JOCHEN HORISCH

A MAN OF WEALTH AND TASTE JAGGERS LuciFER TRIFFT GoETHES

Den Rolling Stones war keine Anstrengung zu schwer, urn dariiber hin• wegzutauschen, wie traditionell, solide und komplex ihr bildungsbiirger• licher Hintergrund war und ist. Diesem satanischen Tauschungsversuch sind viele der weniger gebildeten und wachen Rolling-Stones-Fans auf den Leim gegangen. Dennoch ist er misslungen. Fraglos namlich zahlt das Oeuvre der Rolling Stones wie das der Beatles, die Aug in Aug mit der besten Schubert-Schumann-Mahler-Tradition des deutschen Kunstliedes komponierten, zum Kanon alexandrinisch gelehrter Literatur. Davon zeugt u.a. das Prunk-Wissen, das einer ihrer beriihmtesten mit jener bei• laufigen Eleganz und Leichtigkeit ausbreitet, die nur einer traditionell ge• formten Bildungselite gegeben ist. Das bOse Lied ,Sympathy for the de• vil" beeindruckt durch sehr gute Geschichtskenntnisse: ist mit dem Neuen Testament und mit der Geschichte des Blitzkriegs, mit der Liedkunst der Troubadore und mit Shakespeares Konigsdramen, mit den revolutionaren Ereignissen in Sankt Petersburg und mit damals jiingster Zeitgeschichte, der Ermordung der Kennedy-Briider, bestens vertraut. Mit Anastasia sowieso, das versteht sich. In subtiler Anspielung auf das geflii• gelte Goethe-Wort ,Von hier und heute geht eine neue Epoche der Welt• geschichte aus, und ihr konnt sagen, ihr seid dabei gewesen" kann Jag• gers Lucifer sagen: ,Ich bin stets dabei gewesen." Selbstredend wird ihm der Hintersinn der schon von Goethe favorisierten Formel ,Et in Arcadia ego" gelaufig sein. ,,Auch ich bin inArkadien" sind, wie jeder, der Goethe und Panofsky gelesen bzw. die Rolling Stones gehort hat, satanisch-tha• natologische Worte: Was ihr als arkadisches Gefilde miBversteht, ist mein thanatologisches Gelande, spricht der Herr, der des Teufels ist. Wahre Bildung zeigt sich nun aber nicht in der Ausstellung tradierter Wissensbestande, und sei sie auch noch so souveran. Sie manifestiert sich vielmehr darin, dass man im Geistergesprach mit den ganz GroBen nur bestehen kann, wenn es gelingt, ihre Denkmotive aufzunehmen und poin• tiert weiterzuentwickeln. Und eben dies ist in ,Sympathy for the " ersichtlich der Fall. Die Anspielung auf Goethes -Drama und prazi- 30 JOCHEN HORISCH ser: auf die Szene des Dramas, in der Mephisto sich dem Gelehrten vor• stellt, ist subtil, aber doch eindeutig. Auch Goethes Mephisto stellt sich wie der Lucifer des Songs nicht gleich mit seinem Namen vor. Beide sind von erlesener Hofl.ichkeit und geradezu hofischen Umgangsformen.

Please allow me to introduce myself I'm a man of wealth and taste. spricht Lucifer gleich zu Anfang des Songs. Das Motiv ist ihm wichtig, und so wird es am Ende des Lieds wiederholt: ,1 am a man of wealth and taste." Damit paraphrasiert Lucifer die bis dato in jedem Wortsinn unerhorten Worte Mephistos.

FAUST. Bei euch, ihr Herrn, kann man das Wesen Gewi:ihnlich aus dem Namen lesen, Wo es sich allzudeutlich weist, Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Liigner heiBt. Nun gut, wer bist du denn? . Ein Teil vonjener Kraft, Die stets das Bose will und stets das Gute schafft.

Anders als die traditionelle Germanistik hat Mick Jaggers Gelehrsam• keit den tie fen Sinn dieser Selbst-Vorstellung Mephistos erkannt. Me• phisto ist ein Mann von erlesenem Geschmack und von groBem Reich• tum ( er kann z.B. so fort ein wahnsinnig wertvolles Schmuckkiistchen finanzieren). Auch er verzichtet darauf, sogleich seinen Eigennamen zu nennen; die Angabe seiner Fahigkeiten und Funktionen scheint ihm an• gemessener zu sem. Die Leistung, die er erbringt, ist es wert, benannt zu werden. Er will satanisch-luciferisch stets das Bose und schafft doch stets das Gute. Das ist denn doch eine Leistung, die man dem Teufel nicht sogleich zutraut. Was mit diesem Riitselwort gemeint sei, will Faust denn auch sogleich und zu Recht wissen. Mephisto legt seine Karten nur halb auf den Tisch. Aber aufmerksamen Lesem und wahrhaft initiierten Satanisten wie Mick Jagger ist der Sinn des Riitselworts gliinzend klar: Mephisto und Lucifer sind auf dem Niveau des bedeutendsten Buches der Modeme, das keinen anderen Titel triigt als die sen: The wealth ofnations. Es erschien 177 6 und entstammt der Feder eines Menschen, der tatsiichlich den Menschenna• men und den Familiennamen schlechthin triigt: Adam Smith. Der Wei• marer Finanzminister Goethe zahlte zu den ersten Lesem des schon ein