Städtepartnerschaft mit Wiesbadener Delegation lernt die Partnerstadt in kennen

Die Kontakte zwischen den dass Wiesbadens Oberbürger- Partnerstädten und meister Dr. Helmut Müller die Ocotal (Nica-ragua) verliefen Partnerstadt im Jahre 2012 besu- seit Bestehen der Partnerschaft chen würde. Sein Angebot an die in der Regel über den Verein in der Stadtverordnetenversamm- Nueva Nicaragua und auf priva- lung vertretenen Fraktionen, im ter Ebene; außer einer ersten März an der Reise teilzunehmen, offiziellen Wiesbadener Dele- wurde lediglich von der SPD und gation, die Ende der 80er Jahre der CDU wahrgenommen. zur Vertragsunterzeichnung der Partnerschaftsurkunde Die Stadtverordneten Sven Ge- nach Ocotal reiste, waren es rich (SPD), Fraktionsvorsitzender die Bürgermeister aus Ocotal, und Ulrich Weinerth (CDU), Vor- die zu offiziellen Anlässen nach sitzender des Sozialausschusses, Wiesbaden kamen. begleiteten den Oberbürger- Im Jahr 2011 zeichnete sich ab, meister nach Nicaragua.

Anreise mit Hindernissen

Nach einer strapaziösen 18- Stunden Fahrtzeit über die stündigen Anreise von Frank- „Panamericana“ einkalkulie- furt via Houston/USA nach ren muss. Managua wurde die Delega- Die Fahrt nach Ocotal führte tion abends von Bürgermeis- durch attraktive Landschaf- ter Carlos Norori, der eine ten, vorbei an einfachen An- mehr als vierstündige An- siedlungen und Dörfern, Ein- fahrt aus Ocotal in Kauf ge- zelgehöften, Tank- und Rast- nommen hatte, am Flugha- stätten. Die Straße wird mar- fen empfangen und herzlich kiert von kilometerlangen begrüßt. Farbmarkierungen der Par- In seiner Begleitung Frau Dr. Damit er sich in Ocotal zu jHause fühlt, überreichte Ocotals Bürgermeis- teien aus dem zurückliegen- Ursula Weibler, die als Ver- ter Dr. Norori symbolisch den Stadtschlüssel an seinen Wiesbadener den Wahlkampf, kein Be- antwortliche des Vereins Amtskollegen Dr. Helmut Müller. grenzungspfosten, kein Lei- Nueva Nicaragua die Wies- tungsmast, kein Bus-War- baden-Delegation während tehäuschen, das nicht in der Dauer des Besuchs be- schwarz/rote Farbe getaucht gleitete. Als ständige Dol- wäre und ganze Felsformati- metscherin stand der Dele- onen, die in schriller Pinkfar- gation Veronika Krevalek, die be leuchten. seit 8 Jahren in Nicaragua Die Fahrt der Wiesbadener lebt und dort u. a. beruflich Delegation dauerte dann für die Vermittlung von frei- doch erheblich länger als ein- willigen Helferinnen und geplant. Demonstranten hat- Helfern aus Übersee verant- ten Felsbrocken auf die Fahr- wortlich ist, zur Seite. bahn gerollt und den Verkehr Nach der ersten Übernach- für ca. zwei Stunden blo- tung in Managua, das als un- ckiert. Wilde Debatten in wirtliche Großstadt nach ver- Demonstrantengruppen und, heerenden Erdbeben in den einen Steinwurf entfernt, 1970ern praktisch ohne Polizisten in Kampfanzug, Stadtplanung wieder aufge- bestimmten das Bild direkt baut wurde, machte sich die an der Barriere. Delegation mit einem Klein- Mit entsprechender Verspä- bus auf den ca. 200 Kilome- tung traf die Gruppe bei der ter langen Weg nach Ocotal, Demonstranten hielten den Verkehr für ca. zwei Stunden auf, um politi- Stadtratssitzung ein, in der für den man vier bis fünf sche Forderungen durchzusetzen. Die Polizei blieb im Hintergrund. gerade eine Fragestunde ab- lief. Nach deren Ende wurde die Gruppe aus Wiesbaden im Beisein zahlreicher Bürgerinnen und Bürger sehr herzlich begrüßt. Bürgermeister Norori brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, dass es nach langen Jah- ren und kurz vor Ende seiner Amtszeit endlich gelungen sei, den Wiesbadener Oberbürgermeister in Ocotal zu begrüßen.

Als Willkommenszeichen und der Hoffnung, dass man Probleme hier wie da. Verwahrloster Garten, zerschlissener Fahrbahnbe- sich zuhause fühle, überreichte der Bürgermeister einen lag, defektes Sporthallendach - Bürgersprechstunde während der Stadt- symbolischen Schlüssel der Stadt Ocotal. ratssitzung in einem Stadtteil Ocotals. Der Sitzung schloss sich ein kurzer Stadtrundgang zu wichtigen, historischen Gebäuden im Zentrum Ocotals Treff beim Kulturabend an. Erste Kontakte zu aus Wiesbaden geförderten Initiativen und Einrichtungen ergaben sich bei der „Kulturnacht“ im Haus der Kultur “Augusto C. Sandino”, bei der die Wies- badener Delegation noch einmal willkommen geheißen wurde. Nach Absingen beider Nationalhymnen wurde ein neu veröffentlichtes Buch über die Kultur Nicaraguas vorgestellt und als Gastgeschenk überreicht. Ein Gesangsduo sang populäre nicaraguanische Lieder, der von Wiesbaden geförderte Kindergarten zeigte einen kleinen Schautanz und eine Gruppe der Zirkusschule be- eindruckte mit einer Jongelage. Auf dem Weg zum ab- schließenden Abendessen fiel für ca. 1,5 Stunden der Strom aus, was niemanden aufregte, weil das halt vor- kommen könne, mal eine halbe Stunde aber auch schon Kulturabend mit Begrüßung durch viele Menschen, die in von Wiesbaden mal 24 Stunden dauere, bis wieder Strom vorhanden sei. geförderten Projekten arbeiten oder dort betreut werden. Altenpflege - anders!

Während die Kollegen den im Programm besteht aus 8 – 10 Betten und einer vorgesehenen Besuch der Technischen sehr einfachen Duschzelle. Berufsschule absolvierten, schlug mir Dr. Ein kleines Ladenlokal, in dem Handar- Weibler vor, das Altenheim von Ocotal beiten und Kunstgewerbe zur Finan- aufzusuchen. zierung des Heimes (26 Personen sta- Der Besuch war zunächst beherrscht tionär, 26 Personen ambulant – aller- von der Einfachheit und Schlichtheit dings nicht in unserem Sinne, eher der Wohngebäude, die, gemessen an vergleichbar mit Essen auf Rädern) unserem Standard, allen Anforderun- verkauft werden. Ein Büro, das gleich- gen an Wohnlichkeit, Wärme und Be- Eine kleine Kostbarkeit auf dem Kopf: zeitig als Nähstube und als Lagerraum haglichkeit Hohn sprachen. Schlafräu- Die Mütze eines Markenherstellers oder das dient, sowie ein kaum eingerichteter T-Shirt aus Europa ist viel Wert. me mit ca. 10 Quadratmeter Fläche, 3 „Besucherraum“ bilden das Umfeld bis 4 Betten, ohne jede Möglichkeit auf ein Minimum an der Schlafräume. In der kargen Krankenstation liegt reg- Intimität, nackte, blau gestrichene Wände, kein Teppich, los unter einem Deckenbündel zusammengerollt eine kein Bild von Angehörigen alte Frau, 105 Jahre alt, der oder Kunstdruck, absolut von dem Besuch aus Wiesba- nichts Persönliches, was den berichtet wird und die eventuell an eine Zeit von dann feststellt, dass der Be- vor dem Heimaufenthalt er- such wohl den „guten“ Kaf- innerte. fee“ trinken wird.

Mehrfachtoiletten und Dusch- räume entsprechen allenfalls Die Küche entspricht wohl dem Standard eines dringend dem ortsüblichen Standard, sanierungsbedürftigen Frei- Hygiene, Lagerung u. a. wird mit anderen Maßstäben ge- zeitbades in Deutschland. Kahle Wände, schmucklos… aber ein Dach über dem Kopf: Der Männer- Der Schlafraum der Männer schlafraum im Altenheim von Ocotal messen. Im Freien eine offe- 2 ne Feuerstelle, an der Mais- In einem Gespräch auf die fladen gebacken werden. kargen Zustände der Zim- Wäschekammer und Wasch- mer, die restriktiven Be- küche entziehen sich einer suchszeiten (zweimal pro Beurteilung, wenn man euro- Woche für wenige Stunden) päische Maßstäbe anlegen angesprochen, machte die würde. Leiterin deutlich, dass die Der Garten und Freizeitraum dort wohnen Senioren letzt- des Heimes wird gepflegt, lich nicht aus einem ein zu einem Viertel vergra- „Zuhause“ kämen. Hätten sie benes Autowrack stört den ein solches, wären sie nicht Gesamteindruck allerdings Verwaltungschefin, Altenpflegerin und Schneiderin. Die Leiterin des Al- im Heim. etwas. Zum Zeitpunkt des tenheims in ihrem Büro. Besuches wird eine ca. 5 auf Die hier Wohnenden wären 8 Meter große Fläche gero- Außerhalb den Unbilden der det und für den auch aus (sozialen, gesellschaftlichen) Wiesbaden geförderten Neu- Umwelt ausgesetzt, weil bei bau eines Speisesaales/Auf- ihnen der Familienverbund enthaltsraumes vorbereitet. nicht greife, versagt habe. Der zurzeit genutzte Raum Die Alternative dazu wäre gleicht mehr einer Halle, die die sprichwörtliche Gosse, in etwa bis in Hüfthöhe gemau- der sie lebten, gäbe es das ert ist und darauf dann ein Heim nicht. Formal wird das Dach gesetzt wurde. Hier Heim aus Beiträgen der Be- halten sich die Bewohner des wohner gezahlt, soweit die Altenheimes tagsüber auf, eine Rente hätten. Wobei der nehmen ihre Mahlzeiten ein. gesetzliche Rentenanspruch Die Menschen machen einen abwesenden Eindruck, rea- daran scheitern kann, dass entgegen der Gesetze die Ar- gieren auf Ansprache neugierig und freundlich, bekleidet beitgeber häufig keine Rentenversicherung abführten sind sie vielfach mit gebrauchten Textilien amerikani- und deswegen auch keine Renten gezahlt werden. In der scher oder deutscher Fabrikate, die die Bewohner, so die Praxis finanziert sich das Heim dann zum Teil durch Bei- Leiterin, unheimlich schätzen und sorgfältig darauf ach- träge, Spenden und Erlösen aus Verkauf und Tombola- ten. und Lottomitteln. Krankenhaus „Alfonso Moncada Guillén“

Der Besuch des 100-Betten-Krankenhauses „Alfonso Moncada Guillén“ kann getrost als deprimierend bezeich- net werden.

Von außen noch einigermaßen ansehnlich, ist man vom baulichen Zustand im Inneren schockiert. Nicht nur ab- blätternde Farbe, auch losgelöster Putz an den Wänden sind ein erster optischer Eindruck von dem Haus, das ca. 230.000 Menschen mit stationärer Behandlung versorgen soll. Die auffallend vielen Mediziner scheinen alle gerade von der Uni zu kommen, jedenfalls fällt das niedrige Alter der Ärztinnen und Ärzte sofort auf. Die geringe Bezah- lung als Krankenhausarzt führt dazu, dass junge Medizi- ner schnell nach einer Anstellung in einer Privatpraxis suchen und erfahrende Ärzte in der Klinik eher die Aus- nahme seien. Man registriert eine uralte Möblierung, sowohl im Be- reich der Behandlungsräume wie auch in den Kranken- zimmern. Die Röntgenabteilung beherbergt ein Gerät aus den 60er Jahren, Schutzkleidung für den Mediziner und das Personal, Schutzvorrichtungen für Patienten und An- gehörige kann man nicht ausmachen. Sauberkeit scheint ein Fremdwort zu sein, von Sterilität und Hygiene ist man zumindest in den den Besuchern zugänglichen Räumlichkeiten und Bereichen weit ent- 3 Flure werden durch Aufstellen von Sperrholz und Papp- wänden zu Stationszimmer umgewandelt, zerschlagene Fensterscheiben mit Plastikfetzen abgedichtet. Angehörige übernehmen die Pflege und die Essensver- sorgung der Patienten. Mit dem Direktor der Klinik und Frau Dr. Weibler wurde besprochen bzw. angeregt, dass sich unmittelbar nach dem Umsetzen der Beschlüsse der Wiesbadener Stadt- verordnetenversammlung zur Teilprivatisierung und dem avisierten Neubau der HSK eine Gruppe von Verantwort- lichen aus Nicaragua und Wiesbaden darüber Gedanken

Der Name sagt alles - Der Schockraum in der Klinik Ocotal

macht, ob und wie abgängige Gerätschaften und Materi- alien während und nach dem Umzug vom Alt- in den Neubau festgestellt, gesichert und nach Ocotal verbracht

Notfallambulanz fernt. Kranke müssen sich teilweise ein Bett teilen, ein- fache Tücher müssen rei- chen, um Durchgänge, Be- handlungs- und Stationszim- mer voneinander zu trennen; Tage altes, auf dem Fußbo- den getrocknetes Blut unter dem gynäkologischen Stuhl, von Essens- und Getränke- resten verdreckte Nachtti- sche, ein völlig verdreckter Sperrholzverschlag als Behandlungszimmer Schockraum, Krankenbetten ohne Bettwäsche, Patienten, die in Straßenkleidung im Bett liegen, Speisereste und Reinlich ist was anderes - ein Nachttisch auf der „Inneren“ anderer Müll in den Kranken- zimmern, Verpackungsreste und anderer Unrat werden im Labor heftig beiseite ge- kehrt, Staubschwaden steigen auf.

Behandlungsraum auf einer Station werden können; auch im Hinblick auf die Verbindung der Klinikverwaltung zu Benim/Afrika, das bislang bevorzugt mit abgängigem Gerät und Material versorgt wurde, Doppelbelegung der Krankenhausbetten sind in der Wöchnerinnenstation macht es Sinn, sich frühzeitig mit den HSK in Verbindung keine Ausnahme zu setzen.

4 Finca en - Kaffeeplantage im Hochland

rend der Fahrt gibt es Die Fahrt zu einer Kaffee- die ersten Einblicke in plantage an der Grenze die Besonderheiten nach Puerto Rico führt die des Anbaus von Hoch- Gruppe zunächst wieder landkaffee. An die über die Panamericana und Steillagen der Mosel- dann unvermittelt auf ei- landschaft erinnernd, nen verschlungenen, unbe- werden die Kaffee- festigten Weg, der von dem pflanzen und Bana- nicht geländegängigen Bus nenstauden als Schat- in den steileren Anstiegen tenspender bis an die manchmal nur durch Berggipfel angebaut schwungvolles Anfahren und dort von den Ta- bewältigt wurde. Atembe- gelöhnern (insgesamt raubende Einblicke in steil viermal pro Ernte) ab- abfallende Täler auf der geerntet. Für einen einen Seite des Fahrzeugs und him- der anderen Seite lassen die Fahrt zu geernteten Sack erhalten die Tage- melstürmende Felsformationen auf einem Rallye-Erlebnis werden. Wäh- löhner umgerechnet etwa 1,- Dollar Lohn. San Antonio de Tejas Auf der auf ca. 1100 Meter liegen- Auf dem den Finca wird der Kaffee mit der Rückweg Hand auf altertümlichen aber zeigte Bür- durchaus landesüblichen Geräten germeister weiterverarbeitet, getrocknet und Norori der an Exporteure geliefert. Der Kaffee- Gruppe den bauer muss, um die Tagelöhner, Beginn einer Düngemittel, Ersatzplanzungen, archäologi- Pflanzenschutz und anderes zu fi- schen Aus- nanzieren, vor der Ernte Kredite grabung, bei aufnehmen, von denen er nicht der vermutet weiß, ob er sie durch den Verkauf wird, dass der Ernte finanzieren kann. sich an dieser Stelle Bau- Bei einsetzendem Regen geriet die werke und Rückfahrt von der Finca nach einem Grabstätten gemütlichen Mittagsessen, beste- früherer Kul- hend aus einem landesüblichen Ein- topf und Gegrilltem und nach einem turen befinden. Bei Bebauung (1791), kurzen zwischenmenschlichen „In- ersten Ausgrabun- eine freigelegte termezzo“ zu einer Rutschpartie, gen geben freige- Grabstätte mit Ske- über die sich aber nur „die Touris- legte Steinfunda- lettfunden wird der- ten“ aufregten; entgegenkommen- mente Hinweise zeit in Managua ana- de Arbeiter, Frauen, Kinder, Jugend- auf eine frühere lysiert. liche betrachteten die Fremden

5 Entre Nosotras und Gedenkstätte

Söhne (Priester in chend begonnen wurden. Ein geplan- Managua) hat dort tes Restaurant und eine öffentliche eine private Samm- Toilette können wegen der fehlen- lung religiöser Aus- den Wasserleitungen derzeit nicht in stellungsstücke zu- Betrieb genommen werden sammen getragen, in dem luxuriösen Privathaus versam- meln sich ein- bis zweimal jährlich die kath. Bischöfe Nica- raguas zur Klausur.

Wenige Schritte da- von entfernt eine Gedenkstätte, in Auf einem Hügel nördlich von Ocotal der Bildtafeln in spanischer Sprache befindet sich ein achteckiges, ca. 500 von den Befreiungskämpfen der Ni- qm großes Gebäude “Entre Noso- cas gegen die Amerikaner berichten, tras”. Es ist das Haus und die Festung die aufgrund der topografischen La- der Familie Rivas; einer der beiden ge an dieser Stelle erfolgverspre- Frauenhaus

Das anstehende Treffen mit Verantwortlichen der einzel- nen Projekte, die von Wiesbaden aus unterstützt werden, findet auf dem Gelände des neu errichteten Frauenhau- ses statt.

Dies wurde verbunden mit einem Gespräch mit Verant- wortlichen des Frauenhauses, die uns die Situation und das Schicksal der drei derzeitigen Bewohnerinnen schil- derten. Unter anderem das einer 12-Jährigen, die von ihrem Bruder vergewaltigt und geschwängert wurde und die jetzt Mutter eines halbjährigen Kindes ist, und das Das Foto wurde einer offiziellen Präsentation entnommen und stammt nicht vom Besuch der Wiesbaden Delegation einer 18-Jährigen geistig Behinderten, an der sich der Großvater vergangen hatte. und Vergewaltigungen. Beim Rundgang durch das Ge- Auf das Angebot, mit den betroffenen Frauen bzw. Mäd- bäude, bei dem die Wohn- und Gemeinschaftsräume ge- chen zu sprechen, verzichtete die Gruppe bewusst, be- zeigt wurden, kam der Eindruck auf, dass die hotelähnli- ließ es bei den allgemeinen Informationen, auch über die che Anlage überdimensioniert sein könnte. Eine inhaltli- juristische Situation und die Verhaltensmuster der Justiz- che Beurteilung war angesichts des nur kurzen Ge- behörden bei Strafanzeigen wegen sexueller Belästigung sprächs nicht angesagt.

Partnerorganisation von Nueva Nicaragu e.V. - INPRHU in Ocotal

Die Verantwortlichen der einzelnen Projekte, die an die- sem Tag ja schon teilweise besucht wurden, schilderten die inhaltlichen Aufgaben ihrer Einrichtung und die an- stehenden notwendigen Investitionen bzw. Finanzie- rungsprobleme. Die Gemeinschaft INPRHU, die sich in vereinsähnlicher Form zusammengefunden hat und als Pendant zu Nueva Nicaragua in Wiesbaden gelten kann, stimmt sich nach dem Eindruck der Besuchergruppe in wirtschaftlicher und inhaltlicher Hinsicht mit dem Verein in Wiesbaden sehr 6 gut ab und insgesamt fällt bei die bei Familien in Ocotal leben den vielfachen Begegnungen und in vielfacher Hinsicht die auf, wie intensiv sich die Kontak- Bildungsangebote in Ocotal mit te beispielsweise von Frau Dr. U. gestalten, wie etwa die Arbeit in Weibler als Vereinsverantwortli- der Kinder- und Jugendbücherei, che zu den Projektverantwortli- oder die deutsche Sprache in chen vor Ort gestalten. einem Jugendclub unterrichten oder im Kindergarten mitarbei- Aber auch die Auswahl der frei- ten, folgt in enger Abstimmung willigen Helferinnen und Helfer zwischen den beiden Organisati- aus und um Wiesbaden herum, onen. Projekt Klärwerk Der Abschlusstag in Nicaragua begann mit der Besichti- gung der bestehenden Kläranlage in Ocotal, an die ca. 20 Prozent der Haushalte angeschlossen sind. Es handelt sich um eine rein mechanische Abwasserklärung, die die Grob- bzw. Feststoffe ausfiltert, eine biologische Stufe zum Abbau von chemischen Rückständen existiert nicht.

In mehreren Planungsstufen soll die Stadt Zug um Zug ein komplettes Abwassersystem erhalten, welches nach heutigen Kostenschätzungen etwa 10 Mio. US-Dollar

kosten wird. Das bestehende Abwassersystem wurde unter anderem durch die Überlassung einer Betonpres- se für Kanalisationsrohre von der Firma Bilfinger & Ber- ger Mitte der 90er Jahre, deren Übersee-Transport von der Stadt Wiesbaden finanziert wurde, unterstützt.

Diese Maschine (im Foto links) arbeitet noch heute und produziert nach wie vor für den örtlichen Bedarf, wobei nicht mehr alle Stanzen funktionstüchtig sind; Versu- che, Ersatzbeschaffungen zu erhalten, wurden bislang nicht unternommen.

Montessori-Kindergarten Auch beim Besuch Hosen gekleideten des Montessori- Kinder passen Kindergartens, nicht so wirklich dessen Gebäude zu den bescheide- auf einem großzü- nen Häusern, mit gigen Grundstück landesüblichen errichtet wurde, Lehmsteinen er- stellt sich die Fra- richtet, in der un- ge, ob die sicher- mittelbar benach- lich mit Unterstüt- barten, relativ zung aus Wiesba- neuen Eigenheim- den funktionieren- siedlung. de Einrichtung Aber gerade die nicht etwas den An diesem Kindergarten werden landesweit alle anspruchsvolle Rahmen sprengt. Montessori-Erzieherinnen aus– bzw. weitergebildet. Montessoripäda- Auch innerhalb des gogik trägt nach Vereins Nueva Nicaragua war diese Einrichtung höchst Auffassung der Verantwortlichen möglicherweise dazu umstritten. Sie deckt mittlerweile aber den gesamten bei, dass das Sozialverhalten der Eltern in diesen einfa- Bedarf an Plätzen in den angrenzenden Stadtteilen ab. chen Wohngegenden durch die Erfahrungen der Kinder Die, da als (vor-)schulische Einrichtung angesehen, ad- im Umgang mit Konflikten positiv beeinflusst weil bei- rett mit weißen Blusen/Hemden und schwarzen Röcken/ spielsweise Gewaltfreiheit in der Kita vorgelebt wird. 7 Neues Siedlungsprojekt

Diese Siedlung ist ein Sozialprojekt, das derzeit nach und nach rea- lisiert wird. Die hier lebenden Kinder besuchen den zuvor beschrie-

Waschplatz im Außenbereich

Toilette und Dusche „im Garten“

Küche ohne Kamin: Löcher in der Wand ersetzen den Abzug. Einfach aber ausreichend - Wohn– und Schlafraum Beißender Rauch gefährdet den Atmungsapparat der Hausfrauen Stromversorgung Plastikplane ersetzt Glasfenster benen Montessori-Kindergarten. unmittelbar anschließend ein aus Die Häuser bestehen in der Regel einem Betonklotz bestehendes aus einem Wohn-/Schlafraum und „Waschbrett“. Die Toilette ist in ei- einer kaminlosen Küche und sind mit ner ähnlichen Bauweise wie die einem Wellblechdach bedeckt. Duschkabine noch ein paar Meter Eine Dusch-/ Waschgelegenheit für weiter entfernt als Abort eingerich- Landesüblicher Baustoff die Körperhygiene ist im Außenge- tet. Ein Anschluss an die Kanalisation Grundstücken, auf denen die Bewoh- lände durch eine mit Planen abge- ist nicht vorhanden. Die etwa 20-25 ner die Möglichkeit haben, sich mit teilte „Duschkabine“ und einem Was- Quadratmeter großen Häuser stehen Obst- und Gemüseanbau zum Teil serschlauch vorhanden; räumlich auf vielleicht 150 – 200 qm großen selbst zu versorgen.

erkennung und andere Therapiefor- Zentrum für Rehabilitation men angeboten werden. In Ergän- und Frühförderung zung des Standartangebotes kom- men Mediziner und andere Fachleute aus anderen Regionen und Städten zeitweise in das Reha-Zentrum, um spezielle Angebote und Dienstleis- tungen, zum Beispiel Hörtests und Anpassungen von Hörgeräten, Pro- thesen und anderes anzubieten.

Kindertagesstätte

Der Besuch des Kindergartens, in dem auch eine der Wiesbadener frei- willigen jungen Frauen tätig ist, zeigt eine für die Landesverhältnisse gute Ausstattung. Hier werden Kinder In einem neuen freundlich wirkenden litation und Frühförderung unterge- vom Säuglingsalter an auch von deut- Gebäude ist das Zentrum für Rehabi- bracht, in dem Ergo-Therapie, Früh- schen Helferinnen betreut.

8 Fahrt über Stock und Stein: Rallye Ocotal - Granada

Flussbetten und über wenig Vertrauen erweckende Sei- tenbankette, die man bei Gegenverkehr befahren musste. Rechtzeitig vor Einbrechen der Dunkelheit, schlagartig Punkt 18.00 Uhr Ortszeit, erreichte man wieder die Pana- mericana, die in beiden Richtungen stark befahren war. Wer als Beifahrer „mitfährt“, also den Verkehr beobach- tet, konnte sich leicht ausmalen, welch hohe Konzentrati-

Hier konnte man die Umleitung noch wirklich eine Straße nennen - abenteuerliche Busfahrt inclusiv. Der Besuch in Ocotal wurde mit einem gemeinsamen Mittagessen abgeschlossen, in dessen Verlauf die Teil- nehmer der Delegation ihre Erwartungen vor und nach dem Besuch und die Eindrücke vom Besuch selbst reflek- tierten.

Gegenverkehr auf einer Staubpiste

on notwendig war, um die Strecke zu beherrschen. Blen- dendes Fernlicht oder zu hoch eingestellte Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge nötigten den Fahrer

… aber hier war es schon nicht mehr so spaßig zu fahren. Desolater Straßenbelag zwingt zum Slalom. Oberbürgermeister Dr. Müller sagte dabei zu, dass er sich unverzüglich nach seiner Rückkehr nach Wiesbaden ….wörtlich zu nehmen: Über Stock und Stein mit deutschen und europäischen Institutionen in Verbin- dung setzen werde, um zum Beispiel die Fördermöglich- häufig das Tempo drastisch zu reduzieren, weil er auf keiten des Abwasserprojektes abzuklären unbeleuchtete Fahrzeuge, Autos, Motorroller, Radfahrer Die Rückreise nach Managua gestaltete sich dann – wie und Fußgänger auf seiner eigenen Fahrspur achten muss- schon bei der Hinreise – als Abenteuer, da auch an die- te. sem Tag demonstrierende Gewerkschafter die Panameri- cana, diesmal mit einem Tanklastzug, blockierten. Die Sicherheitskräfte hielten an einer vorgelagerten Kreuzung den Verkehr nach Süden auf. Der Fahrer und Dr. Weibler schlugen dann angesichts des Zeitdrucks – man war mit einer Bürgerreisegruppe des Vereins zum Abendbrot in Granada, südlich von Managua verabredet – vor, nicht auf ein Ende der Blockade zu warten, sondern einen Umweg in Kauf zu nehmen.

Diese Umfahrung erwies sich für wenige Kilometer als gut ausgebaute Ost-West-Verbindung, der notwendige Schwenk nach Süden führte dann nach wenigen Kilome- Der Fahrer atmet auf: Glück gehabt, kein Schaden festzustellen tern über unbefestigte Geröll- und Staubpisten, durch 9 Morbider Charme der Touristenmetropole Granada Treffen mit der Besuchergruppe

Mit sehr viel Verspätung traf man in übernachten; was den Vorteil hatte, nes Wissen beisteuern und vermit- einem Lokal in Granada auf die Besu- dass man noch anhaltende Gesprä- teln, die bei dem reinen offiziellen chergruppe von Nueva Nicaragua, che führen und sich über Erlebtes Besuch nicht zur Sprache gekommen der auch einige Wiesbadener ange- austauschen konnte. wäre. hörten. Die Erkenntnis, dass die in Ocotal Am Abreisetag verblieb Frau Dr. aufgewandten Mittel aus Spenden- Der Abend verlief sehr kommunika- Weibler bei der Reisegruppe von Nu- geldern und städtischen Zuschüssen tiv und nach vorgerückter Zeit be- eva Nicaragua. Ihre Präsenz während effektiv und zielgerichtet eingesetzt schloss die Wiesbadener Delegation, der gesamten Aufenthaltszeit der werden und die Nachhaltigkeit der sich die ca. einstündige Rückfahrt Wiesbaden-Delegation wirkte sich Maßnahmen kritisch reflektiert wird, nach Managua zu ersparen, das re- unmittelbar auf die Aufnahmeinten- war ein wichtiges Ergebnis des stra- servierte Zimmer zu stornieren und sität bei den Wiesbadenern aus. Sie paziösen, vollgepackten Besuchspro- im Hotel der Besuchergruppe zu konnte viele Details und auch inter- gramms.

Abstecher in einen Vulkanpark

Einen „touristischen Ausflug“ einer Flora, die sich das verlorene Ter- erlaubte sich die Gruppe auf dem rain wieder zurückerobert. Rückweg zum Flughafen nach Und wie an vielen, vielen anderen Stel- Managua, in dem sie einen auf len des Landes - Die Partei ist überall: dem Weg gelegenen Naturpark Den Eingang des Nationalparks ziert aufsuchte und sich einen noch die Parteifahne der Sandinisten. Wie es aktiven Vulkan ansah. auch am Flughafen von Managua zum Auf dem Weg dorthin zeigt sich guten Ton zu gehören scheint, dass die die bizarre Landschaft, geprägt Andenkenläden und Shops Utensilien von erkalteter, dunkler Lava und mit dem Emblem der FSLN anbieten.

10 Die Rückreise

Dass sich der Rückflug nach Deutschland als noch auf- Dort gab es ein heilloses Durcheinander an den Schaltern wändiger als der Hinflug gestalten sollte, sei am Rande der Airline, die in keinerlei Hinsicht auf den Ansturm von erwähnt. verspäteten Reisenden, die neue Anschlussflüge brauch- ten, eingerichtet war. Hunderte von Passagieren standen Wegen Unwetters konnte das Flugzeug nicht in Houston viel zu wenigen überforderten, teilweise unhöflichen An- landen, wurde nach New Orleans umgeleitet. Dort wurde gestellten der Fluggesellschaft gegenüber, stundenlan- den Passagieren eröffnet, dass sie das Flugzeug nicht ges Warten war angesagt, bis geklärt war, dass ein Wei- verlassen dürften. Nach ca. 2 Stunden startete die Ma- terflug nach Deutschland erst am nächsten Tag von Or- schine dann wieder zurück nach Houston. lando/Florida aus möglich sein würde.

Persönliches Fazit

Als persönliches Fazit dieser Ungeachtet all dessen, die Reise kann man die Erkennt- Menschen machen einen nis ziehen, dass Nicaragua fröhlichen Eindruck, vermit- ein von bitterer Armut ge- teln Lebensfreude und schei- prägtes mittelamerikani- nen sich mit den gegebenen sches Land ist, das seinen Tatsachen zu arrangieren. politischen Weg sucht und Nimmt man die politische dabei die gleiche Geschichte Debatte um die Städtepart- wie viele andere Entwick- nerschaft zwischen Wiesba- lungshilfeländer durchlebt. den und Ocotal aus den 80er Die jeweils regierende Partei, Jahren als das, was sie ist, egal ob Sandinisten oder Li- nämlich Geschichte, dann beralkonservative, betrach- hat man einen guten Grund, tet das Land, die Politik, die diese Partnerschaft zu pfle- natürlichen Ressourcen, die gen. Wirtschaft und die Verwal- tungen, und damit in engem Zusam- ziemlich ab, obwohl die Vereinigten Wie man mit der 1964 beschlossenen menhang auch Arbeitsplätze und Staaten der größte Handelspartner Städtepartnerschaft mit Berlin- Einkommen, als ihr persönliches Ei- Nicaraguas sind. Ratschläge an Tou- Kreuzberg ein Zeichen setzte und in gentum. Kein Monument, kein Ge- risten gehen gar so weit, dass man der Folge unterernährte, erholungs- bäudeeingang, kein historisches Bau- Einheimische nicht in Englisch an- bedürftige Kinder in Wiesbaden werk, bei dem nicht neben der sprechen solle, damit man nicht für „aufpäppelte“, wie man mit der Part- Staatsflagge auch die Flagge der Par- einen Amerikaner gehalten wird und nerschaft zwischen dem Wiesbade- tei gehisst ist. Selbst in den Souve- damit Ressentiments ausgesetzt ist. ner Jugendamt und dem der Israeli- nirshops am Flughafen wer- schen Arbeiterpartei gehören- den die Symbole der Regie- den College Beit Berl in der rungspartei in jeder Form als Nähe der - späteren israeli- Mitbringsel angeboten. Auch schen Partnerstadt - Stadt die Verfassung - siehe die Kfar Saba und den zahlreichen verfassungswidrige zweite finanziellen Hilfen die Ver- Amtszeit des Staatspräsi- söhnung zwischen arabischen denten - wird zurecht gebo- und jüdischen Studenten för- gen, der Oberste Gerichts- derte und wie man mit der hof ist gleichgeschaltet und gigantischen Hilfsmaschine- als Folge glauben Bürger- rie, die Partnerstadt Görlitz meister, bei der anstehen- nach der Wende in vielfacher den Kommunalwahl entge- Hinsicht mit Wissenstrans- gen der Verfassung erneut fers, Materialhilfen und Kon- kandidieren zu können. takten förderte, kann man mit Nicaragua gilt als das dritt- relativ bescheidenen Mitteln ärmste Land des Kontinents, Dinge bewegen, die bei uns man spricht von 80 % Ar- eher bescheiden beurteilt beitslosigkeit, schottet sich würden, vor Ort aber eine politisch gegen den „großen große Unterstützung als Hilfe Feind“ im Norden, die USA, zur Selbsthilfe bedeuten.

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