„ICH BIN NICHT RADIKAL, SONDERN ANALYTISCH“ ANALYSE DER SARRAZIN-DEBATTE ANLÄSSLICH DEUTSCHLAND SCHAFFT SICH AB

Noortje Nieuweboer Studentnummer: 10769706 Universiteit van Amsterdam Masterscriptie Duitslandstudies Begeleider: Dr. Willem Melching Tweede lezer: Dr. Moritz Föllmer 30/12/2018

Inhalt 1. Die Sarrazin-Debatte – Einleitung ...... 2 2. Ursprung der Debatte...... 4 2.1 Thilo Sarrazin ...... 4 Parteiordnungsverfahren ...... 5 Veröffentlichung Deutschland schafft sich ab und andere Bücher Sarrazins ...... 5 2.2 Deutschland schafft sich ab ...... 6 Kapitel 1 ...... 7 Kapitel 2 ...... 8 Kapitel 3 ...... 8 Kapitel 4 ...... 11 Kapitel 5 ...... 12 Kapitel 6 ...... 12 Kapitel 7 ...... 12 Kapitel 8 ...... 13 Kapitel 9 ...... 14 2.3 Rezensionen Deutschland schafft sich ab ...... 14 3. Verlauf der Debatte ...... 17 3.1 Diskurs der multikulturelle Gesellschaft und der Integrationsdebatte ...... 17 Politik ...... 18 Reflektion auf der Debatte ...... 20 Der Analytiker Sarrazin ...... 22 3.2 Kritik auf Verlauf der Debatte ...... 23 Debatte muss anders ...... 23 Teilnehmer der Debatte ...... 24 Muslimifizierung ...... 24 Öffentliche Diskussion unmöglich ...... 26 3.3 Meinungsfreiheit ...... 27 3.4 Tabus ...... 29 Enttabuisierung ...... 29 Genetische Argumente ...... 30 Das Judengen ...... 31 3.5 Reaktion Sarrazin ...... 33 4. Konklusion ...... 35 Literaturliste ...... 37

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1. Die Sarrazin-Debatte – Einleitung Im Sommer 2018 erschien Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht1, ein Buch von Thilo Sarrazin, das schon wieder ein Bestseller wurde. Sein erster großer Bestseller war das 2010 erschienene Buch Deutschland schafft sich ab, das sofort eine weitläufige Diskussion auslöste. Deutschland schafft sich ab wurde vom Anfang an durch manche als kontrovers betrachtet. Sarrazin behauptet in dem Buch, dass durch Zuwanderung aus muslimischen Ländern in Kombination mit sinkenden Geburtenraten in Deutschland, die deutsche Identität verloren gehen wird und, dass der durchschnittliche IQ in Deutschland senken wird. Bundeskanzlerin reagierte in einem Interview auf Deutschland schafft sich ab, das sie nach eigenen Angaben nicht gelesen hat:

Ich kann die Äußerungen nicht akzeptieren. Sie wirken ausgrenzend. Ganze Gruppen in unserer Gesellschaft fühlen sich dadurch verletzt. Das Thema Integration ist eines der wichtigsten unserer Zeit. Wir müssen es sachlich diskutieren und dürfen nicht Abneigung und Widerwillen wecken. Das erschwert die Integration anstatt sie zu fördern.2

Auf der Frage, ob Deutschland durch Türken und Muslime „dümmer“ wird, antwortete sie, dass sie das für „Unsinn“ haltet. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat Deutschland sich politisch, ökonomisch und historisch entwickelt. Seit der Wirtschaftskrise ab 2008 wurde deutlich, dass Deutschland die treibende ökonomische Kraft Europas ist. Auch der Umgang mit der eigenen Geschichte entwickelte sich, Deutschland wurde selbstsicherer. Wie in anderen Ländern, wird heute auch in Deutschland versucht, Themen wie Migration, Integration und kulturelle Identität in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Auch in Deutschland ist eine Drehung der Diskussion wahr zu nehmen: Nationalismus, Ethnozentrismus und sogar Genetik wurden dabei nicht vermieden. Viele Deutsche ärgern sich an der sogenannten 'politischen Korrektheit' und auch, immer an der Vergangenheit erinnert zu werden. Gleichzeitig weisen manche anderen gerade auf der Vergangenheit und verurteilen die neue Richtung die diese Debatten gehen. Deutschland hat eine Geschichte bezüglich öffentlicher Debatten rund der Identität und Geschichte Deutschlands. Es gab zum Beispiel die Historikerstreit in den achtziger Jahren über der Rolle und Bedeutung der Holocaust in der Geschichte. Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhundert wurde die Leitkultur-Debatte geführt, und auch danach wurde das Begriff 'Leitkultur' ab und zu wieder erneut diskutiert. Da das Buch Sarrazins 2010 erschienen ist, muss man berücksichtigen, dass es damals noch keine erfolgreiche sehr rechte Partei in Deutschland gab, die Partei Alternative für Deutschland war damals noch nicht im . Der Höhepunkt der Flüchtlingskrise oder der Fluchtbewegung aus Syrien und viele andere Länder hatten auch noch nicht stattgefunden. Ich werde die erste Sarrazin-Debatte, anlässlich die Publikation von Deutschland schafft sich ab im Sommer 2010, analysieren. Gilt Deutschland schafft sich ab als enttabuisierend oder zeigen die vielen kritischen Reaktionen, dass man in Deutschland immer noch nicht alles sagen kann? Die krampfhafte politische Korrektheit, die es wegen der Geschichte in Deutschland gibt, wird heute kritisiert. Ändert sich der deutsche Diskurs bezüglich der Multikulti-Gesellschaft jetzt?

1 Sarrazin, Thilo: Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht. München: FinanzBuch Verlag 2018. 2 Külahci, Ahmet: Erfolgreiche Integration ist Bereicherung für unser Land. Interview mit Angela Merkel. Original in: Hürriyet. URL: https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/suche/erfolgreiche-integration-ist-bereicherung- fuer-unser-land-647916 (03/09/2010, abgerufen am 13/12/2018). 2

In dieser Analyse werde ich zuerst die wichtigsten Punkte aus Deutschland schafft sich ab zusammenfassen. Damit wird dann später deutlich auf welchen Punkte in der Debatte meist reagiert wurde, und auf welche kaum oder nicht. Dann werde ich die Debatte analysieren, anhand eines ausgewählten Teils der Reaktionen. Hierfür werde ich unter anderem zwei Bände benutzten: Sarrazin: eine Deutsche Debatte3 und Die Sarrazin Debatte4, worin Kolumne, Interviews, Artikeln usw. mit Bezug auf Deutschland schafft sich ab gebündelt sind. Ich werde versuchen diese Reaktionen einzuordnen, um so zu suchen nach möglichen Strömungen innerhalb der Debatte. Was sind die Schwerpunkte der Debatte, wer sind die Teilnehmer und was sind ihre Argumente?

3 Abdel-Samad, Hamas; Aly, Götz; Bax, Daniel; u.a.: Sarrazin. Eine Deutsche Debatte. München: Piper 2010. 4 Schwarz, Patrik (Hrsg.): Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation und die Antworten. Hamburg: Edel Germany 2010. 3

2. Ursprung der Debatte Ab und zu entwickelt sich eine weitverbreitete Debatte in Deutschland. Diesmal war es der riesen Bestseller Deutschland schafft sich ab der dazu geleitet hat. Dadurch lässt es sich fragen, wieso es genau dieses Buch war von diesem Autor, das so viele Reaktionen aufgeweckt hat. In diesem Kapitel wird der Kontext gegeben, worin die Debatte entstand und werden Hintergründe über dem Autor und die wichtigste Thesen aus dem Buch gegeben.

2.1 Thilo Sarrazin Thilo Sarrazin, 1945 geboren in Thüringen, ist der Autor von Deutschland schafft sich ab. Der auffallende Nachname 'Sarrazin' stammt väterlicherseits von den französischen Hugenotten. Sarrazin studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Bonn. Er ist ein ehemaliger SPD-Politiker. In den siebziger Jahren trat er die Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei und ab dann hatte er verschiedene Funktionen im öffentlichen Dienst. Er arbeitete unter anderem als Redenschreiber, als Referatsleiter im Bundesfinanzministerium und als Staatssekretär im Ministerium für Finanzen in Rheinland-Pfalz. Später arbeitete er bei der Deutschen Bahn, war er Finanzsenator im Berliner Senat und war er bis 2010 Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Er blieb immer Mitglied der SPD. Seine lange Mitgliedschaft dieser progressiven, linken Partei scheint im Widerspruch zu stehen mit seinen heutigen Standpunkten. In 2009 kam Sarrazin zum ersten Mal ins Gerede durch Aussagen in einem Interview in der Berliner Kulturzeitschrift Lettre International:

Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate. […] Integration ist eine Leistung dessen, der sich integriert. Jemanden, der nichts tut, muss ich auch nicht anerkennen. Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in .5

Auf dieser Aussage bekam Sarrazin viel Kritik und er wurde von Rassismus beschuldigt. Auch Lettre International bekam Kritik, und wurde vorgeworfen, Sarrazin eine Bühne gegeben zu haben für seine rassistische Auffassungen. Der Herausgeber der Kulturzeitschrift, Frank Berberich, war damit nicht einverstanden. Er sagte, dass die Aufhebung durch andere Medien entstanden ist, die den Artikel skandalisiert haben. Das Interview mit Sarrazin war ein von vierzig Artikeln in der Ausgabe der Zeitschrift, eine Themanummer über Berlin: Berlin auf der Couch – Autoren und Künstler zu 20 Jahren Mauerfall, und es wurde auf keiner Weise hervorgehoben. Berberich nennt die Reaktion der Massenmedien „Dilettantismus, politisch-korrekte Phrasen, Irreführung, große Parolen“.6 Nach den Aussagen in dem Interview mit Lettre International stand die Position Sarrazins bei der Deutschen Bundesbank, wo er während des Interviews arbeitete, auf der Kippe. Doch konnte die Bank ihm nicht entlassen. Nach langem Drängen der Bundesbank trat er letztendlich zurück. Dabei bekam er finanzielle Vorteile bezüglich seiner Pension, was bei manche nicht auf guten Boden fiel. Zum Beispiel Stephan Kramer von dem Zentralrat der Juden Deutschlands sagte:

5 Berberich, Frank: Klasse statt Masse. Von der Hauptstadt der Transferleistungen zur Metropole der Eliten. In: Lettre International 86 (Herbst 2009) S. 197-201. URL: http://www.zukunftskinder.org/wp- content/uploads/2016/06/Thilo-Sarrazin-Klasse-statt-Masse.pdf (Abgerufen am 25/11/2018). 6 Hübner, Wendelin: Interview mit Frank Berberich: Dilettantismus, Phrasen, Irreführung, Parolen. In: Lettre International 26/09/2009. URL: http://web.archive.org/web/20091026052317/http://www.visdp.de/post/220739692/dilettantismus-phrasen- irrefuhrung-parolen. (Abgerufen am 06/07/2018). 4

Die Chance sei verpasst worden […] mit einem Rauswurf Sarrazins eine klare Linie zu ziehen, dass solcher Rassismus in unserer Gesellschaft nicht tolerierbar sei. Statt dessen gebe es nun einen faulen Kompromiss, der eine Schande für das ganze Land sei.7

Parteiordnungsverfahren Zwei Abteilungen der SPD, Kreisverbände Berlin-Spandau und Berlin Alt-Pankow, betrieben aus Anlass der Äußerungen Sarrazins in Lettre International ein Parteiordnungsverfahren. Die Abteilungen betrachteten die Äußerungen als rassistisch und unvereinbar mit den Werten der SPD. Mit einem Parteiordnungsverfahren kann ein Parteimitglied im äußersten Fall von der Partei ausgeschlossen werden. Das Verfahren wurde aber durch die Berliner SPD-Landesschiedskommission abgewiesen. Nachdem Deutschland schafft sich ab 2010 tatsächlich erschien, wurde ein neues Parteiordnungsvorfahren getrieben, diesmal durch den landesweiten SPD-Parteivorstand. Das Ziel war, Sarrazin von Mitgliedschaft der SPD auszuschließen. Sarrazin bekam aber von vielen SPD- Mitgliedern Unterstützung, und deshalb hielten Generalsekretärin Andrea Nahles und Parteivorsitzende es für notwendig, die Mitglieder der Partei mit einem Brief und mit Aussagen in den Medien davon zu überzeugen, es sei rechtmäßig Sarrazin von der SPD auszuschließen. In dem Brief Warum die SPD einen Thilo Sarrazin in ihren Reihen nicht dulden kann in Der Zeit sagte Gabriel:

Wem es bei der Botschaft "neues Leben nur aus erwünschten Gruppen" nicht kalt über den Rücken läuft, der hat wohl nichts begriffen. Thilo Sarrazin muss sich entscheiden, ob er dafür wirklich in Anspruch genommen werden will. Die SPD jedenfalls will sich damit nicht in Verbindung bringen lassen. Wer uns empfiehlt, diese Botschaft in unseren Reihen zu dulden, der fordert uns zur Aufgabe all dessen auf, was Sozialdemokratie ausmacht: unser Bild vom freien und zur Emanzipation fähigen Menschen. Und wer uns rät, doch Rücksicht auf die Wählerschaft zu nehmen, die Sarrazins Thesen (oder dem, was davon veröffentlicht wurde) zustimmt, der empfiehlt uns taktisches Verhalten dort, wo es um Grundsätze geht – und darüber jenen Opportunismus, der den Parteien sonst so häufig vorgeworfen wird.8

In dem Brief distanzierte Gabriel sich von Sarrazin und sprach auch die Mitglieder, die mit den Ideen Sarrazins einverstanden waren, an. Er sagt, die Prinzipien der Partei seihen ihn wichtiger als die Popularität der SPD unter der Wählerschaft. Sarrazin reagierte, dass seine Ideen nicht im Widerspruch mit den Statuten und Werten der Sozialdemokratische Partei Deutschlands stehen. Das Parteiordnungsverfahren scheiterte und das bedeutete eine Niederlage für den Parteivorstand der SPD.

Veröffentlichung Deutschland schafft sich ab und andere Bücher Sarrazins Das Interview in Lettre International hatte schon heftige Reaktionen verursacht. Nachdem 2010 Deutschland schafft sich ab tatsächlich als Buch erschien, brach eine lange Debatte aus. Das Buch

7 Kramer, Stephan: Sarrazin verlässt freiwillig die Bundesbank. „Das hält auf Dauer keiner durch“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (10/09/10). URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/2.1763/die- debatte/sarrazin-verlaesst-freiwillig-die-bundesbank-das-haelt-auf-dauer-keiner-durch-11041469.html (Abgerufen am 06/07/2018). 8 Gabriel, Sigmar: Welch hoffnungsloses Menschenbild! Warum die SPD einen Thilo Sarrazin in ihren Reihen nicht dulden kann. In: (16/09/10). URL: http://www.zeit.de/2010/38/SPD-Sigmar- Gabriel/komplettansicht (Abgerufen am 27/03/18). 5 wurde veröffentlicht von der Deutschen Verlags-Anstalt aus München. 21 Wochen lang war das Buch auf Nummer 1 auf -Bestsellerliste. Es wurden mehr als 1,5 Million Exemplare verkauft. 2012 veröffentlichte Sarrazin ein neues Buch: Europa braucht den Euro nicht - Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat.9 2014 reagierte Sarrazin mit seinem neuen Buch Der neue Tugendterror - Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland10 auf den Kontroversen und der Diskussion bezüglich Deutschland schafft sich ab. Er kritisierte die 'Politische Korrektheit' der deutschen Medien und die Begrenzung der Meinungsfreiheit die er in der Debatte bezüglich Deutschland schafft sich ab erfuhr. August 2018 erschien wieder ein neues Buch von Sarrazin: Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht. Darin fokussiert er auf den muslimischen Einwohnern Deutschlands und dem Islam an sich. Die Deutsche Verlags-Anstalt, die Teil der Verlagsgruppe Random House ist, und das seine andere Bücher, worunter Deutschlands schafft sich ab, publiziert hat, verweigerte sein neues Buch zu publizieren. Sarrazin klagte den Verlag hierauf an, wegen Rufschädigung. Schließlich ist das Buch von dem FinanzBuch Verlag der Münchner Verlagsgruppe publiziert worden und wieder ein Bestseller geworden.

2.2 Deutschland schafft sich ab Deutschland schafft sich ab, mit dem Untertitel Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, gehört zu einem der meist verkauften deutschen Sachbücher seit der deutschen Einheit in 1990. Das Buch ist eingeteilt in neun Kapiteln. Die inhaltlichen Kapitel sind eingerahmt in Kapitel über der Geschichte und Zukunft Deutschlands. Sarrazin fängt an mit einem Kapitel über der Geschichte und Entwicklung von Zivilisationen oder Gesellschaften. Das zweite Kapitel handelt von der erwarteten Zukunft Deutschlands anhand Daten der Demografie und Arbeitsproduktivität. Am Ende des Buches gibt es nochmals ein Kapitel über der Zukunft Deutschlands, jetzt aber nicht sosehr begründet mit Daten, sondern eher eine persönliche Vorstellung von zwei Szenarien die es Sarrazin zufolge in der Zukunft Deutschlands geben könnte. Er stellt sich Deutschland in 100 Jahren vor: das eine Szenario ist sein Traum, das andere sein Alptraum. Die zwischenliegenden Kapitel haben unterschiedliche Themen, die in den Titeln deutlich formuliert werden: Armut und Ungleichheit, Arbeit und Politik, Bildung und Gerechtigkeit, Zuwanderung und Integration und Demografie und Bevölkerungspolitik. In diesen Kapiteln gibt es viele wissenschaftliche Begründungen in Form von Tabellen und Grafiken. Im Folgenden werden die wichtigste Punkte aus dem Buch hervorgehoben, so dass deutlich wird worauf genau in den folgenden Kapitel reagiert wird oder nicht reagiert wird. In der Einleitung erklärt Sarrazin gleich den Titel: „Deutschland sei nur Deutschland durch ihre Einwohner. Die Geburtsrate dieser Einwohner ist aber nur 0,7, und damit schaffen die Deutschen sich ab.“11 Die niedrige Geburtenrate sind aber noch nicht das Schlimmste. „Es würde vielleicht gehen, wären da nicht die qualitativen demografischen Verschiebungen jenseits der schieren Nettoreproduktionsrate sowie die Armutsmigration und der Bevölkerungsdruck über Grenzen hinweg.“12 Das Buch handelt sich darum, warum das so ist und was man dagegen machen kann. Sarrazin geht auch ein auf dem öffentlichen Diskurs bezüglich Themen der Migranten und Integration. Wer Kritik äußert, wird nicht im Ernst genommen. Er nennt in der Einleitung schon ganz konkret was man in Deutschland ihn zufolge nicht sagen darf:

9 Sarrazin, Thilo: Europa braucht den Euro nicht. Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat. München: DVA 2012. 10 Sarrazin, Thilo: Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. München: DVA 2014. 11Sarrazin, Thilo: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. München: DVA 2010. S. 8. 12 Ebd., S. 8. 6

Über die Folgen des Geburtenrückgangs durfte man Jahrzehnte überhaupt nichts sagen, wenn man nicht unter völkische Ideologieverdacht geraten wollte.13

Die sozialen Belastungen einer ungesteuerten Migration waren stets tabu, und schon gar nicht durfte man darüber reden, dass Menschen unterschiedlich sind. […] und das noch so viel Bildung und Chancengleichheit daran nichts ändert. Da diese Grundsachverhalt geleugnet wurde, war jeder Diskussion über zahlreichen Fehlsteuerungen des Sozialstaats der Boden entzogen.14

Es war tabu, darüber zu reden dass wir als Volk an durchschnittlichen Intelligenz verlieren, wenn die intelligenteren Frauen weniger oder gar kein Kinder zur Welt bringen.15

[…] Wahrheiten auszusprechen, gilt als politisch inkorrekt, ja als lieblos und eigentlich unmoralisch – zumindest aber ist es unklug, wenn man in politische Ämter gewählt werden möchte. Die Tendenz des politisch korrekten Diskurs geht dahin, die Menschen von der Verantwortung für ihr Verhalten weitgehend zu entlasten, indem man auf die Umstände verweist, durch die sie zu Benachteiligten oder gar Versagern werden.16

Es fallen hier zwei Begriffe auf, die wichtig sind: tabu und politische (In)Korrektheit. Sich als Deutscher zu identifizieren und sich als Deutscher sorgen um Deutschland zu machen gilt Sarrazin zufolge zum Beispiel als politisch inkorrekt. Europäer, Weltbürger oder stolz auf dem Heimatsdorf darf man sein, aber das Deutsch-Sein soll keinen Teil der Identität worauf man stolz ist sein.

Kapitel 1 Das erste Kapitel trägt den Titel Staat und Gesellschaft. Ein historischer Abriss. Sarrazin behauptet, dass wenn wir über der Gesellschaft oder über gesellschaftlichem Verhalten reden, der Diskurs schon geprägt ist von bestimmten Normen die in der deutschen Gesellschaft gelten, „über dessen normativen und historisch geprägten Charakter wir uns selten wirklich Rechenschaft ablegen.“17 Im Kapitel schreibt Sarrazin über der historischen Entwicklung verschiedener Gesellschaften der Welt: von Ägypten zu dem Römischen Reich bis das Europäische Mittelalter und die Reformation. Er fragt sich, warum diese Gesellschaften sich so unterschiedlich und mit so unterschiedlichen Geschwindigkeiten entwickelt haben. Er blickt auch in der Zukunft und fragt sich ob es Deutschland gelingen wird, das erreichte Niveau zu behalten und weiter zu entwickeln. Dafür braucht Deutschland „Intelligenz, Fleiß und Einsatzfreude“18, und Sarrazin zufolge besitzt nicht jeder diese Qualitäten:

[Es] gibt große Unterschiede in der Mentalität der Völker und Gesellschaften. […] [Das] betrifft auch die normative Innen- und Außenlenkung der Menschen, es betrifft die Loyalitätsstrukturen, die Maßstäbe sozialen Rangs sowie den Antrieb für Fleiß, Eigeninitiative und materielle Orientierung.19

Am Ende des Kapitels, erklärt Sarrazin worüber Deutschland schafft sich ab geht:

13 Ebd., S. 8. 14 Ebd., S. 9. 15 Ebd., S. 9. 16 Ebd., S. 9. 17 Ebd., S. 23. 18 Ebd., S. 32. 19 Ebd., S. 32. 7

Alle Untersuchungen zeigen, das Volkswirtschaften, Gesellschaften und Staaten umso erfolgreicher sind, je fleißiger, gebildeter, unternehmerischer und intelligenter eine Bevölkerung ist. Deutschland stand auf der Erfolgsleiter immer ziemlich weit oben. Zahlreiche Indikatoren lassen aber vermuten, dass es nach unten geht.20

Das Buch soll zeigen wie sich das äußert und was man dagegen tun kann, und Sarrazin zufolge, tun soll.

Kapitel 2 Das zweite Kapitel heißt Ein Blick in die Zukunft. Realitäten und Wunschvorstellungen. Bezüglich der deutschen Wirtschaft in der Zukunft, schaut Sarrazin zu der Erwerbsbevölkerung. Das ist nämlich ein Punkt worüber er sich Sorgen macht.

Die Quantität ergibt sich aus der demografische Entwicklung, der Zuwanderung und der Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung, die Qualität aus deren Sozialisation, dem Bildungsgrad, dem Altersaufbau und – falls es Zuwanderung gibt – aus der Sozialisation und dem Bildungsgrad der Zugewanderten.21

Anschließend skizziert er die Entwicklungen bis zum Jahr 2050: Wirtschaftsschrumpfung durch Abnahme der Zahl der Erwerbstätigen, Vergreisung und dadurch auch eine Zunahme von dem Sozialprodukt pro Kopf. Sarrazin sagt vorher, dass die Zuwanderung aus Osteuropa, Indien und Fernost stagnieren wird, weil der Wohlstand dort schnell steigt. „So bleibt nur die problematische Zuwanderung aus Afrika sowie Nah- und Mittelost.“22

Kapitel 3 Das dritte Kapitel in Deutschland schafft sich ab heißt Zeichen des Verfalls. Eine Bestandsaufnahme. Sarrazin geht in diesem Kapitel ein auf den verschiedenen Migrantengruppen die es in Deutschland gibt. Sarrazin zufolge gelingt die Integration bei den ehemaligen Gastarbeiter aus Italien, Spanien, Griechenland und Portugal gut, wie auch bei Einwanderer aus Osteuropa und dem Fernen Osten. Er nennt auch die Gruppen bei denen die Integration weniger gut gehe:

Asylanten und Wirtschaftsflüchtlinge insbesondere aus Afrika sind […] schlecht ausgebildet und nicht immer leicht zu integrieren. Sie reihen sich am unteren Ende des Arbeitsmarktes, an dem wir bereits jetzt hohe Unterbeschäftigung haben, oder gehen in die informelle Wirtschaft.23

Sarrazin nennt noch andere Migrantengruppen die Integrationsprobleme haben. Die Migranten sind meistens ehemalige Gastarbeiter und ihre Familien, die seit den sechziger und siebziger Jahren in Deutschland leben, aber auch Flüchtlinge, zum Beispiel Menschen die wegen der Jugoslawienkriege in den neunziger Jahren nach Deutschland geflüchtet sind.

Die Zuwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei und den arabischen Ländern bilden den Kern des Integrationsproblems. Es gibt keinen erkennbaren Grund, weshalb sie es

20 Ebd., S. 34. 21 Ebd., S. 35. 22 Ebd., S. 46. 23 Ebd., S. 59. 8

schwerer haben sollten als andere Immigranten. Ihre Schwierigkeiten im Schulsystem, am Arbeitsmarkt und generell in der Gesellschaft ergeben sich aus den Gruppen selbst, nicht aus der sie umgebenden Gesellschaft.24

Nachher geht Sarrazin ein auf den Geburtenraten Deutschlands:

Bleiben die Geburtenraten der Migranten über dem deutschen Durchschnitt, setzt sich auch ohne weitere Einwanderung die »Verdünnung« der einheimische Bevölkerung fort.25

Das an sich ist nicht so schlimm, aber da es bei verschiedenen Migrantengruppen Probleme gibt, ist es für Sarrazin doch problematisch.

Gruppen mit der höchsten Bevölkerungsdynamik haben also die niedrigste Bildung und weisen auch die niedrigsten Bildungszuwächse in der Generation der hier Geborenen auf. Damit stellen sie nicht einen Teil der demografischen Lösung, sondern des demografischen Problems da.26

Sarrazin deutet hier auf dem Trend in westlichen Ländern, dass es ein zunehmender Bedarf an einem hochqualifizierten Humankapital gibt. Deutschland, wie andere hochentwickelte Ökonomien, wird immer mehr zu einem Wissensgesellschaft und nur in dem Dienstleistungssektor wird es noch Beschäftigungsmöglichkeiten geben. Für diesen Sektor sind die Anforderungen höher. Sarrazin weist auf verschiedenen Tabellen nach, dass die Bildungsqualifikationen sich in Deutschland nicht mehr verbessern. Es gibt eine niedrige Anzahl Hochschulabsolventen und ein Mangel an Studenten von sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Daneben verschlechtern auch die Fähigkeiten der Rechtschreibung und des elementaren Rechnen unter Haupt- und Realschüler sich. Dabei sind deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern zu beobachten. Die schlechte Leistungen der Schüler kann man Sarrazin zufolge nicht dem unterschiedlichen materiellen Input in den Bildungssystemen zuschreiben. Berlin zum Beispiel hat sehr schlechte Leistungen im Haupt- und Realschule, hat aber die wenigsten Schüler pro Lehrer und die Ausgaben pro Schüler sind durchschnittlich.27 Also sollen die Ursache im Bereich der Qualität des Unterrichts und der Qualität des Schülerbestands gesucht werden. Kinder aus bildungsfernen Milieus oder niedrigen sozialen Schichten haben schlechtere Leistungen. Laut Sarrazin hat das aber keine materiellen Gründe, sondern gibt es bestimmte Unterschichtsphänomene die dafür sorgen, dass ein Teil der Kinder keine besseren Leistungen als ihre Eltern hat und in der unteren Schicht zurückbleibt:

Auch eine Familie, die über einen langem Zeitraum vom Arbeitslosengeld II lebt, kann darauf achten, dass die Kinder sich die Zähne regelmäßig putzen und nicht unbeaufsichtigt fernsehen, dass regelmäßig gekocht wird und man sich gesund ausgewogen ernährt, dass die Kinder im Park oder auf dem Bolzplatz spielen und sich ausreichend bewegen. Mit Büchern kann man sich in der Leihbücherei eindecken und den Kindern regelmäßig vorlesen.28

In diesem Zusammenhang geht Sarrazin wieder ein auf den niedrigen Geburtenrate von Frauen mit Universitätsabschluss. Der Unterschichtanteil der Bevölkerung wird dadurch ständig wachsen, weil

24 Ebd., S. 59. 25 Ebd., S. 60. 26 Ebd., S. 64. 27 Ebd., S. 74. 28 Ebd., S. 79. 9

Frauen mit einem großen Abstand zu dem Arbeitsmarkt gerade besonders viele Kinder bekommen. Kinder aus diesen bildungsfernen Milieus zu bilden ist schwieriger und weniger erfolgreich dann bei anderen Kindern. Darauffolgend schreibt Sarrazin den meist kontroversen Absatz in Deutschland schafft sich ab:

Intelligenz ist […] zu 50 bis 80 Prozent erblich. Deshalb bedeutet ein schichtabhängig unterschiedliches generatives Verhalten leider auch, dass sich das vererbte intellektuelle Potential der Bevölkerung kontinuierlich verdünnt. Dieser qualitative Effekt wirkt sich langfristig entscheidend auf die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft aus.29

Dieser Absatz bekam viele empörte Reaktionen. Die Erblichkeit von Intelligenz ist ein sensibles Thema in Deutschland, weil es vielen erinnert an dem sozialdarwinistischen Rassismus des Nationalsozialismus. Trotzdem ist es das wichtigste Argument für die bevölkerungspolitischen Ideen Sarrazins. Nach festgestellt zu haben, Intelligenz sei großenteils erblich, schneidet Sarrazin noch ein anderes kontroverses Thema an, wenn er schreibt über Juden und ihren „weit überdurchschnittlichen wissenschaftlichen und beruflichen Erfolg.“30 Er behauptet, Juden europäischer Herkunft haben einen um 15 Punkte höheren IQ als der durchschnittliche Mensch, und danach führt er allerhand Fakten auf die damit in Korrelation stehen. Zum Beispiel nennt er die Anzahl Juden die eine Nobelpreise gewonnen haben und die Anzahl Juden an deutsche Universitäten am Anfang des 20. Jahrhunderts. Als Grund für die erhöhte Intelligenz bei Juden nennt er den außerordentlichen Selektionsdruck:

Eine über Jahrhunderte betriebene Familien- und Heiratspolitik, die dem intellektuellen Element überdurchschnittliche Fortpflanzungschancen gab, führte allmählich zur Ausbildung der überdurchschnittlichen Intelligenz.31

Undeutlich ist, was Sarrazin mit der Reihe von Argumenten über der Intelligenz von Juden sagen will. Versucht er sich einzudecken gegen Beschuldigungen die behaupten, er sei ein Rechtsextremist? Darüber sagte Sarrazin:

Ich bin auf die deutsch-jüdischen Ursprünge der Intelligenzforschung etwas näher eingegangen, weil die Diskussion der genetischen Komponente von Intelligenz häufig auf große emotionale Widerstände stoßt.32

Dass seine Thesen auf großen emotionalen Widerständen stoßen stimmt in der Tat. Ob er positiv oder negativ über der vererbten Intelligenz von Juden spricht ist eigentlich egal, dass es wieder über genetischen Eigenschaften von Juden geht ist für vielen schon unakzeptabel und historisch sehr sensibel. Dieses Kapitel ruft auch die Frage hervor, was Sarrazin zufolge die Lösungen für die dargestellten Probleme sind. Was hätte man denn daran, zu wissen dass Intelligenz zum Teil erblich ist? Sarrazin wird später im Buch zeigen welche Mängel und Fehlentwicklungen „die bestehenden Negativtrends verursachen und Überlegungen anstellen, was man auf dem jeweiligen Politikfeld ändern kann.“33

29 Ebd., S. 91-92. 30 Ebd., S. 94. 31 Ebd., S. 96. 32 Ebd., S. 97. 33 Ebd., S. 101. 10

Kapitel 4 Im vierten Kapitel, mit dem Titel Armut und Ungleichheit, geht Sarrazin ein auf Armut in Deutschland. Er fragt sich, was Armut in Deutschland eigentlich bedeutet. Auch die Bekämpfung von Armut wird besprochen. Die Definition von dem Begriff Armut wird beschrieben als materieller Not, also an erster Stelle sind das Mangel an Nahrung, Kleidung und Wohnung. Armut in Deutschland kann man aber nicht vergleichen mit Armut in der Dritten Welt. Die Armutsgrenze in Deutschland liegt bei 40 Prozent des mittleren Nettoäquivalenzeinkommen. Auch macht Sarrazin einen Unterschied zwischen relativer und absoluter Armut. Relative Armut bedeutet Armut im Vergleich zum sozialen Umfeld und es sei sozialpsychologisch definiert. Wenn man arm ist in einem reichen Land, ist man besser dran als wenn man Durchschnittsverdiener in einem armen Land ist. „Man versteht auf einmal, weshalb es für viele Türken durchaus lohnend ist, als Arme in Deutschland zu leben.“ 34 Sarrazin führt auch die Armutsdefinition des indischen Ökonom und Philosoph Amartya Sent an: Armut ist nicht einfach Mangel an Geld, sondern vor allem Mangel an Verwirklichungsmöglichkeiten. Sarrazin argumentiert, dass Armut (konkreter: die Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen) „oft begleitet [ist] von einem niedrigen Niveau allgemeiner und beruflicher Bildung, von Suchtverhalten und von persönlichen Defiziten unterschiedlichster Art.“35 Er bestreitet, dass es Personen, die in Armut geraten, an Chancen fehlt: „Alles scheint eine Frage externer Chancenzumessung, und für die sind Staat und Gesellschaft verantwortlich. Gerät jemand in Armut oder Armutsgefährdung, lag es eben am Chancenmangel und nicht an ihm selbst.“36 Daran fügt er zu: „Andere Ansichten gelten in Deutschland als politisch inkorrekt.“ Sarrazin sagt, in der Armutsdiskussion werden Individuen zu oft von der Verantwortung ihren Verhalten freigesprochen. Über einem Bericht von der Bundesregierung über Armut sagt Sarrazin: „Diesen Absatz muss man zweimal lesen, um ihn zu verstehen. Offenbar hat bei der Formulierung die politische Korrektheit über die Verständlichkeit gesiegt.“37 Sarrazin zufolge ist nicht die materielle, sondern die „geistige und moralische Armut“38 das Problem, wodurch zum Beispiel Armen mehr rauchen und trinken und dadurch früher sterben. Darüber sagt er: „Aber solch eine Analyse wäre politisch eben nicht korrekt.“39 Infolgedessen man die materielle Armut bekämpft, „förder[t man] Passivität, Indolenz sowie die Armut im Geiste und raub[t] den Menschen Stolz und Selbstbewusstsein.“40 Er nennt auch den Begriff Actual capability oder Fähigkeit zur Teilhabe, dass Gerechtigkeit fordere weil es um die Fähigkeit geht, sich selbst zu helfen. Dabei braucht man keine weiteren materiellen Mittel, sondern Mittel wie Bildung, Krankenversicherung und Freiheit. Später bemerkt Sarrazin, dass Haushalten von Empfänger von finanzieller staatlicher Unterstützung viel mehr Kinder bekommen als Haushalten die unabhängig von staatlichen Transfers leben. Diese Kinder aus „bildungsfernen Unterschichtsfamilien“41 haben eine große Chance, gleich wie die Eltern von staatlichen Transfers abhängig zu werden und selber auch viel Kinder zu bekommen. Sarrazin zufolge wird das die deutsche Gesellschaft verändern. Außerdem hat die Grundsicherheit auch Einfluss auf den Migranten in Deutschland und ihrer Integrationsbereitschaft. Sarrazin behauptet, diese Migranten würden überhaupt nicht gekommen sein, gäbe es keine Grundsicherung. Weil der Lebensstandard von einem Transferabhängige größer ist als die von einem

34 Ebd., S. 109. 35 Ebd., S. 113. 36 Ebd., S. 119-120. 37 Ebd., S. 122. 38 Ebd., S. 123. 39 Ebd., S, 124. 40 Ebd., S. 128. 41 Ebd., S. 149. 11 durchschnittlichen Arbeiter im Herkunftsland, bekümmern die Migranten sich nicht um Arbeit oder Integration.

Kapitel 5 Im fünften Kapitel Arbeit und Politik. Über Leistungsbereitschaft und Arbeitsanreize geht Sarrazin weiter ein auf dem Thema des vierten Kapitels und betont er die problematische Kombination von der deutschen Unterschicht und den Migranten:

Die Probleme einer verfestigten und nicht ausreichend in den produktiven Kreislauf integrierten Unterschicht überlagern sich zudem mit den ungelösten Integrationsproblemen eines großen Teils der Migranten aus der Türkei, Afrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten.42

Kapitel 6 Im sechsten Kapitel Bildung und Gerechtigkeit geht Sarrazin ein auf den Bildungssystemen in Deutschland. Er behauptet unter anderem, dass es heute von Kinder viel zu wenig gelesen wird und er betont wie wichtig lesen, schreiben und rechnen und vor allem Disziplin sind. Obwohl Sarrazin auch in diesem Kapitel wieder hinweist auf der teilweise Erblichkeit von Intelligenz, ist auf diesem Kapitel, das weiter nicht kontrovers ist, kaum bis nicht inhaltlich reagiert worden. Obwohl eine Diskussion über den deutschen Schulsysteme (die Schulsysteme unterscheiden sich pro Bundesland) willkommen ist, weil laut Forschungen die Leistungen deutscher Schüler tatsächlich immer wieder schlechter sind als die von Schüler anderer hochentwickelten westlichen und asiatischen Länder, scheint es als ob dieses Kapitel durch viele Leser und Kritiker überschlagen wurde.

Kapitel 7 Das siebte Kapitel Zuwanderung und Integration handelt dann wieder um die Thesen, wofür Deutschland schafft sich ab bekannt wurde. Sarrazin werft die politischen Klasse vor, ihre Haltung zu Migrationsfragen von den Medien diktieren zu lassen. Er nennt die Integrationspolitik Europas unhistorisch, naiv und opportunistisch und die Gastarbeitereinwanderung der sechziger und siebziger Jahren „ein gigantischer Irrtum.“43 Man hätte die Fabriken versetzen müssen, nicht die Arbeiter. Jetzt braucht Deutschland die Migrantenarbeiter wirtschaftlich nicht mehr. Erneut geht er ein auf der hohen Geburtenrate der Migranten und der fehlenden Integration von Muslime, die Sarrazin zufolge durch „unzureichende Erfolge […] im Bildungs- und Beschäftigungssystem, der ganz erhebliche Familiennachzug von Heiratspartnern aus den Heimatländern, aber auch eine starke Fixierung auf die heimatliche Kultur“44 verursacht wird. Die „Gesellschaftsbilder und Wertvorstellungen“ bedeuten „Kulturell und zivilisatorisch […] einen Rückschritt.“45 Wenn man sich hierüber auslässt, wird man von Islamophobie beschuldigt. Der „Rassismusvorwurf“ wirkt in Deutschland „aufgrund der Last der Geschichte besonders gut.“46 Sarrazin zufolge gebe es in Deutschland Parallelgesellschaften, weil bei Migranten nicht ihrer eigener Erfolg durch Bildung und berufliche Leistung das Wichtigste ist, sondern „die Absicherung und Alimentierung durch den deutschen Sozialstaat.“47 Unter muslimischen Migranten gebe es ein

42 Ebd., S. 175. 43 Ebd., S. 259. 44 Ebd., S. 262. 45 Ebd., S. 267. 46 Ebd., S. 290. 47 Ebd., S. 295. 12

Desinteresse an Integration, weil man eben doch durch Transferleistungen ein höheres Einkommen hat als von Arbeit im Heimatsland. Nur die Bestqualifiziertesten kehren in der Heimat zurück, die niedrig Gebildeten bleiben in Deutschland. Auch weist Sarrazin auf einer erhöhten Gewaltbereitschaft bei muslimischen Jugendlichen, verursacht durch „falsche Rollenvorbilder, mangelhafte Bildungserfolge und sexuelle Frustration.“48 Sarrazin zitiert mehrmals verschiedene islamkritische Autorinnen mit Migrationshintergrund wie , Ayaan Hirsi Ali oder Seyran Ates. Darüber sagt er: „Hätte ich das gesagt [statt sie], so würden mir Unkenntnis, Arroganz und Rassismus vorgeworfen werden.“49 Deutschland soll das Recht haben, selbst zu entscheiden, wen sie in ihrem Gesellschaft aufnehmt. Wie in Einwanderungsländer wie die USA, soll auch Deutschland bestimmte Anforderungen an Migranten stellen dürfen, auch bezüglich ihre Kultur und Traditionen. Sarrazin erwähnt, dass Länder wie die Niederlande, Belgien und Dänemark schon strengere Einwanderungsgesetze haben und die rechtsnationale Politik dort schon weiter verbreitet ist. Das liegt daran, dass diese Länder kleiner sind und deswegen ein stärkeres Gefühl der Bedrohung haben als Deutschland. Die Sozialhilfe die es in Deutschland gibt, gibt es in den Herkunftsländern der Migranten, aber auch in klassischen Einwanderungsländern wie die USA, nicht. Das leitet dazu, dass man in Deutschland auch ohne integriert zu sein und ohne Arbeit zu haben, ein normales Leben leiten kann: „Wer in Deutschland einwandert, ist versorgt – unabhängig von der eigenen Kraft und Leistungsbereitschaft.“50 Sarrazin schlagt eine Reihe von Maßnahmen vor, die die Integration verbessern werden. Bei mangelnden Sprachkenntnissen oder wenn man sich nicht anstrengt, Arbeit zu finden, wird man am Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe gekürzt. Kindergartenpflicht wird eingeführt. Zuzug von Ehegatte oder Ehegattin ist nur möglich wenn der in Deutschland lebenden Ehegatte „in den vorangegangene drei Jahren seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Grundsicherung bestreiten konnte.“51 Für weitere Einwanderung wird es sehr restriktive Bedingungen geben, wodurch es nur die Bestqualifizierten gelingen werdet, in Deutschland einzuwandern. Sarrazin erwähnt auch noch die Diskussion über der Verwirrung der Begriffe Integration und Assimilation. Ihm zufolge braucht man ein gewisses Maß an Assimilation um zu integrieren. Man muss nicht seine Herkunft verleugnen, aber ganz ohne Assimilation wird die Integration nicht gelingen.

Kapitel 8 Kapitel acht fängt an mit einem vielsagenden Untertitel: Mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist.52 Sarrazin bespricht wieder die Demografie Deutschlands und Europas, im Vergleich mit anderen Länder. Er bemerkt, dass, wenn man über Demografie diskutiert, man zwei Gruppen unterscheiden kann: „Die einen fragen: »Wo liegt überhaupt das Problem?«“, „Die anderen sagen: »Man kann doch nichts tun, also braucht man auch nicht darüber zu jammern.«“53 Sarrazin zufolge sollen die Deutschen ihres Geburtenverhalten radikal ändern, so dass die Oberschicht mehr Kinder bekommt, und die Unterschicht minder. Ganz am Ende des Kapitels, macht Sarrazin Vorschläge zur Lösung dieses demografischen Problems, und so eine Trendumkehr zu schaffen. Vorab gibt er schon eine Warnung, dass die

48 Ebd., S. 296. 49 Ebd., S. 307. 50 Ebd., S. 321. 51 Ebd., S. 328. 52 Ebd., S. 331. 53 Ebd., S. 346. 13

Lösungen für vielen sicherlich kontrovers sind. Man sollte „die Attraktivität und die gesellschaftliche Wertschätzung dauerhafte Partnerschaften […] stützen und fördern“.54 Der Anteil der Ganztagbetreuung in Kindergärten soll ausgebaut werden. „Im Schulsystem ist eine flächendeckende Umstellung auf Ganztagschulen […] notwendig.“55 In der Ganztagschule wird im Gegensatz zu dem Normalschule Mittagsessen, (Haus-)Aufgabenhilfe und Nachhilfe angeboten, wodurch die Schüler ein großes Teil des Tages auf der Schule verbringen. Weil Akademikerinnen oft spät Kinder bekommen, bekommen sie oft nicht mehr als zwei Kinder. Deshalb muss „[d]as durchschnittliche Lebensalter, in dem die akademische Ausbildung in Deutschland abgeschlossen wird, […] sinken.“ Auch soll das System des Rentenbeitrags geändert werden, „[so]dass Menschen mit Kindern deutlich weniger und Menschen ohne Kinder deutlich mehr zahlen.“56 Das Kindergeld soll senken und besser in anderen Sachen investiert werden, wie „Ganztagbetreuung und die Mahlzeiten in Schule und Kindergarten […]. Die Einführung von Schuluniformen könnte zudem die Kosten für Bekleidung senken.“57 So wird das Bekommen von Kinder für Unterschichtfamilien finanziell weniger attraktiv. Um hochgebildete Frauen zu ermutigen, Kinder zu bekommen, könnte es „bei abgeschlossenen Studium für jedes Kind, das vor Vollendung des 30. Lebensjahres der Mutter geboren wird,“58 eine staatliche Prämie von zum Beispiel 50 000 Euro geben.

Kapitel 9 Kapitel neun, mit dem Titel Ein Traum und ein Alptraum. Deutschland in 100 Jahren, beinhaltet zwei wichtige Thesen. Erstens, dass „jeder Staat das Recht [hat], darüber zu entscheiden, wer in das Staatsgebiet zuziehen darf und wer nicht.“ Zweitens, dass „die westlichen und europäischen Werte und die jeweilige kulturelle Eigenart der Völker [es] wert [sind], bewahrt zu werden.“59 Hiermit zeigt Sarrazin an welchen Rechten er glaubt.

2.3 Rezensionen Deutschland schafft sich ab Die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands, der Boulevardzeitung Bild hat vor dem Erscheinen von Deutschland schafft sich ab schon einige Passagen veröffentlicht. Mit den Schlagzeilen THILO SARRAZINS DRASTISCHE THESEN ÜBER UNSERE ZUKUNFT - Deutschland wird immer ärmer und dümmer!60 wird Sarrazins Buch introduziert und wird eine Passage aus der Einleitung zitiert. Anlässlich dieser Vorpublikation und der tatsächlichen Publikation einige Tage später, haben viele prominente Zeitungen und Zeitschriften das Buch rezensiert. Es geht hier nicht um Kolumne oder Reaktionen, sondern um Rezensionen. Im Folgenden gibt es eine Übersicht davon. In der Berliner Zeitung rezensiert der Mitbegründer der linken Tageszeitung und heutiger Journalist bei verschiedenen deutschen Zeitungen Arno Widmann das Buch Sarrazins. Er nennt

54 Ebd., S. 379. 55 Ebd., S. 381. 56 Ebd., S. 383. 57 Ebd., S. 386. 58 Ebd., S. 389. 59 Ebd., S. 391. 60 Sarrazin, Thilo: THILO SARRAZINS DRASTISCHE THESEN ÜBER UNSERE ZUKUNFT. Deutschland wird immer ärmer und dümmer! In: Bild (23/08/2010). URL: https://www.bild.de/politik/2010/deutschland-immer-aermer- und-duemmer-13712294.bild.html (Abgerufen am 29/05/2018). 14

Sarrazin „Ein Besessener. […] Wer sein Buch liest, der denkt an ‘Volksverhetzung‘, an den Paragraphen 130 des Strafgesetzbuches.“61 In der liberalen Zeitung Die Zeit schreibt der einflussreiche deutsche Historiker Hans-Ulrich Wehler, der auch eine große Rolle spielte in einer anderen großen deutschen Debatte, die Historikerstreit, in seiner Rezension, dass Sarrazin erwarten hätte können, dass es viele Kritik auf Deutschland schafft sich ab geben würde, weil „solche Zuchtverfahren gerade in Deutschland seit der Erfahrung mit der NS-Diktatur, die auf diese Weise ihr Ziel der »Rasse-Reinheit« erreichen wollte, zu Recht auf schroffe Ablehnung treffen.“62 Wehlers Meinung nach hätte Sarrazin seine Argumentation auch ohne den genetischen Aspekt bilden können, und hat er sich auf soziokulturellen und politischen Faktoren begrenzen können. Rezensenten Widmann und Wehler ziehen also deutlich beide einen Vergleich zwischen Ideen Sarrazins und dem Nationalsozialismus und in mehreren Rezensionen wird ihn vorgeworfen, dass er genetische oder biologische Argumente in seinem Buch verwendet hat. In der Frankfurter Allgemeine Zeitung fällt Rezensent, Feuilletonredakteur und Herausgeber des Buches Biopolitik: Die Positionen, Christian Geyer-Hindemith gleich mit der Tür ins Haus mit den ersten Sätze der Rezension:

Thilo Sarrazin hat ein antimuslimisches Dossier verfasst. Das Buch erscheint am Montag und will elementare Lebenszusammenhänge auf den Punkt bringen. Der Punkt ist die Allmacht der Genetik.63

Geyer-Hindemith sagt, dass man verstehen muss, dass das Buch von Argumente auf den Prinzipien von Genetik und biologischem Rassismus handelt:

Tatsächlich ist das Elementare bei Sarrazin das Biologische. Kulturell ist bei ihm ein Deckwort für genetisch. Hat man dies begriffen, liest man Sarrazins Sorge um die ‚kulturelle Identität‘, die ‚kulturelle Substanz‘ und den ‚Volkscharakter‘ Deutschlands mit anderen, den richtigen biologischen Augen.64

Er nennt Deutschland schafft sich ab einen „Entlastungsversuch einer desorientierten Elite. Kein Zweifel, dass es ein Erfolg wird.“65 In der liberalen Zeitung Der Tagesspiegel hat Bruno Preisendörfer, Schriftsteller von unter anderem dem Bestseller Als Deutschland noch nicht Deutschland war - Reise in die Goethezeit, auch eine kritische Rezension über dem Buch Sarrazins geschrieben. Er nennt es problematisch, dass Sarrazin eine biologische Argumentation führt. Sarrazin versuche sich als Geschichtsphilosoph, Anthropologe, Religionshistoriker und Genetiker zugleich darzustellen und er fügt „Bruchstücke der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu einer pseudonaturwissenschaftlichen Weltanschauung.“66

61 Widmann, Arno: Der Fall Sarrazin. In: Berliner Zeitung (28/08/2010). URL: https://web.archive.org/web/20100831034133/http://www.berlinonline.de/berliner- zeitung/berlin/308194/308195.php (Abgerufen am 29/05/2018). 62 Wehler, Hans Ulrich: Ein Buch trifft ins Schwarze. In: Die Zeit (07/10/2010). URL: https://www.zeit.de/2010/41/Wehler-Sarrazin/komplettansicht (Abgerufen am 29/05/2018). 63 Geyer, Christian: So wird Deutschland dumm. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (25/08/2010). URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/thilo-sarrazin-deutschland-schafft-sich- ab-so-wird-deutschland-dumm-1999085.html (Abgerufen am 29/05/2018). 64 Ebd. 65 Ebd. 66 Preisendörfer, Bruno: "Intelligenz ist zu 50 bis 80 Prozent angeboren". In: Der Tagesspiegel (27/08/2010). URL: https://www.tagesspiegel.de/meinung/sarrazins-buch-intelligenz-ist-zu-50-bis-80-prozent- angeboren/1912078.html (Abgerufen am 13/10/2010). 15

Andrian Kreye schreibt in seiner Rezension in der einflussreichen Süddeutsche Zeitung, dass das Weltbild, dass Sarrazin in seinem Buch darstellt, „von der verführerischen Logik der Demagogie getragen wird.“67 Es werden realistische Probleme oder gesellschaftliche Änderungen dargestellt, aber Sarrazin spielt auf populistische Weise ein auf den Ängsten der Bürger für diese Änderungen. Die Argumentation Sarrazins greift Kreye zufolge auch zu kurz, weil es komplexe Probleme reduziert zu einfachen Schlussfolgerungen. Kaum sind in den wichtigsten schriftlichen Medien überwiegend positive Rezensionen zu finden. Eine Ausnahme gibt es in Die Zeit. In der Rezension von Necla Kelek, Aktivistin für Frauenrechte und gegen den Islam in Europa, liest man, dass das Buch Sarrazins ihr wohl gefällt. Sie führt an, dass man über Deutschland schafft sich ab inhaltlich diskutieren soll, statt nur den Autor anzugreifen. Wenn man nur Kritik äußert und alles im Buch gleich ablehnt, dann stellt man sich selber außer der Debatte. Sie ist auf vielen Punkten mit Sarrazin einverstanden. Sie schreibt: „Mein Fazit: Hier hat ein verantwortungsvoller Bürger bittere Wahrheiten drastisch ausgesprochen und sich über Deutschland den Kopf zerbrochen.“68 Christoph M. Schmidt ist ein deutscher Ökonom, deren Forschungsschwerpunkt auf arbeits- und bevölkerungsökonomischer Fragestellungen liegt. In Handelsblatt hat er eine Rezension in Reaktion auf Sarrazins Thesen und Methoden gegeben. Er warnt, dass statistische Datensätze und Methoden oft nicht richtig benutzt werden, was zu falschen Konklusionen leiten kann. Es fehlt Sarrazin Schmidt zufolge an guten Interpretationen von Daten. „Ohne weitere Interpretation bietet er jedoch keine Erklärung für sein Zustandekommen und somit auch keinen Hinweis auf mögliche Lösungen.“69 Schmidt hat vor allem Schwierigkeiten mit der Konklusion der Sarrazin aus den Daten bezüglich Intelligenz zieht. Dass Migrantenkinder oft einen niedrigeren Bildungsgrad erreichen als deutsche Kinder, kann man nicht einfach zuschreiben an ihrer Ethnie. „Die ethnische Zugehörigkeit erfüllt in den eingesetzten Modellen nur die Rolle eines Platzhalters für die tatsächlichen Ursachen.“

67 Kreye, Andrian: Endlich sagt’s mal einer. In: Süddeutsche Zeitung (03/09/2010). URL: https://www.sueddeutsche.de/kultur/debatte-um-sarrazin-alles-fuer-ein-aha-erlebnis-1.995422 (Abgerufen am 15/10/2018). 68 Abdel-Samad, Hamed; Aly, Götz; Bax, Daniel; u.a.: Sarrazin: Eine deutsche Debatte. München: Piper 2010. S. 37. 69 Ebd, S. 133. 16

3. Verlauf der Debatte Die Debatte über dem Buch Sarrazins ist auf verschiedenen Weisen zum Ausdruck gekommen. Es gab Rezensionen, Talkshows, Rundfunkgespräche, Zeitungsartikeln, Kolumne, politische Aussagen und so weiter. Für diese Analyse sind vor allem schriftliche Reaktionen verwendet. Die Teilnehmer der Debatte waren oft Journalisten, aber unter anderem auch Politiker, Wissenschaftler oder Personen die auf eine andere Weise einen Platz in der öffentlichen Debatte hatten. Zu dem Sammeln der Reaktionen sind zwei Bände sehr hilfreich gewesen. Der eine ist Sarrazin: eine deutsche Debatte, November 2010 herausgegeben von Piper Verlag aus München. Die zweite Band ist Die Sarrazin Debatte, November 2010 herausgegeben von Die Zeit unter der Redaktion von Patrik Schwarz. Diese Bände beinhalten viele Kolumne, schriftliche Reaktionen und Interviews, die direkt nach dem Erscheinen des Buches publiziert wurden. Die meisten Reaktionen wurden geäußert in bekannten deutschen Zeitungen und Zeitschriften. Eine Forschung der Universität Erfurt aus 2011, Beyond Sarrazin? Zur Darstellung von Migration in deutschen Medien am Beispiel der Berichterstattung in SPIEGEL und BILD, hat die Darstellung von Migration in deutschen Medien untersucht.70 Vor allem die Unterschiede zwischen Bild und Der Spiegel würden analysiert. Natürlich haben diese zwei Medien überhaupt eine sehr unterschiedliche Art Berichterstattung. In Der Spiegel „zeichnet sich auf den ersten Blick eine eher ausgewogene Spiegel-Debatte ab.“71 Dabei „führt die ausgeglichene Verteilung der zu Wort kommenden Akteure auf systemischer, institutioneller und individueller Ebene zu einer tendenziell positiven Bewertung von Migration.“72 Ökonomisch thematisierte Artikel über Migration sind oft aber positiver als Artikel mit Fokus auf der Islam oder der Kultur der Migranten. In der Bild herrscht eine eher negative Tendenz in Artikel oder Berichte über Migration. Die Artikel handeln auch öfter von Kriminalität, kulturelle Differenzen und Stereotypen. Eventuelle ökonomische Vorteile werden nicht erwähnt. In beiden Medien hat die Veröffentlichung von Deutschland schafft sich ab zu viel mehr Berichte mit Migrationsthematik geleitet. „Die Betonung der Negativaspekte, die mit Integration zusammenhängen, führt schließlich dazu, dass Integration fast ausschließlich als Problem definiert wird.“73 Beim Beurteilen der Reaktionen der Sarrazin-Debatte ist es also wichtig bewusst zu sein von dem Medium in welche die Reaktion publiziert wurde. In diesem Kapitel habe ich versucht die verschiedene Reaktionen aus den verschiedenen Medien einzuordnen; Nicht in den Kategorien 'Befürworter' und 'Widersacher', sondern auf Thema. Dabei ist es wichtig zu schauen worauf genau reagiert wird. Es kann inhaltlich auf dem Buch reagiert worden, aber es gibt auch Reaktionen auf der Debatte selbst. Zuerst wird der Diskurs rund Integration und Migranten skizziert, danach folgt die Einteilung und Analyse der Reaktionen.

3.1 Diskurs der multikulturelle Gesellschaft und der Integrationsdebatte Wieso hat gerade Sarrazin so eine riesige Diskussion verursacht mit seinem Buch und seinen Aussagen? In Deutschland waren die Versuche, Debatten zu führen über der multikulturellen Gesellschaft und Integration, nicht erfolgreich. Doch konnte man nicht um Sarrazin und sein Buch hin. Der Grund für die empörten Reaktionen auf ihn ist, dass Sarrazin seine Argumente nicht nur auf Demographie, Sozialpolitik, Immigration und Kultur, sondern auch auf Genetik und Heredität basiert. Offenbar hat er hier eine sensiblen Grenze überschritten, die in Deutschland noch sehr fest war. Die Argumente werden in dem öffentlichen Diskurs nicht akzeptiert. Sarrazin hat hiermit aber wohl die

70 Irrgang, Ulrike: Beyond Sarrazin? Zur Darstellung von Migration in deutschen Medien am Beispiel der Berichterstattung in SPIEGEL und BILD. In: Global Media Journal Vol. 1, No.2, Herbst 2011. 71 Ebd., S. 27-28. 72 Ebd., S. 28. 73 Ebd., S. 29. 17

Aufmerksamkeit auf sich gezogen und er hat auch nicht nur Gegner; das Buch hat ja sehr gut verkauft. Zwischen den Gegnern und Anhängern gibt es soziale Unterschiede. Verurteilt wird Sarrazin durch die liberale (linke) intellektuelle Elite mit nur ein paar Ausnahmen, unterstutzt wird er durch den 'normalen Mann'. Unter anderem 'politische Korrektheit' zieht die Grenze zwischen den beiden Gruppen. Sarrazin sieht die deutsche kulturelle Identität bedroht. Konkret will er für die Immigrantengruppe aus 'bildungsfernen Schichten' Zugang, oder sogar gezwungene Teilnahme, sichern zu Arbeit, soziale Mobilität und Unabhängigkeit von Sozialhilfe. Das ist nicht neu, aber Sarrazin unterscheidet sich von anderen weil er viel weiter geht in seinen Lösungen, dann sich zum Beispiel für mehr Bildung auszusprechen. Er zieht demographische Daten hinzu und ruft auf zu „mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist.“74 Durch das Letzte wird ihn vorgeworfen, er sei Befürworter der Eugenik.75 Obwohl er Kritik bekommt auf seinen Argumenten und Vorschlägen, ist es eine Tatsache, dass er so eine breiten Diskussion bewirkt hat, und dass es sich dadurch in Deutschland etwas bewegt hat.

Politik Die deutsche Politik ist immer irgendwie eine Reaktion auf der Geschichte Deutschlands, insbesondere die Geschichte des Nationalsozialismus. Es kann von rechten Politiker als eine Last erfahren werden, dass man immer dieses Tabu oder diese 'kulturelle Begrenzung' berücksichtigen muss. Es ist wichtig zu befragen, wie die deutsche Geschichte die heutige Politik beeinflusst. Der Zweiter Weltkrieg und der Holocaust haben sich zu Tabus oder zumindest zu kulturell sehr sensiblen Themen entwickelt. Das heißt, dass wenn zum Beispiel der Holocaust bagatellisiert wird oder es irgendwie Parallelen mit der heutigen Politik gibt, das viele emotionale Reaktionen verursacht. Laut vielen wurde es mal Zeit, dass eine öffentliche Integrationsdebatte wie die Sarrazin-Debatte geführt werden konnte. Das konkludiert auch Der Spiegel in dem Artikel Bündnis der Weggucker:

Mit seinen umstrittenen Thesen hat Thilo Sarrazin ein Thema auf die Agenda katapultiert, das die Parteien gern verschweigen: ihr Versagen in der Integrationspolitik. Ausgerechnet in der Ausländerpolitik hat eine große Koalition aus links und rechts jahrzehntelang die Wirklichkeit ignoriert.76

In anderen europäischen Länder gab es schon viel länger Kritik an der Integrationspolitik und eine immer steigende Anhängerschaft der Rechtspopulisten wie Marine Le Pen und Geert Wilders, und noch früher Jean-Marie Le Pen und Pim Fortuyn. Wenn 2010 Deutschland schafft sich ab publiziert wurde, gab es die Partei Alternative für Deutschland noch nicht. Doch folgte auch Deutschland den Trend des Rechtspopulismus in den Jahren danach. In dem Spiegel-Artikel wurde behauptet, dass die Tatsache, dass die Debatte in 2010 eben wirklich anfing, deutlich damit zu tun hatte, dass die Politik lang geschwiegen hatte, „weil es in Deutschland auch 65 Jahre nach Kriegsende nicht einfach ist, unbefangen über Ausländer zu debattieren. Zu tief sitzt die Angst, etwas falsch zu machen.“77 Die deutsche Politik scheint Integration nur ernst zu nehmen wenn es total schief geht, wie zum Beispiel anlässlich der verschiedenen Ehrenmorden die es in Deutschland gegeben hat, oder heute des Terrorismus. Auch die Sarrazin-Debatte hat die Politik nicht ignorieren können.

74 Sarrazin, Thilo: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. München: DVA 2010. S. 331. 75 Rindisbacher, Hans J.: „Leitkultur“ and Canons: Two Aspects of Contemporary Public Debate. In: Pacific Coast Philology, Vol. 48, No. 1. Pennsylvania: University Press 2013. S. 61. 76 Bartsch, Matthias u.a.: Bündnis der Weggucker. In: Der Spiegel 37/2010 (13/09/10). S. 21. 77 Ebd., S. 22. 18

In den fünfziger und sechziger Jahren, wann die ersten Gastarbeiter aus unter anderem Italien, Spanien und später aus der Türkei und Jugoslawien nach Deutschland (bzw. BRD) gekommen sind, dachte man, dass die Arbeiter auch wieder zurückgehen wurden. Dadurch war Integration damals überhaupt kein Thema. Aber die Arbeiter blieben in Deutschland, und holten auch ihre Familie nach. Immer noch wurde nicht investiert in zum Beispiel Sprachkurse. Die linken Parteien glaubten an einer problemlosen multikulturellen Gesellschaft, die rechten Parteien betrachteten die Immigranten immer noch als Gäste, und behaupteten die Problemen wurden vorübergehend sein. „Zusammen schloss man ein stilles Bündnis der Weggucker.“78 1978 wurde wohl die Position des Ausländerbeauftragtes in der Bundesregierung in Bonn eingeführt (heute Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration), SPD-Politiker Heinz Kühn war der Erster der diese Position erfüllte. Er wollte die Politiker davon überzeugen, dass die ehemaligen Gastarbeiter und ihre Familien Deutschland nicht mehr verlassen wurden. Er machte sich dafür stark die in Deutschland geborene und aufgewachsene Kindern von Migranten einzubürgern. Auch verlangte er “ein Programm, um Ausländer in den Schulen auf das deutsche Niveau zu bringen. 600 Millionen Mark veranschlagte der Integrationsbeauftragte, um die Zuwanderer in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren“79, doch diese Millionen wurden nicht ausgegeben. Kühn bekam kein Beifall anderer Politiker. Man kümmerte sich nur um Flüchtlinge und Arbeitsmigranten die noch kommen wurden, für die Ausländer in Deutschland selbst gab es kein Interesse. Auch wenn 1992, wegen ein neues Gesetz bezüglich des Asylrechts das zur Diskussion stand, eine Debatte über Ausländerpolitik ausbrach, blieben ehemalige Gastarbeiter wieder außerhalb der Diskussion. Lange Zeit blieb die Politik auf Zurückkehr fokussiert. Unter Helmut Kohl gab es zum Beispiel finanzielle Vorteile für Ausländer die aus (West-)Deutschland weggingen. Doch haben kaum Ausländer das gemacht, die Anzahl der Ausländer stieg sogar.80 Heute scheint es, als ob die Politik das Gefühl hat, dass es ein großer Rückstand aufzuholen gibt. Es wird zum Beispiel investiert in Integrations- und Sprachkurse, Partner aus dem Ausland dürfen nur zu Deutschland umziehen wenn sie Deutsch sprechen und auch den Integrationstest sollen sie bestehen. Auch Jörg Lau, ein Journalist der lange bei der linken Tageszeitung gearbeitet hat und heute für Die Zeit schreibt, behauptet, dass sich etwas geändert hat in die deutsche Politik. Die Verhältnisse innerhalb der Integrationsdebatte haben sich geändert in den letzten Jahren. Lau hatte eine Verschiebung im politischen Feld wahrgenommen. Die Integrationspolitik und multikulturelle Gesellschaft war immer den Bereich der Linksdemokraten. Jetzt aber, ist es die CDU von Angela Merkel die, nicht ohne Kritik, eine tolerantere Position in der Migrantendebatte einnehmt.

Wer die fünf eng bedruckten Seiten in Lettre International liest und zugleich die Regierungsbildung verfolgt, steht verblüfft vor der Tatsache, dass ein prominenter SPD-Mann am rechten Rand entlangrantelt, während die konservativ-liberalen Koalitionäre über einer modernen Integrationspolitik brüten.81

Das schadet die SPD, weil die Partei ein wichtiges Thema verliert. „Die Sozialdemokratie hat das Zukunftsthema Integration an die ideologisch flexiblere andere Seite abgegeben.“82 Die SPD erscheint durch Leute wie Sarrazin immer wieder negativ in den Nachrichten, weil sie die eigene Partei

78 Ebd., S. 23. 79 Ebd, S. 23. 80 Statistisches Bundesamt: Ausländische Bevölkerung in Deutschland. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt 2001. S. 10. 81 Schwarz, Patrik (Hrsg.): Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation und die Antworten. Hamburg: Edel Germany 2010. S. 81. 82 Ebd., S. 81. 19

öffentlich kritisieren und eine rechtere Richtung verlangen. Mittlerweile scheint die CDU durch die Flüchtlingspolitik von Merkel gerade immer linker zu werden. Journalistin der Tageszeitung und Süddeutsche Zeitung Constanze von Bullion sagt, die SPD ärgere sich zurecht über Thilo Sarrazin, das Problem sei aber auch, dass die Partei selber zum Thema Integration wenig zu bieten hat. Der Versuch der SPD, Sarrazin aus der Partei zu werfen, war eine „Geste der Ratlosigkeit.“83 Hohe SPD-Politiker schimpfen wie vielen über Sarrazin, entwickeln aber selber keine eigene Ideen. „Die Performance der SPD-Spitze ist lausig. Kein Wunder, dass Außenseiter das Feld bestellen.“84 Die Linke-Politikerin Gesine Lötzsch schreibt in die sozialistische Tageszeitung Neues Deutschland, dass, obwohl sie mit fast alles in Deutschland schafft sich ab nicht einverstanden ist, sie im Buch doch ein „Körnchen der Wahrheit“85 spürt. Ihre Kritik ist vielmehr gegen die Bundesregierung gerichtet, die versucht zu verschleiern, dass es in Deutschland Probleme der Integration und des Sozialstaates gibt, durch nur auf Sarrazins auffallenden Thesen über Genetik usw. hinzuweisen.

Reflektion auf der Debatte Eine politische Kultur ist ein historischer Prozess, es ist keine Sammlung festgelegter Verhältnisse oder eine definitive Definition einer Situation.86 Das schreiben Soziologen Jeffrey Olick und Daniel Levy in ihren Artikel Collective Memory and Cultural Constraint: Holocaust Myth and Rationality in German Politics. Über dem Einfluss der deutschen Geschichte auf den heutigen Diskussionen sagen sie, dass die Kraft von mythischen Beschränkungen (Tabus) der deutschen Geschichte in Konfrontation mit heutigen Krisen oft schwierige Wendungen in dem öffentlichen deutschen Diskurs und der Politik verursacht hat.87 Das ist auch zu beobachten in der Sarrazin-Debatte, wo oft reflektiert wird auf dem Verlauf der Debatte selbst oder auf ihrem historischen Kontext. René Wolfsteller, ein deutscher Soziolog, behauptet zum Beispiel, die Integrationsdebatte sei überhaupt keine Debatte. In einer Debatte diskutieren idealerweise Gleichberechtigten miteinander. Die Rede von 'Integration' impliziert aber schon ungleiche Verhältnisse. Diejenigen wovon die Debatte gerade handelt, die Migranten, werden kaum zu Wort gelassen. Es wird vor allem über sie gesprochen und kaum mit sie. Es werden Teilungen gemacht zwischen Migranten und Deutscher, zwischen Eigenem und Fremden. Wolfsteller will die Realität wiedergeben und behauptet:

Natürlich existiert sie außerhalb von Statistiken gar nicht, diese „deutsche“ Mehrheitsgesellschaft. […] Wir haben es bei der diskursiven Produktion von „Einheit“ und den zugehörigen Assimilierungsbemühungen vielmehr mit der durch und durch modernen Praxis des „social engineering“ zu tun (Bauman 1998), die einmal mehr im Dienste politischer Legitimation einerseits und ökonomischen Wachstums andererseits zu stehen scheint.88

Wolfsteller zufolge ist der Fehler der in die Integrationsdebatte gemacht wird, dass der Erfolg der Integration nicht bewertet wird aufgrund Gleichstellung, sondern aufgrund ökonomischen Kriterien.

83 Bullion, Constanze von: Am warmen Ofen der Volksfreundschaft. In: Süddeutsche Zeitung (26/08/2010). 84 Ebd. 85 Lötzsch, Gesine: Körnchen und Brocken. In: Neues Deutschland (04/09/2010). 86 Olick, Jeffrey K.; Levy, Daniel: Collective Memory and Cultural Constraint: Holocaust Myth and Rationality in German Politics. In: American Sociological Review, Vol. 62, No. 6 (Dezember 1997). S. 921-936. 87 Ebd. 88 Wolfsteller, René: „Integration“ als Diener zwei(felhaft)er Herren. Bemerkungen zur „Integrationsdebatte“. In: Soziologie Magazin (30/11/2010). S. 1. 20

Journalist der Frankfurter Allgemeine Zeitung und Die Zeit Heinrich Wefing nehmt die Diskussion auf einer anderen Ebene war. Innerhalb der Integrationsdebatte unterscheidet er nämlich auch eine Debatte über Religionsfreiheit. Offensichtlich sind die Verhältnisse zwischen Religion und säkularem Staat nicht mehr selbstverständlich. Gleichzeitig mit dem Senken der Popularität und des Einflusses der Kirche in Deutschland, wird der Islam gerade immer sichtbarer. Es gibt eine lockere Trennung zwischen Staat und Kirche und die Kirche hat auch immer eine große Rolle gespielt in Deutschland. Zwischen dem deutschen Staat und dem Islam fehlt diese lange Vertrauensbeziehung. Einfach weil die lange Tradition fehlt, aber auch weil es fundamentale Unterschiede gibt. „Kann der liberale Staat tolerant bleiben, wenn ihm Intoleranz begegnet?“89 Soziologin und Aktivistin für Frauenrechte und Gegner des Islams in Europa Necla Kelek bemerkt, dass Sarrazin eine Diskussion aufreißt die noch nie öffentlich geführt wurde, nämlich, über der Tatsache, dass Intelligenz teils erblich ist und dies nicht vereinbar ist mit der Idee, dass alle Menschen gleich sind. Ursachen von Ungleichheit werden nämlich weitgehend in den sozialen und politischen Verhältnisse gesucht. Kelek sagt, Sarrazin befreie „die Diskussion um Armut aus der materiellen Abhängigkeit.“90 Auch „sozialer Fortschritt, Gesundheit, Ernährung und letztlich Glück“ können unabhängig von immer materiellerer Zuwendung erreicht werden. Ihre Kritik an der heutigen politischen Diskussion, unter anderem um Armut, ist, dass „das Individuum, sein Verhalten und seine Verantwortung gar nicht vorkommen.“ Kelek ist auf viele Punkten mit Sarrazin einverstanden, wie die Kritik auf der gefehlten Integration und der großen Abhängigkeit von Migranten von Sozialleistungen. Sie sagt, die deutsche Politik habe bisher diese Probleme nicht anerkannt oder sie ignoriert aus Angst für Beschuldigungen von Rassismus oder eben Rechtsextremismus. Kelek nennt das Argument des Rassismus „ein Ablenkungsmanöver“. In einem Interview in der konservativen Zeitung weist sie hin auf der Hypokrisie der Politik. Sie hat Deutschland schafft sich ab sofort abgelehnt, aber hat sich danach auf einmal kritischer über der Integrationspolitik geäußert und sogar in kurzer Zeit einen neuen Integrationsplan präsentiert, „um zu beweisen, dass sie jemanden wie Sarrazin nicht brauchen.“91 Historiker Michael Meng hingegen argumentiert in seinen Artikel Silences about Sarrazin’s in Contemporary Germany, dass die Sarrazin-Debatte gerade zu wenig von Rassismus handelt und nur von Integration. Er nennt das das Paradox des Umgangs von Deutschland mit ihrer Geschichte. Meng hat drei Gründe dafür, dass kaum von Rassismus gesprochen wird in der Sarrazin- und Integrationsdebatte. Erstens nennt er, dass Vorurteile über Migranten heute so oft ausgesprochen werden, dass sie normalisiert sind und gar nicht mehr so auffallen. Zweitens, dass Integration allgemein akzeptiert wird als Voraussetzung für Deutschlands Demokratie. Letztens argumentiert Meng, dass es ein „postwar myth“92 gibt, also die Annahme, dass Rasse und Rassismus gerade wegen der deutschen Geschichte heute nicht mehr vorkommen in Deutschland. Die deutsche Demokratie repräsentiert gerade die Überwindung von Nazismus und Rassismus. Die Weise worauf Deutschland mit ihrer nationalsozialistischen Geschichte umgegangen ist, wird als Erfolgreich gesehen. Das Anerkennen von dem heutigen Rassismus in Deutschland ist deshalb peinlich. Behrouz Alikhani und Inken Rommel, Soziologen an der Universität Münster, behaupten in ihren Artikel Aufstieg des Kulturrassismus: Von Huntington zu Sarrazin, dass bestimmte Begriffe eine

89 Schwarz, Patrik (Hrsg.): Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation und die Antworten. Hamburg: Edel Germany 2010. S. 246. 90 Kelek, Necla: Ein Befreiungsschlag. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (30/08/2010). 91 Seibel, Andrea: »Die nachhaltigen Offenbarungen der Sarrazin-Debatte«. In: Welt Online (27/09/2010). URL: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article9883774/Die-nachhaltigen-Offenbarungen-der-Sarrazin- Debatte.html (Abgerufen am 10/09/2018). 92 Meng, Michael: Silences about Sarrazin’s Racism in Contemporary Germany. In: The Journal of Modern History 87. Chicago: University Press 2015. S. 106. 21

Bedeutungsänderung durchmachen innerhalb den Integrationsdebatten. „[D]er nicht tabuisierte aber undifferenzierte Begriff „Kultur“ [erhält] dieselben wesenhaften Merkmale des Begriffs „Rasse“, daraus resultiert also eine Art “kultureller Rassismus“.“93 Die Widersprüchlichkeit und Dynamik von kulturellen Eigenschaften wird nämlich zu einem statischen unveränderlichen Zustand reduziert. Neben dem Begriff „Kultur“, wird auch „Identität“ genannt als Beispiel für einen Begriff, dass innerhalb der Debatte immer öfter eine statische Bedeutung zugeschrieben wird. Diese Begriffe haben ein sogenanntes „Potential zur Verdinglichung und Substantialisierung“94 und die Bedeutung verwandelt sich dann zu einem statischen und „entmenschlichten“ Konzept. Journalist und Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeine Zeitung Frank Schirrmacher zufolge sind die Thesen Sarrazins ein logischer Schritt in der Integrationsdebatte. Er behauptet, Sarrazin wolle eine „völlig neue politische Debatte auslösen, die im Kern biologisch und nicht kulturell argumentiert.“95 Da Sarrazin immer wiederholt, Intelligenz sei für fünfzig bis achtzig Prozent erblich, scheint der Einfluss von Bildung und Erziehung gering. Bildung wäre dann „nicht in der Lage, das Vehikel des intellektuellen Aufstiegs zu werden“96 und der offenbar genetische oder ethnische Nachteil bestimmter Gruppen wäre unveränderbar. Schirrmacher sagt, die Argumentation Sarrazins sei unvermeidlich, weil Gesellschaften, wenn sie um ihre Identität fürchten und ihre eigene Werten mistrauen, immer früher oder später in der Biologismus fliehen.

Der Analytiker Sarrazin In verschiedenen Kommentaren auf Deutschland schafft sich ab wurde auf einem anderen Text verwiesen, nämlich dem Essay Aufbruch der Leistungsträger von Philosoph Peter Sloterdijk. Es handelte von der Zukunft des Kapitalismus und des Sozialsystems. Der Essay würde ein Jahr vor der Publikation Sarrazins veröffentlicht und löste damals auch eine Debatte aus. Journalist und Korrespondent Andrian Kreye schreibt in der Süddeutsche Zeitung, dass Sarrazin deshalb nicht der Erste war, der die „Ängste des Bildungsbürgertums“97 ansprach. Die Thesen Sarrazins und Sloterdijks stimmen teilweise überein, nur Kreye zufolge gibt es auch ein entscheidender Unterschied zwischen den Texten der beiden Herren. Dieser Unterschied liege in der Rhetorik und im Denken: „Sloterdijk ist ein Meister des analytischen Denkens. Sarrazin ist ein meisterhafter Analytiker. Der eine sucht nach größeren Zusammenhängen und ihren Ursachen, der andere sucht nach dem Kontext für ein mögliches Ergebnis.“98 Kreye zufolge gibt es drei Schwachpunkte in der Argumentation Sarrazins: „Die Ethnisierung eines Klassenproblems, die eugenetische Betrachtung eines Bildungsproblems und die segregationistische Behandlung des Integrationsproblems.“99 Sarrazin benutzt die Logik der Demagogie. Mit seinem Fokus auf Fakten und Zahlen bildet er eine souveräne Logik der mit der Moral kaum zu bekämpfen ist. „Wer Souveränität und Humor gegen Moral und differenzierte Argumentation ins Feld führen kann, ist rhetorisch im Vorteil. Kein Wunder, dass die moralische Seite der Debatte als Gegenargumente nur Ausschluss und Rauswurf ins Feld führt.“100 Doch die Logik Sarrazins ist Kreye zufolge nicht so stark wie sie scheint. Sarrazin zieht zu einfach Schlüsse aus seinen Fakten und Zahlen, und seine Argumentation wird geleitet durch den Wunsch, die Ängste der Bürger

93 Alikhani, Behrouz; Rommel, Inken: Aufstieg des Kulturrassismus: Von Huntington zu Sarrazin. In: Zeitschrift für vergleichende Politikwissenschaft 12:9-24. Wiesbaden: Springer Fachmedien 2017. S. 9. 94 Ebd., S.10. 95 Schirrmacher, Frank: Ein fataler Irrweg. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (29/08/2010). 96 Ebd. 97 Kreye, Andrian: Sarrazins Dreisatz. In: Süddeutsche Zeitung (03/09/2010). 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Ebd. 22 anzusprechen. Auch werft Kreye ihn vor, er schaffe keinen Kontext. Sarrazin schreibt über der Zukunft, argumentiert aber „vollkommen antihistorisch“.

3.2 Kritik auf Verlauf der Debatte Ein Teil der Reaktionen beinhaltet Kritik auf dem Verlauf der Debatte selbst. Die Debatte würde nicht optimal verlaufen oder sogar überhaupt nicht möglich sein. Die Kritik handelt davon, dass man nicht zufrieden ist mit zum Beispiel bestimmten Begriffen die verwendet werden, Themen die behandelt werden (oder gerade nicht behandelt werden) oder der Diversität der Teilnehmern der Debatte. Hierunter eine Sammlung und Analyse dieser Reaktionen.

Debatte muss anders Autor Henryk M. Broder, damals beschäftigt bei unter anderem Der Spiegel und bekannt als Islam- und Einwanderungskritiker, liefert in der konservativen Zeitung Die Welt starke Kritik auf der Weise worauf in Deutschland mit der Publikation von Deutschland schafft sich ab umgegangen wird und der Debatte verläuft. Er sagt, dieselbe Argumenten werden in Talkshows, in Zeitungen und von Politiker immer wiederholt. Sarrazin werde in Interviews verhört „wobei das abschließende Urteil von vornherein feststeht: wenig hilfreich, kontraproduktiv, der Integration abträglich und dem deutschen Ansehen im Ausland nicht bekömmlich.“101 Broder macht sogar eine Vergleichung mit autoritären und totalitären Regimes, die auch „ihre Kritiker stillzulegen versuchen“. Auch Journalist von Die Zeit Bernd Ulrich behauptet, dass die Debatte wieder festlief wegen schon feststehenden Meinungen. Er hat sich beschäftigt mit der These, dass es in Deutschland so schwierig ist, Debatten über Migranten zu führen. Er findet es wohl beruhigend, dass man in Deutschland nicht lang über „Genetik, Überfremdung und Bevölkerungspolitik“102 reden kann, ohne dass auf Antisemitismus hingewiesen wird. Sarrazin hat in Deutschland schafft sich ab von einem „bestimmten Jüdischen Gen“ gesprochen und das wird nicht ohne weiteres akzeptiert. Für manche Leute hat Sarrazin sich mit dieser Aussage außer Gefecht gesetzt. Ulrich sagt, dass wenn man wirklich Interesse an den Problemen der Integration in Deutschland hat, man nicht über Deutschland schafft sich ab diskutieren würde, sondern über konkreteren Problemstellungen und Lösungen, von Leute die näher an den Problemen stehen. Er behauptet, Sarrazin kenne überhaupt keine Türke oder Araber persönlich. Die konkreten Probleme sind zu detailliert und wünschen mehr Kenntnisse. „Ganz anders liegt die Sache hingegen bei der Genetik, der Demografie und der Intelligenz, da haben alle schon mal was von gehört […], da hat jeder eine Meinung“103. Die Sachen sind abstrakt und deswegen verläuft die Debatte Ulrich zufolge immer auf einer gleichen Weise. Ulrich behauptet, die Menschen und die Medien wissen zu wenig über den Migranten. Die migrantenfreundlichen Linken kennen keine Migranten und in den Medien arbeiten kaum Leute mit Migrantenhintergrund. Deswegen „wirkt das, was sie sagen, oft steril, die Absichten scheinen durch, Correctness ersetzt Kenntnis. Darum ist die – überwiegend liberale – Öffentlichkeit so anfällig für Attacken aus dem Dumpfen und Dunkeln wie jetzt wieder mal bei Sarrazin.“104 Schriftsteller und Journalist für verschiedene große deutsche Zeitungen Rafael Seligmann sagt, Sarrazin habe gute Argumente aber auch einige unnötige umstrittene Thesen in Deutschland schafft sich ab benutzt. Das schadet die Debatte. Wegen der kontroversen Passagen lief die Debatte wieder fest und wurde meistens nur darauf reagiert.

101 Broder, Henryk M.: Angie und die Brandstifter. Was der Fall Sarrazin uns lehrt. In: Die Welt (04/09/2010). 102 Schwarz, Patrik (Hrsg.): Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation und die Antworten. Hamburg: Edel Germany 2010. S. 138. 103 Ebd., S. 139. 104 Ebd., S. 141. 23

Sein Provokationslust zieht Sarrazins Argumenten den Boden unter den Füßen weg. […] Um [seine] unbestrittene Fakten hervorzuheben, begibt Sarrazin sich jedoch ohne Not auf das Glatteis einer ungesicherten Intelligenzforschung und argumentiert in Teilen sozialdarwinistisch. Auf diese Weise büßt er seine Glaubwürdigkeit als Gesellschaftskritiker ein.105

Hierdurch werden die Gegner Sarrazins diese Argumente einfach kritisieren können und Sarrazin von Rassismus und Biologismus beschuldigen können.

Teilnehmer der Debatte Der schweizerische Journalist Frank A. Meyer ist nicht zufrieden mit den Teilnehmern der Debatte. Er stellt sich die Frage, wer Deutschland aufgebaut hat. Sein Antwort: „Einfache Leute, kleine Leute, Kleinbürger, oft und gern als Spießbürger verächtlich gemacht“.106 Er behauptet diese Gruppe wird ignoriert und nicht ernst genommen inner- und außerhalb der Debatte. Wenn sie Kritik haben auf der Multikulti-Gesellschaft, dann werden sie als Rassist bezeichnet. „Dies auch nur zu denken […] ist eine Verstoß gegen die guten Sitten etablierter Politik und Publizistik.“107 Meyer kritisiert die Politik und die Elite, die dem Volk keine Aufmerksamkeit schenken und an dem sogenannten Kulturrelativismus glauben. Das heißt: „Menschenrechte erschienen zunehmend als eurozentrisch, also kolonialistisch und imperialistisch. Es galt: andere Kulturen, andere Sitten.“ Zum Beispiel Frauenunterdrückung wird dann einfach als Ausdruck einer anderen Kultur gesehen.

Muslimifizierung Journalistin und Herausgeberin des Manifest der Vielen, worin Deutschland schafft sich ab von Autoren mit Migrationshintergrund kritisiert wird, Hilal Sezgin seht auch Probleme in der Weise worauf die Debatte geführt wird. Sie nennt ein Punkt worauf der Integrationsdiskurs sich geändert hat: „Von einem Prozess der Ethnisierung sprechen Soziologen: Eine ursprünglich religiöse Kategorie wird zur ethnischen Beschreibung. Ich nenne es Muslimifizierung.“108 Sie beschreibt wie sie früher, während ihrer Studienzeit über Rassismus, Diskriminierung und Menschenrechte diskutiert hat, sich selbst aber nie zu der diskriminierten Gruppe gerechnet hat. „Rassismus, dachte ich damals, richte sich nur gegen Gruppen, denen ich selbst nicht angehörte. […] Mit dem deutschen Pass in der Tasche fühlte ich mich auf der sicheren Seite.“109 Später, wenn sie erfuhr, dass es auch Rassismus gegen Muslime gab, hat sie immer noch das Gefühl, es war gegen andere Muslime gerichtet. Letztens realisierte sie sich, das sie auch Teil dieser „Muslime“, „Ausländer“ oder „Migranten“ war. Auch Özlem Topçu, Journalistin bei Die Zeit, hat diese Gefühle und spricht von einer „aufgelegten Identität“110. Wegen den Diskussionen über Integration worin immer von „den Türken“ oder „den Muslimen“ gesprochen wird, fühlt sie sich türkischer denn je. Obwohl sie als gebildete erfolgreiche Journalistin oft als Ausnahme von der Regel gesehen wird, merkt sie, dass sie immer öfter von 'wir' spricht und das Gefühl hat, dass sie sich und andere Deutschtürken verteidigen muss. Das bestätigt auch Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan: „Jetzt war mein »wir« plötzlich ein

105 Seligmann, Rafael: Nötige Provokation. In: Focus (06/09/2010). 106 Meyer, Frank A.: Der Zorn der kleinen Leute. In: Cicero (10/2010). 107 Ebd. 108 Schwarz, Patrik (Hrsg.): Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation und die Antworten. Hamburg: Edel Germany 2010. S. 187. 109 Ebd., S. 189. 110 Ebd., S. 157. 24 migrantisches, ein muslimisches in dem mein Deutschsein vollkommen ausgeblendet schien.“111 Auch Aiman A. Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, nehmt eine Generalisierung wahr: „Heute werden schichtspezifische Probleme einfach islamisiert.“112 Er ist nicht damit einverstanden, dass die Probleme der Kriminalität und Arbeitslosigkeit einer Religion zugeschrieben werden. Historiker und damals Journalist bei der Frankfurter Allgemeine Zeitung Nils Minkmar findet den Begriff „Migranten der zweiten Generation“, den durch Sarrazin und anderen innerhalb den Migrations- und Integrationsdebatten oft verwendet wird, falsch und unsorgfältig gewählt, da diese Gruppe selbst nicht migriert ist, sondern in Deutschland geboren ist. Minkmar hat auch Kritik auf der Verwendung aller möglichen Kategorien unter „Migranten“. Politische Flüchtlinge, ökonomische Flüchtlinge, ehemaligen Gastarbeiter und so weiter werden alle (muslimischen) Migranten genannt, obwohl es in den unterschiedlichen Gruppen unterschiedliche Probleme gibt. Minkmar wirft Sarrazin auch vor, die Menschen, über wen er spricht und schreibt, überhaupt nicht zu kennen. „Da er diese Leute weder besonders gut kennt noch, wenn man richtig liest, besonders gerne mag, weiß er eigentlich nichts darüber, welche Probleme sich in den Familien, Straßen und Quartieren so ergeben.“113 Minkmars Meinung nach, ist die leitmotivische Frage in Deutschland schafft sich ab: „Warum können nicht alle so sein wie ich?“114 Dabei betrachtet er das Sachbuch als ein „klassischer Bildungsroman: Mittelbegabter, fauler Junge entdeckt die Literatur und rettet sich selbst. Jetzt verachtet er alle, die nicht so geworden sind wie er.“115 Politikwissenschaftler und Islamkritiker Hamed Abdel-Samad ist wegen ganz anderen Gründe kritisch auf dem Verlauf der Sarrazin-Debatte. Er sagt, Muslime lassen sich gerade in der Opferrolle drängen und sie verpassen die Chance, „über sich und ihre Milieus zu reflektieren“116, weil sie nur damit beschäftigt sind, Sarrazin Rassismus und Islamfeindlichkeit vorzuwerfen. Abdel-Samad zufolge gibt es in Deutschland nicht nur Parallelgesellschaften, sondern er nennt sie sogar „asymmetrische Gesellschaften“, die nicht eben in dieselbe Richtung gehen. Abdel-Samad plädiert für eine konsequente Debatte über dem Islam, dem Soziaalstaat und der Integration und nicht nur dann, wann jemand wieder ein aufsehenerregendes Buch schreibt. Die Politik habe Angst, über diesen Themen zu debattieren und fürchtet als „zu rechts“ gesehen zu werden. Philosophin an der Universität zu Bern Anna Goppel führt an, dass ihr einen Teil der Migrationsdebatte fehlt, nämlich die Diskussion über der offensichtlichen staatlichen Entscheidungsfreiheit über dem wohl oder nicht Annehmen von Migranten. Die herrschende Überzeugung, dass Staaten, wie auch die Diskussionsteilnehmer der Debatte, meinen frei entscheiden zu können wer in welchem Land leben darf. Goppel zufolge wird diese Überzeugung nicht genügend begründet. Um eine aufrichtige Diskussion über Migration führen zu können, soll man zuerst diese Annahme diskutieren und argumentieren. Goppel zufolge ist es die Aufgabe der (politischen) Philosophie, bestehende Annahmen immer wieder zu hinterfragen, und so eine aufrichtige Debatte zu ermöglichen.

111 Ebd., S. 233. 112 Ebd., S. 250. 113 Minkmar, Nils: Lesen ist nicht genug. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Online (21/09/2010). URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/sarrazin/das-buch/sarrazin-debatte-lesen-ist-nicht-genug- 11042723.html (Abgerufen am 02/11/2018). 114 Ebd. 115 Ebd. 116 Abdel-Samad, Hamed: Sarrazin, helau! In: Focus (06/09/2010). 25

Öffentliche Diskussion unmöglich Ein Teil der Reaktionen beinhaltet die Behauptung, dass eine öffentliche Diskussion über Integration, Migranten und Sarrazin überhaupt nicht möglich sei. Dafür gibt es verschiedene Gründe, für manche ist Sarrazin schuld daran, für manche das politische Klima oder die Teilnehmer der Debatte.

Der einflussreiche deutsche Historiker Hans-Ulrich Wehler, der auch eine große Rolle spielte in einer anderen großen deutschen Debatte, die Historikerstreit, übte Kritik an dem Verlauf der Integrations- und Sarrazin-Debatte. Er sagte, dass die Politiker mit einer „klassischen Diskussionsverweigerung“117 auf dem Buch Sarrazins reagiert haben. Noch vor der Publikation von Deutschland schafft sich ab äußerten sie Kritik und fokussierten dabei auch nur auf den Aussagen über Intelligenzvererbung. Wehler zufolge handelt die Debatte auf einer zweiten Ebene vor allem von den Grenzen von Meinungsfreiheit. Natürlich hätte Sarrazin wissen können, dass seine Ideen über Bevölkerungspolitik „gerade in Deutschland seit der Erfahrung mit der NS-Diktatur, die auf diese Weise ihr Ziel der »Rasse-Reinheit« erreichen wollte, zu Recht auf schroffe Ablehnung treffen“.118 Diese Ideen werden auch der Diskussion über seinen vielen anderen Argumenten beeinflussen. Über anderen Kapiteln, wie über Bildung oder sozialer Ungleichheit wird viel weniger oder gar nicht diskutiert, und das nehmt er den Sarrazin-Kritikern übel. Sie vermeiden eine offene Diskussion über Integrations- und Migrationsprobleme, stattdessen verstecken sie sich hinter den umstrittenen Argumente der Erbbiologie Sarrazins. Auch Autor, Regisseur und Islamkritiker Ralph Giordano behauptet, es wird nur auf die kontroversen Thesen reagiert und nicht breit diskutiert. Er schreibt in Die Welt, dass er mit den Thesen Sarrazins größtenteils einverstanden ist. Er sagt, dass er Deutschland schafft sich ab als eine Enzyklopädie des Integrationsproblems lese. Er ärgert sich an der deutschen 'politischen Korrektheit', und dass die Einzelheiten über Genetik aus dem Buch herausgenommen werden um zu zeigen wie rassistisch das Buch sei. Dadurch handelt die Debatte zu wenig von den Inhalt des Buches. Giordano zufolge liegt die Meinung der Politik und des Volkes weiter auseinander denn je. Obwohl Giordano völlig hinter Sarrazin steht, hat er auch ein Paar Anmerkungen: „Ich hätte mir Sarrazin gern öffentlich emotionaler gewünscht, und in den Debatten offensiver, mit mehr persönlicher Empathie“119. Der deutsche Schriftsteller und Künstler türkischer Herkunft Feridun Zaimoglu behauptet, Sarrazin erschwere die Debatte mit seinen Thesen. „Mit Sarrazin ist jetzt ein lupenreiner Rassist am Werk, der notwendige Debatten über Einwanderung, Integration und Bildungspolitik radikalisiert und soziale Probleme ethnisiert.“120 Zaimoglu nennt Sarrazin ein Brandstifter, der in seinem Buch zu grob argumentiert. Auch er behauptet, dass wegen der zu kontroversen Passagen eine gute Debatte über Integration nicht mehr möglich war. Journalist, unter anderem bei der Bildzeitung, Ernst Elitz ärgert sich in einem Kommentar in der Bild an dem Vorwurf von Sarrazin-Gegner, Sarrazin würde nichts neues erzählen. Die Zahlen und Tatsachen würden schon bekannt sein, Sarrazin verursache nur Panik. Das würde bedeuten, die Politik hätte versagt. „Das ist der wahre Skandal. Alles bekannt, aber nichts oder viel zu wenig getan.“121 Da vielen das Buch also nicht hilfreich finden, wird das Führen einer Debatte erschwert. Nach der Publikation von Deutschland schafft sich ab, wurde Sarrazin von der Bundesbank, wo er Vorstandsmitglied war, gedrängt zurückzutreten. Ökonomischer Journalist bei unter anderem dem

117 Schwarz, Patrik (Hrsg.): Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation und die Antworten. Hamburg: Edel Germany 2010. S. 151. 118 Ebd., S. 152. 119 Giordano, Ralph: Wider die Kreidefresser. In: Die Welt (04/09/2010). 120 Zaimoglu, Feridun: Saubermann als Brandstifter. Aus: Radikalismus der Mitte. In: Der Tagesspiegel (01/09/2010). 121 Elitz, Ernst: Abregen, anpacken! In: Bild (31/08/2010). 26

Handelsblatt Oliver Stock analysierte diesen Konflikt. Er behauptet Bundesbankpräsident Axel Weber und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben es nicht richtig gelöst. Sie hätten deutlich machen müssen, „weshalb Sarrazins Thesen über Biologismus und die Fertilität von Muslimen schrecklicher Unfug sind.“ Stattdessen sprachen sie nur darüber, wie das Ansehen von Deutschland im Ausland geschadet wurde. Das hat nicht zu einer öffentlichen Diskussion beigetragen. Der österreichische Journalist der linken Tageszeitung Robert Misik hat ganz andere Argumente für seine Behauptung, dass eine Integrationsdebatte anlässlich des Buches Sarrazins nicht möglich sei. Er sagt gerade, dass man überhaupt nicht über den Thesen Sarrazins diskutieren soll, weil sie nicht Diskussionswürdig wären. Der Grund, dass so viel über Deutschland schafft sich ab geredet und geschrieben wird in Zeitungen und Talkshows, ist Misik zufolge weil die Medien wissen, „dass es einen gesellschaftlichen Echo-Raum für die kalte Menschenfeindlichkeit gibt, die Sarrazin zum Ausdruck bringt.“122 Die Sarrazinanhänger tun Misik zufolge als ob sie unterdrückte Meinungen äußern und „von »politischer Korrektness« verfolgt“ werden. Misik behauptet, diese Meinungen werden in Deutschland gar nicht unterdrückt, und dass der Erfolg Sarrazins das auch beweist.

3.3 Meinungsfreiheit Es gibt ein Teil der Reaktionen wobei nicht nur auf dem Inhalt des Buches in Zusammenhang mit der Integrationsdebatte reagiert wird, sondern die auch reagieren auf der Verhaltensweise der Debatte in Deutschland selbst. Viele Reaktionen auf Sarrazin betonen den Wert einer öffentlichen Diskussion und der Meinungsfreiheit. Hierunter gibt es eine Sammlung und Analyse von Reaktionen die sich richten auf der Meinungsfreiheit und ihren Grenzen.

Journalist für Die Zeit und ehemaliger Tageszeitung-Redakteur Jörg Lau nehmt in der Sarrazin- Debatte eine gleichzeitige unbewusst geführte Diskussion über Meinungsfreiheit wahr. „Es wird mittlerweile genauso leidenschaftlich darüber gestritten, was man hierzulande um welchen Preis sagen darf – wie über die ursprüngliche Frage: Ob Sarrazin denn recht hat mit seinen Behauptungen über die Einwanderer“123. Die Sarrazin- oder Integrationsdebatte mutiert Lau zufolge in einer Debatte über der deutschen Debattenkultur. Viele Menschen sehen die öffentliche Debatte über der Fehlintegration als eine Befreiung, umso mehr weil Sarrazin nicht aus der rechten Szene stammt, sondern SPDer ist. „Das macht die Sache nämlich weniger verdächtig.“124 Lau behauptet, es gebe in Deutschland keine Tabus mehr bei der Integrationsdebatte und damit kein Problem der Meinungsfreiheit. In den letzten Jahren wurde über allerhand Themen gesprochen wie Moscheebau und Kopftücher. Deswegen haltet er es für „bizarr, wenn Sarrazin nun wegen seiner Zivilcourage gelobt wird“.125 Die Politik soll jetzt auch endlich offen über der Integration sprechen und keine Angst haben für die sogenannten Tabus. „Wer die empörten Leserdebatten verfolgt, sieht, wie fahrlässig dieses abwartende Schweigen der Politik ist.“126 Journalist Frank Schirrmacher der Frankfurter Allgemeine Zeitung dagegen meint, dass der Kern der Sarrazin-Debatte die Meinungsfreiheit ist weil Deutschland wohl ein Problem mit der Meinungsfreiheit hat. Nicht nur mit der Meinungsfreiheit Sarrazins, aber auch mit der Freiheit mit ihn einverstanden zu sein. Schirrmacher kritisiert wie Jörg Lau auch die Politik, insbesondere Bundeskanzlerin Merkel, weil sie das Buch Sarrazins, gleich „nicht hilfreich“ genannt hat und damit die Debatte verleugnet und vermeidet hat. Da sie denn auch das Buch überhaupt nicht gelesen hat, scheint sie uninteressiert und das Thema für unwichtig zu halten.

122 Misik, Robert: Sarrazynismus. In: Die Tageszeitung (01/09/2010). 123 Schwarz, Patrik (Hrsg.): Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation und die Antworten. Hamburg: Edel Germany 2010. S. 83. 124 Ebd., S. 85. 125 Ebd., S. 89. 126 Ebd., S. 90. 27

Literaturkritiker und beschäftigt bei der Literaturabteilung von Die Zeit Ulrich Greiner betont auch den Wert der Meinungsfreiheit, es sei eine der wichtigste Elemente der deutschen Kultur. „Selbst die wütendsten Religionsverächter und die heftigsten Kritiker unserer Lebensweise besitzen selbstverständlich das Recht auf Meinungsfreiheit, und niemand darf es ihnen streitig machen.“127 Journalist und Mitglied der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei Roger Köppel hat auch scharfe Kritik auf der Weise worauf die Politik mit Sarrazin umgegangen ist. Die Reaktionen von unter anderem der Bundeskanzlerin, dem Bundespräsident und verschiedenen Ministern und Politikern forderten mehr oder wenig die Entfernung von Sarrazin aus seiner Position als Vorstandsmitglied der Bundesbank. Dies bedroht Köppel zufolge die Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit in Deutschland hat offensichtlich eine Grenze, wobei eine unerlaubte Meinung zu einem Arbeitsplatzverlust fuhren kann. „Gegen Sarrazin wurden nicht Argumente, sondern politische Sanktionen aufgeboten.“128 Auch deutscher Jurist und Journalist der Süddeutsche Zeitung Heribert Prantl analysiert die Sarrazin-Debatte und geht ein auf der Kritik, dass die Meinungsfreiheit geschadet wurde wenn Sarrazin kritisiert und aus seiner Vorstandsmitgliedschaft entlassen wurde. Prantl zufolge ist das Schaden der Meinungsfreiheit durch die Entlassung nicht im Frage, weil er als Arbeitnehmer und Parteimitglied immer damit rechnen muss, dass der Arbeitsgeber und die Partei nicht immer mit den individuellen Meinungen ihren Arbeitnehmern und Mitgliedern assoziiert werden wollen. Als Privatperson hat er die unendliche Meinungsfreiheit, als Mitglied oder Teil eines größeren Instituts aber nicht. Prantl zufolge hat die Debatte nur Verlierer. Sarrazin sei nur in der rechten Ecke weggesetzt worden, die Presse hatte nur auf den meist provokanten Aussagen fokussiert und damit eine sinnvolle Diskussion über Integration behindert. Drittens nennt Prantl den damals neuen Bundespräsident als Verlierer, weil auch er es nicht geschafft hat, sogar überhaupt nicht versucht hat, eine sinnvolle Diskussion über Integration zu führen. Journalist bei Die Zeit Patrik Schwarz werft CDU-Bundespräsident Christian Wulff auch vor, unsichtbar zu sein in der Sarrazin- Debatte. „Integration ist sein großes Thema. Aber in der Aufregung blieb Wulff stumm.“129 Er hat als Bundespräsident eine verbindende Rolle spielen können. Wenn Wulff noch Ministerpräsident von Niedersachsen war, war das multikulturelle Deutschland sehr wichtig für ihn. Doch in seiner neuen Position ist er über dieser Sache kaum hörbar. Journalist Daniel Bax beobachtet in Deutschland aber einen großen Unterschied in Toleranz. Er nennt das Beispiel eines hasspredigenden Imams, der ohne Probleme aus Deutschland ausgewiesen wurde. Wenn versucht wurde, Sarrazin aus der SPD zu verweisen oder aus dem Bundesbankvorstand zu entlassen, dann wurde in den Medien von einer „Hexenjagd“130 oder einem „Exorzismus“ gesprochen, und war die Meinungsfreiheit auf einmal das Wichtigste. Also, die Meinungsfreiheit sei nicht bei jeder unbegrenzt. Wie Bax reagiert auch Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin Thea Dorn auf der Sarrazin-Debatte durch einzugehen auf der Meinungsfreiheit, die nicht für jede gleich gilt:

Dennoch genießt der Euphemist uneingeschränkt den Schutz der Meinungsfreiheit, die in diesem Land jedem Einzelnen verfassungsrechtlich garantiert ist. Der Polemiker hingegen riskiert ein Verfahren wegen Volksverhetzung.131

127 Ebd., S. 242. 128 Köppel, Roger: Selbst wenn Sarrazin unrecht hätte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (07/09/2010). 129 Schwarz, Patrik (Hrsg.): Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation und die Antworten. Hamburg: Edel Germany 2010. S. 236. 130 Bax, Daniel: Nein zum Salonrassismus. In: Die Tageszeitung (06/09/2010). 131 Schwarz, Patrik (Hrsg.): Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation und die Antworten. Hamburg: Edel Germany 2010. S. 173. 28

3.4 Tabus Es gibt ein Teil der Reaktionen, die handeln von den Thesen Sarrazins rund Genetik und Rasse, oft in Verbindung mit Tabus und politischer Korrektheit. Oft wird dann verwiesen nach der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands. Im Folgenden eine Sammlung und Analyse dieser Reaktionen. Dabei muss man die Definition von Tabu kennen und man muss dabei auch beachten, dass 'Enttabuisierung' sowohl positiv als negativ geschätzt werden kann. Einerseits gibt es die Behauptung, dass es keine Tabus geben soll und man über alles ohne Begrenzung sprechen können soll, also ein Argument das auch in Verbindung steht mit Meinungsfreiheit. Andererseits kann man auch sagen, Tabus gibt es nicht grundlos. Die Gesellschaft oder Kultur verurteilt offensichtlich bestimmte Sachen und Meinungen, meistens weil sie moralisch verwerflich sind.

Anthropologe Franz Steiner, bekannt für sein Werk über Tabus, definiert Tabus als ein Vermeiden. In jeder Kultur gibt es Themen, Ideen, Personen und Gebräuche die innerhalb der Kultur unter bestimmte oder alle Umstände als zu vermeiden klassifiziert sind. Das Tabu wird als gefährlich, ekelhaft, entartet oder verwerflich begegnet, das zu vermeiden kann praktisch oder 'korrekt' sein. Daneben wird das Ignorieren eines Tabus als eine Übertretung verstanden, was zu sogenanntem sozialem Selbstmord leiten kann. So wirken Tabus als Grenze und Beschränkung der ungeschriebenen Gesetzen der Gesellschaft. Früher waren es die Linksintellektuellen, die versuchten, die Tabus zu durchbrechen. Sie bewachten die Freiheit der öffentlichen Diskussion und darum stritten sie gegen alle Sachen die dieses hinderten. Aber heute werden Tabuvorwürfe nicht mehr nur durch Linksintellektuellen geäußert, sondern kommt die Enttabuisierung aus allen politischen Richtungen. Es ist nicht verwunderlich, dass Sarrazin – ehemaliger SPD-Politiker, jetzt durch vielen rechts genannt – Enttabuisierung bewusst in seinem Buch benutzt. Historiker Heinrich Bodensieck schreibt in Tabuvorwurf in der Bundesrepublik: „Bei Tabu und Totschweigen handelt es sich also durchaus um Ausdrücke, die jeder seinem Gegner vorhalten kann. Wer sie verwendet, kann mit den Vorwürfen zugleich darauf verweisen, wem er die Verantwortung für eine Tabuisierung zuweist.“132 In einer Debatte kann man Tabuvorwürfe also auch als Argument einsetzen. Es ist nicht undenkbar, dass Sarrazin bewusst die Rolle des Tabubrechers und Befreiers auf sich genommen hat, da diese Rolle ansprechend ist für Menschen, die sich an 'politische Korrektheit' ärgern.

Enttabuisierung Der schweizerische Germanist Mario Andreotti schreibt über Tabus in der deutschen Literatur und nehmt eine schnelle Enttabuisierung wahr. Er seht die Enttabuisierung als Teil des neuen Realismus in der Literatur. Autoren versuchen die absolute Realität wiederzugeben und dazu zählen auch Tabus. Enttabuisierung kann positiv sein, weil es dann eine öffentliche Diskussion geben kann und die Realität vollständig wiedergegeben werden kann. Andreotti zufolge soll die Absicht der Enttabuisierung sein, eine Debatte zu eröffnen. Nicht die Enttabuisierung selbst soll das Ziel sein:

Moralisch zu werten ist das grundsätzlich nicht. Bedenklich wird diese Enttabuisierung erst dann, wenn sie Selbstzweck ist, wenn sie als reiner Köder benutzt wird, um neue Leser für ein Werk zu interessieren. Und das ist heute, wenn ich recht sehe, aus Gründen des Marketings leider immer öfter der Fall.133

132 Bodensieck, Heinrich: Tabuvorwurf in der Bundesrepublik. In: Gewerkschaftliche Monatshefte, 12 (1966). S. 712. 133 Andreotti, Mario: Kein Platz mehr für Tabus. Literatursprache im Wandel: Gegenwart. In: Sprachspiegel 70-5. Zürich 2014. 29

In Sarrazins Deutschland schafft sich ab werden mehrere Tabus behandelt bzw. durchbrochen. Obwohl es hier nicht um einen Roman, sondern um Sachliteratur handelt, kann man bei Sarrazin auch Kennzeichnen des neuen Realismus entdecken. Sarrazin versucht die Realität wiederzugeben, weil laut ihn in der Politik über bestimmten Themen (unter anderem Migration und Armut) viel verschwiegen oder sogar gelogen wird. Das wichtigste Tabu, worauf er in seinem Buch eingeht, sind genetische oder biologische Argumente in der Migrationsdebatte.

Genetische Argumente In dem Artikel Deutschland schafft sich ab. Warum Thilo Sarrazins Buch den richtigen Titel trägt geht der damaligen SPD-Vorsitzender und Minister Sigmar Gabriel ein auf diesen biologischen und genetischen Argumenten Sarrazins. Zuerst setzt er voraus, dass er eine offene Diskussion über den Misserfolgen der deutschen Integrationspolitik ermutigt. Die Argumente Sarrazins gehen aber viel zu weit und gehören nicht in der Debatte. Er scheut eine Referenz an dem Nationalsozialismus nicht: „[Sarrazin] greift dabei zurück auf bevölkerungspolitische Theorien, die […] in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grundlage für die schrecklichsten Verirrungen politischer Bewegungen wurden.“134 Gabriel ist empört, dass Sarrazin denkt, das Integrationsproblem mit einer Fortpflanzungspolitik auflösen zu können. „Das Grundgesetz ist ja – den Nürnberger Ärtzteprozess noch vor Augen – gerade gegen diese Verbindung der sozialen mit der genetischen Frage geschrieben worden.“135 Dass Sarrazin so stark fokussiert auf der erblichen Intelligenz, und Bildung und Chancengleichheit dabei unterordnet, kann Gabriel nicht verstehen. „Welch ein hoffnungsloses Menschbild wird hier, 200 Jahre nach der europäische Aufklärung, produziert?“136 Am schlimmsten findet er, „dass dieser Rückgriff auf die Eugenik in unserem Land gar nicht mehr auffällt, ja mehr noch: als »notwendiger Tabubruch« frenetisch gefeiert wird.“137 Er fügt daran zu, dass er das bis vor kurzem völlig undenkbar gehalten hat und, dass die Argumente Sarrazins nicht an einer guten Integrationsdiskussion beitragen: „Wer unter dem Banner der Meinungsfreiheit (»Das wird man doch wohl noch sagen dürfen..«) ethnische […] Ressentiments in der Politik wieder geschäftsfähig macht, der bereitet den Boden für die Hassprediger im eigenen Volk.“138 Der amerikanische Historiker Sander L. Gilman hat die neue Debatte über Genetik, die anlässlich Sarrazins Buch entstanden ist, analysiert. Sarrazins These, dass Juden ein bestimmtes „Intelligenz- Gen“ haben, hat nämlich zu großer Empörung geführt, laut Einigen sogar mehr als die Aussagen über der „Dummheit“ der muslimischen Migranten. Sarrazin versuchte mit dem Argument, dass Juden die Intelligentesten sind, die Anklage, dass er ein Rassist sei, voraus wegzunehmen; eine Strategie die schon oft verwendet wurde. Ob eine genetische Zuschreibung positiv oder negativ ist, ist egal. Sie bleibt eine Äußerung von Glauben an genetischen Unterschieden zwischen verschiedenen Gruppen Menschen. Gerade die Zuschreibung von einem hohen Intelligenz, die Sarrazin noch mal betont durch auf den vielen Nobelpreisen die durch Juden gewonnen sind, zu weisen, ist in der deutschen Geschichte überhaupt nicht immer positiv gewesen. Es deutet gerade wieder auf der sogenannten Juden-Verschwörung, wobei Juden einen überdurchschnittlich großen Einfluss in der Gesellschaft haben würden, woran vielen glaubten im Anlauf zu dem Zweiten Weltkrieg.

134 Schwarz, Patrik (Hrsg.): Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation und die Antworten. Hamburg: Edel Germany 2010. S. 163. 135 Ebd., S. 164. 136 Ebd., S. 167. 137 Ebd., S. 169. 138 Ebd., S. 169. 30

Das Judengen Es hat lange Zeit gedauert, bis es auch in Deutschland eine rechts-populistische Partei gab. Journalist bei Die Zeit Matthias Geis spricht von einem „historisch tief begründeten Tabu gegenüber jeder Spielart rechter politischer Experimente.“139 Seit es rechte populistische Politiker (wie die Partei Alternative für Deutschland) oder Leute wie Thilo Sarrazin in der Öffentlichkeit gibt, gibt es Geis zufolge ein neues deutsches Tabu: „[Das Tabu] schützt die Tabubrecher. […] Was leicht wie politische Brandstiftung anmutet, beansprucht plötzlich erfolgreich den Status der Aufklärung.“140 Wer den Populismus kritisiert, schenkt keine Aufmerksamkeit auf dem Volk, ist zu elitär und glaubt an 'Multikulti-Märchen'. Geis beschreibt die Methoden der heutigen deutschen rechtspopulistischen Parteien und Gruppen. Sie müssen ihre Anhänger beibringen, dass man „Juden und Homosexuelle mögen muss, um sich aggressiv und herablassend gegenüber den Muslimen ausleben zu dürfen“141, weil in Deutschland „jede Berührung mit der deutschen Vergangenheit zum sofortigen Debakel führen würde.“ Auch Journalist der Frankfurter Allgemeine Zeitung Frank Schirrmacher beobachtet eine bewusste Strategie bei Sarrazin, wenn es über Juden geht. Die Juden eine hohe Intelligenz zuzuschreiben, wäre eine „Sicherheitsmaßnahme“142. Wenn er über der Genetik schreibt, verschleiere Sarrazin Schirrmacher zufolge die Terminologie, damit es nicht auffällt. Schirrmacher ist schockiert über den genetischen Argumenten Sarrazins. Auch er weist hin auf der Geschichte Deutschlands. „[Im] innersten dieses Buches steckt eine vulgärdarwinistische Gesellschaftstheorie, die mit einer Unbefangenheit dargelegt wird, als hätte es alle Erfahrungen des 20. Jahrhunderts nicht gegeben.“143 Mitbegründer der linken Tageszeitung und heutiger Journalist bei verschiedenen deutschen Zeitungen Arno Widmann weist auch auf der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands hin. Es sei ein Fortschritt, dass es in Deutschland seitdem „einen Konsensus darüber [gäbe], dass von einen Judengen zu sprechen »inakzeptabel« sei.“144 Widmann findet es aber schade, dass es vor allem die Rede über dem „Judengen“ Wut auslöste, und die Äußerungen über Muslime viel weniger. „Wir sollten lernen, »Stoppt den Rassismus« zu rufen, auch wenn der sich nicht gegen Juden äußert.“ Auch SPD-Politiker und ehemaliger Bundesminister Klaus von Dohnanyi weist auf der Geschichte Deutschlands hin, zieht aber einen anderen Schluss daraus:

Das Verbrechen und Deutschlands große Schuld des Holocaust haben bei uns zunächst Verdrängung und dann eine Vielzahl von Tabus (genannt »politische Korrektheit«) bewirkt. Im Schatten unserer Geschichte und eines oft allzu einseitigen Bildes unserer Selbst scheuen wir uns vor Debatten und Worten, die bei anderen Völkern gang und gäbe sind.145

Eine freie Diskussion würde hierdurch also nicht möglich sein. Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses Maram Stern ist aber nicht damit einverstanden und ärgert sich daran, dass die Juden immer wieder „als Beleg für alle möglichen Thesen herhalten“146 werden. Obwohl Sarrazin „positiv“ über einem Judengen schreibt, werden „Juden

139 Ebd., S. 200. 140 Ebd., S. 201. 141 Ebd., S. 201. 142 Schirrmacher, Frank: Sarrazins drittes Buch. Des Pudels Kern ist eine vulgärdarwinistische Gesellschaftstheorie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (01/09/2010). 143 Ebd. 144 Widmann, Arno: Wider den Rassendünkel. Analyse. In: Frankfurter Rundschau (04/09/2010). 145 Dohnanyi, Klaus von: Feigheit vor dem Wort. In: Süddeutsche Zeitung (06/09/2010). 146 Stern, Maram: Der benutzte Jude. In: Süddeutsche Zeitung (08/09/2010). 31 wieder herausgehoben aus der Allgemeinheit, in eine Sonderstelle gesetzt und damit letztlich doch wieder stigmatisiert.“ In einem Interview in Die Zeit wird der ehemalige SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt befragt über der Integrations- und Sarrazin-Debatte in Deutschland. Er nennt die genetischen Argumenten Sarrazins eine Schwäche in seiner Argumentation und seinem Gedankengang. Sarrazin vermische Vererbung mit kulturellen Traditionen. Aber Schmidt sagt auch: „man kann über Sarrazin sagen, was man will, er hat einen Punkt erwischt, der bisher quasi tabu gewesen ist.“147 Die Fehlintegration ist Schmidt zufolge also ein Tabu. Es wird ihm nach anderen deutschen Tabus als die genetische Argumentation gefragt, worauf er die Zukunft der Bundeswehr (2010 wurde eine Bundeswehr- Reform errichtet und 2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt) und der Konflikt zwischen Israel und Palästina nennt. Er nennt Tabuisierung „nicht notwendigerweise moralisch verwerflich“, und versteht, warum man in Deutschland nur schwer Israel kritisieren kann, und genetische Argumente vom Übel sind.

[I]ch weiß, dass die Erinnerung an Auschwitz und an den Versuch, der zum großen Teil gelungen ist, die europäischen Juden auszurotten, noch weit über Ihre Generation hinaus sowohl im Bewusstsein der Nachbarn Deutschlands und anderen Völker in der Welt aufrechterhalten bleiben wird wie hoffentlich auch in dem Bewusstsein der Deutschen.148

Es wird wohl über diesen deutschen Tabus in den Medien berichtet, es gibt aber kaum Raum dafür, die Sachen zu kritisieren. Die Tabuisierung lehnt Schmidt zufolge eine öffentliche Diskussion ab. Ehemaliger CDU-Innenminister Thomas de Maizière seht das anders. Er sagt, dass gerade weil Deutschland die Nazi-geschichte hat, es besser mit Rechtspopulismus umgeht als andere europäische Länder, weil „wir schon manche Lektionen gelernt haben.“149 Journalistin und Literaturkritikerin Armgard Seegers hat eine ganz klare Meinung über den herrschenden Tabus in den Integrationsdebatten in Deutschland. Sie sagt, es herrsche einen allgemeinen Konsens darüber, was man sagen darf und mit welchen Worten. Die Medieninteresse und die Kritik auf Sarrazins Deutschland schafft sich ab beweisen das ihn zufolge. Seegers behauptet auch, es gebe Sprechverbote in Deutschland, „aber es gehört möglicherweise auch schon zu den Sprechverboten, auszusprechen, dass es sie gibt.“150 Konkret nennt sie das Generalisieren von Bevölkerungsgruppen als etwas, was man nicht machen kann in Deutschland. „Kollektive Zuschreibungen sind tabu.“151 Auch das Konstatieren von bestimmten Problemen oder Fakten, „die man mit den Werkzeugen der nicht mehr erklären kann,“152 erfahrt sie als etwas was man nicht machen kann. Auch darf man nicht stolz sein auf dem Deutschsein. Diese Sprechverbote und Tabus werden von sogenannten „Diskurswächtern“153 aufrechterhalten, gemäß inoffiziellen Regeln. Wenn man ein Tabu bricht, wird man ständig in der rechten Ecke gestellt, Seegers nennt das ein „Todschlagargument“.154 Das trägt dazu bei, dass eine offene Diskussion

147 Schwarz, Patrik (Hrsg.): Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation und die Antworten. Hamburg: Edel Germany 2010. S. 225. 148 Ebd., S. 226. 149 Ebd., S. 208. 150 Seegers, Armgard: Was darf man heute sagen und was lieber nicht? In: Hamburger Abendblatt (01/09/2010). 151 Ebd. 152 Ebd. 153 Ebd. 154 Ebd. 32 erschwert wird, weil nicht auf den inhaltlichen Argumente reagiert wird, sondern es ein persönlicher Angriff wird. Autor Henryk M. Broder, der als Islam- und Einwanderungskritiker bekannt ist, behauptet Sarrazin wird ungerecht angegriffen auf seinen Aussagen über Genetik und „dem Judengen“. Es wird so oft über Gen gesprochen, nur bei Sarrazin ist es total umstritten. „Das Sarrazin dennoch solche Aggressionen mobilisiert, liegt nicht daran, dass er sich möglicherweise in einigen Punkten irrt, sondern daran, dass er vermutlich in den meisten recht hat.“155 Sarrazin hat es alles vielleicht schöner und weniger verdächtig formulieren können, aber Broder zufolge hat er wohl recht. Broder zufolge werden sogenannte Tabubrecher in Deutschland nur geschätzt, wenn sie „offene Türen einrennen“ und Tabus brechen die es überhaupt nicht gibt. Der konservative Journalist und Schriftsteller Matthias Matussek zufolge, steht die „Kultur der Gesinnungsverdächtigung“156 die Debatten in Deutschland im Wege. Man passt zu viel auf, auf was er sagt: „kaum nimmt einer die Worte »Gen« und »Jude« in den Mund.“ Man soll „frei und ohne Scheuklappen und Sprachregelungen“ Debatten führen können. Sarrazin wird vor allem kritisiert für seine Aussagen über Genetik, auf seinen anderen Thesen wird kaum eingegangen. Matussek behauptet, Sarrazin verkörpere etwas größeres: die Empörung über Merkel, dem politischen Establishment in Deutschland und den etablierten (linken) Medien. Die Kritik auf Sarrazin wird Matussek zufolge nur durch den politisch korrekten Politiker und Medien geäußert, während Sarrazin gerade bei Leute die nicht gehört werden, Beifall findet. In dem Ausland wird auch reagiert auf den Tabus in Deutschland. Oben der Kolumne in Spectator von dem amerikanischen Journalist verschiedener amerikanischer Zeitungen Christopher Caldwell steht der Titel You can’t say that here!157 Hiermit weist er hin auf den Tabus in Deutschland schafft sich ab. Er behauptet, es sei Zeit für eine Enttabuisierung. Es war gut, dass in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg keine Diskussionen über Lebensraum oder Rassen geführt werden konnten. Aber dieses Schweigen hindert heute die deutsche Politik daran, bestimmte Debatte zu führen oder bestimmte Entscheidungen zu treffen.

3.5 Reaktion Sarrazin Nach dem Erscheinen von Deutschland schafft sich ab brach gleich die Debatte aus und bekam Sarrazin viel Kritik. Die Kritik war für vielen gerade den Beweis, dass man in Deutschland nicht alles sagen kann und dass die Integration ein wichtiges Thema ist um über zu Debattieren. Die Kritik auf seinem Buch und seinen Aussagen in den Medien hat Sarrazin viel Publizität gegeben. Tabus und “Diskursverbote“158 verstärken gerade sein Punkt:

Von Negativeffekten für Sarrazin kann trotz des Bundesbankabgangs kaum die Rede sein. Schon eher von einem fetten Pensionsangebot, einem Bestseller und ausgiebigem Dank dafür, endlich Debatten über sogenannte Tabuthemen möglich gemacht zu haben.159

155 Broder, Henryk M.: Thilo und die Gene. Streitfall Sarrazin: Haben eigentlich alle dasselbe Zeug gekifft? In: Der Spiegel 36/2010 (06/09/2010). 156 Matussek, Matthias: Die Gegenwut. In: Spiegel Online (06/09/2010). URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sarrazin-debatte-die-gegenwut-a-715836.html (Abgerufen am 12/10/2018). 157 Caldwell, Christopher: You can't say that here! Thilo Sarrazin is breaking Germany's taboos on welfare and immigration - and selling over a million books in the process. In: Spectator (15/01/2011). 158 Kuhn, Gabriel; Wamper, Regina: >Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.< Wie männliche, weiße, sozial Privilegierte zum Opfer der Unterdrückung werden. In: Sebastian Friedrich: Rassismus in der Leitungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der ›Sarrazindebatte‹. Münster: Edition Assemblage 2011. S. 253. 159 Ebd., S. 253. 33

Während der Debatte hat Sarrazin in Talkshows und Interviews reagiert auf der Kritik und der Debatte. Die Kritik die oft auf Deutschland schafft sich ab gegeben würde, war, dass Sarrazin sehr viele Problemen darstellt, dafür aber nur einige Lösungen oder Folgeschritte anführt. Darüber sagt Sarrazin:

Meine politische Erfahrung ist: Wenn ich bei einem Thema etwas bewegen will, muss ich zuerst die Fakten in einer so klaren und eindeutigen Weise benennen, dass niemand an ihnen vorbeikommt – und ich darf bloß keine Lösungen vorschlagen.160

Er richtet sich also zuerst auf der Darstellung des Problems, und erspart sich die Suche nach einer Lösung. In einem Interview sagt Sarrazin, dass seine Enttabuisierung erfolgreich gewesen ist. „Die Probleme der Integration sind politisch besprechbar geworden – das betrachte ich als Gewinn.“ In einem Interview in 2010 in Die Zeit, reagiert Sarrazin auf dem Vorwurf, dass das Buch rassistisch sei: „Ich bin kein Rassist. […] Das Buch zielt nirgends auf ethnische, sondern auf kulturelle Abgrenzungen.“161 Auf der Frage, ob er manche Aussagen oder Formulierungen (wie zum Beispiel „Kopftuchmädchen“) nicht bereut, antwortet Sarrazin:

Nein, nein. Ich habe immer die verbale Artillerie aufgestellt. Die muss auch kräftig ballern, aber ich habe immer nur dort geballert, wo ich wusste, dass ich ohne Weiteres nicht zu kriegen bin. Ich mache auch keine verbalen Breitseiten, sondern habe eine präzise Wortwahl, die die Dinge auf den Punkt bringt.162

2013 reagiert Sarrazin in einem Interview mit der niederländischen Zeitung Trouw auf den Reaktionen auf Deutschland schafft sich ab und der Integrationsdebatte danach:

Die heftigen und emotionalen Reaktionen auf meinem Buch haben mir erstaunt, sogar schockiert. Persönlich war das nicht einfach, auch nicht für meine Frau. Aber Emotionen sind nicht immer schlecht. Ich sagte was jeder dachte, aber nicht wagte zu sagen.“163

Sarrazin weiß nicht, ob er die Integrationsdebatte mit seinem Buch beeinflusst hat. „Die Politische Korrektheit gibt es immer noch, aber nach meinem Gefühl ist es wohl einfacher, über Problemen rund Immigration zu sprechen.“164 In einem Interview mit der niederländischen Zeitung De Volkskrant sagt er, dass er gar nicht so radikal ist als ihm vorgeworfen wird. „Ich bin nicht radikal, sondern analytisch. […] Radikal wurde ich gemacht durch diejenigen die nicht klar denken können oder wollen. Und davon gibt es sehr viele.“165

160 Schwarz, Patrik (Hrsg.): Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation und die Antworten. Hamburg: Edel Germany 2010. S. 101. 161 Ebd., S. 110. 162 Ebd., S. 105-106. 163 Poll, Wilfred van de: Thilo Sarrazin, verbannen uit weldenkend Duitsland. In: Trouw (17/02/2013). (Übersetzt aus dem Niederländischen). 164 Ebd. (Übersetzt aus dem Niederländischen). 165 Sommer, Martin: De rekening is gesloten. In: De Volkskrant (08/12/2012). (Übersetzt aus dem Niederländischen). 34

4. Konklusion Bis heute löst Sarrazin immer noch Debatten aus mit seinen Büchern, Deutschland schafft sich ab war das erste Buch womit er bekannt wurde für seine Ideen über Muslime, der multikulturellen Gesellschaft und dem angeblichen Einfluss auf der Demographie. Er war ein erfolgreicher SPD- Politiker und Bundesbankvorsitzender, aber ab 2010 wurde er dann noch bekannter als Autor, Meinungsmacher und Islam- und Einwanderungskritiker. Nach dem Analysieren der Sarrazin-Debatte habe ich herausgefunden was die thematischen Schwerpunkten der Kritik auf dem Buch waren, wer die Teilnehmer der Debatte waren und welche verschiedene Gruppen von Meinungen es in der Debatte gibt.

Worauf wurde reagiert? Wenn man die Reaktionen verbindet an den Stellen im Buch worauf reagiert wird, fällt besonders auf wie schief das verteilt ist. Die große Mehrheit der Kritik bezog sich auf nur ein paar Kapitel oder sogar Absätze. Es gibt ganze Kapiteln worauf gar nicht reagiert worden ist und wobei man sich fragen kann, ob sie überhaupt von den Kritikern gelesen sind. Die Vernachlässigung des Themas 'Bildung', dass einen signifikanten Teil des Buches einnehmt (das Kapitel Bildung und Gerechtigkeit zählt schon 67 Seiten), blieb in der Debatte unterbelichtet, obwohl die Bildungssysteme Deutschlands doch eine Reform und Diskussion wert scheinen zu sein wegen der schlechten Resultaten deutscher Schüler im Vergleich mit Schüler anderer hochentwickelten westlichen und asiatischen Länder. Auch Kapitel Vier über Armut und Chancenungleichheit, bekam nur wenig Interesse, obwohl die Sozialhilfe immer ein heißes Thema ist in der deutschen Gesellschaft und Politik; die Regelung des Arbeitslosengeld Hartz VI steht oft zur Diskussion. Weil die Argumente Sarrazins für das Beeinflussen der Demografie durch vielen gleich abgelehnt wurden, wurde auf den möglichen Lösungen die Sarrazin hierfür gibt, wie zum Beispiel Frauen mit einem Universitätsabschluss eine große Summe Geld zu geben wenn sie früh Kinder bekommen, nicht reagiert. Auf anderen Kapiteln und Absätzen dagegen wurde ganz viel reagiert, negativ und positiv. Vor allem der Absatz im zweiten Kapitel (Zeichen des Verfalls), der handelt von 'das Judengen', wurde sehr oft zitiert und kritisiert, wie auch die Erblichkeit der Intelligenz im zweiten und achten Kapitel (Demografie und Bevölkerungspolitik). Daneben wurde im Allgemeinen die Generalisierung von Muslime kritisiert.

Teilnehmer der Debatte Die Sarrazin-Debatte, die sich großenteils in den Medien abspielte, bestand aus vielen verschiedenen Teilnehmern. Vielen waren Journalist, Herausgeber, oder auf eine andere Weise mit einer Zeitung oder Zeitschrift verbunden. Daneben gab es einige Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler. Auch manche Politiker reagierten auf der Debatte, aber zu einer großen Debatte im Parlament kam es nicht. Die meisten Teilnehmer waren deutscher Herkunft, aber es gab auch eine Gruppe von Diskussionsteilnehmer die bestand aus Muslime oder Personen mit Migrationshintergrund, worin es sowohl Gegner als Anhänger gab. Die Debatte wurde aber auch außerhalb der Medien geführt, dies war aber schwieriger zu folgen. Der Bürger war kaum in der Lage teil zu nehmen an der öffentlichen Diskussion. In den Feuilletons waren ihre Reaktionen nicht zu lesen. Ihre Debatte wurde vor allem im persönlichen Kreis geführt. Auch auf der Straße, bei Demonstrationen, wurden ihre Meinungen manchmal vermittelt. Es gab verschiedene Protestaktionen, pro- und anti-Sarrazin. Die anti-Sarrazin Proteste waren vor allem gegen Rassismus gerichtet, mit Sprüche wie Sarrazin: halt‘s Maul! und Schluss mit dem Rassismus.166

166 Poll, Wilfred van de: Thilo Sarrazin, verbannen uit weldenkend Duitsland. In: Trouw (17/02/2013). 35

Es wurde bei den pro-Sarrazin Proteste vor allem gegen die Islam und für die Meinungsfreiheit demonstriert. Für viele Bürger war Sarrazin derjenige, der sagte was sie dachten. Er war am Anfang auch keine kontroverse Figur, sondern ein ordentlicher, langweiliger Bundesbank-Vorsitzender, und, zwar an der rechten Seite der Partei, aber jedoch ein unverdächtiger SPD-Politiker. Andere Figuren mit einer vergleichbaren Meinung als Sarrazin, waren manchmal zu kontrovers. Zum Beispiel verschiedene Mitglieder der Partei Alternative für Deutschland die es heute gibt, sind für viele Deutscher zu extrem, zu kontrovers und zu 'verdächtig'. Sarrazin war zugänglich, wurde von vielen Politiker respektiert und hatte keine umstrittene Vergangenheit. Er war gerade ein Mitglied der amtlichen und politischen Elite.

Verteilung der Debatte Wie festgestellt ist am meisten auf den Teilen des Buches über Genetik reagiert worden, also auf der Erblichkeit der Intelligenz. Die Reaktionen darauf waren zum größten Teil negativ, die Argumenten wurden abgelehnt. Sie wurden als rassistisch bezeichnet und manchmal wurde auf der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands gewiesen. Neben den inhaltlichen Reaktionen, gab es auch eine große Meta-Diskussion über der Weise worauf die Debatte geführt wurde oder geführt werden sollte. Die Meinungsfreiheit war innerhalb dieser Debatte ein großes Thema. Ein Teil der Kritiker glaubte, dass man alles sagen dürfen soll und dass es also keine Tabus geben soll, weil das die Debatte beschränken würde. Die Meinungsfreiheit und Enttabuisierung waren für diese Gruppe also Voraussetzungen für eine gute öffentliche Debatte. Andererseits gab es die Gruppe, die vor allem inhaltlich auf dem Buch reagierte und auf Rassismus hinwies, und die Enttabuisierung nicht unbedingt als positiv betrachtete. Die Themen die sich in der Debatte als Tabus herausstellten sind: genetische Argumente, Zuschreibung von Eigenschaften an ethnischen Gruppen, kollektive Zuschreibungen an Juden ins besondere und das Unterordnen von Bildung an angeborener Intelligenz. Auch stolz sein auf dem Deutschsein ist immer noch ein sensibles Thema. Sarrazin selber sah auch das Aussprechen von Fakten und Daten, die nicht 'politisch korrekt' sind, als Tabu. Schließlich war die Sarrazin-Debatte eine echte deutsche Debatte, mit viele starke Meinungen, die auf scharfem Ton geäußert wurden. Die Argumente standen wie immer im Schatten der Vergangenheit.

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