Plenarprotokoll 18/207

Deutscher

Stenografischer Bericht

207. Sitzung

Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 30: und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Deutschland-Takt jetzt umsetzen a) Zweite und dritte Beratung des von der – Weichen in der Bundesverkehrswege- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs planung richtig stellen eines Sechsten Gesetzes zur Änderung Drucksachen 18/7554, 18/10515. . . . . des Fernstraßenausbaugesetzes 20697 D Drucksachen 18/9523, 18/9853, 18/10102 f) Beschlussempfehlung und Bericht des Nr. 3, 18/10524...... 20697 B Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu dem Antrag der Abgeord- b) Zweite und dritte Beratung des von der neten Dr. Valerie Wilms, , Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abge- eines Dritten Gesetzes zur Änderung des ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Bundesschienenwegeausbaugesetzes DIE GRÜNEN: Den Bundesverkehrswe- Drucksachen 18/9524, 18/9953, 18/10102 geplan zum Bundesnetzplan weiterent- Nr. 15, 18/10513 (neu) ...... 20697 B wickeln c) Zweite und dritte Beratung des von der Drucksachen 18/8083, 18/10514 Buchsta- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs be b ...... 20697 D eines Gesetzes über den Ausbau der , Bundesminister Bundeswasserstraßen und zur Ände- BMVI ...... 20698 A rung des Bundeswasserstraßengesetzes Drucksachen 18/9527, 18/9952, 18/10102 (DIE LINKE)...... 20700 D Nr. 14, 18/10516...... 20697 B Sören Bartol (SPD)...... 20702 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ frastruktur zu dem Antrag der Abgeord- DIE GRÜNEN)...... 20703 C neten Sabine Leidig, , (CDU/CSU)...... 20705 B , weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesverkehrs- Herbert Behrens (DIE LINKE)...... 20707 B wegeplan 2030 zurückziehen – Klima- schutz- und sozialökologische Nachhal- Christian Pegel, Minister (Mecklenburg- tigkeitsziele umsetzen Vorpommern) ...... 20708 B Drucksachen 18/8075, 18/10514 Buchsta- Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ be a ...... 20697 C DIE GRÜNEN)...... 20710 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ulrich Lange (CDU/CSU) ...... Ausschusses für Verkehr und digitale Infra- 20710 D struktur zu dem Antrag der Abgeordneten (SPD)...... 20712 A Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), , weiterer Abgeordneter (CDU/CSU) ...... 20713 D II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Tagesordnungspunkt 8: (DIE LINKE) ...... 20744 A Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Elvira Drobinski-Weiß (SPD)...... 20745 A , Dr. , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (BÜNDNIS 90/ NIS 90/DIE GRÜNEN: Familien stärken – DIE GRÜNEN)...... 20746 A Kinder fördern (CDU/CSU)...... 20747 A Drucksache 18/10473...... 20716 C Dr. (SPD)...... 20748 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 20716 D (CDU/CSU)...... 20749 D (CDU/CSU)...... 20717 B (Hamburg) (CDU/CSU). . . 20718 C Tagesordnungspunkt 34: Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn a) Antrag der Abgeordneten Cornelia (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . . . 20719 A Möhring, , Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE). . . 20721 A DIE LINKE: Alleinerziehende entlas- Susann Rüthrich (SPD)...... 20723 A ten – Umgangsmehrbedarf anerkennen Drucksache 18/10283...... 20751 B (CDU/CSU)...... 20724 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Jörn Wunderlich (DIE LINKE)...... 20726 D Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen Gülistan Yüksel (SPD)...... 20728 A und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- neten Jörn Wunderlich, Cornelia Möhring, (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . 20729 A Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und (CDU/CSU)...... 20730 B der Fraktion DIE LINKE: Lebenssituati- on von Alleinerziehenden deutlich ver- Birgit Kömpel (SPD) ...... 20732 B bessern (CDU/CSU)...... 20733 A Drucksachen 18/6651, 18/10106. . . . . 20751 B (SPD)...... 20734 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE)...... 20751 B Sönke Rix (SPD)...... 20735 C Gudrun Zollner (CDU/CSU)...... 20752 C Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU)...... 20736 C DIE GRÜNEN)...... 20754 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 20755 C Tagesordnungspunkt 11: Jutta Eckenbach (CDU/CSU)...... 20756 D Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Sigrid Hupach (DIE LINKE)...... 20758 B von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Dr. (SPD)...... wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 20759 C 19. Mai 2016 zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt Montenegros Nächste Sitzung ...... 20760 D Drucksachen 18/9989, 18/10332 ...... 20737 B (SPD)...... 20737 C Anlage 1 Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE). . . . . 20738 C Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . 20761 A (CDU/CSU)...... 20739 C Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 20740 C Anlage 2 (CDU/CSU)...... 20741 C Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstim- mung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes Tagesordnungspunkt 33: zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes (Tagesordnungspunkt 30 a)...... 20762 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Geset- (SPD) ...... 20762 A zes zur Änderung des Gentechnikgesetzes Michael Groß (SPD)...... 20762 B Drucksache 18/10459...... 20742 C Dr . Hans-Ulrich Krüger (SPD)...... 20762 C Christian Schmidt, Bundesminister BMEL...... 20742 D Christian Lange (Backnang) (SPD)...... 20762 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 III

Annette Sawade (SPD)...... 20763 A bau der Bundeswasserstraßen und zur Än- derung des Bundeswasserstraßengesetzes Dr . Dorothee Schlegel (SPD)...... 20763 C – die Beschlussempfehlung des Ausschus- (SPD)...... 20763 D ses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Anlage 3 LINKE: Bundesverkehrswegeplan 2030 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung zurückziehen – Klimaschutz- und sozial- über den von der Bundesregierung eingebrach- ökologische Nachhaltigkeitsziele umset- ten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände- zen rung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes – die Beschlussempfehlung des Ausschus- (Tagesordnungspunkt 30 b)...... 20764 B ses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias (CDU/CSU) ...... 20764 B Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus (Minden) (SPD)...... 20764 C Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (CDU/CSU) ...... 20765 A Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Wei- chen in der Bundesverkehrswegeplanung richtig stellen Anlage 4 – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie (CDU/CSU) zu den Abstim- Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn mungen über (Dresden), weiterer Abgeordneter und der – den von der Bundesregierung eingebrach- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Den Bundesverkehrswegeplan zum Bun- Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes desnetzplan weiterentwickeln – den von der Bundesregierung eingebrach- (Tagesordnungspunkte 30 a bis f)...... 20765 C ten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Än- derung des Bundesschienenwegeausbau- gesetzes Anlage 5 – den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes über den Aus- Amtliche Mitteilungen...... 20766 C

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Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. richts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, begrüße Sie alle herzlich zur letzten Plenarsitzung dieser Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak- Sitzungswoche. tion DIE LINKE Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 f auf: Bundesverkehrswegeplan 2030 zurückzie- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- hen – Klimaschutz- und sozialökologische regierung eingebrachten Entwurfs eines Sechs- Nachhaltigkeitsziele umsetzen ten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßen- Drucksachen 18/8075, 18/10514 Buchstabe a ausbaugesetzes e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (B) Drucksachen 18/9523, 18/9853, 18/10102 Nr. 3 (D) richts des Ausschusses für Verkehr und digitale Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (15. Ausschuss) (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksache 18/10524 NEN b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Weichen Gesetzes zur Änderung des Bundesschienen- in der Bundesverkehrswegeplanung richtig wegeausbaugesetzes stellen Drucksachen 18/9524, 18/9953, 18/10102 Drucksachen 18/7554, 18/10515 Nr. 15 f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- richts des Ausschusses für Verkehr und digita- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur le Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag (15. Ausschuss) der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Ab- Drucksache 18/10513 (neu) geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- GRÜNEN regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Den Bundesverkehrswegeplan zum Bundes- über den Ausbau der Bundeswasserstraßen netzplan weiterentwickeln und zur Änderung des Bundeswasserstraßen- gesetzes Drucksachen 18/8083, 18/10514 Buchstabe b Drucksachen 18/9527, 18/9952, 18/10102 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än- Nr. 14 derung des Fernstraßenausbaugesetzes liegen ein Ände- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- rungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Entschlie- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. (15. Ausschuss) Außerdem liegt zu dem Gesetzentwurf der Bundesregie- rung zur Änderung des Bundesschienenwegeausbauge- Drucksache 18/10516 setzes ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor. 20698 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll darü- Wir haben das Regionalisierungsgesetz abgeschlossen (C) ber 77 Minuten debattiert werden. – Einwände dagegen und geben in den nächsten 15 Jahren eine Rekordsumme sind nicht zu erkennen. Also verfahren wir so. von 150 Milliarden Euro für einen leistungsfähigen Re- gionalverkehr auf der Schiene aus. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister Alexander Dobrindt. Wir haben gestern im Deutschen Bundestag die Aus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- weitung der Lkw-Maut auf allen Bundesstraßen be- ordneten der SPD) schlossen und damit auch den Systemwechsel zur Nut- zerfinanzierung weiter vorangetrieben.

Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr Wir haben uns außerdem mit der EU-Kommission ge- und digitale Infrastruktur: einigt. Es steht fest: Auch die Pkw-Maut kommt. Damit Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und kann man zügig alle Voraussetzungen dafür schaffen, Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir starten dass Gerechtigkeit auf unseren Straßen herrscht und dass heute das größte Investitionsprogramm für die Infra- der Grundsatz gilt: Wer nutzt, der zahlt auch. Aber keiner struktur, das es je gegeben hat, mit dem Bundesverkehrs- zahlt doppelt, kein inländischer Autofahrer wird mehr wegeplan 2030, mit über 270 Milliarden Euro, mit mehr belastet, meine Damen und Herren. als 1 000 Projekten und erstmalig mit einer klaren Finan- zierungsperspektive. Der neue Bundesverkehrswegeplan (Beifall bei der CDU/CSU – Gustav Herzog stärkt das, was unser Land starkmacht: Infrastruktur und [SPD]: Da müsst ihr schon allein klatschen!) Mobilität in Deutschland. Wir erreichen damit in einer Wahlperiode 2 Milliarden (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Euro an Mehreinnahmen. Deutschland ist hier Vorreiter in Europa. Daran wer- Ich bin an dieser Stelle schon ein bisschen überrascht, den auch die einen oder anderen schrillen Zwischenrufe dass, wie man heute lesen kann, Geld und diese finanziel- der Verkehrspessimisten nichts ändern. Es ist eine Tatsa- len Summen in der Diskussion offensichtlich keine Rolle che, die alle Studien belegen. Beim Best Countries Ran- mehr spielen. Meine Damen und Herren, wir haben gan- king, vorgestellt beim Weltwirtschaftsforum in Davos, ze Wahlperioden damit bestritten, Kommissionen über ist Deutschland das beste Land der Welt mit zehn von die Frage tagen zu lassen: Wie viel mehr Geld braucht zehn Punkten für die Infrastruktur. Beim Logistics Per- die Infrastruktur, und woher kann dieses Geld kommen? formance Index der Weltbank ist Deutschland Logistik- Die Kommissionen haben getagt, getagt, getagt. Aber weltmeister und erreicht weltweit den höchsten Wert bei kein Euro mehr kam in die Kasse. 100 Millionen Euro (B) der Infrastruktur. Das ist die Grundlage für Wachstum, wurden stückweise Haushalt um Haushalt zur Verfügung (D) Wohlstand und Arbeit, für Wirtschaftskraft, Lebensqua- gestellt, um vielleicht etwas Bewegung in die Investitio- lität und Wertschöpfung. nen zu bekommen. Jetzt, da wir Milliardenbeträge mehr an Einnahmen schaffen, wird darauf hingewiesen, dass Deswegen war es natürlich falsch, in der Vergangen- dies vielleicht nur ein kleiner Teil wäre, um die Infra- heit zu wenig dafür getan zu haben, zu wenig in die Infra- struktur zu stärken. struktur investiert zu haben, zu wenig für den Erhalt auf- gewendet zu haben. Besonders in den Millenniumsjahren Im Investitionshochlauf haben wir es geschafft, zu wurden dringend notwendige Investitionen verschleppt sichern, dass die Lkw-Maut mit 4 Milliarden Euro wei- und die Infrastruktur auf Verschleiß gefahren. Ich sage ter zur Verfügung steht, dass sie durch die Ausweitung klar: Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen. auf alle Bundesstraßen 2 Milliarden Euro zusätzlich ein- Deswegen haben wir zu Beginn unserer Wahlperiode bringt und dass die Infrastrukturabgabe jährlich 4 Milli- mit dem Investitionshochlauf die notwendige Grundla- arden Euro zweckgebunden an Einnahmen bringt. Das ge für ein umfassendes Infrastruktur-Upgrade gestartet. sind zusammen 10 Milliarden Euro für Investitionen in Das, was wir jetzt mit dem Bundesverkehrswegeplan die Straße, langfristig gesichert. Sie wären doch über umsetzen, ist die Realisierung dessen, was wir an finan- Jahre hinweg froh gewesen, wenn Sie nur einen Bruchteil ziellen Mitteln im Haushalt zur Verfügung gestellt haben. davon hätten schaffen können, was wir jetzt ermöglicht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Die vergangenen Tage übrigens waren auf diesem Weg der Verwirklichung einer optimierten Infrastruktur Diese Rekordinvestitionen sind aber kein Selbst- so etwas wie ein regelrechter Ziellauf, mit dem wir eine zweck, sondern sie müssen zielgerichtet eingesetzt wer- ganze Reihe von historischen Meilensteinen erreicht ha- den. ben. (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE Wir haben letzten Freitag den größten Investitions- GRÜNEN]: Echt? Seit wann das?) haushalt für die Infrastruktur gestartet, der jemals im Deutschen Bundestag beschlossen worden ist, mit über Mit dem Bundesverkehrswegeplan und seinen Aus- 14 Milliarden Euro für 2017 und 2018 und mit einer In- baugesetzen für die Infrastruktur gelingt das. Mit den vestitionsquote im Haushalt des Bundesministeriums für 270 Milliarden Euro und den über 1 000 Projekten ma- Verkehr und digitale Infrastruktur von über 60 Prozent. chen wir die Infrastruktur in Deutschland fit für das glo- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20699

Bundesminister Alexander Dobrindt (A) bale digitale Zeitalter. Wir bringen übrigens zum ersten – hat recht, ihr wart grottenschlecht, als (C) Mal Ökonomie und Ökologie zusammen. ihr regiert habt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – ordneten der SPD – Lachen beim BÜND- Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter GRÜNEN]: Und das rechtfertigt, dass Sie es [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen noch schlechter machen?) Sie ja selber lachen!) Wir haben zum ersten Mal mit diesen Rekordmitteln eine klare und realistische Finanzierungsperspektive Ja, ich weiß, dass das für die Verkehrspessimisten von gegeben. Auch das gab es in Ihrer Zeit nicht. Ich weiß, den Grünen unglaublich schwer zu ertragen ist. Schau- dass natürlich auch die Tatsache, dass wir jetzt eine ech- en Sie, wir haben einen eigenen Umweltbericht zu allen te Finanzierungsperspektive für die über 1 000 Projekte Projekten des Bundesverkehrswegeplans erstellt. haben, ist natürlich für die Grünen alles andere als eine (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gute Nachricht. Sie wollen in Wahrheit überhaupt keine Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Straßen bauen, Sie wollen die Mobilität verhindern. Sie NEN]: Den haben Sie ja gar nicht eingehal- fordern doch bei jeder wiederkehrenden Bundestagswahl ten!) einen Stopp des Straßenbaus. Sie wollen natürlich nicht wahrhaben, dass ein großer (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bericht darüber gemacht worden ist, NEN]: Sie machen die Staus nur breiter! Das ist Ihr Problem!) (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jetzt sage ich Ihnen: Schon 1980 haben Sie darauf NEN]: Sie haben keinerlei umweltpolitische hingewiesen, man dürfe die Autobahnen nicht weiter Ziele!) ausbauen. Damals hatten wir 9 000 Kilometer, jetzt ha- weil Sie selber zu Ihrem Bundesverkehrswegeplan vor ben wir 13 000 Kilometer Autobahnen. Wir haben eine 15 Jahren einen Umweltbericht von nur mageren sechs Steigerung des Verkehrs auf den Straßen um 70 Prozent. Seiten hatten. Das ist doch die Wahrheit. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Genau dafür bauen Sie die Infrastruk- (Beifall bei der CDU/CSU) tur!) Ihr Bundesverkehrswegeplan von 2003, liebe Kolle- Hätten wir damals auf Sie gehört, hätten Sie sich mit ginnen und Kollegen von den Grünen, fällt doch im Öko- Ihrer Politik damals durchgesetzt, dann wären wir bei (B) check gnadenlos durch. Was wir in der Großen Koalition der Infrastruktur heute ein Dritte-Welt-Land. Das ist die (D) heute machen, ist in allen Bereichen deutlich besser als Wahrheit. das, was Sie damals auf den Weg gebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU) (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das Schlimmste dabei ist übrigens, liebe Kolleginnen NEN]: Sie sind immer noch grottenschlecht! und Kollegen von den Grünen, dass Sie sich in den letz- Grottenschlecht!) ten 30 Jahren bei diesem Thema keinen Millimeter wei- Wir investieren einen Rekordanteil von 70 Prozent der terentwickelt haben. Sie fordern jetzt noch – ich denke Mittel in den Erhalt und in die Modernisierung. Sie haben an Ihre Kollegen Kindler und Kuhn – ein Neubaumora- damals nur 56 Prozent geschafft. Wir investieren über die torium. Sie haben auf Ihrem Parteitag vor wenigen Wo- Hälfte der Mittel in die Schiene und die Wasserstraße. chen beschlossen, man müsse aufhören, dem Wachstum hinterherzubauen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Schienenprojekte sind noch nicht be- NEN]: Genau!) wertet worden!) Sie sind heute die gleiche straßenfeindliche Entmobili- Sie haben die Mehrheit der Mittel damals in die Straße sierungspartei wie noch vor 30 Jahren. Daran hat sich investiert. Wir investieren heute 112 Milliarden Euro in nichts geändert. die Schiene, mehr als doppelt so viel als das, was Sie damals auf den Weg gebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das funktio- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) niert seit 50 Jahren nicht, was Sie machen!) Lesen Sie es einfach nach! Ihre Empörung ist pure Heu- Die Menschen chelei, liebe Freunde von den Grünen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Diese Politik ist seit 50 Jahren geschei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tert!) ordneten der SPD – Zuruf des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ge- – Sie können so laut schreien, wie Sie wollen – gehen genruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihre strikte Investitionsverweigerung, was den Verkehr Grottenschlecht wart ihr in eurer Regierungs- betrifft, nicht mit. Die Menschen in unserem Land wol- zeit! Grottenschlecht wart ihr!) len mobil sein, sie wollen Investitionen in die Infrastruk- 20700 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Bundesminister Alexander Dobrindt (A) tur. Sie wollen, dass Deutschland bei der Mobilität Spitze bedanken, die beim Bundesverkehrswegeplan 2030 in (C) bleibt. Der aktuelle ARD-Deutschlandtrend sagt das ein- den letzten Monaten so aktiv mitgearbeitet haben, dass deutig. Da wurden die Menschen gefragt, wofür Mehr- ein großes Projekt entstanden ist. Allen voran möchte ich einnahmen des Staates verwendet werden sollen. Die mich bedanken bei den Kolleginnen und Kollegen des absolute Mehrheit, nämlich 60 Prozent, sagt ganz klar: Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, bei für Investitionen in die Infrastruktur. Das heißt, die Men- den Kollegen, die sich damit intensiv auseinanderge- schen vertrauen uns, die Menschen vertrauen der Großen setzt haben, bei den Kollegen Bartol und Lange, bei Frau Koalition, dass das Geld gut investiert wird, Lühmann, bei Herrn Vaatz, bei Herrn Herzog und bei Herrn Schnieder, die die Verantwortung dafür getragen (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben, dass dieser Bundesverkehrswegeplan erfolgreich NEN) durch die Ausschussberatungen im Deutschen Bundestag sie setzen auf den Erfolg unserer Verkehrspolitik und gekommen ist, sind gegen Ihre Entmobilisierungspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sören Bartol [SPD] – Matthias Gastel [BÜND- bei meinen Staatssekretären, bei der Kollegin Bär, bei NIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) Herrn Ferlemann, bei Herrn Barthle und bei all denen, die jetzt erfolgreich daran mitarbeiten, dass der Bun- Wir beenden mit unseren Rekordinvestitionen in der desverkehrswegeplan ein Garant dafür ist, dass die In- Tat auch einen jahrelangen Missstand in Deutschland. frastruktur in Deutschland in gutem Zustand bleibt und Wir beenden das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Län- Wachstum, Wohlstand und Arbeit für die Zukunft sichert. dern und Bund, bei dem immer wieder darauf hingewie- sen wurde, dass die Länder in den Regionen gerne bauen Herzlichen Dank. würden, aber es fehlten das Geld, die Perspektive und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die Zusage vom Bund. All das ist beendet. Das Nadelöhr sind nicht mehr die Finanzen, sondern das Nadelöhr sind die Planungen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Meine Baufreigaberunde hat es auch dieses Jahr ge- Sabine Leidig ist die nächste Rednerin für die Fraktion zeigt: Es gibt inzwischen sehr große Unterschiede zwi- Die Linke. schen den Regionen in Deutschland, was die Möglichkeit (Beifall bei der LINKEN) des Schaffens von Baurecht anbelangt. Das ist übrigens auch ein Befund, den die Bodewig-Kommission II uns (B) mit auf den Weg gegeben hat. Sie hat deutlich formuliert: Sabine Leidig (DIE LINKE): (D) Einige Länder haben Schwierigkeiten, baureife Projekte Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lie- anzumelden. – Das kann auf Dauer auch nicht so bleiben. be Gäste! Dieser Bundesverkehrswegeplan Wir müssen das dringend ändern. Da stehen auch wir in der Verantwortung. Deswegen habe ich eine Kommis- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist super!) sion eingesetzt, mit der wir bis zum Frühjahr nächsten zielt auf noch mehr Verkehr und lässt umweltverträgliche Jahres eine klare Strategie zur Planungsbeschleunigung Alternativen auf der Strecke. Deshalb lehnt die Linke ihn erarbeiten. Auch dabei gibt es keine Denkverbote. Alle ab. Vorschläge kommen auf den Tisch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wir haben diesbezüglich schon drei Maßnahmen be- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schlossen: Mit dem Brückenmodernisierungsprogramm haben wir dafür gesorgt, dass der Klageweg bei beson- Minister Dobrindt behauptet, dass mehr Verkehr auch ders dringlichen Projekten auf eine Instanz konzen- mehr Wohlstand bringt. Aber das ist reine Propagan- triert wird. Wir machen das digitale Planen und Bauen da, und das wissen Sie natürlich. Es gibt schon viel zu bis 2020 zum Standard bei allen Verkehrsinfrastruktur- viel Verkehr, zu viel Lärm, Abgase und Unfälle, zu viele projekten des Bundes; wir erproben digitale Methoden Lkws in den Ortschaften, zu viele stehende Autos in den bereits heute. Und mit der Gründung einer Autobahnge- Städten, zu viel zerstörte Naturräume. Der Kampf um den sellschaft sorgen wir dafür, dass die zwischen Bund und Treibstoff für diesen Verkehr ist der wichtigste Grund für Ländern geteilten Kompetenzen gebündelt werden und Kriege und Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Öl- in eine alleinige Verantwortung kommen. konzerne und der Klimawandel zerstören Lebensräume All das ist jetzt notwendig, um den Investitionshoch- und treiben Millionen Menschen in die Flucht. lauf und den Bundesverkehrswegeplan mit seinen Pro- Wir brauchen endlich einen Einstieg in eine sozi- jekten erfolgreich umzusetzen. al-ökologische Verkehrswende. Meine Damen und Herren, der Bundesverkehrswege- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- plan ist kein Plan, den man in jeder Wahlperiode macht. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Alle 15 Jahre wird ein neuer Bundesverkehrswegeplan im Parlament beraten und umgesetzt. Viele von den Kol- Sie wollen noch 15 Jahre vom zerstörerischen Weiter-so leginnen und Kollegen haben Verkehrswegepläne der und Mehr-davon, werte Kolleginnen und Kollegen von Vergangenheit mit erarbeitet, begleitet und auch deren der SPD und von der CDU/CSU, und haben noch zusätz- Auswirkungen verfolgt. Ich möchte mich bei all denen liche Straßenbauprojekte für Hunderte Millionen Euro Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20701

Sabine Leidig (A) in den Entwurf hineinverhandelt. So etwas machen wir gerinnen und Bürger irgendeine Wirkung gehabt hätten. (C) nicht mit. Das ist nicht akzeptabel! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen Mobilität für alle – ja! –, aber mit weni- ger Verkehr. Niemand darf aufs eigene Auto angewiesen Ich möchte ein Beispiel skizzieren, das zeigt, wie ver- sein. Dafür braucht es aber deutlich mehr öffentlichen nünftig die Alternativvorschläge sind. Das Bürgerforum Nahverkehr, den Bahnausbau in der Fläche und überall Gladbeck fordert, dass auf den Bau der durchgehenden sichere Fahrradwege. A 52 verzichtet wird, der übrigens schon bei einem Rats- bürgerentscheid 2012 mehrheitlich abgelehnt worden ist. (Beifall bei der LINKEN) (Sören Bartol [SPD]: Das stimmt nicht! Wir haben eine ganze Liste mit sinnvollen Eisenbahn- Falsch!) projekten vorgeschlagen, die einem solchen Konzept fol- Stattdessen schlagen sie sehr konkrete Maßnahmen vor, gen. Die haben Sie – bis auf ein einziges, nämlich die um die Verkehrsprobleme auf der Nord-Süd-Verbindung Gäubahn, die schon längst in der Debatte ist – alle ab- im Ruhrgebiet – Gladbeck–Bottrop–Essen – zu lösen und gelehnt. die Situation der regionalen Unternehmen zu verbessern: (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaub- Umgestaltung der Bundesstraße, Verbesserung des Bahn- lich!) verkehrs, bessere Radwege usw. (Gustav Herzog [SPD]: Auf dem Radweg Sie haben überhaupt alle Schienenprojekte abgelehnt, die transportieren Sie dann die Container?) von regionaler Bedeutung sind. Warum? bis hin zu geänderten Ampelphasen. Das ist doch viel (Sören Bartol [SPD]: Weil es ein Bundesver- sinnvoller, als noch mehr Geld in noch mehr Asphalt zu kehrswegeplan ist! Sie haben es immer noch stecken. nicht verstanden! Sie werden es auch nie ver- stehen!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Viertel aller beschlossen Straßen hat überhaupt keine überregionale Bedeutung. – Sie brauchen hier gar nicht Sie haben sich bisher geweigert, Alternativen zu ak- so herumzutönen; Sie wissen ganz genau, dass das ein zeptieren oder auch nur zu prüfen. eklatanter Widerspruch ist. (B) (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) (Beifall bei der LINKEN – Gustav Herzog NEN]: So ist es!) [SPD]: Er tönt nicht, er spricht Argumente Damit machen Sie Bürgerbeteiligung zur Farce, und das aus!) ist wirklich beschämend. Der Kollege Herzog hat dann auch noch behauptet, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- man könne gar nicht so viele Bahnprojekte durchführen, NIS 90/DIE GRÜNEN) weil gar nicht alle gleichzeitig gebaut werden könnten. Ja, aber wollen, dass es passiert, planen und das Geld da- Meine Fraktion stellt heute noch einmal zur Abstim- für bereitstellen, wäre möglich. Das machen Sie bei den mung, dass mehr Demokratie in die Projektplanung 1 300 Straßenbauprojekten, die Sie beschließen, ja auch. kommt. Bei den großen, umstrittenen Straßenprojek- Die hat das Ministerium übrigens alle akribisch und so ten – das sind ganz konkret 50 – sollen, bevor wir hier berechnet, dass sie sich angeblich alle lohnen. selbstherrlich beschließen: „So wird es gemacht“, Für die Bahn ist das bisher überhaupt nicht passiert. (Gustav Herzog [SPD]: Wir beschließen de- Sie haben es abgelehnt, dass auf der Schienenstrecke mokratisch, nicht selbstherrlich! Was haben elektrifiziert wird. Sie haben nicht beschlossen, dass das Sie für ein Demokratieverständnis! Unglaub- 740-Meter-Netz realisiert wird, damit europaweit auf lich! Das ist vielleicht der Zustand Ihrer Frak- langen Strecken lange Güterzüge fahren können. Alles tion und Partei!) dies ist wirklich nichts, was in die richtige Richtung geht. vor Ort faire Dialogverfahren mit unabhängigen Gut- achtern und neutraler Moderation stattfinden. So steht es Ich will noch ein Thema ansprechen, das wirklich übrigens in diesem sogenannten Handbuch für Bürgerbe- brennt. Landauf, landab haben sich viele engagierte teiligung, das Herr Ramsauer in der letzten Legislatur als Menschen im Rahmen Ihrer sogenannten Bürgerbeteili- Minister mit großem Brimborium öffentlich vorgestellt gung eingebracht. Sie reden ja immer davon, wie großar- hat. tig Sie das gemacht haben. Es sind Tausende Vorschläge dazu gekommen, wie man unnütze Straßenbauprojekte Die Alternativen müssen unabhängig vom Verkehrs- vermeiden und Geld sparen kann, wie sinnvollere Lö- träger geprüft und bewertet werden. Danach kann das sungen gefunden werden können. Was ist passiert? Alle Parlament entscheiden – das ist völlig in Ordnung. Aber diese Einwendungen sind in einer Blackbox gelandet, das ist das Mindeste, was Sie im Rahmen dieser abschlie- und es ist nichts dabei herausgekommen. Nirgendwo ist ßenden Beratung noch besser machen können. Sorgen zu erkennen, dass die Einwände und Vorschläge der Bür- Sie für ein Mindestmaß an politischer Korrektheit und 20702 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Sabine Leidig (A) demokratischer Haltung in diesem Punkt! Nicht mehr Bedarf und Finanzierung zusammen. „Wünsch dir was“ (C) und nicht weniger fordern wir an dieser Stelle. gibt es nicht! (Beifall bei der LINKEN – Sören Bartol (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- [SPD]: Das ist Demokratie!) SES 90/DIE GRÜNEN) Jedes Projekt, dessen Bedarf als prioritär festgelegt wor- Präsident Dr. Norbert Lammert: den ist, hat eine Chance, bis 2030 gebaut zu werden. Das Wort erhält nun der Kollege Sören Bartol für die Wir setzen auf die überregionalen Projekte SPD. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Deswegen Hunderte von Umgehungs- straßen!) Sören Bartol (SPD): und bauen dort, wo Pendlerinnen und Pendler tagtäglich Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen im Stau stehen. Das Bauen nach Himmelsrichtungen ge- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau hört der Vergangenheit an. Leidig, wer Ihre Rede gehört hat, wird sagen: Sie sollten erst einmal an Ihrem Demokratieverständnis arbeiten. Klar ist: Kein Gesetz geht so aus dem Bundestag he- Wenn etwas Demokratie ist, dann die Beratung und die raus, wie es hineingekommen ist. Beschlussfassung in diesem Hohen Hause. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zurufe von der LINKEN) NEN]: Geht schlecht rein und kommt noch schlechter raus!) So zu tun, als ob das nichts mit Demokratie zu tun hat, das ist wirklich eine Unverschämtheit. Nach den Diskussionen mit den Fachexpertinnen und -experten hat der Verkehrsausschuss bei einzelnen Pro- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) jekten die Prioritäten verändert. Anders, als es die Kom- Deutschland braucht gute Straßen, Schienen- und mentierung mancher in diesem Hause vermuten lässt, Wasserwege. Sie sichern unsere Mobilität. Sie sorgen sind bei nur 1 Prozent der Projekte Veränderungen vor- dafür, dass Mittelstand und Industrie wachsen können. genommen worden. Sie sind fachlich sinnvoll. Politisch Sie sorgen für persönliche Freiheit und gute Arbeit in den halten wir damit Maß und Mitte. Unternehmen. Ein Land, das im Stau steht, bleibt zurück. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ein Land, das baut, bleibt in Fahrt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will an dieser (B) (Gustav Herzog [SPD]: Sehr gut!) Stelle auf einen Punkt eingehen, der oft negativ diskutiert (D) In dieser Woche treffen wir wichtige verkehrspoliti- und kommentiert wird: den Bau von Ortsumgehungen. sche Entscheidungen. Gestern Abend haben wir bereits Offensichtlich verstehen Abgeordnete mit einem kla- die Ausdehnung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ren Wahlkreisbezug besser, welche Bedeutung Ortsum- beschlossen. Dadurch werden 2018 bis zu 2 Milliarden gehungen haben. Sie sorgen dafür, dass die Anwohner Euro Mauteinnahmen erwirtschaftet, die wir wieder in nicht mehr den Eindruck haben, dass die Lkw nachts die Straßen investieren wollen. Heute werden wir darü- quer durch ihr Wohnzimmer fahren. Teilweise kommen ber entscheiden, in welchen Bereichen wir das Geld der die Leute nachts vor Erschütterungen nicht mehr in den Steuer- und Mautzahler investieren wollen und welche Schlaf. Die Kaffeetassen vibrieren im Wohnzimmer- Prioritäten wir setzen. Wir werden für ganz Deutschland schrank. Die Laster verpesten die Innenstädte und Dörfer festlegen, welche Ausbauprojekte in den kommenden mit schlechter Luft. Häufig wohnen genau dort die Men- 15 Jahren gebaut werden. schen, die sich woanders keine Wohnung leisten können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gemein- Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sam intensiv über die drei Ausbaugesetze für die Straße, ignorieren die Bedürfnisse der Anwohnerinnen und An- die Schiene und die Wasserstraße diskutiert. Zu keinem wohner vor Ort. Gesetz haben wir in dieser Legislaturperiode so viele (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Fach­expertinnen und Fachexperten gehört wie hierzu. Zu Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- keinem Gesetz haben in den letzten drei Jahren so viele NEN]: Sie bauen doch Straßen, die vor Ort Sitzungen der Fachausschüsse stattgefunden wie hier- keiner wollte!) zu. Dabei haben wir Kurs gehalten. Die Wünsche aller einzelnen Wahlkreisabgeordneten waren groß. Aber die Außerdem – ich muss das so sagen, auch wenn ich selbst Summe aller Wünsche macht in der Gesamtheit keinen betroffen bin – ist Ihre Kritik doppelzüngig: Den alten guten Plan. Wir haben uns an die Grundsätze gehalten, Bundesverkehrswegeplan haben wir als SPD und Grü- die wir zuvor in der Koalition vereinbart hatten. ne gemeinsam verabschiedet. Damals waren es über 700 Ortsumgehungen. Jetzt haben wir die Anzahl auf 500 (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das reduziert. Damit wird auch klar: Wir setzen neue Priori- sind die falschen!) täten, ohne den Bedarf in den Regionen zu vernachläs- sigen. Wir investieren vorrangig in das bestehende Netz. Wir werden über 70 Prozent aller Mittel in die bestehenden Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Deutschland Verkehrswege investieren und sie sanieren. Wir denken nicht im Stau stecken bleiben will, brauchen wir am Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20703

Sören Bartol (A) Ende mehr Verkehr auf der Schiene. Unser Ziel ist die Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt entscheiden (C) Verdopplung der Kapazität im Schienennetz bis 2030. wir, welche Projekte bis 2030 gebaut werden sollen. Und Wir haben erreicht, dass das Bundesverkehrsministerium dann heißt es am Ende: planen, planen, planen. Lassen bis Ende 2017 für alle bisher nicht gerechneten Projekte Sie uns alle gemeinsam daran arbeiten, dass die Planun- die Kosten-Nutzen-Rechnung vorlegen wird. Projekte, gen schnell, vielleicht auch ein bisschen schneller als bis- bei denen der Nutzen am Ende größer als die Kosten ist, her vorankommen, damit am Ende die Bauwirtschaft in werden wir entsprechend einstufen und bauen. Deutschland ordentlich etwas zu tun hat. (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. Klar ist: Der Ausbau der Schiene wird nur mit einer (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – starken Bürgerbeteiligung und mehr Lärmschutz gehen. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Und Sie beschließen das!) (Beifall bei der SPD) Daher wollen wir den Dialog, der mit der Erarbeitung des Präsident Dr. Norbert Lammert: Bundesverkehrswegeplans begonnen wurde, bei jedem Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun einzelnen Projekt fortführen. Alle Parlamentarierinnen die Kollegin Valerie Wilms das Wort. und Parlamentarier sollten sich an diesem Dialog beteili- gen. Wir sollten uns dabei aber auch daran erinnern, dass (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wir heute fraktionsübergreifend und einvernehmlich den Dr. Valerie Wilms weiteren Ausbau der Schiene fordern. Denn – ich sage Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! das einmal deutlich – wir können nicht hier in Berlin Meine Damen und Herren! Ja, zum Schluss haben wir immer die Verkehrswende fordern und dann vor Ort zur gehört, was Sie wollen, Kollege Bartol: Speerspitze der Bürgerproteste werden. (Sören Bartol [SPD]: Wir wollen bauen!) (Beifall bei der SPD) Beton, Beton, Beton. Das steht im Vordergrund. Unsere Aufgabe ist es, Kompromisse zwischen Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) baunotwendigkeit und Lärmschutz zu finden und dann am Ende im Bundestag gemeinsam die Mehrkosten auch Insofern haben Sie sich richtig entpuppt. für den Lärmschutz bereitzustellen. (Sören Bartol [SPD]: Es gibt doch ganz mo- Liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam haben derne Materialien! Das haben Sie noch nicht mitgekriegt! Die Schiene wird auf Sand ge- (B) wir einen großen Konsens erreicht, der von vielen in (D) unserem Lande mitgetragen wird. Das war nur möglich, baut? Und im Wasserweg ist auch Beton?) weil wir seit über einem Jahr in der Koalition sehr ver- Jetzt wollen wir uns mit dem Bundesverkehrswege- trauensvoll an diesem wichtigsten verkehrspolitischen plan ernsthaft beschäftigen. Projekt in dieser Legislaturperiode gearbeitet haben. Dies wurde vor allem auch durch Bundesverkehrsmi- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Also statt Beton nister Alexander Dobrindt ermöglicht. Dafür herzlichen kommt jetzt die Strecke!) Dank. Dieses Ding, genannt Bundesverkehrswegeplan, ist ge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) scheitert. So klar und eindeutig muss man das sagen. Er ist schlecht für Umwelt und Klima. Er ist keine Antwort Entscheidend ist jedoch, was der Deutsche Bundestag am für die Mobilität in der Zukunft – für die gestrige viel- Ende beschließt. leicht, Herr Dobrindt. Er ist schlicht nicht bezahlbar. Es Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kolle- gibt so etwas wie eine Schleppe, die das auf ewige Zeiten gen bedanken, die in den letzten Wochen sehr intensiv verteilt. Jeder, der etwas anderes erzählt, macht den Men- an den Ausbaugesetzen gearbeitet haben. Dazu gehören schen etwas vor, insbesondere die Kollegin Kirsten Lühmann, die Kolle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gen Vaatz, Lange, Gustav Herzog und Patrick Schnieder. Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn!) Vielen Dank für die Mühe, die Sie sich gemacht haben. der verspricht etwas, was nicht zu halten ist. Dieser Bun- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) desverkehrswegeplan, Herr Dobrindt – auch wenn Sie gerade aus Brüssel mit einem Lächeln zurückgekommen Außerdem freue ich mich besonders, dass Landesver- sind –, ist ein Paradebeispiel für das Scheitern dieser kehrsminister Christian Pegel aus Mecklenburg-Vorpom- großen Stillstandskoalition an den wichtigen echten Zu- mern heute hier anwesend ist und auch zum Bundesver- kunftsfragen. kehrswegeplan reden wird. Er hat uns als Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz der Länder konstruktiv (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – begleitet, als wir gemeinsam den neuen und modernen Zuruf von der SPD: Das tut weh! – Zuruf von Bundesverkehrswegeplan erarbeitet haben. Vielen Dank der CDU/CSU: Sie waren auch schon mal bes- dafür. ser!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es ging der Koalition nicht darum, den Verkehr in der der CDU/CSU) Zukunft so umweltfreundlich wie möglich zu organisie- 20704 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Dr. Valerie Wilms (A) ren. Es ging nicht um ein stimmiges Netz aus Straßen-, Ich kann Ihnen sagen, worauf es nicht ankommt. Es ist (C) Schienen- und Wasserwegen. letztendlich bedeutungslos, in welcher Bedarfskategorie ein Projekt steht. Es kommt nicht darauf an, ob beson- ( [SPD]: Doch!) ders viele Fahrzeuge unterwegs sind. Es kommt auch Auch beim Klimaschutz, Kolleginnen und Kollegen: nicht darauf an, ob damit ein Engpass im gesamten Netz Fehlanzeige. aufgelöst wird. All das spielt keine Rolle. (Sören Bartol [SPD]: Wo fährt denn eigent- (Sören Bartol [SPD]: Das stimmt doch nicht! lich das Elektroauto? Wo fährt das lang?) Ihr habt es immer noch nicht verstanden!) Es ging vor allem darum, möglichst vielen aus dieser Ko- Denn Bundesregierung und Koalition haben bewusst da- alition ein Geschenk für den Wahlkreis zu machen. rauf verzichtet, eindeutige und nachvollziehbare Kriteri- en festzulegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Das ist so billig und so (Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden Sie doch bitter und so peinlich!) einmal über die Bahn!) Viele Abgeordnete der Koalition werden sich feiern las- So bleibt selbst die umweltschädlichste Ortsumgehung sen, weil es irgendeine Ortsumgehung in ihrem Wahl- im Spiel. Erst hinter verschlossenen Türen wird ausge- kreis in den Plan geschafft hat. Aber jeder muss wissen: kungelt, wohin das Geld tatsächlich geht. Mauscheleien Es bedeutet gar nichts, wenn man irgendetwas in den statt klarer Fakten: Das ist die Wahrheit, Herr Minister. Bundesverkehrswegeplan hineinschreibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn man kei- Zuruf von der CDU/CSU: Frechheit! Frech- nen Wahlkreis hat, kann man so daherschwät- heit!) zen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hätten uns die Mit dem Bundesverkehrswegeplan fließt noch kein ein- ganze Arbeit sparen können. Der Bundesverkehrswe- ziger Euro. geplan ist ein Instrument der Vergangenheit. Er war gut für den Aufbau in Ost und West, aber er ist nicht mehr (Beifall des Abg. Matthias Gastel [BÜND- brauchbar für ein modernes Land, das schon ein dichtes NIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der SPD: Verkehrsnetz hat. Genau!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das kommt erst später. Der Bundesverkehrswegeplan ist Die Antwort für die Zukunft heißt: kluge Vernetzung. (B) nur eine grobe Empfehlung. Was wirklich daraus wird, (D) Wir müssen wirkliche Engpässe auflösen, und immer zu- kann keiner sagen; erst auf die Verbesserung vorhandener Wege setzen, statt ( [CDU/CSU]: Er ist aber die mit Neubauten einmalige Natur einfach zuzubetonieren. Grundlage, dass ein Euro fließt!) Wir brauchen ein Netz, das Verkehr auf die umwelt- freundlichen Verkehrsmittel Schiene und Wasserstraße denn es steht viel zu viel im Plan drin. Darum werden wir verlagert, in der nächsten Wahlperiode Schluss machen mit diesem Unfug. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – [SPD]: 60 zu 40, Schiene (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Wasser!) Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen aber nur dort, wo die Wasserstraße wirklich vernünftig lassen: Allein für Straßen im Vordringlichen Bedarf wird anwendbar ist; wir brauchen keine goldenen Schleusen- eine Fläche gebraucht, die etwa drei Vierteln der Größe tore am Elbe-Lübeck-Kanal, über die sogar der entspre- Münchens entspricht – um die lauten CSUler entspre- chende Wirtschaftsverband sagt: Das Ding brauchen wir chend einzunorden. nicht. (Lachen bei der CDU/CSU – Wir müssen die Projekte in eine echte Rangfolge brin- [SPD]: Einsüden!) gen und nach verfügbaren Mitteln abarbeiten. Es muss Das alles soll letztlich zubetoniert werden. Das ist völlig Schluss sein mit der Willkür. Das Geld darf nicht dorthin gaga in einem modernen Land, das ein dichtes Verkehrs- gehen, wo der Wahlkreisabgeordnete den besten Draht netz hat, Herr Dobrindt. Deutschland ist kein Entwick- ins Ministerium hat. lungsland. Vielleicht wollen Sie es dazu machen; ich (Sören Bartol [SPD]: So ein Quatsch!) weiß es nicht. Es muss darauf ankommen, die drängendsten Verkehrs­ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) probleme zu lösen und das Klima zu schützen. Zwangsläufig wird das Geld für eine ganze Reihe von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Projekten fehlen. Viele werden sich fragen, warum man- ches gebaut wird und anderes hinten runterfällt. Wir müssen uns in der nächsten Wahlperiode von dem Mammutprojekt Bundesverkehrswegeplan verabschie- (Gustav Herzog [SPD]: Sie haben eben ge- den. Wir müssen stattdessen ein Zielnetz entwickeln, das sagt, es wird nichts gebaut!) wir in kurzen Abständen regelmäßig fortschreiben müs- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20705

Dr. Valerie Wilms (A) sen. Das haben uns auch die Fachleute in den Sachver- Ich will hier gar nicht groß darüber reden, dass das un- (C) ständigenanhörungen gesagt. haltbare Unterstellungen sind. Ich will auch gar nicht da- rüber reden, dass Sie die Sache in den Berichterstattun- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mehrheit in gen völlig falsch dargestellt haben. Projekte, die gar nicht diesem Hause ist an einer wichtigen Zukunftsfrage ge- im Vordringlichen Bedarf sind, haben Sie mit Hunderten scheitert. Meine Fraktion hat über 200 Änderungen vor- von Millionen dort angesetzt. Ich will Sie einmal ernst geschlagen, die das Schlimmste verhindern sollten. nehmen und hinterfragen, was Sie sich dabei gedacht ha- (Beifall des Abg. Matthias Gastel [BÜND- ben: Über 1 000 Projekte enthält dieser Bundesverkehrs- NIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der CDU/ wegeplan; betroffen sind 299 Wahlkreise. Da liegt es CSU: Nur noch streichen! – Weiterer Zuruf doch auf der Hand, dass wir flächendeckend in Deutsch- von der CDU/CSU: Die Leute im Stau ersti- land, in allen Wahlkreisen Projekte haben. cken lassen! – [CDU/CSU]: (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber nur Stra- Stau! Stau! Stau!) ßen!) Die Koalition hat jedoch alles wider besseres Wissen ab- gelehnt. Sie, die Grünen, haben ein Problem; denn Sie haben nur ein einziges Direktmandat gewonnen. Sie vertreten nicht Ich danke allen meinen Kolleginnen und Kollegen in einmal 20 Prozent der Wahlkreise. Deshalb können Sie der Fraktion und ihren Mitarbeitern, die in vielen Über- bei der Frage überhaupt nicht mitreden. Das ist Ihr gro- stunden wirkliche Alternativen zum Betonwahn entwi- ßes Problem. ckelt haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel (Beifall der Abg. [BÜND- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht da- NIS 90/DIE GRÜNEN]) rum, dass Sie den Sinn dieser Straßen nicht Die Mehrheit wird heute anders entscheiden. Aber es ist nachweisen konnten!) klar, dass das, was Sie heute verabschieden, keine Zu- Wenn man Ihren Gedanken zu Ende denkt, dann wäre kunft hat. Dieser Bundesverkehrswegeplan ist eine ein- ein guter Bundesverkehrswegeplan einer, der insbeson- zige Aufforderung, es besser zu machen. Dafür werden dere im Bereich Straße flächendeckend überhaupt keine wir Grüne kämpfen. Projekte vorsieht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Präsident, gestatten Sie mir zum Schluss noch NEN]: Die Projekte müssen nachweisbar ei- (B) eine Bemerkung. Ich hoffe, dass ich im Namen aller nen Sinn machen! Das ist die Voraussetzung!) (D) Kolleginnen und Kollegen sprechen darf, wenn ich mei- Das ist in der Tat entlarvend. Es ist gut, dass Sie das klar- nen Dank an das Ausschusssekretariat richte. Sie haben gemacht haben: Sie sind weiterhin die Dagegenpartei. uns mit erheblichem persönlichem Zeitaufwand sou- Sie wollen Mobilität verhindern. Wir wollen Mobilität verän durch die Tiefen des Abstimmungsmarathons im ermöglichen, und das tun wir mit diesem Bundesver- Verkehrsausschuss geführt und das Ergebnis zügig und kehrswegeplan. sauber dokumentiert. Dafür gilt Ihnen der Dank von uns allen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜND- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen ja nicht bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- einmal, was Mobilität ist!) geordneten der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: Das war das Beste Ihrer ganzen Rede!) Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, meine Regi- onalzeitung, der Trierische Volksfreund, schreibt heu- Präsident Dr. Norbert Lammert: te in einer Vorberichterstattung, der heutige Tag sei ein Der Kollege Patrick Schnieder ist der nächste Redner Feiertag für die Verkehrspolitiker, insbesondere für die für die CDU/CSU-Fraktion. in der Region. Ich muss sagen: Genau so ist das. Heute ist ein Feiertag, nicht nur für meinen Wahlkreis, für die (Beifall bei der CDU/CSU) Region Trier mit dem A-1-Lückenschluss und dem Mo- selaufstieg – das sind ganz wichtige Projekte für Rhein- Patrick Schnieder (CDU/CSU): land-Pfalz –, sondern für ganz Deutschland, weil wir die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weichen für eine vernünftige, für eine zukunftsgerichtete Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sehe mich, Verkehrspolitik bis 2030 stellen, nach dem Beitrag der Kollegin Wilms und angesichts (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dessen, was die Grünen in den letzten Wochen in der NEN]: Weichen stellen Sie schon mal gar Vorberichterstattung in der Zeitung platziert hatten, zu nicht! Die Schiene kommt nicht vor!) einer Vorbemerkung veranlasst. Es geht um den Vorwurf, hier würden sich Abgeordnete der Großen Koalition die die uns Wohlstand, Wachstum, Mobilität und damit Ar- Projekte in den Wahlkreisen zuschanzen. beit in Deutschland gewährleistet. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- NEN]: Ja, so ist es ja auch!) ordneten der SPD) 20706 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Patrick Schnieder (A) Wir haben uns im Vorfeld ambitionierte Ziele gesetzt. die Wasserstraße 9 Prozent. Dabei hat die Schiene nur (C) Wir haben uns nicht nur das Ziel gesetzt, auf die Umwelt eine Transportleistung von nicht einmal 20 Prozent. zu achten. Das haben wir getan. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Was? Wo NEN]: Das ist ja das Problem! Mit Ihnen wird denn?) es auch nicht mehr!) Wir haben uns auch nicht nur das Ziel gesetzt, die Öf- Wir stecken also im Verhältnis viel mehr in diesen Ver- fentlichkeit zu beteiligen. Auch das haben wir in einer kehrsträger, als er an Transportleistung erbringt. Das ist beispielhaften Art und Weise getan. doch ein Nachweis, ein Zeichen dafür, dass wir das ernst (Sören Bartol [SPD]: So ist es! Das hat es noch nehmen und für eine ausgewogene Mischung sorgen. nie gegeben! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Die ganzen Umweltkriterien sind überhaupt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht dabei!) neten der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nein, eben nicht!) Wir haben Prioritäten gesetzt. Am Anfang hat keiner ge- glaubt, dass wir sie einhalten würden. Aber wir haben Das hat übrigens auch etwas mit den Umweltauswir- uns an dem ausgerichtet, was wir vorher gesagt haben, kungen dieses Planes zu tun. Es ist doch vollkommener und wir lassen uns gerne daran messen. 70 Prozent der Humbug, zu sagen, damit würde man den Umweltzielen Investitionen fließen in den Erhalt der Verkehrsinfra- nicht gerecht werden. struktur. Das Prinzip „Erhalt vor Neubau“ haben wir also eingehalten. Wir haben durchgehend priorisiert. Auch (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das ist die Wahrheit. 75 Prozent der Projekte, die im Bun- NEN]: Das ist doch Unsinn! Kompletter Un- desverkehrswegeplan stehen, beziehen sich auf überregi- sinn!) onal bedeutsame Verbindungen. Sie haben von Anfang an bezweifelt, dass wir das hinbekommen; wir haben es Schauen Sie sich die Bilanzen an: Wir sparen nachweis- aber hinbekommen. lich CO2 ein. Entscheidend ist doch, dass es hier um den Bau von Infrastruktur geht. Die wirklichen CO2-Einspar- Dabei vernachlässigen wir die ländlichen Räume potenziale hängen doch nicht mit der Schaffung einer In- nicht. Deshalb sind auch die Ortsumgehungen wichtig. frastruktur zusammen, sondern mit modernen Antrieben. Wenn wir über 75 Prozent, wenn wir über drei Viertel in überregional bedeutsame Vorhaben stecken, dann ist (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- es richtig, dass wir die Anbindung der ländlichen Räume NEN]: Die Infrastruktur gehört dazu!) (B) an die Metropolen nicht vernachlässigen. Deshalb sind (D) Ortsumgehungen, deshalb sind die örtlich wichtigen Pro- Der Effekt liegt doch darin, dass wir Staus beseitigen, jekte, die auch Raumbedeutsamkeit für die jeweilige Re- dass die Lkw nicht mehr durch die Orte fahren. Das ist gion haben, außerordentlich wichtig. Ich bin stolz darauf, ein komisches Umweltverständnis, das Sie an den Tag dass wir es geschafft haben, diesen wichtigen Bereich legen, wenn Sie bemängeln, dass wir die Menschen in nicht auszuklammern, dass wir auch für diese Räume den Städten und Gemeinden vor Emissionen, vor Lärm Mobilität für die Zukunft schaffen. und vor Staub, schützen. Ich glaube, dass wir da genau die richtigen Schwerpunkte setzen. Wir haben den Um- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weltschutz als wichtiges Ziel erkannt. Schließlich haben wir es auch geschafft, den Bundes- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verkehrswegeplan hinsichtlich der Verteilung der Mittel NEN]: Sie haben es verkannt!) auf die Verkehrsträger ausgewogen und modern auszu- gestalten. Wir werden dem, was wir uns vorgenommen haben, voll- (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Schauen wir kommen gerecht. mal! Die Schiene ist ja noch gar nicht fertig!) Lassen Sie mich ein letztes Wort zur Öffentlichkeits- Sie bejammern immer, dass angeblich zu wenig in den beteiligung sagen. Wir hatten ja nicht nur eine Öffentlich- Bereich Schiene fließen würde. keitsbeteiligung, sondern wir hatten zwei. Es gab schon 2013 bei der Aufstellung der Grundkonzeption eine Öf- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fentlichkeitsbeteiligung. Bei der Aufstellung des Bun- NEN]: Ist ja auch so! Die meisten Projekte desverkehrswegeplanes in diesem Jahr gab eine zweite sind noch gar nicht bewertet!) große Öffentlichkeitsbeteiligung. Fast 40 000 Eingaben Das Gegenteil ist der Fall, Herr Gastel. Lassen Sie sich wurden gemacht. doch an dem Bundesverkehrswegeplan messen, den Sie 2003 vorgelegt haben. Wir haben das Verhältnis ver- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ bessert: Die Straße macht 49 Prozent aus, die Schiene DIE GRÜNEN]: Ohne jede Folge!) 42 Prozent, – Das war nicht ohne jede Folge. – Sie sind geprüft und (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ernst genommen worden. Da muss ich fragen, welches NEN]: Das heißt, Sie wollen es nicht besser Verständnis von Öffentlichkeitsbeteiligung Sie haben. Es machen!) kann doch nicht sein, dass jede Eingabe automatisch zu Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20707

Patrick Schnieder (A) dem Ergebnis führt, das gewünscht wird, sondern natür- lich welche Vignette kaufen muss. Der Ertrag wird noch (C) lich müssen wir es abwägen. Das haben wir getan. kleiner. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wo denn? – (Gustav Herzog [SPD]: Ich dachte, Sie sind Herbert Behrens [DIE LINKE]: Automatisch für Vielfalt!) nicht, aber wenn es besser ist!) – Ja, die Vielfalt muss aber bewirken, dass die Leute mehr Mein Büro hat Hunderte von Briefen von Bürgern und davon haben und möglicherweise auch der Staat mehr von Organisationen beantwortet. Es hat einen regen Dia- davon hat. – Wir haben nichts davon. Wir haben Belas- log gegeben. Auch das Ministerium hat sich dankenswer- tungen für die Bürger, und wir haben weniger Einnahmen terweise damit befasst. für den Staat. Wer in der Koalition kann eigentlich damit zufrieden sein? Das ist mir völlig unverständlich. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Es ist alles beim Alten geblieben!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb kann ich das folgende Fazit ziehen: Wir haben hier wirklich ein tolles Werk vorliegen. Es ist ein großer Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Beziehung Wurf für die Infrastruktur in den nächsten 15 Jahren. zu unseren Nachbarstaaten in Europa schwer gefährdet ist. Es hat großen Schaden angerichtet, so brachial vor- (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- zugehen. Das wird sicherlich noch Folgen haben, die wir SES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder alle nicht wollen. Dieses Projekt muss sofort gestoppt [CDU/CSU]: Sehr richtig!) werden. Das ist zukunftsfähige Politik. Damit schaffen wir wei- (Beifall bei der LINKEN) terhin die Voraussetzungen für Wohlstand, für wirtschaft- liche Prosperität, für Mobilität, für Arbeit in Deutschland. Meine Forderung an die SPD lautet: Nehmen Sie sich selber ernst, und tun Sie jetzt im Zuge dieses Verfahrens Vielen Dank. wirklich etwas dafür, dass die Maut blockiert werden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- kann, so wie es der Verkehrsminister in Niedersachsen ordneten der SPD) gefordert hat. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und Präsident Dr. Norbert Lammert: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Wort erhält der Kollege Herbert Behrens für die Wir sind dabei. Fraktion Die Linke. (B) Zur Verkehrspolitik gehört Weitsicht. Die haben Sie (D) (Beifall bei der LINKEN) bei der Pkw-Maut nicht gezeigt. Sie haben sie beim Bun- desverkehrswegeplan nicht gezeigt. Sie haben sie auch Herbert Behrens (DIE LINKE): bei den Ausbaugesetzen nicht gezeigt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Auch bei heute über Verkehrspolitik spricht, der kann über den an- den übrigen nicht!) geblichen Kompromiss bei der Pkw-Maut nicht schwei- gen. Wir müssen feststellen, dass ein weiterer Vorhang Zur Weitsicht in der Verkehrspolitik gehört, dass wir uns aufgegangen ist für die Fortsetzung einer unendlichen darüber klar sein müssen: Ein Bundesverkehrswegeplan Geschichte, einer ungeheuerlichen Geschichte. Sie hatte legt die Schwerpunkte für die nächsten 15 Jahre Ver- ihren Anfang genommen, als der CSU-Stammtisch mein- kehrspolitik fest. Was heute dort hineingeschrieben wird, te, mit der österreichischen Pkw-Maut ein Ärgernis zu wird uns, wird die Bürgerinnen und Bürger die nächsten haben, und sich deshalb überlegt hat, wie man es hinbe- 15 Jahre begleiten. Entweder sie bekommen verspro- kommt, dass auch die Österreicher zahlen müssen. Das chen, dass eine Entlastung gebaut wird, oder sie haben hat der damalige Generalsekretär der CSU – Dobrindt die Chance, dass es relativ schnell durchgesetzt wird. mit Namen – in ein parteipolitisches und wahlkampfpo- Dieses Hinhängen an eine lange Frist – Leute, beruhigt litisches Konzept umgesetzt; dieses hat er in den Bun- euch, wir kommen mit dem Projekt in dem einen oder destag hineingetragen. Es wurde Bestandteil des Koa- anderen Jahr zu euch – führt dazu, dass in der Zwischen- litionsvertrages von CDU, CSU und SPD. Es hat nach zeit keine Alternative überlegt wird, nicht weiter geplant einem über Jahre dauernden unsäglichen und quälenden werden darf, immer mit dem Hinweis: Aber es steht doch Prozess das Ergebnis, dass am Ende keiner zufrieden ist: im Bundesverkehrswegeplan, setzt euch wieder hin, wir weder die, die es richtig wollten, noch die, die es schon lösen das schon. – Das ist keine Politik mit Blick auf die immer abgelehnt haben. gegenwärtigen Probleme, und schon gar keine Verkehrs- Wenn jetzt die Nachricht kommt, man habe sich in politik mit Weitsicht, in die Zukunft. Brüssel geeinigt, dann müssen wir sehr genau hinschau- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- en, auf was man sich da wirklich geeinigt hat. Wir haben NIS 90/DIE GRÜNEN – Gustav Herzog gesehen, dass wir weiterhin ein Bürokratiemonster vor [SPD]: Die Leute lassen sich nicht vertrösten! uns haben. Dieses Bürokratiemonster wächst sogar noch. Die suchen nach Alternativen!) Es wird künftig nicht nur drei Staffelungen bei der Maut geben, sondern fünf. Es wird weiteren Bearbeitungsauf- – Die Leute lassen sich nicht vertrösten, sagt der Kolle- wand geben, um genau abwickeln zu können, wer eigent- ge Herzog – in der Tat. Darum sind sie vielfach in Bür- 20708 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Herbert Behrens (A) gerinitiativen aktiv geworden. Sie haben eingefordert, in Dies gilt umso mehr, als sich darin in wesentlichen (C) diesen Verfahren beteiligt zu werden, und haben vor Ort Punkten die Ergebnisse vor allem der ersten Bode- ihre Alternativen eingebracht. Das hat nicht nur etwas wig-Kommission wiederfinden. Das Ziel „Erhalt vor mit Blockadepolitik zu tun, das hat etwas mit kreativen Neubau“ gehört ausdrücklich in den Zielkanon der Bo- verkehrspolitischen Vorstellungen zu tun, die wir an allen dewig-Kommission I. Stellen gesehen haben. Erlauben Sie mir einen spezifisch ostdeutschen Blick Ich nenne das Beispiel A 39. Dort haben sich die Bür- darauf. Angesichts der erheblichen Investitionen in den gerinnen und Bürger an verschiedenen Orten entlang der vergangenen 25 Jahren in Ostdeutschland gibt es bei uns Trasse über Jahre zusammengesetzt und Pläne für Alter- ein ganz dringendes Anliegen, nämlich Fehler im Osten nativen geschmiedet. Dabei kommt heraus: Die A 39 ist nicht zu wiederholen und die Infrastruktur rechtzeitig verzichtbar und regelmäßig in ausreichendem Maße fit zu halten. Deshalb gilt bei uns im Osten umso mehr der Schwer- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das punkt „Erhalt vor Neubau“. ist sie mit Sicherheit nicht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten durch kleine Maßnahmen, durch Ausbaumaßnahmen und der CDU/CSU) teilweise durch Neubaumaßnahmen, wenn ein Ort drin- Auch die restriktive Haltung des Bundes, keine gend umgangen werden muss. Wünsch-dir-was-Enzyklopädie zu erstellen, sondern den (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Plan realistischer zu gestalten, als das in der Vergangen- A 39 ist dringend erforderlich!) heit zuweilen der Fall gewesen sein mag, wird auf Län- derseite ausdrücklich geteilt, auch wenn das bei jedem Das ist Planungsfantasie bei den Bürgerinnen und Einzelnen von uns in den Ländern hier oder da nicht un- Bürgern. Sie ist aber nicht im Bundesverkehrsministeri- erheblichen Schmerz ausgelöst hat. um zu finden. Das muss auf jeden Fall ein Ende haben. (Gustav Herzog [SPD]: Das ist ehrlich!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Die Diskussion kenne ich bei mir daheim in Mecklen- burg-Vorpommern sehr gut. In den Regionen mit den in unserem landesinternen Vorauswahlprozess nicht weiter- Präsident Dr. Norbert Lammert: verfolgten Projekten – das waren bei uns ein Drittel, die Das Wort erhält nun der Herr Minister für Energie, wir beim Bundesverkehrsministerium gar nicht für den Infrastruktur und Digitalisierung des Landes Mecklen- Bundesverkehrswegeplan angemeldet haben – (B) burg-Vorpommern. (Gustav Herzog [SPD]: Ich darf anmerken: (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Im Unterschied zu Bayern!) der CDU/CSU) werden Sie als Minister nicht mit Rosen empfangen, und wenn Ihnen Rosen zugeworfen werden, hängt der Topf Christian Pegel, Minister (Mecklenburg-Vorpom- leider meist noch dran. mern): Ich habe übrigens spannende Debatten erlebt, als wir Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen den Entwurf des Bundesverkehrswegeplans vorgelegt und Herren Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen haben. Tenor der Diskussion in unserem Land hier und und Herren! Zunächst darf ich mich aus Sicht eines da war: Kriegen wir eigentlich prozentual, verglichen mit Landes und als derzeitiger Vorsitzender der Verkehrs- anderen Regionen in Deutschland, genug ab oder doch ministerkonferenz auch ein Stück weit für diese herzlich vielleicht zu wenig? Ich habe in diesen Debatten immer dafür bedanken, hier einen Blick auf den neuen Bundes- dafür geworben, dass das nicht ernsthaft unser Weg sein verkehrswegeplan werfen zu dürfen. Ich nehme meinen kann. Infrastrukturprojekte sind volkswirtschaftlich aus- wichtigsten Eindruck vorweg, auch wenn er nicht allen zuwählen. Proporz und Himmelsrichtung sind eben keine gefallen mag. Die Länder freuen sich, dass ein längerer volkswirtschaftlich sinnvollen Kategorien, meine Damen Diskussionsprozess jetzt auf der Zielgeraden ist und sie und Herren. damit Planungssicherheit für die kommenden 15 Jahre (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bekommen. Wir Länder können – entgegen der Aussage der CDU/CSU) in dem letzten Vortrag hier – nicht auf ihn verzichten. Ich will aber auch sagen: Ich bin dabei ausdrücklich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dafür dankbar, dass Sie trotz dieser richtigen und eben Wir haben uns in der Verkehrsministerkonferenz der genannten wichtigen Prämissen die Belange vor Ort vergangenen sieben Jahre mehrfach mit den Planungen nicht aus dem Blick verloren haben. Natürlich gibt es und dem Prozess befasst. Das Urteil war über alle Län- Ortsumgehungen, die weiterhin benötigt werden. Das dergrenzen und über alle Parteifarben hinweg weitge- gilt – erlauben Sie mir bitte, auch hier einen spezifisch hend identisch: Die Länder können dem eingeschlagenen ostdeutschen Blick in die Debatte einzubringen – insbe- Weg gut folgen. Unbenommen des einen oder anderen sondere in den fünf ostdeutschen Bundesländern. Wenn Einzelwunsches werden die Inhalte ausdrücklich geteilt. solche Projekte mehrere Jahrzehnte nicht denkbar wa- ren, wenn sie seit 1990 zum Teil durchgängig vor Ort (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) in Verkehrswegeplänen versprochen werden und wenn Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20709

Minister Christian Pegel (Mecklenburg-Vorpommern) (A) an dieser Stelle die westdeutschen Nachbarländer – ich wusst angeschlossen. Ganz ohne Wermutstropfen sind (C) bin geborener Hamburger – vier Jahrzehnte Vorsprung die Länder dabei allerdings nicht. Sorgen bereitet uns haben und dort deshalb viele Gemeinden schon in den weiterhin – zum Teil auch gemeinsam mit Ihnen – die vergangenen Jahrzehnten Durchgangsverkehrsbefreiun- Bedarfsplanung für die Schiene. Die Vorarbeiten haben gen erhielten, dann brauchen wir für hochbelastete Orts- leider an vielen Stellen eine mit Straßen und Wasserwe- lagen auch in den kommenden 15 Jahren weiterhin die gen vergleichbare Bewertung nicht zugelassen. Der jetzt Möglichkeit, dringend benötigte Entlastung vor Ort zu beschrittene Weg einer Art Auffangkategorie ist daher – schaffen, meine Damen und Herren. wohlgemerkt: aus der Not geboren – ein besserer Weg, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten als viele der darin vorgesehenen Projekte gar nicht in der CDU/CSU – Arnold Vaatz (CDU/CSU): den Plan aufzunehmen. Jetzt wird es darum gehen, sie Sehr gut!) möglichst schnell zu qualifizieren und in die nächste Liga aufsteigen zu lassen. Wenn ich vor allen Dingen zu diesem Punkt Vor- schlagslisten für beinahe orgiengleiche Streichkonzerte Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Länder gerade im Osten sehe, wäre ich dankbar, wenn Sie bei haben im Oktober dieses Jahres auf der Verkehrsminis- Ihren Entscheidungen heute gerade diese besondere Situ- terkonferenz in Stuttgart noch einmal um eine Prüfung ation des Ostens im Blick behalten. Ich darf nur das mir gebeten, wie wir im Nahverkehr Schienenwege finanzie- sehr gut vertraute Beispiel der Ortsumgehung Wolgast ren wollen, wenn dieser Bereich aus Ihrer Sicht nicht in aufrufen. den Bundesverkehrswegeplan hineingehört, weil er den (Beifall der Abg. [DIE Schienennahverkehr betrifft. Ich selbst kenne zwei Bei- LINKE]) spiele: die Karniner Brücke und den Schienenverkehr auf dem Darß. Beides sind Dinge, die wir für die Menschen Dort quälen sich in der gesamten Sommersaison nahezu in irgendeiner Weise wirtschaftlich abwägen müssen. alle Usedom-Urlauber, wenn sie nicht mit der Bahn an- reisen, durch die historische Altstadt zu mehr als 5 Milli- ( [SPD]: Stimmt!) onen Übernachtungen. Wenn Sie dort die Umgehung für wirkungslos erklären wollen, können Sie das den Men- Dass See- und Schifffahrtswege für die Exportnation schen vor Ort, aber, wie ich glaube, auch den vielen Gäs- Deutschland und den hiesigen Wirtschaftsstandort zen- ten, die dort im Sommer stau- und ampelentschleunigt tral sind, bildet der Bundesverkehrswegeplan dankens- stehen, auf keinen Fall erklären. werterweise ebenso ab. Denn der Wirtschaftsstandort (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Deutschland lebt im Im- und Export von diesen Häfen (B) und dem dort stattfindenden Umschlag, der ein Stück (D) Sie werden den Menschen das nicht vermitteln können. weit die Lebensader der deutschen Wirtschaft darstellt. Die Ideengeber für diese Streichung sollten im Übrigen Auch diese Schwerpunktsetzung ist daher im Länder- unbedingt den Eindruck vermeiden, dass sie im Ergebnis kreis ausdrücklich begrüßt worden. Wenn dabei jetzt im bereit sind, dem wirtschaftlichen Aufholprozess im Os- Hinblick auf einige Projekte Sorgen und Bedenken ge- ten leichtfertig schweren Schaden zuzufügen. äußert werden, bitte ich, folgenden Vergleich zu ziehen: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ist – um unser Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern der CDU/CSU) zu nehmen – eine vertiefte Zufahrt zum Wismarer oder Rostocker Hafen ökologisch wertloser oder aber der Die A 14 als neuer Nord-Süd-Korridor, der Häfen und Transport all dieser Güter auf Tausenden von Lkws um Magdeburg verbinden wird, ist ebenfalls ein Beispiel für die halbe Ostsee herum? solche Projekte. Das Gleiche gilt für den B-96-Ausbau. Ich werbe deutlich dafür, ihn nicht auf Streichlisten zu (Sören Bartol [SPD]: So ist es!) setzen. Wenn Sie sich – um vorherige Beiträge aufzugrei- fen – Karten mit dem deutschen Verkehrsnetz anschauen, Das ist nämlich die Alternative, über die wir reden. werden Sie an diesen Stellen richtiggehende Löcher im Verkehrsnetz entdecken – keine Betonlöcher, sondern (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mobilitätslöcher, meine sehr geehrten Damen und Her- der CDU/CSU) ren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Bun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) desverkehrswegeplan ist gelebte Wirtschaftspolitik, für viele staugeplagte Gemeinden ist er gelebter Gesund- Diese zu schließen, das ist die originäre Aufgabe eines heitsschutz, und er bietet in der Perspektive eine voll- Bundesverkehrswegeplans. Die viel beschworene Netz- kommen neue Lebensqualität. Er wird uns entscheidende funktion, die ja zitiert wurde, wird gerade hier exempla- Schritte voranbringen. Dafür herzlichen Dank all denen, risch erfüllt. Dafür mein herzlicher Dank! die an dem Prozess mitgewirkt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihnen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Viel Erfolg! Gerade diesem rationalisierten Verfahren haben sich die Länder über alle Länder- und Parteigrenzen hin- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten weg in den vergangenen Monaten und Jahren sehr be- der CDU/CSU) 20710 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Schiene wird systematisch benachteiligt. Man (C) Matthias Gastel ist der nächste Redner für die Fraktion kann auch davon sprechen, dass hier Schienenmobbing Bündnis 90/Die Grünen. betrieben wird. (Sören Bartol [SPD]: Und immer an die Stel- (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ lungnahme von Winne Hermann denken!) CSU und der SPD) Zentrale Projekte fehlen in Ihrem Ausbaugesetz, bei- Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): spielsweise der Ausbau des 740-Meter-Netzes, der not- wendig ist, um mehr Schienengüterverkehr zu organisie- Ich mache Bundespolitik, lieber Kollege. ren und wirtschaftlich gegenüber der Straße und dem Lkw (Sören Bartol [SPD]: Ich sag’s nur!) abwickeln zu können. Es fehlt der Deutschland-Takt, mit dem die Fahrgäste attraktive Umsteigeverbindungen in Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und den Knotenbahnhöfen hätten bekommen können. Ob- Kollegen! Die Klimakatastrophe auf diesem Planeten wohl diese Punkte hier im Hause unstrittig sind, haben wird immer offensichtlicher, und es ist gut und richtig, Sie unsere Anträge, beides hochzustufen, ohne jegliche dass Deutschland sich zu Klimazielen bekannt und klar Begründung abgelehnt. gesagt hat, in welchem Ausmaß bis zu welchem Zeit- punkt die Treibhausgase reduziert werden müssen. (Gustav Herzog [SPD]: Wir haben begrün- det!) Leider müssen wir aber feststellen, dass der Verkehrs- sektor seinen Beitrag zum Klimaschutz bisher überhaupt Stattdessen haben Sie kurzerhand noch einmal etwa noch nicht geleistet hat. Der Anteil des Schienengüter- zwei Dutzend Straßenprojekte im Umfang von 1,4 Mil- verkehrs stagniert bei 17 Prozent. Im Schienenpersonen- liarden Euro hochgestuft. Bei den Schienenprojekten ist fernverkehr sieht es auch nicht nach einem Wachstum lediglich ein Projekt höhergestuft worden, nämlich die von Verkehrsanteilen aus. Lkw und Auto sind die Markt- Gäubahn, führer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klimaziele sind aber nur dann erreichbar, wenn die Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Schiene aufholt und Marktanteile gewinnt. Wir müssen und das auch nur deshalb, weil das Land Baden-Würt- das Schienennetz modernisieren, wir müssen Engpässe temberg ein Gutachten vorgelegt und damit die Hausauf- beseitigen, und wir müssen die Infrastruktur an Fahrplä- gaben erledigt hat, die die Große Koalition nicht gemacht (B) nen ausrichten und nicht umgekehrt. hat. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Bundesverkehrswegeplan und das Bundesschie- Im Ergebnis haben wir viele Straßen und wenig Schie- nenwegeausbaugesetz leisten dazu aber leider keinen ne. Bei den Straßen sind die Pläne völlig überzeichnet. Beitrag. Ganz im Gegenteil: Statt die Schiene aufs Über- Bei der Schiene wird das meiste im Ungewissen gelas- holgleis zu bringen, wird sie aufs Abstellgleis gesetzt. sen. Sie bauen dem wachsenden Auto- und vor allem Schon methodisch ist die Schiene im Bundesver- Lkw-Verkehr hinterher. Die Schiene ist ohne Chance, kehrswegeplan benachteiligt. Alle angemeldeten Stra- ihr Potenzial auszuschöpfen. Sie stellen sich damit ein ßenprojekte sind bewertet und eingestuft worden. Bei der Armutszeugnis aus. Das können wir nicht unterstützen. Schiene sind gerade einmal 27 von 73 Projekten bewertet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN worden. Das heißt, bei 63 Prozent der Schienenprojekte sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) ist noch unklar, ob und wie sie eingestuft werden.

Bei der Straße gibt es eine stundengenaue Engpass­ Präsident Dr. Norbert Lammert: analyse. Bei der Schiene hat man längere Zeiträume ge- mittelt analysiert. Das führt am Ende dazu, dass bei der Das Wort erhält nun der Kollege Ulrich Lange für die Straße ein höherer Ausbaubedarf ermittelt wurde als bei CDU/CSU-Fraktion. der Schiene. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Gustav Herzog [SPD]: Das ist Unfug!) Willi Brase [SPD])

Bei der Straße sind Hunderte von Straßen hoch pri- Ulrich Lange (CDU/CSU): orisiert worden, die nur lokal bedeutsam sind. Bei der Schiene stellen sich die Bundesregierung und die Große Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Koalition auf den Standpunkt, dass sie für Schienenwe- ein langandauernder, intensiver, aber sehr guter Abstim- ge, die überwiegend lokale Verkehre abwickeln, nicht mungsprozess innerhalb der Koalition mit den Ländern zuständig sind – also ein Widerspruch zwischen den Sys- und mit den Behörden vor Ort geht zu Ende. Heute kön- temen. nen wir die drei Ausbaugesetze, deren Entwürfe auf dem Tisch liegen, verabschieden. Ich möchte das Ganze wirk- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lich als einen großen Tag für die Verkehrspolitik und mit Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20711

Ulrich Lange (A) als einen der größten dieser Koalition bezeichnen. Liebe der rot-grünen Bundesregierung mit zu verantworten (C) Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Dank! hatten. An Ihrer Stelle wäre ich einmal ganz ruhig, liebe Beton-Valerie-Wilms. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Ich schließe mich natürlich dem Dank an den Bun- Heiterkeit bei der SPD) desminister an, aber insbesondere auch an die Mitarbei- Dafür, dass Sie keine Wahlkreise gewonnen haben, terinnen und Mitarbeiter im Haus, die uns auf jede Fra- können wir ja nichts. ge, auch wenn sie sich wiederholt hat, immer geduldig Antwort gegeben und alles erklärt haben. Ich sage ein (Beifall des Abg. Gustav Herzog [SPD]) Dankeschön auch den Berichterstattern, ebenso den Län- Irgendwie kommen Sie bei den Wählerinnen und Wäh- derberichterstattern, die in jedem einzelnen Bundesland lern nicht so an, um Wahlkreise zu gewinnen. Aber das dafür Sorge tragen mussten, dass man wirklich abschich- Vertreten von Wahlkreisinteressen – das sage ich ganz tete. Und genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen der offen – erdet die Politik vor Ort. Das ist genau unser An- Grünen, haben wir getan. Wir haben uns nämlich Leitli- spruch: Wir sind vor Ort greifbar und kommen nicht ir- nien und eine Grundkonzeption gegeben, die Sie einfach gendwie und von irgendwoher angeflogen. ignorieren bzw. nicht wahrnehmen wollen, nämlich Er- halt vor Neubau und Engpassbeseitigung; hierzu haben (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. wir noch die Kategorie „Vordringlicher Bedarf – Eng- Detlef Müller [Chemnitz] [SPD] – Wider- passbeseitigung“ eingeführt. Eine so klare Priorisierung spruch der Abg. Susanna Karawanskij [DIE wie dieses Mal gab es noch nie. LINKE]) Zum Netzzusammenhang, liebe Kollegin Wilms, von Wenn Sie dann im Stil eines amerikanischen Wahl- Bundesstraßen gehören nun einmal auch Ortsumfahrun- kampfes auf der Grundlage von Halbwahrheiten Listen gen in Bundesländern. Sie werden das nicht glauben, ins Internet stellen, aber es ist so. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. NEN]: Oje, oje, oje!) Detlef Müller [Chemnitz] [SPD] – Lachen wenn Sie Ortsumfahrungen benennen, die nicht einmal bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE in den Wahlkreisen der Kollegen liegen, wenn Sie das GRÜNEN) NKV und die Verkehrszahlen verschweigen, dann sieht Wenn Sie irgendwo in Bayern mit Ihrem grünen Heli- man, auf welche Art und Weise und mit welcher Methode (B) kopterblick einfliegen und mit einem kleinen Grüppchen Sie in das Wahljahr 2017 gehen. (D) die Leute schalu machen, dann glauben Sie doch nicht wirklich, dass Sie verstanden haben, was vor Ort los ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Genau das haben Sie nämlich nicht. Ist das der neue Geist einer so moralisierenden Partei? (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Nein, Sie sorgen am Ende für eine Zweiklassenrepublik, Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eine Aufteilung nämlich in diejenigen, denen Sie etwas NEN]) zukommen lassen wollen, und in diejenigen, die Sie ab- hängen, weil Sie über Land keine Verkehre mehr organi- Dann haben wir natürlich das Kriterium der städtebau- siert haben wollen. lichen Notwendigkeit und der Verkehrssicherheit. Genau Ihre Bürgerinitiativen stehen nämlich an den Straßen in Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich den Städten und Gemeinden und fragen: Warum müssen noch einen Satz zum Schienenverkehr sagen. Ja, lieber hier Tausende von Schwerlast-Lkws durch unsere Ge- Kollege Gastel, wir haben Nahverkehrsprojekte nicht meinde donnern? Auf genau diese Menschen nehmen Sie aufgenommen. keine Rücksicht. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zum Ausbau der Schiene, lieber Kollege Gastel, kann NEN]: Aber bei den Straßen!) ich Ihnen nur sagen: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht – Nein, eben nicht. Hier gibt es einen Netzzusammen- mit Steinen werfen. Wir wollen beim Ausbau der Schiene hang. Sie können das noch fünfmal sagen; es wird nicht Taten sehen, aber vor Ort sind Sie dagegen, während Sie richtiger, weil Sie es nicht kapieren oder nicht kapieren hier große Reden halten. Das ist einfach unglaubwürdig wollen und deswegen weiterhin die Unwahrheit sagen. und unseriös. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Völlig richtig gesagt! – Bei den Schienenprojekten haben wir zwischen Fern- Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verkehr und Nahverkehr unterschieden. Und es war die NEN]: Wie bitte? Was ist denn das für ein Große Koalition, die in diesem Jahr die Regionalisie- Quatsch, den Sie erzählen? So ein Unfug!) rungsmittel auf 8,2 Milliarden Euro erhöht hat – genau für diesen Nahverkehr und für die entsprechende Vernet- Liebe Kollegen der Grünen – Sören Bartol hat es auch zung. schon gesagt –, dieser Verkehrswegeplan hat, weil er die- ser strikten verkehrspolitischen Leitlinie folgt, insgesamt (Zurufe der Abg. Sabine Leidig [DIE fast 900 Straßenprojekte weniger als der, den Sie zur Zeit LINKE]) 20712 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Ulrich Lange (A) Niemand anderes! Wir waren es! kehrswegeplans gelandet, weil wir schon sehr sorgfältig (C) auf die Vorgaben geachtet haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) All das geschah mit Öffentlichkeitsbeteiligung, und Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht: Wir haben ich will mich hier bei all denjenigen bedanken, die den einen guten Verkehrswegeplan. Wir haben sehr gute Aus- Kontakt mit uns gesucht und deren Kontakt wir gesucht baugesetze. Jetzt geht es darum, dass wir zur Umsetzung haben: den Verbänden, den Bürgern, den Vereinen und kommen. Hier drehe ich mich schon auch in Richtung auch den Lobbyisten. Ich sage mal: Es wird auch dann Länderbank um; denn es liegen große Herausforderungen eine gute Sitzungswoche, wenn ich am Mittwoch vor der bei den Bundesländern. Ich sage nur: „Planen, planen, Ausschusssitzung nicht bei einem vom BUND ausge- planen“, damit es für die von uns finanzierten Projekte richteten Arbeitsfrühstück sein muss. auch Baurecht gibt. Das Geld ist da. Der Investitions- All das hat dazu beigetragen, dass wir als Arbeitspar- hochlauf steht. Wir stehen für Mobilität und Modernität. lament unserer Verantwortung nachkommen konnten. In Danke schön. fünf Ausschusssitzungen – zusammen waren es weit über 20 Stunden – haben wir viele Tausend Projekte beraten, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und es wurde auch eine öffentliche Anhörung durchge- ordneten der SPD) führt. Danach kam es zum Abstimmungsmarathon.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich sage hier für die SPD-Fraktion und, wie ich hof- fe, auch für das ganze Parlament: Lieber Martin Burkert, Für die SPD-Fraktion ist der nächste Redner der Kol- du hast als Ausschussvorsitzender in großer Souveränität lege Gustav Herzog. durch die Sitzungen geführt. Herzlichen Dank dafür und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch ganz herzlichen Dank an das Sekretariat für die ge- der CDU/CSU) leistete Arbeit. Das war hervorragend. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gustav Herzog (SPD): der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DIE GRÜNEN und der Abg. Sabine Leidig Lassen Sie mich mit einem Dank beginnen – ich wer- [DIE LINKE]) de auch mit einem Dank enden –, und zwar an die Kol- leginnen und Kollegen, die gestern Abend um 23 Uhr Es wurden einige Tausend Seiten produziert, die heute dem Gesetzentwurf zur Ausdehnung der Lkw-Maut auf zur Abstimmung stehen. Das alles war sehr transparent. (B) die Bundesstraßen zugestimmt haben, weil wir damit in Da wurde nicht gemauschelt. Frau Kollegin Wilms, wir (D) den nächsten Jahren 2 Milliarden Euro pro Jahr mehr im gingen von einem Volumen von 270 Milliarden Euro aus; Pott haben werden, um das, was wir anschließend hier jetzt sind es 1 bis 2 Milliarden Euro mehr geworden. Ich beschließen, auch wirklich realisieren zu können. Vielen sage Ihnen: Wenn ich mauschele, dann ist das wesentlich Dank also an diejenigen, die auch auf der Einnahmensei- effektiver, als nur Zehntel Prozente draufzusatteln. te kräftig mithelfen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Alles, was wir da gemacht haben, war transparent. Da hat keiner seinen eigenen Wahlkreis bedient. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Nachrichtenma- gazin hat den Bundesverkehrswegeplan als das Hochamt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten für Verkehrspolitiker bezeichnet. Mir fehlt diese Spiritu- der CDU/CSU) alität, aber es ist schon eine besondere Verantwortung, an einem Werk mitzuarbeiten – und heute darüber zu ent- Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen? Wir haben scheiden –, das über die nächsten drei, vier Wahlperioden uns an die Leitplanken, die wir uns gegeben haben, ge- hinaus die Arbeit des Deutschen Bundestages mitbestim- halten. Es ist einfach, fromme Wünsche zu äußern. Wir men wird, wenn es darum geht, die Pläne zu realisieren. aber halten uns an die Leitplanken. – Viel schwieriger ist es in der Realität. Ich sage offen, dass ich manchmal den Wir haben ja schon in der letzten Wahlperiode mit der Eindruck hatte, der unbeliebteste Abgeordnete meiner Grundkonzeption begonnen und einen Berg von wissen- Fraktion zu sein, weil ich vielen, die mit Wünschen zu schaftlichen Studien in Auftrag gegeben und auch gele- mir gekommen sind, sagen musste: Das geht nicht nach sen. Wir haben den riesigen Prozess aus Anmeldungen, den Kriterien, die wir uns selbst gegeben haben. Bewertungen und Priorisierungen bewältigt und zu allem eine öffentliche Erörterung durchgeführt. Das war eine In dem Prozess, der nach der Kabinettsbefassung kam, riesige Aufgabe. haben wir uns auch an die Verabredungen gehalten und weiterhin ein klares Prä für die Schiene abgegeben. Es Ich will in Bezug auf die Anmeldungen nur kurz ein- wurde bereits mehrfach gesagt: Die Schiene bekommt mal in Richtung Grüne darauf hinweisen: Über die Hälfte ein Mehrfaches dessen, was ihrer Verkehrsleistung bei der von den Ländern angemeldeten Straßenbauprojek- der Güter- und der Personenbeförderung entspricht. te – nicht alle Länder waren so diszipliniert wie Ihres, Herr Landesminister Pegel – haben wir zurückgewiesen. (Zuruf des Abg. Matthias Gastel [BÜND- Sie sind nicht im Vordringlichen Bedarf des Bundesver- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20713

Gustav Herzog (A) Das ist unsere Politik. Wir machen nicht viele Worte, Dort stand: Die Grünen sind empört. Die GroKo schiebt (C) sondern lassen Taten sprechen, liebe Kolleginnen und sich Straßenbauprojekte zu. Kollegen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NEN]: So ist es!) der CDU/CSU) Wir haben von Ihnen auch heute wieder nur wenige, dün- ne Argumente gehört. Also greifen Sie einzelne Personen In Richtung Linke sage ich: Wo führen Sie denn den an. Da schreiben Sie, dass dem Exminister Ramsauer, Dialog vor Ort? Die Grünen haben mich im Zusammen- dem Exminister Friedrich, dem Exminister Röttgen und hang mit drei Ortsumgehungen in meinem Wahlkreis dem amtierenden Minister Steinmeier Projekte zugescho- erwähnt. Ich habe Ihren linken Abgeordneten noch bei ben würden. Wissen Sie, wenn ich jemanden bedienen keiner Diskussion um eine Ortsumgehung gesehen, bei will, dann halte ich nicht nach Exministern Ausschau, der er sich vor Ort den Bürgerinnen und Bürgern hätte sondern nach denen, die Zukunft haben und darüber ent- stellen können. scheiden, wie es weitergeht. ( [DIE LINKE]: Weil Sie blind (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei sind!) Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Weiteres: Ich kenne jetzt nicht die Feinheiten Sie führen hier das große Wort, aber vor Ort schlagen Sie bei der CSU, aber ich bezweifle sehr, dass der Kollege sich in die Büsche. So kann man keine Politik machen. Dobrindt, auch wenn bald Weihnachten ist, dem Kol- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten legen Ramsauer auch nur einen Quadratmeter Asphalt der CDU/CSU) mehr schenkt, als diesem zusteht. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Zu den Ausschussberatungen kann ich nur sagen: Abgeordneten der CDU/CSU) Wunsch und Wolke. Man muss sich nur vor Augen füh- ren, wie viele Anträge zur Schiene Sie zur Hochstufung Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein guter aus dem Potenziellen Bedarf gestellt haben. Natürlich Plan. Ich werbe um Zustimmung. Wir werden das alles in wollen auch wir so viel wie möglich umsetzen; aber der dieser und in der nächsten Legislaturperiode umsetzen. volkswirtschaftliche Nutzen muss zuerst nachgewiesen Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. werden. Sie jedoch wollten pauschal eine Reihe von Pro- jekten in den Vordringlichen Bedarf hochstufen. Wissen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (B) Sie, woran mich das erinnert hat? Dafür muss ich nun zur (D) rechten Seite dieses Hauses schauen: 2003 haben Union Präsident Dr. Norbert Lammert: und FDP ebenfalls in unverantwortlicher Weise Anträge Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der zum Bundesverkehrswegeplan gestellt, um möglichst Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion. viele Projekte in den Vordinglichen Bedarf zu bringen. Wissen Sie, warum der Plan dann trotzdem gut war? Weil (Beifall bei der CDU/CSU) verantwortliche Sozialdemokraten – damals wie heute – solche Wunschkataloge abgelehnt haben. Arnold Vaatz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- (Beifall bei der SPD – Lachen der Abg. ren! Als letzter Redner möchte ich das sagen, was mir Sabine Leidig [DIE LINKE]) am meisten am Herzen liegt. Wir hätten den Bundes- verkehrswegeplan, dieses große Werk, und die Ausbau- Nun zu Ihrem Lippenbekenntnis, mehr Güter auf die gesetze niemals auf den Weg gebracht, wenn wir nicht Wasserstraße zu verlagern. Mich als Rheinland-Pfäl- überparteilich zusammengearbeitet hätten und wenn zer treibt Folgendes um – das gilt sicherlich auch für wir nicht hervorragende Kontakte insbesondere auf der die Hessen, die Baden-Württemberger und die Nord- Mitarbeiterebene gehabt hätten. Demzufolge möchte ich rhein-Westfalen –: Wie man zur Fahrrinnenanpassung im auch einmal den persönlichen Mitarbeitern der Abgeord- Mittelrheintal sagen kann, dass man das nicht wolle, wie neten, die sich hier ins Zeug gelegt haben, ganz herzlich man sich bei einer der wichtigsten, wenn nicht sogar bei danken. der wichtigsten Wasserstraße in Deutschland verweigern und Nein zu einer deutlichen Erhöhung der Verlässlich- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- keit dieses Verkehrsträgers sagen kann, das will mir nicht ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ in den Kopf. Damit verleugnen Sie Ihre eigene Politik. DIE GRÜNEN) Ohne sie wären wir oftmals aufgeschmissen gewesen. Da (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dies noch nicht gesagt worden ist, ist es meines Erachtens der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Gute An- sehr wichtig, das zu tun. sage!) Einen ganz persönlichen Dank möchte ich auch noch Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab viele Dialoge in Richtung Alexander Dobrindt richten, und zwar aus und Diskurse, auch heftige Debatten. Aber was ich am folgendem Grund: Alexander, du hast in dieser ganzen, Mittwoch in der Zeitung lesen musste, war wirklich der oftmals heftigen Auseinandersetzung eine bewunderns- traurige Höhepunkt von dem, was Sie geliefert haben. werte Ruhe und Übersicht bewahrt. Du hast mit Beharr- 20714 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Arnold Vaatz (A) lichkeit, Konzentration und Konsequenz mehr geschafft, ans Bauen kommen. Das erwarten die Menschen, und (C) als viele am Anfang gedacht haben. Also ganz herzlichen das werden wir mit aller Kraft versuchen. Dank dafür (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) ordneten der SPD) Herr Minister Pegel, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass und auch für die ständige Offenheit deines Ministeriums Sie das Ganze einmal aus der Sicht der ostdeutschen und für die Bereitschaft, uns Informationen zu überlas- Länder, insbesondere aus der Sicht des von starken Sai- sen. Ich danke dir auch dafür, dass du immer für die sonverkehren geplagten, infrastrukturell dafür noch nicht Einwendungen und Vorschläge, die aus unseren Reihen ausgerüsteten Mecklenburg-Vorpommerns, beleuchtet gekommen sind, offen warst. Das ist meines Erachtens haben. Ich halte das für einen ganz wichtigen Hinweis. so, wie man sich das vorstellt. Vielen Dank! Seien Sie sicher: Wir werden alles unternehmen, damit sich die Situation bei Ihnen entschärft und dass es tat- Gleichzeitig möchte ich mich auch bei Wolfgang sächlich eine Mobilität gibt, die dem Land angemessen Schäuble bedanken. Durch Wolfgang Schäubles überleg- ist. Das soll für ganz Ostdeutschland gelten. Sie haben te und weitsichtige Finanzpolitik ist es möglich gewesen, uns in dieser Frage hundertprozentig auf Ihrer Seite. endlich aus diesem Schwitzkasten ständig mangelnder (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- finanzieller Mittel herauszukommen und schließlich eine ordneten der SPD) Perspektive vorzulegen, die auf lange Jahre gewährleis- tet, dass die finanziellen Grundlagen für die Erfüllung Zu den Streichorgien, von denen Sie gesprochen ha- unserer Infrastrukturaufgaben gegeben sind. Das ist ben, muss man meines Erachtens noch etwas klarstellen. ein ganz wichtiger Schritt nach vorne. Ganz herzlichen Die Antragsteller für dieses mehr an Projekten waren Dank! Linke und Grüne. Man muss einmal zur Kenntnis neh- men: Das, was beide Parteien in den letzten Jahren hier (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- in Deutschland geboten haben, ist in der Tat ein Anschlag ordneten der SPD) auf die Mobilität. All das, was jetzt geschehen ist, wäre ohne eine be- Ich sage Ihnen, Frau Leidig und Herr Behrens: Wir harrliche Vorarbeit, die hier stattgefunden hat, nicht werden im nächsten Jahr im Wahlkampf stehen. In mei- denkbar gewesen. An dieser Stelle muss ich an die lang- nem Wahlkreis und in ganz Ostdeutschland gibt es sehr jährige Arbeit von Karl-Heinz Daehre und viele, die aus alter Verbundenheit links wählen. Sie ha- erinnern, ben mir heute sehr geholfen. Ich werde Ihre Reden nur (B) eins zu eins abdrucken und verteilen. Das genügt, meine (D) (Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig!) Damen und Herren. die es in einer zunächst nahezu vernagelt erscheinenden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Situation tatsächlich geschafft haben, sauber zu formu- ordneten der SPD – Beifall der Abg. Sabine lieren und zu begründen, wie der wirkliche Finanzbe- Leidig [DIE LINKE] – Gustav Herzog [SPD]: darf für unsere Infrastruktur ist, herauszuarbeiten, was Es gibt ein Copyright!) an Erneuerung und an Bestandspflege für die Zukunft notwendig ist. Das war eine Kärrnerarbeit, die von der Dies wird dazu führen, dass viele von Ihren eingefleisch- Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden ist. Herz- ten Anhängern zum Nachdenken kommen, worauf sie lichen Dank, Karl-Heinz Daehre, herzlichen Dank Kurt sich einlassen, Bodewig! (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Täuschen Sie sich nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wenn Sie derartig destruktive Politikansätze noch för- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte dern. Das kommt für die meisten nicht infrage. Die ein paar Sachen zu meinen Vorrednern sagen. meisten täuschen sich nur darüber, dass eigentlich Sie die Feinde der Infrastruktur sind und nicht die Grünen. Frau Wilms, Sie haben gesagt, das, was wir uns vorge- Den Herrschaften kann geholfen werden. Ich glaube, wir nommen hätten, sei zu viel. schaffen das. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- NEN]: Falsch!) neten der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Hoffen wir, dass Sie das so machen, dass Sie Ich muss Ihnen dann recht geben, wenn die zukünftige wirklich verbreiten, was ich gesagt habe, und Strategie von Ihnen weiterhin ist, alle möglichen Dinge nicht Propaganda machen! – Zuruf des Abg. zu instrumentalisieren, um Infrastruktur zu verhindern. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Dann wird es in der Tat sehr schwer, das umzusetzen. Aber ich habe die Hoffnung, dass es uns dieses Mal ge- Meine Damen und Herren, mit den heute zu verab- lingt, die Endlosschleifen, die Sie uns in den letzten Jah- schiedenden Ausbaugesetzen sind wir natürlich noch ren verordnet haben, mit Prozessen, die nicht zu Ende ge- nicht am Ziel. Immer noch ist es so, dass wir langwie- gangen sind, und Einspruchsverfahren, die nicht zu Ende rige Verfahren zur Erlangung des Baurechts haben und gegangen sind, zu überwinden und dass wir tatsächlich dass wir teilweise in den Verwaltungen nicht die richtige Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20715

Arnold Vaatz (A) Ressourcenkonfiguration haben, um die Dinge schnell ausdrücklich im Protokoll des Bundestages festgehalten (C) umzusetzen. Deshalb kann es mit den heute vorliegenden werden.1) Ausbaugesetzen nicht sein Bewenden haben. Wir müssen in dieser Angelegenheit noch wesentlich mehr tun. Wir Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur müssen den Ausbaugesetzen auch ein Verkehrswegespla- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck- nungsbeschleunigungsgesetz oder etwas in diesem Sinne sache 18/10524, den Gesetzentwurf der Bundesregierung beifügen, auf den Drucksachen 18/9523 und 18/9853 in der Aus- schussfassung anzunehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/10534. Wer stimmt für damit wir in der Lage sind, tatsächlich zügig zu bauen. diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mit den Leider ist es so, dass wir im Augenblick gerade wieder Stimmen der Koalition abgelehnt. in die entgegengesetzte Richtung gehen. Ich nenne nur das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz. Da soll zum Beispiel Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der die Präklusionsklausel gestrichen werden. Wenn das Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- stattfindet, dann können Einwendungen, die im Verfah- chen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ren bis zu dem Zeitpunkt nicht geäußert worden sind, zu ist umgekehrt der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit dem die Präklusionsfrist abgelaufen ist, im Zuge des wei- den Stimmen der Koalition angenommen. teren Verfahrens wieder eingebracht werden und müssen gar in die Abwägung einfließen. Das heißt, da deuten sich Wir kommen zur wieder Endlosschleifen an. Das darf natürlich nicht sein. dritten Beratung Deshalb muss auch hier etwas passieren. und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu- Ich glaube, wir müssen auch darüber nachdenken, was stimmen möchte, bitte ich, sich von den Plätzen zu er- wir gegen die fortwährende Instrumentalisierung von heben. – Wer ist dagegen? – Möchte sich jemand der Tierschutz zur Verhinderung von Infrastrukturprojekten Stimme enthalten? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den tun können. Das Schlimmste, was man dem Naturschutz Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi- antun kann, ist, dass man ihn für sachfremde Zwecke in- on bei einer Enthaltung angenommen. strumentalisiert und damit von den Menschen entfremdet. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag (B) Wer tatsächlich dafür ist, dass Natur und Umwelt ge- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa- (D) schützt werden, der darf nicht fortwährend den Natur- che 18/10535 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungs- und Umweltschutz gegen Mobilität und gegen Bedürf- antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da- nisse der Gesellschaft ausspielen. Wir müssen beides mit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. zusammenführen, und das bedeutet: Wir brauchen Natur- schutz, wir brauchen Umweltschutz, aber wir brauchen Tagesordnungspunkt 30 b. Abstimmung über den von auch eine vernünftige Infrastruktur. Wenn wir das nicht der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Geset- haben, ist beides nicht mehr in Ordnung. Dann gibt es zes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugeset- keinen Naturschutz mehr, und es gibt auch keine wirt- zes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur schaftliche Entwicklung mehr. Genau das wollen wir empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck- nicht haben. sache 18/10513 (neu), den Gesetzentwurf der Bundes- regierung auf den Drucksachen 18/9524 und 18/9953 in (Beifall bei der CDU/CSU) der Ausschussfassung anzunehmen. Wir brauchen einen Gang nach vorne und keinen Still- Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion stand. Dafür haben wir heute einen guten Anfang gesetzt. Die Linke auf Drucksache 18/10536. Wer möchte diesem Vielen Dank. Änderungsantrag zustimmen? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mehr- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) heitlich bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen abgelehnt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ich schließe die Aussprache. Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Wir kommen nun zu den Abstimmungen über den chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbau- Wir kommen zur gesetzes. dritten Beratung Dazu liegen mir zahlreiche persönliche Erklärungen zur Abstimmung vor, mit denen an der einen oder ande- und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzent- ren Stelle besondere Wünsche, die nicht berücksichtigt wurf zustimmen möchten, bitte ich, sich von den Plät- werden konnten, oder Projekte, die realisiert werden, obwohl man dafür keinen Bedarf sieht, noch einmal 1) Anlagen 2 bis 4 20716 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) zen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält schlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer (C) sich? – Damit ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen enthält sich? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mit von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op- Fraktion Die Linke angenommen. position angenommen. Tagesordnungspunkt 30 c. Abstimmung über den von Damit haben wir dieses große Paket jedenfalls für heu- der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Geset- te abgeschlossen. – Denjenigen, die alle übrigen Punkte zes über den Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur der Tagesordnung nicht annähernd so spannend finden, Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes. Der Aus- wünsche ich noch eine gedeihliche Arbeit im Büro und schuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in anschließend ein hoffentlich halbwegs ruhiges Advents- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10516, wochenende. den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 8 auf: sachen 18/9527 und 18/9952 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja dieser Fassung zustimmen wollen, bitte ich um das Hand- Dörner, Kerstin Andreae, Dr. Franziska Brantner, zeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition in NIS 90/DIE GRÜNEN zweiter Beratung angenommen. Familien stärken – Kinder fördern Auch hier kommen wir jetzt zur Drucksache 18/10473 dritten Beratung Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz- Finanzausschuss entwurf zustimmen wollen, erheben sich bitte. – Wer Ausschuss für Arbeit und Soziales möchte dagegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Widerspruch bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. dagegen sehe ich nicht. Also verfahren wir so. Tagesordnungspunkt 30 d. Abstimmung über die Be- Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und Franziska Brantner für die Antragsteller das Wort. digitale Infrastruktur auf der Drucksache 18/10514. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) empfehlung die Ablehnung eines Antrags der Fraktion NEN): (D) Die Linke auf der Drucksache 18/8075 mit dem Titel Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen „Bundesverkehrswegeplan 2030 zurückziehen – Kli- und Herren! Sie haben den Titel unseres Antrags gera- maschutz- und sozialökologische Nachhaltigkeitsziele de vorgelesen: Wir wollen Familien stärken und Kinder umsetzen“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung fördern. Familien brauchen unsere Unterstützung, und zu? – Wer stimmt gegen diese Beschlussempfehlung? – Kinder gehören stärker gefördert. Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist die Beschluss- empfehlung mit den Stimmen der Koalition mehrheitlich Familie ist für uns klar dort, wo Menschen kontinu- angenommen. ierlich Verantwortung füreinander übernehmen. Familie ist da, wo Kinder sind – egal, ob die Eltern verheiratet Tagesordnungspunkt 30 e. Abstimmung über die Be- oder getrennt sind, noch nie zusammen waren oder im schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und Regenbogen zusammenleben. Kinder machen Familie digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Bünd- aus. Deshalb muss sich auch die Förderung von Familie nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Deutschland-Takt daran orientieren, wo Kinder sind. Das ist unsere zentrale jetzt umsetzen – Weichen in der Bundesverkehrswege- Aussage. planung richtig stellen“. Der Ausschuss empfiehlt in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10515, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Wir haben ein drängendes Problem in Deutschland: Drucksache 18/7554 abzulehnen. Wer stimmt für diese Mehr als 2,5 Millionen Kinder wachsen in Deutschland Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer in einer Familie auf, die von Armut bedroht ist oder enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit SGB-II-Leistungen für sich und ihre Kinder bezieht. Das den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op- sind fast 20 Prozent. Fast jedes fünfte Kind ist also be- position angenommen. troffen. Tagesordnungspunkt 30 f. Wir kommen zurück zur Diese Kinder sind nicht dabei, wenn die Freundinnen Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und zusammen ins Kino gehen. Sie spüren die Blicke der an- digitale Infrastruktur auf Drucksache 18/10514. Un- deren, wenn zu Beginn des neuen Schuljahres der Ranzen ter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt noch der aus der ersten Klasse ist. Wir wissen aus Studi- der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion en, dass bei Kindern aus sozial benachteiligten Famili- Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/8083 en ein größeres Risiko besteht, dass sie erkranken, dass mit dem Titel „Den Bundesverkehrswegeplan zum Bun- diese Kinder häufiger unter psychischen Auffälligkeiten desnetzplan weiterentwickeln“. Wer stimmt dieser Be- leiden oder Opfer von Gewalt werden. Armut grenzt aus Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20717

Dr. Franziska Brantner (A) und tut weh; sie beeinflusst das Leben von Kindern und Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) auch ihr späteres Erwachsenenleben nachhaltig. Das NEN): müssen wir ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen, und Herr Patzelt, das erste Beispiel, das ich genannt habe, das können wir auch ändern. An diese Aufgabe müssen war: zusammen ins Kino gehen. Das ist für mich kein wir uns endlich machen. Statussymbol, sondern klassische Kultur. Das gehört ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutig dazu. und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Bekämpfung von Kinderarmut ist daher ein priori- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) täres Ziel grüner Familien- und Sozialpolitik. Dabei geht Zum zweiten Beispiel, das Sie jetzt angesprochen es uns um drei Bereiche: Kinder brauchen gute Bildung, haben. Ja, es ist für Kinder eine entscheidende Frage, gute gesellschaftliche Teilhabe und auch genügend Geld. wie sie in ihrem sozialen Umfeld auftreten können und Mit Blick auf den ersten Aspekt, die Bildung, kämp- was sie haben. Wir wissen, dass Armut relativ ist. Es ist fen wir – das wissen Sie; das brauche ich hier nicht wei- eine tief gehende Debatte, die wir in diesem Land ha- ter auszuführen – schon lange dafür, dass der Bund mehr ben. Wir müssen anerkennen, dass sich ein Kind zurück- Geld zur Verfügung stellt, auch um die Qualität der Kitas gesetzt fühlen kann, auch wenn es nicht hungern muss. zu steigern. Wir als Grüne sind zutiefst davon überzeugt, dass Armut auch davon abhängt, was im jeweiligen sozialen Umfeld Zum zweiten Aspekt, der gesellschaftlichen Teilhabe: möglich ist. Daran macht sich das fest. Armut ist relativ, Wir alle wissen, dass das Bildungs- und Teilhabepaket und deswegen sind solche Aspekte für Kinder in unserer nicht bei den Kindern ankommt. Denn die Inanspruch- deutschen Gesellschaft eine Frage der Teilhabe und des nahme ist so gering: Die Möglichkeit der Nachhilfe Dazugehörens. nehmen nur 9 Prozent der anspruchsberechtigten Kinder wahr. Die Möglichkeit, ein Musikinstrument zu erlernen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN oder in einen Verein zu gehen, nehmen nur 21 Prozent sowie der Abg. Susann Rüthrich [SPD] – der Kinder in Anspruch. Dieses Teilhabepaket kommt bei Martin Patzelt [CDU/CSU]: Danke für die den Kindern also nicht an. Wir können es uns in diesem Antwort! Ich merke, dass Sie, was materielle Land aber nicht leisten, dass diese Kinder ausgeschlos- Nachhaltigkeit angeht, Kompromisse einge- sen werden und nicht das bekommen, was ihnen eigent- hen, die ich von Ihnen nicht erwartet habe!) lich zusteht. – Wir haben nie gesagt, dass Familien kein Geld brau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen. (B) und bei der LINKEN) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir wollen deswegen die Angebote dorthin bringen, sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der wo sich die Kinder aufhalten: in die Kitas und Schulen. Abg. Susann Rüthrich [SPD]) Die Debatten über das Kooperationsverbot bieten uns da eigentlich eine ganz gute Chance. Von daher: Natürlich braucht man auch eine materielle Absicherung. Wir wären die letzten, die das verneinen würden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Frau Brantner, darf der Kollege Patzelt eine Der dritte Aspekt – jetzt komme ich zum Geld, Herr Zwischenfrage stellen? Patzelt –: Die beste Armutsbekämpfung besteht weiter- hin in der Erwerbstätigkeit beider Eltern. Wenn ein aus- reichendes Einkommen nicht möglich ist, weil die Eltern Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- keinen Job finden, weil sie trotz Vollzeitjob zu wenig NEN): verdienen oder auch mit mehreren Jobs zu wenig haben Gerne. oder weil nur ein Elternteil für die Familie sorgen kann, müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Kinder nicht Martin Patzelt (CDU/CSU): die Leidtragenden sind. Wir wollen, dass diejenigen, die Frau Dr. Brantner, danke schön, dass ich die Frage heute zu wenig haben, endlich mehr bekommen, nämlich stellen kann, auch wenn Sie im Text inzwischen schon das, was sie brauchen. etwas weiter waren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich war sehr verwirrt darüber, dass gerade Sie als Grü- Das bedeutet für uns zweierlei: dass erstens die Re- ne, die hier für die grüne Fraktion mit entscheidender gelsätze zu erhöhen sind und dass zweitens Familien mit Stimme sprechen, materielle Statussymbole sozusagen geringem Einkommen verlässlich unterstützt werden und als Kriterium oder Maßstab für den Wert von Kindern das Existenzminimum gesichert bekommen. sehen. Die Sache mit dem Ranzen hat mich sehr erschüt- tert. Ich habe meine Kinder so erzogen: Einen Ranzen, Erstens zu den Regelsätzen. Darüber haben wir in der noch gut funktioniert, tragt ihr mit Selbstbewusst- dieser Woche schon eine Debatte geführt; mein Kollege sein. – Sie sagen jetzt: Es wird zu einer Verunsicherung Wolfgang Strengmann-Kuhn hat dazu etwas ausgeführt. der Kinder führen, wenn es keinen neuen Ranzen gibt. – Kinder brauchen ihre tatsächlichen Bedarfe gedeckt. Da Könnten Sie sich dazu noch einmal äußern? ist eben auch mal ein Eis im Sommer mit dabei. Dazu 20718 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Dr. Franziska Brantner (A) gehören die Sachen, die andere Kinder in diesem Land Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) auch haben. Das Wort erhält nun der Kollege Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion. Zum zweiten Punkt. Viele Familien arbeiten – viel- leicht nur Teilzeit, vielleicht auch Vollzeit –, und es (Beifall bei der CDU/CSU) reicht nicht, dass sie nicht in Armut leben. Dafür gibt es eigentlich den Kinderzuschlag. Aber wir alle wissen: Der Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): kommt nicht an. Nur ein Drittel der Berechtigten hat den Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen am Ende des Monats wirklich auf dem Konto. 70 Pro- und Kollegen! Liebe Frau Brantner, es ist jetzt schon zent schaffen diese Hürde nicht. Sie leben de facto in beginnender Wahlkampf. Die Verkehrspolitiker haben verdeckter Armut. Selbst der Kinderzuschlag deckt nicht vorhin schon die ersten Vergleiche mit Weihnachten das sächliche Existenzminimum. gezogen. Das wäre auch hier passend. Ich sage einmal: Im Dezember 2016 die ersten Anträge mit Blick auf den Sehr geehrte Damen und Herren, der Bund definiert Wahlkampf zu stellen, ist so wie mit den Lebkuchen im regelmäßig das Mindeste, was Kinder zum Leben brau- Juni. Sie sehen an meiner Figur: Ich mag Lebkuchen im chen. Das ist das Existenzminimum. Das ist im Steuer- Juni. Bei Ihrem Antrag bin ich allerdings nicht so eupho- recht freigestellt, aber das bekommen diese Kinder nicht. risch. Was das Verpacken angeht, wissen wir, dass auch Warum ist es so, dass es bei den einen im Steuerrecht eine schöne Verpackung einen schlechten Inhalt haben freigestellt wird, es bei den anderen finanziell aber nicht kann. Wir werden uns dennoch jetzt mit dem Thema be- ankommt? Das ist eine große Ungerechtigkeit, und die fassen, weil wir bei gewissen Positionen und Zielsetzun- müssen wir endlich beenden. gen etwas Ähnliches definieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Natürlich ist das Thema „Kinderarmut in Deutsch- und bei der LINKEN) land“ ein Thema, das uns alle bedrückt, fraktionsüber- greifend. Deswegen arbeiten wir gemeinsam daran, die Wir wollen deswegen, dass alle Kinder das bekom- Situation aller Kinder zu verbessern. Familienpolitik men, was sie brauchen, nämlich mindestens das Exis- muss sich nachhaltig alle Bereiche anschauen. Solange tenzminimum – das auch automatisch und ohne Antrag, nur ein Kind in Deutschland missbraucht, misshandelt genauso wie es bei den Freibeträgen ist. Wir wollen für oder vernachlässigt wird, so lange haben wir einen klaren jedes Kind, das in einem Alleinerziehendenhaushalt auf- Arbeitsauftrag. Solange Kinder in Armut leben, haben wächst und dessen Elternteil nicht genügend oder gar wir als Familienpolitiker einen Arbeitsauftrag hier im keinen Unterhalt bekommt, erreichen, dass man nicht Plenum. Das soll ein Ziel sein, gegen die Kinderarmut (B) mehr permanent von Amt zu Amt laufen muss, dass es gemeinsam zu kämpfen. (D) nicht mehr die zeitliche Begrenzung gibt, die keiner mehr (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nachvollziehen kann. Deswegen wollen wir das umstel- len, sodass dieses Kind und der Elternteil das Geld direkt Aber die Wege sind durchaus unterschiedlich. Das bekommen, ohne große Anträge, und dass die Einkom- sieht man auch bei dem Antrag. Bekämpfung von Armut: mensanrechnung beim unterhaltspflichtigen Elternteil Was ist das Hauptziel bei der Bekämpfung von Armut? stattfindet. Das Hauptziel muss doch sein, dass Eltern in die Lage versetzt werden, ihr Leben eigenständig zu organisieren. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Das heißt, wir müssen Arbeitsplätze schaffen, und dazu Das ist eine Sozialleistung!) brauchen wir eine starke Wirtschaft. Das stärkt die Fami- lien in diesem Land und damit auch die Kinder und sorgt Das würde Alleinerziehende echt entlasten, sowohl wenn dafür, dass die Eltern ihre Kinder nicht nur materiell ver- es um das Materielle geht, als auch wenn es um die psy- sorgen können, sondern auch psychologisch. chische Belastung geht, um die Klagen, um den Streit. Sie haben das Beispiel mit dem Ranzen angesprochen. Wir müssen da rauskommen und sagen: Wir sichern euch Ja, es ist für ein Kind wichtig, dass es auch einmal einen eure Existenz, das gute Aufwachsen für eure Kinder. Das neuen Ranzen bekommt. Aber viel wichtiger ist für das ist die Verantwortung dieses Staates. Kind, dass die Eltern in der Lage sind, diesen Ranzen zu kaufen. Deswegen müssen wir gesamtwirtschaftlich Präsident Dr. Norbert Lammert: schauen, dass wir mit einer guten Wirtschafts- und Fi- nanzpolitik die Voraussetzungen schaffen, um die Eltern Frau Kollegin. zu stärken. (Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Dr. Wolfgang Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): NEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Dann kommen wir endlich, hoffentlich, zu einer bes- – Darauf habe ich förmlich gewartet. seren Bekämpfung der Kinderarmut. Das ist unser Ziel. Lassen Sie es uns gemeinsam angehen. Ich freue mich Präsident Dr. Norbert Lammert: auf die Beratungen. Na ja, das lässt mich natürlich eher zögern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20719

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Aber wollen wir einmal nicht so sein. Bitte schön. das wissen wir –, dass Kinder zunehmend in bildungs- (C) schwachen Haushalten aufwachsen. Zur Bekämpfung Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ von Kinderarmut reicht es deshalb nicht aus, den Famili- DIE GRÜNEN): en nur mehr Geld in die Hand zu geben; vielmehr müssen wir Bildungschancen eröffnen. Herr Kollege Weinberg, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gesagt: Wir müssen in erster Lassen Sie mich einen Blick auf die Arbeit der Großen Linie dafür sorgen, dass die Eltern ein existenzsicherndes Koalition in den letzten Jahren werfen. Was haben wir Einkommen haben. Können Sie zur Kenntnis nehmen, denn gemacht? dass bei einem großen Teil der armen Kinder die Eltern durchaus ein ausreichendes Einkommen haben und die- (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: se Kinder trotzdem Hartz-IV-Leistungen beziehen und Kinderarmut erhöht!) in Armut leben? Dies ist doch das eigentliche Problem, das wir angehen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass Der Etat des Bildungsministeriums beträgt inzwischen diese Kinder, deren Eltern eigentlich genug Einkommen über 17,5 Milliarden Euro. Die Bereiche Familie und haben, nicht in die Grundsicherung rutschen. Das müssen Bildung sind finanziell gestärkt worden, der Etat ist auf- wir doch im Auge behalten. Dafür ist unser Vorschlag die gestockt worden. Das ist ein Ergebnis der Arbeit der Gro- richtige Antwort. ßen Koalition. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Es gibt die Programme „Frühe Bildung: gleiche Chan- Das ist das Thema Kindergrundsicherung. Ich kom- cen“ und „Haus der kleinen Forscher“. Wir als Bund ha- me gleich zu Ihrer Frage. – Nehmen Sie bitte zunächst ben deutlich gesagt: Wir wollen, um die Bildungschancen einmal zur Kenntnis, dass wir vor ungefähr zehn, elf von Kindern gezielt zu erhöhen, diese Programme weiter Jahren eine Situation in Deutschland hatten, in der fast ausbauen. Wir als Bund haben Verantwortung übernom- 6 Millionen Menschen arbeitslos waren. Ich habe gestern men, und wir sehen mit Blick auf den PISA-Schock von von dem wahrscheinlichen Kanzlerkandidaten der SPD – 2001, dass die Ergebnisse langsam besser geworden sind. vielleicht wird er es, man weiß es nicht – gehört, dass er Daran haben auch die Länder und Kommunen gearbeitet, gesagt hat, es sei das wichtigste Ziel gewesen, dass wir auch wenn sie noch etwas mehr tun könnten. Wir müssen diese Menschen in den letzten Jahren wieder in Arbeit in diesem Zusammenhang den Lehrern, den Erziehern gebracht haben. Mit einer Arbeitslosenzahl von 2,5 Mil- und all jenen, die im Bildungsbereich aktiv sind, danken. (B) lionen ist das deutlich besser geworden. (D) Damit komme ich zur Kindergrundsicherung, die ja (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: in Ihrem Antrag gefordert wird. Das wirft die Frage auf: Trotzdem hat sich die Kinderarmut erhöht!) Ist sie sinnvoll, zielführend und sogar effizient? Ist sie Insgesamt ist festzustellen: Die Situation in Deutschland oberflächlich und etwas, was das Problem nur kaschiert, ist besser geworden, weil wir die Probleme vor vielen oder ist sie tiefgehender, also etwas, was wir politisch Jahren erkannt haben. unterstützen sollten? Wir sagen ganz klar: Es muss doch einen Grundsatz Zum Thema Unterhaltsvorschuss und zur Frage, wann in diesem Land geben. Die Lebenslage eines Kindes ist die Ausweitung kommt. Dazu drei ganz klare Botschaf- untrennbar mit der Einkommenssituation der Eltern ver- ten von der Union: bunden. Wir sollten nicht die Situation von Eltern auf der Erstens. Die Ausweitung, so wie im Koalitionsaus- einen Seite und die von Kindern auf der anderen Seite schuss und auf der Ministerpräsidentenkonferenz be- voneinander trennen. Deswegen glaube ich: Wenn wir schlossen – Frau Brantner, ich komme gleich darauf zu- darauf achten, dass die finanzielle Situation der ganzen rück –, wird kommen. Familie stabil ist, ist das zum Wohlsein des Kindes. Eine solche Leistung nur für das Kind, wenn es den Zweitens. Beim Unterhaltsvorschuss handelt es sich Eltern gleichzeitig finanziell schlecht geht, ist schlicht um die zielgerichtetste Maßnahme im Bereich der Fami- der falsche Weg. Noch einmal: Viele Kinder warten auf lienpolitik. Wir alle sind optimistisch, dass die Ministerin einen neuen Ranzen, aber es ist wichtig, dass die Eltern Schwesig es schaffen wird, konkrete Finanzierungsver- ihn auch bezahlen. Die Idee, durch die Einführung ei- einbarungen mit den Ländern zu treffen. ner Kindergrundsicherung die Entwicklungschancen von Kindern vom sozialen Status ihrer Eltern abzukoppeln, Drittens. Ich bin weiterhin optimistisch, dass all die- ist eher trügerisch. Das werden wir nicht unterstützen. jenigen, die in den Ländern Verantwortung tragen, die jeweiligen Ministerpräsidenten daran erinnern, dass sie Ein weiterer Punkt – hier stimmen wir Ihnen zu – ist eine Zusage gegeben haben. Frau Brantner, Sie regieren die Kernforderung, die Wirtschaft zu stärken; denn das in zehn Ländern mit; Sie stellen sogar einen Minister- ist die Voraussetzung für die Stärkung von Kindern. Es präsidenten. Deswegen stelle ich Ihnen die Frage: Was geht um den Zugang zu Bildung, zu Ausbildung sowie haben Sie innerhalb Ihrer grünen Fraktion dafür getan, um den Zugang zu soziokultureller Teilhabe. Bestehende um dafür zu sorgen, dass sich Ihre Regierungsmitglieder Kinderarmut verschärft sich langfristig dadurch – auch in den Ländern – von Hamburg bis in den Süden hinein – 20720 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) bereit erklären, die Ausweitung des Unterhaltsvorschus- auch mit Blick auf die Sozialversicherungsbeiträge. Ich (C) ses zu unterstützen? denke zum Beispiel an die Pflegeversicherung, bei der schon jetzt diejenigen, die keine Kinder haben, 0,25 Pro- (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zent mehr zahlen. Man wird schauen müssen, wie man NEN]: Wir arbeiten dran!) das Ziel „Stärkung von Familien mit Kindern“ erreichen Ich finde es etwas schwierig, wenn man sich hier hin- kann. stellt und sagt: „Das muss aber kommen“, und der Bun- desregierung den Schwarzen Peter zuschiebt, aber selbst Man wird über viele Dinge diskutieren müssen – ich Verantwortung in den Ländern trägt. Da sollten Sie etwas will das nur kurz anreißen –, wenn es um die Frage geht, mehr tun. wie wir Familien stärken können, wie wir sie vor Armut schützen können. Armut drückt sich auch in den Le- (Beifall bei der CDU/CSU) bensverhältnissen von Kindern aus, in den Wohnungen. Wir wissen, welch hohe Mieten man gerade in urbanen Wir haben immer gesagt – und das ist das Letzte, was Gebieten zahlen muss. Wir müssen überlegen, wie wir ich zu diesem Thema sagen möchte –: Die Voraussetzung Familien in eine Situation versetzen können, dass sie Ei- ist, dass die Finanzierung stimmt, und auch die Umset- gentum, dass sie eine selbstgenutzte Immobilie erwerben zung in den Kommunen muss stimmen. Frau Hajduk, können. Eine heute 30-jährige Frau mit einem 32-jähri- wir wissen beide aus Hamburg, wie viele Stellen das be- gen Mann kann momentan kaum eine Immobilie erwer- deuten wird. Das muss geregelt werden; denn nichts ist ben. Wenn die Familien in der Lage wären, Eigentum zu schlimmer, als wenn Politik etwas verspricht, aber dieses erwerben, wäre das gut für die Familien, übrigens auch Versprechen später nicht halten kann. für die Alterssicherung; denn die selbstgenutzte Immo- Richtig ist, dass wir uns überlegen müssen – und auch bilie, die nach 30 Jahren abbezahlt ist, kann eine Säule da haben Sie uns an Ihrer Seite –, wie wir längerfristig der Alterssicherung sein. Ich glaube, hier haben wir noch mit der Schnittstellenproblematik umgehen, um ineffizi- viel Potenzial, das wir in den nächsten Jahren heben soll- ente Leistungen abzustellen. Wir müssen jeden Euro in- ten. CDU/CSU und SPD diskutieren ja gerade sehr inten- vestieren, je früher desto besser. Wir müssen investieren, siv über ein Baukindergeld und Ähnliches. Da wird man statt später nur zu reparieren, gerade bei Kindern. Wir noch einiges machen. müssen überlegen: Wie können Eltern gestärkt werden? Was ist, wenn sie ein zusätzliches Einkommen haben? Ein weiteres Thema wird sein, wie Familien ihre Zeit, Nimmt man ihnen das auf der anderen Seite gleich wie- diese neue goldene Ressource, besser einteilen können. der weg? Jeder Mensch, der ein höheres Einkommen be- Wir werden in Zukunft sehr viel über Geld reden, über zieht, muss dafür sorgen, dass das Geld auch bei den Kin- materielle Werte. Ich verweise immer darauf, dass es (B) dern ankommt. Deshalb wird man sich genau anschauen auch ideelle Werte gibt, über die wir mit unseren Kindern (D) müssen: Wo gibt es noch Schnittstellenproblematiken, sprechen müssen und die sich nicht an gewissen Zahlen die wir im Sinne der Familien noch auflösen müssen, um festmachen lassen. die Freiheit der Familien zu stärken? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Gleiche betrifft die ineffizienten Leistungen. Wir wollen Familien mit Kindern stärken, und wir wollen Dabei geht es um die Einstellung zur Gesellschaft, zur Kinder in Familien stärken. Da haben Sie uns an Ihrer Demokratie, auch zu Themen wie Gleichberechtigung. Seite. Darüber wird man die Debatte führen müssen, ins- Vielleicht sollten wir auch im Deutschen Bundestag ein- besondere mit Blick auf die nächsten fünf bis zehn Jahre. mal einen Diskurs darüber führen, was unsere gemeinsa- Wie muss ich in den verschiedenen Systemen umsteu- men Werte sind und wie wir sie stärken können, statt, so ern, damit ich ganz gezielt Kinder und Familien mit Kin- wichtig das auch sein mag, in erster Linie über das Geld dern stärke? In diesem Zusammenhang muss man über zu sprechen. steuerliche Leistungen debattieren. Man muss darüber ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nachdenken: Wie können wir Veränderungen bei der Ein- NEN]: Dann schreiben Sie doch mal einen kommensteuer herbeiführen, sodass Kinder in Familien Antrag!) gestärkt werden? Das machen wir. Wir befinden uns in einem intensiven Diskurs, auch mit Blick auf den Wahl- Dann werden wir gemeinsam feststellen, dass wir die kampf, selbstverständlich. Freiheiten der Familien stärken wollen. Die Freiheiten zu stärken, heißt, Zeit zu bekommen, Zeit für Familie, aber Sie fordern allerdings, dass das Ehegattensplitting ab- auch Zeit für Erwerbstätigkeit. geschafft wird. Dazu sagen wir ganz deutlich: Das ist mit der Union nicht zu machen. Fazit: Denken Sie bitte daran, dass bekanntermaßen (Beifall bei der CDU/CSU) alles mit allem zusammenhängt. Es wird darauf ankom- men, dass wir in diesem Land unsere wirtschaftliche Was wir überlegen, ist Folgendes: Wie können wir das Stärke ausbauen; denn das ist die Voraussetzung für fa- Ehegattensplitting von heute weiterentwickeln zu einem milienpolitische Leistungen. Wir brauchen wirtschaftli- Familienentlastungssplitting oder zu einem Familien­ che Stärke; denn sie schafft finanziellen Spielraum. splitting? Kernaufgabe muss es sein, Familien mit Kin- dern zu stärken. Ich glaube, das wird in den nächsten Jah- ren eines der Hauptthemen sein, und zwar mit Blick auf Präsident Dr. Norbert Lammert: die Einkommensteuer, mit Blick auf die Freibeträge und Herr Kollege. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20721

(A) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Die Wahrheit ist – der Eindruck drängt sich doch (C) Herr Präsident, ich komme gern zum Schluss. auf –: Ihnen ist Kinderarmut im Grunde egal. ( [CDU/CSU]: Das ist Unsinn, Präsident Dr. Norbert Lammert: kompletter Unsinn und eine Unterstellung!) Nein, nicht gerne, aber unvermeidlicherweise, nicht Warum ist Ihnen Kinderarmut im Grunde egal? Weil: wahr? Wenn man über materielle Armut in den Familien reden will, dann muss man am Ende auch über den unermess- lichen Reichtum in diesem Lande, der in immer weniger Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Händen konzentriert ist, reden. Finanzieller Spielraum schafft auch Möglichkeiten für (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) die Familienpolitik. Wenn wir Armut beseitigen wollen, dann müssen wir Deswegen sage ich – ich komme zu den Lebkuchen darüber reden, wie wir an die unermesslichen Reichtü- zurück –: Für Ihren Antrag, Ihren Wahlkampfantrag, ist mer von einigen wenigen rangehen. Auch das gehört zur es noch ein bisschen früh. Trotzdem eröffnen wir gerne Wahrheit. Das heißt, wir müssen über eine Umverteilung die Diskussion. Wir machen es wie mit den Lebkuchen großer Vermögen reden, wenn wir Kinderarmut nachhal- und beenden die Sache schnell. tig beseitigen wollen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Der Antrag der Grünen hat einen guten Feststel- ordneten der SPD) lungsteil. Er verbleibt bei den vier Beschlusspunkten dann aber leider häufig auf der Überschriftenebene. Das finde ich sehr bedauerlich. Ich habe ein bisschen den Präsident Dr. Norbert Lammert: Eindruck, dass Sie versuchen, sich möglichst wenig fest- Norbert Müller ist der nächste Redner für die Fraktion zulegen. Man weiß ja nicht, ob man im nächsten Jahr Die Linke. möglicherweise neue Partner hat, die sich bei der Frage, wie man Kinderarmut zurückdrängt, auch nicht festlegen (Beifall bei der LINKEN) wollen. Sie fordern: Regelsätze für Kinder und Erwachsene Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): in der Grundsicherung müssen so ermittelt werden, dass (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sie das Existenzminimum tatsächlich decken. Dann ma- (D) Kollegen! Franziska Brantner hat es gesagt: Arme Kin- chen Sie das doch an Zahlen fest! Dazu gibt es diverse der werden diskriminiert, sie werden ausgeschlossen, sie Vorschläge, unter anderem die Vorschläge der Diakonie. haben eine schlechtere Gesundheit, sie werden häufig Diese haben wir übernommen. Folgende Beträge werden schlechter ernährt, sie haben schlechtere Bildungschan- vorgeschlagen – ich möchte sie hier nennen –: Kinder bis cen, sie haben weniger Zugang zu gesellschaftlicher Teil- 6 Jahre 326 Euro, zwischen 7 und 13 Jahren 366 Euro habe – das ist nicht nur der Kinobesuch –, und sie bleiben und zwischen 14 und 18 Jahren 401 Euro. Das sind fast oft lebenslang arm. Wer lebenslang arm bleibt, der stirbt 100 Euro für jedes Kind mehr, und das würde unmittel- auch früher, der hat eine geringere Lebenserwartung, der bar helfen, aus der Armut herauszukommen. Ich fordere ist auch im Alter arm. Das haben die Grünen im Fest- Sie auf: Machen Sie Vorschläge, wie Sie das sächliche stellungsteil ihres Antrages alles sehr vorbildlich – wir Existenzminimum der Kinder verlässlich sichern wollen. könnten das fast nicht besser – beschrieben. Ich finde die (Beifall bei der LINKEN) Beschreibung völlig angemessen. Ihr zweiter Punkt. Sie wollen Familien mit niedrigem Ich weiß, dass das alles so ist. Die Grünen wissen, Einkommen gezielt und bedarfsdeckend unterstützen. dass das so ist. Sie wissen, dass das so ist. Die Bundes- Dafür haben wir mit dem Kinderzuschlag bereits ein gu- regierung weiß, dass das so ist. Das Bemerkenswerte an tes Instrument, dieser Debatte ist, dass wir über Kinderarmut nur reden, wenn die Opposition das beantragt. Das zeigt, Herr Kol- (Sönke Rix [SPD]: Wer hat das denn einge- lege Weinberg, welchen Stellenwert das für die Bundes- führt?) regierung hat. Im Koalitionsvertrag gibt es keine einzige das entbürokratisiert werden muss und deutlich ausge- Bezugnahme auf dieses Problem, und in dieser Wahlperi- baut werden müsste. Kollege Rix, Sie haben völlig recht, ode fand nicht eine Debatte hier im Bundestag dazu statt, das haben Sie eingeführt. Aber es ist unzureichend. bei der die Koalition eigene Vorschläge eingebracht hat, wie sie Kinderarmut – das ist in erster Linie immer mate- ( [SPD]: Genau! Irgendwas rielle Armut – beseitigen will. ist immer!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Der Kinderzuschlag ist in den letzten Jahren erhöht wor- NIS 90/DIE GRÜNEN) den, aber viel, viel zu wenig. Wir wissen: Der Kinder- zuschlag ist das zentrale Instrument, mit dem wir relativ Nein, das haben Sie nicht getan. Über Kinderarmut reden einfach Familien, die Einkommen aus eigener Arbeit wir hier nur, wenn Grüne und Linke es beantragen. haben, vor Hartz IV bewahren. Ich will es noch einmal 20722 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Norbert Müller (Potsdam) (A) sagen: 900 000 Kinder in Deutschland leben in Familien, nannt. Vor allen Dingen muss Schluss sein mit den Mani- (C) in denen die Eltern aufstocken müssen. Sie gehen arbei- pulationen bei den Regelbedarfssätzen. ten – dadurch haben sie auch nicht so viel Zeit für ihre Kinder, Kollege Weinberg –, aber sie müssen aufstocken. (Sönke Rix [SPD]: Manipulationen?) Die Kinder sind deswegen arm. Es sind noch drei Wochen bis Weihnachten. Dass man Den vierten Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen Kindern, die von Hartz IV leben, bei der Berechnung der von den Grünen, verstehe ich nicht so ganz. Sie wollen Regelbedarfssätze auch noch den Weihnachtsbaum her- das Ehegattensplitting vielleicht ein bisschen abschaffen, ausrechnet, ist keine besonders christliche Politik. aber Sie wollen es für diejenigen offenhalten, die beson- ders davon profitieren. Sie schlagen dann eine -Kinder (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- grundsicherung vor, die man wahlweise durch die alten neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) familienpolitischen Leistungen, durch das Ehegatten­ splitting, ersetzen kann. Das Absurde an dem Ehegatten- Diese Kritik müssen Sie sich gefallen lassen. Die Mani- splitting, das ja Ehen fördern soll, ist, dass es folgende pulation der Kinderregelbedarfssätze muss aufhören. Es Wirkung hat: Je mehr Kinder in einer Ehe geboren wer- kann nicht sein, dass man alle möglichen Punkte von den den, desto geringer ist die steuerliche Entlastung aus dem Malstiften über das Eis im Sommer bis zum Weihnachts- Ehegattensplitting. Das Ehegattensplitting ist ein zentra- baum im Dezember herausrechnet. les Instrument, um zu verhindern, dass in Ehen Kinder geboren werden. Wir wollen den Unterhaltsvorschuss ausweiten. Das will auch die Bundesregierung. Es scheitert an der CDU/ (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: CSU-Fraktion. Wir wollen den Kinderzuschlag entbü- Quatsch! Ich erkläre es Ihnen gerne noch ein- rokratisieren, und wir wollen, dass Leistungen aus einer mal! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE Hand gewährt werden. Wir werden in der nächsten Sit- GRÜNEN]: Sie haben es nicht verstanden!) zungswoche einen konkreten Vorschlag unterbreiten, wie Denn die steuerliche Entlastungswirkung wird geringer, das praktisch aussehen kann. Denn es ist für die Familien je mehr Kinder in Familien, deren Eltern verheiratet sind, eine Zumutung, für das Kindergeld zu den Arbeitsämtern geboren werden. zu gehen, für die Grundsicherung zu den Jobcentern zu gehen und für Sonderbedarfe zu anderen Ämtern zu ge- (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hen usw. usf. Das überfordert Familien, und das hilft am NEN]: Das ist verkehrt!) Ende auch nicht. Das ist als familienpolitische Leistung doch völlig irre. (Beifall bei der LINKEN) (B) Auch ich bin dafür, dass wir das beseitigen und durch (D) eine sinnvolle Kindergrundsicherung ersetzen. Ich komme zum Schluss. Ich will noch einen letzten (Beifall bei der LINKEN – Zurufe vom Gedanken ansprechen. Herr Kollege Patzelt, es hat mich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wirklich betroffen gemacht, wie Sie das Thema vorhin angesprochen haben. Sie waren Oberbürgermeister von Ich will zu den Forderungen der Linken kommen, weil Frankfurt/Oder. Das ist eine Stadt in Brandenburg, in wir nicht nur meckern wollen, sondern auch Vorschlä- der unglaublich viele Menschen ziemlich arm sind, vor ge unterbreiten, die wir für finanzierbar und für sinnvoll allen Dingen Kinder. In Schleswig-Holstein – auch dort halten. gibt es solche Städte – wurde vor nicht allzu langer Zeit Erstens. Die Grünen haben angesprochen – das finde eine Studie durchgeführt. Man hat geschaut, was Fami- ich auch richtig –, dass die Leistungen für alle Kinder lien für den Schulbedarf ausgeben. Die durchschnittli- gleich hoch sein sollen. Das heißt, die steuerliche Entlas- che Summe, die eine durchschnittliche Familie für ein tungswirkung für jemanden, der von Kinderfreibeträgen Schuljahr ausgibt, lag bei 1 500 Euro. Eine Familie, die profitiert, also wir zum Beispiel, die wir Kinder haben, von Hartz IV lebt, bekommt für ihr Kind 100 Euro für muss mindestens genauso deutlich ausfallen wie das Kin- den Schulbedarf als Sonderbedarf: 70 Euro zu Beginn dergeld. Demnach ist ein Kindergeld von etwas mehr als des Schuljahres und 30 Euro zum Halbjahr. Familien, die 190 Euro für das erste Kind zu niedrig. ein etwas besseres Einkommen haben, geben aber durch- schnittlich 1 500 Euro aus; denn es ist nötig. Das zeigt, (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa wie Bildungsungerechtigkeit funktioniert. In diesem Be- Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) reich können wir auf Bundesebene unmittelbar wirken.

Ab 1. Januar 2017 würde das angesichts der aktuellen Wir müssen auch nicht auf die Länder warten, um si- Kinderfreibeträge 328 Euro Kindergeld bedeuten. Das cherzustellen, dass die Kinder, die in die Schule gehen, klingt nach fürchterlich viel mehr, aber das hilft unmit- für die die Schulpflicht gilt, gleichgestellt werden. Sie telbar allen Familien, die durchschnittliche und geringe sollten die gleichen Möglichkeiten haben, guten Unter- Einkommen haben. Selbst Familien mit etwas über- richt zu erhalten, aber auch die Unterrichtsausstattung, durchschnittlichen Einkommen hilft dies deutlich. die sie von zu Hause mitbringen, muss gleich gut sein. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Zweitens. Wir müssen die Regelbedarfssätze sofort und deutlich erhöhen. Die Zahlen habe ich Ihnen ge- (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20723

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. : offen zu sagen: 2 Euro Kindergelderhöhung kosten eine (C) Als nächste Rednerin hat die Kollegin Susann Rüthrich ganze Menge Geld, aber die armen Kinder sind danach für die SPD-Fraktion das Wort. immer noch arm. Ich finde, kein Kind in Deutschland darf arm sein, und keine Familie darf durch ihre Kinder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten arm werden. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der LINKEN und der Abg. Dr. Franziska Susann Rüthrich (SPD): Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir von Kindern und Familien sprechen, Genau hier setzt das Konzept der Kindergrundsiche- haben wir meistens Bilder im Kopf, naheliegenderweise rung an. der eigenen Familie. Wir alle, die wir hier sitzen, betrach- (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ten Familien oft aus unserem Blickwinkel. Das ist der Genau!) Blickwinkel von Erwachsenen: von Eltern, von Großel- tern, von Tanten und Onkeln – nicht der von Kindern. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Grünen- Das ist das Grundproblem dabei, wenn es darum geht, fraktion, nennen den Begriff, meinen damit aber nur die Kinder wirklich zu stärken: über Kinder sprechen, aber finanziellen Leistungen, die dann anders an Familien nicht mit ihnen, von der eigenen Perspektive ausgehen ausgereicht werden. Das ist zu kurz gesprungen. statt von der der Kinder, von Kindern nur als „unsere Zu- kunft“ zu sprechen und dabei zu übersehen, dass sie jetzt (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schon da sind und jetzt eigene Rechte und Bedürfnisse Ein guter Anfang!) haben. Die SPD Sachsen, aus der ich komme, hat sich für den Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder sind eigen- Ansatz ausgesprochen, wie er von vielen Verbänden im ständige Persönlichkeiten. Wir wollen ihre Rechte end- Bündnis Kindergrundsicherung vorgeschlagen wird. lich verbindlich und einklagbar festschreiben, und zwar (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: im Grundgesetz. Aus guten Gründen!) (Beifall der Abg. Sönke Rix [SPD] und Kurz gefasst: Jedes Kind bekommt die Leistungen, die Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) es automatisch über die Armutsschwelle hebt. Die Situa- Dafür hat sich die Justizministerkonferenz erst vor we- tion der Eltern zu verbessern, Mindestlohn, Vereinbarkeit nigen Tagen ausgesprochen. Lieber Herr Lehrieder, von Familie und Beruf, Elterngeld – all das ist weiter nö- (B) ich freue mich sehr darüber, dass sich jetzt auch Herr tig. Aber alles, was das Kind selbst braucht, um nicht in (D) Seehofer – genau wie andere prominente Menschen aus Armut zu leben, bekommt es auch. der Union – offen dafür zeigt; denn es liegt nur noch an Der derzeitige Wert der Armutsschwelle liegt bei et- Ihrer Fraktion, die die Mehrheit dafür blockiert. was unter 800 Euro. Das ist das Mindestniveau der Kin- Sie sagen aber auch: Nur davon wird sich das Leben dergrundsicherung. Der Clou daran ist: Das Geld wird der Kinder in Deutschland noch nicht ändern. – Stimmt. zur einen Hälfte als Einkommen an die Familien gegeben Aber wir haben dann die Verpflichtung, die notwendigen und fließt zur anderen Hälfte in Strukturen, die ein Kind Veränderungen umzusetzen, die Perspektive zu wechseln braucht, um gut aufzuwachsen. Das hilft jedem Kind und und so die Kinder selbst bei den Dingen, die sie betref- jeder Familie – jeder. fen, in den Mittelpunkt zu stellen. Die Einkommensseite hilft vor allem den Einkom- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mensschwachen mehr, da sie durch weniger Steuern der LINKEN) mehr oder alles behalten. Die strukturelle Seite würde bedeuten: Kein Kind ist darauf angewiesen, dass seine Der vorliegende Antrag geht auf einen Teilaspekt ein, Eltern etwas beantragen und Behörden dies bewilligen, nämlich den der Kinderarmut. Blicken wir also einmal sondern ein Kind geht zum Mittagessen in die Schule, nur auf die materielle Seite. Es gibt zweifelsohne viel zu nutzt den Bus, geht in den Sportverein, nimmt Nachhilfe tun. Ein reiches Land, in dem Kinder arm sind, das ist – in Anspruch – alles das können sich bedürftige Familien um es deutlich zu sagen – peinlich. Es ist vor allem unnö- auch jetzt einzeln fördern lassen, dann aber rechnet der tig. Doch auch in diesem Antrag steht nicht das Kind im Anbieter die erbrachte Leistung ab –, fertig. So weit die Zentrum, sondern es sind wiederum die Eltern. Das lese Idee. ich aus Sätzen wie: „Das beste Mittel gegen Kinderarmut bleibt nach wie vor die Erwerbstätigkeit beider Eltern.“ Ich höre schon die Einwände. Es fängt beim Begriff Das klingt logischer, als es ist. an: „Grundsicherung“ klingt wie „Grundeinkommen“. – Nein, das heißt es für mich nicht. Der Unterschied ist: Wenn wir Kinderarmut wirklich abschaffen wollen, Kinder können eben nicht selbst aus ihrer Armut heraus- gilt es, die vielen Stellschrauben in den Blick zu neh- kommen. Deren Armut kann nie durch eigene Leistung men. Sie sind alle benannt worden. Jede Verbesserung behoben werden. Das ist für mich der zentrale Aspekt, in jedem der Bereiche freut uns. Mein Problem dabei ist wenn es darum geht, wirklich vom Kind aus zu denken. folgendes: Nach all den mühsam erkämpften Verbesse- rungen im Einzelnen sind die meisten der armen Kinder (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: immer noch arm – und deren Familien auch. Um es ganz Da geht etwas verloren!) 20724 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Susann Rüthrich (A) Ein weiterer Einwand lautet: Ja, aber was soll denn rem Land eingeführt haben, die sich großer Beliebtheit (C) das kosten? – Stimmt, das müsste man einmal durchrech- erfreuen. nen, aber bitte unter Beachtung dessen, dass auch Kin- derarmut kostet: die Kinder Lebenschancen und die Fa- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- milien Kraft und Zeit. Die Folgen dessen schultern wir NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinderarmut dann alle. steigt trotzdem!) Ja, das wäre ein Systemwechsel. So etwas geht nie Die Einführung des Elterngeldes und des Elterngel- von heute auf morgen. Er könnte aber jetzt anfangen, und des Plus hilft den Eltern, intensiver und vor allem abge- zwar mit einem anderen Verständnis davon, was wir Kin- sicherter als zuvor die ersten Lebensmonate ihrer Kinder derarmut nennen und wie wir sie bekämpfen, nämlich bei aktiv mitzuerleben. Die stetig steigenden Mittel – im den Kindern direkt. Wir können bereits jetzt in Struktu- kommenden Haushalt belaufen sie sich auf 6,4 Milliar- ren investieren und diese jedem – wirklich jedem – Kind den Euro – zeigen die Beliebtheit des Elterngeldes und zur Verfügung stellen. Wir können schon jetzt ein gestaf- vor allem, dass die bestehenden Familienleistungen wir- feltes – und damit für die Ärmsten ein höheres – Kinder- ken. Die Familien werden entlastet. geld einführen. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Und was hat das mit der Kinderarmut zu NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie tun? – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn das doch!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinder- armut steigt trotzdem!) Dann ist der Sprung, das System der Leistungen für die Kinder umzustellen, gar nicht mehr so groß. Ob es dann In Deutschland kommen wieder mehr Kinder zur „Kindergrundsicherung“ oder anders heißt, soll mir egal Welt. Durch die Partnerschaftsmonate lassen sich suk- sein. Hauptsache, kein Kind in Deutschland ist mehr arm. zessive auch mehr Männer in die Pflicht nehmen, das eigene Familienleben genießen zu dürfen. Das ist ein ab- Vielen Dank. soluter Erfolg und eine große Entlastung für die Familien in unserem Land. Dafür hat die Koalition gerne die Ver- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul antwortung getragen. Lehrieder [CDU/CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Kinderarmut steigt trotzdem! – Als nächster Redner hat Markus Koob für die CDU/ Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Und CSU-Fraktion das Wort. (B) jetzt noch was zum Thema!) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Darüber hinaus gibt es weitere Verbesserungen, die wir als Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker in Markus Koob (CDU/CSU): dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die explizit auch Familien mit niedrigem Einkommen zu- Liebe Bürgerinnen und Bürger! „Familien stärken – Kin- gutekommen. So haben wir bereits vor einigen Wochen der fördern“, das ist eine Aussage, die sicherlich jeder den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende deutlich, um hier in diesem Haus gerne unterschreibt. ein Drittel, auf 1 908 Euro erhöht. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!) Das war letztes Jahr, und bislang haben Sie ihn nicht erhöht! – Dr. Wolfgang Strengmann- Dennoch hätte es aus unserer Sicht, aus Sicht der Uni- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was on, dieses Antrags nicht bedurft. Ich möchte Ihnen auch hat das mit der Kinderarmut zu tun?) gerne inhaltlich sagen, warum wir dieser Meinung sind. Dieser Umstand kommt auf keiner der sieben Seiten Ih- Auch ohne die Grünen wurde der Etat des Bundesmi- res Antrages auch nur mit einer Silbe vor. Ihre Aussage: nisteriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit „Doch seit Jahren tut sich nichts“, ist deshalb schlicht dem Amtsantritt unserer Bundeskanzlerin im Jahr 2005 falsch. Sie stimmt aber auch in anderen Bereichen nicht. um knapp 100 Prozent erhöht, also nahezu verdoppelt. Erst gestern haben wir das Kindergeld, den Kinderzu- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- schlag und den Kinderfreibetrag erneut angepasst. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinderarmut steigt trotzdem! – Norbert Müller [Potsdam] (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: [DIE LINKE]: Wegen des Elterngeldes!) Genau! Aber nicht den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende!) Er beläuft sich dank der unionsgeführten Bundesregie- rung auf mittlerweile 9,5 Milliarden Euro. Niemand in diesem Haus wird dabei eine Erhöhung des (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kindergeldes um 2 Euro – isoliert betrachtet – als einen Was ist denn das für ein Text?) großen Wurf ansehen; auch wir in der AG Familie sehen hier deutlich Luft nach oben. Aber das ist ja auch nur Diese beeindruckende Steigerung beruht wesentlich da- eine der Leistungen, die wir erhöht haben. Gemeinsam rauf, dass wir neue Leistungen für die Familien in unse- mit dem Ausgleich der kalten Progression haben wir die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20725

Markus Koob (A) Familien in Deutschland in dieser Wahlperiode um fast bei. Hören Sie auf, Errungenschaften, die es durch die (C) 25 Milliarden Euro bis zum Jahr 2018 entlastet. Union in den vergangenen elf Jahren in der deutschen Familienpolitik gegeben hat, kleinzureden und Reformen (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: als überfällig zu brandmarken! Noch nie wurde so viel Ja, aber nach dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, Geld in Familien investiert wie heute. dem gibt man noch mehr!) Der Unterhaltsvorschuss wird in dieser Legislatur eben- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE falls ausgebaut werden, wenn auch die Länder mit grüner GRÜNEN]: Völlig richtig! Die Frage ist, wie!) Regierungsbeteiligung – ich habe hier die Zahl elf ste- Das sollten Sie zunächst einmal anerkennen, bevor Sie hen; Markus Weinberg sprach von zehn – nach immer mehr rufen. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: (Beifall bei der CDU/CSU) Ich schaue schon mal voraus! – Gegenruf von der SPD: Das fängt ja gut an bei euch!) Sicher gibt es Stellschrauben, an denen gedreht wer- den kann. Die Notwendigkeit milliardenträchtiger Refor- – da müssen wir vielleicht noch einmal nachzählen – zu men zu sehen, ist grundsätzlich legitim. Aber dann müs- ihrer finanziellen Verantwortung stehen. Denn es liegt sen Sie auch sagen, wer diese Milliarden finanzieren soll. nicht, wie von Ihnen behauptet, an der Bundesregierung, Das tun Sie an keiner Stelle. Das ist nicht seriös und trägt die die Finanzierung nicht geklärt hätte, sondern an den nicht zur Umsetzung einer bedarfsorientierten Familien- Bundesländern, die sich plötzlich nicht mehr an ihre Zu- politik bei. sagen erinnern können oder wollen. Auch insgesamt war nicht jede Debatte, die in der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vergangenheit dazu geführt wurde, der Sache dienlich. Anders als in Ihrem Antrag behauptet, liegt dieses Es hilft weder, die Probleme von Armut und Armutsge- Vorhaben meiner Bundestagsfraktion sehr am Herzen. fährdung zu verneinen – denn es gibt sie –, noch hilft es, vorhandene Maßnahmen zu deren Vermeidung zu ver- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ach!) schweigen. Wir wissen um die bemerkenswerte Leistung von Allein- erziehenden. Auch ich habe in meinem Freundes- und Be- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: kanntenkreis eine ganze Reihe alleinerziehender Mütter, Herr Koob, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn vor denen ich meinen Hut ziehe. Alleinerziehende sind Müller zu? in vielfacher Hinsicht Leistungsträger in unserer Gesell- schaft. Neben Kindererziehung und Haushalt gehen sie (B) häufig noch einer zeitintensiven Erwerbsbeschäftigung Markus Koob (CDU/CSU): (D) nach und versuchen, die eigene Familie damit selbst zu Nein. – Wenn Sie in Ihrem Antrag von einem alten versorgen. Das ist eine alltägliche Höchstleistung. Des- Schulranzen oder nicht finanzierbaren Malstiften schrei- halb werden wir den Unterhaltsvorschuss ausbauen, ben, dann verschweigen Sie, dass es genau hierfür das wenn alle Beteiligten die Verantwortung für ihren Anteil Bildungs- und Teilhabepaket gibt. übernehmen. Der Bund steht zu seiner Zusage. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sönke Rix [SPD]) NEN]: Sie haben keine Ahnung!) Die von mir genannten familienstärkenden Maßnah- Über die Frage, ob wir es besser und weniger bürokra- men alleine sind nicht die einzig relevanten. Ich gebe Ih- tisch gestalten können, können wir gerne reden. Da rei- nen recht, wenn Sie eine konsequentere und intensivere che ich Ihnen die Hand. Sie aber bringen das Kunststück Auseinandersetzung mit der Evaluation der ehe- und fa- fertig, es in Ihrem Antrag mit keinem Wort zu erwähnen. milienpolitischen Leistungen fordern. Aber eine Forde- Deswegen ist es gut, dass Sie es wenigstens in Ihrer Rede rung daraus wurde sehr konsequent in politisches Han- erwähnt haben. deln umgesetzt: der Ausbau der Kinderbetreuung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Unterstützung der Länder beim Ausbau der Kin- derbetreuungseinrichtungen hat den Bund trotz eigent- Wir haben in dieser Woche auch viel über das Exis- licher Länderkompetenz ein Vermögen gekostet; es ist tenzminimum und dessen Berechnung im Deutschen zwar sehr gut angelegt, aber es ist dennoch ein Vermö- Bundestag debattiert, vor allem in der gestrigen Debatte gen. Der Bund hat sich mit knapp 6 Milliarden Euro am zur Berechnung der Regelsätze. Die Einschätzung von Ausbau beteiligt. Ab 2017 beteiligt er sich zudem mit Bündnis 90/Die Grünen und den Linken dazu kann man knapp 1 Milliarde Euro an den Betriebskosten dieser teilen; man muss es aber nicht. Kindertageseinrichtungen. Davon profitieren nicht nur Überhaupt werden viele sehr real bestehende Un- die Kinder erwerbstätiger Eltern, sondern auch Kinder gleichheiten in unserem Land durch eine Umverteilung erwerbsloser Eltern. mindestens verringert. So vergessen Sie zu erwähnen, Sie kreieren daher in Ihrem Antrag meiner Meinung dass Deutschland unter den G-20-Staaten die geringste nach ein vollkommen falsches und darüber hinaus düste- gesellschaftliche Ungleichheit hat. Denn bereits heute res Bild der deutschen Familienpolitik und tragen damit sorgen zahlreiche sozialpolitische Maßnahmen dafür, auch zur Verunsicherung in unseren deutschen Familien dass Ungleichheit durch monetäre Umverteilung stark 20726 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Markus Koob (A) reduziert wird. Das ist ein Erfolg, und es ist auch not- Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Kindergeld, Entlas- (C) wendig. tungsbetrag für Alleinerziehende, Kitaausbau, Unter- haltsvorschuss – das sind nur einige Maßnahmen. All Wenn wir über die Förderung von Familien und Kin- diese kosten sehr viele Milliarden Euro, von denen wir dern reden, dann dürfen wir aber nicht nur über die fi- der Meinung sind, dass sie notwendig sind und dass sie nanzielle Förderung reden. In Ihrem Antrag, liebe Kolle- wirken. ginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, gehen Sie nur kurz, aber völlig zu Recht auch auf die Bildungs- Vielleicht sind das für Sie noch nicht genügend Mil- chancen von Kindern und Jugendlichen ein. Sie sprechen liarden Euro. Es ist durchaus legitim, dass Sie fordern, von den nicht ausreichenden, aber sichtbaren Verbesse- hier mehr Geld einzusetzen. Dann müssen Sie aber auch rungen seit der PISA-Studie im Jahr 2000. sagen, woher es kommen soll. Tatsächlich sind bessere Bildungschancen für Kinder (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: und Jugendliche gerade aus einem sozial schwierigen Kein Problem!) Umfeld eine Aufgabe für uns alle, an der wir arbeiten Wir würden mit Zitronen handeln, wenn wir den Kin- müssen. Ich hoffe daher auch, dass Sie die richtigen dern und Jugendlichen von heute in der Zukunft höhere Schlüsse daraus ziehen, dass der grünen Bildungspoli- Zahlungen aufbürden würden. Das wäre aber der Fall, tik in Baden-Württemberg, Ihrem Stammland, jüngst ein wenn wir keine gemeinsame Lösung fänden, um das zu desaströses Zeugnis ausgestellt worden ist. Vom – im finanzieren. wahrsten Sinne des Wortes – Musterschüler Deutsch- lands ist nach wenigen Jahren nicht mehr viel übrig. Ich glaube, das wäre für Familien in keiner Weise nachhaltig. Das ist aber der Ansatz, den wir als Union Aber ich bin mir sicher, dass dieser Trend nun ge- verfolgen. Deshalb können wir als Union den Weg, den meinsam mit der baden-württembergischen CDU wieder Sie in Ihrem Antrag aufzeigen, nicht mitgehen. Ich freue umgekehrt werden kann. Ich sage das ohne Häme; denn mich aber dennoch auf die Beratungen im Ausschuss; ich komme selbst aus einem Bundesland, in dem CDU denn viele Punkte sind durchaus diskussionswürdig und und Grüne sehr erfolgreich regieren, und ich glaube, das auch von unserer Seite zu unterstützen. ist wirklich eine Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen müssen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da werden ordneten der SPD) wir aber genau hinschauen!) (B) Auch auf einem anderen Feld wollen wir als Union Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (D) in den nächsten Jahren Familien stärken. Vor allem kin- Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke hat als derreiche Familien haben zunehmend Schwierigkeiten, Nächster das Wort. geeigneten Wohnraum zu finden. Gleichzeitig haben (Beifall bei der LINKEN) wir in Deutschland eine sehr viel niedrigere Quote von Wohneigentümern als andere europäische Länder. Wir wollen beide Aspekte zum Anlass nehmen, um Familien Jörn Wunderlich (DIE LINKE): den Erwerb von Eigentum zu erleichtern, um damit auch Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! einen wichtigen Beitrag zu einer breit aufgestellten Al- Ja, der vorliegende Antrag ist im Grunde erforderlich. tersvorsorge zu leisten. Das heißt, eigentlich brauchen wir den Antrag nicht, aber auf der anderen Seite muss man sagen: Wir brauchen Wir haben daher in der AG Familie beschlossen, dass solche Anträge, um das Thema auf die Tagesordnung zu wir uns für ein Baukindergeld einsetzen werden, um Fa- setzen, weil es hier sonst nicht debattiert wird. milien mit einer starken finanziellen Unterstützung sei- tens des Staates die Chance zu eröffnen, Wohneigentum (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- zu erwerben. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist der erste Punkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/ Der zweite Punkt. Ich hab mir den Antrag durchgele- Die Grünen, ich weiß, dass Sie es in Ihrem Antrag mit sen und gedacht: Der Feststellungsteil ist sehr schön – den Kindern, den Eltern und den ganzen Familien in Frau Brantner, auch Sie haben es hier dargestellt –, etwa Deutschland gut meinen. Das wäre auch vonseiten der die Sache mit dem Schulranzen, dem Kinobesuch und Unionsfraktion durchaus unterstützenswert, wäre da der Darstellung der Situation im Land. nicht der Haken, dass Sie mit keiner Silbe erwähnen, wer (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE für die Verwirklichung Ihrer Wünsche zahlen muss. GRÜNEN]: Das hat ja Ihr Kollege Müller auch schon wortwörtlich so gesagt!) Man kann dieser Koalition aus Oppositionssicht viel- leicht so einiges vorhalten, aber ihr vorzuwerfen, dass sie – Mein Gott, hören Sie doch einmal zu. Sie müssen nicht bei der Unterstützung von Familien und der Förderung immer gleich reingrätschen. von Kindern untätig geblieben wäre, ist nicht fair: (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE (Zurufe von der LINKEN: Oh!) GRÜNEN]: Sie müssen doch nicht alles wort- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20727

Jörn Wunderlich (A) wörtlich so wiederholen! Das ist doch lang- Es ist schon gesagt worden: Der Kinderzuschlag ist ein (C) weilig!) wichtiges Mittel. Das muss ausgebaut werden, das kann effektiver gestaltet werden, das muss vereinfacht werden. Aber was ist mit den Forderungen? Sie sind nicht kon- kret. Den Teil mit den Forderungen könnte man in einem (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Satz zusammenfassen: Wir wollen die Teilhabe von allen GRÜNEN]: Das steht ja so auch im Antrag Kindern und ihren Eltern sicherstellen. drin! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Steht im Antrag!) (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum lesen Sie die Rede von Nur ein Drittel der Berechtigten macht ihre Ansprüche Herrn Müller noch mal vor? – Lisa Paus geltend. Die Beantragung muss viel einfacher geregelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Punkt werden. eins! Es gibt drei weitere!) (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollen das bekommen, was sie brauchen. – Dabei be- Automatisieren und erhöhen!) nennen Sie keine konkreten Lösungen, die wir brauchen. Herr Müller hat schon richtig gesagt: Das ist alles ein Dann heißt es von Ihnen: Wir, die CDU-geführte Ko- bisschen schwammig. Das gilt besonders im Hinblick auf alition, haben die Mittel im Bildungsetat erhöht. – Toll! mögliche Koalitionen, die bisher aber noch nicht konkret Das ist ein Forschungsetat. Das hat mit Kinderarmut sind. weiß Gott nichts zu tun. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- GRÜNEN]: Das ist ja wirklich wortwörtlich!) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ Herr Weinberg, Sie sagen: Kinderarmut muss gemein- CSU) sam bekämpft werden, und wir müssen für ein gutes Ein- kommen der Eltern sorgen. – Es ist richtig: Kinderarmut Ein Wort zur Reform des Unterhaltsvorschussgeset- hängt mit der Armut der Eltern zusammen. Aber warum zes. In diesem Zusammenhang werden schwere Vorwür- macht die Regierung dann nichts in dieser Richtung? fe gegenüber der Regierung erhoben, weil das Verfahren mit den Ländern nicht abgesprochen sei. Auf das The- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- ma Unterhaltsvorschuss kommen wir noch im Laufe des NIS 90/DIE GRÜNEN) Tages zu sprechen, aber hier ist zu sagen: Der Vorwurf Der Mindestlohn ist nach wie vor zu gering. Es heißt ist nicht an die Regierung zu richten. Nein, er ist an die bei Ihnen immer: Wir haben die Zahl der sozialversiche- Koalition zu richten, an die CDU-geführte Koalition, und (B) rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse gesteigert. zwar ausschließlich an den CDU-Teil, der das Ganze aus- (D) bremst. (Markus Koob [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- – „Sehr gut“, da kommt es schon wieder. – Aber Sie be- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- greifen das nicht. In manchen Familien hat der eine El- ten der SPD) ternteil zwei oder drei Jobs, weil die Familie mit dem Einkommen von einem Job nicht über die Runden käme; Das wäre gerade im Hinblick auf die 900 000 Kinder, die denn die Zahl der Lohnleistungen im Land ist nicht ge- in Familien leben, die aufstockende Leistungen beziehen, stiegen. ein wichtiges Instrument, um sie aus dieser Hartz‑IV-Fal- le wieder herauszuholen; dazu sage ich nachher noch et- Schauen wir uns das an: Seit 2005 regiert die CDU. Es was. Aber daran sieht man wieder einmal, wie wichtig heißt ja immer: die CDU-geführte Koalition. Seit 2005 – Ihnen das Thema ist. CDU-geführte Koalition! – ist die Zahl der armen Kinder nicht gesunken. Jetzt sagen Sie – Herr Koob, auch Sie Jetzt kann Herr Weinberg wieder „Eierkopp“ wie das haben hier eine wunderbare Liste vorgelesen –, was Sie letzte Mal rufen. Das ist mir egal. Herr Weinberg, solche alles geleistet und gemacht haben, um Kinderarmut zu Zwischenrufe ändern nichts an den Fakten und Tatsa- bekämpfen. chen, auch wenn Sie postfaktisch leben wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE], an neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – die CDU/CSU gewandt: Da habt ihr nichts Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ gemacht!) CSU) Da kann man nur sagen: Wenn die Regierung in elf Jah- Seit 2005 hat sich an der Kinderarmut hier in diesem ren so viel leistet, aber die Zahl der armen Kinder steigt, Land nichts verbessert. Darauf kann die CDU-geführte statt zu sinken, dann ist das absolutes Regierungsversa- Regierung – egal ob mit SPD oder FDP – nicht stolz sein. gen. Das, was Sie gemacht haben, ist völlig in die Hose Im Koalitionsvertrag mit der FDP stand damals noch: gegangen. „Wir werden“ den Unterhaltsvorschuss ausbauen, und (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- zwar auf 14 Jahre. – Dort steht also nicht: „Wir wollen“, NIS 90/DIE GRÜNEN) oder: „Wir möchten“. 900 000 Kinder in Deutschland leben in Familien, (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Machen wir die aufstockende Leistungen beziehen: 900 000 Kinder. doch jetzt!) 20728 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Jörn Wunderlich (A) – Sie bremsen im Moment doch nur! Hören Sie doch auf! Wir haben in den letzten Jahren bereits viel für die (C) Familien und ihre Kinder in unserem Land auf den Weg (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – gebracht. Wir bieten Zeit, zum Beispiel mit der Famili- Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: enpflegezeit, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie Wir sind doch dabei!) und Beruf fördert und zudem ermöglicht, sich mehr um Damals haben Sie nichts umgesetzt. Wir werden? Wir pflegebedürftige Angehörige zu kümmern, oder mit dem wollen? Wir möchten noch nicht einmal: Das ist doch Elterngeld Plus, welches es Eltern erlaubt, sich partner- Tatsache! schaftlich um Haushalt, Kinder und Beruf zu kümmern. Danke für die Aufmerksamkeit. Wir machen Angebote, indem wir mehr in den Aus- bau und die Qualität der Kinderbetreuung investieren. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie So setzen wir als Bund 2017 und 2018 rund 2,5 Milliar- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE den Euro ein, zum Beispiel für Investitionsprogramme, GRÜNEN – Marcus Weinberg [Hamburg] Programme wie „KitaPlus“ und „Sprach-Kitas“. Damit [CDU/CSU]: Nicht gut, aber lustig!) schaffen wir gute Startbedingungen und befördern wir Chancengleichheit von Beginn an. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (Beifall bei der SPD) Gülistan Yüksel hat als nächste Sprecherin für die SPD-Fraktion das Wort. Wir sorgen dafür, dass kein Kind zurückgelassen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir unterstützen finanziell: mit Elterngeld, Kindergeld der CDU/CSU) und Kinderzuschlag – Geld, das direkt bei den Familien und den Kindern ankommt. Trotzdem können Notlagen entstehen. Gülistan Yüksel (SPD): Wenn der Partner oder die Partnerin keinen Unterhalt Danke schön. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lie- zahlt, reicht das Einkommen für die Familie oft nicht be Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und aus. Genau hier muss der Staat besondere Unterstützung Herren auf den Tribünen! Eine glückliche Kindheit ist ei- leisten. Deshalb weiten wir den Unterhaltsvorschuss aus. nes der schönsten Geschenke, die wir zu vergeben haben. Die bisherige Höchstbezugsdauer wird aufgehoben, und (Michaela Noll [CDU/CSU]: Also, früher war der Vorschuss wird nun bis zur Volljährigkeit gezahlt. Herr Wunderlich irgendwie gemäßigter! – Ge- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Darüber genruf des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]: (B) reden wir nachher noch!) (D) Das ist seine Form der Nettigkeit!) Dafür haben wir uns lange eingesetzt; denn gerade Al- – Es wäre schön, wenn Sie mir auch zuhören würden, leinerziehende sind oft – Sie haben es ja erwähnt – von Herr Lehrieder. Danke. – Damit Eltern ihren Kindern Armut betroffen. dieses Geschenk machen können, müssen Staat und Ge- sellschaft auf ihre Bedürfnisse eingehen. Nun sind wir auf der Zielgeraden. Bei der Umsetzung dürfen wir jetzt nicht vor administrativen oder finanziel- Familien brauchen Zeit: Zeit für sich, ihre Kinder, len Hürden kapitulieren. aber auch für ihren Beruf oder die Pflege von Angehö- rigen. Familien brauchen auch Angebote. Sie brauchen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der eine gut funktionierende, verlässliche und flexible Infra- LINKEN) struktur an Bildungs- und Betreuungsangeboten, Ich finde, Hürden, die einem guten Familienleben im (Michaela Noll [CDU/CSU]: Tja!) Weg stehen, müssen aus dem Weg geräumt werden. Wichtig ist, dass wir alle an einem Strang ziehen – für die ihren individuellen Bedürfnissen gerecht wird. Fa- die Familien und die Kinder. milien brauchen finanzielle Absicherung, Stabilität und Sicherheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind auf einem guten Weg, aber dieser Weg ist noch lange nicht zu Ende. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt immer et- Wir als SPD werden uns auch weiterhin für die Fami- was zu tun. Wir sind nie fertig mit unserer Arbeit für ein lienarbeitszeit einsetzen. Mütter und Väter sollen sich besseres und gerechteres Leben in unserem Land, für ein Familien- und Erwerbsarbeit besser als bisher partner- solidarisches und gleichberechtigtes Miteinander, für ein schaftlich aufteilen können. Wir wollen eine gerechte- gutes Aufwachsen und gesellschaftliche Teilhabe, für re Besteuerung von Familien. Steuerliche Entlastungen Chancengleichheit bei der Bildung. sollten weniger einen Trauschein, sondern vielmehr das Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wol- Zusammenleben mit Kindern berücksichtigen. len die Familien in ihrem Alltag unterstützen und ihnen Was wir neben all den Leistungen und Angeboten die Freiheit ermöglichen, ihr Leben nach ihren eigenen brauchen, ist eine familien- und kinderfreundliche Ge- Vorstellungen zu gestalten. sellschaft, eine Gesellschaft, in der Familie und Kinder (Beifall bei der SPD) nicht als zeitliches Problem oder Störfaktor, sondern immer als eine Bereicherung für unsere gesamte Ge- Das ist das Ziel unserer modernen Familienpolitik. sellschaft wahrgenommen werden. Lassen Sie uns nicht Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20729

Gülistan Yüksel (A) vergessen: Glückliche Kinder sind eines der schönsten Familia oder die Diakonie eine Kindergrundsicherung, (C) Geschenke für die Eltern und für die Gesellschaft. die unabhängig vom Einkommen der Eltern den Grund- bedarf jedes Kindes deckt. Das Hauptargument dagegen Herzlichen Dank. ist wie immer – das wurde schon genannt – das Geld. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Eine Kindergrundsicherung sei zu teuer. Deutschland gebe schon sehr viel für die Familienförderung aus. Das Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: ist auch nicht ganz falsch. Allein 20 Milliarden Euro jähr- lich gehen zum Beispiel in das Ehegattensplitting. Das Als nächste Rednerin hat Lisa Paus für die Fraktion kommt zweifellos vielen Familien zugute. Aber leider Bündnis 90/Die Grünen das Wort. lässt es auch immer mehr Familien außen vor: die Fa- milien ohne Trauschein, die Patchworkfamilien, die Al- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): leinerziehenden. In Berlin, meinem Wahlkreis, sind die Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie- Verheirateten inzwischen in der Minderheit. Das heißt, be Bürgerinnen und Bürger! Ich bin heute Morgen wie eine zentrale familienpolitische Leistung geht damit an immer mit meinem Sohn – er ist sieben Jahre alt – zur der Mehrheit der Familien in dieser Stadt vorbei. Das ist Kiezschule gelaufen. Wir haben über den Tag gequatscht, nicht in Ordnung. seine Freunde, darüber, was sie gerade spielen und was sie sich zu Weihnachten wünschen. Stellen Sie sich vor: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alle Jungen und Lucy spielen gerne Fußball – was für sowie bei Abgeordneten der LINKEN) eine Überraschung –, und alle Kinder wünschen sich et- Hinzu kommt: Das Ehegattensplitting verstärkt noch was von Lego. Vom Staat haben sich die Kinder nichts die Ungerechtigkeit in der staatlichen Kinderförderung, gewünscht. Aber ich bin mir ganz sicher: Sie wünschen die ich eben geschildert habe; denn am stärksten profi- sich vom Staat genau das Gleiche wie von der Lehrerin, tiert davon die Alleinverdienerehe mit einem hohen Ein- nämlich dass sie gleich und fair behandelt werden. kommen, und zwar auch, wenn die Ehe kinderlos ist. Das (Beifall des Abg. Norbert Müller [Potsdam] Ehegattensplitting fördert dagegen die ärmsten Familien, [DIE LINKE]) die Alleinerziehenden, überhaupt nicht. Das Ehegatten- splitting verteilt von unten nach oben und auch von Ost Wenn die Kinder wüssten, was wir gestern Abend hier nach West. Es ist schlicht so: Diese Familienförderung im Bundestag beschlossen haben – und zwar gegen die aus den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts passt Stimmen der Grünen –, dann würden sie protestieren; da einfach nicht mehr zur Realität der Familienvielfalt in bin ich mir ganz sicher. Deutschland im Jahr 2016. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] und bei der LINKEN sowie des Abg. Sönke [DIE LINKE]) Rix [SPD]) Was wurde beschlossen? Die Koalition hat gestern Wir brauchen eine einkommensunabhängige Förderung, beschlossen, dass die Mutter des Freundes meines Soh- die jedes Kind direkt erreicht. Sie ist angesichts der Fa- nes – sie ist Ausbilderin in der Pflege – ab Januar nächs- milienvielfalt von heute die beste Form der finanziellen ten Jahres 192 Euro und damit 2 Euro mehr Kindergeld Familienförderung. Sie entlastet insbesondere Familien im Monat bekommt. So weit, so gut. Aber Sie haben auch mit kleinen und mittleren Einkommen unbürokratisch. beschlossen, dass ich, obwohl ich als Bundestagsabge- ordnete mehr verdiene als sie, ab Januar 2017 das Dop- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, pelte bekomme, nämlich 4 Euro mehr pro Monat. Das dass eigentlich alle von Ihnen innerlich dem Satz zustim- fänden die Kinder schon sehr ungerecht. Wenn sie aber men: Jedes Kind ist gleich viel wert. – Aber ich kenne dann noch wüssten, dass ich schon jetzt für meinen Sohn Ihre Bedenken: Das Ehegattensplitting mit Kinderfrei- jeden Monat fast 100 Euro mehr bekomme als die Mut- betrag und Kindergeld ist doch das eingeführte System; ter seines Freundes – nämlich 291 Euro statt 192 Euro –, Eheleute haben sich darauf eingestellt; Sie misstrauen weil ich bei meiner Einkommensteuer vom Kinderfrei- einem Wechsel zu einem ganz neuen System wie der betrag profitiere, dann würden die Kinder – da bin ich Kindergrundsicherung. Das stimmt. Deswegen möchte mir sicher – lauthals protestieren, wie ich finde, zu Recht. ich Ihnen sagen: Niemand muss wechseln. Wir garantie- Das kann man keinem Kind und auch sonst niemandem ren Ihnen einen umfassenden Bestandsschutz; den stellen erklären. wir sicher. Das heißt, für bereits Verheiratete und Ver- partnerte wird sich nichts ändern. Niemand wird schlech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tergestellt. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir wollen in Zukunft wieder alle Familien erreichen. Die Behandlung der Familien in diesem Land nach Wir wollen damit auch viele Familien finanziell besser- dem Matthäus-Prinzip – wer hat, dem wird gegeben – stellen als heute. Dafür brauchen wir in Zukunft einen muss endlich aufhören. Jedes Kind ist gleich viel wert. Systemwechsel durch die Einführung einer Kindergrund- sicherung mit Wahlrecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb fordern seit Jahren zahlreiche Organisationen Was ist die Idee dieser Kindergrundsicherung? Unver- wie der Kinderschutzbund, die Arbeiterwohlfahrt, Pro heiratete Familien, Alleinerziehende und zukünftig heira- 20730 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Lisa Paus (A) tende Paare mit Kindern bekommen die Kindergrundsi- nen Kumpels im Kindergarten darüber zu sprechen; denn (C) cherung und werden individuell mit einem übertragbaren es ist ein großes, ein breites gesellschaftliches Thema: Grundfreibetrag besteuert. Familien, bei denen die Eltern Wie erreichen wir die Familien richtig? Wie erreichen bereits verheiratet sind, dürfen das Ehegattensplitting mit wir das, was die Familien aus unterschiedlichen gesell- Kindergeld und Kinderfreibetrag behalten. Sie haben ei- schaftlichen Ansätzen heraus benötigen? nen ganz klaren Bestandsschutz. Aber wenn sie wollen, können sie zur Kindergrundsicherung wechseln, wenn Hierbei beschränkt sich die Diskussion nicht nur auf sie sich zum Beispiel dadurch besserstellen. Das Finanz- familienpolitische Leistungen im Allgemeinen, sondern amt macht für jeden eine Günstigerprüfung, stellt also sie rückt auch eine bestmögliche Vereinbarkeit von Fa- fest, was steuerlich für sie persönlich günstiger ist, das milie und Beruf in den Fokus. Die Vorredner haben be- alte Recht oder das neue mit Kindergrundsicherung. reits zum Teil darauf hingewiesen. Bei einem Betrag von über 300 Euro pro Kind würden Allen jenen Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von viele Familien gegenüber heute bessergestellt. Das wäre Familie und Erwerbstätigkeit verbessern, kommt die eine zielgenaue Entlastung von Familien in Milliarden- größte Bedeutung zu. Sie tragen nicht nur zur wirtschaft- höhe, teilweise durch den Wegfall des Splittingvorteils lichen Absicherung von Familien bei, sondern sie fördern gegenfinanziert. auch andere familienpolitische Ziele. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht daher im Mittelpunkt der Diese einkommensunabhängige Kindergrundsiche- Familienpolitik. All das wissen Sie. rung wäre außerdem ein Beitrag zum Bürokratieabbau; denn sie würde Kinderregelsatz, Kindergeld und Kinder- In den vergangenen Jahren sind die diesbezüglichen freibetrag zu einer Leistung zusammenführen. Das, ver- Leistungen und Maßnahmen von uns stets weiterentwi- ehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Bürgerinnen ckelt und differenziert worden, um auf gesellschaftliche und Bürger, kann ich dann auch wieder meinem Sohn Veränderungen und Bedürfnisse von Familien zu reagie- und seinen Freunden erklären. ren.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Familien wachsen, wo Menschen Vertrauen in die eigene Zukunft besitzen und die persönliche und Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. gesellschaftliche Umgebung Familien und Kindern mit Wertschätzung begegnet. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir hatten schon einen Bundespräsidenten, der mit So heißt es in dem Bericht der Kommission „Familie und demographischer Wandel“. (B) seiner Patchworkfamilie im Schloss Bellevue einzog. (D) Wir haben derzeit einen Bundespräsidenten, der in wilder Das oberste Ziel unserer Familienpolitik ist daher, Ehe dort residiert. Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Entscheidung (Michaela Noll [CDU/CSU]: Wie das klingt!) für das Leben mit Kindern in der Familie erleichtern. Die Entwicklung familienfreundlicher Lebens- und Arbeits- Lassen Sie uns endlich auch eine Familienförderung be- bedingungen steht dabei im Vordergrund. schließen, die quer durch alle Einkommensschichten zu der Familienvielfalt im Jahr 2016 passt. Zu dem umfangreichen Maßnahmenpaket gehört bei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) spielsweise – auch hierauf haben die Vorredner bereits hingewiesen – der Ausbau der Kinderbetreuungseinrich- tungen für unter Dreijährige. Seit drei Jahren gibt es ei- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: nen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder im Paul Lehrieder hat als nächster Redner für die CDU/ Alter von einem Jahr. Auch das hat es früher nicht gege- CSU-Fraktion das Wort. ben. Das heißt, man kann sich darauf einstellen – wenn man sich dafür entscheidet –, wieder berufstätig, zumin- (Beifall bei der CDU/CSU) dest in Teilzeit berufstätig zu sein, wenn das Kind ein Jahr alt ist. All dies ist neu. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, Wir haben die Flexibilisierung der Elternzeit, das liebe Kollegen, insbesondere liebe Kolleginnen und Kol- Elterngeld Plus und einen Partnerschaftsbonus für alle legen von den Grünen! Beim Durchblättern des blauen Eltern, die zusätzlich zur Erziehung der Kinder 25 bis Planes dieser Woche habe ich mich über den von Ihnen 30 Wochenstunden arbeiten. Ein weiterer Fokus unserer eingebrachten Antrag mit der Überschrift „Familien stär- Familienpolitik liegt auf der besonderen Unterstützung ken – Kinder fördern“ ganz besonders gefreut; denn über Alleinerziehender und der Verankerung familienfreund- dieses wichtige Thema – hierauf haben schon einige Kol- licher Bedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Frau leginnen und Kollegen hingewiesen – kann man meiner Kollegin Rüthrich hat darauf hingewiesen, dass die Mög- Meinung nach gar nicht genug sprechen. lichkeit der Erwerbstätigkeit für beide Eltern eine we- sentliche Entscheidung dafür ist, Kinder zu bekommen. Die Debatten der letzten Wochen und Monate haben gezeigt, dass auch das öffentliche Interesse am Thema Frau Kollegin Yüksel hat die glücklichen Kinder in „Familienpolitik und Familienförderung“ ungebrochen ihrem Schlusswort angesprochen. Ja, glückliche Kinder ist. Sie brauchen nicht nur mit Ihrem Sohn oder mit sei- definieren sich aber nicht nur über den Ranzen und den Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20731

Paul Lehrieder (A) Kinobesuch, sondern glückliche Kinder definieren sich schaffen kann, tatsächlich in den eigenen vier Wänden zu (C) auch über das Verhältnis zu ihren Eltern. wohnen; denn der Verzicht auf Mietzinszahlungen eröff- net den Eltern finanzielle Spielräume, die diese als liebe- (Gülistan Yüksel [SPD]: Das habe ich auch volle Eltern in fast allen Fällen ausschließlich zugunsten gesagt!) der Kinder nutzen. So hängt alles mit allem zusammen. Bei der Diskussion über Armut bei Kindern möchte ich ganz bewusst darauf hinweisen, dass wir eine Gruppe (Beifall bei der CDU/CSU) von Kindern in unserer Gesellschaft haben, die eigentlich Das Baukindergeld habe ich angesprochen. Der keine Lobby hat. Im Zusammenhang mit der Diskussion Kinderzuschlag unterstützt die Eltern im Niedrigein- über Kinderarmut sollte man gelegentlich auch über sie kommensbereich, die im ergänzenden ALG-II-Bezug sprechen. Das sind Kinder in Familien mit psychischen überdurchschnittlich oft vertreten sind. Besonders Fami- Belastungen. Wir müssen schon hinschauen, wie wir die- lien mit mehreren Kindern können trotz einer Vollzeit­ sen Kindern helfen können. erwerbstätigkeit nur mit großer Anstrengung ein Ein- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kommen erzielen, das oberhalb des existenzsichernden Arbeitslosengeld-II-Bedarfs der ganzen Familie liegt. Wir schätzen, dass zwischen 2,4 Millionen und 3,8 Millionen Kinder in einer derartigen Situation sind. Durch den Kinderzuschlag – auch hierauf wurde be- Ich würde es begrüßen – ich weiß, dass bei Ihnen Frau reits von Vorrednern hingewiesen – kann der Bezug von Kollegin Walter-Rosenheimer sich sehr für dieses Thema Arbeitslosengeld II vermieden werden. Der Kinderzu- engagiert; ich weiß, dass bei uns Marcus Weinberg und schlag wurde bereits in diesem Jahr um 20 Euro erhöht. sich leidenschaftlich damit beschäftigen –, Auch das, Herr Kollege Müller, gehört zur Wahrheit. Er dass wir diese in den Fokus rücken und uns fragen, wie wird zum 1. Januar 2017 auf maximal 170 Euro erhöht. wir diesen Kindern helfen können, die nicht durch ihre Damit sind wir von Ihrer Kindergrundsicherung in Höhe Eltern vertreten werden können, weil die Eltern selber als von 300 Euro entfernt, aber zumindest haben wir da deut- Anwalt der Kinder in vielen Bereichen leider ausfallen. lich nachgelegt, überdurchschnittlich im Übrigen. Vielleicht können wir uns in den nächsten Monaten da- rüber verständigen. Im kommenden Jahr werden wir das neue Elterngeld Plus und das klassische Elterngeld mit 6,4 Milliarden Die Wertschätzung für Familien in unserem Lande Euro im Haushalt etatisieren. Diese Summe hängt auch spiegelt sich auch im neuen Bundeshaushalt wider, den mit der erhöhten Geburtenrate zusammen. Darüber sind wir dieser Tage verabschiedet haben. Meine Vorrednerin- wir sehr froh. Der Mut zum Kind in unserer Gesellschaft nen und Vorredner haben bereits bilanziert, dass bei den ist gewachsen. Ich glaube, auch das muss in einer sol- (B) Verhandlungen rund um den Einzelplan 17 wichtige Im- chen Diskussion gesagt werden. Im vergangenen Jahr (D) pulse gesetzt worden sind. Dem Etat des Bundesfamili- sind erfreulicherweise so viele Kinder zur Welt gekom- enministeriums stehen im neuen Jahr 9,5 Milliarden Euro men wie seit den letzten 15 Jahren nicht mehr, insgesamt zur Verfügung. Das sind über 2 Milliarden Euro mehr als 738 000. Jetzt will ich nicht sagen, dass das ausschließ- zu Beginn dieser Legislaturperiode. lich die Leistung der Großen Koalition ist – jetzt habe Somit wird es künftig auch deutlich mehr Geld für ich Applaus erwartet –, aber zumindest geben die Rah- Familien geben. So werden die Familien in unserem menbedingungen der Familienpolitik, die in den letzten Land mit unzähligen familienpolitischen Leistungen un- zehn Jahre geschaffen worden sind, den Familien wieder terstützt, die Eltern ein solides Auskommen sichern und mehr Mut. Kinderarmut bekämpfen. (Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE Ja, es ist auch richtig, dass Familien mit Kindern bei LINKE]) der Schaffung von Wohneigentum unterstützt werden sollen. Was jetzt der Familie hilft, ein sicheres Nest, ein – Bitte? Stell eine Zwischenfrage, Jörn, dann habe ich sicheres Heim zu bauen, wird später, in 30, 40 Jahren, mehr Zeit. die Altersarmut bekämpfen können. Da sollten wir ge- Für das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ meinsam hinschauen. Ich bin froh, dass die Frau Woh- stehen im nächsten Jahr insgesamt 446 Millionen Euro nungsbauministerin gesagt hat: Jawohl, wir wollen in zur Verfügung. Eine qualitativ hochwertige Betreuung Ballungsgebieten Wohneigentum fördern. – Ich bin der verhilft den Kindern zu einer guten frühkindlichen Bil- Meinung, wir sollten Familienwohneigentum landauf, dung und legt den Grundstein für die späteren Chancen landab fördern. auf dem Arbeitsmarkt. (Beifall bei der CDU/CSU) Den wichtigsten Beitrag zu einer modernen Familien- Es gibt hierzu einen kreativen, richtungsweisenden politik leisten daher auch weiterhin der weitere Ausbau Vorschlag, natürlich aus Bayern: 1 200 Euro Wohnbau- der Kindertagesbetreuung und die notwendigen Rege- prämie pro Jahr für Familien. Ich bin auch der Auffas- lungen der Qualität dieser Betreuungseinrichtungen. Ich sung, dass wir überlegen müssen, ob wir einer Familie glaube, man sollte in diesem Zusammenhang auf eine be- mit zu wenig Eigenkapital zu Beginn des Hausbaus oder stimmte Gruppe hinweisen – auf die Tagesmütter –, die des Erwerbs einer Wohnung eine gewisse Eigenkapital- neben der institutionalisierten Betreuung wie durch Kitas absicherung über ein Bürgschaftsprogramm der KfW an- ein ergänzendes Leistungsspektrum anbieten. Auch die- bieten können. Wir sollten überlegen, wie es eine Familie se Gruppe sollten wir einmal mit ihren wirtschaftlichen 20732 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Paul Lehrieder (A) Problemen und ihren Arbeitsbedingungen in den Fokus sich etwas. Immer mehr junge Väter wünschen sich mehr (C) rücken. Zeit für ihre Kinder, und das ist sehr gut so. (Beifall der Abg. Birgit Kömpel [SPD] – (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch! Da Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hindert Sie keiner dran!) NEN]) Gerade in dieser Zeit, in der wir sehr viele neu zu- Hier haben wir bereits in den Koalitionsverhandlun- gezogene Kinder aus Asylbewerberfamilien in den Kitas gen angesetzt und die Belange von unseren Familien und unterbringen müssen, sind wir froh über die engagierten, Kindern ganz oben auf die Agenda gesetzt. Die Voraus- tatkräftigen Tagesmütter, die sicherstellen, dass wir für setzungen für gelebte Partnerschaftlichkeit haben sich jede Nachfrage ein angemessenes Angebot an Kinderta- daher in dieser Legislatur fortlaufend verbessert. Ich gesbetreuung herstellen können. Dafür an dieser Stelle möchte als Beispiel nur das Elterngeld Plus und den wei- einmal ein herzliches Wort des Dankes. teren Betreuungsausbau nennen. Daneben haben wir mit dem gesetzlichen Mindestlohn endlich die Grundlage für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gute Löhne geschaffen. Auch damit sind wir einen ent- ordneten der SPD) scheidenden Schritt in der Bekämpfung der Kinderarmut gegangen. Auch dies führt dazu, dass gut betreute, gut ausgebildete, motivierte Kinder später in der Schule und im Beruf bes- In puncto Frauenförderung werden wir auch nicht sere Chancen haben und, prophylaktisch gesehen, in 10 nachlassen; denn auch sie hat ein großes Potenzial, um oder 20 Jahren weitaus weniger Gefahr laufen, in Armut Kinderarmut in Deutschland zu verringern. Rund 20 Pro- zu geraten. zent der Kinder in Deutschland wachsen mit nur einem Elternteil auf, und rund 90 Prozent der Alleinerziehenden Ich bedanke mich für den Antrag. Ich freue mich auf sind Frauen. Diese Frauen brauchen unsere Unterstüt- die Beratungen des Antrags im Ausschuss. zung, wenn wir Kinderarmut eindämmen wollen. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Alleinerziehende Erwerbstätige sind nun einmal dop- pelt belastet. Sie arbeiten aufgrund ihrer Kinder in der Danke schön. Regel eben nicht Vollzeit. Und sagt dann der Vater zwar (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- A, aber zahlt keine Alimente, ist Kinderarmut einfach ordneten der SPD) vorprogrammiert. Hier ist es ganz wichtig, dass wir – es (B) wurde schon mehrfach erwähnt – vor allem die Regelun- (D) gen zum Unterhaltsvorschuss reformieren. Unterhalt für Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: volle 18 Jahre fordern wir als SPD, und wir kämpfen mit Als nächste Rednerin hat Birgit Kömpel das Wort für Hochdruck dafür. die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wir auch!)

Birgit Kömpel (SPD): – Na ja. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Widerspruch bei der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Thema Kinderarmut wurden bereits viele Dinge gesagt, denen Mit dem Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von ich hier und jetzt gar nicht widersprechen möchte und Männern und Frauen in Führungspositionen haben wir kann. Präsenzkultur und männlich dominierte Netzwerke infra- ge gestellt und auf die strukturelle Benachteiligung von Ich möchte den Fokus auf unsere Familien und ein Frauen aufmerksam gemacht. Meine Damen und Herren, Stück weit auch auf unsere Frauen richten; denn Kin- wir müssen weg von der Präsenzkultur und hin zu einer derarmut ist in erster Linie Familien- und Frauenarmut. Ergebniskultur. Wenn Mütter nämlich auch in Teilzeit Ja – da haben die Grünen recht –, Erwerbstätigkeit beider Führungspositionen ausüben können, dann schützt das Elternteile ist der beste Schutz vor Kinderarmut. viele Kinder wirksam vor Armut. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Ich wünsche mir auch ein gesellschaftliches Umden- CDU/CSU) ken. Menschen mit Kindern verfügen über viele wertvol- le Fähigkeiten im Bereich der sogenannten Soft Skills, Gemeinsame Erwerbstätigkeit setzt aber Partnerschaft- die jedem Team und jedem Unternehmen guttun. Wir lichkeit voraus, also das Aufteilen von Arbeit und Kin- von der SPD gehen sogar noch weiter: Wir möchten, dererziehung zwischen Mutter und Vater. dass Frauenberufe besser bezahlt werden und Frauen durch das Lohngerechtigkeitsgesetz endlich das bekom- Seien wir doch einmal ehrlich: Noch immer sind es men, was sie schon lange verdienen, meine Damen und die berufstätigen Frauen, die sich hauptsächlich um die Herren. Hausarbeit und die Kindererziehung kümmern. Aber wir stellen Gott sei Dank fest: In unserer Gesellschaft ändert (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20733

Birgit Kömpel (A) Unsere Unternehmen sollten im Kampf um die besten ger, Unternehmen, die ihre soziale Verantwortung ernst (C) Köpfe darauf achten, ihre Arbeitszeiten den Bedürfnis- nehmen, Kirchen und Wohlfahrtsverbände zusammen- sen von Familien anzupassen. Ich bin überzeugt: Nur ein geschlossen, um ganz gezielt für mehr Gerechtigkeit für Bündel aufeinander abgestimmter Maßnahmen wird hel- unsere Kinder zu sorgen. fen, die Kinderarmut in Deutschland zu verringern. Im Jahr 2008 hat sich in meiner Heimatstadt Gifhorn Ich freue mich auf die Beratungen und bedanke mich eine Initiative unter dem Motto „Kleine Kinder immer für Ihre Aufmerksamkeit. satt“ gebildet. Ihr Ziel war es damals, allen Kindern in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den Kindertagesstätten und Ganztagsschulen ein warmes der CDU/CSU) Mittagessen zu ermöglichen. Und richtig, ich sagte: Es war ihr Ziel. – Mittlerweile wurde dieses Ziel auch durch das von Ihnen, liebe Opposition, gerne kritisierte Bil- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: dungs- und Teilhabepaket erreicht. Als nächste Rednerin hat Ingrid Pahlmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Natürlich kann man sagen: Es ist eine Schande, dass wir in unserem Land überhaupt engagierte Menschen (Beifall bei der CDU/CSU) benötigen, um allen Kindern ein warmes Mittagessen ermöglichen. Und ich sage Ihnen als Berichterstatterin Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): meiner Fraktion für bürgerschaftliches Engagement auch, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe dass wir in unserem Land natürlich nicht jedes Problem Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Der uns vorlie- über freiwilliges Engagement lösen können und es auch gende Antrag ruft ein absolut wichtiges Thema auf die die eine oder andere Tendenz diesbezüglich einzufangen Tagesordnung. Da sind wir uns – davon gehe ich ganz gilt. Doch wir müssen uns auf der anderen Seite auch fest aus – nicht nur hier im Hohen Hause einig. Es muss klarmachen: Der Staat alleine kann nicht alles richten, uns gemeinsam gelingen, Kinder vor Armut zu beschüt- und er hat auch nicht immer für alles die beste Lösung. zen. Wir als Regierungsfraktionen nehmen dieses Thema (Beifall bei der CDU/CSU) ernst; das wurde bereits von meinen Vorrednern deutlich gemacht. Die Geschichte des Gifhorner Kinderfonds geht näm- Wir haben viel Geld in die Hand genommen, sowohl lich noch weiter. Man hat sich immer neue Ziele gesteckt. für direkte Förderung von Kindern und Familien als auch Mittlerweile unterstützt man beispielsweise auch den Be- für die Förderung von Infrastruktur. Die Schlagworte such kultureller Veranstaltungen, ist man in die Hausauf- gabenhilfe eingestiegen, bietet man Sportprogramme in (B) sind und bleiben: die Erhöhung des Kindergeldes, die Er- (D) höhung des Kinderzuschlages, die Erhöhung des Kinder- Kooperation mit örtlichen Sportvereinen an, setzt man freibetrags, die Einführung von Elterngeld Plus, weitere Projekte zur Gewaltprävention und Selbstbewusstseins- Milliarden für den Ausbau der Kinderbetreuung und vor förderung der Kinder und vieles mehr um. Kurzum: Aus allem auch die Steigerung der Qualität in Kitas. „Kleine Kinder immer satt“ wurde: Kleine Kinder immer satt hinsichtlich Ernährung, Bildung, Bewegung und so- Aber eins muss uns auch klar sein: Mit Geld allein zialer Teilhabe. werden wir unsere Kinder nicht stark machen und vor Armut schützen. Einmal Hand aufs Herz: Wenn Sie in Noch viel wichtiger ist: Der Fokus hat sich erweitert. Ihrem Antrag von den Blicken sprechen, die ein Kind Es profitieren – anders als es nach Ihrem Antrag sein zu spüren hat, wenn der Ranzen zu Beginn eines neuen würde – nicht mehr ausschließlich benachteiligte Kinder, Schuljahres noch der alte vom Vorjahr ist, dann sprechen sondern alle Kinder völlig unabhängig von ihrer Her- Sie nicht von zu wenig finanziellen Mittel, sondern von kunft, ihrem sozialen oder finanziellen Hintergrund. Es ganz anderen Herausforderungen, die wohl eher in unse- werden mit dem Projekt alle Kinder gestärkt und nicht rem menschlichen Wertesystem zu suchen sind. mehr einzelne stigmatisiert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine starke Zivilgesellschaft kann mehr leisten, als wir mit jedem neuen Gesetz schaffen können. Vor allem ist Aber zurück zu Ihrem Antrag mit der scheinbar simp- sie in der Lage, zielsichere Lösungen zu entwickeln. Al- len Gleichung: mehr Geld gleich mehr Gerechtigkeit und lein in meiner Heimat, dem Landkreis Gifhorn, liegt der starke Familien. So einfach ist es aber nun einmal leider Anteil von Kindern in SGB-II-Bezug je nach Gemeinde nicht. Es ist vielmehr auch eine gesellschaftliche Haltung zwischen unter 1 Prozent und über 15 Prozent. Dass pau- notwendig, die klar zeigt: Ja, wir wollen Kinder! Ja, wir schale Lösungen hier nicht die besten sind, denke ich, wollen Familien dabei unterstützen, ihren Nachwuchs liegt absolut auf der Hand. Eine starke Zivilgesellschaft gut ins Leben zu bringen! Man kann an der Stelle immer mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern erzeugt verän- wieder das afrikanische Sprichwort „Um ein Kind groß- derte Blickwinkel, sieht, wo etwas fehlt, setzt neue An- zuziehen, braucht es ein ganzes Dorf“ zitieren. Wir brau- reize und kann Probleme vor Ort anders angehen als wir chen eine Gesellschaft, die hinschaut, die sich einmischt, mit unserer doch immer etwas weit entfernten Sicht der die Kinder und Familien unterstützt. Berliner Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sie können mir glauben: Ein Austausch mit diesen Nicht nur bei mir im Wahlkreis haben sich in den engagierten Menschen, deren Arbeit ich wirklich sehr vergangenen Jahren engagierte Bürgerinnen und Bür- schätze, ist immer wieder eine Herausforderung, und, am 20734 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Ingrid Pahlmann (A) Rande, kann manchmal ziemlich anstrengend sein. Den- bens unsere Kommunen vor große Probleme stellt, dass (C) noch profitieren alle von diesen Gesprächen. die Bundesländer in der Finanzierung mitzureden ha- ben – die stehen zum Teil auf der Bremse – und dass Die Mitglieder des Kinderfonds sind zu starken Ver- am Ende schlichtweg niemandem geholfen ist und Frust tretern der Kinder geworden. Sie fordern beispielswei- aufgebaut wird, wenn sich die Auszahlung durch diese se – in den ersten Jahren war das wohl auch nicht ganz zu Probleme womöglich verzögert. Unrecht – weitere Vereinfachungen bei der Beantragung, Bewilligung und Auszahlung der Leistungen für Bildung (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]:Deshalb und Teilhabe. lieber gar nichts machen! Super!) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE – Reden Sie nicht immer alles schlecht – das möchte ich GRÜNEN]: Ja, genau!) vor allen Dingen an die linke Ecke des Hauses richten –, was wir in diesem Hause anpacken! Sicherlich kann und Da hat sich aber in den letzten Jahren einiges verbessert; muss man alles weiterentwickeln; aber das, was wir ge- Klammer auf: auch weil die zuständigen Kommunen schafft haben, darf man auch einmal benennen und als mittlerweile ausreichend Zeit hatten und sich gut auf ihre gut anerkennen. neuen Aufgaben einstellen konnten; Klammer zu. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE der SPD) GRÜNEN]: Wollen Sie es den Kommunen nicht einfacher machen?) Denn das Aufreißen neuer Gräben stärkt nicht die linke Seite dieses Hauses, sondern wird dafür sorgen, dass auf Es gibt selbstverständlich auch bei anderen Program- der rechten Seite etwas Einzug hält, was uns allen hier men immer wieder Möglichkeiten für eine bessere Hand- im Haus nicht gefallen wird und was die Schwächsten in habung der bürokratischen Anforderungen. Darauf müs- unserem Land weiter schwächen würde. sen wir natürlich achten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Anders als das in Ihrem Antrag der Fall ist, fordern die Menschen, die sich tagtäglich mit dem Thema auseinan- Abschließend bleibt mir noch zu sagen: Wir brauchen dersetzen, nicht ein Mehr an pauschalen Geldleistungen kluge, durchdachte Konzepte, um unsere Familien und an die Eltern, sondern ein Mehr an Direktzahlungen zum Kinder wirklich zu stärken. Die finde ich trotz vieler Wohl der Kinder – ohne den Umweg über das Konto der Worte in Ihrem Antrag leider nicht. Deshalb kann ich Eltern. dem Antrag trotz des guten Ansinnens nicht zustimmen. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (B) GRÜNEN]: Das wollen wir beim Bildungs- GRÜNEN]: Müssen Sie heute auch nicht!) (D) und Teilhabepaket auch!) Aber ich freue mich wie viele meiner Kollegen auf gute Ganz sicher gibt es noch vieles zu verbessern. Gerade weitere Beratungen. Dann werden wir auch zu Lösungen bei Alleinerziehenden müssen wir noch mehr tun, um ihr kommen. meist unverschuldetes Armutsrisiko zu senken. Der Aus- bau der Kinderbetreuung ist hier ein wichtiger Beitrag, Danke schön. ebenso das „KitaPlus“-Programm; wir haben es schon (Beifall bei der CDU/CSU) gehört. Wie ich in meiner Rede vor ziemlich genau einem Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Jahr bereits gesagt habe, sind auch Unternehmen in der Als nächste Rednerin spricht Ulrike Bahr für die Pflicht; darauf müssen wir immer wieder hinweisen. Sie SPD-Fraktion. müssen Alleinerziehenden flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten. Dafür möchte ich allerdings keine staatlichen (Beifall bei der SPD) Zwangsmaßnahmen. Ich bin der Überzeugung, dass es beim sich abzeichnenden Fachkräftemangel auch im Ulrike Bahr (SPD): Interesse der Unternehmen ist, Alleinerziehenden gute Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Rahmenbedingungen und Verdienstmöglichkeiten zu Kollegen! Kein Kind darf verloren gehen. – Das ist un- bieten. Damit wäre der Wirtschaft, den Alleinerziehen- ser sozialdemokratisches Leitbild. Dazu gehört natürlich den, aber vor allen den Kindern geholfen. auch die wirtschaftliche Absicherung von Familien, und zwar von allen Familien. Dazu gehören auch Alleiner- Grundsätzlich möchte ich an dieser Stelle einmal ganz ziehende, Patchworkfamilien und alle, die Sie genannt klar sagen: Ich finde das Thema zu wichtig, um es par- haben. Aber aus meiner beruflichen Erfahrung heraus teipolitisch auszureizen. Sie wissen doch ganz genau – weiß ich, dass die Investition in direkte Unterstützungs- anders als Sie es in Ihrem Antrag schreiben –, dass die leistungen nicht ausreicht und nicht immer der beste Weg Unionsfraktion hinter der wichtigen Ausweitung des Un- ist, um Kinder zu fördern, um ihnen Bildung und echte terhaltsvorschusses steht und das Vorhaben in den letzten Teilhabe zu eröffnen. Teilhabe braucht zweifellos Geld, Monaten auch vorangetrieben hat. aber darüber hinaus noch viel mehr. Wir brauchen Geld, (Beifall bei der CDU/CSU) Zeit und Infrastruktur und müssen immer vom Kind aus denken, egal wie es im Geldbeutel der Eltern aussieht. Sie wissen aber auch ganz genau, dass eine überstürzte und vor allem schlecht geregelte Umsetzung des Vorha- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20735

Ulrike Bahr (A) Neben direkten finanziellen Hilfen müssen wir struk- zung für Kinder, die bisher vollkommen durchs Raster (C) turell ansetzen, um Armutskarrieren zu durchbrechen fallen und die, wie ich finde, Helden des Alltags sind. und die soziale Spaltung der Gesellschaft nicht weiter Betroffen sind geschätzt 2 bis 3 Millionen. Ich meine, voranzutreiben. Die Armut in zweiter, dritter und vierter wie schon erwähnt, Kinder psychisch kranker Eltern oder Generation ist es, die in allen Berichten über Familien- Kinder, deren Eltern im Strafvollzug sitzen. Hier haben armut vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband wir noch viel Arbeit und sollten uns möglichst pragma- bis hin zur Bertelsmann-Stiftung besonders alarmierend tisch und fraktionsübergreifend auf die Suche nach trag- wirkt. Gegen solche über Generationen hinweg verfestig- fähigen Lösungen mit aufsuchenden Beratungsstruktu- te Armut brauchen wir an allererster Stelle nach meiner ren und vernetzten Hilfen machen. Unsere Kinder haben Überzeugung von klein an gute und kostenfreie Angebo- einen Anspruch darauf. te für Bildung, Kultur und Sport. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Lehrieder [CDU/CSU]: Mit Ausnahme der Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich in ihrem Zu- Passage über Bayern war es passabel!) kunftsprojekt für beitragsfreie Ganztagskitas ausge- sprochen. Dies fördert und integriert Kinder und entlas- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: tet gleichzeitig Eltern und besonders Alleinerziehende Sönke Rix hat als letzter Redner in dieser Aussprache enorm, weil sie dann auch Zeit für Arbeit oder Aus- und das Wort. Weiterbildung haben, und zwar ohne entwürdigende An- tragstellung und Bedürftigkeitsprüfung. Einige sozialde- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) mokratisch geführte Bundesländer wie Rheinland-Pfalz oder Berlin gehen hier mit gutem Beispiel voran. In mei- Sönke Rix (SPD): nem Heimatland Bayern ist man davon leider noch weit Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! entfernt. Meine Damen und Herren! Natürlich haben wir in dieser In dieser Wahlperiode haben wir eine ganze Reihe von Großen Koalition viel erreicht, um Familien zu entlasten Anstrengungen unternommen, um in der frühen Bildung und zu fördern. Natürlich dürfen die Fraktionen der Op- auch qualitativ gute Angebote zu schaffen, zum Beispiel, position auch kritisieren und mehr fordern. Das gehört wie erwähnt, mit dem Ausbau der erfolgreichen Sprach- zu ihrer Aufgabe. Aber ich will gleich eine Sache vor- kitas, in denen Kinder mit Schwierigkeiten in der Schlüs- wegnehmen: Es kommt immer darauf an, wie wir diese selkompetenz Sprache die nötige Unterstützung erhalten, zusätzlichen Förderungen, diese zusätzlichen Mittel und (B) ohne dass die Eltern etwas beantragen müssen; denn diese zusätzlichen Forderungen finanzieren. Das kommt (D) Sprache ist der Schlüssel zu jeder Form von Bildung und bei dem vorliegenden Antrag – auch wenn ich weiß: es damit zur Selbstermächtigung, neudeutsch: „Empower- gibt parallel dazu andere Finanzierungsvorstellungen – ment“. leider zu kurz. (Beifall bei der SPD) Aber wir dürfen auch stolz darauf sein, was wir in un- serer Koalitionszeit für Familien erreicht haben. Zur Stärkung von Kindern und ihren Eltern gehört in (Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE jedem Fall eine gute niedrigschwellige Beratung über LINKE]) Unterstützungsansprüche wie zum Beispiel den Kinder- zuschlag, aber auch über die Bildungs- und Unterstüt- – Doch, das darf man durchaus machen. Denn wir haben zungsangebote vor Ort. Die Zivilgesellschaft engagiert Dinge angestoßen, die auch Sie fordern und die auch die sich hier zahlreich in Initiativen, die wir unterstützen Grünen fordern. sollten. Auch viele Mehrgenerationenhäuser leisten in der Beratung und in der Vernetzung von Familienan- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) geboten eine hervorragende Arbeit. Auch sie haben wir Vielleicht nicht in dem geforderten großen Maße, aber mit unseren letzten Haushaltsbeschlüssen gestärkt. Denn wir machen es. gerade Familien mit wenig Geld, Eltern wie Kinder, pro- fitieren besonders von kostenfreien Treffpunkten, Vernet- Wir haben zum Beispiel den Kinderzuschlag erweitert zung, Tauschbörsen, offenen Angeboten und den damit und ausgebaut. verbundenen Kontakten. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir wissen Zur Stärkung von Familien gehört es auch, wenn ja, wo bei euch die Bremser sitzen!) Kinder, Jugendliche und Eltern einen Anspruch auf gute Das sind Forderungen, die von Grünen und von Linken und einfache Lösungen bei Konflikten haben. In unserer kommen. Man kann mehr machen, gar keine Frage – es geplanten SGB-VIII-Reform müssen wir deshalb auch ist immer die Frage, wie viel Geld Herr Schäuble zur Ver- unabhängige Ombudsstellen verankern. Sie unterstützen fügung stellt –, aber wir haben es getan. Ich finde, das Kinder, Jugendliche und ihre Familien dabei, Probleme kann man durchaus lobend erwähnen. mit den Jugendämtern und Trägern zu klären und aus- zuräumen. Sie führen immer an, wenn es um Familienarmut geht, dass eine gute und vernünftige Bezahlung für die Men- Und schließlich: Zum Anspruch „Kein Kind zurück- schen notwendig ist. Sie sagen, dass der Mindestlohn, lassen!“ gehören auch Teilhabeangebote und Unterstüt- der eingeführt worden ist, als Grundlage viel zu niedrig 20736 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Sönke Rix (A) ist. Aber wir haben ihn immerhin eingeführt, liebe Kolle- Sönke Rix (SPD): (C) ginnen und Kollegen, und damit einen großen und wich- Aber jetzt keine Koalitionsverhandlungen, lieber tigen Schritt gemacht, um Familien zu entlasten und um Marcus. Kinderarmut zu bekämpfen. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Doch! Doch! Macht mal so weiter wie Mitt- der CDU/CSU) woch im Ausschuss! Dann haben wir alle was davon!) Das Gleiche gilt für die Entlastung von Alleinerzie- henden. Jahrelang ist dieses Thema nicht angefasst wor- den. Wir haben in der Großen Koalition für eine Erhö- Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): hung des Freibetrags für Alleinerziehende gesorgt und so Danke schön. – Lieber Sönke Rix, keine Angst, ich Familien entlastet. Das hilft auch gegen Kinderarmut. habe nur eine kurze Zwischenfrage; wenn du Hamburg erwähnst, dann muss ich mich einfach zu Wort melden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will nur daran erinnern, dass in Hamburg die El- Natürlich kann man weitergehen. Koalitionen stellen tern für die fünfstündige Betreuung ihres Kindes von den immer auch – das wissen Sie aus Hessen, das wissen Sie Gebühren freigestellt sind. Vielen Dank, davon profitiere aus rot-grünen Koalitionen, das wissen Sie aus Bran- ich persönlich, auch mit meinem Einkommen. Ich will denburg; Sie werden es auch in Berlin erfahren und in aber auch daran erinnern: Hamburg hat den mit Abstand Thüringen – Kompromisse dar, und man freut sich, wenn schlechtesten Betreuungsschlüssel, was die Relation von man nach Wahlen andere Mehrheiten bekommt oder Erzieherinnen und Kindern angeht, in Westdeutschland. wenn man Koalitionspartner auch mal überzeugen kann. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, das Geld in Qualitäts- Das ist durchaus der Fall. – Wir als Sozialdemokraten steigerung zu investieren, sind bei Ihnen und sagen: Das Ehegattensplitting ist eine (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE ungerechte Maßnahme. Auch wir wollen das Ehegatten­ GRÜNEN]: Absolut!) splitting Schritt für Schritt abschaffen. damit die Kinder endlich vernünftig betreut werden, statt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den Eltern, die ohnehin viel Geld verdienen, noch eine der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Entlastung zu schenken? GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Im Moment kommen wir da mit unserem Koalitionspart- Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE ner nicht zusammen, GRÜNEN] – Norbert Müller [Potsdam] [DIE (B) (D) LINKE]: Es gibt nicht nur reiche Hamburger!) ( [CDU/CSU]: Gut er- kannt!) Sönke Rix (SPD): aber als eigenständige Fraktion darf man das durchaus Wenn ich dieser Begründung folge: Dann bist du, lie- sagen. ber Marcus Weinberg, wahrscheinlich auch dafür, dass du für deine schulpflichtigen Kinder irgendwann Gebüh- (Beifall der Abg. Birgit Kömpel [SPD]) ren zahlen musst, weil man nicht genügend Mittel für die Das Gleiche gilt übrigens für das, was meine Kollegin Verbesserung der Infrastruktur in den Schulen zur Ver- Uli Bahr gerade zum Schluss angesprochen hat. Armuts- fügung hat. bekämpfung bedeutet, Menschen, insbesondere Kinder, (Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD]) in die Lage zu versetzen, teilhaben zu können. Das fängt damit an, dass wir sagen: Bildung und Betreuung müssen Nein, es bleibt bei dem Grundsatz: Gebührenfreiheit vom ersten Lebensjahr an beitragsfrei sein. für Bildung und Betreuung von Anfang an. Ich warne davor, die Entlastungen von Familien gegen Infrastruk- (Beifall bei der SPD) turausbau und gegen Beitragsfreiheit auszuspielen, lieber Kollege Marcus Weinberg. Und es sind sozialdemokratische Bundesländer, die ge- meinsam mit Grünen, beispielsweise in Rheinland-Pfalz (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten oder auch in Hamburg, genau diese Beitragsfreiheit der LINKEN) Schritt für Schritt einführen. Meine Damen und Herren, es ist zum Schluss der De- (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: batte richtigerweise angesprochen worden, dass wir eine Oh! Oh! Oh!) starke Zivilgesellschaft brauchen. Die Zivilgesellschaft wird im Übrigen immer sehr stark von Kommunen un- Das ist eine vernünftige und richtige Entlastung, die den terstützt, und somit ist jede kommunale Entlastung, die Familien zugutekommt. Schleswig-Holstein wird sich wir vornehmen, eine Entlastung zugunsten von Familien. diesem guten Beispiel im Übrigen anschließen. Das betrifft unter anderem das Thema Beitragsfreiheit, aber auch das sehr gute Beispiel, das Sie vorhin, Frau Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Pahlmann, in Ihrer Rede angesprochen haben. Herr Rix, der Kollege Weinberg wünscht eine Zwi- Natürlich ist Zivilgesellschaft wichtig, und alles, was schenfrage. Zivilgesellschaft selbst erreichen kann, ist wichtig. Aber Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20737

Sönke Rix (A) wenn wir die Infrastruktur von Zivilgesellschaft nicht un- Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so (C) terstützen – was wir im Übrigen jetzt im Bundeshaushalt beschlossen. viel besser tun als vorher –, dann werden aus guten Pro- jekten keine wirklich guten Projekte. Deshalb ist es rich- Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in die- tig und notwendig, die Zivilgesellschaft zu unterstützen, ser Debatte hat Josip Juratovic für die SPD-Fraktion das damit auch die Zivilgesellschaft Familienarmut bekämp- Wort. fen und Familien fördern kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) Ich will einen allerletzten Punkt ansprechen, weil es zu Beginn der Debatte um gute Bezahlung ging, insbe- (SPD): sondere um die Frage, ab wann eine Familie in der Lage Josip Juratovic ist, für sich selbst zu sorgen. Ein Kollege hat vorhin in Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und einer Zwischenfrage gesagt, dass es viele Eltern gibt, die Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ges- eigentlich ein auskömmliches Einkommen haben, auf- tern früh kam die parlamentarische Freundschaftsgruppe grund ihrer familiären Situation aber trotzdem Hartz IV für Südosteuropa zusammen. Zu Gast waren Forscher beziehen bzw. deren Kinder Hartz IV beziehen. Ich finde, und Aktivisten aus dem Bereich der Pressefreiheit. Unser dann haben sie kein ausreichendes Einkommen, lieber Thema war die Freiheit der Medien auf dem Westbalkan. Kollege. Das Urteil der Experten fiel sehr schlecht aus. Das ist (Beifall der Abg. Birgit Kömpel [SPD]) kein gutes Zeichen. Für mich ist es so: Ein ausreichendes und gutes Einkom- Gestern Nachmittag saß ich im Gesprächskreis Süd- men muss dazu beitragen, dass sich eine Familie, auch osteuropa. Der Direktor der Friedrich-Ebert-Stiftung in unabhängig von staatlicher Förderung, eine Existenz si- Pristina und ein Wissenschaftler aus dem Kosovo berich- chern kann. Daran müssen wir arbeiten: dass durch eine teten über den zunehmenden Einfluss der Türkei auf dem entsprechende Lohnentwicklung dieses Problem beho- Westbalkan. Das ist ebenfalls kein gutes Zeichen. ben wird. Dieser Tage durfte ich auch mit oppositionellen Abge- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- ordneten aus Podgorica sprechen. Dabei musste ich fest- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat die SPD stellen, dass die Bedeutung der repräsentativen Demo- dazu vor?) kratie und der Respekt vor der parlamentarischen Arbeit Ich danke Ihnen für den Antrag, auch weil er zu dieser dort von unserem Verständnis leider um einiges entfernt (B) (D) Debatte geführt hat; denn wir müssen immer mal wieder sind. Auch dies ist für mich kein gutes Zeichen. über Familien- und Kinderarmut sprechen. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss und weitere Vorschläge. Vor einer Stunde kamen wir mit dem montenegrini- schen Staatssekretär für Europa zusammen. Seine Visi- Herzlichen Dank. on – eine Annäherung an die EU – wird in der Praxis (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten leider nicht so umgesetzt, wie wir uns das wünschen wür- der CDU/CSU) den. Ein viertes Mal muss ich sagen: Kein gutes Zeichen.

Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: wird heute darüber entscheiden, ob wir unsere europäi- Damit schließe ich die Aussprache. schen Nachbarn aus Montenegro in die nordatlantische Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage Gemeinschaft der NATO aufnehmen wollen. Die soeben auf Drucksache 18/10473 an die in der Tagesordnung beschriebenen Gespräche hinterlassen bei mir eine ge- aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit mischte Gefühlslage. Ich frage mich: Ist es wirklich rich- einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so be- tig, Montenegro angesichts der immer noch vorhandenen schlossen. Herausforderungen in die NATO aufzunehmen?

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Warum werben wir für die Mitgliedschaft eines nicht Zweite Beratung und Schlussabstimmung des immer einfachen Partners in einem Bündnis, das selbst von der Bundesregierung eingebrachten Ent- bei nicht allen von uns unumstritten ist? Jenen, die sich wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom hierbei angesprochen fühlen, möchte ich drei Antwor- 19. Mai 2016 zum Nordatlantikvertrag über ten mit auf den Weg geben: Es geht um uns. Genauer den Beitritt Montenegros gesagt, es geht um unsere guten sicherheitspolitischen Erfahrungen mit dem Bündnis NATO, um die strategi- Drucksache 18/9989 schen Interessen unseres Landes und vor allem um die Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti- Werte der deutschen Außenpolitik. Kolleginnen und Kol- gen Ausschusses (3. Ausschuss) legen, unsere Erfahrung zeigt uns: Deutschland und die anderen NATO-Mitglieder profitieren seit über einem Drucksache 18/10332 halben Jahrhundert vom gegenseitigen Beistand. Die Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für NATO ist eine jener Organisationen, die uns neben der die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu EU seit 70 Jahren Frieden sichert, genau jenen Frieden, 20738 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Josip Juratovic (A) den Deutschland und Europa davor über Generationen ohne feste Perspektive zwischen unterschiedlichen glo- (C) nicht hatten. balen und regionalen Einflüssen hin- und hergerissen zu sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Der Westbalkan gehört in die NATO, weil der West- Die NATO hat das Leben ihrer aktuell 920 Millionen balkan zu Europa gehört. Der Beitritt Montenegros zur Einwohner sicherer gemacht. Sicherheit im Frieden ist NATO ist ein weiterer Schritt bei der Heranführung des das wichtigste Gut, das wir haben. Westbalkans an Europa. Daher bitte ich um Ihre Zustim- mung. Wenn wir Montenegro in die NATO aufnehmen, ist dies ein Weg, unsere ureigenen Interessen zu verfolgen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Zu unseren Interessen gehört zunächst die eben beschrie- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) bene Sicherheit. Zu unseren Interessen gehört aber auch ein zusammenhängendes Bündnisgebiet. Wir wollen

Partner einbinden, die sich sonst womöglich für andere Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Wege entscheiden. Um es deutlich zu sagen: Der West- Als nächster Redner hat Dr. für die balkan ist bereits Spielball unterschiedlicher globaler Fraktion Die Linke das Wort. und regionaler Mächte – auf einem Spielfeld direkt vor (Beifall bei der LINKEN) unserer Tür. Wir wollen jene Staaten in unsere sicher- heitspolitischen Bündnisse einbeziehen, die sich ohnehin auf den Weg Richtung EU gemacht haben. Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsidentin! Montenegro soll also der NATO beitreten. Denn zu unseren Interessen gehört auch ein starkes Damit wird die NATO ein weiteres Mal ihren Einfluss- Europa. Wenn wir ein Europa haben möchten, das auf und Kontrollbereich erweitern, hier um ein Balkanland. globaler Ebene auf Augenhöhe agieren kann, müssen Die NATO-Erweiterung insgesamt ist einem politischen wir geschlossen sein. Wenn wir geschlossen sein wollen, Ansatz geschuldet, der davon ausgeht, dass Sicherheit in können wir uns keine Insel der Instabilität mitten in Eu- Europa ohne Russland oder vielleicht auch gegen Russ- ropa leisten. Instabilität macht Europa angreifbar. In der land möglich und wünschenswert ist. Es ist ein konfron- Gesetzesbegründung heißt es: tatives Sicherheitskonzept. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, dass der Es geht aber auch anders, und zwar mit einem koope- NATO-Beitritt Montenegros einen Beitrag zu Si- rativen Sicherheitskonzept, das vorsieht, Sicherheit in (B) cherheit und Stabilität im euro-atlantischen Raum Europa mit Russland herzustellen. Das ist nachhaltiger. (D) leisten wird. (Karl-Heinz Wange [CDU/CSU]: Ukraine!) Genau diese Überzeugung teilen wir Sozialdemokraten. Nach den Verlautbarungen der CDU oder der SPD, Bei allen Zwängen und sicherheitspolitischen Not- also der Regierungsparteien, favorisieren sie sogar das wendigkeiten basiert unsere Außenpolitik vor allem auf kooperative Sicherheitskonzept, Werten. Dabei ist das Nordatlantische Bündnis einerseits Wert an sich, weil es für Kooperation steht. Darüber hi- (Karl-Heinz Wange [CDU/CSU]: Das sieht naus geht es um die großen demokratischen Werte. Es ist man an der Ukraine!) richtig: Gewaltenteilung, aber auch Pressefreiheit sind in zumindest verbal. Montenegro noch sehr ausbaufähig. Doch Montenegro ist bereits im Prozess des Beitritts zur EU. Die dazugehörige So heißt es beispielsweise in dem außenpolitischen Demokratisierung kann sich in Montenegro umso besser Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion vom entwickeln, wenn sich das Land der schwarzen Berge im Juli 2016 – ich zitiere –: „Stärke zeigen allein genügt Rahmen der NATO sicher fühlen kann. Das gemeinsa- nicht“. – Was für eine Einsicht! – „Für eine glaubwür- me Sicherheitssystem erleichtert Demokratisierung und dige und kooperative Sicherheits- und Friedenspolitik in EU-Annäherung. Es stimmt: Montenegro ist kein lupen- und für Europa“. reiner demokratischer Staat. Aber um es mit den Worten Auch Kanzlerin Merkel steht dem nicht hinterher. eines großen Sozialdemokraten zu sagen: Wir wollen den In ihrer Regierungserklärung vor dem NATO-Gipfel in Wandel durch Annäherung. Warschau sagte sie – ich zitiere –: (Beifall bei der SPD) Wir als NATO-Partner sind uns einig, dass dauer- Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten se- hafte Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen hen auf dem Westbalkan die Chance, in unserer Nach- Russland zu erreichen ist. barschaft Frieden und Stabilität zu bewahren. Das ist im Schöne Worte. Interesse der Menschen vor Ort und in unserem eigenen Interesse. Wichtig ist auch: Wir sind 25 Jahre nach dem Die Wirklichkeit sieht anders aus, sehr geehrte Damen Zerfall Jugoslawiens. Irgendwann – am besten so bald und Herren. Da tun Sie genau das Gegenteil. Statt einer wie möglich – müssen die geschundenen Völker des friedensichernden, statt einer sicherheitspolitischen Ko- Westbalkans ihre Ruhe bekommen. Sie sollen sich zuge- operation bauen Sie den NATO-Einflussraum aus, zum hörig fühlen. Keine gute Entwicklung wäre es, weiterhin Beispiel mit Hilfe der NATO-Osterweiterung. Sehr ge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20739

Dr. Alexander S. Neu (A) ehrte Damen und Herren, das ist nichts anderes als primi- Danke. (C) tive Geo- und Machtpolitik, die Sie hier betreiben. (Beifall bei der LINKEN – Karl-Heinz Wange (Beifall bei der LINKEN – Karl-Heinz Wange [CDU/CSU]: Die Rede wäre besser zu Proto- [CDU/CSU]: Warum überlassen Sie die Ent- koll gegangen!) scheidung nicht einfach Montenegro? Das ist ein souveräner Staat!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: – Hören Sie einfach einmal zu! – Montenegro ist ein Als nächster Redner spricht Peter Beyer für die CDU/ Staat mit der Einwohnerzahl von Düsseldorf. Ich bin CSU-Fraktion. im Sommer dieses Jahres mit der Kollegin Höger nach Montenegro geflogen. Wir haben uns dort mit politischen (Beifall bei der CDU/CSU) Parteien und Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen. (CDU/CSU): Ergebnis: Montenegro ist ein zutiefst zerrissenes Land Peter Beyer zwischen NATO-Gegnern und NATO-Befürwortern. Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Die Oppositionsparteien und auch zivilgesellschaftliche Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gruppen haben uns erklärt, dass die Mehrheit der Men- Das Debattenthema jetzt lautet: NATO-Mitgliedschaft schen gegen einen NATO-Beitritt und für die Neutrali- Montenegros. Das ist das wichtigste außenpolitische tät Montenegros sei. Aber einen Volksentscheid darüber Ziel dieses Landes in den vergangenen Jahrzehnten, so lehnt das autoritäre Djukanovic-Regime ab – er ist zwar muss man es sagen. Es ist nun erreicht. Es ist ein langer jetzt nicht mehr Ministerpräsident, aber das Regime ist Weg, an dessen Ende aus ehemaligen Feinden Verbün- nach wie vor an der Macht –, wohl wissend, dass dieses dete werden. Insgesamt ist dieser Prozess in die Westan- Referendum in einer Niederlage enden würde und ein näherung des Landes eingebettet. Dabei stehen auch die NATO-Beitritt passé wäre. EU-Beitrittsverhandlungen im Zentrum. Die parlamentarische und die außerparlamentarische Bei allen Herausforderungen, die das Land noch zu Opposition gegen den NATO-Beitritt sind Repressio- bestreiten hat, ist Montenegro auf einem richtigen Weg nen ausgesetzt. Der Sprecher der NGO „Nicht in die und auf einem guten Kurs hin zur Vollmitgliedschaft in NATO“ – so heißt diese Organisation – wurde von der der Europäischen Union. Man kann sich durchaus die Polizei misshandelt. Andere werden willkürlich verhaf- Frage stellen: Was kann ein sehr kleines Land wie Mon- tet. Was sagt der Westen? Was sagt Berlin dazu? Man tenegro – wir haben es gerade gehört: ich habe es nicht drückt wieder einmal alle Augen zu. nachgezählt, mit der Einwohnerzahl Düsseldorfs; – zum (B) Bündnis, zur NATO beitragen? Wir müssen uns vor Au- (D) Die „Bewegung für Neutralität“ Montenegros – auch gen halten, dass Montenegro bereits dabei ist, beizutra- eine NGO – verfügt über Informationen von WikiLeaks, gen, ohne NATO-Mitglied zu sein, und zwar beim Af- ( [SPD]: WikiLeaks: Das ist sehr ghanistan-Einsatz ISAF und bei der Nachfolgemission seriös!) Resolute Support Mission. nach denen klare Anweisungen aus Washington, Brüs- Darüber hinaus hat Montenegro angekündigt, sich im sel und Berlin kommen, wie eine effektive Öffentlich- Rahmen des KFOR-Einsatzes zu beteiligen. Das zeigt, keitsarbeit gemacht werden kann, um die Stimmung in dass Montenegro bereit ist, seine sicherheitspolitische Montenegro zugunsten der NATO umzudrehen. So soll Verantwortung mit großer Ernsthaftigkeit wahrzuneh- die Bevölkerung, die noch vor 17 Jahren von der NATO men. Es ist natürlich auch klar, dass für das Bündnis, für bombardiert wurde, jetzt dazu gebracht werden, die die NATO selbst, die Aufnahme von Montenegro sym- NATO lieb zu haben. Das ist unfassbar, sehr geehrte Da- bolischen Charakter hat. Die NATO gibt damit aber auch men und Herren. ein Statement ab. Zum Beispiel unterstreicht die NATO damit die Relevanz des Balkans für den Westen, und sie (Beifall bei der LINKEN) bekennt sich zur Politik der offenen Tür. Unser Fazit ist: Die Äußerungen der CDU und der Man muss sich auch vor Augen halten, dass der östli- SPD zur kooperativen Sicherheitspolitik bleiben Lip- che Teil der Adriaküste mit der Aufnahme Montenegros penbekenntnisse; denn die NATO-Osterweiterung ist ein und der schon im Jahre 2009 erfolgten Aufnahme Al- geo- und sicherpolitisches Konfrontationsprojekt, das baniens und Kroatiens geschlossenes NATO-Gebiet ist. weiter vorangetrieben wird. Montenegro fehlt als letzter Herr Kollege Neu, es mag Sie erzürnen, dass Montene- Staat der europäischen Mittelmeeranrainer, um das nörd- gro – aus meiner Sicht: richtigerweise – das Ansinnen der liche Mittelmeer zum NATO-Meer zu machen. Dafür russischen Regierung abgelehnt hat, die Bucht von Ko- schaut man auch großzügig über die Verletzung westli- tor für die russische Marine zu nutzen. Dass sie jetzt ge- cher Werte hinweg – wie so häufig, wenn es um Interes- schlossen ist, ist, glaube ich, eine richtige Entscheidung. sen und Machtpolitik geht, siehe Türkei. Es ist in diesem Zusammenhang auch wichtig, zu sa- Wir als Linke fordern ein Umdenken. Beenden Sie gen, dass es darum geht, Stabilität zu schaffen und die die NATO-Osterweiterung, und fangen Sie endlich mit Staaten des ehemaligen Jugoslawiens bei ihrer Westan- einem Kurswechsel an! Beginnen Sie mit einer ehrlichen bindung zu unterstützen. Es geht darüber hinaus um die sicherheitspolitischen Kooperation für den gesamten eu- Zugehörigkeit zur transatlantischen Wertegemeinschaft, ropäischen Kontinent! zu der sich Montenegro – übrigens nicht gezwungener- 20740 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Peter Beyer (A) maßen, sondern in freier Selbstbestimmung – bekannt Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (C) hat. Als nächster Redner hat Dr. Tobias Lindner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist ein gutes, wichtiges, aber auch notwendiges Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zeichen, dass sich auch die neue, gerade frisch ins Amt Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und gekommene Regierung Montenegros zu dieser Wertege- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Montene- meinschaft bekannt und zum Ausdruck gebracht hat, dass gro nehmen wir ein Land in die NATO auf, das kleiner ist das Land dazugehören will, dass es weiterhin den Weg als Schleswig-Holstein. Die Armee von Montenegro ist der Reformen beschreiten will, wie es namentlich durch gerade einmal 2 000 Soldaten stark. Wenn sich die NATO den Premierminister Dusko Markovic geschehen ist. dadurch gestärkt fühlen würde, dann wäre das genauso Es ist aber auch richtig, dass wir in unserem Appell albern, als würde sich Russland dadurch bedroht fühlen. nicht nachlassen dürfen, die Regierung in Montenegro (Niels Annen [SPD]: Das stimmt!) dabei zu bestärken, dass man den einmal beschrittenen Weg der Reformen nicht verlassen darf und dass es jetzt Genauso albern ist es, Herr Kollege Neu, wenn Sie hier darauf ankommt, dabei nicht nachzulassen. Es müssen sagen, das würde die Sicherheitsarchitektur in Europa si- über den Zeitpunkt der Aufnahme in die NATO hinaus – gnifikant verändern. sie kommt ja erst noch, vielleicht im Frühjahr nächsten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jahres – alle Anstrengungen unternommen werden, den NEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Weg von Reformen und Stabilität beherzt und ernsthaft Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Applaus weiter zu beschreiten. von der CDU!) Vielleicht sogar wichtiger als der Beitritt zur NATO Es geht bei diesem Beitritt natürlich um Symbolik. Es war letztlich der Vorbereitungsprozess. Denn er hat zum geht auch darum – da hätten Sie vielleicht auf Ihren Ge- Beispiel dazu geführt, dass deutliche Schritte unternom- nossen Michail Sergejewitsch Gorbatschow hören sollen, men wurden, um politisch unbelastete Nachrichtendiens- als er von freier Bündniswahl gesprochen hat –, dass wir te zu schaffen. Dies war – neben der Schaffung von uns die Beitrittsbedingungen nicht diktieren lassen. Jedes demokratischen Strukturen und von Rechtsstaatlichkeit – Land in Europa hat das Recht auf freie Bündniswahl, eine der zentralen Forderungen und Voraussetzungen für (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Pariser Verträge!) die NATO-Mitgliedschaft. Durch die jetzt umgesetzten Reformen hat Montenegro seine Bündnisfähigkeit unter und jedes Bündnis entscheidet souverän darüber, wer bei (B) Beweis gestellt. Die vollständige Anpassung der eigenen ihm Mitglied sein darf und wer nicht. (D) Strukturen an NATO-Standards braucht aber noch Zeit, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- übrigens auch, was die Schließung von durchaus noch SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und vorhandenen Fähigkeitslücken anbelangt. der SPD) Eine Regierung kann keine Politik an der eigenen Montenegro hat sich für die NATO entschieden, und Bevölkerung vorbei machen. Deswegen ist es wichtig, heute stimmen wir darüber ab, Montenegro in die NATO dass die neue Regierung nicht nachlässt, die eigene Be- aufzunehmen. Aber gerade weil Montenegro dann völkerung mit guten Argumenten zu überzeugen – Herr ­NATO-Mitglied sein wird, müssen wir genau hinschauen Kollege Neu hat es beschrieben: in dem Punkt gibt es und dürfen nicht schweigen. eine Spaltung in der Gesellschaft –, dass es richtig war, den Weg in die NATO und damit zur Stabilität weiter zu Wir mussten in diesen Tagen schmerzlich erfahren: beschreiten. Eine NATO-Mitgliedschaft ist keine Garantie für Demo- kratie und Rechtsstaatlichkeit. Meine Damen und Herren, ich möchte mit einem Punkt, der vorhin schon angeklungen ist, schließen. So- (Zuruf von der SPD: Das stimmt!) wohl in der letzten Wahlperiode als auch und gerade in Wer gedacht hatte, dass die Zeiten einer Militärdiktatur der neuen Wahlperiode des montenegrinischen Parla- in Griechenland oder des Franquismus in Spanien vorü- ments zeigte sich, dass die Opposition, zumindest weite ber sind und unter den NATO-Mitgliedern nur Demokra- Teile der Opposition, die Plenarsitzungen boykottiert. Ich tien sind, der wird in diesen Tagen von Herrn Erdogan würde mir wünschen – dies vielleicht als Appell von Par- eines Schlechteren belehrt. Wenn die NATO es ernst da- lamentarier zu Parlamentarier –, dass die Kollegen der mit meint, eine Wertegemeinschaft zu sein, dann darf sie Opposition in Montenegro den politischen Diskurs dort- nicht so leisetreterisch auftreten wie ihr Generalsekretär hin verlagern, wo er hingehört, nämlich in einen solchen kürzlich in Istanbul. Saal, ins Parlament. Denn dort findet der demokratische und parlamentarische Wettstreit der Ideen und der poli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tischen Überzeugungen statt, und nicht auf der Straße. Ein NATO-Generalsekretär, der dazu schweigt, dass die Ich glaube, dann kann man konstruktiv zum Wohle des Türkei zurzeit im Nordirak das Völkerrecht bricht, der Landes beitragen. dazu schweigt, dass die Türkei Soldaten des NATO-Part- Vielen Dank. ners USA militärisch attackiert, der dazu schweigt, dass türkische NATO-Offiziere so verfolgt werden, dass sie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) in anderen NATO-Ländern – auch in Deutschland – um Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20741

Dr. Tobias Lindner (A) Asyl bitten müssen, der macht nicht seinen Job, liebe Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (C) Kolleginnen und Kollegen. Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Julia Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Wer die Wertegemeinschaft NATO ernst nimmt, der darf an dieser Stelle nicht schweigen. Julia Obermeier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Man muss sagen: Montenegro ist nicht die Türkei. Kollegen! 1949 haben sich zwölf Staaten zur Nordat- Aber mit seinem Beitritt sind wir natürlich nicht aus der lantischen Allianz zusammengeschlossen. Sie eint nach Verantwortung entlassen. In Montenegro herrscht – das wie vor der Wunsch, gemeinsam eine friedliche, freie wurde angesprochen – massive Korruption. Die Straf- und sichere Welt zu gestalten. Zudem versichern sie sich verfolgung ist ineffektiv. Auf dem Pressefreiheitsindex gegenseitigen Beistand. Das Bündnis verstand und ver- von Reporter ohne Grenzen nimmt das Land den un- steht sich auch als Wertegemeinschaft der freien demo- rühmlichen Rang 106 von 180 ein. Im letzten Jahr gab es kratischen Staaten. Die NATO ist als Werte- und Vertei- 19 Übergriffe auf Journalisten. Auch der Mord an Dusko digungsgemeinschaft so attraktiv, dass sich mittlerweile Jovanovic, dem Eigentümer der größten regimekritischen 14 weitere Staaten souverän und aus freien Stücken dem Zeitung, im Jahr 2004 ist bis heute nicht aufgeklärt. Es Bündnis angeschlossen haben. kann nicht sein, dass wir von der Idee ausgehen: Was im (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Gegen Bündnis passiert, bleibt im Bündnis. – Im Gegenteil: Wir den Volkswillen!) müssen Missstände klar und deutlich ansprechen und Montenegro dabei unterstützen, Korruption zu bekämp- So war es auch bei den zwölf Staaten aus Osteuropa. fen und die Rechtsstaatlichkeit im Land zu verbessern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und Sie alle haben ihre Freiheit der Bündniswahl in Anspruch der SPD) genommen. Das tut nun auch Montenegro, das im Mai dieses Jahres das NATO-Beitrittsprotokoll unterzeichnet Lassen Sie mich zum Schluss noch drei Bemerkungen hat. machen: Warum nimmt die NATO Montenegro auf? Militä- risch hat das kleine Land mit etwa 620 000 Einwohnern (B) Erstens. Wenn es Russland ernsthaft an einer ver- (D) nur überschaubare Fähigkeiten und Ressourcen. Die Ar- nünftigen Sicherheitspartnerschaft in Europa gelegen mee, bestehend aus Heer, Marine und Luftwaffe, umfasst ist, dann sollte Herr Putin hier keinen Pappkameraden etwa 2 000 Soldaten, verfügt über 16 Transportpanzer, aufstellen. Sein Land ist durch diesen Beitritt in keiner 15 Mehrzweckhubschrauber und 5 Patrouillenboote. Weise bedroht. Der Verteidigungsetat beträgt 42 Millionen Euro. Auch kämpft Montenegro mit wirtschaftlichen Problemen, mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Korruption und organisierter Kriminalität. Allerdings ist sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und das Land ein wichtiger Stabilitätsfaktor in der Region. der SPD) Montenegro bekräftigt mit dem NATO-Beitritt, dass es zur Gemeinschaft der rechtsstaatlichen und pluralisti- Zweitens muss man sagen: Dieser Beitritt ist kein Prä- schen Demokratien des Westens gehört. judiz für die Länder Georgien und die Ukraine. Deren Beitritt steht kurz- und mittelfristig nicht auf der Agenda. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Gott, Man kann aus dem Beitritt Montenegros nichts ableiten. was für eine Selbstglorifizierung! Widerlich!) Drittens – das ist der letzte Punkt, liebe Kolleginnen Dieser Kurs wurde durch die Parlamentswahl in Mon- und Kollegen –: Das alles befreit die NATO nicht aus tenegro im Oktober dieses Jahres bestätigt. Die Demo- der Verantwortung, wenn sie von Abschreckung und Di- kratische Partei der Sozialisten des prowestlichen Regie- alog spricht, den Dialog ernst zu nehmen. Wir müssen rungschefs Milo Djukanovic hat mit 41 Prozent zwar die weitere Anstrengungen zeigen, was beispielsweise den absolute Mehrheit verfehlt, ist aber als eindeutiger Sieger NATO-Russland-Rat und Instrumente der Rüstungskon- aus der Wahl hervorgegangen. trolle anbetrifft. Da ist die NATO meiner Meinung nach (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Seit in der Bringschuld, jede Mühe an den Tag zu legen, um 25 Jahren!) Russland zu Gesprächen darüber zu zwingen. Die größte Oppositionspartei, die prorussische Demokra- Herzlichen Dank. tische Front, kam auf lediglich 20 Prozent. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gerade angesichts der langwierigen Annäherung des NEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Westbalkans an die EU ist die Aufnahme Montenegros in Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das war die NATO ein wichtiges politisches Signal. Wir machen eine Hoffnungsrede!) damit deutlich: „Wer sich zu unseren Werten bekennt, 20742 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Julia Obermeier (A) kann Teil der Gemeinschaft werden“ und „Der Westbal- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (C) kan gehört zur euro-atlantischen Gemeinschaft“. desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 19. Mai 2016 zum Nordatlantik- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. vertrag über den Beitritt Montenegros. Der Auswärtige Josip Juratovic [SPD] – Dr. Alexander S. Neu Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf [DIE LINKE]: Das ist aber traurig! Idealismus Drucksache 18/10332, den Gesetzentwurf der Bundesre- pur!) gierung auf Drucksache 18/9989 anzunehmen. Ich weise Dieses Signal schwächt zugleich auch ein Stück weit den darauf hin, dass es sich hier um ein Vertragsgesetz han- langen Arm Putins, der sich mehr und mehr nach den ver- delt. Deshalb gibt es nur eine zweite Lesung, also keine meintlichen Bruderstaaten des Westbalkans auszustre- dritte. cken versucht. Insgesamt bedroht die aggressive Politik Zweite Beratung Russlands durchaus die europäische Friedensordnung. Die dramatischen Entwicklungen im Nahen Osten und und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem in Nordafrika zeigen die massiven sicherheitspolitischen Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer Veränderungen. Die Bedrohungen haben insgesamt zu- stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht genommen. der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Meine Damen und Herren, gerade in diesen Zeiten gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen ist die Stärke der NATO gefordert – nach außen, aber worden. auch nach innen. Die NATO ist, wie ich eingangs sag- te, auch eine Wertegemeinschaft. Die Grundlagen für die Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: NATO-Mitgliedschaft sind der Respekt vor der Verfas- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- sung, dem Rechtsstaat und den Grundfreiheiten. Wir als gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Parlamentarier des Deutschen Bundestages werden nicht Änderung des Gentechnikgesetzes müde, daran immer wieder zu erinnern, auch aktuell ge- genüber der Türkei, wie wir dies vor zwei Wochen auf Drucksache 18/10459 der NATO-Tagung in Istanbul deutlich getan haben. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Neu [DIE LINKE]: War beeindruckend! Sehr Ausschuss für Gesundheit beeindruckend!) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit – Sie waren ja nicht dabei. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- (B) schätzung (D) Kommende Woche tagt das NATO-Parlament in Wa- shington. Aber unabhängig vom Ausgang der Präsident- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für schaftswahlen in den USA müssen wir uns in Europa die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu unserer internationalen Verantwortung stellen und bereit Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so sein, mehr Lasten zu übernehmen. Wir müssen hier nicht beschlossen. nur mehr Geld investieren, sondern unsere Mittel auch Wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze einge- wirksamer einsetzen, als wir das bisher getan haben. nommen haben, beginnen wir mit der Aussprache. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspoli- Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der tik steht keinesfalls im Widerspruch, sondern in Ergän- Bundesminister Christian Schmidt für die Bundesregie- zung zur NATO. Angesichts der vielen internationalen rung das Wort. Krisen und Konflikte brauchen wir ein starkes Europa (Beifall bei der CDU/CSU) und eine starke NATO.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung Josip Juratovic [SPD]) und Landwirtschaft: Mit Montenegro erhält die NATO ihr 29. Mitglied. Dass Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- die NATO wächst und ihre Tür offenbleibt, stärkt die nen und Kollegen! Die große Mehrheit der Bürgerinnen NATO und stärkt auch die Werte, auf denen die NATO und Bürger in unserem Land lehnt den Anbau gentech- aufbaut. Das fördert Friede, Freiheit und Sicherheit in nisch veränderter Pflanzen ab. Deshalb haben wir in un- unserer Welt. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung sere Koalitionsvereinbarung geschrieben – ich zitiere –: zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. Wir erkennen die Vorbehalte des Großteils der Be- Vielen Dank. völkerung gegenüber der grünen Gentechnik an. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Die Konsequenz, die ich als Bundeslandwirtschafts- ordneten der SPD) minister aus dem Auftrag der Koalitionsvereinbarung ziehe, lautet: Ich will und werde den kommerziellen An- bau Grüner Gentechnik auf unseren Äckern rechtsstaat- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: lich organisiert und rechtsstaatlich strukturiert unterbin- Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich den; ich will keinen kommerziellen Anbau. Schon heute die Aussprache. bauen deutsche Landwirte keine gentechnisch veränder- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20743

Bundesminister Christian Schmidt (A) ten Pflanzen an, und das ist nach meiner Kenntnis auch Verbot im Einklang mit dem EU-Recht und dem WTO- (C) nicht geplant. Ich will, dass das so bleibt. – Dazu nutze Recht, und zwar begründet, verhältnismäßig und nicht ich die Verbotsmöglichkeiten, die uns nunmehr die so- diskriminierend, also so, wie Gesetze bei uns gemacht genannte Opt-out-Regelung auf europäischer Ebene er- werden müssen. Von dieser vorgegebenen Entscheidung öffnet. Insofern freue ich mich, heute den Entwurf eines für ein Handeln des Bundes kann nur in Ausnahmefällen Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes in die abgewichen werden. Mit den sogenannten Sollvorschrif- Beratungen des Hohen Hauses einzubringen. Denn nur ten geht der Entwurf sogar noch über die Eckpunkte der damit können wir den Anbau von gentechnisch veränder- Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die ich angeregt hatte und ten Pflanzen in Deutschland rechtssicher und flächende- die getagt hat, hinaus, die auch eine Kannregelung zuge- ckend untersagen – jenseits der Frage, wie der Einzelne lassen hätte. Doch das wichtigste Argument für den hier zu diesen Vorstellungen steht. vorgelegten Entwurf ist: Wir schaffen dadurch Rechts- sicherheit, dass wir die Verbotsgründe sorgfältig zusam- Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines voran: Es mentragen und nicht darauf warten, dass ein Gericht uns handelt sich um schwierige Rechtsfragen, weil wir bei das Verbot aus den Händen schlägt. dieser Problematik auf verschiedenen Ebenen, die inei- nander verknüpft sind, arbeiten, handeln und entscheiden Noch ein Wort zu einem aktuellen Thema, den Mais- müssen. Aber wenn wir Rechtssicherheit haben wollen, sorten, weil ich spüre, dass die eine oder andere Diskus- dann müssen wir eine nationale Regelung treffen, die sion kommt, die nicht immer von vertiefter Sachkenntnis vor Gericht auch standhält. Genau deshalb müssen Bund geprägt ist, wie ich aufgrund meiner Erfahrungen leider und Länder beim Anbauverbot für Grüne Gentechnik vermuten muss. Sie werden ab und zu sicherlich eben- gemeinsam Verantwortung tragen. Wir nehmen unsere falls Anfragen zu den drei bekannten Maislinien 1507, Verantwortung für den Bund auch wahr, weil wir den Bt 11 und MON 810, die in diesem Haus sehr gut be- Ländern helfen wollen, die bei Fehlen einer Bundesre- kannt sind, bekommen. Wie Sie wissen, hat gelung das Anbauverbot alleine umsetzen müssten; die den Anbau der Maissorte MON 810 gestoppt. Wenn es rechtsstaatliche Möglichkeit dazu haben sie. Dieses Prin- um rechtssichere Anbauverbote geht, sind wir sehr auf- zip der gemeinsamen politischen Verantwortung ist das merksam. Deswegen habe ich in der ersten Phase der zentrale Element des Gesetzentwurfs, und es ist auch die Opt-out-Regelung erreicht, dass zu den bereits gestopp- gemeinsame Linie der Länder und sogar der Umweltmi- ten Sorten kein erneuter Antrag gestellt werden kann. nister- und Agrarministerkonferenz. Das heißt, aktuell besteht – Gott sei Dank – keine Not- Wie genau sieht das Bund-Länder-Zusammenspiel wendigkeit, sozusagen ein Krisengentechnikverbot zu nach meinem Gesetzentwurf aus? Grundsätzlich soll erlassen. Wir haben nämlich Vorsorge getroffen, sodass der Bund die Anbauverbote flächendeckend für ganz heutzutage faktisch kein gentechnisch veränderter Mais (B) (D) Deutschland verhängen. Die zwingenden Gründe, die angebaut werden kann. hierfür nach europäischer Verordnung angeführt werden (Beifall bei der CDU/CSU) müssen, werden von Bund und Ländern gemeinsam zu- sammengetragen, weil sie regional unterschiedlich be- Weil ein weiterer Punkt immer wieder von Kritikern wertet und gewichtet werden können. Wir haben kein vorgetragen wird, möchte ich auch dazu Stellung neh- einheitliches Land, was die Ökologie und die Topografie men. Es geht um den Anbau von genveränderten Or- betrifft. ganismen zu Forschungszwecken. Wir haben den For- schungsanbau von der auf den kommerziellen Anbau (Karin Binder [DIE LINKE]: Und woran liegt ausgerichteten Opt-out-Regelung ausgenommen. das?) – Ja, so ist es. Flach ist es mehr bei euch im Norden, wäh- (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Genau!) rend es bei anderen eher bergig ist. Diese Unterschiede Das ist aber kein Einfallstor für die Gentechnik, sondern bedingen auch andere Arten. gerade das Gegenteil; denn der Forschungsanbau ist zen- (Beifall des Abg. Ingo Gädechens [CDU/ tral, um uns die Kompetenz für eine eigene Bewertung CSU]) von Chancen und Risiken gentechnisch veränderter Or- ganismen in Deutschland zu erhalten. Vor zwei Jahren, Wenn man Ökologiepolitik betreiben will, muss man sich als in Brüssel noch über die Opt-out-Richtlinie verhan- schon die Mühe machen, auf die Details zu schauen, und delt wurde, hat der Deutsche Bundestag in einem An- darf keinen großen Überflug machen. trag die Bundesregierung aufgefordert – ich zitiere mit (Beifall bei der CDU/CSU) Genehmigung der Präsidentin –, „Möglichkeiten zum nationalen Ausstieg aus dem GVO-Anbau rechtssicher Ich freue mich – darin bin ich mir auch sicher –, dass die zu verankern“. Dieser sehr berechtigten und fundierten Länder gerne mithelfen. Die Länder müssen im eigenen Forderung des Parlaments kommen wir mit diesem Ge- Interesse eine gemeinsame Regelung erarbeiten. setzentwurf nach. Das Ergebnis liegt Ihnen vor. Wir müs- sen den Begriff der Rechtssicherheit im Blick behalten. Das Gesetz gibt dem Bund in allen Verfahrensstufen Deklamation ist das eine, Dauerhaftigkeit das andere. eine klare Richtung vor. Sofern alle gesetzlichen Vo- Dauerhaftigkeit muss hier Vorrang haben. raussetzungen erfüllt sind, soll der Bund tätig werden, wenn sich die Länder mehrheitlich dafür aussprechen. Herzlichen Dank. Die Voraussetzungen sind unter anderem zwingende Verbotsgründe für das gesamte Bundesgebiet sowie ein (Beifall bei der CDU/CSU) 20744 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Arbeitsbeschaffungsprogramm, nicht nur für die Land- (C) Als nächste Rednerin hat Karin Binder für die Frakti- wirtschafts- und Umweltministerinnen und -minister der on Die Linke das Wort. Länder. (Beifall bei der LINKEN) Die Folgen sind gravierend: Deutschland wird zu ei- nem Gentech-Flickenteppich. Einzelne Bundesländer Karin Binder (DIE LINKE): erlassen ein Anbauverbot, andere möglicherweise nicht. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Das Problem ist: Wind und Bienen interessiert das nicht. Kolleginnen und Kollegen! Worüber reden wir heute? Sie tragen die manipulierten Pollen trotzdem über die Wir reden über ein gefährliches Bürokratiemonster. Mit Ländergrenzen hinweg. Ein gentechnikfreier Anbau wird einem Eingriff in die DNA der Verwaltung von Bund und damit unmöglich. Eine saubere Ernte ist nicht mehr ge- Ländern schafft Minister Schmidt dieses Monstrum, das währleistet. Der ökologische Landbau, bei dem Gentech- er dann das Vierte Gesetz zur Änderung des Gentechnik- nik ausgeschlossen bzw. verboten ist, kann nicht mehr gesetzes nennt. Nach meinem Dafürhalten versucht er, für saubere Erzeugnisse garantieren. Die Kennzeichnung mit allen Mitteln Gentechnik in der deutschen Landwirt- „Ohne Gentechnik“ ist damit für die Katz’. Hier wird schaft durchzusetzen. Verbraucherinnen und Verbrauchern der Genuss von Gentechnik über bürokratische Winkelzüge aufgezwun- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- gen. Das macht die Linke nicht mit, Herr Schmidt. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Damit stellt er sich gegen den ausdrücklichen Wunsch der Bundesländer, die ein Anbauverbot von Gentech- Herr Minister, wenn Sie die Grüne Gentechnik unbe- nik mit einer einfachen, unbürokratischen Regelung dingt haben wollen, dann sagen Sie es auch. Sagen Sie es flächendeckend bundesweit haben wollten. Herr Minis- vor allem Ihren Bauern in Bayern. Ich kenne kein Bun- ter Schmidt stellt sich gegen die Verbraucherinnen und desland, in dem es schon seit vielen Jahren so viele gen- Verbraucher. Eine überwiegende Mehrheit der Menschen technikfreie Regionen gibt wie im schönen Bayern. lehnt, wie Sie es gesagt haben, Gentechnik auf dem Feld, im Stall und auf ihrem Teller ab. (Christian Schmidt, Bundesminister: Es gibt (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nur gentechnikfreie Regionen! Sagen Sie die neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wahrheit!) Er sieht sich offensichtlich in einer Zwickmühle. Der Aus gutem Grund: Die Menschen wissen um die Gefah- (B) Gesetzentwurf soll eine EU-Richtlinie umsetzen und re- ren, die mit solchen Eingriffen in die Natur verbunden (D) geln, wie Deutschland als EU-Mitgliedstaat den Anbau sind. von genmanipulierten Pflanzen einschränken oder - ver bieten kann. Da das Bundeslandwirtschaftsministerium Nur zur Erinnerung: Gentechnik in der Landwirtschaft die Umsetzung von EU-Recht nicht verweigern und ver- schafft Probleme; sie löst sie nicht. Gentechnik lohnt sich hindern kann, hat man sich folgende absurde Regelungen nur auf großen Anbauflächen. Monokulturen werden ge- ausgedacht: fördert. Das führt erfahrungsgemäß zu einem höheren Einsatz von Pestiziden. Das krebsverdächtige Glyphosat Erstens. Sechs Bundesministerien müssen in kürzester gefährdet nicht nur Mensch und Umwelt; auch die Viel- Zeit nach dem Antrag eines Saatgutkonzerns im Einver- falt von Insekten und Kleinstlebewesen geht zurück. We- nehmen entscheiden, ob der Anbau einer Genpflanze in nige gentechnisch hochgezüchtete Pflanzen verdrängen Deutschland zugelassen werden soll. viele alte robuste Sorten. Dadurch wird die Vielfalt der Zweitens. In derselben Zeit soll die Mehrheit der Bun- Nutzpflanzen reduziert. Das gefährdet auch langfristig desländer zwingende Gründe benennen, um ein Anbau- die Ernährungs- und Versorgungssicherheit der Bevölke- verbot durchzusetzen. rung.

Drittens. Alle Beteiligten müssen sich innerhalb von Nach wie vor sind die Risiken der Grünen Gentechnik knapp sechs Wochen einigen – wie das gehen soll, ist mir nicht abschließend und ausreichend erforscht. Letztend- absolut unklar –: lich geraten Bauern durch diese patentierten Genpflanzen (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. in die Abhängigkeit von Agrarkonzernen, die mit Kne- Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) belverträgen die Existenzen kleinbäuerlicher Landwirte gefährden. Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von das Bundesministerium für Ernährung und Landwirt- der SPD, so etwas mitmachen, ist für mich nicht nach- schaft im Einvernehmen mit Bildung und Forschung, mit vollziehbar. Wir fordern deshalb, dass die einfache Mehr- Wirtschaft und Energie, mit Arbeit und Soziales, mit Ge- heit der Bundesländer für ein deutschlandweites Anbau- sundheit und letztendlich auch mit Umwelt, Naturschutz verbot gentechnisch manipulierter Pflanzen ausreicht. und Bauen. Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Wenn in Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! dieser Zeit keine Einigung erzielt wird – was man mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen kann –, müsste je- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. des der 16 Bundesländer selbst ein Anbauverbot erlas- sen. Das alles gilt für jeden einzelnen Antrag und für jede (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- neue Gentech-Pflanze der Konzerne. Das ist ein absurdes NIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20745

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Das ist einfach Unfug. Wer so argumentiert und gleich- (C) Elvira Drobinski-Weiß hat als nächste Rednerin für zeitig immens hohe Hürden für Anbauverbote ins Gesetz die SPD-Fraktion das Wort. schreibt, ist offenbar gar nicht wirklich bemüht, für gen- technikfreie Äcker zu sorgen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol- Wenn in der Kabinettssitzung dem Vorsorgeprinzip legen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! dann noch mal eben ein Innovationsprinzip in der Geset- Vor etwas mehr als einem Monat habe ich hier das letzte zesbegründung an die Seite gestellt wird, etwas, was sich Mal zum Thema Gentechnik gesprochen. Damals habe unter anderem die großen Chemie- und Saatgutkonzerne ich gesagt: Wir werden den Gesetzentwurf genau prü- ausgedacht haben, dann frage ich mich schon, wohin das fen. – Inzwischen haben wir genau geprüft. Eines kann Landwirtschaftsministerium bzw. das Forschungsminis- ich ganz sicher sagen: So wie das Gesetz jetzt aussieht, terium eigentlich will. wird es mit uns nicht durchgehen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ NEN]: Wo es seine Texte herbekommt!) DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Geht es hin zu einer Aufweichung des Vorsorgeprinzips? Das kann wohl nicht allen Ernstes das Ziel sein. Wir – das gilt bestimmt auch für den Minister und den Koalitionspartner – wollen ein rechtssicheres bundeswei- Für die SPD gilt: Der Schutz der Umwelt, der Ökosys- tes Verbot von Gentechnik auf den Weg bringen. teme und der Gesundheit der Menschen und Tiere hat oberste Priorität. Sie, Herr Minister, haben selbst immer (Beifall bei der SPD) betont, Phase 1 solle der Regelfall sein; denn sie bietet Was wir nicht wollen, ist ein Flickenteppich, in dem eini- hohe Rechtssicherheit. Ich sehe es deshalb als unsere ge Bundesländer Anbauverbote erlassen und andere eben Pflicht an, Phase 1 so praktikabel zu machen, dass sie nicht, sei es aus politischen Gründen, weil der Prozess überhaupt angewendet werden kann. Wir brauchen eine zu kompliziert ist, sei es, weil die Behörden mit Klagen schlanke, eine unbürokratische, eine klare und eine von Gentechnikkonzernen überzogen werden, denen sie schnell umsetzbare Regelung. nicht standhalten können; denn Pollen machen schließ- (Beifall bei der SPD) lich nicht an der Landesgrenze halt. (B) Das zweite große Problem in diesem Entwurf ist die (D) Herr Minister Schmidt, Sie haben immer wieder und Aufgabenverteilung bei der Formulierung der Begrün- auch gerade zu Beginn Ihrer Rede betont, dass Sie das dungen für die Anbauverbote. Die Länder sagen ganz Gesetz für die Länder und mit den Ländern machen wol- klar, dass sie damit überfordert sind. Ja, kein Wunder, in len. Gegen diesen Entwurf aber laufen die Länder Sturm. den Landesministerien ist in der Regel ein einziger Refe- Sie werden die zahllosen Änderungsanträge aus dem rent dafür zuständig, der meist auch noch andere Aufga- Bundesrat wohl kennen. Ein Gesetz, das so sehr auf die ben hat. Der soll dann im Zweifelsfall gegen Monsanto Mitwirkung der Länder baut, muss deren Bedenken be- oder Bayer antreten und darlegen, warum die Begrün- rücksichtigen. dung nicht wasserdicht ist. Das Bundesministerium und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Bundesbehörden haben einen großen Personalstab DIE GRÜNEN) und ganz andere Ressourcen. Deshalb muss im Gesetzes- text unmissverständlich klargestellt werden: Die Länder Bedenken Nummer eins: In Phase 1, in der das BMEL müssen nur die wesentlichen Punkte ihrer Entscheidung die Saatgutkonzerne bitten soll, Deutschland von An- zuliefern, und in Phase 2, dem gesetzlichen Verbotsver- bauanträgen auszunehmen, müssen sechs Ministerien fahren, trägt der Bund die Verantwortung für die Begrün- ein Einvernehmen herstellen. Das ist kompliziert, das dung. Die Länder werden vom Bund unterstützt. Das, ist zeitaufwendig und störanfällig. Keines der Bundes- denke ich, ist doch in unser aller Interesse, wenn wir länder, egal in welcher Regierungskoalition, will diese tatsächlich gentechnikfreie Äcker in Deutschland haben Regelung. Das Landwirtschafts- und das Umweltminis- wollen. terium daran zu beteiligen, das reicht völlig. Ich hoffe sehr, dass wir gemeinsam noch zu einer gu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ten Lösung kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen DIE GRÜNEN) von der CDU/CSU. Ich möchte an das erinnern, was im Warum um Himmels willen soll zum Beispiel das Koalitionsvertrag steht – auch der Minister hat vorhin da- Forschungsministerium eingebunden werden? Die For- ran erinnert –: Wir nehmen die Bedenken der Menschen schung ist doch vom Verbot überhaupt nicht betroffen. gegenüber der Grünen Gentechnik ernst. Im Gegenteil: Sie ist ausdrücklich ausgenommen. Ich (Beifall bei der SPD) finde es reichlich befremdlich, wenn so getan wird, als bedeute ein Verbot des kommerziellen Anbaus für gen- Wenn wir es wirklich ernst meinen, müssen wir jetzt technisch verändertes Saatgut auf freiem Feld, das die auch liefern. Dazu braucht es noch ein paar Änderungen, Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land über die wir sicher konstruktiv sprechen werden. Wie hat will, das Ende des Forschungsstandorts Deutschland. es unser Kollege Peter Struck früher so treffend formu- 20746 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Elvira Drobinski-Weiß (A) liert: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es ein- Aber auch ohne diesen Coup ist Ihr Gesetz schlicht (C) gebracht worden ist. untauglich. Ein derart vorsätzlich dysfunktionales Gesetz ist eine Zumutung für jeden Gesetzgeber. Sie haben die In diesem Sinne: Vielen Dank. Eckpunkte aus den Verhandlungen mit den Ländern eben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht berücksichtigt. Das hat auch der Ausschuss für des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Agrarpolitik und Verbraucherschutz des Bundesrates am Montag eindrucksvoll klargestellt. Sie haben Schikanen ins Gesetz eingebaut, die Anbauverbote effektiv verhin- Vizepräsidentin : dern, und stattdessen die Einfallstore für Gentechnik weit Das Wort hat der Kollege Harald Ebner für die Frakti- geöffnet. Sage und schreibe sechs Bundesministerien on Bündnis 90/Die Grünen. müssen sich in kurzer Frist über Gründe für Anbauver- bote einigen, und da schaffen Sie ein explizites Vetorecht Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): für einzelne Ministerien, obwohl ein Handeln der Bun- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und desregierung reichen würde. Wie soll das denn klappen, Kollegen! Herr Minister Schmidt, das Loblied, das Sie wenn man sich schon über Einzelregelungen für dieses gerade auf Ihr Gesetz gesungen haben, hat sich schön an- Gesetz über ein Jahr nicht einigen kann? gehört. Es freut uns auch, dass Sie sich heute so freuen – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aber es gibt dazu leider keinen Anlass. Denn gut findet sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) dieses Gesetz außer Ihnen wirklich niemand – Außerdem wollen Sie den Bundesländern die ganze (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Last der juristischen Begründung aufbürden. In Phase 1, wo das nach EU-Recht überhaupt nicht erforderlich ist, wir nicht – das wundert Sie nicht –, auch die SPD angeb- satteln Sie ohne Not auf EU-Recht drauf und erschwe- lich nicht – wo war eigentlich Ministerin Hendricks beim ren das Verfahren. Aber zum Ausstieg aus dem Ausstieg Kabinettsbeschluss? –, die Bundesländer genauso wenig reicht schon ein einzelnes Bundesland, und schwups wie die Umwelt- und Bioverbände und sogar der Deut- wird ein bestehendes nationales Anbauverbot wieder sche Bauernverband nicht. Niemand hält dieses Gesetz aufgehoben. Dieses Verbot wurde zunächst mühsam auf also für gelungen, Herr Minister. den Weg gebracht, einer schert aus, und ein Land kippt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das ganze Verbot. Das ist kein Anbauverbot. Das ist doch ein Pseudogesetz. Das stimmt allerdings nicht ganz; denn die Indus- trie freut sich. Von der haben Sie sich ja – wir haben es Verbot geht nimmer, Anbau immer. Da hilft es auch (B) schon gehört – ganz neue Begriffe ins Gesetz diktieren nicht, dass aktuell drei Genmaissorten bereits in Pha- (D) lassen. Auf deren ausdrücklichen Wunsch wollen Sie mit se 1 vom Anbau in Deutschland ausgenommen sind. Der einem nicht definierten „Innovationsprinzip“ das Vorsor- Gentechnik-Flickenteppich ist damit vorprogrammiert. geprinzip abschießen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion Das kritisiert auch der Deutsche Bauernverband. haben Sie einen Abschnitt zur neuen Gentechnik in letz- (Christian Schmidt, Bundesminister: Hören ter Minute vor der Kabinettsabstimmung in das Gesetz Sie doch auf mit dem Quatsch!) geschmuggelt. Die Nadel, mit der das gestrickt wurde, war so heiß, dass Sie dann auch noch den falschen Text Herr Schmidt, Sie wollten doch von Anfang an nicht, an den Bundesrat übermittelt haben. Das ist ja wirklich dass es rechtssichere, flächendeckende Anbauverbote oberpeinlich. auf Bundesebene gibt. Ihr Credo ist doch ohnehin: Soll doch jeder machen, was er will! Außerhalb Bayerns die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sintflut! Was steht in dem Abschnitt, den auch die Verbände Die Anbauverbote sollen ja – das hat die SPD gerade und Ihr Koalitionspartner offenbar lieber nicht zu Ge- schon gesagt – ganz offensichtlich nicht funktionieren. sicht bekommen sollten? Sie wollen tatsächlich neue Mit den Worten „mehr Murks als Kompromiss“ oder Gentechnikverfahren nicht wie Gentechnik behandeln. „Angst vor Konzernen“ haben die Medien Ihr Gesetz Sie wollen tatsächlich neue Gentechnikpflanzen unkon- kommentiert. Diesen Murks braucht außer Bayern, Bay- trolliert auf unsere Äcker und Teller lassen. Aber auch er und Monsanto wirklich niemand. neue Gentechnik ist Gentechnik; da gibt es kein Vertun. Das haben juristische Gutachten auch im Auftrag der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesregierung schon längst klargestellt. Und wo Gen- und bei der LINKEN) technik drin ist, muss auch „Gentechnik“ draufstehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Koalitionspartner kämpft ganz offensichtlich für Gen- und bei der LINKEN) technikanbau in Deutschland. (Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämte Dass Bayer und Monsanto das nicht wollen, konnten Aussage!) wir diese Woche in einem großen taz-Interview mit Bay- er-Vorstand Condon lesen. Die wollen Gentechnik ohne Befreien Sie sich spätestens jetzt aus der großen Gentech- Regulierung und Auflagen anwenden, und Sie, Herr Mi- nik-Koalition. Besser gar kein Gesetz als dieses schlech- nister, machen das mit und schreiben es gleich dienstbe- te Gesetz. Dieses Gesetz darf – frei nach Struck – den flissen in Ihr Gesetz. Bundestag gar nicht erst verlassen. Die bessere Alterna- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20747

Harald Ebner (A) tive gibt es ja schon. Es gibt den Gesetzentwurf des Bun- – Ja, Herr Ebner, ich sehe die Gentechnik nicht als dieses (C) desrates. Den haben Sie einfach liegen lassen. Beenden gefährliche Schreckgespenst, das Sie immer an die Wand Sie doch endlich diesen Affront gegenüber den Bundes- malen und womit Sie offenbar auch Erfolg haben. – So- ländern! Lassen Sie uns zusammen diesen vernünftigen gar die SPD hat sich irreführen lassen. und im Übrigen funktionsfähigen Gesetzentwurf für dau- erhaft gentechnikfreie Äcker in Deutschland umsetzen, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und schreddern Sie Ihr verschwurbeltes Machwerk, Herr NEN]: Aber was ist mit Ihrem Minister?) Minister! Was soll das hier eigentlich? Danke schön. Frau Drobinski-Weiß, nehmen Sie es mir nicht übel, aber: Wenn Sie Ihren Verstand und Ihre Vernunft, die Sie, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN glaube ich, doch haben, genutzt hätten, dann hätten Sie und bei der LINKEN) hier heute etwas anderes vorgetragen. Wir müssen an- scheinend damit leben, dass wir diese Diskussion heute Vizepräsidentin Petra Pau: noch nicht abschließen können. Das wollte ich eigentlich Das Wort hat der Kollege de Vries für die Fraktion der vortragen. CDU/CSU. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Ja! Tun Sie das!) Wir werden wahrscheinlich noch einmal über etwas Kees de Vries (CDU/CSU): diskutieren müssen, was nach wie vor fachlich eigentlich Frau Präsidentin! Liebe Zuhörer auf den Tribünen! nicht zu begründen ist. Aber wir haben der Opt-out-Re- Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Ich gelung zusammen zugestimmt. Lassen Sie mich das auch habe hier einen wunderbaren Vortrag liegen, den ich jetzt klar sagen: Wir haben das hier beschlossen, und zwar in die Tonne kloppen kann. Ich habe mich einfach geirrt. nicht aus fachlichen Gründen. Wir haben nur gesagt: Ich habe gedacht, dass man, wenn eine Koalition einen Wenn 88 Prozent unserer Bevölkerung dagegen ist, dann Gesetzentwurf beschlossen hat, darauf vertrauen kann. müssen wir darauf eingehen. Das ist keine fachliche Be- Offenbar ist das nicht der Fall. gründung. Jetzt sind wir in der Verlegenheit, einen Be- schluss, den wir nicht fachlich begründen können, (Widerspruch bei der SPD – Elvira Drobinski- Weiß [SPD]: Wir sind das Parlament!) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie vielleicht nicht, wir schon!) – Natürlich sind wir das Parlament. Aber ich kann doch (B) (D) davon ausgehen, dass auch die SPD in Abstimmung mit fachlich begründen zu müssen. Da kommt es. Da hat ihrem Minister ist. Aber anscheinend ist das nicht der unser Minister einen sehr vernünftigen Kompromiss Fall. gefunden. Er sagt: Okay, wir übernehmen jetzt die Ver- antwortung. Aber ich sehe das Problem, dass wir die (Zuruf von der SPD: Das ist ja nicht unser Begründung nicht liefern können. Liebe Länder – ich Minister! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE wiederhole: 88 Prozent der Bevölkerung sind dagegen –, GRÜNEN]: Sie können ja gleich die Koali- wir müssen das aber territorial begründen. Also gebe ich tion aufkündigen! – Renate Künast [BÜND- Ihnen die Chance, das noch zu machen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es spricht der Parla- mentsvertreter der chemischen Industrie!) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die beschweren sich!) Frau Binder hat gefragt, worüber wir hier eigentlich reden. Ich will mal versuchen, klarzustellen, worüber wir Herr Ebner, Sie sagen: Affront gegen die Länder. hier eigentlich reden. Wir reden hier über ein Verbot, das Gleichzeitig sagen Sie: Wir bekommen die Einheitlich- fachlich eigentlich nicht zu begründen ist. Ich hätte das keit in den Ländern nicht hin. – Was ist denn eigentlich hier in einem anderen Zusammenhang nennen wollen, mit den Ländern? Sind die nun für oder gegen Gentech- aber auch Sie alle haben diesen Prospekt bekommen. Da nik? steht: „Eine Blockade der Gentechnik ist ein Verbrechen Wenn 88 Prozent gegen Gentechnik sind, wo liegt gegen die Menschlichkeit.“ dann das Problem mit dieser Gesetzgebung? Ich verstehe (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ das nicht. Wenn das einmal kippt – das ist wahrscheinlich DIE GRÜNEN): Oh!) das, wovor Sie Angst haben, nämlich dass die Menschen irgendwann einmal zur Vernunft kommen und anders Unterschrieben, meine sehr verehrten Damen und Her- nachzudenken anfangen –, dann wäre es angebracht, ren, ist das inzwischen von mehr als 140 Nobelpreisträ- noch einmal neu zu diskutieren. gern. Darin gipfelt diese Problematik jetzt. Zum Glück ( [SPD]: Nichts gegen mei- gibt es in Europa noch vernünftige Leute. Das, was wir ne Berlinerinnen und Berliner!) eigentlich wollten, nämlich ein Totalverbot in Europa, ist nicht zu handhaben. Da haben wir es. Wo liegt das Problem? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Also Sie wollen die Gentechnik ha- NEN]: Einer reicht! – Renate Künast [BÜND- ben?) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie 20748 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Kees de Vries (A) dann keinen großflächigen Versuchsanbau in Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Sachsen-Anhalt?) Das Wort hat der Kollege Matthias Miersch für die Ich habe Ihnen immer wieder gesagt: Ich bin nicht für SPD-Fraktion. die Herbizidresistenz. Ich sehe zurzeit kein GVO-Pro- (Beifall bei der SPD) dukt, das ich als Landwirt anbauen will. Aber ich sage auch: Diese Grüne Gentechnik bietet uns Chancen. Irgendwo in meinem Vortrag sage ich auch immer: Dr. Matthias Miersch (SPD): Deutschland war immer führend. Über Jahrhunderte war Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland bei der Entwicklung moderner Landwirt- Das ist doch wieder eine Sternstunde der Demokratie. schaft führend. Die Zuschauerinnen und Zuschauer können sehen, wie (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unterschiedlich die Meinungen sind. Nur, Herr De Vries, NEN]: Alles altmodische Landwirtschaft aus für Ihre vielen Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU dem letzten Jahrhundert!) will ich in Anspruch nehmen: Es sind ganz wenige, die über Grüne Gentechnik so denken wie Sie. Viele, glaube Dazu haben unter anderem Gregor Mendel und Justus ich, die in diesem Raum sitzen, haben genau die gleiche von Liebig wesentlich beigetragen. Jetzt wollen Sie diese Kritik, die wir hier auf dem linken Spektrum geäußert Position, diese Ausnahmeposition Deutschlands einfach haben. hinwegfegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE NEN]: Technologiegläubig!) GRÜNEN) Ich habe gedacht, dass wir diese eigentlich schon Ganz viele in diesem Haus haben ein großes Selbst- überholte Diskussion hier nicht mehr führen. Die kon- bewusstsein und sagen: Wenn die Regierung einen Ge- ventionelle Grüne Gentechnik – so nenne ich sie jetzt setzentwurf vorlegt, dann fängt die Arbeit des Parlaments einmal – ist eigentlich schon vorbei. Wir reden eigent- erst an. Wir sind hier doch nicht ein Abnickverein, son- lich schon über die neue Gentechnik und über die neuen dern wir beschäftigen uns mit Gesetzen; das ist unsere Züchtungstechniken. Aufgabe. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ NEN]: Genau! Da haben Sie ja was ins Gesetz DIE GRÜNEN) – Harald Ebner [BÜND- geschmuggelt!) (B) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre doch mal (D) – Genau. CRISPR/Cas9, ohne Artensprung, Herr Ebner! schön!) Aber auch das wollen Sie schon verbieten. Ich verstehe die Welt hier nicht mehr. Um Ihnen noch ein bisschen Orientierungsmöglich- keit zu geben – Sie haben von Spickzetteln gesprochen –: (Mechthild Rawert [SPD]: Das passiert Einen Spickzettel sollten Sie sich immer vornehmen, und manchmal!) zwar ganz am Anfang einer Legislaturperiode, und das ist der Koalitionsvertrag. Wir leben immer noch in einer Demokratie. ( [CDU/CSU]: Genau!) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist gut so, und das soll auch so In diesem Koalitionsvertrag steht eindeutig, dass wir die bleiben!) Sorgen und Ängste ernst nehmen. Insofern passt Ihre Rede überhaupt nicht zu dem, was wir am Anfang dieser Wenn es dann notwendig ist, dass wir noch einmal dis- Legislaturperiode miteinander vereinbart haben, Herr De kutieren, dann soll es eben so sein. Meine Aussage ist: Vries. Das von unserem Minister vorgelegte Gesetz ist ausge- wogen und sicher. Es ist das Resultat eines demokrati- (Beifall bei der SPD) schen Prozesses, wie er zu führen ist, wenn in diesem Hohen Hause unterschiedliche Meinungen herrschen. Nun zu dem Gesetzentwurf. Elvira Drobinski-Weiß Ich dachte: Wir haben einen Beschluss. – Ich stehe zu hat das Notwendige in Sachen Durchsetzungsfähigkeit diesem Beschluss. bereits gesagt. Herr Schmidt, als Kollege von Ihnen, als Jurist, sage ich Ihnen: Ich werde immer ein biss- (Dagmar Ziegler [SPD]: Es ist ein Entwurf!) chen misstrauisch, wenn das Argument kommt: Es muss Ich bitte hier immer noch um Zustimmung zu diesem Be- rechtssicher sein. schluss. Alles andere muss ich jetzt abwarten. (Christian Schmidt, Bundesminister: Ach so?) Vielen Dank. Rechtssicherheit würde ich mir in der Form wünschen, (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner dass Sie zum Beispiel da, wo Sie feststellen können, dass [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müs- die Bundesrepublik Deutschland gegen Gesetze verstößt, sen wir fast auch noch applaudieren! Das war aus Ihrem Hause heraus ganz schnell Abhilfe schaffen. so schön klar pro Gentechnik!) Warum machen wir nichts gegen das Vertragsverlet- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20749

Dr. Matthias Miersch (A) zungsverfahren, bei dem es um die Nitratbelastung des raum des Gesetzgebers, operiert. Wie kommt es nun zu (C) Grundwassers geht? dem „Innovationsprinzip“? (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE NEN]: Das wüssten wir auch gerne!) GRÜNEN]) Elvira Drobinski-Weiß und ich haben den Wissen- Wenn man dem Recht anhängt, müsste man als Minister schaftlichen Diensten einen Auftrag gegeben. Das Ergeb- doch ganz schnell tätig werden, oder nicht? nis ist sehr spannend zu lesen. Insofern glaube ich: Wir müssen schon ein bisschen (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mumm haben miteinander; denn hier – da haben Sie NEN]: Ich habe die Quelle! VCI!) vollkommen recht – betreten wir teilweise juristisches Neuland. Aber warum, Herr Minister Schmidt, machen Es fängt offenkundig mit einem Brief der Wirtschaft vom Sie sich so klein? Es fehlt irgendwie nur noch, dass Sie 24. Oktober 2013 an die EU-Institution an, wo man sagt, auch die Verteidigungsministerin noch fragen, wenn Sie es muss so etwas wie ein Innovationsprinzip neben das ein Anbauverbot durchsetzen wollen. Vorsorgeprinzip gestellt werden, um Innovationen wal- ten zu lassen. Da haben sie auf Granit gebissen. Dann (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben sie am 4. November 2014 einen weiteren Brief ge- NEN]: Pollen fliegen über Grenzen! Gute schrieben. Dann gibt es ein sogenanntes European Risk Idee!) Forum. Auch dort wird immer wieder lobbyiert. Bis jetzt habe ich keine gesetzliche Grundlage gefunden, die das Eine Einvernehmensregelung mit sechs Ministerien! Wa- im Rahmen der EU aufgreift. rum haben Sie nicht den Mumm und sagen: „Wir sind das federführende Ministerium. Wir wollen Landwirte (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vor Kontaminationen schützen. Deswegen machen wir NEN]: Gibt es auch nicht!) das selbst“? Wir brauchen doch kein Einvernehmen. Das deutsche Bundeslandwirtschaftsministerium macht Dann fragen Sie vielleicht auch noch den Verkehrsmi- als Erstes überhaupt – wir werden das erforschen; ich nister, weil Sie Rapspflanzen an den entsprechenden habe erst gestern das Gutachten bekommen – den Ver- Grün­flächenfeststellen können. Das kann doch kein wir- such, indem sie in diesem Gentechnikgesetz neben dem kungsvoller Vorschlag sein, Herr Minister Schmidt. verfassungsrechtlich verbrieften Vorsorgegrundsatz das (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf „Innovationsprinzip“ benennt. (B) des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE Herr Minister Schmidt, wir werden viel miteinander (D) GRÜNEN]) aufzuklären haben, was Sie damit machen. – Harald Ebner, jetzt lass mich doch erst einmal reden. (Beifall bei der SPD – Jörn Wunderlich [DIE Wenn du eine Frage hast, dann frage. LINKE]: Da ist eine Erklärung nötig!) (Heiterkeit bei der SPD) Ich sage Ihnen allerdings, die SPD-Bundestagsfraktion wird Ihnen das nicht durchgehen lassen. Der Vorsorge- Ich beantworte sie dir auch, ich brauche noch ein paar grundsatz ist für uns unverrückbar. Minuten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Heiterkeit bei der SPD) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Aber eine Sache, Herr Minister Schmidt, müssen wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner miteinander sehr genau besprechen. Der Kollege Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön! hat in der Tat recht. Es ist in einer, soweit ich recherchiert Dann klatschen wir doch auch einmal! Die habe, Nacht-und-Nebel-Aktion eine Begrifflichkeit in Opposition in der Großen Koalition!) den Begründungstext gekommen,

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Petra Pau: NEN]: Ja!) Der Kollege Stephan Albani hat für die CDU/ die lautet, dass wir neben dem Vorsorgegrundsatz plötz- CSU-Fraktion das Wort. lich das sogenannte Innovationsprinzip berücksichtigen (Beifall bei der CDU/CSU) sollen. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss ich sagen, gehen alle Alarmglocken an. Dann sehen wir uns einmal an, was das eigentlich soll. Wir haben gerade im Stephan Albani (CDU/CSU): Rahmen der Debatten um Freihandelsabkommen immer Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- wieder rauf und runter betont, wie wichtig das Vorsor- legen! Meine Damen und Herren! Ein Forschungspoliti- geprinzip der Bundesrepublik Deutschland ist. Das Bun- ker verirrt sich unter die Landwirte. desverfassungsgericht hat ein hervorragendes Urteil in Sachen Grüne Gentechnik gefällt, wo es vor allem mit (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dem Vorsorgeprinzip, also mit dem Einschätzungsspiel- NEN]: Wir ahnen schon, was kommt!) 20750 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Stephan Albani (A) – Alles gut. – Den Forschern ist zu eigen, dass sie zwar Damals gab es Ressentiments, und zwei Jahre später (C) genauso leidenschaftlich, aber in der Regel wesentlich verbot das hessische Umweltministerium den Betrieb ruhiger sind. einer ersten Versuchsanlage. Erst 1999 kam das neue Humaninsulin schließlich zum Patienten, allerdings zu- (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der nächst aus den USA. – Chance verpasst, könnte man an SPD: Oh!) dieser Stelle sagen. Ich möchte an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt im Jahr einen Vorschlag für zwei Unworte machen. Das Heute genießt das synthetische Humaninsulin breite eine ist „postantibiotisch“, und das andere ist „postfak- Akzeptanz in der Bevölkerung. Kaum ein Patient würde tisch“. es ablehnen und auf Rinder- und Schweineinsulin beste- hen. Warum? Weil es einen gewaltigen Nutzen hat: Kein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Tier muss für die Herstellung sterben, es kommt zu kei- nen Versorgungsengpässen, es ist verträglicher und bio­ Um es einmal deutlich zu machen: Wer diese Worte identisch zum natürlichen Humaninsulin. Genau darum führt, verniedlicht zwei Dinge, die uns große Angst ma- geht es: GVO-Produkte müssen einen klaren Mehrwert chen sollten. „Postantibiotisch“ bedeutet, dass wir an die- für die Endverbraucher haben. ser Stelle keine Antibiotika, keine Möglichkeiten mehr haben. Wir kapitulieren vor den Resistenzen. Das darf (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht sein. NEN]: Nein, es geht nicht um Insulin, es geht (Beifall der Abg. [CDU/ um Pflanzen!) CSU]) – Das habe ich doch gerade gesagt; hätten Sie einmal den Das heißt, an dieser Stelle müssen wir vonseiten der nächsten Satz abgewartet. Forschung in Zukunft neue Wirkstoffe entwickeln. Wir (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben mit diesem Haushalt erste Schritte in die richtige NEN]: Entweder Sie haben es gesagt oder Richtung gemacht. nicht!) Das zweite Wort macht mir viel größere Sorge. „Post- Das ist das große Defizit, das wir momentan bei faktisch“ bedeutet, dass wir uns mehr von Emotionen, GVO-Innovationen im Bereich der Landwirtschaft ha- mehr von Sorgen und Ängsten leiten lassen als von den ben. Fakten, die wir in aller Gemütsruhe bewerten. Gentechnik aus Menschenhand als Eingriff in die (Beifall bei der CDU/CSU) DNA von Pflanzen und damit von Nahrungsmitteln und (B) Den Gesetzentwurf, der hier vorliegt, fasse ich so zu- Ähnlichem ist nicht prinzipiell ein Eingriff in den gött- (D) sammen, dass er auf der einen Seite die Gentechnikskep- lichen Bauplan, der etwas Dramatisches darstellt. Pflan- sis innerhalb der Bevölkerung bewertet und berücksich- zenzüchtungen beruhen auf der Tatsache, dass man spon- tigt, auf der anderen Seite aber die föderale Zuständigkeit tane Mutationen abwartet, selektiert und beobachtet: Was in Deutschland weiterhin wahrt und zu guter Letzt die ist nützlich, was ist risikoarm usw. usf.? Wir provozieren breiten Ressortkompetenzen der Bundesregierung vom diese Mutationen mit Chemie und mit Strahlung, um auf Bundesministerium für Ernährung für Landwirtschaft bis diese Art und Weise schneller voranzukommen. Und was hin zum BMBF mit in die Entscheidung einfließen lässt. wir jetzt mit CRISPR/Cas9 und anderen Methoden haben ist gezielt und keine Genomlotterie mehr. Wir können (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Genome direkt ändern, das heißt aber nicht, dass wir die Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Das ist wich- Risiken an dieser Stelle, wie wir sie im Medikationsbe- tig!) reich und in anderen Bereichen genau im Fokus haben, Ob das dann sechs sein müssen oder nicht, darüber kann nicht berücksichtigen müssen. Das ist eine elementare man diskutieren, aber mir ist es insbesondere wichtig, Grundvoraussetzung! Denn: Man sollte es nur tun, wenn dass die Forschung mit ihrer Kompetenz in diesem Zu- wir wissen, was wir tun. Und es ist notwendig, dass wir sammenhang gewahrt bleibt. Das ist wichtig, und das ist Forschung dabei berücksichtigen. richtig so. (Beifall bei der CDU/CSU) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich schließe mich, wie bereits einer meiner Vorredner, NEN]: Es geht um kommerziellen Anbau und der Meinung von 113 Nobelpreisträgern an – bei mir sind nicht um Forschung!) es 113, vielleicht sind es jetzt mehr geworden –, die sa- Wir wollen auch über die Zukunft der Landwirtschaft gen, dass eine Blockade der Gentechnik auf Dauer nicht und der Pflanzenzüchtung reden. Anders als Rote und sinnvoll ist und die Menschlichkeit an dieser Stelle dahin Weiße Gentechnik hat die Grüne Gentechnik ein erheb- gehend gewahrt bleiben muss, dass wir die Chancen, die liches Problem; das wissen wir alle nur zu gut. Früher diese Techniken bieten, auch in der Zukunft wahrnehmen war es bei Innovationen in der Roten Gentechnik ähnlich. können. Es ist unsere Verantwortung, das Verhältnis zwi- schen Chancen und Risiken, Forschung und Folgenab- Ein Beispiel aus der Geschichte zeigt ein typisch deut- schätzung, Hoffnung und Sorgen wieder ins Lot zu brin- sches Problem: Synthetisch hergestelltes Insulin war in gen – auf der Basis von Fakten. den 1980er- und 1990er-Jahren eine Biotech-Innovation. Frankfurter Forscher entwickelten 1982 die massenpro- Bei einem Expertengespräch in dieser Woche brachte duktionstaugliche Insulinsynthese mit Mikroorganismen. es Herr Dr. Rehberger vom Forum Grüne Vernunft auf Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20751

Stephan Albani (A) den Punkt, als er die Motivation für sein Engagement für des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Ju- (C) die Gentechnik erläuterte. Er sagte: Nicht für mich als gend zu unserem Antrag. 78-Jährigen wird dies noch Nutzen bringen, aber für die Dieser Antrag ist ein bunter Strauß von familienpoliti- zukünftigen Generationen ist es eine Verpflichtung. schen Maßnahmen. Dieser Verantwortung und dem notwendigen Gleich- (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ein wohlduf- gewicht wird der Entwurf des Vierten Gentechnikände- tender Strauß!) rungsgesetzes aus meiner Sicht gerecht. Er ermöglicht die Anwendungsforschung, aber auch Anbauverbote, – „Ein wohlduftender bunter Strauß“, vielen Dank, Herr wenn die Risiken zu groß erscheinen oder nicht absehbar Vorsitzender des Familienausschusses. – Dieser Antrag sind. ist schon über ein Jahr alt. Wir wollten der Bundesregie- rung Gelegenheit geben, zu zeigen, dass sie Vorschläge Herzlichen Dank. umsetzen kann, dass sie unsere Anregungen aufnimmt (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner und umsetzt. Das hat sie partiell auch getan: Beim [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt Kitaausbau ist die Bundesregierung zumindest partiell in Vernebelungstaktik!) die Spur gekommen, und die Kürzungen im Bereich Ju- gendhilfe sind zurückgenommen worden; dahin gehend hat sich der Antrag sogar erledigt. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. In dem Antrag geht es auch um das Gender Pay Gap, also darum, Lohnlücken zu schließen. Es geht ferner um Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- Rahmenbedingungen für die berufliche Orientierung und wurfs auf Drucksache 18/10459 an die in der Tagesord- die Verbesserung der Qualifikation von Alleinerziehen- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es den. dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. (Unruhe bei der CDU/CSU) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a und 34 b auf: – Die Union quatscht wieder. Sie scheint das nicht zu in- teressieren; aber das wundert mich nicht. Darauf komme a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia ich gleich zurück. Möhring, Katja Kipping, Sigrid Hupach, weiterer (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Doch, ich lau- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sche!) Alleinerziehende entlasten – Umgangsmehr- Außerdem geht es darum, das Elterngeld nicht auf Trans- (B) bedarf anerkennen ferleistungen anzurechnen, und um den Unterhaltsvor- (D) Drucksache 18/10283 schuss. Überweisungsvorschlag: Aufgrund der Kürze meiner Redezeit will ich mich Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) auf ein Thema fokussieren, nämlich auf das Unterhalts- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz vorschussgesetz. In der letzten Woche haben wir in der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsdebatte hier im Haus über dieses Thema ge- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sprochen. Die Debatte, die hier dazu stattgefunden hat, richts des Ausschusses für Familie, Senioren, ist mir nicht aus dem Kopf gegangen. Mir ging immer Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An- wieder durch den Kopf, was dazu gesagt worden ist – das trag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Cornelia wurde auch heute gesagt –: Alle wollen das ändern. Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter Als ich vor elf Jahren frisch vom Familiengericht als und der Fraktion DIE LINKE Familienrichter hier in den Bundestag kam, lautete mein Lebenssituation von Alleinerziehenden deut- allererster Antrag, das Unterhaltsvorschussgesetz zu än- lich verbessern dern, die Altersgrenze auf 18 Jahre heraufzusetzen und die Bezugsdauer zu entfristen. Seit elf Jahren wird das Drucksachen 18/6651, 18/10106 permanent abgelehnt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Die Grünen wollen das, auch die CDU will das. Letz- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- te Woche hat Herr Weinberg gesagt, das sei schon lange nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Programm bei der CDU. Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Fraktion Die Linke. Ja!) (Beifall bei der LINKEN) Frau Pahlmann von der CDU hat heute Mittag gesagt: Das haben wir in den letzten acht Monaten vorangetrie- Jörn Wunderlich (DIE LINKE): ben. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wo sie recht Wir bereden heute zwei Anträge. Zu dem Antrag zum hat, hat sie recht! – Michael Grosse-Brömer Mehrbedarf beim Umgang wird nachher meine Genossin [CDU/CSU]: Jetzt muss die Ministerin liefern, Hupach sprechen. Ich rede zu der Beschlussempfehlung und dann machen wir das!) 20752 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Jörn Wunderlich (A) Die SPD hat einen Gesetzentwurf erarbeitet. Der Ko- Am 8. Dezember, also in sechs Tagen (C) alitionsausschuss hat sich darauf verständigt, und die (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Deine Rede- Ministerpräsidenten aller Länder haben das im Rahmen zeit!) der Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzausgleichsre- gelungen einstimmig beschlossen. – ja, ich bin sofort fertig – trifft sich Finanzminister Schäuble wieder mit den Ländervertretern. Ich hoffe, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die dass ihr von der CDU ihm einen ordentlichen Schubs wollen es nur nicht zahlen! Aber das kommt gebt, damit er nicht wie Gollum auf seinem Geldberg noch!) sitzt, sondern endlich sein Portemonnaie aufmacht und Dann brachte Frau Schwesig den Gesetzentwurf dazu das finanziert – im Kabinett ein. Man kann sagen: Das Kindergeld wird (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr noch immer voll angerechnet, das ist ein Mangel; aber müsst den Ländern einen Schubs geben! Die das ist auch der einzige Mangel. – Im Kabinett wurde der Länder brauchen einen Schubs! Zahlt Thürin- Gesetzentwurf beschlossen. Dann sollte er hier auf die gen mit?) Tagesordnung, doch er wurde wieder zurückgenommen. Und warum? Weil die CDU blockt. Vizepräsidentin Petra Pau: (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein! Kollege Wunderlich. Falsch!) Die CDU blockt. Kauder sagt: Ich bringe den Gesetz- Jörn Wunderlich (DIE LINKE): entwurf nicht ein, solange die Finanzierung nicht steht. – im Interesse der betroffenen Kinder. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! So ist es!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Gudrun Zollner für die Auf der anderen Seite sagt die CDU: Seit acht Mona- CDU/CSU-Fraktion. ten treiben wir das voran. – Jetzt steht die Finanzierung nicht, die Länder sagen: Wir haben dafür nicht das Perso- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nal. Wer soll das bezahlen? – Schäuble zieht sich aus der ordneten der SPD) Verantwortung zurück. Gudrun Zollner (CDU/CSU): (Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]: Und wo ist die Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen (B) Verantwortung der Länder, bitte schön? Das und Kollegen! Die vorliegenden Anträge der Fraktion (D) ist doch eine Frechheit!) Die Linke vom November 2015 und November 2016 Er hat zwar 18 Milliarden Euro Überschuss, sagt aber: geben mir heute die Gelegenheit, aufzuzeigen, dass die Ach Gottchen, dafür haben wir kein Geld. – Vorher hat er Bundesregierung bei der Unterstützung und Entlastung gesagt: Wir haben Spielraum. von Alleinerziehenden keineswegs versagt hat, wie Sie in Ihren Anträgen unterstellen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ei- gentlich sind die Länder und Kommunen zu- (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: ständig!) Doch!) Vielmehr schafft die Regierung im Rahmen einer moder- – Die Länder und Kommunen, ja, natürlich. nen und zukunftsweisenden Familienpolitik kontinuier- Aber wissen Sie, das ist ein Argument, das vor fünf lich Bedingungen, um den sorgenden Eltern die nötige Jahren – blöd, dass ich mich so gut erinnern kann – nicht Anerkennung zukommen zu lassen und ihnen eine Per- galt. Da wurde die Zahl der Amtsmündel auf 50 reduziert spektive für die eigenständige Gestaltung ihres Lebens und eine Garantie der Amtsvormünder für das gedeihli- zu geben. che Fortkommen ihrer Mündel eingeführt. Damals habe Wir investieren massiv in unsere Familien. Ich nenne ich gesagt, als das sofort umgesetzt werden sollte: Dafür hier nur den Ausbau der Kinderbetreuung für unter Drei- haben die Jugendämter überhaupt nicht das Personal. – jährige sowie das Programm „KitaPlus“ für erweiterte Da hieß es: Wir müssen das jetzt machen; denn wenn Öffnungszeiten. Wir haben den Entlastungsbetrag für wir so ein Gesetz nicht haben, dann machen die Länder Alleinerziehende erhöht. Gleiches gilt für den Kinderzu- nichts. schlag, den wir 2017 nochmals aufstocken werden. Ins- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es gesamt macht der Familienetat im nächsten Jahr 9,5 Mil- muss nur finanziert werden!) liarden Euro aus Das scheint ja auch so zu sein. Es wurde gesagt, dass der (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist Gesetzentwurf zum Unterhaltsvorschuss seit acht Mona- das!) ten vorangetrieben wird. Aber in den Ländern ist nichts und liegt damit vor den Etats des Bundesinnenministeri- passiert. Also brauchen wir dieses Gesetz, damit in den ums, des Wirtschafts- und des Finanzministeriums. Ländern endlich was passiert. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse- (Beifall bei der LINKEN) Brömer [CDU/CSU]: Wer da auf die Idee Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20753

Gudrun Zollner (A) kommt, wir würden zu wenig zahlen, hat die Kommunen administrativ überfordern. Wir von der Uni- (C) Zahlen nicht im Kopf!) on nehmen die Anliegen der Kommunen ernst.

Sie sprechen in Ihrem Antrag auch die Vereinbarkeit (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Habt ihr vor von Familie und Beruf an. Natürlich haben die Alleiner- fünf Jahren nicht gemacht!) ziehenden besondere Bedürfnisse. Dabei profitieren alle Familien von der verbesserten Betreuungsinfrastruktur. Diese müssten erheblich mehr Personal einstellen, um Da die Unternehmen sehr wohl wissen, was sie an gut die steigende Anzahl an Anträgen bearbeiten zu können. ausgebildeten Frauen haben, bieten sie längst eine flexi- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Habt ihr ble Arbeitszeitgestaltung an, was im Übrigen auch den genau andersrum gemacht!) Vätern zugutekommt. Die von Ihnen geforderte Teil- zeitausbildung gibt es längst, und die bestehende Lohnlü- Meine Kollegin Christina Schwarzer hat vergangene Wo- cke wird durch das Entgeltgleichheitsgesetz geschlossen, che an dieser Stelle die Zahlen ihrer Kommune Neukölln wenn Familienministerin Schwesig ihren Gesetzentwurf vorgerechnet, wonach sich die Mitarbeiterzahl verdop- vorlegt. peln würde. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ge- Verdoppeln und erhöhen sollten die Länder auch die nau!) Rückholquoten. Bayern liegt mit 36 Prozent weit an der Spitze, Am Anfang dieser Wahlperiode wurde der gesetzliche Mindestlohn eingeführt. Auch das ist eine Verbesserung (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das war klar!) für Alleinerziehende. Ihre Forderung, den gesetzlichen Mindestlohn unverzüglich auf 10 Euro anzuheben, soll- wogegen zum Beispiel Bremen mit nur 11 Prozent dauer- ten Sie besser in einem anderen Antrag stellen. haft das Schlusslicht bildet.

(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann kom- Dabei bleibt aber immer noch das Hauptproblem. men Hunderttausende Kinder möglicherweise Sie wissen so gut wie ich, dass der Bund nicht alleine aus Hartz IV heraus!) in Vorleistung geht. Der Bund zahlt nur ein Drittel der Kosten, die Länder zahlen zwei Drittel. Bei den Ländern Da ich bei jeder familienpolitischen Debatte hören regt sich Unmut über die Finanzierung. Familienminis- muss, dass die Union angeblich den Unterhaltsvorschuss terin Schwesig konnte hier leider noch keine Einigung blockiert, möchte ich hier klarstellen: Im Juli 2016 ha- erzielen. Deshalb bitte ich Sie, wehrte Kolleginnen und ben wir Familienpolitiker der CDU/CSU uns schriftlich Kollegen, einmal ein Wörtchen mit ihren Vertretern im (B) (D) an den Bundesfinanzminister gewandt, um die Erhöhung Bundesrat zu reden. des Bezugsalters von 12 auf 18 Jahre sowie den Wegfall (Beifall bei der CDU/CSU) der Bezugsdauer von 72 Monaten voranzutreiben. Auch ich benutze jetzt dieses Wort. In elf Bundesländern sind die Grünen, in drei Bundes- ländern die Linke an der Regierung beteiligt, beide Par- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – teien stellen je einen Ministerpräsidenten. Warum stellen Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! So Sie Ihre Forderungen nicht einmal nachdrücklich an Ihre sind wir!) Landesvertreter? Danach hat auch das Familienministerium unsere For- (Beifall bei der CDU/CSU) derung unterstützt. Keine andere Maßnahme kommt den Alleinerziehenden so zugute wie diese. Noch einmal: Nicht die CDU/CSU blockiert hier, son- dern die Verantwortlichen der anderen Parteien. Be- Es ist mir völlig unverständlich – das ist auch nicht schließen und Ankündigen allein reicht nicht. Man muss hinnehmbar –, dass sich 50 Prozent aller Unterhalts- schon dafür sorgen, dass die Umsetzung und die Finan- pflichtigen der finanziellen Unterstützung ihrer Kinder zierung gesichert sind. Das ist mein Verständnis von ver- entziehen und gar nichts zahlen und weitere 25 Prozent antwortungsvoller Politik. nur unregelmäßig und nicht in voller Höhe zahlen. Das müssen wir ändern, und das werden wir ändern. (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Geht es Ihnen darum, Frau (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Schwesig zu beschädigen?) ordneten der SPD) Deshalb ist es vernünftig, wenn das Gesetz zur Aus- Dazu gibt es einen Kabinettsbeschluss. Bei der Kon- weitung des Unterhaltsvorschusses zum 1. April oder ferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern im 1. Juli mit Rückwirkung zum 1. Januar beschlossen wird. Oktober dieses Jahres wurde das bei der Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems auch so Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Oppositi- beschlossen. on, für vieles, was von Ihnen gefordert wird, ist der Bund nicht zuständig. Dort, wo Sie in Verantwortung sind, hin- Aber eines muss uns auch klar sein: Wir können nicht dert Sie niemand daran, Ihre Forderungen umzusetzen. im Dezember ein Gesetz verabschieden, das bereits im Deshalb lehnen wir, wie aus der Beschlussempfehlung Januar umgesetzt werden soll. Damit würden wir die ersichtlich ist, Ihren Antrag ab. 20754 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Gudrun Zollner (A) Sie schreiben immer wieder Anträge, ohne die Finan- Dann kam das Versprechen: Ab dem 1. Januar 2017 (C) zierung mit einem Wort zu erläutern. fallen alle Beschränkungen. Dann kam es ins Kabinett – wir haben es gehört –, aber ohne eine finanzielle Einigung (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Alles durch- mit den Ländern. Sehr geehrte Damen und Herren, das finanziert!) nennt man klassischerweise einen ungedeckten Scheck. Im Gegensatz dazu bringen wir Unionspolitiker Gesetze Es ist ein leeres Versprechen, wenn das Geld dafür nicht ein, die umgesetzt werden und – wichtig – finanzierbar gesichert ist. sind. Wir reden nicht nur, wir handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich sowie des Abgg. Dr. [CDU/ [DIE LINKE]: Seit elf Jahren ist die Kin- CSU]) derarmut nicht gesunken! Ergebnis eures Jetzt haben wir die Situation, dass sich CDU und CDU-Handelns!) SPD gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben. Frau Schwesig sagt: Es sind die Länder. Das machen Teile von Weil wir Familienpolitiker der CSU nicht nur an die Ihnen auch und sagen: Er war’s, er war’s, sie war’s, sie Alleinerziehenden von heute denken, sondern auch an war’s! – Das ist doch kein konstruktives Politikmachen die, die vor 1992 Kinder zur Welt gebracht haben, for- und Regieren, sondern ein verantwortungsloses Handeln dern wir die Gleichstellung aller Mütter bei der Rente. auf dem Rücken der Alleinerziehenden. (Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CSU]) Es bleibt festzuhalten: Frau Schwesig hat spät agiert Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, was alleiner- und zweifelhafte Zahlen für die Länder vorgelegt. Diese ziehende Mütter und Väter im Alltag an Herausforderun- haben gesagt, die stimmten nicht. Die Vereinbarungen gen bewältigen, um neben allem anderen für ihre Kinder wurden nicht genügend schriftlich festgehalten. Jetzt ha- da zu sein und sie bestmöglich zu unterstützen, weiß ich ben wir das Chaos. aus eigener Erfahrung. Deshalb sehe ich es als meinen größten Arbeitsauftrag hier im Deutschen Bundestag, so Wir wollen keine Engel der Alleinerziehenden, son- viel wie möglich für die Einelternfamilien zu ermögli- dern gutes Regieren. Das können wir von Ihnen erwar- chen. Seien Sie versichert: Dafür werde ich mich auch ten. Das haben wir in diesem Fall leider nicht gesehen. künftig voll und ganz einsetzen. (Mechthild Rawert [SPD]: Ei, ei, ei!) Ich wünsche Ihnen allen noch einen gesegneten zwei- Jetzt gibt es in diesem Chaos weitere Vorschläge aus (B) ten Advent und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. den Ländern, zum Beispiel: Einsparungen durch die Ab- (D) schaffung der Vorrangigkeit des Unterhaltsvorschusses. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Das ist die aktuelle Debatte. Man sagt: Wir sparen das ordneten der SPD) Geld bei Kommunen und Ländern, indem der Bund das alles einfach aus dem SGB II zahlt. – Unserer Meinung Vizepräsidentin Petra Pau: nach ist das ein falsches Signal. Den Unterhaltsvorschuss Das Wort hat die Kollegin Dr. Franziska Brantner für bekommen Alleinerziehende nämlich nicht, weil sie arm die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. sind, sondern weil sich der andere Elternteil nicht an der Existenzsicherung des Kindes beteiligt. Das ist ein großer Unterschied. An ihm sollten wir auch weiterhin Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- festhalten. NEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Alleiner- sowie der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) ziehende sind die am schnellsten wachsende Familien- Außerdem: Wer prüft denn dann wirklich, ob der Unter- form, aber leider auch die ärmste. Viele Alleinerziehende haltsvorschuss nicht reicht, um aus dem SGB‑II-Bezug rutschen in die Armut, da drei Viertel von ihnen keinen herauszukommen? Das muss doch unser Ziel sein. Dafür oder keinen ausreichenden Kindesunterhalt vom ande- braucht es diese Prüfungen. ren Elternteil bekommen. Hier springt der Staat mit dem Unterhaltsvorschuss ein – wir haben es heute gehört –, Wenn wir über die Rückholquote sprechen, muss ich bisher für maximal sechs Jahre und nur bis zum zwölf- sagen: Wir alle wissen, dass es da falsche Anreize gibt. ten Lebensjahr des Kindes. Diese Absurdität wurde zum Die Kommunen machen sozusagen die Arbeit vor Ort, Glück mittlerweile von allen erkannt. Seit dem Sommer müssen dafür Gelder zur Verfügung stellen und haben ei- haben wir ein Zickzack, ein Hin und Her. gentlich nichts davon. Jedes Jugendamt sagt: Dann gehe ich lieber direkt in die Arbeit mit den Kindern und Ju- Erst wurde von der Ministerin verkündet, das Alter gendlichen. – Das ist vor Ort nachvollziehbar. Wenn wir werde auf 14 angehoben, ein paar Wochen später, auf jetzt noch sagen: „Das Geld kommt eh aus dem SGB‑II- 16. Dann mischte sich Herr Gabriel ein und sagte: auf Topf“, welche Kommune wird denn dann noch in die 18. Dann sagte Frau Schwesig: Ach, doch, auch auf 18. Rückholung investieren? Keine Kommune! Das Signal Irgendwann kündigte Frau Schwesig auch noch an, man an die Elternteile, die nicht zahlen, wäre: Macht euch würde den säumigen Vätern den Führerschein entzie- keine Sorgen, liebe Damen und Herren, ihr braucht nicht hen. – Das war Teil dieser ganzen Debatte. zu zahlen. Der Staat zahlt schon. Es gibt ja das SGB II. – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20755

Dr. Franziska Brantner (A) Das ist unserer Meinung nach ein komplett falsches Si- Gabriele Hiller-Ohm (SPD): (C) gnal. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Kollegen! Ja, alleinerziehende Eltern müssen entlas- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – tet werden; denn sie sind ohne Wenn und Aber die Hel- Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es sei dinnen und Helden des Alltags. denn, sie dürften das Geld behalten! Dann hät- ten sie einen Anreiz!) (Beifall bei der SPD) Es gibt Vorschläge, zu sagen: Statt „zwei Drittel, ein Glauben Sie mir: Ich weiß, wovon ich rede. Drittel“ machen wir „fifty-fifty“. – Solche Vorschläge Die Linke fordert in beiden vorliegenden Anträgen halten wir für besser. Wir sind da auch in Verhandlungen weitere Verbesserungen für Alleinerziehende. Ich wer- mit den Bundesländern; denn ich glaube, das geht uns de mich auf den Antrag zum Umgangsmehrbedarf be- alle an. Das ist jetzt kein Appell an eine bestimmte Partei, schränken. Es ist gut, liebe Kolleginnen und Kollegen sondern an uns alle: Wir müssen dafür kämpfen, dass die- der Linken, dass Sie sich mit diesem Thema befassen. Es se Leistung nicht einfach ins SGB II abgeschoben wird, ist richtig, dass wir hier im Bundestagsplenum darüber sondern eine eigenständige Leistung bleibt. Dafür sollten debattieren. Es ist ganz wichtig, dass wir uns für Allein- wir gemeinsam kämpfen. Ich finde, das wäre ein gutes erziehende und deren Kinder starkmachen; denn sie sind Ziel. in ihren Lebenschancen immer noch stark benachteiligt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Birgit Kömpel [SPD]: Richtig!) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir än- dern. Wir wollen eine Gesellschaft, in der Eltern – Müt- Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der ter, Väter – und Kinder gut leben können. Umgangsmehrbedarf. Wir haben dieses Jahr schon viele Debatten darüber geführt: Was bedeutet es, wenn Eltern (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul getrennt leben und vielleicht sogar beide das Elternsein Lehrieder [CDU/CSU]) leben und ihre Zeit gemeinsam mit ihren Kindern ver- Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist bringen wollen? Wie geht der Staat damit um? Gibt es ganz wichtig, dass sich Eltern die Verantwortung für ihre dafür eher Anreize, oder wird das sogar noch bestraft, Kinder teilen, egal ob sie als Paar oder getrennt leben. indem dann zum Beispiel das Sozialgeld aufgeteilt wird? Wir waren uns hier eigentlich alle einig: Das soll nicht (Birgit Kömpel [SPD]: Ja!) (B) (D) bestraft werden. Es gab hier im Haus sogar eine Zeit – Das muss für alle möglich sein und natürlich auch für ich erinnere mich an die Debatten –, in der wir gesagt Eltern gelten, die Sozialleistungen erhalten, also auch für haben: Das soll belohnt werden; das ist ja eigentlich im arme Eltern. Alleinerziehende Eltern müssen finanziell Sinne des Kindes. – Dann hat die SPD richtigerweise so ausgestattet sein, dass die Kinder bei beiden Eltern den Vorschlag zum Umgangsmehrbedarf vorangetrieben. leben und bei ihnen zu Besuch sein können. Es ist ganz Jetzt hören wir: An 60 Millionen Euro scheitert es. – Das wichtig, dass das für die Kinder möglich ist. Ich finde, kann doch wirklich nicht sein. Es muss doch möglich das ist eine Selbstverständlichkeit, und das darf nicht am sein, hier die richtigen Anreize zu setzen, damit sich El- Geld scheitern. tern gemeinsam um ihre Kinder kümmern können. Diese 60 Millionen Euro müssen drin sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Linken zum Umgangsmehrbedarf geht in die richtige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Richtung. Auch wir Sozialdemokratinnen und Sozial- sowie bei Abgeordneten der LINKEN – demokraten wünschen uns einen finanziellen Ausgleich Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist ein für den Mehrbedarf, der bei alleinerziehenden Eltern, die falscher Anreiz!) Hartz IV beziehen, durch die wechselseitige Betreuung der Kinder anfällt. Ich fände es sehr wichtig, dass wir gemeinsam das Si- gnal an Herrn Schäuble senden: 60 Millionen Euro für (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die ha- Eltern, die ihre Kinder gemeinsam erziehen wollen, müs- ben doch sowieso schon mehr Geld!) sen möglich sein. Existenzsicherung geht vor. Derzeit ist es so, dass die Sozialleistungen für die Kin- Ich danke Ihnen. der genau abgerechnet und dem Elternteil zugeschlagen werden, bei dem sich das Kind gerade aufhält. Wenn das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kind also normalerweise bei der Mutter lebt und nur am sowie bei Abgeordneten der SPD) Wochenende beim Vater ist, wird der Mutter das Geld für die Wochenendtage von den Hartz-IV-Leistungen ab- gezogen. Das ist eine wirklich schlechte Lösung; denn Vizepräsidentin Petra Pau: die Mutter hat weiterhin Kosten für das Kind, auch dann, Das Wort hat die Kollegin Hiller-Ohm für die wenn es beim Vater zu Besuch ist. SPD-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD) 20756 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Gabriele Hiller-Ohm (A) Diese Regelung ist ungerecht und verhindert oft sogar Mit dem geplanten Unterhaltsvorschussgesetz wollen (C) den Kontakt der Kinder zu beiden Elternteilen. Das fin- wir eine weitere wichtige Verbesserung für Alleinerzie- den wir schlecht. Hier brauchen wir also eine Lösung, die hende durchsetzen. Ich hoffe, dass uns das gelingen wird. gut für die Eltern und gut für die Kinder ist. eine Lösung, Ganz wichtig ist uns auch, dass wir in dieser Regie- die obendrein den Amtsschimmel entlastet, den die der- rungszeit noch hinbekommen, dass Eltern bessere Mög- zeitige bürokratische Last der tage- und stundenweisen lichkeiten und Rechte haben, wenn sie Teilzeit oder Abrechnungen schon jetzt fast zusammenbrechen lässt. Vollzeit arbeiten wollen. Dafür wollen wir einen Rechts- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- anspruch auf befristete Teilzeit schaffen, die ein Recht NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) auf Rückkehr in Vollzeit bzw. in die frühere Arbeitszeit für die betroffenen Frauen beinhaltet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider haben wir bei dieser wichtigen Forderung unseren Koalitionspartner (Beifall bei der SPD) nicht – ich möchte sagen: noch nicht – an unserer Seite. Ein großer Erfolg wäre es, wenn wir endlich auch Das ist wirklich schade; denn hier könnten wir gemein- ein Lohngerechtigkeitsgesetz auf den Weg bringen, um sam mehr Gerechtigkeit für Menschen schaffen, die ganz die Lohnlücke und damit die Ungerechtigkeit zwischen dringend auf unsere Unterstützung angewiesen sind. Männer- und Frauenlöhnen zu beseitigen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir werden aber nicht lockerlassen, und vielleicht ge- Wir haben es im Koalitionsvertrag vereinbart. Ich hof- lingt es uns, in diesem Punkt noch etwas auf die Beine fe, wir können das noch auf die Beine stellen. Das wäre zu stellen. wirklich prima. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nein! – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir ha- Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ge- ben viel auf den Weg gebracht, und das ist gut. Aber wir rechtigkeit ist so eine Sache!) haben immer noch großen Handlungsbedarf. Deshalb Dass dies nicht unmöglich ist, zeigen die letzten drei ge- müssen wir an diesem Thema weiter arbeiten, um die Be- meinsamen Regierungsjahre. nachteiligung vor allem von alleinerziehenden Müttern in diesem Land endlich zu beseitigen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die zeigen eher das (Beifall bei der SPD) Gegenteil!) Vizepräsidentin Petra Pau: (B) Mit der CDU/CSU haben wir als treibende Kraft viel Das Wort hat die Kollegin Jutta Eckenbach für die (D) auf die Beine gestellt. CDU/CSU-Fraktion. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die (Beifall bei der CDU/CSU) SPD ist wieder erfolgreich!) So haben wir erreicht, dass berufstätige alleinerziehen- Jutta Eckenbach (CDU/CSU): de Eltern steuerlich deutlich entlastet werden. Wir haben Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Allein- durchgesetzt, dass der Kinderzuschlag für Alleinerzie- erziehend in Deutschland zu sein, ist nicht mit einem hende um 20 Euro auf 160 Euro angehoben wurde und prekären Schicksal am wirtschaftlichen Ende der Gesell- damit viele Mütter aus Hartz IV herauskommen. schaft gleichzusetzen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Da haben (Dagmar Ziegler [SPD]: Finde ich schon!) wir doch Alleinerziehende bessergestellt!) Es ist zwar richtig, dass Alleinerziehende bestimmte Aus- Wir investieren weiter in den Ausbau von Kitas. Mit gaben im Zusammenhang mit der Versorgung eines Kindes dem Bundesprogramm „KitaPlus“ haben wir ein Förder- oder mehrerer Kinder allein zu tragen haben; das liegt nun programm entwickelt, mit dem Kitas längere Öffnungs- einmal in der Natur der Sache. Aber man kann doch nicht zeiten in den Morgen- und Abendstunden sowie an den sagen, dass alle Alleinerziehenden vom SGB‑II-Bezug le- Wochenenden anbieten können. Ich wäre froh gewesen, ben. Ich bin sehr froh, dass ein großer Teil der Alleinerzie- wenn es das schon vor 20 Jahren gegeben hätte. Denn henden in Vollzeit oder in Teilzeit ihren Lebensunterhalt ich bin selber alleinerziehende Mutter, und es war wirk- bestreiten kann und nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist. lich ein Spagat, bei den damaligen Öffnungszeiten der Auch an sie sollten wir einmal denken. Kindertagesstätten die Berufstätigkeit mit guter Kinder- betreuung zu vereinbaren. Da gibt es dringenden Hand- (Beifall bei der CDU/CSU) lungsbedarf, und ich finde es gut, dass wir dieses Pro- Die Förderung von Alleinerziehenden, die Leistungen gramm auf den Weg gebracht haben. nach dem SGB II beziehen, erfolgt im Wesentlichen an (Beifall bei der SPD) drei Stellen; das ist gerade schon genannt worden. Es gibt erst einmal den grundsätzlichen Mehrbedarf. Darü- Denken Sie zum Beispiel an eine alleinerziehende ber hinaus werden die Alleinerziehenden im Rahmen der Kellnerin. Sie ist auf erweiterte Öffnungszeiten angewie- sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft entlastet. sen, um überhaupt berufstätig sein zu können. Deshalb Auch werden die angemessenen Kosten für Unterkunft müssen wir hier flexible Möglichkeiten schaffen. und Heizung ermittelt und gegebenenfalls erstattet. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20757

Jutta Eckenbach (A) Letztendlich bedeutet das, dass Alleinerziehende, die über anderen Bedarfsgemeinschaften mit Kindern. Eine (C) Leistungen nach dem SGB II erhalten, 50 Prozent mehr auf den Tag genaue Abrechnung des Regelsatzes für ein als Paare bekommen. Wir fördern sie also schon heute. Kind führt schon heute zu einem riesigen Verwaltungs- Insofern verstehe ich vieles von dem, was gesagt worden aufwand für die Jobcenter vor Ort. ist, nicht. Es ist nicht so, als würden wir dieses Problem (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Den wollen in dieser Legislaturperiode nicht angehen. Wir haben hier wir ja gerade abschaffen! – Dr. Wolfgang einen guten Ansatz, den wir auch bezahlen können. Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. NEN]: Genau! Deswegen müssen wir weg Sönke Rix [SPD]) davon!) Eines ist fragwürdig in der Diskussion, die wir füh- Nicht nur die Mehrkosten für die Berechnung sind un- ren – darüber haben wir noch nicht debattiert –: Diese verhältnismäßig, auch die Personalbindung innerhalb der 50 Prozent mehr an Leistungen gehen an die Eltern, die Jobcenter ist enorm. getrennt leben. Bei einem Familienverbund oder bei Le- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- bensgemeinschaften werden diese 50 Prozent an Mehr- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Deswe- bedarfskosten nicht gezahlt. gen müssen wir weg davon! – Dr. Franziska (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Eben! – Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Deshalb wollen wir das ändern!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben diesen Deswegen haben wir bereits im Rahmen der Beratun- Mehrbedarf auch nicht!) gen zum 9. SGB-II-Änderungsgesetz einen Vorschlag sei- Wir sollten uns darüber Gedanken machen, dass wir an tens des BMAS für eine Vereinfachung der Aufteilung des dieser Stelle eine Ungleichgewichtung haben. Ich wäre Kinderregelbedarfes diskutiert. Dabei ging es ganz und eher für die Förderung von Gemeinschaften, als nur auf gar nicht um eine Verringerung des Regelbedarfes, wie es die Unterstützung von Menschen zu setzen, die eine ge- in der Öffentlichkeit fälschlicherweise behauptet worden wisse Mitverantwortung für ihre Situation tragen, wenn ist. Das führte schließlich dazu, dass das Bundesministe- ihre Lebensplanung nicht funktioniert hat. rium einen neuen Regulierungsvorschlag erarbeiten muss- te. Dieser Regulierungsvorschlag stellte aber im Ergebnis (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- eine erneute finanzielle Bevorteilung für getrennt lebende NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss man da- Eltern dar. Ergebnis: Die bisherige Rechtslage blieb beste- für Anreize schaffen!) hen. Nach meiner persönlichen Ansicht wäre es durchaus wichtig, die Bedarfe für Kinder auch aus deren Sicht zu se- (B) Diese Verantwortung kann nicht auf den Staat abgewälzt (D) werden. Auch hier werden wir darauf verweisen können, hen. Ich denke, das wäre etwas, worüber wir uns wirklich was wir alles schon gemacht haben. noch einmal unterhalten sollten. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Ansätze, wie sich eine veränderte Sicht auswirken GRÜNEN]: Aber darunter dürfen die Kinder kann, zeigen die Regelungen beim Bildungs- und Teil- doch nicht leiden! – Jörn Wunderlich [DIE habepaket. Allerdings bin ich der Meinung, dass wir hier LINKE]: Dafür können doch die Kinder auch noch einmal über das Bildungs- und Teilhabepaket nichts! Die Kinder sollen darunter leiden? reden müssen, Was ist das denn für eine Lebensphilosophie?) (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Abschaffen!) Es ist heute von mehreren Rednern schon ausgeführt damit es noch verbessert werden kann. Aber es folgt dem worden, dass Alleinerziehende im SGB-II-Bezug einen Ansatz, vom Kind aus zu denken. Ich denke, das ist ein zusätzlichen Anspruch bei Einrichtungsgegenständen für vernünftiger Ansatz, den wir weiter verfolgen sollten. das Kind bei einem temporären Aufenthalt haben. Wir er- statten die zusätzlichen, durch das Umgangsrecht beding- (Beifall bei der CDU/CSU) ten Fahrtkosten. Wir erstatten höhere Aufwendungen für Meine Damen und Herren, wie eingangs gesagt, sehe Unterkunft und Heizung, wenn das Kind zu Besuch ist, ich auch die Notwendigkeit, Alleinerziehende noch mehr plus andere Bedarfe, je nach Besonderheit des Einzelfalls. zu entlasten, hier aber nicht nur Alleinerziehende im Meine Damen und Herren, wir sollten uns vergegen- Leistungsbezug. Wichtig sind für mich vor allem die Vä- wärtigen, was der Sinn und Zweck des SGB II ist. Zu un- ter und Mütter, die morgens allein ihr Kind versorgen, es terscheiden ist davon der allgemeine Unterhaltsanspruch zur Kita oder zur Schule bringen, dann zur Arbeit hech- aus dem Familienrecht. Es kann nicht Aufgabe des Staa- ten, um rechtzeitig fertig zu sein, damit sie wieder fürs tes sein – darauf habe ich schon einmal hingewiesen –, Kind da sind, wenn die Kita schließt oder die Schule aus mit einer zusätzlichen Leistung den Streit der Eltern zu ist. Dabei habe ich noch nicht genannt, dass es auch noch befrieden. Das kann nicht unser Anspruch sein. zu pflegende Angehörige geben kann, dass das bisschen Haushalt erledigt werden muss und der eigene Freundes- (Beifall bei der CDU/CSU) kreis aufrechterhalten werden möchte. Gegenwärtig drehen wir uns hier im Kreis, wenn wir Schwerpunkt unserer politischen Arbeit wird daher immer nur von der Bedürftigkeitssicht der Eltern ausge- weiterhin sein, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hen. Mit der Berechnung von Pauschalen, so wie es die zu stärken. Ich werde auch nicht müde, immer wieder an Linke fordert, schaffen wir Ungerechtigkeiten gegen- die Wirtschaft und an die Unternehmen zu appellieren, 20758 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Jutta Eckenbach (A) dass sie uns dabei unterstützen müssen. Aus meinem ei- zogen wird, bei dem sich das Kind hauptsächlich aufhält. (C) genen Wahlkreis, aus Essen, weiß ich, dass Evonik hier Wie lebensfremd ist das denn? ganz viel macht und ganz flexibel ist, dass es also auch (Beifall bei der LINKEN) schon Arbeitgeber gibt, die sich auf diesem Wege befin- den. Aber es wird nicht gehen, dass wir Alleinerziehende Jeder weiß doch, dass Fixkosten so heißen, weil sie eben nur im SGB-II-Bezug unterstützen, sondern wir müssen fix, fest, konstant, also unveränderlich, sind. Die Miete sie aus der Sozialhilfe herausholen. Wir müssen ganz vie- fürs Kinderzimmer muss man schließlich auch bezahlen, le Wege finden, damit uns das gelingt. (Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Wird auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bezahlt!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wenn sich das Kind jedes zweite Wochenende beim an- Wir als Parlament sollten diese Ansätze unterstützen. deren Elternteil aufhält. So kann ein guter beruflicher Werdegang trotz der Fülle an Aufgaben im Privaten auch für Alleinerziehende er- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist möglicht werden. Das sollte letztendlich unser Ziel sein, doch im Regelbedarfssatz 1! Was ist denn nicht die Spaltung der Gesellschaft, so wie es die Linke das? Das ist doch Quatsch! – Jutta Eckenbach mit ihrem Antrag offensichtlich vorhat. Dem können und [CDU/CSU]: Wollte ich doch gerade sagen! wollen wir heute nicht zustimmen. Ist doch drin!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ma- – Es geht darum, dass ihnen nichts abgezogen wird. chen wir auch nicht!) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist Ich darf Ihnen 1 Minute und 40 Sekunden von meiner doch was anderes! Das ist doch ein anderes Redezeit schenken, einen schönen zweiten Advent wün- Portemonnaie!) schen und mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken. Jobcenter ziehen den Anteil ab, wenn der andere Eltern- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- teil einen Mehrbedarf geltend macht. Das wird prakti- ordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer ziert. [CDU/CSU]: Es war ja auch schon alles Wich- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die krie- tige gesagt! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So gen doch sowieso schon mehr!) sind wir!) Der Mitgliedsbeitrag für den Sportverein, die Musik- schule und Ähnliches – all das bleibt konstant und redu- Vizepräsidentin Petra Pau: (B) ziert sich leider nicht entsprechend, nur weil das Kind (D) Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Frak- am Wochenende mal gerade beim anderen Elternteil ist. tion Die Linke. Zum Glück wurde im Frühjahr dank einer Petition (Beifall bei der LINKEN) von Anna-Maria Petri-Satter und des großen öffentlichen Protestes auf die geplante Gesetzesänderung verzichtet, Sigrid Hupach (DIE LINKE): die den Regelsatz strikt nach den einzelnen Aufenthalts- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! tagen aufteilen sollte. Das war richtig. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der De- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) batte nun schon einiges darüber gehört, wie die Lebenssi- tuation von Alleinerziehenden aussieht und wie schwie- Aber die damalige Debatte hat dazu geführt, dass manche rig diese ist. Mit unserem Antrag „Alleinerziehende Jobcenter jetzt erst recht die unklare Gesetzeslage aus- entlasten – Umgangsmehrbedarf anerkennen“ sprechen nutzen und dass sich die Situation für alleinerziehende wir eine ganz konkrete Baustelle an und machen einen Hartz-IV-Empfängerinnen oder -Empfänger sogar noch Lösungsvorschlag, der eine erhebliche Verbesserung für verschärft hat. Leider geht dieses Feilschen immer zulas- die Betroffenen bringt. ten der Kinder. In Deutschland leben inzwischen 2,2 Millionen Kin- Wir sollten doch eigentlich alles unterstützen, was der in den 1,7 Millionen Familien mit einem Elternteil. Kindern ermöglicht, in regelmäßigem Kontakt mit bei- Alleinerziehend zu sein, gehört noch immer zu einem der den Elternteilen aufzuwachsen, auch wenn die Eltern ge- größten Armutsrisiken in Deutschland. 39 Prozent der trennt leben. Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern beziehen (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das Ver- Leistungen nach dem SBG II. Diese Menschen haben sagen der Eltern ist für Sie eine Entschuldi- es – und das wissen wir alle – schon schwer genug, den gung, dass wir mehr Geld ausgeben! Unglaub- Lebensalltag zu bewältigen. Und gerade jene, die versu- lich!) chen, dem Kind auch einen Umgang mit dem anderen Elternteil zu ermöglichen, werden in vielen Fällen von Deswegen brauchen wir hier eine klare gesetzliche Re- den Jobcentern bestraft. gelung, damit kein Elternteil finanzielle Einbußen be- fürchten muss, wenn sich das Kind einige Tage woanders Zu Recht haben umgangsberechtigte Elternteile, die aufhält. im SGB-Il-Bezug stehen, einen Mehrbedarf für ihr Kind geltend gemacht. Dies darf aber doch nicht dazu führen, Wir schlagen mit unserem Antrag eine klare Lösung dass genau dieser Anteil bei dem anderen Elternteil abge- vor: voller Regelsatz für den Elternteil, in dessen Haus- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20759

Sigrid Hupach (A) halt das Kind überwiegend lebt, und halber Regelsatz für Dr. Fritz Felgentreu (SPD): (C) den Elternteil, der umgangsberechtigt ist. Zugleich muss Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle dies auch bei den Kosten der Unterkunft und der Heizung Fraktionen des Bundestages – wir haben es gemerkt – entsprechend berücksichtigt werden. sind sich einig: Wir wollen nicht hinnehmen, dass Allein- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das wer- erziehende und ihre Kinder ein höheres Risiko tragen, in den sie doch!) Armut zu leben. Dies bringt nicht nur Rechtssicherheit für die Alleiner- Für die Koalition ist die Verbesserung der Lebensbe- ziehenden wie für die umgangsberechtigten Elternteile, dingungen für solche Familien ein zentrales Thema. Und sondern entlastet auch entscheidend die Bürokratie und das beste Mittel gegen Armut ist Arbeit. Deshalb war es vor allem: Es hilft den Kindern. uns besonders wichtig, die Bedingungen zu verbessern, damit Alleinerziehende die Betreuung ihrer Kinder mit Die Zahl der Alleinerziehenden wird weiter wachsen, einer Berufstätigkeit vereinbaren können. Wir haben den einfach weil die Lebensformen anders sind als früher, Ländern und Kommunen zusätzliche Milliarden zur Ver- und sie werden sich auch weiterhin ändern. fügung gestellt, damit sie mehr Kitas und Horte bauen (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und der und sie besser ausstatten. Mehr und bessere Betreuung Staat bezahlt dafür!) für Kinder hilft allen Eltern, aber den Alleinerziehenden natürlich am meisten. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kollegin Hupach, auch wenn es ein Zeitgeschenk aus der CDU/CSU) der Unionsfraktion gegeben hat, müssen Sie jetzt zum Wir haben den Anspruch auf Teilzeitarbeit gestärkt und Schluss kommen. erweitert, und wir haben das Elterngeld Plus eingeführt. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das war nicht Wir haben den Mindestlohn eingeführt und den Kinder- für Sie gedacht, Frau Hupach!) zuschlag erhöht, damit Eltern mit niedrigem Einkommen nicht als Aufstocker zum Jobcenter gehen müssen. Sigrid Hupach (DIE LINKE): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dem müssen wir auch in Zukunft gerecht werden und Die Liste ließe sich fortsetzen, liebe Kolleginnen und zum Beispiel auch die Tatsache berücksichtigen, dass Kollegen. Aber ich möchte Sie nicht mit Dingen lang- sich Menschen bewusst entscheiden, allein zu erziehen. weilen, die Sie alle kennen. Ein bisschen Anerkennung Alle diese Lebensformen müssen wir endlich auch in der für die vielen Fortschritte in den letzten drei Jahren stün- Politik akzeptieren und deren Realität in den gesetzlichen (B) de aber auch der Opposition einmal ganz gut zu Gesicht. (D) Rahmenbedingungen berücksichtigen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Kohle dafür soll der Staat bereitstellen! So ten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE sieht es aus!) LINKE]: Nicht geschimpft ist schon genug gelobt!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Die Linksfraktion, lieber Herr Wunderlich, hat jetzt Ich bitte Sie jetzt wirklich, zum Schluss zu kommen. ein Sammelsurium von weiteren Verbesserungsvorschlä- gen vorgelegt. All das lässt sich so nicht umsetzen, schon (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt gar nicht sofort. Aber es sind durchaus Denkanstöße da- ist auch gut!) bei, über die wir weiter diskutieren können. Ich möchte mich nun auf den Punkt konzentrieren, Sigrid Hupach (DIE LINKE): bei dem wir einen Durchbruch erreicht haben, den Un- Ich höre auf, Frau Präsidentin. – Eigentlich brau- terhaltsvorschuss. Einen Unterhaltsvorschuss zahlt der chen wir dafür einen Systemwechsel, nämlich weg von Staat Alleinerziehenden – in der Regel alleinerziehenden Hartz IV. Müttern – dann aus, wenn in der Regel die Väter aus wel- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, chen Gründen auch immer nicht zahlen, wozu sie ver- nächste Rede! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: pflichtet sind. Der Vorschuss ist überall eine große Hilfe. Nächste Wahlperiode!) Allein in meinem Wahlkreis Berlin-Neukölln profitieren davon 2 300 Kinder. Wir machen Ihnen hier den Vorschlag, wenigstens eine Baustelle zu erledigen. In den Fällen, in denen die Mütter ein niedriges Ar- beitseinkommen haben, kann der Vorschuss der Grund Vielen Dank. sein, warum es ihnen erspart bleibt, als Aufstocker Ar- (Beifall bei der LINKEN) beitslosengeld II zu beantragen. Deswegen wollen wir auch nicht, dass diese Leistung in das SGB II kommt. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner Der Kollege Dr. Fritz Felgentreu hat für die SPD-Frak- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) tion das Wort. Das Geld ist nicht geschenkt, sondern der Staat versucht, (Beifall bei der SPD) sich den Vorschuss von den Vätern zurückzuholen. Im 20760 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

Dr. Fritz Felgentreu (A) Schnitt können aber nur etwa ein Viertel der Kosten die auch hier im Bundestag die Gesetzgebung blockiert. (C) eingetrieben werden. Deshalb kostet der Unterhaltsvor- schuss Geld, das zu einem Drittel vom Bund und zu zwei (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Dritteln von den Ländern kommt. wird durch Wiederholen nicht richtiger! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genau!) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sollten wir da- Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns steht doch nichts rüber neu nachdenken!) im Wege, das umzusetzen, was in größter Eindeutigkeit verabredet worden ist. Fachleute und Politik kritisieren schon lange, dass der Unterhaltsvorschuss bisher nur maximal sechs Jahre lang (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie und nur bis zum zwölften Lebensjahr gezahlt wird; denn des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Kinder kosten nun einmal länger als sechs Jahre etwas, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und Jugendliche kosten in der Regel mehr als kleine Kin- Wir haben den Alleinerziehenden in Deutschland ge- der. meinsam ein Versprechen gegeben. Helfen Sie mit, dass (Beifall bei der SPD) wir es auch halten! Aber bisher sind sich Bund und Länder über die sinnvol- Vielen Dank. le und notwendige Ausweitung nie einig geworden. Der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Grund dafür: das Geld. der LINKEN) Umso größer die Freude, dass am 14. Oktober zusam- men mit der Neuregelung der Finanzbeziehungen zwi- Vizepräsidentin Petra Pau: schen Bund und Ländern auch entschieden wurde, vom 1. Januar an ohne zeitliche Befristung bis zur Volljährig- Ich schließe die Aussprache. keit Unterhaltsvorschuss zu zahlen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da haben Drucksache 18/10283 an die in der Tagesordnung aufge- wir uns alle gefreut!) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Mit diesem gemeinsamen Beschluss von Bund und Län- so beschlossen. dern ist aus unserer Sicht die Entscheidung gefallen. Aber sie muss jetzt auch umgesetzt werden. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Lebenssi- (D) der LINKEN) tuation von Alleinerziehenden deutlich verbessern“. Der Eine Formulierungshilfe des Familienministeriums liegt Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung vor. Wir können das Gesetz also unverzüglich beschlie- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ganz ßen. schlechte Beschlussempfehlung!) Meine Damen und Herren, lieber Herr Wunderlich, auf Drucksache 18/10106, den Antrag der Fraktion Die ich wundere mich, dass es in dieser Situation noch Bun- Linke auf Drucksache 18/6651 abzulehnen. desländer gibt – ich sage offen: auch SPD-geführte Bun- desländer –, die jetzt die Gesetzgebung verzögern, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Jetzt könnt ihr es korrigieren!) (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer weil Finanzierungs- und Verwaltungsfragen noch geklärt stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- werden müssen. empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wundert nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der mich auch!) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Alle Beteiligten wussten schon am 14. Oktober, als sie Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am die Beschlüsse gefasst haben, dass der Unterhaltsvor- Schluss unserer heutigen Tagesordnung. schuss Geld kostet und Arbeit macht. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie tages auf Mittwoch, den 14. Dezember 2016, 13 Uhr, ein. bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und für GRÜNEN]) alle, die ihn feiern, natürlich einen gesegneten zweiten Advent. Damals hätten die Bedenken vorgetragen werden müs- sen, nicht jetzt, da Tausende Familien die dringend benö- (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – tigte und zugesagte Unterstützung erwarten. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das wün- schen wir auch, Frau Präsidentin!) Vor diesem Hintergrund habe ich noch weniger Ver- ständnis für die Haltung der Unionsfraktion, Die Sitzung ist geschlossen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genau!) (Schluss: 14.08 Uhr) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20761

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Aken, Jan van DIE LINKE 02.12.2016 Lutze, Thomas DIE LINKE 02.12.2016 Barthle, Norbert CDU/CSU 02.12.2016 Möhring, Cornelia DIE LINKE 02.12.2016 Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 02.12.2016 Müller, Dr. Gerd CDU/CSU 02.12.2016 Marieluise DIE GRÜNEN Nahles, Andrea SPD 02.12.2016 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ 02.12.2016 DIE GRÜNEN Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ 02.12.2016 DIE GRÜNEN Böhmer, Dr. Maria CDU/CSU 02.12.2016 Pilger, Detlev SPD 02.12.2016 Bülow, Marco SPD 02.12.2016 Ramsauer, Dr. Peter CDU/CSU 02.12.2016 Dinges-Dierig, CDU/CSU 02.12.2016 Alexandra Schlecht, Michael DIE LINKE 02.12.2016 Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ 02.12.2016 Schmidt, Dr. Frithjof BÜNDNIS 90/ 02.12.2016 DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN Ernstberger, Petra SPD 02.12.2016 Schulte, Ursula SPD 02.12.2016 Ferner, Elke SPD 02.12.2016 Schulz-Asche, Kordula BÜNDNIS 90/ 02.12.2016 DIE GRÜNEN Gehring, Kai BÜNDNIS 90/ 02.12.2016 (B) (D) DIE GRÜNEN Schulze, Dr. Klaus-Peter CDU/CSU 02.12.2016 Gottschalck, Ulrike SPD 02.12.2016 Schwartze, Stefan SPD 02.12.2016 Groth, Annette DIE LINKE 02.12.2016 Steffen, Sonja SPD 02.12.2016 Haßelmann, Britta BÜNDNIS 90/ 02.12.2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 02.12.2016 DIE GRÜNEN Steinmeier, Dr. Frank- SPD 02.12.2016 Hendricks, Dr. Barbara SPD 02.12.2016 Walter Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ 02.12.2016 Strebl, Matthäus CDU/CSU 02.12.2016 DIE GRÜNEN Strothmann, Lena CDU/CSU 02.12.2016 Kipping, Katja DIE LINKE 02.12.2016 Tank, Azize DIE LINKE 02.12.2016 Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/ 02.12.2016 Thönnes, Franz SPD 02.12.2016 DIE GRÜNEN Ulrich, Alexander DIE LINKE 02.12.2016 Kolbe, Daniela SPD 02.12.2016 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 02.12.2016 Korte, Jan DIE LINKE 02.12.2016 Whittaker, Kai CDU/CSU 02.12.2016 Kühn-Mengel, Helga SPD 02.12.2016 Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 02.12.2016 Kunert, Katrin DIE LINKE 02.12.2016 Wolff (Wolmirstedt), SPD 02.12.2016 Kurth, Markus BÜNDNIS 90/ 02.12.2016 Waltraud DIE GRÜNEN Zeulner, Emmi* CDU/CSU 02.12.2016 Lerchenfeld, Philipp CDU/CSU 02.12.2016 Graf Zypries, Brigitte SPD 02.12.2016 Leutert, Michael DIE LINKE 02.12.2016

Lühmann, Kirsten SPD 02.12.2016 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes 20762 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

(A) Anlage 2 werden? Diese Art der Bürgerbeteiligung wird ihrem ei- (C) gentlichen Anspruch nicht gerecht. Erklärungen nach § 31 GO Weil mein Wahlkreis direkt betroffen ist und ich die zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- fehlende Berücksichtigung der Bürgereinwände stark rung eingebrachten Entwurf eines Sechsten Geset- kritisiere, habe ich dem Gesetz über den Fernstraßenaus- zes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes bau heute nicht zugestimmt. (Tagesordnungspunkt 30 a) Ich habe die Bürgerinitiative B 225 bereits zu einem weiteren Abstimmungstermin eingeladen. Darüber hi- (SPD): Der parlamentarische Pro- Heike Baehrens naus führe ich bereits Gespräche mit dem NRW-Ver- zess, der zu den hier vorliegenden Ausbaugesetzen und kehrsminister und der Stadt Marl, um einen anderen Änderungsanträgen geführt hat, war lang und zum Teil Streckenverlauf zu finden. Klar ist: Wir brauchen in Marl schwierig. Umso mehr freut es mich, als Sozialdemokra- eine Entlastung durch eine Ortsumfahrung. Diese muss tin aus Baden-Württemberg und als Abgeordnete für den aber wesentlich anders verlaufen. Jahrzehntealte Planun- Landkreis Göppingen, dass der Ausbau der A 8 am Alb­ gen helfen hier nicht weiter. aufstieg endlich als fest disponierte Maßnahme bestätigt wurde. Ebenso begrüße ich sehr, dass der Abschnitt Gin- gen-Ost nach Geislingen-Mitte nun zum Vordringlichen Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Meine Zustimmung Bedarf zählt. zum Bundesverkehrswegeplan 2030 verbinde ich – im Einklang mit dem Ratsbeschluss der Stadt Wesel vom Ich halte es jedoch für sachlich nicht richtig, dass 20. September 2016 – mit der Forderung, die Planungen der daran anschließende Bauabschnitt Geislingen-Mit- in der vorliegenden Form nicht voranzutreiben. Die Plä- te bis Geislingen-Ost lediglich als Weiterer Bedarf mit ne und die Trassenführung sind jahrzehntealt und berück- Planungsrecht aufgenommen wurde. Diese Einstufung sichtigen weder die heutigen Siedlungsstrukturen noch entspricht dem Status Bundesverkehrswegplan 2003 und sind sie mit den Belangen von Natur- und Umweltschutz stellt insofern keine Verbesserung dar. Ebenso wie der zu vereinbaren. Abschnitt davor gehört dieser Bauabschnitt in den Vor- dringlichen Bedarf, um das Projekt bis 2030 realisieren Auf Weseler Gebiet wird der Ortsteil Lippedorf zer- zu können. Auf diese Weise könnten beide Bauabschnitte schnitten. Die veröffentliche Linie einer möglichen Tras- zusammen geplant und realisiert werden, um eine wei- se geht ohne Rücksicht über Häuser und Grundstücke. Es tere Belastung der Wohnbevölkerung in Geislingen zu ist den dort lebenden Menschen nicht vermittelbar, dass vermeiden und diese wichtige Bundesstraße ihrer Bedeu- eine Trasse, deren Planung jahrzehntealt und völlig über- holt ist, nun realisiert werden soll. Der Ansatz einer sol- (B) tung entsprechend zu ertüchtigen. (D) chen Planung ist meines Erachtens grundlegend falsch. Trotzdem stimme ich dem Fernstraßenausbaugesetz in Ich erwarte daher, die alte Trassenplanung nicht weiter vorliegender Form zu. Es ist das Ergebnis mühevoller, voranzutreiben, sondern Lösungen auf bestehenden Stra- detailreicher Fach- und Koalitionsarbeit. Eine Ableh- ßen zu erarbeiten. Eine sich anbietende Lösung wäre der nung aufgrund eines einzelnen Projekts wäre nach sorg- sechsspurige Ausbau der A 3 bis Wesel. Eine weitere fältiger Abwägung meiner Ansicht nach nicht vertretbar. Lösung wäre eine vernünftige Anbindung der Südumge- hung an die L 396 (Frankfurter Straße) durch einen Brü- Michael Groß (SPD): Alle guten Argumente und ckenneubau über die Lippe an gleicher Stelle, sowie auf Gespräche haben nichts genützt. Die Verhandlungsfüh- der bestehenden B-8-Trasse durch eine optimierte Anbin- rer von CDU und CSU zum Bundesverkehrswegeplan dung an die neue K 12n. Des Weiteren erwarte ich eine waren nicht bereit, die im Entwurf für ein Fernstraßen- signifikante Verbesserung der Verkehrstrassen um Wesel, ausbaugesetz gelistete Ortsumfahrung Alt-Marl mit ihrer wenn die Südumgehung und die zusätzliche Auf- und 1,4 km langen Strecke aus dem Vordringlichen Bedarf Abfahrt an der A 3 in Brünen realisiert wird. zu nehmen. Weder der parteiübergreifend gefasste Be- schluss des Marler Stadtrates noch zahlreiche Einwen- Christian Lange (Backnang) (SPD): Der parlamen- dungen von mir in Zusammenarbeit mit der Landes- tarische Prozess, der zu den hier vorliegenden Ausbau- gruppe NRW der SPD-Bundestagsfraktion konnten den gesetzen und Änderungsanträgen geführt hat, war lang Koalitionspartner umstimmen. Ich bin sehr verärgert, und zum Teil schwierig. Umso mehr freut es mich, als dass man eine Straße, die so kein Mensch will, gegen die Sozialdemokrat aus Baden-Württemberg, dass die Bera- in der bestehenden Form die besten verkehrspolitischen tungen, trotz einiger Differenzen, konstruktiv verliefen. und raumordnerischen Argumente vorgetragen wurden, Das Gesamtpaket ist ein guter Kompromiss – deshalb verabschiedet wurde. stimme ich dem zu. Dies ist der erste Bundesverkehrswegeplan, der vor Jedoch gibt es auch einzelne Vorhaben, die ich persön- Verabschiedung im Parlament einen sechswöchigen lich und als Vertreter der baden-württembergischen SPD Prozess der Bürgerbeteiligung durchlaufen musste. Das ablehne. So ist der Nordostring-Stuttgart weiterhin im ist begrüßenswert. Auch viele Marler haben daran teil- Weiteren Bedarf mit Planungsrecht des Bundesverkehrs- genommen. Ich hatte als MdB aber keine Möglichkeit, wegeplans (BVWP) enthalten, obwohl ich mich stets für die Einwendungen kennenzulernen. Ich frage mich al- dessen Abstufung eingesetzt habe. Mit dem Koalitions- lerdings: Was bringt die Beteiligung der Menschen vor partner CDU/CSU war jedoch keine gemeinsame Linie Ort, wenn die Änderungsbegehren nicht aufgenommen zu erzielen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20763

(A) Dass der Nordostring-Stuttgart im BVWP enthalten Dr. Dorothee Schlegel (SPD): Der parlamentarische (C) ist, bedeutet jedoch nicht, dass es keine Gestaltungs- Prozess, der zu den hier vorliegenden Ausbaugesetzen möglichkeiten gibt. Denn das sogenannte Nutzen-Kos- und Änderungsanträgen geführt hat, war lang und zum ten-Verhältnis (NKV) des Nordostrings, das jetzt beson- Teil schwierig. Umso mehr freut es mich, als Sozialde- ders hoch ist, muss vor der konkreten Planungsaufnahme mokratin aus Baden-Württemberg, dass die Beratungen, neu berechnet werden. Wenn aber wiederum der vom trotz einiger Differenzen, konstruktiv verliefen. Das Ge- Land vorgeschlagene Ausbau des Autobahnzubringers samtpaket ist ein guter Kompromiss – deshalb stimme L 1115 zwischen Backnang-West und Mundelsheim vor- ich dem zu. ankommt, ist davon auszugehen, dass das NKV durch die neue Entlastungsstraße nach unten korrigiert wird. Jedoch gibt es auch einzelne Vorhaben, die ich als Vertreterin der Baden-Württembergischen SPD ablehne. Trotzdem stimme ich dem Fernstraßenausbaugesetz in So ist der Nordostring-Stuttgart weiterhin im Weiteren vorliegender Form zu. Es ist das Ergebnis mühevoller, Bedarf mit Planungsrecht des BVWP enthalten. Mit dem detailreicher Fach- und Koalitionsarbeit. Eine Ableh- Koalitionspartner CDU/CSU war jedoch keine gemein- nung aufgrund eines einzelnen Projekts wäre, nach sorg- same Linie zu erzielen. fältiger Abwägung, meiner Ansicht nach nicht vertretbar. Dass der Nordostring-Stuttgart im BVWP enthalten ist, bedeutet jedoch nicht, dass es keine Gestaltungs- Annette Sawade (SPD): Der parlamentarische Pro- möglichkeiten gibt. Denn das sogenannte Nutzen-Kos- zess, der zu den hier vorliegenden Ausbaugesetzen und ten-Verhältnis (NKV) des Nordostrings, das jetzt beson- Änderungsanträgen geführt hat, war lang und zum Teil ders hoch ist, muss vor der konkreten Planungsaufnahme schwierig. Umso mehr freut es mich, als Sozialdemo- neu berechnet werden. Wenn aber wiederum der vom kratin aus Baden-Württemberg und als Mitglied des Ver- Land vorgeschlagene Ausbau des Autobahnzubringers kehrsausschusses, dass die Beratungen, trotz einiger Dif- L 1115 zwischen Backnang-West und Mundelsheim vor- ferenzen, konstruktiv verliefen. Das Gesamtpaket ist ein ankommt, ist davon auszugehen, dass das NKV durch die guter Kompromiss – deshalb stimme ich dem zu. neue Entlastungsstraße nach unten korrigiert wird. Ein weiteres Straßenprojekt ist besonders umstritten: Jedoch gibt es auch einzelne Vorhaben, die ich persön- Dabei geht es um die B 29 neu Röttinger Höhe nach lich und als Vertreterin der Baden-Württembergischen Nördlingen. Bei den Beratungen wurde immer wieder SPD ablehne. So ist der Nordostring-Stuttgart weiterhin die hohe Umweltproblematik der favorisierten Süd-Va- im Weiteren Bedarf mit Planungsrecht des BVWP ent- riante angesprochen, die schützenswerten Naturraum im halten, obwohl ich mich stets für dessen Abstufung ein- Härtsfeld zerschneiden würde. Das BMVI sicherte zu, (B) gesetzt habe. Mit dem Koalitionspartner CDU/CSU war dass es noch keine Festlegung auf eine Trasse gebe. Dies (D) jedoch keine gemeinsame Linie zu erzielen. gelte im Übrigen für alle Projekte im BVWP. Dies lässt mich also hoffen, dass dieses Projekt noch ergebnisof- Dass der Nordostring-Stuttgart im BVWP enthalten fen ist – auch wenn ich es im Weiteren Bedarf favorisiert ist, bedeutet jedoch nicht, dass es keine Gestaltungs- hätte. Aber auch hier war keine Einigung mit der Union möglichkeiten gibt. Denn das sogenannte Nutzen-Kos- möglich. ten-Verhältnis (NKV) des Nordostrings, das jetzt beson- ders hoch ist, muss vor der konkreten Planungsaufnahme Trotzdem stimme ich dem Fernstraßenausbaugesetz in neu berechnet werden. Wenn aber wiederum der vom vorliegender Form zu. Es ist das Ergebnis mühevoller, Land vorgeschlagene Ausbau des Autobahnzubringers detailreicher Fach- und Koalitionsarbeit. Eine Ableh- L 1115 zwischen Backnang-West und Mundelsheim vor- nung aufgrund eines einzelnen Projekts wäre, nach sorg- ankommt, ist davon auszugehen, dass das NKV durch die fältiger Abwägung, meiner Ansicht nach nicht vertretbar. neue Entlastungsstraße nach unten korrigiert wird.

Ein weiteres Straßenprojekt ist besonders umstritten: Ute Vogt (SPD): Der Deutsche Bundestag beschließt Dabei geht es um die B 29 neu Röttinger Höhe nach heute das Fernstraßenausbaugesetz zur Umsetzung des Nördlingen. Ich habe bei den Beratungen immer wieder Bundesverkehrswegeplans. Die darin enthaltene Aufnah- die hohe Umweltproblematik der favorisierten Süd-Va- me des Vorhabens B 29 Nordostring Stuttgart in den wei- riante angesprochen, die schützenswerten Naturraum im teren Bedarf mit Planungsrecht lehne ich entschieden ab. Härtsfeld zerschneiden würde. Das BMVI sicherte zu, Der Nordostring ist eine unnötige und sehr umstritte- dass es noch keine Festlegung auf eine Trasse gebe. Dies ne Maßnahme. Das Projekt trägt weder zur Entlastung der gelte im Übrigen für alle Projekte im BVWP. Dies lässt Stadt Stuttgart und ihrer Innenstadt bei noch löst es die mich also hoffen, dass dieses Projekt noch ergebnisoffen Verkehrsprobleme in der Region. Eine zukunftsorientierte ist – auch wenn ich es persönlich im Weiteren Bedarf fa- Verkehrspolitik sieht anders aus. Daher lehnt auch die SPD vorisiert hätte. Aber auch hier war keine Einigung mit der in Stuttgart und in der Region das Projekt ganz klar ab. Union möglich. Auch die hohen ökologischen Risiken sprechen ein- Trotzdem stimme ich dem Fernstraßenausbaugesetz in deutig gegen den Nordostring. Unverantwortbar ist das vorliegender Form zu. Es ist das Ergebnis mühevoller, Vorhaben wegen der massiven Eingriffe in die Land- detailreicher Fach- und Koalitionsarbeit. Eine Ableh- schaft und der negativen Auswirkungen auf die gesamte nung aufgrund eines einzelnen Projekts wäre, nach sorg- Region, so zum Beispiel beim Natur- und Artenschutz fältiger Abwägung, meiner Ansicht nach nicht vertretbar. und in der Landwirtschaft. Das Projekt zerstört zudem 20764 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

(A) den letzten großen Frei- und Erholungsraum im Nordos- Meine Notwendigkeit zur persönlichen Erklärung be- (C) ten von Stuttgart. ruht auf der Maßnahme ABS/NBS Hannover–Bielefeld, die ich in der gefassten Form ablehne. Ich bin ein Befür- Die Unterlagen und Daten, die der aktuellen Einstu- worter der trassennahen Ausbauvariante Löhne–Haste, fung und Bewertung des Bundesministeriums für Ver- statt einer Neubauvariante mit einem möglichen Tunnel kehr und digitale Infrastruktur (BMVI) zugrunde liegen, durch den Jakobsberg und einer Streckenführung durch sind teils veraltet bzw. nicht belastbar. Von daher ist die die Bückeburger Niederungen. Dies ist ebenso der ge- gesamtwirtschaftliche Bewertung des Projektes nicht setzte Wille der Bevölkerung im Schaumburger Land, nachvollziehbar. den ich an dieser Stelle vertrete. Die Art und Weise der Wiederaufnahme des Nord­ ostrings in den Bundesverkehrswegeplan ist mehr als Neben diesem Projekt enthält das Bundesschienen- befremdlich. wegeausbaugesetz jedoch mehrheitlich Projekte, die ich befürworten kann und die in den Regionen von den Men- Das Land Baden-Württemberg hat seine Aufnahme schen erwünscht sind und unser Land voranbringen. nicht beantragt und lehnt das Projekt ab. Abgelehnt wird das Projekt auch von der Mehrheit der betroffenen Kommunen Ich hätte mit einem Nein ebenso gegen diese Projekte in der Region. Gemeinsam mit den Verkehrspolitikerinnen stimmen müssen und auch wenn mir das bisherige Er- und Verkehrspolitikern der SPD-Bundestagfraktion habe gebnis der Diskussion des oben genannten Projektes für ich mich gegen die Wiederaufnahme des Nordostrings in meinen Wahlkreis Nienburg II – Schaumburg nicht ge- den Bundesverkehrswegeplan ausgesprochen. Allerdings fällt und es ein Zeichen hätte sein können, trotzdem mit hat das BMVI offenbar im Vorfeld nur Gespräche mit den Nein zu stimmen, wäre es aus demokratischen Gesichts- wenigen Mandatsträgern und Vertretern der Region Stutt- punkten und auch der bundespolitischen Verantwortung gart geführt, die dieses Projekt unterstützen. den Menschen im gesamten Land gegenüber unfair, auch deren Projekte pauschal mit abzulehnen. Ein solches Projekt kann aber nicht gegen den Wider- stand der Betroffenen verwirklicht werden. Insofern habe ich kein Verständnis dafür, dass das Projekt auf Betrei- Achim Post (Minden) (SPD): Der vorliegende Ge- ben einiger weniger CDU-Abgeordneten aus Stuttgart setzentwurf sieht im „Bedarfsplan für die Bundesschie- und der Region wieder in den Bundesverkehrswegeplan nenwege“ (Anlage 1 zu § 1 des BSWAG) als Maßnahme aufgenommen wurde. des Vordringlichen Bedarfs das Vorhaben Nr. 13 „ABS/ NBS Hannover–Bielefeld“ (ABS = Ausbaustrecke / Es ist mir wichtig, mit dieser persönlichen Erklärung NBS = Neubaustrecke) vor. Eine ergänzende Fußnote nochmals zu unterstreichen, dass ich die Wiederaufnah- soll den Einwendungen, insbesondere aus der Region (B) me des Nordostrings in den Bundesverkehrswegeplan Ostwestfalen-Lippe, Rechnung tragen. Durch die For- (D) ablehne. Die im Bundesverkehrswegeplan enthaltenen mulierung „ohne Querung Seelze-Süd und ohne Tun- Maßnahmen werden entlang ihrer Priorität, ihres Verfah- nel Jakobsberg unter der Maßgabe, dass die für einen rensstandes bei der Planung und anhand weiterer Faktoren Deutschland-Takt erforderliche Fahrzeitverkürzung von zunächst in Fünfjahrespläne aufgenommen. Erst in den voraussichtlich acht Minuten erreicht wird“ sollen die jährlichen Haushaltsberatungen werden nach Erlangung Befürchtungen der Städte Minden und Porta Westfalica der planerischen Baureife die Finanzierung und damit die sowie der Kommunen entlang einer potenziellen Tunnel- Baufreigabe erteilt. Ich werde mich daher weiterhin nach- strecke ausgeräumt werden. drücklich gegen einen Bau des Vorhabens einsetzen. Die betroffenen Kommunen und Kreise in Nord- Eine Abstimmung über ein einzelnes Vorhaben ist im rhein-Westfalen und Niedersachsen sowie der Regional- Rahmen der zweiten und dritten Lesung des Fernstraßen- rat Detmold sprechen sich schon seit Jahren übereinstim- ausbaugesetzes im Bundestag leider nicht möglich. Das mend für eine Engpassbeseitigung auf der Bahnstrecke Gesetz enthält zudem eine Vielzahl sinnvoller und wich- Bielefeld–Hannover durch den Ausbau der vorhandenen tiger Verkehrsprojekte, insbesondere in Bereichen des zweigleisigen Schienentrasse auf vier Gleise im Stre- Erhalts und der Engpassbeseitigung, die vor Ort dringend ckenabschnitt Lindhorst–Löhne aus. Auch die Verkehrs- benötigt werden. Daher werde ich dem Gesetz als Ganzes ministerien Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens heute zustimmen. haben sich im Verfahren zum Bundesverkehrswegeplan und zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesschie- nenwegeausbaugesetzes (BSWAG) deutlich für den Aus- Anlage 3 bau der bestehenden Strecke eingesetzt. Erklärungen nach § 31 GO Gleichwohl bliebe es trotz der Fußnote im neuen ­BSWAG möglich, die vorhandene Strecke nicht auszu- zu der Abstimmung über den von der Bundesre- bauen und stattdessen eine Neubaustrecke zwischen der gierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Ge- Landesgrenze Niedersachsen/NRW und Porta Westfalica setzes zur Änderung des Bundesschienenwegeaus- umzusetzen. Eine Neubaustrecke ist aber meiner Mei- baugesetzes (Tagesordnungspunkt 30 b) nung nach vor allem aus landschaftlichen, städtebau- lichen, verkehrs- und umweltpolitischen Gründen un- Maik Beermann (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf tragbar. Auch die bislang angesetzten Kosten von rund werde ich zustimmen und möchte nachfolgend meine 1,885 Milliarden Euro sind aufgrund der massiven Ein- Position zur Sache wie folgt erklären: griffe in die Landschaft so hoch, dass der Ausbau statt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20765

(A) eines Neubaus keine höheren Kosten erwarten lässt, son- erwähnte Beschluss im zugrundeliegenden Regelwerk (C) dern eher zu einer Kostenverringerung führen wird. Anwendung findet – zum Beispiel Regularien zum Im- missionsschutz – und umgesetzt wird. Allein eine geänderte Vorhabenbeschreibung als Vor- haben Nr. 13 „ABS/NBS Hannover–Lindhorst / ABS Lindhorst–Löhne“ hätte zwingende Bindungswirkung für die Bundesregierung und den Vorhabenträger Deut- Anlage 4 sche Bahn. Erklärung nach § 31 GO Auch wenn das Gesetz eines der wichtigsten verkehrs- der Abgeordneten Heike Brehmer (CDU/CSU) zu politischen Projekte des Parlaments in dieser Legislatur- den Abstimmungen über periode ist, ist es mir als Abgeordneter aus der Region Ostwestfalen-Lippe aus den zuvor genannten Gründen – den von der Bundesregierung eingebrachten und nach Abwägung aller Aspekte nicht möglich, den Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung zur Abstimmung stehenden Entwurf zu unterstützen. des Fernstraßenausbaugesetzes Deshalb stimme ich gegen diesen Gesetzentwurf. – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung Albert Rupprecht (CDU/CSU): Zu dem Dritten Ge- des Bundesschienenwegeausbaugesetzes setz zur Änderung des Bundesschienenwegeausbauge- setzes gebe ich folgende Erklärung ab: – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über den Ausbau der Ich stimme diesem Gesetz unter der Annahme zu, dass Bundeswasserstraßen und zur Änderung des die im Bedarfsplan für die Bundesschienengesetze (Ab- Bundeswasserstraßengesetzes schnitt 2, Unterabschnitt 1) genannte Einzelmaßnahme mit der laufenden Nummer 16 ABS Hof–Marktredwitz– – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Regensburg–Obertraubling (Ostkorridor Süd) Lärmvor- Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem An- sorgemaßnahmen nach sich zieht. trag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter Der Lärmschutz für die Anlieger muss durch den im und der Fraktion DIE LINKE Gesetz geregelten Rechtsanspruch auf Lärmvorsorge oder eine für die betroffenen Anlieger adäquate Rechts- Bundesverkehrswegeplan 2030 zurückziehen – grundlage und entsprechende Lärmschutzmaßnahmen Klimaschutz- und sozialökologische Nachhal- sichergestellt werden. Eine adäquate Rechtsgrundlage tigkeitsziele umsetzen (B) befindet sich im Beschluss des Deutschen Bundesta- – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für (D) ges vom 26. Januar 2016 – Drucksache 18/7365 – mit Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem dem Titel „Menschen- und umweltgerechte Realisie- Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, rung europäischer Schienennetze“. Darin beschloss der Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, wei- Deutsche Bundestag, „bei der Realisierung von Schie- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- nengütertrassen im Rahmen der Verkehrskorridore des NIS 90/DIE GRÜNEN TEN-Verkehr-Kernnetzes die rechtliche Gleichstellung von Ausbaustrecken an Neubaustrecken sicherzustellen“. Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Weichen in der Bundesverkehrswegeplanung richtig stellen Einen Rechtsanspruch auf Schutz vor Verkehrslärm gewährt das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BIm- – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für SchG) in Verbindung mit der Verkehrslärmschutzver- Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem ordnung (16. BImSchV). Als sogenannte Lärmvorsorge Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, ist beim Neubau oder bei einer wesentlichen baulichen Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), wei- Änderung eines Verkehrsweges Vorsorge gegen Ver- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- kehrslärm zu treffen, der als Folge der Baumaßnahme für NIS 90/DIE GRÜNEN die Zukunft prognostiziert ist. Den Bundesverkehrswegeplan zum Bundes- Die erwähnte Strecke ist Teil des TEN-Kernnetzes netzplan weiterentwickeln Güterverkehr. (Tagesordnungspunkte 30 a bis f) In der Conclusio ist somit festgestellt, dass der Aus- Der Bundesverkehrswegeplan 2030 ist mit einem Ge- bau der TEN-Strecke Hof–Regensburg als Neubaustre- samtvolumen von fast 270 Milliarden Euro das stärkste cke behandelt wird und somit die im Bundes-Immissi- Investitionsprogramm in die Infrastruktur, das es je gege- onsschutzgesetz genannten, strengeren Grenzwerte der ben hat. Von den rund 133 Milliarden Euro, die für Erhalt Lärmvorsorge eingehalten werden müssen. und Neubau des Straßennetzes zur Verfügung stehen, werden das Land Sachsen-Anhalt sowie die Landkreise Darüber hinaus geht aus den TEN-Beschlüssen her- Harz und Salzland in erheblichem Umfang profitieren. vor, dass hier über das gesetzlich festgelegte rechtliche Aus diesen Gründen werde ich den von der Bundesre- Schutzniveau ein höheres Schutzniveau im Sinne der gierung eingebrachten Entwürfen zur Änderung des Lärmvorsorge gefordert wird. Fernstraßenausbaugesetzes, des Bundesschienenwege- Ich gehe selbstverständlich davon aus, dass ein Be- ausbaugesetzes und des Bundeswasserstraßengesetzes schluss des Deutschen Bundestages bindend ist und der zustimmen. 20766 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016

(A) Für mich nicht zufriedenstellend ist, dass das Projekt Die Unterlagen für das Projekt B 81 OU Blankenburg (C) B 81 Ortsumfahrung Blankenburg (B81-G10-ST / lau- liegen dem Ministerium für Verkehr und digitale Infra- fende Nr. 1210 im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen struktur bereits seit März 2015 für den „Gesehen-Ver- [Drucksache 18/9523]) trotz Neuberechnung im Zuge merk“ vor. Zumindest dieser Vermerk sollte erteilt wer- der Öffentlichkeitsbeteiligung nur in die Kategorie „Wei- den, damit die Planungen fortgesetzt werden können und terer Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans mit einem die bisher vom Land Sachsen-Anhalt geleisteten Pla- Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) von 1,0 eingeordnet nungsinvestitionen in Höhe von 1,2 Millionen Euro nicht worden ist. umsonst waren.

Die schlechte Bewertung und die Einstufung in die Kategorie „Weiterer Bedarf“ sind für mich in keiner Weise fachlich nachvollziehbar. Die B 81 ist durch ihre Anlage 5 zentrale Lage in Sachsen-Anhalt eine wichtige Ver- Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung kehrsachse nach Thüringen und Niedersachsen. Eben- falls unverständlich ist die zur Berechnung des NKV Der Bundesrat hat in seiner 951. Sitzung am 25. No- zugrunde gelegte Verkehrsbelastung. Diese wurde in vember 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen der Projektanmeldung des Landes Sachsen-Anhalt mit zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- 15 563 Kfz/24 h (im Planfall 2030) angegeben. Das satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: PRINS-System weist die zukünftige mittlere Verkehrsbe- lastung aber nur mit 5 000 Kfz/24 h aus. Eingereichte – Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlas- Unterlagen und fachliche Stellungnahmen seitens der sungsgesetzes und anderer Gesetze Kommune, des Landkreises und von Trägern öffentlicher – Gesetz zur Flexibilisierung des Übergangs vom Er- Belange wurden nicht berücksichtigt! werbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung Das Projekt TOU Hüttenrode (B27-G10-ST) wurde von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsle- im Bundesverkehrswegeplan in die Kategorie „Weiterer ben (Flexirentengesetz) Bedarf mit Planungsrecht“ eingestuft. Mit der möglichen Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- Realisierung der B 27 TOU Hüttenrode sind jedoch auch fasst: die verkehrlichen Wirkungen dieses Vorhabens im um- liegenden Straßennetz zu berücksichtigen. Dies betrifft Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, eine dau- insbesondere die Auswirkungen auf den Streckenzug der erhafte Regelung zu schaffen, nach der Aufwandsent- B 81 nördlich des Knotenpunktes Almsfeld bis Blanken- schädigungen, die ehrenamtlich Tätige erhalten, nicht (B) burg. Aufgrund der vorhandenen netzstrukturellen Zu- als Hinzuverdienst bei vorgezogenen Altersrenten und (D) sammenhänge ist davon auszugehen, dass der gesamte Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu be- Verkehr auf der TOU Hüttenrode den benannten Stre- rücksichtigen sind. ckenabschnitt der B 81 in Richtung Blankenburg befah- ren wird. Aufwandsentschädigungen, die kommunale Eh- renbeamte und Ehrenbeamtinnen, ehrenamtlich in Gemäß den Angaben des BMVI-Projektdossiers kommunalen Vertretungskörperschaften Tätige oder für die B 27 TOU Hüttenrode ist hier im Planfall mit Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, Versicherte- 2 000 Kfz/24 h zu rechnen (die projektspezifische Ver- nälteste oder Vertrauenspersonen der Sozialversiche- kehrsuntersuchung im Rahmen der Entwurfsplanung rungsträger erhalten, werden bisher auf Grund einer weist hier etwa 4 000 Kfz/24 h aus). Demnach sind bei Übergangsregelung bis zum 30. September 2017 nicht der Beurteilung des durch das Land Sachsen-Anhalt als Hinzuverdienst bei einer vorzeitigen Altersrente ebenfalls angemeldeten Vorhabens der B 81 OU Blan- und bei einer Rente wegen Erwerbsminderung berück- kenburg zumindest die im Projektdossier für die B 27 sichtigt, soweit kein konkreter Verdienstausfall ersetzt TOU Hüttenrode ausgewiesenen Verkehrszahlen zusätz- wird. lich zu berücksichtigen. Folglich ist die Verkehrsbelas- Diese Regelung stellt keine befriedigende Lösung dar. tung auf der B 81 OU Blankenburg (anstatt mit den im Nach Ablauf der Übergangsfrist würde es wieder zu Projektdossier ausgewiesenen 5 000 Kfz/24 h) mit cir- einer Einkommensanrechnung kommen und damit zu ca 7 000 Kfz/24 h anzunehmen (die projektspezifische einer unzumutbaren Kürzung von vorzeitigen Alters- Verkehrsuntersuchung im Rahmen der Entwurfsplanung und Erwerbsminderungsrenten ehrenamtlich Tätiger. weist hier 9 760 Kfz/24 h aus). Aufgrund der besonderen Bedeutung des Ehrenamtes Die Korrektur der Verkehrsbelastungszahlen hat einen für die Gesellschaft muss eine dauerhafte Regelung erheblichen Einfluss auf die Berechnung des Nutzens der geschaffen werden, um Aufwandsentschädigungen für Ortsumgehung, sodass eine Überprüfung und Neube- ehrenamtlich Tätige von einer Hinzuverdienstanrech- rechnung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses für die Ent- nung auszunehmen. Bei einer Berücksichtigung von scheidung der Einordnung in die Kategorien Vordring- Aufwandsentschädigungen als Hinzuverdienst würde licher Bedarf oder WB* aufgrund der beschriebenen zukünftig die Bereitschaft, ein Ehrenamt zu überneh- Veränderungen der prognostizierten Verkehrsdaten für men, zurückgehen. Im Interesse einer Gleichbehand- die Maßnahme B 81 OU Blankenburg zwingend geboten lung soll diese Regelung für alle ehrenamtlich Tätigen gewesen wäre! gelten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20767

(A) – Gesetz zur Durchführung unionsrechtlicher Vor- einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen (C) schriften über das Schulprogramm für Obst, absehen: Gemüse und Milch (Landwirtschaftserzeugnis- se-Schulprogrammgesetz – LwErzgSchulproG) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Gesetz zur Beendigung der Sonderzuständigkeit – Unterrichtung durch die Bundesregierung der Familienkassen des öffentlichen Dienstes im Bereich des Bundes Bundesverkehrswegeplan 2030 – Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Drucksache 18/9350 der Vergütung für psychiatrische und psychosoma- tische Leistungen (PsychVVG) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- – Gesetz zur Neuregelung des Mikrozensus und zur torsicherheit Änderung weiterer Statistikgesetze – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle Jahr 2014 mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und an- schließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG Drucksachen 18/9600 (neu), 18/9733 Nr. 1.4 des Rates – Viertes Gesetz zur Änderung des Regionalisie- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben rungsgesetzes mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer – Gesetz zur Änderung von Vorschriften zur Bevor- Beratung abgesehen hat. ratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralölda- ten und zur Umstellung auf hochkalorisches Erd- gas Auswärtiger Ausschuss – Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans Drucksache 18/10311 Nr. A.1 des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2017 Ratsdokument 12384/16 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017) Drucksache 18/10311 Nr. A.2 – Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats Ratsdokument 12386/16 (B) vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche sowie Ermitt- Drucksache 18/10311 Nr. A.3 (D) lung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträ- Ratsdokument 12899/16 gen aus Straftaten und über die Finanzierung des Terrorismus – Gesetz zu dem Strafrechtsübereinkommen des Eu- Ausschuss für Gesundheit roparats vom 27. Januar 1999 über Korruption Drucksache 18/9605 Nr. A.56 und dem Zusatzprotokoll vom 15. Mai 2003 zum Ratsdokument 11680/16 Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption

– Gesetz zur Beteiligung des Bundes an den Kosten Ausschuss für Kultur und Medien der Integration und zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen Drucksache 18/9605 Nr. A.71 Ratsdokument 10082/16 Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie Drucksache 18/9746 Nr. A.9 gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von Ratsdokument 11856/16 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333