GEFANGEN ZWISCHEN ANGST UND UNTERDRÜCKUNG

ANGRIFFE AUF DIE MEINUNGSFREIHEIT IN BANGLADESCH Amnesty International ist eine weltweite, von Regierungen, politischen Parteien, Ideologien, Wirtschaftsinteressen und Religionen unabhängige Mitgliederorganisation. Auf Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wendet sich Amnesty gegen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen. Amnesty ist Teil einer Bewegung, in der Menschen zusammenkommen, um sich gemeinsam gegen Menschenrechtsverletzungen einzusetzen - und zwar nicht abstrakt, sondern ganz konkret und für Tausende, die in Gefahr sind. 1977 erhielt Amnesty International den Friedensnobelpreis.

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Erstmals veröffentlicht von Amnesty International Ltd. 2017, Peter Benenson House, 1 Easton Street, London WC1X 0DW, UK

Index: ASA 13/6114/2017 Originalsprache: Englisch amnesty.org

Unautorisierte Übersetzung durch die Bangladesch-KoGruppe c/o B. Hertlein, Waldquellenweg 29, 33649 Bielefeld Inhaltsverzeichnis Abkürzungen...... 3 BANGLADESCH ZEITSCHIENE MEINUNGSFREIHEIT...... 4 ZUSAMMENFASSUNG...... 6 1. AKTIVISTEN LEBEN IN ANGST UND OHNE SCHUTZ...... 14 1.1 Angriffe und Drohungen durch bewaffnete Gruppen...... 16 1.2 Antwort der Behörden...... 21 1.3 Strafverfahren gegen Blogger und Aktivisten...... 26 2. MEDIEN UNTER BELAGERUNG...... 29 2.1 Strafverfahren gegen Journalisten...... 30 2.2 Morde, Gewalt und Einschüchterung...... 37 2.3 Andere Formen der Schikane...... 42 3. BANGLADESCHS VERPFLICHTUNGEN UNTER INTERNATIONALEM RECHT...... 45 4. BANGLADESCHS LEGALES RAHMENWERK...... 48 4.1 Die Verfassung und das Strafgesetzbuch...... 48 4.2 Gegenwärtige Gesetze...... 51 4.3 Vorgeschlagene Gesetze...... 58 5. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN...... 61 EMPFEHLUNGEN AN DIE REGIERUNG VON BANGLADESCH...... 63 EMPFEHLUNGEN AN ANDERE REGIERUNGEN, INSBESONDERE CHINA, INDIEN, DIE USA UND DIE EU-STAATEN...... 65

Abkürzungen AQIS Al Kaida im Indischen Subkontinent BNP Bangladesh National Party BTRC Bangladesh Telecommunication Regulatory Commission CHT Chittagong Hill Tracts CPJ Committee to Protect Journalists DGFI Director General Forces Intelligence DS Act Digital Security Act 2016 FDRA Foreign Donations (Voluntary Activities) Act GD General Diary (das erste Standardformular für die Erstattung einer Anzeige bei der Polizei) HRD Human Rights Defender ICCPR International Covenant on Civil and Political Rights [Internationaler Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte] ICT Act Information and Communication Technology Act 2006 NGO Non-governmental organisation [Nichtregierungsorganisation] Jamaat Jamaat-e-Islami JMB Jamaat-ul-Mujahideen Bangladesh LGBTI Lesbian, gay, bisexual, transgender and intersexual [lesbisch, schwul, bisexuell und intersexuell] RAB Rapid Action Battalion

3 BANGLADESCH ZEITSCHIENE MEINUNGSFREIHEIT 5 säkulare Aktivisten ermordet

FEBRUAR 2013

Zehntausende Menschen nehmen an Straßenprotesten rund um 2015 den Shahbag-Platz in teil, auf denen die Todesstrafe für den Fünf säkulare Aktivisten Anführer der Jamaat-e-Islami, Abdul Quader Molla für die werden im Laufe des Jahres Verbrechen verlangt wird, die er während des getötet, angefangen mit dem Unabhängigkeitskrieges 1971 verübt hat. Säkulare Blogger und Mord an Dr. Avijit Roy im andere Aktivisten spielen eine entscheidende Rolle bei der Februar. Nach dem Mord an Organisation des Protestes. Niloy Neel im August 2015 sagt der Chef der bangladeschischen Am 15. Februar wird der Nationalpolizei, A.K.M. säkulare Blogger Rajib Shadhidul Hoque: Haider von Macheten „Niemand sollte die Grenze schwingenden Männern in überschreiten. Und wenn jemand Dhaka umgebracht. die religiösen Gefühle einer Person verletzt, wird er vom Gesetz bestraft.“ Januar 2014 Die Partei von Premierministerin Sheikh Hasina, die , sichert sich einen überwältigenden Sieg bei den allgemeinen Wahlen, die von den großen Oppositionsparteien boykottiert werden. Dutzende Menschen werden im Zusammenhang mit den Wah- len getötet.

Oktober 2013 Das Parlament erlässt eine Änderung des ICT- Gesetzes, wodurch Haftstrafen verlängert werden und die Polizei das Recht erhält, Verhaftungen ohne Haftbefehl vorzunehmen. Seitdem hat die Anwendung des ICT Act gegen Regierungskritiker, Menschenrechtsaktivisten und religiöse Minderheiten dramatisch zugenommen.

April 2013 Zwischen dem 1. und 3. April werden vier säkulare Blogger wegen – wie Regierungsbeamte es nennen - „antiislamischer Schriften“ verhaftet und schließlich wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ unter dem ICT Act angeklagt. Unter ihnen sind Asif Mohiuddin, der gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden war, nachdem er Anfang des Jahres knapp einem tödlichen Angriff durch eine bewaffnete Gruppe entkommen war.

4 Juli 2016 Fünf bewaffnete Männer der Jamaat-ul- Mujahideen Bangladesh erstürmen die Holey Artisan Bakery im Dhakaer Stadtviertel Gulshan Oktober 2016 und töten mindestens 20 Menschen, darunter 18 Der Präsident unterzeichnet am 13. Oktober das Ausländer. Die Behörden reagieren mit einem neue Foreign Donations (Voluntary Activities) heftigen Anti-“Terror“-Einsatz und verhaften Act und macht es damit zu einem Gesetz. Dies Tausende Menschen – u.a. viele Unterstützer der ruft unter den zivilgesellschaftlichen Akteuren in Opposition – und töten bei Schusswechseln Bangladesch einen Aufschrei hervor, da es die Dutzende angeblichen „Militante“. staatliche Kontrolle über den NGO-Sektor deutlich vergrößert.

August 2016 Februar 2016 Das Digital Security Act Am 7. April wird Nazimuddin wird vom Kabinett Samad zu Tode gehackt, als er gebilligt. Obwohl die Universität Dhaka verlässt. Regierungsbeamte sagen, Das ist die siebte Tötung eines dass es teilweise dazu säkularen Aktivisten seit 2013. dienen soll, das ICT Act zu Nur wenige Wochen später verbessern, würde das werden auch der bekannte Gesetz der LGBTI-Aktivist Xulhaz Mannan Meinungsfreiheit im Dezember 2016 und sein Freund Mahbub Rabbi Internet weitere Nazmul Huda, ein angesehener Tonoy getötet. Beschränkungen Journalist der Druck- und auferlegen. Es muss noch Fernsehmedien, wird am 23. Dezember im Parlament darüber verhaftet, nachdem er über Proteste abgestimmt werden. von Textilindustriearbeiter_Innen in Ashulia außerhalb von Dhaka berichtet hat. Nazmul Huda soll bei seiner Verhaftung so schwer von Polizisten geschlagen worden sein, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste. Er wird schließlich unter dem ICT Act angeklagt, da die Polizei behauptet, seine Berichte würden Proteste „anstacheln“. 5 ZUSAMMENFASSUNG

Es war ein normaler Freitagnachmittag in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, am 7. August 2015, als Niladri Chattopadhyay Niloy – besser bekannt unter seinem Künstlernamen Niloy Neel – und sein Partner Asha Moni ein Klopfen an ihrer Tür hörten. Ein Mann Anfang 20 betrat ihre Wohnung, sah sich kurz um, und rief auf seinem Handy an. Wenige Momente später stürmte eine Gruppe mit Macheten bewaffneter Männer in die Wohnung und griff Niloy Neel direkt an. Innerhalb von Minuten hackten sie ihn erbarmungslos zu Tode und flohen – sein Kopf war fast ganz vom Rumpf abgetrennt.

Niloy Neel war in Bangladesch ein bekannter Aktivist und Blogger, der über säkulare Fragen und zur Unterstützung von Menschenrechten auf der säkularen Plattform Mukto Mona („freie Gedanken“) geschrieben hatte. Sein Tod war kein isoliertes Ereignis. Seit 2013 wurden mindestens sieben säkulare Aktivisten in Bangladesch ermordet, lediglich wegen ihrer friedfertigen Schriften oder Meinungen, während andere ähnlichen Attacken nur knapp entkamen. Die Reaktion der bangladeschischen Behörden auf diese Welle von Gewalt war besorgniserre- gend. Hohe Regierungsbeamte haben es unterlassen, einstimmig die Tötungen zu verurteilen, und fast keiner der Verbrecher wurde zur Verantwortung gezogen. Viele Aktivisten, die sich nach dem Erhalt von Todesdrohungen an die Polizei gewandt haben, wurden abgewiesen, als sie Hilfe suchten. Die Polizei reagierte z. B. nicht auf Niloy Neels Bitte um Schutz, als er ein paar Tage vor seinem Tod darum bat. Die Gewalt hatte eine tiefgreifende Wirkung auf andere säkulare Aktivisten, von denen jetzt viele Selbstzensur ausüben, oder sahen sich gezwungen, aus Sicherheitsgründen Bangladesch zu verlassen. Diese Morde an säkularen Aktivisten haben national und international viel Aufmerksamkeit erhalten. Sie fanden jedoch vor dem Hintergrund eines drastisch sich verkleinernden Raumes für Meinungsfreiheit in Bangladesch statt, worüber viel weniger umfangreich berichtet wurde. Seit ihrer Wiederwahl 2014 hat die regierende Awami League unter Premierministerin Sheikh Hasina ihre Bekämpfung von öffentlicher Debatte und Kritik intensiviert. Die Behörden benutzten Strafanzeigen und andere Taktiken, um die Arbeit von Medienunternehmen zu bedrängen und einzuschränken in dem Bemühen, kritische Berichterstattung zum Schweigen zu bringen. Zu diesem Zweck gebrauchte die Regierung ein repressives juristisches Rahmenwerk, das eine Reihe von Gesetzen enthält, die das Recht auf freie Meinungsäußerung unterdrücken. Einige dieser Gesetze stammen aus dem Strafgesetzbuch aus der Kolonialzeit des Landes, während andere erst vor kurzer Zeit eingeführt wurden. Dieser Bericht, Gefangen zwischen Angst und Unterdrückung: Angriffe auf die Meinungsfreiheit in Bangladesch, dokumentiert, wie die Einschränkungen in Bangladesch seit 2014 zugenommen haben. Er konzentriert sich auf drei Hauptaspekte dieses Trends: das Versagen der Behörden, säkulare und andere Aktivisten angesichts von Drohungen und Angriffen durch bewaffnete Gruppen zu schützen; die zunehmenden Restriktionen im Medienbereich; das juristische und regulatorische Rahmenwerk.

6 Aktivisten leben in Angst und ohne Schutz Der erste Mord an einem säkularen Aktivisten in Bangladesch fand im Februar 2013 statt, als der bekannte Blogger Rajib Haider vor seinem Haus in Dhaka von Macheten schwingenden Männern angegriffen wurde. Mindestens sieben säkulare Aktivisten, unter ihnen fünf Blogger und ein Verleger, haben seither ihr Leben verloren, während andere ähnliche Angriffe nur knapp überlebten. Der letzte derartige Mord geschah im April 2016, als Nazimuddin Samad zu Tode gehackt wurde, als er das Gelände seiner Universität in Dhaka verließ. Ansar al-Islam, eine bewaffnete Gruppe, die behauptet, Verbindungen zu Al Kaida im Indischen Subkontinent zu haben, bekannte sich zu all diesen Attacken. Hohe bangladeschische Regierungsbeamte weigerten sich nicht nur, die Morde zu verurteilen, sondern schoben die Schuld gelegentlich sogar auf die Opfer selbst. Z. B. sagte nach dem Mord an Nazimuddin Samad der Innenminister Asaduzzaman Khan Kamal, die Regierung würde als Teil der Untersuchung die Polizei anweisen, seine Schriften genau zu prüfen um zu sehen, ob sie etwas „Anstößiges“ über Religion enthielten. Im selben Monat sagte die Premierministerin Sheikh Hasina über säkulare Schriftsteller: „Ich betrachte derartige Schriften nicht als freies Denken, sondern als dreckige Worte. Warum sollte irgendjemand so etwas schreiben? Es ist überhaupt nicht akzeptabel, wenn jemand gegen unseren Propheten oder andere Religionen schreibt.“ Der Mord an Rajib Haider von 2013 ist bis heute der einzige Fall, bei dem überhaupt jemand verurteilt wurde. Im Dezember 2015 wurden acht angebliche Mitglieder der Ansar al-Islam verurteilt, den Angriff verübt oder an dessen Planung beteiligt gewesen zu sein. Obwohl die Polizei Personen inhaftiert hat, die verdächtigt werden, an einigen der anderen tödlichen Attacken, die in diesem Bericht dokumentiert werden, beteiligt gewesen zu sein, wurden wenige Fälle vor Gericht gebracht. Z. B. ergriffen Augenzeugen im März 2015 sofort nach dem Mord an dem säkularen Blogger Washiqur Rahman zwei der verdächtigen Täter an Ort und Stelle, und die Polizei verhaftete sie später. Obwohl die zwei Männer, die am Tatort ergriffen wurden, seitdem wegen ihrer Beteiligung an dem Mord angeklagt wurden, haben die Verfahren bis zur Drucklegung dieses Berichts noch nicht begonnen. Da die Polizei darin versagt, die für die Morde Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, durchzieht die säkulare Aktivist_Innengemeinschaft ein tiefes Misstrauen gegen die Polizei. Außerdem berichteten mehrere Aktivisten Amnesty International, sie hätten die Polizei um Schutz gebeten, wurden aber ignoriert. Andere sagten, die Strafverfahren, die gegen vier säkulare Blogger 2013 wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ unter dem Information and Communications Technology (ICT) Act angestrengt wurden, führte dazu, dass sie zu viel Angst hatten, sich überhaupt an die Polizei zu wenden, da sie fürchteten, sie würden auch angeklagt. Obwohl es seit April 2016 keinen gewaltsamen Angriff auf einen säkularen Blogger in Bangladesch gegeben hat, haben die Drohungen gegen sie nicht nachgelassen. Amnesty International hat viele Blogger interviewt, die sagen, dass sie Ende 2016 oder 2017 immer noch regelmäßig Todesdrohungen erhalten. Aber sie zögern entweder, sich um Schutz an die Polizei zu wenden, oder sie sagen, ihnen wurde Hilfe versagt, als sie es taten. Die Morde hatten einen tiefen Einfluss auf die säkulare Aktivist_Innengemeinschaft in Bangladesch. Dutzende sahen keine Alternative, als in den vergangenen Jahren zu ihrer eigenen Sicherheit aus Bangladesch zu fliehen, während Selbstzensur unter denen, die geblieben sind, zur Norm geworden ist. Eine früher lebendige Zivilgesellschaft wurde aus den Fugen gebracht: Aktivisten haben zu große Angst um ihre Sicherheit, als dass sie öffentliche Veranstaltungen organisieren oder ihre Meinung in den sozialen Medien – auch anonym – posten würden.

7 Belagerte Medien Während Bangladesch, wie viele südasiatische Länder, eine lebendige Medienszene hat, haben die Behörden seit 2014 in zunehmendem Maße Anstrengungen unternommen, sich in die Arbeit von Journalist_Innen und anderen Medienbeschäftigten einzumischen. Die Regierung benutzte eine Reihe unterschiedlicher Mittel und Taktiken, die Medien einzuschüchtern und kritische Berichterstattung zum Schweigen zu bringen. Wie ein Journalist Amnesty International berichtete: „Die Regierung hat die Opposition mehr oder weniger 'gemanagt', die einzige richtige Bedrohung kommt jetzt von den Medien oder der Zivilgesellschaft.“ Die Behörden erhoben politisch motivierte Strafanzeigen gegen mehrere Journalisten aus dem gesamten politischen Spektrum. Einige Verleger und andere prominente Medientätige scheinen für solche Anklagen ausgesucht worden zu sein, um der weiteren Medienlandschaft klar zu machen, dass sie bestimmte sensible Themen nicht behandeln und es vermeiden sollen, die Behörden zu kritisieren. Mahfuz Anam und Matiur Rahman, die Herausgeber der Tageszeitungen The Daily Star bzw. Prothom Alo sahen sich seit 2015 Dutzenden Anklagen wegen Volksverhetzung und Verleumdung gegenüber. Die Anklagen basieren auf verschiedenen Artikeln aus beiden Publikationen, aber beziehen sich grob auf Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung. In diesen und mehreren anderen Fällen, die in diesem Bericht dokumentiert werden, waren die Behörden in der Lage, das politisierte Gerichtswesen auszunutzen, um Verleger und Journalisten legalen Schikanen auszusetzen. Mehrere andere Medientätige, die nicht das gleiche öffentliche Profil haben, sahen sich ebenfalls seit 2014 Strafanzeigen ausgesetzt. Journalisten wurden unter dem ICT Act und anderen repressiven Gesetzen angeklagt, oft weil sie über Korruption der Regierung berichteten oder in anderer Weise die Behörden kritisierten. Eines der letzten Beispiele ist Nazmul Huda, ein Print- und Fernsehjournalist, der im Dezember 2016 unter dem ICT Act angeklagt wurde, nachdem er über Proteste von Textilarbeiter_Innen in Ashulia außerhalb von Dhaka berichtet hatte. Nazmul Huda sagte, er sei von der Polizei bei seiner Verhaftung so stark geschlagen worden, dass er eine Krankenhausbehandlung brauchte. Ein anderer aufschlussreicher Fall ist der von Siddiqur Rahman Khan, der im August 2016 unter dem ICT Act angeklagt wurde, nachdem er Artikel veröffentlicht hatte, die die angeblich korrupten Einstellungspraktiken einer Unterabteilung des Erziehungsministeriums beleuchteten. Beide Journalisten, die auf Kaution freigelassen wurden, sehen sich einer Minimalstrafe von sieben Jahren Gefängnis gegenüber, falls sie verurteilt werden. Journalisten erzählten Amnesty International, dass lokale Polizeikräfte oft zögerten, Anzeigen gegen einflussreiche Politiker oder Geschäftsleute aufzunehmen oder gegen sie zu ermitteln, die Medienarbeiter schikaniert oder gegen diese Gewalt ausgeübt haben. Das führte dazu, dass derartige Verbrechen straflos verübt wurden. Viele Journalisten, mit denen Amnesty International gesprochen hat, beschrieben die Restriktionen für die Medien als die schärfsten, die jemals seit der Rückkehr Bangladeschs zur Zivilherrschaft 1991 erlassen wurden. Selbstzensur ist weit verbreitet, und Journalisten aus vielen Verlagen berichteten Amnesty International, es gebe bestimmte „Rote Linien“, und sie hätten Angst, diese bei ihrer Berichterstattung zu überschreiten. Zu diesen gehören in der Hauptsache jede negative Berichterstattung über Sheikh Hasina, ihre Familie oder die Regierungspartei. In anderen Fällen, die in diesem Bericht dokumentiert sind, sind Behörden dazu übergegangen, Verlage ohne Erklärung oder juristische Begründung zu schließen, und in einem Fall übten sie Druck auf Firmen aus, in kritischen Publikationen nicht mehr zu inserieren. Das repressive legale Rahmenwerk Die Unterbindung der Meinungsfreiheit seit 2013 wurde durch das juristische Rahmenwerk Bangladeschs, das zu einem der stärksten Werkzeuge der Behörden geworden ist, erleichtert es,

8 öffentliche Debatten und Kritik zum Schweigen zu bringen. Die Regierung benutzte eine Reihe von Gesetzen – einige gehen auf das Strafgesetzbuch aus der Kolonialzeit zurück – gegen ihre Kritiker. Strafverfahren wegen Aufwiegelung und Verleumdung – beide Teile des Strafgesetzbuchs – werden z. B. häufig gegen kritische Journalisten angewandt. Von den eher in der jüngsten Zeit eingeführten Gesetzen hatte das Information and Communications Technology (ICT) Act einen besonders schädlichen Einfluss auf die Meinungsfreiheit. Das Gesetz wurde erstmals 2006 erlassen und 2013 geändert, und einige seiner Bestimmungen sind so vage und umfassend, dass es den Behörden enorme Möglichkeiten bietet, Strafanzeigen gegen Kritiker zu erheben. Seit 2013 wurde das ICT Act außer gegen Medienarbeiter auch gegen eine große Brandbreite von Individuen eingesetzt, u. a. Mitglieder von Menschenrechts-NGOs, studentischen Aktivisten und sogar einen Mann, der zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde, nachdem er ein parodistisches Lied über Sheikh Hasina von seinem Smartphone weitergeleitet hatte. Das ICT Act wurde auch wegen seiner vagen Wortwahl des § 57 als „de facto-Blasphemie-Gesetz“ bezeichnet, das die „Verletzung religiöser Gefühle“ unter Strafe stellt. Mitglieder religiöser Minderheiten und säkulare Aktivisten wurden verhaftet und inhaftiert, nachdem sie nach § 57 angeklagt worden waren. 2013 z. B. wurden vier Blogger unter dem § 57 wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ angeklagt, lediglich weil sie friedlich über säkulare Themen geschrieben hatten, während 2016 ein Hindu unter dem gleichen Paragraphen angeklagt wurde, nachdem er beschuldigt worden war, ein Bild auf Facebook gepostet zu haben, das angeblich den Islam verleumdete. Ein weiteres kürzlich eingeführtes Gesetz, das Foreign Donations (Voluntary Activities) Regulation Act, das im Oktober 2016 verabschiedet wurde, stärkt signifikant die Kontrolle der Behörden über den NGO-Sektor. Es enthält eine Regelung, die dazu führen könnte, dass NGOs deregistriert werden oder Geldstrafen bekommen, weil sie „feindselige“ Äußerungen über das Parlament oder andere Verfassungsorgane gemacht haben. Nirgendwo im Gesetz ist der Begriff „feindselig“ definiert, was den Behörden weitreichende Möglichkeiten gibt, das Gesetz gegen NGOs zu gebrauchen, die einfach staatliche Institutionen kritisieren. Aktivisten der Zivilgesellschaft, die sich jetzt schon großen Restriktionen bei ihrer Arbeit gegenüber sehen, sagten gegenüber Amnesty International, dass sie sehr besorgt seien über die potentiell schädigenden Auswirkungen, die das Gesetz haben könnte. Ebenso besorgniserregend ist, dass die Regierung mit ihren Plänen weiter voranschreitet, andere Gesetze einzuführen, die dem Recht auf freie Meinungsäußerung weitere Einschränkungen auferlegen würden. Einige dieser Gesetze zielen auf den Online-Bereich, wie das vorgeschlagene Digital Security Act 2016. Andere, wie der Entwurf des Liberation War Denial Crimes Act, scheinen dazu gemacht zu sein, eine Debatte über den Unabhängigkeitskrieg Bangladeschs im Jahre 1971 zu verhindern, ein hochpolitisches Thema im Land. Wie ein Leiter einer NGO mit Sitz in Dhaka gegenüber Amnesty International sagte: „Der Zweck und der Geist dieser Gesetze ist der gleiche, nämlich einzuschränken. Sie sollen die Botschaft aussenden, dass du vorsichtig sein musst, wenn du die Regierung kritisierst. Das Recht auf Meinungsfreiheit sicherstellen Seit 2013 hat Amnesty International eine Reihe von ernsten Menschenrechtsverletzungen und Übergriffen in Bangladesch dokumentiert, einschließlich des gewaltsamen Verschwindenlassens, der außergerichtlichen Hinrichtungen durch Sicherheitskräfte, der Gewalt von Mobs gegen religiöse Minderheiten wie die Hindugemeinschaft und eines steilen Anstiegs bei der Anwendung der Todesstrafe. Die lebendige Medienszene Bangladeschs, die Zivilgesellschaft und die Gemeinschaft der Aktivisten spielen alle tragende Rollen im politischen Leben und nationalen Diskurs des

9 Landes, mit dem Ziel, derartige Missstände aufzudecken und vor Gericht zu bringen. Die zunehmend harten Einschränkungen, die von Behörden dem Recht auf Meinungsfreiheit auferlegt werden, und deren unangemessene Reaktion auf Angriffe von bewaffneten Gruppen machen jedoch diese äußerst wichtige Arbeit extrem schwierig. Amnesty International drängt die bangladeschischen Behörden, ein Umfeld zu schaffen, in dem Meinungsfreiheit respektiert und geschützt wird und in dem Medien, die Zivilgesellschaft und Aktivisten ihrer Arbeit ohne Angst vor Repressalien nachgehen können. Die ersten Schritte dahin müssen beinhalten: • Aufhebung aller Gesetze, die dazu benutzt werden, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu kriminalisieren, insbesondere das ICT Act, oder deren substantielle Revision, damit sie mit den internationalen Menschenrechtsgesetzen und -standards übereinstimmen; • sofortiges und bedingungsloses Fallenlassen aller Strafanzeigen gegen Journalisten, Aktivisten und andere, die lediglich friedlich ihr Recht auf Meinungsfreiheit ausgeübt haben; • Bereitstellung eines effektiven Schutzes für säkulare Aktivisten und andere, deren Sicherheit bedroht ist; • Sicherstellung, dass diejenigen, die für gewaltsame Angriffe gegen Aktivisten verantwortlich sind, dafür in einem fairen und unparteiischen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden, ohne auf die Todesstrafe zurückzugreifen.

Weitere detaillierte Empfehlungen s. Kap. 5. Methode Dieser Bericht konzentriert sich auf Ereignisse in Bangladesch seit 2013. Aufgrund der großen Anzahl an Vorfällen von Menschenrechtsverletzungen und Übergriffen gegen Medienmitarbeiter und Aktivist_Innen war es nicht möglich, jeden öffentlich bekannten Fall im Detail zu recherchieren. Dieser Bericht konzentriert sich daher auf Missbrauchsfälle, von denen Amnesty International glaubt, dass sie bezeichnend sind und ein breiteres Muster von Verletzungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung widerspiegeln. Dieser Bericht basiert sowohl auf Sekundärforschungen in den Jahren 2016 und 2017 als auch auf einer zweiwöchigen Mission in Bangladesch im November 2016. Insgesamt interviewte Amnesty International 50 Medienarbeiter und andere Aktivist_Innen, deren Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt wurde, entweder bei persönlichen Gesprächen innerhalb oder außerhalb von Bangladesch oder über Telefon oder Email. Der Bericht greift auch auf ausführliche Interviews zurück, die seit 2014 von Amnesty International mit säkularen Aktivisten und anderen Personen geführt wurden, die an die Organisation mit der Bitte um Hilfe herangetreten sind, da sie Angst hatten, ihre Sicherheit wäre in Bangladesch gefährdet. Zudem hat Amnesty International im Laufe des Jahres 2016 eine Reihe von Vertreter inner- und außerhalb von Bangladesch interviewt, darunter NGO-Mitarbeiter, Repräsentanten verschiedener UN-Abteilungen, politische Analysten, pensionierte Medienvertreter und Akademiker. Für die juristische Analyse machte Amnesty International Gebrauch von den offiziellen englischen Übersetzungen der Gesetze, sofern vorhanden, und beauftragte ansonsten professionelle Übersetzer. Interviews mit Medienarbeitern, Bloggern und anderen Opfern waren freiwillig, vertraulich und folgten einem halb-strukturiertem Format, und die Interviewpartner wussten, dass sie keine Vergütung dafür erhalten würden, dass sie ihre Berichte zur Verfügung stellten. Die Interviews wurden in Englisch oder Bengali geführt, mit professioneller Übersetzung, sofern notwendig. Die Interviewpartner wurden darüber informiert, dass ihre Berichte vertraulich behandelt würden – die Namen der Interviewten wurden geändert, um ihre Anonymität zu schützen, außer wenn die

10 Zustimmung erteilt wurde, die tatsächlichen Namen zu gebrauchen. Manchmal wurden Informationen in Zitaten anonymisiert, um die Identität der Interviewten zu schützen. Amnesty International dankt den Personen und Organisationen, die bereit waren, sich mit AI- Vertreter_Innen zu treffen und Informationen für diesen Bericht zur Verfügung zu stellen. Insbesondere möchte die Organisation den Opfern, die ihre Geschichte weitergaben, ihre tiefe Anerkennung für ihr Vertrauen gegenüber Amnesty International aussprechen, ihre Sorgen nach außen zu tragen. Ihre Beiträge waren von herausragender Bedeutung die Bestimmung der Richtlinien der Politik- und anderer Empfehlungen. Die Informationen in diesem Bericht sind aktuell bis zum April 2017. Hintergrund: Der politische Kontext Bangladesch erhielt infolge des Unabhängigkeitskrieges 1971 die Unabhängigkeit von Pakistan, als pakistanische Streitkräfte in großem Umfang Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen begingen, wobei hunderttausende Menschen im damaligen Ostpakistan ermordet wurden. Die neue Regierung nach der Unabhängigkeit zerbrach jedoch bald, als eine Gruppe von Armeeoffizieren einen Staatsstreich beging, bei dem Präsident ermordet wurde, der politische Führer der bangladeschischen Unabhängigkeitsbewegung. Diese Gruppe errichtete 1975 eine vom Militär geführte Regierung. Debatten über die Ereignisse von 1971 bleiben auch heute noch in Bangladesch hoch politisiert, insbesondere die angebliche Beteiligung von gegenwärtig aktiven Mitgliedern politischer Parteien, hauptsächlich der Jamaat-e-Islami, an damaligen Kriegsverbrechen. Dies betrifft auch die Zahl der Todesopfer des Konflikts1. Nach 16 Jahren Herrschaft verschiedener Militärregierungen brachten die Mehrparteienwahlen von 1991 eine Rückkehr zur Zivilregierung. Die Wahlen wurden von der Bangladesh National Party (BNP) unter der Führung der Vorsitzenden gewonnen, während die Awami League – geführt von Sheikh Hasina, der Tochter von Sheikh Mujibur Rahman – als größte Oppositionspartei hervorging. Die BNP und die Awami League gewannen abwechselnd Wahlen, bis im Januar 2007 nach Monaten eskalierender politischer Unruhen eine auf das Militär gestützte Übergangsregierung die Macht ergriff. 2008 gewann eine von der Awami League geführte Koalition die parlamentarische Mehrheit bei den Parlamentswahlen und übernahm 2009 die Regierung. In den letzten Jahren hat sich die an sich schon tiefe politische Polarisierung noch weiter verschärft. 2009 löste die Awami League ihr Wahlversprechen ein, ein Internationales Kriegsverbrechertribunal zu errichten, ein bangladeschisches Gericht, das Kriegsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen untersuchen sollte, die während des Unabhängigkeitskrieges verübt worden waren2. Sechs Personen wurden bisher hingerichtet, nachdem sie vom Tribunal zum Tode verurteilt worden waren; alle waren ranghohe Mitglieder der Jamaat-e-Islami oder der BNP. Die Verfahren vor dem Tribunal wurden weithin kritisiert, auch von Amnesty International und der UNO, weil sie internationalen Standards der Fairness nicht gerecht wurden. Z. B. war die Anzahl der Zeugen der Verteidigung willkürlich begrenzt, sie stützten sich auf unzureichende Beweise und sprachen Todesurteile aus3. Amnesty International wendet sich unter allen Umständen und ungeachtet der Natur und der Umstände des Verbrechens gegen die Todesstrafe. Während wir das Bemühen der bangladeschischen Regierung begrüßt haben, die

1 Während die Awami League und ihre Unterstützer behaupten, dass ca. drei Millionen Menschen im Krieg umkamen, setzten einige Gelehrte die Gesamtzahl an Toten auf nahe 300.000 an. Zum Hintergrund s. z.B. David Bergman in The New York Times, „The Politics of Bangladesh's Genocide Debate“, 5. April 2016, verfügbar unter: https://www. nytimes.com/2016/04/06/opinion/the-politics-of-bangladeshs-genocide-debate.html?_r=0. 2 Offizielle Webseite des Internationalen Kriegsverbrechertribunals: http://www.ict-bd.org/ict1. 3 S. z.B. UN OHCHR, "UN rights experts urge Bangladesh to halt the execution of opposition party leader Muhammad Kamaruzzaman", 6. November 2014, verfügbar unter: http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/ Pages/DisplayNews. aspx?NewslD=15260&LanglD=E und Amnesty International, "Stop political leader's imminent execution: Motiur Rahman Nizami", 5. Mai 2016, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/asa!3/3974/ 2016/en/.

11 Verantwortlichen von früheren Menschenrechtsvergehen zur Verantwortung zu ziehen, so haben wir durchgängig die Behörden aufgefordert, dies ohne Rückgriff auf die Todesstrafe zu tun. Spannungen zwischen säkularen und religiösen Bewegungen, die lange in Bangladesch gegenwärtig waren, sind in den letzten Jahren angewachsen. Anfang Februar 2013 vesammelten sich tausende Menschen um den Shahbag-Platz in Dhaka, um die Todesstrafe für Abdul Quader Molla zu verlangen, einen hohen Führer der Jamaat, der vom Tribunal am 5. Februar zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt worden war. Säkulare Blogger und andere Aktivisten halfen dabei, diese sog. „Shahbag-Bewegung“ zu organisieren, die schließlich zu umfangreichen Gegenprotesten unter Führung der Hefazat-e-Islam führten4. 2011 erließ das von der Awami League dominierte Parlament die 15. Verfassungsänderung, die die Praxis einer neutralen Übergangsregierung abschaffte. Diese war 1996 eingesetzt worden und hatte im Vorfeld von Wahlen die Macht übernommen, um deren Fairness sicherzustellen5. Die BNP beschuldigte die Regierung des Versuchs, ihre Macht zu zementieren und den demokratischen Prozess zu unterminieren. Die Jamaat-Partei, ein Verbündeter der BNP, wurde im August 2013 vom High Court von der Teilnahme an zukünftigen Wahlen ausgeschlossen, da das Parteiprogramm die säkularen Prinzipien der bangladeschischen Verfassung verletze6. Aus Protest gegen die Abschaffung der Übergangsregierung durch die Regierung boykottierte die BNP die Wahlen im Januar 2014 und machte damit den Weg frei für einen überwältigenden Sieg der Awami League. Die Awami League gewann 273 der 350 Parlamentssitze (von denen 154 ohne Gegenkandidat_Innen gewonnen wurden), und hält weiter eine absolute Mehrheit im Parlament. Die USA, die EU und andere internale Organisationen weigerten sich, Wahlbeobachter zu entsenden mit der Begründung, dass die Wahlen durch den Boykott der Opposition nicht glaubwürdig seien7. Die Wahlen waren die gewaltsamsten in der Geschichte Bangladeschs, da Dutzende Menschen in den Monaten vor den Wahlen bei Straßenprotesten getötet wurden. Unterstützer der BNP und der Jamaat wurden beschuldigt, Menschen zu töten, die sich weigerten, die Straßenblockaden zu respektieren, die sie aufgestellt hatten, während Angehörige der Sicherheitskräfte extralegale Hinrichtungen und gewaltsames Verschwindenlassen verübten. Der Jahrestag der Wahlen im Januar 2015 erlebte weitere Verluste an Menschenleben, weil die BNP und die Jamaat Straßenproteste und hartals (Generalstreiks) im ganzen Land organisierte8. Die Jahre seit den Wahlen von 2014 waren gekennzeichnet durch eine zunehmende Tendenz, abweichende Meinungen zu bestrafen. Die regierende Awami League hat, in dem offensichtlichen Bemühen, ihren Zugriff auf die Macht zu verfestigen, tausende von Mitgliedern und Unterstützern der Opposition verhaftet. Viele Schlüsselfiguren der BNP sind entweder im Gefängnis und sehen sich Strafverfahren gegenüber oder wurden ins Exil gezwungen. Die nächsten allgemeinen Wahlen in Bangladesch sind für 2019 angesetzt. Die letzten Jahre sahen auch die Wiederkehr gewaltsamer Angriffe durch bewaffnete Gruppen, die behaupteten, im Namen des Islam zu handeln. Derartige Gruppen waren Mitte der 2000er Jahre

4 Weiteres zur Rolle der neuen Medien bei der Organisation der „Shahbag-Bewegung“ unter: Hussain, R. & Mostafa, M., "Digital contradictions in Bangladesh: Encouragement and deterrence of citizen engagement via ICTs", Information Technologies & International Development [Special Issue], 12(2), 47-61 2016. 5 Haroon Habib, "Constitutional amendments in Bangladesh", The Hindu, 30. Juni 2011, verfügbar unter: http://www. thehindu.com/news/international/constitutional-amendments-in-bangladesh/article2148058.ece. 6 Sanjay Kumar, "Is Bangladesh's Ban on Jamaat-e-lslami Democratic?", The Diplomat, verfügbar unter: http:// thediplomat.com/2013/08/is-bangladeshs-ban-on-jamaat-e-isla mi-democratic/. 7 Statement des Sprechers der Hohen EU-Reprasentantin Catherine Ashton über die EU Wahlbeoachtungsmission in Bangladesh, 20. Dezember 2013, verfügbar unter: http://eeas.europa.eu/archives/docs/statements/ docs/2013/131220 _01_en.pdf. 8 Amnesty International Jahresbericht 2014/2015, Kapitel über Bangladesh, S. 72, 25. Februar 2015, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/pollO/0001/2015/en/.

12 aktiv gewesen, als die Jamaat-ul-Mujahideen Bangladesh (JMB) und andere eine Serie von Angriffen im ganzen Land verübten. Dazu gehörten Selbstmordattentate auf Gerichte und ein Granatenangriff auf eine Veranstaltung der Awami League im August 2004, bei dem ein Parteiführer getötet und andere verletzt wurden, darunter Sheikh Hasina. Die Bekämpfung solcher Gewalt durch die BNP-Regierung 2005 führte zu ein paar Jahren Pause der Gewalt9. Bewaffnete Gruppen traten jedoch ab 2013 wieder auf, wobei sich die JMB und die Ansar-al-Islam zu den Ermordungen Dutzender säkularer Aktivisten, Mitgliedern religiöser Minderheiten, Akademiker, Ausländer und anderer Personen bekannte. Diese Angriffe kulminierten in der Belagerung eines exklusiven Restaurants in Dhaka am 1. Juli 2016, bei dem Kämpfer der JMB mindestens 20 Menschen töteten, darunter 18 Ausländer.

9 United States Institute for Peace, "Preventing Violent Extremism through Inclusive Politics in Bangladesh", 14 January 2016, verfügbar unter: https://www.usip.org/publications/2016/01/preventing-violent-extremism-through- inclusive-politics-bangladesh.

13 1. AKTIVISTEN LEBEN IN ANGST UND OHNE SCHUTZ

„Wenn du ein wirklicher Aktivist bist, bist du die verwundbarste Person im Land. Du kannst von der Regierung verhaftet oder das Ziel eines Islamisten werden.“

Bangladeschischer säkularer Aktivist, der mit Amnesty Internal gesprochen hat10.

Das auffallendste Beispiel zunehmender Bedrohungen der Meinungsfreiheit in Bangladesch während der letzten Jahre war die Kette von gewaltsamen Angriffen auf säkulare Blogger und andere Aktivisten, die mindestens sieben Leben forderten. Amnesty International verurteilt diese schockierenden Morde; sie sind nicht nur ein direkter Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern zeigen auch eine herzlose Missachtung von Menschenleben. Dieses Kapitel zeigt die völlig unzureichende Reaktion der bangladeschischen Behörden auf diese Welle der Gewalt auf und die Auswirkungen, die sie auf die säkulare Aktivistengemeinschaft hat. Es ist wichtig zu bemerken, dass bewaffnete Gruppen in Bangladesch seit 2015 das Spektrum ihrer Opfer von säkularen Aktivisten auf andere Individuen und Gruppen ausgeweitet haben, z. B. Angehörige religiöser Minderheiten, Ausländer, Akademiker und Menschen aus der LGBTI- Gruppe. Während Amnesty International diese Morde verurteilt und die Behörden drängt, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen, konzentriert sich dieser Bericht besonders auf besipielhafte Fälle von solchen Personen, die ausgewählt wurden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt haben. Hintergrund: Gewaltsame Angriffe, säkulare Aktivitäten Die frühen 2000er Jahre waren gekennzeichnet von zunehmenden Angriffen durch gewaltsame Gruppen in ganz Bangladesch. 2004 begannen die neuen Gruppen Jamaat-ul-Mujahideen Bangladesh (JMB) und Harkatul Jihad Al Islami-Bangladesh eine Kette von gewaltsamen Angriffen überall im Land, einschließlich einem Granatenangriff auf eine Versammlung der Awami League im August 2004, die Sheikh Hasina und andere führende Mitglieder der Partei verletzte. Dies kulminierte in koordinierten Bombenangriffen in 63 der 64 Distrikte im August 2005, für die sich die JMB verantwortlich zeichnete11. Die damalige BNP-Regierung und Jamaat-e-Islami waren von den Oppositionsparteien und international stark kritisiert worden, weil sie nicht genug getan hatten, die wachsende Gewalt einzudämmen. Aber aufgrund des folgenden intensiven internationalen Drucks nach den Bombenattentaten von 2005 intensivierte die BNP-geführte Regierung die Verfolgung und verhaftete und tötete viele mutmaßliche Militante, was zu einem Nachlassen der Gewalt führte. Als sie 2009 das Amt übernahm, ermächtigte die Regierung unter der Awami League die Polizei und das Rapid Action Battalion – eine Eliteantiterrror-Einheit

10 Interview mit Amnesty International, April 2016. 11 S. z. B. United States Institute for Peace, "The Rise of Islamist Militancy in Bangladesh", August 2006, verfügbar unter: http://www-preview.usip.org/sites/default/f iles7SRaug06_2.pdf.

14 der Polizei, die umfangreich an Menschenrechtsverletzungen beteiligt war – ihre Anstrengungen zu intensivieren, solche Gruppe zu zerschlagen12. In einem Bericht der International Crisis Group von 2016 heißt es: „Obwohl die Verfolgung [von 2005] die Fähigkeit islamistischer Extremisten unterminiert hat, ungehindert für Operationen zu rekrutieren, und Operationen zu planen und auszuführen, sind diese jetzt in der Lage, die akute politische Polarisation auszunutzen, um sich neu zu gruppieren, wie sie es während der von der BNP geführten Koalitionsregierung getan haben“13. Ein politischer Analyst sagte gegenüber Amnesty International: „Es besteht eine klare Beziehung zwischen der politischen Landschaft und dem Extremismus in Bangladesch. Wenn die politische Lage instabil ist, nehmen die Angriffe bewaffneter Gruppen zu.“14 Spannungen zwischen bestimmten religiösen und säkularen Bewegungen in Bangladesch nahmen vom Februar 2013 an stark zu. Zu dieser Zeit verurteilte das Internationale Kriegsverbrechertribunal den ranghohen Führer der Jamaat-e-Islami, Abdul Quader Molla, zu lebenslanger Haft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen während des Befreiungskrieges. Als Reaktion auf dieses Urteil schlossen sich tausende Menschen den Straßenprotesten an, die sich auf dem Shahbag-Platz in Dhaka zusammenkamen, und verlangten, die Bestrafung in eine Todesstrafe umzuwandeln. Säkulare Aktivisten, die unter dem Schirm der lockeren Gruppe Gonojagoron Moncho arbeiteten, spielten eine Schlüsselrolle bei der Organisation der Proteste der sog. „Shahbag- Bewegung“ über soziale Medien und andere Online-Plattformen. Dies war das erste Mal, dass der Begriff „Blogger“ wirklich in das öffentliche Bewusstsein in Bangladesch eindrang. Für viele wurde er zu einem abwertenden Begriff, verbunden mit Atheismus und antiislamischen Gefühlen. Die Shabag-Demonstrationen führten zu großen Gegenprotesten unter der Leitung der Hefazat-e- Islam, einer Koalition islamischer Gruppen mit engen Verbindungen zu Bangladeschs quami Madrassensystem, dem System der privaten Madrassen, die ohne Aufsicht des Staates operieren. Die Proteste kulminierten in einer Versammlung der Hefazat-e-Islam in Dhaka in der ersten Maiwoche 2013, die von Polizeikräften gewaltsam aufgelöst wurde und mit mindestens 44 Toten endete15. Im Februar erschien mit der Ermordung des säkularen Bloggers Rajib Haider eine neue bewaffnete Gruppe, die Ansar al-Islam (auch bekannt als Ansarullah Bangla Team), die behauptet, Verbindungen zu Al Kaida auf dem Indischen Subkontinent zu haben. Seit Ende 2015 wurde auch eine wiedererstandene JMB – manchmal bezeichnet als „neo-JMB“ - zunehmend aktiv. Sie behauptet, Verbindungen zu der bewaffneten Gruppe zu haben, die sich Islamischer Staat in Syrien und Irak nennt. Sie bekannte sich zu einer Reihe von brutalen Morden an Angehörigen von religiösen Minderheiten, Ausländern und Akademikern in ganz Bangladesch. Am 1. Juli 2016 stürmten fünf JMB-Männer mit Waffen und Sprengstoff das Restaurant Holey Artisan Bakery im exklusiven Viertel Gulshan in Dhaka und töteten mindestens 20 Personen, darunter 18 Ausländer. Nach Meinung von Analysten scheinen diese Gruppen eine neue Generation von Militanten in Bangladesch zu repräsentieren, mit stärkeren Verbindungen zu internationalen Netzwerken, und die das Internet zur Rekrutierung verwenden16.

12 S. Amnesty International, Crimes unseen: Extrajudicial executions in Bangladesh (Index: ASA 13/005/2011) https://www.amnesty.org/en/documents/asal3/005/2011/en/ oder "Exclusive: Officer Exposes Brutal Killings by Bangladeshi Elite Police Unit RAB", Swedish Radio, 4. April 2017, verfügbar unter: http://sverigesradio.se/sida/artikel. aspx?programid=83&artikel=6665807. 13 International Crisis Group, Political Conflict, Extremism and CriminalJustice in Bangladesh, 11. April 2016, verfügbar unter: https://www.crisisgroup.org/asia/south-asia/bangladesh/political-conflict-extremism-and-criminal- justice-bangladesh. 14 Interview mit Amnesty International in Dhaka, November 2016. 15 Amnesty International, "Bangladesh: Investigate deaths in protest clashes to prevent more bloodshed", 7. Mai 2013, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/latest/news/2013/05/bangladesh-investigate-deaths-protest-clashes- pre vent-more-bloodshed/. 16 Amnesty International, telefonische Interviews in Dhaka, 2016.

15 1.1 Angriffe und Drohungen durch bewaffnete Gruppen

Morde und gewaltsame Angriffe Seit 2013 wurden mindestens sieben säkulare Aktivisten ermordet – fünf Blogger, ein Verleger und ein Online-Aktivist –, weil sie ihr Recht auf Meinungsfreiheit ausgeübt haben. Das erste Opfer war Ahmed Rajib Haider, ein bekannter Autor zu den Themen Religion und Atheismus, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Thaba Baba. Am 15. Februar 2013 wurde er von einer fünfköpfigen Gruppe Macheten schwingender Männer zu Tode gehackt, als er sein Haus im exklusiven Viertel Mirpur in Dakha verließ17. Am 31. Dezember 2015 wurden zwei Studenten für den Mord an Ahmed Rajib Haider zum Tode verurteilt, während sechs weitere Personen verschiedene Gefängnisstrafen erhielten. Soweit Amnesty International bekannt ist, ist dies der einzige Mord an einem säkularen Aktivisten, für den jemand verurteilt wurde. Am 26. Februar 2015 ermordeten zwei Angreifer den bekannten säkularen Blogger Dr. Avijit Roy, als er zusammen mit seiner Frau Bonya Ahmed mit einer Fahrradrikscha von der Ekushey Buchmesse in Dhaka nach Hause zurück fuhr. Avijit Roy wurde mehrere Male in den Kopf gestochen und verstarb später in dieser Nacht im Krankenhaus. Bonya wurde schwer verletzt, als sie versuchte, ihren Mann zu schützen, überlebte aber den Angriff. Avijit Roy war sowohl bangladeschischer als auch amerikanischer Staatsbürger und der Gründer des einflussreichen Blogs Mukto Mona (Freie Gedanken). Vor seiner Ermordung hatte er Dr Ajivit Roy Drohungen über Facebook erhalten18. Washiqur Rahman wurde etwas mehr als einen Monat nach Avijit Roy ermordet, am 30. März 201519. Drei Männer hackten ihn mit Macheten zu Tode, als er sein Haus im Viertel Tejgaon in Dhaka verließ. Vor seinem Tod erhielt Rahman eine Reihe von Todesdrohungen. Die Polizei verhaftete nahe dem Tatort am Tag des Mordes zwei Verdächtige; seitdem wurden drei weitere Männer als Verdächtige genannt20. Am 12. Mai 2015 näherten sich maskierte Männer mit Macheten Bijoy Das, der in Sylhet auf dem Weg zur Arbeit war, und schlugen ihn auf Kopf und Körper. Bijoy Das wurde in ein Kranken- haus gebracht, überlebte aber seine Verletzungen nicht. Er war ein bekannter säkularer Blogger in Bangladesch und Mitarbeiter an dem säkularen Blog Mukto Mona, und er hatte 2016 den jährlichen Preis von Mukto Mona für die „Verbreitung von säkularen und humanistischen Idealen und Botschaften“ gewonnen21. Vor seiner Ermordung hatte Bijoy Das Todesdrohungen erhalten. Niladri Chattopadhyay Niloy, auch bekannt unter seinem Pseudonym Niloy Neel, wurde am 7. August 2015 ermordet, als eine Gruppe von Männern in seine Wohnung stürmten und ihn mit

17 Bdnews24.com, "Killers hacked Rajib first, then slit his throat: police", 16. Februar 2013, verfügbar unter: http:// bdnews24.com/bangladesh/2013/02/16/killers-hacked-rajib-first-then-slit-his-throat-police. 18 BBC News, "US-Bangladesh blogger Avijit Roy hacked to death", 27. Februar 2015, verfügbar unter: http://www. bbc.co.uk/news/world-asia-31656222. 19 Amnesty International, "Bangladesh: Horrifying murder of blogger must be 'wake-up call'", 30. März 2015, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/latest/news/2015/03/bangladesh-horrifying-murder-of-blogger-must- be-wake -up-call/. 20 Prothom Alo, "5 'ABT men' indicted in blogger Washiqur killing case", 20. Juli 2016, verfügbar utner http://en.prothom-alo. com/bangladesh/news/112775/5-%E2%80%98militants%E2%80%99-indicted-in-blogger- Babu-killing. 21 Amnesty International, "Bangladesh: One year since secular blogger Ananta Bijoy Das was killed and still no justice", 11. Mai 2016, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/asal3/4021/2016/en/.

16 Macheten zu Tode hackten22. Niloy Neel hatte wegen seiner Schriften Todesdrohungen erhalten und sagte nur ein paar Tage vor seiner Ermordung, dass er die Polizei um Schutz gebeten hatte, aber dies abgelehnt worden sei, und dass die Polizei ihm einfach gesagt hätte, er solle das Land verlassen23. Faisal Abedin Deepan, der mit seinem Verlag Jagriti Prokashony u. a. die Bücher von Avijit Roy herausgebracht hatte, wurde in seinem Büro im Zentrum von Dhaka am 31. Oktober 2015 ermordet. Vor seinem Tod hatte er bei der Polizei eine Anzeige wegen der Todesdrohungen erstattet. Drei weitere Männer wurden am selben Tag angegriffen, aber überlebten trotz schwerer Verwundungen24. Der letzte bekannte Mord an einem säkularen Blogger fand am 7. April 2016 statt, als Nazimuddin Samad, ein 28-jähriger Jurastudent der Jagannath University in Dhaka von einer Gruppe Männer getötet wurde, als er das Universitätsgelände verließ. Die Männer erstachen ihn mit Macheten und schossen ihn außerdem mit einer Pistole in den Kopf. Nazimuddin war kein aktiver Blogger, aber dafür bekannt, dass er zu säkularen Themen in den sozialen Medien postete, darunter Facebook25. Andere säkulare Aktivisten überlebten ähnliche Attacken nur knapp . Am 15. Januar 2013 wurde der bekannte säkulare Blogger Asif Mohiuddin nahe seinem Büro in Dhaka von Männern angegriffen, die neunmal mit dem Messer auf ihn einstachen. Bei diesem Angriff wurde er schwer verwundet, überlebte aber nach einer Krankenhausbehandlung26. Asif Mohiuddin sagte, er habe vor der Attacke über soziale Medien Drohungen erhalten, aber weil er wegen seiner Schriften 2011 verhaftet worden war, traute er der Polizei nicht zu, ihm Schutz zu geben und zeigte die Drohungen nie bei der Polizei an. Im April 2013 war Asif Mohiuddin einer der vier säkularen Blogger, die unter dem ICT Act (s.S. 27) verhaftet wurden. Am 7. März 2013 stachen zwei Männer dem säkularen Blogger Sunnyur Rahman im Zentrum von Dhaka in Kopf und Bein. Durch den Angriff wurde er schwer verletzt, überlebte aber aufgrund der Krankenhausbehandlung in Dhaka27. Ahmedur Rashid Chowdhury, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Tutul, wurde in seinem Büro in Dhaka am 31. Oktober 2015 angegriffen, dem gleichen Tag, an dem Faisal Abedin Deepan ermordet wurde. Tutul leitete den Verlag Shuddashar, der die Arbeiten mehrerer sehr bekannter säkularer Schriftsteller veröffentlichte, u.a. Avijit Roy. Tutul und seine Familie haben nach dem Angriff Bangladesch verlassen und leben gegenwärtig in Norwegen28. Zwei weitere Blogger, Ranadipam Basu und Tareq Rahim, überlebten ebenfalls am selben Tag Angriffe von mit Macheten bewaffneten Männern. Ansar al-Islam bekannte sich zu allen Angriffen auf säkulare Aktivisten, die oben beschrieben wurden, übernommen. In Stellungnahmen, die nach den Attacken veröffentlicht wurden, behaupteten sie, durch die Schriften ihrer Opfer über säkulare Themen dazu gebracht worden zu

22 Amnesty International, "Bangladesh: savage killing of blogger Niloy Neel must not go unpunished", 7. August 2015, verfügbar unter: https://www.amnesty.org.uk/press-releases/bangladesh-savage-killing-blogger-niloy-neel- must-not-go-unpunished. 23 The Guardian, "Bangladesh blogger killed by machete gang had asked for police protection", 7. August 2015, verfügbar unter: https://www.theguardian.com/world/2015/aug/07/machete-gang-kills-secular-bangladeshi-blogger- niloy-chakrabarti. 24 Associated Press, "Publisher of secular books killed, three bloggers wounded in Bangladesh", 25. Dezember 2015, verfügbar unter: http://indianexpress.com/article/world/neighbours/bangladesh-three-bloggers-attacked-one- critical/. 25 Amnesty International, "Bangladesh: Authorities must act as another secular activist hacked to death", 7. April 2016, verfügbar utner https://www.amnesty.org/en/latest/news/2016/04/bangladesh-authorities-must-act-as-another- secular-activist-hacked-to-death/. 26 Committee to Protect Journalists, "Bangladeshi blogger hospitalized after being stabbed", 15. Januar 2013, verfügbar unter: https://www.cpj.org/2013/01/bangladeshi-blogger-hospitalized-after-being-stabb.php. 27 Bdnews24.com, "Another blogger stabbed at Pallabi", 7. März 2013, verfügbar unter: http://bdnews24.com/ bangladesh/ 2013/03/07/another-blogger-stabbed-at-pallabi. 28 Dhaka Tribune, "Bangladeshi publisher Tutul wins Pen writer of courage award", 14. Oktober 2016, verfügbar unter: http:// www.dhakatribune.com/bangladesh/2016/10/14/margaret-atwood-selects-tutul-pen-writer-courage- award/.

17 sein. Nach dem Mord an Niloy Neel z. B. besagte eine E-Mail, die offensichtlich von Ansar al- Islam an Medienhäuser in Bangladesch verschickt wurde, dass die Gruppe „eine Operation ausgeführt habe, um einen Feind Allahs abzuschlachten“29. Nach Angaben der SITE Intelligence Group aus den USA veröffentlicht die Ansar al-Islam im April 2016 eine Stellungnahmen, in dem sie behauptete, der Mord an Nazimuddin Samad sei „Rache“ gewesen und ausgeführt worden, um „den Blasphemisten dieses Landes, deren giftige Zunge fortwährend Allah, die Religion des Islam und den Propheten unter dem Vorwand der sog. Meinungsfreiheit beleidige, eine Lehre zu erteilen“30. Drohungen „Ich hatte Angst, ich würde nicht lange überleben, wenn ich in Bangladesch bliebe.“

Säkularer Blogger, der nach Jahren von Todesdrohungen aus Bangladesch geflohen ist31.

Säkulare Blogger und andere Aktivisten berichteten Amnesty International, dass sie ständigen Todesdrohungen von bewaffneten Gruppen ausgesetzt gewesen seien und dass derartige Drohungen sogar nach den letzten bekannten Attacken vom April 2016 unablässig weiter gegangen seien. Die Drohungen erfolgen normalerweise über die Plattformen sozialer Medien wie Facebook oder Twitter, oder mittels SMS. Gelegentlich, so berichteten Blogger auch Amnesty International, seien sie persönlich bedroht worden, oder sie selbst oder Familienmitglieder hätten Drohanrufe zu Hause oder auf ihren Handys erhalten. Ein wiederkehrendes Thema in den Interviews mit diesen Aktivisten war, dass sie immer noch fürchteten, ihr Leben sei in Gefahr, trotz des relativen Nachlassens der Gewalt seit April 2016. Ein Blogger sagte, er habe seit 2010 Drohungen erhalten, als er eine Reihe von säkularen Gedichten online gepostet hätte. Aber erst nach der Ermordung von fünf Personen 2015 habe er angefangen, die Drohungen ernster zu nehmen. Nachdem der Umfang der Drohungen Anfang 2016 deutlich angestiegen war, entschloss er sich, seinen Sohn von der Schule zu nehmen und zog zeitweise zusammen mit seiner Familie mit einem Touristenvisum nach Indien, da er um seine Sicherheit fürchtete, wenn er in Bangladesch bliebe32. Ein weiterer prominenter Blogger beschrieb, wie er und seine Frau seit 2015 versteckt gelebt hätten, und dass sie sich gezwungen gefühlt hatten, wöchentlich ihren Aufenthaltsort zu ändern33. Seit die Morde begannen, haben Dutzende säkulare Aktivisten Bangladesch verlassen und sind in andere Länger gegangen, hauptsächlich nach Südasien und Europa, da sie in Bangladesch um ihr Leben fürchteten. Oft mussten sie dabei Menschenrechtsorganisationen und humanitäre NGOs um finanzielle und juristische Hilfe bitten. Obwohl das Verlassen ihrer Heimat ihnen relative physische Sicherheit gebracht hat, hatte dies oft einen verheerenden Einfluss auf sie und ihre Familien. Die finanzielle und emotionale Belastung für die Familienmitglieder, die in Bangladesch zurück gelassen wurden, ist oft schwerwiegend. „Mein Familienleben wurde vollkommen zerstört. Meine

29 Daily Sun, "Ansar-AI-lslam claims responsibility for Niloy murder", 7. August 2015, verfügbar unter: http://www.daily-sun. com/post/65035/AnsarAI Islam-claims-responsibility-for-Niloy-murder. 30 SITE Intelligence Group, "Bangladesh division of AQIS claims murder of blogger Nazimuddin Samad," 8. April 2016, verfügbar unter: https://ent.siteintelgroup.com/Jihadist-News/bangladesh-division-of-aqis-claims-murder-of- blogger-nazimuddin-samad.html. 31 Interview mit Amnesty International, Oktober 2016. 32 Interview mit Amnesty International, April 2016. 33 Interview mit Amnesty International, November 2015.

18 zwei Kinder sind so traumatisiert, sie denken dauernd, dass jemand ihren Vater ermorden will“, sagte ein säkularer Aktivist, der Bangladesch verlassen hat, nachdem er Drohungen erhalten hatte34. Nur Nobi Dulal, ein bekannter Schriftsteller und Gründer der populären Plattform „Istishon blog“ sagte, dass er aufgrund der anhaltenden Todesdrohungen von bewaffneten Gruppen mit seiner Frau und zwei Kindern in den Jahren vor 2016 fünfmal die Wohnung wechseln musste. Im Oktober 2015 hatte die Einschüchterung ein derartiges Maß erreicht, dass er sich gezwungen fühlte, Bangladesch mit seiner Familie zu verlassen35. Während er außerhalb Bangladesch wohnte, wurde der Zugang zu „Istishon blog“ von innerhalb des Landes aus am 26. September 2016 durch die Bangladesh Telecommunication Regulatory Commission – die Körperschaft, die jede Online-Kommunikation reguliert – blockiert, ohne dass eine Erklärung dafür gegeben wurde36. Nur Nobi Dulal, der jetzt mit seiner Familie in Europa lebt, sagte gegenüber Amnesty International, dass die Blockade seines Blogs ihn dazu brachte zu glauben, er würde eine Verhaftung riskieren, wenn der nach Bangladesch zurückkehren würde. Er sagte, die vergangenen Jahre hätte einen verheerenden Einfluss auf seine Familie gehabt: „Mein Leben ist in Gefahr, weil ich mich zu Humanismus und Säkularismus geäußert habe. Jetzt ist auch das Leben meiner Familie in Gefahr. Die Ausbildung meiner zwei Kinder ist kurz davor, zerstört zu werden.“37

„Ich hatte Angst, ich würde nicht lange überleben, wenn ich in Bangladesch bliebe.“

Rashed Alim (Pseudonym), 29, arbeitet im Finanzsektor, bloggt aber auch schon seit mindestens 2008 über säkulare Themen. Er schrieb Beiträge für die großen Blogger-Plattformen in Bangladesch und hatte auch seinen eigenen populären Blog. Rashed sagt, er habe zum ersten Mal Drohungen erhalten, kurz nachdem er angefangen habe zu schreiben, aber diese bis zur Ermordung von Rajib Haider nicht ernst genommen38. Die Drohungen eskalierten im Februar 2015 nach dem Mord an Avijit Roy deutlich. Rashed bemerkte eine ungewöhnliche Spitze in der Zahl seiner Webseiten-Besucher kurz danach, was ihn dazu bewegte, die Seite zu schließen und mit dem Schreiben aufzuhören, da er fürchtete, die gestiegene Popularität der Seite sei irgendwie mit den Drohungen verbunden. Kurz darauf erhielt er eine Nachricht über Facebook, die lautete: „Du dachtest, wir würden verschwinden, nur weil Du Deine Webseite abgeschaltet hast. Wir vergessen Dich nicht. Du bist auch noch dran.“ Die Drohungen über die sozialen Medien und SMS auf seinem Handy hielten das folgende Jahr über an. Rashed wandte sich an die Polizei, die damit einverstanden war, eine Anzeige (GD) aufzunehmen – der erste Standardbericht bei Vergehen, den man bei der Polizei einreicht –, aber er sagte, dass dort seine wiederholten Bitten um Schutz ignoriert wurden. Im April 2016 reiste Rashed nach Nepal – sein Plan war, den Anschein zu erwecken, er habe Bangladesch für immer verlassen, aber nach zwei Wochen heimlich in sein Land zurückzukehren. Er ließ seine Frau und seinen jungen Sohn in Dhaka. Die Drohungen hielten an, während er sich in Nepal befand. Eine Facebook-Nachricht lautete: „Vielleicht bist Du außerhalb des Landes, aber Deine Familie ist es nicht.“ Seine Mutter erhielt ebenfalls einen Telefonanruf, in dem gesagt wurde, sie „ernähre einen Extremisten […] in ihrem Haus“.

34 Interview mit Amnesty International, April 2016. 35 Interview mit Amnesty International, 2016. 36 Dhaka Tribune, "Istishon blog blocked for Bangladesh users", 27. September 2016, verfügbar unter: http://www.dhakatribune.com/bangladesh/2016/09/26/istishon-blog-blocked-bangladesh-users/. 37 Interview mit Amnesty International, 2016. 38 Interview mit Amnesty International, Oktober 2016.

19 Mit der Hilfe verschiedener NGOs gelang es Rashed schließlich, Bangladesch mit Frau und Sohn Ende 2016 zu verlassen. Er sucht jetzt um Asyl in einem europäischen Land nach. „Ich hatte Angst, ich würde nicht lange überleben, wenn ich in Bangladesch bliebe“, sagte er gegenüber Amnesty International. Eine verstummte Zivilgesellschaft Praktisch alle säkularen Aktivisten erzählten Amnesty International, dass die Welle der Gewalt einen tiefgreifenden Effekt auf ihre Gemeinschaft gehabt habe. Selbstzensur ist jetzt sehr weit verbreitet, und die große Mehrheit der Aktivisten, insbesondere derjenigen, die noch im Land geblieben sind, sagte, sie habe aufgehört zu schreiben und habe ihre Blogs als Reaktion auf die Morde geschlossen. Viele sagten außerdem, sie hätten sogar Angst davor bekommen, ihre Meinungen auf den sozialen Medien oder überhaupt allgemein im Internet zu äußern, sogar anonym. Ein säkularer Aktivist in Dhaka sagte: „Ich hörte nach dem Mord an Avijit Roy vollkommen aufzuschreiben und zu publizieren. Ich erhielt jahrelang Drohungen, aber bis dahin habe ich sie nie ernst genommen. Die Dinge müssen sich sehr stark ändern, ehe ich wieder anfange zu schreiben; für mich ist es jetzt nicht sicher, das zu tun.“39 Die Gemeinschaft der Aktivsten, die früher in Dhaka existierte, ist jetzt vollkommen zusammen gebrochen. Ein säkularer Aktivist, der in Dhaka bleibt, sagte: „Es ist ein wenig frustrierend, dass all die aktiven Mitglieder [unserer Gemeinschaft] Bangladesch verlassen haben oder dabei sind, es zu tun. Es ist schwierig zu akzeptieren, dass die Militanten erfolgreich dabei sind, die Bewegung vollkommen zu zerstören.“40 Mehrere Aktivisten sagten, dass alle öffentliche Veranstaltungen und sogar private Treffen gestoppt wurden. Die NGO Frontline Defenders stellte in einem Bericht mit Interviews mit Dutzenden von Menschenrechtsverteidigern (MRV) in Bangladesch vom November 2016 fest, dass „MRV, die in allen möglichen Bereichen arbeiten, von einem teilweisen oder vollkommenen Zusammenbruch ihrer Aktivistennetzwerke berichten, der der Ermordung von MRV und der darauf folgenden Untätigkeit der Regierung folgte“41. Ähnlich hatte der Mord an dem bekannten LGBTI-Aktivisten Xulhaz Mannan am 25. April 2016 einen tiefgreifenden Effekt auf viele LGBTI-Menschen in Bangladesch. Xulhaz Mannan wurde zusammen mit seinem Freund Mahbub Rabbi Tonoy in Dhaka bei einem Angriff, zu dem sich die Ansar al-Islam bekannte, ermordet (s. Kapitel 3: Morde an Journalisten). Seit April 2016 hat Roopban (s. Kap. 2.2) ihre Publikation und alle anderen Aktivitäten eingestellt. LGBTI-Aktivisten berichteten Amnesty International, dass sie zu viel Angst hätten, öffentliche oder private Veranstaltungen zu organisieren. Auch Online-Aktivitäten wie Beiträge zu Diskussionsforen oder das Posten auf sozialen Medien ist signifikant zurück gegangen42. Dutzende von LGBTI-Aktivisten wurden in den Untergrund gezwungen oder sind aus dem Land geflohen. „Wir verstecken uns alle nach dem Mord [an Xulhaz Mannan]. Wir haben Angst auszugehen oder irgendwelche Drohungen anzuzeigen“, sagte Mahfuz (Pseudonym), ein 20-jähriger LGBTI-Aktivist. Mahfuz sagt, er sei in den Foren der sozialen Medien aktiv gewesen, habe aber seit April 2016 kaum sein Haus

39 Interview mit Amnesty International, November 2016. 40 Interview mit Amnesty International über E-Mail, Januar 2017. 41 Frontline Defenders, Victim Blaming: Bangladesh's Failure to Protect Human Rights Defenders, p. 22, November 2016, verfügbar unter: https://frontlinedefenders.atavist.com/bangladesh-report. 42 Interviews mit Amnesty International in Dhaka, November 2016, telefonisch und über E-Mail, gesamt 2015 and 2016.

20 verlassen. Er musste die Universität verlassen und versucht, aus Bangladesch wegzukommen, wo er sich nicht sicher fühlt43. Ein anderer LGBTI-Aktivist, der 2016 in ein europäisches Land geflohen ist, nachdem er bedroht wurde, sagte: „Es gibt eine Menge Gefahren, und das bringt die ganze Bewegung zum Stehen, die jetzt auf dem Rückmarsch ist. Wir waren vier oder fünf Jahre vorangegangen, und jetzt geht alles wieder zurück.“44 1.2 Reaktion der Behörden

Beschuldigung der Opfer Die öffentliche Reaktion der bangladeschischen Behörden auf die Welle gewaltsamer Angriffe gegen säkulare Aktivisten war gekennzeichnet von einem besorgniserregenden Unwillen, die Morde einstimmig zu verurteilen. Stellungnahmen von hohen Regierungsbeamten, einschließlich der Premierministerin, erweckten oft im besten Fall den Eindruck von Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der säkularen Aktivisten und liefen im schlimmsten Fall darauf hinaus, die Opfer seien selbst Schuld an ihrem Tod. Premierministerin Sheikh Hasina sagte im September 2015, kurz nach dem Mord an Niloy Neel: „Niemand in diesem Land hat das Recht, in einer Art zu sprechen, die religiöse Gefühle verletzt. Wenn man keine Religion ausübt – kein Problem. Aber man kann nicht die Religion eines anderen angreifen. Man muss damit aufhören. Es wird nicht toleriert, wenn das religiöse Gefühl eines anderen Menschen verletzt wird.“45 Am 14. April 2016, gerade mal eine Woche nach dem Mord an Nazimuddin Samad, sagte Sheikh Hasina zudem über säkulare Schriftsteller: „Ich betrachte derartige Schriften nicht als freies Denken, sondern als dreckige Worte. Warum sollte irgendjemand so etwas schreiben? Es ist überhaupt nicht akzeptabel, wenn jemand gegen unseren Propheten oder andere Religionen schreibt.“46 Andere hohe Beamte äußerten sich ähnlich. Nach dem Mord an Nazimuddin Samad sagte der Innenminister Asaduzzaman Khan Kamal, die Regierung würde als Teil der Untersuchung seine Schriften genau prüfen um zu sehen, ob sie etwas „Anstößiges“ über Religion enthielten47. Er sagte auch, Blogger „sollten ihre Schriften kontrollieren“, womit er unterstellte, sie hätten zumindest zum Teil selbst die Angriffe provoziert. Nach dem Mord an Niloy Neel im August 2015 sagte der nationale Polizeichef, Generalinspekteur der Polizei, A.K.M. Shahidul Hoque: „Niemand sollte die Grenze überschreiten. Und für die Verletzung der religiösen Gefühle eines Nazimuddin Samad anderen wird die betreffende Person durch das Gesetz bestraft werden.“48 Die Behörden versuchten auch häufig, Oppositionsparteien in diese gewaltsamen Angriffe hineinzuziehen, trotz des offensichtlichen Fehlens von Beweisen, die diese Behauptungen gestützt

43 Interview mit Amnesty International, Oktober 2016. 44 Interview mit Amnesty International, November 2016. 45 Bdnews24.com, "Prime Minister Hasina says hurting religious sensitivities will not be accepted", 3. September 2015, verfügbar unter: http://bdnews24.com/bangladesh/2015/09/03/prime-minister-hasina-says-hurting-religious- sensitivities-will-not-be-accepted. 46 The Daily Star, "PM urges all to exercise tolerance", 14. April 2016, verfügbar unter: http://www.thedailystar. net/country/pm-urges-all-live-tolerance-1209163. 47 The Daily Star, "Govt to scrutinise slain Nazim's writings: Minister", 7. April 2016, verfügbar unter: http://www.thedailystar. net/city/govt-scrutinise-slain-nizams-writings-minister-1205716. 48 AFP, "Bangladesh police chief's blogger warning sparks uproar", 10. August 2015, verfügbar unter: http://www.dailymail. co. uk/wires/afp/article-3192564/Bangladesh-pol ice-chiefs-blogger-warning-sparks- uproar.html.

21 hätten. Im April 2016 sagte z. B. der Pressesekretär von Sheikh Hasina nur wenige Stunden nach dem Mord an Xulhaz Mannan: „Die Premierministerin hat gesagt, jedem sei klar, wer hinter diesem Mord stehe. Die BNP und die Jamaat verüben sie unter verschiedenen Verkleidungen.“49 Derartige Rhetorik hat unter säkulare Aktivisten zum starken Verdacht beigetragen, den Behörden sei ihr Leid gleichgültig und sie versuchten, die gewaltsamen Angriffe für ihre politischen Ziele auszunutzen. Zuletzt haben Regierungsbeamte zumindest eine mit Bedingungen verknüpfte Verurteilung der Mörder angeboten: „Diese Angriffe sind nicht akzeptabel, aber zur gleichen Zeit erwarten wir, dass die Leute aufhören, den Propheten Mohammed zu kritisieren“, sagte Shahriar Alam, Staatsminister für Auswärtige Angelegenheiten am 12. Juni 201650. Am 6. März 2017 äußerte der Informationsminister Hasanul Haq Inu gegenüber dem UN-Menschenrechtskomitee, dass Angriffe auf Blogger „ein direkter Affront gegen eine uralte Tradition der Toleranz seien“51. Wenn dies auch eine positive Äußerung ist, so war diese Herangehensweise doch eher die Ausnahme als die Norm. Die Behörden haben auch auf andere Weise versucht, die Meinungsfreiheit der säkularen Aktivisten zu untergraben. 2013 schuf die Regierung ein offizielles Komitee zur Identifizierung von Bloggern, die „abwertende Äußerungen“ gegen den Islam gemacht hatten52. Das Komitee nahm an Diskussionen mit Geistlichen teil, um eine Liste von Bloggern und Facebook-Nutzern zu erstellen, von denen sie behaupteten, sie hätten blasphemische, antiislamische Inhalte veröffentlicht. Obwohl mehr als 80 Namen auf der Liste waren, ordnete die Bangladesh Telecommunication Regulatory Commission (BRTC) infolgedessen die inländischen Plattformen mit Blogs nur in vier Fällen an, die Zugänge von Bloggern zu schließen, die als „antireligiöse Elemente“ identifiziert wurden53. Alle vier Blogger posteten auf der somewhereinblog-Plattform54 und wurden anschließend wegen der „Verletzung religiöser Gefühle“ verhaftet (s.S. 26). Andere populäre Blogs wie z. B. Istishon (s. o.) wurden ebenfalls temporär von den Behörden ohne Begründung eingestellt. Fehlen von Verantwortung Es gab ein besorgniserregendes Fehlen effektiver Untersuchungen zu den Morden an säkularen Aktivisten. Soweit Amnesty International weiß, wurde nur in einem Fall, bei dem ein säkularer Aktivist getötet wurde, eine Person verurteilt. Im Zusammenhang mit der Ermordung von Rajib Haider am 31. Dezember 2015 wurden acht Personen verurteilt. Drei Männer wurden des Mordes für schuldig befunden, während gegen fünf weitere Männer Gefängnisstrafen verschiedener Längen wegen Unterstützung des Verbrechens ausgesprochen wurden. Während es als positiv zu werten ist, dass die Behörden in diesem Fall Schritte unternahmen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, tritt Amnesty International in allen Fällen gegen die Todesstrafe ein, ungeachtet der Umstände oder der Art des Verbrechens. Die bangladeschischen Behörden sollten sicherstellen, dass es bei Morden keine Straflosigkeit gibt, das aber ohne Verhängung der Todesstrafe tun.

49 Bdnews24.com, "BNP, Jamaat-e-lslami behind series of killings to destabilise Bangladesh, says Hasina", 25. April 2016, verfügbar unter: http://bdnews24.com/bangladesh/2016/04/25/bnp-jamaat-e-islami-behind-series-of-killings- to-destabilise-bangladesh-says-hasina. 50 The Guardian, "Inside Bangladesh's killing fields: bloggers and outsiders targeted by fanatics", 12. Juni 2016, verfügbar unter: https://www.theguardian.com/world/2016/jun/ll/bangladesh-murders-bloggers-foreigners-religion. 51 Speech by Information Minister Hasanul Haq Inu to UN Human Rights Committee, Genf, Schweiz, 6. März 2017. 52 Bdnews24.com, "Panel to check comments on Islam, Prophet", 13. Mätz 2013, verfügbar unter: http://bdnews24. com/bangladesh/2013/03/13/panel-to-check-comments-on-islam-prophet. 53 "Freedom House, Freedom on the Net 2015: Bangladesh", verfügbar unter: https://freedomhouse.org/report/freedom-net/2015/bangladesh. 54 Somewhereinblog.net, Transparency Report: 2014, verfügbar unter: http://www.somewhereinblog.net/transparency_ report.

22 Die Übernahme von Verantwortung durch das Rechtssystem war bisher jedoch weit von der Norm entfernt. Das Fehlen eines Fortschritts im Fall von Wahsiqur Rahman illustriert das. Kurz nach seiner Ermordung in Dhaka am 30. März 2015 waren Umstehende, die Zeugen des Mordes gewesen waren, in der Lage, drei der offensichtlichen Verbrecher an Ort und Stelle zu ergreifen. Die Polizei verhaftete sie kurz darauf. Am 20. Juli 2016 erhob eine Gericht formal Anklage gegen fünf angebliche Mitglieder der Ansar al-Islam, einschließlich der drei Männer, die am Tatort gefasst worden waren, wegen des Mordes an Washiqur Rahman55. Zwei der Beschuldigten bleiben auf freiem Fuß und wurden in Abwesenheit angeklagt. Bis zum April 2017 hatte der Prozess jedoch noch nicht angefangen, und kein Zeuge verhört. Die Polizei behauptet, sie habe in allen anderen Fällen von Angriffen auf säkulare Aktivisten, die oben beschrieben wurden, Verhaftungen von verdächtigten Verbrechern vorgenommen, außer im Fall des Mordes an Nazimuddin Samad. Im März 2017 behauptete die Regierung, insgesamt 22 Verdächtige seien im Zusammenhang mit den Morden von 2015 an Bijoy Das, Avijit Roy, Niloy Neel und Faisal Deepan verhaftet worden. Sie bleiben alle in Haft, aber keiner wurde formal wegen einer Beteiligung an diesen vier Morden angeklagt56. Dieses Versagen bei der Strafverfolgung sendet ein gefährliches Signal aus, dass Verbrecher bei ähnlichen Attacken ohne Bestrafung davonkommen können. Es hat auch zu einem Gefühl der Angst unter den säkularen Aktivisten in Bangladesch beigetragen, von denen viele ein starkes Gefühl ausdrückten, dass die Behörden keine echten Anstrengungen unternahmen, Verbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Ein Aktivist beschrieb die Polizei als „gleichgültig“, während ein anderer Blogger sagte, er sei trotz häufiger Drohungen noch nicht an die Polizei herangetreten, weil er entweder „angezeigt oder ignoriert“ würde. Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf Als ein Mitgliedsstaat des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte (IPBPR) muss Bangladesch sicherstellen, dass jede Person, deren Rechte oder Freiheiten verletzt werden, Zugang zu wirksamen Rechtsbehelf und Wiedergutmachung hat57. Das schließt jedes Individuum ein, dessen Rechte oder Freiheiten von Personen verletzt werden, die in offizieller Eigenschaft handeln oder von Individuen oder Gruppen, die nicht mit dem Staat verbunden sind. Der Staat muss geeignete Mechanismen etablieren, mit angeblichen Verletzungen umzugehen und seiner Verpflichtung gerecht werden sicherzustellen, dass derartige Anschuldigungen zügig, tiefgehend und effektiv von unabhängigen und unparteiischen Gremien untersucht werden und die Verantwortlichen vor Gericht gebracht werden58. Ein wesentliches Element des Rechts auf ein Gegenmittel ist die Vorschrift einer effektiven Wiedergutmachung für diejenigen, deren Rechte verletzt wurden. Das Recht auf Wiedergutmachung schließt die Rückgabe, Kompensation, Rehabilitation, Entschädigung und Garantien der

55 Prothom Alo, "5 'ABT men' indicted in blogger Washiqur killing case", 20. Juli 2016. verfügbar unter: http://en.prothom-alo. com/bangladesh/news/112775/5-%E2%80%98militants%E2%80%99-indicted-in-blogger- Babu-killing. 56 Replies of the Bangladesh Government to the List of Issues - Annex 2, UN Human Rights Committee 119th Session, 14. Februar 2017, verfügbar unter: http://tbintemet.ohchr.org/Jayouts/treatybodyextemal/Download.aspx? symbolno= INT %2fCCPR%2fARL%2fBGD%2f26626&Lang=en. 57 UN Human Rights Committee General Comment 31, The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant, CCPR/C/21/Rev.l/Add. 13, (2004), verfügbar unter: http://tbinternet.ohchr.org/Jayouts/ treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CCPR%2fC%2f21%2fRev.l %2fAdd.l3&Lang=en. 58 UN Human Rights Committee General Comment 31, The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant, CCPR/C/21/Rev.l/Add. 13, (2004), verfügbar unter: http://tbinternet.ohchr.org/Jayouts/ treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CCPR%2fC%2f21%2fRev.l %2fAdd.!3&Lang=en.

23 Nichtwiederholung ein – das beinhaltet Maßnahmen jenseits von opferspezifischen Gegenmitteln, die eine Wiederholung verhindern59. Das Menschenrechtskomitee hat festgestellt, dass ohne die Sicherstellung einer effektiven Wiedergutmachung für Individuen, deren Rechte verletzt wurden, von Staaten nicht behauptet werden könne, sie hätten ihre Verpflichtung erfüllt, ein effektives Gegenmittel unter internationalem Menschenrecht zur Verfügung gestellt zu haben60. Jüngste Bemühungen der bangladeschischen Behörden gegen gewaltsame Gruppen Seit Juni 2016 haben die bangladeschischen Behörden Operationen von Sicherheitskräften gegen bewaffnete Gruppen deutlich vermehrt, die zu Tausenden von Verhaftungen und Tötungen von Dutzenden von Verdächtigen geführt hat, die die Sicherheitskräfte als Schusswechsel bezeichneten. Diese erneute Intensivierung scheint teilweise durch den Mord an Mahmuda Aktar in Chittagong vom 5. Juni 2016 begründet zu sein, einer Frau, die mit Babul Aktar verheiratet war, einem höheren Polizeioffizier. Der Angriff auf die Holey Artisan Bakery in Dhaka am 1. Juli 2016 führte ebenfalls zu einem deutlichen Anstieg von Operationen gegen bewaffnete Gruppen. Diese Maßnahmen waren jedoch von ernsten Sorgen über Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet. Mindestens 11.000 Menschen wurden während der Verfolgung von bewaffneten Gruppen während der ersten Wochen des Juni 2016 verhaftet. Menschenrechtsgruppen und andere erhoben jedoch Bedenken bezüglich der Natur dieser Verhaftungen und behaupteten, Tausende der Verhaftungen seien politisch motiviert und zielten auf Unterstützer der Oppositionsparteien, und dass in vielen Fällen die Polizei willkürliche Verhaftungen vorgenommen habe, nur als Vorwand, um Schmiergelder zu erpressen61. Die BNP behauptete, mindestens 2.100 ihrer Parteiführer und Aktivisten seien unter denen, die bei den Razzien festgenommen wurden62. Zusätzlich wurden zwei der überlebenden Geiseln des Angriffs auf die Holey Artisan Bakery – Hasnat Karim und Tahmid Khan – von der Polizei sofort nach dem Angriff inhaftiert und ohne Kontakt zur Außenwelt an einem unbekannten Ort mehrere Wochen lang festgehalten, ohne Zugang zu einem Anwalt oder Familienmitgliedern63. Sie wurden beide am 4. August 2016 dem Gericht vorgeführt, wobei die Polizei behauptete, sie seien am Tag zuvor verhaftet worden, obwohl der Innenminister Asaduzzaman Khan öffentlich zugegeben hatte, dass beide seit Ende Juli im Gewahrsein der Behörden gewesen seien64. Tahmid Khan wurde im Oktober 2016 auf Kaution freigelassen, aber Hasnat Karim war im April 2017 immer noch ohne Anklage in Haft. Amnesty

59 UN Human Rights Committee General Comment 31, The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant, CCPR/C/21/Rev.l/Add. 13, (2004), §§ 16 and 17. verfügbar unter: http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CCPR%2fC%2f21%2fRev.l %2fAdd.L3&Lang= en. 60 UN Human Rights Committee General Comment 31, The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant, CCPR/C/21/Rev.l/Add. 13, (2004), § 15, verfügbar unter: http://tbinternet. ohchr.org/Jayouts/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CCPR%2fC%2f21%2fRev.l%2fAdd.L3&Lang= en. 61 UN Human Rights Committee General Comment 31, The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant, CCPR/C/21/Rev.l/Add. 13, (2004), § 15, verfügbar unter: http://tbinternet. ohchr.org/Jayouts/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CCPR%2fC%2f21%2fRev.l%2fAdd.L3&Lang= en. 62 Human Rights Watch, "Bangladesh: Halt Mass Arbitrary Arrests", 17. Juni 2016, verfügbar unter: https://www.hrw. org/news/2016/06/17/bangladesh-halt-mass-arbitrary-arrests. 63 Amnesty International, "Bangladesh: Exact whereabouts unknown, health concern for Hasnat Karim", 8. Juli 2016, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/asal3/4420/2016/en/. 64 AFP, "Lawyer for Bangladesh cafe survivor demands his release", 28. Juli 2016, verfügbar unter: http://www.thenational.ae/world/south-asia/lawyer-for-bangladesh-cafe-survivor-demands-h is-release.

24 International hat die Behörden aufgefordert, im Einklang mit internationalem Recht Hasnat Karim zügig wegen eines erkennbaren Vergehens anzuklagen oder ihn freizulassen. Wenn die bangladeschischen Behörden die Pflicht haben, das Leben und die Sicherheit aller Individuen zu schützen und sicherstellen sollten, dass die Verantwortlichen für gewaltsame Angriffe vor Gericht gebracht werden, so muss das im Einklang mit internationalen Menschenrechtsgesetzen und -standards geschehen. Versagen beim Schutz Mehrere säkulare Aktivisten berichteten Amnesty International, sie hätten versucht, die Polizei um Schutz zu bitten, nachdem sie Drohungen erhalten hatten, waren aber ignoriert worden. In mehreren Fällen sagten Aktivisten, die Polizei habe ihre Versuche zurückgewiesen, eine Anzeige zu erstatten (GD, das erste Standardformular für die Erstattung einer Anzeige bei der Polizei), um die Drohungen gegen sie zu dokumentieren. In einigen Fällen sagte ihnen die Polizei einfach, sie sollten das Land verlassen, um ihre Sicherheit sicherzustellen, während andere berichteten, die Polizei habe sie wegen der Tatsache, dass sie über säkulare Themen schrieben, schikaniert. „Ich habe mehrere Versuche unternommen, Hilfe zu bekommen, aber sie haben mich direkt zurückgewiesen“, sagte ein säkularer Blogger, der Dutzende von Todesdrohungen über das Handy und die sozialen Medien erhalten hatte65. Ähnlich erklärten sowohl Niloy Neel als auch Faisal Abedin Deepan kurz vor ihrem Tod, dass sie beide die Polizei um Schutz gebeten hätten aber ignoriert wurden. In Interviews mit Menschenrechtsverteidigern in Bangladesch, berichtete Frontline Defenders, dass mindestens zwei bedrohten Aktivisten, die um Polizeischutz nachsuchten, gesagt wurde, sie sollten „einfach das Land verlassen“66. Andere sagten, sie seien extrem zurückhaltend, an die Polizei heranzutreten, da sie fürchteten, sie könnten selbst angezeigt werden. Viele wiesen auf die vier Verfahren hin, die 2013 gegen säkulare Blogger unter dem ICT Act eingeleitet wurden und wie diese ihr Vertrauen in die Polizei ernsthaft untergraben hätten. Wie ein Aktivist sagte: „Wenn du ein echter Aktivist bist, bist du die verwundbarste Person im Land. Du kannst jederzeit von der Regierung verhaftet oder von einem Islamisten angegriffen werden.“67 Auch viele LGBTI-Aktivisten berichteten Amnesty International, dass sie sehr zögerlich seien, sich an die Polizei zu wenden. Diejenigen, die Missbräuche anzeigten, wurden selbst von der Polizei wegen ihrer Sexualität schikaniert und von ihr mit Strafanzeigen bedroht. Homosexualität wird in Bangladesch kriminalisiert und „Geschlechtsverkehr gegen die Ordnung der Natur“ (§ 37 des Strafgesetzbuchs) wird mit einer Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis bedroht. Die Polizei benutzt dieses Gesetz oft als Vorwand, LGBTI-Personen zu schikanieren und verhaftet sie manchmal aufgrund ihres Äußeren68. Ein LGBTI-Aktivist, der 2015 von einem unbekannten Mann an der Universität Dhaka zusammengeschlagen wurde, sagte: „Nach dem Angriff hätte ich zur Polizei gehen können und Anzeige erstatten, aber ich ging nicht hin, da das meine Situation noch verschlimmert hätte. Der Angriff hätte Nachrichtenwert: eine LGBTI-Person wurde an der Universität Dhaka zusammengeschlagen – und sie würden meinen Namen aufschreiben und alles und mich eine Menge Dinge fragen: 'Warum bist du LGBT' usw. Die Leute setzen LGBT mit Gegnerschaft zur Regierung gleich. Die Polizei wird dich verprügeln, weil du schwul bist. Warum sollte man also zur

65 Interview mit Amnesty International, Oktober 2016. 66 Frontline Defenders, Victim Blaming: Bangladesh's Failure to Protect Human Rights Defenders, S. 5. November 2016, verfügbar unter: https://frontlinedefenders.atavist.com/bangladesh-report. 67 Interview mit Amnesty International, Januar 2016. 68 US Department of State, 2016 Country Reports on Human Rights Practices - Bangladesh, 3. März 2017, verfügbar unter: http://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?page=search&docid=58ec8a7113&skip=0&query=LGBT &coi=BGD &searchin=fulltext&sort=date.

25 Polizei gehen? Das ist das Problem – wir können uns mit unseren Problemen nicht an die Polizei wenden.“69 Auf der anderen Seite sind einige Aktivisten zur Polizei gegangen und haben eine positivere Erfahrung gemacht. Eine säkulare Aktivistin Anfang 20, Heda (Pseudonym), sagte, sie habe sich an die Polizei gewandt, nachdem sie eine Flut von Todesdrohungen auf sozialen Medien erhalten habe. Die Polizei sagte ihr Schutz zu, Polizeibeamte wurden vor ihrem Haus aufgestellt und begleiteten sie jedes Mal, wenn sie das Haus verließ. Heda berichtete, sie habe sich immer noch unsicher gefühlt, so dass sie 2016 in ein europäisches Land floh, wo sie jetzt um Asyl nachsucht70. Im März 2017 behauptete die Regierung in einer Stellungnahme an das Menschenrechtskomitee der UNO, dass 499 „bedeutende Personen“ aus der Zivilgesellschaft unter Polizeischutz stünden. Ob das „Schriftsteller, Blogger und Online-Aktivisten“ beinhaltet, sagte die Regierung nicht genau, wie viele noch etwas über die exakte Art des Schutzes71. Amnesty International bat die Regierung um Klarstellung dieser Punkte, aber hatte bis zum April 2017 keine Antwort erhalten72. Die Behörden informierten auch das Menschenrechtskomitee, sie hätten Schritte zu einem besseren Schutz von bedrohten Aktivisten unternommen, einschließlich der Einführung eines Prozesses zum Aufbau einer Sondereinheit der Polizei mit der Aufgabe, die Seiten der sozialen Netzwerke nach „extremistischen Schriften“ zu durchforsten. Die Polizei „sei auch angewiesen worden“, IP-Adressen und Konten bei sozialen Medien zu identifizieren, die dazu „benutzt wurden, Drohungen zu verbreiten“. Derartige Maßnahmen könnten ein positiver Schritt sein, aber es bleibt abzuwarten, welchen Effekt sie in der Praxis haben. 1.3 Strafverfahren gegen Blogger und Aktivisten „Diese Art von Anklagen gibt es sicherlich nur, um uns zu schikanieren. Je mehr Tage wir inhaftiert und je mehr wir schikaniert werden können, um so schwieriger wird der Kampf für unsere Rechte. Aber wir versuchen zu überleben, sogar mit dieser Art von Anklagen. […] Die Menschen, die in Blogs oder den sozialen Medien schreiben oder sich äußern, sind sehr besorgt über [den ICT Act].“

Mithun Chakma, indigener Rechtsaktivist, der unter dem ICT Act verhaftet wurde, November 201673

Seit 2013 haben die bangladeschischen Behörden Strafanzeigen unter dem ICT Act sowohl gegen säkulare Blogger und Verleger als auch Aktivisten, die sich mit anderen Themen beschäftigten, eingereicht, lediglich wegen der friedlichen Ausübung ihres Rechts auf Meinungsfreiheit. Obwohl die Anzahl klein ist, berichteten Aktivisten gegenüber Amnesty International, dass diese Fälle zu Selbstzensur und einer Zurückhaltung bei der Suche nach Schutz durch die Polizei führten. Vier säkulare Blogger 2013 verhaftet Am 1. und 3. April 2013 wurden vier säkulare Blogger – Asif Mohiuddin, Subrata Adhikari Shuvo, Moshiur Rahman Biplob und Rasel Parvez – von der Polizei in Dhaka aufgrund ihrer „blasphemischen“ Schriften verhaftet. Die Polizei beschrieb

69 Interview mit Amnesty International, Juni 2016. 70 Interview mit Amnesty International, September 2016. 71 Replies of the Bangladesh Government to the List of Issues - Annex 2, UN Human Rights Committee 119th Session, 14. Februar 2017, verfügbar unter: http://tbintemet.ohchr.org/Jayouts/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno =CCP R%2fC%2fBGD%2fQ%2fl%2fAdd.l&Lang=en. 72 Interne Korrespondenz, Referencz ASA 13.2017.001. 73 Interview mit Amnesty International über Email, Dezember 2016.

26 die vier als „bekannte Atheisten und Naturalisten“, die abwertende Dinge über den Propheten Mohammed schrieben und sagten, die vier hätten Anzeigen wegen „Anstachelung negativer Elemente gegen den Islam, um Anarchie zu erzeugen“ zu erwarten. Die Verhaftungen folgten auf die Einrichtung eines Komitees Anfang des Jahres, das die Aufgabe hatte, die Schriften säkularer Aktivisten zu untersuchen (s.S. 22). Einer der Blogger, Asif Mohiuddin, war zum Zeitpunkt seiner Verhaftung erst kurz zuvor aus dem Krankenhaus entlassen worden und erholte sich noch von den Verletzungen, die er erlitten hatte, nachdem er einem Anschlag nur knapp dem Tod entgangen war (s.S. 17). Die vier wurden über verschiedene Zeiträume in Haft gehalten, die bis zu drei Monaten dauerten, ehe sie später im Jahr 2013 auf Kaution freigelassen wurden74. Erst im November 2013 wurden sie formal wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ nach § 57 des ICT Act angeklagt. Die Klagen gegen alle vier Blogger bestehen immer noch, und die Gerichtsverfahren laufen technisch weiter, obwohl alle vier inzwischen Bangladesch verlassen haben, da sie um ihre eigene Sicherheit fürchteten, solange sie im Land blieben. Die Verhaftungen lösten einen Aufschrei unter den inländischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen aus, die sie als einen Versuch der Regierung verurteilten, die Meinungsfreiheit einzuschränken, und als einen politischen Schritt, Angehörige der religiösen Hardliner zu befriedigen, die die Verhaftung säkularer Blogger verlangt hatten. Die Administratoren acht populärer Blogseiten schlossen aus Protest gegen die Verhaftungen ihre Webseiten am 4. April 2013 für 92 Stunden75. Shamsuzzoha Manik Shamsuzzoha Manik, ein 74-jähriger säkularer Schriftsteller und Verleger, wurde am 14. Februar 2016 verhaftet, nachdem die Polizei behauptet hatte, ein Buch, das er herausgegeben und veröffentlicht hatte, Islam Bitorko („Debatte über den Islam“) sei blasphemisch. Am Tag seiner Verhaftung führte die Polizei in der Ekushey Büchermesse in Dhaka – eines der größten literarischen Ereignisse in Bangladesch – eine Razzia durch und beschlagnahmte Kopien von Islam Bitorko. Sie schloss gleichzeitig den Stand von Baw-deep Prokahon, Maniks Verlag76. Nachdem er mehrere Monate im Gefängnis verbracht hatte, wurde Shamsuzzoha Manik formal am 21. August 2016 nach § 57 des ICT Act wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ angeklagt. Mehr als acht Monate nach seiner Verhaftung gewährte ihm das Cyber Tribunal in Dhaka am 31. Oktober 2016 Freilassung auf Kaution. Sein Verfahren läuft momentan weiter. Seit er auf Kaution freigelassen wurde, hält er sich versteckt, da er weiter Todesdrohungen von bewaffneten Gruppen erhält und um seine Sicherheit fürchtet. Nach Aussage seines Anwalts hat Shamsuzzoha Manik diese Drohungen nicht angezeigt, da seine vorige Verhaftung bedeutet, dass er der Polizei nicht zutraut, die Drohungen ernst zu nehmen77.

74 Dhaka Tribune, "Blogger Moshiur granted bail", 2. Juni 2013, verfügbar unter: http://archive.dhakatribune.com/ bangladesh/2013/jun/02/blogger-moshiur-granted-bail. 75 BBC News, "Bloggers in Bangladesh protest over arrest of writers", 4. April 2013, verfügbar unter: http://www.bbc.co.uk/news/world-asia-22030388. 76 Interview von Amnesty International mit dem Rechtsanwalt von Shamsuzzoha Manik, Januar 2017. 77 Interview von Amnesty International mit dem Rechtsanwalt von Shamsuzzoha Manik, Januar 2017.

27 Mithun Chakma: Inhaftiert wegen des Einsatzes für die Rechte indigener Völker Es sind nicht nur säkulare Aktivisten, die eine Verhaftung unter dem ICT Act wegen ihrer Meinungsäußerungen im Internet riskieren. Die Behörden erhoben auch Anklage gegen andere wie Mithun Chakma, einem bekannten Vorkämpfer für indigene Rechte in den Chittagong Hill Tracts (CHT)78. Mithun Chakma wurde am 12. Juli 2016 von der Polizei in seinem Haus im Khagrachhi-Distrikt in den CHT verhaftet. Nachdem er mehr als drei Monate in Untersuchungshaft verbracht hatte, beschuldigte die Polizei Mithun Chakma, den § 57 des ICT Act zu verletzen, weil er „falsche, obszöne/vulgäre oder beleidigende Informationen verbreitet“ habe. Die Beschuldigung bezog sich auf einen Artikel, den Mithun Chakma 2007 in einem Blog veröffentlicht hatte, in dem er einen Armeeoffizier der Beteiligung am Verschwinden von Kalpana Chakma beschuldigte, einer Vorkämpferin für indigene Rechte, die 1996 entführt worden war. Kalpana Chakma ist seit ihrer Entführung ein Symbol für Menschenrechtsverletzungen geworden, denen sich die Indigenen in den CHT ausgesetzt sehen, und ihre Familie und Menschenrechtsorganisationen behaupten, die Untersuchungen zu ihrem Verschwinden sei ineffektiv und gekennzeichnet von Behinderungen durch die Behörden gewesen. Zusätzlich wurde Mithun Chakma wegen einer Reihe von Tweets angeklagt, in denen er sich über die Polizei als „Muskelmänner“ lustig machte, die mit „Kriegsverkleidung ausgestattet“ sei79. Nachdem er mehr als drei Monate im Gefängnis verbracht hatte, ohne dass gegen ihn Anklage erhoben wurde, wurde Mithun Chakma am 18. Oktober 2016 auf Kaution freigelassen. Die Untersuchung gegen ihn dauert an. Mithun Chakma berichtete Amnesty International: „Diese Art von Verfahren dient sicher nur dazu, uns zu schikanieren. Je länger wir in Haft sind und je mehr wir schikaniert werden, umso schwieriger ist der Kampf für unsere Rechte. Aber wir werden versuchen, auch mit dieser Art von Verfahren zu überleben. […] Die Menschen, die schreiben oder sich auf Blogs oder in den sozialen Medien äußern, sind sehr besorgt über [den ICT Act]. Ich selbst bin auch besorgt.“80

78 Zum Hintergrund s. Amnesty International, Pushed to the edge: Indigenous rights denied in Bangladesh's Chittagong Hill Tracts (Index: ASA 13/005/2013), [deutsch: An den Rand gedrängt. Keine Rechte für Indigene in den Chittagong Hill Tracts., zu beziehen über die KoGruppe]. 79 Interview von Amnesty International mit Mithun Chakma, November 2016. 80 Interview von Amnesty International mit Mithun Chakma, November 2016.

28 2. MEDIEN UNTER BELAGERUNG „Entweder der Inhaber eines Verlages ist Mitglied der Awami League oder es gibt indirekten Druck. Das kann ein Verbot der Zeitung sein oder die Rücknahme deiner Lizenz. Die Regierung kontrolliert die Medien auf eine sehr intelligente Weise.“

Bangladeschischer Journalist, mit dem Amnesty International im November 2016 gesprochen hat81.

„In Bangladesch gibt es derzeit genug Freiheit für den Journalismus.“

Premierministerin Sheikh Hasina, 20. Oktober 201682.

Auch wenn Einschränkungen für die Medien in Bangladesch nicht neu sind und in unterschiedlichem Ausmaß während der gesamten modernen Geschichte des Landes existiert haben, haben diese in den letzten Jahren eklatant zugenommen, insbesondere seit 2014. Die meisten Medientätige, die Amnesty International interviewte – Fernsehen/Funk, Online und Druck; Herausgeber, Verleger und Journalisten – sagten, dass ihr Raum für Medienfreiheit in Bangladesch heute eingeschränkter sei als zu irgendeinem Zeitpunkt, seit das Land 1991 zu einer Zivilregierung zurückkehrte. Es gibt eine allgegenwärtige Furcht davor, angeklagt, ins Gefängnis gesteckt oder Opfer physischer Gewalt zu werden, was zu extensiver Selbstzensur führte. Dieses Kapitel bietet einen Überblick über die verschiedenen Arten, auf denen die Versuche der Behörden zugenommen haben, kritische Berichterstattung zum Schweigen zu bringen. Hintergrund: Medien in Bangladesch Die bengalische Kultur hat eine lange intellektuelle Tradition und eine Wertschätzung für das geschriebene Wort; und die Medien haben eine wichtige Rolle in der gesamten modernen Geschichte Bangladeschs gespielt. Während der britischen Kolonialherrschaft waren die zwei bengalisch-sprachigen Tageszeitungen Ittefaq und Sangabad essentiell wichtig für die Schaffung eines bengalischen Nationalbewusstseins. Seit Bangladesch 1971 die Unabhängigkeit von Pakistan erlangte, hatten die Medien des Landes, in unterschiedlichem Ausmaß, ein gespanntes Verhältnis zu den aufeinander folgenden Regierungen. Obwohl die Meinungsfreiheit in der bangladeschischen Verfassung verankert ist, unterliegt sie bestimmten Bedingungen (s. Kapitel 5). Die neue Regierung nach der Unabhängigkeit rief 1974 einen Staatsnotstand aus, und innerhalb eines Jahres durfte nur noch eine Handvoll Medienkanäle, alle in Staatsbesitz, arbeiten. Zudem einige unabhängige Printmedien. Diese Einschränkungen blieben im Großen und Ganzen während der von Militärs geführten Regierungen bestehen, bis 1991 eine Zivilregierung zurückkehrte. Sowohl die Regierungen unter der BNP als auch der Awami League der 90er Jahre setzten eine schrittweise Lockerung der Medienlizenzgesetze um und widerriefen die meisten Notstandsvollmachten, die während der Militärregierung der Meinungsfreiheit starke Einschränkungen auferlegt hatten. Seitdem hat es im Land einen dramatischen Anstieg der Zahl der Medienkanäle gegeben, ebenso eine Verlagerung der Eigentümer von Staats- zu Privatbesitz. Die

81 Interview mit Amnesty International, April 2016. 82 New Age, "Enough freedom; perform your duties, PM to journalists", 20. Oktober 2016, verfügbar unter: http://www.newagebd.net/article/I 131/enough-freedom-perform-your-duties-pm-to- journalists#sthash.aq752BsX.dpuf.

29 TV-Medien haben die erheblichsten Veränderungen erlebt, insbesondere seit 1999, als die ersten beiden privaten Fernsehkanäle, Channel-i und Ekushey-TV, starteten. Die meisten nationalen Medien gehören heutzutage einer von sieben großen gemeinschaftlichen Konglomeraten. 2017 gab es gut 2.800 Zeitungen und Zeitschriften in Bangladesch, dazu Dutzende unabhängige Fernseh- und Radiostationen im ganzen Land. Online-Nachrichten werden immer populärer und oft mit mobilen Geräten abgefragt. Ende 2014 gab es mindestens 500 aktive Nachrichtenportale83. Die Fülle an Verlagen wird von den bangladeschischen Behörden oft als Beweis dafür herangezogen, dass die Medien unabhängig und ohne Auflagen arbeiten können. Die meisten Verlage sind jedoch stark politisiert, da die verschiedenen Regierungen dazu tendierten, Sendelizenzen an bekannte Unterstützer auszugeben. Wie ein Wissenschaftler darstellte: „Die Lizenzierung von TV-Kanälen ist zu einem Machtspiel für jede politische Regierung geworden, die sich in der steigenden Rate von Genehmigungen für Fernsehkanäle vor jeder Wahl widerspiegelt.“84 Nach einer Studie des Fojo Media Institute wurden mindestens acht der zwölf Sendelizenzen, die von der derzeitigen Regierung zwischen 2009 und 2015 genehmigt wurden, an Mitglieder der Awami League oder andere Personen mit engen Verbindungen zur Partei vergeben85. Wie ein älterer Reporter einer landesweiten Zeitung sagte: „Ja, es gibt Pluralismus, aber es ist nur eine Stimme erlaubt. Die Lizenzen wurden an Unterstützer der Regierung und alte Kumpel vergeben.“86 Verglichen mit dem Fernsehsektor ist die Eigentümerschaft von Zeitungen politisch gestreuter. Nach dem Fojo Media Institute sind jedoch nur wenige Zeitungen profitabel und werden von den Firmeneignern massiv unterstützt. Der Einfluss dieser politisch verbundenen Eigentümer kann die herausgeberische Unabhängigkeit der Verlage, die von ihnen kontrolliert werden, einschränken87. 2.1 Strafverfahren gegen Journalisten „Wir haben mit Besorgnis festgestellt, dass es in letzter Zeit für Zeitungen und nationale Medien sehr schwierig geworden ist, unabhängig und neutral zu arbeiten. Journalisten werden angegriffen und Opfer von Gewalt im Namen von politischen Programmen, während Versuche unternommen werden, die Unabhängigkeit von Zeitungen und Medien einzuschränken. Die Regierung mischt sich in die Rechte der Medien ein. Unabhängiges und unparteiisches Sammeln und Veröffentlichen von Nachrichten sieht sich Behinderungen von Regierung und Verwaltung ausgesetzt.“

Statement des Bangladeschischen Herausgeberrats, 25. Februar 201588

83 Anis Rahman, "Print and electronic media in Bangladesh", in Routledge Handbook of Contemporary Bangladesh, 2016, S. 502. 84 Anis Rahman, "Print and electronic media in Bangladesh," in Routledge Contemporary Handbook of Bangladesh, 2016, S. 166. 85 Fojo Media Insitute, Improving investigative journalism in Bangladesh, November 2015, p. 16. 86 Interview mit Amnesty International in London, Juli 2016. 87 Fojo Media Insitute, Improving investigtive journalism in Bangladesh, November 2015, S. 8. 88 Bdnews24.com, "Editors' Council deeply divided over anti-government statement", 25. Februar 2015, http://bdnews24 .com/ bangladesh/2015/02/25/editors-council-deeply-divided-over-anti-government-statement.

30 „[Diese Behauptung] entbehrt jeder Realität, ist ausgedacht, [politisch] motiviert und bedauerlich. Die Regierung arbeitet immer daran, die Medien aktiv, frei und dynamisch zu halten.“

Antwort des Informationsministeriums, 25. Februar 201589

Ein Exempel statuieren: Strafverfahren gegen Herausgeber und herausragende Journalisten Seit 2013 haben Behörden in Bangladesch politisch motivierte Strafverfahren gegen mehrere angesehene Journalisten und Herausgeber aus dem gesamten politischen Spektrum angestrengt. Es gab eine starke Übereinstimmung bei den Medientätige, die von Amnesty International interviewt wurden, dass diese Anklagen selektiv gegen bestimmte Personen, die im Licht der Öffentlichkeit standen, eingeleitet wurden. Damit sollte sowohl eine Botschaft an die Personen selbst ausgesandt werden, bestimmte Themen zu vermeiden, als auch andere Journalisten und Verlage davon abbrin- gen, die Behörden herauszufordern. Wie ein Journalist sagte: „Die Regierung hat ein paar Personen herausgepickt, um ein Exempel zu statuieren. Damit sollte in den Medien Angst verbreitet werden, gezeigt werden, was passiert, wenn man die Linie überschreitet.“90 Dieser Abschnitt enthält einige der beispielhaften Verfahren gegen angesehene Medientätige. Ein System, das legale Schikanen erleichtert Die Unabhängigkeit des bangladeschischen Rechtswesens wurde von aufeinander folgenden Regierungen untergraben, die ihre Zeit im Amt dazu benutzt haben, parteiische Vereinbarungen zu treffen. Obwohl die niedrigere Gerichtsbarkeit formal von der Exekutive getrennt war und 2007 unter die Aufsicht und das Management des Supreme Court gestellt wurde, verwaltet das Justizministerium praktisch immer noch die Ernennungen und Einstellungen der niedrigen Gerichte91. Auch Staatsanwälte werden oft aufgrund ihrer Nähe zur jeweils aktuell regierenden Partei ernannt92. Nach einem Bericht der International Crisis Group (ICG) von 2016 gibt es eine „ausufernde“ Beeinflussung der Exekutive in die Gerichtsbarkeit. Mitglieder der regierenden Partei nutzen oft ihren Einfluss, um Fälle und politisierte Verfahren voranzubringen, als ob sie selbst „über dem Gesetzt stünden, während die Polizei sich oft weigert, Beschwerden gegen diese aufzunehmen“93. Sowohl die Gerichte als auch die Polizeikräfte werden weithin als korrupt und empfänglich für Bestechungen wahrgenommen. 2015 berichtete Transparency International Bangladesh in ihrer National Household Survey, dass 74,6 % der Befragten Opfer von Korruption beim Umgang mit Gesetzeshütern gewesen seien und 48,2 % beim Umgang mit Gerichten94. Abgeordnete mischen

89 Bdnews24.com, "No interference in media, says government", 25. Februar 2015, verfügbar unter: http://bdnews24. com/bangladesh/2015/02/25/no-interference-in-media-says-government. 90 Interview mit Amnesty International, Dhaka, November 2016. 91 International Commission of Jurists, Submission to the Universal Periodic Review of Bangladesh, Oktober 2012, verfügbar unter: http://icj.wpengine.netdna-cdn.com/wp-content/uploads/2012/12/ICJ-UPR16-Bangladesh-Stake holder-Submission-09-10-12-l.pdf. 92 International Commission of Jurists, Submission to the Universal Periodic Review of Bangladesh, Oktober 2012, verfügbar unter: http://icj.wpengine.netdna-cdn.com/wp-content/uploads/2012/12/ICJ-UPR16-Bangladesh-Stake holder-Submission-09-10-12-l.pdf. 93 International Crisis Group, Political Conflict, Extremism and CriminalJustice in Bangladesh, 11. April 2016, verfügbar unter: https://www.crisisgroup.org/asia/south-asia/bangladesh/political-conflict-extremism-and-criminal- justice-bangladesh. 94 Transparency International Bangladesh, Corruption in Service Sectors: National Household Survey 2015, 26. Juni 2016, verfügbar unter: https://www.ti-bangladesh.org/beta3/index.php/en/activities/4988-corruption-in-service- sectors-national-household-survey-2015.

31 sich oft in die Besetzungen und Versetzungen der Polizei in ihren Wahlkreisen ein, und Ernennungen bei der Polizei werden regelmäßig unter politischen Gesichtspunkten getroffen. Diese Möglichkeit der regierenden Partei, sowohl die Justiz als auch die Polizei zu beeinflussen, ist wichtig um zu verstehen, wie politisch motivierte Anklagen gegen Opponenten und Medientätige vorgebracht werden können. Während wenige Strafanzeigen gegen Medientätige zu Anklage und Verurteilung führten, kann das Gerichtsverfahren selbst extrem belastend sein. Das beruht zu einem nicht zu geringen Teil darauf, dass das bangladeschische Justizsystem notorisch überlastet ist, d. h. es kann Jahre dauern, bis es zu einem Urteil kommt, wenn überhaupt. 2013 gab es schätzungsweise 2,7 Mio. schwebende Verfahren bei den unteren Gerichten. Obwohl die Regierung seitdem Schritte unternommen hat, diesen Rückstau zu beseitigen, z.B. durch Einrichtung von speziellen Schnellgerichten, bleibt dies ein ernstes Problem.

Am 3. Februar 2016 erschien Mahfuz Anam, der langjährige Herausgeber der größten englischsprachigen Zeitung Bangladeschs, des Daily Star, in einer Talk-Show des privaten ATV-Kanals und gab zu, seine Zeitung habe 2007 und 2008 nicht fundierte Korruptionsvorwürfe gegen Sheikh Hasina veröffentlicht. Bangladesch hatte zu der Zeit unter der Herrschaft einer Militärregierung gestanden, die eine „Minus-Zwei“-Politik verfolgte mit dem Ziel, sowohl Sheikh Hasina als auch Khaleda Zia, die Vorsitzende der BNP, aus der Politik zu entfernen. Mahfuz Anam sagte, er habe die Anschuldigungen unter dem Druck des militärischen Geheimdienstes gedruckt und dass viele andere Verlagshäuser zu der Zeit ähnliche Artikel veröffentlicht hätten. Er nannte die Geschichten im Daily Star immer noch „einen großen Fehler“. Am 5. Februar postete Sajeb Wazed Joy, Sheikh Hasinas Sohn und Technologieberater der Regierung auf Facebook, dass Mahfuz Anam wegen des Geständnisses „vor Gericht gebracht und wegen Aufwiegelung angeklagt“ werden sollte, da die Geschichten das Bild von Sheikh Hasina befleckt hätten95. Im Laufe von Februar und März 2016 wurden wegen seiner Einlassungen 83 verschiedene Aufwiegelungs- und Verleumdungsklagen gegen Mahfuz Anam erhoben. Die große Mehrheit der Fälle wurde von Mitgliedern und Unterstützern der Awami League eingereicht. Obwohl die Verfassung garantiert, dass niemand wegen des gleichen Vergehens zweimal angeklagt werden darf, wurde die Mehrheit der Klagen von den Amtsgerichten und der Polizei im ganzen Land angenommen. Als Folge davon musste Ḿ ahfuz Anam einen Großteil der Monate Februar und März damit zubringen, mit seinen Rechtsberatern durch Bangladesch zu reisen, um an verschiedenen Anhörungen bei verschiedenen Gerichten teilzunehmen. Ende 2016 stoppte der High Court zwar alle 83 Fälle, sie könnten aber in Zukunft reaktiviert werden. Matiur Rahman, der Herausgeber von Prothom Alo, der größten Zeitung in Bangladesch, die der gleichen Firma gehört wie der Daily Star, musste sich in den vergangenen Jahren auf ähnliche Weise mit einer Reihe Strafanzeigen auseinandersetzen. Im Oktober 2014 wurden vor fünf verschiedenen Gerichten im ganzen Land Klagen unter den §§ 205 und 298 des Strafgesetzbuches wegen der „Verletzung religiöser Gefühle“ gegen Matiur Rahman erhoben. Sie bezogen sich auf einen Cartoon, der 2007 von Alpin, einem satirischen Magazin, das Prothom Alo in der Vergangenheit produziert hatte, veröffentlicht worden war. Einer dieser Fälle wurde inzwischen zurückgewiesen, nachdem die Person, die die Anzeige erstattet hatte, zur Anhörung nicht vor Gericht erschienen war, während die

95 David Bergman in Bangladesh Politico, "The Daily Star, media ethics and hypocrisy - 12 things you need to know", 13. February 2016, verfügbar unter: http://bangladeshpolitico.blogspot.co.uk/2016/02/the-daily-star-media-ethics- and.html.

32 anderen vier sich noch im vorgerichtlichen Stadium befinden96. Zusätzlich sieht sich Matiur Rahman 30 Verleumdungsklagen vor verschiedenen Gerichten im Land gegenüber, die von Artikeln herrühren, die 2015 in Prothom Alo erschienen waren und vermutete Unregelmäßigkeiten beim Kauf von Bodenfräsen durch einen Regierungsbeamten zum Thema hatten97. Die Fälle laufen noch, und die Rechtsberater von Matiur Rahman müssen weiter an Anhörungen für die Fälle in Gerichten im ganzen Land teilnehmen, während er selbst die Erlaubnis erhalten hat, bei weiteren Anhörungen nicht physisch anwesend sein zu müssen98. Obwohl es selten geschieht, dass Strafverfahren gegen Journalisten wegen Verleumdung und Aufwiegelung in Bangladesch zu Verurteilungen führen, bedeutet die schiere Zahl der Fälle sowohl gegen Mahfuz Anam als auch Matiur Rahman, dass beide Männer sich zeitraubenden und kostpieligen juristischen Kleinkriegen gegenüber sehen. Ein Herausgeber einer Zeitung, der ebenfalls mit zahlreichen Strafanzeigen überzogen wurde, sagte gegenüber Amnesty International: „Es ist ein 'Gesetzesmissbrauch' durch eine parteiische Seite [die Premierministerin]. Bis zu einem gewissen Grad ist es eine Art Schikane für uns, da sie uns Zeit, Energie und Geld kostet“ 99. Größere Verlage haben die finanziellen Ressourcen, um sich durch langatmige Gerichtsverfahren zu kämpfen, aber Strafverfahren, die gegen kleinere Medienunternehmen angestrengt werden, können diese so weit finanziell schädigen, dass sie gezwungen sind, das Geschäft einzustellen. Nach Prothom Alo wurden seit 2013 ca. 100 verschiedene Strafanzeigen gegen Zeitungsherausgeber erstattet, von denen 46 noch in verschiedenen Stadien vor den Gerichten laufen100. Ein anderes klares Beispiel für die juristische Schikane von anerkannten Medientätigen ist der Fall von Mahmudur Rahman, dem Herausgeber von Amar Desh, einer großen, die BNP unterstützenden bengalischen Tageszeitung. Er wurde am 11. April 2013 verhaftet und wegen Aufwiegelung angeklagt, nachdem Amar Desh im Dezember 2012 eine abgefangene Skype- Unterhaltung zwischen dem damaligen Vorsitzenden des International Crimes Tribunal und einem bangladeschischen Rechtsexperten, das 2012 aufgenommen worden war, veröffentlicht hatte. Dieser Vorfall schürte ernsthafte Fragen über die Unabhängigkeit des Tribunals. Es muss darauf hingewiesen werden, dass es kein juristisches Verbot über die Publikation dieses Materials in Bangladesch zu der Zeit gab, als Amar Desh es zwischen dem 9. und 13. Dezember 2012 publizierte. Außerdem hatte die britische Zeitung The Economist die gleiche Unterhaltung schon vorher im Dezember 2012 publiziert. Mahmudur Rahman und sein Rechtsanwalt sagten, er sei im Polizeigewahrsam während der ersten zwei Wochen nach seiner Verhaftung Folter unterworfen gewesen101. Vom April 2013 an verbrachte Mahmudur Rahman mehr als dreieinhalb Jahre im Gefängnis, da während dieser Zeit mehr als 80 verschiedene Strafanzeigen gegen ihn eingereicht wurden, einschließlich mehrerer Anklagen wegen Verleumdung und Aufwiegelung. Nach Aussage seines Anwalts stellten die Behörden seine verlängerte Haft sicher, indem sie sofort neue Strafanzeigen gegen ihn vorbrachten, wenn er in einem anderen Fall eine Freilassung auf Kaution erhalten hatte, und indem sie willkürlich den Freilassungsprozess verlängerten, wenn er auf Kaution freigelassen werden sollte102. Einige der Anklagen grenzten ans Absurde. Am 3. August 2015 z. B. wurde Mahmudur Rahman wegen der Teilnahme an einem Komplott, Sajeb Wazed Joy zu kidnappen und zu töten, angeklagt, obwohl er zu der Zeit inhaftiert war, als der angebliche Plan ausgeheckt

96 Interviews mit Amnesty International in Dhaka, November 2016. 97 Prothom Alo, "Prothom Alo editor granted bail in 5 cases", 26 August 20915 verfügbar unter: http://www.thedailystar.net/ backpage/prothom-alo-editor-granted-bail-5-cases-132634. 98 Interviews mit Amnesty International in Dhaka, November 2016. 99 Interviews mit Amnesty International in Dhaka, November 2016. 100 Information, die Amnesty International von Prothom Alo zur Verfügung gestellt wurde. 101 Amnesty International, "Bangladesh: Detained editor alleges torture," 19. April 2013, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/ASA13/007/2013/en/. 102 Interview mit Amnesty Interntional in Dhaka, November 2016.

33 wurde103. Trotz der Litanei an Klagen gegen ihn von 2013 bis 2016 wurde er nur in einem Fall verurteilt, als man ihn im August 2015 zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilte, weil er seine Vermögensverhältnisse (eine Zusammenfassung der Vermögenswerte einer Person) gegenüber der Anti-Corruption Commission (ACC) nicht dargelegt hatte. Mahmudur Rahman wurde am 23. November 2016 freigelassen, nachdem der Supreme Court ihn im Fall der angeblichen Verschwörung zur Ermordung von Sajeb Wazed Joy auf Kaution freigelassen hatte. Es gibt jedoch noch mehr als 70 schwebende Klagen gegen ihn, und er schwebt in Gefahr, jeden Moment wieder verhaftet zu werden. Shafik Rehman, 82, einer der am längsten arbeitenden Journalisten in Bangladesch, ist der gegenwärtige Herausgeber des Wochenmagazins Mouchake Dil und ein bekannter Unterstützer der BNP. Er wurde am 16. April 2016 von Polizeibeamten verhaftet, die sich als Reporterteam ausgaben und in sein Haus eindrangen. Die Polizei gab bekannt, Shafik Rehman werde verdächtigt, an einem laufenden Kriminalfall beteiligt zu sein, der im August 2015 aufgenommen wurde wegen „Verschwörung zur Entführung und Ermordung“ von Sajib Wazed Joy, also derselben Verschwörung, in die auch Mahmudur Rahman verwickelt gewesen sein sollte. Medienberichte haben jedoch inzwischen ernsthafte Zweifel an den Behauptungen der bangladeschischen Behörden erhoben, dass solch eine Verschwörung überhaupt existierte104. Ein Gericht in Dhaka behielt Shafik Rehman ein paar Stunden nach seiner Verhaftung in Untersuchungshaft. Obwohl er keines Verbrechens angeklagt war, wurde er am 28. April in das Kashimpur Central Jail außerhalb von Dhaka verlegt, wo er Einzelhaft erhielt und man ihm den Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung und zu seinem Anwalt verweigerte. Er leidet an Diabetes und einem Herzleiden, und sein Gesundheitszustand verschlechterte sich erheblich. Am 22. Mai wurde Shafik Rehman jedoch in das Dhaka Central Jail verlegt, wo er aus der Einzelhaft entlassen wurde und man ihm einen besseren Zugang zu medizinischer Versorgung gewährte105. Die Haftbedingungen von Shafik Rehman verletzten die Verpflichtung von Bangladesch nach internationalem Recht sicherzustellen, dass alle Personen, die ihrer Freiheit beraubt werden, menschlich behandelt werden. Gefängnisbehörden sind verantwortlich für den Schutz der Gesundheit der Menschen, die unter ihrem Schutz stehen. Sie müssen ihnen eine kostenlose Gesundheitsvorsorge zur Verfügung stellen, die derjenigen der Gemeinschaft außerhalb entspricht. Außerdem legen internationale Menschenrechtsstandards fest, dass Einzelhaft nur unter außergewöhnlichen Umständen angewandt werden und nicht länger als 15 Tage in Folge dauern sollte106. Shafik Rehman erhielt am 31. August 2016 vom Supreme Court das Recht auf Freilassung auf Kaution und wurde Anfang September aus dem Gefängnis entlassen. Obwohl er mehr als vier Monate im Gefängnis verbracht hatte, muss Shafik Rehman immer noch wegen eines Verbrechens angeklagt werden, obwohl nach Aussage seines Rechtsanwalts die bangladeschischen Behörden keinen Beweis für seine Beteiligung an einem Mordkomplott vorgelegt haben. Am 6. Januar 2015 wurde Abdus Salam, der Eigentümer von Ekushey TV, von der Polizei in den Büros des Senders in Dhaka festgenommen. Auch wenn die Polizei behauptete, die Verhaftung

103 New Age, "Mahmudur Rahman freed on bail", 23. November 2016, verfügbar unter: http://www.newagebd.net/article/3405/mahmudur-rahman-freed-on-bail. 104 The Telegraph, "US court documents 'clear' arrested British-Bangladeshi editor of plot to kill prime minister's son, lawyers claim", 21. April 2016, verfügbar unter: http://www.telegraph.co.uk/news/2016/04/21/us-court-documents- clear-arrested-british-bangladeshi-editor-of/. 105 Telefonische Interviews mit Amnesty International, Mai 2016. S.a. Amnesty International, "Bangladesh: Improved conditions for detained journalist, 27. Mai 2016, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/asa!3/ 4113/2016/en/. 106 The United Nations Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners (the Nelson Mandela Rules), Rule 44, verfügbar unter: https://www.unodc.org/documents/justice-and-prison-reform/GA-RESOLUTION/E_ebook.pdf.

34 erfolgte wegen einer Anzeige gegen den Sender vom November 2014 nach dem Pornographie- gesetz, nimmt man doch unter Analysten und Medientätigen in Bangladesch allgemein an, dass die Verhaftung politisch motiviert war. Ein Tag vor der Verhaftung von Abdus Salam hatte Ekushey TV eine Rede von Tarique Rahman gesendet – dem Sohn von Khaleda Zia, der im Exil in London lebt – in dem er zu einem Sturz der von der Awami League geführten Regierung aufrief. Abdus Salam blieb nach seiner Verhaftung durch ein Gericht in Dhaka in Untersuchungshaft. Am 8. Januar wurde er von der Polizei wegen Aufwiegelung angezeigt, aufgrund der Ausstrahlung der Rede Tariques. Abdus Salam befindet sich seitdem in Haft und wurde im September 2016 nur formal wegen Aufwiegelung angeklagt107. Strafverfahren gegen andere Journalisten „Das Gesetz ist in vielen Bereichen etwas, das auf der unteren Ebene gebraucht wird, um persönliche Querelen beizulegen. Die Regierung hat so viele Möglichkeiten, es muss sich nicht auf das Gesetz stützen.“

Politischer Analyst aus Dhaka, November 2016108.

Seit 2013 sahen sich viele weniger bekannte Journalisten Strafverfahren ausgesetzt, die politisch motiviert zu sein scheinen. Der folgende Abschnitt hebt einige beispielhafte Fälle hervor. Obwohl sie nicht gleichermaßen internationale Aufmerksamkeit erhalten haben wie die Fälle, die oben beschrieben wurden, sind sie unter Medientätigen in Bangladesch doch bekannt. Einer der ersten Journalisten, der unter dem ICT Act angeklagt wurde, ist Probir Sikdar, der Herausgeber von Daily Bangla 71 und des Online- Nachrichtenportals u71news.com. Probir Sidkar ist ein Journalismus- veteran, der 2001 nur knapp einen Anschlag einer Gruppe von Männern überlebte, die eine selbstgebastelte Bombe auf ihn warfen, und bei dem er ein Bein verlor. Obwohl niemand für diesen Anschlag verantwortlich gemacht wurde, vermutet Probir Sikdar, dass die Ursache ein Artikel war, den er geschrieben hatte und in dem er einen Geschäftsmann in seinem Heimatbezirk Faridpur außerhalb Dhakas beschuldigte, Menschenrechtsverletzungen während des Unabhängigkeitskrieges 1971 begangen zu haben109. Im August sagte Probir Sikdar, er habe Drohungen erhalten, nachdem er Artikel geschrieben hatte, die u. a. einen gut vernetzten Minister der Regierung der Korruption beschuldigten. Probir Sikdar sagt, als er sich wegen der Drohungen an die Polizei in Dhaka wandte, habe diese sich geweigert, seine Anzeige (General Diary, GD) anzunehmen, weil in ihr der Name des Ministers genannt wurde. In seiner Verzweiflung postete Probir Sikdar eine Kopie seines GD-Formulars, das er in der Polizeistation ausgefüllt hatte, auf Facebook zusammen mit einer Erklärung, in der er die Furcht ausdrückte, sein Leben sei in Gefahr. Er nannte drei Personen – einschließlich des Ministers – von denen er sagte, sie könnten für seinen Tod verantwortlich sein, wenn ihm irgendetwas geschehe110. Am 16. August suchte die Polizei Probir Sikdar in seinem Büro in Dhaka auf und bat ihn, sie zu einer Polizeistation in Dhaka zu begleiten, um die Drohungen gegen ihn zu diskutieren. Stattdessen

107 The Daily Star, "Tarique, ex-ETV chairman, 2 others charged with sedition", 7. September 2016, verfügbar unter: http:// www.thedailystar.net/backpage/tarique-ex-etv-chairman-2-others-charged-sedition-1281880. 108 Interview mit Amnesty International in Dhaka, November 2016. 109 Amnesty International, "Human Rights Defenders Project: Probir Sikdar", 14. November 2005, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/asal3/014/2005/en/. 110 Interview von Amnesty International mit Probir Sikdar, November 2016.

35 wurde Probir Sikdar auf der Polizeidienststelle verhaftet und nach Faridpur gebracht, wo ein Gericht ihn in Untersuchungshaft nahm. Die Verhaftung löste einen Aufschrei unter Medientätigen und der Zivilgesellschaft in Bangladesch aus und führte zu Protesten von verschiedenen Journalistengewerkschaften, die seine Freilassung verlangten111. Ihm wurde am 19. August 2015 von einem Gericht in Faridpur Freilassung auf Kaution gewährt, genau einen Tag nach der Verkündigung seiner Untersuchungshaft. Probir Sikdar, sagt, während seiner Haft hätten ihm Polizeioffiziere mit Gewalt gedroht und gesagt: „Wir werden dein anderes Bein abschneiden“. Er wurde im April 2016 formal nach § 57 des ICT Act wegen „Beschmutzung des Bildes“ des Regierungsministers angeklagt. Die Polizeiuntersuchung des Falles hält noch an, und ein Gerichtsverfahren muss noch anberaumt werden. Siddiqur Rahman Khan, der leitende Herausgeber von Dainikshiksha, einem Online- Nachrichtenportal, das sich auf den Bildungssektor spezialisiert hat, wurde am 29. August 2016 nach § 57 des ICT Act verhaftet. Der Fall wurde von einer ehemaligen hohen Beamtin des Direktoriums für Sekundar- und Höheren Sekundarunterricht angezeigt. Diese Regierungsabteilung beaufsichtigt die Schulen und Colleges. Die Beamtin behauptete, eine Reihe von Artikeln von Khan habe das Bild der Abteilung „diffamiert und beschmutzt“. In den Artikeln hatte Siddiqur Rahman Khan über Korruption, einschließlich Vetternwirtschaft bei Einstellungen im Direktorium berichtet zu einer Zeit, als die Beamtin dort arbeitete. Die Beamtin kommt aus einer politisch einflussreichen Familie, und ihr Ehemann ist ein Parlamentsabgeordneter der Awami League, der außerdem mit der Premierministerin verwandt ist. Siddiqur Rahman Khan behauptet, seine Artikel seien korrekt gewesen und dass der Fall, der gegen ihn vorgebracht wurde, ein politisch motivierter Versuch sei, die weitere Berichterstattung über die Korruptionsvorwürfe zum Schweigen zu bringen und um ihn für das zu bestrafen, was er schon veröffentlicht hatte112. Am 7. September erhielt er vom Cyber Tribunal in Dhaka eine Freilassung auf Kaution113. Die Polizei führt die Untersuchung fort, aber er muss noch formal angeklagt werden. Am 7. August 2016 wurden drei Journalisten des Nachrichtenportals banglamail24.com verhaftet, weil sie einen Artikel veröffentlicht hatten, der das Gerücht entlarvte, Sajeb Wazed Joy, der Sohn der Premierministerin Sheikh Hasina sei bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Die drei Journalisten waren der vorsitzende Herausgeber Maksukul Alam, der stellvertretende Herausgeber Shahadat Ullah Khan und der Reporter Pranta Palash. Die drei Journalisten wurden am Morgen des 7. August verhaftet, als eine Gruppe von Beamten des Rapid Action Batallion (RAB) das Büro stürmte. Obwohl der Artikel explizit geschrieben worden war um klarzustellen, dass das Gerücht vom Tod von Sajeb Wazed Joys falsch war, wurde später am gleichen Tag gegen die drei Medienmitarbeiter eine Anzeige nach § 57 des ICT Act erstattet. Die Anzeige wurde vom RAB selbst erstattet, das unter der sehr engen Kontrolle des Büros der Premierministerin arbeitet. Gegen den Vorsitzenden von banglamail24.com, Fazlul Azim, ein Mitglied der oppositionellen BNP, war auch Anzeige erstattet worden, er konnte aber nicht verhaftet werden, da er laut Aussage der Polizei das Land verlassen habe. Die drei Journalisten wurden am 14. August 2016 durch das Cyber Tribunal in Dhaka auf Kaution freigelassen. Der Fall illustriert, wie – trotz des anscheinend harmlosen Inhalts des Artikels, der von banglamail24.com veröffentlicht wurde – das ICT Act von den Behörden missbraucht werden kann, willkürliche Strafverfahren gegen Medientätige in Gang zu bringen. Nazmul Huda, ein Journalist der Bangla Daily und früher beschäftigt bei Ekushey TV, wurde am 23. Dezember 2016 verhaftet, nachdem er über Proteste von Textilarbeiterinnen und -arbeitern in 111 The Daily Star, "Journalist Probir Sikdar released on bail", 19. August 2015, verfügbar unter: http://www.thedailystar.net/country/journalist-probir-sikdar-gets-bail-129166. 112 Interview von Amnesty International mit Siddiqur Rahman Khan, November 2016. 113 New Age, "Journalist Siddiqur Rahman released on bail", 7. September 2016, verfügbar unter: http://archive.newagebd. net/250489/journalist-siddiqur-rahman-released-bail/.

36 Ashulia außerhalb von Dhaka berichtet hatte. Nazmul Huda sagt, dass die Polizei ihn unter dem Vorwand, an einer Pressekonferenz teilzunehmen, gebeten hätte, auf die Polizeistation Ashulia zu kommen. Stattdessen wurde er verhaftet, als er dort ankam. Berichten zufolge wurde er in einem Ausmaß geschlagen, dass er wegen seiner Verletzungen stationär im Krankenhaus behandelt werden musste114. Am 24. Dezember wurde er der Verletzung des § 57 des ICT Act beschuldigt, wegen „ungenauer Berichterstattung“, die die Proteste der Textilarbeiter und -arbeiterinnen „angestachelt“ hätten. Er wurde fast einen Monat lang im Gefängnis gehalten, ehe er am 23. Januar 2017 auf Kaution freigelassen wurde. Das Gerichtsverfahren gehen ihn läuft noch115. Nazmul Huda ist ein Journalist, der dafür bekannt ist, dass er über Risse in den Wänden des Rana-Plaza-Fabrikgebäudes berichtet hatte genau einen Tag, bevor es im April 2013 einstürzte und mehr als 1.000 Menschen tötete. Andere Journalisten, die den Fall und die Berichte von Nazmul Huda kennen, berichteten Amnesty International, dass sie glaubten, die Vorwürfe seien erfunden und von mächtigen wirtschaftlichen Interessen im Bereich der Textilindustrie initiiert worden. Die Verhaftung von Nazmul Huda war Teil eines weiter reichenden Zugriffs auf die Proteste in Ashulia im November und Dezember 2016, die von Textilarbeiterinnen und -arbeitern veranstaltet wurden, die eine Anhebung des Mindestlohns forderten116. 2.2 Morde, Gewalt und Einschüchterung „Es ist, als hätte ich ein zweites Leben geschenkt bekommen. Ich war sicher, ich würde durch die Schläge sterben.“

Hossein (Pseudonym), ein Journalist, der über Korruption geschrieben hatte, in einem Gespräch mit Amnesty International117

Morde an Journalisten Bangladesch hat eine lange Geschichte der Straflosigkeit hinsichtlich Morden an Journalisten. Nach dem Committee to Protect Journalists (CPJ) wurden zwischen 1992 und 2016 20 Journalisten aufgrund ihrer Arbeit ermordet und weitere neun, bei denen das Motiv unbekannt war. Zwischen 2013 und 2016 wurden nach Angabe des CPJ sieben Journalisten als unmittelbare Folge ihrer Arbeit getötet118. Zu diesen gehören einige der säkularen Aktivisten, deren Fälle in Kapitel 1 behandelt wurden. In nur einem der sieben Fälle zwischen 2013 und 2016 – der Ermordung des Bloggers Rajib Haider 2013 – wurde jemand verurteilt. Der verstümmelte Körper von Sadrul Alam Nipul, einem Journalisten der Tageszeitung Dainik Mathabhanga im Chuadanga-Distrikt in West-Bangladesch, wurde bei einem Bahnhof in Chuadanga am 21. Mai 2014 gefunden. Nach Aussagen seiner Familie verließ er sein Haus in der Nacht davor, nachdem er einen Telefonanruf erhalten hatte, aber er kehrte nie zurück. Die Familie vermutet, er sei von lokalen Drogenhändlern ermordet worden, deren illegale Aktivitäten er in einem Bericht beschrieben hatte. Nach Zeitungsmeldungen untersucht die Polizei den Fall noch,

114 Telefonisches Interview mit Amnesty International, Januar 2017. 115 Dhaka Tribune, "Journalist Nazmul Huda gets bail", 23. Januar 2017, verfügbar unter: http://archive.dhakatribune.com/ crime/2017/jan/23/journalist-nazmul-huda-gets-bail. 116 Clean Clothes Campaign, "Bangladeshi garment workers face mass firings and criminal charges", 5. Januar 2017, verfügbar unter: https://cleanclothes.org/news/2017/01/05/bangladeshi-garment-workers-face-mass-firings-and- criminal -charges. 117 Interview mit Amnesty International, November 2016. 118 Committee to Protect Journalists, Bangladesh, verfügbar unter: https://cpj.org/killed/asia/bangladesh/.

37 aber soweit Amnesty International bekannt ist, wurde bis heute niemand angeklagt oder musste wegen des Mordes gar mit einer Verurteilung rechnen119. Am 25. April 2015 wurde Xulhaz Mannan, ein bekannter Aktivist zu lesbischen, schwulen, bisexuellen und Transgender-Themen (LGBTI), in Dhaka zusammen mit seinem Freund Mahbub Rabbi Tonoy zu Tode gehackt120. Xulhaz Mannan war der Herausgeber von Roopban, Bangladeschs erstem und einzigem Magazin zu LGBTI-Themen gewesen, seit es 2014 ins Leben gerufen wurde. Er und andere Mitarbeiter von Roopban waren während der Monate vor den Morden mit Drohungen über Telefon und sozialen Medien überschüttet worden121. Nur Tage vor dem Angriff hatten Aktivisten entschieden, die jährliche pro-LGBTI-“Regenbogenrallye“ in Dhaka abzusagen, nachdem die Polizei sie über schwerwiegende Drohungen gegen die Rallye und besonders durch einzelne Aktivisten informiert hatte, die planten, daran teilzunehmen122. Ansar al- Islam bekannte sich zu den Morden an Xulhaz Mannan und Tanay Mojumdur wurde. Obwohl die Polizei mindestens zwei Personen in Verbindung mit den Morden identifiziert hat, wurde bisher niemand wegen des Verbrechens angeklagt123. Am 10. Januar 2017 ließ die Polizei zum neunten Mal einen Termin verstreichen, einen Untersuchungsbericht über die Morde abzugeben, und bat um eine unbestimmte Terminverschiebung. Nach der Attacke haben LGBTI-Aktivisten ihre öffentlichen Aktivitäten in Bangladesch vollkommen eingestellt, und viele fühlten sich gezwungen, das Land zu verlassen, um für ihre Sicherheit zu sorgen (s. o. S. 20). Am 2. Februar 2017 wurde Abdul Hakim Shimul, ein Journalist der Tageszeitung Samakal, erschossen, während er über Straßenschlachten zwischen rivalisierenden Fraktionen der Awami League in der im Norden gelegen Stadt Shajadpur berichtete. Er erlitt Schusswunden in Kopf und Gesicht und starb, während er zur Behandlung ins Krankenhaus nach Dhaka gebracht wurde. Obwohl noch unklar ist, ob gezielt auf Abdul Hakim Shimul geschossen wurde oder ob er von verirrten Kugeln getroffen wurde, hat die Polizei bis März 2017 neun Verdächtige wegen ihrer angeblichen Beteiligung an dem Mord festgenommen, aber bis März 2017 wurde niemand angeklagt124. Physische Gewalt Für viele Journalisten in Bangladesch ist die Drohung mit physischer Gewalt eine tägliche Realität. Das gilt insbesondere für Medientätige in den Bezirken außerhalb der großen Städte in den ländlichen Gebieten, wo sie häufiger das Risiko einer Drangsalierung oder eines Angriffs von einflussreichen lokalen Akteuren – Politiker, Geschäftsleute oder Personen, die in kriminelle Geschäfte wie Drogenhandel verwickelt sind – eingehen. Grund sind einerseits ihre Berichte, andererseits die geringere institutionelle Unterstützung durch ihre Verlage. Nach Aussage der bangladeschischen Menschenrechtsorganisation Odhikar gab es 2016 mindestens 69 physische Angriffe auf Journalisten125. Ain o Salish Kendra, eine andere bangladeschische Menschenrechtsorganisation, dokumentierte 2016 auch mehr als 20 Fälle von „Angriffen, Folter oder Drangsalierung“ durch „Regierungsbeamte“ oder Mitglieder und Anhänger

119 Committee to Protect Journalists, case file on Sadrul Alam Nipul, verfügbar unter: https://www.cpj.Org/killed/2014/ sadrul-alam-nipul.php. 120 Amnesty International, "Bangladesh: Authorities fail to curb brutal killing spree as LGBTI editor hacked to death", 25. April 2016, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/latest/news/2016/04/bangladesh-authorities-fail-to- curb-brutal-killing-spree-as-lgbti-editor-hacked-to-death/. 121 Interviews von Amnesty International mit LGBTI-Aktivistsen in Dhaka und telefonisch, 2016. 122 Interviews von Amnesty International mit LGBTI-Aktivistsen in Dhaka und telefonisch, 2016. 123 The Daily Star, "Detectives fear revival of ABT activities", 9. Januar 2017, verfügbar unter: http://www.thedailystar. net/city/ detect ives-fear-revival-abt-activities-1342573. 124 Dhaka Tribune, "Nasir, 3 others arrested over journo Shimul shooting", 5. Februar 2017, verfügbar unter: https:// www.frontlinedefenders.org/en/case/abdul-hakim-shimul-killed. 125 Odhikar, Annual Human Rights Report 2016, verfügbar unter: http://odhikar.org/annual-human-rights-report-2016/.

38 der regierenden Awami League126. Artikel 19, eine internationale NGO, die sich auf die Meinungsfreiheit konzentriert, sammelte 2014 40 Fälle von „ernster körperlicher Verletzung“ bei Journalisten und 62 „kleinere Angriffe“, grob vergleichbar mit den Zahlen in den vorangegangenen Jahren. Der Unterschied in den Zahlen liegt wahrscheinlich an unterschiedlichen Methoden, aber im Allgemeinen zeigen diese Statistiken deutlich die Häufigkeit physischer Angriffe auf Medientätige. Bei einem kürzlichen Vorfall im August 2016 wurde Hossein (Pseudonym), ein Lokalreporter einer der größten Tageszeitungen in Bangladesch, außerhalb seiner Heimatstadt im Nordwesten des Landes physisch angegriffen. Im August 2016 veröffentlichte Hossein einen Artikel darüber, wie ein Geschäftsmann mit Verbindungen zum Distriktabgeordneten versucht hatte, Land an sich zu reißen, das einer Gemeinschaft von Indigenen gehörte. Der Artikel beschrieb, wie Handlanger, die von einem Geschäftsmann angeheuert worden waren, eine nahegelegene Fischfarm der Indigenengemeinschaft vergifteten, um sie von ihrem Land zu vertreiben. Ein paar Tage, nachdem der Artikel veröffentlicht worden war, besuchte Hossein das Land der Indigenengemeinschaft zusammen mit einem anderen Journalisten und einem der Gemeinschaftsführer. Sie wurden von sieben bis acht Personen angegriffen, die sie 30–40 Minuten lang boxten, traten und mit Stöcken schlugen. „Ich war in Panik, ich war sicher, ich würde sterben“, sagte Hossein gegenüber Amnesty International. Die Schlägerei endete erst, als Leute von einem nahegelegenen Dorf intervenierten und die Angreifer vertrieben127. Nach dem Angriff versuchte Hossein, Anzeige bei der Polizei zu erstatten (GD), sagt aber, die Polizei habe sich geweigert, diese anzunehmen, wenn sie den Namen des lokalen Abgeordneten enthielte. Ende August akzeptierte die Polizei eine Beschwerde von Hossein, die sieben Angreifer nannte, aber nicht ihre Verbindung zu dem Lokalabgeordneten. Die Polizeiuntersuchung läuft noch, aber bisher wurde niemand wegen der Schlägerei angeklagt128. Die Tatsache, dass niemand für solche Angriffe zur Verantwortung gezogen wird, kann einen erschreckenden Einfluss auf Journalisten haben, die versuchen, mit ihrer journalistischen Tätigkeit fortzufahren. Am 28. März 2013 wurde Kalam (Pseudonym), Korrespondent einer landesweiten Zeitung, in der Nähe seines Hauses von einer Männergruppe schwer geschlagen, eine Attacke, bei der seine linke Hand und sein rechtes Knie gebrochen wurden. In den Tagen vor dem Angriff hatte Kalam eine Reihe von Artikeln geschrieben, in denen er einen lokalen Politiker mit Korruption bei einem Entwicklungsprojekt der Regierung in Verbindung brachte. Er sagte, dass während des Angriffs einer der Männer rief: „Du musst bestraft werden, weil du Berichte gegen den Vorsitzenden geschrieben hast“. Kalams Verletzungen waren so schwerwiegend, dass er wegen einer Spezialbehandlung nach Indien und Singapur reisen musste, was von seinem Verlag bezahlt wurde. Auch vier Jahre nach dem Überfall hat er sich noch nicht vollkommen erholt und läuft weiter mit einer Gehstütze. Die Polizeiuntersuchung des Angriffs nennt den Lokalpolitiker als den Hauptverdächtigen, aber der Politiker wurde 2013 auf Kaution freigelassen, und es gab seitdem keine weitere Entwicklung in dem Fall. Kalam hat seine journalistische Arbeit in der Region wieder aufgenommen, schreibt aber unter einem Pseudonym. Er erhält weiter Todesdrohungen von Personen, von denen er glaubt, dass sie mit dem Vorsitzenden verbunden sind, den letzten im Mai 2016. „Ich fürchte immer noch um mein Leben, und ich gehe nie allein aus. Ich bin in einer sehr riskanten Situation hier in Bangladesch, und ich bin so verzweifelt, dass ich das Land verlassen möchte“, sagte er zu Amnesty International129.

126 Ain 0 Salish Kendra, 2016 statistics on journalist harassment, available at http://www.askbd.org/ask/2016/10/08/ journalist-ha rassment-january-september-2016/. 127 Interview mit Amnesty International in Dhaka, November 2016. 128 Interview mit Amnesty International in Dhaka, November 2016. 129 Interview mit Amnesty International in Dhaka, November 2016.

39 „Zeeshan“: Angesichts von Drohungen ins Ausland fliehen130 Zeeshan (Pseudonym) arbeitete seit den frühen 80er Jahren als Journalist für verschiedene Verlage in Dhaka, Sylhet und Khulna. Als bekannter BNP-Unterstützer schrieb er mehrere kritische Geschichten über die Awami League während ihrer Zeit in der Opposition. Was er als „Probleme“ bezeichnet, begann 2009, fast sofort nachdem die neue Regierung das Amt übernommen hatte. Innerhalb eines Jahres verlor er seinen festen Job als Reporter bei der nationalen Nachrichtenagentur Bangladesh Sangbad Sangstha (BSS). Sein Herausgeber sagte ihm, es habe Druck von Regierungsbeamten gegeben, seinen Vertrag wegen seiner früheren Berichterstattung zu beenden, ohne genau zu erklären, wie der Druck ausgeübt wurde. Später begann Zeeshan als Journalist für einen anderen Verlag zu arbeiten und als Assistent bei einer Denkfabrik in Dhaka. Er schrieb weiter Artikel, tat das aber unter einem Pseudonym, da er zu große Angst hatte, seinen echten Namen zu benutzen. Zeeshan berichtete Amnesty International: „Nach 2012 wandte sich die Regierung stärker gegen Journalisten. Die Belästigungen und Schläge wurden allgemeiner.“ Im März 2012, nach einer Periode relativer Ruhe, nahmen die Drohungen gegen Zeeshan an Häufigkeit zu. Ein Mann, der behauptete, vom militärischen Geheimdienst zu sein (Directorate General of Forces Intelligence – DGFI), von dem mehrere Journalisten Amnesty International berichtet hatten, sie würden oft telefonisch Drohungen im Namen der Regierung ausstoßen, rief das Büro seiner Denkfabrik an. Der Mann forderte ihn auf, zum DGFI-Büro zu kommen, was Zeeshan als indirekte Drohung auffasste, er könnte verhaftet werden, oder Schlimmeres. „Ich blieb zwei Tage in meinem Büro und weigerte mich, rauszugehen. Ich verließ es erst, als mein Chef vom DGFI eine gewisse Zusage erhalten hatte, ich würde nicht verhaftet werden.“ Später im selben Monat sprach ihn ein alter Kontakt vom DGFI auf einem Markt in Dhaka an und sagte ihm, er „solle sich verstecken oder würde getötet werden“, weil der DGFI einen gefälschten Kriminalfall gegen ihn vorbereitet hätte. Ein paar Nächte später kamen Männer in Zivil zu seinem Haus und fragten nach Zeeshan. Es gelang ihm, ihnen zu entgehen, indem er sich unter seinem Bett versteckte. Die Männer konfiszierten seinen Laptop, Handy und anderes Material, als sie seine Wohnung durchsuchten. „Als sie weggingen und ich unter dem Bett hervorkam, wachte mein Sohn auf und fing an zu weinen. Es war eine sehr schreckliche Nacht.“ In Panik versteckte sich Zeeshan und bat seine Frau, mit seinem Sohn in ihr Heimatdorf in einem anderen Landesteil zurückzukehren. Seine Frau wurde in ihrem Dorf von einem lokalen Führer der Regierungspartei bedroht, der sagte: „Zeeshan muss sich stellen, ansonsten töten wir jeden.“ Zur selben Zeit sagte ein Kontakt bei der DGFI Zeeshan, dass die Behörden herausgefunden hätten, wo er sich in Dhaka aufhielt. Kurze Zeit später erfuhr er, dass ein falscher Kriminalfall gegen ihn angelegt worden sei, in dem er beschuldigt wurde, seine Ausbildungszeugnisse gefälscht zu haben, um eine Beförderung während seiner Arbeit bei der BSS zu erhalten. Mit der Hilfe einiger Freunde gelang es ihm, im September 2012 Bangladesch zu verlassen und in ein anderes Land zu gehen, wo er Asyl beantragte und den Flüchtlingsstatus erhielt. Seine Frau starb 2014 an Krebs, und sein Sohn war bis vor Kurzem noch bei Verwandten in Bangladesch untergebracht. Dem Sohn gelang es jedoch kürzlich, in das Land zu ziehen, in dem Zeeshan als Flüchtling lebt. Die Ereignisse in den vergangenen Jahren haben Ahid schwer traumatisiert.

130 Interview mit Amnesty International, September 2016 (der Ort wird nicht genannt, um die Identität von "Zeeshan" zu schützen).

40 „Die Telefonanrufe“: Drohungen und Einschüchterungen Viele Medientätige erzählten Amnesty International, sie hätten Drohungen von Regierungsbeamten, Geheim- oder Sicherheitsdiensten erhalten oder von Kollegen gewusst, die solche Drohungen erhalten hatten. Bangladeschische Journalisten bezeichnen diese Drohungen oft euphemistisch als „die Telefonanrufe“. Ein älterer Journalist bei einer landesweiten Tageszeitung sagte, er habe 2015 Informationen von einem Kontakt bei einem Geheimdienst erhalten, dass es einen Plan im Auftrag des DGFI gebe, einige seiner Familienmitglieder zu kidnappen, um ihn für seine regierungsfeindlichen Berichte zu bestrafen. Seitdem hat er private Sicherheitsleute für die betroffenen Familienmitglieder angeheuert131. Ein anderer Journalist, der für eines der größten Nachrichtenportale in Bangladesch eine Kolumne über Korruption in der Regierung schrieb, sagte, er fühlte sich gezwungen, aufgrund der Schwere der Drohungen gegen ihn seit 2014 ein Pseudonym zu benutzen. „Ich erhielt in den Kommentaren Todesdrohungen. Ich glaube, ich wurde zum Ziel, weil ich einen Hindu-Namen habe; sie sagten mir, ich solle nach Indien zurückgehen.“132 Drohungen werden oft nicht explizit geäußert, insbesondere wenn sie von Regierungsseite kommen, sondern implizit durch Anrufe und andere Gespräche, die Beschwerden über bestimmte Artikel zum Ausdruck bringen. Diese Anrufe richten sich entweder an einzelne Reporter oder höherrangiges Personal. Mehrere Journalisten, die Amnesty International interviewte, sagten, sie oder ihre Verlage hätten diese Art Kritik von Regierungsbeamten infolge kritischer Artikel erhalten. Sie alle sagten, sie gingen davon aus, die Kritik sei ein subtiler Versuch gewesen, in ihre Arbeit einzugreifen und eine verschleierte Drohung, sich an der Kritik der Regierung in Zukunft zurückzuhalten. Da Fernsehdiskussionen in Bangladesch an Popularität zugenommen haben, versuchten die Behörden auch zu kontrollieren, wer in ihnen erscheint. Mehrere Journalisten sagten gegenüber Amnesty International, dass Geheimdienste in häufigem Kontakt mit Produzenten solcher Shows stehen um zu kontrollieren, welche Gäste diese einladen können. Ein erfahrener Journalist, bekannt für seine unabhängigen und kritischen Ansichten, sagte, ihm sei persönlich von einem Produzenten bei einem Fernsehsender gesagt worden, er könne ihn nicht mehr einladen, weil es ihm von der Regierung verboten worden sei133. Im Februar 2015 wurde die seit langer Zeit laufende Diskussionssendung „Front“ mit dem BNP-Unterstützer und Journalisten Matiur Rahman Chowdhury als Gastgeber auf dem privaten Kanal BanglaVision abgesetzt. Während der Besitzer des Kanals „technische Gründe“ anführte, sagten mehrere Journalisten nach Berichten des Committee to Protect Journalists, dass die Behörden die Schließung aus politischen Gründen angeordnet hätten, weil Matiur Rahman Chowdhury sich weigerte, sich vorschreiben zu lassen, welche Gäste er einladen sollte134. Amnesty International dokumentierte 2014 ähnliche Restriktionen, als die Organisation sowohl acht Journalisten und Herausgeber interviewte als auch sechs Personen, die häufige Gäste bei Fernsehtalkshows waren. Alle sagten, sie hätten seit 2013 Versuche durch Sicherheitsdienste erlebt, den Inhalt von Zeitungen und Fernsehtalkshows zu kontrollieren135. Bei einer Gelegenheit äußerten Regierungsbeamte öffentlich Drohungen, insbesondere gegen die prominentesten Verlage. Im Februar 2015 stellte Sheikh Hasina unspezifisch „Aktionen“ gegen The Daily Star in Aussicht, nachdem er das Bild eines Posters in Dhaka der verbotenen Gruppe Hizb-ut-

131 Interview mit Amnesty International in Dhaka, November 2016. 132 Interview mit Amnesty International in Dhaka, November 2016. 133 Interview mit Amnesty International in Dhaka, November 2016. 134 Committee to Protect Journalists, "Mission Journal: Bangladeshi press reined in as Hasina exerts authority", März 2015, verfügbar unter: https://cpj.org/blog/2015/03/mission-journal-bangladeshi-press-reined-in-as-pri.php. 135 Amnesty International, Stop them, now! Enforced disappearances, torture and restrictions on freedom of expression (lndex:ASA 12/005/2014), S. 18.

41 Tahrir veröffentlicht hatte136. Der Begleitartikel trug die Überschrift „Fanatiker erheben wieder ihr hässliches Haupt“. Trotz der in der Überschrift enthaltenen offensichtlichen Kritik an der Gruppe sagte Sheikh Hasina, die Aktion der Zeitung reiche an eine „Unterstützung der Ziele der Hizb-ut- Tahrir“ heran. Zwei Tage später forderte Sajib Wazed Joy auf Facebook die Verhaftung des Daily Star-Herausgebers Mahfuz Anam137. Viele Journalisten haben auch Drohungen von bewaffneten Gruppen wegen der Art ihrer Berichterstattung über die Serie von Morden an säkularen Bloggern und anderen Aktivisten erhalten138. Im Oktober 2015 lud ein Journalist einen bekannten säkularen Blogger in seine Talk- Show bei einem großen privaten Fernsehkanal ein. Nachdem das Interview gesendet worden war, veröffentlichte eine religiöse Gruppe ein Bild des Journalisten in den sozialen Medien und forderte auf, ihn zu töten. Nach diesen Drohungen setzte der Journalist seine Talk-Show ab und tauchte unter139. 2.3 Andere Formen der Schikane „Wir denken, das ist ein direkter Angriff auf die Pressefreiheit des Landes. Die Regierung schließt die Nachrichtenagenturen, die sie nicht mag. Sie wollen die totale Kontrolle der Medien. Indem sie Nachrichtenportale schließt, sendet die Regierung eine deutliche Botschaft an alle Medienfirmen, dass sie keine neuen Agenturen tolerieren wollen, die nicht ihrer Linie folgen.“

Ekramul Hoque, Chef von Sheersha News im August 2015, nachdem die Webseite seiner Firma ohne Erklärung von der Regierung geschlossen wurde140.

Seit 2013 benutzt die Regierung andere Formen der Schikane und Unterdrückung gegen kritische Medien. Wie ein Journalist sagte: „Es ist, als ob die Regierung mit verschiedenen Werkzeugen und Taktiken gegen die Medien experimentieren würde, um zu sehen was funktioniert. Es scheint kein richtiger Plan dahinter zu stecken.“ Einige dieser anderen Formen sind unten zusammengefasst. Schließen von Firmen „Die Regierung hat eine enorme Menge an regulatorischer Macht. Sie haben so viele Werkzeuge, die sie benutzen können, um einfach Medienkanäle zu schließen.“

Älterer Journalist gegenüber Amnesty International in Dhaka, November 2016.

Die Regierung hat seit 2013 bei mindestens zwei Gelegenheiten Nachrichtenkanäle als Antwort auf kritische Berichterstattung vollständig geschlossen.

136 Bdnews24.com, "Daily Star will face action: PM", 18. Februar 2015, verfügbar unter: http://bdnews24.com/ bangladesh/2015/02/18/daily-star-will-face-action-pm. 137 Prothom Alo, "Joy calls for Dr Kamal and Mafuz Anam's arrest", 27. Februar 2015, verfügbar unter: http://en.prothom-alo. com/bangladesh/news/59769/Joy-calls-for-Dr-Kamal-and-Mafuz-Anam-s-arrest. 138 Shaikh Azizur Rahman in Voice of America, "Bangladesh Journalists Targeted With Threats", 20. Oktober 2015, verfügbar unter: http://www.voanews.eom/a/ap-bangladesh-investigates-alleged-radical-threat-against-media/ 3015088.html. 139 Interview mit Amnesty International, April 2016. 140 International Federation of Journalists, "Mass shutdown of Bangladeshi news website", 8. August 2016, verfügbar unter: http://www.ifj.0rg/nc/en/news-single-view/backpid/l/article/mass-shut-of-bangladeshi-news-websites/.

42 Am 6. Mai 2016 befahl die Regierung die Schließung der in Privatbesitz befindlichen Fernsehkanäle Diganta TV und Islamic TV. Beide Kanäle hatten live von einer Polizeirazzia gegen eine Demonstration der Hefazat-e-Islamin in Dhaka am 5./6. Mai gesendet, die zu mindestens 44 Toten führte, und Bilder von toten und durch Schusswunden verletzten Körpern zeigte. Die Bangladesh Telecommunication Regulatory Commission (BTRC) – die Körperschaft, die für die Regulierung aller Telekommunikation im Land verantwortlich ist – sagte, dass sie die Übertragung der beiden Kanäle auf Anweisung des Informationsministeriums zeitweise unterbrochen hätte. Beamte der Regierung und der BTRC behaupteten, die Kanäle hätten „unverantwortliche“ Programme gesendet, die Menschen ermutigten, „Gesetzeshüter anzugreifen“. Beide Sender gehörten Unterstützern der Oppositionsparteien141. Bis zum Februar 2017 hat keiner der Sender den Betrieb wieder aufgenommen. Am 4. August 2016 gab die BTRC ohne Vorwarnung bekannt, dass 35 neue Webseiten endgültig geschlossen worden seien. Unter ihnen waren mehrere Nachrichtenkanäle, die der Opposition zuneigten, einschließlich Sheersha News und die Webseite Amar Desh, deren Druckausgabe 2013 geschlossen worden war, als deren Herausgeber Mahmudur Rahman verhaftet wurde. Weder die BTRC noch irgendeine Regierungsstelle mit Verantwortung für den Mediensektor, wie das Informationsministerium, gab eine offizielle Begründung für die Schließung bekannt. Ein Herausgeber einer der Seiten berichtete Amnesty International, dass sie von der Schließung erst durch Medienartikel am Morgen des Tages erfahren hätten, als sie wirksam wurde142. Da die Behörden keine Erklärung oder juristische Rechtfertigung für die Schließung gaben, gibt es für die Firmen wenig Möglichkeiten, dagegen zu protestieren. Wie ein Herausgeber einer der Seiten, die noch im Oktober 2016 geschlossen waren, gegenüber Amnesty International sagte : „Wir würden gerne gegen die Entscheidung Einspruch einlegen, aber es gibt nichts, wogegen man Einspruch erheben könnte – kein Gerichtsurteil, keine offizielle Erklärung.“143 Druck gegen Inserenten Im August 2015 übten Behörden Druck auf mehrere große Firmen in Bangladesch aus, ihre Anzeigen in zwei der größten Zeitungen des Landes – Prothom Alo und The Daily Star – einzustellen. Berichten zufolge kam die Maßnahme als Antwort auf einen Artikel von Prothom Alo im August 2015, an dem das Militär des Landes Anstoß nahm. Der Artikel bezeichnete fünf junge angebliche Militante, die von der Armee in den Chittagong Hill Tracts (CHT) getötet worden waren, als Adivasi („Indigene“), obwohl das in Bangladesch ein hoch brisantes Wort ist144. Nach der Veröffentlichung des Artikels wiesen die bangladeschischen Behörden – durch den DGFI – die großen bangladeschischen Firmen an, nicht weiter bei den zwei Zeitungen

141 The Daily Star, "Diganta, Islamic TV off air", 7. Mai 2013, verfügbar unter: http://www.thedailystar.net/news/diganta-islamic-tv-off-air. 142 Telefonisches Interview mit Amnesty International, August 2016. 143 Telefonisches Interview mit Amnesty International, August 2016. 144 Die CHT sind als Antworte auf Forderungen indigener Völker in der Region nach größerer Autonomie seit 1977 unter militärischer Kontrolle, und Behörden wandten sich lange gegen den Gebrauch des Begriffs „Indigene“ oder „Adivasi“, da sie bestimmte spezifische Menschenrechte unter internationalem Recht implizieren. Zum Hintergrund s. Amnesty International, Pushed to the edge: Indigenous rights denied in Bangladesh's Chittagong Hill Tracts, 12. Juni 2013, verfügbar unter: https:// www.amnesty.org/en/documents/ASA13/005/2013/en/. [dt.: An den Rand gedrängt, verfügbar über die KoGruppe Bangladesch in Deutschland]. Im August 2014 gab die Regierung ein Statement heraus, in dem sie die Medien, Zivilgesellschaft und Akademiker anwies, den Begriff „Adivasi“ (Indigene) nicht zu benutzen und sagte, „im Land gibt es keine Adivasi (Indigene)“, http://newagebd.net/38616/govt-circular-to-avoid-word-adivasi-criticised/#sthash.MX6YeOm2.dpbs.

43 zu inserieren. Amnesty International wurde gesagt, dies sei über Telefon geschehen, über das der DFGI die Firmen direkt anrufen konnte. Nach Medienberichten gehörten zu den Firmen sowohl Handyfirmen wie Grameenphone, Robi Axiata, Banglalink und Airtel, als auch internationale Hersteller von Verbrauchsgütern wie Unilever. Telenor, der norwegische Mehrheitsaktionär bei Grameenphone, bestätigte in einem Statement gegenüber den Medien, dass sie „zusammen mit anderen großen Firmen die Anweisung von den Behörden erhalten habe, Anzeigen bei den zwei führenden Zeitungen in Bangladesch einzustellen“.145 Keine der anderen Firmen hat sich öffentlich zu diesem Thema geäußert, soweit Amnesty International bekannt ist. Quellen bestätigten gegenüber Amnesty International, dass das Inserierungsverbot Ende April 2017 immer noch gilt. Sowohl The Daily Star als auch Prothom Alo haben finanziell gelitten und haben seit Beginn des Verbots etwa 25 bzw. 35% an Anzeigeneinnahmen verloren. Wie ein Journalist, der für keine der beiden Firmen arbeitet, sagte: „Das zeigt, dass die Regierung eine enorme regulatorische Macht hat, die sie gegen die Medienfirmen nutzen kann, die sie nicht mag. Die Regierung verwischt auch gut ihre Spuren. Die Drohungen [gegen Inserenten] wurden alle telefonisch ausgesprochen, es gibt keine Papierspuren. Die Regierung kann immer noch leugnen, daran beteiligt zu sein.“146 Obwohl das Anzeigenverbot unter Journalisten in Bangladesch umfangreich diskutiert und in internationalen Medien darüber berichtet wurde, hat keine bangladeschische Zeitung über das Verbot berichtet, soweit Amnesty International bekannt ist, offensichtlich aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen.

145 Deutsche Welle, "Bangladesh blocks media ads, curbs press freedom", 30. Oktober 2015, verfügbar unter: http://www. dw.com/en/bangladesh-blocks-media-ads-curbs-press-freedom/a-18816842. 146 Interview mit Amnesty International, Juli 2016.

44 3. BANGLADESCHS VERPFLICHTUNGEN UNTER INTERNATIONALEM RECHT Bangladesch ist ein Mitgliedsstaat des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte (IPBPR) und anderer Menschenrechtsverträge und hat die Verpflichtung, die Rechte, die in diesen Verträgen verankert sind, zu respektieren, zu schützen und zu erfüllen. Diese Verpflichtungen bedeuten, dass die Beamten des Staates Menschen nicht daran hindern oder einschränken dürfen, diese Menschenrechte auszuüben, außer unter bestimmten außergewöhnlichen Umständen, die im IPBPR und anderen internationalen Gesetzen und Standards festgelegt sind. Bangladesch muss auch effektive Maßnahmen ergreifen, Einzelpersonen und Gruppen gegen den Missbrauch dieser Rechte durch andere zu schützen und muss auch diese Rechte mit Leben füllen – d. h. es den Menschen erleichtern, die Menschenrechte auszuüben. Diese Verpflichtungen Bangladeschs sind auf alle Menschen innerhalb ihres Territoriums und auf die Inhalte ihrer Jurisdiktion anzuwenden ohne jede Diskrimierung. Das Recht auf Meinungsfreiheit ist in Artikel 19 der IPBPR niedergelegt: „Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere geeignete Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben“147. Das UN-Menschenrechtskomitee, das Organ unabhängiger Experten, das unter dem IPBPR eingerichtet wurde, um die Einhaltung der Regeln durch die Mitgliedsstaaten zu überwachen, hat besonderen Wert darauf gelegt, dass eine „freie, unzensierte und ungehinderte Presse oder andere Medien in jeder Gesellschaft grundlegend ist, um Meinungs- und Redefreiheit und der Genuss der Rechte des Paktes sicherzustellen“. Das Komitee hat auch die Funktion der Medien bei der Verbreitung von Informationen unterstrichen, die Bedeutung „einer freien Presse und anderer Medien, die in der Lage sind, öffentliche Themen ohne Zensur oder Einschränkung zu kommentieren um zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen“, und bekräftigte „das Recht der Öffentlichkeit, Medieninformationen zu erhalten“148. Des Weiteren hat das Komitee auf Grund der öffentlichen Debatte über öffentliche Persönlichkeiten unterstrichen, dass der „Wert, den der Pakt auf ungehinderte Meinungsäußerung legt, besonders hoch ist“149. Statthafte Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung Unter internationale Menschenrechtsgesetzen muss jede Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, Vereinigung und friedliche Versammlung die Ausnahme sein. Artikel 19(3) des IPBPR legt dar, dass bestimmte Einschränkungen der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung erlassen werden können (aber nicht des Rechts auf Meinungsfreiheit), aber nur, wenn solche Einschränkungen für bestimmte legitime Zwecke nachweisbar notwendig und angemessen sind, die unter internationalem Recht gestattet sind. Der Artikel stellt sicher, dass jede Einmischung in die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung einem dreifachen Test unterworfen werden muss, um gesetzmäßig zu sein:

147 Bangladesch hat den IPBPR im Jahr 2000 ratifiziert. [Übersetzung des Art. 19(2): Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2. Aufl. 1996.] 148 UN Human Rights Committee. General Comment 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, CCPR/C/ GC/34, (2011), § 13, verfügbar unter: http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/gc34.pdf. 149 UN Human Rights Committee. General Comment 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, CCPR/C/ GC/34, (2011), § 38, verfügbar unter: http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/gc34.pdf.

45 1. Legalität: jede Einschränkung muss durch ein Gesetz geschehen, das der Öffentlichkeit zugänglich und „mit ausreichender Präzision formuliert sein muss, um es einer Person zu ermöglichen, sein oder ihr Verhalten anzupassen“150. 2. Legitimität: Einschränkungen können nur ausgesprochen werden, um einem legitimen Ziel zu dienen, das explizit im internationalen Menschenrechtsgesetz spezifiziert ist; namentlich um die Rechte und das Ansehen anderer zu schützen; die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, oder die öffentliche Gesundheit oder Moral. Einschränkungen aus anderen Gründen sind nicht erlaubt. Einschränkungen dürfen nur für diese Zwecke angewandt werden, für die sie vorgeschrieben wurden und müssen einen direkten Bezug zu der spezifischen Notwendigkeit haben, für die sie erlassen wurden151. 3. Sie müssen strengen Prüfungen der Notwendigkeit und Proportionalität genügen: Maßnahmen müssen sowohl notwendig sein, um das legitime Ziel zu erreichen, als auch angemessen. Das Komitee hat unterstrichen, dass jede Einschränkung, ob in einem Gesetz dargelegt oder von den administrativen oder juristischen Behörden angewandt, das am wenigsten eindringende Mittel und den Interessen, die es schützen soll, angemessen sein muss und keineswegs zu weitgehend152. Wenn ein Staat dem Recht auf freie Meinungsäußerung Restriktionen auferlegt, dürfen diese nicht das Recht selber gefährden153.

Alle drei Anforderungen muss eine Einschränkung erfüllen, um internationalen Menschenrechtsgesetzen und -standards zu entsprechen. Ähnliche Bedingungen gelten auch für staatliche Eingriffe in andere Rechte, wie das Recht auf friedfertige Versammlung und die Vereinigungsfreiheit.

Als Mitgliedsstaat des IPBPR ist Bangladesch auch verpflichtet, die Rechte zu respektieren, die sich auf die Verhaftung und faire Gerichtsverfahren beziehen. Das beinhaltet das Recht, nicht willkürlich verhaftet oder inhaftiert zu werden; das Recht eines jeden, der verhaftet wurde, unverzüglich über die Anschuldigen, die gegen ihn erhoben werden, informiert zu werden, und das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren durch eine kompetentes, unabhängiges und unparteiisches Gericht innerhalb einer angemessenen Zeit. Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren schließt das Recht auf juristische Beratung ein, sobald ein Mensch seiner Freiheit beraubt wurde, und das Recht, nicht dazu gezwungen zu werden, seine Schuld zu bezeugen oder zu gestehen (Art. 14). Alle inhaftierten Personen haben das Recht, menschenwürdig behandelt zu werden (Art. 10), einschließlich der Erlaubnis zum Zugang zur Welt außerhalb des Gefängnisses, und frei von Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung zu sein. Viele dieser und anderer Verpflichtungen spiegeln sich auch in anderen internationalen Standards wider und werden dort aufgeführt, z. B. im Grundsatzkatalog für den Schutz aller Menschen vor beliebigen Formen von Haft oder Strafgefangenschaft154 und den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln)155. Die Behörden in

150 UN Human Rights Committee. General Comment 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, CCPR/C/ GC/34, (2011), § 25, verfügbar unter: http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/gc34.pdf. 151 UN Human Rights Committee. General Comment 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, CCPR/C/ GC/34, (2011), §§ 21-22, verfügbar unter: http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/gc34.pdf. 152 Human Rights Committee, General comment No. 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, UN Doc. CCPR/C/GC/34, 12. September 2011, § 34. 153 Human Rights Committee, General comment No. 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, UN Doc. CCPR/C/GC/34, 12 September 2011, § 21. 154 UN General Assembly, Body of Principles for the Protection of All Persons under Any Form of Detention or Imprisonment, angenommen von der UN Generalversammlung, Resolution A/RES/43/173, 9. Dezember 1988 [dt.: http://www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar43173.pdf]. 155 UN General Assembly, UN Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners (the Nelson Mandela Rules), angenommen durch die UN Generalversammlung, Resolution A/RES/70/175, 17. Dezember 2015 [dt.: http://www.un.org/depts/german/gv-70/band1/ar70175.pdf].

46 Bangladesch haben diese Verpflichtungen in bestimmten Fällen, die in diesem Bericht dokumentiert sind, missachtet, z. B. indem sie Gefangenen eine angemessene medizinische Versorgung verweigerten oder Gefangene der Folter oder anderen Formen von Misshandlung unterwarfen.

47 4. BANGLADESCHS Gesetzliches RAHMENWERK „Die Absicht und der Geist dieser Gesetze sind die gleichen, d. h. einzuschränken. Es geht darum, eine Botschaft auszusenden, dass du vorsichtig sein musst, wenn du die Regierung kritisierst.“

NGO-Mitarbeiter in Bangladesch, November 2016156

Im Kern der Repression in Bangladesch steht das gesetzliche Rahmenwerk, das verschiedene Gesetze enthält, die dem Recht auf freie Meinungsäußerung unangemessene Beschränkungen auferlegen. Anklagen wegen Beleidigung oder Aufwiegelung – die beide Teile des Strafgesetzbuchs des Landes sind, das aus der britischen Kolonialzeit stammt – wurden beispielsweise häufig gegen Medientätige angewandt, die die Regierung kritisierten oder andere Themen behandelten, die den Behörden sensibel erschienen. Dieses Kapitel fasst die Gesetze zusammen, die am häufigsten benutzt werden, um das Recht auf freie Meinungsäußerung in Bangladesch einzuschränken, aber auch einige der regulatorischen Maßnahmen, die Bezug zum Mediensektor haben. Es richtet das Augenmerk auch auf einige der wichtigsten vorgeschlagenen Gesetze, die der freien Meinungsäußerung weitere Beschränkungen auferlegten, wenn sie eingeführt würden. 4.1 Die Verfassung und das Strafgesetzbuch

Die Verfassung Gemäß der bangladeschischen Regierung „stellt die Verfassung kategorisch sicher, dass das Recht eines jeden Bürgers auf freie Rede und Meinungäußerung und die Pressefreiheit gewährleistet sind“157. Während Artikel 39 in der Tat feststellt, dass „Freiheit des Gedankens und des Gewissens garantiert sind“, wird dieses Recht nur so lange gewährt, wie es nicht mit den „Sicherheitsinteresssen des Staates“ oder „freundlichen Beziehungen mit ausländischen Staaten“ kollidiert oder eine „Anstiftung zu einem Vergehen“ darstellt, wie einige der vage formulierten Bedingungen lauten. Diese Einschränkungen gehen über die engen „notwendigen“ Einschränkungen der Meinungsfreiheit hinaus, die unter dem IPBPR erlaubt sind, und sind mit den Verpflichtungen Bangladeschs unter internationalem Recht und als Mitgliedsstaat dieses Paktes nicht vereinbar. Es ist auch wichtig zu bemerken, dass die bangladeschische Verfassung dadurch, dass sie nur Staatsbürgern das Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit gewährt (Art. 39(2)(1)), sie dieses den Nichtstaatsbürgern in diskriminatorischer Weise verwehrt. Unter besonderer Berücksichtigung des IPBPR hat das Komitee betont, dass „der Genuss der Rechte des Paktes nicht auf Bürger der Mitgliedsstaaten beschränkt ist, sondern allen Individuen gewährt werden muss, ungeachtet der Nationalität oder der Staatenlosigkeit […], die sich auf dem Territorium oder unter der Jurisdiktion des Mitgliedsstaates befinden“158. Internationale Experten haben unterstrichen, dass „im

156 Interview mit Amnesty International in Dhaka, November 2016. 157 S. Consideration of reports submitted by States parties under Article 40 of the Covenant Initial reports of States parties due in 2001 Bangladesh, UN Doc: CCPR/C/BGD/1, 3. September 2015, § 202. 158 UN Human Rights Committee General Comment 31, The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant, CCPR/C/21/Rev.l/Add. 13, (2004), § 10, verfügbar unter: http://tbinternet.ohchr.org/Jayouts/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CCPR%2fC%2f21%2fRev.l%2f Add.l3&Lang=en.

48 Allgemeinen internationale Menschenrechtsgesetze die gleiche Behandlung von Bürgern und Nicht- bürgern verlangen“159. Strafgesetzbuch

Ehrverletzungstatbestände In Bangladesch ist eine Beleidigung sowohl eine Straftat als auch eine zivile Streitsache. Im Strafrecht wird die Beleidigung in § 499 des Strafgesetzbuchs definiert: „Wer immer durch gesprochene Worte oder solche, die gelesen werden sollen, oder durch Zeichen oder sichtbare Darstellungen irgendeine Unterstellung macht oder veröffentlicht, die irgendeine Person betrifft mit der Absicht zu verletzen, oder weiß oder Grund hat zu glauben, dass solch eine Unterstellung das Ansehen solch einer Person verletzen wird, wird, außer in Fällen, die im Folgenden beschrieben werden, als jemand bezeichnet, der diese Person beleidigt.“ Das Strafgesetzbuch führt eine Reihe von Ausnahmen auf, einschließlich der Meinungsäußerung in gutem Glauben bezüglich des Verhaltens eines Beamten oder wenn man etwas behauptet, das eine Person betrifft und wahr ist, „wenn es dem öffentlichen Gut dient“. Die §§ 500–502 legen fest, dass jemand, der einer Beleidigung für schuldig befunden wurde, mit bis zu zwei Jahren Gefängnis und / oder einer unbestimmten Geldstrafe bestraft werden kann. Amnesty International wendet sich gegen Gesetze, die Beleidigungen kriminalisieren, egal ob es sich um Personen des öffentlichen Lebens oder Privatpersonen handelt, und ist der Ansicht, dass Beleidigungen als eine Angelegenheit des Zivilrechts behandelt werden sollten. Der UN- Sonderberichterstatter zur Förderung und Schutz des Rechts auf Meinungsfreiheit hat zur Entkriminalisierung von Handlungen aufgerufen, die als Beleidigungstatbestände betrachtet werden, und sich dafür eingesetzt, dass zivile Verfahren die einzige Form sein sollten, in der Beschwerden wegen Beschädigung des Ansehens behandelt werden sollten160. Er hat weiter unterstrichen, dass die einzige Absicht von Beleidigungs-, Verleumdungs-, Verunglimpfungs- und Entehrungsgesetzen darin bestehen muss, das Ansehen zu schützen und nicht, Kritik an Regierungen zu verhindern161. Das Menschenrechtskomitee hat empfohlen, dass Staaten die Entkriminalisierung von Beleidigungen in Betracht ziehen sollten, und hat seine Zustimmung zum Ausdruck gebracht, wenn Staaten dies getan haben; auf jeden Fall hat es festgestellt, dass eine Gefängnisstrafe nie eine angemessene Bestrafung ist162. In Bangladesch kann jede Person eine strafrechtlich relevante Anzeige wegen Beleidigung bei der Polizei oder einem Amtsgericht erstatten. Obwohl die Strafprozessordnung festlegt, dass solche Fälle nur von der „gekränkten“ Person zur Anzeige gebracht werden können, haben Polizei und Gerichte häufig Anzeigen von anderen im Namen der beleidigten Person entgegen genommen, was bedeutet, dass die Gesetze leicht missbraucht werden können. Die Regierung argumentierte 2013, dass die Strafprozessordnung reformiert worden sei, so dass „Journalisten nicht verhaftet oder schikaniert werden würden, ohne weit im Voraus über die gegen

159 David Weissbrodt, The rights of non-citizens: Final report of the Special Rapporteur, submitted in accordance with Sub-Commission decision 2000/103, Commission resolution 2000/104 and Economic and Social Council decision 2000/283, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2003/23, 26. Mai 2003, § 1. 160 Frank La Rue, UN Special Rapporteur on the promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression, Report to the UN Human Rights Council, 20. April 2010, UN Doc. A/HRC/14/23, § 83. 161 Report of the Special Rapporteur on the promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression, Frank La Rue, UN Doc: A/HRC/20/17, 4. Juni 2012, § 83. 162 Human Rights Committee, General comment No. 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, UN Doc. CCPR/C/GC/34, 12. September 2011, § 47.

49 sie vorgebrachten Anschuldigungen informiert worden zu sein“163. Auch wenn Strafanzeigen gegen Journalisten wegen Beleidigung nach und nach abgenommen haben – insbesondere seit 2013, als der ICT Act häufiger benutzt wurde –, gibt es sie immer noch, wie in den Fällen der Herausgeber Mahfuz Anam und Matiur Rahman dargestellt wurde. Ungeachtet der Häufigkeit, mit der Beleidigungsklagen gegen Journalisten erhoben werden, hat die Tatsache, dass solche Gesetze weiter Bestand haben, einen negativen Einfluss auf Medienarbeiter und trägt zu einem Klima der Selbstzensur bei – und wird das auch weiterhin tun. Aufwiegelung Aufwiegelung wird im Abschnitt 124A des Strafgesetzbuchs definiert, eine Verfügung, die während der Kolonialzeit eingeführt wurde, als sie oft gegen jene angewandt wurde, die sich für die Unabhängigkeit von der britischen Herrschaft einsetzten: Wer immer durch Worte, gesprochen oder geschrieben, oder durch Zeichen oder sichtbare Darstellungen, oder auf andere Weise, Hass oder Verachtung gegen die gesetzmäßig eingerichtete Regierung vorbringt oder dies versucht, oder Unzufriedenheit stiftet oder dies versucht, soll mit lebenslanger oder kürzerer Gefängnisstrafe bestraft werden, zu der eine Geldstrafe hinzugefügt werden kann, oder mit einer Gefängnisstrafe, die sich über drei Jahre erstrecken kann, zu der eine Geldstrafe hinzugefügt werden kann, oder mit einer Geldstrafe164. Unter internationalem Menschenrechtsgesetz werden Staaten aufgefordert, Einschränkungen der freien Meinungsäußerung mit „ausreichender Präzision [zu formulieren], damit der Bürger in der Lage ist, sein oder ihr Verhalten entsprechend einzurichten“165. Abschnitt 124A besteht diesen Test nicht. Begriffe wie „Unzufriedenheit“ sind sowohl vage als auch subjektiv und machen es Individuen in Bangladesch sehr schwer zu wissen, welche Äußerungen die Anordnung verletzen; die Vagheit der Anordnung ermöglicht sowohl ein Hinausschießen über das Ziel als auch ihre potentiell missbräuchliche Anwendung. Auf jeden Fall sollte die Anstachelung zur „Unzufriedenheit gegenüber der gesetzmäßig eingerichteten Regierung“ in sich überhaupt nicht kriminalisiert werden. Das Menschenrechtskomitee hat betont, dass das internationale Recht, wie es in Art. 19(3) des IPBPR dargelegt ist, Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung aus Gründen der nationalen Sicherheit verbietet, es sei denn, der Staat kann in einer spezifischen und individuellen Weise die genaue Natur der Bedrohung nachweisen, außerdem die Notwendigkeit und Angemessenheit der entsprechenden Reaktion, die unternommen wurde, insbesondere durch den Nachweis einer direkten und unmittelbaren Verbindung zwischen der Äußerung und der daraus folgenden Bedrohung. Schließlich dürfen Staaten nicht Aufruhrgesetze anwenden, „um Informationen von berechtigtem öffentlichen Interesse zu unterdrücken oder zurückzuhalten, die nicht der nationalen Sicherheit schaden oder um Journalisten, Forscher, Umweltaktivisten, Menschenrechtsverteidiger oder andere zu verfolgen, weil sie solche Informationen verbreitet haben“166. Zusätzlich sollten Regierungen „besondere Vorsicht“ anwenden um sicherzustellen, das Regelungen bzgl. der nationalen Sicherheit, einschließlich Aufwiegelungsgesetzen, mit den

163 See Bangladesh's state report to the Universal Periodic Review, National report submitted in accordance with paragraph 5 of the annex to Human Rights Council resolution 16/21: Bangladesh, UN doc: A/HRC/WG.6/16/BGD/1, 7. Februar 2013, § 60, und Consideration of reports submitted by States parties under Article 40 of the Covenant Initial reports of States parties due in 2001 Bangladesh, UN Doc: CCPR/C/BGD/1, 3. September 2015, § 212. 164 Formulierung aus dem Original-Strafgesetzbuch von 1860. 1985 wurden die Worte „lebenslange Gefängnisstrafe“ ersetzt durch „lebenslange Deportation“ (Verfügung über die Änderung des Strafgesetzbuchs, Abschnitt 12, 1985). 165 Human Rights Committee, General comment No. 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, UN Doc. CCPR/C/GC/34, 12. September 2011, § 25.

50 strengen Anforderungen zur Begrenzung des Rechts auf Meinungsfreiheit, wie sie im IPBPR dargelegt sind, konform gehen167. Aufwiegelungsgesetze wurden von verschiedenen Regierungen in Bangladesch gegen politische Gegner benutzt. Führungspersönlichkeiten der Opposition, einschließlich der BNP-Vorsitzenden Khaleda Zia und ihres Sohnes Tarique Rahman, sind mit mehreren Aufwiegelungsklagen konfrontiert, den denen sie behaupten, sie seien politisch motiviert168. Obwohl Aufwiegelungsfälle gegen Medienmitarbeiter selten sind, kommen sie doch vor – wie in den Fällen von Mahfuz Anam, Matiur Rahman und Mahmudur Rahman. 4.2 Gegenwärtige Gesetze

Foreign Donations (Voluntary activities) Regulation Act (FDRA) 2016 „Der Druck auf die Meinungsfreiheit ist heute viel mehr institutionalisiert als vorher. […] Die Behörden haben die Opposition mehr oder weniger 'gemanagt', die einzige ernstzunehmende Bedrohung liegt jetzt bei den Medien und der Zivilgesellschaft.“

Mitarbeiter einer internationalen NGO, Dhaka, November 2016169

Am 4. Oktober 2016 verabschiedete das bangladeschische Parlament das Foreign Donations (Voluntary activities) Regulation Act (FDRA) 2016, und es trat in Kraft, nachdem der Präsident dem Gesetz am 13. Oktober seine endgültige Zustimmung gegeben hatte170. Das FDRA ist eine Mischung aus zwei bestehenden Gesetzen, die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) regeln, und von dem die Regierung behauptete, es sei für eine bessere Übersicht über die Zivilgesellschaft notwendig. Das Gesetz behindert nicht nur die Möglichkeit von Menschenrechtsverteidigern und Organisationen der Zivilgesellschaft, Ressourcen zu suchen und sicherzustellen, sondern es dehnt auch die Möglichkeit der Regierung aus, in die Arbeit der NGOs einzugreifen und willkürlich deren Registrierung zu annullieren. Das FDRA verlangt von allen aus dem Ausland finanzierten NGOs, alle Projekte zur Begutachtung dem NGO Affairs Bureau vorzulegen, das vom Büro der Premierministerin geführt wird. Das Gesetz ist vage formuliert und legt nicht genau fest, aus welchen Gründen das NGO Affairs Bureau vorgeschlagene Projekte zurückweisen oder daran Änderungen machen kann. Das gibt den Behörden weiten Ermessensspielraum, in die Arbeit von NGOs einzugreifen und Projekte zu stoppen, mit denen sie nicht übereinstimmen. Zusätzlich müssen sich aus dem Ausland finanzierte NGOs alle 10 Jahre bei dem Bureau um eine Erneuerung ihrer Registrierung bewerben. Zu keinem Zeitpunkt spezifiziert das Gesetzt jedoch einen Zeitrahmen für die Anerkennung entweder einer Registrierung oder von einzelnen Projekten, was die Möglichkeit eröffnet, dass NGOs über einen längeren Zeitraum in einem rechtlichen

166 Human Rights Committee, General comment No. 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, UN Doc. CCPR/C/GC/34, 12. September 2011, § 30. 167 Human Rights Committee, General comment No. 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, UN Doc. CCPR/C/GC/34, 12. September 2011, § 30. 168 Associated Press, "Bangladesh court grants bail to ex-PM Zia in sedition case", 10. August 2016, verfügbar unter: http://www.foxnews.com/world/2016/08/10/bangladesh-court-grants-bail-to-ex-pm-zia-in-sedition-case.html. 169 Interview mit Amnesty International in Dhaka, November 2016. 170 Dieser Abschnitt bezieht sich in großen Teilen auf die Analyse des FDRA von Amnesty International, veröffentlicht in: Bangladesh: New law designed to stifle civil society must be repealed (ASA 13/4996/2016), 17. Oktober 2016.

51 Schwebezustand gehalten werden und faktisch außerstande sind, ihre Vorhaben zu planen oder ihre Arbeit durchzuführen. Das Bureau hat auch das Recht, die Aktivitäten von aus dem Ausland finanzierten NGOs „zu begutachten, zu überwachen und zu evaluieren“. Das geschieht über regelmäßige Treffen zwischen dem Bureau-Personal und den NGO-Leitern. Das Bureau kann auch Monitoring-Komitees einrichten oder „3.-Partei-Evaluatoren“ für besondere NGOs oder Projekte ernennen. Zusätzlich müssen alle Vorschläge für Reisen von Personal auslandsfinanzierter NGOs ins Ausland mit „offiziellem Zweck“ im Voraus dem Bureau vorgelegt werden. Es ist auch äußerst besorgniserregend, dass in der endgültigen Version des Gesetzes, das vom Parlament verabschiedet wurde, eine zusätzliche Regelung eingefügt wurde, die es zu einem Vergehen macht, wenn eine NGO „feindselige“ oder „herabsetzende“ Äußerungen gegen die Verfassung oder ein Verfassungsorgan macht. Mit diesem Gesetzt wird dem NGO-Bureau die Macht gegeben, die Registrierung von NGOs zu widerrufen, die solche Äußerungen machen. Die Begriffe „feindselig“ und „herabsetzend“ werden nirgendwo im Gesetz definiert, und diese Vagheit gibt den Behörden die pauschale Macht, NGOs zu bestrafen, deren Mitglieder einfach ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen und insbesondere bei Kritik an Regierungseinrichtungen. Die Regelung hat einen Aufschrei unter der Zivilgesellschaft in Bangladesch hervorgerufen, die befürchtet, diese werde ein Werkzeug in der Hand der Regierung sein, die Bereiche zu kontrollieren, an denen NGOs und Menschenrechtsverteidiger arbeiten können und dessen, was sie in der Öffentlichkeit sagen können. Die Regelung wurde nach einem Bericht in das Gesetz eingefügt, der von der Antikorruptions-NGO Transparency International Bangladesh 2015 herausgegeben worden war. Der Bericht kritisierte die Leistung des Parlaments, einschließlich der geringen Anwesenheit der Abgeordneten und der wenigen Zeit, die in die Formulierung und Verabschiedung von Gesetzen investiert wurde171. Das Bureau kann den NGOs Strafen auferlegen, die dieses oder irgendein anderes Vergehen begangen haben, das im Gesetz aufgeführt ist. Strafen reichen von einem Mahnbrief über eine Geldstrafe bis zum Widerruf oder Sperrung der Registrierung einer NGO oder eines bestimmten Projekts. Das FDRA unterscheidet jedoch nicht zwischen der Schwere verschiedener „Vergehen“, und gibt dadurch dem Bureau eine weitreichende Befugnis darüber, welche Strafe es verhängen kann. Die NGO kann nur beim Büro der Premierministerin Einspruch einlegen, dessen Entscheidung dann endgültig ist. Dieses Verfahren lässt keine Möglichkeit der juristischen Kontrolle zu, noch stellt es ein wirksames Gegenmittel dar. Das FDRA widerspricht der Verpflichtung Bangladeschs, das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit zu achten und zu schützen, wie es in internationalem Recht dargelegt ist. Während bestimmte Einschränkungen des Rechts auf Meinungsfreiheit unter dem IPBPR erlaubt sein mögen, wenn sie nachweislich für einen bestimmten legitimen Zweck notwendig und angemessen sind (s. Kap. 3), so hat insbesondere das UN-Menschenrechtskomitee unterstrichen, dass Staaten Kritik „an Einrichtungen wie Armee oder Behörden“ nicht verbieten sollen172. NGOs einfach wegen Kritik an staatlichen Einrichtungen einer Deregistrierung zu unterwerfen, geht über die Einschränkungen hinaus, die unter internationalem Recht erlaubt sind. 171 Transparency International Bangladesh, Parliament Watch 2015: 10th Parliament, Session 2-6, 25. Oktober 2015, verfügbar unter: https://www.ti-ba ngladesh.org/beta3/index.php/en/research-policy/169-nis/parliament- watch/4767-parliament-watch-executive-summary-english. 172 Human Rights Committee, General comment No. 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, UN Doc. CCPR/C/GC/34, 12. September 2011, § 38.

52 Außerdem mischt sich das FDRA über Gebühr in das Recht auf Vereinigungsfreiheit ein, das ebenfalls vom IPBPR garantiert wird. Die Fähigkeit von Organisationen der Zivilgesellschaft, an Geldmittel zu gelangen, sowohl von einheimischen als auch von ausländischen Quellen, ist integraler Bestandteil des Rechts auf Versammlungsfreiheit173. Wie das Recht auf Meinungsfreiheit muss jede Einschränkung des Rechts auf Versammlungsfreiheit den dreiteiligen Test bestehen, u. a. nachweisbar notwendig und für einen bestimmten Zweck angemessen sein, den das internationale Recht als legitim anerkennt. Amnesty International ist besorgt, dass die übermäßig weiten Einschränkungen, die in diesem Gesetz enthalten sind, dazu benutzt werden könnten, abweichende Meinungen zu unterdrücken und kritische NGOs zum Schweigen zu bringen, die für ihre Maßnahmen oft von ausländischem Geld abhängig sind. Darüber hinaus können Einschränkungen ihrer Möglichkeit, an Geldmittel heranzukommen, im Fall von Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich mit Aktivitäten mit Bezug zu Menschenrechten befassen, diese Maßnahmen untergraben und einen negativen Einfluss auf das Leben derjenigen haben, für die diese Vereinigungen arbeiten. Bangladeschs lebhafte und verschiedenartige Zivilgesellschaft spielt eine ausschlaggebende Rolle dabei sicherzustellen, dass Behörden die Menschenrechte respektieren, schützen und umsetzen. Das FDRA wurde zu einer Zeit erlassen, als die Behörden in zunehmendem Maße versuchten, die Arbeit von NGOs zu kontrollieren und ihre Fähigkeit einzuschränken, die Regierung zu kritisieren. Mehrere Mitarbeiter von NGOs berichteten Amnesty International, dass sie tief besorgt sind über den abnehmenden Raum, in dem sie arbeiten, und die schädlichen Auswirkungen, die das FDRA auf ihre Arbeit haben wird174. Information and Communications Technology (ICT) Act 2006 Bei Interviews mit Medientätigen, NGO-Beschäftigten, Aktivisten und Rechtsexperten wurde das Information and Communications Technology (ICT) Act häufig als dasjenige Stück Gesetzgebung bezeichnet, das vielleicht am stärksten für die Einschränkung der Meinungsfreiheit seit 2013 verantwortlich ist. Das ICT Act wurde erstmalig im Oktober 2006 unter der damaligen BNP-Regierung in Kraft gesetzt. Die verlautbarte Absicht des Gesetzes ist „die juristische Anerkennung und Sicherheit der Informations- und Kommunikationstechnik“. Das internationale Recht stellt klar fest, dass das Recht auf Meinungsfreiheit sich auf „alle Formen audiovisueller als auch elektronischer und internetbasierter Art der Äußerung“ erstreckt175. Als Unterzeichnerstaat des IPBPR ist Bangladesch daher gefordert sicherzustellen, dass eine Gesetzgebung, die die Online-Kommunikation und -Äußerung reguliert, dieses Recht achtet und schützt. Mehrere Regelungen des ICT Act sind jedoch vage und weit gefasst und gestatten den Behörden einen großen Spielraum, wer unter seinen Regelungen angeklagt werden kann, und einige seiner Regelungen geben weitreichende Möglichkeiten, Kritik an den Behörden zu unterbinden. In Anbetracht der Gesetze, die die Meinungsfreiheit einschränken, hat das UN-Menschenrechtskomitee betont, dass ein Gesetz „mit ausreichender Genauigkeit formuliert sein muss, um es einer Person zu ermöglichen, sein oder ihr

173 Report of the Special Rapporteur on the rights to freedom of peaceful assembly and of association, Maina Kiai, UN Doc: A/HRC/20/27, 21. Mai 2012, § 83. 174 Interviews von Amnesty International mit NGO-Mitarbeitern in Dhaka, November 2016. 175 Human Rights Committee, General comment No. 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, UN Doc. CCPR/C/GC/34, 12. September 2011, § 12.

53 Verhalten entsprechend anzupassen … [und] denen, die mit seiner Umsetzung betraut sind, keine unbegrenzte Vollmacht über die Einschränkung der Meinungsfreiheit übertragen darf“176. Z. B. gewährt der § 46 des Gesetzes der Regierung die Erlaubnis, jeden Geheimdienst einzusetzen, um Informationen über jegliche digitale Ressource einzuschränken, im Fall, es ist „… notwendig oder zweckdienlich, dies im Interesse der Souveränität, Integrität oder Sicherheit von Bangladesch zu tun“ oder wenn sie die „öffentliche Ordnung“ stört oder die „freundlichen Beziehungen zu anderen Staaten“. Mehrere dieser Einschränkungen bestehen nicht den Test für legitime Beschränkungen, wie sie in dem dreiteiligen Test für internationales Menschenrecht niedergelegt sind (s. Kap. 3). § 57 des Gesetzes ist die Bestimmung, die am häufigsten benutzt wurde, um Anklagen gegen Regierungskritiker, Aktivisten und andere zu erheben: „Wenn irgendeine Person absichtlich irgendein Material auf einer Webseite oder in elektronischer Form veröffentlicht oder überträgt oder veranlasst, dass es veröffentlicht oder übertragen wird, das gefälscht und obszön ist, oder seine Wirkung derart ist, dass es Personen verderben und schädigen kann, die wahrscheinlich – unter Betrachtung aller relevanten Umstände – die Angelegenheit lesen, sehen oder hören können, die darin enthalten ist oder zum Ausdruck gebracht wird, oder eine Verschlechterung von Gesetz und Ordnung verursacht oder die Möglichkeit dazu schafft, das Ansehen des Staates oder einer Person zu beeinträchtigen oder Ursache für die Verletzung oder mögliche Verletzung religiösen Glaubens ist oder gegen irgendeine Person oder Organisation aufstachelt, dann wird diese Handlung als Vergehen betrachtet.“ § 57 verletzt das Recht auf Meinungsfreiheit sowohl durch die Kriminalisierung legitimer Äußerungsformen als auch dadurch, dass er so weit formuliert ist, dass er eine willkürliche und missbräuchliche Anwendung des Gesetzes erlaubt. Die Regelung wurde auch als ein „de fakto-Blasphemiegesetz“ beschrieben, da sie die Verletzung religiösen Glaubens oder die Verursachung der Verletzung religiösen Glaubens unter Strafe stellt. Religiöse Minderheiten und säkulare Aktivisten, die angeblich „anstößige“ Bemerkungen über den Islam online veröffentlicht haben, mussten oft Anklagen unter diesem Gesetz erfahren. Im Oktober 2016 wurde z. B. ein Hindu verhaftet und nach § 57 angeklagt, nachdem man ihn beschuldigt hatte, ein Bild auf Facebook gepostet zu haben, das angeblich den Islam verunglimpfte177. Während „der Schutz der Rechte anderer“ eine der erlaubten Gründe ist, aus denen Staaten, wo es notwendig und angemessen und vom Gesetz vorgesehen ist, bestimmte Einschränkungen der Meinungsfreiheit auferlegen können, schließt das nicht den Schutz der religiösen Gefühle anderer Menschen ein. Das Menschenrechtskomitee betonte, dass „Vorkehrungen für eine Äußerung fehlenden Respekts für eine Religion oder ein anderes Glaubenssystem, einschließlich Blasphemiegesetze, nicht mit dem IPBPR vereinbar sind“178. Der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit unterstrich, dass Beschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung dazu „entwickelt [wurden], um Individuen gegen direkte Verletzungen ihrer Rechte zu schützen“ und „nicht entwickelt [wurden], um Glaubenssysteme vor externer oder interner Kritik zu schützen“179. Ähnlich haben die UN-Sonderberichterstatter zur Religionsfreiheit und zu Rassismus und ähnlicher Intoleranz unterstrichen, dass „das Recht auf Religions- oder

176 Human Rights Committee, General comment No. 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, UN Doc. CCPR/C/GC/34, 12. September 2011, § 25. 177 Amnesty International, "Hindu fisherman kept in unlawful detention: Rasraj Das", 12. Januar 2017, verfügbar unter: https://www.a mnesty.org/en/documents/asal3/5448/2017/en/. 178 Human Rights Committee, General comment No. 34, Article 19: Freedoms of opinion and expression, UN Doc. CCPR/C/GC/34, 12. September 2011, § 48.

54 Glaubensfreiheit, wie sie in den relevanten internationalen Rechtsstandards niedergelegt sind, nicht das Recht einschließt, eine Religion oder einen Glauben zu haben, der frei von Kritik oder Spott ist“180. Das ICT Act traf auf überwältigende Kritik durch Menschenrechtsgruppen und anderen, wobei der UN- Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit feststellte, dass das Gesetz „eine abschreckende Wirkung auf die Organisationen der Zivilgesellschaft, Menschenrechtsaktivisten und Angehörige religiöser Minderheitengemeinschaften hat“181. Ähnlich bezeichnete die Internationale Juristenkommission das Gesetz als einen „drakonischen Angriff auf die Meinungsfreiheit“182. Im Oktober 2013 wurde die Gesetztesänderung angenonmmen und die Anzahl der Strafen, die verhängt werden können, und die Rechte der Polizei bei Verhaftung und Inhaftierung vergrößert. Durch die Änderung wurde die Gefängnisstrafe von einem Maximum von 10 Jahren auf ein Minimum von sieben und ein Maximum von 14 Jahren erhöht. Zusätzlich hat die Polizei jetzt unter dem Gesetz die Befugnis, Verhaftungen ohne Haftbefehl vorzunehmen, und alle Vergehen fallen unter ein Kautionsverbot, d. h. dass es eine Entscheidung des Gerichts ist, Freilassung auf Kaution zu gewähren oder abzulehnen. Früher im selben Jahr richtete die Regierung ein neues Cyber Tribunal in Dhaka ein, ein Schnellgericht, das mit der Behandlung von Online-Verbrechen befasst ist, einschließlich Vergehen nach dem ICT Act183. Teilweise als Reaktion auf die anhaltende Kritik gaben Regierungsbeamte 2016 ihre Absicht bekannt, Teile des ICT Act – einschließlich des § 57 – durch ein neues Digital Security Act zu ersetzen, das nach ihrer Behauptung besser den internationalen Menschenrechtsgesetzen und -standards genügen würde und nicht offen wäre für eine ungerechtfertigte Anwendung auf Journalisten. Der Entwurf dieses vorgeschlagenen Gesetzes legt jedoch, in seiner vorliegenden Form, stattdessen der Meinungsfreiheit weitere Einschränkungen auf (s. Abschnitt 4.3, S. 58). ICT Act: Fallstudien Fälle nach dem ICT Act sind, seit das Gesetz 2013 geändert wurde, in zunehmendem Maße üblich geworden. Nach Aussage der Menschenrechtsorganisation Odhikar gab es zwischen Januar 2014 und Dezember 2016 nach dem Gesetz mindestens 82 Verhaftungen: 14 im Jahr 2014; 33 im Jahr 2015 und 35 im Jahr 2016.

179 Report of the UN Special Rapporteur on the Promotion and Protection of the Right to Freedom of Opinion and Expression, A/HRC/7/14, (2008), § 85. 180 Report of the UN Special Rapporteur on Freedom of Religion or Belief and the UN Special Rapporteur on Contemporary Forms of Racism, Racial Discrimination, Xenophobia and Related Intolerance, A/HRC/2/3, (2006), § 36. 181 Preliminary findings of Country Visit to Bangladesh by Heiner Bielefeldt, Special Rapporteur on freedom of religion or belief, 9. September 2015, verfügbar unter: http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews .aspx?NewslD=16399. 182 International Commission of Jurists, Bangladesh: Information and Communication Technology Act draconian assault on free expression, 20. November 2013, verfügbar unter: http://www.icj.org/bangladesh-information-and- communication-technology-act-draconian-assault-on-free-expression/. 183 The World Organisation Against Torture (OMCT) and the International Federation for Human Rights (FIDH), Bangladesh: Information and Communication Technology (Amendment) Act likely to silence further human rights defenders!, 26. August 2013, verfügbar unter: https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/bangladesh- information-and-communication-technology-amendment-act-likely-13875.

55 Seit 2013 die Bestimmung, dass die Polizei unter dem ICT Act keine Verhaftung ohne Haftbefehl vornehmen darf, abgeschafft wurde, wurde das Gesetz häufig von Einzelpersonen missbraucht, um persönliche Streitigkeiten auszutragen. Die bisherigen Kapitel haben Klagen gegen Medientätige und Aktivisten dargestellt, die unter dem Gesetz eingereicht wurden, aber es wurde auch gegen eine Reihe anderer Personen angewandt, u. a. Menschenrechtsverteidiger und Angehörige religiöser Minderheiten. Oft wurden Klagen unter dem § 57 gegen Personen erhoben, die friedlich Sheikh Hasina und die Regierung online kritisierten. Obwohl diese Fälle zu zahlreich sind, sie im Detail in diesem Bericht aufzuführen, gibt die folgende Auswahl ein repräsentatives Bild: Dilip Roy ist ein 22-jähriger Studentenaktivist an der Universität Rajshahi, wo er der Generalsekretär der linksgerichteten Studentenorganisation Biplobi Chhatra Maitri ist. Am 28. April 2016 wurde Dilip Roy verhaftet, nachdem er zwei Einträge bei Facebook gepostet hatte, in denen er Sheikh Hasina und die Regierung wegen ihrer Unterstützung für ein geplantes Kohlekraftwerk in Rampal kritisierte, das nach Aussage vieler Umweltaktivisten schädliche Auswirkungen auf den nahegelegenen Mangrovenwald Sundarban haben wird. Ein Mitglied der lokalen Chhatra League – der Studentenflügel der Awami League – reichte unter dem § 57 des Gesetzes eine Beschwerde gegen Dilip Roy ein, weil er „herabsetzende Bemerkungen“ gegen Sheikh Hasina geäußert hatte. Dilip Roy wurde schließlich gegen Kaution im November 2016 freigelassen, nachdem er fast drei Monate ohne Anklage in Haft verbracht hatte184. Nach Aussage der Polizei läuft die Untersuchung gegen Dilip Roy weiter, obwohl keine neue Gerichtsverhandlung anberaumt wurde. Tonmoy Malik ist ein 27-jähriger Besitzer eines Elektronikgeschäfts im südwestlichen Distrikt Kkulna. Er hat ein Parodielied komponiert, das sich über Sheikh Hasina und ihren Vater, Sheikh Mujibur Rahman, lustig macht. Tonmoy Malik wurde am 26. Oktober 2013 verhaftet, nachdem einer seiner Freunde, Rafiqul Islam, das Lied über einen Lautsprecher auf dem Hauptplatz in seinem Heimatdorf Gorkathi im Distrikt Khulna abgespielt hatte. Beide wurde nach § 57 angeklagt. Am 25. September 2014 sprach das Cyber Tribunal in Dhaka Rafiqul Islam frei, verurteilte aber Tonmoy Malik zu sieben Jahren Haft185. Rasraj Das, 25, ist Fischer und Angehöriger der religiösen Minderheit der Hindu im Distrikt Brahmanbaria in Ost-Bangladesch. Am 30. Oktober 2016 versammelten sich hunderte Menschen im Distrikt, um gegen einen Facebook-Eintrag zu protestieren, der angeblich von Rasraj Das eingestellt worden war und ihrer Meinung nach den Islam beleidigte. Der Mob, der Verbindungen zu den Gruppen Hefazat-e-Islam und Ahle Sunnat Wal Jamaat hatte, zog randalierend durch Hindu-Dörfer in der Gegend und verwüstete mehr als 100 Häuser und mehrere Tempel. Rasraj Das wurde am 30. Oktober verhaftet und von der Polizei in Brahmanbaria wegen Verletzung des § 57 des ICT Act wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ angezeigt. Am 28. November stellte ein öffentlicher Bericht der Distriktpolizei fest, dass das Bild nicht von Rasraj Das hochgeladen worden war, sondern dass jemand anders seinen Facebook-Account benutzt hatte. Ein anderer Bericht der Human Rights Commission sprach ebenfalls Rasraj Das von dem Vorwurf frei, das Bild gepostet zu haben. Trotzdem wurde die Anzeige gegen Rasraj Das nicht fallengelassen.

184 Amnesty International, "Student hold for Facebook posts out on bail: Dilip Roy", 18. November 2016, verfügbar unter: https://www.a mnesty.org/en/documents/asal3/5168/2016/en/. 185 New Age, "Youth jailed for parody on Sheikh Mujib, PM", 25. September 2014, verfügbar unter: http://newagebd. net/52448/youth-jailed-for-parody-on-sheikh-mujib-pm.

56 Rasraj Das wurde gegen Kaution am 16. Januar 2017 freigelassen und wartet auf seinen nächsten Gerichtstermin186. Adilur Rahman Khan und Nasiruddin Elan, der Sekretär bzw. Direktor der bangladeschischen Menschenrechtsorganisation Odhikar waren unter den ersten Opfern des ICT Act. Beide wurden nach § 57 angeklagt, nachdem sie einen Bericht über extralegale Hinrichtungen durch Sicherheitskräfte während der Massenproteste in Dhaka im Mai 2013 veröffentlicht hatten. Diese Proteste waren durch die Hefazat-e-Islam als Gegendemonstration gegen die Shahbag-Bewegung unter der Führung von säkularen Aktivisten organisiert worden187. Die Sicherheitskräfte durchsuchten im August 2013 auch die Büros von Odhikar und konfiszierten potentiell sensibles Material wie Computer, die Dokumente mit den Identitäten von Personen enthielten, einschließlich Zeugen von Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte. Adilur Rahman Khan wurde im August 2013188 von Polizeibeamten in Zivil abgeholt und etwas mehr als zwei Monate festgehalten, ehe er auf Kaution freigelassen wurde. Am 9. Januar 2017 entschied der High Court, dass es den „begründeten Verdacht“ gab, dass Odhikar „gegen den Staat konspiriere“ und wies die Petition der Organisation zurück, die Klage gegen sie fallen zu lassen, was bedeutet, dass ihr Verfahren sofort anfangen könnte189. In der Zwischenzeit setzten die Behörden ihre Schikanen gegen Odhikar fort in dem klaren Versuch, deren Berichte über Menschenrechte zum Schweigen zu bringen. Das NGO Affairs Bureau, das unter dem Büro der Premierministerin arbeitet, hat seit 2014 ausländische Gelder für Odhikar zurück gehalten – einschließlich für Projekte, die schon von dem Bureau genehmigt wurden – und haben die Erneuerung der Registrierung seit 2015 zurückgehalten, ohne einen offiziellen Grund zu nennen. Nach Aussage von Odhikar war die Organisation nicht in der Lage, ihr Personal zu bezahlen, und stützt sich ausschließlich auf ehrenamtliche Arbeit190. Regulatorisches Rahmenwerk für Medien Es gibt ca. 50 Gesetze und Verordnungen, die die Nachrichtenmedien in Bangladesch regulieren, von denen sich viele überlappen, manchmal in widersprüchlicher Weise, insbesondere in Bezug auf Online- und Funkmedien191. Obwohl genossenschaftlicher und privater Besitz im Mediensektor seit der Rückkehr zu einer Zivilregierung 1991 exponentiell zugenommen hat, ist die staatliche Aufsicht über die Medienregulierung geblieben. Der Printsektor wird zum großen Teil durch das Printing Presses and Publication Act von 1973 geregelt, das von allen Verlagen verlangt, eine Betriebslizenz über das Informationsministerium von der Regierung zu erwerben. Der bangladeschische Presserat, eine gesetzlich vorgeschriebene Körperschaft, die vollständig von der Regierung kontrolliert wird, wurde 1979 eingerichtet mit der Vollmacht, über Beschwerden gegen Zeitungen zu entscheiden. Der Rat gab 1993 einen Verhaltenskodex für Zeitungen, Nachrichtenagenturen und Journalisten heraus (2002 geändert), der die grundlegenden Verantwortlichkeiten der Medien und Journalisten hervorhebt, aber auch feststellt, dass sie keine „Nachrichten oder Veröffentlichung herausgeben dürfen, die der nationalen Integrität, Unabhängigkeit, Souveränität, der Einheit des Staates und der Verfassung von Bangladesch schaden“. Der Presserat war traditionell ineffektiv und ohne Unabhängigkeit, da er

186 Amnesty International, "Hindu fisherman kept in unlawful detention: Rasraj Das", 12. Januar 2017, verfügbar unter: https://www.am nesty.org/en/documents/asal3/5448/2017/en/. 187 Amnesty International, Bangladesh: Drop charges, stop harassment of Odhikar, 16. Januar 2014, verfügbar unter: https://www.am nesty.org/en/press-releases/2014/01/bangladesh-drop-charges-stop-harassment-odhikar/. 188 Amnesty International, Bangladesh: Arrest of human rights defender sends a chilling message, 12. August 2013, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/latest/news/2013/08/bangladesh-arrest-human-rights-defender-sends- chilling-message/ 189 Interview mit Amnesty International per Email, März 2017. 190 Interview mit Amnesty International per Email, März 2017. 191 Zum Hintergrund s. Meer Ahsan Habib, "Where we stand on media governance", The Daily Star, 3. Mai 2016, verfügbar unter: http://www.thedailystar.net/op-ed/politics/where-we-stand-media-governance-1217557.

57 unterfinanziert war und seine Mitglieder direkt von der Regierung bestellt werden. Er hat auch keine Aufsicht über Funk- oder Online-Medien, sondern beschäftigt sich nur mit dem Printsektor. Die BTRC wurde durch das Telekommunikationsgesetz von 2001 geschaffen, und alle Funk- und Online-Medien fallen in ihren Aufgabenbereich. Die Körperschaft wird von der Regierung eingesetzt und finanziert, hat aber keine formale Autorität, Beschwerden zu behandeln oder den Sendeinhalt zu bestimmen. In Abwesenheit einer nationalen Funkkommission liegt eine derartige Autorität de facto beim Informationsministerium oder anderen Regierungsabteilungen. 2014 verabschiedete das Kabinett ein neues nationales Funkgesetz, das die Schaffung einer solchen Kommission vorschlug, dieses muss jedoch noch als Gesetz verabschiedet werden. Das vorgeschlagene Gesetz sah sich überwältigender Kritik von Verlagen und Menschenrechtsorganisationen ausgesetzt, da es einschränken würde, was gesendet werden darf, z. B. durch Bestimmungen gegen Programme, die „den Interessen der Regierung zuwiderlaufen“, oder die die „nationale Sicherheit behindern“ könnten. 4.3 Vorgeschlagene Gesetze Es ist besorgniserregend, dass bangladeschische Behörden seit 2013 weitere Gesetze zusätzlich zu schon bestehenden vorgeschlagen haben, die, falls sie umgesetzt werden, der Meinungsfreiheit weitere Einschränkungen auferlegen würden. Digital Security (DS) Act 2016 Der Entwurf des Digital Security (DS) Act wurde erstmalig 2015 als Entwurf des Cyber Secutity Act eingeführt, erhielt aber 2016 den gegenwärtigen Namen, als eine überarbeitete Version vorgestellt wurde. Nach Aussage der Regierung wurde es vorgeschlagen, um die Möglichkeit der Behörden zu stärken, mit Internet-Verbrechen umzugehen und die nationale Sicherheit zu schützen192. Das DS Act würde eine neue digitale Sicherheitsagentur etablieren mit der Aufgabe, „die Zwecke des Gesetzes zu erfüllen“, unter Vorsitz eines Generaldirektors, der direkt von der Regierung ernannt würde. Obwohl der Entwurf des DS Act vom Kabinett am 22. August 2016 genehmigt wurde, muss es noch als Gesetz erlassen werden. Es traf auf starken Widerstand von Medientätigen und Menschenrechtsanwälten und -anwältinnen n Bangladesch, die fürchten, es könnte benutzt werden, legitime Kritik und die öffentliche Debatte im Internet zu unterdrücken. Bis zum März 2017 war unklar, wann das Gesetz im Parlament zur Abstimmung kommen würde. Vier Bestimmungen des ICT Act – §§ 54–57 – sollen vom ICT Act entfernt und in das neue Gesetz eingearbeitet werden. In Interviews mit den Medien haben Regierungsvertreter stillschweigend die Kritik v.a. gegen § 57 des ICT Act anerkannt und behauptet, diese Vergehen würden in dem neuen Gesetz klarer definiert werden. Im Januar 2016 stellte Justizminister Anisul Huq ausdrücklich fest, dass das neue Gesetz gegenüber Journalisten nicht „unfair“ sein würde193. Während es begrüßt wird, dass die Regierung offensichtlich auf Kritik am ICT Act eingeht, fügt das vorgeschlagene DS Act tatsächlich der Meinungsfreiheit im Internet weitere Einschränkungen hinzu. Der Gesetzesentwurf enthält eine Sprache, die in besorgniserregender Weise dem § 57 des ICT Act ähnelt, wobei nur das Strafmaß unterschiedlich ist. Es stellt fest, dass jemand, der online etwas publiziert, das „jemanden sozial verletzt oder beleidigt“ oder „das religiöse Gefühl anderer verletzt“, mit zwei Jahren Gefängnis bestraft werden könnte, einer Geldstrafe von 200.000 Taka (ca. US $ 2.400) oder beidem194. Jeder, der für schuldig befunden wurde, „Feindschaft zwischen den

192 The Independent, "Digital Security Act awaits approval from law ministry", 26. Dezember 2016, verfügbar unter: http:// www.theindependentbd.com/arcprint/details/73948/2016-12-26. 193 Deutsche Welle, "Concerns mount as Bangladesh plans new anti-cybercrime law", 13. Januar 2016, verfügbar unter: http://www.dw.com/en/concerns-mount-as-bangladesh-plans-new-anti-cybercrime-law/a-18975791. 194 Die Strafe für ein Vergehen unter dem ICT Act ist gegenwärtig mindestens sieben und höchstens 14 Jahre Haft, eine Geldstrafe oder beides.

58 verschiedenen Klassen des Volkes geschaffen“ oder „Recht und Ordnung verschlechtert zu haben“ durch etwas, das er veröffentlicht hat, könnte mit sieben Jahren Haft oder einer Geldstrafe von 700.000 Taka (ca. US $ 8.400) bestraft werden. Wie § 57 des ICT Act kriminalisiert solch vage und weitgefasste Sprache legitime Äußerungsäußerungen und erlaubt eine willkürliche und missbräuchliche Anwendung des Gesetzes. Das DS Act enthält auch Bestimmungen gegen die „Verbreitung von Propaganda“ oder die Verbreitung falscher Informationen über den Befreiungskrieg oder Sheikh Mujibur Rahman. Das könnte mit lebenslanger Haft bestraft werden, einer Geldstrafe von bis zu 20 Mio. Taka (ca. US $ 127.000) oder beidem. Der Gesetzesentwurf definiert jedoch nicht, was solche „Propaganda“ bedeutet. Das könnte, wie beim Liberation War Denial Crimes Act (s. u.) von den Behörden dazu benutzt werden, jeden anzugreifen, der die offiziellen Narrative der Regierung über die Ereignisse des Unabhängigkeitskrieges in Frage stellt, und eine öffentliche Debatte über die Frage unterdrücken. Des Weiteren macht es Abschnitt 13 zu einem Vergehen, eine Handlung zu begehen, die „die Beziehung Bangladeschs mit anderen Ländern schädigt“ oder „die nachteilig für die Außenpolitik Bangladeschs ist“. Solch unspezifische Sprache kann leicht von den Behörden gegen jene missbraucht werden, die z. B. Geschäfts- oder Entwicklungsprojekte in Bangladesch kritisieren, in die ausländische Regierungen oder Firmen involviert sind, oder die Proteste bei Besuchen ausländischer Staatsführer abhalten. Ein Anwalt am Supreme Court sagte: „Wie beim ICT Act fürchten wir, dieses Gesetz könnte sich zu einem Unterdrückungsgesetz wandeln. […] Das vorgeschlagene Gesetz gibt den Spielraum, die Stimme des Volkes zum Schweigen zu bringen. Definitionen, die darin gegeben werden, sind nicht spezifisch, und viele Unterdrückungsmaßnahmen wurden unter dem weiten Schirm der nationalen Sicherheit gerechtfertigt“195. Ähnlich bemerkte die NGO Artikel 19 in einer ausgedehnten Analyse des Gesetzesentwurfs im Mai 2016, dass das Gesetz „mehrere weit gefasste Redevergehen mit harten Strafen enthält, die einen ernsthaften abschreckenden Effekt auf das Recht auf Meinungsfreiheit im Internet haben könnten“196.

„Wie beim ICT Act fürchten wir, dieses Gesetz könnte sich zu einem Unterdrückungsgesetz wandeln. […] Das vorgeschlagene Gesetz gibt den Spielraum, die Stimme des Volkes zum Schweigen zu bringen. Definitionen, die darin gegeben werden, sind nicht spezifisch, und viele Unterdrückungsmaßnahmen wurden unter dem weiten Schirm der nationalen Sicherheit gerechtfertigt“.

Ein Anwalt des Supreme Court

Liberation War Denial Crimes Act 2016 Der Entwurf des Liberation War Denial Crimes Act, der 2016 eingebracht wurde und gegenwärtig vom Justizministerium geprüft wird, versucht, die öffentliche Debatte über den Unabhängigkeitskrieg von 1971 zu kontrollieren und einzuschränken. Das Gesetz hätte einen stark 195 The Bangladesh Chronicle, "Digital Security Act, 2016", 28. Oktober 2016, verfügbar unter: http://bangladesh chronicle.net/2016/10/digital-security-act-2016/. 196 Article 19, Bangladesh: Draft Digital Security Act, 11. Mai 2016, verfügbar unter: https://www.article! 9.org/resources.php/ resource/38368/en/bangladesh:-d raft-digital-security-act.

59 negativen Einfluss auf die öffentliche Debatte zu diesem Thema und würde den Verpflichtungen Bangladeschs zuwiderlaufen, das Recht auf Meinungsfreiheit aufrechtzuerhalten, einschließlich des Rechts, Informationen und Ideen aller Art zu suchen, zu erhalten und zu teilen. Das Gesetz in der jetzigen Form kriminalisiert sowohl jede Leugnung der Ereignisse von 1971 als auch jede Behauptung, die dem offiziellen Narrativ der Regierung über diese Ereignisse widerspricht (s. Hintergrund: Der politische Kontext, S. 11). Nach Artikel 4 des Gesetzesentwurfs kann eine große Bandbreite von Handlungen bestraft werden. Dies schließt jeden ein, der • Ereignisse „leugnet“, die der Vorbereitung des Befreiungskrieges dienten (obwohl der Artikel nicht den Zeitrahmen spezifiziert oder auf welche Ereignisse sich dies genau bezieht); • „bösartige Erklärungen in irgendeinem heimischen oder ausländischen Medium [abgibt], die irgendwelche Ereignisse untergraben, die Bezug zum Befreiungskrieg haben“; • irgendeine Regierungspublikation, die bisher über die Geschichte des Befreiungskrieges veröffentlicht wurde, „falsch wiedergibt“ oder „entwertet“; • die Geschichte des Befreiungskrieges „ungenau oder mit Halbwahrheiten“ in Textbüchern oder anderen Medien wiedergibt; • irgendeine Information mit Bezug zu denen, die kämpften oder Opfer von Menschenrechtsvergehen während des Befreiungskrieges waren, „trivialisiert“ oder • sich über irgendein Ereignis, eine Information oder Angaben über den Befreiungskrieg lustig macht. Artikel 4(j) kriminalisiert auch das „Infragestellen oder das Verbreiten falscher Propaganda über die Gerichtsverfahren, die sich mit den Verbrechen befassen“, die während des Befreiungskrieges verübt wurden. Dieser Wortlaut könnte so interpretiert werden, als würde er jede Kritik über die Fairness der Verfahren vor dem International Crimes Tribunal ausschließen. Viele Organisationen, darunter Amnesty International und die UN, haben starke Bedenken gegenüber der Fairness im Verfahrensablauf des Tribunals erhoben, Bedenken, die nicht aufgenommen wurden197. Jeder, der ein Vergehen nach diesem Gesetz begeht, könnte zu einer Gefängnisstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren verurteilt werden, außerdem zu einer Geldstrafe von bis zu 10.000.000 Taka (ca. US $ 128.000). Wiederholungstäter könnten zur doppelten Strafe verurteilt werden, die sie beim ersten Urteil erhalten haben, und diejenigen, die wegen mehr als eines Verbrechens verurteilt wurden, werden mit aufeinander folgenden Strafen belegt (d. h., die Strafen müssen eine nach der anderen abgegolten werden). Der Entwurf bezieht sich in zahlreichen Fällen auf „Fakten“, die sich auf den Unabhängigkeitskrieg beziehen, aber nirgendwo in dem Text sind diese „Fakten“ definiert, was den Behörden einen weiten Spielraum darüber gibt, wer oder welche Äußerungen bestraft werden könnten. Der Gesetzentwurf könnte den Behörden erlauben, Strafanzeigen gegen jene anzustrengen, die an Forschung, Kommentierung oder Debatten über die Ereignisse teilnehmen, die zum Unabhängigkeitskrieg führten oder währenddessen stattfanden; oder gegen die Personen, die die offizielle Version der im Amt befindlichen Regierung zu den Ereignissen von 1971 in Frage stellen. Das vorgeschlagene Gesetz würde die Verhaftung von Menschen einzig wegen der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinung und Meinungsäußerung ermöglichen. Der Text, wie er im Entwurf vorgeschlagen wurde, kann nicht so interpretiert werden, als falle er unter die Einschränkungen der Meinungsfreiheit, die vom IPBPR erlaubt sind. Insbesondere hat das UN-Menschenrechtskomitee betont, dass Gesetze, „die die Meinungsäußerung über historische Fakten bestrafen, nicht mit den Verpflichtungen kompatibel sind, die der Pakt den Mitgliedsstaaten 197 S. z.B. Amnesty International, "Bangladeshi political leader executed: Motiur Rahman Nizami", 24. Mai 2016, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/asal3/4098/2016/en/; und "Bangladesh: Two opposition leaders face imminent execution after serious flaws in their trials and appeals", 27. Oktober 2015, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/latest/news/2015/10/bangladesh-imminent-executions/.

60 auferlegt in Bezug auf den Respekt vor der Gedanken- und Meinungsfreiheit [und] der Pakt erlaubt nicht das generelle Verbot der Äußerung einer fehlerhaften Meinung oder einer unkorrekten Interpretation vergangener Ereignisse“.

61 5. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN „Das organisierte Zielen auf kritische Stimmen hat den Zweck, eine Kultur des Schweigens und der Angst hervorzubringen und betrifft die Gesellschaft als ganze. […] Die bangladeschischen Behörden müssen nicht nur fortfahren, diese abscheulichen Akte gegen die Meinungsfreiheit stark zu verurteilen, sondern sie sollten auch sicherstellen, dass auf ihre Worte effektivere Anstrengungen folgen, um eine größere Verantwortlichkeit sicherzustellen und diese Art von Gewalt zu verhindern.“

Gemeinsame Erklärung der UN-Sonderberichterstatter zu Meinungsfreiheit, David Kaye, und zu Extralegalen Hinrichtungen, Christof Heyns, nach dem Mord an Niloy Neel, 7. August 2015198.

Am 20. Oktober 2016 nahm Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina an einer Zeremonie außerhalb des National Press Club in Dhaka teil, wo sie den Grundstein für einen neuen Bangabandhu Media Complex legte. Das neue 31-stöckige Gebäude – benannt nach dem Vater von Sheikh Hasina, Sheikh Mujibur Rahman, der liebevoll „Bangabandhu“ („Freund von Bengalen“) genannt wird – wird ein spezielles Medienmuseum, ein Kino und ein Gästehaus haben, das von Medientätigen und der allgemeinen Öffentlichkeit benutzt werden sollen. Während ihrer Rede bei der Zeremonie benutzte sie folgende Wortwahl für den Mediensektor des Landes: „Es kann nicht sein, dass wir Einrichtungen benutzen, aber nicht unsere Pflicht tun. Es gibt eine Verantwortung gegenüber dem Land, Sie müssen das leisten.“ Als sie nach Berichten gefragt wurde, dass Medieneinschränkungen zunehmen würden, sagte Sheikh Hasina: „Als Antwort sage ich ihnen, wenn es keine Pressefreiheit gibt, wie haben sie dann die Möglichkeit zu sprechen und wie können sie solchen Vermutungen äußern?“ Sie fügte hinzu: „In Bangladesch gibt es derzeit genug Freiheit für den Journalismus“199. Die Bemerkungen der Premierministerin, die zu unterstellen scheinen, dass Journalisten nicht ihre Pflicht erfüllen, wenn sie über unklare „Vermutungen“ gegen die Regierung berichten, sind sehr beunruhigend. Seit 2014 haben Behörden in Bangladesch in zunehmendem Maße Schritte unternommen, die Arbeit des Mediensektors einzuschränken und kritische Berichterstattung mit kriminellen Akten gleichzustellen. Wie in diesem Bericht dokumentiert, sahen sich eine Reihe von Journalisten politisch motivierten Klagen gegenüber, lediglich weil sie ihr Rechte auf Meinungsfreiheit wahrgenommen haben, während die Regierung sich auf eine Bandbreite anderer Taktiken verlassen hat – einschließlich Drohungen und Einschüchterungen und die willkürliche

Schließung von ganzen Firmen – um kritische Reportagen zu ersticken. Viele der bangladeschischen Medien bleiben lebendig und sorgfältig in ihrer Berichterstattung, aber Journalisten führen ihre Arbeit mehr und mehr unter Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der Behörden aus. 198 UNOHCHR, "Bangladesh: UN experts condemn killing of blogger Niloy Neel, a strong critic of extremism", 7. August 2015, verfügbar unter: http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx? NewslD=16301&LanglD=E. 199 New Age, "Enough freedom; perform your duties, PM to journalists", 20. Oktober 2016, verfügbar unter: http://www.newagebd.net/article/1131/enough-freedom-perform-your-duties-pm-to-journalists.

62 Der Angriff auf die Meinungsfreiheit geht über den Mediensektor hinaus und hat viele andere Gruppen in der Gesellschaft getroffen. Die Zivilgesellschaft sieht sich wachsenden Einschränkungen in ihrer Arbeit gegenüber, wie aus der Verabschiedung des Foreign Donations (Voluntary Activities) Regulation Act im Oktober 2016 hervorgeht. Säkulare Aktivisten und andere, die Opfer physischer Angriffe und Todesdrohungen von bewaffneten Gruppen wurden, sollten in der Lage sein, bei den Behörden um Unterstützung und Schutz zu bitten. Stattdessen war in den Interviews mit Amnesty International ein wiederkehrendes Thema, dass sie sich gefangen fühlten zwischen bewaffneten Gruppen auf der einen Seite, die ihre Kameraden getötet hatten und drohten, es wieder zu tun, und einer Regierung auf der anderen Seite, die ihrem Leid gegenüber gleichgültig ist oder versuchte, ihre friedlichen Schriften zu kriminalisieren. Wenn bangladeschische Behörden bezüglich ihrer Menschenrechtsprobleme befragt werden, weisen sie oft auf ihre eindrucksvolle ökonomische Verbesserung in den letzten Jahren hin – das Land hat sich seit 2012 eines stetigen Wachstums des BIP von ca. 6,5 % erfreut200. Das „Bangladesch-Modell“ wird häufig international als ein Beispiel für sich entwickelnde Staaten hochgehalten, und das Land hat bedeutende Fortschritte bei der Reduzierung extremer Armut seit den frühen 1990er Jahren gemacht201. Diskriminierung gegen Frauen und Mädchen bleibt ein großes Problem202, obwohl zur gleichen Zeit der Global Gender Gap Report des World Economic Forum zeigt, dass Bangladesch seine südasiatischen Nachbarn in den beiden letzten Jahren überflügelt hat203. Aber die Behörden dürfen nicht auf positive wirtschaftliche Indikatoren deuten, um die Aufmerksamkeit von den Einschränkungen oder Verletzungen der Menschenrechte abzulenken. Bangladesch wird seinen Verpflichtungen in einer Reihe von Feldern nicht gerecht, die Menschenrechte zu respektieren und zu schützen, und es wird eine starke und lebendige Zivilgesellschaft, den Mediensektor und die Gemeinschaft von Aktivisten brauchen, um dieses anzugehen. Amnesty International drängt die bangladeschischen Behörden, sofortige Schritte zu unternehmen, um den alarmierenden Rückschritt bei der Meinungsfreiheit seit 2013 anzuhalten, der in diesem Bericht dokumentiert wurde. Die Regierung sollte ihrer Verpflichtung gerecht werden, das Recht auf Meinungsfreiheit zu respektieren, zu schützen und zu erfüllen und insbesondere daran arbeiten, ein Umfeld zu schaffen, in dem Aktivisten und Journalisten ihrer Arbeit ohne Furcht vor Repressalien nachgehen können, egal ob von Staatsbediensteten oder von nichtstaatlichen Akteuren, einschließlich bewaffneter Gruppen.

200 Trading Economics, Bangladesh GDP Growth Rate, verfügbar unter: http://www.Tradingeconomics.Com/bangla- desh/gdp-growth. 201 Speech by Jim Yong Kim, World Bank Group President, "Learning from Bangladesh's journey toward ending poverty", 17. Oktober 2016, verfügbar unter: http://www.worldbank.org/en/news/speech/2016/10/17/learning-bangladesh-journey-toward-end ing-poverty. 202 UN Human Rights Committee, "Concluding observations on the initial report of Bangladesh", adopted by the Committee at its 119th session (6 - 29 March 2017), UN Doc: CCPR/C/BGD/CO/1, verfügbar unter: http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/SessionDetailsl.aspx?SessionlD=1116&Lang=en. 203 World Economic Forum, The Global Gender Gap Report 2016, verfügbar unter: http://reports.weforum.org/global- gender-gap-report-2016/.

63 EMPFEHLUNGEN AN DIE REGIERUNG VON BANGLADESCH

Strafanzeigen gegen und Inhaftierungen von Journalisten, Bloggern und anderen • Lassen Sie sofort und bedingungslos alle die frei, die lediglich wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind und lassen Sie laufende Klagen gegen die fallen, die Strafverfahren entgegensehen, weil sie lediglich friedlich diese Rechte ausgeübt haben. Löschen Sie die Strafregister aller, die lediglich für die friedliche Ausübung ihrer Rechte verurteilt wurden. • Stellen Sie sicher, dass alle, die freigelassen werden, effektiv in der Lage sind, ihr Recht auf Wiedergutmachung in Einklang mit internationalem Recht wahrzunehmen, und dass ihnen angemessene Entschädigungen angeboten werden. • Beenden Sie die Praxis, Strafanzeigen gegen die zu erheben, die lediglich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben. • Stellen Sie sicher, dass alle Personen, die verhaftet oder inhaftiert wurden, schnellstmöglich wegen eines international anerkannten Vergehens angeklagt oder ansonsten freigelassen werden und vom Beginn ihrer Haft an Zugang zu anwaltlicher Beratung ihrer Wahl haben, wie es durch internationale Rechtsstandards gefordert wird. • Stellen Sie sicher, dass alle Inhaftierten und Gefangenen jederzeit – in Einklang mit internationalem Recht und Standards – Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung erhalten, und dass Gefangenen so bald wie möglich nach Einlieferung in eine Haftanstalt eine unabhängige medizinische Untersuchung angeboten wird. Gesetzliches Rahmenwerk • Widerrufen oder überarbeiten Sie alle Gesetze, die das Recht auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigung verletzen, insbesondere: die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, die sich auf Verleumdung und Aufruhr beziehen; den Information Communication Technology (ICT) Act; und den Foreign Donations (Voluntary Acitivities) Regulation Act um sicherzustellen, dass diese und andere Gesetze internationalem Recht und Standards genügen. Stellen Sie sicher, dass niemand aufgrund dieser Bestimmungen verhaftet oder inhaftiert wird, es sei denn, diese Gesetze werden widerrufen oder geändert. • Stellen Sie sicher, dass Gesetzesvorhaben, die gegenwärtig im Gesetzgebungsverfahren stehen, so geändert werden, dass sie internationalem Recht und Standards genügen. Insbesondere der Entwurf des Digital Security Act und das Liberation War Denial Crimes Act in ihrer gegenwärtigen Form erlegen dem Recht auf Freiheit der Meinung ungesetzliche Einschränkungen auf und sollten substantiell überarbeitet werden. • Unternehmen sie alle notwendigen legislativen, administrativen und andere Maßnahmen, einschließlich des effektiven Menschenrechtstrainings für Richter, Staatsanwälte und andere

64 Beamte, um sicherzustellen, dass die Führung aller Strafverfahren vollständig dem internationalen Recht und Standards hinsichtlich fairer Verfahren entspricht. Schutz für säkulare Aktivisten und andere • Stellen sie den adäquaten Schutz säkularer und anderer Aktivisten und ihrer Familien sicher, die sich Drohungen und Angriffen wegen ihrer legitimen Aktivitäten gegenüber sehen, wobei ihre Unabhängigkeit gewährleistet sein muss. • Unternehmen Sie effektive Schritte um sicherzustellen, dass nichtstaatliche Akteure, die Gewalt gegen säkulare Aktivisten und andere angewandt haben, vor Gericht gebracht werden, und zwar in Verfahren, die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren genügen, ohne auf die Todesstrafe zurückzugreifen. • Stellen Sie sicher, dass Polizeibeamte angemessen trainiert und ausgebildet werden um sicherzustellen, dass Berichte über Schikanen, Angriffe und Todesdrohungen gegen Aktivisten angenommen und bearbeitet werden. • Untersuchen Sie Berichte über Polizeibeamte, die Aktivisten schikaniert oder mit Strafanzeigen gedroht haben sollen, als diese an die Polizei herantraten, um Drohungen anzuzeigen. • Verurteilen Sie einhellig Angriffe bewaffneter Gruppen auf säkulare und andere Aktivisten ohne zu unterstellen, dass deren friedliche Schriften oder andere Aktivitäten als Rechtfertigung für solche Angriffe dienen könnten. Der Mediensektor • Verpflichten Sie sich öffentlich sicherzustellen, dass Journalisten und andere Medientätige in der Lage sind, friedlich journalistische Aktivitäten auszuüben, ohne Angst vor Überwachung, Einschüchterung, Verhaftung, Strafverfolgung oder Vergeltung, und stellen Sie einen effektiven Schutz für das Leben und die persönliche Integrität von Journalisten und Medientätige sicher, auch gegen Angriffe oder Drohungen, die von nicht-staatlichen Gruppen ausgehen. Internationale Organisationen • Sprechen Sie eine Einladung an den UN-Sonderberichterstatter für Glaubens- und Meinungsfreiheit aus, eine Untersuchungsmission in Bangladesch durchzuführen. Der Berichterstatter sollte freien und ungehinderten Zugang zu allen Teilen des Landes erhalten und die Freiheit, ein weites Spektrum von Akteuren zu treffen, einschließlich aus politischen Gründen Inhaftierte und Häftlinge, ihre Familien und Vertreter, zusätzlich zu Regierungsbeamten, Offizieren der Ordnungskräfte und Justizbeamten. • Ratifizieren Sie das Erste Optionale Protokoll zum IPBPR, um es Einzelpersonen zu ermöglichen, Beschwerden wegen der Verletzung der Rechte, die in dem Pakt niedergelegt sind, vor das Menschenrechtskomitee zu bringen.

65 EMPFEHLUNGEN AN ANDERE REGIERUNGEN, INSBESONDERE CHINA, INDIEN, DIE USA UND DIE EU-STAATEN

• Rufen Sie öffentlich die Regierung von Bangladesch auf, alle Personen sofort und bedingungslos freizulassen, die ihres Rechts auf Freiheit nur beraubt wurden, weil sie friedlich ihr Recht auf Meinungsfreiheit ausgeübt haben, und alle politisch motivierten Klagen gegen Journalisten und andere Medientätige fallenzulassen, ebenso gegen säkulare und andere Aktivisten. • Rufen Sie öffentlich die Regierung von Bangladesch auf sicherzustellen, dass Journalisten und Medientätige friedlich ihrer Arbeit nachgehen können, ohne Furcht vor Einschüchterung, Verhaftung, Verfolgung und Vergeltung durch die Behörden. • Drängen Sie öffentlich die Regierung von Bangladesch, alle Gesetze, die das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzen, zurückzurufen oder zu überarbeiten und zu ändern. • Benutzen Sie alle relevanten UN- und EU-Mechanismen, um die bangladeschischen Behörden zu drängen, alle Gesetze zurückzurufen oder zu ändern, die Bangladeschs internationalen Verpflichtungen zuwiderlaufen, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu respektieren und zu schützen, und sicherzustellen, dass alle Gesetze, die in Zukunft erlassen werden, im Einklang mit internationalem Menschenrecht und -standards stehen. • China, Indien, die EU und ihre Mitgliedsstaaten, die USA und alle anderen Staaten müssen sicherstellen, dass jedes Training oder Kooperation mit Bezug zum Strafrechtssektor in Bangladesch, einschließlich Polizei- und andere Ordnungskräfte, eine deutliche Menschenrechtskomponente enthält, insbesondere in Bezug auf ihre besondere Rolle bei der Bearbeitung von Anzeigen von säkularen Aktivisten und anderen aufgrund von Drohungen.

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