die Kulturge- schichte der Glocken von ihren Anfängen um Die Jahrestagung der Vereinigung der Landes- 3000v.Chr. in China bis heute vor. Reich bebildert denkmalpfleger (VdL) beschäftigt sich in diesem zeigt das Buch auch Beispiele von Glockendarstel- Jahr mit der Industriedenkmalpflege. Der vorlie- lungen in Bildender und Gestaltender Kunst und in gende opulent bebilderte Band dokumentiert auf Musik und Literatur. Die beiliegende CD enthält 70 knapp 430 Seiten den Stand der Erfassung und Er- ausdrucksvolle Tonbeispiele mit „Klängen aus drei haltung von Kulturdenkmalen der Technik und In- Jahrtausenden“. dustrie in Deutschland. Zusätzlich zur klassischen Einteilung in Objekte der Produktion, des Verkehrs und der Versorgung sind auch Denkmale von Wis- Umfassende Informationen über unsere Neuer- senschaft und Forschung aufgenommen. Die chro- werbungen erhalten Sie durch unsere aktuelle nologisch gegliederten Kapiteleinleitungen wer- Neuerwerbungsliste, die wir monatlich per Email den durch die Darstellung von Einzelobjekten an- verschicken. schaulich ergänzt. Im Anhang verweist eine aus- Sie können die Liste unter folgender Adresse abon- führliche Bibliographie auf weiterführende Litera- nieren: [email protected] tur und ein Register erschließt die Publikation nach Öffnungszeiten der Bibliothek: Orten, Personen und Institutionen. Montag–Freitag 8.30–12.30Uhr und Montag–Donnerstag 14.00–15.30Uhr. Anmeldung erbeten. 101

Personalia

bedeutender kriegszerstörter Baudenkmäler, zu- erst an den Giebeln, Schweifhauben und Turmla- ternen der Hohen Schule in Burgsteinfurt (bis 1958), dann bei der Vierungskuppel der Dominika- nerkirche in Münster. In den sechziger Jahren wertete er alles Bildmate- rial für die Neuschaffung der Kuppelfresken von Johann Adam Schöpf in der Münsterschen Cle- menskirche durch Paul Reckendorfer aus, ebenso 1965–68 für die Wiederholung der Festsaalfresken N. Loders im benachbarten Erbdrostenhof, die 1967/68 wiederum von Paul Reckendorfer gemalt wurden. Dem schlossen sich vor und um 1970 die Zeichnungen für die Kachellambris und die ge- schmiedeten Geländer im Festsaal und im Treppen- haus an, während gleichzeitig die Rekonstruktion der Stuckmarmorkanzel, der drei Altäre und der Kommunionbank für die Clemenskirche erfolgte. Für die bis 1985 von Johann Rauchegger besorgte Ausmalung des Loder’schen Treppenhauses im Erb- drostenhof schuf Preis in bewährter Weise die Vo- raussetzungen mit der Zusammenstellung und Auswertung der Bilddokumente. In memoriam Winfried Preis Nach Feierabend (und bis in die Nächte hinein) ent- * 29.10. 1930 † 7.6. 2016 stand 1972/73 in Zusammenarbeit mit dem Schrei- Im Alter von 85 Jahren ist Winfried Preis in seiner ber dieser Zeilen das nach dem Prinzip der Aus- Vaterstadt Fulda gestorben. Dorthin hatte er sich schneidebogen gefertigte Modell M1:150 von Erb- beim Wechsel in den Ruhestand zurückgezogen, drostenhof und Clemenskirche im städtebaulichen auch um ein Projekt voranzubringen und vielleicht Zusammenhang der Zeit um 1910. In der Schlaun- abzuschließen, das ihn jahrelang umtrieb: ein ge- Ausstellung 1973 fand es – vor allem bei alten naues und zuverlässiges Aufmaß „seines“ Domes, Münsteranern – große Beachtung. den er über alles liebte. Es blieb letztlich unvollen- 1977 war die Rekonstruktion des Bürgerhausgie- det. bels von Prinzipalmarkt11, des spätgotischen Wie seine Brüder war Winfried Preis zeichnerisch Nachbarn des Rathauses, abgeschlossen. Er war im hochbegabt. Schon als Schüler hatte er den Dient- Bombenkrieg abgestürzt, hatte aber wohl schon zenhofer-Bau für sich entdeckt; er trieb sich mit im 18.Jahrhundert die Zierteile verloren. Winfried Wissen und Duldung der Bauleute auf der Bau- Preis gelang der Nachweis, dass den Maßwerk- stelle herum und dokumentierte mit Zeichenblock blenden der Giebelstaffeln und den freistehenden und Stift – vielfach mit ungewöhnlichen Blickwin- Maßwerkaufsätzen ein gleichmäßiges Raster zu keln – Kriegsschäden und verborgene Details, bis Grunde lag. Diese Teile mussten nicht kostspielig hinauf zur Vierungskuppel. einzeln in Stein gehauen werden, sondern ließen Nach Abschluss seiner Bauzeichnerlehre wurde er sich viel preiswerter aus jeweils nur einer Form in am 15.1. 1951 – nicht zuletzt wegen der stupenden Kunststein gießen. Die Detailausbildung erfolgte Qualität seiner Fuldaer Domzeichnungen – als in Analogie zu gut dokumentierten Maßwerkgie- Zeichner im damaligen Landesdenkmalamt West- beln, die allerdings sämtlich zerstört waren. falen-Lippe angestellt, dem er dann fast 45 Jahre Winfried Preis war ein Fanatiker der Genauigkeit. lang angehörte. Er fertigte Zeichnungen für die In- Sprüche wie: „Ach, sooo genau muss das doch ventarbände von Wilhelm Rave (Kreis Borken) und nicht sein!“ oder „Da guckt doch sowieso keiner Hans Thümmler (Kreis Unna) und widmete sich mit hin!“ galten für ihn nicht. Er ließ nicht locker, bis er der ihm eigenen Ausdauer der Befunddokumenta- herausgefunden hatte, wie dieses oder jenes De- tion und dem Aufmaß des Westbaues der Corveyer tail, diese Schweifung oder jenes Gesims wirklich Klosterkirche. ausgesehen hatte, so dass er es für die Neuanferti- Seine besondere Fähigkeit zur Anfertigung von Re- gung richtig darstellen konnte. So ließ es ihm konstruktions-Zeichnungen durch beharrliche, ge- lange keine Ruhe, dass das Konzept für die Rekon- naue Auswertung von Bilddokumenten, speziell struktion der Turmhaube auf dem Paderborner der Fotoaufnahmen der Königlich Preußischen Theodorianum nicht mit der Auswertung der Mess- Messbildanstalt, bewies Preis beim Wiederaufbau bildaufnahme übereinstimmte. Tatsächlich waren 102

Mauerkrone und Haube des im Krieg abgebrann- tend in einer Ecke. Im kleinen Kreis war er mitteil- ten Turmes im Grundriss ungleich und schiefwink- sam und gesprächig, verschmitzt und witzig. Nicht lig verzogen – und die neue, nach den von Preis ge- ohne Grund wurde das Zeichenbüro im Erbdros- zeichneten Plänen errichtete, ist es ebenfalls. tenhof der Treffpunkt der sich allmählich entwi- Die letzten Jahre im Denkmalamt widmete Win- ckelnden Kaffeerunde, die häufig auch Ort und fried Preis ganz der Rekonstruktion des prachtvol- Anlass für gute Dienst- und Fachgespräche im Kol- len Hochaltars der Jesuitenkirche in Paderborn. legenkreis war. Von der verbrannten gewaltigen Altarwand gab es Nach und neben dem Dienst widmete sich Win- neben einer Gesamtaufnahme lediglich ein paar fried Preis der Musik; er war ein großer Beethoven- Detail-Aufmaßskizzen von der Hand des Paderbor- Verehrer. Dass er bestrebt war, jede neu erschei- ner Inventarisators Michels, aber glücklicherweise nende Aufnahme der „Neunten“, derer er habhaft auch zahlreiche Detailfotos, die Michels von unge- werden konnte, seiner stattlichen Sammlung ein- wöhnlichen Standorten aus aufgenommen hatte. zuverleiben, hatte etwas Skurriles. Jeden Montag- Mit dem gewohnten Eifer und der ihm eigenen abend war er im Chor des Musikvereins zu finden; Sorgfalt und Ausdauer ermittelte und konstruierte als sicherer Tenor war er über 40 Jahre lang ein ge- Preis Grundrisse und Schnitte in verschiedenen fragter und geschätzter Mitsänger. Dass er über- Ebenen und zeichnete viele Details im Maßstab dies ein passionierter Dampflokomotiven-Freund 1:1; es waren riesige Blätter, die auf der großen war, sei nicht verschwiegen. Die schweren Erzzüge Zeichenplatte im Zeichenbüro entstanden. Diese von Emden in das Ruhrgebiet hielt er vielfach in Arbeit zog sich über seinen Wechsel in den Ruhe- Bild und Ton fest und ebenso oft war er am Bahn- stand hin und auch bei der Umsetzung in Schrei- damm bei Altenbeken oder Ottbergen zu finden. nerwerk und Schnitzerei waren Preis und die aus- Nach dem Wegzug aus Münster wurde er von vie- führenden Handwerker und Künstler vielfach mit- len vermisst; er hatte immer gern mit Rat und Tat einander im Gespräch, u.a. über die Frage, wie um geholfen. Die Denkmalpflege in Westfalen hat 1700 die vielen Wellenleisten an Feldern, Rahmen Winfried Preis für seine vorbildlichen Arbeiten viel und Gesimsen hergestellt wurden. Vollendung und zu verdanken; er soll unvergessen sein. R.I.P. Weihe des Paderborner Hochaltars im Jahre 2003 Ulf-Dietrich Korn waren wohl die Krönung seines Lebenswerks. Winfried Preis war einer der Stillen im Lande, nicht Bildnachweis ungesellig, aber meist wortkarg oder schweigsam; LWL-DLBW bei größeren Gesellschaften saß er still beobach-

beitung der Glasmalerei, die er mit seiner Disserta- tion über die romanische Farbverglasung von St.Patrokli in Soest begann, zieht sich auch durch seine späten Forschungsbeiträge wie ein roter Fa- den. Hinzu kommen die wichtigen und gewichti- gen Teilbände des „Minden-Inventars“ über die Stifts- und Pfarrkirchen sowie über die Festungs- bauten. Seine intime Kennerschaft von Johann Conrad Schlaun und dessen Zeit blitzte noch ein- mal in der Rede zur Eröffnung des Treppenhauses im Erbdrostenhof in Münster auf. Sie bildete den humorvollen Abschluss einer langjährigen, intensi- ven Beschäftigung mit dem Gebäude und dessen Wiederaufbau. Es ist bemerkenswert, wenn ein Forscher über seine Dienstzeit hinaus die angefangenen Projekte zu Ende führt, und so versteht sich die nun veröf- fentlichte Bibliographie als eine Fortsetzung der bis 2001 erschienenen Publikationen, die in der Ulf-Dietrich Korn wird achtzig „Denkmalpflege in Westfalen-Lippe“ 1/02, S.39–42 Obwohl schon seit 2001 im Ruhestand, hat Dr. Korn veröffentlicht worden sind. in den letzten 15 Jahren weitergeforscht und zum Wir wünschen Ulf-Dietrich Korn alles Gute und Ge- Teil begonnene Forschungen, die während der täg- sundheit zu seinem 80sten Geburtstag und hoffen, lichen Amtsgeschäfte liegen geblieben waren, zu die Bibliographie zu einem späteren Zeitpunkt um Ende geführt. Korn war zwischen 1984 und 1992 weitere wissenschaftliche Publikationen ergänzen Leiter des Fachbereiches Inventarisation und ab zu können. 1989 bis 2001 stellvertretender Landeskonservator von Westfalen-Lippe. Die wissenschaftliche Bear- 103

Bibliographie Ulf-Dietrich Korn Glasmalerei-Restaurierungen in Westfalen 1974–2001 – (Fortsetzung von „Denkmalpflege in Westfalen-Lippe“ Eine Nachlese, in: Westfalen 81, 2003, Denkmalpflege 1/02, S.39–42) in Westfalen-Lippe. Aufsätze und Berichte der Jahre Mitarbeit an: Wilfried Ehbrecht (Hg.), Westfälischer Städ- 1999–2004 (2005) S.397–426. teatlas, Lieferung VI/1999 In memoriam Karl Eugen Mummenhoff (*17.4. 1920, Nr.3: Minden: †30.5. 2005), in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Tafel 1: Der Siedlungsraum entlang der Weser 1/2006, S.43f. M.1:25.000: Verlauf der Landwehr mit Schlagbäumen, Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, 50. Band: Stadt Türmen und Krughäusern (nicht vermerkt). Minden / Teil I.3: Register. Bearbeitet von Peter Bar- Tafel 3: Wachstumsphasen M1:5000 (mit Fred Kaspar thold und Fred Kaspar unter Mitarbeit von Ulf-Dietrich und Monika Schulte). Korn und Marion Niemeyer-Tewes. Essen 2007. Tafel 4: Minden um 1500 (mit Peter Barthold und Fred Die Prophetenscheiben aus Lohne bei Soest, in: Neue For- Kaspar). schungen zur Alten Kunst. Zum hundertjährigen Be- Das Wurzel-Jesse-Fenster aus St.Patrokli in Soest, in: Alte stehen des LWL-Landesmuseums für Kunst und Kultur- und neue Kunst – Periodische Berichte des Vereins für geschichte in Münster (1908–2008) und seiner Mittelal- Christliche Kunst in den Bistümern der Kirchenprovinz tersammlung, in: Westfalen Band85/86, 2007/2008 Paderborn e.V. Paderborn–Erfurt–Fulda–Magdeburg (2010) S.47–67. (Hg.), Band 41, 2002, S.47–52. Zur Baugeschichte von St.Martini in Minden, in: Heinrich Das Westfälische Abendmahl in St.Maria zur Wiese – Das Winter (Hg. im Auftrag des Presbyteriums), Ratskirche Fenster im Spiegel der älteren Literatur und Anmer- St.Martini in Minden – Ein Jahrtausend Kollegiatstift, kungen zu seiner Geschichte, in: Das Westfälische Pfarrei, Gemeinde. Minden 2009, S.398–418. Abendmahl in der Wiesenkirche zu Soest. Hg. v. West- Nachruf auf Hilde Claussen 30.August 1919 – 11.April fälischen Dombauverein St.Maria zur Wiese, Soest e.V. 2009, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunst- Soest 2002, S.53–62, 67 (Anmerkungen). wissenschaft Band63. Berlin 2009 (2010) S.270–277. Das Wurzel-Jesse-Fenster von St.Patrokli in Soest, in: (Zusammen mit Hans A. Peters, Soest) Leben und Leiden Soester Zeitschrift – Zeitschrift des Vereins für Ge- Christi – Die Farbfenster in der Apsis des Hauptchores schichte und Heimatpflege Soest, Heft114, 2002, S.4– von St.Patrokli [in Soest], in: Kreis Soest (Hg.), Heimat- 17. kalender 2010, Soest 2009, S.102–107 (mit 3 ganzseiti- Das Treppenhaus des Erbdrostenhofes in Münster nach gen Farbabb. nach Fotos von Klaus Schäfer, Soest). 1945 – Notizen eines am Rande Beteiligten. In: Westfa- Mittelalterliche Glasmalerei in und um Soest, in: Wilfried len und Italien – Festschrift für Karl Noehles. Hg. v. Udo Ehbrecht (Hg.) in Verbindung mit Gerhard Köhn und Grote in Verbindung mit Hans-Joachim Hubrich, Norbert Wex, Soest. Geschichte der Stadt, Band 1: Der Michael Reuter und Axel Schollmeier. Petersberg 2002, Weg ins städtische Mittelalter – Topographie, Herr- S.221–234. schaft, Gesellschaft. Soest 2010, S.929–985. Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, 50.Band: Stadt In memoriam Winfried Preis (* 29.10. 1930, † 7.6. 2016), Minden / TeilIII / Altstadt2: Die Stifts- und Pfarrkirchen, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 2/2016, S.101f. bearbeitet von Ulf-Dietrich Korn und Bettina Jost unter Beiträge in: Soest, St.Patrokli. Geschichte und Kunst. Im Mitarbeit von Peter Barthold, Claus Peter und Monika Auftrag der katholischen Propstei-Gemeinde St.Patro- Schulte. Essen 2003. kli zu Soest hg. von Hans J. Sperling. Mit Beiträgen von Das Treppenhausfenster von 1896 im Herrenhaus Ringels- Ulf-Dietrich Korn, Ulrich Löer, Peter Ruhnau, Annette bruch, in: Die Warte, Heimatzeitschrift für die Kreise Werntze und Fotografien von Andreas Lechtape. Re- Paderborn und Höxter, 65.Jg. Nr.121, Ostern 2004, gensburg 2012. Darin: S.85–91: Die älteren Glasmale- S.9f. reien: Die Fenster in der Apsis des Hauptchores; Das Die Emder Rathausfenster – Versuch einer Annäherung, „Aldegrever“-Fenster. S.119–138: Zu Geschichte und in: Glas. Malerei. Forschung. Internationale Studien zu Eigenart des Dommuseums. Die Glasmalereien im Ehren von Rüdiger Becksmann. Berlin 2004, S.281–293. Dommuseum: Die Fragmente der Hauptchor-Fenster; Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, 50.Band: Stadt Das Wurzel-Jesse-Fenster; Fünf kleine Einzelscheiben. Minden / TeilI.2: Einführung und Darstellung prägen- S.138–154: Kostbarkeiten im Dommuseum. der Strukturen / Festung und Denkmäler, bearbeitet von Ulf-Dietrich Korn unter Mitwirkung von Thomas Bildnachweis Tippach. Essen 2005. Ulf-Dietrich Korn 104

Gelsenkirchen im Ruhrgebiet zuständig, und zu- letzt auch im Kreis Herford tätig. Besonders engagierte er sich für historisch bedeut- same Projekte wie die Umnutzung der Synagoge in Petershagen, die aufwendige Restaurierung der größten Barockorgel Westfalens in Borgentreich und die erste Fabrikanten-Villa Schönfeld in Her- ford sowie für die Erhaltung oder gegebenenfalls für eine angemessene Umnutzung zahlreicher Kir- chen im Ruhrgebiet (siehe Liste der Veröffentli- chungen). Besonders lag ihm die behutsame Sanie- rung der Scharoun-Schule in Marl am Herzen, zu- mal er sich bereits im Studium intensiv mit Scha- roun und dessen Entwürfen auseinandergesetzt hatte. Die Ergebnisse dieser wichtigen Sanierung stellte er zuletzt auf dem 7. Westfälischen Tag für Denkmalpflege „Denkmalpflege und die Moderne 1960+“ im Mai 2016 vor. Diesen Denkmaltag in Marl hatte er auch mit vorbereitet. Ferner war er Hartmut Ochsmann im Ruhestand drei Semester lang Lehrbeauftragter im Fach Bau- Nach 21 Jahren im Denkmalamt des Landschafts- geschichte an der Fachhochschule Dortmund. verbandes Westfalen-Lippe ist Hartmut Ochsmann Hartmut Ochsmann war aufgrund seiner umfas- Ende Juni in den Ruhestand verabschiedet worden. senden Fachkompetenz und seiner ruhigen, Hartmut Ochsmann wurde 1951 in Soest/Westfalen freundlichen Art sowohl in der Beratung vor Ort geboren, wo er seine Schulzeit verbrachte und sein als auch im Amt ein geschätzter Partner und Kol- Abitur ablegte. Seinen Zivildienst absolvierte er in lege. Dabei überraschte er immer wieder unerwar- Münster, wohin er viele Jahre später wieder zu- tet mit seinem trockenen Humor. rückkehren sollte. An der RWTH Aachen studierte In seiner Freizeit zeichnet und malt er gern, er liest er Architektur mit den Schwerpunkten Altbaumo- viel und ist ein passionierter Kinogänger und dernisierung, Baugeschichte und Bauschadensfra- Schachspieler. Er schätzt es, gemeinsam mit seiner gen. Nach dem Diplom im Jahr 1980 schloss er ein Frau auf Reisen neue Eindrücke zu sammeln. Dafür Aufbaustudium der Wirtschaftswissenschaften an. – wie auch für seine Kinder und Enkelkinder – wird 1986–87 wirkte er am Geologischen Institut der er in Zukunft mehr Zeit haben. RWTH Aachen maßgeblich an der Restaurierung Wir wünschen dem langjährigen Kollegen für all von Kalköfen mit. Im Rahmen dieser Tätigkeit ver- das, was jetzt neu auf ihn zukommt, eine stabile fasste er einen Exkursionsführer zu den Kalköfen Gesundheit, damit er alles mit viel Freude genie- im Raum Aachen. Am Rheinischen Amt für Denk- ßen kann. malpflege arbeitete Hartmut Ochsmann 1989–90 in der Erfassung von Denkmälern (Schnellinventa- Bibliographie Hartmut Ochsmann risation). Aus einer anderen Perspektive befasste er Zur Entwicklung der Kalköfen und des Kalkbrennens im sich mit der Denkmalpflege, indem er Bauaufmaße Raume Friesenrath-Hahn-Walheim, in: Blätter zur denkmalgeschützter Fachwerkhäuser im baden- Geschichte Hahns und Friesenraths, 3/88. Aachen-Hahn württembergischen Schorndorf und Schwäbisch- 1988, S.61–81. Gmünd anfertigte. Von 1991–93 arbeitete er in der Stillgelegte Pumpenstation als künftiges Museum? Unteren Denkmalbehörde der Stadt Wuppertal, Aachen-Hahn, in: Denkmalpflege im Rheinland, H.1. wo er Denkmäler beschrieb und mit Denkmalwert- 6/89. Pulheim, S.37–39. begründungen Unterschutzstellungen veranlasste. Kalköfen in Aachen-Walheim. Technik-Geschichte, in: Als Kreisdenkmalpfleger in der Praktischen Denk- Denkmalpflege im Rheinland, H.1. 7/1990. Pulheim malpflege war er von 1993–95 bei der Unteren 1990, S.26–30. Denkmalbehörde des Wetteraukreises in Fried- Rezension von: Gerhard Fehl (Hg.), Mit Wasser und Dampf berg/Hessen beschäftigt. Nach diesen unterschied- … ins Industriezeitalter. Zeitzeugen der frühen Indus- lichen beruflichen Stationen, an denen Hartmut trialisierung im belgisch-deutschen Grenzraum. Ein Ochsmann sehr vielfältige Erfahrungen sammeln Foto-Sachbuch. Aachen 1991. ISBN 3-89124-103-8, in: konnte, kehrte er in seine Heimat Westfalen zu- Denkmalpflege im Rheinland, H.3. 8/91. Pulheim 1991, rück. Am 1.12. 1995 begann er als Gebietsreferent S.142–143. in der Praktischen Denkmalpflege im damaligen Auf den Spuren des Kalkgewerbes im Walheimer Raum. Westfälischen Amt für Denkmalpflege in Münster. Exkursionsführer. [Aachen] 1991 (2.Aufl. 1994). Nach anfänglicher Beratungstätigkeit in Ostwest- Die Pumpenstation Aachen-Hahn, in: Blätter zur falen (Bielefeld und die Kreise Höxter, Lippe und Geschichte Hahns und Friesenraths. 6/84. Aachen-Hahn Minden-Lübbecke) sowie für den Kreis Olpe war er 1994, S.146–149. später für die Kreise Recklinghausen, Bochum und Petershagen (Lkrs. Minden-Lübbecke). Die ehemalige 105

Synagoge in Petershagen. [Bericht für den Landesteil Kirchensanierungen im Ruhrgebiet, in: Fremde Impulse. Westfalen], in: Die Denkmalpflege, H.2. 59/01. Mün- Baudenkmale im Ruhrgebiet. Bönen 2011, S.69–73. chen [u.a.] 2001, S.181–182. Gelsenkirchen-Erle, Cranger Straße 325. Sanierung des Die ehemalige Synagoge in Petershagen wird Dokumen- Kirchturmes der evangelischen Dreifaltigkeitskirche, tationszentrum zur jüdischen Orts- und Regionalge- in: Westfalen 88/10. Münster 2012, S.348–350. schichte, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe, H.1. Die Restaurierung der Barockorgel aus St.Johannes Bap- 8/02. Münster 2002, S.30–35. tist zu Borgentreich 1998–2011, in: Denkmalpflege in Borgentreich (Lkrs. Höxter). Das „Steinerne Haus“. [Be- Westfalen-Lippe, H.2. 18/12. Münster 2012, S.74–81. richt für den Landesteil Westfalen], in: Die Denkmal- Bochum-Hiltrop, An der Hiltroper Kirche. Evangelische Er- pflege, H.2. 60/02. München [u.a.] 2002, S.169–170. löserkirche – die Außensanierung, in: Westfalen 88/10. Die ehemalige Synagoge in Petershagen als Informations- Münster 2012, S.300–303. und Dokumentationszentrum, in: Denkmalpflege in Herten-Westerholt (Kreis Recklinghausen), Schloss- Westfalen-Lippe, H.1. 10/04. Münster 2004, S.37–38. straße24. Katholische Pfarrkirche St.Martin – die Au- Rezension von: Ekkehart Hänel, Fachwerkinstandsetzung. ßensanierung, in: Westfalen 88/10. Münster 2012, Ein Praxishandbuch. Arbeitsschritte, Details, Anregun- S.413–415. gen. Berlin 2003. ISBN 3-345-00807-6, in: Denkmal- Bochum-Harpen, Kattenstraße3. Evangelische St.Vinzen- pflege in Westfalen-Lippe, H.2. 10/04, Münster 2004, tiuskirche. Sanierung des Kirchturmes, in: Westfalen S.84–85. 88/10. Münster 2012, S.297–300. Vom Klosterhof zur Landschaftsstation, in: Vom Nutzen Die Villa Schönfeld Villa. Museum – Stadtgeschichte – des Umnutzens. Umnutzung von denkmalgeschützten Sanierung, in: Denkmalpflege und Stadtentwicklung. Gebäuden. Hg.: Europäisches Haus der Stadtkultur e.V. Dokumentation. 6.Westfälischer Tag für Denkmal- Neuss 2009, S.70–72. pflege in Herford, 8./9.Mai 2014. Hg. vom Landschafts- Gelsenkirchen-Ückendorf, ehem. Kath. Pfarrkirche Heilig verband Westfalen-Lippe. Steinfurt 2015, S.52–63. Kreuz, Bochumer Str.115/117, in: Weiter- und Nachnut- Rezension von: Rolf Schönlau, Katja Schöne und Michael zung von Kirchen. 34. Pressefahrt des Deutschen Na- Beischoff, Gebaut in OWL. Ein architekturgeschichtli- tionalkomitees für Denkmalschutz in Zusammenarbeit cher Streifzug durch Ostwestfalen-Lippe. Paderborn mit dem LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen am 2014. ISBN 978-3-89710-586-7, in: Denkmalpflege in 19./20.Mai 2009, S.43–46. Westfalen-Lippe, H.2. 21/15. Münster 2015, S.106–108. Marl, ehem. kath. Pfarrkirche St.Konrad, Tannenstr.35, in: Castrop-Rauxel. Die statische Sanierung des Torhauses Weiter- und Nachnutzung von Kirchen. 34.Pressefahrt von Schloss Bladenhorst, in: Westfalen. Münster (im des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz in Druck) S.377–383. Zusammenarbeit mit dem LWL-Amt für Denkmal- Gelsenkirchen. Das Wohn- und Atelierhaus des Architek- pflege in Westfalen am 19./20.Mai 2009, S.35–38. ten Josef Franke, Robert-Koch-Str.18, in: Westfalen. Die historische Orgel aus St.Johannes Baptist als Kultur- Münster (im Druck) S.404–409. denkmal, in: Festschrift zur Orgelweihe Borgentreich. Ein Instrument wahrhaft europäischen Ranges. Bor- Bildnachweis gentreich 2011, S.23–26. LWL-DLBW

Jost Schäfer im Ruhestand Ende Juni 2016 ist Dr. Jost Schäfer in den Ruhe- stand verabschiedet worden. Der 1951 in Osna- brück geborene und aufgewachsene Kollege stu- dierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Kunstgeschichte, Philosophie und Sozio- logie. Sein Studium schloss er mit der Dissertation bei Prof.Dr. Georg Kauffmann über den ebenfalls in Osnabrück geborenen Künstler Friedrich Vor- demberge-Gildewart ab, einem Pionier der geo- metrischen Abstraktion des frühen 20.Jahrhun- derts. Bereits während seiner Studienzeit, in der er auch Mittelseminare bei dem damaligen Landes- konservator Prof.Dr. Dietrich Ellger belegte, hatte er als Werkstudent im Westfälischen Amt für Denk- malpflege gearbeitet und so Einblicke in das Auf- Jost Schäfer unterwegs mit den Massai in der gabenspektrum des Fachamtes gewonnen. Insbe- Masai Mara/Kenia. sondere in Praktika bei Prof.Dr. Hilde Claussen, der Leiterin der Restaurierungswerkstätten des Amtes, in denen seinerzeit u.a. bedeutende Objekte mit- telalterlicher Plastik wie das Cappenberger Kruzi- fix oder der Barbarossa-Kopf restauriert und kunst- 106 historisch analysiert wurden, setzte er sich mit spür für die Beurteilung von publikationsfähigen denkmalpflegerischen Fragestellungen auseinan- schriftlichen Äußerungen und auch für gestalteri- der. sche Fragen zu schätzen. So kann es nicht verwundern, dass Jost Schäfer sich Jost Schäfer besitzt ein Haus innerhalb einer denk- nach seiner Promotion der Denkmalpflege zu- malwerten 1960er-Jahre-Siedlung am Stadtrand wandte und zunächst von 1983 bis 1985 ein Volon- von Münster, wo er die Ruhe und die Nähe zur Na- tariat beim Rheinischen Amt für Denkmalpflege, tur genießt. Er hat ein Faible für gutes Essen und damals noch in Bonn, absolvierte. Hier inventari- steht gern auch selbst am Herd. Der weltoffene Ru- sierte er u.a. frühe Schulbauten aus der Mitte des heständler ist sehr an moderner und zeitgenössi- 19.Jahrhunderts im Rheinland und stellte diese scher Kunst interessiert. Reisen führen seine Frau Baugattung in einem Arbeitsheft unseres „Schwes- und ihn in die fernsten Winkel der Erde, die sie mit teramtes“ vor. Im Oktober 1985 trat er als wissen- Leidenschaft erkunden. schaftlicher Referent in das Westfälische Amt für Wir wünschen Jost Schäfer in diesem Sinne viele Denkmalpflege ein und bearbeitete im Team der weitere Erlebnisse in aller Welt und werden seinen Kulturguterfassung die Kreise Höxter und Soest. gewissen „american way of life“ hier vermissen. Nach der Auflösung der „Schnellinventarisation“ übernahm Jost Schäfer den Aufgabenbereich der Bibliographie Jost Schäfer Redaktion, der innerhalb der Inventarisation be- Zur Ikonographie des Vesperbildes (Einführungsartikel im reits seit den ausgehenden 1970er-Jahren bestand. Katalog zur Ausstellung „Gotische Vesperbilder“, Bis zu seiner Verabschiedung war es seine Haupt- Diözesanmuseum Paderborn). Paderborn 1980, S.9–16. aufgabe, Texte vor allem von Mitgliedern unseres Beprechung verschiedener Gemälde im Katalog zur Fachamtes entgegenzunehmen, zu beurteilen und Ausstellung „Glas und Gemälde des 17. bis 19.Jahr- sie durch seine redaktionelle Bearbeitung zur hunderts“. Diözesanmuseum Paderborn. Paderborn Druckreife zu bringen. Ungezählte Beiträge in der 1981. Zeitschrift „Westfalen“, der wissenschaftlichen Friedrich Vordemberge-Gildewart – Studien zu einer be- Reihe „Denkmalpflege und Forschung in Westfa- schreibenden Werkanalyse (Diss. 1983). Frankfurt [u.a.] len“, den verschiedenen Arbeitsheften, unserer 1984. Hauszeitschrift oder auch in dem jüngeren Format Volksschulbauten des frühen 19.Jahrhunderts im Rhein- „Denkmal des Monats“ hat er betreut. Jost Schäfer land, in: Denkmalpflege im Rheinland, H.2. 1/84. Köln war maßgeblich an der Entstehung der Amtszeit- 1984, S.12–16. schrift „Denkmalpflege in Westfalen-Lippe“ betei- Spätgotische Wandmalereien in der Pfarrkirche St.Petri in ligt (s. hierzu Jost Schäfer, Unsere Zeitschrift er- Windeck-Herchen, in: Denkmalpflege im Rheinland, scheint im 22.Jahrgang, H.1/16, S.4–9). Vor allem H.3. 2/85. Köln 1985, S.20–21. das Layout und das Format der seit 1995 zweimal Der ehemalige Kölner Flughafen Butzweiler Hof, in: jährlich erscheinenden Zeitschrift sollten sich von Denkmalpflege im Rheinland, H.4. 2/85. Köln 1985, bereits bestehenden Zeitschriftenreihen anderer S.27–29. Denkmalämter deutlich unterscheiden. Es wurde Historisches bei Robert Rauschenberg, in: Alte und mo- maßgeblich von Jost Schäfer in Zusammenarbeit derne Kunst 201/202. Innsbruck 1985, S.36–40. mit dem Grafiker Günter Schmidt entwickelt. Die Jugendstil-Sgraffiti in Bedburg-Hau, in: Denkmalpflege Zeitschrift war dem Vernehmen nach sein „liebstes im Rheinland, H.1. 3/86. Köln 1986, S.18–19. Kind“. Zur Seite stand ihm hier ein aus den ver- Der ehemalige Kölner Flughafen Köln-Butzweiler Hof, in: schiedenen Referaten zusammengestelltes Redak- Deutsche Kunst und Denkmalpflege, H.1. 45/87. Berlin tionsteam. Neben der Redaktionsarbeit betätigte 1987, S.58–65. er sich auch selber als Autor von Veröffentlichun- Neues Bauen. Die ehemalige Taubstummenanstalt in gen u.a. zur Bauhaus-Nachfolge in Westfalen so- Soest, in: Soester Zeitschrift, H.101. Soest 1989, S.174– wie zur Gefängnisarchitektur. 183. Jost Schäfer ist zwar all die Jahre der Leserschaft Frühe Schulbauten im Rheinland. Hg. Landeskonservator der Amtspublikationen nicht persönlich bekannt Rheinland (= Arbeitsheft 27). Köln 1990. geworden, gleichwohl hat er in mehr als 25 Jahre Zeit-Aspekte. Artikulationsmöglichkeiten von Zeit in der langer Redaktionsarbeit, entsprechend seinem bildenden Kunst des 20.Jahrhunderts, in: Kritische Be- Motto, aus guten Manuskripten bessere Veröffent- richte, H.3. 19/1991. Marburg 1991, S.35–49. lichungen zu machen, maßgeblich zur Außen- Bruno Paul in Soest. Villen der 20er-Jahre und ihre Aus- wahrnehmung unseres Fachamtes beigetragen. stattung (= Denkmalpflege und Forschung in Westfa- Dabei arbeitete er in dem Bewusstsein, dass alle len 23). Bonn 1993. Publikationen immer auch Plakate unseres Amtes Neues Bauen in Westfalen – Wohnhäuser der 20er Jahre, und Ansehens sind. in: Westfalen 72/94. Münster 1995, S.489–519. Das kollegiale Miteinander war wegen der Wohnhäuser aus der Tradition der Bauhaus-Moderne in zwangsläufig immer wiederkehrenden Erinnerun- Westfalen. Beispiele zur Vielfältigkeit eines Ideals, in: gen etwa an Abgabetermine oder an die formalen basis – bauhaus – … westfalen. Ausstellungskatalog Vorgaben für Beiträge mitunter mühevoll. Die Ahlen, Paderborn, Bad Oeynhausen, Bocholt, Reckling- Kollegenschaft wusste aber stets sein sicheres Ge- hausen, Soest, Dessau. Münster ¹1995, S.39–47. 107

Die Grund- und Hauptschule Hans Scharouns in Marl. Zum Denkmalwert der Verwaltungsgebäude der Stahl- „Organisches Bauen“ in der Nachkriegsmoderne, in: werke Bochum aus den Jahren 1919–1955, in: Denk- Denkmalpflege in Westfalen-Lippe, H.1. 2/96. Münster malpflege in Westfalen-Lippe, H.1. 17/11. Münster 1996, S.21–26. 2011, S.6–9. Die Villa Heutelbeck vom Architektenteam Bensel/Kamps Ein Verwaltungsgebäude der 1950er-Jahre in Coesfeld aus Hamburg und die Zeit in der Architektur, in: Denk- (Osterwicker Straße 12), in: Westfalen 88/12. Münster malpflege in Westfalen-Lippe, H.2. 2/96. Münster 1996, 2012, S.316–319. S.75–79. „… nach dem Mustergefängnis in London neu zu errich- „ …Neuheiten in Damenconfection“ – Otto Englers tende Straf- und Besserungsanstalt“ – Die heutige Jus- Jugendstilkaufhaus in Iserlohn, in: Denkmalpflege in tizvollzugsanstalt in Münster, in: Westfalen 90/12. Westfalen-Lippe, H.2. 3/97. Münster 1997, S.65–70. Münster 2012, S.5–38. Wie nationalsozialistisch ist Georg Kolbes „Junger Wäch- Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in ter“?, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe, H.1. 5/99. Münster, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe, H.1. Münster 1999, S.18–24. 21/15. Münster 2015, S.9–17. Ernst Sagebiel und das ehemalige Luftkreiskommando IV Denkmalwert der Justizvollzugsanstalt in Münster. [Be- in Münster, in: Westfalen 76/98. Münster 1999, S.380– richt für den Landesteil Westfalen], in: Die Denkmal- 401. pflege, H.1–2. 73/15. München 2015, S.141–142. Schinkel in Iserlohn? Das Eiserne Kreuz auf dem Düsing, Unsere Zeitschrift erscheint im 22.Jahrgang – Ein Rück- in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe, H.1. 13/07. blick, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe H.1. 22/16. Münster 2007, S.8–13. Münster 2016, S.4–8. Neues Bauen in Westfalen – Wohnhäuser des modern mo- vement in der Provinz, in: Denkmalpflege in Westfa- Bildnachweis len-Lippe, H.2. 16/10. Münster 2010, S.44–53. Foto: Jost Schäfer

reiche Sanierungsmaßnahmen hat sie intensiv be- gleitet und darüber hinaus an Tagungen, Publika- tionen und weiteren Projekten des Amtes ent- scheidend mitgewirkt. Das gemeinsame LWL/LVR- Denkmalprojekt zur Kulturhauptstadt RUHR.2010 „Fremde Impulse – Baudenkmale im Ruhrgebiet“ sei hier beispielhaft genannt. Sie studierte Architektur an der Universität Hanno- ver und arbeitete während des Studiums und nach dem Diplomabschluss im baugeschichtlichen For- schungsprojekt „Der Profanbau der Innenstadt Lü- beck“, anschließend absolvierte sie das Volontariat im Westfälischen Amt für Denkmalpflege in Müns- ter. Ab 1987 war Barbara Seifen zwei Jahre als Bau- historikerin für die Stadt Rheine tätig und er- forschte die Baugeschichte des spätgotischen Kreuzherrenklosters Bentlage. Mit diesem Thema Neue Leiterin des Referates Praktische wurde sie 1993 zum Dr.-Ing. an der Universität Denkmalpflege Hannover promoviert. Am 1.August 2016 hat Dr. Barbara Seifen die Lei- Im Westfälischen Amt für Denkmalpflege über- tung des Referates Praktische Denkmalpflege in nahm sie 1989 eine Stelle als Gebietsreferentin in der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukul- der Praktischen Denkmalpflege mit dem erweiter- tur übernommen. Das Referat befasst sich mit den ten Aufgabenbereich der Städtebaulichen Denk- Fragen der Erhaltung und Nutzung von Baudenk- malpflege, zuständig zunächst im Münsterland, malen, Denkmalbereichen und technischen Denk- später in Ost- und Südwestfalen, seit 2009 war sie malen und ist bei allen Instandsetzungs- und Um- Gebietsreferentin für den Kreis Steinfurt, die Stadt nutzungsmaßnahmen denkmalfachlich beratend Warendorf und die Stadt Münster. Für Münster für die Denkmalbehörden sowie für Eigentümer, wird sie neben ihrer Tätigkeit als Leiterin des Refe- Architekten, Handwerker, Ehrenamtliche und wei- rates weiterhin als Gebietsreferentin tätig sein. tere Partner in der Denkmalpflege tätig. Zudem Barbara Seifen vertritt seit 2011 auf Bundesebene obliegt dem Referat Praktische Denkmalpflege die die Interessen der Vereinigung der Landesdenk- Erfassung und Erforschung der Technischen Kultur- malpfleger (VdL) im Deutschen Kulturrat in Berlin. denkmale. Eine von gegenseitiger Wertschätzung geprägte Barbara Seifen ist durch ihre langjährige Tätigkeit Kooperation mit den Kolleginnen und Kollegen im als Gebietsreferentin in Westfalen-Lippe eine aus- Referat und im Amt wie auch mit allen Partnerin- gewiesene Kennerin des Denkmalbestandes. Zahl- nen und Partnern der Denkmalpflege vor Ort ist ihr 108 wichtig. Gute Lösungen für die Denkmalobjekte im Präsenz der LWL-DLBW stärker als bisher mitge- Dialog mit allen Beteiligten – auch in Konfliktfäl- stalten zu können. len – zu erzielen, ist ihr als Leiterin der Praktischen Denkmalpflege ein zentrales Anliegen. Zudem Bildnachweis freut sie sich darauf, die Aufgabenfelder und The- Hermann Willers menschwerpunkte des Amtes und die öffentliche

gischen Korrespondenzblatt und als Mit-Herausge- berin der Festschrift für Prof. A. Jockenhövel. 2001 wurde Frau Woltermann wissenschaftliche Mitar- beiterin mit Lehrauftrag in der Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie (damals Semi- nar für Ur- und Frühgeschichte) der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Anschließend war sie von 2009 bis 2015 als wissenschaftliche Re- dakteurin in dem Editionsprojekt „Corpus der Prä- historischen Bronzefunde“ der Akademie der Wis- senschaft und der Literatur Mainz tätig, das mit über 175 Monographien eine der renommiertes- ten archäologischen Buchreihen in Deutschland herausgibt. Die gebürtige Münsteranerin schloss 2013 ihre Dissertation über „Die prähistorischen Bernsteinartefakte aus Deutschland vom Paläoli- thikum bis zur Bronzezeit. Methodische Forschun- gen zu Lagerstättengenese, Distributionsstruktu- Neue Redakteurin im Sachbereich Vermitt- ren und sozioökonomischem Kontext“ ab. Seitdem lung und Baukultur ist sie in mehreren Netzwerken aktiv, u.a. dem Dr. Gisela Woltermann hat am 1.August 2016 die Netzwerk der archäologischen Wissenschaften an Leitung der Redaktion der LWL-Denkmalpflege, der Universität Münster, Archäologie Diagonal, Landschafts- und Baukultur in Westfalen übernom- und seit 2015 Sprecherin der AG Bronzezeit. men. Sie studierte Ur- und Frühgeschichte, Geolo- Gisela Woltermann freut sich auf die vielfältigen gie und Philosophie auf Magister an der Westfäli- Tätigkeitsfelder als Redakteurin in der LWL-Denk- schen Wilhelms-Universität Münster und arbeitete malpflege, Landschafts- und Baukultur, deren Pu- nebenher als Grabungshelferin bei der Boden- blikationen sie in enger Zusammenarbeit mit den denkmalpflege der LWL-Archäologie für Westfa- Kolleginnen und Kollegen gestalten und weiter- len. Bereits während ihres Studiums sammelte sie entwickeln möchte. Erfahrungen als Autorin und Lektorin von Fachpu- blikationen, u.a. bei der „Kunde“, der Zeitschrift Bildnachweis für niedersächsische Archäologie, beim Archäolo- Ines Heider