Architektonische Analyse der Sitzanordnung in Europäischen Parlamenten

Am Beispiel Englands auf den Koloniestaat Australien

Jakob Fellner Wahlseminar Gebäudelehre WS 2014 Abstract

Die Arbeit befasst sich mit den unterschiedlichen Sitzungsanordnungen in Parlamenten und den daraus resultierenden parlamentarischen Zusammenhängen in Regierungsgebäuden. Am Anfang geht die Arbeit auf die Entstehung der Parlamentsbauten in Europa ein, wobei sichtbar wird, wie sich die Regierungsgebäude in Europa entwickelt haben. Ein Nationalstil wurde zu dieser Zeit gesucht, um den Baustil der neuen Regierungsgebäude zu begründen. Weil es fast unmöglich ist, einen Stil einer Nation zuzuordnen, war dies aber nicht immer eindeutig. Weiter wurden die Plenarsäle analysiert und in vier Kategorien unterteilt. Die beiden Saaltypen „frontbenchers“ und „horseshoe“ fördern agonale Diskussionen und sind vorteilhaft bei Fernsehübertragungen, wobei die Typen „theatre“ und „circle“ eine Einheit der Fraktionen im Plenarsaal bilden und mehrere Parteien im Unterhaus aufnehmen können. Diese Erkenntnis wird angewandt, um den Einfluss, welchen der englische Kolonialherrscher auf die Politik in Australien ausgewirkt hat, zu debattieren. Die Diskussion führt darauf hinaus, dass es keine Idealform geben kann, weil es kulturelle und politische Unterschiede in den einzelnen Nationen gibt.

Abstract

The paper deals with the different seating plans in parliaments and the resulting parliamentary correlations in government buildings. This paper begins with detailing the formation of parliamentary buildings in Europe, showcasing how government buildings there have developed. To justify the architectural style of the new government buildings, an effort was made at that point to find a national style. Because it was nearly impossible to assign a specific style to a specific nation, a definitive answer could not always be found. Furthermore, the plenary assembly rooms were analysed and divided into four categories. The two hall types "frontbenchers" and "horseshoe" are conducive to agonal discussion and beneficial when it comes to television broadcasts, whereas the types "theatre" and "circle" form a unit of factions in the plenar hall and allow multiple parties to be seated in the 1

Lower House. This insight is used to discuss the influence the English colonial ruler had on Australian politics. The discussion concludes that there can be no ideal form due to the cultural and political idiosyncracies of each nation.

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Inhaltsverzeichnis

Abstract ...... 1

1 Einleitung ...... 4

2 Ausbreitung des europäischen Baustils bei Parlamenten ...... 5 2.1 Das erste Parlament ...... 5 2.2 Typus „Europäische Parlamente“ ...... 7

3 Typologie von Plenarsälen ...... 12 3.1 Saaltypus „frontbenchers“ ...... 13 3.2 Saaltypus „horseshoe“ ...... 14 3.3 Saaltypus „theatre“ ...... 15 3.4 Saaltypus „circle“ ...... 16

4 Auslegung der These anhand des Parlaments in Australien ...... 17 4.1 Das alte Parlament ...... 17 4.2 Das neue Parlament ...... 18

5 Schluss ...... 20

6 Literaturverzeichnis ...... 23

7 Abbildungsverzeichnis ...... 24

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1 Einleitung

Bei neuen Parlamentsbauten wird oftmals eine kreisförmige Anordnung für die Sitze im Unterhaus gewählt. So auch im europäischen Parlament in Straßburg. Die Seminararbeit befasst sich mit politischen und architektonischen Auswirkungen der Sitzanordnung europäischer Plenarsäle, seit den Anfängen des Parlamentarismus bis ins 20. Jahrhundert. Die Anfänge der Demokratie und des Parlamentarismus kann man im alten Griechenland finden. Dort etablierte sich das Theater als Versammlungsstätte der Demokraten. In England entwickelte sich im 11. Jahrhundert ein ganz anderer Typus, der agonale Diskussionen förderte. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob die damaligen Saaltypen einen besseren Zugang zur Demokratie und parlamentarischen Repräsentation hatten oder ob die moderne kreisrunde Umsetzung des Plenarsaals einen Vorteil für die Diskussionen im Unterhaus bringt. Zuerst wird analysiert wie der Typus „Parlament“ in Großbritannien entstanden ist und wie andere Bautypen von Regierungsgebäuden in Europa entwickelt wurden. Von der Gotik über Klassizismus bis zur Renaissance wurden etliche Baustile über Jahrhunderte weiterentwickelt. Jedes europäische Land suchte zu dieser Zeit ihren Nationalstil, den es für neue Regierungsbauten anwenden konnte. Dabei wird ein architektonischer Vergleich zwischen dem Repräsentantenhaus in England mit jenen anderer europäischer Länder hergestellt. Weiter wird untersucht wie die verschiedenen Saaltypen „frontbenchers“, „horseshoe“, „theatre“ und „circle“ entwickelt und in Repräsentantenhäusern in Europa umgesetzt wurden. Parallel dazu werden die Vor- und Nachteile der Sitzanordnungen genauer betrachtet. Dabei wird die Arbeit sichtbar machen wie sich der Einfluss der britischen Besatzungsmacht auf die Sitzanordnung der damaligen Kolonie bis heute auswirkt. Weiter beschäftigt sich die Arbeit mit der Entstehung der englischen Kolonie in Australien, der baulichen Umsetzung des ersten Parlaments im 19. Jahrhundert und dem neuen Parlamentsbau in Canberra. Es wird darauf eingegangen, wie der Masterplan des Architekten Walter Burley Griffin realisiert wurde und wie sich die kulturellen Einflüsse auf den Regierungsbau ausgewirkt haben. Zum Schluss wird ein Vergleich zwischen dem australischen Parlament und dem britischen Parlament angestellt und untersucht, ob es eine ideale Form für einen Plenarsaal geben kann. 4

2 Ausbreitung des europäischen Baustils bei Parlamenten

2.1 Das erste Parlament

Die Mutter aller Parlamente ist in England entstanden. Die „“ war eine politische Institution zwischen dem 7. und 11. Jahrhundert im angelsächsischen England. Der Begriff „Witan“ stammt aus dem Altenglischen und bedeutet „Weisen“ und wurde auch als „das Treffen der Weisen“ bezeichnet. Dieser Zusammenschluss hatte sich aus der germanischen Gerichtsversammlung „Thing“ entwickelt und bildete eine Institution der mächtigsten Amtsträger. Die Witans wurden von den Königen einberufen um Ratschläge zur Verwaltung und Organisation des Reiches abzugeben. Die Witans waren die Vorgänger des englischen Parlaments. Der Unterschied zu den Parlamentariern war jedoch, dass sie keinen festgelegten Tagesablauf und Verhandlungsort hatten.1 Hier wird deutlich wie wichtig ein Ort oder Platz für die Institution einer Regierung ist. Es ist sowohl wichtig für die Identität einer Nation als auch für die Repräsentation einer demokratischen Struktur, dieser einen Ort zu widmen, um als solche anerkannt zu werden. Im Jahr 1215 gestand der König Adligen bedeutende Rechte zu, wodurch sich der königliche Rat (die Curia Regis) zu einem Parlament entwickelte. In weiterer Folge entwickelten sich in anderen Teilen Englands regionale Parlamente, die sich schließlich gemeinsam mit dem königlichen Rat zu einem nationalen Parlament neu gründeten. Das wichtigste Privileg für Abgeordnete im englischen Parlament war die Redefreiheit während Diskussionen. Ihre Aussagen konnten im Oberhaus und Unterhaus nicht vor Gericht gebracht werden.2 Die Gotik wurde zum Ausdruck nationaler Repräsentation in England verwendet.3 Zu dieser Zeit entstand auch das „Palace of Westminster“. Das „Palace of Westminster“ wurde ursprünglich als Residenz der englischen Könige genutzt. Die wichtigsten Regierungsgebäude wurden aus diesem Grund um das Gebiet „Westminster“ errichtet. Das erste offizielle Treffen der Parlamentarier war 1295 in der Westminster

1 Witenagemot (Quelle: Wikipedia, 2013) 2 Englisches Parlament (Quelle: Wikipedia, 2013) 2 Englisches Parlament (Quelle: Wikipedia, 2013) 3 FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Architektur und Demokratie. Stuttgart. S.22. 3 FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Architektur und Demokratie. Stuttgart. S.22. 4 Palace of Westminster (Quelle: Wikipedia, 2013) 5

Hall. Der Ort dient seither als Versammlungsort für das „Model Parliament“. Westminster war offiziell noch immer die königliche Residenz, obwohl das Gebäude hauptsächlich von beiden Parlamentskammern und dem obersten Gericht genutzt wurde. Die Parlamentskammern gliederten sich in „Lords Chamber“ (Oberhaus) und „Commons Chamber“ (Unterhaus). Im südlichen Teil des Westminster Palast’s war das House of Lords angesiedelt. Der Plenarsaal ist 24 Meter lang und 13 Meter breit. Die roten Sitzreihen waren gegenübergestellt. Auf der rechten Seite, in Blickrichtung des Lordkanzlers, tagte die „geistliche Seite“ und auf der Linken die „weltliche Seite“. Auf der geistlichen Seite saßen Bischöfe, Erzbischöfe und die Regierungspartei. Wobei die Opposition auf der weltlichen Seite Platz fand. Die Adligen saßen auf den Bänken gegenüber vom Lordkanzler, auf den „cross-benchers“ (Querbänkler).4 Der gesamte Raum war prunkvoll ausgestattet und in Rottönen gehalten. Die Stühle, als auch die Bekleidung der Lords waren in rot gefärbt, dies repräsentierte zur damaligen Zeit die Farbe der Adligen und Könige. Dass das Oberhaus im südlichen Teil des Westminster Gebäudes angesiedelt wurde überrascht Abb. 1: The House of Lords by Pugin and Rowlandson (Quelle: Wikipedia 2013) nicht, da es der hellere und wärmere Gebäudekomplex ist. Zur damaligen Zeit war der Standort des Plenarsaals im Gebäude maßgebend, wie komfortabel das mehrstündige Sitzen in der kalten Jahreszeit sein würde. Somit kann angenommen werden, dass dem Oberhaus ein höherer Stellenwert zugesprochen wurde.5 Die Commons Chamber (Unterhaus) ist 20 Meter lang und 14 Meter breit. Das Unterhaus ist neutraler ausgestattet als die Lords Chamber. Die Sitzbänke, Möbel und Anzüge der Parlamentarier sind in Grüntönen gehalten. Das Wort wird immer an den „speaker“ (Sprecher) gerichtet, welcher am nördlichsten Teil des Saales saß. Entlang der Längswände waren fünf Sitzbankgruppen angeordnet. Auf der rechten Seite vom

4 Palace of Westminster (Quelle: Wikipedia, 2013) 5 KUNZE, Dirk (2008): Parlamentarische Traditionen zwischen Modernisierung Traditionsbewusstsein. Beobachtung zur Parlamentskultur in London, Singapur und Melbourne. Freie Universität Berlin. S5. 6

Sprecher saßen die Abgeordneten der Regierungspartei, die Abgeordneten der Opposition tagten auf der linken Seite.6 In den Commonwealth-Staaten werden bis heute die Farben rot und grün für die Sitzungssäle verwendet. Rot wird für das Oberhaus in Verbindung gebracht und grün mit dem Unterhaus. Die Farbe „Rot“ war schon lange den Lords und Königen vorbehalten. Eine Klärung zur Verwendung des Grüntons im Unterhaus ist jedoch nicht eindeutig. Sicher ist, dass seither die Farben für die Unterscheidung der jeweiligen Plenarsäle in England und ihren Kolonien verwendet werden.7

2.2 Typus „Europäische Parlamente“

Im 18. Jahrhundert wurden die meisten Parlamentsbauten in Europa verwirklicht. Die „historische Argumentation“ (Historismus) wurde verwendet, um eine Verknüpfung zwischen Politik und gebauter Architektur herzustellen. Die historische Architekturform wurde mit dem politischen System assoziiert und wurde dessen architektonischer Ausdruck. Der Architekt Thomas Jeffeson nahm das „Maison carre“ aus Nîmes als Vorlage für den neuen Parlamentsbau in Richmond, um die neue Demokratie der USA mit der römisch-republikanischen Architektur zu verbinden. Mit dem von Goethe 1773 veröffentlichte Schriftstück „Von deutscher Baukunst“, konnte man eine Verknüpfung zwischen „Gotik“ und „Deutsch“ finden. Jedoch waren sich nicht alle Europäer einig ob der gotische Baustil nicht allein den Franzosen zugesprochen werden musste.8 In Österreich hat sich im Gegenzug zu England die antike Formensprache als nationale Repräsentation etabliert. Ein neuer Typus wurde geschaffen, der sich zuerst in Europa und dann über die ganze Welt verbreitete. Sowohl die antike Bauweise als auch der gotische Stil, der in England im „House of Parliament“ und im ungarischen Parlament in Budapest Verwendung fand, waren architektonisch jedoch sehr unspezifisch für den Einsatzzweck nationaler Repräsentationsbauten.9 So waren etliche Länder in Europa auf der Suche nach einem nationalen Architekturstil. Die Renaissance wurde in den Ländern,

6 Palace of Westminster (Quelle: Wikipedia, 2013) 7 KUNZE, Dirk (2008): Parlamentarische Traditionen zwischen Modernisierung Traditionsbewusstsein. Beobachtung zur Parlamentskultur in London, Singapur und Melbourne. Freie Universität Berlin. S5. 8 FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Architektur und Demokratie. Stuttgart. S.21. 9 FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Architektur und Demokratie. Stuttgart. S.22. 7

Deutschland, Italien, Holland, Belgien und Polen zum Nationalstil, der teilweise von architektonischen Moden überlagert wurde.10 Aus diesem Grund entwickelte man im 19. Jahrhundert „architecture parlante“, die „sprechenden“ Architektur, wobei Grundriss, Form und Gestalt des Gebäudes durch die Funktion begründet wurde. Heute verwendet man den Begriff „form follows function“. Da es sehr schwierig war eine politische Aussage über die Architektur zu treffen, wurde stattdessen im Stil des Klassizismus gebaut.11 Das Wort „Politik“ stammt vom altgriechische Begriff „polis“, der ursprünglich eine befestigte Höhensiedlung oder Stadt bezeichnet; das heißt ein städtebauliches Gebilde aus Gebäuden und Räumen 12 . „Akropolis“ heißt wörtlich übersetzt „Burgberg“ die an der höchsten Erhebung nahe der Stadt erbaut wurde13. Theophil van Hansen nahm diesen Denkansatz zu seinem Ausgangspunkt für sein Konzept des Wiener Parlaments im 18. Jahrhundert auf. Er wollte den Stil eines attischen Tempels aufnehmen, um auf die demokratischen Anfänge im alten Griechenland zu verweisen.14

Abb. 2: Österreichisches Parlament (Quelle: FLAGGE und JEAN STOCK, 1992)

10 FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Architektur und Demokratie. Stuttgart. S.24. 11 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.59-60 12 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.4. 13 Akropolis (Quelle: Wikipedia, 2013) 14 Thephil von Hansen (Quelle: Wikipedia, 2013) 8

Der Baugrund wurde zuerst aufgeschüttet, um sich von seiner Umgebung abzuheben. Als Grundkörper für den Entwurf des Parlaments wurde der griechische Tempel gewählt, wobei die Säulenreihen nach innen versetzt wurden. Rechts und links von der Säulenhalle wurde jeweils ein Sitzungssaal platziert. Als Vorbild für die Plenarsäle diente das altgriechische Theater, das halbkreisförmig angeordnet war und den Ursprung der Demokratie verkörpern sollte. Das Wiener Parlament wurde vom Kaiser Franz Joseph I. in Auftrag gegeben, um gewählten Volksvertretern einen Raum für Abstimmungen zu bieten. In Wirklichkeit herrschte weiterhin der Kaiser über das Reich. Herrscher, Kaiser und Diktatoren gaben gerne Parlamentsgebäude in Bauauftrag um das Volk ruhig zu stimmen und keine Unruhe zu stiften und Demonstrationen aufkommen zu lassen. Im Hintergrund regierten jedoch die Diktatoren das Land und unterdrücken die gewählten Volksvertreter. Aristoteles schrieb: „Eine Burg gehört zu einer Oligarchie oder Monarchie, eine ebene Fläche zur Demokratie und zur Aristokratie weder das eine noch das andere, sondern eher eine Mehrzahl fester Plätze“15. So wollte Theophil von Hansen mit seinem Bauwerk einen direkten Bezug zur Demokratie herstellen. Dies steht jedoch im Widerspruch mit der Vorstellung von Aristoteles. Für die Demokratie gebaute Architektur sollte als Versammlungsstätte der Bürger als Fläche unter freiem Himmel verstanden werden und eben nicht als in sich eingeschränkten Raum 16 . Die ursprüngliche Theaterform „Theatron“, der Zuschauerraum im alten Griechenland wurde ohne Überdachung gebaut 17 . Hier war erstmals die Möglichkeit zu Diskussionen der Demokratie möglich. Jedoch musste Theophil von Hansen auch die klimatischen Bedingungen in Mitteleuropa berücksichtigen. Die damaligen technischen Möglichkeiten schöpfte der Architekt jedoch aus und überbaute die Plenarsäle mit einem Glasdach. Theophil von Hansen wollte natürliches Tageslicht in die Sitzungssäle bringen und den Eindruck vermitteln unter freiem Himmel zu sitzen. Es ist ein Trugschluss, gläserne Baumaterialien für die Architektur eines Parlaments zu verwenden, um dadurch Transparenz und Zugänglichkeit des Plenarsaals zu vermitteln. Transparenz sollte vielmehr das Ergebnis von Logik und Sprache

15 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.8. 16 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.8. 17 Theater (Quelle: Wikipedia, 2013) 9 darstellen.18 „Immer wieder haben politische Systeme versucht, mit Hilfe von Bauten und Architektur konkrete Politik zu betreiben. Dabei ist nicht nur an das Rom Neros, das Versailles Ludwigs XIV., Hitlers Reichskanzlei oder die verzuckerten Hochhäuser in Stalins UdSSR zu denken.“19 1993 meinte Gottfried Knapp zu diesem Thema: „Wie viel Architektur braucht die Macht, um sich zu profilieren? Wie viel Macht braucht die Architektur, um von sich reden zu machen?“ 20 Bei Regierungsgebäuden muss einerseits abgewogen werden, was sie repräsentieren sollen und andererseits wie viel benötigt es um zu vermeiden als volksfern angesehen zu werden. Dabei stellt sich die Frage: Hat die Regierung kein Recht zur Selbstdarstellung? Oder reicht es, wenn sich eine Nation über Bauten für die Exekutive, Verwaltungsbauten, Gebäude für Banken und Versicherungen darstellt? Oder sollte doch die Legislative, der oberste Gerichtshof und Rathaus einen repräsentativen Platz bekommen? 21 Die Architektursprache von modernen Regierungsgebäuden sollte weniger monumental sein als die der Bisherigen, vielmehr unaufdringlich und doch repräsentativ. Auch ist es nicht unwesentlich, ob die Gebäude der Amtsträger schön sind und Eindruck auf den Betrachter machen, ist ein wichtiger Bestandteil in der Rolle im Staat. So schreibt Gregorius: „In dem Maße nämlich, in dem die Städte schöner und schmuckreicher sind, werden sie auch als vornehmer eingeschätzt und ziehen dadurch umso mehr Menschen an, die sie sehen wollen; umso mehr werden ihre Herren unter den auswärtigen Nationen geehrt“.22 Es stellt sich die Frage, ob auch eine reduzierte Variante des Parlaments genügen würde. Elegant, schlicht und schön wären die Kriterien für einen modernen Parlamentsbau. Im 18. Jahrhundert war es in Wien üblich prunkvoll zu bauen und den Luxus über die Fassade nach Außen zu transportieren. Heute ist dieser Denkansatz nicht mehr zeitgemäß. So meinte Gottfried Hackelsberger: „...es war vergleichsweise leicht für den Sonnenkönig, den Roi Soleil, in Anspielung auf das Sonnensystem aussagekräftig-allegorisch zu bauen.

18 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.11. 19 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.7. 20 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.1. 21 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.35. 22 HIPP, Hermann (1996): Politische Ikonologie der Architektur, in: HIPP, Hermann, Ernst, Seidl [Hrsg.], Architektur als politische Kultur. philosophia practica. Berlin, S. 104. 10

Demokratie ist derart nicht darstellbar, Sie baut sich nicht selbst, bildet sich nicht baulich ab, sondern findet Raum.“ Hackelsberger darf man bei seiner Aussage nicht bei allen Punkten zustimmen. Warum sollten für Wahlen und Abstimmungen kein Gebäude als repräsentatives Zeichen gebaut werden? 23 Es ist unumstritten schwierig Demokratie in Architektur umzusetzen und den wenigsten Architekten und Baumeistern geglückt.

23 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.8. 11

3 Typologie von Plenarsälen

Die altgriechische „Agora“ war ursprünglich ein ebener Platz im Stadtzentrum um den sich die Bürger versammeln konnten. Diese Urform wurde durch halbkreisförmig angeordnete Sitzstufen ergänzt, damit die Leute in den hinteren Rängen besser sehen konnten und die Kommunikation dadurch verbessert wurde. Auf dieser verhältnismäßig kleinen Grundfläche konnten sich mehrere tausend Bürger versammeln. Es muss betont werden, dass die Politik als Institution immer zuerst entstand und nicht die Architektur eine politische Veränderung hervorbringen konnte. Im Jahr 500 v.Chr wurde die „Agora“ durch die „Pynx“ ersetzt. Somit wurde ein neuer Platz für die Volksversammlungen geschaffen. Das „Theatron“ diente als Vorlage für die Pynx. Um einen Sprechplatz der Redner baulich zu realisieren, wurde das Theater einer gegenüberliegenden Bühne erweitert.24 Die Pynx wurde innerhalb von 70 Jahren zweimal ergänzt und bildete ein nahezu perfektes Halbrund, wie man es vom Theater kennt. Die Wechselwirkung zwischen Theater und Demokratie ist verblüffend. In der Antike stand das griechische Theater als Zeichen für Demokratie und hat auch in den derzeitigen Plenarsälen seinen Platz. Heutzutage kann generell zwischen zwei Typen von Sitzungssälen unterschieden werden:25 1) binnenorientierte Deklarationsebene 2) externorientierte Deklarationsebene Bei der binnenorientierten Deklarationsebene richtet sich der Sprecher an das Plenum selbst. Das Saalgeschehen kann kaum über die Massenmedien vermittelt werden. Die Öffentlichkeit wird aus dem Politgeschehen ausgeschlossen. Fritz Sänger sagte: „Wer nicht im Saale ist, der kann nicht wahrnehmen, was wirklich geschieht. Weder Bild- noch Tonfunk vermitteln die Atmosphäre, in der etwas geschieht und aus der allein ein Sachverhalt getreu dargestellt werden kann.“26 Im Fernsehen wird einem lediglich vorgemacht schauen zu können, stattdessen wird einem nur gezeigt.

24 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.50-51. 25 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.50-51. 26 SÄNGER, Fritz: Parlament und Parlamentsberichterstattung –wer hat den Schwarzen Peter?, in: Der von innen gesehen, S.263. 12

Bei der externorientierte Deklarationsebene wird das Wort primär an die nicht im Saal sitzende Öffentlichkeit gerichtet. Anhand von Videoaufnahmen oder Liveübertragungen wird der Informationsgehalt an die Öffentlichkeit gesendet. Somit findet der Kommunikationsaustausch zwischen den gewählten Regierungssprecher und dem Volk über das Massenmedium TV statt. Hauptsächlich findet der Informationsaustausch jedoch über Interviews der Parlamentarier statt und nicht über den Debattenbeitrag im Plenarsaal. 27 Im darauffolgenden Text wird untersucht zwischen vier unterschiedlichen Saaltypen zu unterscheiden und daraus eine Typologie von Sitzungssälen zu erstellen.

3.1 Saaltypus „frontbenchers“

Das „House of Commons“ im englische Parlament kann als Vorbild dieses Typus beschrieben werden. Diese Form des Gegenübersitzens fördert eine kämpferische Auseinandersetzung der Regierungspartei mit der Opposition und kann auch internen Diskussionen nutzen.

Franz Schneider beschäftigte sich mit dem Abb. 3: British House of Commons (Quelle: Wikipedia, 2014) Plenarsaal als Ort der Kommunikation: „Die Parteien sitzen in England Gesicht zu Gesicht einander gegenüber; das Parlament spricht dort gewissermaßen zu sich selbst (…) Das Unterhaus kennt weder den Exponierungseffekt einer Bühne, noch den Mediatisierungseffekt eines unmittelbar vorgesetzten Mikrophons, noch die Eintönigkeit der Manuskriptreden, und zwar schon deshalb nicht. Weil jede Vorrichtung zum Darauflegen eines Manuskripts fehlt. Ferner: Das Unterhaus ist ein vergleichsweiser kleiner Raum, der (…) auch bei schlechter Besetzung nicht das ungute Gefühl der Leere weckt.“28 Der Plenarsaal weist eine untypische Anordnung der Sitzplätze auf. England und ihre Kolonien sind die einzigen demokratischen Staaten die bis heute einen solchen Saaltypus aufweisen. Die Parlamentarier sitzen gegenüber auf Bänken in einem rechteckigen Saal und sind gezwungen sich

27 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.89-90. 28 SCHNEIDER, Franz (1967): Politik und Kommunikation. Drei Versuche. Mainz, S.36. 13 zwischen den zwei Seiten zu entscheiden. Die Architektur vermittelt ein Zweiparteiensystem und differenziert sich stark von anderen halbkreisförmigen europäischen Plenarsälen. England hat 650 Parlamentarier, jedoch ist auf den Bänken nur Platz für 437 Abgeordnete. Bei vollem Haus kann es enger auf den Bänken werden und die Parlamentarier müssen Schulter an Schulter sitzen Die restlichen Beamten können auf die Galerie ausweichen. Die Parlamentarier im House of Commons haben außerdem keine Pulte oder Schreibflächen. Die Situation ist so ausgelegt, dass eine agonale Diskussion gefördert wird. Oppositionsführer und Premiersprecher führen gewissermaßen einen Wettkampf aus, wobei jeder Parlamentssprecher sein „Heer in der Depattenschlacht“ anführt. Früher war diese Art der Diskussion sinnvoll, da es noch sehr viele „Independents“ (unabhängige Parlamentarier) gab, die sich auf keine Fraktion festgelegt haben. Die Regierungssprecher mussten auf diese Weise die Abgeordneten überzeugen, die sich noch keine Meinung gebildet hatten. Agonale Diskussionen waren zur damaligen Zeit notwendig, um eine Mehrheit im Unterhaus zu bilden. Durch die Einführung der Parteien und Fraktionen ist diese Art von Diskussion überflüssig geworden. Aus diesem Grund ist eine deklaratorische Diskussionsebene entstanden. Heutzutage sind kleine Mikrophone zwischen den Regierungsbänken angebracht und das Fernsehen überträgt die Sitzungen. Der Zuseher nimmt eine passive Rolle ein und hat keine Möglichkeit der Diskussion beizuwohnen. Mitbestimmen darf der Zuseher erst am Wahltag. In diesem Zusammenhang wird der Zuseher zum Stimmberechtigten, wodurch die Diskussion wieder agonal wird.

3.2 Saaltypus „horseshoe“

Eine Abänderung des „frontbenches“ Saaltypus stellt der hufeisenförmige Typ dar. Durch den erweiterten Halbkreis wird abgemilderte Form, der sonst so starren Blöcke, ermöglicht. Die Mitte wird durch einen schmalen Gang getrennt. 29 Ursprünglich saßen die Peers im House of Commons gegenüber vom Lordkanzler, die Adligen waren die so

Abb. 4: Großer Sitzungssaal, (Quelle: Wikipedia, 1992)

29 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.90-93. 14 genannten „cross-benchers“ (Querbänkler).30 Die Monarchie und die Adligen sind Großteils aus dem Unterhaus und dem Apparat für den Gesetzesentwurf verschwunden. Somit war keine Notwendigkeit einer räumlichen Umsetzung der „cross-bencheres“ gegeben. Dieser Typ wurde im ungarischen Parlament in Budapest, im irischen Unterhaus in Dublin, im dänischen Folketing in Kopenhagen, im belgischen Abgeordnetenhaus in Brüssel, im portugiesischen Parlament in Lissabon und in der australischen Abgeordnetenkammer in Canberra angewendet. Diese Form des Saales fördert ähnlich dem, britischen Unterhaus, eine agonale Diskussionskultur.31

3.3 Saaltypus „theatre“

Als Vorbild des antiken griechischen Theaters entstand eine halbkreisförmige Anordnung der Sitze in den Repräsentantenhäusern. Dieser Archetypus ist bei den europäischen Parlamenten weit verbreitet. Im österreichischen Nationalrat, im französischen Unterhaus, in der niederländischen Nationalversammlung, im italienischen Abgeordnetenhaus oder im griechischen Parlament findet man diese Form des Plenarsaals. Hierbei handelt es sich nicht, wie beim House of Commons, um zwei Blöcke die sich gegeneinander angreifen. Es herrscht

Abb. 5: Großes Theater in Epidauros, (Quelle: Wikipedia, 2014) eine architektonische Trennung zwischen Plenum und der Regierungsbank. Das Wort des einsamen Redners wird an die Vollversammlung gerichtet, wobei der Regierung der Rücken zugewandt wird. Architektonisch betrachtet, weist die Stirnseite des Sitzungssaales ebenfalls Ähnlichkeiten der altgriechischen Bühnenarchitektur auf. Dieser theatralische Effekt kann durch steil ansteigende Sitzstufen verdeutlicht werden, wie zum Beispiel im römischen Unterhaus.32

30 Palace of Westminster (Quelle: Wikipedia, 2013) 31 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.93-94. 32 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.94. 15

3.4 Saaltypus „circle“

Die Kreisform ist eine neue und immer beliebter werdende architektonische Form des Parlamentsbaus. Meistens bleibt es eine Annäherung an einen geometrisch exakten Kreis. Zumal nicht alle Funktionen innerhalb eines Plenums dieselbe Hierarchie aufweisen und es der Tagung an Struktur und Gliederung fehlen würde. Das wohl bekannteste Beispiel ist das

Abb 6: Repräsentantenhaus Bonn (Quelle: FLAGGE und JEAN STOCK, Europäische Parlament in Straßburg. 1992) Der Düsseldorfer Landtag und der Bonner Plenarsaal wurden ebenfalls nach diesem Typ realisiert. Das Kreisrund ist der Inbegriff für „Geschlossenheit“, „Ganzen“ und „Einheit“. Man spricht des Öfteren vom „runden Tisch“, was sich nicht immer auf einen geometrisch kreisförmigen Tisch bezieht, vielmehr auf ein friedliches gemeinschaftliches „Zusammenkommen“. An sich ein idealer Ort für symbolische Diskussionen. Praktisch scheitert es jedoch, wenn 600 Abgeordnete an einem Tisch sitzen und sich nicht in die Augen sehen können. Demnach ist diese Form der Unterhaltung nur in einem kleinen Forum sinnvoll. Für die interne Diskussion fehlt es dem „circle“ Saaltypus an architektonischem Rückhalt. Da ein Teil des unruhigen Plenums im Rücken des Redners sitzt, verliert das Gesagte an Wirkung. Für die Fernsehübertragung ist diese Form ebenso wenig geeignet, da die Gesamtsituation von der Kamera nur schwer erfasst werden kann.33

33 LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München. S.94-95. 16

4 Auslegung der These anhand des Parlaments in Australien

4.1 Das alte Parlament

Der Parlamentarismus reicht in das Jahr 1825 zurück. Damals wurde mit dem New South Wales Legislative Council die erste gesetzgebende Institution gegründet. Im Jahre 1901 haben sich die sechs englischen Kolonien zum Commonwealth of Australia zusammengeschlossen. Das gesamtaustralische Parlament zog in die damalige Hauptstadt von Australien, in Melbourne im Bundesstaat Victoria. Architektonisch wurde beim Bau des australischen Parlaments in Melbourne kein Bezug zum Kolonialherren England hergestellt. Jedoch waren alle räumlichen Anforderungen eines Westminster Parlaments vorhanden. Lediglich anhand der Farbgebung und Sitzanordnung der Plenarsäle kann eine bauliche Verbindung zum „Palace of Westminster“ in England hergestellt werden. Im englischen Westminster wurden die Sitzbänke von Regierung und Opposition entlang der Längsseite gegenüberliegend aufgestellt. Die Commons Chamber in England hat jeweils fünf Sitzreihen und einen Rednerpult. In Australien, Indien und Südafrika wurden die Sitzreihen um einen länglichen Halbkreis gegenüber vom Speaker ergänzt. Die traditionellen Farbe „Rot“ für das Oberhaus und „Grün“ für das Unterhaus wurden auch bei den Commonwealth-Staaten übernommen. Man wollte sich bewusst baulich von den Kolonialherren in England lösen, durch die Formveränderung wurde versucht die Gesellschaft und Geschichte vor Ort mit einzubinden. Es war außerdem von Bedeutung eine selbstbestimmte Identität des eigenen Parlaments zu suchen und umzusetzen. Das Parlament in Melbourne bietet die Räumlichkeiten auch parlamentsfernen und akademischen Veranstaltungen an. Die Touristen können sich bei einem Rundgang durch das Parlament auch auf die Abgeordnetenplätze niederlassen.34

34 KUNZE, Dirk (2008): Parlamentarische Traditionen zwischen Modernisierung Traditionsbewusstsein. Beobachtung zur Parlamentskultur in London, Singapur und Melbourne. Freie Universität Berlin, S.5.

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4.2 Das neue Parlament

Das „Parliament House“ ist eines der größten Parlamente der Welt. Man entschied sich das neue Repräsentantenhaus zwischen den Großstädten (Sydney und Melbourne) zu bauen. 35 Das Parlament befindet sich in Canberra, der Hauptstadt von Australien. Der Baubeginn war 1981 und fertiggestellt wurde das Gebäude am 9. Mai 1988. Mit Baukosten von 1,1 australischen Dollar war es zu seiner Zeit die teuerste Konstruktion der Welt. Der Masterplan von Walter Burley Griffin sah vor, dass die Hügellandschaft von Canberra dominanter

Abb 7: Architektur und Demokratie (Quelle: FLAGGE war als das Parlamentsgebäude und somit ein Ort und JEAN STOCK, 1992) des Volkes sei. Der Bau befindet sich an einer hügeligen Gegend in ruhiger Lage und wurde großzügig in die Landschaft eingebettet. Die Basis für seinen Entwurf bildeten die Berge, die wie Kegel in die unterbaute Landschaft ragten, wie auch der Fluss Molonglo. 36 Die Idee des Architekten war es, eine quer-axiale Verbindung zu den gegenüberliegenden Hügeln in sein Konzept aufzunehmen. Es war eine Mischung von radialen und zirkularen Systemen, die in der Draufsicht, ein geometrische-ornamentales-Spinnennetz ergab. 37 Aufgrund seiner Größe und begrünter Dachfläche lässt das Parlament erahnen selbst ein Hügel zu sein und fügt sich somit perfekt in die Umgebung. Das begrünte Dach ist dadurch gekennzeichnet, dass es öffentlich zugänglich ist. Die Lasten der Dachform zwischen den Steinmauern werden über die einzelnen Parlamentskammern ins Fundament abgetragen. Insgesamt gibt es vier Eingänge, einen für jeden Zugang zu den Kammern und der Vierte für den öffentlichen Zugang, mit einer großzügigen Veranda und Vorplatz. Der Grundkörper bildet einen Kreis, der durch zwei komplementär geschwungene abgestufte Wände überlagert wird. Der Kontext zum „Old Parliament House“ wurde durch die Fassadengestaltung des

35 FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Architektur und Demokratie. Stuttgart. S.198. 36 FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Architektur und Demokratie. Stuttgart. S.198. 37 FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Architektur und Demokratie. Stuttgart. S.198. 18

Neubaus hergestellt, indem einige Muster übernommen wurden, sodass trotz massiven Unterschieden eine Ähnlichkeit zum alten Gebäude vorhanden ist. Im Innenraum wurde gleich wie beim „Old Parliament“ und dessen Vorgänger im englischen „Westminster“, die Farben „Rot“ für das Oberhaus und „Grün“ für das Unterhaus verwendet. Die Sitzbänke im Parlament in Canberra sind ebenfalls dem „Old Parliament“ nachempfunden. Die niedrige Bauhöhe und die geschwungenen abgestuften Wände haben sich trotz anfänglicher Probleme und geringer Planungszeit bis zum Ende durchgesetzt. Auf einer Höhe von 107 Metern wird die Nationalflagge auf vier riesigen Edelstahlbeinen getragen. Ursprünglich war an dieser Stelle ein Kapitol vorgesehen, das wie ein Straßendreieck auf dem Dach sitzen sollte. In der Verfassung wurde diese Institution nicht vorgesehen, somit wurde über Jahrzehnte eine Flaggenstange platziert. Das Parlamentsgebäude hat eine Gesamtfläche von 250.000 Quadratmeter und umfasst 4.700 Zimmer. Die Innenräume, insbesondere der Senat und das Repräsentantenhaus, zeigen eine sorgfältige Verarbeitung, durchdachte Materialien, Oberflächen und Kunstwerke, die speziell in für den Gebäudekomplex gefertigt wurden.

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5 Schluss

Das Gesamte politische Areal des australischen Parlaments ist einzigartig und für die meisten Länder nicht nachahmbar. Hier wurde Funktionalität, museale Repräsentativität und ein öffentlicher Platz für Touristen vereint. Die Kosten übersteigen bei weitem das Budget vieler einzelner Regierungen. Außerdem braucht es das australische Klima für einen solch heiteren Bau. Dieser Großbau steht in starkem Kontrast zu herkömmlichen Regierungsgebäuden. Vermutlich wollte man sich so baulich von den Kolonialherren lösen und als Zeichen die demokratische Gesinnung im Land hervorheben.38 Aber ist es tatsächlich notwendig Unsummen an Geld für die staatliche Repräsentation auszugeben? “Man kann keine große Politik ohne große Architektur machen“39, hat Präsident Mitterand einmal gesagt. Dieses Vorurteil herrscht in einigen Köpfen, doch sind bei dieser Aussage Zweifel erlaubt. Große Architektur und Politik können gemeinsam harmonieren, und dennoch deplatziert wirken. Gewiss ist, dass große Staaten immer wieder versuchen ihre Stärke mithilfe großer Architektur zu repräsentieren. Das Parlament in Canberra wirkt jedoch authentisch und verschließt sich nicht vor der Öffentlichkeit. Ganz im Gegenteil ist es, wie auch beim alten Parlament in Melbourne erwünscht, sich als Besucher in das Abb 8: Australischer Plenarsaal (Quelle: FLAGGE und JEAN STOCK, 1992) Regierungsgebäude zu begeben. Im Entwurf vom Regierungsgebäude in Canberra wurde eine großzügig begrünte Dachfläche vorgesehen, damit Touristen sich uneingeschränkt über das Areal würden bewegen können. Das Parlament vermittelt Transparenz und lebt von den Menschen, die es besuchen wollen. In anderen Staaten wäre eine solche Offenheit kaum vorstellbar. Heutzutage bleiben den Touristen viele Tore verschlossen, aus Angst vor Terrorangriffen. Sowohl das alte Parlament in Melbourne, als auch das

38 FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Architektur und Demokratie. Stuttgart. S.43. 39 N.N. (1986): Geo Special. Hamburg. S.13. 20 neue australische Regierungsgebäude, stellt äußerlich keinen Bezug zum Parlament des Kolonialherrscher in Westminster dar. Das Englische Haus war reich an zeremonieller Tradition. Dies wurde über die Inneneinrichtung der Sitzungssäle, die Kleiderordnung und das Tragen weißer Perücken vermittelt. In anderen europäischen Städten wurde zu dieser Zeit ein schwarzer Frack getragen, um einen „Hauch von Zeremonie“ zu vermitteln und sich von der Gesellschaft abzuheben. Dies war auch an der Fassadengestaltung ablesbar. Am Parlamentsgebäude in Westminster wurde prunkvoll mit gotischen Fresken gearbeitet und Buntglas in den Seitenfenster eingesetzt. 40 Im „Parliament House“ in England war die Anordnung und Farbgestaltung der Plenarsäle sowie die Kleiderordnung anders als im restlichen Europa. Die Farbe „Rot“ verkörperte Reichtum und Wohlstand im alten England. Darum ist es nicht frappant, dass der Farbton für den House of Lords angewendet wurde. Das House of Commons war in „Grün“ gehalten. Bis heute sind die Farben in den Sitzungssälen im britischem Parlament sowie den Regierungsgebäuden der englischen Kolonien üblich. 41 Zur Unterscheidung der beiden Kammern für den Neubau des australischen Parlaments verwendete der Architekt Walter Burley Griffin ebenfalls die geschichtsträchtigen Farben. Im neuen australischen Parlament wurde ähnlich wie schon im alten Parlament in Melbourne eine hufeisenförmige Sitzanordnung für den Plenarsaal gewählt. Die „horseshoe“ Anordnung im Unterhaus vermittelt Geschlossenheit und fördert gleichsam die agonale Diskussionskultur. Es ist ein Kompromiss zwischen den „frontbench“ Saaltypus und der altgriechischen Theaterform. Zum einen ist dieser Saaltyp gut geeignet für Fernsehübertragungen, zum anderen eine Fraktions- und Parteienfreundlichere Lösung. Wobei heutzutage die meisten Informationen von Beschlüssen und Abstimmungen über Interviews an die breite Öffentlichkeit gelangen. Es muss gesagt werden, dass es keinen optimalen Saaltyp für einen Plenarsaal gibt. Es gibt bessere und weniger gute architektonische Lösungen. Der Plenarsaal repräsentiert für sein Land auch kulturelle, zeremonielle und traditionelle Hintergründe. So kann man summa summarum keine Empfehlung für den Bau eines Plenarsaals abgeben, ohne die Hintergründe im jeweiligen Land genauer zu betrachten. Abschließend kann gesagt werden, ein Parlament ist keine

40 Palace of Westminster (Quelle: Wikipedia, 2013) 41 KUNZE, Dirk (2008): Parlamentarische Traditionen zwischen Modernisierung Traditionsbewusstsein. Beobachtung zur Parlamentskultur in London, Singapur und Melbourne. Freie Universität Berlin. S3. 21

„juristische Gesetzeserzeugungsmaschine“, die wie eine Fabrik, Gesetzte entwerfen kann. Vielmehr lebt der Parlamentarismus von der Atmosphäre, in der Beschlüsse zustande kommen. 42 Diese Atmosphäre kann von keiner Architektur erzwungen werden. Allerdings kann eine geeignete bauliche Umsetzung des Plenarsaals der Diskussion dienlich sein. So ist es nicht unwesentlich für den Parteialltag, wie die Sitze in den Plenarsälen angeordnet sind und die Art des Zusammentreffens zustande kommt.

42 KUNZE, Dirk (2008): Parlamentarische Traditionen zwischen Modernisierung Traditionsbewusstsein. Beobachtung zur Parlamentskultur in London, Singapur und Melbourne. Freie Universität Berlin. S29. 22

6 Literaturverzeichnis

CAPRESI, Vittoria (2007): Kolonialismus: Architektur – Städtebau – Kultur. Wien.

FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Architektur und Demokratie. Stuttgart.

HIPP, Hermann (1996): Politische Ikonologie der Architektur, in: HIPP, Hermann, Ernst, Seidl [Hrsg.], Architektur als politische Kultur. philosophia practica. Berlin, S. 104.

KUNZE, Dirk (2008): Parlamentarische Traditionen zwischen Modernisierung Traditionsbewusstsein. Beobachtung zur Parlamentskultur in London, Singapur und Melbourne. Freie Universität Berlin.

LANKES, Christian (1995): Politik und Architektur. Eine Studie zur Wirkung politischer Kommunikation auf Bauten staatlicher Repräsentation. München.

SCHNEIDER, Franz (1967): Politik und Kommunikation. Drei Versuche. Mainz, S.36.

SÄNGER, Fritz: Parlament und Parlamentsberichterstattung –wer hat den Schwarzen Peter?, in: Der Bundestag von innen gesehen, S.263.

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N.N. (2013): Theophil von Hansen. Wikipedia. Verfügbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Theophil_von_Hansen [16.02.2014].

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7 Abbildungsverzeichnis

Titelbild: FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Das australische Parlament, Architektur und Demokratie. Stuttgart, S. 199.

ABB. 1: N.N. (2013): The House of Lords by Pugin and Rowlandson. Wikipedia. Verfügbar unter: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e0/House_of_Lords_Microcosm_ed ited.jpgs [16.02.2014].

ABB. 2: FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Österreichisches Parlament, Architektur und Demokratie. Stuttgart, S. 23.

ABB. 3: N.N. (2013): British House of Commons. Wikipedia. Verfügbar unter: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Houseofcommons1851.jpg [16.02.2014].

ABB. 4: FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Großer Sitzungssaal, Architektur und Demokratie. Stuttgart, S. 201.

ABB. 5: WLADYSLAW (2013): Großes Theater in Epidauros. Wikipedia. Verfügbar unter: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Theater_Epidauros.jpg&filetimestamp =20080204064655& [16.02.2014].

ABB. 6: FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Repräsentantenhaus Bonn, Architektur und Demokratie. Stuttgart, S. 6.

ABB. 7: FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Grundriss vom Parlament Canberra, Architektur und Demokratie. Stuttgart, S. 198.

ABB. 8: FLAGGE, Ingeborg, Wolfgang, JEAN STOCK (1992): Australischer Plenarsaal, Architektur und Demokratie. Stuttgart, S. 201.

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