Krieg und Zerstörung von 1992 bis 1995

Autor(en): [s.n.]

Objekttyp: Article

Zeitschrift: ASMZ : Sicherheit Schweiz : Allgemeine schweizerische Militärzeitschrift

Band (Jahr): 162 (1996)

Heft 5

PDF erstellt am: 11.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-64361

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http://www.e-periodica.ch Teil 4 Krieg und Zerstörung von 1992 bis 1995

Nach dem Fall Mohammad Najibullahs im April 1992 teilten die Kommandanten und Parteiführer der Mujaheddin unter sich auf. Zuerst übernahm der Parteiführer der «Jabha Nejat-e Melli», Professor Sibghatullah Mujaddidi, die nominelle Präsidentschaft. Sein Einfluss beschränkte sich jedoch auf den Regierungssitz. Sein Nachfolger, der Tadschike , Führer der «Jamiat-e Island», konnte sich mit Hilfe seines Kriegsherrn Massud in mehreren Provinzen durchsetzen und eine eigene Hausmacht errichten.

Kontrolle über die Altstadt und den schen Verteilung der Bevölkerung. Die Teilung Kabuls alten Microrayon an sich. Diese beiden Während sich Massud im tadschikischen Bezirke liegen südlich des -Flusses. Teil festsetzte, beherrschten Auch Kabul wurde aufgeteilt. Jeder Des weiteren konnte er nördlich Hekmatyar und Sayyaf die paschtunischen der Parteiführer eignete sich einen des Kabul-Flusses die Kontrolle über Quartiere und Mazari den Stadtteil Bezirk an. Der «Löwe des Panjshir-Tals». die Kasernen und Militäreinrichtungen der schiitischen Hazara. Ahmad Shah Massud, setzte sich durch an der Strasse nach Jalalabad übernehmen. Entsprechend ihrer Ausrichtung eine überraschende Helikopter-Aktion wurden die Kriegsherren durch das in den Besitz des in der Stadtmitte Der Schiitenführer Abdul Ali Maza- Ausland finanziert. So bezog Hekmatyar liegenden Berges Koh-e Asma'i und der ri besetzte die Stadteile südwestlich des seine Unterstützung aus Pakistan. östlich angrenzenden Quartiere Kart-e Berges Koh-e Asma'i: Kot-e Sakhi, Deh Sayyaf erhielt Geld von den Saudis, Parwan, Shar-e Nao, Wazirabad, Bi- Mazang, das Universitäts- und und Mazari hatte seine Geldquelle im maru und des nördlich des Kabul-Flusses Spitalgelände Aliabad, Kot-e Sangi, aber . Der Usbeke Dostam verkauft liegenden «neuen» Microrayon1. auch Kart-e 3 und Kart-e 4. afghanisches Erdgas auf eigene Rechnung In vier bis fünf Tagen verlegte er Teile des Quartiers Khair Khana im und wurde offensichtlich schon 15000 Mann nach Kabul. Die Übertragung Nordwesten der Stadt und die westlich sehr früh durch Usbekistan unterstützt. des Amtes des Verteidigungsministers anschliessenden Vororte bis Paghman Woher die Mittel von Rabbani und ermöglichte es ihm auch, sich übernahm der Paschtune Abdul Rasul Massud stammen, ist unklar. Ihre über den Rüstungsbestand der Sayyaf von der «Etehad-e Islami». Finanzierung basiert zum Teil auf der kommunistischen Armee ins Bild zu setzen Ausbeutung der reichen Smaragd- und und festzustellen, dass diese waffen- weltweit einmaligen Lapislazuli-Vor- mässig den Armeen der Nachbarstaaten kommen in ihrem Herrschaftsgebiet2. überlegen war. Er konnte die Waffen, Ausländische Finanzierung Seit dem Vorstoss der Taleban nach die in seinen Bezirken stationiert Herat sollen auch Gelder aus Teheran waren - Panzer, Schützenpanzer, Diese Aufteilung der Hauptstadt und Neu Delhi nach Kabul fliessen. Mehrfachraketenwerfer - übernehmen. deckte sich weitgehend mit der ethni¬ Massud wurde zuerst durch den kommunistischen General und Milizenführer Rashid Dostam unterstützt, der allem die über den vor Kontrolle "">s Flugplatz und das Industriegelände übernahm. Alle diese Bezirke waren nördlich des Kabul- Flusses gelegen. Der Paschtune Gulbuddin Hekmat- * yar von der «Hezb-e Islami» riss aus Jalalabad vorstossend im Mai 1992 die <¦¦ 2p*> 'Als Microrayon/Mecrayon werden in Kabul jene «modernen» Wohnviertel bezeichnet, deren Blocks nach russischem Vorbild aus Beton-Fertigelementen erstellt sind. 2Es ist vielleicht kein dass Ende Zufall, 0 1995 in den USA eine umfangreiche Publikation erschienen ist, die belegt, dass Bedeutung und Umfang der Jt Edelsteinvorkommen in Nordost-Afghanistan Gulbuddin Paschtune, Führer Prof. Parteiführer durchaus mit jenen Südafrikas, Brasiliens Hekmatyar, Sibghatullah Mujaddidi, der sunnitischen «Hezb-e Islami-ye der «Jabha Nejat-e Melli» (Nationale oder Südostasiens verglichen werden Afghanistan» (Afghanische Islamische Gesellschaft) Afghanische Befreiungsfront), gehört einer kann. erhielt von den USA im Oktober der grossen Familien des Landes an, die als Bowersox & Chamberlin: Gemstones 1986 Fliegerabwehrlenkwaffen des Typs geistige Führer bereits vor der sowjetischen of Afghanistan. 240 S. Geoscience Press, «Stinger». Besetzung bedeutenden politischen P.O. Box 42948, Tucson, AZ 85733-2948. Einfluss hatten.

Beiheft zur ASMZ Nr. 5/1996 17 KHAIR Stadtplan von Kabul

1705 m 1 Flughafen Aussenministerium Khodja-Rawuh 2 Innenministerium (Militarbasis) 3 Shash Darak (KHAD-Zentrale) /wAZIRABAD 4 H, Ghazi-Sportstadion 5 Militärspital 6 Lycee Isteqlal 7 Mlcronyon Amani-Oberrealschule 8 Malalay-Mädchenschule IndustrlazorM 9 Habibia College 10 Fernseh-Sender 9.M*pU 11 Französische Botschaft B„L, TA?A Hot.l 'SälS 12 Pul-e Kheshti-Moschee InfrcofitlnTrtilB : WAZIR KARTE PARWAN AKBAR KHAN 13 Haus der i« US-BotaehattJMicrofeyon»•von-nau. JS?"'T/ sowjetisch-afghanischen Polytechnikum i\; >^ Radio2äK Freundschaft SHAR NAO Kabul ll^UJllL^ 14 Microrayon Hotel Ariana Si35~m) 15 Paschtunistan-Platz ALlAB* *o*5 ^Q ',"! Präeidenten- %m, Sa latl Spital Ali.bad

CHEHEL SOTUN DARULAMAN KABUL 0 1 km 2 km 1 I I VertekJigungsministerlum

nach Gardez, Paktia Stadtplan von Kabul. (A. Marigo. CEREDAF-Paris)

Die Übernahme der Kontrolle über Kabul durch die Parteien und ethnischen Gruppen war die erste Phase des Krieges in Kabul. Sie verlief praktisch ohne Zerstörungen und ohne Kämpfe mit der kommunistischen Armee. J *P>

Die phasenweise Zerstörung * von Kabul Der Krieg um Kabul und damit die X Zerstörung der Hauptstadt erfolgte in vier weiteren Phasen. ¦ Zuerst griff Dostam im Juli 1992 mit ' \ der Zustimmung Massuds mit Panzern ^ und Schützenpanzern die Stellungen Hekmatyars nördlich und südlich des Kabul-Flusses an und warf diesen aus Kabul hinaus. sich Abdul Rashid Dostam, ehemals kommuni Prof. Abdul Rasul Sayyaf, paschtunischer Hekmatyar konnte stischer General und Milizenführer usbeki Theologe und Führer der islamistischen noch entlang dem Logar-Fluss halten, scher Abstammung. (Keystone) «Etehad-e Islami», ist mit Rabbani verbündet. der am Ende des Industriegeländes im Seine Gefolgsleute nennen sich «Wa- Osten in den Kabul-Fluss mündet. habiten» - nach dem islamischen Reformer Massud unterstützte aber den Abd al-Wahab (ca. 1703 bis 1792). Angriff von Dostam nicht militärisch, son- 18 Beiheft zur ASMZ Nr. 5/1996 §Pl

Der in der Stadtmitte von Kabul liegende Berg Koh-e Asma'i mit Fernsehsender und Radaranlagen wurde von Massud mit einer überraschenden Aktion besetzt. Von dort bietet sich ihm ein ungehinderter Einblick in die Stellungen seiner Rivalen. dem verhielt sich abwartend und Im Januar 1993 brach zwischen entsprechend der sowjetischen Doktrin beobachtete den Krieg zwischen den beiden Dostam¦ und Massud entlang der Frontlinie, mit Panzern und Schützenpanzern Rivalen Dostam und Flekmatyar. die der Kabul-Fluss bildete, Krieg aus. Beinahe gelang ihm die Eroberung Dostam besetzte nun das Gelände aus. Die Gründe hierfür sind bis heute des Präsidentenpalastes. Die südlich des Kabul-Flusses bis zu den unklar. Regierungstruppen lösten mit ihrer Artillerie Stellungen von Hekmatyar. Dabei Angriffe und Gegenangriffe folgten und ihren Raketen gegen die Stellung konnte sich Dostam vor allem auf die einander. Dostam führte seine Angriffe von Dostam einen wahren Feuersturm alte Festung Bala Hissar östlich der Altstadt und Tapa-e Marandjan stützen.

Massud übernahm nach dem Vor- stoss¦ von Dostam neben dem Tapa-e Bimaru die Kontrolle über die nördlich des Kabul-Flusses gelegenen Quartiere, mit Ausnahme der Schiitenquartiere von Mazari. Der wichtigste Punkt im Dispositiv von Massud war der Berg Koh-e Asmai **w»- mit Fernsehsender und Radaranlagen. Von dort bot sich ihm ein ungehinderter Einblick in die Stellungen seiner Rivalen Dostam und Mazari. Die Regierungstruppen unter dem Oberbefehlshaber Massud stellten ihre Kanonenhaubitzen * «SSäKäC F* D-30 (122 mm, Reichweite r~..-> : 15.3 km). Mehrfachraketenwerfer BM- 21 (122 mm, Reichweite 20,5 km) und BM-27 Uragan (220 mm, Reichweite 35 bis 40 km) sowie die Werfer mit den Boden-Boden-Flugkörpern Luna-M p*\ (FROG-7, Reichweite 12 bis 80 km) bei Die Festung Bala Hissar von Süden gesehen. Im Hintergrund Teile der alten Stadtmauer Tapa-e Bimaru auf. auf dem Rücken des Berges Koh-e Sher Darwaza.

Beiheft zur ASMZ Nr. 5/1996 19 Die letzte Phase der Zerstörung von ¦Kabul steht im Zusammenhang mit dem Vorstoss der Taleban aus . Völlig überrumpelt zog Hekmatyar seine Truppen aus Charasyab nach Sarobi zurück und überliess den Taleban kampflos seine Stellungen - und einen Grossteil seiner schweren Waffen - im Süden Kabuls. * Von hier aus griffen die Taleban nun die von Schiiten bewohnten Quartiere - c im Südwesten der Hauptstadt an und zerstörten sie weitgehend. Um weitere Verluste zu vermeiden, übergab Mazari nun seine Stellungen im Universitätsviertel. Bei dieser Übergabe wurde er gefangen genommen und kam unter recht mysteriösen Umständen bei einem Helikopterabsturz ums Leben. Nun begannen die Taleban mit der Beschiessung der übrigen Teile der afghanischen Hauptstadt. Daraufhin schlugen die Regierungstruppen mit der vollen Wucht ihrer Artillerie Abdul Ali Mazari, Chef der semitischen «Hezb-e Wahdat», bei seiner Gefangennahme zurück und vertrieben die Taleban. Das durch die Taleban. Er kam nach der Übergabe seiner Stellungen im Kabuler Universitätsviertel Universitätsviertel und das Viertel mit bei einem Helikopterabsturz ums Leben. den Getreidesilos wurden ausradiert. Seither existiert die Universität nur aus. Ganze Strassenzüge der Altstadt Angriffes der Regierungstruppen wurden noch als Ruine. Doch bereits im April wurden zerstört, die alte Festung Bala die Streitkräfte von Dostam bis an 1995 wurde die Universität in ihren Hissar in eine Ruine verwandelt. die Stellungen von Hekmatyar zerbombten Gebäuden wieder Die Bewohner der Altstadt flohen zu zurückgeworfen. Eingeklemmt zwischen zwei provisorisch eröffnet. ihren Verwandten in die Aussenquar- Gegnern wurden die Dostam-Truppen tiere und in die umliegenden Dörfer. schliesslich aufgerieben und vernichtet. Mit Hilfe des Feuerschlages und des

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