Plenarprotokoll 19/64

Deutscher

Stenografischer Bericht

64. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- (CDU/CSU). 7322 B neten Dr. . 7293 A Dr. (fraktionslos). 7324 B Johannes Kahrs (SPD) . 7325 B Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) (CDU/CSU). 7326 D a) Zweite Beratung des von der Bundesre- Sonja Amalie Steffen (SPD). 7328 A gierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes über die Feststellung des Bundes- Dr . (AfD). 7329 B haushaltsplans für das Haushaltsjahr Sonja Amalie Steffen (SPD). 7330 A 2019 (Haushaltsgesetz 2019) Drucksachen 19/3400, 19/3402. 7293 B Norbert Kleinwächter (AfD). 7330 B b) Beratung der Beschlussempfehlung des (CDU/CSU). 7330 D Haushaltsausschusses zu der Unterrich- (FDP). 7332 A tung durch die Bundesregierung: Finanz- plan des Bundes 2018 bis 2022 (SPD). 7332 D Drucksachen 19/3401, 19/3402, (DIE LINKE). 7334 A 19/4627. 7293 B Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 7334 D I.9 Einzelplan 04 Dr. Jens Zimmermann (SPD). 7335 C Bundeskanzlerin und Bundeskanzler- amt (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 19/4624, 19/4625...... 7293 B DIE GRÜNEN). 7336 C Dr . (AfD). 7293 C Namentliche Abstimmung . 7337 C Dr. , Bundeskanzlerin. 7296 D

Christian Lindner (FDP). 7303 A Ergebnis . 7341 C (SPD). 7305 D Dr . (DIE LINKE). 7308 B I.10 Einzelplan 05 Dr. (BÜNDNIS 90/ Auswärtiges Amt DIE GRÜNEN). 7312 A Drucksachen 19/4605, 19/4624...... 7337 D (CDU/CSU)...... 7315 A Dr . Birgit Malsack-Winkemann (AfD). 7337 D Dr. (AfD). 7317 C (SPD). 7339 A (Minden) (SPD). 7319 D Bijan Djir-Sarai (FDP). 7344 B (FDP). 7321 A (CDU/CSU). 7345 C II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. (DIE LINKE). 7347 B Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). 7377 B Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 7348 C Tobias Pflüger (DIE LINKE). 7378 B , Bundesminister AA. 7349 D (CDU/CSU). 7379 A Heike Hänsel (DIE LINKE). 7351 C (SPD). 7380 A Frank Müller-Rosentritt (FDP). 7351 D Ingo Gädechens (CDU/CSU). 7381 B Heiko Maas, Bundesminister AA. 7351 D Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU). 7382 B Armin-Paulus Hampel (AfD). 7352 C Jürgen Hardt (CDU/CSU). 7354 A I.12 Einzelplan 23 Armin-Paulus Hampel (AfD). 7355 A Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE). 7355 B Drucksachen 19/4620, 19/4624...... 7383 B (FDP). 7356 B Volker Münz (AfD). 7383 C Heike Hänsel (DIE LINKE). 7357 D Carsten Körber (CDU/CSU). 7384 A Dr. (BÜNDNIS 90/ Dr. Christoph Hoffmann (FDP) . 7385 C DIE GRÜNEN). 7358 D Sonja Amalie Steffen (SPD). 7386 C (SPD). 7359 C Helin (DIE LINKE). 7388 B Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU). 7360 C (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU). 7362 A DIE GRÜNEN). 7389 A (Chemnitz) (CDU/CSU). 7362 D Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ. 7390 A Heike Hänsel (DIE LINKE). 7391 A I.11 Einzelplan 14 (AfD). 7392 A Bundesministerium der Verteidigung (SPD) . 7393 A Drucksachen 19/4613, 19/4624...... 7364 A Michael Georg Link (FDP). 7394 B (AfD) . 7364 B Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE). 7395 C Dr. (CDU/CSU). 7365 B (BÜNDNIS 90/ (FDP). 7366 C DIE GRÜNEN). 7396 B (SPD). 7367 C Hermann Gröhe (CDU/CSU). 7397 B Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . 7369 A (AfD). 7398 D Dr. (BÜNDNIS 90/ Dr. (SPD). 7399 D DIE GRÜNEN). 7370 B (CDU/CSU). 7401 A Dr. , Bundesministerin BMVg. 7372 B Nächste Sitzung . 7402 C Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 7374 A Berichtigung. 7402 C Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg. 7374 B (AfD). 7374 C Anlage Siemtje Möller (SPD). 7376 A Entschuldigte Abgeordnete. 7403 A Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018 7293

(A) (C)

64. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Fraktionsvorsitzenden der AfD, Dr. Alice Weidel. nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. (Beifall bei der AfD) Ich gratuliere vor Eintritt in die Tagesordnung dem Kollegen Dr. Wieland Schinnenburg nachträglich zu (AfD): seinem 60. Geburtstag. Alle guten Wünsche im Namen Dr. Alice Weidel des ganzen Hauses. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Zum zweiten Mal in die- (Beifall) sem Jahr beraten wir über den Entwurf eines Bundes- Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs- haushalts. Dazugelernt hat Ihre Regierung seither nichts, punkt I – fort: Frau Bundeskanzlerin. (B) a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung (Beifall bei der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: (D) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Sie sollten sagen, wer Ihre Spender sind!) Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2019 (Haushaltsgesetz 2019) Sie betreiben weiterhin eine Politik der Spaltung und der Unvernunft, eine Politik des Ausgabenwahns und der fal- Drucksachen 19/3400, 19/3402 schen Prioritäten, eine Politik, die den noch vorhandenen b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus- Wohlstand von heute bedenkenlos mit vollen Händen haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unter- ausgibt und verschleudert, ohne an morgen zu denken. richtung durch die Bundesregierung (Beifall bei der AfD) Finanzplan des Bundes 2018 bis 2022 Geändert hat sich aber die ökonomische Grundlage, auf Drucksachen 19/3401, 19/3402, 19/4627 der Sie diesen Ausverkauf betreiben. Das wirtschaftliche Fundament bröckelt. Ihre Politik ignoriert konsequent Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf: die ökonomische Vernunft. Sie setzt die Interessen des hier: Einzelplan 04 eigenen Landes und der eigenen Bürger an die letzte Stel- Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt le. Dafür rennen Sie ideologischen Weltbeglückungsfan- tasien hinterher, und das hält auch die stärkste Volkswirt- Drucksachen 19/4624, 19/4625 schaft auf Dauer nicht ohne Schaden aus. Berichterstatter sind die Abgeordneten Otto Fricke, (Beifall bei der AfD) Patricia Lips, Johannes Kahrs, Marcus Bühl, Dr. Gesine Lötzsch und Anja Hajduk. Die Automobilindustrie, ein Eckpfeiler unserer Volks- Zum Einzelplan 04 liegt ein Entschließungsantrag der wirtschaft, gerät in die Krise. Die Absätze brechen auf Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir am breiter Front ein, das Wirtschaftswachstum in Deutsch- Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. land ist erstmals seit Jahren wieder rückgängig. Über den Einzelplan 04 werden wir später namentlich (Johannes Kahrs [SPD]: Nur bei Ihrem Kreis- abstimmen. verband nicht!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Kein Wunder, wenn die Politik jahrelang einen regel- die Aussprache 210 Minuten vorgesehen. Sie sind damit rechten Krieg gegen den Verbrennungsmotor führt, un- einverstanden? – Dann ist das so beschlossen. sinnige Emissionsgrenzwerte durchpeitscht und obsku- 7294 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Alice Weidel (A) ren Lobbyvereinen die Möglichkeit gibt, ein Fahrverbot Wir haben eine vernachlässigte Armee, die ihren Auf- (C) nach dem anderen einzuklagen. trag der Landesverteidigung nicht erfüllen kann, deren Panzer nicht fahren, deren Schiffe nicht in See stechen, (Beifall bei der AfD – [DIE deren Flugzeuge und Hubschrauber nicht fliegen LINKE]: Damit kennen Sie sich aus! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Mit Lobbyvereinen kennen Sie sich gut aus! – GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfra- Zurufe von der SPD) ge) – Schreien Sie nur rum. und die trotzdem in immer neue Einsätze in aller Welt In der Wirtschafts- und Energiepolitik geht es um geschickt wird. Wir leisten uns eine gigantische Sozialin- Atomausstieg, Kohleausstieg, hochsubventionierte al- dustrie mit einer wuchernden Doppelstruktur aus staat- ternative Energien, die nicht grundlastfähig sind, und lichen und nichtstaatlichen Akteuren, die vor allem sich hochgejubelte Elektroautos, die für Massenmobilität selbst helfen. überhaupt nicht tauglich sind. (Lachen des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Vielleicht erzählt uns Ihr neugegründeter „Parlaments- Frau Kollegin Weidel, gestatten Sie eine Zwischenfra- kreis Pferd“ – das ist unglaublich; ich habe es nicht ge- ge? glaubt, als ich es gehört habe –, (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Dr. Alice Weidel (AfD): SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- Nein, nicht noch mal aus der Ecke. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Lachen welche Fortbewegungsmittel wir künftig überhaupt noch bei der SPD, der LINKEN und dem BÜND- nutzen dürfen, wenn Deutschland erfolgreich zum klima- NIS 90/DIE GRÜNEN) neutralen Agrarland heruntergewirtschaftet wurde. – Sie kommen gleich noch dran, ja. (Beifall bei der AfD) Schlechte Wirtschaftspolitik ist eben auch schlechte (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sozialpolitik, NEN]: Frau Weidel, so große Angst? So große Sorge?) (B) (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE (D) GRÜNEN]: Was ist mit den Spendern, Frau Am allerwenigsten aber nützen sie denen, für deren Weidel?) staatliche Zwangsbeglückung sie angeblich geschaffen wurden. Wir geben jedes Jahr Geld für den Kampf gegen und sie trifft zuerst immer die Normalbürger, die arbeiten rechts aus und für andere Bevormundungen der Bürger; und Steuern zahlen. aber Frauen und Mädchen können sich ja abends gar (Zuruf der Abg. [SPD]) nicht mehr allein auf die Straße wagen – aus Furcht vor Übergriffen sogenannter Schutzsuchender. Sie werden nach Strich und Faden ausgenommen wie eine Weihnachtsgans (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel (Zurufe von der SPD) Sorge, dass wir Ihnen eine Frage stellen könn- – schreien Sie nur; ich weiß, getroffene Hunde bellen – ten! Wie unsouverän! Sehr unsouverän! – Zu- rufe von der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Wir vergraulen im eigenen Land gut ausgebildete Fach- durch den Wertverlust ihrer Autos und durch hohe Ener- kräfte mit schlechten Arbeitsbedingungen und miserab- giekosten, durch Hochsteuerpolitik und EZB-Nullzins, ler Bezahlung ins Ausland und suchen unser Heil in der während die Verbraucherpreise kräftig steigen. So wer- Anwerbung ausländischer Fachkräfte, die in ihren eige- den die Normalbürger ausgenommen. Nur der unfassba- nen Ländern dringend gebraucht würden, sofern sie denn ren Disziplin und Geduld der Deutschen ist es überhaupt überhaupt Fachkräfte sind. zu verdanken, dass es noch keine flächendeckenden Massenproteste gibt wie in Frankreich, wo es den soge- Ich merke es schon. Ihrem ganzen Geschrei entnehme nannten Aufstand der gelben Westen gegen die neueste ich, dass Sie lieber über Spenden und Parteifinanzierung Spritpreiserhöhung gibt. Noch nie in der Geschichte der reden wollen. Bundesrepublik Deutschland hatte die öffentliche Hand so viel vom Bürger zur Verfügung, und noch nie wurde (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ so viel Geld so schlecht ausgegeben. DIE GRÜNEN: Ah!) (Beifall bei der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: Also gut, reden wir darüber. Können Sie mal was zur Schweiz sagen? – [SPD]: Sie kennen sich doch (Beifall bei Abgeordneten der AfD, der FDP bei der Schweiz besser aus als bei Frankreich!) und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7295

Dr. Alice Weidel (A) Ja, es ist richtig, dass bei uns Fehler im Umgang mit Alles legal, sicher. Aber ist das eigentlich auch legitim? (C) Wahlkampfspenden gemacht wurden. Das kann passie- Ist das ein redlicher Umgang mit dem Geld der Steuer- ren, zahler? Das müssen Sie sich gefallen lassen. (Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer DIE GRÜNEN: Oh!) [CDU/CSU]: Das Recht haben Sie verwirkt, darüber zu philosophieren!) wenn man alles ehrenamtlich macht und keine Partei- funktionärsstrukturen hat wie Sie. Fehler macht schließ- An die Adresse von Herrn Kahrs, der sich hier ja im- lich jeder. mer so wunderbar hervortut. (Dr. [FDP]: Jetzt wollen (Johannes Kahrs [SPD]: Wer war denn der Sie aus einem Rechtsmissbrauch auch noch Spender? Wer hat denn das Geld gegeben? eine Tugend machen?) Das ist die Frage! Wer war es denn?) Richtig ist aber auch, dass sich niemand persönlich be- – Ja, Sie schreien ja die ganze Zeit; ich finde das wun- reichert hat. derbar. (Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/ (Johannes Kahrs [SPD]: Wer hat denn das DIE GRÜNEN: Oh!) Geld gegeben?) Es wurde auch nicht versucht, zu verschleiern, weil es Was ist mit den Direktspenden von der Rüstungsindust- ganz normale Parteikonten gewesen sind, über die Re- rie an Sie von der Hamburger SPD im Bundestagswahl- chenschaft abgelegt werden muss. Richtig ist auch, dass kampf 2005? Was ist damit? Oder was ist mit der Sache die Gelder zurücküberwiesen wurden, mit den mehr als 1 Million Euro, die ein führender Spiel- hallenkonzern im Laufe der Jahre verdeckt an Union, (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: SPD, FDP und Grüne hat fließen lassen? Ui!) (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann auch was ganz Besonderes unserer Partei. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht immer (Beifall bei Abgeordneten der AfD) mit dem Finger zeigen! – Michael Grosse-­ Brömer [CDU/CSU]: Frau Weidel, das ist eine Es wurden auch keine Bargeldkoffer hin und her getra- Haushaltsdebatte!) gen, deren Inhalt in Schubladen verschwunden ist und an deren Verbleib sich niemand mehr erinnern kann oder Da wurden nicht nur konkrete Gegenleistungen erwar- (B) will. tet – Sie wollten darüber reden; Sie schreien ja die gan- (D) ze Zeit –, sondern, wie Lobbywächter nicht ohne Grund (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Kein Un- vermuten, in etlichen Fällen wohl auch erbracht. rechtsbewusstsein!) ( [Erfurt] [SPD]: Mein Richtig ist auch, dass diese ganze Angelegenheit die Bür- Gott, ist das heute anstrengend!) ger und Steuerzahler – ich weiß, das ist Ihnen fremd – nicht einen Pfennig gekostet hat. Und da schon immer wieder haltlos über verdeckte Einflussnahmen von außen spekuliert wird: Wie steht es (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eigentlich um die ganz handfesten Einflussnahmen von Nicht einen einzigen Euro hat das den Steuerzahler ge- Ihnen, werte Genossinnen und Genossen, wie Sie das kostet. ja immer so schön sagen, der SPD? Ihre Partei hält sich ein unüberschaubares Geflecht von Beteiligungen und Da Sie jetzt so lautstark Ihre künstliche Empörung Eigentümerschaften an Zeitungen, Druckereien, Service- zelebrieren: Fassen Sie sich ruhig erst mal an Ihre eige- und Vertriebsgesellschaften, Anzeigenblättern, Presse- ne Nase. Denken Sie mal ein paar Monate zurück. Kurz vertrieben, Hörfunkunternehmen, Fernseh- und Video- vor der Sommerpause haben Sie mal eben die ohnehin produktionsfirmen, großzügig bemessene staatliche Parteienfinanzierung um satte 15 Prozent oder 25 Millionen Euro erhöht, einfach (Johannes Kahrs [SPD]: Da sollten Sie ein- mal so, fach mal die Berichte nachlesen! Lesen hilft!) (Beifall bei der AfD) Online- und sonstigen Dienstleistern. weil Ihnen die üppigen Summen, die Sie schon einstrei- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da hat chen, anscheinend immer noch nicht reichen. eine echt ein schlechtes Gewissen!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Da wurden in der Vergangenheit nicht nur schon mal ist ja eine peinliche Verteidigung!) Gelder hin und her geschoben, da werden auch die Bür- ger immer wieder hinters Licht geführt; sie glauben, sie Weil Ihnen von der SPD Ihre Wähler davonlaufen, lan- würden eine ganz normale Lokal- oder Regionalzeitung gen Sie dem Bürger noch mal tief in die Tasche. kaufen und lesen, und halten in Wahrheit ein Parteiblatt von Ihnen in den Händen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist Rhetorikschule aus dem letzten (Martin Schulz [SPD]: Wer ist der Spender Jahrhundert, das mit dem Fingerzeigen!) aus der Schweiz? Nennen Sie mal Namen!) 7296 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Alice Weidel (A) Und wenn Sie der Branche einen Gefallen tun – ich Und auf der äußersten Linken, die sich so oft darüber (C) weiß, Sie schreien –, beispielsweise wenn Sie die Absen- wohlfeil empört? Geben Sie erst mal Rechenschaft über kung der Rentenbeiträge für Zeitungszusteller im Mini- das Milliardenvermögen, job im Koalitionsvertrag unterbringen, dann sind Sie, ist (Ulli Nissen [SPD]: Peinlich! – Johannes der Großunternehmer SPD als Lobbyist in eigener Sache Kahrs [SPD]: Haben Sie schon den Spender unterwegs, auch ohne umständliche Spendenflüsse. genannt? Wer sind die Spender?) (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider [Er- das Ihre Partei, furt] [SPD]: Das klärt Ihre Partei schon mit (Beifall bei der AfD) Ihnen, Frau Weidel! Da machen wir uns keine Sorgen! Das macht Ihre Partei schon!) als sie noch SED hieß,

Mit den umständlichen Spendenflüssen haben Sie na- (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) türlich – es geht ja noch weiter – trotzdem Erfahrung: in jahrzehntelanger Diktatur angehäuft hat! – Ich weiß, Wie war das mit den Hunderttausenden, die im Zuge des das tut weh; aber Sie wollten es ja. Baus einer Müllverbrennungsanlage an die Kölner SPD gegangen sind, wie war das? Oder mit den Regensburger (Zuruf von der FDP: Letzte Rede!) Immobilienunternehmen, aus deren Umfeld während des Jetzt haben Sie die Heulerei. Ins Ausland verschoben, in OB-Wahlkampfes 2014 Unternehmen geparkt, als Darlehen an einzelne Funktio- näre verteilt – das muss man sich einmal vorstellen! –, ein (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da hat hoher Millionenbetrag davon ist immer noch verschwun- eine echt ein schlechtes Gewissen! – Katrin den – Geld, das von Rechts wegen dem Bürger zusteht Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und nicht der Partei, die ihn all die Jahre unterdrückt hat. NEN]: Was ist eigentlich mit dem Haushalt, Frau Weidel?) Ja, wir haben Fehler gemacht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zu- dem Ortsverband des SPD-Amtsinhabers eine halbe Mil- rufe von der SPD: Ah!) lion Euro zugeflossen sind und der örtlichen CSU immer- hin noch mal 90 000 Euro, nicht nur gestückelt, sondern Wir haben es erkannt und reagiert, zurückgezahlt – weit über Mitarbeiter als Strohmänner, wie die Staatsanwalt- vor dem absolut inszenierten Medienskandal. schaft vermutet. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Michael (B) Grosse-Brömer [CDU/CSU]: An wen haben (D) (Beifall bei der AfD) Sie denn zurückgezahlt?) Das ist Ihre Praxis. Moralische Vorhaltungen müssen wir uns hier von Ihnen überhaupt nicht machen lassen, am wenigsten von Ihnen, Sie wollen über Parteispenden reden? Also gut, reden sehr geehrte Damen und Herren. wir auch über die schwarzen Kassen und das bis heute nicht aufgeklärte Bimbes-System von Helmut Kohl, re- (Beifall bei der AfD) den wir über die illegalen Spenden Kommen Sie raus aus Ihren Glashäusern, und hören Sie auf, mit Steinen zu werfen, die Sie nachher selber treffen! (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten heute über den Haus- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: An halt reden!) wen hat die AfD zurückgezahlt?) Machen Sie endlich Politik für unser Land und für die an die hessische CDU in den 90ern und Ihre angeblich Bürger, und machen Sie nicht permanent Politik für sich jüdischen Vermächtnisse, selber! Die Bürger in diesem Land haben es verdient. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der AfD) oder sprechen wir über die jüngste Spendenaffäre der CDU in Rheinland-Pfalz. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mein Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Aus- Gott, hat da eine ein schlechtes Gewissen!) sprache über den Einzelplan der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes fort. Das Wort hat die Bundes- Da führt die Spur des Geldes zu einem dubiosen Ex-Ge- kanzlerin Dr. Angela Merkel. heimagenten, der im Wahlkreis eines CDU-Bundestags- abgeordneten residiert und offenbar öfter mal Unterstüt- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zung benötigt. Und was war mit den jahrelangen Spenden von Heckler & Koch an den CDU-Kreisverband in Rott- Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: weil, was war damit? Bei Großspenden aus Industrie und Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Verbänden ist die CDU Spitzenreiter. Kollegen! Das Schöne an freiheitlichen Debatten ist, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7297

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) dass jeder über das spricht, was er für das Land für wich- Es ist richtig, dass wir hier auch im Bundeshaushalt einen (C) tig hält. Akzent setzen, um etwas dagegen zu tun, und auch die Länder und Kommunen ermutigen, hier mehr zu machen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LIN- NISSES 90/DIE GRÜNEN) KEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann es nicht anders sagen: Wir haben die Allianz für Pflege und ein weiteres Der war gut!) Pflegestärkungsgesetz auf den Weg gebracht, und wir haben wesentliche Weichenstellungen im Rentensystem Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies hier ist unsere vorgenommen: Festhalten am Rentenniveau bis 2025, vierte Haushaltsdebatte in diesem Jahr. Das hat natürlich Verbesserung der Erwerbsunfähigkeitsrente, Verbesse- damit zu tun, dass wir für 2018 lange keinen Haushalt rung der Mütterrente. Im Weiterbildungsbereich haben hatten und dass wir jetzt zeitgerecht den Haushalt für wir im Blick auf die Digitalisierung Weichen gestellt, wir 2019 beschließen – in einem Umfeld, in dem wir nach haben die Exzellenzinitiative für Forschung und Sonder- wie vor, im neunten Jahr in Folge, Wirtschaftswachstum ausschreibungen für erneuerbare Energien auf den Weg haben. gebracht und die Sammelklagemöglichkeit – gerade im Blick auf VW – eingeführt. Mit Blick auf die Dieselfra- (Jürgen Braun [AfD]: Kein Wirtschaftswachs- gen haben wir das Bundes-Immissionsschutzgesetz ver- tum! Stimmt nicht! Glatte Unwahrheit! Un- ändert, um mehr Rechtsklarheit zu bekommen, und wir glaublich!) haben eine Vielzahl von Gesetzen im Zusammenhang mit der Steuerung und Ordnung von Flüchtlingen und Wir haben über 45 Millionen Erwerbstätige, einen ausge- Migration verabschiedet. glichenen Haushalt und im vergangenen Jahr zum ersten Daneben haben wir drei wichtige Kommissionen auf Mal das von uns lange erarbeitete Ziel erreicht, 3 Prozent den Weg gebracht, von denen eine, die Kommission zum des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwick- Strukturwandel in den Braunkohlegebieten, jetzt in die lung auszugeben. Unsere Investitionsquote kann sich se- entscheidende Phase kommt. Deshalb will ich noch ein- hen lassen, und unser Schuldenstand wird bald wieder mal deutlich machen, dass es uns hier darum geht, den die Maastricht-Kriterien erfüllen. Klimawandel auf der einen Seite und die Zukunft der Menschen auf der anderen Seite in Einklang zu bringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Es geht nicht darum, als Erstes irgendwelche Ausstiegs- (B) Jürgen Braun [AfD]: Das glaubt doch kein daten zu beschließen, sondern darum, den Menschen (D) Mensch!) Hoffnung und Zukunft zu geben und den Strukturwandel wirklich vorzubereiten, um ihnen dann die Sicherheit zu Ich will hier nur im Kurzformat sagen, was diese Bun- geben und zu sagen: Ja, auch wir werden unseren Beitrag desregierung der Großen Koalition bereits auf den Weg für den Klimawandel leisten. gebracht hat – die vielen Einzeletats, die hier debattiert werden, stellen das ja ausführlicher dar –: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Wir haben Familien entlastet, wir haben die kalte Pro- Wir werden die Kommission für gleichwertige Le- gression bekämpft, wir haben Mittel für den sozialen bensverhältnisse in Deutschland und die Rentenkom- Wohnungsbau ausgereicht, wir haben das Baukindergeld mission haben, die uns besonders wichtig sind, und wir eingeführt, wir haben einen Wohnungsgipfel durchge- werden noch vor Weihnachten ein Fachkräfteeinwande- führt, auf dem wir uns mit den eigentlich wichtigen Fra- rungsgesetz beschließen. gen neben dem Geld beschäftigen, All das sind Dinge, die von größter Wichtigkeit sind. ( [AfD]: Jahrmarkt!) Ich möchte mich heute aber auf zwei Punkte konzen- trieren. Das sind auf jeden Fall sehr große Herausforde- nämlich mit der Verfügbarkeit von Bauland und der Be- rungen im Zusammenhang mit unserer Zukunft. schleunigung von Bauvorhaben, und wir haben im Be- reich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch die Die Erste ist technologiegetrieben, nämlich die Digi- Brückenteilzeit und das Gute-Kita-Gesetz wichtige Wei- talisierung. Die Digitalisierung wird unser Leben in allen chen gestellt. Bereichen tiefgreifend und qualitativ verändern.

Ich will hier nur ganz kurz auch darauf hinweisen, dass (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Hat sie schon!) die Bundesfrauenministerin gestern auf ein Phänomen aufmerksam gemacht hat, das uns alle umtreiben muss, Wir haben in der vergangenen Woche eine zweitägige nämlich auf Gewalt gegen Frauen in unserem Land. Klausurtagung durchgeführt. Die Struktur der Bundesre- gierung entspricht in dieser Legislaturperiode den Aufga- (Beatrix von Storch [AfD]: Ach nee! – Jürgen ben und den Notwendigkeiten, und ich bin sehr froh, dass Braun [AfD]: Sie tun doch nichts dagegen! sich auch im Parlament entsprechende Kommissionen Gar nichts!) finden, die sich mit dem digitalen Wandel beschäftigen. 7298 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Die Zeit drängt. Wir stehen in einem wahnsinnigen mit Leben erfüllen und das Bürgerportal auch Realität (C) globalen Wettbewerb, und wir stehen vor der Herausfor- werden lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist derung, diesen Wettbewerb so zu gestalten, dass er uns eine wichtige, – ich würde sagen: –, eine zukunftsent- auch im 70. Jahr der sozialen Marktwirtschaft die Chan- scheidende Aufgabe, die mehr als vieles andere eine enge ce gibt, dass der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen er- die Technik den Menschen beherrscht. Das ist die große fordert. Aufgabe und die große Überschrift, unter der das alles stattfindet. Wir sind ein föderales Land. Bei uns geht das nicht so einfach. Ich habe gestern den dänischen Kollegen ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- troffen, Lars Rasmussen, der mir erklärt hat, dass Däne- ordneten der SPD) mark das alles schon vor Jahren mit seinen Kommunen Meine Damen und Herren, da geht es natürlich als gemacht hat. Wir als föderales Gebilde tun uns da sehr Erstes – das wird viel diskutiert – um die Infrastruktur. schwer. Das Wichtigste, das wir jetzt erst mal mit den Die ist in unserem Land nach wie vor noch unzureichend, Ländern erreichen müssen, ist ein für den Bürger akzep- aber ich glaube, wir sind jetzt auf einem guten Weg. Wir tabler Zugang zu diesem Portal, der nicht so kompliziert haben im Parlament ausführlich die Ausschreibungen für ist, dass ihn keiner nutzt. Dann geht es darum, dass wir die neueste Technologie, die 5G-Frequenzen, und deren über 500 Funktionen haben, die die Bürgerinnen und Versteigerung diskutiert. Hier stehen wir natürlich in ei- Bürger mit ihrem Staat abarbeiten. All die müssen jetzt nem Spannungsfeld zwischen politischen Vorgaben und digitalisiert werden. Investitionsmöglichkeiten derer, die investieren wollen. Ich spreche darüber so ausführlich, weil dabei eine (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) wesentliche Sache zu beachten ist, und zwar dass wir vom Bürger her denken und nicht unsere Projekte so Aber genauso wichtig ist natürlich, dass wir eine Ver- durchsetzen, wie wir das gewöhnt sind. sorgung der Haushalte mit ausreichendem 4G-Standard bekommen. Hierzu hat jetzt der Bundesinfrastrukturmi- (Lachen bei der AfD) nister Andi Scheuer die richtigen Förderbedingungen noch mal weiterentwickelt, damit es unbürokratischer – Da schauen Sie. – Wir sind im normalen klassischen gehen kann. Wir werden Ende 2019 98 Prozent der Denken gewohnt, ein Projekt zu planen, Haushalte angeschlossen haben und Ende 2020 99 Pro- (Lachen bei Abgeordneten der AfD) zent der Haushalte. das gesamte Projekt dann schrittweise umzusetzen, wäh- Aber wie wir alle wissen und täglich erleben, reicht rend im digitalen Zeitalter eine völlig andere Art der He- (B) uns das natürlich nicht aus. Zu Hause ein Angebot von rangehensweise da ist und die Anwendungen Schritt für (D) breitem Internet zu haben, ist gut und richtig – wir ma- Schritt eingeführt werden müssen. Dieses richtige Den- chen jetzt auch Sonderausschreibungen für Krankenhäu- ken beim Umsetzen des Bürgerportals wird sehr wichtig ser, Gewerbegebiete, Schulen, auch richtig –, aber wir sein. wollen natürlich flächendeckendes Internet. Genau daran wird gearbeitet. Insbesondere im Zusammenhang mit der Wir werden erste Funktionen, nämlich die des Bun- Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ wer- des – das sind über 100 –, sehr schnell einführen. Wir den wir dann das, was gerade auch für die ländlichen Re- werden dann mit den Ländern die anderen 400 Funkti- gionen und was für die Landwirtschaftsministerin wich- onen durchsetzen, sodass wir Ende 2022 wirklich den tig ist, in den Blick nehmen und dazu Lösungen finden. vollkommenen und kompletten Zugang – von Fahrzeu- ganmeldung über Elterngeldbeantragung, Steuererklä- (Beatrix von Storch [AfD]: Sagen Sie doch rung, Gesundheitsakten und vielen, vielen anderen Din- mal was zum Global Compact!) gen – digital schaffen. Das ist notwendig. Das ist kein Nerd-Projekt, wie man vielleicht sagen könnte; denn Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wenn die Bürgerinnen und Bürger diesen Zugang nicht Frau Bundeskanzler, der Abgeordnete Sichert, AfD, bekommen, werden wir im digitalen Zeitalter nicht be- möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. stehen. Deshalb muss der Staat hier Vorbild sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: ordneten der SPD – Zuruf des Abg. Norbert Nein, ich möchte gerne zusammenhängend sprechen. Kleinwächter [AfD]) So viel zu Infrastruktur und digitalem Staat. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Gilt das generell für Ihre Rede? Zweitens: Die Strategie für die künstliche Intelligenz ist Bundeskanzlerin: Dr. Angela Merkel, (Jürgen Braun [AfD]: Erzählen Sie doch mal Das gilt generell für meine Rede. – Neben der Infra- was zur künstlichen Intelligenz! Das wäre struktur geht es jetzt darum, dass der Staat auch auf die doch mal was!) digitale Herausforderung reagiert. Deshalb werden wir jetzt das Onlinezugangsgesetz, über das wir ja bereits in die Voraussetzung dafür, dass wir Industrie 4.0 wirklich der vergangenen Legislaturperiode entschieden haben, erfolgreich in Deutschland realisieren können. Wir wer- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7299

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) den hier zwölf Zentren bilden, die sich vernetzen. Wir Der Bundespräsident hat anlässlich dieses Jahrestages (C) werden 100 neue Professuren einführen. eine Rede gehalten, aus der ich mir erlaube zu zitieren: (Jürgen Braun [AfD]: 100 neue Professuren Wir müssen wieder kämpfen für den Zusammenhalt für Genderspielerei!) in Europa, und wir müssen streiten für eine interna- tionale Ordnung, die angefochten wird – selbst von Wir werden mit Frankreich eng kooperieren. Und wir unseren Partnern. Denn dieser europäischen Eini- werden unsere Agentur für Disruptive Innovationen ganz gung und dieser internationalen Ordnung haben wir stark auf diese Dinge ausrichten. Ich glaube, dass es hier es zu verdanken, dass wir Deutschen heute wieder Möglichkeiten gibt, aufzuholen, Möglichkeiten, den An- ein Volk sind, das wirtschaftlich und politisch zu schluss zu finden. Wir sind in einzelnen Punkten spitze, Kräften gekommen ist; das in seiner großen Mehr- aber wir sind nicht überall Weltklasse. Unser Anspruch heit weltoffen und europäisch leben will; das von muss sein: Wir wollen wieder überall Weltklasse werden. vielen in der Welt geachtet, ja sogar geschätzt wird. Das gilt für Deutschland, und das gilt für Europa, meine Damen und Herren. Zitat Ende. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem ordneten der SPD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben uns mit Blick auf die Frage: „Wie dient die Einen Tag später war ich von dem französischen Prä- ganze Sache dem Menschen?“ mit der Frage beschäftigt: sidenten Emmanuel Macron eingeladen, an der Gedenk- Wie ist das mit der Ethik der Daten? Es gibt heute zwei stätte in Compiègne des 100. Jahrestages der Unterzeich- Modelle: das der USA, wo die Daten der Bürgerinnen nung des Waffenstillstands zwischen Deutschland und und Bürger sehr stark im privaten Sektor verankert sind Frankreich zu gedenken. Das war bewegend. Noch kein und dem privaten Sektor gehören, und das Chinas, wo Bundeskanzler war an diesem Platz gewesen. Und bis der Staat Zugriff auf alle Daten hat. Das sind nicht die zuletzt, bis zum 10. November 2018, war dort ein Ge- Modelle der sozialen Marktwirtschaft, und deshalb müs- denkstein. Auf dieser Gedenkplatte standen Worte vom sen wir eines finden, bei dem der einzelne Mensch im „verbrecherischen Stolz des deutschen Reiches“. Diese Mittelpunkt steht und der Staat Leitplanken setzt. Genau Gedenkplakette ist jetzt ersetzt worden, und aus dem das ist die Aufgabe der Datenethikkommission, meine „verbrecherischen Stolz“ wurde „die deutsch-französi- Damen und Herren, die uns im nächsten Jahr die Ergeb- sche Freundschaft“. nisse ihrer Arbeit vorstellen wird. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Das ist im Kurzumriss die große digitale Herausforde- Symbolischer kann man vielleicht das, was sich da in (D) rung, bei der wir natürlich der Wirtschaft zur Seite stehen den letzten Jahrzehnten getan hat, nicht beschreiben. Als und sie unterstützen können, aber mit der sich natürlich vor vier Tagen Emmanuel Macron anlässlich des Volks- auch die gesamte Wirtschaft verändern wird. Indus- trauertages hier im Deutschen Bundestag seine Rede ge- trie 4.0 bedeutet nicht nur Veränderung im Produzieren; halten und die Worte gefunden hat: „Wenn Sie die Worte Industrie 4.0 bedeutet erhebliche Veränderungen in der aus Frankreich nicht verstehen, denken Sie daran, dass Arbeit. Frankreich Sie liebt“, war das mehr als berührend. Es ist aber vor allen Dingen für uns eine Verpflichtung. Gerade bei der Weiterbildung – diese Frage stellt sich im Übrigen auch für die Beamtinnen und Beamten und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Angestellten des Bundes – werden wir breitflächig unter- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- stützen. Wir haben bereits jetzt ein Gesetz auf den Weg geordneten der FDP und der LINKEN) gebracht, nach dem es möglich ist, dass Unternehmen, die Ich sage das in Bezug darauf, dass uns doch in diesen im Zusammenhang mit der Digitalisierung Fortbildung Tagen immer und immer wieder die bohrende Frage lei- und Qualifizierung brauchen, erhebliche Zuschüsse – je tet: Was haben wir aus der Geschichte gelernt, und haben kleiner, desto höher der Prozentsatz der Zuschüsse – für wir aus der Geschichte gelernt? diese neue Aufgabe der Weiterbildung bekommen. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die erste Frage!) Meine Damen und Herren, die zweite Herausforde- Ich glaube, dass diese Frage nicht nur wegen hunderts- rung ist für uns politisch, glaube ich, mindestens so re- ter Jahrestage interessant ist, sondern weil wir immer we- levant, aber eigentlich noch relevanter. Da geht es um niger Zeitzeugen gerade auch des schrecklichen und von die Frage, wie unsere gesellschaftlichen Vorstellungen, Deutschland verursachten Zweiten Weltkriegs unter uns unsere deutschen Vorstellungen, für die Zukunft der glo- haben werden, weil wir alleine sein werden, die Gene- balen Welt aussehen. rationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren sind, Ich glaube, die vergangenen Tage haben uns noch und weil wir zeigen müssen, ob wir etwas gelernt haben. einmal in Erinnerung gerufen, in welchem historischen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Kontext wir stehen. Wir stehen ja alle immer in der Zeit. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Am Freitag der vorvergangenen Woche, vor zwölf Ta- gen, fand hier die Gedenkstunde zur Ausrufung der Re- Warum war es möglich, dass Deutschland diesen publik vor 100 Jahren durch Philipp Scheidemann statt. Zweiten Weltkrieg entfacht hat? Mit dazu beigetragen 7300 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) haben – das sage ich, ohne damit die deutsche Schuld Schrecken der europäischen Kriege beschäftigt hat, be- (C) zu relativieren – zwei Dinge: Der Waffenstillstand war vor sie überhaupt internationalisiert wurde. keine Aussöhnung, und es ist nicht gelungen, was sich der amerikanische Präsident Wilson vorgestellt hatte: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem eine internationale, multilaterale Ordnung zu schaffen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun in Form eines funktionierenden Völkerbundes. Die Leh- [AfD]: Lenken Sie nicht ab von Ihrer heutigen ren aus dem Zweiten Weltkrieg waren glücklicherweise verfehlten Politik!) die, eine multilaterale Ordnung zu schaffen. Dafür steht die Gründung der Vereinten Nationen. Diese Vereinten Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Debat- Nationen sind die Lehre aus der Geschichte des Zweiten te, die wir nun über den globalen Pakt für Migration für Weltkriegs, nie wieder gegeneinander zu arbeiten, son- eine geordnete, legale Migration führen, wichtig: In einer dern, wo immer möglich, zu versuchen, gemeinsam als Welt, in der wir noch 222 gewaltsam ausgetragene Kon- Weltgemeinschaft die Dinge zu klären. flikte haben, in einer Welt, auf der von diesen Konflikten mehr als 1 Milliarde Kinder betroffen sind, in einer Welt, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP wo wir 68,5 Millionen Flüchtlinge haben – 52 Prozent und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) davon Kinder –, spielen diese Organisationen natürlich Als der Kalte Krieg noch nicht alles überschattet hatte, eine zentrale Rolle. Als wir im Jahre 2015 gemerkt hat- gelang es dann sogar 1948 noch – auch dies ein Jahres- ten, dass wir uns nicht abkoppeln können von dem Leid tag –, die Charta der Menschenrechte bei den Vereinten der Menschen in der Umgebung Europas, als wir nicht Nationen zu verabschieden: ausreichend gezahlt hatten für die Flüchtlingslager im Libanon und in Jordanien – ich habe das oft dargelegt –, Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. (Beifall bei Abgeordneten der AfD)

So heißt es dort sehr ähnlich zu Artikel 1 unseres Grund- haben wir gespürt, wie wichtig es ist, Flucht, aber auch gesetzes: Migration im Zusammenhang des internationalen Kon- Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu textes zu lösen und nicht zu glauben, irgendein Land achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staat- könnte das allein. lichen Gewalt. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Liebe Kolleginnen und Kollegen, den allermeis- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- ten muss man das hier nicht sagen, aber: Die Vereinten geordneten der LINKEN) (B) Nationen sind demokratisch legitimiert. Sie sind eine (D) Entscheidung der Weltgemeinschaft. Bei jedem, der Wenn heute der Eindruck erweckt wird, als wäre all beigetreten ist, haben Parlamente – wo auch immer exis- das, was in diesem Pakt für Migration jetzt auftaucht, tent – ratifiziert, dass man Mitglied der Vereinten Nati- onen sein will. Das ist die Grundlage aus unserer Per- (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) spektive. irgendetwas, über das wir nie gesprochen hätten, dann (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem ist das doch das Gegenteil von richtig. Seit der Frage der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Flüchtlinge, der vielen Flüchtlinge, die zu uns kamen, ha- ben wir uns gefragt: „Wie können wir dieses Problem lö- Zug um Zug hat sich ein Geflecht von Organisationen sen?“ und haben dann nicht immer zur Freude aller – das um die und in den Vereinten Nationen herausgebildet, die war meine erste Tat – das EU-Türkei-Abkommen verab- für uns heute so wichtig sind, die für Millionen Flücht- schiedet. Dieses EU-Türkei-Abkommen hat zum ersten linge wichtig sind, wie zum Beispiel der UNHCR. Sehr Mal zu einer geregelten Migration geführt, hat Flücht- interessant ist die Herausbildung einer Organisation, lingen das Leben gerettet, weil sie sich nicht mehr in die die erst seit 2016 unter dem Dach der Vereinten Natio- Hände von Schleppern und Schleusern begeben mussten. nen agiert, nämlich der Internationalen Organisation für Danach haben wir eine Zusammenarbeit mit Afrika auf- Migration. Das war nämlich ein intergouvernementales gebaut: die Mission Sophia, die libysche Küstenwache, Komitee für die Bewegung – wie es damals hieß – der unsere Kooperation mit Niger als Transitland, wo die In- Migranten aus Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Da- ternationale Organisation für Migration uns hilft. mals sind 11 Millionen Menschen, Migranten, wie man schon damals sagte, in Europa umhergeirrt, und diese Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich war da. Ich war Organisation hat versucht, ihnen wieder eine Heimat zu in Niger. Ich habe mir das angeguckt: Die Menschen, die geben. aus Libyen zurückkehren, weil sie unmenschlich behan- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des delt wurden, finden bei der IOM einen Aufenthalt und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) werden von dort dann wieder zurück in ihre Heimatlän- der geleitet. Sie hat sich dann später beim Ungarn-Aufstand 1956 bewährt. Sie hat bei der Tschechoslowakei 1968 gehol- (Lachen bei Abgeordneten der AfD) fen. Sie hat im Kosovo geholfen und in Timor. Erst seit 2016 ist sie unter der Ägide der Vereinten Nationen. Das Das genau ist es, wie man menschlich mit illegaler war also eine europäische Organisation, die sich mit den Migration umgeht, und genau das ist ein Ansatzpunkt in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7301

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) diesem Pakt, in dem sich Menschen verpflichten, überall und deshalb ist es richtig, jetzt auch dem Pakt für Migra- (C) mit Menschen vernünftig umzugehen. tion zuzustimmen. Es wird übrigens nichts unterzeichnet, nichts unterschrieben; es ist nicht rechtlich bindend, um (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie das alles auch noch mal gesagt zu haben. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Lachen bei der AfD – Norbert Kleinwächter [AfD]: Juncker erledigt den Rest! – Weite- Wir haben in diesen Verhandlungen, obwohl wir wis- re Zurufe von der AfD – Gegenruf der Abg. sen, dass wir es nur international lösen können, Wert da- Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rauf gelegt, zu sagen: Die Souveränität unseres eigenen NEN]: Die haben keine Ahnung von Völker- Landes, unsere Gesetzgebung werden nicht berührt. recht!) (Beatrix von Storch [AfD]: Lächerlich! – Jürgen Braun [AfD]: Das ist die Unwahrheit!) Meine Damen und Herren, das soll aber gar keine Ausrede sein. Wir haben rechtlich bindende Vorschriften Aber wir wollen vernünftige Bedingungen überall auf für den Umgang mit Menschen. Wir haben eine ausge- der Welt, weil ansonsten die Menschen natürlich sagen: feilte Verfassungsrechtsprechung. „Du hast nur wenige Länder, in die du gehen kannst“, es versuchen und ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beatrix von Storch [AfD]: Immer heimat- nah!) Bei uns bekommen die Menschen eine grundlegende Si- cherung. Bei uns bekommen sie einen Zugang zum Ge- Deshalb ist es in unserem nationalen Interesse – um es sundheitssystem – alles selbstverständlich. ganz klar zu sagen –, dass die Bedingungen auf der Welt für Flucht auf der einen Seite und Migration auf der an- (Jürgen Braun [AfD]: Sie beachten unsere deren Seite, Arbeitsmigration, sich verbessern. Verfassung ja gar nicht! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie brechen sie ja!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Und wir wollen natürlich, dass dies in viel mehr Ländern geordneten der FDP und der LINKEN) der Welt der Fall ist als heute. Wir wollen, dass, wenn in Katar Stadien gebaut wer- Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Europä- den – das war ein deutsches Anliegen, ein Anliegen der ische Union ist, wenn Sie so wollen, ein multilaterales deutschen Gewerkschaften –, die dort arbeitenden Bau- Projekt. Die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union zur Aufnahme von Arbeit ist eine der Formen von (B) arbeiter vernünftig behandelt werden, (D) legaler Migration, wie sie gerade dieser Pakt für Migra- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem tion beschreibt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Lachen bei Abgeordneten der AfD) dass sie nicht ausgebeutet werden, dass es nicht Kinder- arbeit gibt – und was sonst noch alles auf der Welt ist, und diese Freizügigkeit hat uns Wohlstand gebracht, von dem wir glücklicherweise überhaupt keine Ahnung haben. Aber wenn wir uns dafür einsetzen, dass es woan- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Das gibt es ders auf der Welt besser wird, doch nicht!) (Norbert Kleinwächter [AfD]: Das ist un- nicht nur Deutschland, sondern auch anderen Ländern. glaublich, was Sie sagen! – Weitere Zurufe (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem von der AfD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dann kann es doch nicht sein, dass wir hinterher sagen: Diese Freizügigkeit ist eine Errungenschaft der Europä- Wir wollen aber nicht mehr mitmachen, wenn wir nicht ischen Union. ganz sicher sind, dass auch die letzte Feinheit geklärt ist. Schauen Sie: Das Schöne an der heutigen Zeit ist, dass (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- es wieder richtige Gegensätze gibt KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) (Jürgen Braun [AfD]: Allerdings! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist unser Dieser Pakt für Migration genauso wie der Pakt für Verdienst, Frau Merkel, nicht Ihres! – Weite- Flüchtlinge ist der richtige Antwortversuch – wir stehen rer Zuruf von der AfD: Sie wollen keine Op- ja am Anfang –, globale Probleme auch international und position!) miteinander zu lösen. und dass man einfach sagen muss: Da gibt es auch keine (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kompromisse. Wenn man zu denen gehört, die glauben, Deshalb war es richtig, dass sich die UN-Vollversamm- sie könnten alles allein lösen und müssten nur an sich lung 2016 auf den Weg gemacht hat, diese zwei Pakte zu denken: Das ist Nationalismus in reinster Form. verhandeln, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (Beatrix von Storch [AfD]: Wir sind keine der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Weltdemokratie!) GRÜNEN) 7302 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Das ist kein Patriotismus; denn Patriotismus ist, im zeichnen und mit dieser Akzeptanz auch die Erklärung (C) deutschen Interesse auch andere mit einzubeziehen und zum zukünftigen Verhältnis verabschieden können. Win-win-Situationen zu akzeptieren. Wir wissen auch, wie schwierig die Diskussion in (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU, der Großbritannien ist. Ich kann aber für die Bundesregie- SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- rung sagen: Wir stimmen diesem Austrittsvertrag zu. Er NIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: ist hart erarbeitet, und er ist deshalb so kompliziert – ein Die Kommunisten klatschen bei Ihnen! Sie Austritt aus der Europäischen Union ist ja sowieso schon haben die Unterstützung der Kommunisten kompliziert –, weil durch das Thema Nordirland und Re- der Nationalen Front! – Weitere Zurufe von publik Irland, die ein sozusagen grenzfreies Miteinander der AfD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ haben wollen – das Good Friday Agreement –, eine sehr, DIE GRÜNEN]: Hat da wirklich einer „deut- sehr schwierig zu lösende Konstellation besteht. Wir ha- sche Schande“ geschrien? Habt ihr noch alle ben Wert darauf gelegt – und ich glaube, das ist richtig –, Tassen im Schrank? – Gegenruf des Abg. dass Großbritannien nicht einseitig entscheiden kann, Christian Lindner [FDP]: Nein!) wann es den Zustand der Zollunion beendet, sondern dass es mit der EU gemeinsam diesen Zeitpunkt definie- Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa ist ein ren muss und erst danach das zukünftige Verhältnis in multilaterales Projekt, und diese Europäische Union gilt Kraft tritt. es zu stärken; das tun wir. Denn in nahezu sechs Monaten werden wir in eine Europawahl ziehen. Deshalb wollen Natürlich ist es bei einem solchen Vertrag immer so, wir die Wirtschafts- und Währungsunion wetterfester dass man auch darauf setzen muss, dass das gut funktio- machen. Da stehen jetzt, um mal zu etwas anderem zu niert. Ich glaube, das kann man; denn wir wollen ja – das kommen, die Zeichen günstig, wenn wir die Bankenuni- ist in unserem elementaren Interesse – auch in Zukunft on machen, den ESM zu einem Backstop weiterentwi- eine gute Beziehung zu Großbritannien. Im Bereich der ckeln und natürlich auch die Risiken reduzieren; denn Verteidigungszusammenarbeit, im Bereich der Sicher- es gibt jetzt eine Zusammenarbeit zwischen En Marche! heitszusammenarbeit, aber auch im Bereich vieler in- und ALDE. Insofern werden die Bedenken von Herrn ternationaler Konferenzen wollen wir gute Freunde und Lindner etwas geringer werden. Partner bleiben. Dafür werde ich jedenfalls alles einset- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der zen und die ganze Bundesregierung auch. CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) SES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so müssen wir sa- (B) Das freut uns und hilft uns in unseren Verhandlungen gen: Wir haben eine intensive und vielleicht manchmal (D) sehr viel. Ansonsten haben wir uns auf ein Euro-Budget auch sehr nervöse Zeit. Im Rückblick auf die 30 Jahre geeinigt; das haben Sie vernommen. zuvor muss man sagen: Die Welt des Kalten Krieges war Ich möchte jetzt aber zu einem anderen Thema im in vielen Facetten schrecklich, aber sie war übersicht- Hinblick auf Europa sprechen, und das ist die Frage des lich. In den letzten 30 Jahren hat sich eine multilaterale Austritts Großbritanniens. Wir sind nach wie vor trau- Weltordnung herausgebildet mit verschiedenen Zentren, rig darüber, dass Großbritannien die Europäische Union bei denen nicht klar ist, wie sie miteinander in Zukunft verlässt, agieren wollen. In einer solchen Situation kommt es auf jedes einzelne Land an. Wir hier sind der Deutsche Bun- (Dr. [AfD]: Da sind Sie auch destag, und ich stehe vor Ihnen als Kanzlerin der Bundes- mit dran schuld!) regierung, und wir haben die Aufgabe, dazu beizutragen, aber wir akzeptieren und respektieren das natürlich. dass in dieser Welt des 21. Jahrhunderts – das ist der Aus- Das haben wir hier vielmals gesagt. Ich möchte Michel gangspunkt – jeder eine Chance für seine Entwicklung ­Barnier und seinem Team danken, hat, (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, hat er super ge- (Beatrix von Storch [AfD]: In erster Linie ha- macht, dass die austreten! Ganz toll hat er es ben Sie unsere Chancen zu vertreten und nicht gemacht! Unfassbar!) die der Welt!) die in unendlich langen Verhandlungen jetzt das Aus- dass wir Frieden haben. Dabei sollten wir nicht zuerst an trittsabkommen mit Großbritannien finalisieren konn- uns selbst denken, sondern verstehen, dass deutsches In- ten. Wir haben noch einen Vorbehalt Spaniens, wobei teresse heißt, immer auch die anderen mitzudenken. ich nicht genau sagen kann, wie wir dieses Thema lösen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie werden. bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und (Dr. Alice Weidel [AfD]: Natürlich nicht, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) weil Sie kein Konzept haben!) Das ist der Erfolg von Europa. Das ist der Erfolg einer Ich hoffe, es wird gelöst bis Sonntag. Und es wird jetzt multilateralen Welt. in diesen Tagen noch an der Erklärung zum zukünftigen Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU gearbei- tet. Beide Dokumente müssen bis Sonntag fertig sein, (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und damit wir Sonntag dann das Austrittsabkommen unter- der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜND- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7303

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) NISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Ab- das begrüßt. Denn: Es trat eine Angela Merkel auf, die (C) geordneten der FDP und der LINKEN) Visionen beschrieben hat. Wir unterstützen Sie, wenn Sie die Vision einer wirklichen europäischen Armee für sich Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: selbst reklamieren. Auf uns können Sie in dieser Frage Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der FDP-Fraktion, bauen. Christian Lindner. (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Jürgen (Beifall bei der FDP) Braun [AfD]) Wir wünschen uns jetzt konkrete Maßnahmen und Schrit- Christian Lindner (FDP): te. Was führt uns dahin? Das ist ja eine der Fragen, in der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! wir dringend mehr europäische Gemeinsamkeit wollen. Diese Debatte hier heute markiert eine Zäsur. Frau Bun- deskanzlerin, Sie haben angekündigt, nicht mehr für das (Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel Amt der Bundesvorsitzenden Ihrer Partei zu kandidieren. [AfD]) (Beifall des Abg. Norbert Kleinwächter In unserem Land und in diesem Parlament gibt es ja [AfD]) einige, die glauben, deutsche Interessen zu vertreten, wenn sie nur auf nationale Antworten setzen. Machen Aus diesem Grund ist diese Debatte eine danach – nach wir uns bitte gemeinsam klar: Es gibt eine Konfliktlinie dieser Entscheidung. Wir sehen es in den internationalen in unserem Land, weil es Menschen gibt, die von Offen- Medien: Es beginnt jetzt bereits die Betrachtung Ihrer ge- heit, von Vielfalt, von Digitalisierung, Globalisierung samten Amtszeit, Ihres politischen Lebenswerks. und Migration, den Verschiebungen auf der Weltbühne (Norbert Kleinwächter [AfD]: Eine sehr (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Nicht viel schlechte Bilanz! – Michael Grosse-Brömer halten!) [CDU/CSU]: Die ist ja noch nicht zu Ende!) Das werden dereinst Historiker abschließend betrachten. vor allen Dingen Einschränkungen ihres eigenen Lebens Aber es verändert trotzdem die Art und Weise der Ausei- erwarten. Hier gibt es Leute, die sagen: Die Antwort nandersetzung mit Ihnen und Ihrer Regierung. auf diese Angst ist, dass wir uns im Nationalstaat ver- schanzen. – Die Wahrheit ist: Auf diese großen Heraus- (Zurufe von der CDU/CSU) forderungen kann man nur antworten mit gemeinsamer Man hat es auch Ihrem Beitrag heute bereits angemerkt. Außen-, gemeinsamer Sicherheitspolitik, gemeinsamer Handelspolitik, gemeinsamen Strategien für einen digi- (B) (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist denn das talen Binnenmarkt. (D) für ein Niveau?) (Norbert Kleinwächter [AfD]: Nein! – Carsten – Das ist doch die Realität, liebe Kolleginnen und Kol- Schneider [Erfurt] [SPD]: Was ist mit der legen. Ich glaube, noch habe ich nur in der Sache be- Währung?) schrieben. Bei diesen Fragen ist nicht offen, ob wir das europäisch Nicht nur Sie, Frau Bundeskanzlerin, sondern auch der gemeinsam machen, da ist nur offen, wann wir endlich Bundesminister des Innern hat angekündigt, nicht mehr zu europäischer Gemeinsamkeit in diesen Fragen finden. für den Vorsitz seiner Partei zur Verfügung zu stehen. (Dr. [DIE LINKE]: Gute Ent- (Beifall bei der FDP – Carsten Schneider [Er- scheidung! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ furt] [SPD]: Was ist mit der Währung? – Zuruf CSU]: Aber Sie bleiben doch, oder?) des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) Das hat natürlich Auswirkungen auf die Regierung. Mit Frau Bundeskanzlerin, Sie haben aufgegriffen, dass einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird nämlich kein die französische En-Marche-Bewegung und die ALDE Vorsitzender einer der Koalitionsparteien dem Kabinett in vielen Fragen zusammenarbeiten. Wir sind aber nicht angehören. deckungsgleich. Ich hoffe, sagen zu können, dass die deutschen Liberalen Herrn Macron näherstehen als Ihre (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, Sie Partei Herrn Orban. Trotzdem sind wir nicht deckungs- nicht!) gleich. Das zeigt eines: Wenn Parteien so auf Distanz zu ihrer Wir sehen doch, welche Entwicklung es in Italien gibt, eigenen Regierung gehen, dann stehen wir nicht am An- wo eine links- und rechtspopulistische Regierung fahr- fang von etwas, sondern wir werden Zeuge des Endes lässig die Fiskalregeln brechen will und ihren eigenen von etwas. privaten Bankensektor in Turbulenzen bringen wird. In (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten einer solchen Phase ist es falsch, über die Vergemein- der AfD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sind schaftung von Risiken und Finanzen zu sprechen. In wir doch schon lange!) einer solchen Phase muss die finanzpolitische Eigenver- antwortung eines jeden Mitglieds der Währungsunion Das kann ja auch befreiend wirken. Frau Bundeskanz- betont werden. lerin, wir haben gehört, wie Sie in Straßburg vor dem Eu- ropäischen Parlament gesprochen haben. Und wir haben (Beifall bei der FDP) 7304 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Christian Lindner (A) Das ist genau die falsche Prioritätensetzung. Bildung zu investieren, sondern um das Geld denjenigen (C) zu geben, die nicht arbeiten wollen. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie haben ja mal recht, Herr Lindner!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unver- schämtheit!) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben über das Wachstum gesprochen. Genau an diesem Punkt muss man Zweifel Mit einer solchen Politik würde man unser Land vorsätz- an Ihrem Beitrag heute bekommen. Denn wir wissen: lich beschädigen. Das Wachstum, die Dynamik in Deutschland stehen eben (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald nicht mehr so zur Verfügung wie über ganz weite Teile [DIE LINKE]: Schämen Sie sich!) Ihrer bisherigen Amtszeit. Der Bundesfinanzminister hat es gestern dargetan: Wir können nicht sicher sein, dass – Nein, ich schäme mich überhaupt nicht; denn das ist es in der Wirtschaft tatsächlich so weitergeht wie bisher, etwas, was auch Sie verstehen müssen. dass die Staatseinnahmen weiter so prosperieren, dass Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wir sind solida- wir uns auf Rekordbeschäftigung stützen können. – All risch mit Menschen, die bedürftig sind und die Hilfe das sind keine Garantien. Deshalb ist es nun notwendig, brauchen; das ist unser Sozialstaatsgebot. Zur Solidarität dass wir die politischen Konsequenzen ziehen und dass gehört aber auch das individuelle Bemühen, soziale Leis- wir wieder stärker in den Blick nehmen, wie wir auch tungen nur so lange und so weit in Anspruch zu nehmen, zukünftig unsere Wettbewerbsfähigkeit behaupten. Bei wie es wirklich notwendig ist. Ihrer Aufzählung des Handelns Ihrer Regierung stelle ich mit Blick in den Etat nicht fest, dass sich diese neue wirt- (Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Ulli schaftliche Realität tatsächlich in den Prioritäten abbil- Nissen [SPD]) den würde: Baukindergeld, Mütterrente, Brückenteilzeit Wer anderes verspricht, behandelt die Menschen nicht und, und, und – alles überwiegend konsumtive Ausga- fair. ben. Sie setzen keine Impulse dafür, den Etat zukünftig zu finanzieren; Sie schaffen Ansprüche, die den Etat zu- Dabei begrüßen wir ja die von Frau Nahles und Herrn künftig strangulieren werden, Frau Bundeskanzlerin. Das Habeck angestoßene Debatte über eine Reform von ist mit Blick auf die weitere Entwicklung gefährlich. Hartz IV. Nur bitte machen wir das System da, wo es gut ist, nicht schlecht; es hat uns ja aus der verfestigten Lang- (Beifall bei der FDP) zeitarbeitslosigkeit an vielen Stellen herausgeführt. Das wäre doch ein Grund auch zum Stolz für Bündnis 90/Die Sie reden inzwischen anders, als Sie handeln: Sie Grünen und die Sozialdemokratie auf diese Sozialstaats- selbst wollen den Solidaritätszuschlag abschaffen – reform. Nicht jede Regierung hat solche grundlegenden so äußert sich auch der Bundeswirtschaftsminister –; (B) Weichenstellungen zustande gebracht. (D) zwei der Bewerber für den CDU-Vorsitz fordern eine Unternehmensteuerreform, in den Papieren der CDU/ (Johannes Kahrs [SPD]: Ihr schon mal gar CSU-Bundestagsfraktion zur Sommerklausur war das nicht! Sie haben gar nicht gekonnt! Sie haben ebenfalls enthalten. Fortwährend hören wir also in der sich gedrückt! Sie hätten regieren können! Sie Tat: „Das steuerpolitische Umfeld hat sich verändert, wollten aber nicht!) Bürgerinnen und Bürger und Betriebe müssen entlastet Was wir jetzt aber notwendigerweise tun müssen, ist, werden“, was wir aber nur finden, ist zusätzliche Belas- an den Stellen zu arbeiten, wo das System nicht funkti- tung, wie beispielsweise bei der Parität bei der gesetzli- oniert. Es ist zu bürokratisch; deshalb kann man stärker chen Krankenversicherung. pauschalieren. Es gibt viel zu wenige Betreuerinnen und (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sehr gut! Betreuer für die Menschen, die Angebote brauchen, um Entlastung der Arbeitnehmer! – Johannes wieder in Arbeit oder Ausbildung zu kommen. Und vor Kahrs [SPD]. Was haben Sie denn gegen Ar- allen Dingen ist dieses System zutiefst unfair; denn vom beitnehmer in diesem Land?) Zuverdienst beispielsweise durch einen Minijob bleibt den Menschen zu wenig. Es muss aber gelten, dass derje- Sie handeln anders, als Sie reden. Aber wer den Mund nige, der mehr arbeitet, auch am Monatsende mehr Ein- spitzt, der muss irgendwann auch pfeifen, Frau Bundes- kommen zur Verfügung hat. kanzlerin, sonst verliert man Glaubwürdigkeit. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Denken Sie auch mal an Arbeitnehmer!) Sonst ist ein System nicht gerecht. An diesen konkreten Punkten ist zu arbeiten. Es geht ja noch weiter. Nach der Rente mit 63, durch Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Bundeskanz- die qualifizierte Fachkräfte, die wir dringend brauchen, lerin hat über die Migrationspolitik gesprochen. Ich un- vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden, wird über ein all- terstreiche, was Sie, Frau Bundeskanzlerin, zum Migra- gemeines Pflichtjahr gesprochen. Die Sozialdemokraten tionspakt der Vereinten Nationen gesagt haben. Machen wollen sich dadurch beliebt machen, dass alle Beschäf- wir uns aber bitte klar, dass dieses Vorhaben zutiefst um- tigten einmal im Jahr einen Monat auf Kosten des Staa- stritten ist. Natürlich ist an dem Pakt nicht alles so for- tes bezahlten Urlaub bekommen können. Bündnis 90/Die muliert, wie wir es alleine hier im Deutschen Bundestag Grünen führen eine Debatte über eine Garantiesicherung, beschließen würden; für die mal eben mir nichts, dir nichts die Steuern um 30 Milliarden Euro erhöht werden sollen – nicht um in (Beatrix von Storch [AfD]: Gar nichts!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7305

Christian Lindner (A) aber es ist besser, diesen Pakt zu haben, als ihn nicht zu es deshalb für die Zukunft genau umgekehrt machen, als (C) haben. Hans Eichel es damals beschlossen hat. Wenn ich die öffentliche Debatte sehe, habe ich aber (Beifall bei der FDP – Carsten Schneider [Er- eine Befürchtung: TTIP – wir wären heute, nach Trump, furt] [SPD]: Das waren 100 Milliarden Euro froh, wenn wir klare Regeln für den Welthandel und den Einnahmen! Das war nicht schlecht!) transatlantischen Handel hätten – ist von der politischen – Ja, Herr Schneider, es waren 100 Milliarden Euro Ein- Linken durch Desinformation kaputtgemacht worden. nahmen, aber der volkswirtschaftliche Schaden durch Das darf sich jetzt beim UN-Migrationspakt, diesmal von Funklöcher und zu schmales Breitbandnetz in der Flä- der politisch rechten Seite, nicht wiederholen. che übersteigt bei weitem den Nutzen der öffentlichen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Einnahmen von Hans Eichel damals – mit ganz großer der CDU/CSU und der Abg. Andrea Nahles Sicherheit. [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Freund Otto Ich frage mich in dieser Debatte: Was macht eigent- Fricke hat heute Geburtstag. lich der Bundesaußenminister in dieser Frage? (Beifall) (Beifall bei der FDP) Deshalb will ich mit einem letzten Gedanken schließen: 2018 ist ein verlorenes Jahr Er müsste doch der Erste sein, der für solche internatio- nalen Fragen in Deutschland Öffentlichkeit schafft. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das kann man doch bei seinem Geburtstag hier ( [CDU/CSU]: Wo er recht nicht sagen!) hat, hat er recht!) – bei der Wettbewerbsfähigkeit, bei der Bildung, der Unser eigenes Recht muss ebenfalls weltoffener Digitalisierung, beim Klimaschutz, bei der Dieselprob- werden. Das gilt auch für das, was Sie als Fachkräfte- lematik, der Einwanderung und Europa. Frau Bundes- zuwanderungsregelung vorgelegt haben. Unser Ein- kanzlerin und Herr Seehofer, Sie beide haben erkannt, wanderungsrecht muss mit Blick auf den Spurwechsel dass Ihre Parteien Erneuerung brauchen. Was für Partei- pragmatischer werden, und es muss kontrollierender und en richtig ist, das kann für das Land, das kann für die steuernder werden, insbesondere bei der Abschiebung Bundesrepublik Deutschland nicht falsch sein. Deshalb von Illegalen. hoffen wir auf das neue Jahr. (B) (D) (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Bevor wir wie Frau Kramp-Karrenbauer darüber nach- denken, nach Syrien abzuschieben, sollten wir erst ein- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: mal erreichen, dass Menschen in die Maghreb-Staaten Jetzt hat das Wort die Vorsitzende der SPD-Fraktion, zurückgeführt werden können. Das würde näherliegen. Andrea Nahles. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der SPD) der CDU/CSU) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben über die Digitalstra- Andrea Nahles (SPD): tegie und in dem Zusammenhang auch über die Infra- struktur gesprochen. Wir sind in dieser Frage, was die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziele angeht, an Ihrer Seite, aber wir haben Zweifel an Herr Lindner, Sie haben ja in einem Punkt absolut recht: dem Weg, den Sie beschreiten wollen. Die Ausschrei- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Otto bungsbestimmungen von Minister Scheuer überzeugen Fricke hat Geburtstag! – Heiterkeit bei Abge- uns gegenwärtig noch nicht. ordneten der CDU/CSU) Wir wollen ein flächendeckendes Netz. Wir wollen es Diese Haushaltsdebatte findet tatsächlich im Zeichen ei- schnell. Wir wollen die Lücken bei 4G schließen, und ner sehr, sehr großen Zäsur statt. Großbritannien wird die wir wollen Glasfaserausbau und Mobilfunk der fünften Europäische Union verlassen – ob mit oder ohne Bre- Generation zusammendenken. Das wird nicht funktio- xit-Deal –; das ist tatsächlich eine echte, große Zäsur. nieren: gleichzeitig Einnahmen zu maximieren und diese Form der Daseinsvorsorge zu erreichen. Deswegen muss heute von diesem Parlament, von die- sem Ort aus auch ein Signal ausgehen, nämlich dass die (Nadine Schön [CDU/CSU]: Das wollen wir Vertiefung der europäischen Einigung, die Zusammenar- gar nicht!) beit in Europa durch den Brexit nicht ins Stocken geraten wird. Dafür müssen wir zusammen mit Frankreich und Wir haben doch historische Erfahrungen. Hans Eichel unseren europäischen Partnern sorgen. wollte maximale Einnahmen bei den UMTS-Lizenzen, ohne maximale Netzabdeckung zu fordern. Dafür haben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir bis heute einen hohen Preis zu zahlen. Wir sollten der CDU/CSU und der FDP) 7306 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Andrea Nahles (A) Wir sagen: Für uns ist die europäische Zusammenar- ist ein Schwerpunkt. Es gibt einen Bereich in Deutsch- (C) beit nicht ein Problem. Die Vertiefung der Europäischen land, wo die Digitalisierung wirklich dringend wird: an Union ist für uns vielmehr die Antwort. den Schulen. Ich möchte deswegen sehr klar sagen: Wir haben das Geld. Das Geld ist da, um an dieser Stelle ein (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Upgrading, um es einmal so auszudrücken, hinzukriegen. Ich glaube, an dieser Stelle müssen wir konkret werden. Um den Weg dahin gehen zu können, brauchen wir aber Das heißt nämlich zum Beispiel, dass es uns nie wieder noch eine Grundgesetzänderung. Wir sind mit den Grü- passieren darf, Herr Lindner, dass uns eine Finanzkrise nen, mit der FDP – dafür möchte ich mich bedanken – in wie 2008 so kalt erwischt. Insofern ist Ihr Befund in Be- intensiven Beratungen, um den Weg dafür freizumachen. zug auf Italien komplett richtig. Leider ist Ihre Antwort Wir brauchen eine Modernisierung der Schulen. Wir nicht richtig. Denn es geht nicht darum, dass wir in einer müssen an dieser Stelle endlich das Kooperationsverbot Phase, wo einzelne Länder ins Straucheln zu geraten dro- aufbrechen, damit das möglich wird. Der Bund muss sich hen, die Währungsunion infrage stellen, sondern es geht hier engagieren. Er will sich engagieren. Das Geld dafür darum, dass wir mehr Einfluss nehmen, dass wir die Zü- ist da, und das müssen wir jetzt auch ermöglichen. gel in die Hand nehmen und dafür sorgen, dass wir diese (Beifall bei der SPD, der FDP und dem Krise gemeinsam abwenden können. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Ich glaube, dass es tatsächlich sehr wichtig ist, dass Und deswegen brauchen wir auch die Europäische Wäh- wir in diesem Parlament die richtigen Fragen stellen. Da rungsunion sowie eine Bankenunion. Wir müssen an die- geht es beim Thema Digitalisierung nicht immer nur um ser Stelle mehr Zusammenarbeit wagen und unsere eige- Geld, da geht es sehr wohl auch um Regulierung. Wir ne Währung stabilisieren. Ihre Antwort ist grundfalsch. müssen die Frage stellen: Wer darf eigentlich die Daten nutzen, die überall gesammelt werden? Sind es nur die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Monopole, die sich herausbilden, die diese Daten sam- Europa muss auch konkret werden, wenn es um Inves- meln, verwerten, verkaufen und daraus Innovation ablei- titionen geht. Es geht um die soziale Dimension Europas, ten dürfen? Wir müssen persönliche Daten schützen, aber also zum Beispiel um eine europäische Arbeitslosenrück- auch Daten dem Markt zur Verfügung stellen: Start-ups, versicherung. Und es geht natürlich ganz konkret auch deutschen Unternehmen. Deswegen schlagen wir von der darum, dass Europa die Zukunft gestaltet. Dazu gehört SPD vor, an dieser Stelle einen Schritt weiter zu gehen. für mich nun einmal eine klare Antwort Europas auf die Ein Datensharinggesetz, ein Daten-für-alle-Gesetz ist der Frage, wie sich die große Plattformökonomie auf diesem Weg der Wahl, um an dieser Stelle tatsächlich Markt- wirtschaft, Freiheit des Einzelnen und Gerechtigkeit zu (B) Planeten bewegt. Da muss Deutschland für die soziale (D) Marktwirtschaft eintreten. Deswegen brauchen wir eine ermöglichen. Da müssen wir größer denken als nur in Besteuerung von digitalen Unternehmen – international. Geld. Es geht bei dieser Frage auch um Regulierung und Wir brauchen eine Mindestbesteuerung überall auf der neue Weichenstellungen. Welt. Für den Fall, dass das nicht kurzfristig erreichbar (Beifall bei der SPD) ist, wollen wir noch im Dezember zusammen mit den Franzosen – das hat hier gestern angekün- Lassen Sie uns die 5G-Versteigerung nutzen, damit digt – einen gemeinsamen Vorschlag machen, wie wir auch bei mir in der Eifel endlich das schnelle Internet eine Digitalsteuer auf europäischer Ebene umsetzen wol- ankommt. len. (Beifall des Abg. [FDP]) (Beifall bei der SPD) Es ist nur eine kleine Randbemerkung. Aber Entschul- Das ist die Antwort. Mehr Europa ist die Antwort, nicht digung: Es wäre jetzt wirklich einmal an der Zeit. Wir weniger Europa. reden die ganze Zeit über bezahlbares Wohnen in den Städten. Der eine oder andere würde es sich überlegen, Ich glaube, dass wir mit unserem Haushalt in diesen auch weiter sehr schön und sehr gut auf dem Land zu Zeiten, wo wir sehr gut dastehen, wo es aber, wie wir leben, wenn wir überall schnelles Internet hätten. sehen, auch Risiken gibt, sehr genau überlegen müssen: Wo setzen wir die Prioritäten? Es ist nun einmal so, dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der der Brexit verunsichert. Es sorgt für Unruhe, wenn China FDP) und die USA sich in einen Handelskrieg bewegen. Es ist Das wäre auch eine Maßnahme für den Bundesinnen- so, dass wir hier im dritten Quartal eine leicht zurückge- minister, an dieser Stelle für gleichwertige Lebensver- hende Wirtschaftsleistung haben. Deswegen muss man hältnisse zu sorgen. Deswegen hat die 5G-Versteigerung einen Investitionshaushalt vorlegen. Das tun wir mit auch bei diesem Haushalt eine hohe Priorität. diesem Haushalt. Die 155 Milliarden Euro, die wir hier investieren, sind eine Rekordsumme, alleine 39 Milliar- (Beifall bei der SPD) den Euro pro Jahr. Das ist ein klares Signal, dass wir die Ich möchte darüber hinaus sehr klar einen Akzent set- Zeichen der Zeit richtig erkannt haben. zen: Dieser Haushalt legt an vielen Stellen die Grundlage (Beifall bei der SPD) für Chancengleichheit. Chancengleichheit ist ein Ziel, aber leider nicht die Realität. Ich möchte das am Beispiel Ich will auf die Digitalisierung eingehen; Frau Bun- der Kitas in Deutschland deutlich machen. Wir wollen deskanzlerin hat es auch gemacht. Die Digitalisierung ein Gute-Kita-Gesetz auf den Weg bringen, mit dem wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7307

Andrea Nahles (A) uns als Bund wie noch nie in Deutschland verpflichten, man auch im Alter, wenn man nicht mehr arbeiten kann, (C) für die Qualitätsverbesserung in den Kitas mit Sorge zu gut leben kann. Deswegen ist das ein entscheidender tragen. Wir haben unter Rot-Grün auf Bundesebene für Meilenstein. die Infrastruktur gesorgt. Aber jetzt brauchen wir eine Qualitätsoffensive; dazu haben wir uns entschlossen. Wenn man im Alter pflegebedürftig wird, ist man da- Deswegen kann ich an dieser Stelle nur darum bitten, rauf angewiesen, dass es genügend Pflegekräfte in die- dass wir auch hier möglich machen, was bisher nicht sem Land gibt, und diese müssen auch anständig bezahlt möglich ist, nämlich dass der Bund auch da vor Ort hilft. werden. Deswegen hat diese Bundesregierung die Kraft Es geht um Qualität, aber es geht auch um die Entlastung aufgebracht, die größte Pflegereform seit 15 Jahren zu von Familien. machen. Das haben wir dadurch geschafft, dass wir uns einig waren und gesagt haben: Wir müssen wieder mehr (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mittel für die Einstellung von Pflegekräften zur Verfü- Es ist wichtig, dass über das Gute-Kita-Gesetz auch Ge- gung stellen. – Die Pflegekosten in den Krankenhäusern bührenfreiheit ermöglicht wird. werden wieder eins zu eins von den Krankenkassen über- nommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir werden dafür sorgen, dass es bundesweit gestaffelte Gebühren gibt bis hin zur Gebührenfreiheit. Was für ein epochaler Schritt! Das ist etwas, was die Menschen tatsächlich spüren werden. Deswegen bin ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der Meinung, dass wir mit diesem Haushalt auch soziale Das ist aus meiner Sicht ein zentraler Punkt, weil es Sicherheit schaffen. teilweise Hunderte Euro pro Monat sind, die auch Men- Aber es geht nicht nur um soziale Sicherheit. Es geht schen, die nicht der gehobenen Mittelschicht angehören, auch um einen handlungsfähigen Staat. An dieser Stelle (Johannes Kahrs [SPD]: Und zwei Flugzeuge will ich auf etwas hinweisen, was viele vielleicht noch haben!) gar nicht in dem Maße würdigen. Es ist so, dass wir im Bereich „Bundespolizei und Bundeskriminalamt“ aufbringen müssen. Davon sollten wir sie aus meiner 3 120 Stellen zusätzlich schaffen. Ich glaube, wir haben Sicht ganz dringend entlasten. an dieser Stelle viele Jahre zu wenig gemacht. Seit eini- (Beifall bei der SPD) gen Jahren haben wir – auch auf Länderebene; das muss man klar sagen – den Hebel herumgedreht. Wir legen In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Punkt zu jetzt da, wo es wirklich dringend nötig ist, die Messlatte nennen. Wir wollen auch bei der Bildung einen Schwer- (B) richtig. 3 120 Stellen sind, für sich genommen, ein Rie- (D) punkt setzen, nämlich bei der Weiterbildung in den Be- senblock. Vor allem werden Tausende sachgrundlos be- trieben. Auch die brauchen wir für den Transformati- fristete Stellen mit diesem Haushalt entfristet. onsprozess. Deswegen bin ich sehr froh, dass hier die Qualifizierungsoffensive wagt. Die Bundes- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. agentur für Arbeit wird sich in Zukunft auch um Weiter- Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]) bildungsberatung kümmern. Sie wird präventiv agieren können, nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefal- Wir haben da als Bund, mit Verlaub, auch eine Vorbild- len ist und es Transfergesellschaften gibt, sondern bevor funktion. Wenn wir auf Bundesebene sachgrundlose Be- Menschen dequalifiziert werden. Bevor Menschen ihren fristungen nicht beenden, dann können wir uns schlech- Arbeitsplatz verlieren, wird präventiv in die Betriebe in- terdings nicht an die Privatwirtschaft wenden und sagen: vestiert, in die betriebliche Weiterbildung. Das machen So, macht ihr mal! Wir kriegen das nicht hin. – Deswe- wir möglich, dafür geben wir Geld. Das ist richtig inves- gen ist dieser Haushalt, wie auch schon der letzte Haus- tiertes Geld in diesem Bundeshaushalt. halt, ein Durchbruch in Richtung Entfristung. Das ist für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch für die (Beifall bei der SPD) Privatwirtschaft ein wichtiges Signal, das von diesem Ich möchte darüber hinaus eine Sache ansprechen. Bundeshaushalt ausgeht. Mit diesem Haushalt wird in den richtigen Bereichen in- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. vestiert, in Chancengleichheit, in Bildung; aber er sorgt Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]) natürlich auch für Sicherheit. Es gibt zwei Dimensionen von Sicherheit. Die eine Dimension ist die soziale Si- Wenn ich von Sicherheit spreche, dann heißt das auch, cherheit. Das gehen wir ganz massiv bei der Altersvor- dass ein Staat die Regeln, die er aufstellt, erst nimmt. Wir sorge an. Ich sage an dieser Stelle: Es ist wirklich groß erhöhen den Mindestlohn ab Januar 2019 auf 9,19 Euro, an dem Gesetz, dass wir die Renten endlich wieder an die dann auf 9,35 Euro. Wenn man aber einen Mindestlohn Löhne koppeln, hat, dann sollte er auch überall gelten. Wir haben auch eine Behörde, die das sicherstellt; das ist der deutsche (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zoll. Ich freue mich, dass wir auch an dieser Stelle kon- dass in dem Moment, in dem die Löhne steigen, auch die kret werden und 775 zusätzliche Zollstellen schaffen, Renten steigen. Das bedeutet, dass wir die Rentenformel (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) ändern. Dafür stellt dieser Bundeshaushalt die Finanzie- rung zur Verfügung. Sonst wäre das gar nicht möglich. damit es nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Es geht aber auch darum, die Sicherheit zu schaffen, dass Realität einen Mindestlohn gibt, damit Schwarzarbeit be- 7308 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Andrea Nahles (A) kämpft wird und wir auch mehr für die Steuerfahndung Ausnahme der beteiligten Personen wahrscheinlich nie- (C) machen können. manden in diesem Land, der nicht auf ihr baldiges Ende hofft. Die Bevölkerung hat die Koalition satt, weil sie (Beifall bei der SPD) mit ihren schlechten Kompromissen und gegenseitigen Viele in unserem Land, die hart arbeiten und ihre Fa- Blockaden erkennbar nicht in der Lage ist, die wirklichen milien sehr gut durchbringen, merken oft am Ende des Probleme der Menschen zu lösen. Ja, und die Konzern- Monats, wie knapp es in der Kasse ist. Wir haben deswe- lenker und Finanzmafiosi hoffen natürlich längst, dass gen ein Familienentlastungsgesetz auf den Weg gebracht mit Friedrich Merz bald einer der ihren ins Kanzleramt und auch finanziert. Es geht um 9,8 Milliarden Euro Ent- einzieht, lastung. Mitte nächsten Jahres wird es 10 Euro mehr Kin- dergeld geben. Es wird im Übrigen auch eine Abflachung (Christian Lindner [FDP]: Unverschämtheit!) der Progression geben, damit das Geld in den Familien der ihre Wünsche weit bedingungsloser und rücksichts- auch ankommt. loser erfüllt als das aktuelle Kabinett. Wir reden oft über diejenigen, die Transferleistungen (Beifall bei der LINKEN – Christian Lindner bekommen. Dieser Haushalt ist einer, der genau auf die [FDP]: „Finanzmafiosi“! Unverschämtheit!) guckt, die arbeiten, die Steuern und Beiträge zahlen. Wir haben hier ganz klare Akzente gesetzt. Mich freut beson- Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, genau diese ders, dass wir es hingekriegt haben, dass die Menschen Art von Politik können wir uns immer weniger leisten. im unteren Einkommensbereich, die Geringverdiener – Schauen wir uns doch die Herausforderungen an, vor de- 3,5 Millionen Menschen verdienen nur 1 300 Euro; ver- nen wir stehen: Der Einbruch der deutschen Wirtschaft dienen würden sie vielleicht mehr, aber sie bekommen im dritten Quartal zeigt an, dass es mit der Konjunk- nicht mehr –, ab Mitte 2019 einen reduzierten Rentenbei- tur bald nicht mehr so laufen könnte wie in den letzten tragssatz zahlen – das ist sozusagen im großen Rentenpa- Jahren, auch, weil die ständigen deutschen Exportüber- ket versteckt –, schüsse Gegenreaktionen geradezu provozieren. Um den Binnenmarkt zu stärken, brauchen wir aber dringend hö- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist here Löhne, bessere Renten, und wir brauchen eine Re- ein Durchbruch!) gierung, die in Sachen öffentlicher Investitionen endlich aber trotzdem volle Rentenansprüche haben. Das ist eine ihre Aufgaben erfüllt. Und das tun Sie nicht, auch wenn Maßnahme, die das Ziel verfolgt, dass der, der hart ar- Sie hier immer so tun, als wäre das so. beitet und sich an die Regeln hält, bei Rente und Gehalt spürbar über der Grundsicherung liegt. Dafür haben wir (Beifall bei der LINKEN) (B) diese Maßnahme miteinander verabredet und finanziert. Auch auf den Finanzmärkten ziehen längst wieder (D) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ralph dunkle Wolken auf. Die Diskrepanz zwischen Verschul- Brinkhaus [CDU/CSU]) dung und Wirtschaftsleistung ist global weit größer als vor der letzten großen Krise. Trotzdem haben Sie es bis Das sind einige Hundert Millionen Euro, gut investiertes heute versäumt, die Spekulation einzudämmen und die Geld für Geringverdiener. Banken zu zwingen, die Ersparnisse der Bürgerinnen und Mit diesem Haushalt wird also nicht nur investiert. Bürger abzusichern. Wir brauchen dringend eine Regie- Er sorgt nicht nur für mehr Chancengleichheit, nicht nur rung, die das nachholt, und nicht einen Finanzminister, für soziale und innere Sicherheit, sondern hat auch die der jetzt auch noch die Finanztransaktionsteuer kalt be- Menschen im Blick, die hart arbeiten, die ihre Steuern erdigt, weil er alle Derivategeschäfte komplett ausklam- zahlen und Entlastung brauchen. Das sind die Schwer- mern will. Was ist das für ein Kotau vor der Finanzmafia? punkte dieses Haushaltes. Deswegen ist es ein sehr guter, (Beifall bei der LINKEN) ein sehr solider Haushalt, der im Übrigen ohne Schulden auskommt, was – das will ich auch noch einmal beto- Die Digitalisierung ist inzwischen ein Modethema; nen – eine gemeinsame Leistung dieser Bundesregierung wir haben es ja heute wieder hier gehört. Aber am ei- ist. Vielen Dank dafür! gentlichen Problem wird zuverlässig vorbeigeredet. Das Problem ist, dass der Mensch eben nicht im Mittelpunkt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stehen kann, solange diese Schlüsseltechnologie des der CDU/CSU) 21. Jahrhunderts fünf Monopolisten aus dem Silicon Valley überlassen wird, die längst einen globalen Über- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wachungskapitalismus aufgebaut haben, bei dem sogar Jetzt hat das Wort die Vorsitzende der Fraktion Die Orwells schlimmste Befürchtungen in den Schatten ge- Linke, Dr. Sahra Wagenknecht. stellt werden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deswegen brauchen wir eine Regierung, die diese Ent- (DIE LINKE): Dr. Sahra Wagenknecht eignung der Privatsphäre endlich gesetzlich stoppt, und Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu- wir brauchen digitale Plattformen in gemeinnützigem mindest in einem Punkt hat diese Koalition geschafft, Eigentum, was vor ihr noch keiner Bundesregierung gelungen ist: Obwohl sie weniger als ein Jahr im Amt ist, gibt es mit (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7309

Dr. Sahra Wagenknecht (A) weil Wettbewerb in diesem Bereich wegen der Netzwerk­ Ich finde, wir haben uns viel zu sehr an die Unfähigkeit (C) effekte eben nicht funktioniert. von Regierungen gewöhnt. Wie kann es sein, dass es in einem reichen Land angeblich nicht zu schaffen ist, Brü- Auch Klimawandel, Raubbau an unseren Ressourcen cken und Straßen in einem ordentlichen Zustand zu erhal- bedrohen unsere Zukunft. Aber wer dem Einhalt gebieten ten und dafür Sorge zu tragen, dass auch ländliche Regio- will, der muss schleunigst aus einer Wegwerfwirtschaft nen Zugang zu schnellem Internet und gutem Funknetz aussteigen, in der marktbeherrschende Konzerne es sich haben? Das, was hier gerade wieder gesagt worden ist, leisten können, Produkte extra so zu konstruieren, dass haben wir doch schon vor drei, vier, fünf Jahren gehört, sie schnell kaputtgehen und dass sie sich möglichst nicht und trotzdem ist es nicht besser geworden. Wie kann es reparieren lassen. Deswegen brauchen wir eine Politik, sein, dass Sie nicht in der Lage sind, alte Menschen vor die innovative Technologien, die kreative Firmen fördert, Armut zu schützen oder allen Kindern eine gute Bildung statt Subventionen an die bestvernetzten Großunterneh- zu ermöglichen? Aber ausgerechnet für die Beschaffung men zu verteilen. von Waffen und Kriegsgerät schon wieder 4,7 Milliarden (Beifall bei der LINKEN) Euro obendrauf zu legen, drauf auf einen Rüstungsetat, der schon in den letzten Jahren unverantwortlich schnell Eine Bundesregierung, die in Brüssel strengere Ab- gewachsen ist, ist doch eine irre Politik. gasnormen verhindert und deren Regierungspartei CDU sich das von den BMW-Eigentümern Quandt mit einer (Beifall bei der LINKEN) Großspende von 700 000 Euro bezahlen lässt, Meint diese Koalition wirklich, dass zufriedene Rüs- (Christian Lindner [FDP]: Unglaublicher tungslobbyisten wichtiger sind als zufriedene Wähler? Scheiß!) Wenn Sie das meinen, dann muss ich sagen: Es ist wirk- lich kein Wunder, dass es mit solchen Parteien bergab ist nicht nur ein klimapolitischer Blindgänger, sondern geht. steht auch für genau die Art geschmierter Politik, die vie- (Beifall bei der LINKEN) le Menschen an der Demokratie verzweifeln lässt. Ich gebe ja zu: Es schmerzt uns nicht allzu sehr, wenn die (Beifall bei der LINKEN) Union Wähler verliert. Aber was uns wirklich ein Rätsel Auch die geopolitischen Gefahren wachsen. Dass ist, ist die Strategie der SPD. Donald Trump nach dem Iran-Abkommen jetzt auch (Zuruf von der AfD: Die haben keine!) noch den INF-Vertrag kündigen will und damit eine neue Welle atomarer Aufrüstung auslösen könnte, ist eine Es ist keine zwei Wochen her, da haben Sie auf Ihrem (B) ernste Gefahr für den Weltfrieden und vor allem eine Ge- Debattencamp absolut vernünftige Forderungen formu- (D) fahr für die Sicherheit hier in Europa. Diese Zumutungen liert – gegen Hartz IV, für eine Erneuerung des Sozial- müssen doch endlich durch eine selbstbewusste euro- staats, für eine Rentenversicherung, in die alle einzah- päische Friedenspolitik beantwortet werden. Aber dafür len. Das finden wir gut; wir wären heilfroh, wenn wir brauchen wir eine Bundesregierung, die den Mut hat, die in Zukunft für solche Dinge nicht mehr alleine kämpfen Entspannungspolitik Willy Brandts wiederzubeleben, müssen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Ab- geordneten der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und nicht eine, die sich in Macrons Planspiele für eine DIE GRÜNEN – [Augsburg] europäische Interventionsarmee einklinkt, bei denen es [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, Frau nicht zuletzt darum geht, den Parlamentsvorbehalt für Wagenknecht! ) neue Kriegseinsätze auszuhebeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Sie das alles auch nur etwas ernst meinen, wie können Frau Merkel, Sie haben vorhin sehr engagiert über Sie dann diesem Rüstungshaushalt, diesem Aufrüstungs- Migration gesprochen, und Sie haben über die vielen haushalt, zustimmen, Kriege auf dieser Welt gesprochen. Ja wo kommen denn (Beifall bei der LINKEN) diese Kriege her? Wer munitioniert denn diese Kriege? der dieses Land kein bisschen gerechter machen wird? (Beifall bei der LINKEN) Wer soll Ihnen denn noch irgendetwas glauben, wenn Sie gleichzeitig an der Koalition mit der Union festhalten, Das ist doch nicht zuletzt Deutschland mit seinen Waffen­ mit der Sie garantiert keine einzige dieser Forderungen exporten. Auslöser waren oft genug auch Rohstoffkriege umsetzen können? Sie machen doch Ihre Glaubwürdig- westlicher Staaten. Die Ausplünderungen dieser Länder keit immer mehr kaputt. Sie können die besten Dinge for- sind doch die Ursachen. Tun wir doch nicht so, als sei mulieren, das nimmt Ihnen keiner mehr ab. Ich finde das Flucht und Migration etwas, wofür es keine politische traurig; das möchte ich schon deutlich sagen. Verantwortlichkeit gebe. Dafür gibt es politische Ver- antwortlichkeiten. Es gibt Ursachen, und die muss man (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen endlich beseitigen. Da würde ich mir von Ihnen einmal [SPD]: Ich finde Ihre Rede traurig!) wünschen, dass Sie Konsequenzen ziehen. Unsere Nationalhymne, die Sie ja alle gern singen, be- (Beifall bei der LINKEN) schwört Einigkeit und Recht und Freiheit. Aber wir leben 7310 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Sahra Wagenknecht (A) nicht in einem einigen Land, sondern in einem, das sozial Zusammenhalt gesprochen. Aber genau diesen Zusam- (C) und zunehmend auch kulturell tief gespalten ist. menhalt hat doch die Politik der letzten Jahre zerstört. Deutschland hat sich verändert, und zwar in eine Rich- (Ulli Nissen [SPD]: Wie Sie und Ihre Partei!) tung, die vielen Menschen Angst macht. Das Klima ist Es gibt diejenigen, die vom aktuellen Wirtschaftsboom rauer, kälter und aggressiver geworden, und das ist letzt- profitieren, es gibt andere, an denen das Wachstum seit lich das Spiegelbild der Kälte und Rücksichtslosigkeit, Jahren komplett vorbeigeht, und es gibt offensichtlich die sich in unserer Gesellschaft und vor allem in der auch zweierlei Rechte in diesem Land: eines für den Arbeitswelt ausgebreitet haben. Es ist doch bekannt, wie normalen Bürger und eines für die oberen Zehntausend heute bei Ryanair, bei Amazon, bei der Deutschen Post und die Konzernlenker, bei denen gemeingefährliche Be- und in vielen anderen Unternehmen mit Mitarbeitern trügereien wie die mit den Dieselabgasen komplett ohne umgesprungen wird. Und es sind Ihre Gesetze, die das Konsequenzen bleiben. möglich machen, die möglich machen, dass Menschen in schlecht bezahlten Jobs gedemütigt werden oder dass (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: sie als Leiharbeiter und Dauerbefristete der Willkür ihrer Stimmt doch überhaupt nicht! Da sitzen Leute Arbeitgeber in besonderem Maße ausgeliefert sind. Es in U-Haft!) sind Ihre Gesetze, die möglich machen, dass Arbeitslo- Die werden lieber auf die Dieselfahrer abgewälzt, denen se im Jobcenter schikaniert werden, als würden sie um inzwischen sogar auf einer Autobahn Fahrverbote dro- Almosen betteln, dabei handelt sich oft um Menschen, hen, die jahrelang geschuftet und in die Sozialversicherung eingezahlt haben. (Ulli Nissen [SPD]: Das sind Gerichtsent- scheide!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gut zuhören, Herr Lindner!) und diese Regierung schaut zu und erklärt sich für nicht zuständig. Wie blamabel ist das denn! Wenn Sie wissen wollen, wie das Leben für viele (Beifall bei der LINKEN) Menschen jenseits der kernsanierten Wohlfühlzonen aus- sieht, dann lesen Sie die vielen Tausend Einträge unter Wenn kriminelle Gangster mit windigen Finanzge- dem kürzlich gestarteten Hashtag #unten. schäften die Steuerzahler ausplündern, dann stehen die Finanzminister jahrelang Schmiere. Stellen Sie sich ein- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr mal vor, ein Kleinunternehmer hätte das gemacht, was Lindner, zuhören!) mit Cum/Ex generalstabsmäßig abgelaufen ist: Rech- Da geht es um Abstieg, um Ausgrenzung, um Demüti- nungen für Dinge bei der Steuer einreichen, die er gar (B) gungen und um Zukunftsangst. Auch der FDP würde es (D) nicht besitzt, sondern sich nur kurzfristig ausgeliehen guttun, da reinzugucken. hat, und diese Rechnungen dann auch noch fleißig kopie- ren und alle seine Kumpel animieren, dass sie die auch (Beifall bei der LINKEN) noch einreichen und sich Steuern erstatten lassen, die sie Auch das ist Deutschland, und diesem Deutschland geht nicht gezahlt haben. – Ich wette mit Ihnen: Der Mann es nicht gut. Dieses Deutschland muss sich schlicht ver- säße binnen Wochen, spätestens binnen weniger Mona- höhnt fühlen, wenn es Ihre Schönwetterreden hört. Ich te im Gefängnis. Die Cum/Ex-Betrüger dagegen haben finde, wir brauchen eine Regierung, die sich den Men- den Steuerzahler über viele, viele Jahre um Milliarden schen wieder zuwendet, die den Sozialstaat erneuert und geprellt, allein in Deutschland um 32 Milliarden Euro. damit Sicherheit und Planbarkeit in ihr Leben zurück- Aber keiner von ihnen wurde bisher in Handschellen ab- bringt. geführt, noch nicht mal hat man ihnen das Geld wieder abgenommen. Was ist denn das für eine Politik? Und (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihre dann wundern Sie sich, dass die Menschen nicht nur an Schlechtwetterreden sind auch nicht besser!) der Demokratie, sondern auch am Rechtsstaat zweifeln? Ich fand es schon bedauerlich, Frau Merkel, dass heu- (Beifall bei der LINKEN) te in Ihrer gesamten Erklärung die soziale Frage und die Situation und die Lebensängste der Menschen in diesem Ja, und die Freiheit? Wie frei ist denn eine Gesell- Land überhaupt keine Rolle gespielt haben. So können schaft, in der die meisten, die in arme Verhältnisse hin- wir doch nicht weitermachen. eingeboren wurden, dieser Armut lebenslang nicht mehr entkommen. Die Hans-Böckler-Stiftung hat es kürzlich (Beifall bei der LINKEN) noch einmal belegt: Wer in Deutschland einmal unten Wir brauchen keine weitere Senkung des Arbeitslosen- ist, der bleibt mit großer Wahrscheinlichkeit unten. Wer beitrags. Wir brauchen eine Wiederherstellung einer dagegen reich geboren ist, der hat beste Chancen sein soliden Arbeitslosenversicherung. Wer Bezieher mittle- Leben im Luxus zu genießen, ohne dass er irgendetwas rer und unterer Einkommen entlasten will, der kann den Relevantes dafür leisten muss. Ich finde, das sind feudale Weg Österreichs gehen. Dort zahlt der Arbeitgeber zur Verhältnisse, und das hat mit den Ansprüchen einer sozi- Rentenversicherung mehr als 2 Prozentpunkte mehr als alen Marktwirtschaft nichts zu tun. der Arbeitnehmer. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Christian Lindner Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in der ersten Regie- [FDP]: Er hat aber viel weniger Steuerbelas- rungserklärung in dieser Legislatur viel vom sozialen tungen in Österreich!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7311

Dr. Sahra Wagenknecht (A) Wenn dann noch alle in die Rentenkasse einzahlen, auch Deshalb sind solche Projekte immer teurer, als wenn der (C) Selbstständige und Beamte, dann müsste niemand mehr Staat selbst investiert. Angst vor Altersarmut haben. (Christian Lindner [FDP]: Das sieht man ja (Christian Lindner [FDP]: Wollen Sie dann beim BER! Der BER ist das beste Beispiel für auch die Unternehmensteuer von Österreich? Ihre These!) Oder picken Sie sich nur raus, was Sie wol- len?) Trotzdem fördern Sie das mit ungebrochener Begeiste- rung. Oder schauen Sie sich den Wohnungsmarkt an. Es gab eine Zeit, da wurde die Bereitstellung von Wohnraum in In vielen Verwaltungen fehlt qualifiziertes Personal. unserem Land als öffentliche Aufgabe begriffen. Dann Es fehlen Polizisten auf den Straßen, es fehlen Erzieher, wurde ein Großteil der Wohnungen an private Immobi- Lehrer, Sozialarbeiter, Pflegekräfte. Dabei wäre schon lienfonds verscherbelt. Das Ergebnis ist offensichtlich: einiges gewonnen, wenn etwa das Geld, das für die Pfle- Anstelle eines Grundrechts sind Wohnungen heute ein ge bereitsteht, vollständig dafür eingesetzt werden könn- beliebtes Spekulationsobjekt geworden. Und der Miet- te, qualifiziertes Personal und anständige Gehälter zu wucher führt nicht nur zu wachsender Armut; er führt bezahlen, statt, wie das heute der Fall ist, auch noch die auch dazu, dass ärmere und wohlhabende Menschen im- lukrativen Gewinne der Finanzinvestoren mitzufinanzie- mer seltener im gleichen Wohnviertel wohnen. ren, die immer mehr Pflegeheime übernehmen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es lebe (Beifall bei der LINKEN) die kommunale Wohnungsbaugesellschaft!) Krankenhäuser sind keine Profitcenter. Auch das zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt. (Christian Lindner [FDP]: Das Gesundheits- (Beifall bei der LINKEN) system der DDR war ja so überzeugend!)

Zu Beginn dieser Koalition haben Sie pompös ein Wir sind überzeugt: Hilflose alte Menschen und deren Heimatministerium geschaffen. Aber ich frage Sie: Was Pfleger renditehungrigen Hedgefonds zu überlassen, das ist denn die wichtigste Basis dafür, dass Menschen eine ist einfach nur schäbig. Heimat haben, wo sie sich wohlfühlen können? Das ist (Beifall bei der LINKEN) doch ein sicheres Zuhause, wo sie wohnen können, ohne Angst zu haben, durch die nächste Mieterhöhung ver- In Ihren Ministerien das gleiche Elend: Statt auf ei- (B) (D) drängt zu werden. gene Beamte zu vertrauen und die entsprechend zu qua- lifizieren, holen Sie sich die Leute von Goldman Sachs (Beifall bei der LINKEN) und McKinsey ins Haus, die teures Geld kosten und wohl kaum das Gemeinwohl im Sinn haben. Herr Seehofer und Frau Merkel, darum könnten Sie sich kümmern, wenn Sie ernsthaft etwas mit Heimat im Sinn Wohin die Krise der Demokratie und die Zerstörung haben. des sozialen Zusammenhalts führen, das können Sie hier auf der rechten Seite des Parlaments besichtigen. Da sitzt Eine vernünftige Wohnungspolitik würde die öffentli- das Ergebnis Ihrer Politik. che Hand nicht einmal so viel mehr Geld kosten. 17 Mil- liarden Euro werden heute bundesweit dafür ausgegeben, (Beifall bei der LINKEN – Lachen des Abg. mit Wohngeld und Wohnkostenzuschüssen, den Men- Dr. Alexander Gauland [AfD] – Dr. Alexander schen die explodierenden Mieten etwas erträglicher zu Gauland [AfD]: Da haben Sie sogar recht, machen. Statt so mit öffentlichem Geld am Ende die Ta- Frau Wagenknecht!) schen der Miethaie zu füllen, wäre es doch weit sinnvol- ler, einen sofortigen Mietpreisstopp durchzusetzen und Und es ist schlicht unehrlich, wenn Sie sich hier immer die eingesparten Milliarden für ein neues Wohnungsbau- mit großer emotionaler Geste über die AfD aufregen und programm unter öffentlicher Regie und für den Rückkauf gleichzeitig genau die Politik fortsetzen, die diese Partei kommunaler Wohnungen einzusetzen. erst stark gemacht hat. (Beifall bei der LINKEN) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was mei- nen Sie denn jetzt?) Aber dass Sie solide wirtschaften können und spar- sam mit dem Geld der Steuerzahler umgehen, das gehört Schon in den 90er-Jahren haben zwei sehr unterschied- ja sowieso zu den großen Fake News Ihrer Politik. Die liche Männer vor den Konsequenzen gewarnt, wenn gro- Wahrheit ist: Sie spalten nicht nur unser Land, Sie sind ße Teile der Bevölkerung sich nicht mehr politisch reprä- auch noch besonders teuer mit Ihrer Politik. Da fördern sentiert fühlen: Der Liberale Dahrendorf hat 1997 darauf Sie überall, bei Bauvorhaben, Autobahnen oder Schul- hingewiesen, dass die Globalisierung – Zitat – die Insti- sanierungen, sogenannte öffentlich-private Partner- tutionen der Demokratie durch konsequenzlose Kommu- schaften, wobei die Partnerschaft regelmäßig darin be- nikation zwischen den Individuen ersetzt, und deshalb steht, dass die öffentliche Hand gemolken wird und die ein Jahrhundert des Autoritarismus befürchtet. Und der privaten Investoren risikofrei dicke Renditen absahnen. Schriftsteller Stefan Heym, der als jüdischer Emigrant in 7312 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Sahra Wagenknecht (A) der US-Armee gegen die Nazis gekämpft hat, hat schon Chemnitz und Berlin haben wir doch gesehen, wie die (C) 1992 gewarnt – ich zitiere; ich bin gleich am Ende –: gesellschaftliche Mehrheit ein Stoppschild aufgestellt hat, nicht nur gegenüber den Hetzern da am äußersten (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Ja! Schon rechten Rand. lange!) Und die Hetzer da am äußersten rechten Rand haben Wenn die Leute sich nicht artikulieren können, dann auch etwas missverstanden. werden sie Häuser anzünden. Und wenn man ihnen nicht eine demokratische Lösung anbieten kann, (Jürgen Braun [AfD]: Oh!) eine linke Lösung, dann werden sie nach rechts ge- Hier geht es um die Generaldebatte zur Politik der Bun- hen, werden sie wieder dem Faschismus folgen … desrepublik Deutschland, hier geht es um den Haus- Und deshalb ist Ihr Weiter-so nicht zu verantworten. halt der Bundesrepublik Deutschland und nicht um die Unser Land braucht dringend einen sozialen und demo- schwarzen Kassen einer rechtsradikalen Partei. kratischen Neubeginn. Noch ist es nicht zu spät. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist das Thema heute hier.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nein, die Menschen haben auch ein Stoppschild auf- Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende von gestellt gegenüber einer Regierungspolitik, die die gro- Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter. ßen Probleme nicht und die kleinen viel zu häufig falsch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) angeht. Die Menschen sind in aller Vielfalt und mit Op- timismus auf die Straße gegangen, und zwar mit einer klaren Botschaft: Hören Sie auf mit der Selbstbeschäfti- Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gung, und kümmern Sie sich um die wichtigen Probleme Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! unserer Zeit! Sehr geehrte Frau Kanzlerin! Deutschland und die Welt um uns herum verändern sich rasend schnell: durch die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Globalisierung, durch den digitalen Wandel, durch die Ein nachdenklicher Stahlarbeiter hat mich am Ran- Klimakrise, die mit diesem Dürresommer endgültig für de einer Veranstaltung angesprochen und zu mir gesagt: alle sichtbar bei uns angekommen ist. Herr Hofreiter, ich habe Kinder und weiß, für deren Zu- Die Frage ist: Gestalten wir diese Entwicklung, oder kunft müssen wir die Klimakrise in den Griff kriegen. (B) lassen wir uns von ihr überrollen? All dies fordert alle (Lachen bei Abgeordneten der AfD) (D) und uns im Parlament ganz besonders. Viele dieser He- rausforderungen können wir nicht alleine lösen, sondern Was ich aber nicht verstehe, ist, wie das gerade läuft. nur in einer starken Europäischen Union mit internatio- Wenn wir den CO2-Ausstoß teurer machen, die Stahlpro- naler Zusammenarbeit. duktion hier bei uns regulieren und dann Stahl zu Dum- pingpreisen aus China importieren, hier die Arbeitsplätze Wie sichern wir den sozialen Frieden? Wie verhindern zerstört werden und weltweit das Klima, wo ist dann der wir die Klimakatastrophe? Wie stärken wir ein geeintes Nutzen, wo ist dann der Nutzen für die Zukunft meiner Europa? Auf all diese Fragen muss eine verantwortungs- Kinder? Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Stahlar- volle Regierung Antworten suchen und finden. Aber wie beiter hat recht: Es gibt keinen Nutzen, wenn es so läuft. sieht die Realität aus? Wir erleben eine Koalition, die als große Selbsthilfegruppe vor allem mit sich selbst be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schäftigt ist und schon lange nicht mehr mit den Sorgen Darum braucht es eine Klimaabgabe, um unsere Wirt- und den Nöten der Menschen. schaft vor Klimadumping zu schützen, um faire Wettbe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werbsbedingungen für alle herzustellen. Dafür brauchen wir eine starke Europäische Union; denn eine starke Weil die Probleme aber so groß sind, ist es so drama- Europäische Union ist die Antwort auf die Frage des tisch, dass diese Große Koalition noch neue schafft und Stahlarbeiters. Nur mit der Europäischen Union können selbst die überschaubaren Probleme wie die Dieselkrise wir Klima- und Sozialdumping etwas entgegensetzen, nicht löst. Es ist ja schön, wenn die beiden Unionspar- und mit einer starken Europäischen Union können wir teien neue Vorsitzende suchen; aber man muss sich das die Klimaziele erreichen. mal im Kontext der vergangenen Monate anschauen: Erst haben sie sich zerstritten, dann kam die Sommerpause, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dann haben sie sich wieder zerstritten, und jetzt schon Christian Lindner [FDP]: Dann macht doch wieder Selbstbeschäftigung. Und die SPD? Die SPD sitzt mal europäische Klimapolitik statt nationa- da wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange. ler!) (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Aber leider ist diese Bundesregierung zum Bremser SES 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: und Blockierer geworden, wo beherzte Maßnahmen not- Was für ein Unfug!) wendig wären. Wohin das führt, sehen wir doch an den aktuellen Wirtschaftszahlen: Wir erleben das erste Mal Die Menschen in Deutschland sind da schon viel seit Jahren wieder ein Minuswachstum, vor allem wegen weiter. Bei den großen Demonstrationen in München, der schlechten Zahlen in der Autoindustrie – weil die Au- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7313

Dr. Anton Hofreiter (A) tobosse betrogen und den Umstieg auf abgasarme Autos aber Ihr Kabinett ist einfach viel zu häufig realitätsver- (C) verschlafen und auch verschleppt haben. loren, wenn es um die Europapolitik geht, ideologisch verbohrt und, wenn man sich Herrn Seehofer anschaut, (Christian Lindner [FDP]: Ach Quatsch!) auch noch tölpelhaft in der Umsetzung. Auch Sie, liebe Bundesregierung, scheitern daran, für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – den Aufbruch, für eine zukunftsfähige Autoindustrie zu Jürgen Braun [AfD]: Die Grünen sind doch sorgen, um langfristig die Arbeitsplätze zu erhalten. Sie nichts als Ideologen!) scheitern daran, in den Städten für saubere Luft zu sor- gen. Und Sie scheitern daran, die betrogenen Dieselbe- Dadurch vergrößern Sie viele Probleme auch noch. sitzer zu schützen. Das gilt auch für die Kluft zwischen Arm und Reich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn heute, an diesem Tag im November, in Deutsch- land ein Kind in einer ärmeren Familie geboren wird, Dabei ist die Lösung dieser dreifachen Krise über- dann ist die Lebensgeschichte dieses Kindes mit hoher schaubar: Hören Sie auf, vor den Autobossen zu ku- Wahrscheinlichkeit schon vorgeschrieben. Wenn die El- schen! Stellen Sie sich auf die Seite der Betrogenen und tern dieses Kindes keinen Schulabschluss haben, dann ist nicht auf die Seite der Betrüger! die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieses Kind auch kei- (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Die reden nen Schulabschluss erreicht. doch auf eurem Parteitag!) ( [AfD]: Die Eltern kom- Und sorgen Sie für Dieselnachrüstungen, die blaue Pla- men von eurer Regierungszeit!) kette und, langfristig, für den Umstieg auf abgasfreie Wenn die Eltern im Niedriglohnsektor arbeiten, dann Autos! wird dieses Kind wahrscheinlich auch dort landen. Wenn (Christian Lindner [FDP]: Nicht abgasfrei, die Eltern zu hohe Schulden haben, dann ist die Wahr- scheinlichkeit hoch, dass dieses Kind sich überschulden CO2-frei! Das ist ein Unterschied! – Jürgen Braun [AfD]: Sie wollen doch alle Autos ab- wird. schaffen, Herr Hofreiter, nichts anderes!) (Jürgen Braun [AfD]: Sie regieren doch in Aber auch das kriegen Sie schon seit Jahren nicht hin. den Ländern überall mit!) Wie wollen Sie denn dann die wirklich großen, wie wol- Das ist eine Gesellschaft, in der das große Verspre- len Sie denn dann die komplexen Probleme lösen? Die chen, nach dem es den Kindern einmal besser oder min- Klimakrise wartet doch nicht, sie ist doch längst hier an- destens so gut wie ihren Eltern gehen wird, nicht mehr (B) gekommen. In diesem Dürresommer hat es doch jeder für alle gilt. Das ist ein unhaltbarer Zustand. (D) selbst erleben können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Lachen bei Abgeordneten der AfD – Jürgen Braun [AfD]: Unwissenschaftliches Gelaber, Deshalb, liebe CDU/CSU und liebe SPD: Tun Sie nichts weiter!) endlich wirklich etwas gegen Kinderarmut! Erhöhen Sie die Kinderregelsätze! Sorgen Sie mit einer Kindergrund- Wissen Sie, je länger die Bundesregierung wichtige Maß- sicherung dafür, dass alle Kinder in diesem Lande glei- nahmen vor sich her schiebt, desto drastischer müssen am che Chancen haben, egal in welche Familie sie hineinge- Ende die notwendigen Maßnahmen werden. Wir sind die boren werden! Generation, in deren Lebenszeit es sich entscheidet – wir selbst entscheiden –, ob wir rechtzeitig aus Kohle und Öl (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus- und auf 100 Prozent erneuerbare Energien und auf sowie bei Abgeordneten der LINKEN) emissionsfreie Autos umsteigen, ob wir Plastikmüll und Packen Sie das Problem der explodierenden Mieten Pestizide produzieren oder sie konsequent reduzieren. vernünftig an! Schaffen Sie endlich wirklich mehr be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zahlbaren Wohnraum, und beenden Sie endlich die Im- Jürgen Braun [AfD]: Panikmache, nichts an- mobilienspekulationen! deres!) (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] – Ulli Nissen [SPD]: Liebe CDU/CSU und SPD, ja, die notwendigen Maß- Dazu müssen auch die Grünen beitragen!) nahmen mögen dem einen oder anderen radikal erschei- nen, was aber wirklich radikal wird, ist die Realität der Es ist ja schön, wenn Sie hier darüber reden, aber es muss Klimakrise und des Artensterbens, wenn weiter nicht ge- am Ende auch bei den Leuten ankommen. Es braucht handelt wird. Sie können ja locker den Kopf in den Sand mehr bezahlbaren Wohnraum. Deshalb: Setzen Sie es stecken, aber dadurch verschwindet diese Realität doch endlich konsequent um, und halten Sie hier nicht nur nicht. Was wir brauchen, ist eine Politik, die anders ist, schöne Reden! eine Politik, die ehrlich und radikal in der Analyse, visio- när in den Zielen und pragmatisch in der Umsetzung ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Frau Merkel, Sie haben hier eine ganz bemer- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Armut, minimale kenswerte Rede gehalten, Aufstiegschancen und mangelnde Teilhabe sind ja nur die eine Seite. Auf der anderen Seite erleben wir einen (Lachen des Abg. Jürgen Braun [AfD]) exzessiven Reichtum bei wenigen, der zunimmt. Eine der 7314 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Anton Hofreiter (A) Ursachen dafür ist der ungeregelte Finanzmarkt. Das ist gierung bereits sehr weit entgegengekommen. Jetzt gilt (C) auch eine der Lehren aus dem Cum/Ex-Skandal. Einige es, dafür Sorge zu tragen, dass Umwelt- und Sozialstan- Banken und Berater haben Geschäftsmodelle entwickelt, dards nicht hinterrücks ausgehöhlt werden. Frau Merkel, die einzig darauf angelegt sind, durch Tricks vom Staat ich erwarte von Ihnen, dass Sie da in Zukunft auf der Kasse zu machen. Seite Frankreichs und der Niederlande stehen und nicht wieder auf der Bremse bzw. bei den Gegnern der Sozi- Auf wessen Kosten? Auf Kosten der Steuerzahler! al- und Umweltstandards. Frau Merkel, denken Sie echt Mittlerweile wurden die europäischen Steuerzahler europäisch, und arbeiten Sie mit Frankreich, den Nieder- durch diesen von Deutschland ausgehenden Skandal um landen und den progressiven Ländern zusammen. 55 Milliarden Euro betrogen. Jeder Schwarzfahrer wird strenger verfolgt als die Banker, die die Allgemeinheit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) um Milliarden betrogen haben. Damit muss endlich Schluss sein. Das, was eine Antwort auf den Brexit sein kann, hat hier am vergangenen Sonntag Präsident Macron darge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellt. Ich meine, er hat eine Liebeserklärung Frankreichs sowie bei Abgeordneten der LINKEN) an Deutschland abgegeben, wie wir sie vielleicht so noch Liebe Kolleginnen und Kollegen, ausgerechnet ein nie gehört haben. SPD-Minister hat sich in Brüssel wiederholt gegen die (Beatrix von Storch [AfD]: Steuergeld!) Einführung einer Steuer für die Internetkonzerne stark- gemacht, Ich glaube, sie muss politisch erwidert werden. Gemein- sam geht es jetzt darum, die Stärkung und Fortentwick- (Andrea Nahles [SPD]: Das hat er überhaupt lung der europäischen Idee durchzusetzen. nicht!) Ich muss Ihnen sagen: Die zaghaften Schritte zu ei- einer Steuer, die endlich mal das Problem anpacken wür- nem Euro-Budget reichen bei weitem nicht aus; denn die de, dass Google und Amazon noch immer viel weniger nächste Krise kommt ganz sicher. Dann brauchen wir Steuern zahlen als die Buchhändlerin um die Ecke, die stabile Mechanismen, um unsere Währung stabil zu hal- mit ihnen im direkten Wettbewerb steht. Apple zahlt auf ten, und zwar muss das Ganze unter Kontrolle des Euro- 1 Million Euro Gewinn – nicht Umsatz! – 50 Euro Steu- päischen Parlaments stattfinden. Durch die Vollendung ern. Wer möchte da nicht Apple sein? einer Bankenunion und durch die Durchsetzung einer (Zuruf des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] europäischen Unternehmensteuer wird Europa stabiler [SPD]) und gerechter. (B) Herr Scholz, beenden Sie endlich die Blockade! Set- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (D) zen Sie durch, dass nicht nur die Buchhändlerin um die Norbert Kleinwächter [AfD]: Nein, überhaupt Ecke, sondern endlich auch die Googles und Apples nicht!) Steuern in Europa zahlen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen oder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – wenigstens die Regierung muss endlich vom Reden zum Andrea Nahles [SPD]: Machen wir!) Handeln kommen, vom Blockieren zum Regieren. Wir brauchen politische Maßnahmen, die der Größe der He- Wissen Sie, Frau Nahles, es ist ja schön, wenn Sie hier rausforderungen angemessen sind. Wir müssen endlich erzählen, dass dies weltweit geschehen soll. Ja, es wäre die großen Herausforderungen anpacken wie die Ener- noch schöner, wenn das weltweit geschehen würde. Aber giewende, die Agrarwende, die Verkehrswende, die diese Methode kennt man: Wenn man was nicht umset- Stabilisierung der Europäischen Union oder auch den zen will, dann sagt man als Erstes: Das muss in Europa Kampf gegen die soziale Ungleichheit in diesem Land. passieren. Wenn es in Europa passiert, dann sagt man: Das muss weltweit passieren. Das ist die klassische Aus- Immer mehr Menschen in diesem Land verstehen, rede derer, die sich nicht an die Konzerne herantrauen. dass ein Weiter-so oder ein leichtes Korrigieren an der SPD, trau dich mal an die Konzerne ran! einen oder anderen kleinen Stelle nicht mehr ausreichen, um optimistisch in die Zukunft zu blicken. Liebe Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) desregierung, fangen wir, fangen auch Sie endlich an, auf Liebe Abgeordnete im Deutschen Bundestag, um ehr- die großen Fragen unserer Zeit die angemessenen Ant- lich zu sein: In der Haut unserer britischen Kolleginnen worten zu geben. und Kollegen möchte ich nicht stecken; denn der Bre- Vielen Dank. xit, so wie er stattfindet, ist in jeder Form schlecht für Großbritannien, und er ist schlecht für Europa. Man sieht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) da mal wieder die zerstörerische Wirkung populistischer Politik. Ich glaube, das sollte auch dem einen oder ande- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ren hier bei uns eine dringende Mahnung sein. Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN CSU-Fraktion, Ralph Brinkhaus. sowie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU – Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, dann stellt [CDU/CSU]: Jetzt kommen wir wieder zur man fest: Die Europäische Union ist der britischen Re- Sachlichkeit zurück!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7315

(A) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): anderen Seite in irgendeiner Art und Weise zu vernach- (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegen- lässigen. satz zu einigen Vorrednern bin ich der Meinung, dass es diesem Land richtig gut geht Zweiter Gedanke. Warum sind Staaten eigentlich mal gegründet worden? Was ist der Ursprung? Der Ursprung (Beifall bei der CDU/CSU) ist: Die Menschen wollten Sicherheit, und zwar Sicher- heit nach außen und Sicherheit nach innen. und dass wir uns einmal die Zeit nehmen sollten, das aus- zusprechen. Natürlich ist nicht alles gut. Natürlich kann Ich war vor einigen Wochen bei der Bundeswehr und man noch vieles besser machen. Aber wer die politische gestern bei der Bundespolizei. Ich habe dort hochmoti- Auseinandersetzung darauf reduziert, uns immer zu er- vierte Truppen gesehen: Menschen, die mit viel Herzblut zählen, was noch schlecht läuft, der soll mir einfach mal dafür kämpfen, dass die innere und äußere Sicherheit in sagen: Wann und wo ist es denn besser als hier? Das ist diesem Land erhalten bleiben. Diese Menschen haben es doch die eigentliche Frage. verdient, dass sie zusätzliche Kollegen bekommen – was (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das sagen wir Ih- wir mit diesem Haushalt tun; Frau Nahles hat darauf hin- nen doch andauernd! – Jürgen Braun [AfD]: gewiesen –, aber auch zusätzliche Sachmittel, und dass Migrationspakt zum Beispiel! Dieselfahrver- sie vor allen Dingen eines bekommen, und das gilt ins- bote!) besondere für unsere Polizistinnen und Polizisten: Wert- schätzung für das, was sie tun. Natürlich ist es auch so – das ist nicht ganz unrichtig –, dass die Menschen unruhig sind. Die Menschen sind (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie nicht nur unruhig, sondern es ist auch so, dass wir eine bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- verhängnisvolle Entwicklung haben, insbesondere in den NISSES 90/DIE GRÜNEN) letzten Jahren: dass nämlich der Zusammenhalt in der Gesellschaft schwindet, dass wir uns granulieren, dass Aber das reicht nicht; es geht noch einen Schritt weiter. wir nicht mehr miteinander reden, sondern übereinan- Wir haben als Union gesagt: Wir wollen den Pakt für den der reden, dass wir unsere eigenen Positionen moralisch Rechtsstaat, weil die Menschen zu Recht erwarten, dass überhöhen, dass wir die Dialogfähigkeit verloren haben dieses Recht nicht nur von der Polizei geschützt wird, und dass das, was die Bundesrepublik Deutschland seit sondern dass, wenn es gebrochen wird, dies auch bestraft Jahrzehnten getragen hat, der gesamtgesellschaftliche wird. Wir brauchen mehr Staatsanwälte. Wir brauchen Konsens, bröckelt. mehr Richter. Wir brauchen übrigens auch mehr Rechts- pfleger und Verwaltungsmitarbeiter in den Gerichten. Ich denke, dass das unsere große Aufgabe sein wird. (B) Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Län- (D) Herr Hofreiter, Sie haben die großen Fragen angespro- dern. Das gehen wir an. Wir brauchen die Digitalisierung chen. Die große Frage wird der Zusammenhalt in dieser der Justizverwaltung und eine bessere Verknüpfung mit Gesellschaft in den nächsten Jahren sein. unseren Polizeibehörden. Auch da sind wir schon dabei; das gehen wir an. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Wir brauchen aber auch eine bessere Strafprozessord- Es lohnt sich, in dieser Generaldebatte, in der ja die lan- nung. Wir brauchen ein besseres Prozessrecht. Wir müs- gen Linien gezogen werden, sich einige Gedanken darü- sen schneller werden, wir müssen konsequenter werden, ber zu machen, wie man diese Frage beantwortet. und wir brauchen vor allen Dingen mehr Verständnis und Zuwendung für die Opfer von Verbrechen. Das alles ge- Fangen wir mit einem ersten Punkt an. Ich war auf ei- hört zum Pakt für den Rechtsstaat, ner Veranstaltung; dort stand eine Frau auf, die sehr em- pört war und sagte: Ich bin eine ganz normale Arbeitneh- (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie regieren merin; ich bringe morgens meine Kinder zur Schule und doch!) hole sie nachmittags ab. Wer interessiert sich eigentlich noch für uns? Werde ich eigentlich noch gesehen? – Ich weil es ein staatliches Kernanliegen sein muss, die Bür- glaube, meine Damen und Herren, wenn wir das Land gerinnen und Bürger zu schützen. zusammenhalten wollen, müssen wir wieder beginnen, die Gesellschaft von der Mitte her zu denken. Denn die Genau das Gleiche gilt auch für die Bundeswehr, die Mitte hält dieses Land zusammen. mehr Mittel bekommt. Denn Sicherheit ist nicht nur im Inneren, sondern auch im Äußeren wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Braun [AfD]: Wer regiert denn dieses Land?) Das tun wir im Übrigen auch im Haushalt, nicht in- dem wir auf 10 000 Metern Flughöhe die ganz großen Mein nächster Gedanke. Wir werden gemeinhin ein Fragen diskutieren und beantworten, sondern indem wir bisschen verspottet, weil wir so viel Geld für Soziales konkret etwas tun: indem wir Familien entlasten, indem ausgeben, Herr Lindner. Aber Soziales hat auch etwas wir das Baukindergeld und das Gute-Kita-Gesetz auf den mit dem Zusammenhalt der Gesellschaft zu tun. Denn Weg bringen, indem wir was für die Digitalisierung in die Menschen haben eine Erwartung an den Staat: Wenn den Schulen und für die Pflege tun. Das bedeutet, Politik es mir schlecht geht, wenn ich krank bin, Pflege brau- von der Mitte her zu denken, ohne die Ränder auf der che, arbeitslos oder alt bin, dann brauche ich bei aller 7316 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Ralph Brinkhaus (A) Eigenverantwortung – für die meine Partei steht – auch welt zu bestehen, wenn wir das gemeinsam europäisch (C) die Solidarität der anderen. machen. Es reicht nicht, wenn wir das alleine machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Achim Post [Minden] [SPD]) ordneten der SPD)

Wenn dieses Versprechen nicht mehr eingehalten wird, All denjenigen, die sagen: „Europa ist etwas Schlechtes“, dann brauchen wir nicht über den Zusammenhalt der Ge- sage ich: Europa ist die Antwort darauf, dass wir innova- sellschaft zu reden. Dann reden wir nur noch über uns. tiv und technologisch vorne bleiben. Ich glaube nicht, dass der Satz „Jeder kehre vor seiner eigenen Tür, und dann wird alles gut“ richtig ist, sondern (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ein sehr zum Zusammenhalt der Gesellschaft gehört Solidarität. gutes Argument, Herr Brinkhaus! – Norbert Auch das ist in diesem Haushalt abgebildet. Kleinwächter [AfD]: Europa ist ein Konti- nent!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) – Hier wird gerade gerufen: „Europa ist ein Kontinent!“ Nein, Europa ist mehr. Europa ist eine Wertegemein- Deswegen gehört bei allem Respekt davor, dass wir viel schaft! Europa ist ein Friedensprojekt! Europa ist ein investieren, und bei aller Eigenverantwortung – das ist Wirtschaftsprojekt! Wer Europa auf einen Kontinent re- alles richtig – auch die soziale Komponente dazu. Das ist duziert, hat nichts, aber auch gar nichts verstanden! überhaupt keine Frage. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Aber was die Menschen, glaube ich, am meisten beun- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie ruhigt, ist die Frage: Wie geht es eigentlich weiter? Die bei Abgeordneten der LINKEN) Bundeskanzlerin hat es angesprochen: Wir haben die Di- gitalisierung, die künstliche Intelligenz und viele andere Herr Hofreiter, ich gebe Ihnen recht. Die Umweltpo- Herausforderungen zu bewältigen. litik, die wir in den vergangenen Jahren gemacht haben, Ich bin übrigens der Meinung, dass wir in vielen Dis- war sehr eindimensional und nicht ausreichend. Ich kann kussionen zu vielen Themen leider oft rückwärtsgewandt Ihnen auch sagen, warum. Weil wir Umweltpolitik auf und kleinteilig sind. Da haben Sie recht, Herr Hofreiter. zwei Dinge reduziert haben: auf Verbote und regenera- Ich glaube, die künstliche Intelligenz wird unser Leben tive Energien. Ich finde, dass regenerative Energien gut mehr verändern als niedrigere oder höhere Steuern, neue sind. Aber das war eine Monostruktur, die wir geschaffen (B) Straßen und vieles andere, was uns zu Recht sehr wichtig haben. (D) ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auf diese Zukunftsfragen müssen wir Antworten geben. Das tun wir auch. Das erste Thema ist Bildung. Wir glauben daran, dass wir Umweltpolitik nicht mit Jetzt reden wir nicht über die Bildung in den Ländern. Verboten voranbringen, sondern mit Anreizen. Es gibt eine weitere Komponente, wo wir noch viel mehr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tun müssen und an der unsere Bildungsministerin schon ordneten der FDP und des Abg. arbeitet. Das ist nämlich der Punkt Weiterbildung. Wenn [SPD]) ich eine Schulklasse zu Besuch habe, dann sage ich ih- nen immer: Ihr werdet euren Beruf fünf- oder sechsmal Unser Anspruch ist, Technologie und Umwelt miteinan- neu erlernen müssen. – Wir haben in Deutschland ein der zu versöhnen; denn das Ganze passt zusammen und Bildungssystem, das auf die klassische Erstausbildung kann ein Erfolgsmodell für die Bundesrepublik Deutsch- ausgerichtet ist, auf Ausbildung, Studium, Schule. Wir land und natürlich für Europa werden. müssen auch Strukturen bereitstellen für die Weiterbil- dung. Das ist eine ganz wichtige Frage für die Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Da haben wir die ersten Grundstöcke gelegt. Das muss Jetzt komme ich zum Thema Europa; das war gera- auch weitergehen. de der Cliffhanger und Spoiler zu Europa. Wenn wir den Menschen sagen wollen, dass sie eine Zukunft haben, Es geht nicht nur um Bildung, sondern auch um Inno- dass sie in dieser Welt, die irgendwo immer mehr aus den vation, das zweite Thema. Ich weiß nicht, ob Ihnen klar Fugen gerät, sicher sein können, dann werden wir das nur ist, wie viel Geld alleine China in künstliche Intelligenz gemeinsam europäisch hinbekommen. investiert. Das ist ein dreistelliger Milliardenbetrag. (Zurufe von der AfD: Nein! Nein! – Gegenru- (Dr. [FDP]: Und im Bundes- fe von der CDU/CSU: Doch! Doch!) haushalt?) – Das ist auch wieder interessant. Von der rechten Seite – Wir haben auch im Bundeshaushalt Mittel dafür einge- kommt – ich wiederhole für diejenigen, die das nicht hö- stellt. – Jetzt kommt die eigentliche Antwort: Wir haben ren konnten –: Nein, das geht nicht europäisch. – Es ist nur eine Chance, in dieser Technologie- und Innovations- schön, dass wir diesen Unterschied haben. Wir glauben Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7317

Ralph Brinkhaus (A) nämlich daran, dass wir das europäisch gemeinsam bes- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) ser hinbekommen. Nächster Redner ist der Vorsitzende der AfD-Fraktion, Dr. Alexander Gauland. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Beifall bei der AfD) bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Alexander Gauland (AfD): Wir glauben im Übrigen auch an eine andere Sache. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun- Bei der Rede der Bundeskanzlerin wurde zugerufen: deskanzlerin, als Heinrich Heine 1832 in Frankreich Wir sind für Deutschland verantwortlich. – Nein, unser deutschen Auswanderern nach Übersee begegnete, no- christliches Menschenbild, unser Menschenbild, das wir tierte er, all diese armen Leute hätten ihm ihr Elend ge- haben, wenn wir keine Christen sind, bedeutet, dass die klagt, aber immer mit der Frage geendet: Würde der Menschen überall auf der Welt gleich ist. „Was sollten wir tun? Sollten wir eine Revolution (Jürgen Braun [AfD]: Größenwahn!) anfangen?“ Wer sich in der Politik auf Deutschland beschränkt, ist Ich schwöre ..., nicht an unserer Seite; denn wir glauben, dass das Ganze – fährt Heine fort – weitergeht. Wir haben eine Verantwortung für alle, die wir, soweit es uns möglich ist, auch übernehmen werden. der zehnte Teil von dem, was jene Leute in Deutsch- land erduldet haben, hätte in Frankreich sechsund- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem dreißig Revolutionen hervorgebracht ... BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Angesichts der landesweiten Proteste französischer geordneten der FDP und der LINKEN – Zuru- Autofahrer gegen die Benzinpreiserhöhungen der Regie- fe von der AfD) rung musste ich spontan an Heinrich Heine und diesen Satz denken. Eine andere Sache ist aber auch richtig. Wir müssen über die Zukunft reden. Wir müssen über das Verspre- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen reden, dass jeder, wenn er in eine Krise kommt, NEN]: Heinrich Heine würde sich im Grabe wenn er schwach ist, die Möglichkeit hat, dass ihm ge- herumdrehen, wenn er Sie erleben müsste! – holfen wird. Zuruf von der FDP: Das hat er nicht verdient!) (Beatrix von Storch [AfD]: Die ganze Welt!) Die Wutrede einer 51-jährigen Bretonin und Diesel- (B) fahrerin wurde von Millionen Franzosen angeklickt: „Vor (D) Wir müssen darüber reden, dass wir die Mitte sehen. Wir zehn Jahren habt ihr uns dazu gebracht, Diesel zu kaufen, müssen über die Sicherheit reden. Wir müssen aber auch weil sie als umweltfreundlicher galten“, ruft die Bretonin darüber reden, wie wir miteinander umgehen. Wenn wir an die Adresse von Präsident Macron, Ihrem Heiligen, als Politikerinnen und Politiker – da brauche ich nicht mit und jetzt wolle man die Dieselfahrer mit einer deftigen dem Finger auf jemanden zu zeigen; ich sage das ganz Steuererhöhung abkassieren. – Ob diese Demonstratio- selbstkritisch auch in meine Richtung – die Streitkultur, nen auch Deutschland bald erreichen? Gründe dafür gäbe die wir in den letzten Jahren hier gehabt haben, fortfüh- es genügend. ren, wenn wir weiter in der Sprache verrohen, wenn wir (Beifall bei der AfD) weiter in der Art und Weise verrohen, wie wir miteinan- der umgehen, wie wir miteinander sprechen, wenn wir Immerhin hat die Deutsche Umwelthilfe gerade vor Ge- uns nicht gegenseitig mehr respektieren, weil wir andere richt ein Dieselfahrverbot auf der A 40 durchgesetzt, einer Argumente haben, wenn wir dieses Vorbild geben, dann Hauptverkehrsader des Ruhrgebiets. Das trifft Pendler brauchen wir uns auch nicht zu wundern, wenn sich die noch härter als Preiserhöhungen. Werden die Dieselfah- Gesellschaft genauso entwickelt. rer in NRW jetzt auf die Straße gehen? Wohl eher nicht! Heinrich Heine kannte den Grund: Die deutsche Geduld (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und die französische unterscheiden sich sehr. ordneten der SPD – Zuruf des Abg. Stephan Meine Damen und Herren, wir alle haben den bewe- Protschka [AfD]) genden Auftritt von Emmanuel Macron vor dem Deut- Deswegen sollten wir uns alle vornehmen, respektvoll schen Bundestag miterlebt, seinen Aufruf zum noch und achtsam miteinander umzugehen. Wir sollten als de- festeren deutsch-französischen Schulterschluss und zur mokratische Parteien das Miteinander pflegen. Wir soll- deutsch-französischen Solidarität gehört. Ja, meine Da- ten vor allen Dingen den Menschen in diesem Land zei- men und Herren, den protestierenden französischen Au- gen, dass die parlamentarische Demokratie, wie sie seit tofahrern gehört unsere ungeteilte Sympathie. 1949 in diesem Land besteht, ein ganz großer Schatz ist, (Beifall bei der AfD) den es sich lohnt zu hüten. In einem Zeitungsinterview erklärte Alexis Spire, Danke schön. Forschungsdirektor am Centre national de la recherche scientifique: Einer der Gründe für die Proteste sei, dass (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Bei- Steuerzahler am unteren Ende der sozialen Pyramide kei- fall bei der SPD) ne Gegenleistung mehr zu sehen bekommen für das, was 7318 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Alexander Gauland (A) sie einzahlen. Es sei nicht überraschend, dass die Bewe- mit dem Rad oder der Bahn fahren müssten – also die (C) gung in ländlichen Gebieten und mittelgroßen Städten Menschen, nicht die Apostel –, dann ist das zugleich die entstanden ist. Diese Territorien litten seit langem unter Aufforderung: Mund halten und zahlen. Es sei denn, die dem allgemeinen Niedergang und der Verschlechterung Menschen nehmen sich ein Beispiel an den Franzosen öffentlicher Dienstleistungen. – Ist das so weit weg von und gehen auf die Straße und protestieren. unseren eigenen Problemen in abgehängten Regionen, meine Damen und Herren? (Beifall bei der AfD) Bevor er im Namen Frankreichs seine betörende Lie- Meine Damen und Herren, für Feinstaub und Stick- beserklärung an Deutschland aussprach, sagte Präsident oxide gelten penibel überwachte Obergrenzen, für Macron – ich zitiere –: Migration bekanntlich nicht. Dabei sind die gelegentlich tödlichen Nebenwirkungen von Migration im Gegensatz Jeder von uns wird im Sinne einer Vergemeinschaf- zum Feinstaub offensichtlich. tung seine Entscheidungsbefugnisse, seine Außen- politik, seine Migrations- oder Entwicklungspolitik (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: sowie einen wachsenden Teil seines Haushalts oder Jetzt wird es widerlich!) sogar seiner Steuereinnahmen teilen müssen. Eben erst hat in Wittenburg ein abgelehnter, aber gedul- Nun, meine Damen und Herren, es wäre nicht die erste deter afghanischer Asylbewerber einem Rentner die Keh- aus finanziellen Gründen arrangierte Ehe, die öffentlich le durchgeschnitten, was nicht zu Hass und Hetze führen als Liebesheirat verkauft wird. darf, wie der zuständige Innenminister sofort anmerkte. (Beifall bei der AfD) Obendrein kostet Migration beachtliche Summen, die Was uns betrifft: Wir bekennen uns zu jenem Ehever- von der Bundesregierung übrigens diskret verschwiegen trag, der in Maastricht geschlossen wurde und der gerade werden. Ich zitiere: nicht eine Teilung der Steuereinnahmen zur Übernahme Die Flüchtlingskosten werden auf viele Etats ver- der Schulden anderer vorsieht, und dabei wollen wir auch teilt. Wer bei der Berliner Regierung nach der Ge- bleiben. samtsumme fragt, wird in ein Labyrinth von Statis- (Beifall bei der AfD) tiken und Zuständigkeiten geschickt. Nur die eine entscheidende Zahl gibt es nicht: die aller Aufwen- Ich habe an dieser Stelle schon einmal darauf hinge- dungen für einen klar definierten Personenkreis. wiesen, dass es nur ein Bruchteil der deutschen Bevöl- kerung ist, dem wir die Tatsache verdanken, überhaupt Ist nicht von mir, das schrieb die „Neue Zürcher Zei- (B) einen Haushalt planen zu können. Ungefähr 15 Milli- tung“. (D) onen wirkliche Steuerzahler halten den Laden hier am (Beifall bei der AfD) Laufen. Sie müssen alles schultern: die Unsummen der Energiewende, der Massenimmigration, der sogenannten Entwicklungshilfeminister Gerd Müller sprach von Euro-Rettung und nun also die als Klimarettung verkauf- 30 Milliarden Euro, die Bund, Länder und Gemeinden te Automobilfeindschaft. pro Jahr für 1 Million Migranten ausgeben. Da ungefähr 1,5 Millionen tatsächliche und angebliche Flüchtlinge Großzügig will die Bundesregierung den Grenzwert seit 2015 zu uns gekommen sind, wären das 45 Milliar- für Stickoxide im Straßenverkehr von 40 Mikrogramm den Euro im Jahr. Das Institut der deutschen Wirtschaft pro Kubikmeter Luft auf 50 Mikrogramm anheben – Frau kommt auf 50 Milliarden. Das Kieler Institut für Weltwirt- Bundeskanzlerin hat das ausgeführt –, um Dieselfahrver- schaft auf bis zu 55 Milliarden. Zum Vergleich – Haus- bote in Städten zu vermeiden. Bis heute gibt es freilich halt! –: Die Ausgaben für Erziehungs- und Elterngeld des keinen Beleg dafür, dass eine Stickoxidkonzentration Bundes betrugen im vergangenen Jahr 6,4 Milliarden, für über 40 Mikrogramm Gesundheitsschäden auslöst. Der Bundesautobahnen und Bundesstraßen 6,6 Milliarden Grenzwert für die Stickoxidkonzentration an gewerbli- Euro. Der Jahresetat des Bundesforschungsministers – chen Arbeitsplätzen liegt in Deutschland und in der EU unsere Zukunft! – liegt bei 17 Milliarden Euro. übrigens bei 950 Mikrogramm. Der Lungenfacharzt und ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Aber, meine Damen und Herren, ist das Geld wenigs- Pneumologie, Professor Dieter Köhler, hat erklärt: Die tens gut angelegt? Ein Großteil der aktuellen Einwan- EU-Grenzwerte für Stickoxid und Feinstaub bezeichne- derer gehört in die Kategorie Primär- oder Sekundäran­ ten in keiner Weise irgendeine Gesundheitsgefährdungs- alphabeten. schwelle. In Deutschland sei noch niemand durch Stick- oxide gestorben. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) 70 Prozent der Immigranten brechen laut Handwerks- kammer ihre Lehre ab. Jeder zweite Arbeitslose in West- Aber, meine Damen und Herren, es geht hier ja in deutschland hatte 2017 einen Migrationshintergrund. Wirklichkeit auch nicht um Abgas, sondern um höhere Etwa 30 Prozent der Häftlinge in deutschen Gefängnis- Werte. Es geht nicht um Stickoxide, sondern um Hoch- sen sind Ausländer. moral. Mit der Hochmoral verhält es sich so, dass die einen sie predigen und die anderen sie bezahlen. Wenn Zugleich müssen sich einer Studie des WDR zufol- grüne Apostel in Politik und Medien den Menschen ge 40 Prozent der Deutschen auf Altersarmut einstellen. jetzt erklären, dass wir künftig eben mehr zu Fuß gehen, Fast jedem zweiten Bundesbürger, der ab 2030 in Rente Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7319

Dr. Alexander Gauland (A) geht, drohe eine Altersversorgung aus der gesetzlichen Dem Bundestag liegen derzeit mindestens 17 Petitio- (C) Rentenversicherung unterhalb der Armutsgrenze. nen gegen den Pakt vor,

(Zuruf von der AfD: Schande!) (Zuruf von der SPD: Wahrscheinlich in Ihrem Büro geschrieben!) Die Zahl der Menschen ohne Wohnung wuchs von 248 000 Personen im Jahre 2010 auf 335 000 Personen und auch in der Union wächst der Widerstand gegen ihn. Ende 2016, wie die Bundesregierung auf eine Anfrage Herr Spahn, der Bundesgesundheitsminister, will über der Linken antwortete. Über die Zustände an öffentlichen ihn abstimmen lassen. Der Vorsitzende des Bundestags­ Schulen, von Bädern und Parks liest man wenig Erfreu- ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und liches; es fehlt überall an Geld, obwohl wir angeblich so Entwicklung, Herr Ramsauer, ist der Meinung, der Pakt viel haben. öffne dem Flüchtlingsstrom nach Deutschland Tür und Tor. Das ist einer Ihrer Abgeordneten, liebe Kollegen von (Beifall bei der AfD) der CDU.

Ich weiß, meine Damen und Herren auf der linken Sei- (Beifall bei der AfD) te des Hauses, Sie werden jetzt wieder sagen, die AfD spiele Ausländer gegen deutsche Sozialfälle aus. Aber Die WerteUnion sagt: Integration – ja, Migrationspakt – ich habe lediglich ein paar Fakten aufgezählt. Sozialstaat nein, danke. – Recht haben Sie. und offene Grenzen – das kann niemals zusammen funk- Der Öffentlichkeit wird immer erklärt, der Global tionieren. Das ist ungefähr so, als wenn man im Winter Compact sei unverbindlich. „Er ist rechtlich nicht bin- das Fenster aufreißt und zugleich die Heizung immer hö- dend und deshalb steht Deutschland dazu“, sagte die her dreht, um die Temperatur zu halten. Bundeskanzlerin Anfang November in Warschau bei (Beifall bei der AfD – Andreas Mattfeldt einem Treffen mit dem polnischen Ministerpräsiden- [CDU/CSU]: Phrasendrescher!) ten. Liebe Frau Bundeskanzlerin, eine reizende Minia- tur in politischer Doppelmoral. Zugleich hören wir, der Gut, die aktuelle Migration kostet viel und rentiert Pakt solle die weltweite Migration ordnen, die illegale sich nur wenig. Aber wir haben doch wenigstens ge- Einwanderung eindämmen und das Schlepperwesen be- holfen, oder? Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, kämpfen. Meine Damen und Herren auf der Regierungs- sich eine Zahl gut einzuprägen: Die Bevölkerung Afri­ bank, könnten Sie der Öffentlichkeit einmal erklären, wie kas wächst alle zwölf Tage um 1 Million Menschen. Das das funktionieren soll mit einem völlig unverbindlichen heißt, jene etwa 1,5 Millionen Migranten, die aufgrund Papier? Viel Vergnügen bei der Erklärung. (B) (D) von Frau Merkels Politik der offenen Grenzen seit Sep- (Beifall bei der AfD) tember 2015 zu uns geströmt sind und unser Land vor enorme Schwierigkeiten stellen, werden in Afrika in Ich weiß schon, warum Herr Maas das nicht macht: weil 18 Tagen nachgeboren. Was wir getan haben und tun er es nicht kann. werden, wird dort nicht einmal bemerkt. Wir fordern ein Ende dieser Experimente. Die Pro- (Beifall bei der AfD) bleme, die diese Regierung unserem Land aufgebürdet hat, sind ohnehin kaum zu schultern. Hören Sie auf, Ihre Obwohl die bisherigen Erfahrungen mit der Migration Politik an Illusionen auszurichten! Ich will deshalb heute nicht die besten sind, will die Bundesregierung in weni- nicht mit einem Zitat Bismarcks schließen, was ich gern gen Tagen dem Global Compact for Migration beitreten. mache, sondern mit Abraham Lincoln: Dieser Global Compact, der völlig unverbindlich ist, aber Fluchtursachen bekämpfen soll, nennt die Hauptfluchtur- Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, wenn ihr sache mit keiner Silbe: die Bevölkerungsexplosion. die Starken schwächt. Ihr werdet denen, die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, nicht helfen, in- (Beifall bei der AfD) dem ihr die ruiniert, die ihn bezahlen. Wer Europa als Abflussbecken dafür anbietet, wird Euro- Danke schön. pa schwächen und Afrika kein bisschen helfen. (Anhaltender Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Widerliche Hetze- rei!) Vizepräsident : Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kol- Viele Länder, auch viele Europäer, werden das Dokument lege Achim Post. nicht unterzeichnen. Nun hat auch Israel Nein gesagt; da bin ich mal auf die Erklärung gespannt. (Beifall bei der SPD)

(Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer­ [CDU/CSU]: Stimmt, das wird niemand un- Achim Post (Minden) (SPD): terzeichnen! Es wird nämlich nicht unter- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zeichnet!) Meine Damen und Herren! Herr Dr. Gauland, an Ihre 7320 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Achim Post (Minden) (A) Reden wollen wir uns nicht gewöhnen, schon gar nicht gearbeitet haben. Zwei möchte ich an dieser Stelle her- (C) an Ihre menschenverachtenden. vorheben – zwei Schlachtrösser des Haushaltsausschus- ses –: Eckardt Rehberg und Johannes Kahrs. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie werden bei Abgeordneten der AfD) sich daran gewöhnen müssen, Herr Kollege!) – Sie lachen. – Ohne die beiden hätten wir keinen Sta- – Das werden wir noch sehen. – Eine Bitte habe ich aber bilitätshaushalt, ohne die beiden hätten wir keinen Bür- doch: Zitieren Sie bitte nicht den großen deutschen Dich- gerhaushalt, der die Menschen in diesem Land entlastet, ter und Schriftsteller Heinrich Heine. und ohne die beiden hätten wir keinen Zukunftshaushalt, der mehr Geld für Investitionen zur Verfügung stellt als (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem jemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes land zuvor. Kahrs [SPD]: Das ist übelster Missbrauch!) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas Wenn wir schon bei Ihnen sind: Wir wissen seit langem, Mattfeldt [CDU/CSU]) auch ohne Ihre Reden, dass Sie gegen Europa sind. Auf eines möchte ich eingehen – der Kollege (Widerspruch bei der AfD) Brinkhaus hat es angesprochen –: Hier wurde häufig ge- Wir wissen auch, warum Sie, Frau Dr. Weidel – da Sie redet von „Geld, das aus dem Fenster geschmissen wird“, sich gerade zu Wort melden –, gegen den Euro sind: Sie von einem Haushalt, der „stranguliert“ wird. Ich muss nehmen lieber Schweizer Franken; das ist nämlich die eines sagen: Wenn diese Bundesregierung mit diesem Wahrheit, meine Damen und Herren. Haushalt in gute Kitas, stabile Renten und eine bezahl- bare Pflege investiert, dann ist das die beste Investition (Beifall bei der SPD und der LINKEN) in die Zukunft und für den Zusammenhalt unseres Lan- Tut weh, ja? des, die es überhaupt geben kann, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, das tut weh!) (Beifall bei der SPD) Kommen wir zur Koalition und zu diesem Haushalt. Diese Koalition hat einen mutigen Koalitionsvertrag be- Zu Europa: Tun wir doch nicht so, als sei der nächste schlossen und Europa bewusst an den Anfang gestellt. Gipfel irgendein Gipfel, als sei die nächste Europawahl Sie hat für neue Dynamik und einen neuen Zusammen- irgendeine Europawahl. Es geht doch um viel mehr. Es geht nicht um irgendwelche Spiegelstriche. Es geht um (B) halt geworben und versucht, diesen zu befördern. Wenn (D) wir über diesen Haushalt reden, ist die eigentliche Mess- die Grundfrage, welches Europa wir wollen: ein offenes latte die Frage: Schafft es diese Bundesregierung, schafft Europa oder ein geschlossenes Europa, ein solidarisches es diese Koalition, schaffen es CDU, CSU und die SPD, Europa oder eines, das ausgrenzt. diese Ziele zu erreichen, (Beifall bei der SPD – Beatrix von Storch (Zuruf von der AfD: Nein!) [AfD]: Ein sicheres Europa!) auch wenn die Lage insgesamt schwieriger wird, global Am Ende geht es im Kern um die Frage, ob wir die alten und europäisch? Ich sage Ihnen eines: Diese Koalition Gespenster der nationalistischen Vergangenheit zurück- wird sich daran messen lassen, und diese Koalition will haben oder ob wir einen neuen Geist für ein Europa der sich daran messen lassen; ich komme später darauf zu- Zukunft und Zusammenarbeit wollen, liebe Kolleginnen rück. und Kollegen. Darum geht es. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Mit einem müssen und werden wir aufhören, ich je- Deshalb ist es richtig, wenn sich die Bundesregierung denfalls. Einen Satz kann ich überhaupt nicht mehr hö- und der Bundesfinanzminister für die Umsetzung die- ren: „Wir sollten zur Sacharbeit zurückkehren.“ Was, ses Koalitionsvertrages einsetzen, mit einem Euro-Zo- liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir denn in den nen-Budget, mit einer Digitalsteuer in Europa. Ich will letzten Wochen und Monaten gemacht? hier eines sagen: Das ist ein guter Koalitionsvertrag. Er gilt aber erst einmal nur für Deutschland. Das ist eine (Beifall bei der SPD) gute Erklärung von Meseberg. Sie gilt aber erst einmal Wir haben die Renten stabilisiert, die Familien und Ar- nur für Deutschland und Frankreich. Die anderen müssen beitnehmer entlastet und die Parität in der Krankenversi- wir noch überzeugen, und da sind wir gerade noch dabei. cherung wiederhergestellt. Woher wissen Sie alle denn, wie diese Gipfel ausgehen werden? Das ist doch völlig offen. Dafür kämpft diese (Beifall bei der SPD) Bundesregierung: für ein gerechteres Europa und für eine stabilere Euro-Zone. Was anderes ist das, wenn nicht Sacharbeit? (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas Der Bundeshaushalt 2019 – das muss man an dieser Mattfeldt [CDU/CSU]) Stelle einmal sagen – ist das Ergebnis harter und pragma- tischer Arbeit und das Ergebnis vieler Männer und Frau- Ganz am Schluss will ich eines sagen: Deutschland en, die im Haushaltsausschuss sitzen und Tag und Nacht braucht ein starkes Europa, und Europa braucht ein star- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7321

Achim Post (Minden) (A) kes Deutschland. Genau dafür ist dies ein guter Bundes- nen – sie sind die Keimzelle dessen, was unsere Zukunft (C) haushalt. ausmacht –, dann müssen wir helfen, dann ist das unse- re Aufgabe. Ist das jetzt aber etwas, wo die Koalition, Schönen Dank. die Regierung oder etwa der Finanzminister sich rühmen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kann? Nein. Frau Nahles, seien wir ehrlich: Sie machen der CDU/CSU) als Erstes eine Umsetzung dessen, was das Verfassungs- gericht uns geboten hat. Und das, was als Schippchen draufkommt, ist – das finde ich sehr interessant – im Vizepräsident Thomas Oppermann: Endeffekt nichts anderes als die Umsetzung des Progres- Vielen Dank. – Nächster Redner ist Otto Fricke für sionsberichtes. Und wer hat in der 17. Legislaturperiode die FDP. dafür gesorgt, dass es diesen Progressionsbericht über- (Beifall bei der FDP) haupt gibt? Die Fraktion der FDP. (Beifall bei der FDP – Carsten Schneider Otto Fricke (FDP): [Erfurt] [SPD]: Nein! Haben wir gemacht!) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute ist – Sie machen nichts Neues. Sie machen nur das, was Sie Frau Bundeskanzlerin, das wissen Sie, weil es für Sie müssen, und keinen Deut mehr und rühmen sich dann von Interesse ist – Buß- und Bettag. Das passt eigentlich auch noch. sehr gut; denn der Buß- und Bettag ist immer auch ein Tag, an dem ein Aufruf zur Umkehr kommt. Kommen wir zum Personal. Da wird immer gesagt: Wir machen richtig viel beim Personal, wir sind richtig Wenn wir uns die Haushalte, die unter Ihrer Ägide – stark beim Personal. – Erstens würde ich gerne einmal nicht nur mit diesem Finanzminister, sondern auch schon irgendwann eine Kleine Anfrage ernsthaft beantwortet mit dem letzten – gestanden haben, nun angucken, dann bekommen, wie viele Leute aus dem Konrad-Adenauer-­ kann man erkennen, dass es immer die berühmten Wei- Haus und insbesondere aus dem Willy-Brandt-Haus in ter-so-Haushalte gewesen sind. Es sind Haushalte gewe- den letzten Jahren in Ministerien gegangen sind. Das ist sen, in denen Sie stetig steigende Einnahmen hatten, mit doch im Endeffekt etwas, über das man auch einmal re- denen Sie stetig in gleicher Manier verteilt haben, bei den muss: 1 000 neue Leute in den Ministerien. denen Sie – Ihr Finanzminister hat das übrigens gestern auch nicht getan – in den Debatten nicht wirklich über (Beifall bei der FDP) den Haushalt geredet haben. Vielmehr beschäftigen Sie Damit das klar ist: Ich rede nicht über den Zoll oder das sich mit dem Hier und Jetzt, wiesen auf die Vergangen- BKA. Hier haben wir Aufgaben; diese müssen wir wahr- (B) heit, aber missachteten die Zukunft. nehmen. 1 000 Leute: Wissen Sie eigentlich, was 1 000 (D) (Beifall bei der FDP) neue Stellen quer über den Stellenspiegel pro Jahr kos- ten? Meine Damen und Herren, Umkehr, Modernisierung, Zukunft – ich glaube, darin sind sich fast alle hier ei- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das sind nig – bedeuten natürlich, sich mit den Fragen von Digita- Entfristungen!) lisierung, von künstlicher Intelligenz, die Sie hier immer – Ob sie entfristet worden sind oder ob es neue Stellen ansprechen, zu beschäftigen. Das Schlimme ist nur: Es sind –, es ist am Ende eine dauerhafte Belastung. ist immer Wolkenkuckucksheim; es sind immer große Reden. Wenn man aber in die Zahlen guckt, dann stellt (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein! Eine man fest, dass das alles gar nicht passt. gute Chance für gute Dienstleistungen! Das ist der Unterschied!) Ich gebe ein einfaches Beispiel, damit eben neben den schönen Worten, die alle hören, die alle schreiben, die Ich merke an der Antwort wieder, dass es für Sie so ist: alle lesen, einfach mal die Zahlen zur Sprache kommen. Sie sorgen als Große Koalition dafür, dass der Staat sich Denn das ist ja das Schöne an Haushaltspolitik: Zahlen stetig neue Aufgaben gibt, aber Sie kehren nicht um und sind an dieser Stelle nicht interpretierbar, sondern erst fragen sich, auf welche Aufgaben man verzichten könnte. einmal Tatsache. Ich gebe Ihnen einen Hinweis und fra- Nein, Sie sagen: mehr Staat, mehr Personal, mehr ge: Wie sieht es denn in diesem Haushalt aus? Sie reden Aufgaben. Wenn ein privater Bürger versuchen würde, von Zukunftsaufgaben. Aber schauen wir doch einmal, sein Leben weiterzuführen, wenn er sagen würde: „Ich wie viel Sie von den 12 bzw. 13 Milliarden Euro, die Sie will einfach nur mehr, ich muss auf nichts verzichten“, mehr haben, eigentlich für Bildung und Forschung zu- wäre das nicht zukunftszugewandt, es wäre vergan- sätzlich ausgeben. Wo folgt also auf das Wort der Kanz- genheitsverhaftet. Vor allen Dingen zeugt es von altem lerin die Tat des Finanzministers und der Ministerien? Sie staatsgläubigem Denken, mit dem Sie in das Zeitalter der geben gerade einmal eine halbe Milliarde Euro mehr für Digitalisierung niemals einsteigen können. Kehren Sie Bildung und Forschung aus. Das ist dann Zukunft? Nein, um! das ist immer nur das Weiter-so: ein bisschen drauf. Keh- ren Sie an dieser Stelle endlich um! (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, man kann es an bestimm- ten Stellen einfach einmal folgendermaßen zusammen- Bei den Steuern – Frau Nahles hat das gesagt – sind fassen: Die puren Zahlen und Daten Ihres Haushaltes wir uns, glaube ich, einig. Wenn wir Familien helfen kön- sinken. Die Investitionsquote, auch die absolute Summe, 7322 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Otto Fricke (A) sinkt. Die Sozialquote, der Sie sich rühmen, sinkt. Die Das ist das, was ich unter guter Finanzpolitik verstehe, (C) Zinsbelastung fängt langsam, aber sicher an zu steigen, meine Damen und Herren. weil Sie ans Ende dessen kommen, was Ihnen – in An- führungszeichen – von der EZB gegeben wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt kommt für mich noch das, was mich am meisten Diesen Anspruch müssen wir auch einhalten, wenn in der Haushaltsberatung überrascht hat. Früher war es wir über die Zukunft Europas reden. Wir müssen darauf so: Wenn die Regierung gemerkt hat, dass sie ein biss- achten, dass der Haushalt in Europa keine neuen Lasten chen mehr ausgeben kann, aber nicht so viel, wie sie für die nächsten Generationen schafft. Wir begrüßen des- will, dann hat der Finanzminister gesagt: Das nicht, das wegen, dass Investitionen ein besonderes Augenmerk in ja. – Wissen Sie, wie das bei Ihnen inzwischen läuft? Sie den europäischen Finanzverhandlungen genießen. Wir sagen: Wir brauchen noch eine halbe Milliarde Euro. begrüßen auch, dass es eine Debatte über ein Euro-Zo- Nehmen wir doch die Kreditermächtigung „Rücklage nen-Budget gibt und dass dies innerhalb des EU-Haus- ‚Asylbewerber und Flüchtlinge‘“ und greifen auf Altes haltes abgebildet wird. Wenn wir über Investitionen aus zurück, um mehr auszugeben. – Ihr Haushalt ist damit einem europäischen Haushalt, aus einem Haushalt der am Ende im Negativen. Und das zeigt mir ganz deutlich: Euro-Zone reden, muss aber auch klar sein, dass es sich Sie brauchen diesen Buß- und Bettag. Vielleicht kann das natürlich um zusätzliche Investitionen in den Ländern Kabinett ja noch einkehren und umkehren. handeln muss. Es darf nicht nach dem Motto „Investiert wird das, was bisher geplant war, es soll nur ein anderer Herzlichen Dank. bezahlen“ gearbeitet werden. Das hilft nicht weiter, wenn es um Wachstum und Chancen in Europa geht. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander Gauland [AfD]: So wird es aber kommen!) Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank, Kollege Fricke. Was gibt es Schöne- Der Kollege Lindner hat auf die Phase der Unsicher- res, als am eigenen Geburtstag eine Rede im Deutschen heiten hingewiesen, die wir auf der Welt, aber auch spezi- Bundestag halten zu dürfen? Auch von hier noch einmal ell in Europa erleben, und hat am Beispiel Italiens darge- herzlichen Glückwunsch! legt, wie unsichere Haushalte, wie zusätzliche Schulden, wie ein Übermaß an sozialen Leistungen auch dazu füh- (Beifall) ren, dass eine finanzielle Schieflage entstehen kann. Ja, wir machen uns alle große Sorgen darüber, wie andere Nächster Redner ist der Vorsitzende der CSU-Landes- Länder in Europa mit ihren Haushalten umgehen. Aber, (B) gruppe, der Kollege Alexander Dobrindt. Herr Lindner, Sie müssen dann auch die Frage beantwor- (D) ten: Wie halten Sie es denn eigentlich mit den Vorschlä- (Beifall bei der CDU/CSU) gen, die der französische Präsident Macron bezüglich der Zukunft der Haushalte, der Finanzen und der Verteilung Alexander Dobrindt (CDU/CSU): in Europa gemacht hat? Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ( [CDU/CSU]: Genau! – Kollegen! Sehr geehrter Herr Fricke, ich glaube, Sie ha- Christian Lindner [FDP]: Ablehnen!) ben bei Ihrem Beitrag eines vollkommen übersehen: Sie haben heute hier die Nähe betont, (Otto Fricke [FDP]: Die CSU!) (Christian Lindner [FDP]: Ablehnung!) Wir haben die längste Phase der Konsolidierung und der soliden Haushalte eingeläutet. So lange wie jetzt war die Sie gerade zu En Marche auf europäischer Ebene ent- diese Phase noch nie. Sechsmal in Folge einen Haushalt wickeln. ohne neue Schulden hat es in der Vergangenheit noch nicht gegeben. Deswegen ist es ein Haushalt der Genera- (Christian Lindner [FDP]: Ich habe den Un- tionengerechtigkeit, den wir hier verabschieden. terschied angesprochen!) Dann sagen Sie: Wie halten Sie es mit den Vorschlägen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- eines gemeinsamen europäischen Finanzministers, ordneten der SPD – Beatrix von Storch [AfD]: Bei den Steuereinnahmen!) (Christian Lindner [FDP]: Ablehnung!) Solide Haushaltspolitik: In der Tat geht es natürlich einer europäischen Einlagensicherung, darum. Ausgeglichene Haushalte und Generationenge- rechtigkeit sind ein Prädikat für gute Finanzpolitik. Wir (Christian Lindner [FDP]: Ablehnung!) können den nächsten Generationen, den jungen Genera- tionen heute sagen: Wir leben nicht auf eure Kosten, wir einem europäischen Sozialfonds, verfrühstücken nicht die Chancen, und wir schaffen kei- (Christian Lindner [FDP]: Ablehnung!) ne neuen Lasten für die nächste Generation. einer europäischen Arbeitslosenversicherung, (Christian Lindner [FDP]: Doch! – Christian Dürr [FDP]: Bei der Rente!) (Christian Lindner [FDP]: Ablehnung!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7323

Alexander Dobrindt (A) die dazu führen soll, dass die Beiträge der deutschen Ar- dazu, nicht die Erfolge der Vergangenheit schlechtzure- (C) beitnehmerinnen und Arbeitnehmer den, sondern darüber zu reden, wie wir sie weiterentwi- ckeln und optimieren können. Aber wir bleiben dabei, (Christian Lindner [FDP]: Das ist die Position dass das Prinzip „Fördern und Fordern“ ein Prinzip unse- von Friedrich Merz!) res Sozialstaates ist. für die Arbeitslosigkeit in anderen europäischen Staaten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- verwandt werden sollen? ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich, [FDP]: Das war die Position von Merz und wenn wir über Generationengerechtigkeit reden, spielt Scholz! – Christian Lindner [FDP]: Das war die internationale Migration, die legale und auch illegale gerade die Position von Friedrich Merz!) Migration, eine bedeutende Rolle. Man hatte langsam das Wir lehnen das ab, weil wir genau wissen, dass damit Gefühl, zumindest wenn man Kommentierungen dieser das Grundprinzip der Generationengerechtigkeit infrage Woche anschaut, und kommt zu der Idee, dass manche gestellt wird. sich darüber richtig freuen, dass die Migrationsdebatte endlich wieder da ist. Ich kann Ihnen sagen, die Migrati- Wir werden darauf achten müssen, dass wir bei allen onsdebatte war nie weg. Die Migrationsdebatte hat in un- Sozialdebatten, die zurzeit geführt werden, nicht genau serer Gesellschaft, in der Bevölkerung natürlich ständig dieses Grundprinzip der Generationengerechtigkeit ge- stattgefunden, und zwar zu Recht, weil wir noch große fährden. Es ist spannend, zu sehen, wie unterschiedlich in- Aufgaben haben, wenn es darum geht, die Herausforde- zwischen die Agenda 2010 bezüglich der Frage Hartz IV rungen der Migration zu bewältigen. Wir haben eine gan- diskutiert wird. Es gibt Vorschläge aus der vergangenen ze Menge von Fortschritten auf den Weg gebracht. Hier Woche, dass man statt Hartz IV, das man abschaffen denke ich an die AnKER-Zentren, an die Vorbereitung könnte, vielleicht ein bedingungsloses Grundeinkommen für das Fachkräftezuwanderungsgesetz, an das Aussetzen einführt. Robert Habeck als Vorsitzender der Grünen hat und Abschaffen des Familiennachzugs bei den subsidiär davon gesprochen, dass die Arbeitslosenversicherung in Geschützten und die Beschleunigung der Rückführun- Deutschland ein System der Demütigung sei – meine Da- gen. All das und vieles mehr sind der Auftrag und die men und Herren: ein System der Demütigung –, weil er Aufgabe, die wir gemeinsam weiterentwickeln wollen. der Meinung ist, dass man von Arbeitslosen nicht einfor- Ganz selbstverständlich müssen wir – auch in unserem dern kann, sich Arbeit zu suchen. ureigenen Interesse – auf internationaler Ebene die De- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: batte darüber führen, wie Migration in Zukunft gesteuert, (B) Das war nicht seine Begründung! Blödsinn! gelenkt und begrenzt werden soll. (D) Sie zitieren falsch! Wieder! Absichtlich!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol- Wo anders als auf internationaler Ebene können wir un- legen, das deutsche Arbeitslosensystem, das von Quali- sere Interessen bei der Migrationspolitik denn vertreten, fizierung für Arbeitsuchende spricht, das Hilfe und Un- meine Damen und Herren? terstützung bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt bietet, das Teilhabechancengesetz, das wir jetzt mit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 4 Milliarden Euro zusätzlich für Langzeitarbeitslose be- schlossen haben, um in einem regulären Job auch wieder Ja, wir beklagen, dass wir in der Vergangenheit eines Chancen auf Teilhabe in einem Arbeitsprozess zu haben der Hauptzielländer von illegaler Migration waren. Zu und dabei auch noch Unterstützung zu bekommen, Recht beklagen wir das, weil wir wissen, dass unsere Möglichkeit zur Integration eine Grenze hat, dass unser (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Reden Arbeitsmarkt, dass unsere Sozialsysteme, dass die kul- Sie mal mit den Betroffenen!) turelle Identität nicht grenzenlos zur Verfügung stehen. Das ist ganz selbstverständlich. Deswegen müssen wir damit man wieder in dieses Arbeitsleben eintreten kann, gerade auf internationaler Ebene darauf drängen, dass als ein System der Demütigung zu bezeichnen, ist an Ig- andere Länder sich dem Thema Migration stellen, so noranz kaum zu überbieten. wie auch wir dies tun. Andere Länder sollen sehen, dass (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der auch sie auf Dauer nicht darum herumkommen, dass sie FDP – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE für Migranten Gesundheitsleistungen zur Verfügung zu GRÜNEN]: Sie sollten seine Rede noch mal stellen haben, dass sie dafür sorgen müssen, dass Papiere lesen!) zur Verfügung stehen, dass sie dafür sorgen müssen, dass es Registrierungen gibt, dass Grenzen geschützt werden Ich kann Ihnen sagen, ein funktionierender Arbeits- müssen und dass Menschen von den Herkunftsländern markt stärkt mehr den sozialen Zusammenhalt als eine zurückgenommen werden müssen. Ja, wenn wir das auf ständige Ausweitung der Sozialsysteme. Deswegen sei der Welt nicht verteidigen und formulieren, dann wer- der Hinweis erlaubt, dass die Agenda 2010 aus unserer den wir die Migrationsdebatte international nie zu einem Sicht eines der größten sozialpolitischen Projekte der Besseren wenden, als sie heute ist, meine Damen und letzten Jahrzehnte ist. Wir haben damit mehr Beschäf- Herren. tigung geschaffen als zuvor. Es sind Erfolge, Menschen aus der Arbeitslosigkeit durch „Fördern und Fordern“ in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den Arbeitsmarkt hineinzubringen. Deswegen rate ich ordneten der SPD) 7324 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Alexander Dobrindt (A) Deswegen bleibe ich dabei: Wir wollen diese Debatten Woche den Haushalt für das kommende Jahr 2019 vor. (C) und Gespräche international führen. Dafür ist die Ebe- Liebe Bundesregierung, Sie wollen 357 Milliarden Euro ne der Vereinten Nationen eine richtige. Ich kann nicht ausgeben – wieder einmal der größte je in diesem Hause verstehen, dass kritisiert wird, dass man diese Gespräche verabschiedete Haushalt. international führt. Es ist nicht jeder Satz, der in einem Papier geschrieben wird, automatisch ein Satz, den wir Da die Ausgaben seit dem Beginn Ihrer Kanzlerschaft, uns selber zu 100 Prozent zu eigen machen würden. Aber Frau Merkel, im Jahr 2005 von damals 260 Milliarden dass die Dinge, die uns in besonderem Maße interessie- Euro jährlich stetig gestiegen sind, lassen Sie uns auf ren, auch im Global Compact adressiert sind, ist Teil der das Ergebnis Ihrer Politik blicken und feststellen, ob es richtigen Beurteilung. Ich verstehe nicht, warum man Deutschland und Europa, das manche als die Lösung al- diese Elemente – stärkerer Grenzschutz, Rückführungen, ler Probleme herbeibeten, tatsächlich politisch und wirt- Zugang zu Gesundheitsleistungen, anderer Umgang mit schaftlich besser geht als vor Ihrem Regierungsantritt. Migranten in den Transitländern und vor allem die Ver- Frau Merkel, es tut mir leid, das zu sagen, aber Sie antwortung der Herkunftsländer, dafür zu sorgen, dass sind eine Kanzlerin der Stagnation. In 13 Jahren Ihrer sich nicht so viele Menschen auf den Weg raus aus diesen Regierung haben Sie nicht annähernd eine Idee für die Ländern machen – jetzt kritisiert. Das kann ich nicht ver- Lösung der Rentenfrage entwickelt. stehen. Glauben Sie denn, dass, wenn sich in diesen Län- dern die Situation nicht verbessert, weniger Menschen zu (Ulli Nissen [SPD]: Aber die haben Sie, oder uns kommen? Es werden mehr kommen, und deswegen was?) haben wir Interesse daran, dass sich das verändert. Aber Ihre angeblich alternativlose Euro-Rettung hat zum (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ungebremsten Gelddrucken der EZB, zu Negativzinsen ordneten der SPD und der FDP) und zum Verfall des Kapitalvermögens von Millionen Wir haben natürlich alle eine Verantwortung, diese Sparern geführt. Der Steuerzuschuss zur Rentenkasse Debatte zu führen. Jetzt kenne ich alle Argumente, die da steigt mit jedem Jahr und nähert sich unaufhaltsam der vorgetragen werden. Ich kann nur dazu raten, dass man, 100‑Milliarden-Euro-Marke. wenn man über internationale Vereinbarungen redet, nicht einfach das Gefühl vermittelt, dass wir auf inter- Anstatt Ludwig Erhards Erfolgsmodell der sozialen nationaler Ebene überhaupt kein Mitspracherecht haben Marktwirtschaft wiederzubeleben, feiert die Große Ko- alition die Überwachung von Unternehmern durch Tau- (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau so ist sende Zollbeamte und einen Mindestlohn, von dem der es!) Staat fast 40 Prozent in Form von Abgaben selbst ein- (B) (D) und von den anderen auch so behandelt werden. Die Wahr- behält. heit auf internationaler Ebene war bisher immer eine an- Deutschland hat seine Vorreiterrolle bei Innovationen dere. Deswegen ist auch die Panikmache davor, dass wir und Erfindungen lange eingebüßt. Die USA und Länder in Gesprächen sind, völlig falsch, und damit meine ich in Asien haben uns längst den Rang in Fragen der Digita- die Panikmachen von Rechtsaußen wie Linksaußen. Zu lisierung, beim Ausbau von Breitbandnetzen und bei der glauben, wenn wir uns auf internationaler Ebene unter- Verkehrsinfrastruktur abgelaufen. Der Exportschlager halten, es würden dann Millionen von Menschen auf den Bildungssystem wurde in einer Folge von Experimenten Weg geschickt werden und zu uns kommen, ist genauso geschwächt, unsere Universitäten europäisch egalisiert. falsch wie der Hinweis von der grünen Seite, der auch nichts anderes tut, als Menschen zu verunsichern, indem Die Europäische Union befindet sich durch die wei- behauptet wird, wenn man einen Compact auf UN-Ebene ter schwelende Euro-Krise, wie wir alle wissen, nah am hat, würde das in die nationale Gesetzgebung eingreifen. Rande eines Zusammenbruchs, und der Brexit zeigt, dass Hören Sie doch auf, diese Falschheiten zu erzählen! Wie langfristig nicht Großbritannien, sondern vor allem deut- wir Migrationspolitik gestalten, entscheiden wir hier im sche und europäische Unternehmer das größte Interesse Deutschen Bundestag, nirgendwo anders. Hier werden an normalen Wirtschaftsbeziehungen außerhalb der EU die Gesetze dafür gemacht, und wir bleiben dabei, dass haben müssen. wir die Migration steuern und begrenzen wollen. Das ist die Wahrheit, und so setzen wir auch diesen Pakt um. Frau Merkel, Sie sind eine Kanzlerin der Isolation. Ihr Verzicht auf den Schutz deutscher Grenzen vor illegaler Danke schön. Migration und die damit verbundene Sogwirkung nach (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Afrika und in den Mittleren Osten haben die Axt an das Andrea Nahles [SPD]) freiheitliche Europa von Adenauer und de Gaulle gelegt. Sie haben nicht im Sinne Europas gehandelt, Sie haben Vizepräsident Thomas Oppermann: sich für kindliche Naivität statt für staatsmännische Ver- nunft entschieden, und Sie haben nichts daraus gelernt. Nächste Rednerin ist die fraktionslose Abgeordnete Der Versuch, den Migrationspakt und den Flüchtlings- Dr. Frauke Petry. pakt ohne breite Debatte – denn es gab sie bisher außer- halb dieses Hauses nicht – zu verabschieden, wird ge- Dr. Frauke Petry (fraktionslos): sellschaftlich scheitern. Sie werden es zwar persönlich Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen vielleicht nicht ausbaden müssen, aber die Bürger und und Herren! Die Bundesregierung legt uns in dieser Steuerzahler. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7325

Dr. Frauke Petry (A) Ihre einsame Entscheidung, die gemeinsame europäi- etwas tun, was ich in den letzten 20 Jahren im Deutschen (C) sche Energiepolitik durch die Energiewende ins Wanken Bundestag nicht getan habe: zu bringen, ist das Gegenteil faktenbasierten Handelns. Weil diese Energiepolitik wirtschaftlich unsinnig und auf (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Dauer unbezahlbar ist, haben Sie in grüner Manier auf CDU loben!) Gefühl statt Wissenschaft gesetzt und sind mit tatkräfti- Ich muss Frau Merkel loben. ger Unterstützung der linken Parlamentsseite dabei, dem Industriestandort Deutschland sprichwörtlich den Hahn (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oh!) zuzudrehen, insbesondere dem Mittelstand und Milli- Ich glaube, Sie hat wirklich eine sehr gute Rede gehalten. onen Autofahrern. Diese Entwicklung macht auch vor Frankreich inzwischen nicht mehr halt, aber Ihr politi- (Beifall der Abg. scher Freund Macron erlebt wenigstens gerade sein gel- [CDU/CSU]) bes Wunder auf Frankreichs Straßen. Sie hat all das, was wir in den letzten Jahren getan ha- Frau Merkel, Sie sind auch eine Kanzlerin der falschen ben, eingeordnet. Sie hat ihrer eigenen Fraktion gesagt, Freunde. Ihre Regierung hofiert den türkischen Despoten in welche Richtung es gehen soll. Sie hat es für euch auch Erdogan. Sie fallen dem Garant europäischen Friedens, eingeordnet. den USA, in den Rücken und ziehen Geschäfte mit dem (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das braucht Mullah-Regime im Iran der Sicherheit Israels vor, für die sie bei uns gar nicht!) Sie persönlich einmal garantiert haben. Unsere Vertreter bei den Vereinten Nationen stimmen in wenigen Stunden Auch der Kollege Spahn hat, glaube ich, etwas gelernt. achtmal gegen die Interessen Israels. (Beifall der Abg. Elisabeth Motschmann Sie lassen sich, getrieben von SPD und Macron, da- [CDU/CSU] und Steffi Lemke [BÜND- rauf ein, gemeinsame Sozialversicherungen und ein Eu- NIS 90/DIE GRÜNEN]) ro-Zonen-Budget einzuführen, und verlagern damit wei- Frau Merkel, ich habe Sie das erste Mal in meinem par- tere strukturelle und finanzielle Macht an die Brüsseler lamentarischen Leben gelobt. Ihre Rede war großartig. Kommission, also weg von der Kontrolle des Souveräns Ich glaube, Ihre Einsortierung war gut. Ich hoffe, Ihr Ge- und des Steuerzahlers. sundheitsminister hat etwas gelernt. Bei all diesen faktischen Fehlschlägen brüsten Sie (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er sich mit christlicher Ethik, werfen aber das christliche wird klüger mit der Zeit!) (B) Menschenbild über Bord, wenn es gilt, die Ehe vor ideo- (D) logischen Experimenten à la Gender, also die Ehe von Ich hoffe, Ihre Fraktion hat etwas gelernt. Ich jedenfalls Mann und Frau, zu schützen. kam aus dem Klatschen nicht wieder raus. Es war eine wirklich gute und große Rede. Gerade als Naturwissenschaftlerin hätten Sie die De- batte über den Diesel auf die Sachebene holen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Stattdessen haben Sie den grünen Autofeinden freien CDU/CSU – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Lauf gelassen. Wollen Sie nicht gleich beitreten bei uns? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an die Ihre Politik ist eine, in der Gesinnung statt Verant- SPD gewandt: Jetzt klatschen Sie auch mal bei wortung, Gefühl statt Wissenschaft, Glaube statt Wissen uns! – Zurufe von der AfD) dominiert haben. Es wird unsere Aufgabe sein, Freiheit, Für die, die jetzt am rechten Rand hier wieder rumbrül- Verantwortung und Wettbewerb als Prinzipien unserer len, möchte ich einfach nur feststellen: Frau Weidel hat Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung wiederzubeleben. zwölf Minuten erklärt, warum das mit ihrem Schwarz- Aber seien Sie unbesorgt: Ohne Sie schaffen wir das! geld und mit ihren Sponsoren aus dem Ausland nicht so (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schlimm war und warum das nicht illegal ist. NEN]: Na ja, vor allem Sie! – Martin Schulz (Jürgen Braun [AfD]: Wo ist eigentlich Ihr [SPD]: Das ist ja donnernder Beifall! – Kersten Freund Edathy?) Steinke [DIE LINKE]: Ohne Sie auch!) Was sie leider vergessen hat zu erwähnen, ist, wer ge- spendet hat: Wer steckt dahinter? Wer hat das Geld ge- Vizepräsident Thomas Oppermann: geben? Nächster Redner ist für die SPD der Kollege Johannes (Ulli Nissen [SPD]: Genau! – Jürgen Braun Kahrs. [AfD]: Wo ist Ihr Edathy, Herr Kahrs?) (Beifall bei der SPD) Herr Gauland, Sie müssen ein bisschen aufpassen. Ich kenne Ihre Partei ein bisschen. Sie hatten mal einen Vor- sitzenden Lucke; der war eurokritisch. Rechts außen war (SPD): Johannes Kahrs Frau Petry; wir haben sie gerade gehört. Irgendwann war Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Frau Petry die Vorsitzende, und Sie, Herr Gauland, waren Kollegen! Ich muss heute an dieser Stelle das erste Mal rechts außen. Nach einer gewissen Zeit war Frau Petry 7326 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Johannes Kahrs (A) weg, und Herr Gauland ist nun in der Mitte, und Herr Berlin saniert wird. Der Bund gibt 330 Millionen Euro, (C) Höcke ist rechts außen. das Land Berlin gibt 330 Millionen Euro. Jedem, der dieses fantastische Museum und seinen Direktor, Herrn (Lachen des Abg. Michael Grosse-Brömer Vogel, noch nicht kennt, sei es empfohlen: Gehen Sie [CDU/CSU]) dort einfach mal rein. Wenn Herr Höcke aber irgendwann mal Ihre Partei führt, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wer ist dann rechts außen? Sie kriegen nur einen kleinen Teil zu sehen, aber das, was (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sie sehen, ist schon großartig. Wenn der Bund und wenn Dr. Alexander Gauland [AfD]: Herr Kahrs!) das Land Berlin damit durch sind, haben wir eines der Das ist wiederum eine Frage, die man mal ernsthaft dis- größten Häuser der Welt, das auch das, was im Bereich kutieren muss. der Naturkunde, im Bereich der Evolution, das, was diese Welt ausmacht und wegweisend ist, erhält. Ich plädiere Wenn wir auf die Sachebene zurückkehren, dann stel- und kämpfe dafür, dass wir das Museum weiterhin be- len wir fest, dass dieser Haushalt einer für die arbeiten- gleiten und es unterstützen. den Menschen in diesem Land ist, für bezahlbare Woh- nungen, für mehr Geld für Pflege, für Kinder, für alle, die Es gibt noch andere Bereiche, die mir sehr am Her- Steuern zahlen. Ich glaube, das ist ja in den ganzen Re- zen liegen. Am Rande sei einem Sozialdemokraten und den, auch in den letzten Tagen, deutlich geworden: dass Oberst der Reserve erlaubt, zu erwähnen, dass es mich das etwas ist, was wir alle unterstützen und was diese freut, dass wir im Etat des Verteidigungsministeriums Große Koalition sehr sachlich, sehr vernünftig aufgebaut rund 19 Millionen Euro für die Sanierung des Deutschen hat. Panzermuseums in Munster Wenn man es sich weiterhin anschaut, dann stellt man (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr gute fest: Es ist so, dass wir in diesem Haushalt aber auch viel Sache!) für den Bereich Kultur getan haben. Da ich der zuständi- und rund 11 Millionen Euro für das Deutsche Marine- ge Berichterstatter bin, erlauben Sie mir die Bemerkung: museum in Wilhelmshaven ausgeben. Das ist eine gute Frau Grütters, ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen Sache. Das ist ein guter Haushalt. Vielen Dank, Kollege für die gute Zusammenarbeit bedanken. Wir haben als Rehberg. Haushälter in den Kulturbereich sehr viel mehr inves- tiert. Wir haben 120 Millionen Euro mehr für Kultur zur (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Verfügung gestellt. Der Kulturetat steigt insgesamt auf Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war mal eine gute Rede, Kahrs!) (B) circa 1,9 Milliarden Euro. (D) Wenn man sich das anguckt, sieht man: Es gibt einige wegweisende Projekte. Der Kollege Schneider hat sich Vizepräsident Thomas Oppermann: hier mit anderen stark dafür eingesetzt, dass wir eine Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin „Stiftung Mitteldeutsche Schlösser und Gärten“ für die Patricia Lips von der CDU/CSU. Länder Thüringen und Sachsen-Anhalt ins Leben rufen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, das ist Dr. [FDP]) sehr gut!) Ich glaube, das ist nicht zu unterschätzen. Patricia Lips (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Haus- (Zustimmung der Abg. Katrin Budde [SPD]) haltsberatungen sind sichtbar und hörbar eine ganz be- – Die Vorsitzende des Kulturausschusses nickt zurzeit sondere Zeit in den Parlamenten, und das nicht nur im sehr wohlwollend. Vielen Dank. Deutschen Bundestag. Oft sind sie begleitet von Lei- denschaft und Temperament. Traditionell wird dies, wie Das heißt im Ergebnis: Wir geben Geld, damit dort heute Vormittag, bei der Beratung des Kanzleretats be- eine Stiftung zusammen mit den Ländern gegründet wer- sonders erlebbar. Eine solche Generaldebatte ist gut, tut den kann, mit der man strukturell das, was wir an histori- gut und ist auch wichtig. Aber nichtsdestotrotz: Am Ende schem Erbe in diesen Ländern haben, erhalten kann. Die beschließen wir einen Etat – nachher sogar namentlich –, Länder tun das zusammen mit dem Bund. und zum Kanzleretat gehört – der Kollege Kahrs hat den Wir haben uns verpflichtet, dass, wenn es diese Stif- Schlenker schon angedeutet – neben den bereits genann- tung gibt, wir für Personal und Betriebskosten einstehen, ten Bereichen auch das wunderbare Thema Kultur in all zumindest zur Hälfte, wie sich das gehört. Das ist eine ihren Facetten. Ausnahme, das ist eine gute Sache. Ich finde es gut, dass „20 Jahre im Bund mit der Kultur“, so lautet im Jubi- wir Sozialdemokraten, die wir in beiden Ländern regie- läumsjahr das Motto des Staatsministeriums für Kultur ren, das entsprechend unterstützen. und Medien. Kulturpolitik ist ein wortwörtlich unüber- sehbarer Teil der Arbeit im Kanzleramt. Dies gilt auch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) für die Zahlen. Es stimmt: Das Primat der Kulturpolitik Auch wenn das den Kulturbereich nicht direkt betrifft, liegt grundsätzlich bei den Bundesländern. Gleichwohl aber trotzdem mit dazugehört, ist es so, dass wir uns stark hat sich der Bund in diesen 20 Jahren kontinuierlich zu dafür engagiert haben, dass das Naturkundemuseum in einem wichtigen Akteur in diesem Bereich entwickelt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7327

Patricia Lips (A) Heute sind wir stolz auf eine engagierte und national wie ber vor Ort auf große Emotionen stieß und symbolhaft (C) international sichtbare Kulturpolitik des Bundes. Sie ist mit diesem Tag in Verbindung gebracht wurde. uns in diesem Haushalt knapp 1,9 Milliarden Euro wert und stellt einen echten Mehrwert für unser Land dar. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Darüber hinaus gibt es natürlich noch das große bauli- che Erbe, das weit in die ländlichen Räume hineinreicht Unsere Museen, die Kunst, Musik, das Theater, der und von der sehr wechselvollen Geschichte unseres Lan- Film – jeder behauptet seine Nische mit der erforderli- des berichtet. Rund 250 Projekte – so viele wie selten – chen Freiheit. Das führt zu Erfolg und bereichert unser können nun zusätzlich mit unserer Unterstützung saniert kulturelles Miteinander. und instandgesetzt werden. Ob es sich um das Schloss Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einige Marienburg in Niedersachsen handelt, die Kaiser-­ Stichpunkte nennen. Berlin ist das Schaufenster zur Welt, Wilhelm-Gedächtnis-Kirche hier, mitten in Berlin, das nicht nur in der politischen Wahrnehmung. Deshalb ge- Kloster Corvey in Höxter, den Dom in Brandenburg an hört eine entsprechende Förderung der Hauptstadtkultur der Havel oder das Münster in Radolfzell und vieles an- unstreitig dazu. Menschen aus aller Welt kommen hier- dere mehr – der Bund trägt seinen Beitrag dazu bei, dass her und haben ihre ganz eigenen Erwartungen an ihren diese einmaligen Bauten bewahrt werden und damit un- Besuch. Ein weiteres Highlight erwartet sie nun: Die Sil- mittelbar vor Ort identitätsstiftend wirken. houette des ehemaligen Stadtschlosses prägt nach rund 70 Jahren wieder das Stadtbild. Zusätzliche 29 Millionen Dazu kommen die vielen kleineren Einrichtungen, die Euro fließen in die Förderung des neuen Humboldt Fo- über das Sonderprogramm zum Denkmalschutz geför- rums. Wir freuen uns über das kulturelle und architekto- dert werden. Sie werden von Vereinen, Verbänden, Kir- nische Projekt auf Weltniveau. chengemeinden usw. vor Ort betreut und mit Projekten am Leben gehalten. Genau diese Menschen freuen sich, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wenn ihr Einsatz sichtbar Unterstützung erfährt. Für das kommende Jahr haben wir dafür 40 Millionen Euro ein- Einen großen Aufwuchs erfährt ebenso der Etat des gestellt. deutschen Auslandsrundfunks „Deutsche Welle“. Es ist der größte Einzelposten in diesem Etat überhaupt. Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) meinsam mit anderen starken Playern in Europa muss auch unser Land eine Stimme der Freiheit und der De- Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas anspre- (B) mokratie in der Welt bleiben. chen. Es gibt Menschen – dafür kann man Verständnis (D) haben –, die bei der Bekanntgabe, bei der Veröffentli- (Beifall der Abg. Elisabeth Motschmann chung von Projekten im kulturellen Bereich anmerken – [CDU/CSU]) manchmal kritisieren sie auch deutlich –, ob das Geld Das ist eine ganz zentrale Aufgabe unserer nationalen nicht besser in anderen Bereichen aufgehoben wäre, im Kulturpolitik. Dies gilt umso mehr angesichts internati- Kitabereich, bei der Schulsanierung, im Straßenbau und onaler Krisen und Einschränkungen der Meinungs- und vielen anderen Bereichen mehr. Damit sei den Menschen Medienvielfalt in vielen Ländern dieser Erde. mehr geholfen. Sie fragen, wofür man denn das andere alles im Alltag brauche. Kolleginnen und Kollegen, ja, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und diese Frage kann man stellen, und ganz sicher sind alle der FDP) anderen Dinge ebenfalls sehr, sehr wichtig. Aber Kultur in ihrer Vielfalt ist der Kitt, der eine Gesellschaft zusam- Ein weiteres wichtiges Thema in diesem Haushalt ist menhält, Identität stiftet und vor allen Dingen auch Men- die Erinnerungskultur. Wir setzen uns in weiten Teilen schen verbindet. damit auseinander, ob das nun zusätzliche Mittel zur Aufarbeitung der SED-Diktatur betrifft, das kulturelle (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Erbe der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen oder die Dr. [SPD]) Unterstützung bei der Bewahrung jüdischen Erbes. Kultur ist ein wichtiger Bildungsfaktor, berichtet von Kolleginnen und Kollegen, die abschließende Sitzung unserer Vergangenheit und gestaltet unsere Zukunft, und zum Haushalt im zuständigen Ausschuss fand am Vor- hin und wieder lässt sie uns für eine begrenzte Zeit den abend des 9. November statt. Viele nennen diesen Tag Alltag vergessen. Für all dies lohnt sich der Einsatz al- den Schicksalstag unseres Landes. So erinnern wir all- lemal, und wir sollten das eine nicht gegen das andere jährlich zu Recht an die Reichspogromnacht. ausspielen. (Beifall der Abg. Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]) Deshalb geht mein ganz herzlicher Dank an die Kol- leginnen und Kollegen im Ausschuss für die gute Debat- Der Termin der Ausschusssitzung jedoch war Zufall. Ein tenkultur, die dort vorherrscht, insbesondere natürlich Thema in dieser Sitzung war die Synagoge in München, an den Koalitionspartner und auch von meiner Seite die nun mithilfe des Bundes saniert werden kann. Es be- an Staatsministerin Monika Grütters und ihr gesamtes rührt einen sehr, wenn man als zuständige Berichterstat- Team. – Das sind auch für euch immer Hochzeiten. Das terin erfährt, dass die Mitteilung darüber am 9. Novem- wissen wir zu schätzen. 7328 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Patricia Lips (A) Kolleginnen und Kollegen, nach dem Haushalt ist vor in der Zeit der schwarz-gelben Regierung, die man auch (C) dem Haushalt. Ich freue mich bereits jetzt auf das kom- deutlich erkennen kann. Hören Sie gut zu, liebe Kollegen mende Jahr. und Kolleginnen von der FDP; Sie haben sich in der Zeit entwicklungspolitisch wirklich nicht mit Ruhm bekle- Vielen Dank. ckert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der SPD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wieso geht es mit der SPD jetzt ab- wärts?) Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die SPD die Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2016 haben wir es Kollegin Sonja Amalie Steffen. sogar geschafft, die ODA-Quote auf fast 0,7 Prozent zu erhöhen; aber dies war auch dem Umstand zu verdan- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ken – und das sollte man an dieser Stelle auch sagen –, der CDU/CSU) dass wir die Flüchtlingskosten im Inland zur ODA-Quo- te hinzugerechnet haben. Das war zwar keine Schönfär- Sonja Amalie Steffen (SPD): berei – das war ein legaler Vorgang –; aber es ist eben Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und so: Die Mittel für die Flüchtlinge im Inland tragen nicht Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! In der Po- dazu bei, dass wir Fluchtursachen bekämpfen und zur litik und besonders im Haushaltsausschuss wird viel über Entwicklung in armen Ländern beitragen. Deshalb rech- Quoten geredet: Geschlechterquote, Verteidigungsquote, nen wir jetzt, im Haushalt 2019, die Flüchtlingskosten im Wissenschaftsquote und ODA-Quote. Es werden immer Inland nicht mehr zur ODA-Quote hinzu. wieder Stimmen laut, die den Sinn der ODA-Quote an­ zweifeln, auch im Haushaltsausschuss. Ich möchte meine Wir sind im September in die Haushaltsberatungen Redezeit dazu nutzen, Sie alle von der Wichtigkeit und gegangen mit einem Etat für die Entwicklungszusam- der Bedeutung der ODA-Quote zu überzeugen. menarbeit in Höhe von 9,725 Milliarden Euro. Das ist nicht wenig. Aber all diejenigen, die sich eben auch Sor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen gemacht haben darum, dass die ODA-Quote wieder sinkt – sie haben sich an dieser Stelle große Sorgen ge- Tatsächlich hat sich Deutschland 1972 international macht –, haben in der Debatte bei der Einbringung schon verpflichtet, den Anteil der öffentlichen Ausgaben für gesagt, dass sie versuchen wollen, die ODA-Quote im Entwicklungszusammenarbeit am Bruttonationalein- Laufe der Haushaltsberatungen zu erhöhen. Das Ergeb- kommen auf 0,7 Prozent zu steigern. Ich habe Ihnen – nis der Beratungen kann sich tatsächlich sehen lassen. (B) mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident – heute ein Schaubild (D) mitgebracht, auf dem die Entwicklung der ODA-Quote abbildet ist. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Die Rednerin hält ein Schaubild hoch) Frau Kollegin Steffen, gestatten Sie eine Zwischen- frage? Sie sehen: Es beginnt 1975. Sehr erstaunlich ist, dass die ODA-Quote bis 1982 ansteigt. Das war die Zeit, in der Deutschland von der SPD regiert wurde. Sonja Amalie Steffen (SPD): (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Nein, ich möchte keine Zwischenfragen zulassen. SPD) Wir haben dafür gesorgt, dass die Talfahrt der Ab 1982 – Minister Müller ist leider nicht anwesend; er ODA-Quote aufgehalten werden konnte; sie liegt aktuell würde das gar nicht gern hören – sinkt die ODA-Quote bei 0,51 Prozent. Schon die Bereinigungsvorlage sah eine kontinuierlich ab, und zwar bis 1998. Wissen Sie, was Erhöhung von 350 Millionen Euro vor. Der Vorsitzenden 1998 geschah? der SPD-Fraktion, Andrea Nahles, ist es dann gelungen, quasi auf den letzten Metern vor der abschließenden Be- (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Da ging es ratung des Haushalts 2019, noch einmal 350 Millionen mit Deutschland bergab!) Euro für die ODA-Quote mit unserem Koalitionspartner Die SPD kam wieder an die Regierung. herauszuverhandeln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Ulli Nissen [SPD]: 350 Millionen! So viel!) Seitdem – man sieht es hier – geht es mit der ODA-Quote Vielen Dank an dieser Stelle! wieder fast kontinuierlich bergauf. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Zeit zwischen 1998 und heute wurde unterbrochen, zunächst einmal von der Bankenkrise – das ist verständ- Diese Mittel, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir lich –, aber dann auch von der sogenannten Niebel-Delle im parlamentarischen Verfahren verteilt, nicht mit der Gießkanne, sondern mit Verstand. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) (Lachen des Abg. [AfD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7329

Sonja Amalie Steffen (A) Zum Abschluss möchte ich noch einmal die Frage hilft viel“, ein Erpressungsinstrument zur Ressourcenab- (C) stellen: Ist die ODA-Quote wichtig? Ja, sie ist wichtig. zweigung in die Dritte Welt, die man natürlich abhalten wollte und musste – was man nur mit mäßigem Erfolg (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Selbst- geschafft hat –, mit Moskau und China näher zusammen- verständlich!) zukommen? Das ist doch der Kern der Sache. Ohne die Einhaltung der ODA-Quote läuft die Politik schnell Gefahr, zu vergessen, dass wir neben den vielen Die ganze Diskussion wurde spätestens seit 2007 von anderen wichtigen Aufgaben auch bei uns im Land eine dem Ex-Weltbankökonomen William Easterly interna- internationale Verantwortung haben. tional geführt. 2007 fand auch eine große Konferenz in New York – veranstaltet von Intelligence Squared – (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Stephan statt. Zu 50 Jahren Entwicklungshilfe wurde dort gesagt: Thomae [FDP]: Wichtig ist, wie man reagiert, „… more harm than good“. Ich verrate kein Geheimnis: nicht, wie viel!) „It was more harm than good“ bedeutet: Es hat mehr Schaden angerichtet als Gutes bewirkt. – Die Tonnen­ Aber es ist nicht nur das. Wenn wir verhindern wollen, ideologie aus der Entwicklungshilfe muss also weg. dass die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt sich auf einen schweren Zu den anderen Aspekten, Glamour Aid, Gleneagles (Karsten Hilse [AfD]: Und teuren!) usw .: Bono und wie sie alle heißen wollen immer mehr Ressourcen transferieren, und oft tödlichen Weg machen, nach Europa, dann ist es nur vernünftig, sie in ihrer Heimat zu unterstützen – ab- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Muss gesehen davon, dass es unsere ethische Pflicht ist, Hilfe man sich so einen Unsinn anhören?) zu leisten. mit dem Ergebnis, dass damit in den Ländern der Dritten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Welt weder Marktwirtschaft noch Demokratie gefördert, sondern nur korrupte Strukturen, soweit vorher schon Herr Gauland, wenn jeder nur an sich denkt – Sie ha- vorhanden, zementiert oder erst geschaffen werden. ben das Bild vom Fenster und von der Heizung erwähnt, was ich wirklich erschreckend fand –, ersticken wir im (Johannes Kahrs [SPD]: Gucken Sie sich Nationalismus. Frau Weidel doch an!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Mit dem Geld kommt nämlich die Begehrlichkeit in die LINKEN) Welt, Die ODA-Quote ist also eine Art Mahnmal für uns, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) (D) sie ist mitunter anstrengend, sie hält uns einen Spiegel NEN]: Das scheint bei der AfD der Fall zu vors Gesicht, erst recht, wenn wir uns von unserem Ziel sein!) entfernen. Die ODA-Quote ist eine Art Notarztwagen, und so, wie der Endlostransfer innerhalb Europas mehr ein Notarztwagen für mehr Gerechtigkeit und vor allem Schädliches als Positives anrichtet, sofern er nicht De- zur Rettung vieler Menschenleben. Im Haushaltsentwurf mokratie und Marktwirtschaft fördert, richtet er erst recht war der Motor ins Stocken geraten. Wir haben das wieder in der Dritten Welt mehr Schaden als Gutes an. aufgefangen. Ich freue mich, dass die ODA-Quote wie- der Fahrt aufnimmt, Dieser Groschen muss doch endlich mal fallen. Es (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Das wird hier im Bundestag schlechter und dürftiger als an sind immer noch unter 0,5 Prozent!) einer mittelmäßigen Volkshochschule diskutiert, und das ist eine Schande. und hoffe darauf, dass sie auf die 0,7-Prozent-Marke zu- steuert. (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Wenn Sie reden, ja! – Dr. Dietmar Bartsch Vielen Dank. [DIE LINKE]: Ja, jetzt gerade!) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. [DIE LINKE]) Vizepräsident Thomas Oppermann: Jetzt müssen Sie aber mit der Kurzintervention zum Vizepräsident Thomas Oppermann: Schluss kommen. Für eine Kurzintervention hat sich der Abgeordnete Dr. Weyel von der AfD gemeldet. Dr. Harald Weyel (AfD): Ich bitte doch dringend um ein Umdenken, und sagen Dr. Harald Weyel (AfD): Sie mir: Wie wollen Sie den Wechsel von der Quantität in Frau Kollegin, ist Ihnen, Ihrer Fraktion und auch den die Qualität der Entwicklungshilfe schaffen? anderen außer der unsrigen jemals der Gedanke gekom- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: men, dass dieses UNCTAD-Ziel aus dem UNO-System Qualität Ihrer Frage wäre schön!) von 1972 – noch vor der ersten Erdölkrise, noch vor den Schlägen, die die Weltwirtschaft dann einstecken muss- te – einfach ein Ausfluss des Kalten Krieges ist, ein Aus- Vizepräsident Thomas Oppermann: fluss von Tonnenideologiedenken nach dem Motto „Viel Frau Steffen. 7330 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

(A) Sonja Amalie Steffen (SPD): ropäischen Kontext national zu handeln, bedeutet nicht, (C) Herr Kollege, bei Ihnen hätte weniger Quantität, weni- gegen jemanden, sondern für das eigene Land und damit ger Rededauer, vielleicht auch zu mehr Sinn und Zweck indirekt für alle zu handeln. Diesen Grundsatz sollten Sie beigetragen. sich wirklich mal zu Gemüte führen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der AfD) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In dieser Debatte erhalte ich aber manchmal den Ein- Beim Thema Korruption, denke ich, sollten Sie sich druck, Sie wollen Brüssel, weil Sie irgendwie spüren, an Ihre eigene Nase fassen und in Ihre eigene Fraktion dass Sie das Land an die Wand fahren, und es ist doch und vor allem direkt auf Ihre Vorsitzerin schauen. schön, wenn man die Verantwortung, die man eigent- lich für dieses Land und für die Bürger hat, dann an eine (Dr . Harald Weyel [AfD]: Das ist Zeitungs- EU-Ebene abgeben kann. Es ist doch schön, wenn man wissen!) nicht mehr verantwortlich ist. Zum gesamten Thema. Wie reaktionär Sie sind, merkt Herr Brinkhaus hat vorhin eine Diskussion darüber man schon daran, dass Sie immer noch „Entwicklungs- angefangen, ob Europa ein Kontinent oder eine Wertege- hilfe“ sagen. Es heißt „Entwicklungszusammenarbeit“. meinschaft ist. Ja, die europäischen Länder teilen Werte. (Dr. Harald Weyel [AfD]: Wortklauberei!) Sie wollen Frieden, sie wollen Handel, sie haben gemein- same christlich-jüdische Wurzeln. Die Verlagerung nati- Wir wollen mit den Staaten in Afrika zusammenarbei- onaler Schlüsselaufgaben weit weg von jeder demokrati- ten. schen Kontrolle ist aber kein solcher Wert. Das sollte Sie Im Übrigen: Alle sachlichen Dinge werden wir heute der Brexit lehren. Nachmittag besprechen, wenn wir über den Einzelplan (Beifall bei der AfD) reden, und ich bin sehr gespannt, wie Sie sich dann äu- ßern werden. Frau Merkel, liebe Mitglieder der Bundesregierung, übernehmen Sie endlich Verantwortung für diese Bür- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie ger, für unsere Bürger, für dieses Land, und verlagern Sie des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/ nichts sonst wohin. CSU] – Jörn König [AfD]: Sprechverbote!) Herzlichen Dank. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der AfD) Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete (B) Norbert Kleinwächter für die AfD. (D) Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der AfD) Als Nächste spricht die Kollegin Gitta Connemann für die Fraktion der CDU/CSU. Norbert Kleinwächter (AfD): (Beifall bei der CDU/CSU) Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine gute Sache muss man schon mal lobend erwähnen: Wir debattieren einen Bundeshaushalt. Gitta Connemann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kennen (Johannes Kahrs [SPD]: Hat Frau Weidel das Sie Weener oder Börger? Das sind zwei wunderbare Ge- verstanden?) meinden in meiner Heimat, völlig unterschiedlich. Aber Ja, die Regierung ist unkreativ. Sie verschwendet un- eines verbindet sie: die Königin der Instrumente. Denn in ser Geld für sinnlose Projekte und investiert viel zu we- beiden Orten stehen wunderbar historische Orgeln, deren nig in unsere Zukunft. Was aber verstörend an dieser De- Klang die Menschen seit Generationen begleitet, von der batte war, ist: Sie verweisen ständig auf die EU-Ebene. Taufe bis zur Trauerfeier. Das wurde wirklich deutlich. Viele Redner sprachen von Diese Orgeln sind in die Jahre gekommen – wie viele einer Lösung auf einer supranationalen Ebene, Macron ihrer Geschwister. Beide Kirchengemeinden wären mit fordert ein Euro-Zonenbudget, Sie, Frau Merkel, gewäh- der Sanierung heillos überfordert. Woher nehmen wir ren das mal eben leichtfertig. Aber wofür soll es denn bloß die Mittel? Diese Frage bereitete den Ehrenamtli- dienen? Das ist ein Topf, in den wieder die Gelder un- chen in Weener und Börger schlaflose Nächte. Bereite- serer Bürger abfließen. Neben den bereits gut 30 Milli- te; denn jetzt hilft der Bund, der Steuerzahler mit einer arden Euro im Jahr, die wir zahlen, geht immer mehr an Finanzspritze. Die Hälfte der Kosten sind gedeckt – aus irgendeine supranationale Ebene. Mitteln des Denkmalschutz-Sonderprogramms. (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider [Er- Meine Damen und Herren, dies und mehr beschließen furt] [SPD]: An wen denn? Das müssen Sie wir heute in dieser Haushaltsdebatte; wir, der Deutsche mal sagen!) Bundestag. Es ist die Stunde des Parlaments; denn am Wissen Sie eigentlich, warum uns Estland und Lett- Ende entscheiden wir, die Abgeordneten, wofür Steu- land in der Digitalisierung überflügeln? Während Sie auf ergelder ausgegeben werden. Dafür stehen wir in der Fonds aus Brüssel warten, nehmen die ihr Schicksal mal Verantwortung, vorneweg unsere Haushälterinnen und eben selbst in die Hand. Sie sollten mal begreifen: Im eu- Haushälter . Unsere Frau für die Kultur ist Patricia Lips. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7331

Gitta Connemann (A) Sie hat für uns diese Mammutaufgabe geschultert. Dafür Kinos kämpfen um ihre Existenz. Bezahldienste und Vi- (C) ein Riesendank an dich, liebe Patricia! deoplattformen im Netz lassen grüßen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen diese Kinos erhalten und stärken. Am Ende steht ein Rekordhaushalt. So viel wurde auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Bundesebene noch nie für die Kultur ausgegeben. Das ist der SPD) auch das Verdienst unserer Kulturstaatsministerin, liebe Monika Grütters. 1,9 Milliarden Euro, 1 900 Millionen Denn sie sind nicht nur Wirtschafts-, Begegnungs- oder Euro – und das für Kultur? Brauchen wir das wirklich? Kulturorte; für uns sind sie Sehnsuchtsorte. Deshalb ha- Unsere Antwort für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ben wir zusammen mit den Kollegen von der SPD da- lautet: Ja. Denn was wäre das Leben ohne Musik, ohne für gesorgt, dass eine vorgezogene Premiere dieses Pro- Kunst, Tanz, Film, Geschichte, Sprache? Es wäre grau, gramms stattfinden wird – ein Jahr früher als geplant. kalt und stumm. Für uns ist das ein erster Schritt. Der nächste muss Für uns ist Kultur ein Lebensmittel wie Wasser oder folgen. Wir erwarten, dass dieses Programm im nächsten Brot. Deshalb stärken wir die Kultur im ganzen Land, Haushaltsentwurf eine tragende Rolle spielen wird. übrigens nicht nur in der Hauptstadt, sondern eben auch in Weener und Börger oder aber Rostock und Bochum. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Rostock Doch nicht nur der Kinofilm ist erfolgreich. Deutsche ist gut!) Serien sind zum Exportschlager geworden. Mit dem Ger- man Motion Picture Fund fördern wir gezielt diese fil- Wir wissen: Wer Kultur für alle fordert, der muss auch mische Ausdrucksform. Die CDU/CSU-Bundestagsfrak- Kultur von allen fördern. Dabei gehen wir nicht mit der tion bekennt sich dazu. Deshalb freuen wir uns auch über Gießkanne durch das Land, sondern unser Maßstab ist die Zusage unserer Kulturstaatsministerin, die Mittel der die „nationale Bedeutsamkeit“. Aber kulturelle Spitzen- unterschiedlichen Filmfonds flexibel zu bewirtschaften. leistungen sind eben keine Frage der Größe eines Ortes. Denn die Erfolge von „Babylon Berlin“, „Charité“ oder Deshalb ist uns, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das „Ku’damm 56“ sprechen für sich. Diese Serien liefern Thema der Kultur in ländlichen Regionen so wichtig. uns eine neue Erzählsprache für Geschichte. Geschich- Liebe Elisabeth Motschmann, dies ist dir, es ist uns ein ten erzählen Geschichte, wie zum Beispiel auch die Serie Leidenschaftsthema. „Weissensee“. Sie macht den Alltag in der DDR genauso Ohne Frage: Es gibt bereits Ansätze, wie eben das erlebbar wie das Unrecht des SED-Regimes – auch für Denkmalschutz-Sonderprogramm, das Sanierung und diejenigen, die es damals nicht erlebten. (B) Restaurierung in der Fläche ermöglicht. Oder aber die (D) Kulturstiftung des Bundes: Sie hat die Bedeutung der Diese Erinnerung ist wichtig, meine Damen und Her- kulturellen Infrastruktur in ländlichen Räumen längst ren. In den nächsten beiden Jahren feiern wir zwei Er- erkannt und fördert zum Beispiel mit dem Programm eignisse, die unsere Geschichte maßgeblich verändert ­TRAFO in entsprechenden Modellregionen, vom Harz haben: 30 Jahre Mauerfall und die deutsche Einheit. bis zur Schwäbischen Alb. Bei aller Freude dürfen wir nicht vergessen: Für viele Oder aber die LandKULTUR des Bundesministeriums Menschen in der DDR führte die Wende auch zu einem für Ernährung und Landwirtschaft. Damit werden inno- Bruch ihrer Biografie. Sie mussten von Grund auf neu vative Kulturprojekte in ländlichen Räumen gefördert. anfangen. Von heute auf morgen wurden auch Lebensent- So entsteht zum Beispiel in Niedersachsen ein Orff-Zen- würfe entwertet. Aber das Ende der SED-Diktatur war trum, aber eben nicht in den Ballungszentren, sondern in vor allem eine Befreiung, insbesondere für die Opfer des Steenfelde in Ostfriesland; denn dort gibt es die Instru- SED-Unrechts. Allerdings wurde vielen das Ausmaß ih- mente, das Know-how und die Leidenschaft. Wir wün- rer Entrechtung erst nach der Wende klar, übrigens durch schen uns den Mut zur Dezentralität. Wieso soll ein Mu- den Blick in die Stasiakten. seum der Moderne zum Beispiel nicht auch in Bochum Deshalb müssen diese Akten erhalten und wiederher- stehen können? Eine Frage, die man sich stellen sollte. gestellt werden, soweit es möglich ist. Das ist für die (Beifall des Abg. [Kleinsaara] CDU/CSU-Bundestagsfraktion unverhandelbar. Denn es [CDU/CSU]) geht um Gerechtigkeit für die Opfer. Aber das ist nicht genug. Deswegen sind Teile der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Landmilliarde für die Kultur in ländlichen Regionen ein- geplant. Ab dem kommenden Jahr stehen dafür 10 Milli- Sie brauchen den Zugang dazu. Deshalb gibt es Stellen, onen Euro zur Verfügung. Wir erwarten dafür neue Ideen. um die Dokumente online zu stellen. So wird ein digita- Ganz klar: Alte Programme dürfen dafür nicht einfach les Schaufenster in das Archiv geschaffen, und wir schla- umlackiert werden. gen damit eine Brücke in die nächste Generation. Für diesen Aufbruch steht übrigens auch das neue Darum ist es uns übrigens auch so wichtig, die Opfer- „Zukunftsprogramm Kino“. Der deutsche Film hat in- verbände zu fördern. Gerade sie leisten einen unschätz- ternational wieder hohes Ansehen, übrigens auch dank baren Beitrag. Deshalb wollen wir ihren Stimmen mit unserer Filmförderung, die noch einmal erhöht wurde. dem Zeitzeugenportal „Glaube-Mut-Freiheit“ eine Platt- Aber der Film braucht das Kino, und gerade die kleinen form gegen das Vergessen geben. 7332 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Gitta Connemann (A) Denn am Ende geht es bei diesem Haushalt nicht al- Das Thema Orgel hatten wir – das wissen die Mitglieder (C) lein um Geld; es geht auch nicht nur um Signale. Es geht des Kulturausschusses – gemeinsam angeregt. am Ende um das Fundament, auf dem wir stehen, und das ist unsere Kultur. Auch bei diesen Projekten geht es meistens um kost- spielige, aber nur einmalige Bestandssicherungen und Herzlichen Dank. weniger um eine dauerhafte und nachhaltige Deckung der laufenden Ausgaben. Diese eher investive Förderung (Beifall bei der CDU/CSU) führt dazu, dass viele Einrichtungen weder langfristig planen noch sich um den fortlaufenden Erhalt ihrer Kul- Vizepräsident Thomas Oppermann: turstätte angemessen kümmern können. Dass diese Art Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege der Förderung grotesk ist, sieht man besonders deutlich Hartmut Ebbing für die FDP. zum Beispiel am Landschaftspark Dessau-Wörlitz. Hier werden zwar seit Jahren immer wieder Gebäude saniert (Beifall bei der FDP) und Gärten instand gesetzt, aber es fehlt das Geld für Per- sonal und zur Deckung der laufenden Kosten. Hartmut Ebbing (FDP): (Beifall bei der FDP) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- nen und Kollegen! Ich glaube, es war 11.50 Uhr, als der Eine zweckdienliche Förderung sieht für uns Freie De- Kollege Kahrs zum ersten Mal das Wort „Kultur“ in den mokraten etwas anders aus. Mund genommen hat. Zum Glück war es nicht fünf vor zwölf. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir würden das Geld nehmen wollen! Ich finde, Kultur ist ein Thema, das eigentlich so So ist das nicht!) wichtig ist, dass wir durchaus ein bisschen mehr Inhalt bringen dürfen und auch ein bisschen mehr Zeit dafür – Ja, prima. verwenden können. Denn Kultur ist letztendlich nicht Um unsere Kulturlandschaft dauerhaft zu erhalten, nur Alpha, sondern wahrscheinlich auch Omega der brauchen wir nicht nur eine nachhaltige Förderung und menschlichen Spezies. innovative Nutzungskonzepte. Vielmehr müssen wir An- Auf den ersten Blick sieht die Aufstockung des Kul- reize für mehr bürgerschaftliches Engagement schaffen. turhaushaltes natürlich toll aus. Was sagt uns der zweite Wie das erfolgreich funktionieren kann, sehen wir in Blick? Großbritannien. Hier leisten Institutionen wie der Land- mark Trust, die English Heritage oder der National Trust (B) (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Noch tol- seit Jahren hervorragende Arbeit als Bindeglied zwischen (D) ler!) staatlichem und bürgerschaftlichem Engagement. Was Die Große Koalition verteilt in großen Teilen wieder mal das angeht, müssen wir noch ein bisschen mehr machen. fröhlich Geld. Das kann sie gut. Aber wir haben auch (Beifall bei der FDP) strukturelle Defizite in der Kulturlandschaft, und diese gilt es zu beheben, und zwar mit neuen, innovativen Ide- Deutschland ist jedoch nicht das einzige Land, das hier en. Defizite aufweist. Daher sollten wir solche Konzepte, die die stärkere Verknüpfung von Bürgerschaft und Staat (Beifall bei der FDP) zum Ziel haben, nicht nur auf nationaler Ebene, sondern Um es klarzustellen: Geld fließt selbstverständlich auch auf europäischer Ebene entwickeln und vorantrei- auch an gute und für uns unterstützenwerte Projekte, wie ben. Wir als Freie Demokraten werden uns deshalb auch zum Beispiel an das Lindenau-Museum, ein Kleinod in auf europäischer Ebene für ein größeres bürgerschaftli- Altenburg in Thüringen – ches Engagement in der Kulturförderung einsetzen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja!) Vielen Dank. die meisten Skatbrüder werden es kennen –, die Gedenk- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten stätte in Buchenwald der CDU/CSU) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja!) Vizepräsident Thomas Oppermann: oder die Franckeschen Stiftungen in Halle. Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja!) der SPD die Vorsitzende des Kulturausschusses, Katrin Budde. Vor allem bei der Gedenkstätte in Buchenwald hätten wir uns eine deutlichere Aufstockung gewünscht. Die Freien (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Demokraten sind dennoch froh, dass die Große Koalition der CDU/CSU) einige unserer Anregungen aufgenommen hat und ihnen gefolgt ist. Katrin Budde (SPD): (Beifall bei der FDP – Carsten Schneider [Er- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegin- furt] [SPD]: Das ist ein bisschen dreist! Da nen und Kollegen! Kultur ist Gesellschaftspolitik. Kultur kommen wir schon selber drauf!) ist Spiegel ihrer Zeit und im Idealfall Vordenkerin. Kul- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7333

Katrin Budde (A) tur ist Teil der Generaldebatte. Das ist gut so, und das ist hier im Haus, wehren wir uns dagegen! Ohne Wertewan- (C) auch genau richtig so. del säßen wir nicht hier. Wir brauchen den Wertewandel. Kultur in Deutschland reicht vom Dreckschweinfest (Beifall bei Abgeordneten der SPD) im Mansfelder Land über Industriekultur, Oktoberfest, Lassen Sie mich eine Frage stellen: Ist Deutschland Bach, Goethe, Bauhaus bis Bayreuth und Wacken. Kultur als ein Land mit reicher Kultur und Geschichte und sind in Deutschland hat riesengroße regionale Unterschiede, seine Bürgerinnen und Bürger, sind wir immun gegen unterschiedliche traditionelle Wurzeln, aber auch große Verführung und Nationalismus übelster Art? Nein, sind gemeinsame Dichter, Denker, Vorfahren und Bewegun- wir nicht. Die 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts haben gen. Mancher Begriff, der heute wieder vermehrt ver- das gezeigt, und in vielen kulturreichen Nationen um uns wendet wird, gaukelt uns etwas vor und wird gezielt ein- herum und auch bei uns in Deutschland zeigt es sich auch gesetzt, um Stimmung zu machen. Ein solcher Begriff ist heute. Der kulturelle Firnis der Gesellschaft ist allzu oft die Kulturnation. Dieser Begriff stand immer und wurde sehr dünn. immer genutzt für Innerlichkeit, Weltabgewandtheit, La- gerdenken und vermeintliche gefühlsmäßige Tiefe, für Die Freiheit und die Möglichkeit, Kultur als Zukunfts- Ab- und Ausgrenzung, aber nicht für Freiheit der Kunst motor zu verstehen, müssen immer wieder verteidigt und der Kultur, nicht für Solidarität und nicht für Ge- werden. Genauso wie die Demokratie nur vom Mitma- rechtigkeit. Das muss Kulturpolitik heute umso mehr be- chen lebt, lebt auch Kultur nur vom Mitmachen und vom rücksichtigen, damit Sie und damit wir alle nicht in eine Blick nach vorn. falsche Richtung laufen und gucken, nämlich rückwärts- Haben wir, die wir im Deutschen Bundestag sitzen, gewandt. Das darf nicht sein. eine gemeinsame Kulturgeschichte? Jein. Wir haben Der Haushalt, der uns vorliegt, berücksichtigt diese Jahrzehnte gemeinsamer, aber auch Jahrzehnte trennen- Aufgabe auf vielfältige Art und Weise in den Einzel­ der Kulturgeschichte. Deutschland verdankt seinen Kul- etats – denn Kultur ist Querschnittsaufgabe –, aber auch turreichtum der Kleinstaaterei. im Haushalt der BKM. In einem demokratischen Staat ist Ich will als Ostdeutsche hier etwas sagen, was wei- Kulturpolitik deshalb keine Sache von oben, jedenfalls ter westlich Geborenen wahrscheinlich falsch ausgelegt nicht so, wie wir sie verstehen. Sie ist ein Teil unserer würde, wenn sie es sagen würden: 12 Jahre Nazidiktatur Gesellschaft und deshalb partizipatorisch, sie ist Teil der und im Anschluss 45 Jahre sogenannte Arbeiter-und-Bau- Zivilgesellschaft, und sie darf nicht zum Spielball des ern-Diktatur haben ganze Generationen in einer anti- Föderalismus werden. westlichen und antiliberalen Stimmung erzogen. Dort (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten war gelebte Realität, was einige heute wieder fordern: (B) der CDU/CSU) dass Kultur identitätsstiftend sein sollte und war, indem (D) der Staat bestimmt, was Identität ist und war. Das hat die SPD erkannt und deshalb den BKM vor 20 Jahren ins Leben gerufen. 20 Jahre – feiern wir den Ein kleiner Erklärungsversuch: Woher kommt diese Geburtstag! Das ist gut. Kooperativer Kulturföderalis- aggressive Ostalgie bei der selbsternannten Alternative? mus hat sich in den Jahren entwickelt, bildet sich im Herr Gauland, ich habe ein Zitat von Ihnen gefunden: In Haushalt ab, mit ganz vielen Programmen und zuneh- der DDR habe sich „ein altes Stück Deutschland erhalten, mend mit Programmen, die in die Fläche gehen. viel eigenständiger und traditioneller als in der westlich gefirnisten alten Bundesrepublik“. – Wohl wahr, da hatte Der nächste große Schritt wäre dann allerdings: Kul- sich etwas erhalten: Zensur von Theater und Kabarett. tur muss in die Verfassung: Aufheben des Kooperations- „Was Kunst ist, bestimmen wir.“ Das hat der Verband verbots nicht bloß bei der Bildung, sondern auch bei der Bildender Künstler meinem Vater gesagt. Kultur, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Fahnenappelle. Denunziationen. – Erkennen Sie das nicht nur Brosamen, sondern gemeinsame Verantwor- Muster heute wieder? tung, Daseinsvorsorge, eben Kultur für alle! So vielfältig (Beifall bei der SPD – Zuruf) Kultur ist, so sehr braucht sie Förderung auf allen Ebe- nen. – Nein, das war gelebte Realität – in der habe ich ge- lebt –, und das will ich nie wieder haben. Deutschland hat eine reiche Kulturlandschaft, in Stein und ideell – viele Zukunftsthemen sind von Deutschland (Karsten Hilse [AfD]: Das will niemand!) aus befördert worden –, und sie hat auch Tradition. Aber Das ist nicht billige Polemik. Tradition ist eben nur ein Teil der Kultur. Zukunftsgestal- tung, neue Akzente setzen, Wertewandel, das sind weit- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aus größere Ziele und Aufgaben. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren Abgeordnete, Kulturpoli- Wertewandel, das ist auch so ein Begriff, der heute tik heißt nicht Vorgaben machen, sondern Möglichkeiten wieder von einer gesellschaftlichen Strömung benutzt eröffnen. Unter „Möglichkeiten eröffnen“ gehört unter wird und mit dem versucht wird, Angst zu machen. Weh- anderem die Gleichstellung dazu, und die ist – das ist ren wir uns dagegen! Vor allen Dingen, meine Damen meine Kritik an diesem Haushalt insgesamt und auch an 7334 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Katrin Budde (A) dem der BKM – sehr unterrepräsentiert: 79 Prozent der Messlatte bei der Qualität deutlich höher hängen. Unsere (C) Expertinnen in TV-Informationen sind männlich. 90 Pro- Hoffnung ist, dass solche Erfolge mehr neuen Filmideen zent Männerquote bei Regie, Kamera und Produktion. und mehr Diversität den Weg ebnen. Das Rollenbild der Frau im Fernsehen entwickelt sich (Beifall bei der LINKEN) zurück. Deutschland ist Spitzenreiter bei sexualisierten Darstellungen von Mädchen und Frauen. Eine gute Fördermittelvergabe – so ist unsere Meinung – kann sich in epische Produktionen reinhängen und (Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) gleichzeitig gegen die Verdrängung kleiner Filme ange- Das muss sich ändern, meine Damen und Herren. Darauf hen; das muss einander nicht ausschließen. Sie fördert müssen wir in den nächsten Jahren einen Schwerpunkt auch Gerechtigkeit hinter der Kamera, demokratische legen. Ausspielwege und neue Kreativität auf der Leinwand. Hier ist noch Luft nach oben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zum Thema „Digitalisierung des Filmerbes“ haben Da fünf Minuten nur die Möglichkeit geben, das The- wir als Linksfraktion vieles gesagt und beantragt, damit ma anzureißen: Lassen Sie uns die eigentliche Debatte in das Filmerbe nicht verfällt. Die im Koalitionsvertrag ste- der Gesellschaft führen! Ich freue mich darauf. hende umfassende Digitalisierungsstrategie des Bundes (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten steht allerdings noch aus. Das Gleiche gilt für die Stär- der CDU/CSU) kung von Medienvielfalt und Medienkompetenz. Grundsätzlich fehlt es in diesem Einzelplan an me- Vizepräsident Thomas Oppermann: dienpolitischer Handschrift. Seit Erscheinen des letzten Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Doris Achelwilm Medien- und Kommunikationsberichtes 2008 – also vor für die Fraktion Die Linke. zehn Jahren – ist die Bundesregierung nicht aktiv ge- worden, ihre Medienpolitik zu aktualisieren. Die noch (Beifall bei der LINKEN) verbliebenen Zeitungsverlage stehen inzwischen unter hohem Konzentrationsdruck, die Pressevielfalt nimmt Doris Achelwilm (DIE LINKE): bedrohlich ab. Auf diese Regulierungsbedarfe muss end- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, lich auch politisch von hier aus reagiert werden. der Haushalt für Kultur und Medien ist in den letzten Jah- (Beifall bei der LINKEN) ren klar gewachsen, aber Masse allein ist auch hier nicht alles. Es kommt auf die Verteilung an, auf die strukturel- Die Aufstockung der Mittel für technische Investi- tionen bei der Deutschen Welle wird von uns begrüßt. (B) len und inhaltlichen Botschaften und Prioritäten, und da (D) wollen wir als Linke etwa im Bereich der Filmförderung Wir appellieren aber auch mit Nachdruck dafür, dass mehr Vielfalt und mehr Unterstützung auch für mutige die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses Inhalte. ebenfalls eine gute Zukunftsperspektive und wieder reel- le Chancen auf Planstellen haben. (Beifall bei der LINKEN – Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Linke Inhalte!) (Beifall bei der LINKEN) Das System der Fördermittelvergabe macht es den Zum Medienstrukturwandel sollte die Bundesregie- jungen oder weiblichen Filmschaffenden oder auch au- rung deutlich machen, wie sie ihn gestalten will. Der di- ßergewöhnlichen Stoffen nach wie vor nicht leicht. Die gitale Wandel wartet nicht. Diese Erkenntnis muss auch Filmförderpraxis ist zu intransparent und führt oft zum im Haushalt für Kultur und Medien ankommen. künstlerisch weichgespülten deutschen Gremienfilm. Vielen Dank. Höchstens ein Fünftel der Fördermittel gehen an Filme, in denen Frauen für Regie, Kamera oder Drehbuch ver- (Beifall bei der LINKEN) antwortlich sind – ein Fünftel! Auch hier, würde ich mal behaupten, braucht es gerechtere Verhältnisse. Dieses Vizepräsident Thomas Oppermann: Missverhältnis darf so nicht bleiben. Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Es ist wichtig, dass Verbände wie Pro Quote Film Bündnis 90/Die Grünen Tabea Rößner. diese Schieflage bekannt gemacht haben. Dass eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gleichstellungsstrategie trotzdem auf sich warten lässt, enttäuscht umso mehr. Der Ende 2016 initiierte Runde Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Tisch für Frauen in Kultur und Medien hat sich die pari- tätische Besetzung von Gremien sowie die Verbesserung Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun- der sozialen Lage von Künstlerinnen und Künstlern auf deskanzlerin, Sie haben Ihre Digitalklausur vergangene die Fahnen geschrieben; aber ein Projektbüro mit einem Woche angesprochen. Ganz stolz haben Sie da eine Um- Budget von gerade mal 300 000 Euro bringt eben nicht setzungsstrategie zur Digitalisierung präsentiert. Aber in den erwünschten Durchbruch an dieser Stelle. den Medien gab es keine Begeisterungsstürme. Warum nicht? Ich sage Ihnen, warum. Bei dieser Strategie fehlt (Beifall bei der LINKEN) Ihnen nämlich der Blick fürs Ganze. Doch dieser wäre dringend notwendig. Eine beachtliche Entwicklung sind tatsächlich Serien- produktionen wie „Dark“ oder „Babylon Berlin“, die die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7335

Tabea Rößner (A) Die Umsetzungsstrategie ist nicht mehr als ein Sam- Das haben Sie leider abgelehnt, dabei wäre das mal ein (C) melsurium an Willensbekundungen. Aber erstens kann neuer Ansatz. Vielleicht greifen Sie das ja für den nächs- man sich davon nichts kaufen; ich denke da an die leid- ten Haushalt auf. volle Geschichte des Breitbandausbaus. Auch jetzt ist Vielen Dank. das Kapitel zum wichtigsten Infrastrukturprojekt äußerst ­schmal – wie auch das Budget. Und zweitens fehlt einfach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die übergeordnete Vision. Sie müssten viel konsequenter von der Zukunft her denken und die Strategie danach aus- Vizepräsident Thomas Oppermann: richten. Aber genau das fehlt. Und das ist wieder eine ver- Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der tane Chance für den Zukunftsstandort Deutschland. SPD ist der Kollege Jens Zimmermann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Nehmen wir die Ökologie. Uns alle treibt die Klima- krise um, aber in Ihrer Strategie lassen Sie die Potenzi- Dr. Jens Zimmermann (SPD): ale der Digitalisierung für den Klimaschutz völlig außer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue Acht. Wären Sie vergangenes Wochenende mal besser an mich, dass wir hier im Rahmen der Generalaussprache die TU Berlin gegangen, zur Konferenz „Bits und Bäu- eine Digitaldebatte führen; denn das, was beim Thema me“. Dort haben sich über 1 500 Menschen Gedanken Digitalisierung in den letzten Monaten in Deutschland gemacht, die Sie sich eigentlich machen müssten, näm- passiert ist, kann sich wirklich sehen lassen. lich wie man die Digitalisierung ökologisch gestalten und für nachhaltiges Wirtschaften nutzen kann. Da hätten Es gibt ja viele Kritikerinnen und Kritiker – eine Sie tatsächlich einiges lernen können. haben wir eben gehört –, die sagen: Es geht alles nicht schnell genug; das hätten wir alles schon gestern machen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) können. Immerhin wollen Sie prüfen, wie man algorithmenba- (Zuruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ sierte Entscheidungen auf mögliche Diskriminierungen DIE GRÜNEN]) überprüfbar machen kann. Aber: Warum erst jetzt? Seit Jahren gibt es diese Forderung, und übrigens auch Vor- Ich empfehle an der Stelle, doch mal zu schauen, was um schläge. Aber jetzt wollen Sie prüfen. Das nenne ich mal uns herum in Europa gerade so passiert. einen echten Fortschritt. Während in Potsdam am letzten Mittwoch das Digital- Leerstellen gibt es bei den Themen Urheberrecht, kabinett getagt hat, hat in London das britische Kabinett (B) Netzneutralität oder Informationsfreiheit. Wenn man Ihre getagt und ist beinahe auseinandergefallen. In Großbri- (D) Strategie mal mit Ihrem Koalitionsvertrag vergleicht, tannien hat man überhaupt keine Zeit, sich Gedanken stellt man fest, dass noch viel mehr fehlt: Open Data, über Digitalisierung zu machen. In Italien, auch ein E-Government, OER, Verschlüsselung und Sicherheit, G-7-Mitgliedsland, geht es momentan um einen populis- eSport und viele angekündigte Verbraucherschutzinitiati- tischen Haushalt. Kein Mensch erkennt darin irgendwas ven. Sind Ihnen Ihre eigenen Schwerpunkte eigentlich so von Zukunft. egal, dass die so schnell auf der Strecke bleiben? In einer Zeit, wo dies passiert, diskutieren wir hier im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundestag, diskutiert die Bundesregierung über unsere KI-Strategie, über die Digitalisierungsstrategie. Das rufe Vielleicht liegt es daran, dass Sie dazu nichts zu sagen ich allen zu, die immer nur nörgeln, dass bei uns nicht haben, so wie der Bundesinnenminister, der sich gerne alles schnell genug geht. Das ist, finde ich, ein sehr guter vor Reden zu dem Thema drückt, wie erst gestern Abend. Weg, den wir eingeschlagen haben, meine Damen und Dass Sie, liebe Staatsministerin Bär, in dieser Debatte Herren. nicht reden, finde ich schon bezeichnend. Stattdessen la- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den Sie als Cheerleaderin der Bundesregierung ein paar der CDU/CSU) Influencer ins Kanzleramt ein. Notwendig wäre aber ein Konzept für eine kohärente Medienregulierung, die Wir beschäftigen uns natürlich mit dem Thema „di- nationale Landes- und Bundesgesetzgebung mit europä- gitale Infrastruktur“; das ist eine Daueraufgabe. Aber ischen und internationalen Vorgaben sinnvoll zusammen- mit dem Digitalfonds stellen wir dafür erhebliche Mittel bringt. bereit. Wir haben – das geschieht in der nächsten Wo- che – die Vergabe der Lizenzen für 5G-Frequenzen; darü- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ber wird momentan viel diskutiert. Das ist eine wichtige Weichenstellung; das wissen wir alle, das kennen wir alle Es nützt eben nichts, gute Stimmung zu machen, ein biss- aus unseren Wahlkreisen. Die Funklöcher müssen end- chen zu tanzen, wenn das Team dann nicht performt. lich geschlossen werden. Wie man in einem größeren Rahmen denken und han- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) deln kann, haben wir zum Beispiel mit unserem Antrag für eine europäisch ausgerichtete und global abgestimm- Es ist wichtig, dass auch das Teil der Debatte über die te KI-Strategie gezeigt. Um den einzelnen Ministerien Vergabe der Lizenzen für 5G-Frequenzen ist. Und es ist Schwung und Anreize für Innovation zu geben, haben eben gerade nicht so, dass die Bundesregierung und der wir ein ressortübergreifendes Digitalbudget gefordert. Finanzminister die Einnahmen aus dieser Versteigerung 7336 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Jens Zimmermann (A) maximieren wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir wol- stellen Milliarden für künstliche Intelligenz, für Infra- (C) len ordentliche Ausbauauflagen, damit wir am Ende ein struktur und auch für den Kampf gegen negative Aus- gutes Mobilfunknetz in Deutschland haben, meine Da- wirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt – ich men und Herren. schaue in Richtung Hubertus Heil – zur Verfügung und sorgen für eine gerechte Besteuerung auf den Märkten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es liegt noch viel Arbeit vor uns, aber wir sind auf einem der CDU/CSU) guten Weg. Und ja, die Themen „Digitalisierung“ und „Künstliche Herzlichen Dank. Intelligenz“ sind Meilensteine. 3 Milliarden Euro zusätz- lich werden für Forschung im Bereich der künstlichen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Intelligenz zur Verfügung gestellt. der CDU/CSU) Es ist auch wichtig, dass wir uns Gedanken darüber machen – so ist es auch in der Strategie formuliert –, wie Vizepräsident Thomas Oppermann: es zukünftig mit dem Zugang zu Daten weitergehen soll. Vielen Dank. – Bevor ich den letzten Redner der De- Die Daten sind ja wahlweise das neue Gold, das neue Öl, batte aufrufe, möchte ich Sie bitten, trotz der nahenden das Wasser oder die Luft, wenn es um die Digitalisie- namentlichen Abstimmung die Gespräche so zu füh- rung unserer Wirtschaft geht. Deswegen ist es wichtig, ren, dass der letzte Redner, das ist Erhard Grundl für dass Andrea Nahles mit dem Daten-für-alle-Gesetz einen Bündnis 90/Die Grünen, die nötige Aufmerksamkeit be- Vorschlag macht, wie dieser Zugang in Zukunft aussehen kommt. – Herr Kollege, Sie haben das Wort. soll. Da müssen wir ran, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es gibt auch viele kleinere Projekte, bei denen es voran- Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): geht. Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Ich habe auch beim Thema Games-Förderung, also und Herren! Kurz vor knapp noch mal zur Kulturpolitik: Spieleförderung, wieder viele Unkenrufe gehört. Das ist Die Freiheit der Kunst hat in Deutschland Verfassungs- Kultur- und Wirtschaftspolitik gleichermaßen. Dass wir rang. Aber wie steht es um diese Freiheit der Kunst? In in diesem Haushalt 50 Millionen Euro in einem Fonds zur Dessau sagt das Bauhaus ein Konzert der Punkband „Fei- Verfügung stellen, um den Entwicklerstandort Deutsch- ne Sahne Fischfilet“ ab, weil es Proteste rechter Gruppen land zu fördern, ist historisch und ein großer Meilenstein. befürchtet. (B) Ich möchte allen danken, die daran mitgewirkt haben. (Karsten Hilse [AfD]: Feine Sahne Fischfilet (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) hier zu nennen, ist ein Skandal!) Wir reden viel über Investitionen in Digitalisierung, Das Bauhaus wohlgemerkt, einst von den Nationalso- künstliche Intelligenz und Infrastruktur. Aber am Ende zialisten verfemt und verfolgt, gibt im Jahr 2018 Ein- müssen wir auch die Frage beantworten: Wo soll in Zu- schüchterungsversuchen nach. In Schleswig-Holstein kunft dieses Geld eigentlich herkommen? Deswegen wird nach anonymen Drohungen der Dokumentarfilm kann man das Thema Digitalisierung nicht ohne die Fra- „Wildes Herz“ aus dem Programm der Schulkinowoche ge der Besteuerung diskutieren. genommen. Und vor wenigen Tagen gab es Beschwerden von AfD und Junger Union, weil im „Polizeiruf 110“ des (Beifall bei Abgeordneten der SPD) NDR im Büro der Ermittlerin Aufkleber zu sehen sind, Ich finde, dass wir auch an dieser Stelle auf einem guten die zwar dramaturgisch sinnvoll sind, deren politische und richtigen Weg sind. Olaf Scholz hat sich des Themas Aussagen diesen Herren aber nicht in den Kram passen. angenommen. (Karsten Hilse [AfD]: Öffentlich-rechtliches Auch an dieser Stelle höre ich wieder: Das geht alles Fernsehen muss neutral sein!) nicht schnell genug. – Ich denke zurück: Ich kann mich Was macht der NDR? Der NDR knickt ein und hat nun nicht daran erinnern, dass der Vorgänger von Olaf Scholz eine nachbearbeitete Fassung in die Mediathek gestellt. jede Menge Gesetzesvorhaben eingebracht hat, um die Die „taz“ kommentiert meiner Ansicht nach trefflich: Da Digitalisierung und die Besteuerung von Digitalkonzer- wurde Hand ans Werk gelegt. nen zu verbessern. Deswegen ist es richtig, meine Damen und Herren, dass wir hier gemeinsam mit unseren fran- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zösischen Freunden vorangehen und dafür sorgen, dass und bei der LINKEN) Gewinne aus Digitalisierung auch in Deutschland und Meine Damen und Herren, Meinungsfreiheit, kriti- Europa besteuert werden; denn sonst fehlt am Ende das sche Kunst und von mir aus auch kritische Unterhaltung Geld für die notwendigen Investitionen. geraten in unserem Land unter Druck. Das ist ein An- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) griff auf unsere pluralistische Gesellschaft. Das dürfen wir nicht hinnehmen, und dem dürfen wir erst recht nicht Sie sehen also: Diese Bundesregierung und die Koa- nachgeben. lition sind beim Thema Digitalisierung auf einem guten Weg. Das heißt nicht, dass man Dinge schönreden soll, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das heißt nicht, dass man sich ausruhen darf. Aber: Wir sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Stefan Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7337

Erhard Grundl (A) Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Es sei denn, entfalten soll, dann nicht nur hier, in der Hauptstadt, son- (C) es entspricht Ihrer Meinung, oder?) dern überall im Land als Einladung an jede und jeden. Meine Kolleginnen und Kollegen, unsere Demokratie Ich danke Ihnen. muss sich daran messen lassen, wie viel kritische Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einandersetzung wir mit unserer Vergangenheit zulassen sowie bei Abgeordneten der SPD und der und wie wir mit blinden Flecken in der NS-Aufarbeitung LINKEN) und mit vergessenen Opfergruppen umgehen. Wir ste- hen heute an einer Zeitenwende und vor der Frage – die Bundeskanzlerin hat es heute Vormittag trefflich formu- Vizepräsident Thomas Oppermann: liert –, wie wir unsere Erinnerungskultur gestalten, wenn Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht wir alleine, ohne Zeitzeugen, sind. vor. Deshalb schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Vizepräsident Thomas Oppermann: plan 04 – das ist der Einzelplan „Bundeskanzlerin und Herr Kollege Grundl, gestatten Sie eine Zwischenfra- Bundeskanzleramt“ – in der Ausschussfassung. Es ist ge von der AfD? namentliche Abstimmung verlangt. Deshalb bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzu- nehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Es sind alle Urnen Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): besetzt, und ich eröffne die Abstimmung über den Ein- Jetzt nicht. – Unsere Gedenkstätten arbeiten hoch en- zelplan 04. gagiert, aber personell und finanziell mit zu engem Bud- get. 22 neue Stellen sind ein richtiger Schritt. Aber glau- Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme ab- ben Sie wirklich, dass das angesichts der erforderlichen gegeben? Gibt es noch jemand im Haus, der das nicht tun Arbeit ausreichend ist? Glauben Sie wirklich, das reicht konnte? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstim- aus, um künftig ein jüngeres medienaffines und hetero- mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, genes Publikum zu erreichen? Ich habe meine Zweifel. mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der na- mentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geben.1) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt fahren wir mit der Debatte fort. Diejenigen, die Bei der Aufarbeitung unserer kolonialen Vergan- nicht an ihr teilnehmen wollen, bitte ich, den Saal zu ver- genheit stehen wir auch 100 Jahre nach Ende des Ers- lassen, diejenigen, die an ihr teilnehmen wollen, bitte ich, Platz zu nehmen. (B) ten Weltkriegs noch am Anfang. Noch liegen Tausende (D) menschlicher Schädel und Gebeine aus den ehemaligen Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf: Kolonien in den Kellern deutscher Archive. Diese Gebei- ne, die zu rassistischer Forschung genutzt wurden, müs- hier: Einzelplan 05 sen endlich an die Nachfahren zurückgegeben werden. Auswärtiges Amt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksachen 19/4605, 19/4624 und bei der LINKEN) Die Berichterstattung haben die Abgeordneten Sich hier in aller Form zu entschuldigen, ist ein Gebot Dr. Birgit Malsack-Winkemann, Alois Karl, Doris der Menschlichkeit. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Barnett, Michael Georg Link, und Ekin Staatsministerin Michelle Müntefering, dass sie einen Deligöz. ersten Schritt dazu gemacht hat. Zu dem Einzelplan 05 liegen ein Entschließungsan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trag der Fraktion der FDP und ein Entschließungsantrag sowie bei Abgeordneten der SPD) der Fraktion Die Linke vor. Über die Entschließungsan- träge werden wir am Freitag nach der Schlussabstim- Insgesamt muss die Provenienzforschung zu NS-Raub- mung abstimmen. kunst und zu Kunst und Sakralgegenständen aus dem ko- lonialen Kontext personell und finanziell gestärkt wer- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für den. Wir brauchen klare Richtlinien bei der Restitution, die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich und wir brauchen einen zentralen Erinnerungs- und Lern­ keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. ort zur Kolonialgeschichte. Das ist mehr als überfällig. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erste Rednerin Dr. Malsack-Winkemann für die AfD. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der AfD) Meine Damen und Herren, die Stärke Deutschlands ist seine kulturelle Vielfalt. Dieser Vielfalt gilt es Raum Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): zu geben, um mehr kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abge- Ich freue mich, dass wir uns Gehör verschaffen konnten ordnete! Der Bundesrechnungshof hat zum Einzelplan und die Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. Auswärtiges Amt 2019 einen Bericht vorgelegt, der im ebenso wie die Initiative Musik endlich mehr Mittel er- halten. Wenn Kultur ihre innovative und integrative Kraft 1) Ergebnis Seite 7341 C 7338 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (A) Ergebnis erhebliche Zweifel an der Kompetenz und wirt- Hingegen wies der Haushaltsplan für das Inland ein Plus (C) schaftlichen Haushaltsführung des Auswärtigen Amtes von einem Viertel aus. Ja besetzt denn das Auswärtige begründet. Denn der Bundesrechnungshof ist in zahlrei- Amt beim Personal völlig am Bedarf vorbei? Und das, chen Prüfungen immer wieder auf erhebliche Mängel im obgleich der Bundesrechnungshof schon im Jahr zuvor sogenannten Informations- und Wissensmanagement des auf die gleiche Problematik hingewiesen hatte? Warum Auswärtigen Amtes gestoßen. machen Sie nicht Ihre Hausaufgaben, Herr Maas? Ja, meine Damen und Herren, der Bundesrechnungs- (Beifall bei der AfD) hof hat in vielen seiner Prüfungen festgestellt, dass Mit- arbeiter des Auswärtigen Amtes unter erheblichen Wis- Wie erfolgt eine Überprüfung der Verwendung der milli- senslücken leiden und die Weitergabe von Informationen ardenschweren Zuwendungen im Ausland sinnvoll, wenn erheblich mangelbehaftet ist. Diese Mängel halten sich die dortige qualifizierte Stellenbesetzung derart mangel- laut Bundesrechnungshof beharrlich, ihre Auswirkungen haft ist? Ist das eine Form von Beratungsresistenz? behindern eine effektive und effiziente Verwaltungsar- Die AfD schließt sich jedenfalls der Aufforderung des beit. Bundesrechnungshofs an das Auswärtige Amt an, sich Einen unrühmlichen Höhepunkt bilden die Mittel für konsequent von der Aufgabe der Zuwendungsbearbei- humanitäre Hilfe und Krisenprävention in Höhe von tung zu trennen und diese Tätigkeit einer anderen, hierfür 1,8 Milliarden Euro in 2018, die als Zuwendungen ge- geeigneten Einrichtung zu übertragen. währt werden. Das zur Verfügung stehende Haushaltsvo- lumen für diese Ausgaben wuchs seit 2006 von 70 Mil- (Beifall bei der AfD) lionen Euro auf rund 1,8 Milliarden Euro in 2018 und Hingegen glaubt das Auswärtige Amt immer noch, in damit um rund 2 500 Prozent in zwölf Jahren an. Der 2019 mit 44 neuen Planstellen zur sogenannten Verbes- Bundesrechnungshof stellte hier und in weiteren zahl- serung der Verwaltungsqualität beitragen zu können, und reichen operativen Bereichen des Auswärtigen Amtes das, nachdem es schon zum Haushalt 2018 95 neue Plan- erhebliche Mängel bei der Gewährung und Bearbeitung stellen hierfür angemeldet hatte. von Zuwendungen fest. Dem Bundesrechnungshof und auch der AfD ist je- Ja, Sie, meine Damen und Herren, hören richtig, aber doch unklar, auf welcher Grundlage das Auswärtige Amt Sie kennen doch selbst alle diesen Bericht und sitzen da diesen Bedarf ermittelt hat. Denn mangels Begründung und schweigen. Nur die AfD thematisiert ernsthaft diese dieses Mehrbedarfs, insbesondere im Hinblick darauf, festgestellten Zustände; denn wir halten unsere Verspre- dass jedenfalls die völlig undurchsichtige, milliarden- chen unseren Wählern gegenüber – auch nach der Wahl. schwere Zuwendungsbearbeitung vor allem bei der hu- (B) (D) (Beifall bei der AfD – Heiterkeit bei Abge- manitären Hilfe und Krisenprävention nach Auffassung ordneten der SPD) der AfD an eine hierfür gut ausgebildete, nachvollziehbar und transparent arbeitende Einrichtung übertragen wer- Das Auswärtige Amt kennt beispielsweise nicht den den sollte, ist dieser Personalaufwuchs für 2019 rundweg genauen Bearbeitungsstand seiner Zuwendungsverfah- abzulehnen. ren. Verwendungsnachweise von Zuwendungsempfän- gern über ein Fördervolumen von rund 2,5 Milliarden (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Euro hat es weder selbst ausreichend geprüft noch von anderen hinreichend prüfen lassen, es wurde einfach Es besteht ja immerhin die Hoffnung, dass es gut funk- irgendwohin verpulvert. Eine ordnungsgemäße und tionierende Einrichtungen gibt, die die geforderten Qua- wirtschaftliche Vergabe von Zuwendungen kann das litätsmerkmale erfüllen, sodass der Zweck der Hingabe Auswärtige Amt derzeit nicht sicherstellen. Nun ja, Sozi- der finanziellen Mittel, die Deutschland für humanitäre aldemokraten unter sich und das Geld – ihr Ruf eilt ihnen Hilfe und Krisenprävention ausgibt, tatsächlich auch er- voraus. reicht wird. Ich erinnere: Es gibt Prüfungsunklarheiten bei einem Fördervolumen von rund 2,5 Milliarden Euro. (Beifall bei der AfD – Bislang steht das gute Gewissen für Ausgaben in Milli- [CDU/CSU]: Das sagt gerade die AfD mit ih- ardenhöhe lediglich auf dem Papier. Ist Ihnen eigentlich rem Parteispendenskandal!) egal, wo die Mittel für humanitäre Hilfe und Krisenprä- vention im Ausland wirklich landen? Glauben Sie denn wirklich, dass dem Ausland verbor- gen bleibt, mit welcher Leichtfertigkeit deutsche Steuer- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Nein!) gelder dort vergeben werden? Das Deutschlandbild nach außen wird dadurch schwer geschädigt. Man lacht über Wie trifft man sachlich fundierte, qualifizierte Entschei- uns und schüttelt nur noch den Kopf. dungen im Außen, wie beim Migrationspakt und vor al- lem dessen Kosten, wenn man sein eigenes Haus nicht im (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Man lacht Griff hat, Herr Maas? nur über die AfD!) (Beifall bei der AfD) Hierzu passt im Übrigen auch die Entwicklung im Personalbereich. Betrugen hier die Ausgaben in 2016 Ich wiederhole: Allen Parteien ist dieser Bericht des noch 801 Millionen Euro, sind in 2019 hierfür bereits Bundesrechnungshofs bekannt, und nur wir, die AfD, 891 Millionen Euro veranschlagt. Von den Planstellen thematisieren das als Partei ernsthaft in der Öffentlich- im Ausland war in 2017 ein knappes Viertel unbesetzt. keit. Die AfD fordert, die Mittel für humanitäre Hilfe und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7339

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (A) Krisenprävention so lange mit sofortiger Wirkung einzu- Wir verplempern das Geld auch nicht; (C) frieren, (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Doch! – (Frank Schwabe [SPD]: Was ist mit den Milli- Armin-Paulus Hampel [AfD]: Bundesrech- onen von Menschen, die darunter leiden wer- nungshof, Frau Barnett! Sie haben es doch den? Weitere Zurufe von der SPD) nicht mal gelesen!) bis die ordnungsgemäße und wirtschaftliche Vergabe die- dagegen möchte ich mich wirklich verwahren. ser Zuwendungen gesichert ist. Denn nur so besteht die Chance, dass das Auswärtige Amt deutsche Steuergelder (Beifall bei Abgeordneten der SPD) transparent, nachvollziehbar und vor allem sinn- und Ich kann Ihnen nur raten: Statt zum Herrn Assad zu ge- zweckgemäß einsetzt. hen, gehen Sie vielleicht einmal in ein Flüchtlingslager Danke schön. im Libanon, nach Zaatari, und gucken sich an, was da mit dem Geld passiert. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Thomas Oppermann: Das Wort hat die Kollegin Doris Barnett von der Wir sind heilfroh, dass dort die UNO und ihre Unterorga- SPD-Fraktion. nisationen wirklich hervorragende Arbeit leisten (Beifall bei der SPD) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Darum geht es nicht!) Doris Barnett (SPD): und die Menschen grenznah, also heimatnah, unterbrin- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, gen, sodass, wenn die Krise vorbei ist, diese Leute auch die AfD thematisiert; allerdings thematisiert sie auch ihre wieder nach Hause gehen können. Ahnungslosigkeit. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das wollen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sie doch gar nicht!) der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Das ist auch Ziel unserer humanitären Hilfe. NISSES 90/DIE GRÜNEN – Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Thematisiert hat das der Allerdings flüchten die Leute trotzdem, und zwar Bundesrechnungshof!) dann, wenn es vor Ort nicht entsprechend zugeht. Des- wegen – das ist ein ganz, ganz wichtiger Grund – müssen (B) Denn was wir hier vorgelegt haben, ist ein guter Haus- wir auch dafür sorgen, dass der UN-Migrationspakt an- (D) halt für das Auswärtige Amt. Er umfasst 5,82 Milliar- genommen wird. den Euro und damit genau 1,65 Prozent des gesamten Bundeshaushalts. Er ist also der drittkleinste Haushalt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aber dafür sehr effizient. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Er sorgt nämlich dafür, dass die Leute vor Ort menschen- würdig behandelt werden. Wenn sie nicht so behandelt Es mag ja sein, dass der Bundesrechnungshof in der werden, dann fliehen sie einfach weiter und suchen sich Tat das eine oder andere kritisiert. Allerdings möchte ich woanders Hilfe und eine Unterkunft. darauf hinweisen, dass sich die Krisen seit 2006 ein klein wenig vervielfacht haben (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie machen die Grenzen auf! Genau!) (Lachen des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) Wenn es zum Beispiel keine Toilettenanlagen gibt, wenn sie nicht medizinisch versorgt werden, wenn sie nicht und ein klein wenig mehr los ist in der Welt. Darauf müs- genug zu essen haben, sollen sie dann einfach vor Ort sen wir reagieren. verrecken? Ihrer Auffassung nach wohl. Es kommt natürlich immer darauf an, wie man re- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Dafür hätten agiert. Sie würden natürlich Grenzen schließen, Sie wür- Sie mal 2015 sorgen müssen! Da habt ihr die den die Leute auch im Mittelmeer ersaufen lassen, Mittel gekürzt!) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das ist so eine Das ist halt Ihre Lösung – Hauptsache, nicht in Deutsch- Unverschämtheit! Das haben Sie nie von uns land! Ihre Auffassung kennen wir doch. gehört!) Wissen Sie, was mich am allermeisten wundert? Sie Sie würden Mauern bauen, Sie würden vielleicht sogar sind ja massiv gegen Migration. Doch gucken Sie sich Schießbefehle erlassen; das kann ja alles sein. Aber das mal Ihre eigenen Reihen an! Das ist doch ein bunter Hau- ist nicht unser Weg. fen von Migranten. (Beifall bei der SPD) (Beifall des Abg. [DIE Wir gehen einen anderen, und deswegen bauen wir auch LINKE] – Armin-Paulus Hampel [AfD]: die humanitäre Hilfe in Zeiten der Krisen entsprechend Eben, eben! Danke für den Beleg! Wir haben aus. Das muss auch so sein. kein Problem damit!) 7340 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Doris Barnett (A) Sie sind doch zum Teil mit Ausländern verheiratet oder kleine Freundschaften entstehen, die dann über Gräben (C) haben ausländische Wurzeln. Was soll denn diese ganze hinweghelfen. Hetzerei? (Beifall bei der SPD – Armin-Paulus Hampel (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten [AfD]: Wie schön! Herzzerreißend!) der CDU/CSU) Dass wir da seit 2014 über 4 000 Menschen zusammen- Im 21. Jahrhundert brauchen wir eine friedliche Welt, gebracht haben, ist ein großer Erfolg. eine Welt, in der sich Menschen, die in Not sind, darauf Wir unterstützen die Benediktinerabtei Dormitio und verlassen können, dass man ihnen hilft. das Wissenschaftszentrum der EKD auf dem Ölberg mit (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Udo jeweils 1 Million Euro. Das sind zwei kirchliche Institu- Theodor Hemmelgarn [AfD]: Denken Sie mal tionen in Jerusalem, und da tun wir ein gutes Werk. an Ruanda! Da waren Sie auch dabei!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Armin-­ Paulus Hampel [AfD]: Es geht um Außenpo- Deswegen haben wir auch die entsprechenden Mittel ver- litik!) stärkt, zum Beispiel, wenn es darum geht, den Flüchtlin- gen zu helfen. Es ist wahr: Wir haben die Mittel massiv Wir erhöhen die operativen Mittel für die aufgestockt. Aber es muss auch so sein; denn andere Län- Alexander von Humboldt-Stiftung und das Goethe-Insti- der ziehen sich geflissentlich zurück. Natürlich können tut um jeweils 5 Millionen Euro, und auch die Stipendien wir die Welt nicht komplett versorgen; der AvH werden mit 2 Millionen Euro unterstützt. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Doch, das (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder wollen Sie ja!) [SPD]) aber wir können helfen, und das tun wir. Wir fördern auch die internationale Museumskooperati- on mit 8 Millionen Euro. Wir brauchen auch für andere Sachen Verständnis und Vertrauen. Deswegen unterstützen wir die Arbeit des An dieser Stelle möchte ich mich bei den Berichter- Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit weite- stattern – trotz aller Meinungsverschiedenheiten – be- ren 1,8 Millionen Euro, also mit insgesamt 17,8 Millio- danken. Das war eine vernünftige Zusammenarbeit. Ich nen Euro. Wir helfen den Opfern der Colonia Dignidad möchte mich aber vor allem bei dem Bundesminister und mit 1 Million Euro. Allerdings frieren wir die Mittel ein, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die weil wir erst wissen wollen, für wen genau die Gelder ge- jederzeit für uns zur Verfügung standen und die alle Fra- (B) braucht werden und wie hoch die Zahlungen sein sollen. gen, auch die des Bundesrechnungshofs, (D) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nicht beant- Wir haben etwas Gutes gemacht – der Bundesminister wortet haben!) hat es vorgestellt –, nämlich eine humanitäre Geste für die Opfer der Leningrad-Blockade; gut beantworten können. Sie müssen sie nur fragen. Die Unterlagen, die wir zur Verfügung haben, Frau Malsack-­ (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Winkemann, sind sehr ausführlich, gerade, was die hu- denn diejenigen, die noch leben, brauchen dringend me- manitären Hilfen anbelangt. dizinische Hilfe. Wir bauen auch ein deutsch-russisches (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Es geht um Begegnungszentrum auf. Außenpolitik, Frau Barnett, nicht um die Cari- tas und die AWO!) Wir fördern weiterhin die Östliche Partnerschaft – sechs Länder plus Russland – mit weiteren 4 Millionen Sie fragen ja auch immer nach und kennen sämtliche De- Euro, also jetzt mit 18 Millionen Euro. tails, sämtliche Organisationen, die da unterwegs sind. – Ich möchte einen ganz herzlichen Dank an die Mitarbeiter (Beifall bei Abgeordneten der SPD) des Haushaltsreferats richten, die da gute Arbeit leisten. Lassen Sie mich da auch mal ein Beispiel nennen: Seit (Beifall bei der SPD) 2014 veranstalten wir mit der Robert Bosch Stiftung das Programm „Meet Up!“, bei dem sich deutsche und ukrai- Zum Schluss. Uns Haushältern sind die Sicherheit un- nische Jugendliche begegnen, über Zusammenarbeit re- serer Mitarbeiter und die IT-Ausstattung in den Liegen- den und Verständnis über Grenzen hinweg aufbauen. Mir schaften vor Ort wichtig. Deswegen haben wir uns dafür persönlich ist es ein großes Anliegen, dass auch russische eingesetzt und es erreicht – vielen Dank, Alois! –, dass Jugendliche miteinbezogen werden. sie in den nächsten drei Jahren 28 Millionen Euro zusätz- lich bekommen, um endlich ihre Häuser in Ordnung zu (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder bringen. [SPD]) Für die Bewältigung der wachsenden Aufgaben Wie wollen wir denn Wunden heilen, wenn sich die Be- braucht man Personal. Die Mittel für humanitäre Hilfe troffenen nie begegnen? Gerade die Jugend muss sich und zivile Krisenprävention wachsen an. Natürlich be- begegnen. Dort habe ich noch die größte Hoffnung, kommt man mit dem Personal, das da ist – und auch nicht dass sie Verständnis füreinander aufbauen oder sich we- mit zusätzlichen 71 Mitarbeitern –, nicht 2 500 Prozent nigstens menschlich begegnen, wodurch vielleicht auch mehr Geld organisiert; das geht nur mit deutlich mehr Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7341

Doris Barnett (A) Personal. Gott sei Dank konnten wir einen Aufwuchs von Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) 271 Stellen für diesen Haushalt erreichen. Vielen Dank, Frau Kollegin. – Bevor ich den nächs- Gestern sagte Herr Boehringer, wir – also die Bun- ten Redner aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schrift- desregierung und die sie tragenden Fraktionen – wollten führerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis mit deutschem Geld die ganze Welt retten. – Ich habe es der namentlichen Abstimmung zum Einzelplan 04 – mir extra mitgeschrieben. – Nein, wir wollen nicht die Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bun- ganze Welt retten, aber helfen, sie ein bisschen besser zu deskanzleramtes – bekannt: Es wurden abgegeben machen – in unserem eigenen Interesse. Helfen Sie mit! 657 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 382, mit Nein Vielen Dank. 275, Enthaltungen keine. Damit ist der Einzelplan 04 angenommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- (Beifall der Abg. [CDU/CSU] SES 90/DIE GRÜNEN) und [CDU/CSU])

Endgültiges Ergebnis Marie-Luise Dött Dr. Dr. Abgegebene Stimmen: 657; Hansjörg Durz Patricia Lips davon Alexander Hoffmann Nikolas Löbel ja: 382 Hermann Färber nein: 275 Dr. Dr. Jan-Marco Luczak enthalten: 0 Daniela Ludwig Axel E. Fischer (Karlsruhe- Hans-Jürgen Irmer Land) Ja Dr. Dr . Thomas de Maizière CDU/CSU Dr. Hans-Peter Friedrich Alois Karl Dr . Dr. (Hof) Matern von Marschall Torbjörn Kartes Hans-Georg von der Marwitz Norbert Maria Altenkamp Hans-Joachim Fuchtel Andreas Mattfeldt (B) Ingo Gädechens Dr. Stefan Kaufmann (Altötting) (D) Dr . Dr. Dr . Angela Merkel Michael Kießling Dorothee Bär Dr . Dr. h. c. Thomas Bareiß Hermann Gröhe Dr. Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Karsten Möring (Börde) Astrid Grotelüschen Markus Grübel Carsten Körber Elisabeth Motschmann Dr . André Berghegger Alexander Krauß Dr. Gerd Müller Gunther Krichbaum Axel Müller Monika Grütters Dr. Günter Krings Sepp Müller Rüdiger Kruse Carsten Müller Marc Biadacz (Braunschweig) Dr. Roy Kühne Stefan Müller (Erlangen) Dr. Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Dr. Dr. Reinhard Brandl Jürgen Hardt Andreas G. Lämmel Michael Brand (Fulda) Dr. Ulrich Lange Dr . Georg Nüßlein Dr. Dr. Florian Oßner Thomas Heilmann Ralph Brinkhaus Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Henning Otte Dr. Dr. Gitta Connemann Dr. Ursula von der Leyen Dr. Alexander Dobrindt 7342 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

(A) Dr. Christoph Ploß Dr. Detlef Müller (Chemnitz) (C) Dr . Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dr . Volker Ullrich Andrea Nahles Alois Rainer Angelika Glöckner Ulli Nissen Dr. Thomas Oppermann Eckhardt Rehberg Volkmar Vogel (Kleinsaara) Michael Groß Mahmut Özdemir (Duisburg) Uli Grötsch Aydan Özoğuz Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Rita Hagl-Kehl (Hamburg) Erwin Rüddel Dr . Peter Weiß (Emmendingen) Achim Post (Minden) Sabine Weiss (Wesel I) Hubertus Heil (Peine) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Sascha Raabe Dr . Wolfgang Schäuble Dr. Barbara Hendricks Sönke Rix Annette Widmann-Mauz Gabriele Hiller-Ohm Dennis Rohde Bettina Margarethe Thomas Hitschler Dr. Dr. Wiesmann Dr. Eva Högl René Röspel Christian Schmidt (Fürth) Klaus-Peter Willsch Dr. Elisabeth Winkelmeier- Michael Roth (Heringen) Nadine Schön Becker Thomas Jurk Susann Rüthrich Bernd Rützel Dr. Klaus-Peter Schulze Johannes Kahrs (B) (Weil am Dr. Axel Schäfer (Bochum) (D) Rhein) Dr. SPD Johannes Selle Dr. Ingrid Arndt-Brauer Dr. Dr. Bärbel Kofler (Aachen) Dr. (Wetzlar) Björn Simon Doris Barnett Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Sören Bartol Bärbel Bas Christian Lange (Backnang) Dr . (Heidelberg) Dr. Martin Schulz (Spandau) Dr. Karl-Heinz Brunner Frank Schwabe Katrin Budde Kirsten Lühmann Marco Bülow Heiko Maas (Rostock) Rita Schwarzelühr-Sutter Christian Frhr. von Stetten Dr. Dr. Daniela De Ridder Martina Stamm-Fibich Dr. Dr. Sonja Amalie Steffen Dr . Michael Stübgen Dr . Dr . Hermann-Josef Tebroke Dr. Siemtje Möller Markus Töns Hans-Jürgen Thies Dr. Bettina Müller Carsten Träger Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7343

(A) Jens Kestner Daniel Föst (C) Marja-Liisa Völlers Otto Fricke Dirk Vöpel Norbert Kleinwächter Dr . Gabi Weber Jörn König Katrin Helling-Plahr Dr . Steffen Kotré Markus Herbrand Rüdiger Lucassen Johannes Vogel (Olpe) Gülistan Yüksel Dr. Dr. Manuel Höferlin Dr. Jens Zimmermann Dr . Birgit Malsack- Dr. Christoph Hoffmann Winkemann DIE LINKE Nein Doris Achelwilm Volker Münz Sebastian Münzenmaier Gökay Akbulut AfD Dr. Dr. Dietmar Bartsch Thomas L. Kemmerich Lorenz Gösta Beutin Karsten Klein Paul Viktor Podolay Matthias W. Birkwald Dr. Jürgen Pohl Jürgen Braun Stephan Protschka Marcus Bühl Matthias Büttner Dr. Lukas Köhler Martin Erwin Renner Birke Bull-Bischoff Roman Johannes Reusch Jörg Cezanne Ulrike Schielke-Ziesing Sevim Dağdelen Dr. Jörg Schneider Dr. Alexander Graf Lambsdorff Anke Domscheit-Berg Berengar Elsner von Gronow Klaus Ernst Dr. (B) Christian Lindner (D) Michael Georg Link René Springer Dietmar Friedhoff (Heilbronn) Beatrix von Storch Dr . Dr . Alice Weidel Dr. Gregor Gysi Markus Frohnmaier Dr . Harald Weyel Dr . André Hahn Dr. Götz Frömming Dr . Jürgen Martens Heike Hänsel Dr. Alexander Gauland Dr . Matthias Höhn Dr . Dr . Christian Wirth Alexander Müller Roman Müller-Böhm Frank Müller-Rosentritt Dr . FDP Dr. Armin-Paulus Hampel (Lausitz) Mariana Iris Harder-Kühnel Jan Korte Dr. Stefan Ruppert Christine Aschenberg- Dr. Dugnus Dr . h. c. Christian Sauter Frank Schäffler Stefan Liebich Udo Theodor Hemmelgarn Dr . Wieland Schinnenburg Dr. Gesine Lötzsch Dr. Matthias Seestern-Pauly (Rhein-Neckar) Karsten Hilse Dr. Marco Buschmann Dr. Martin Hohmann Bettina Stark-Watzinger Dr. Carl-Julius Cronenberg Dr. Marie-Agnes Strack- Leif-Erik Holm Britta Katharina Dassler Zimmermann Norbert Müller (Potsdam) Bijan Djir-Sarai Zaklin Nastic Christian Dürr Dr . Alexander S. Neu Dr. Hartmut Ebbing Dr. Marcus Faber 7344 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

(A) Sören Pellmann BÜNDNIS 90/ (C) DIE GRÜNEN Tabea Rößner Tobias Pflüger Dr. Kirsten Kappert-Gonther Claudia Roth (Augsburg) Uwe Kekeritz Dr. Corinna Rüffer Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Eva-Maria Schreiber Dr. Dr. Dr. Stephan Kühn (Dresden) Dr. Helin Evrim Sommer Christian Kühn (Tübingen) Dr. Franziska Brantner Stefan Schmidt Renate Künast Kordula Schulz-Asche Dr . Markus Kurth Dr . Wolfgang Strengmann- Dr . Ekin Deligöz Kuhn Sven Lehmann Katharina Dröge Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Dr . Sahra Wagenknecht Jürgen Trittin Dr. Dr . Katrin Göring-Eckardt Claudia Müller Erhard Grundl Beate Müller-Gemmeke Anja Hajduk Fraktionslos Sabine Zimmermann Britta Haßelmann Cem Özdemir (Zwickau) Dr . Anton Hofreiter Dr. Frauke Petry

Jetzt rufe ich den nächsten Redner auf. Das ist der dafür erfüllt? An dieser Stelle darf der Haushalt nicht Kollege Bijan Djir-Sarai von der FDP. hinter den realen Bedürfnissen zurückbleiben.

(Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) (B) Wenn wir uns die aktuellen Entwicklungen ansehen, (D) Bijan Djir-Sarai (FDP): merken wir auch, dass ebendiese Herausforderungen nicht weniger werden, sondern dass sie mehr werden. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haushalts- Der Rückzug der USA aus der Diplomatie, die anhalten- politische Debatten sind mehr als nur ein Vortrag von den weltweiten Krisen und der wiederkehrende Nationa- Zahlen und Haushaltspositionen. Wenn wir heute über lismus gefährden den Multilateralismus. Die USA sind den Haushalt des Auswärtigen Amtes sprechen, dann ist leider nicht mehr der Vorreiter des Multilateralismus. diese Debatte auch eine Grundsatzdebatte über die deut- Damit sind Chancen und Risiken verbunden. Das kann sche Außenpolitik. Deutschland als Chance nutzen, und es kann sich ver- stärkt einsetzen. Dafür braucht es aber ein personell und Wir erleben derzeit die größten außenpolitischen technisch gut aufgestelltes und modernes Auswärtiges Veränderungen seit Jahrzehnten. Die Welt, in der wir Amt. leben, hat sich grundlegend verändert: Neue Konflikte sind entstanden. Viele vorhandene Konflikte sind kom- (Beifall bei der FDP) plexer geworden. Wir leben in einer Welt, in der uns Handelskriege Sorgen bereiten und sich Bündnisse per- Wenn wir uns die Krisen anschauen, stellen wir fest, manent verändern, in einer Welt, in der sich sogar die dass derzeit weder Deutschland noch die europäischen Sicherheitsarchitektur verändern kann. Die entscheiden- Partner eine Strategie zur Außen- und Sicherheitspolitik de Frage für diese Debatte lautet daher: Ist die deutsche haben. Es gibt keine Antwort auf den Rückzug der USA Außenpolitik bzw. ist die europäische Außenpolitik auf aus der Diplomatie. Es gibt kein Konzept für den Nahen diese Veränderungen vorbereitet, und, vor allem, welche und Mittleren Osten. Dass wir in dieser Region, in un- Strategien haben wir, um auf diese Herausforderungen zu serer unmittelbaren Nachbarschaft, als Akteur politisch reagieren? Ein Blick in den Haushalt gibt diese Antwort nicht stattfinden, ist aus meiner Sicht ein Skandal. nicht. Herr Minister, das ist keine Kritik an die Regierung (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gerichtet, sondern das ist eine Frage, die wir hier gemein- der AfD) sam beantworten müssen. Es gibt kein Konzept für Afrika, es gibt keine Chi- Noch im September sprach der Außenminister darü- na-Strategie, nicht zu vergessen die Beziehungen zu ber, dass wir über mehr Verantwortung in der Welt disku- Russland. Seit 2014 schauen Deutschland und Europa tieren müssen. Das ist richtig. Aber dann muss auch die zu, wie Russland eine bestimmte Außenpolitik betreibt. Frage gestellt werden, ob die deutsche Außenpolitik – Meine Damen und Herren, ich möchte hier keine Pa- oder konkret: das Auswärtige Amt – die Voraussetzung nikmache betreiben. Es ist ja auch nicht so, als stünden Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7345

Bijan Djir-Sarai (A) wir diesen Konflikten komplett machtlos gegenüber. Die Alois Karl (CDU/CSU): (C) Mittel und die Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, sind Sehr geehrter Herr Präsident! Annuntio vobis magnum vorhanden. Sie müssen nur eingefordert und zielgerich- gaudium – es ist eine große Freude, dass wir nach einem tet eingesetzt werden. Die Haushaltsdebatte ist genau der arbeitsreichen Haushalts- und Arbeitsjahr den zweiten richtige Zeitpunkt, um über diese Dinge zu diskutieren. Haushalt in diesem Jahr vorlegen können. Wir glauben, (Beifall bei der FDP) es ist ein guter Haushalt. Die große Freude hält sich allerdings in Grenzen an- „Zielgerichtet“ heißt, dass die Mittel sinnvoll zuge- gesichts dessen, was ich hier heute gehört habe. Liebe wiesen und eingesetzt werden müssen. Deshalb fordern Frau Malsack-Winkemann, man hört ja vieles in diesem wir in unserem Entschließungsantrag auch eine Stärkung Hause – ich möchte Ihnen nicht zu viel Ehre antun, wenn von Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit. ich sage –, aber das schlägt doch dem Fass die Krone Syrien, Jemen, Russland, USA, China, Saudi-Arabien, mitten ins Gesicht, was Sie heute hier gesagt haben. Brexit, Flüchtlingskrise – es gibt viele Probleme und He- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD rausforderungen, auf die eine Antwort derzeit fehlt. Was sowie bei Abgeordneten der FDP und des ist beispielsweise die deutsche Strategie, was ist die eu- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ropäische Strategie für Syrien? Was ist unsere Strategie für die Nachkriegsordnung in Syrien? Werden wir uns Sie sprachen davon, dass wir uns aus der humanitären dort finanziell beteiligen? Wenn ja, zu welchen Bedin- Hilfe und der Krisenprävention, also den Schmuckstü- gungen? Auf diese Fragen habe ich bisher keine Antwort cken, zurückziehen und die Mittel für die wesentlichen erhalten. Darüber müssen wir sprechen. Wir müssen da- Bereiche des Haushaltes des Auswärtigen Amtes zurück- rüber nachdenken, wie wir im Hinblick auf alle diese He- fahren sollten. Als ich das gehört habe, habe ich gedacht: rausforderungen europäische Lösungen finden können. Weiß die Frau eigentlich, was wir Millionen von Men- schen in Afrika und im Nahen Osten antun würden, wenn 2020 übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsident- wir uns aus der humanitären Hilfe zurückziehen würden? schaft. Ab dem kommenden Jahr hat Deutschland einen Liebe Frau Malsack-Winkemann, ich habe das geradezu nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat inne. Ich frage als unerträglich empfunden, was Sie eben gesagt haben. mich: Wie ist Deutschland darauf vorbereitet, Herr Mi- nister? Ist mit den europäischen Partnern über die Stra- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie tegie gesprochen worden? Gibt es schon erste Gespräche bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und dazu? Darüber würden wir gerne mit Ihnen hier disku- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tieren. (B) Im Übrigen: Den ersten Teil Ihrer Rede habe ich schon (D) Wo wir gerade über die Vereinten Nationen reden: wieder vergessen, Herr Minister, können Sie mir erklären, warum Deutsch- land in der Vollversammlung in der vergangenen Woche (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – den acht Resolutionen zugestimmt hat, die Israel einsei- Armin-Paulus Hampel [AfD]: Bundesrech- tig kritisieren? Herr Minister, ich persönlich habe Sie im- nungshof!) mer so verstanden, dass gerade die Sicherheit des Staates der mittlere Teil war unverständlich, und das Ende Ihrer Israel für Sie außerordentlich wichtig ist. Deswegen kann Rede habe ich herbeigesehnt, um es ehrlich zu sagen. ich nicht verstehen, warum Deutschland auf der interna- tionalen Bühne Israel so im Stich lässt. Ich als Bundes- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – tagsabgeordneter verlange, dass Sie hierzu hier in diesem Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Uns wird Haus vor den Abgeordneten eine Erklärung zu diesem das nicht anders gehen!) Abstimmungsverhalten abgeben, Herr Minister. Wir haben in der Tat ein intensives Haushaltsjahr hin- (Beifall bei der FDP und der AfD) ter uns. Es kommt alle vier Jahre nach der Bundeswahl vor, dass man zwei Haushalte in einem Jahr verabschie- Meine Damen und Herren, um es zusammenzufassen: det. Heuer war es sehr krass. Am 5. Juli 2018 haben wir Wir brauchen mehr Mittel für das Auswärtige Amt, um in den Haushalt für 2018 verabschiedet, und am 6. Juli 2018 der Außenpolitik schlagkräftig handeln zu können. In Di- hat der Bundesfinanzminister schon den neuen Entwurf plomatie zu investieren, bedeutet immer, in Frieden und vorgelegt. Seit der Verabschiedung des letzten Haushaltes Stabilität zu investieren. sind gerade sechs Arbeitswochen vergangen. Nun treffen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. wir uns schon zur Verabschiedung des Haushaltes 2019. Ich muss ehrlich sagen: Keiner hier im Saal – wenn der (Beifall bei der FDP) Saal ganz voll wäre, wäre es auch nicht anders – hat eine solche Dichtigkeit jemals erlebt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wir haben gut gearbeitet. Doris Barnett, die Bericht- Der nächste Redner ist der Kollege Alois Karl, CDU/ erstatter, die Mitarbeiter aus Ihrem Haus, Herr Minister CSU-Fraktion. Maas, und auch die Mitarbeiter in den Fraktionen und aus meinem Büro haben uns bei der Arbeit unterstützt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Der Haushalt sieht Ausgaben in Höhe von 356,4 Milliar- ordneten der SPD) den Euro vor. Das ist eine Rekordsumme und eine deutli- 7346 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Alois Karl (A) che Steigerung gegenüber dem Haushalt, den wir vorher weiter zurück: 2006, nachdem Frau Merkel Bundeskanz- (C) verabschiedet haben. lerin geworden war, hatten wir 70 Millionen Euro für die humanitäre Hilfe im Haushalt. Heute sind es 1,58 Mil- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben liarden Euro. Das ist das 25-Fache. Ich muss dazu ganz einen Haushalt, der sich durch hohe Investitionen aus- ehrlich sagen: Wir sind dankbar und auch stolz darauf, zeichnet und dadurch, dass wir die Maastricht-Kriteri- dass wir diese Leistung erbringen können. Das hat doch en einhalten, auch durch die schwarze Null. Das ist für aber auch einen Sinn, einen Hintergrund: Wir wollen vie- uns eine hervorragende Ausgangsbasis, um auch in den le, viele Menschen im Nahen Osten und in Afrika halten nächsten Jahren solide wirtschaften zu können. Damit und ihnen zeigen, dass uns ihr Schicksal nicht egal ist, bringen wir zum Ausdruck, dass wir uns nicht heute et- dass wir sie mit unserer Hilfe in den Lagern, die wir be- was leisten wollen, was wir gar nicht erwirtschaftet ha- sucht haben, halten wollen. ben, dass wir nicht auf Kosten unserer Kinder und Enkel leben wollen. Im sechsten Jahr in Folge einen Haus- Frau Malsack-Winkemann, wenn Sie das Gespräch haltsentwurf mit einer schwarzen Null vorzulegen – vier- mit Ihrem freundlichen Nachbarn beenden würden. Hö- mal Wolfgang Schäuble, zweimal Olaf Scholz –, das ist ren Sie mir doch zu! Was wollen Sie denn eigentlich? schon eine hervorragende Bilanz in der Nachfolge von (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Franz Josef Strauß, der als Finanzminister 1969 das letz- DIE GRÜNEN], an Abg. Dr. Birgit Malsack-­ te Mal zuvor einen schuldenfreien Haushaltsentwurf vor- Winkemann [AfD] gewandt: Hören Sie doch gelegt hat. mal zu!) Wer Fußballer ist, weiß, wenn der Satz „Die Null Sie wollen nicht, dass Flüchtlinge zu uns nach Deutsch- muss stehen“ gesagt wird, dann heißt das: Man darf das land kommen, aber Sie wollen auch nicht Geld aufwen- Spiel nicht verlieren, höchstens noch unentschieden spie- den, um die Flüchtlinge dort zu behalten. len, null zu null. Wir haben jetzt seit Jahren die schwarze Null. Damit können wir uns freischwimmen für wichtige (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Aufgaben, auch in der Außenpolitik, die auch und gerade GRÜNEN]: Die hört ja nicht mal zu!) im Bereich der humanitären Hilfe, trotz Frau Malsack-­ Winkemann, ihren Niederschlag finden. Das ist doch schizophren. – Ich weiß nicht, ob Sie Frau Malsack-Winkemann darauf aufmerksam machen kön- (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- nen. Aber es ist auch wurscht, SES 90/DIE GRÜNEN) (Beatrix von Storch [AfD]: Sie haben doch Meine Damen und Herren, wir haben einen Rekord- selber gesagt, Sie haben vergessen, was sie (B) haushalt. Das gilt auch für Ihren Haushalt, Herr Bundes- gesagt hat! Das war es nicht!) (D) minister: 5,826 Milliarden Euro, das ist eine deutliche Steigerung. Leider gibt es auch eine gewaltige Steige- es steht ja auch im Protokoll. Wir wollen, dass die Leu- rung bei unseren Beiträgen für die Vereinten Nationen; te durch unsere finanziellen Aufwendungen dort bleiben aber das hängt mit der Arithmetik der Zahlungsverpflich- können. Das tut uns allen in der Tat gut. tungen zusammen. Meine Damen und Herren, wir haben gute Möglich- In den letzten Wochen haben wir den Haushaltsentwurf keiten, weil wir ein wirtschaftlich starkes Land sind. Vor an über 40 Positionen verändert. Wir haben 252 Millio- wenigen Tagen, sehr geehrter Herr Präsident, haben wir nen Euro zusätzlich bekommen. Dadurch haben wir auch das Fest des Heiligen Martin gefeiert. Der Heilige Martin mehr Geld übrig für das operative Geschäft des Außen- steht für Barmherzigkeit, weil er dem armen Mann die ministers. Diese Mittel setzen wir im Bereich „Sicherung Hälfte seines Mantels gegeben hat. Aber er musste dafür von Frieden und Stabilität“ gut ein, insbesondere für die einen Mantel haben. Wenn er keinen Mantel gehabt hätte, humanitäre Hilfe. hätte er ihm die Hälfte nicht geben können. Das ist doch der richtige Ausdruck von Barmherzigkeit: Nur dann, 1,58 Milliarden Euro geben wir für humanitäre Hilfe wenn ich wirtschaftlich stark bin, kann ich anderen auch aus. Wir haben auf das schlimme Jahr 2015 reagiert, auf so helfen, wie wir das tun. das Jahr mit den großen Flüchtlingsströmen. Damals, an- gesichts von 890 000 Flüchtlingen, haben wir begonnen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die Mittel für unsere humanitäre Hilfe aufzustocken und ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- unsere Hilfe auszuweiten. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man Das ist ein innerer Zusammenhang, der manchen offen- ein bisschen zurückschaut, muss man sagen: Wir haben sichtlich nicht so gut geläufig, nicht so gut bekannt ist. in den letzten Jahren Außerordentliches, Hervorragendes Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stehen geleistet. vor großen Aufgaben, weltweit. Die Welt scheint in man- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Eigenlob chen Teilen aus den Fugen geraten zu sein, hat Ihr Vor- stinkt!) gänger, Herr Steinmeier, einmal formuliert; recht hat er. Wir haben manche Aufgaben – lieber Bijan, du hast das Noch vor etwa sieben Jahren, 2012, haben wir für die gesagt – zu Nachfolgeregelungen zu meistern. Wie soll humanitäre Hilfe 105 Millionen Euro eingesetzt. Heute es im Jemen und in Syrien und andernorts weitergehen? sind es 1,58 Milliarden Euro. Das ist das 15-Fache in- Aber wir sind hier in einer starken Gemeinschaft. Wir nerhalb von sieben Jahren. Gehen wir noch ein bisschen machen das in der Europäischen Union und in der Ge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7347

Alois Karl (A) meinschaft der NATO, und wir werden da zu guten Lö- Natürlich sucht sich jetzt Russland auch zweifelhafte (C) sungen kommen. Verbündete. Aber damit war doch zu rechnen, wenn die EU Sanktionen beschließt und Russland ausgrenzt. Wir möchten auch zu guten Lösungen in Israel kom- men. Wir stärken dort das Hilfswerk der Vereinten Na- Die Beziehungen zu den USA dagegen sind für Sie tionen, die sogenannte UNRWA. Wir sind schon etwas die wichtigsten, und Sie wollen sie auch permanent ver- darüber erschüttert, dass die amerikanische Regierung bessern. Andere Länder definieren inzwischen längst ihre ihren Beitrag – 370 Millionen Euro leistet sie für das eigenen Interessen, unabhängig von den USA. Aber Sie Hilfswerk in den palästinensischen Gebieten – auf null hängen nach wie vor am Rockzipfel der US-Administra- zusammenstreichen möchte. Ich bitte Sie ausdrücklich, tion. Eine Roulettekugel ist im Vergleich zu Trump zwar Herr Bundesaußenminister, dass Sie, wenn wir nicht exakt berechenbar; aber Trump hat schon begriffen, dass ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Na- der Kalte Krieg zu Ende ist, die Sowjetunion untergegan- tionen sind, Ihre Funktion dazu nutzen, die Amerikaner gen ist und alte Feindbilder nicht mehr stimmen. wieder auf die Spur zu bringen, damit die Situation dort verbessert wird. (Zuruf von der CDU/CSU: Gähn!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Trump macht nicht nur Wirtschaftskrieg gegen China, LINKEN – Beatrix von Storch [AfD]: Das er ist auch gegen die EU dazu bereit, solange es seinem liegt an der Hamas!) nationalen Egoismus nützt. Sie, Herr Maas, verharren im Unterschied zu Trump immer noch in den alten Feind- Wenn es zum Zusammenbruch der fundamentalen Über- bildern, lebenssituation dort kommen würde, bin ich mir nicht sicher, wie wir eine dritte Intifada verhindern könnten. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ganz anders als Sie!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben auch viel Geld für ein Schmuckstück unserer Außenpo- nach dem Motto „An der Seite der USA gegen die Sow- litik eingesetzt, die Auswärtige Kultur- und Bildungsar- jetunion“. Sie müssen lernen, neu zu denken! Die Sow- beit. Da werden wir uns auch in der Zukunft von nieman- jetunion gibt es gar nicht mehr. dem überholen lassen. (Beifall bei der LINKEN) Ich danke herzlich für die Zusammenarbeit. Wir geben heute das finanzielle Rüstzeug, Herr Bundesaußenminis- Vor allem aber erwarten die Menschen Logik und ter, für die Arbeit in den nächsten zwölf Monaten. Wir Nachvollziehbarkeit in der Innen- und Außenpolitik. sind guten Mutes, dass wir alle Voraussetzungen schaf- (B) (Christoph Matschie [SPD]: Wann haben Sie (D) fen, um eine gute Außenpolitik auch künftig zu finan- sich das letzte Mal mit Außenpolitik beschäf- zieren. tigt?) Herzlichen Dank. Ein Beispiel aus der Innenpolitik: Jeder Schwarzfahrer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- muss Strafe bezahlen; aber bei VW, da zögern Sie, ob- ordneten der SPD) wohl die ganz eindeutig betrogen haben. – Wer soll das nachvollziehen können? Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der LINKEN) Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien Dr. Gregor Gysi; er eilt herbei aus der hintersten Reihe. haben Sie wegen der Verteidigung der Menschenrechte (Beifall bei der LINKEN) im Kosovo geführt – so haben Sie es erklärt –, begrün- deten ihn sogar mit dem Verdacht eines Völkermordes. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): (Widerspruch des Abg. Michael Brand [Ful- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- da] [CDU/CSU]) ber Herr Maas, Sie waren ja kaum zum Außenminister Nun aber genehmigten Sie die Lieferung von Waf- berufen worden, da erklärten Sie schon, dass die Töne fen an Staaten, die im Jemen einen völkerrechtswidri- gegenüber Russland noch schärfer werden müssen. Bei gen Krieg führen, und zwar seit 2017 im Umfang von Ihrem Antrittsbesuch waren Sie der erste deutsche Au- 1,3 Milliarden Euro. Saudi-Arabien hungert die Men- ßenminister, der nicht vom Präsidenten empfangen wur- schen im Jemen mit einer Seeblockade regelrecht aus – de; wahrscheinlich waren Sie auch noch stolz darauf. die Boote dafür liefert Deutschland. Wenn man Millionen (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Sie Menschen verhungern lässt, ist das doch wohl eindeutig waren bei Milosevic!) ein Völkermord, oder? Sie ignorieren damit vollkommen das, was Willy Brandt Warum, Herr Außenminister, kümmerten Sie sich mit den Ostverträgen begründete und was letztlich auch bis zur Ermordung Khashoggis nicht um diesen Wider- die deutsche Einheit ermöglichte: Ohne und gegen Russ- spruch? land gibt es weder Frieden noch Sicherheit in Europa. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 7348 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Gregor Gysi (A) Die 22 Millionen Betroffenen des Krieges im Jemen wa- Zweitens. Es gibt eine europäische Wirtschaft. Sie ist (C) ren Ihnen nicht Grund genug dafür. So ist deutsche Au- nationalstaatlich überhaupt nicht mehr zu regulieren. ßenpolitik schlicht und einfach unglaubwürdig. Und drittens. Es gibt eine immer europäischer wer- Trump schießt jetzt allerdings den Vogel ab. Er hat, dende Jugend. Sie spricht ganz gut Englisch und erobert was die Ermordung betrifft, festgestellt: Die Führung in sich den ganzen Kontinent. Wenn wir denen sagen: „Zu- Saudi-Arabien war einbezogen. – Mit anderen Worten: rück zu alten Nationalstaaten mit Pass und vielleicht Er meint den Kronprinz. Dann sagt er aber, die Topbezie- noch Visum“, denken die ja, wir haben eine Meise. Des- hungen zwischen den USA und Saudi-Arabien müssten halb sind wir Alten verpflichtet, für die Jugend die euro- bleiben, und zwar aus wirtschaftlichen Gründen und we- päische Integration zu retten, aber ganz anders, als das gen des gemeinsamen Feindes Iran. Damit sagt er aber bisher geschieht. auch: Ihr könnt weiter morden. Es ändert sich nichts; wir (Beifall bei der LINKEN) bleiben an eurer Seite.

Ich muss Ihnen wirklich mal sagen: Die internatio- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nalen Beziehungen und die Moral sind ja völlig auf den Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Hund gekommen. Das war früher nicht denkbar. die Kollegin Ekin Deligöz. (Beifall bei der LINKEN – Alois Karl [CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CSU]: Na ja, in Ihrer Zeit schon!)

Jetzt will die Kanzlerin die EU natürlich retten. Wo- Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): durch? Durch eine europäische Armee will sie den Zer- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fallsprozess aufhalten. habe heute Morgen gelernt, dass es das Besondere der Die Kanzlerin hat vor dem Europäischen Parlament Haushaltsdebatten ist, dass jeder zu jedem Thema reden gesprochen. Ein Wort hat sie nie benutzt, nämlich das kann. Jetzt muss ich mich fast schon entschuldigen, dass Wort „sozial“. Meinen Sie ernsthaft, Sie könnten den ich nun zum Etat des Auswärtigen Amtes rede. Kräften, die Europas Heil in einem völkischen Nationa- Herr Minister, eigentlich muss ich mit einem Lob lismus sehen, Paroli bieten, indem Sie aus der EU eine anfangen, weil in der Bereinigungssitzung etwas Gutes militärische Interventionsmacht machen? passiert ist. Wir haben die Mittel im Bereich „Auswärtige (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das ist Kultur- und Erinnerungspolitik“ gesteigert, doch Quatsch! Das wissen Sie doch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) Breite Teile der Bevölkerung Europas erleben dagegen und wir haben die Mittel für die Goethe-Institute und ihren sozialen Niedergang. Das ist das eigentliche Pro- auch für Projekte wie das Jugendwerk des Westbalkans blem der EU. gesteigert. Die Bereitstellung dieser Mittel wird das po- (Beifall bei der LINKEN) sitive Bild Deutschlands im Ausland prägen, und das ist das, was wir brauchen, was notwendig und wichtig ist. Diesem Aufrüstungsprogramm können wir auf gar Ich danke Ihnen dafür, dass Sie das alles ermöglicht ha- keinen Fall zustimmen, es sei denn, es kommt ein An- ben. Meine Fraktion unterstützt Sie in dem Bestreben, gebot, dass mit dem Aufbau einer europäischen Armee das voranzubringen. der Abbau aller nationalen Streitkräfte verbunden wäre. Ohne diese könnte es tatsächlich keinen Krieg mehr zwi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen den EU-Staaten geben. Aber daran ist ja gar nicht sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der gedacht. Sie wollen die europäische Armee obendrauf, SPD und der FDP) um die Rolle des Weltpolizisten mit zu übernehmen, die Ich möchte mich auch dafür bedanken, dass unsere Trump heimlich ein bisschen aufgibt. Aber ich finde, das Argumente, dass wir die Mittel für die humanitäre Hil- verstößt gegen das Grundgesetz und auch gegen die eu- fe und die Krisenprävention steigern müssen, bei Ihnen ropäische Idee. angekommen sind. Immerhin haben Sie da Geld draufge- legt; wir haben dazu ja mehrere Anträge gestellt. (Beifall bei der LINKEN – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Herr Gysi, Sie wissen es (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Wir auch!) besser!) Ich bin sehr froh, dass Sie das gemacht haben. Die EU muss grundsätzlich neu gestaltet werden, da- mit die europäische Integration wieder eine Zukunft hat. Gleichzeitig kommt ein großes Aber. Das Aber hat Wir brauchen die europäische Integration aus drei Grün- meine Kollegin Doris Barnett hier schon angesprochen. den: Sie hat gesagt: Die Krisenherde der Welt sind vielfältig, und ihre Zahl nimmt zu. – Sie selber, Herr Minister, ha- Erstens. Zwischen den EU-Staaten gab es noch nie ben in mehreren Reden – unter anderem auch im Haus- einen Krieg, während vorher in der Geschichte Europas haltsausschuss – immer wieder betont, dass im kommen- die Kriege zwischen diesen Staaten für alles kennzeich- den Jahr neue Aufgaben auf uns zukommen. Sie haben nend waren. Für die NATO gilt das nicht; denn zwischen zum Beispiel die Lage in Syrien und im Jemen mehrfach Griechenland und der Türkei gab es schon Krieg, aber angesprochen und gesagt, dass für die humanitären Kri- zwischen EU-Mitgliedsländern noch nicht. sen dort dringend unsere Unterstützung nötig ist. Hierfür Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7349

Ekin Deligöz (A) werden die Steigerungen, die Sie jetzt vorgenommen ha- land sind Frauen. Das ist der niedrigste Wert seit 15 Jah- (C) ben, vorne und hinten nicht reichen. Sie sind hier im Etat ren in Deutschland. insofern nicht ehrlich; Sie sind da auch nicht konkret. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist bedauerlich, weil Sie wissen, dass Sie über Die Schweden sind uns da weit voraus. Sie sagen: das Jahr mehr Geld brauchen werden. Sie werden dann „Wir machen eine feministische Außenpolitik“ und ha- wieder über die ÜPLs – über die Überplanmäßigen Aus- ben 40 Prozent der Botschafterstellen mit Frauen besetzt. gaben – gehen und so tun, als seien diese Krisen ganz Daran sollten wir uns orientieren. Wenn wir Frieden und überraschend entstanden. Es ist aber nicht überraschend, Sicherheit in der Außenpolitik vorantreiben wollen, dann was von Ihnen angekündigt wird, und von daher finde brauchen wir auch eine Gleichstellungspolitik. Dann ich, dass Sie Wahrheit und Klarheit des Etats an dieser heißt das aber auch, dass Frauen Verantwortung über- Stelle überstrapazieren. nehmen müssen, dass Frauen mitreden müssen. Das sage (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) übrigens nicht ich, sondern das steht in der UN-Resoluti- on 1325, zu der wir uns selbst verpflichtet haben. Besser wäre es, wenn Sie von vornherein glaubwürdig agieren würden. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Ganz unver- bindlich!) Ich will zur Zuwendungsbearbeitung kommen. Ja, es ist unser Auftrag als Haushälter, dafür zu sorgen, dass wir Wozu wir uns verpflichtet haben, daran sollten wir uns uns an das Haushaltsrecht halten. Frau Kollegin Malsack-­ auch halten. Hier müssen Sie in Ihrem Haus anfangen, Winkemann, Sie haben mit Blick auf den Bundesrech- die Dinge zu ändern. nungshofbericht die Situation im Auswärtigen Amt so hingestellt – wir alle haben den Bericht gelesen –, als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sähe es in diesem Haus wie Kraut und Rüben aus und als Ein Letztes. Ihr Haus hat sich das letzte Mal, als wir würde Willkür herrschen. Nein, das tut es nicht. Dieser Mitglied des UN-Sicherheitsrates waren, sehr gut damit Bericht ist differenzierter als das, was Sie dargestellt ha- profiliert, dass Sie das Thema „Kinder in bewaffneten ben. Da steht nämlich, dass Überprüfung sehr wohl statt- Konflikten“ herausgestellt haben. Jetzt wäre wieder so findet, dass diese Überprüfung besser werden kann und eine Chance da, nämlich das Thema „Frauen, Frieden, dass man an den Strukturen arbeiten muss. Sicherheit“ nach vorne zu bringen und in den Mittel- Der Auftrag geht an uns. Erstens sind wir als Abge- punkt zu stellen. Das wäre Fortschritt. Damit würden ordnete die Rechnungsprüfer. Wir haben dafür zu sorgen, wir Maßstäbe setzen und für eine moderne Außenpolitik dass die Vorgaben eingehalten werden. Das ist unser Job. einstehen. Wer will denn schon rückwärtsgewandt sein? Bis auf einige wenige in diesem Haus will das eigentlich (B) (D) (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder niemand. [SPD]) Vielen Dank. Zweitens geht es hier wirklich um eine verwaltungs- technische Geschichte. Sie haben gar nicht verstanden, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) worum es eigentlich geht: Eigentlich geht es nämlich darum, dass wir dieses Haus mit diesem Etat fit für die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Zukunft machen müssen. Die großen Aufträge liegen Ich erteile das Wort dem Bundesminister Heiko Maas. eben nicht in den Details der Verwaltungsmechanismen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die damit zu tun haben. Sie liegen vielmehr darin, dass der CDU/CSU) dieses Haus zum Beispiel dringend Personal im Ausland braucht, etwa für die Visastellen. Das ist ein Beispiel. Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- sowie des Abg. Johannes Schraps [SPD]) ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der griechische Oder die Personalbemessung in dem Bereich der Per- Philosoph Plutarch hat vor über 2 000 Jahren die Kri- sonalreserve – das ist ein weiteres Beispiel. Das reicht terien für einen idealen Haushalt benannt. Dieser dürfe nicht. Es geht auch nicht, dass wir hier im Inland das nichts Überflüssiges wollen und nichts Notwendiges Amt mit Personal aufblähen und dafür im Gegenzug das entbehren. Also müsste es heute eigentlich darum gehen: Personal im Ausland kürzen. Das werden wir am Ende Was ist überflüssig, teuer bezahlen, nämlich mit der Qualität der Arbeit im (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Der Rüstungs- Ausland. Wir brauchen die Mittel ferner für die Sicher- haushalt zum Beispiel!) heit der Menschen, die für uns im Ausland arbeiten, zum Beispiel für die Gebäudetechnik. Das heißt „fit für die und was ist notwendig? Zukunft machen“. Diese Antwort in Fragen der Außenpolitik zu geben, Das heißt aber auch – jetzt komme ich zu meinem ist alles andere als trivial; das haben einige Redner ja letzten Punkt –, dass wir die Potenziale der Menschen auch schon dargestellt. Im Moment gibt es so viele Ver- nutzen müssen. Dazu gehören auch Frauen. Herr Minis- änderungen, dass in der Außenpolitik eigentlich nur eines ter, hier habe ich große Erwartungen an Sie. Gerade mal gewiss ist, nämlich die Ungewissheit. Deshalb wird es 13 Prozent der deutschen Botschafterposten gehen an darum gehen, wenn wir deutsche Außenpolitik betreiben, Frauen. 32 Prozent der deutschen Attachés in Deutsch- dass wir uns auch um die Frage kümmern müssen: Wie 7350 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Bundesminister Heiko Maas (A) groß ist überhaupt unsere Gestaltungsmacht in der deut- Meine Damen und Herren, ein solches Europa – auch (C) schen Außenpolitik? das ist angesprochen worden – setzt zwingend einen noch engeren Schulterschluss zwischen Deutschland und Dazu kann ich Ihnen sagen: Unsere internationale Frankreich voraus. Ein erster wichtiger Schritt waren Gestaltungsmacht steht und fällt vor allen Dingen mit unsere gemeinsamen Reformvorschläge zur Wirtschafts- einem, nämlich der Geschlossenheit Europas. Deshalb, und Währungsunion und auch zur Außen- und Sicher- meine Damen und Herren, ist es das grundlegende Ziel heitspolitik. der deutschen Außenpolitik – darauf ist sie auszurich- ten –, Europa zusammenzuhalten; denn alle Herausforde- Ein weiterer Schritt wird der Abschluss eines neuen rungen, mit denen wir es zu tun haben, sind 2018 längst Élysée-Vertrages sein, der das Versprechen enthält, künf- grenzenlose Herausforderungen geworden: Die globali- tig alle zentralen Herausforderungen gemeinsam anzuge- sierte Wirtschaft kennt keine Grenzen. Das Klima kennt hen. keine Grenzen. Die Digitalisierung und das Internet ken- (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Wir zah- nen keine Grenzen, und die Migrationsfrage ist schon per len!) se eine internationale Frage. Das entspricht dem, was Emmanuel Macron vor wenigen 2018 und in den kommenden Jahren brauchen wir des- Tagen gesagt hat: Als deutsch-französisches Paar wollen halb eine Organisation wie die Europäische Union mehr wir uns diesen Herausforderungen stellen. – Dazu will denn je, und wer sich dieser Erkenntnis verweigert, der ich Ihnen ein Beispiel mit Blick auf den Sicherheitsrat beeinträchtigt und der verrät auch das deutsche Interesse. der Vereinten Nationen nennen. Wir werden im April (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nächsten Jahres den Vorsitz im Sicherheitsrat haben; die der CDU/CSU) Franzosen werden ihn im März haben. Wir haben uns mit den Franzosen zusammen entschlossen, sozusagen als Meine Damen und Herren, ich finde, bei allen Schwie- Paar aus zwei Vorsitzmonaten einen gemeinsamen Vor- rigkeiten, die wir in der Europäischen Union haben, ist sitz zu machen. Das heißt, die Franzosen fangen auch mit das Jahr 2018 in der Außenpolitik der Europäischen Uni- unseren Themen an, und wir behandeln in den Wochen, on durchaus ein erfolgreiches gewesen. in denen wir dran sind, auch die französischen Themen. (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Was soll Wir sind also nicht erst jetzt, sondern schon lange es auch anderes sein!) dabei, diese Zeit vorzubereiten. Ich finde, das ist ein schönes Beispiel dafür, dass das „deutsch-französische Herr Djir-Sarai, wenn Sie in vielen Punkten das Feh- Paar“ nicht nur eine schöne Formulierung, sondern schon (B) len einer Strategie beklagen, will ich Ihnen, was China längst Realität ist, und zwar dort, wo es darauf ankommt, (D) angeht, sagen: Die Europäische Union hat doch gerade zum Beispiel in einem Gremium wie dem Sicherheitsrat ihre sogenannte Konnektivitätsstrategie auf den Weg ge- der Vereinten Nationen. bracht, gerade mit Blick auf China. Wir sind dabei und wollen bis Ende des Jahres bzw. Anfang nächsten Jahres (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen eine neue Zentralasienstrategie der Europäischen Union Hardt [CDU/CSU]) formuliert haben. Und bei der Diskussion um das Nukle- Ein weiterer Punkt, der uns in Europa ganz besonders arabkommen mit dem Iran etwa hat die Europäische Uni- beschäftigt, ist der Austausch mit unseren mittel- und on doch allen Unkenrufen zum Trotz bis zum heutigen osteuropäischen Nachbarn. Den haben wir in den letzten Tage große Geschlossenheit bewiesen. Monaten in der deutschen Außenpolitik ganz maßgeblich verstärkt. Ein Stichwort ist zum Beispiel die Drei-Mee- Ich finde, wir sind auch gerade im letzten Jahr in der re-Initiative, der wir beigetreten sind. Außen- und Sicherheitspolitik ganz wesentlich vorange- kommen. Nachdem wir Ende 2017 die Ständige Struktu- Letztlich, glaube ich, dürfen gerade wir Deutschen rierte Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich aus der kein Interesse an einer neuen Spaltung unseres Konti- Taufe gehoben haben, haben wir uns als EU-Außenmi- nentes, und zwar in Ost und West, haben. Das nennen wir nister gerade am vergangenen Montag auf einen verbind- eine europäische Ostpolitik, die den derzeit herrschenden lichen Pakt zur Stärkung der zivilen Seite der Gemeinsa- Minimalkonsens in der Politik der Europäischen Union men Sicherheits- und Verteidigungspolitik geeinigt. Das gegenüber ihren östlichen Nachbarn überwindet. Das heißt, wir werden in Berlin ein europäisches Kompetenz- gelingt nur, wenn Prinzipienfestigkeit und Dialog dabei zentrum gründen. Hand in Hand gehen. Davon müssen wir aber erst einmal viele unserer Partner in Europa überzeugen. (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auf jeden Fall ist Deutschland innerhalb der Euro- päischen Union bzw. in Europa ein guter Brückenbauer Wir werden dort Leute ausbilden, die wir in die Krisen- zwischen Ost und West. Deshalb ist gerade in dem Be- gebiete schicken, damit aus Krisen keine Kriege werden. reich die deutsche Außenpolitik nicht die des erhobenen Das ist, finde ich, etwas, was der deutschen Außenpolitik Zeigefingers, sondern der ausgestreckten Hand, und auch gut zu Gesicht steht. das ist gut für unser Bild in Deutschland, in Europa und darüber hinaus. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten GRÜNEN) der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7351

Bundesminister Heiko Maas (A) Meine Damen und Herren, auch Großbritannien ist Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: (C) ein wichtiges Thema. Niemand weiß heute, wie im Un- Ich komme gerade zum Ende, Herr Präsident, und terhaus in London entschieden wird. Aber wir sind auf würde das gerne im Zusammenhang ausführen. alles vorbereitet beim Austritt Großbritanniens: mit oder ohne Abkommen. Aber eines ist dabei auch klar: Groß- Ja, wir wollen nicht zum Schauplatz von nuklearen britannien ist für uns ein wichtiger Wertepartner, wenn es Aufrüstungsdebatten werden. um Demokratie, Menschenrechte und Freiheit in Euro- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) pa, aber auch darüber hinaus, geht. Unabhängig davon, ob Großbritannien Mitglied der Europäischen Union ist: Aber es geht weit darüber hinaus. In Zukunft wird nicht Wir werden auch in Zukunft zusammen mit Großbritan- mehr von Megabomben die größte Gefährdung ausge- nien unsere Ziele abstimmen. Deshalb arbeiten wir da- hen, sondern von Megabits und Megabytes. Deshalb ran, dass wir in der Außenpolitik auch nach dem Austritt müssen wir in all den Bereichen, die international und einen engen strategischen Dialog realisieren. Auch das multilateral nicht geregelt sind, die Frage auf die Tages- ist gut und wichtig. ordnung setzen: Wie können wir international und mul- tilateral dafür sorgen, dass auch diese Dinge geregelt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werden? Das sind die Bedrohungslagen, die in Zukunft der CDU/CSU) auf uns zukommen. Wir wollen darauf eine multilaterale Was sind unsere Themen im Sicherheitsrat der Ver- Antwort geben. einten Nationen, Frau Deligöz? Natürlich sind das keine Herzlichen Dank. Themen, die wir uns aus den Fingern saugen. Das alles ist in der Wahlkampagne deutlich kommuniziert worden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich kann sagen: Es sind Menschenrechtsfragen, es ist die Schlüsselrolle von Frauen in Friedensprozessen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Hänsel von der Fraktion Die Linke. Anschließend kommt und die Verbindung zwischen Klimawandel und Sicher- Herr Müller-Rosentritt; immer der Reihe nach. – Bitte, heit, die unsere prioritären Themen für die zwei Jahre im Frau Kollegin. Sicherheitsrat sind. Ich finde, diese sind wirklich gut ge- wählt. Heike Hänsel (DIE LINKE): (Beifall bei der SPD) Danke schön, Herr Präsident. – Herr Außenminister Maas, ich will nachhaken, weil Sie am Ende Ihrer Rede (B) Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. zweimal erwähnt haben, dass wir eine nukleare Ausei- (D) Deutschland und Europa werden als Säulen der interna- nandersetzung vermeiden müssen, und den INF-Vertrag tionalen Ordnung stärker gebraucht als je zuvor. Das gilt genannt haben. Meine konkrete Frage wäre: Schließen vor allen Dingen und gerade aktuell für die Abrüstungs- Sie für die Bundesregierung aus, dass neue landgestütz- und Rüstungskontrollarchitektur. Wir wollen Abrüstung te, atomar bestückbare Mittelstreckenraketen vonseiten und Rüstungskontrolle in den kommenden Monaten der USA in Deutschland stationiert werden? Schließt die wieder auf die internationale Tagesordnung setzen. Es Bundesregierung, schließen Sie das aus? geht dabei um nicht mehr und nicht weniger als um eine Überlebensfrage der Menschheit. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Vereinigten Staaten nicht vorschnell Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: aus dem INF-Vertrag aussteigen. Wir wollen nicht, dass Herr Minister, kann gleich die zweite Zwischenfrage Europa zum Schauplatz einer nuklearen Aufrüstungsde- gestellt werden? – Dann können Sie im Zusammenhang batte wird. antworten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (FDP): der CDU/CSU) Frank Müller-Rosentritt Sehr geehrter Herr Bundesminister, mein Kollege Aber wir wollen noch mehr; denn das wird nicht rei- Bijan Djir-Sarai hat Sie in seiner Rede gefragt, wie Sie chen. Es gibt mittlerweile Fragen, die seit 1987, als der das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung bei der INF-Vertrag abgeschlossen wurde, entstanden sind und UN-Vollversammlung in der letzten Woche erklären. um die sich damals keiner kümmern konnte. Die Fragen Denn das wirft für uns große Fragen auf. Ich würde mich betreffen: „Was geht heute in der Rüstung?“, künstliche freuen, wenn Sie diese Frage beantworten könnten. – Intelligenz, Weltraumwaffen, Cyberkriege. Gerade das Danke. Letztgenannte ist wichtig. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine Bedrohungslage in Europa oder sonst wo auf (Beifall bei der FDP) der Welt am ehesten durch die Möglichkeiten entsteht, die die Cyberwelt bietet. Die größte Herausforderung ist, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: etwas dagegen zu unternehmen, dass Cyberangriffe auf Herr Minister, bitte schön. kritische Infrastrukturen stattfinden. Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Zunächst zum INF-Vertrag. Ich habe darauf hingewie- Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? sen, dass wir zurzeit dabei sind, die Amerikaner davon 7352 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Bundesminister Heiko Maas (A) zu überzeugen, nicht vorzeitig aus diesem Vertrag aus- Das ist unsere Linie, und die halte ich auch mit Blick (C) zusteigen. Ich bin davon überzeugt, dass es dafür noch auf Israel für eine sehr vernünftige. Bei jedem Resolu- eine Chance geben wird. Diese Chance wollen wir nut- tionsentwurf, der verhandelt wird, sind wir diejenigen, zen. Wenn es dazu führt, dass der INF-Vertrag bestehen die in der Debatte bis zum letzten Tag für die Interessen bleibt, dann wird sich diese Debatte, ob es im Mittelstre- Israels streiten. Wenn wir von vornherein nur Nein sagen, ckenbereich zu einer nuklearen Nachrüstung kommt, er- wird uns diese Möglichkeit genommen, und dies hielte übrigen. ich nicht für richtig. Ich sage Ihnen auch, dass die Haltung der deutschen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bundesregierung an dieser Stelle ganz klar ist – das ha- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ ben wir schon mehrfach gesagt –: Wir wollen nicht nur, DIE GRÜNEN) dass es keine Debatte darüber gibt; wir wollen auch nicht, dass nukleare Mittelstreckenraketen wieder in Deutsch- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: land stationiert werden, und das ist der Grund, warum Vielen Dank, Herr Minister. – Der nächste Redner ist wir uns um den Erhalt dieses Vertrages bemühen. für die AfD-Fraktion der Kollege Armin-Paulus Hampel. Wir wollen sogar noch mehr: Wir wollen, dass auch (Beifall bei der AfD) andere Waffensysteme, die es mittlerweile gibt, die 1987 noch nicht erfunden waren, in ein internationales Rüs- tungskontrollregime einbezogen werden. Wir wollen, Armin-Paulus Hampel (AfD): dass auch die Chinesen dort einer der Vertragspartner Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Besu- werden. Deshalb wenden wir uns nicht nur dagegen, dass cher im Deutschen Bundestag! Herr Minister Maas, das es zu einer neuen nuklearen Mittelstreckenbewaffnung in nenne ich eine rhetorisch-diplomatische Supervolte, die Deutschland oder in Europa kommt, sondern setzen uns Sie da hingelegt haben: Wir stimmen bei der UN gegen auch dafür ein, dass auch für andere Waffensysteme, für Israel, aber wir sorgen dafür, dass es nicht ganz so scharf die es überhaupt keine Regelung gibt, Regelungen ge- ausfällt. funden werden, sodass wir nicht in anderen Bereichen (Beifall bei der AfD) weiter aufrüsten. Das müssen Sie unseren israelischen Freunden in Jerusa- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lem und Tel Aviv, glaube ich, erst mal erklären. Was das Thema Israel angeht: Deutschland hat in den Lieber Herr Karl, ich freue mich ja mit Ihnen, dass letzten Jahren – das ist keine aktuelle Entwicklung – bei Sie sich so über den Haushalt freuen. Im Gewandhaus in (B) den Vereinten Nationen bei Israel-Resolutionen immer Leipzig steht ein sinnvoller lateinischer Spruch, ich glau- (D) eine Linie verfolgt, und diese Linie bestand darin, dass be: Res severa gaudium est. – Die Freude ist eine ernst- wir versucht haben, bei den Diskussionen über entspre- hafte Sache. – Die ernsthafte Sache beginnt schon damit, chende Texte bis zum Schluss dabei zu sein. Deshalb dass sich anscheinend keiner von Ihnen ernsthaft mit haben wir uns bei vielen Resolutionen, auch bei denen, dem auseinandersetzen will, was meine Kollegin Mal- die angesprochen worden sind – das wird auch bei ei- sack-Winkemann nicht aus einem AfD-Papier, sondern nigen, die noch kommen, so sein –, nicht vorzeitig aus vom Bundesrechnungshof zitiert hat. Der Bundesrech- der Debatte zurückgezogen und gesagt: „Wir stimmen nungshof haut dem Auswärtigen Amt seine Ausgabenpo- mit Nein“, sondern wir haben uns – und das in Abstim- litik, besonders bezüglich NGOs und Gutmenschentum, mung mit der israelischen Vertretung; nicht immer zu de- links und rechts um die Ohren, meine Damen und Herren. ren Zufriedenheit, aber in Abstimmung mit ihr – immer darum bemüht, dass die Texte, für die es mit uns oder (Beifall bei der AfD) ohne uns bei den Vereinten Nationen in der Regel eine Das ist die Aussage nicht von uns, sondern des Bundes- Mehrheit gibt, nicht so ausfallen, wie das vielleicht von rechnungshofs. Es gibt keine klaren Begründungen. Die dem einen oder anderen beabsichtigt war. Deshalb haben Mittel sind keiner weiteren Kontrolle unterworfen. Es unsere Interventionen immer dazu geführt, dass den Tex- gibt keine Nachfragen: Was ist von wem mit welchen ten viele Schärfen genommen worden sind. Dazu gibt es Mitteln geschehen? Die übliche Formel „SMART“ – viel Zustimmung von der israelischen Seite, auch wenn also: spezifisch, messbar, angemessen, realistisch, termi- man sich da – das will ich gar nicht leugnen – noch mehr niert – wurde, und zwar nicht erst in den letzten Jahren, erwarten würde. sondern schon in den letzten zwölf Jahren – dafür können Sie nur bedingt was, Herr Minister –, konsequent außer Unsere Linie ist die – das wird auch die Linie in der Acht gelassen. Das ist das eine – die Art und Weise, wie Zukunft sein –: Anstatt frühzeitig aus der Debatte raus- Sie meinen mit dem Geld der Bundesbürger umgehen zu zugehen und damit Resolutionstexte zu bekommen, die können, auch was die Außenpolitik anbelangt. deutlich schärfer gegen Israel gerichtet sind, wollen wir in den Debatten so lange wie möglich Einfluss nehmen Aber das andere ist, dass der Begriff Außenpolitik in und dafür sorgen, dass die Texte nicht diese Schärfe ha- vielen Reden hier schon gar nicht mehr richtig – von Ih- ben, dass Dinge, die dort ursprünglich stehen, die wir nen, Frau Barnett, erst recht nicht; das war eher Arbeiter- nicht mittragen können, auch nicht verabschiedet wer- wohlfahrt, was Sie hier verkündet haben – Erwähnung den. Wenn gewisse Dinge aus dem Text nicht rauskom- findet. Hier wird von Ihnen von den vielen Maßnahmen men, haben wir in der Vergangenheit auch dagegenge- gesprochen, die wir gutmenschentummäßig in der Welt stimmt. unternehmen. Das sind alles hehre und wunderbare Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7353

Armin-Paulus Hampel (A) Ziele, aber das rechtfertigt doch keine Steigerung von seine Nichtanerkennung bekundet. Auch da, meine Da- (C) 2 500 Prozent nur für humanitäre Zwecke. Sie meinen, men und Herren, sind wir auf dem Holzweg. das sei richtig; wir meinen, dass das nicht richtig ist und vielmehr wieder gelten muss, was hier oben über uns am Was machen wir? Wir lassen im Grunde genommen Haupteingang – durch den geht ja leider keiner mehr –, zu, dass Europa in ein Nord und ein Süd geteilt wird. Wir steht, nämlich dass Sie in erster Linie dem deutschen lassen zu – da gebe ich dem Kollegen Djir-Sarai recht –, Volke verpflichtet sind und auch die Außenpolitik im dass im Nahen Osten, einer Region, die in unmittelbarer Namen des deutschen Volkes zu machen ist. Nachbarschaft zu Europa liegt, nichts mehr unternom- men wird, um stabilisierend und friedensstiftend dort zu (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Für das wirken. Ja, es waren nicht die Deutschen, sondern vor- Sie nicht sprechen!) nehmlich erst einmal die Amerikaner mit dem Irakkrieg, die diese Region in ein Chaos gestürzt haben, mit Fol- Darum geht es. Das steht da oben. Gehen Sie demnächst gen in Libyen. Die sogenannte arabische Revolution, der durch den Westeingang, Frau Kollegin. „schöne“ Arabische Frühling, hat sich als eine furchtbare (Beifall bei der AfD) Katastrophe erwiesen. Der gesamte Nahe Osten ist heu- te so instabil, so destabilisiert wie nie zuvor in den ver- Wir streuen aus, sind mit dem Füllhorn der Gutmen- gangenen Jahrzehnten. Das zu ändern, daran sollten wir schen unterwegs und meinen: Am deutschen Wesen soll arbeiten. Ich glaube, es war der Kollege Trittin von den die Welt genesen. Grünen, der gesagt hat – und da gebe ich ihm recht –: Wir (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Deutschen könnten ein Zeichen setzen und könnten eine GRÜNEN]: Sagt er in jeder Rede!) Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten kreieren. – Ich glaube, mein Ausschussvorsitzen- Ich habe dem Kollegen Hardt ja schon mal erzählt, er der Herr Röttgen hat Ähnliches gesagt. Eine Sicherheits- soll „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark lesen; konferenz zum Nahen Osten, das wäre eine sinnvolle da haben Sie die Resultate der wilhelminischen Politik. politische Initiative, um die unmittelbare Nachbarschaft Wir folgen heute genau dem Gleichen: Wir sind Schlaf- von Europa wieder zu stabilisieren, meine Damen und wandler geworden, wir ignorieren die Veränderungen in Herren. der Welt. (Beifall bei der AfD) (Christoph Matschie [SPD]: Sie sind Schlaf- wandler!) Sie sprechen von der Integration, und Sie tun das Ge- genteil durch unverantwortliche Alleingänge. 2015, mei- Erstaunlicherweise ist ja genau das Gegenteil von ne Damen und Herren, war – und das wissen Sie alle ganz (B) dem der Fall, was Sie uns, Herr Minister, und auch die genau – ein unverantwortlicher Alleingang der Bundes- (D) Frau Bundeskanzlerin heute versucht haben zu vermit- kanzlerin. Ein unverantwortlicher Alleingang! Damit ha- teln, nämlich dass wir friedensstiftend und verbindend ben Sie die Spaltung Europas erheblich vorangetrieben. unterwegs seien. Genau das Gegenteil ist der Fall: Herr Trump nennt Ihre Politik ein Desaster; mit Herrn Putin (Beifall bei Abgeordneten der AfD) haben Sie sich überworfen. Das haben Sie schon einmal gesagt – dieser Einwand müsste jetzt von Ihnen kommen. Die osteuropäischen Völker folgen Ihnen nicht mehr. Stimmt! Aber das sind die Fakten. Italien geht uns gerade Und sie machen es aus nationalem Stolz – ja, aus nati- flöten. Großbritannien, meine Damen und Herren, ist mit onalem Stolz, damit Sie mal wieder in Schnappatmung dem Brexit aufgrund der Merkel-Politik aus der Europäi- verfallen –, weil sie, die Ungarn, die Polen, die Tsche- schen Union ausgestiegen – das ist die Wahrheit –, chen, die Balten, wissen, was es heißt, von fremden Mächten beeinflusst zu werden, und sie sagen Nein zu (Beifall bei der AfD) einer Migrationspolitik, die Sie ihnen aufoktroyiert ha- ben. Und das wollen sie nicht. weil Sie mit Ihrer Machtpolitik in Europa bei den Briten auf Granit gebissen haben. Die Briten wissen noch, wie (Beifall bei der AfD) man sich zu wehren hat. Jetzt kommt die Krönung des Ganzen am 10. Dezem- (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ber in Marrakesch – übrigens auch am 11. mit dem Global NEN]: Meine Güte!) Compact on Refugees –: Global Compact for Migration. Der tschechische Präsident Zeman nennt die Bundesre- Ich sage Ihnen eins: Sie belügen das Volk. – Ich komme gierung einen Haufen von Idioten. Der polnische Bot- zu meinem letzten Satz, Herr Präsident. schafter verweigert Ihnen öffentlich den Handschlag bei der Begrüßung und nennt Ihre Polen-Politik eine Kata- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: strophe. Bitte. (Frank Schwabe [SPD]: Was ist das denn für ein Quatsch?) Armin-Paulus Hampel (AfD): Inzwischen höre ich, dass mehrere Länder, nicht nur Sie belügen das Volk, indem Sie ihm vormachen, der Österreich und Ungarn, sondern auch das Baltikum, aus Global Compact hätte rechtlich keine bindende Wirkung. dem Compact for Migration, der heute so gelobt wurde, Ihr Haus hat schon signalisiert, Herr Maas, dass das in ausgestiegen sind. Ich glaube, Australien hat auch gerade nationales und europäisches Recht übernommen werden 7354 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Armin-Paulus Hampel (A) soll. Sie öffnen die Tore Deutschlands und Europas für Bürgerinnen und Bürgern und an den Politikern des Lan- (C) eine weitere Welle von Millionen Migranten des vorbei gestaltet worden wäre, der lügt. (Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – DIE GRÜNEN) Dr. Alexander Gauland [AfD]: Nein, der lügt nicht! Der sagt die Wahrheit!) und wollen damit nur eines erreichen: dass es das Deutschland, das es vorher gab, in der Form nicht mehr Die Vereinten Nationen haben über die Bundesregierung geben soll. zu mehreren Stakeholder-Konferenzen eingeladen, in New York und in Genf. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das ist Hass und Hetze!) (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Die sind nicht hingefahren!) Sie von der Union machen da mit – schämen Sie sich! –, Das Auswärtige Amt hat diese Einladung allen Fraktio- ebenso wie Sie von der FDP. nen des Deutschen Bundestages zukommen lassen. Von Danke schön. der AfD ist meines Wissens kein einziger Abgeordneter bei einer dieser Konferenzen gewesen, (Beifall bei der AfD – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Alles gelogen!) (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Es war jemand da!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und jetzt reißen Sie hier das Maul auf. Das ist unehrlich Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der hoch drei! Kollege Jürgen Hardt. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU) GRÜNEN) Ich entschuldige mich für das Wort „Maul“. Jürgen Hardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Heuchler!) möchte zu Beginn meiner Rede den Haushältern im Be- Die zweite große Herausforderung – der Bundesau- reich der Außenpolitik des Deutschen Bundestages herz- ßenminister hat davon gesprochen – bilden die transat- lich danken. lantische Zusammenarbeit und unsere Sicherheit. Ich (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. möchte Sie ausdrücklich darin unterstützen, am 4. und (D) Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE 5. Dezember bei der Außenministerkonferenz der NATO GRÜNEN]) die Chance zu ergreifen, den amerikanischen Präsiden- ten, die amerikanische Regierung davon abzubringen, Es gibt eine gute Zusammenarbeit mit unserem Haushäl- den INF-Vertrag aufzukündigen. Ich glaube, wir sind uns ter bei der Bewertung, dass Russland den INF-Vertrag ver- letzt, einig – auch unsere Fraktion hat sich mit dem The- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ ma beschäftigt und kommt zu diesem Ergebnis –, und wir DIE GRÜNEN]: Mit unseren auch!) sind uns auch einig, dass es eine Antwort geben muss. Alois Karl. Das gilt genauso für die anderen demokra- Wir sind uns mit den amerikanischen Kolleginnen und tischen Fraktionen des Hauses. Es ist der richtige Weg, Kollegen, mit den Senatoren und Kongressmitgliedern, dass wir am Haushalt das eine oder andere auch auf Be- mit denen gerade einige Abgeordnete des Deutschen schluss des Auswärtigen Ausschusses noch verbessert Bundestages in Halifax Gelegenheit hatten zu sprechen, haben. Die Fakten dazu hat Alois Karl genannt. einig, dass es eine gemeinsame Antwort der NATO ge- Wenn man sich die Frage stellt, was gegenwärtig und ben muss, dass die Antwort aber natürlich in keinem in den nächsten Jahren die größte Herausforderung der Fall eine atomare Nachrüstung sein kann. Das schließen Außenpolitik ist, dann sind wir uns sicher alle einig, auch die Amerikaner, meines Erachtens auch der Sicher- dass das der Erhalt der multilateralen Ordnung ist, die heitsrat des amerikanischen Präsidenten, aus. Aber eine von vielen Seiten herausgefordert wird. Die multilatera- Voraussetzung für diese Geschlossenheit ist, dass der le Ordnung, so wie wir sie haben, etwa in den Verein- amerikanische Präsident darauf verzichtet, diesen einsei- ten Nationen, ist zwar nicht in dem allerbesten Zustand, tigen Schritt zu gehen. Ich kann Sie nur ermutigen, das aber wenn ich mir vorstelle, wir müssten das, was wir im gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen im Au- Rahmen der Vereinten Nationen geschaffen haben, heute ßenministerrat der EU entsprechend durchzusetzen. neu aus der Taufe heben, dann hätte, so fürchte ich, die Wir haben natürlich weitere Belastungen im transat- Völkergemeinschaft diese Kraft heute nicht. Deswegen lantischen Verhältnis, zum Beispiel den Streit über den müssen wir diesen Schatz wahren und schützen. Handel. Wir müssen auch im Umgang mit sachlicher Kritik an der einen oder anderen Entscheidung der Vereinten Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Nationen Gerechtigkeit walten lassen. Wer zum Beispiel Herr Kollege Hardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage behauptet, dass der Global Compact for Migration an den vom Kollegen Hampel? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7355

(A) Jürgen Hardt (CDU/CSU): sich einig sei, dass die russische Seite gegen den INF-Ver- (C) Ich gestatte eine Zwischenfrage des Kollegen Hampel. trag verstoßen würde. Ich sehe bislang noch keinen be- lastbaren Beweis; aber das sei dahingestellt. Es gibt aber auch seitens Russlands Kritik an den USA, dass sie mit Armin-Paulus Hampel (AfD): Blick auf das Raketenabwehrsystem gegen den INF-Ver- Sehr freundlich, Herr Kollege Hardt. – Ich habe nur trag verstoßen würden, zum Beispiel mit der Startrampe eine ganz schlichte Frage: Trifft es zu, dass es die AfD MK 41. Lockheed Martin, die Rüstungsschmiede in den war, die den Global Compact for Migration hier, in die USA, die genau das herstellt, wirbt damit, dass MK 41 Debatte des Deutschen Bundestages, eingebracht hat und auch tauglich sei, um Cruise-Missiles abzuschießen, egal dass es unser Antrag im Auswärtigen Ausschuss war, sich ob konventionell oder atomar bestückt. Somit würde ja überhaupt damit zu beschäftigen? dann die Kritik der russischen Seite an den Amerikanern (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: mit Blick auf den INF-Vertrag zutreffen. Wurde das in- Falsch!) nerhalb der NATO-Gremien ebenfalls besprochen? Wel- che Maßnahmen gedenkt denn die Bundesregierung zu Dann ist doch die Frage, ob Sie es nicht für richtig halten, ergreifen, um den Amerikanern an dieser Stelle auf die dass ein so wichtiger Pakt mit über 79 verpflichtenden Finger zu klopfen? Bindungen (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/ Jürgen Hardt (CDU/CSU): DIE GRÜNEN]: Och! – Weiterer Zuruf vom Das haben die Amerikaner an dem Punkt nicht nötig, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stimmt doch da die Amerikaner im Gegensatz zu den Russen gemäß gar nicht!) dem Vertrag mit Blick auf diese Raketenabwehrsys- dem deutschen Volk vorgestellt wird, bevor er am 10. De- teme große Transparenz zulassen. Das sind eben Bo- zember in Marrakesch unterschrieben wird, lieber Herr den-Luft-Raketen und keine Boden-Boden-Raketen, so Hardt. wie die modifizierte SSC-8. Aufgrund der Erkenntnisse sind wir uns im Westen darin einig, dass die russischen Systeme den Vertrag „highly likely“, also höchstwahr- (CDU/CSU): Jürgen Hardt scheinlich, verletzen. Russland könnte dem ganz einfach Ich glaube, dass wir im Deutschen Bundestag be- entgegnen und den Vorwurf aus der Welt räumen, indem reits ausgiebig Gelegenheit hatten, über diesen Pakt zu es zuließe, dass sich Inspektoren des Vertragspartners sprechen. Wir haben am 19. April darüber geredet, die Amerika die Dinge anschauen; aber das tun die Russen Bundesregierung hat Antworten auf Kleine Anfragen ge- nicht. geben, und wir werden in der kommenden Woche über (B) (D) diesen Global Compact for Migration reden. Die Bürge- Ich möchte an dieser Stelle noch ergänzen: Russland rinnen und Bürger haben die Möglichkeit, wie das bei verfügt über atomare Mittelstreckenraketen, die Europa UN- und EU-Dokumenten in der Regel der Fall ist, die bedrohen, auf Schiffen und an Flugzeugen. Amerika oder Dinge eins zu eins zu lesen. die NATO insgesamt haben ihrerseits keine entsprechen- de Waffe. Wenn Sie so wollen, gibt es im Bereich der (Lachen des Abg. Dr. Alexander Gauland atomaren Mittelstreckenraketen in Europa innerhalb und [AfD]) außerhalb des Regimes des INF-Vertrages ein drastisches Ich glaube, es bedarf in diesem Deutschen Bundestag Ungleichgewicht. Dass das offen angesprochen werden keines Anstoßes der faschistisch-völkischen Identitären muss und dass wir uns als NATO darauf eine Reaktion Bewegung, uns dazu zu bringen, diese Dinge ernst zu überlegen müssen, ist klar. Diese Reaktion muss meines nehmen. Ich finde es beschämend für die AfD, dass Sie Erachtens darin bestehen, Russland dazu zu bringen, sich auf diese Kampagne draufsetzen. Für Sie ist dieser auch auf solche Waffen zu verzichten. Das halte ich – Global Compact das Chlorhühnchen, mit dem Sie versu- auch gegenüber den Bürgern – für die einzig vernünftige chen, ein Thema ohne sachliche Argumente hochzuzie- und auch notwendige Antwort. hen. Damit werden Sie auf die Nase fallen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Dr. Nils Schmid [SPD]) wie bei Abgeordneten der FDP – Udo Theodor Bevor die Zwischenfragen kamen, habe ich über die Hemmelgarn [AfD]: Das werden wir sehen!) Handelspolitik gesprochen. Ich möchte auf einen Punkt hinweisen: Der amerikanische Präsident hatte mit dem Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Präsidenten der Europäischen Kommission, Juncker, im Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kolle- Juli vereinbart, dass es zwischen der EU und den Verei- gen Neu? nigten Staaten von Amerika Gespräche über die wechsel- seitigen Beschwernisse in der Handelspolitik gibt. Es ist üblich, dass man während solcher Phasen die vorgesehe- Jürgen Hardt (CDU/CSU): nen Maßnahmen suspendiert bzw. keine neuen Maßnah- Herr Kollege Neu. men ergreift, die die andere Seite verärgern könnten, weil es schlicht und einfach darum geht, dass man eine gute Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Verhandlungsbasis schafft. Juncker und Trump haben die Herr Kollege Hardt, ich möchte zum INF-Vertrag zu- Agrarpolitik ausdrücklich von den jetzt in Rede stehen- rückkommen. Sie haben ja gerade ausgeführt, dass man den Verhandlungsgegenständen ausgenommen. Wenn 7356 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Jürgen Hardt (A) der amerikanische Präsident nun mit der Begründung, Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (C) dass Europa in Agrarfragen gegenüber Amerika nicht GRÜNEN]) großzügig genug sei, Zölle gegen Automobilimporte in die USA erhebt, dann ist das aus meiner Sicht nicht red- Deshalb brauchen wir dringend Einrichtungen, die wie lich. Schließlich war zwischen Juncker und Trump ver- unser diplomatischer Dienst personell und technisch in abredet, dass das keine Rolle spielt. Deswegen kann ich der Lage sind, diese Herausforderungen zu meistern, nur hoffen und die amerikanische Seite auffordern, von die in ihren Kernkompetenzen gestärkt werden und die Strafzöllen bei Automobilimporten aus Europa abzuse- mit anderen Akteuren des deutschen Außenhandels, dem hen, zumal die amerikanische Automobilindustrie diese BMZ und dem Verteidigungsministerium, engstmöglich Maßnahme auch für ungerechtfertigt hält. vernetzt sind. Ich möchte ganz kurz noch auf den einen oder ande- Ich hätte mir ehrlich gesagt schon gewünscht, dass ren Aspekt eingehen, den der Außenminister zu Europa Sie, Herr Minister, wenn Sie hier heute eine Rede hal- gesagt hat; der Kollege von Marschall wird darauf näher ten und wichtige außenpolitische Themen ansprechen – eingehen. beim Global Compact for Migration wäre es im Übrigen gut gewesen, dass der Außenminister erklärt, wie wichtig Ich glaube, dass wir, wenn Großbritannien tatsäch- er ist –, lich aus der EU austreten sollte, möglichst rasch einen deutsch-britischen Freundschaftsvertrag verabreden (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Dann könnten sollten, in dem wir sicherstellen, dass die bilateralen Be- die Deutschen ja zuhören! Furchtbar!) ziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland auch etwas zum Haushalt sagen. Sie haben aber kein ähnlich eng bleiben, wie sie es heute sind, und so eng Wort zum Thema Haushalt gesagt. Wir würden Sie für bleiben, wie sie zum Beispiel zu Frankreich sind und – das Haus, dem Sie vorstehen, gerne mehr kämpfen sehen; das wäre erstrebenswert – auch zu Polen sein sollten. denn dieses Haus trägt ganz entscheidend dazu bei, dass Dieser Freundschaftsvertrag könnte viele Dinge enthal- wir Friedensdienst leisten können. Auswärtiger Dienst ten, die wir sonst im Rahmen Europas regeln. Letztlich ist Friedensdienst. Da geschieht unseres Erachtens von steht die Teilnahme Großbritanniens am europäischen Ihnen persönlich, Herr Minister, entschieden zu wenig. Studenten- und Schüleraustauschprogramm infrage. Da könnte ein deutsch-britischer Freundschaftsvertrag einen (Beifall bei der FDP) Beitrag leisten. Ich glaube, dass wir den Britinnen und Obwohl in der Bereinigungssitzung einiges erreicht Briten sagen müssen: Egal wie es im Unterhaus ausgeht, werden konnte, haben wir es in vielen Bereichen immer egal wie ihr euch entscheidet, wir bleiben fest an eurer noch mit einer veritablen Ausstattungskrise im Auswär- Seite. – Deutschland ist dem britischen Volk auch mit (B) tigen Amt zu tun. Wir haben in der ersten Lesung mas- (D) Blick auf die Nachkriegsgeschichte zu großem Dank sive Kritik geäußert an der Mittelausstattung, an den verpflichtet. Rahmenbedingungen für das Personal, an der Sicher- Herzlichen Dank. heitsausstattung und der Digitalisierung, an den langen Visabearbeitungszeiten, aber auch an der mangelhaften (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Unterstützung zum Beispiel für das UN-Flüchtlingshilfs- ordneten der SPD) werk. Ein paar Dinge konnten verbessert werden. Des- halb sage ich Danke für die gute und kollegiale Zusam- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: menarbeit in den vergangenen Wochen. Ich möchte mich Vielen Dank, Herr Kollege Hardt. – Der nächste Red- auch im Namen der Fraktion bei den Mitberichterstattern ner ist der Kollege Michael Link, FDP-Fraktion. des Einzelplans 05, beim Haushaltsreferat des Auswär- tigen Amtes und auch – lassen Sie mich das deutlich (Beifall bei der FDP) sagen – bei allen anderen Angehörigen des Auswärtigen Amtes bedanken, die für Deutschland Dienst tun, im In- Michael Georg Link (FDP): land wie im Ausland, im Ausland oft an sehr gefährlichen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Orten. Dafür ein ausdrückliches Dankeschön! Liberale fühlen uns wie die übergroße Mehrheit in die- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sem Hause einer internationalen Ordnung verpflichtet, der CDU/CSU und der SPD) die auf Regeln aufbaut, dem Multilateralismus. Wir füh- len uns dem verpflichtet, was über unserem Portal steht: Wo stehen wir nach den Beratungen in der Sache? Dem deutschen Volke. Ich glaube, dass wir bilanzieren müssen, dass noch sehr viel zu tun ist, um einen diplomatischen Dienst zu haben, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) der den Herausforderungen wirklich gerecht wird. Noch Weil wir uns dem deutschen Volke verpflichtet fühlen, müssen wir bilanzieren: verpasste Chance. Das gilt für setzen wir auf Verständigungslösungen. Weil wir uns viele Bereiche; denn wir hätten in der Vorbereitung auf dem deutschen Volke verpflichtet fühlen, setzen wir auf das, was von Deutschland international erwartet wird, Krisenbewältigung und Konfliktlösung. Und weil wir bereits jetzt deutlich mehr tun können und müssen. uns dem deutschen Volke verpflichtet fühlen, wissen wir, Es ist gut, dass ein paar Anregungen zur Sicherheit, dass wir nicht alleine auf der Welt sind. zur IT und zum Personal in wenigen Bereichen aufgegrif- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU so- fen werden konnten. Die Problematik der Visavergabe wie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. wurde oft angesprochen und hier in verschiedenen For- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7357

Michael Georg Link (A) maten schon oft diskutiert. Da wäre es wirklich wichtig, bedingungen bedenkt usw. Es gibt also einen vernetzten (C) dass weiter nachgebessert wird. Schade, dass Sie unseren Ansatz. Antrag zur Prüfung der Möglichkeit, eine Antragsprü- fung auch im Inland zuzulassen, also dort, wo teilweise (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ freie Kapazitäten sind, nicht aufgegriffen haben. Das ist DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der wirklich eine verpasste Chance. Die Wartezeiten für die CDU/CSU) Erteilung von Visa sind einfach viel zu lang. Dieser vernetzte Ansatz, inhaltlich ausbuchstabiert, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten muss dann auch mit Geld unterlegt werden, und zwar der CDU/CSU) nicht nach dem Motto „Mehr ist besser“, sondern mit einem klugen, vernetzten Ansatz. Wir sagen: Das muss Kommen wir zu dem anderen Bereich, zum Personal. ineinandergreifen. Deshalb fordern wir nicht isoliert Es gibt einen Trend von einem mehr oder weniger Aus- 0,7 Prozent für Entwicklung oder isoliert 2 Prozent für wärtigen Dienst zu einem – überspitzt gesagt – fast schon Verteidigung, sondern gesamthaft gesehen 3 Prozent für „inwärtigen“ Dienst. Das macht uns Sorgen. Da besteht diesen Bereich, der untrennbar mit den anderen verbun- enormer Nachholbedarf. Wer wirklich die Besten will, den ist und mit ihnen zusammen gesehen werden muss. muss auch dafür sorgen, dass das Auswärtige Amt für die, Das wäre der richtige Weg, um ein stärkeres deutsches Engagement und mehr Effizienz zu erreichen, gleichzei- die wir brauchen, als Arbeitgeber tatsächlich attraktiv ist. tig aber immer noch einen sparsamen Ansatz zu pflegen. Hier haben die Minister in den letzten vier Jahren große Das wäre der Weg vorwärts. Die Freien Demokraten ste- Fehler gemacht, weshalb wir unterm Strich die Situation hen für die bekannten drei Ds: Defence, Development, haben, dass das Amt extrem viele unbesetzte Stellen hat. Diplomacy – Verteidigung, Entwicklung, Diplomatie. Sie müssten dringend besetzt werden. Schade, dass die Dafür werden wir weiter streiten. Koalition unserem Antrag, die Mittel für den Titel „Aus- und Fortbildung“ zu verdoppeln, zum Beispiel in Form Vielen Dank. doppelter Ausbildungslehrgänge, nicht nachgekommen ist. Ein großer Fehler! Wie will man die Besten gewin- (Beifall bei der FDP) nen, wenn man nicht genug für die mit ausreisenden Ehe- partner tut? Die guten Leute gehen heute nicht mehr ins Auswärtige Amt, wenn sie wissen, dass ihr Partner bzw. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der Ehemann oder die Ehefrau dann später im Ausland Die nächste Rednerin ist die Kollegin Heike Hänsel, sitzt, dort Däumchen dreht und keine eigene Arbeit hat. Fraktion Die Linke. (B) So machen wir uns nicht attraktiv für die Besten. (D) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Kritik des Rech- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit nungshofes ist viel gesagt worden. Die ist wichtig, die diesem Haushalt schreibt die Bundesregierung wahrhaft werden wir von unserer Seite auch weiterhin deutlich Geschichte. Sie will die größte Erhöhung des Militär- thematisieren; denn wo Mittel so stark zuwachsen wie haushalts seit dem Ende des Kalten Krieges beschließen; zum Beispiel bei der humanitären Hilfe, was wir ja für wir können es hier nicht oft genug erwähnen. Während richtig halten, wäre es schon wichtig, dass wir besser Frau von der Leyens Militärhaushalt wächst, wird dem kontrollieren. Auswärtigen Amt, Herr Außenminister, im neuen Haus- halt weniger Geld für das operative Geschäft zur Verfü- Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Punkte nen- gung stehen als in 2018. Dem wird Die Linke auf gar nen, die für die nächsten Debatten – wir debattieren ja keinen Fall zustimmen. heute noch den Einzelplan 14, Verteidigungspolitik, und den Einzelplan 23, Entwicklungspolitik – ganz wichtig (Beifall bei der LINKEN) sind. Wir Freie Demokraten stehen zum Multilateralismus und hätten uns in diesem Haushalt durchaus noch mehr Ich muss sagen: Da kann ich, meine Damen und Her- Engagement für die Vereinten Nationen, vor allem beim ren von der SPD, wirklich nicht verstehen, wie Sie diesem Flüchtlingshilfswerk, vorstellen können. Wir sehen aber Haushalt zustimmen können. Mit einem Finanzminister von der SPD und einem Außenminister von der SPD soll eines, was jetzt immer deutlicher wird: Woran es gerade es also mehr Geld für Krieg und weniger Geld für Diplo- bei dieser Bundesregierung trotz aller Lippenbekenntnis- matie und zivile Außenpolitik geben? Dem müssen Sie se fehlt, ist, dass wir enger aufeinander abstimmen, was sich doch verweigern. das Auswärtige Amt, das Verteidigungsministerium und das Entwicklungsministerium tatsächlich machen. Ein (Beifall bei der LINKEN) Bundeswehreinsatz in Afrika kann nur gelingen, wenn er eingebettet ist in eine außenpolitische und entwicklungs- Das ist friedens- und sicherheitspolitisch eine Bankrott- politische Strategie. Ein entwicklungspolitisches Projekt erklärung und hat mit einer Erneuerung Ihrer Partei, der in Afghanistan kann nur gelingen, wenn es die sicher- SPD, überhaupt nichts zu tun. Sie wollen eigentlich nur heitspolitische Lage und die außenpolitischen Rahmen- mehr vom Alten Ihrer Politik. 7358 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Heike Hänsel (A) Die Bundesregierung will auch 2019 für Rüstung und der Außenpolitik gegenüber dieser üblen Kopf-ab-Dik- (C) Militär fast genauso viel ausgeben wie für Wohnen, Ge- tatur. sundheit, Bildung und Familienpolitik zusammen. (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE (Peter Beyer [CDU/CSU]: Falsche Rede!) LINKE]) Sie wollen nicht in soziale Sicherheit investieren. Sie Das gilt leider nicht nur für Saudi-Arabien, sondern wollen lieber aufrüsten. Mit diesem Haushalt vertiefen auch für die Türkei. Ich war gestern mit meinem Kolle- Sie die soziale Spaltung in unserem Land. Es wäre näm- gen Rolf Mützenich von der SPD in Istanbul. Wir haben lich deutlich besser, statt in panzerfeste Straßen endlich gemeinsam den Prozess gegen den Kölner Adil Demirci in armutsfeste Renten zu investieren. beobachtet, der seit über sieben Monaten ohne Anklage im Gefängnis sitzt und dessen Haft nun auch noch ver- (Beifall bei der LINKEN – Karl Holmeier längert wird. Ich muss schon sagen, dass ich es mehr als [CDU/CSU]: Verteidigung kommt erst später beschämend finde, dass Wirtschaftsminister Altmaier mit dran!) einer großen Wirtschaftsdelegation in die Türkei reist Hinzu kommt noch, dass die EU-Verteidigungsminister und business as usual betreibt, während fünf deutsche jetzt 17 neue Militärprojekte im Rahmen der EU-Mili- Staatsangehörige nach wie vor in türkischen Gefängnis- tärunion, sen schmoren. Angesichts der Politik von Erdogan, der Politik der Geiselnahme, angesichts neuer Verhaftungs- (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das ist doch die wellen gegen die Opposition in der Türkei, angesichts falsche Rede! – Peter Beyer [CDU/CSU]: der Bombardierung der kurdischen Gebiete im Norden Auswärtiges Amt!) Syriens, kann es keine Normalisierung der Beziehungen PESCO genannt, beschlossen haben. Es geht um die mit der Türkei geben. Entwicklung neuer Waffensysteme, um die Nutzung von (Beifall bei der LINKEN) Militärstützpunkten, um die Entwicklung der Eurodroh- ne usw. Als einzig verbindende Idee in Europa nun das Wir setzen uns dafür ein – ich fordere die Bundesregie- Militärische zu definieren, ist wirklich armselig. rung auf, es genauso zu machen –, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofes umgesetzt wird und der Op- (Beifall bei der LINKEN – Alexander Graf positionspolitiker Selahattin Demirtas in der Türkei end- Lambsdorff [FDP]: Müssen Sie nicht zum Ta- lich freigelassen wird. gesordnungspunkt reden?) (Beifall bei der LINKEN) Wer wie Macron – das hat er hier noch einmal ange- (B) sprochen – eine wahrhaft europäische Armee für eine Das sollten Sie von Erdogan fordern, statt seine Politik (D) Konfrontation mit den USA, mit Russland und mit China weiterhin mit Rüstungsexporten und Finanzhilfen zu un- aufbauen will, der muss sich schon den Vorwurf des Mi- terstützen. litarismus und der Kriegstreiberei gefallen lassen. Danke. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Ich finde es erschreckend, dass die Kanzlerin auch noch in Aussicht stellt, dass Deutschland bei diesem gemein- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gefährlichen Projekt mitmacht. Heute Morgen hat die Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Kanzlerin gesagt, wir müssten aus der Geschichte lernen. die Kollegin Dr. Franziska Brantner. Ich frage mich: Was sind denn die Lehren aus der Ge- schichte nach zwei Weltkriegen? Sie müssen doch hei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ßen: „Abrüsten statt aufrüsten“ und nicht, Deutschland zur größten Militärmacht in Europa zu machen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall bei der LINKEN – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Auf welchem Planeten le- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Au- ben Sie?) ßenminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Sonn- tag hatten wir hier eine Liebeserklärung an Deutschland Es war gut und überfällig, dass die Bundesregierung von einem früheren Erzfeind, eigentlich ein echtes euro- endlich die Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien ge- päisches Wunder. Es ist für uns alle Verpflichtung, dieses stoppt hat. Das haben wir auch alle begrüßt. Ein zweiter Europa und das, was es uns ermöglicht hat, zu verteidi- wichtiger Schritt wäre jetzt, auch auf EU-Ebene ein Waf- gen, Schaden von ihm abzuwenden und es nach vorne zu fenembargo gegen Saudi-Arabien durchzusetzen. bringen. Nichtstun, Handlungsunfähigkeit ist Turbomo- tor für Spalter und Populisten in Europa. Den Gefallen (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. dürfen wir den Spaltern nicht tun. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir wundern uns allerdings schon, warum Sie bisher sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und nicht den Mut hatten, Sanktionen gegen den Hauptdraht- der FDP) zieher des Mordes an Khashoggi, nämlich Kronprinz bin Salman, zu verhängen. Das wäre auch überfällig, genau- Wenn wir darüber reden, was es bedeutet, Schaden so wie eine generelle Neuausrichtung Deutschlands in von Europa abzuwenden, dann ist in dieser Woche für Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7359

Dr. Franziska Brantner (A) mich der Brexit ganz zentral. Wir haben ein Austritts- vorausgehen, ist das nicht die Blaupause. Das darf nicht (C) abkommen mit mehr als 500 Seiten und eine politische die Blaupause für die zukünftigen Beziehungen sein. Wir Erklärung für die zukünftigen Beziehungen; beides hängt dürfen auch nicht alle darunter leiden, dass die Briten ein natürlich zusammen. Ein wichtiger Teil des Austrittsab- Brexit-Harakiri vollziehen. Wir müssen Europa schüt- kommens ist das Nordirland-Protokoll. Dort werden of- zen. Das ist Ihre Aufgabe, und ich zähle da auf Sie, für fene Grenzen festgehalten und explizit der Verzicht auf unseren Zusammenhalt, für Europa. Kontrollen. Das ist richtig und wichtig, um den Frieden dort zu gewähren. UK soll in einer Zollunion mit der EU Danke schön. bleiben, nicht in der Zollunion, aber in einer. Dadurch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellen sich natürlich viele Fragen. De facto hat UK frei- sowie des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/ en Zugang zum Binnenmarkt, ohne sich an alle Binnen- CSU]) marktregeln zu halten. Was bedeutet das für einen fairen Wettbewerb, für unsere Unternehmen? Was bedeutet das für unsere Verbraucher, für ihre Sicherheit? Was bedeutet Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: es für Umwelt- und Sozialstandards, für staatliche Bei- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner ist hilfen? Auf Englisch ist dies umschrieben mit dem Be- der Kollege Frank Schwabe, SPD-Fraktion. griff „Level Playing Field“. Gelten die gleichen Gesetze wie heute in der EU? Was passiert mit zukünftigen Ge- (Beifall bei der SPD) setzesentwicklungen? Wer überprüft das? Was tun, wenn Regeln gebrochen werden? Frank Schwabe (SPD): Im Nordirland-Protokoll sind für unterschiedliche Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Gera- Bereiche sehr unterschiedliche Regeln festgeschrieben. de ist dem Außenminister vorgeworfen worden, es gebe Wenn es um staatliche Beihilfen, um Kartellfragen, um nicht genügend Initiativen aus Deutschland. Ich könnte die ganz klassischen Fragen geht, hat sich die EU sehr gut die ganzen vier Minuten verbrauchen, um darüber zu re- durchgesetzt. Da sind dynamische Regeln enthalten. Die den. Ich will aber nur ganz kurz sagen: Fragen Sie mal Gesetze müssen nicht nur heute, sondern auch in Zukunft den UN-Sondergesandten für Syrien, Herrn de Mistura, passen. Es gibt Überprüfungsmechanismen und Sankti- ob er sich unterstützt fühlt von Deutschland. Der Kol- onsmöglichkeiten, was absolut notwendig und richtig ist. lege Schraps und ich waren vor kurzem in der Ukraine. Wenn man sich dann aber Umwelt- und Sozialstandards Fragen Sie dort mal nach, welche Rolle Deutschland im anschaut, sieht man, dass davon leider gar nichts da ist. Normandie-Format spielt. Da werden die aktuellen Regeln statisch festgehalten. Es (B) gibt nichts Dynamisches, was wichtig ist, wenn wir beim (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (D) Klimaschutz vorankommen wollen. Im sozialen Bereich GRÜNEN]: Das stimmt!) gibt es keinerlei Überprüfungsmöglichkeiten, keinen In- Vor kurzem war Herr Krähenbühl von UNRWA da. Er dependent Body. Und weder bei Umweltstandards noch hat uns noch mal berichtet, wie wichtig gerade die per- bei sozialen Standards gibt es die Möglichkeit, dass die sönliche Initiative des Außenministers war, um die Fi- EU dann reagiert, entsprechend Sanktionen verhängt und nanzierung so weit sicherzustellen, wie sie sichergestellt Zugänge wieder beschränkt. Nichts davon ist darin zu werden konnte. Insofern: An Initiativen aus dem Auswär- finden. Ich kann Ihnen nur sagen: Das öffnet Tür und Tor tigen Amt mangelt es wirklich nicht. für ein soziales und ökologisches Dumping, was die EU langfristig richtig unterminieren kann. Das ist eindeutig (Beifall bei der SPD) gefährlich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in der Tat – das ist hier vielfach thematisiert worden – weltweit zu einem der größten Geber in der humanitären Jetzt werden Sie das Austrittsabkommen wahrschein- Hilfe aufgestiegen, und zwar nicht aus Jux und Dolle- lich nicht mehr ändern. Da kann man sagen: Das ist nur rei, sondern weil die Notwendigkeit da war. Wir haben der Backstop. Hoffentlich kommt der nie. Hoffentlich jetzt noch einmal einen Aufwuchs im Haushalt, wenn ich kriegen wir was anderes hin. – Aber was Sie noch in der auch sagen will, dass für die weiteren Haushalte dieser Hand haben, Herr Maas, ist die politische Erklärung; die Legislaturperiode vielleicht noch das eine oder ande- wird noch verhandelt. In der politischen Erklärung fin- re gemacht werden kann; denn am Ende ist humanitäre det sich beim Thema „Level Playing Field“ momentan Hilfe Friedenspolitik. Sie bedeutet Abwendung und hilft der Verweis auf das Austrittsabkommen, dass man es Menschen ganz konkret. Sie führt am Ende dazu, dass genau so machen will. Das ist aber kein Level Playing Menschen sich eben nicht auf den Weg machen und kon- Field. Von daher unterstützen Sie bitte die anderen euro- fliktverschärfend wirken. Wer im Jahre 2015 im Libanon päischen Länder, die jetzt sagen: Bei der Frage ökologi- war und sich dort die Flüchtlingssituation angeguckt hat, scher und sozialer Standards ist das nicht akzeptabel für der hat gesehen, dass die Menschen von 13,50 Dollar im die Zukunft. Da wollen wir noch drauflegen. Da wollen Monat leben mussten. Wer von Ihnen würde sich nicht wir unseren eigenen Binnenmarkt, unser Soziales, unser auch auf den Weg machen, wenn man mit der Familie Ökologisches auch wirklich schützen. – Sie haben es als von 13,50 Dollar im Monat leben muss? Bundesregierung in der Hand, hier voranzugehen und klarzustellen: Das ist nicht die Zukunft. Im Backstop (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Nach der kann man es vielleicht noch akzeptieren. Aber wenn wir Kürzung, die Sie zu verantworten haben!) 7360 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Frank Schwabe (A) – Sie wollen doch das Ganze auf null fahren; das hat Ihre Fall Khashoggi – keine Rüstungsexporte in Richtung (C) Rednerin heute gesagt. Das ist völlig unverantwortlich Saudi-Arabien mehr gibt, für Millionen von Menschen auf dieser Welt. Am Ende wird es weitere Fluchtbewegungen auslösen; das ist doch (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des wohl völlig klar. Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]) und zwar auch keine, die schon genehmigt worden sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich glaube, das sollten wir im Deutschen Bundestag ge- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der meinsam würdigen. CDU/CSU – Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Unwahrheit!) Vielen herzlichen Dank. Ich würde mir wünschen, dass wir in der Tat alles (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tun – der Herr Außenminister hat es angesprochen; das ist für uns eines der Schwerpunktthemen im UN-Sicher-

heitsrat –, um die Mittel für die humanitäre Hilfe interna- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: tional weiter zu erhöhen. Hier gibt es nämlich weiterhin Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Norbert ein massives Missverhältnis. Wir schaffen es nicht, die Röttgen, CDU/CSU-Fraktion. 25 Milliarden Euro, die notwendig sind, aufzubringen. Das ist völlig absurd. Wenn man bedenkt, dass allein (Beifall bei der CDU/CSU) unser Verteidigungsetat – auch wenn wir in Deutschland es nicht alleine leisten können – um etwa 40 Milliarden Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Euro ansteigt, dann erkennt man das Missverhältnis, das Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und es international gibt. Ich würde mir wünschen, dass wir Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen in in Deutschland dort intensiv weiterarbeiten. ihrer Rede gesagt, wir hätten eine manchmal auch sehr nervöse Zeit. Das halte ich für eine bemerkenswerte Be- (Beifall bei der SPD) schreibung Die Menschenrechte sind unter Druck; das ist hier (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wir auch!) vielfach angesprochen worden. Die Menschenrechte sind das Thema, das die meisten Deutschen als zentrales The- sozusagen der psychischen Verfassung der Welt. Der ma der deutschen Außenpolitik beschreiben würden. Wir Bundesaußenminister hat für Deutschland die Frage ge- machen auch Fortschritte, zum Beispiel im Bereich der stellt: Was liegt eigentlich noch in unserer Gestaltungs- (B) sozialen und kulturellen Menschenrechte. Wir haben ei- macht? Die Bundeskanzlerin hat übrigens ihrer Feststel- (D) nen Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschen- lung den Hinweis folgen lassen, dass wir uns die Frage rechte“ verabschiedet. Bei seiner exemplarischen Umset- stellen müssen: Was ist unser Beitrag in dieser nervösen zung in acht Ländern werden wir demnächst sehen, wie Zeit? Ich möchte mich in meinen sechs Minuten mit die- wir ihn insgesamt am besten umsetzen können. ser Frage beschäftigen: Was kann, was soll unser deut- scher Beitrag in dieser nervösen Zeit sein? Wir haben in der Koalition vereinbart, dass wir zwei Abkommen ratifizieren – ich will daran erinnern, dass Der Außenminister hat die Frage beantwortet und ge- wir das alsbald hier tun sollten –: zum einen das Zu- sagt: Europa ist die Antwort auf die Frage, was wir tun satzprotokoll zum UN-Sozialpakt und zum anderen das können. – Meine Antwort darauf ist: Ja, aber wir müs- ILO-Übereinkommen 169 zum Schutz der indigenen Be- sen auch feststellen, dass Europa in dem Augenblick, in völkerung. Das sind im Übrigen Verträge, die im Deut- dem Europa die notwendige Antwort auf den Verfall von schen Bundestag ratifiziert werden müssen – Ordnung wäre, in der schlechtesten Verfassung seit den Römischen Verträgen ist. Auch das ist Teil der Realität, (Beifall bei der SPD) der Nervosität der Welt und der Zeit, in der wir leben.

im Gegensatz zu anderen Formen von Abkommen, die Wir erleben das Ende einer Epoche, wir erleben wie- hier nicht ratifiziert werden müssen. All diese Abkom- der einen Systemwettbewerb, und wir erleben wieder ein men dienen dazu, den Menschen in diesem Land und in Zeitalter geopolitischer Rivalität. Das heißt, wir haben anderen Ländern zu helfen. radikale Veränderungen. Wofür ich plädieren möchte, ist, dass wir uns noch mehr anstrengen, unsere – erst einmal Ohne Zweifel: Die Menschenrechte sind weltweit deutsche – Antwort auf die radikalen Veränderungen, die unter Druck. Deswegen wünsche ich mir, wo immer es wir erleben, zu suchen und zu finden. Das brauchen wir. möglich ist – und es wird gemacht, wo immer es mög- Ich glaube, wir haben noch keine außenpolitische Kon- lich ist –, eine wertebasierte Außenpolitik. Das kann zeption man über die humanitäre Hilfe machen. Das macht man aber eben auch, indem man gegenüber manchen Ländern (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Warum nicht?) Klartext redet. Insofern will ich es, weil es ein bisschen als Antwort auf das, was sich in kürzester Zeit radikal untergegangen ist, noch mal sagen: Ich begrüße es sehr und revolutionär verändert hat. und finde es absolut richtig, dass es jetzt – nicht nur als Lehre aus dem Krieg im Jemen, sondern auch aus dem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und unglaublichen Bruch internationaler Verabredungen im der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7361

Dr. Norbert Röttgen (A) Wir sollten damit beginnen, dass wir eine außenpoliti- brauchen Koordination“, das waren Anklage und berech- (C) sche Grundsatzdebatte auch hier im Parlament führen. tigte Forderung an die Politik. Sie muss ja der Konzeption vorausgehen. Der globale Pakt für sichere, geordnete und koordi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU nierte Migration ist ein kleiner Schritt, eine erste Antwort und der FDP sowie des Abg. Armin-Paulus zur Rückgewinnung von Kontrolle und Steuerung. Das Hampel [AfD]) ist die globale Antwort auf eine globale Realität. Es ist Ich möchte einen Vorschlag machen. Alles fing – nicht ein kleiner Schritt, weil dieser Pakt rechtlich nicht bin- kausal, aber zeitlich – mit dem Konflikt in der Ukraine dend ist. und der Annexion der Krim an. Das war im Frühjahr, im März 2014, und dann folgten die Flüchtlingskrise, der (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ein schlechter Brexit, Trump und all das, was wir in diesen nicht einmal Schritt!) fünf Jahren erlebt haben. Ich möchte vorschlagen, dass wir den Jahrestag der Annexion der Krim zum Anlass Wenn er rechtlich bindend wäre, gäbe es in Deutschland nehmen, im März, im Frühjahr des nächsten Jahres eine keinen rechtlichen Anpassungsbedarf. Es wäre besser außenpolitische Grundsatzdebatte hier im Deutschen für uns, wenn er rechtlich bindend wäre, weil in anderen Bundestag zu führen, um die Frage zu beantworten: Ländern dann Anpassungsbedarf bestünde. Das ist die Was ist die Antwort, die Rolle und das Selbstverständnis verantwortungsbewusste Antwort auf eine Realität, die Deutschlands angesichts der Veränderungen, die wir er- Migration heißt. leben, meine Damen und Herren? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen Antworten geben auf die USA, deren Prä- sident das Land nicht mehr als Ordnungsmacht versteht. Dazu ein letzter Gedanke. Ich glaube, dass wir Deut- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie ein- sche Vorstellungen brauchen; denn wir werden danach mal, worauf Sie hinauswollen!) gefragt – in Frankreich, in den USA, in China, überall –: Was ist denn eure Idee? Was ist denn euer Ansatz in die- Das ist eine radikale, grundlegende Veränderung der sen Konfliktregionen in Bezug auf die Herausforderun- amerikanischen Politik nach dem Ende des Zweiten gen? – Ich glaube, dass wir Antworten brauchen. Aber Weltkrieges. Darauf müssen wir als Europäer und Deut- wenn ich von einer deutschen Antwort spreche, dann sche antworten. meine ich natürlich nicht, dass es eine relevante nationa- (B) Wir müssen Antworten geben auf den Mittleren Os- le deutsche Außenpolitik geben könnte. Nein, die kann es (D) ten, mit dessen Schicksal wir verbunden sind, wie es die nicht geben. Das hat der Außenminister völlig zu Recht Flüchtlingskrise gezeigt hat – nicht im Sinne einer ein- ausgeführt. maligen Krise. Vielmehr ist das Schicksal dieser Region Wenn wir eine deutsche Vorstellung haben, dann soll- mit dem Schicksal und der Stabilität Europas verbunden. ten wir uns mit dieser Vorstellung auf die Reise machen, Wir müssen eine Antwort geben auf China, das Partner, vor allen Dingen durch die europäischen Hauptstädte, Wettbewerber und Widersacher zugleich ist. Wir müssen um zu versuchen, dafür Verbündete zu finden. Wir soll- eine Antwort geben auf Russland, das keinen bilateralen ten uns nicht auf die Reise machen, um uns mit unserer Konflikt mit der Ukraine führt; vielmehr ist dieser Kon- Antwort durchzusetzen, sondern wir sollten uns auf die flikt ein Konflikt um die politische Ordnung Europas. Reise machen, sodass wir am Ende eine gemeinsame Darum geht es, und darauf müssen wir eine Antwort ge- europäische Antwort, einen europäischen Kompromiss ben. finden. Unsere Verantwortung besteht nicht darin, durch- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zusetzen, was uns eingefallen ist; vielmehr sollten wir, ordneten der FDP) Deutschland, initiieren, dass es sehr bald eine europäi- sche Antwort auf diese Herausforderungen und radika- Wir müssen auch eine Antwort geben auf Themen len Veränderungen gibt. Das ist unsere Verantwortung wie das Thema der Migration: Massenmigration von als Deutschland, vor allen Dingen in Europa. Wir, diese 250 Millionen Menschen ist eine Realität. Die Verant- Koalition, sind entschlossen, zu versuchen, dieser Ver- wortung der Politik ist es, Realitäten zu gestalten, nicht antwortung gerecht zu werden. für den eigenen Zweck zu instrumentalisieren, (Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] Vielen Dank. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- nicht zu polemisieren, sondern für eine verantwortliche wie bei Abgeordneten der FDP) Gestaltung in Bezug auf das, was Realität ist, zu sorgen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Doris Barnett [SPD]) Der nächste Redner ist der Kollege Matern von Marschall, CDU/CSU-Fraktion. Im Zuge der Flüchtlingskrise tauchte das große Wort „Kontrollverlust“ auf. „Wir brauchen Steuerung, wir (Beifall bei der CDU/CSU) 7362 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

(A) Matern von Marschall (CDU/CSU): erforderlich macht, Mut deswegen, weil ein Bekenntnis (C) Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Da- zur Europäischen Union ausdrücklich beinhalten muss, men und Herren! Lieber Kollege Röttgen, die Fragen, die dass man bereit ist, Souveränität abzugeben oder sich Sie aufwerfen, sind sehr wichtig. Sie sind im europäi- jedenfalls Mehrheitsentscheidungen in der Europäischen schen Kontext mindestens genauso wichtig. Auch dort Union zu stellen. Das halte ich für wichtig. müssen wir unseren Beitrag leisten. Wenn wir im Bereich der Sicherheitspolitik zusam- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wir hätten men mehr machen wollen, dann müssen wir unser Parla- gern Antworten!) ment anders einbeziehen. Ich glaube, wir müssen Krisen sehr viel stärker vorher erkennen. Ich denke, dass sich Frau Brantner, Sie haben die Liebeserklärung des Prä- Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedenen eu- sidenten Macron am vergangenen Sonntag, am Volks- ropäischen Parlamenten enger austauschen müssen, um trauertag, erwähnt. Ich finde, sie ist auch noch mal zu gemeinsam in einer Synopse die Krisenherde, die auf verknüpfen mit seiner Erinnerung daran, dass uns Frank- dieser Welt existieren, zusammenzutragen und um für reich nach dem Zweiten Weltkrieg die Hand gereicht hat den Vorlauf möglicher notwendiger Einsätze die Kennt- und uns diese zweite Chance, diese „Wiederauferste- nis über die Krisenherde zu vertiefen, sodass eine parla- hungschance“, wie er gesagt hat, gegeben hat. mentarische Befassung, wenn etwa ein Einsatz hier im (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die erste Deutschen Bundestag beschlossen werden muss, qualifi- Chance hieß Versailles!) ziert möglich ist. Das ist eine Qualifikation unseres Par- laments, die wir im Austausch mit unseren europäischen – Ich weiß, dass Sie, Herr Hampel, und auch die gesamte Kollegen brauchen. AfD-Fraktion immer historische Ressentiments insbe- sondere gegen Frankreich bedienen. Das finde ich beson- Wir sollten andere wichtige europapolitische The- ders unschön. men aber keinesfalls vergessen. Unsere Beziehung zur Türkei muss auf neue Füße gestellt werden. Wir müssen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP den europäischen Klimaschutz auch im Interesse eines und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – fairen Wettbewerbs innerhalb der EU voranbringen, und Armin-­Paulus Hampel [AfD]: Sie müssen mal zwar über den Zertifikatehandel hinaus. Vielleicht be- in den Geschichtsunterricht!) ziehen wir den Wärme- und Verkehrssektor mit ein. Das Herr Kollege Röttgen, Sie haben gesagt, dass sich Eu- sind ganz zentrale europäische Themen, vor deren Be- ropa in einer schwierigen Situation befindet. Wir sollten handlung wir uns nicht drücken dürfen und mit denen Frankreich mit dem Impuls, den es europapolitisch setzt, wir umgehen müssen, übrigens auch im Lichte der jetzt anstehenden Verhandlungen über den mehrjährigen Fi- (B) nicht alleinlassen, sondern wir sollten alles tun, um ge- (D) meinsam mit Frankreich Themen voranzubringen, die nanzrahmen der Europäischen Union. Und nachdem dort uns wichtig sind. Das heißt übrigens nicht, dass wir naiv das Geld auch nicht auf Bäumen wächst und wir mit dem sein müssen. Das heißt, dass wir uns klar positionieren Austritt Großbritanniens weniger Mittel zur Verfügung und Argumente austauschen müssen. Wir sollten das aber haben, aber gleichzeitig mehr leisten wollen, werden das gemeinsam tun. sehr ernste Diskussionen sein. Ich finde, wir sollten sie sehr ernsthaft und seriös hier im Deutschen Bundestag (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) führen. Ich bin in der vergangenen Woche mit unserer Ver- Danke. teidigungsministerin in Mali gewesen. Ich habe erlebt, dass Deutschland – Deutschland hat dort das Kommando (Beifall bei der CDU/CSU) über die europäische Trainingsmission für die malische Armee übernommen – dort sehr gut mit Frankreich zu- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sammenarbeitet, insbesondere in der Deutsch-Franzö- Vielen Dank. – Der letzte Redner zu diesem Einzel- sischen Brigade, und dass dort ein guter gemeinsamer plan ist der Kollege Frank Heinrich, CDU/CSU-Fraktion. Ansatz – Herr Link, Sie haben unter anderem von der (Beifall bei der CDU/CSU) Kohärenz der Ansätze gesprochen – im Zusammenhang mit der Entwicklungspolitik gefahren wird. Ich habe auch erlebt, dass unsere Hilfsorganisationen und die GIZ Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): dankbar dafür sind, dass gerade die Mission MINUSMA, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und die der Zivilbevölkerung Schutz bieten soll, vor Ort ist, Kollegen! Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des um sie selbst in ihrer Arbeit zu schützen. Das alles gehört Parlaments – ich bin wahrscheinlich nicht der Erste, der zusammen. das heute sagt –, Lassen Sie mich Folgendes ins Zentrum meiner Aus- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann führungen stellen: Wir werden nicht umhinkommen, uns [FDP]: Klingt aber gut!) die Frage zu stellen, ob wir in der europäischen Außen-, und da zeigen wir auch unsere wahren Prioritäten. Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik nicht zu Mehrheitsentscheidungen kommen müssen. Ich Ich danke den Kolleginnen und Kollegen für ihre Ar- bin überzeugt, dass wir das müssen. Ich glaube, dass vie- beit am Haushaltsplan für 2019 in dieser Form und in le Kolleginnen und Kollegen diese Überzeugung teilen. diesem Umfang als jemand, der im Ausschuss für Men- Ich glaube auch, dass das ein Schritt ist, der sehr viel Mut schenrechte und humanitäre Hilfe sitzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7363

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) Humanitäre Hilfe Die Katastrophalität der Lage in so vielen Regionen, (C) die Unmenschlichkeit in manchen dieser Herausforde- – so heißt es im Einzelplan 05 – rungen ist nicht nur in netten Worten zu beschreiben. gehört zum politischen Selbstverständnis der Bun- Diese Herausforderung können wir aber nicht allein desregierung und der steigenden außenpolitischen bewältigen. Seit vielen Jahren schätzen wir ebendiese Verantwortung Deutschlands in der Welt. Zusammenarbeit mit den Partnern – das sind die, denen wir unser Geld in die Hand geben –: Vereinte Nationen, Diese Formulierung und das einhergehende Engagement Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung, begrüße ich, begrüßen wir sehr. Es formuliert deutlich, die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen. Obers- wie selbstverständlich humanitäre Hilfe und Solidarität tes Ziel ist es, den Menschen in Not, den Notleidenden für uns sein sollten und auch – und das stellt dieser Ein- ein Überleben zu ermöglichen, und das bestmöglich in zelplan auch dar – ist. Würde. Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel su- Noch nie zuvor – das haben mehrere Vorredner ge- chen … sagt – hat Deutschland solche Summen für die humani- Auch diesem Gedanken kommen wir nach. Ich freue täre Hilfe in die Hand genommen. Wir waren uns aber mich, dass ein so reiches Industrieland wie unseres sei- auch noch nie zuvor dieser Verantwortung so bewusst ne Verantwortung in der Welt weiterhin in dieser Form wie jetzt. Wir haben uns letztes Jahr tatsächlich zum annimmt. zweitgrößten bilateralen Geber weltweit entwickelt. Im Vergleich zu den Jahren 2010 bis 2013 haben wir unsere Ein Begriff, den ich nicht in aller Tiefe mag, ist der Ausgaben verdreifacht. immer wieder genannte Begriff „Fluchtursachenbekämp- fung“. Wir hören hier bei uns in Deutschland Nachrich- Auch die Mittel für Maßnahmen zur Förderung von ten über Menschen, die in ihrer Heimat unfassbare Not Menschenrechten sind um 500 000 Euro gestiegen, was und unfassbares Leid erleben und sich auf den Weg ma- mich wirklich freut. Mit Geld allein lässt sich in dem Be- chen, auf die Suche nach einem besseren Leben. Diese reich aber nicht unbedingt etwas machen; bei humanitä- Menschen vor Ort, in ihrer Heimat zu unterstützen und rer Hilfe sehr wohl. ihnen ein Leben in Würde zu ermöglichen, ist ein positi- ver Beitrag der deutschen humanitären Hilfe. Deshalb zum Abschluss ein Plädoyer für Qualität und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Priorisierung. Schauen Sie als Auswärtiges Amt bitte vor sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Ort gut hin. In Ägypten ist vor wenigen Wochen eine (B) junge Frau, Amal Fateh, verhaftet worden, weil sie ein (D) Besonders Nachrichten aus Syrien, dem Jemen, aus Süd- YouTube-Video in einem internen Kreis eingestellt hat. sudan, der Zentralafrikanischen Republik, um nur einige Dort hat sie geklagt gegen sexuelle Übergriffe gegen zu nennen, lassen die Forderung nach dieser humanitären sich. Sie ist vielleicht im Tonfall ein wenig übers Ziel Hilfe noch klarer und deutlicher werden. hinausgegangen. Der Staat hat sie eingebuchtet und in- Meine Kollegin Gyde Jensen und ich waren vor we- zwischen unter Terrorverdacht gestellt. Eigentlich hätte nigen Tagen in Syrien, im Libanon und in Jordanien in die Klage von ihr ausgehen und gegen andere gerichtet Flüchtlingslagern. Wir haben hauptsächlich zwei Dinge sein müssen. aufgenommen: Mit großer Selbstverständlichkeit findet in diesem Das eine ist, wie konkret auch von UN-Organisati- und in anderen Ländern eine Einengung statt: Shrinking onen, dem World Food Programme in dem Fall, Geld Spaces. Unterstützen Sie die Menschenrechtsverteidiger mit einem tollen Wirkungsgrad an Mann und Frau, an vor Ort zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit. Handeln Flüchtlinge, Internally Displaced Persons, weitergereicht Sie nach der Maxime einer menschenrechtsbasierten und wird, wie mit unserem Geld weitergearbeitet wird, wie werteorientierten Außenpolitik – je länger, je ernster. Sie damit Gutes erreicht wird. haben in Ihrer Rede ja angekündigt, Herr Maas, dass das unsere Priorität ist. Neben den vielen tollen Projekten und Die zweite Botschaft ist, dass bis jetzt nur UN-Orga- den Botschafterinnen und Botschaftern sollten Sie noch nisationen dort arbeiten können, weil die Lage so kritisch mehr Wert auf klare Kante legen, wenn rote Linien über- ist. Wir und viele NGOs wünschen uns, dass wir auch treten werden. Machen Sie noch mehr aus dem, was Sie unseren Umsetzungsorganisationen wieder leichter Geld schon in der Hand haben! Sie haben es tatsächlich in der in die Hand drücken können. Hand, uns entweder stolz zu machen, dass unsere Werte David Beasley, der Chef des World Food Programmes, dort verteidigt werden, oder unsere Werte in der Ferne hat vor wenigen Tagen im Weltsicherheitsrat gesprochen. zu verraten, vielleicht durch Wegschauen, wenn unsere Seine Einleitung war: Ich weiß, dass dieses Hohe Haus Werte verdreht, weggesperrt oder verraten werden. auch angemessene Worte braucht. Aber ich kann Ihnen nicht garantieren, dass ich sie heute finden werde. – Er Danke für die bisherige Arbeit, wie zum Beispiel im war gerade aus dem Jemen zurück. Er sagte, dass er zwei Fall von Asia Bibi. Kümmern Sie sich um weitere Fäl- Tage vorher ein acht Monate altes Baby in der Hand ge- le wie Amal Fateh! Weiter so! Und machen Sie es – je halten habe, und am Tag seiner Rede habe er erfahren, länger, desto besser – im Sinne der für uns manchmal so dass es am Tag zuvor gestorben ist. selbstverständlich erscheinenden Menschenrechte. 7364 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) Danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit. Die Bundesregierung ist heute jedoch unwillig, (C) Frankreich ist finanziell erschöpft. Präsident Emmanuel (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Macron fordert eine „wahre europäische Armee“. Wa- der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜND- rum? Präsident Macron sagte, ohne diese EU-Armee NIS 90/DIE GRÜNEN]) könnten sich die Europäer nicht verteidigen gegen jene autoritären Mächte, die an den Grenzen Europas stehen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und aufrüsten. Er fügte hinzu: „mit Blick auf China, auf Vielen Dank, Kollege Heinrich. – Ich schließe die Russland und sogar auf die USA“. Wer unterstützt ihn Aussprache. dabei? Die deutsche Kanzlerin. Angela Merkel springt ihm bei – ich zitiere Frau Merkel –: Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- plan 05 – Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung. Eine gemeinsame europäische Armee würde der Wer stimmt dafür? – CDU/CSU und SPD. Wer stimmt Welt zeigen, dass es zwischen den europäischen dagegen? – Das ist die gesamte Opposition. Enthaltun- Ländern nie wieder Krieg gibt. gen? – Keine. Damit ist der Einzelplan 05 mit den Stim- men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition Dem schließt sich die SPD fast wortgleich an. angenommen. Brauchen wir eine europäische Armee, um Kriege un- Ich rufe Tagesordnungspunkt I.11 auf: tereinander zu vermeiden? hier: Einzelplan 14 (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nein!) Bundesministerium der Verteidigung Diese Aussage hat mich nun wirklich überrascht. Drucksachen 19/4613, 19/4624 (Beifall bei der AfD) Berichterstatter sind die Abgeordneten Dr. Reinhard Brandl, Dennis Rohde, Martin Hohmann, Karsten Klein, Nein, eine europäische Armee ist absolut überflüssig, da Michael Leutert und Dr. Tobias Lindner. wir bereits Mitglied in einem jahrzehntelang funktionie- renden Verteidigungsbündnis sind: in der NATO. Auch Zu dem Einzelplan 14 liegen ein Entschließungsan- wenn uns nicht alles gefallen kann, was die USA der- trag der Fraktion der FDP sowie ein Entschließungsan- zeit für richtig erachten, um ihre Interessen und Ziele zu trag der Fraktion Die Linke vor. Über beide werden wir verfolgen: Die USA sind nun einmal Führungsmacht und am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen. der strategische Partner des Westens, auch und gerade für Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Sicherheit Europas. (B) die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Es stellen sich Fragen: Wie soll eine europäische Ar- (D) Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so mee je zustande kommen, wenn sich die Mitgliedsländer beschlossen. nicht einmal über eine gemeinsame Außenpolitik einigen Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist der können? Gemischte Verbände, wie die Deutsch-Fran- Kollege Martin Hohmann, AfD-Fraktion. zösische Brigade, haben praktische und rechtliche Pro- bleme mehr als deutlich werden lassen. Soll eine wahre (Beifall bei der AfD) europäische Armee nun von der Europäischen Kommis- sion direkt angeheuert werden? Jean-Claude Juncker als Martin Hohmann (AfD): Oberbefehlshaber? Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolle- (Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD) ginnen und Kollegen! Der Verteidigungshaushalt umfasst einen guten Teil dessen, was Deutschland aufwendet, um Wollen wir das unter Aufgabe deutscher Souveränität seine äußere Sicherheit zu gewährleisten. Defizite zwi- und Verantwortung? Nein, danke. schen Sein und Sollen waren Jahrzehnte kennzeichnend. Deutsche Verantwortliche wähnten sich lange im Reich (Beifall bei der AfD) des ewigen Friedens angekommen. So war die Bundes- Warum diskutiert Europa die Schaffung einer echten wehr der unfreiwillige Spender für Begehrlichkeiten an- gemeinsamen Armee, wenn es doch den bewährten, aber derer. unterfinanzierten gemeinsamen Verbund der NATO gibt? Wir müssen jedoch endlich die Verteidigungsfähigkeit Die Frau Bundeskanzlerin sprach in diesem Zusammen- Deutschlands wiederherstellen. hang von einer „Vision, an der Europa arbeiten“ solle. Die „Neue Zürcher Zeitung“ nannte dies „das grosse Ab- (Beifall bei der AfD sowie des Abg. Mario lenkungsmanöver“ und eine „Fata Morgana“. Mieruch [fraktionslos]) Statt solcher Ablenkungsmanöver sollte die Bundesre- Jeder souveräne Staat muss seinen angemessenen Bei- gierung die schlimmen Defizite beheben, die die Bundes- trag zu seiner eigenen Sicherheit und zur Sicherheit wehr durch Jahrzehnte der Unterfinanzierung belasten. Europas leisten. Deshalb muss jedes Land, muss auch Deutschland seinen NATO-Bündniszusagen von 2014 (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) nachkommen und 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Die AfD hat im laufenden Haushaltsverfahren die rich- für Verteidigung ausgeben. Versprochen ist versprochen. tigen Anträge dazu gestellt und zielführende Hinweise (Beifall bei der AfD) gegeben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7365

Martin Hohmann (A) Die Ausrüstungssituation der Bundeswehr ist nach digen Beschaffungsvorhaben vor uns haben, während (C) wie vor in einem kritischen Zustand. Die Einsatzbereit- das Geld dafür trotz eines Mittelaufwuchses nicht reicht. schaft und der Klarstand der wichtigsten Waffensysteme Wir konnten das Problem in diesem Haushalt nicht voll- verzeichnen ein – leider, muss man sagen – Rekordtief. ständig lösen. Uns ist es aber gelungen, zumindest für vier wichtige Schlüsselprojekte, nämlich den schweren Seit 15 Jahren wurde die Bundeswehr in mehreren Transporthubschrauber, das taktische Luftverteidigungs- Schritten auf Auslandseinsätze zugeschnitten. Die Fähig- system, das Mehrzweckkampfschiff 180 und die neuen keit zur Landes- und Bündnisverteidigung wurde dage- U-Boote, den Weg im Haushalt freizumachen und sie auf gen radikal abgebaut. Die Bundeswehr hat insofern einen den Weg zu bringen, sodass mit ihnen begonnen werden gewaltigen Nachhol- und Modernisierungsbedarf. kann und sie der Bundeswehr so bald als möglich zur Die von der AfD geforderten Erhöhungen betreffen Verfügung stehen. unter anderem den Materialerhalt von Flugzeugen und flugtechnischem Gerät, die Beschaffung von Fernmelde- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) material und Munition. Darüber hinaus forderte die AfD Der dritte Bereich, der uns wichtig war, war der Be- auch die Aufnahme von Projekten, die für den dringen- reich der Reserve. Wir haben nämlich Gott sei Dank eine den Fähigkeitserhalt notwendig sind. Als Beispiele nen- hohe Nachfrage von Reservisten, die in der Bundeswehr ne ich den schweren Transporthubschrauber – STH – und Dienst leisten wollen. Wir haben in der Bundeswehr ei- ein neues Sturmgewehr. Beim schweren Transporthub- nen wachsenden Bedarf an Reservistendienstleistungen. schrauber ist die Bundesregierung dieser Notwendigkeit Meine Damen und Herren, wir wollten in diesem Haus- im letzten Moment gefolgt, wofür wir durchaus dankbar halt ein Zeichen setzen. Wir haben die Veranschlagungs- sind. stärke der Reservisten erhöht und wollen damit allen Insgesamt verbleiben aber zu viele Defizite. Daher Reservisten sagen: Wenn sie in ihrer Freizeit freiwillig muss die AfD-Fraktion den Haushalt ablehnen. einen Dienst für unser Land leisten wollen, dann soll dies nicht am Haushalt scheitern. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Frau Ministerin, Dr. Reinhard Brandl. Sie können mit dem Haushalt zufrieden sein. Es kann sein, dass Sie im Laufe der Debatte, wenn Sie einige (Beifall bei der CDU/CSU) Redner der Opposition hören, den Eindruck bekommen, (B) die wollten Sie loswerden. (D) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Heute ist mal wieder ein guter Tag für die Bundeswehr. GRÜNEN]: Wen meinen Sie konkret?) Wir kommen nämlich unserem großen Ziel, gut aus- Meine Damen und Herren, ich will Sie nicht loswerden, gerüstete und personell gut aufgestellte Streitkräfte in Frau Ministerin. Ich will, dass Sie Ihre Arbeit weiterfüh- Deutschland zu haben, einen großen Schritt näher. ren. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: So etwas Ich will drei Bereiche nennen, die uns als Parlament zu sagen, ist ganz gefährlich!) und vor allem uns als Koalition in den Haushaltsverhand- Aber sollten Sie trotzdem irgendwann mal Ihr Amt ver- lungen besonders wichtig waren: lassen, dann können Sie sicher sein, dass Sie als diejenige Der erste Bereich ist das Personal. Uns ist es schon Ministerin in die Geschichte der Bundeswehr eingehen, lange ein Dorn im Auge, dass wir bei Truppenbesuchen die die Trendwende geschafft hat. immer wieder von Fällen hören, in denen ein Soldat oberhalb seines eigentlichen Dienstgrades eingesetzt (Lachen bei Abgeordneten der AfD) wird, alle Voraussetzungen für die Beförderung erfüllt, 25 Jahre lang ist die Bundeswehr geschrumpft. Jetzt aber nicht befördert werden kann, weil die entsprechende wächst sie wieder. 2015 lag der Haushalt bei 33 Milliar- Haushaltsstelle nicht vorhanden ist. den Euro. Jetzt sind wir bei 43 Milliarden Euro. Das ist Wir haben deswegen im Personalhaushalt umge- mit auch Ihr Verdienst, Frau Ministerin. schichtet und über 1 000 höherwertige Stellen ausge- (Beifall bei der CDU/CSU) bracht. Wir wollen dieses Problem zumindest lindern und werden das in Zukunft auch entsprechend beobachten, Schauen wir uns den Haushalt einmal genauer an. um unseren Soldaten auch eine adäquate Bezahlung für Ich nehme jetzt nur den wichtigen Bereich der Rüstung ihren wichtigen Dienst zu gewährleisten. heraus. Wenn ich zusammenzähle, was wir für Materia- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und lerhalt, Beschaffung, Forschung und Entwicklung 2015 der SPD) ausgegeben haben, dann waren das ungefähr 7,8 Milli- arden Euro. Wir liegen heute in diesem Bereich bei fast Der zweite Bereich ist das Material. Wir haben das 13 Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung von gut Problem, dass wir einen langen Stau an dringend notwen- 60 Prozent innerhalb von vier Jahren. 7366 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Reinhard Brandl (A) Die Mitarbeiter haben diesen Aufwuchs bewältigt, ob- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (C) wohl sie in diesem Zeitraum kaum Personal dazugewon- nen haben. Eines ist natürlich klar: Der Haushalt wird (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gleich – ein paar Minuten haben wir noch – durch Hand- ordneten der SPD) heben beschlossen. Aber bis ein Mitarbeiter eingestellt und ausgebildet ist, dauert es Jahre. Die Mitarbeiter, die Vizepräsident Thomas Oppermann: in den vergangenen Jahren eingestellt worden sind, lau- Vielen Dank. – Nächster Redner ist Karsten Klein für fen der Bundeswehr erst in den nächsten Jahren zu bzw. die Fraktion der FDP. sind erst dann richtig einsatzbereit. (Beifall bei der FDP) Dass unsere derzeitigen Mitarbeiter diese Aufgabe ge- schafft haben, ist eine Wahnsinnsleistung. Dafür zollen (FDP): wir ihnen unseren großen Respekt und unsere Anerken- Karsten Klein nung. Aber sie sind jetzt an ihrer Belastungsgrenze. Die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Aufgabe für die nächsten Wochen und Monate ist, insbe- Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, mit Blick auf sondere den Bereich der Beschaffungsorganisation orga- die Ausstattung der Bundeswehr kann man mit Fug und nisatorisch und personell zu verstärken. Personell haben Recht sagen, dass wir vor einer ähnlichen Herkulesaufga- wir in den letzten Jahren schon Grundlagen gelegt, orga- be stehen wie bei der Wiederbewaffnung, egal ob es um nisatorisch haben wir noch einiges zu tun. Vereinfacht den Ersatz von aktuellem Gerät geht oder, gerade auch gesagt: Es ist heute so, dass wir den Bleistift mit der glei- im Hinblick auf neue Waffensysteme, um Waffensysteme chen Organisationsform und mit den gleichen Prozessen des 21. Jahrhunderts oder im Cyberbereich. beschaffen wie das Kriegsschiff. Sowohl das Weißbuch als auch das Fähigkeitsprofil Meine Damen und Herren, wir haben heute für die Be- des Ministeriums beschreiben diese Situation. Für diesen schaffung eine ganz klassische Behördenstruktur. Diese Prozess hat die Bundeswehr auch die volle Unterstützung Behördenstruktur eignet sich mit ihren festen Prozessen der Freien Demokraten; denn es ist ein wichtiger Bau- hervorragend für wiederkehrende Aufgaben. Da gibt es stein, wenn es um den Erhalt und die Verteidigung unse- auch im Beschaffungsbereich eine ganze Menge von rer Freiheit und unseres Friedens geht. Prozessen, die sich wiederholen. Diese Strukturen eig- (Beifall bei der FDP) nen sich aber weniger für Großprojekte, in denen sich die Aufgaben im Laufe des Projekts immer wieder ver- Diese Diskussion jedoch, Frau Ministerin, vernebeln ändern. Sie mit einer Debatte um Prozentziele. Sie und die Frau (B) Bundeskanzlerin haben unseren Partnern versprochen, (D) Ich habe als Beispiel gerade das Schiff genannt. Da- unsere Verteidigungsausgaben von aktuell 1,24 Prozent für brauchen Sie am Anfang die Soldaten, die die Anfor- gemessen an der Wirtschaftsleistung auf 1,5 Prozent zu derungen beschreiben. Dann brauchen Sie im nächsten erhöhen. Aber gerade weil diese Zusage keine rechtliche Schritt Techniker, die daraus eine Spezifikation machen. Bindung hat, gerade weil Frau Angela Merkel eine Kanz- Dann brauchen Sie Juristen, die einen Vertrag verhan- lerin auf Abruf ist, deln. Dann brauchen Sie wieder Techniker, die die Pro- duktion überwachen. Dann brauchen Sie Infrastruktur- (Widerspruch bei der CDU/CSU) spezialisten, die die Hafenanlagen bauen. Zum Schluss gerade weil wir keine Präsidialdemokratie, sondern eine brauchen Sie wieder Soldaten, die andere ausbilden und parlamentarische Demokratie sind und gerade weil die einführen. Diese Flexibilität bietet unsere jetzige Be- Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, sollte Ihrer Ab- schaffungsorganisation nicht. sichtserklärung endlich politisches Handeln folgen. Das Die Aufgabe für Sie, Frau Ministerin, ist, dass wir in bedeutet: eine Legitimierung durch den Deutschen Bun- den nächsten Wochen und Monaten eine Organisations- destag. form bekommen, Aber diese Legitimierung findet nicht statt. Ihr Haus- (Dr. Marcus Faber [FDP]: Warum nicht haltsentwurf und Ihre Planungen sind meilenweit vom jetzt?) 1,5-Prozent-Ziel entfernt: in den entscheidenden Jahren über 10 Milliarden Euro. Der Wert fällt sogar am Ende die nicht Privatisierung heißt – die Bundeswehr wäre ja des Planungshorizonts unter den von 2018 mit 1,24 Pro- dumm, auf ihr größtes Pfund, nämlich die Sicherheit des zent. Beamtentums, zu verzichten –, die auch den Einsatz von (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- externen Personen reduziert, aber dennoch die Flexibili- NEN]: Soli abschaffen!) tät bietet, um diesen Aufgaben und diesen Herausforde- rungen gerecht zu werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, daran ist auch durch die Anpassung im Haushaltsverfahren, die der Kollege Frau Ministerin, ich vertraue auf Sie. Sie haben uns Brandl gerade beschrieben hat, nichts geändert worden. als CDU/CSU an Ihrer Seite. Sie haben die Trendwenden Zwar haben Sie jetzt noch wichtige Projekte angescho- geschafft. Die Bundeswehr wird von Tag zu Tag besser, ben, attraktiver, besser ausgerüstet, einsatzbereiter. Diesen Weg wollen wir in den nächsten Jahren mit Ihnen ge- (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Genau! meinsam weitergehen. Richtig!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7367

Karsten Klein (A) wie den schweren Transporthubschrauber, aber, Herr Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau (C) Kollege Brandl, die Verpflichtungen in den nächsten Jah- Ministerin, wir werden das heute – Herr Brandl hat das ren finanzieren Sie zu fast 30 Prozent nicht aus Steuer- schon erwähnt – nicht verhindern: Die Steuerzahlerinnen mitteln bzw. aus ordentlichen Haushaltsmitteln, sondern und Steuerzahler sowie der Deutsche Bundestag werden mit einer neuen globalen Minderausgabe. Das ist nichts Ihnen 43,23 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Wir anderes, Frau Ministerin, als viele Projekte ins Schau- erwarten aber, dass Sie diese Mittel rechtskonform aus- fenster zu stellen, wohl wissend, dass einige von diesen geben und dass die Bundeswehr dann endlich auf dem Projekten überhaupt nicht umgesetzt werden. Das ist Weg der Einsatzfähigkeit einen entscheidenden Schritt Schaufensterpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen. vorankommt. Das ist Ihre Verantwortlichkeit, Frau Mi- nisterin. (Beifall bei der FDP) Vielen Dank. Ein anderes Thema, Frau Ministerin, hätten Sie wahr- scheinlich lieber nicht so gerne im Schaufenster, nämlich (Beifall bei der FDP) die Frage, wie Ihr Ministerium mit Vergaberecht gerade im Hinblick auf die Beauftragung externer Berater um- Vizepräsident Thomas Oppermann: geht. Wir möchten Sie an dieser Stelle noch einmal klipp Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege und klar auffordern: Machen Sie endlich klar Schiff! Be- Dennis Rohde für die SPD. enden Sie Ihre Salamitaktik! In jeder Sitzung haben Sie und Ihre Staatssekretäre nur das eingeräumt, was sowie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten so schon öffentlich bekannt war. Eigene Aufklärungsar- der CDU/CSU) beit: Fehlanzeige! (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Ja! Da hat er Dennis Rohde (SPD): recht!) Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist jetzt die vierte Debatte in diesem Wir Freien Demokraten wollen noch einmal festhal- Jahr über den Einzelplan 14, den Einzelplan des Bun- ten: Der Bundesrechnungshof – Ihr Ministerium hat es ja desministeriums der Verteidigung. Der Kollege Klein auch eingestanden – hat Verstöße gegen das Vergaberecht hat gerade viel Redezeit darauf verwendet, über das festgestellt. Das sind Pflichtverletzungen. Wir erwarten Thema Beraterverträge zu reden. Dieses Thema hat uns von Ihnen, dass Sie endlich aus diesen Pflichtverletzun- als Haushälter, aber auch die Verteidigungspolitiker in gen Konsequenzen ziehen, dass Sie Verantwortlichkeiten den letzten Wochen intensiv beschäftigt. Dieses Thema benennen und dass Sie uns auch endlich erklären, wie es wird uns in dieser Woche wieder in Sondersitzungen be- zu diesen Pflichtverletzungen kommen konnte. (B) schäftigen. Dazu gab es in der letzten Plenardebatte eine (D) Das Ministerium, Frau Ministerin, hat mit seinem Ver- Aktuelle Stunde. Deshalb möchte ich nur die Eckpunkte halten fortlaufenden Vermögensschaden zumindest billi- meiner Fraktion zu diesem Thema nennen. gend in Kauf genommen. Damit muss endlich Schluss Wir differenzieren zwischen zwei Fragestellungen, sein, Frau Ministerin. um die es geht. Zum einen geht es um die juristische Fra- (Beifall bei der FDP) ge. Wurde mit Vorsatz, wurde wissentlich und willentlich von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Vergaberecht ge- Wir raten Ihnen aber auch, zentrale Fragen dringend brochen? Das ist die Frage, die nun im Mittelpunkt des zu klären. Die zwei zentralen Fragen, die ich hier wie- Aufklärungsinteresses stehen sollte und in Ihrem Hause derholen will, sind: Wie konnte es zu diesen zigfachen auch im Mittelpunkt steht. Das ist die eine Frage, über Verstößen kommen? Und: Wie konnte es passieren, dass die wir diskutieren, mit den sich daraus ergebenden Kon- das Ministerium die Berater nicht direkt beauftragt hat, sequenzen: Warum konnte das passieren? Wie schaffen sondern dass die Aufträge über hundertprozentige Töch- wir es eigentlich, solche Vergaberechtsverstöße in Zu- ter durchgeleitet worden sind, und wie kam es – noch kunft zu verhindern? Ich sage für meine Fraktion gerade schlimmer – zur Zweckentfremdung von Rahmenverträ- mit Blick auf die Truppe und diejenigen, die sich penibel gen, indem die Unternehmen, die die Rahmenverträge an Recht und Gesetz halten müssen und das auch tun: eigentlich ausfüllen sollten, die Aufträge wiederum nur Sämtlicher Anschein muss an dieser Stelle am Ende aus- weitergeleitet haben? geräumt sein. Das hat der Bundesrechnungshof vergaberechtlich zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Recht kritisiert und auch gerügt. Es muss aber auch die DIE GRÜNEN) Frage gestellt werden, Frau Ministerin, inwieweit die Compliance-Regeln, die Sie selber im Ministerium neu Neben der juristischen Frage gibt es zum anderen eine eingeführt haben, eingehalten worden sind. politische Debatte, die – auch aufgrund der Bundesrech- nungshofberichte – aufgekommen ist. Bisher mussten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten aufgrund der Beschlusslage des Haushaltsausschusses des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nur diejenigen Verträge gemeldet werden, die eine Bera- Frau Ministerin, Sie haben jetzt Zeit, in zwei Son- tertätigkeit zum Gegenstand hatten, nicht aber der volle dersitzungen des Verteidigungsausschusses Klarheit zu Einsatz externer Dritter. Die Definition des Haushalts- schaffen. Lassen Sie diese letzte Chance nicht ungenutzt ausschusses ist dabei so eng, dass im Jahr 2016 Berater- an sich vorübergehen; denn sonst wird ein Untersu- dienstleistungen, wenn ich die Zahlen des Rechnungshof- chungsausschuss unausweichlich sein. berichts als Grundlage nehme, im Wert von 2,9 Millionen 7368 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dennis Rohde (A) Euro in Anspruch genommen wurden. Allerdings wurden der Küste. Wir müssen zum Beispiel darüber diskutieren, (C) in der Gesamtheit Leistungen externer Dritter im Wert ob man nicht kleine und mittlere Unternehmen bei Aus- von 150 Millionen Euro in Anspruch genommen. Die po- schreibungen wesentlich besser berücksichtigen kann. litische Debatte, die sich daraus ergibt, ist: In welchem Ich will daher zusammenfassen: Das Problem sind Umfang wollen wir eigentlich den Einsatz externer Drit- ausdrücklich nicht die Mitarbeiter, es sind die Rahmenbe- ter – die Ersetzung von Beamten in hoheitlichen Aufga- dingungen, und die Rahmenbedingungen zu verändern, ben – hinnehmen? Die Position meiner Partei ist deutlich das ist unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen. und klar. Wir wollen die Mitarbeiterstruktur stärken. Wir sind der Meinung, dass Externe immer nur die absolute (Beifall bei der SPD) Ausnahme und nicht fester Bestandteil des Systems sein Es geht in dieser Debatte nicht um die Rechtsform. dürfen. Wenn wir über die Reform des BAAINBw sprechen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kommt immer wieder die Frage, wie wir das BAAINBw DIE GRÜNEN) denn rechtlich in Zukunft aufstellen wollen. Ich habe es sehr begrüßt, dass der Kollege Wadephul in der letzten Ich möchte an dieser Stelle eines deutlich machen. Debatte deutlich gemacht hat, dass die Union keine Pri- Wir reden – auch in den letzten Tagen – viel über un- vatisierung will. Auch wir wollen keine Privatisierung. ser Beschaffungsamt, das BAAINBw. Wir reden immer Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal dieser Koalition auch über das Beschaffungsamt, wenn Dinge nicht funk- an die Beschäftigten in Koblenz, etwas, was ihnen wahr- tionieren. Wenn Schiffe nicht schwimmen, wenn Panzer scheinlich einen großen Teil der Sorgen nehmen wird, nicht rollen, wenn Flugzeuge nicht fliegen, wenn keine liebe Kolleginnen und Kollegen. Ersatzteile vorhanden sind, dann reden wir zumindest implizit immer auch über das BAAINBw. Wenn wir über (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo das BAAINBw reden, reden wir natürlich auch über die Gädechens [CDU/CSU]) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort. An dieser Stelle Ja, der Haushalt 2019, er wächst auf. Er wächst auch muss man – der Kollege Brandl hat das gerade gemacht – deswegen auf, weil wir als Parlament eine Verantwor- eines deutlich hervorheben: Das Problem sind nicht die tung gegenüber einer Parlamentsarmee haben, nämlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAAINBw. Sie die Verantwortung, die Soldatinnen und Soldaten, die die sind Teil der Lösung. Aufgaben erfüllen, die wir ihnen übertragen, so auszu- (Beifall bei der SPD) statten, dass sie die ihnen übertragenen Aufgaben auch ausführen können. Da gibt es Defizite, um die man nicht Die Mitarbeiter, die dort beschäftigt sind, leisten un- herumreden muss, Defizite, die immer wieder zutage tre- ter den ihnen gegebenen Umständen eine hervorragende ten. Nehmen wir zum Beispiel die VJTF, die nur deswe- (B) Arbeit. Sie geraten dabei nur an faktische Grenzen. Über (D) gen überhaupt arbeitsfähig ist, weil wir das Material aus diese Grenzen müssen wir diskutieren. Da geht es um der ganzen Truppe zusammenholen. Ich finde, das ist ein das, worüber wir in dieser Debatte immer reden, nämlich unhaltbarer Zustand, ein Zustand, an den wir zur Aufstel- um die Mitarbeiterausstattung, um die Frage, wie wir es lung der nächsten VJTF unbedingt ranmüssen, den wir endlich schaffen können, die freien Dienstposten, die es nicht tolerieren können. dort gibt, zu besetzen. Wir reden dabei auch über Proble- me im Vergaberecht, bei dem wir wesentlich restriktiver Es gibt Lücken der letzten Jahre. Es gibt Lücken, die sind als andere europäische Länder und die Möglichkei- sich aus der Friedensdividende ergeben haben. Wir hal- ten, die uns die europäischen Regelungen bieten, nicht ten nicht mehr die Ersatzteile vor, die wir vorhalten müs- nutzen. Wir reden darüber, dass es nur bedingt möglich sen. Wir haben Defizite in der Instandsetzung. Es gibt ist, Vertragsstrafen auszusprechen, was dann schon mit Herausforderungen, die Geld kosten. Auch das ist einer einkalkuliert wird, und dass uns auf der anderen Seite der Gründe, warum dieser Haushalt so aufwächst. hochspezialisierte Kanzleien gegenüberstehen. Er wächst so auf, wie wir Sozialdemokraten es ge- Deshalb, finde ich, müssen wir, wenn wir über Pro- sagt haben, nämlich orientiert an konkreten Projekten blemlösungen reden, darüber reden, wie wir die Behör- und nicht orientiert an irgendwelchen NATO-Quoten. de BAAINBw stärken können, etwa indem wir uns zum Wir haben konkrete Projekte definiert, zum Beispiel den Beispiel über die Probleme im Vergaberecht unterhalten schweren Transporthubschrauber, dessen Notwendigkeit, und diese Probleme angehen. Als Haushaltsausschuss glaube ich, keiner ernsthaft infrage stellen kann und der haben wir ganz konkret beschlossen, dass der Überwas- übrigens nicht nur für Auslandseinsätze genutzt wird und serschiffbau Schlüsseltechnologie werden soll, um auch genutzt wurde, sondern auch oftmals bei humanitären dort das Vergabeverfahren zu vereinfachen. Katastrophen zum Einsatz kam. Wir diskutieren über zukünftige Bedarfe, weil wir nicht warten wollen, bis Ich finde, man muss darüber diskutieren, ob das Obsoleszenzen eingetreten sind. Dieser Haushalt ist ein BAAINBw wieder Einstellungsbehörde werden kann klares Bekenntnis zum Mehrzweckkampfschiff 180, weil und selbst um Personal werben kann. Ich finde, man wir nicht warten wollen, bis die momentan vorhandenen muss darüber diskutieren, ob es wirklich sinnvoll ist, Fregattenklassen obsoleszent sind. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit nautischem Hinter- grund in Koblenz zu suchen, oder ob es nicht eher darum Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, der Haushalt gehen muss, das Marinearsenal zu stärken oder ein zu- wächst auf, aber 19 Milliarden Euro dieses Haushalts sätzliches Marinearsenal aufzubauen; denn Mitarbeiter, sind Personalkosten, 5 Milliarden Euro dieses Haushalts die eine Affinität zur Küste haben, findet man eher an sind für die Unterbringung der Soldatinnen und Soldaten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7369

Dennis Rohde (A) vorgesehen. Ich glaube, mit dem restlichen Geld, gerade Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. (C) im Rüstungsbereich, gehen wir wichtige konkrete Pro- (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte jekte an, die keine Aufschiebung erfahren dürfen. [CDU/CSU]: Verschwörungstheorie!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich verstehe nicht, warum Sie diese simple Strategie (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nicht durchschauen. Trump versucht doch mit allen Mit- teln, die Europäische Union und Europa zu spalten. Und Vizepräsident Thomas Oppermann: als Gegenstrategie fällt der Kanzlerin nur ein, eine euro- päische Armee zu fordern. Das ist ein falscher und ver- Vielen Dank. – Als Nächstes spricht Dr. Gesine hängnisvoller Weg, meine Damen und Herren. Lötzsch für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wer auf die dramatischen Zerfallsprozesse der Euro- Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): päischen Union schaut, der sieht doch, dass wir nicht zu Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehr- wenig Soldaten haben. Armeen haben doch Europa nie ten Damen und Herren! CDU/CSU und SPD wollen der auf Dauer zusammengehalten. Jeder, der es versucht hat, Bundeswehr im kommenden Jahr 4,4 Milliarden Euro ist gescheitert. Ich sage Ihnen, Die Linke sagt Ihnen: Eu- mehr zukommen lassen als 2018. Wir finden das absurd. ropa wird nur gelingen, wenn wir Steuergerechtigkeit herstellen, wenn wir auf Solidarität setzen (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist mal eine ganz neue Mel- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann dung!) [FDP]: Ja, ja, ja!) Ich gebe Ihnen mal eine Vergleichszahl: Nach Schät- und nicht auf ruinöse Konkurrenz. Das ist der richtige zungen des Kinderschutzbundes sind in unserem Land Weg. 4,4 Millionen Kinder arm. Stellen Sie sich bitte doch nur (Beifall bei der LINKEN) einen Augenblick vor: Der Bundestag gibt diese 4,4 Mil- liarden Euro nicht der Bundeswehr, sondern den in Ar- Natürlich, meine Damen und Herren, denkt Trump mit mut lebenden Kindern. 1 000 Euro für jedes Kind! Damit seinen Aufrüstungsplänen auch an US-Rüstungskonzer- könnten wir so viel Sinnvolles tun. ne, die auf neue Aufträge warten. Ich finde, wenn wir etwas ehrlicher wären, dann müssten wir Frau von der (Beifall bei der LINKEN) Leyen nicht „Verteidigungsministerin“ nennen, sondern „Rüstungsministerin“. (B) Doch Sie investieren die Steuergelder lieber in todbrin- (D) gende Waffen, und das finden wir unverantwortlich. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: (Beifall bei der LINKEN) Oh!) Sie will für militärische Beschaffung im nächsten Jahr Meine Damen und Herren, die Regierung folgt weiter 32 Prozent mehr ausgeben. Ich nenne das größenwahn- blind dem US-Präsidenten Trump mit seinem Aufrüs- sinnig. tungskurs, und das ist verhängnisvoll. Schon jetzt ist der Militärhaushalt mit 42,9 Milliarden Euro der zweitgrößte (Beifall bei der LINKEN) Posten im Bundeshaushalt. Nach NATO-Kriterien geben Sie sogar 5,8 Milliarden Euro mehr aus. Diese Differenz Das hat nichts mit mehr Sicherheit zu tun. Hier werden ergibt sich – das ist vielleicht gerade für die Zuschauer in erster Linie die Wünsche der deutschen Rüstungsin- auf den Tribünen besonders interessant –, weil die Bun- dustrie erfüllt. desregierung Militärausgaben auch in anderen Haushal- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Oh! – ten versteckt. In diesem Fall ist also selbst die NATO Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: ehrlicher als die Koalition von Union und SPD, und das Ja, ja, ja!) sollte uns doch zu denken geben. Warum gibt es eigentlich niemanden in der Regie- (Beifall bei der LINKEN) rungskoalition oder auch bei der FDP, die jetzt gerade so herummurrt, der sich fragt, ob die Steuergelder bei der Ich frage mich auch und frage Sie: Wo ist der Feind, Bundeswehr gut angelegt sind? der ein solches Wettrüsten herausfordert? (Karsten Klein [FDP]: Doch!) (Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Kann ich Ihnen sagen!) Das sind sie nicht! Die Bundesregierung selbst hat auf eine Frage unserer Fraktion, der Fraktion Die Linke, Trump versucht, Russland als die große globale Gefahr geantwortet, dass Rüstungsprojekte durchschnittlich darzustellen. Auch Sie wissen: Das ist Unsinn. George 13 Monate später fertig werden als noch vor drei Jahren. Friedman von einem US-Thinktank schätzt ein – Zitat –: (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist doch Natürlich wollen die USA einen Keil zwischen ganz in Ihrem Sinne! – Zuruf von der FDP: Deutschland und Russland treiben. Es ist doch eine Auf den Trabbi hat man 13 Jahre gewartet!) banale Erkenntnis, dass die Vereinigten Staaten ein Problem hätten, wenn deutsche Technologie und Laut dem letzten Rüstungsbericht vom März 2018 liefert russische Rohstoffe zueinanderfänden. die Rüstungsindustrie 54 Monate später als vertraglich 7370 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Gesine Lötzsch (A) vereinbart. Im Herbst 2015 lag diese Quote bei 41 Mona- Ingo Gädechens [CDU/CSU]: So weit die (C) ten. Diese Verspätungen sind mit erheblichen Mehrkos- Prosa!) ten für die Steuerzahler verbunden, die Rüstungsindust- – So weit die Prosa. rie wird verschont. Ich frage mich: Wie lange können wir diese Misswirtschaft mit Steuergeldern noch belohnen? Nun zum Haushalt selbst. Liebe Kolleginnen und Kol- Das darf nicht sein, meine Damen und Herren! legen von der Großen Koalition, Sie haben sich einmal wieder für die Taktik „Viel hilft viel“ entschieden. Unbe- (Beifall bei der LINKEN) stritten: Die Bundeswehr steht vor großen Herausforde- Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sind ein be- rungen; sie hat Probleme. Aber wir Grüne sind ganz klar sonders krasses Beispiel für die Verschwendung von der Überzeugung, dass es eben nicht hilft, auf diese ma- Steuergeldern. Ein aktuelles Beispiel ist die Mission in roden Strukturen einfach immer mehr Geld, insgesamt Mali. Ministerin von der Leyen war kürzlich vor Ort 4,4 Milliarden Euro, obendrauf zu kippen, ohne an den und musste selbst feststellen, dass seit 2013 die Mission Strukturen etwas zu verändern. Das, meine Damen und keine Ergebnisse gebracht hat. Seit fünf Jahren werden Herren, wird die Probleme der Bundeswehr nicht lösen. dort Steuergelder verbrannt. Allein 2017 waren das über (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 206 Millionen Euro – für nichts und wieder nichts. Also beenden Sie endlich auch diese Auslandsmission, meine Herr Kollege Brandl, Sie haben es ja selbst erwähnt: Damen und Herren! Sie haben in der Bereinigungsnacht zum Beispiel die Möglichkeit geschaffen, einen schweren Transporthub- (Beifall bei der LINKEN) schrauber zu beschaffen. Die Rekordausgaben für die Bundeswehr werden un- (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Ja!) ser Land nicht sicherer machen. Mehr Sicherheit gibt es nur durch zivile Konfliktlösungen, und dafür steht Die Das ist eine Sache, die ich persönlich richtig finde. Ich Linke. habe in den letzten Monaten niemanden in der Bundes- wehr getroffen, der nicht der Auffassung ist, dass man die Vielen Dank. alte CH-53 jetzt irgendwann ersetzen muss. Ich sage al- (Beifall bei der LINKEN – Alexander Graf len Bürgerinnen und Bürgern: Einen alten Hubschrauber, Lambsdorff [FDP]: Also Abschaffung der der aus dem Leim geht, durch einen neuen Hubschrauber Bundeswehr! – Dr. Marie-Agnes Strack-­ zu ersetzen, ist noch keine Aufrüstung. Zimmermann [FDP]: Sie haben die weißen (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Richtig!) Tauben vergessen!) Aber die Art und Weise, wie Sie es gemacht haben, ist (B) (D) Vizepräsident Thomas Oppermann: einfach hanebüchen, und das ist das Gegenteil von Haus- haltsklarheit und Haushaltswahrheit. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Tobias Lindner von Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben in der Bereinigungsnacht die Verpflichtungser- mächtigung, also die Möglichkeit, im nächsten Jahr Ver- Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): träge für die Zukunft abzuschließen, um 7,9 Milliarden Euro aufgebläht Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Las- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Einfach sen Sie mich vielleicht gerade in diesen Tagen, Frau von mal so!) der Leyen, wo unser Verhältnis schon einmal ein besseres und vertrauensvolleres war, – einfach mal so –, ohne zu wissen, wie die nächste mit- telfristige Finanzplanung aussehen wird, also ob Herr (Zuruf von der CDU/CSU: Oh! – Dr. Marie-­ Scholz und die Große Koalition – oder wer auch immer Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Bitte et- dann im Amt ist – gewillt sind, das dann auch anzupas- was präziser!) sen, Mittel bereitzustellen, oder ob es zu Verdrängungs- effekten kommt. dennoch ein Wort des Dankes an Ihr Haus und auch an die Kollegen Mitberichterstatter im Haushaltsausschuss Die Frage „Wer soll das alles bezahlen?“ haben Sie richten. Haushaltsberatungen sind ja auch immer eine ar- einfach in die Zukunft vertagt. Denn: Sie haben nicht nur beitsintensive Phase. Ich möchte sowohl für den Umgang 7,9 Milliarden Euro mehr für Verpflichtungsermächti- im Kollegenkreis herzlichen Dank sagen als auch Ihren gungen für die kommenden Jahre eingestellt, sondern Sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im BMVg danken, haben auch gesagt: An anderer Stelle müssen 2,2 Milliar- die uns, zumindest was die Haushaltsberatungen betrifft, den Euro eingespart werden. – Wo die andere Stelle ist, Berichtsbitten auskunftsfreudig immer erfüllt und frist- wie man es machen soll, das bleiben Sie der Öffentlich- gerecht zugeliefert haben. Das hat die Arbeit an diesem keit schuldig. Sie laden das Problem am Ende bei den Haushalt, auch wenn wir heute zu unterschiedlichen Er- Planern in der Bundeswehr ab, die sich jetzt überlegen gebnissen kommen werden, erleichtert. Auch das soll müssen: Okay, wo nehme ich das Geld am Ende wieder einmal hier gesagt werden. weg? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Wir geben bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – ihnen Flexibilität!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7371

Dr. Tobias Lindner (A) Sie nennen das „Flexibilität“. Wir Grüne nennen das, was Das BMVg schichtet nach wie vor insgesamt 1,7 Mil- (C) Sie hier veranstalten, Chaos, um ganz ehrlich zu sein. liarden Euro im Haushaltsvollzug um. Frau von der Leyen, ja, Sie werden hier gleich wieder sagen: Es ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- im Vergleich zum Haushaltsvolumen nicht viel Geld. – NEN sowie des Abg. Karsten Klein [FDP] – Also, ich glaube, die meisten Bürgerinnen und Bürger in Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Nein! – diesem Land finden, 1,7 Milliarden Euro sind eine ganze Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist doch Menge Geld. Quatsch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Große Koalition, meine Damen und Herren, sollte, ehrlich gesagt, den Bürgerinnen und Bürgern Wer das nicht vernünftig ausgeben kann, sondern es hin in diesem Land einmal reinen Wein einschenken. Im und her schichten muss, der hat im Haus ein Ausgaben- Sommer fahren Sie nach Brüssel, koalitionsintern abge- und Managementproblem. stimmt, blasen da die Backen auf und sagen: Wir geben Kommen wir zu einem weiteren Punkt dieser Haus- 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in 2024 an Ver- haltsberatung – er ist ja schon angeklungen –: Wir haben teidigungsausgaben aus. in diesen Haushaltsberatungen eher durch Zufall erfah- ren, dass Sie in Ihrem Haus ein Problem mit externen Be- (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Davon be- ratungsfirmen haben. Ich kann mich noch gut an folgende zahlen wir den schweren Transporthubschrau- Situation erinnern: Wir saßen im Stauffenberg-Saal des ber!) Verteidigungsministeriums, sind den Haushalt durchge- Dann legen Sie uns hier eine mittelfristige Finanzpla- gangen, der Tag war schon ein paar Stunden alt. Ich habe nung hin – natürlich verändert sich eine mittelfristige Fi- dann gedacht: Okay, fragst du doch einmal – ich habe nanzplanung immer, aber sie sollte doch auf dem Wissen einen Tipp bekommen –, ob da eine Prüfung des Bundes- basieren, das man heute schon hat –, die im Widerspruch rechnungshofs läuft, betreffend den Einsatz Externer in zu Ihren dicken Backen in Brüssel steht. Das ist unehr- Ihrer Cyberabteilung. Ich frage mich, ehrlich gesagt, ob lich der Öffentlichkeit gegenüber, weil Sie nur scheib- wir heute wissen würden, was wir wissen, was wir hier chenweise irgendwie Geld drauflegen. Das ist unehrlich durch Zufall erfahren haben, wenn ich diese Frage nicht den Soldatinnen und Soldaten gegenüber. Am Ende ist es gestellt hätte, wenn sich der Bundesrechnungshof nicht auch unehrlich, weil Sie die Antwort schuldig bleiben, gemeldet hätte und gesagt hätte: Ja, da läuft etwas, und wo Sie überhaupt das Geld hernehmen wollen. wenn wir fertig sind, bekommen Sie es zu Gesicht. Wir Grüne sagen Ihnen: Lassen Sie diesen Quatsch (Dr. Marcus Faber [FDP]: Ja, würden wir!) (B) bleiben. Verwenden Sie die 14 Milliarden Euro, die Sie Ich frage mich, ob Sie, Frau von der Leyen, so ehrlich (D) noch drauflegen müssen, für etwas Sinnvolleres statt nur gewesen wären und uns freiwillig darüber informiert hät- für Militär. ten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Herr Kollege Brandl, ich habe Ihre Liebeserklärung an Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Unehrlich die Ministerin gehört. gegen die Verbündeten ist es auch! – Thomas Hitschler [SPD]: Das heißt, wir sollen mehr (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Das freut Geld ausgeben, verstehe ich das richtig? – mich! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/ Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Keine dicken CSU]: Ihr Verhältnis scheint zerrüttet!) Backen machen!) Frau von der Leyen, mir persönlich geht es nicht darum, Sie hier irgendwie wegzubekommen. Ich möchte Sie – Herr Kollege Hitschler, wenn Sie mehr ausgeben wol- nicht als Person jagen. Vielmehr geht es uns Grünen um len, müssen Sie das der Öffentlichkeit gegenüber begrün- Aufklärung, um die Frage: Was ist eigentlich in Ihrem den. – Ich nenne Ihnen einen guten Grund, warum ich Haus passiert? glaube, dass Mehrausgaben nicht nutzen, sondern scha- den. Schauen Sie sich einmal an, was der Bundesrech- Ich nenne vier Punkte: nungshof zu den Haushaltsberatungen sagt: Er ist skep- tisch, ob mehr Geld für Beschaffung überhaupt abfließen Erstens. Wir müssen uns fragen, warum Sie überhaupt kann. Wie Sie es dann unterstützen können, da mehr Geld den Überblick über den Einsatz Externer im Geschäfts- draufzulegen, müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern bereich des BMVg verloren und anscheinend bis heute erklären. Das muss ich nicht erklären. nicht wiedererlangt haben. In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage, wie viele Firmen denn externe Aufträ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ge erhalten haben, schreiben Sie – ich zitiere wörtlich –, dass „Unvollständigkeiten und etwaige Doppelungen Wenn Sie sich einmal die Haushaltsrechnung von nicht ausgeschlossen werden“ können. Sie haben bis 2017 anschauen, sehen Sie, dass allein im Kapitel für Be- heute keinen Überblick; Sie können nur steuern. Und wir schaffungen fast 900 Millionen Euro nicht ausgegeben, können es politisch nur beurteilen, wenn es überhaupt ei- sondern umgeschichtet wurden. Dann muss man sich nen Überblick gibt, was Beratungsfirmen in Ihrem Haus doch die Frage stellen, warum hier mehr Geld obendrauf so alles treiben. geschüttet werden soll, meine Damen und Herren. Zweitens. Wir sind hier nicht in einem Vergaberechts- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) seminar. Es geht um weit mehr als um irgendwelche 7372 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Tobias Lindner (A) Vergaberechtsprobleme. Wenn der Bundesrechnungshof haben, dass wir Doppelungen nicht ausschließen kön- (C) sagt, dass in der überwiegenden Anzahl der Fälle keine nen, ist die Kürze der Zeit, die Sie uns zur Beantwortung Hinweise vorliegen, dass überhaupt geprüft wurde, ob es dieser Anfrage gelassen haben. Insofern wäre ich sehr notwendig ist, Berater einzusetzen, ob es wirtschaftlich dankbar, wenn Sie den ganzen Satz vorlesen. Wir sind ja ist, Berater einzusetzen, dann ist das ein absolut laxer im Rahmen des Bundesrechnungshofberichtes dazu ver- Umgang mit Steuergeldern. pflichtet, diese ganzen Doppelungen auszuschließen und dort die abschließenden Zahlen vorzulegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte mit einem doppelten Dank beginnen. Zu- Drittens. Wir müssen eine Diskussion darüber führen, nächst einmal möchte ich den Berichterstattern für eine in welchem Umfang, sowohl inhaltlich als auch, was gute und konstruktive Zusammenarbeit von Herzen dan- den Kostenrahmen und das Personal betrifft, Beratungen ken. Lieber Herr Brandl, ich danke Ihnen als Hauptbe- im BMVg wirklich verantwortbar sind. Es geht ja nicht richterstatter. Das ist der zweite Haushalt des BMVg, darum, dass hier ab und zu ein Gutachten geschrieben den Sie in diesem Jahr durchgebracht haben. Ich möch- wurde. Nein, Sie haben Unternehmensberatungen quasi te auch den anderen Berichterstattern, Herrn Leutert, als Zeitarbeitsfirmen eingesetzt, um offene Stellen im Herrn Rohde, Herrn Dr. Lindner, Herrn Klein und Herrn Beschaffungsamt mit einem Durchschnittssatz von, ich Hohmann, für eine gute und konstruktive Zusammenar- glaube, 280 000 Euro pro Jahr zu füllen. Ich halte es für beit danken. Ich möchte den Dank aber ausdrücklich auf keine vernünftige Strategie, offene Stellen mit solchen das ganze Haus und vor allen Dingen auf die Ausschüsse Durchschnittssätzen zu füllen. Eine vernünftige Strategie ausweiten, gerade auch im Namen unserer Bundeswehr. wäre, das Geld dafür zu verwenden, die Stellen attraktiv zu machen, und nicht, sich McKinsey, Accenture oder Meine Damen und Herren, in der Tat: Der Etat 2019 andere als Zeitarbeitsfirmen ins Haus zu holen. steigt auf mehr als 43 Milliarden Euro. Das sind 4,7 Mil- liarden Euro mehr im nächsten Jahr. Das ist ein sattes (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Plus von 12 Prozent. Und das sind gute Nachrichten für Viertens. Wir werden der Frage nachgehen müssen, unsere Bundeswehr. ob es zu Vetternwirtschaft gekommen ist, ob dieses Sys- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. tem, diese Ausweitung von Beratungen dazu geführt hat, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]) dass irgendwelche Menschen irgendwelche Freunde mit irgendwelchen lukrativen Jobs versorgt haben. Dieser Es sind Nachrichten, die auch notwendig sind. Vorwurf steht im Raum, und da müssen wir schnell Licht ins Dunkel bringen, Frau Ministerin. Es ist richtig gesagt worden: Wir haben vor fünf Jah- ren die Trendwende eingeleitet. Wir kamen aus einer Zeit (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von 25 Jahren des Schrumpfens und des Kürzens. Das (D) ist ein Vierteljahrhundert. Es war richtig, die Trendwen- Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und de einzuleiten. Ich danke von diesem Pult aus auch noch Kollegen, Sie werden gleich mit Ihrer Mehrheit diesen einmal all den Beschäftigten im BMVg, all den Beschäf- Haushalt beschließen. tigten in den nachgeordneten Behörden und der Truppe (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Richtig!) für die Leistung, die sie in den letzten fünf Jahren er- bracht haben. Es ist eine Herkulesaufgabe gewesen, diese Und dann, Frau von der Leyen, ist Ihnen wirklich das Trendwende tatsächlich zu stemmen. allerletzte Argument genommen, warum irgendetwas nicht läuft. Geld werden Sie en masse haben. Wenn in Allein beim BAAINBw ist in der vergangenen Legis- den kommenden zwölf Monaten Projekte nicht auf die laturperiode das Volumen für Rüstungsausgaben, also Straße kommen, wenn es wieder Probleme gibt, dann das, was man bearbeiten muss, um 25-Millionen-Vorla- kann es nicht an diesem Haushalt gelegen haben, dann gen auf den Weg zu bringen, im Vergleich zur Legisla- stehen Sie in der Verantwortung; dabei wünsche ich Ih- turperiode davor verfünffacht worden. Das heißt, diese nen viel Spaß. Mannschaft hat in den vier Jahren der letzten Legisla- turperiode das Fünffache geleistet. Dafür gebühren ihr Herzlichen Dank. zunächst einmal unser Dank, unser Respekt und unsere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hochachtung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Thomas Oppermann: Ich finde es ganz klasse, dass jetzt auch verantwort- Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Ursula von der liche Politikerinnen und Politiker mit dem Ziel im Ex- Leyen. pertenrat, im BAAINBw sind, den Instrumentenkasten, (Beifall bei der CDU/CSU) also die Rahmenbedingungen, für diese Beschäftigten zu verbessern, damit sie – wir müssen ja den Turbo noch Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der einmal anschmeißen – diese Leistung auch in dieser Le- Verteidigung: gislaturperiode bringen können. Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und In der Tat: Seit fünf Jahren wächst der Haushalt. Es ist Kollegen! Her Lindner, wenn Sie aus Antworten auf Klei- Aufgabe der Opposition, Herr Klein, zu kritisieren, dass ne Anfragen zitieren, wäre ich dankbar, wenn Sie immer die mittelfristige Finanzplanung das noch nicht abbildet. die ganzen Sätze zitieren. Der Grund, warum wir gesagt Ich habe in den 13 Jahren, die ich jetzt Bundesministerin Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7373

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) bin, noch nie erlebt, dass die mittelfristige Finanzplanung steht. Entscheidend für die Männer und Frauen ist, was (C) schon abbildete, was dann die Zukunft tatsächlich brach- hinten herauskommt. te. Sie blieb immer unter dem, was im nächsten Jahr im (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE realen Haushalt vorgesehen war. Messen Sie uns also am GRÜNEN]: Helmut Kohl!) Haushalt 2020. Dann können wir gern wieder in die Dis- kussion einsteigen; denn dann muss der Etat in der Tat Das ist ein neuer schwerer Transporthubschrauber. So steigen, damit wir das ambitionierte Ziel von 1,5 Prozent muss es sein. Ein guter Tag für die Luftwaffe! des BIP im Jahr 2024 für die Bundeswehr, für Verteidi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – gung auch erreichen können. Mit diesem Haushalt liegt Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Verteidigungsetat bei 1,34 Prozent des BIP. NEN]: Und für Helmut Kohl!) Man sieht inzwischen, dass die Anstrengungen sich Wir können auch andere Großprojekte, die schon ge- lohnen. Wir sind noch lange nicht durch die Schwierig- nannt worden sind, weiter nach vorne bringen: das Tak- keiten hindurch. Aber die Anstrengungen lohnen sich. tische Luftverteidigungssystem, das MKS 180 und die Einige von uns sind, so wie ich, in Norwegen bei „Tri- U-Boot-Kooperation mit Norwegen. Wir können das dent Juncture“ gewesen. Dort haben Soldatinnen und Megathema Digitalisierung angehen. 30 Prozent mehr Soldaten aus 29 NATO-Nationen und auch aus Partner- für IT und Digitalisierung! Noch einmal: Vorhin habe staaten wie Schweden und Finnland gemeinsam mit un- ich gesagt, dass der Haushalt insgesamt um 12 Prozent seren deutschen Soldatinnen und Soldaten geübt. wächst, aber die Ausgaben für IT und Digitalisierung wachsen um 30 Prozent, also um mehr als das Doppelte. Die Bundeswehr hat eindrucksvoll gezeigt, was sie Es ist das Megathema, der Schwerpunkt schlechthin. kann. Aus Deutschland sind alleine 8 000 Soldatinnen und Soldaten bei dieser Übung dabei gewesen – bestens Mehr Geld für die Cybertruppe – 15 000 Männer und ausgebildet, hoch motiviert und bereit, Verantwortung Frauen –, mehr Geld für Ausbildung in der Cyberthema- zu tragen. Ich kann mit Fug und Recht sagen – das war tik und die Innovationstreiber wie Cyber Innovation Hub auch der Eindruck der Abgeordneten, die dort einen Be- oder die Cyberagentur. Wir tun das alles, um einsatzbe- such gemacht haben –: Wir können richtig stolz auf diese reit zu sein – niemals allein, immer im Bündnis. Männer und Frauen und ihre Leistung sein. Wir haben uns ab 2014, nach Wales, sehr auf die Mo- dernisierung der NATO konzentriert. Das war richtig, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- das bleibt auch richtig. Die NATO wird für uns immer ordneten der SPD) kollektive Verteidigung sein. Aber wir haben auch ganz deutlich gesagt: Wir wollen transatlantisch bleiben, aber (B) Wir konnten nämlich zeigen, dass wir für das nächste (D) Jahr vorbereitet sind, in dem wir die VJTF 2019 führen europäischer werden. Deshalb haben wir vor einem Jahr müssen. sozusagen das schlafende Dornröschen aus dem Lissa- bon-Vertrag geweckt, die europäische Verteidigungs- Es war aber ein Kraftakt, dort hinzukommen. Und es union, die zehn Jahre geschlummert hat. Vor einem Jahr wird ein Kraftakt bleiben. An dem, was ich vorhin ge- haben wir die Verteidigungsunion Europas aus der Taufe sagt habe, spiegelt sich wider, dass wir, damit wir diese gehoben. Die PESCO ist jetzt ein Jahr alt. Brigade im nächsten Jahr gut aufstellen können, Kom- Wir sind in der Lage, auch Streitkräften Projekte zu ponenten aus allen anderen Einheiten der Bundeswehr geben, die wir gemeinsam als Europäer machen. Wir zusammenleihen müssen, um sie bestens auszurüsten haben am Montag in Brüssel im Europäischen Rat das und auszustatten. Umso wichtiger ist es, dass wir diesen zweite große Paket auf den Weg gebracht, in dessen Rah- Aufwärts- und Modernisierungskurs beibehalten, damit men wir 17 Projekte für die nächste Welle der Aufgaben wir unser großes gemeinsames Ziel, die Brigade für die der europäischen Verteidigungsunion verabschiedet ha- VJTF 2023 so aufstellen zu können, dass diese aus der ben. Der Europäische Verteidigungsfonds bedeutet ein Grundaufstellung vollständig modern ausgerüstet und Ende der Fragmentierung und einen ganz starken Anreiz, ausgestattet ist, erreichen. gemeinsam zu beschaffen. Wir wollen nämlich gemein- same Streitkräfte in nationaler Verantwortung, aber so Dabei hilft auch der vorliegende Haushalt. Vielen eng verzahnt, so gemeinsam ausgerüstet und ausgestat- Dank, Herr Brandl, Sie haben die Stellenhebungen er- tet, dass sie gemeinsam üben können für Missionen, wie wähnt. Sie sind ein großes Plus darin. 6,8 Milliarden es jetzt die Deutsch-Französische Brigade in Mali macht Euro für militärische Beschaffung – das erlaubt uns, die oder wie es uns das Deutsch-Niederländische Corps seit laufenden Projekte fortzusetzen. Man darf nicht verges- vielen Jahren vormacht. So wächst die Armee der Euro- sen, dass das ja alles über viele, viele Jahre weitergeht. päer von unten langsam auf. Das ist unser Ziel. Es erlaubt uns, zusätzliche Projekte anzustoßen, wie zum Beispiel den Schützenpanzer Puma für die VJTF 2023. Meine Damen und Herren, das erwarten auch die Bür- gerinnen und Bürger Europas. Ich bin von Herzen dankbar für die Verpflichtungs- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Überhaupt ermächtigungen, die, auf Jahresscheiben heruntergebro- nicht!) chen, noch in der Bereinigungssitzung eingerichtet wor- den sind. Klar: Es ist Ihre Aufgabe, Herr Lindner, dass Sie wollen ein Europa, das schützt, sie wollen ein starkes Sie das kritisieren müssen. Ich kann Ihnen nur sagen: Europa, sie wollen ein selbstbewusstes Europa. Dazu ge- Das Fundament für den schweren Transporthubschrauber hört auch eine europäische Verteidigungsunion. Insofern 7374 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) ist jeder Euro, der in diesen Etat investiert ist, ein gut ein Vertrag zweimal gezählt worden ist, zu unseren Las- (C) investierter Euro. ten und zu Ihren Gunsten, wenn ich das so sagen darf. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir in dem, was wir er- Vielen Dank. klärt haben, korrekt bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Danke. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul Vizepräsident Thomas Oppermann: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch Cha- Vielen Dank. – Nächster Redner ist Jens Kestner für os!) die Fraktion der AfD. (Beifall bei der AfD) Vizepräsident Thomas Oppermann: – Herr Kestner, Entschuldigung, ich habe eine Kurzin- Vielen Dank. – Nun fahren wir in der Debatte fort. tervention übersehen. Wenn Sie sich noch einen Moment Das Wort hat der Kollege Jens Kestner von der AfD. gedulden würden. Der Abgeordnete Lindner hat sich für (Beifall bei der AfD) eine Kurzintervention gemeldet. Jens Kestner (AfD): Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Präsident! – Werte Kolleginnen und Kol- Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie diese Kurzin- legen, Bürger auf den Tribünen und Damen und Herren tervention zulassen. – Frau Ministerin, Sie haben mich zu Hause vor den Fernsehbildschirmen! Wenn wir über direkt angesprochen mit Hinweis auf Ihre Antwort auf den Einzelplan 14 sprechen, so reden wir immer über das unsere Kleine Anfrage. Ich möchte nicht den Eindruck gewollte Nichterreichen des 2-Prozent-Ziels von Wales. entstehen lassen, dass wir hier mit unsauberen Methoden, Sie als Ministerin haben gerade wieder Euphorie auf ganz gleich wo oder wer, arbeiten. Sie haben uns geant- Ihre Art und Weise verbreitet. Das können Sie gut. Aber wortet, dass Sie Unvollständigkeiten und Doppelungen nichtsdestotrotz können Sie darüber hinwegtäuschen, aufgrund der Kürze der Zeit bei der Beantwortung der dass es Ihnen nicht gelungen ist, die nötigen Mittel für Anfrage nicht ausschließen können. dieses Ziel bereitzustellen. Ich finde, die Bürgerinnen und Bürger, die diese De- Noch immer sind wir in Auslandseinsätzen eingebun- batte verfolgen, sollten wissen, dass Kürze der Zeit bei den, die wir lieber beenden sollten, und das eher heute der Beantwortung 14 Tage bedeutet. Der Punkt, den ich als morgen. Nehmen wir Afghanistan: Der Einsatz ist und meine Fraktion kritisieren, ist: Wenn es Ihnen als Mi- gescheitert. Die Taliban kontrollieren weite Räume des (B) nisterin nicht möglich ist, binnen 14 Tagen einen Über- Landes. Mittlerweile sitzen sie wieder am Verhandlungs- (D) blick zu erlangen, wo überall in Ihrem Haus Beratungs- tisch. Man braucht sie, um Frieden zu schließen. So weit firmen, sei es beratend oder unterstützend oder für sonst man blickt: Mohnfelder. etwas, tätig sind, dann haben Sie nach unserer politischen Bewertung den Überblick über diese Vorgänge verloren Nehmen wir den Einsatz in Mali, MINUSMA. Die- bzw. nicht im richtigen Maß erlangt. Deswegen bleibt ser Einsatz wird scheitern. Wir erleben jetzt schon die unser Kritikpunkt an dieser Stelle bestehen. Afghanisierung dieses Einsatzes. Wir sind dort, um fran- zösische Interessen zu vertreten, und nicht, um deutsche Herzlichen Dank. Interessen zu vertreten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ihre Einsicht oder Erkenntnis, Frau Ministerin? sowie bei Abgeordneten der FDP) Fehlanzeige. Der Grundsatz scheint bei Ihnen zu sein: Hauptsache, wir sind dabei, und es passiert nichts. Über Vizepräsident Thomas Oppermann: diesen Punkt sind wir hinaus. Wir haben tote deutsche Soldaten im Ausland. Frau Ministerin. Was haben Sie unseren Streitkräften, was haben Sie Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der unserem Land gebracht, Frau Ministerin? Woran wird Verteidigung: man sich erinnern, wenn man auf Ihre Amtszeit zu- rückblickt? Schwerpunkt: Generismus, Kleidung für Das sind genau die Themen, die wir ja miteinander Schwangere, Bildersturm, Hexenjagd, Abhängen des diskutieren. Herr Lindner, Sie wissen: Im BAAINBw Bildes von Helmut Schmidt in Luftwaffenuniform an der schließen wir allein in einem Jahr 10 000 Verträge. Wenn Universität, die seinen Namen trägt, Misstrauen im eige- wir jetzt bei dem Anteil der Verträge, die wir betrachten nen Ministerium, kein Vertrauen gegenüber den eigenen müssen, ganz genau die Fragen durchdeklinieren, die Sie Leuten, externe Berater, wo doch genügend helle Köpfe uns zu Recht gestellt haben, wollen wir das genau tun. in den eigenen Reihen vorhanden sind. Sie sind nicht nur Bei dieser Unmenge von Verträgen, die mehrere Hun- schlecht beraten und verkauft. Das haben wir eben ge- dert, manchmal mehrere Tausend Seiten haben, ist es uns hört; wir werden das morgen und auch in Zukunft weiter ein Anliegen, diese detailliert durchzugehen und ganz hören. Mal sehen, wohin die Reise geht. Nein, Sie haben korrekt zu sein, um die spezifischen Fragen, die Sie stel- auch unseren Streitkräften, vor allem haben Sie dem An- len, zu beantworten. Ich mache deutlich, dass das nicht sehen der Truppe geschadet. in 14 Tagen zu schaffen ist. Wir haben nicht ausschließen können, dass es auch Dopplungen gibt, das heißt, dass (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7375

Jens Kestner (A) Verdiente Offiziere werden geschasst, Günstlinge, Ja- son, die ein Haltungsproblem hat und die ein Führungs- (C) sager und Abnicker werden durch das System von der problem hat, und das sind Sie. Leyen nach oben gesaugt und belohnt. (Beifall bei der AfD – Henning Otte [CDU/ (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann CSU]: Und Sie haben den Durchblick, oder [FDP]: Wie bei der AfD!) wie?) Trendwenden, wie es neumodern heißt, werden an- Als ehemaliger Soldat schmerzt es mich, was Ihre kruden gekündigt, wirken sich aber nicht aus. Material ist nicht Entscheidungen aus dieser Truppe gemacht haben. Wenn einsatzbereit, und das in allen Teilen der Streitkräfte. Per- man eine Truppe moralisch an den Abgrund führt und sonal fehlt an allen Ecken und Enden und letztendlich nicht die geringste Empathie für das soldatische Wesen sogar beim Tellerspülen. einer Truppe hat, dann ist es nicht verwunderlich, dass Sie verkaufen die Bundeswehr, Frau Ministerin, als man nicht weiß, welche Verträge man geschlossen hat, normalen Arbeitgeber. Aber die Bundeswehr ist kein und dass man auch nicht weiß, was überhaupt in der eige- normaler Arbeitgeber. Bei keinem anderen Arbeitgeber nen Truppe noch einsatzbereit ist. Ihnen ist es zu verdan- setze ich meine körperliche Unversehrtheit, setze ich ken, dass unsere Truppe mit ihrer inneren Ordnung jetzt mein Leben ein oder bin im Notfall sogar gezwungen, da ist, wo sie ist, nämlich am Boden. einen anderen Menschen zu töten, wenn es mein Auftrag verlangt. Aber Sie verkaufen die Bundeswehr nach außen (Beifall bei der AfD) als einen normalen Arbeitgeber. Das ist sie nicht. Vertrauen, Frau von der Leyen, wird keiner mehr in (Beifall bei der AfD) Sie haben. Wenn Sie zu Ihren Einheiten, Ihren Kasernen, Ihren Liegenschaften fahren, hängen dort überall Bilder Wo man früher noch von Kameradschaft gesprochen von Ihnen. Wenn Sie nicht da sind, werden diese Bilder hat, wirbt man heute mit großen Lettern für Teamgeist. umgedreht. Aber noch niemand hat die Frechheit beses- Ich kenne keinen Teamgeist, ich kenne nur Kamerad- sen, diese Bilder abzunehmen, so wie Sie es beim Bil- schaft, und ich kenne auch die Pflicht zur Kameradschaft. dersturm und bei der Hexenjagd in Ihren Kasernen und (Beifall bei der AfD) Ihren Liegenschaften getan haben. Zu meiner Zeit gab es keinen Teamgeist. Man verordnet (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- ohne Zwang eine Arbeitszeitrichtlinie und schafft eine ten der CDU/CSU – Ingo Gädechens [CDU/ Nine-to-five-Firma, wo man doch lieber eine schlagkräf- CSU]: Langsam ahne ich, warum Sie als tige Kampftruppe haben sollte, Frau von der Leyen, eine Zeitsoldat nicht übernommen wurden!) (B) (D) schlagkräftige Kampftruppe, keine Firma, keinen Arbeit- – Halten Sie mal inne. geber. Lassen Sie das einmal sacken, wenn das bei Ihnen ankommt. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Da hat die (Beifall bei der AfD) Bundeswehr gut entschieden! Den haben sie nicht übernommen!) Tradition verwischt man so lange, bis eine Truppe nicht mehr weiß, an was sie glauben soll oder vor allen Die Bundeswehr, Frau von der Leyen, ist unsere letzte Dingen, an was sie glauben darf. Erst scheut man sich Lebensversicherung, die wir als Staat und für unser Volk ängstlich, auch nur über den Begriff „Veteranen“ zu haben – das sollten Sie immer bedenken –, nach außen sprechen, dann hat sich die AfD dieses Themas ange- und nach innen. Sie haben es geschafft, diese Bundes- nommen. Es ist uns wirklich ein Herzensanliegen, weil wehr, die Streitkräfte, an den Abgrund der Verteidigungs- wir für unsere Soldaten da sind und nicht nur leere Flos- fähigkeit zu bringen. keln sagen und das Winken zelebrieren. Was machen Sie? Sie geraten wieder in hektische Schwingungen, ein (Zuruf von der AfD: Richtig!) Schuss in den Ofen. Sie sprechen noch nicht einmal mit Schauen Sie also zu Hause mal in den Spiegel, wenn Sie allen Inte­ressenvertretern und legen den Begriff des Ve- ihn nicht schon abgehängt haben. teranen fest. Wissen Sie, woran mich das erinnert? An den fiktiven Kaiser, der möchte, dass sein Volk schlauer Vielen Dank. ist, jedem Bürger den Doktortitel verleiht und sich dann abends zufrieden ins Bett legt und sagt: Oh, was habe ich (Beifall bei der AfD – Heiterkeit bei Abge- Schönes, was habe ich Tolles vollbracht. ordneten der AfD – Zuruf von der CDU/CSU: Unterirdisch! – Dennis Rohde [SPD]: Das war (Beifall bei der AfD) eine gelebte leere Floskel!) Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem, und sie hat offensichtlich eine Führungsschwäche auf ver- Vizepräsident Thomas Oppermann: schiedenen Ebenen, und da müssen wir konsequent drangehen. Als Nächstes spricht für die Fraktion der SPD die Ab- geordnete Siemtje Möller. Diese Worte kennen Sie, diese Worte sind von Ihnen – über Ihre Bundeswehr, über Ihre Truppe, über Ihre Leute. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frau von der Leyen, für mich gibt es nur eine einzige Per- der CDU/CSU) 7376 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

(A) Siemtje Möller (SPD): Klar ist – auch das ist in den letzten Wochen deutlich (C) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! geworden –: Der Beschaffungsprozess ist so, wie er ist, Sicherheit ist ein hohes Gut. Unsere Sicherheit liegt in viel zu langwierig. Er kostet zu viel Zeit und auch zu viel Europa, in der NATO und natürlich auch in unseren eige- Geld. Das dient weder unseren Soldatinnen und Soldaten nen Verteidigungsfähigkeiten, und es ist richtig, für diese noch unserer Sicherheit. Und: Es ist richtig, hierauf ein staatliche Aufgabe Geld auszugeben – ich möchte beto- besonderes Augenmerk zu richten. nen: sinnvoll auszugeben. Für mich ist auch klar: Beschaffungen sind ureigene Es wurde zu einzelnen Projekten schon viel gesagt. Aufgabe eines souveränen Staates. Das Zusammenspiel Ich freue mich natürlich besonders über die positive zwischen Industrie und Beschaffungsamt, zwischen Pri- Entscheidung zum Mehrzweckkampfschiff. Diese Be- vat und Staat muss dahin gehend verbessert werden, dass merkung darf ich mir als Abgeordnete für Wilhelms- der Prozess insgesamt schneller, effizienter und termin- haven erlauben. Aber ich möchte noch einen anderen treuer wird – aber unter Federführung des Staates. Wir, Aspekt beleuchten, der bisher noch nicht zur Sprache die SPD-Fraktion, stellen uns klar gegen jegliche Privati- kam: Unsere Bundeswehr ist als Parlamentsarmee fest in sierungstendenzen, was ja auch schon betont wurde. der Bevölkerung verwurzelt. Damit geht quasi ein Bil- (Beifall bei der SPD) dungsauftrag der Bundeswehr einher, der Auftrag, eine kritische gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Es sind nicht das Amt und auch nicht der Charakter ei- Streitkräften zu ermöglichen. Dies erfolgt auch über die nes Amtes und schon gar nicht die dort Beschäftigten, die Museen, beispielsweise das Militärhistorische Museum die Probleme verursachen, sondern es ist die Behäbigkeit in Dresden, das Deutsche Panzermuseum Munster und des Prozesses an sich. Mir wäre es in diesem Zusammen- das Deutsche Marinemuseum in Wilhelmshaven. hang auch viel lieber, wir würden die finanziellen Mittel nutzen und den Personalaufwuchs im BAAINBw oder in (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ach!) anderen nachgelagerten Behörden vorantreiben, als diese Über diese Museen bekommt die Gesellschaft einen Zu- Mittel für externe Dritte zu verwenden. gang zur Bundeswehr und auch ein Stück weit Zugang (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zur eigenen Geschichte. Der umständliche Beschaffungsprozess treibt mich Besonders freue ich mich deshalb darüber, dass auch um, insbesondere weil ich vor Ort immer wieder ange- das Deutsche Marinemuseum in Wilhelmshaven geför- sprochen werde, es fehle an diesem oder jenem handels- dert wird. Das Museum setzt sich mit den Marinen und üblichen Stückgut. Die Beschaffungen dauern immer ihrer 170-jährigen Geschichte auseinander und beleuch- viel zu lang, oft viele Monate mit unzähligen Bewilli- (B) tet sie auch kritisch – ich möchte das betonen, weil es ja gungsvordrucken. Deswegen möchte ich vorschlagen, (D) immer wieder Nachfragen von der Linken gibt. 2017 be- dass Standortkommandeure ein eigenes, überschauba- suchten fast 125 000 Personen dieses Museum. Es zeigt res Budget bekommen, um kleine Beschaffungen direkt sich: Die Marinen und ihre Geschichte faszinieren, das veranlassen zu können, vielleicht mit einer Positivliste Museum begeistert mit seiner in Europa tatsächlich ein- hinterlegt. maligen Sammlung. Die Güte der Ausstellungen, der Bil- dungsauftrag der Bundeswehr – nach innen und außen – (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Martin und die hohen Besuchszahlen machen also deutlich: Es Hohmann [AfD] – Heiterkeit bei der FDP so- ist absolut richtig, dass der Bund dieses Haus finanziell wie bei Abgeordneten der CDU/CSU) unterstützt. Wenn es monatelang dauert und die Verantwortlichen Sicherheit ist ein hohes Gut, für das wir auch bereit etliche Begründungen für Kleinstanschaffungen wie sind, viel Geld auszugeben. Mir ist wichtig, dass dieses beispielsweise Beamer oder Bürostühle liefern müssen, Geld nicht verschwendet wird. Dafür trägt der Staat die sinkt nicht nur die Motivation, sondern es steigt auch der Verantwortung. Angesichts der neuesten Erkenntnisse Frust über die Bürokratie. der letzten Tage und Wochen über die Beraterverträge (Anhaltende Heiterkeit bei der FDP sowie bei und Unterstützungsleistungen beim Verteidigungsminis- Abgeordneten der CDU/CSU) terium ist mir eines klar geworden: Es gibt nicht nur den Anschein einer zu großen Nähe zwischen Beratungsfir- – Ich freue mich, dass ich anscheinend für so viel Erhei- men und Beamten des Ministeriums. Schon diesem An- terung gesorgt habe. schein müsste durch maximale Transparenz des Ministe- riums entschieden entgegengewirkt werden. Aber nein, (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das mit dem es gibt nicht nur diesen Anschein – es gibt aus meiner Taschengeld war so nett gemeint!) Sicht schlicht zu viele externe Dritte im Ministerium. Es kann nicht sein, dass man auf einen so offen- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. sichtlichen Bedarfsgegenstand wie beispielsweise ei- Dr. Marcus Faber [FDP]) nen Beamer, der – das muss man, wenn man ehrlich ist, einräumen – zur Grundausstattung von modernen Vor- Ich finde, das Geld, das wir im Haushalt für den Bereich tragsräumlichkeiten gehört, Monate warten muss. Ich Verteidigung veranschlagt haben, darf nicht für unnötige finde, ein solches Budget dient der Dezentralisierung des Beratung ausgegeben werden, sondern sollte da ankom- Beschaffungsprozesses und der Entbürokratisierung. Das men, wo es benötigt wird: bei Ausrüstung und Ausstat- dient einerseits unserer Verantwortung für die Soldatin- tung der Bundeswehr. nen und Soldaten, und andererseits bringt es zum Aus- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7377

Siemtje Möller (A) druck: Wir vertrauen euch, dass ihr als Standortkomman- lässlich; auch das muss ich hier leider sagen. Frau von (C) deure, also als Führungskräfte, in eurer Führungsposition der Leyen, das ist nichtmilitärisches Bullerbü, was wir wisst, wo der Schuh drückt bzw. der Beamer nötig ist. gerade erleben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das Ministerium steuert bei Rüstungsprojekten im- der FDP) mer wieder nach. Die Umsetzung zieht sich. Die Projek- te werden deutlich teurer, und die fertigen Produkte sind Ein besonders markantes Beispiel für Optimierungs- häufig trotzdem nicht einsatzbereit. potenzial bei den Infrastrukturmaßnahmen ist der Flug- hafen in Wittmund. Er braucht schon seit Jahren, fast Im Haushalt sind auch mehr Mittel für die Akquise Jahrzehnten, eine Generalüberholung. Als ein Beispiel von Personal eingestellt. Das ist gut. Es wird darüber von vielen macht dies deutlich: Infrastrukturmaßnahmen nachgedacht, neue Studiengänge einzuführen. Dass die brauchen einfach zu lange. Auch hier wünsche ich mir explizit ohne Mathe auskommen sollen, lasse ich mal eine Beschleunigung der Prozesse, eine Verbesserung dahingestellt; das wäre etwas für eine Diskussion über des Zusammenwirkens der unterschiedlichen beteiligten unser Bildungssystem. Trotzdem hält der Personalman- staatlichen Stellen und Ministerien; denn hier werden gel an. Projekte und Prozesse tatsächlich über viele Jahre – nicht willentlich, aber doch über die Zeit – verschleppt. Die Frage ist: Was ist mit den veralteten Strukturen innerhalb der Organisation? Gedenkt die irgendeiner mal Ich fasse zusammen. Wir müssen das Geld angemes- aufzubrechen? Wie ist die Führungskultur im Ministeri- sen ausgeben. Wir müssen die Prozesse adäquat überprü- um? Wie werden Talente gefördert? Es werden momen- fen und optimieren. Das müssen wir tun, weil es für unse- tan mehr Kraft und Mittel, vor allen Dingen Mittel, in das re Soldatinnen und Soldaten und auch für unser Land gut Risikomanagement gesteckt als mutig in Innovationen. ist. Wir als SPD-Fraktion stellen uns klar hinter diesen Einzelplan und werden uns weiterhin konstruktiv in die (Beifall bei der FDP) Diskussion einbringen. Es gibt viele ungelöste Probleme und Fragen. Genau Vielen Dank. deshalb wollen wir, die Freien Demokraten, eine über- fällige, im parlamentarischen Rahmen offene Debatte, (Beifall bei der SPD) in der wir mit Sachverständigen, mit Vertretern der Bun- deswehr und Vertretern der Zivilgesellschaft gemeinsam Vizepräsident Thomas Oppermann: an Lösungen arbeiten. Deshalb beantragen wir in dieser Woche, eine Enquete-Kommission zur Einsatzbereit- Vielen Dank. – Als Nächstes spricht Dr. Marie-Agnes schaft der Bundeswehr einzusetzen. Meine Damen und Strack-Zimmermann für die FDP. (B) Herren, die Debatte über die Zukunft der Bundeswehr (D) (Beifall bei der FDP) gehört nicht in geheime Runden im Ministerium, an de- nen nicht einmal die Opposition teilnehmen darf, sie ge- hört in dieses Haus, in diese Öffentlichkeit, mitten in die Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Gesellschaft. Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Da- men und Herren! Frau Ministerin, es ist schon bemer- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten kenswert, wie Sie für Ihren Haushalt immer wieder einen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aufschlag herausholen. Das erzeugt gute Laune; das ver- stehe ich. Wenn sogar bei der SPD erkannt wird, dass wir Die SPD hat im Zuge der Anschaffung von Drohnen mehr Mittel für die Bundeswehr brauchen, dann dürfte und der Diskussion über eine mögliche Bewaffnung eine auch dem Letzten klar sein, welchen Nachholbedarf wir gesellschaftliche Debatte haben wollen. Wann gedenken bei der Truppe auch nach vier Jahren Trendwenden ha- Sie diese Debatte anzustoßen? Wir schlagen Ihnen vor, ben. dass wir gemeinsam – Herr Kollege Rohde hat entspre- chende Fragen aufgeworfen – eine Debatte weit darüber (Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Das haben wir hinaus führen, nämlich über die Aufgaben der Bundes- schon erkannt, da waren Sie noch gar nicht im wehr in der Zukunft. Bundestag!) Meine Damen und Herren, Soldatinnen und Soldaten Die Freien Demokraten stehen hinter der Bundeswehr stehen nicht neben der Gesellschaft. Sie sind nicht ir- und tragen im Grundsatz den Aufwuchs entsprechend gendwo, sie sind Teil dieser Gesellschaft. Eine Enquete-­ mit. Umso ärgerlicher ist es, zu erleben, wie an mancher Kommission wäre eine große Chance, eine spannende Stelle, locker ausgesprochen, schludrig mit Steuermitteln Diskussion zu führen. Die gesellschaftliche Debatte da- umgegangen wird. Wir erwarten ja morgen, Frau Minis- rüber gehört ins Rampenlicht; denn es geht dabei auch terin, in der von uns geforderten Sondersitzung zum The- darum, dass wir uns mit unserem Selbstverständnis als ma Berater entsprechende Antworten – präzise Antwor- Staatsbürger auseinandersetzen. ten, nichts, was über den Daumen gepeilt ist. Wie gehen wir in Zukunft mit unserer Bundeswehr Meine Damen und Herren, wir erhöhen die Ausgaben. in der Öffentlichkeit um? Wie viel Respekt haben wir Wir begleiten die auf den Weg gebrachten Trendwen- eigentlich vor denen, die diesen wirklich nicht ganz ge- den. Wir fokussieren uns auf das Beschaffungswesen bei wöhnlichen Beruf ergriffen haben? Das betrifft nicht nur großen Vorhaben, und trotz alledem ist die Einsatzbe- die, die für uns im Ausland tätig sind, sondern all die Sol- reitschaft der Hauptwaffensysteme weiterhin nicht ver- datinnen und Soldaten, die den Auftrag haben, Deutsch- 7378 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) land und Europa in letzter Konsequenz zu schützen. Wie Das ist der größte Zuwachs, den es im Militärbereich bis- (C) gehen wir mit den Soldatinnen und Soldaten um? Welche her gegeben hat. Wir sagen dazu klipp und klar Nein. Rolle werden wir in Europa in Zukunft in Sicherheitsfra- (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens gen einnehmen? Welche Rolle spielen wir als Deutsche [CDU/CSU]: Wenn ihr mal Ja sagt, dann ma- dabei – das ist eine spannende Frage –, und wie statten chen wir was verkehrt!) wir die Bundeswehr dafür richtig aus? Wie gehen wir mit dem Thema Rüstung und dem Thema Ausfuhr um? Auch Nach NATO-Kriterien beträgt dieser Militärhaushalt das können wir nicht einfach so laufen lassen. Auch da 47,17 Milliarden Euro; Sie haben ja in ein paar anderen ist eine deutsche Position erforderlich, wie wir uns in Zu- Haushaltstiteln weitere Militärausgaben versteckt. kunft gegenüber Drittländern verhalten. Ich will mir mal den investiven Bereich, der auch Aber die Gretchenfrage wird sein: Was ist uns in die- dem Kollegen Brandl so wichtig war, genauer angucken. ser Gesellschaft und was ist jedem Einzelnen von uns Wir kriegen ja regelmäßig die Berichte über die lau- eigentlich Sicherheit in Frieden und Freiheit wert? Ich fenden Rüstungsprojekte. Bei den Projekten haben wir werbe bei Ihnen allen sehr darum: Werfen Sie Ihr Herz folgendes Phänomen festgestellt: Die Rüstungsprojek- über den Zaun! te dauern um ein Vielfaches länger und werden immer teurer. Ein paar konkrete Beispiele: Der von Ihnen ge- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nannte Panzer Puma braucht 57 Monate länger und wird NEN]: Was?) 1,23 Milliarden Euro teurer. Der Kampfhubschrauber Lassen Sie uns über Fraktionsgrenzen hinweg der Ein- Tiger braucht 80 Monate länger und wird 934 Millionen setzung einer Enquete-Kommission zustimmen. Das ist Euro mehr kosten. Der NH90 braucht 134 Monate länger eine große Chance. Es ist ein Signal an die Damen und und wird 1,1 Milliarden Euro mehr kosten. Der A400M, Herren, die uns heute zuhören, an die Damen und Her- das Transportflugzeug, wird 139 Monate länger dauern ren, die diese Debatte im Fernsehen verfolgen, dass wir und 1,487 Milliarden Euro mehr kosten. Jetzt kommt der kein Schattendasein wollen. Wir wollen offen und mit Eurofighter – ja, den gibt es immer noch –: Der kostet der Bundeswehr diskutieren. Das ist uns die Bundeswehr die Steuerzahler jedes Jahr Millionen und Abermillionen wert, und das gehört auch mitten in diese Debatte. mehr; er dauert 149 Monate länger und kostet 6,7 Milli- arden Euro mehr. Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Minis- (Beifall bei der FDP) terin, wir haben eine Reihe von Skandalprojekten wie Stuttgart 21 oder BER; dieser Verteidigungshaushalt Vizepräsident Thomas Oppermann: entspricht aber mehrfach Stuttgart 21 und BER. Dieser (B) Verteidigungshaushalt ist ein Skandalhaushalt! (D) Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Tobias Pflüger für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Um das mal sehr deutlich zu machen – weil wir es vor- hin ja mit verschiedenen Kinderbüchern und kindlichen Vergleichen zu tun hatten –: Ursula von der Leyen, Sie Tobias Pflüger (DIE LINKE): kommen mir vor wie die Raupe Nimmersatt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Ministerin! Wir haben mit dem sogenannten (Heiterkeit – Dr. Ursula von der Leyen, Bun- Verteidigungshaushalt einen Skandalhaushalt vorliegen. desministerin: Aber was kommt zum Schluss raus?) (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Was ist denn jetzt los?) Der Unterschied ist nur, dass am Ende kein schöner Schmetterling rauskommt, sondern Chaos. Wir sagen Inzwischen sind im Einzelplan 14 Mittel in Höhe von klipp und klar: Wir wollen nicht eine Raupe Nimmersatt, sage und schreibe 43,3 Milliarden Euro eingestellt. Auf wir wollen nicht, dass die Mittel für den Militärhaushalt die 42,9 Milliarden Euro des Ursprungsplans wurden immer und immer weiter gesteigert werden. Wir wollen, im Zuge der Beratungen im Haushaltsausschuss einfach dass hier endlich mal vernünftig Abrüstung betrieben noch mal 323 Millionen Euro draufgelegt. Das entspricht wird. einer Gesamtsteigerung von 2018 auf 2019 um 4,8 Mil- (Beifall bei der LINKEN) liarden Euro. In diesem Militärhaushalt sind Projekte enthalten wie (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na, 4,7!) die Kampfdrohne Heron TP: 953 Millionen Euro und für Wir als Linke sagen: Wir werden diese Steigerung des jede Einsatzoption 100 bzw. 200 Millionen Euro. Das Militärhaushaltes nicht mitmachen. wird eine Kampfdrohne sein: gegen Fahrzeuge, gegen sogenannte weiche Ziele, gegen Personen. Die Bewaff- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Nein! – nung ist vorbereitet; ich habe es mir angeschaut. Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Keine Überra- schung!) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Dann haben wir ja den höchsten Sachverstand!) Das ist eindeutig Aufrüstung. Ich kann nur klar sagen: Diese Beschaffungsprojekte, (Beifall bei der LINKEN) insbesondere die Anschaffung dieser Kampfdrohne ist Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7379

Tobias Pflüger (A) völlig falsch. Wir werden das immer weiter kritisieren. gemeinsam stützen. Deswegen appellieren wir auch an (C) Es darf keine Kampfdrohnen bei der Bundeswehr geben. die Vereinigten Staaten von Amerika, zu sagen: Wir müs- sen Russland dazu bringen, diesen Vertrag, der die Aus- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- breitung von Mittelstreckenraketen im nuklearen Bereich NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Marie-Agnes einschränken soll, einzuhalten. Die Situation besorgt uns. Strack-Zimmermann [FDP]: Haben Sie schon Es gibt ohnehin eine Bedrohung, im konventionellen Be- mal ein Gewehr ohne Munition gesehen?) reich, aus der Luft, vom Wasser und vom Land aus und Der Bundesrechnungshof hat Ihnen mitgeteilt, dass sogar im Cyberbereich. Das bringt uns zu der Entschei- Sie im Jahr 2017 von den Geldern 900 Millionen Euro dung, dass wir gemeinsam mehr tun für die Sicherheit nicht ausgeben konnten. Jetzt haben Sie sich einen Schat- unseres Landes. tenhaushalt geschaffen. 9,5 Milliarden Euro investive Wir Europäer sind gefordert, Verantwortung zu über- Ausgaben im Bereich Verteidigung werden für Beschaf- nehmen. Deswegen ist auch für die EU das Sicherheitsin- fung vorgesehen. Sie werden die Gelder in diesen Schat- teresse ein integrierendes Element. Ich sage sehr deutlich, tenhaushalt verschieben. Kein anderer Bereich kann sich dass Deutschland inmitten Europas mit neun Nachbarn, dies leisten; das ist der einzige Bereich, in dem das statt- wenn wir denn nicht befreundet und befriedet wären, viel findet. Wir sagen klipp und klar Nein zu diesem Vertei- mehr ausgeben müsste für die Sicherheit. Aber gerade digungshaushalt und Nein zu diesem Schattenhaushalt. weil wir im Bündnis sind, gerade weil wir Verpflich- Das ist Aufrüstung, und diese Aufrüstung lehnen wir ab. tungen gemeinsam übernehmen, ist es notwendig, dass (Beifall bei der LINKEN) wir unsere Verantwortung auch wahrnehmen. Deswegen sage ich: Wir müssen die 2 Prozent des Bruttoinlands- Vizepräsident Thomas Oppermann: produkts klar anstreben, um unsere Verantwortung anzu- nehmen und unsere Verpflichtungen in der NATO auch Vielen Dank. – Als Nächster redet Henning Otte für wahrzunehmen. die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gilt nicht, auf Isolation und Nationalismus zu setzen, Henning Otte (CDU/CSU): es gilt nicht, Interessen gegeneinander auszuspielen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und sondern es gilt, Partnerschaft und Bündniswesen in den Herren! Dieser Haushalt ist eine gute Grundlage für die Vordergrund zu stellen. Deswegen wollen wir den Weg Sicherheit unseres Landes. Lieber Herr Pflüger, das sage der Strukturierten Zusammenarbeit weiter stärken, hin zu ich als Verteidigungspolitiker, ich sage das aber auch einer Verteidigungsunion in Europa, mit dem Ziel, eines (B) ganz bewusst als Familienvater. Wir schaffen Sicherheit Tages womöglich über die Armee der Europäer vielleicht (D) in unserem Land, damit Kinder in Frieden und Freiheit eine europäische Armee zu erzielen. aufwachsen können. Sie müssen Kinderrechte überhaupt Aber bis dahin müssen wir gemeinsam unsere Position nicht dagegen aufrechnen. Wir haben das Baukindergeld, vertreten, Krisen bewältigen in Mali, in Afghanistan, den wir erhöhen den Kinderfreibetrag, wir haben das Kinder- Kampf gegen den IS führen, damit wir Fluchtursachen geld erhöht. Uns geht es darum, eine sichere Grundlage bekämpfen und nicht nur wohlfeil darüber debattieren. für Frieden und Freiheit zu schaffen. Dafür müssen wir Es gilt auch, in der Bündnisverpflichtung die Vorneprä- auch die Bundeswehr ausrüsten, meine Damen und Her- senz zu stärken, bis hin zur schnellen Speerspitze. ren. Das Fähigkeitsprofil gibt der Bundeswehr dafür auch (Beifall bei der CDU/CSU – Niema Movassat die Mittel. Jetzt gilt es, die Strukturen so auszufüllen, [DIE LINKE]: Und trotzdem wachsen Hun- dass wir wieder Vollausstattung haben, dass wir genü- derttausende Kinder in Armut auf in diesem gend Flugstunden haben, dass wir modernisieren und in- Land!) vestieren, dass wir wieder eine Lagerhaltung bekommen Das ist uns 43 Milliarden Euro wert. Wir investieren in und dass wir Vertrauen geben, Vertrauen in die Truppe. Personal, in Modernisierung, in persönliche Ausrüstung. Deswegen gilt es auch, die Attraktivität des Dienstes Wir haben in den Verpflichtungsermächtigungen noch zu stärken. Es ist mehrfach angesprochen worden: Ja, der einmal 5,7 Milliarden Euro, wie schon gesagt, für einen Beruf des Soldaten ist eben kein Beruf wie jeder andere. Transporthubschrauber, für das Mehrzweckkampfschiff Polizisten, Krankenschwestern, Pfleger, Lehrer, Theolo- oder für ein taktisches Luftverteidigungssystem. gen haben Dank verdient – aber auch unsere Soldaten Das ist gut investiertes Geld – in die Sicherheit –, weil haben Dank verdient, weil sie, oft fernab der Heimat, ein- wir die Weltlage mit Wachsamkeit beobachten müssen. stehen für unser Land. Wir sehen das aggressive Vorgehen Russlands, wir sehen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den Krisenbogen im Nahen Osten, zerfallende Staaten und die Instabilität im Norden Afrikas – Unruheherde am Deswegen sagen wir ganz klar: Die Bundeswehr ist eine Rande Europas, die uns nicht in Ruhe lassen, weil sie uns feste Säule der Sicherheit unseres Landes, eine feste Säu- direkt betreffen. le der wehrhaften Demokratie, unserer freiheitlich-de- mokratischen Grundordnung. Es gilt auch, dem Ordnungsverlust entgegenzutreten. Da haben wir mit Präsident Trump nicht unbedingt eine Frieden und Freiheit zu erhalten, das ist unser Ziel. Unterstützung. Es geht darum, dass wir den INF-Vertrag Frieden fällt nicht vom Himmel, wir müssen bereit sind, 7380 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Henning Otte (A) notwendige Maßnahmen zu ergreifen – ob nun eine unserer Truppe investieren, stärken wir den Kern einer (C) Enquete-Kommission der richtige Weg ist oder ob wir handlungs- und leistungsfähigen Bundeswehr – nicht entschieden handeln. Deswegen bin ich den Haushalts- überzogen, mit Augenmaß, aber an den Notwendigkeiten politikern sehr dankbar, dass sie unserer Bundeswehr orientiert. Und das ist gut so. die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen, damit wir das, was wir als notwendig erkennen, auch umsetzen Es gibt aber Grundsätze, die zeitlos sind, und um diese können. Stärke und Zusammenhalt sind der Baustein für Klassiker müssen wir uns permanent kümmern. Frieden und Freiheit. Deswegen stimmen wir als CDU/ Erster Grundsatz: Verantwortung. Wir müssen uns der CSU-Fraktion diesem Haushalt 2019 aus voller Überzeu- Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten, aber gung zu. auch für die Zivilbeschäftigten in unseren Behörden bei Herzlichen Dank. der Bundeswehr stets bewusst sein. Wir als Politik sind dafür verantwortlich, wenn Strukturen nicht funktionie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ren oder die notwendige Ausrüstung nicht verfügbar ist. ordneten der SPD) Vor dieser Verantwortung dürfen wir uns auch nicht drü- cken, und wir dürfen sie auch nicht an Dritte übertragen. Vizepräsident Thomas Oppermann: Die Soldatinnen und Soldaten merken zum Beispiel bei Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Ab- der persönlichen Ausstattung sehr schnell, ob sich die geordnete Thomas Hitschler. Politik um sie kümmert oder nicht. (Beifall bei der SPD) Ich war, wie die Frau Ministerin, vor drei Wochen bei der Übung „Trident Juncture“ in Norwegen. Wir ha- ben es dort geschafft, die Truppe mit all der Ausrüstung Thomas Hitschler (SPD): auszustatten, die vonnöten war. Das beinhaltet auch an- Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen gemessene und moderne Winterkleidung. Bei bis zu mi- und Kollegen! Wir diskutieren heute, wie die verteidi- nus 20 Grad stellt man nämlich umgehend fest, ob die gungspolitischen Richtungsentscheidungen aussehen, Ausrüstung etwas taugt oder eher nicht, und ich bin mir und es ist spannend, festzustellen, aus welcher Ecke des sicher: Wir alle können das ziemlich gut nachvollziehen Parlaments welche Kritik kommt. Die eine Ecke äußert, und merken dabei, dass unsere Verantwortung eine ziem- wir würden unüberlegt aufrüsten, lich unmittelbare ist, Kolleginnen und Kollegen. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Genau!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die andere Ecke meint, wir müssten eher 70 Milliarden Zweitens. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. (B) Euro für Verteidigung ausgeben, alles andere wäre ver- Wir, das Parlament, entscheiden darüber, ob wir unsere (D) antwortungslos. Gut, dass sich die Mehrheit dieses Hau- Soldatinnen und Soldaten in einen Einsatz schicken. Die ses an der Realität orientiert und einen ausgewogenen Truppe vertraut darauf, dass wir das nicht leichtfertig Haushalt vorlegt. machen. Mit den Schwerpunkten dieses Haushaltes reagieren Auf der anderen Seite sollten wir aber auch auf unsere wir auf die Veränderungen der Welt und stellen wir die Soldatinnen und Soldaten vertrauen. Ich habe das letzte Weichen für die kommenden Jahre. Wir kommen aus ei- Woche bei einem Verband gesehen, der momentan auf- ner Welt, in der Begriffe wie „dynamisches Verfügbar- grund von früheren Verfehlungen Einzelner sehr starker keitsmanagement“ ein schickes Label für den verwalte- Kritik ausgesetzt ist, nämlich bei unserem Kommando ten Mangel waren. Wir kommen aus einer Welt, Ende der Spezialkräfte. Es war für mich fast unglaublich, zu sehen, 80er-, Anfang der 90er-Jahre, in der Landes- und Bünd- dass junge Männer und Frauen bereit sind, viele Jahre ih- nisverteidigung die vordringlichste Aufgabe der Bundes- res Lebens ausschließlich in den Dienst ihres Landes zu wehr war. Große stehende Heere mit schwerem Gerät stellen, und die Bereitschaft haben, ihr Leben im Notfall prägten damals das Bild. für unsere Sicherheit zur Verfügung zu stellen – und das Die Zeiten änderten sich. Von Ende der 90er-Jah- meist ohne große öffentliche Anerkennung. Dafür müs- re bis in die jüngste Gegenwart hieß dies, dass wir fast sen wir dankbar sein – öffentlich und sichtbar. ausschließlich eine Armee im Einsatz hatten. Wir hatten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der als Parlament dafür zu sorgen, dass unsere kleinere, spe- FDP) zialisiertere Truppe gut ausgerüstet, aber vor allem gut geschützt war. Vertrauen ist aber mindestens genauso wichtig. Wer einmal gesehen hat, welche Fähigkeiten diese Männer Spätestens seit dem Jahr 2013 ist die Landes- und und Frauen mitbringen und welche Mühe es kostet, diese Bündnisverteidigung wieder in den Fokus gerückt. Wir Fähigkeiten zu erlangen, der muss auf diese Truppe ver- brauchen heute eine Bundeswehr, die in der Lage ist, trauen können. Deshalb müssen wir genau hinschauen, weltweit Kriseneinsätze zu bewältigen, gleichzeitig aber Missstände mit aller Härte des Rechtsstaates aufklären, auch Fähigkeiten der Landes- und Bündnisverteidigung am Ende aber auch vertrauen. hat. Ich meine, wir merken im aktuellen Verteidigungs- haushalt, an welchen Stellen wir deshalb Veränderungen Ich will mit einem dritten und letzten Punkt abschlie- eingebracht haben. Indem wir die Personal- und Ver- ßen, und zwar mit dem Thema „Nachhaltigkeit unserer sorgungsausgaben erhöhen, indem wir wieder Groß- Entscheidungen“. Wenn wir heute festlegen, dass die gerät beschaffen und indem wir in die Verlegefähigkeit Bundeswehr wieder wachsen und wieder mehr schweres Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7381

Thomas Hitschler (A) Gerät und die notwendige Ausstattung für die Landes- der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 14, also zum Be- (C) und Bündnisverteidigung bekommen soll, dann ist es reich Verteidigung, kann ich sagen: Der Kollege Hitschler mindestens genauso wichtig, dies langfristig zu denken. hat die ganze Bandbreite schon aufgezählt. Dem einen zu Wir müssen die Strukturen der Bundeswehr, die viel- viel, dem anderen zu wenig: Wir sind dafür da, ein Maß leicht nicht auf den ersten Blick der Verteidigung unseres der Mitte zu finden. Landes dienen, mindestens genauso stärken, wie wir dies mit anderen Strukturen tun. Vor einer Begrifflichkeit möchte ich die Bundesver- teidigungsministerin ausdrücklich in Schutz nehmen. Was bedeutet das? Ich will, dass die Beschäftigten Sie bilden die Raupe Nimmersatt weder in körperlicher der Bundeswehr und unsere Beamtinnen und Beamten, Gestalt ab noch als Bundesverteidigungsministerin. Sie die sich um Beschaffung kümmern, die sich um unse- orientieren sich an dem, was notwendig ist, damit die re Liegenschaften kümmern, die sich um den gesamten Bundeswehr so ausgestattet wird, wie sie ausgestattet Geschäftsbetrieb kümmern, auch wieder stärker in das werden muss. Blickfeld unseres Parlaments und von uns Verteidigungs- politikern kommen. Sie haben das nämlich verdient, weil (Beifall bei der CDU/CSU) sie exzellente Arbeit leisten, Kolleginnen und Kollegen. Die Ministerin war in den vergangenen Tagen und (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Wochen nicht nur in der Kritik einzelner Fraktionen, Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]) sondern auch in der der Medien. Ich hätte mir für unsere Bundeswehr, aber auch für die Ministerin selbst wahrlich Genau diese Notwendigkeit merken wir doch gerade andere Schlagzeilen gewünscht; denn das, was sie in Zu- wieder an der Diskussion über externe Beratung. Sicher- sammenarbeit mit dem Verteidigungs- und Haushaltsaus- heit ist eine der essenziellen hoheitlichen Aufgaben eines schuss Positives geleistet hat, verdient weitaus größere Staates. Die kann man nicht delegieren und sagen: Pri- Beachtung. vat vor Staat. An der Stelle, an der sich der Staat ver- abschiedet und die eigene Verantwortung zu übertragen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) versucht, geht das schief. Wir merken das gerade mehr als deutlich. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam Struktu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Zah- ren rund um die Bundeswehr nachhaltig so stärken, dass len alle gehört. Wir lernen zwar durch Wiederholung, wir in der Lage sind, hoheitliche Aufgaben des Staates aber ich will die Zahlen nicht alle wiederholen. Sie ha- selbst und verlässlich auszuüben, und diese nicht an Drit- ben von dem berechtigten Aufwuchs schon von den te übertragen müssen. Kolleginnen und Kollegen Vorrednern gehört. Dieser Aufwuchs ist richtig und wichtig. Aber wenn dann hier (Beifall bei der SPD) kritisiert wird, dass wir das 2-Prozent-Ziel viel schneller (B) (D) erreichen müssten, sollten, Das ist auch meine Forderung an Sie, Frau von der Leyen. Wir als SPD werden jedenfalls nicht bei weiteren (Dr. Marcus Faber [FDP]: Wenn überhaupt!) Privatisierungen von hoheitlichen Aufgaben mitmachen, nicht bei der Heeresinstandsetzung, nicht bei der Rüs- weil „versprochen ist versprochen“, dann, meine sehr tungsbeschaffung und am liebsten nirgends. Staatsaufga- verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist es mir persön- ben müssen vom Staat wahrgenommen werden. Gerade lich viel lieber, dass das BIP uns davongaloppiert und im Bereich Verteidigung darf es da keine Kompromisse wir mit dem 2-Prozent-Ziel hinterherlaufen, als wenn es geben, Kolleginnen und Kollegen. irgendwann mal umgekehrt wäre: dass wir sehr schnell das 2-Prozent-Ziel erreichen, aber unser BIP wesentlich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schlechter aussieht. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das erreichen Ich glaube, unsere Haushälterinnen und Haushälter Sie beides!) haben gute Arbeit gemacht. Es ist ein guter Haushalt, der viele der notwendigen Investitionen für unsere Bundes- Ich glaube, für unser Land ist die Variante, die wir ge- wehr beinhaltet. Stimmen Sie deshalb diesem Haushalt wählt haben, die wesentlich bessere. zu. (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank. Ja, wir haben einen soliden Haushalt vorgelegt. Wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben in der Bereinigungssitzung bis freitagmorgens um der CDU/CSU) 5.09 Uhr gerungen. (Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU:

Vizepräsident Thomas Oppermann: Hey!) Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Ingo Gädechens für die Fraktion der CDU/CSU. – Ja, es ist nun mal die Gegebenheit in dieser Bereini- gungssitzung, dass sich alle Ministerien dem Haushalts- (Beifall bei der CDU/CSU) ausschuss noch einmal stellen müssen. Wir haben aber natürlich auch die Anträge aller Fraktionen im Verteidi- Ingo Gädechens (CDU/CSU): gungsausschuss sehr intensiv beraten, nicht so wie es in Herr Präsident! Liebes Präsidium! Frau Ministerin! einer anderslautenden Pressemitteilung aus dem rechten Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als vorletzter Redner Teil des Saales verlautbart wurde. 7382 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Ingo Gädechens (A) Ich muss ganz ehrlich sagen: Zu Recht haben sich die 64. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung (C) Berichterstatter untereinander für die gute Zusammenar- der NATO in Kanada. Immer wieder wurde ich von beit bedankt. Die Ministerin hat sich bedankt. Aber, lie- Abgeordneten verbündeter Staaten auf den Zustand ber Reinhard Brandl, was du in diesem Haushalt, deinem der Bundeswehr angesprochen. Dass gerade das reiche zweiten Verteidigungshaushalt als Hauptberichterstatter, Deutschland vom 2-Prozent-Ziel weit entfernt ist, war geleistet hast, auch nachher mit den Verpflichtungser- natürlich auch ein Thema. mächtigungen – ich komme gleich noch zu diesem In­ strument, weil Tobias Lindner das kritisiert hat –: Herzli- Unsere Partner machen sich Gedanken über die Rolle chen Dank – Chapeau! – für diese Arbeit! Deutschlands im Bündnis. Und wir, meine Damen und Herren, müssen das auch tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Bis heute tragen die USA die Hauptlast der Kosten Wir als Bundesrepublik Deutschland stehen in der für die Sicherheit der NATO und damit auch für unsere Verantwortung und erweisen uns als verlässlicher Part- Sicherheit. Für CDU und CSU aber bedeutet die Teilha- ner: nicht nur die Soldatinnen und Soldaten – in den Aus- be an einem System kollektiver Sicherheit, wie es die landseinsätzen, aber auch in den Heimatkommandos –, NATO ist, dass jeder einen angemessenen Beitrag leistet. sondern auch wir als Bundesregierung. Es ist sozusagen Lokalkolorit, wenn Siemtje Möller sich als Wilhelms- Deutschland ist Rahmennation der NATO-Speerspit- havenerin freut, dass das Projekt MKS 180 mit in den ze im Baltikum und übernimmt im kommenden Jahr die VEs enthalten ist und die Vergabe dann auch laufen kann. Führung der VJTF. Unsere Luftwaffe sichert im Rahmen Vielleicht werden sie ja auch in Kiel stationiert. der „Verstärkung Air Policing Baltikum“ den Luftraum unserer Verbündeten vor Ort. (Heiterkeit bei der SPD) Die Männer und Frauen der Bundeswehr dienen unter Nein, nein, wir überlassen das der militärischen Führung. anderem in Jordanien, in Afrika und in Afghanistan. Und Es sind aber auch die kleinen Dinge, die wichtig sind gerade erst waren wir mit 8 000 von 50 000 Soldaten – und im Fokus der Beratung standen. Etwas Traditions- Sie haben es erwähnt, Frau Ministerin – der zweitgrößte bewusstes – mal abgekoppelt von den Museen – ist zum Truppensteller bei der Übung „Trident Juncture“ in Nor- Beispiel, dass es wieder ein Marinemusikkorps mehr wegen. Unsere Soldaten leisten hier und anderswo groß- geben wird, weil wir nur noch eines hatten, für das von artige Arbeit. Flensburg über Stralsund bis Wilhelmshaven die Wege zu weit waren. Auch das haben wir korrigiert, und auch Die Beteiligung an Einsätzen und Übungen sowie die das ist richtig. Bereitstellung von Fähigkeiten sind bedeutende Fakto- (B) ren, die die Bundesrepublik Deutschland in das Bündnis (D) Die Großprojekte sind alle genannt. Auch das will ich einbringt. Zur Bündnissolidarität gehört aber auch, dass nicht wiederholen. wir unseren Verteidigungshaushalt anpassen und dass Ich denke, es ist ein gehöriger Schluck aus der Pul- auch wir darauf hinarbeiten, 2 Prozent unseres Bruttoin- le. Aber der Auftrag für die mittelfristige Finanzplanung landsproduktes in die Verteidigung zu investieren. Diese liegt beim Bundesfinanzminister – die Staatssekretärin Zusage haben wir unseren Verbündeten wiederholt ge- wird es weiterleiten –, damit wir diese vom BMF bestä- geben, und wir haben das im Koalitionsvertrag so ver- tigt und den Etataufwuchs verstetigt bekommen. Denn einbart. wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen. Noch einmal: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns eine Wir brauchen hier Verlässlichkeit nicht nur für die Pla- grundsätzliche Frage stellen: Wenn wir unseren Partnern nung im Ministerium, sondern auch gegenüber den Bun- ein Versprechen geben, welche Bedeutung hat das für deswehrsoldatinnen und -soldaten und den zivilen Mitar- uns? Können sich unsere Partner auf uns verlassen? Auch beitern in der Bundeswehr insgesamt. angesichts der Bedrohungen unserer Sicherheit muss un- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. sere Bundeswehr einsatzbereiter werden. Daher begrüße ich sehr, dass in der Bereinigungssitzung entschieden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wurde, den Verteidigungshaushalt mit 43,2 Milliarden ordneten der SPD) Euro höher als geplant ausfallen zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist Ich will hier auch gesagt haben, dass man nicht einer- die Kollegin Anita Schäfer für die Fraktion CDU/CSU. seits über den Zustand der Bundeswehr klagen kann, um dann andererseits zugleich die erforderlichen Investitio- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nen in die Bundeswehr als Wettrüsten zu diffamieren. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) (Saalstadt) (CDU/CSU): Anita Schäfer Unsere Soldaten nehmen im Rahmen von UN, EU und Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Frau Ministerin! NATO große Verantwortung und Risiken für Frieden und Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nun, da wir Sicherheit auf sich. Es ist das Mindeste, dass wir sie an- über den Haushalt des Einzelplans 14 für das Jahr 2019 gemessen ausstatten. Das tun wir jetzt. debattieren, möchte ich einige sicherheitspolitische As- pekte hervorheben. Am Wochenende war ich auf der (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7383

Anita Schäfer (Saalstadt) (A) Dass wir mit diesem Haushalt einen Fokus auf die per- Volker Münz (AfD): (C) sönliche Ausstattung der Soldaten legen, ist für die Bun- Herr Präsident! Werter Minister Müller! Sehr geehrte deswehr ein wichtiges Signal. Wir tätigen wesentliche Kolleginnen und Kollegen! Der BMZ-Haushalt soll 2019 Investitionen in dringend benötigtes Material. Zudem gegenüber dem Vorjahr um rund 800 Millionen Euro werden Beförderungsstaus abgebaut und Veteranen An- aufwachsen und wird dann erstmals über 10 Milliarden erkennung und Dank erwiesen. Euro liegen. Der Herr Minister freut sich darüber, wie Frieden sichert man nicht mit guten Wünschen. Frie- er schon mehrfach verlautbaren ließ. Aber die Annahme, den sichert man mit einem vernetzten Ansatz, der mili- dass mehr Geldmittel per se mehr Entwicklung bedeuten, tärische und zivile Lösungsstrategien verknüpft. Des- ist falsch. Häufig hat mehr Geld der Entwicklung sogar wegen wächst der Entwicklungsetat ebenfalls stärker geschadet, weil Eigeninitiative gelähmt wurde. Trotzdem als geplant. So ist Deutschland bei den sogenannten ist die Entwicklungspolitik noch immer vom Grundsatz ODA-Ausgaben, zu denen unter anderem Gelder für Kri- „Viel Geld hilft viel“ geprägt, leider auch in Ihrem Haus, senprävention und humanitäre Hilfe zählen, noch immer Herr Minister. mit Abstand der zweitgrößte Geldgeber der Welt. Seit 1960 wurden Schätzungen zufolge 4 000 Mil- Deutschland hat einen guten Ruf als zuverlässiger und liarden Dollar allein nach Afrika gepumpt, doch wenig berechenbarer Partner. Diesen Ruf und unsere Sicherheit hat sich dort geändert. Nach wie vor werden deutsche dürfen wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Dieser EZ-Mittel wie mit der Gießkanne an Hunderte von Trä- Haushalt ist daher ein guter Haushalt. Vielen Dank! Er gern für Tausende von Projekten in rund 100 Ländern weist in die richtige Richtung; denn er stärkt die Bundes- ausgeschüttet. Eine wirksame Kontrolle der Mittelver- wehr, und er erfüllt unsere Zusage, auf das Erreichen der wendung ist vor diesem Hintergrund gar nicht möglich. 2 Prozent hinzuarbeiten. Außerdem gibt es so fragwürdige Projekte wie „Gen- dersensible Männerarbeit in Nicaragua“ oder „Bewusst- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. seinsbildung zu Arbeitnehmerrechten und Umweltschutz in China“. Ja, China! Wir müssen unsere Hilfen auf we- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- niger, dafür größere Projekte konzentrieren, meine Da- ordneten der SPD) men und Herren.

Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der AfD) Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht Auch muss die Hilfe an klare Bedingungen geknüpft vor. Deshalb schließe ich die Aussprache. werden, wie zum Beispiel daran, dass die Empfänger- (B) länder ihre Landsleute, die sich illegal bei uns aufhalten, (D) Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- wieder zurücknehmen. Hierzu hatte meine Fraktion einen plan 14 – Bundesministerium der Verteidigung – in der Antrag gestellt, für den wir von allen anderen Fraktionen Ausschussfassung. Wer stimmt für diesen Einzelplan? – kritisiert worden sind. Dabei ist unsere Forderung doch Das sind die Fraktionen der SPD und der CDU/CSU. Wer eine Selbstverständlichkeit, meine Damen und Herren. stimmt gegen diesen Einzelplan? – Das sind die Fraktio- nen von AfD, FDP, Grünen und Linken. – Enthaltungen (Beifall bei der AfD) sehe ich nicht. Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Einzelplan 14 angenommen. Auf einer Konferenz in Bonn haben vor zwei Mo- naten namhafte Wissenschaftler und Praktiker über die Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.12 auf: Entwicklungspolitik für Afrika beraten. Hierbei wurde hier: Einzelplan 23 festgehalten, dass die – Zitat – „fortdauernde Aufrecht- Bundesministerium für wirtschaftliche erhaltung der Entwicklungshilfe-Industrie“ die Würde Zusammenarbeit und Entwicklung und Eigenverantwortung der Menschen in Afrika miss- achtet und eine ständige Verletzung des Subsidiaritäts- Drucksachen 19/4620, 19/4624 prinzips bedeutet. In dem sogenannten Bonner Aufruf wurde angesichts der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte Berichterstattung haben die Abgeordneten Michael gefordert, auf ein Ende der bisherigen Entwicklungshilfe Leutert, Carsten Körber, , Volker Münz, hinzuarbeiten und sie durch eine wirtschaftliche Zusam- Michael Georg Link und Anja Hajduk. menarbeit auf der Grundlage beiderseitiger Interessen zu ersetzen. Diesen Aufruf unterstützen wir nachdrücklich, Zum Einzelplan 23 liegen zwei Entschließungsanträ- meine Damen und Herren. ge der Fraktion Die Linke vor, über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. (Beifall bei der AfD) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Minister Müller und die Bundesregierung haben mit die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich dem Marshallplan für Afrika immerhin erkannt, dass es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. weniger um Hilfsgelder, sondern vor allem um Investi- Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Ab- tionen gehen muss. Aber diese Strategie ist immer noch geordnete Volker Münz für die AfD. im Ankündigungsstadium, wie der Vorsitzende des Afri- ka-Vereins der deutschen Wirtschaft laut „Handelsblatt“ (Beifall bei der AfD) feststellte. 7384 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Volker Münz (A) Wir brauchen also einen Paradigmenwechsel in der ich an diesem Punkt auch stolz, sagen zu können, dass (C) Entwicklungszusammenarbeit, meine Damen und Her- wir als Koalition mit diesem Haushalt dieser Herausfor- ren. Qualität, das heißt Nachhaltigkeit, Wirksamkeit und derung gerecht geworden sind. Effizienz, hat Vorrang vor Quantität. Wir können daher dem Einzelplan so nicht zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Vielen Dank, meine Damen und Herren, für die Auf- merksamkeit. In Summe stehen dem Gesamthaushalt 700 Millionen Euro an zusätzlichen ODA-Mitteln zur Verfügung. Davon (Beifall bei der AfD) gehen nach einem vereinbarten Schlüssel zwischen BMZ und Auswärtigem Amt jeweils drei Viertel ans BMZ und Vizepräsident Thomas Oppermann: ein Viertel an das Auswärtige Amt. Konkret heißt das on Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege top 180 Millionen für das Auswärtige und 520 Millionen Carsten Körber für die Fraktion der CDU/CSU. für das BMZ. Das wiederum bewirkt, dass wir ein Absin- ken der ODA-Quote von 0,50 Prozent auf 0,49 Prozent (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nicht nur verhindern konnten, nein, wir erreichen sogar eine ODA-Quote von 0,51 Prozent im Etat 2019. Carsten Körber (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ordneten der SPD) Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon zum zweiten Mal in diesem Jahr versammeln wir Kritiker mögen jetzt sagen: Von 0,49 wie im Regierungs- uns hier zur abschließenden Debatte über einen Bundes- entwurf nun hoch auf 0,51 – das ist doch nichts. Es müs- etat. Auch über den Haushalt 2019 haben wir besonders sen schon jetzt die 0,7 Prozent sein. im Haushaltsausschuss in den vergangenen Wochen energisch und lebhaft gerungen und auch mal gestritten, (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja!) und das war gut und richtig so; denn diese Debatte ist Dazu sage ich nur: Um allein diese Steigerung um Ausfluss des Königsrechts des Parlaments, des Budget- 0,02 Prozentpunkte zu erreichen, haben wir als Koaliti- rechts gegenüber der Regierung. on 700 Millionen Euro für ODA-relevante Maßnahmen Und ja, ich bin der Meinung: Dieses Ringen hat sich drauflegen müssen. gelohnt. (Zurufe von der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ich jedenfalls halte das für einen großartigen Erfolg. (B) der SPD) (D) Es hat sich beim Blick auf den Gesamtetat gelohnt, der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- seit 2014 ohne neue Schulden auskommt und der 2019 ordneten der SPD) erstmals seit 2002 wieder die Maastricht-Schuldengrenze Und ich denke, da können wir auch mal zufrieden sein. von 60 Prozent unterschreiten wird. Vielleicht schaffen Wir haben als Koalition gezeigt, dass wir unserer Verant- wir das sogar schon im Haushaltsvollzug 2018. Wer hätte wortung gerecht werden können. das noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten? Was wir brauchen, ist aber nicht immer nur der Ruf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nach mehr. Davon bin ich wahrlich kein Freund. Was wir ordneten der SPD) brauchen, ist die richtige und verantwortungsvolle Ver- Gelohnt hat sich dieses Ringen aber auch beim Blick wendung der Mittel. auf den Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Was sind nun die inhaltlichen Schwerpunkte dieses Zusammenarbeit und Entwicklung. Der Einzelplan 23 Etats? Als Koalition verstärken und vertiefen wir die in- wird nun erstmals die wichtige Marke von 10 Milliarden haltlichen Schwerpunkte des BMZ, und das insbesonde- Euro überschreiten; wir landen bei gut 10,2 Milliarden re auf den Feldern „Zusammenarbeit mit der Wirtschaft“ Euro. Wenn man sieht, wo wir beispielsweise 2013 mit sowie „Ausbildung und Beschäftigung“. Beide Hand- diesem Etat noch standen, nämlich bei 6,3 Milliarden lungsfelder sind geeignet, um unsere Partner vor allem Euro, dann muss man sagen: In den letzten Jahren hat in Afrika dabei zu unterstützen, in Zukunft auch selbst sich sehr viel getan. Gegenüber dem Regierungsentwurf ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und einen eigenen hat der Einzelplan 23 einen Aufwuchs von 520 Millionen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mittelstand zu Euro erfahren. Das ist im Verhältnis mit der stärkste Auf- entwickeln. wuchs im parlamentarischen Verfahren überhaupt. Das ist ungeheuer wichtig; denn der Mittelstand hat (Beifall bei der CDU/CSU) doch auch unser Land und unsere Gesellschaft erst zu Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, in die- dem gemacht, was wir heute ganz selbstverständlich ser Legislaturperiode ein Absinken der ODA-Quote zu sind. Wir leben heute in Freiheit, Sicherheit und Wohl- verhindern und zusätzliche Spielräume vorrangig für stand. Und um viele der vermeintlichen Probleme, die ODA-Leistungen und Verteidigung auszugeben. Das ist wir in unserem Land haben oder zu haben scheinen, leicht gesagt, aber das dann auch verantwortungsvoll beneiden uns doch unsere Nachbarn. Warum sollen wir umzusetzen, ist angesichts der Summen, über die wir nicht bestrebt sein, andere Länder auch darin zu unter- hier reden, durchaus eine Herausforderung. Deshalb bin stützen, dass sie irgendwann dasselbe sagen können? Es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7385

Carsten Körber (A) ist in unserem Interesse; denn es hängt alles mit allem Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) zusammen. Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Christoph Hoffmann für die Fraktion der FDP. Die neue Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäf- tigung“ haben wir mit 120 Millionen Euro solide finan- (Beifall bei der FDP) ziert. Die beiden Titel im BMZ-Etat, die mit jeweils 100 Millionen Euro die größten Aufwüchse erfahren ha- Dr. Christoph Hoffmann (FDP): ben, sind „Krisenbewältigung und Wiederaufbau, Infra- Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr geehrten struktur“ sowie „Finanzielle Zusammenarbeit mit Regio- Damen und Herren Kollegen! Liabe Lüt! Das sagt man nen“. Wir haben hier schnell Nägel mit Köpfen gemacht bei uns im Südbadischen und hat damit alle, aber auch und haben auch die Zusagen der Bundeskanzlerin Ende wirklich alle Geschlechter begrüßt. Oktober beim Afrika-Gipfel in Berlin sofort im Etat um- gesetzt. Für den Entwicklungsinvestitionsfonds mit Afri- (Heiterkeit bei der FDP und dem BÜND- ka stehen jetzt 100 Millionen Euro bereit. NIS 90/DIE GRÜNEN) Aber wir verlassen uns nicht allein auf die bilaterale Der Minister präsentiert uns hier einen Haushalt mit Zusammenarbeit, sondern wir haben auch die Mittel für einem ordentlichen Mittelaufwuchs. Das ist nach den die multilaterale Zusammenarbeit signifikant erhöht. Das dramatischen Aufrufen der letzten Wochen sicher ein Er- halte ich in Zeiten von zunehmend stark national oder folg für Sie persönlich. Also, Sie sind ein wirklich guter auch nationalistisch orientierten Staatenlenkern für ein Fundraising-Campaigner, wie man heute sagen würde. unheimlich wichtiges Zeichen des Multilateralismus. (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Es ist aber ein Haushalt nach dem Vorbild des Ablasshan- ordneten der SPD und des Abg. Olaf in der dels: Zahle, fühle dich gut und frage nicht, was wirklich Beek [FDP]) hinter den Kulissen passiert. Denn die multilaterale Weltordnung seit dem Zweiten (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Volker Weltkrieg hat uns die Freiheit, die Sicherheit und den Münz [AfD]) Wohlstand überhaupt erst ermöglicht, die heute für viele Der Minister reagiert auf Kritik. So hat er für jede Kri- von uns vielleicht sogar ein Stück weit zu selbstverständ- tik an der Bundesregierung sofort eine Sonderinitiative lich geworden sind. parat. Er entkräftet die Kritik mit einer schönen Kulisse, So erhalten die Vereinten Nationen 80 Millionen Euro mit einem schönen Gemälde: Mehr Geld obendrauf und alles ist gut. – Herr Minister Müller ist der beste Kulis- (B) mehr als im Regierungsentwurf vorgesehen – und das (D) insbesondere für die UNDP, das Entwicklungsprogramm senmaler der Großen Koalition. Beim Murren des Volkes der Vereinten Nationen. Das UNDP plant eine strategi- über die Flüchtlingskrise zaubert er einen Marshallplan sche Neuausrichtung und Restrukturierung. Deshalb mit Afrika hervor. Abschiebeprobleme löst er mit weite- haben wir, nachdem wir uns mit dem UN-Untergene- rem semantischem Mumpitz ralsekretär Achim Steiner intensiv ausgetauscht haben, (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 40 Millionen Euro zusätzlich dafür bereitgestellt. NEN]: Mumpitz!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU wie der Sonderinitiative „Perspektive Heimat“. sowie der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD]) Aber was ist hinter den Bildern und Kulissen? Ein Aber auch UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten schwarzes Loch und maximal ein Schattenhaushalt. Nationen, bekommt für seine wertvolle Arbeit 10 Milli- Wenn Sie mal die Haushaltsmittel zusammenzählen, stel- onen Euro mehr. len Sie fest, dass Sie am Ende des Tages nur noch 30 Pro- zent aller Mittel für Afrika ausgeben – und das wollten Die Mittelaufwüchse für die Vereinten Nationen ma- Sie ja eigentlich in den Fokus nehmen. Das kann und darf chen eines deutlich: Auch in Zukunft wollen wir inter- es nicht sein. national ein ehrlicher und verantwortungsvoller Partner sein, dessen Verantwortungsbereitschaft nicht an den (Beifall bei der FDP) eigenen nationalen Grenzen endet. In einer zunehmend Beim genauen Blick auf die „Perspektive Heimat“ – vernetzten Welt kann niemand allein auf Dauer im Gu- ich habe mir ein solches Projekt im Irak angesehen – ten leben. Daher ist der gesamte BMZ-Etat Ausdruck kann ich nur sagen: Das ist wirklich verschwendete Zeit, unserer Verantwortung für die internationale Staatenge- verschwendetes Geld. Das macht so, wie es da durchge- meinschaft. Ich bin dankbar, dass auch ich hierzu einen führt wird, wirklich keinen Sinn. kleinen Teil beitragen durfte. Es wird immer mehr Geld für mehr Umsatz im Minis- Mein Dank an dieser Stelle gilt dem Ministerium, terium gefordert. Mehr Geld wurde auch von Ihnen, Herr meinen Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern Körber – wir haben es gerade gehört –, wieder gefeiert. und allen, die zu diesem hervorragenden Ergebnis beige- Mehr Geld ist toll – Stichwort: ODA-Quote usw. –, aber tragen haben. Lassen Sie uns jetzt etwas daraus machen. Umsatz kann doch kein Ziel sein. Wir brauchen Ergeb- Vielen Dank. nisse. Dazu fehlen die sachlichen Ziele auf einer klaren Zeitschiene. Sonst ist doch überhaupt kein Steuern eines (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 10-Milliarden-Euro-Haushaltes mehr möglich. 7386 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Christoph Hoffmann (A) Ich mache Ihnen mal einen Vorschlag, wie das aus- Wir brauchen eine neue Generation und kein weiteres (C) schauen könnte: Wenn Sie innerhalb von zehn Jahren Gewürge in den nächsten drei Jahren. Nur wenn die EU 500 Millionen Hektar Wald für den Klimaschutz etablie- die Kraft hat, zusammenzustehen, und Despoten auch ren, wäre das wirklich was Konkretes, was zum Anfas- nicht mehr ansatzweise unterstützt, werden wir Armut sen, was auch die Bürger verstehen würden. Sie hätten und Migration durch eine gute wirtschaftliche Zusam- etwas Sinnvolles gemacht, und es wäre glatt gesteuert. menarbeit und Entwicklung begrenzen können. Denn dann, und erst dann, kann die Privatwirtschaft investie- (Beifall bei der FDP) ren. Die Kanzlerin hat heute Morgen sehr viel mehr Mul- (Beifall bei der FDP) tilateralität gefordert. Das haben wir Freie Demokraten in jeder Haushaltsdebatte vom Ministerium für Entwick- lungszusammenarbeit ebenfalls immer gefordert. Leider Vizepräsident Thomas Oppermann: auch hier: eine schöne Kulisse. Der Haushalt hat nur etwa 30 Prozent multilaterale Mittel vorgesehen; der Rest ist Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion bilateral. der SPD die Abgeordnete Sonja Amalie Steffen. Schauen wir uns doch die Welt an: Die 17 Ziele für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nachhaltige Entwicklung haben hier im Haus alle gefei- der CDU/CSU) ert; die wollen Sie bis 2030 umsetzen. Aber so ungesteu- ert wie dieser Haushalt daherkommt, werden wir das nie (SPD): und nimmer schaffen. Das war doch eigentlich das Ziel. Sonja Amalie Steffen Sehr geehrte Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Das Ministerium hat keinen wirklichen Vorschlag Liebe Gäste auf der Tribüne! Herr Hoffmann, soweit ich für die Ärmsten der Armen. In Subsahara-Afrika liegen mich erinnern kann, waren Sie früher selber einmal Mit- die wirklichen Entwicklungsprobleme. Die asiatischen arbeiter bei der GTZ, einer Vorgängerin der GIZ, also der Länder haben sich selbst aus der Armut herausgearbei- Gesellschaft für Entwicklungszusammenarbeit. Dann tet, weniger mit Staatsgeldern der Entwicklungszusam- müssen Sie doch wissen, dass man die Ziele in diesem menarbeit, sondern mehr durch stabile Regierungen und Zusammenhang nicht von heute auf morgen erreicht, durch Schwerpunktsetzung auf Bildung, Marktwirtschaft sondern dass es ein nachhaltiger Prozess ist. Sie haben und Zukunftsorientierung, also im Grunde durch die Um- Frankreich erwähnt. Gerade Frankreich geht im Bereich setzung dessen, was man Good Governance nennt. Daran der multilateralen Zusammenarbeit wirklich vorneweg. fehlt es in vielen Staaten Subsahara-Afrikas. Und ohne Also wenn Sie sich schon an Frankreich orientieren, (B) Good Governance werden all diese Sonderinitiativen – dann schauen Sie auch einmal, wie dort die Entwick- (D) und mögen es noch ein paar mehr sein, Herr Müller – und lungszusammenarbeit abläuft. Da könnten wir uns an der die vielen BMZ-Gelder keinen Erfolg haben können. einen oder anderen Stelle vielleicht noch eine Scheibe Wir brauchen deshalb mehr Good Governance in Sub- abschneiden. sahara-Afrika. Wie erreichen wir das? Das können wir Herr Kollege Münz, noch ganz kurz zu Ihnen: Allein nur durch gemeinsame Anstrengungen Europas in der die Wortwahl, aber auch der Inhalt der Rede zeigen, dass Außenpolitik erreichen. Wir brauchen hier Kohärenz und Sie sich im Bereich der Entwicklungshilfe der 50er-Jahre Konsequenz. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit mit aufhalten. den Europäern in Prävention und Krisenbewältigung, so wie Macron das am Sonntag in einer bewegenden Rede (Jürgen Braun [AfD]: Das wird durch Wie- hier in diesem Haus gefordert hat. Mit der Dynamik und derholungen nicht besser, Frau Steffen! Das Emotionalität, mit der er hier aufgetreten ist, hat er ge- stimmt nicht! Sie erzählen Unsinn! Wenn Sie zeigt, wie man Europa voranbringen kann. Ich wünsche Unwahrheiten wiederholen, werden sie nicht mir, dass so etwas auch von diesem Haus, von deutschen wahrer!) Führungskräften einmal kommen würde. (Beifall bei der FDP) Sie haben von der Entwicklung zur Entwicklungszusam- menarbeit noch überhaupt nichts mitbekommen; über die Es braucht in der EU neue Kräfte, neue Dynamiken, Frauenprojekte wollen wir gar nicht weiter reden. neue Ideen und neue Formate und keine Kanzlerin, de- ren Amtszeit ausläuft, sondern eher so einen Typen wie (Beifall bei der SPD) Macron. Den Sinn und Zweck dieser Arbeit kann ich Ihnen in die- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das fragen sem Leben nicht mehr beibringen, glaube ich. Sie mal die Franzosen!) Was Ihr AfD-Kollege Boehringer gestern in seiner Die Kanzlerin wird die EU nicht mehr einen, sie ist doch Rede vom Stapel gelassen hat – ich weiß nicht, ob sie selbst Teil der Krise. Die Kanzlerin kann die EU nicht jemand gehört hat –, ist wirklich an Ignoranz und Men- mehr zu dem gemeinsamen internationalen Druck bewe- schenverachtung gar nicht mehr zu überbieten. gen, den es braucht, um Good Governance in Subsaha- ra-Afrika voranzubringen. Deshalb ist es auch wichtig, (Beifall der Abg. Anja Hajduk [BÜND- dass die EU hier voranschreitet. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7387

Sonja Amalie Steffen (A) Wie er sich über wichtige Projekte der Entwicklungszu- Auswärtige Amt für die humanitäre Hilfe und das BMZ (C) sammenarbeit lustig gemacht hat, war wirklich ekelhaft. für Investitionen in Bildung, in Gesundheit und Infra- struktur vor Ort. Auf ein paar wichtige Projekte, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- vor allem uns von der SPD-Fraktion besonders wichtig ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – waren, möchte ich an dieser Stelle genauer hinweisen. Jürgen Braun [AfD]: Das ist skandalös, was Wir haben noch einmal 40 Millionen Euro mehr für den Sie für einen Unsinn reden, Frau Steffen!) Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Er zieht damit alle Menschen in den Schmutz, die täglich Tuberkulose zur Verfügung gestellt. Damit sind wir bei in den Krisengebieten arbeiten, unter großen Einschrän- insgesamt 260 Millionen Euro, und es können weitere le- kungen und oft unter Einsatz ihres Lebens. benserhaltende Gesundheitsprogramme in Gang gesetzt werden. (Jürgen Braun [AfD]: Wie kann man so einen Unsinn erfinden wie Sie, Frau Steffen?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb möchte ich mich im Namen der SPD-Fraktion, aber wahrscheinlich auch im Namen der meisten hier im Wir haben, um beim Thema Gesundheit zu bleiben, Hause an dieser Stelle einmal recht herzlich noch einmal 6 Millionen Euro mehr für die Impfallianz (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Danke sagen! GPEI zur Verfügung stellen können. Hier geht es um die Ja!) Bekämpfung von Polio und Kinderlähmung. Sie werden wissen: Wir haben das Ziel der Ausrottung der Kinder- bei den Menschen, die draußen im Feld arbeiten, bedan- lähmung fast erreicht. Wir sind auch hier quasi auf den ken. letzten Metern. Ich finde, es ist gut, dass wir gezeigt ha- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, ben, dass wir hier nicht schlappmachen. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Völliger Unsinn!) Die Mittel für den Zivilen Friedensdienst haben wir um 10 Millionen Euro erhöht. Auch die Mittel für die Nun zum Haushalt 2019: Ich möchte Ihnen, Herr Mi- Freiwilligendienste haben wir um weitere 4 Millionen nister Müller, und Ihrem Haus, aber auch meinen Mitbe- Euro erhöht. Damit unterstützen wir vor allem junge richterstattern, dem Kollegen Leutert – ich habe gehört, Freiwillige, die in die Krisengebiete, in die ärmsten Län- er ist heute krank; an dieser Stelle: gute Besserung – und der gehen und die fast immer als Botschafterinnen und dem Kollegen Körber, ausdrücklich für die gute Zusam- Botschafter für eine bessere Welt von ihrem Einsatz zu- menarbeit danken. Ich danke aber vor allen Dingen auch rückkehren. (B) den Fachpolitikerinnen und -politikern, die uns unter- (D) stützt haben. Und ich möchte den Mitarbeitern in den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Büros ebenfalls meinen herzlichen Dank aussprechen. der CDU/CSU) Wir haben gemeinsam in diesem Etat einiges bewirkt, Gleiches gilt übrigens für die entwicklungspolitische vor allem zwischen der Einbringung und der Verabschie- Bildung im Inland. Die Mittel hierfür konnten wir um dung des Haushalts. Wir sind in die Haushaltsberatungen 10 Millionen Euro aufstocken. Es ist wichtig, dass wir mit einem Etat von 9,725 Milliarden Euro gestartet. Die schon unsere Kinder in Schul- und Bildungsprojekten da- meisten von uns werden sich noch gut an die Debatte rauf hinweisen, dass wir eine Verantwortung für die Welt erinnern. Es wurde verschiedentlich auf den Koalitions- haben. vertrag verwiesen, in dem wir vereinbart haben, dass die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ODA-Quote auf keinen Fall absinken darf. der CDU/CSU) Deshalb hat besonders meine Fraktion – ich erwähne Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an die- vor allem die SPD-Fachpolitikerinnen und -politiker wie ser Stelle mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, einmal Gabi Weber als Sprecherin, aber auch Sascha Raabe – zu die Kanzlerin aus ihrer Rede heute Morgen zitieren. Sie Recht darauf hingewiesen, dass wir uns die Zahlen im hat gesagt – hören Sie gut zu! –, dass wir die Themen Laufe der Haushaltsberatungen noch einmal genauer an- „Flucht“ und „Migration“ nur im internationalen Zu- schauen müssen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sammenhang lösen können. Es freut mich sehr, dass die haben wir getan. Ich denke, das Ergebnis der Beratungen Kanzlerin in ihrer Rede heute Morgen die Bedeutung der kann sich wirklich sehen lassen. Vereinten Nationen so hervorgehoben hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben insgesamt noch einmal 700 Millionen Euro NEN]: Ja, das war auch nötig!) auf den Entwurf drauflegen können. Ich kann mit Fug Es wird daher auch sie besonders freuen, dass wir die und Recht behaupten: 350 Millionen Euro hat unsere Mittel für die Vereinten Nationen um insgesamt 80 Milli- Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles quasi auf den letz- onen Euro erhöht haben. ten Metern in der Koalition herausgehandelt. Der Kollege Körber hat schon auf UNDP hingewie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sen. Ich möchte auch auf UN Women verweisen; denn Wir haben darauf geachtet, dass der Aufwuchs an die hier geht es ausdrücklich um Mittel für die Herstellung Ministerien fließt, die das Geld am nötigsten haben: das der Geschlechtergerechtigkeit. Wir alle wissen – zumin- 7388 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Sonja Amalie Steffen (A) dest diejenigen, die sich in den Ländern aufhalten bzw. Zu Punkt eins: humanitäre Hilfe. Für Menschen in (C) sich anschauen, wie es dort vor Ort läuft –, dass die Ent- Not, für Opfer von Verfolgung und Bürgerkrieg müs- wicklungszusammenarbeit über die Frauen läuft. Des- sen wir humanitäre Hilfe leisten. Hier geht es um ganz wegen finde ich es sehr wichtig, dass wir dieses Projekt grundsätzliche Menschenrechte, Zelte, Decken, Wasser, unterstützen. Reis, Medikamente. Das ist für uns nicht verhandelbar, meine Damen und Herren. UNICEF wurde schon erwähnt. Ich will noch sagen: GPE, die globale Bildungspartnerschaft, haben wir mit (Beifall bei der LINKEN) weiteren Mitteln stärken können. Gerade hier ist es be- sonders wichtig, dass wir für Kinder in den armen Län- Zu Punkt zwei. Ich möchte mich für das starkmachen, dern durch Bildung vor Ort eine Perspektive schaffen, was Deutschland eigentlich am besten kann: Ausbildung damit sie in ihrem Heimatland bleiben können. in Handwerk, Technik und Landwirtschaft. Deutsche Fachhochschulen können in Entwicklungsländern Elek- Gut ist übrigens auch, dass wir mit Verpflichtungser- triker, Wasseraufbereiter, Krankenschwestern ausbilden. mächtigungen in Höhe von 10,3 Milliarden Euro – die Nur so können wir die regionale Wirtschaft stärken und waren ursprünglich gesperrt – für die Jahre ab 2020 dafür die Fluchtursachen bekämpfen, meine Damen und Her- sorgen können, dass die Projekte auch nachhaltig sind. ren. Denn niemand auf dieser Welt flieht freiwillig auf Aber damit ist es nicht getan, liebe Kolleginnen und Kol- einen anderen Kontinent. legen. Wir müssen auch zukünftig unserer Verantwortung in der Welt gerecht werden. Wir von der SPD-Fraktion (Beifall bei der LINKEN) werden dies auch weiterhin tun. Der dritte Punkt: gemeinsame Projekte mit unse- Vielen Dank. ren Partnern. Vor etwa zwei Wochen war ich mit einer Gruppe Abgeordneter in Ägypten. Dort traf ich einen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kardiologen, der als der ägyptische Experte für Herzer- der CDU/CSU) krankungen gilt. Er sprach perfekt Deutsch, weil er in Deutschland studiert hatte. Nach seiner Rückkehr nach Vizepräsident Thomas Oppermann: Ägypten baute er ein Gesundheitszentrum in einem Vielen Dank. – Nächster Redner ist die Abgeordnete Armenviertel bei Kairo auf. Es ist ein ägyptisches Ge- Helin Evrim Sommer für Die Linke. sundheitszentrum, das durch deutsche Gelder unterstützt wurde. Das ist tausendmal besser, als wenn wir ein deut- (Beifall bei der LINKEN) sches Krankenhaus hinstellen und sagen: Nun operiert mal schön. (B) (D) Helin Evrim Sommer (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Entwicklungsminister Müller! Die Bundesregie- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, noch einmal zur rung will mit einem neuen Förderkatalog 180 Länder Erinnerung: Die Koalition hat eigentlich eine Eins-zu- unter die Lupe nehmen. Demnach soll es nur Unterstüt- eins-Koppelung vereinbart. Das heißt, dass die Ausgaben zung für Länder geben, die Korruption bekämpfen, die für Entwicklungszusammenarbeit genauso steigen sol- Menschenrechte einhalten und rechtsstaatliche Struktu- len wie die Ausgaben für Verteidigung. Tatsächlich aber ren schaffen. wächst der Verteidigungsetat im Vergleich zum Entwick- lungsetat um das Sechsfache. Meine Frage: Herr Minis- (Beifall des Abg. Peter Stein [Rostock] ter Müller von der CSU, warum lassen Sie sich immer [CDU/CSU]) wieder von einem sozialdemokratischen Bundesfinanz- minister so unterbuttern? Diese Frage müssen auch Sie Wenn das die Kriterien sind, dann können vielleicht noch sich einmal stellen. Schweden und Finnland Entwicklungsgelder von uns beantragen. Alle anderen qualifizieren sich erst gar nicht (Beifall bei der LINKEN) dafür. Ist das wirklich so gewünscht, Herr Minister? Also: erstens humanitäre Hilfe, zweitens Ausbildung Die Vereinten Nationen haben uns bereits 1972 einen vor Ort, drittens Projekte mit unseren Partnern und das Richtwert gegeben. Die reichen Länder sollen 0,7 Pro- mit 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens – so kann zent ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungs- eine gute Entwicklungszusammenarbeit aussehen, meine hilfe ausgeben. Sie feiern sich heute für die Erhöhung des Damen und Herren. Entwicklungsetats, meine Damen und Herren. Wir kom- men aber damit nur auf knapp 0,5 Prozent und bleiben Vielen Dank. immer noch unter dem UN-Wert von 0,7 Prozent; das ist die Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Aber ich will einen Schritt vorher ansetzen; denn für Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes spricht zu Die Linke sind insbesondere drei Punkte wichtig: erstens uns die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen. humanitäre Hilfe, zweitens Ausbildung vor Ort und drit- tens gemeinsame Projekte mit unseren Partnern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7389

(A) Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dass gerade multilaterale Organisationen eine sehr hohe (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Effizienz haben. Nebenbei gesagt für die Kollegen rechts ren! Im Haushalt des Ministeriums für wirtschaftliche außen: Es gibt auch sehr interessante Evaluierungen. Die Zusammenarbeit und Entwicklung steht erstmals eine sollte man sich dann auch einmal ansehen. 10-Milliarden-Größe. Das heißt, es ist tatsächlich gelun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen, während der Haushaltsberatungen einen erheblichen sowie bei Abgeordneten der SPD und der Aufwuchs zu vereinbaren. Das bedeutet, dass die soge- FDP) nannte ODA-Quote nicht absinkt, sondern bei 0,51 Pro- zent stabilisiert wird. Ich kann zu meiner Vorrednerin sa- Gerade die Vereinten Nationen, Herr Minister, reagie- gen: Ja, es ist richtig, das sind noch nicht die 0,7 Prozent, ren bei Krisen und Katastrophen als Erste und bleiben, die wir erreichen wollen. Ich bin auch dafür, dass wir da- wenn aus Sicherheitsgründen schon viele gegangen sind. bei bleiben und – das fordern wir Grüne – einen Fahrplan Wenn man sich einmal vor Augen führt, dass Deutsch- entwickeln, wann und wie wir zu den 0,7 Prozent des land Mitglied in den 13 größten multilateralen Organisa- Bruttonationaleinkommens kommen und dann zu einer tionen, der größte Beitragszahler der EU, der viertgrößte viel höheren Leistung. Aber mir fällt kein Zacken aus der bei den Vereinten Nationen und weltweit der zweitgrößte Krone, zu sagen: Ich bin froh, dass Sie das in den Haus- Geber von Entwicklungshilfe ist, dann ist das nicht nur haltsberatungen erreicht haben. Gemessen an der selbst- eine Chance, sondern dann ist das auch eine Verantwor- kritischen Haltung gerade der SPD-Fraktion zu dem Etat tung. Ich finde, es ist nicht zu erklären, dass Sie zum Bei- kann ich nur sagen: Das unterstützen wir, auch wenn wir spiel bei keiner einzigen Weltbanktagung in den letzten uns noch mehr vorstellen können. Dieser Etat ist in der Jahren persönlich anwesend waren. zweiten Lesung deutlich besser. Das hat das Parlament (Dr. Gerd Müller, Bundesminister: Weil da zustande gebracht und nicht die Bundesregierung. 20 000 andere waren!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich finde, Deutschland kann da eine so bedeutsame Rolle und bei der SPD) spielen, auch durch mehr persönliche Präsenz, als Sie, Herr Müller, ich möchte Folgendes zu Ihnen und Ihrer Herr Minister, sie zeigen. Verantwortung sagen: Ich glaube, es ist sehr, sehr wich- Das gilt genauso für die UN. Dort gibt es das Hoch- tig, dass die multilaterale Zusammenarbeit und die Arbeit rangige Politische Forum für Nachhaltige Entwicklung. dieser multilateralen Organisationen auch von Ihnen per- Da geht es um die Sustainable Development Goals. Auch sönlich noch viel stärker in den Fokus gerückt werden. zur Jahrestagung dieses Forums sind Sie nicht persön- Ich bin froh, dass dort auch zusätzliche Mittel bereitge- lich hingefahren. Ich würde mir wünschen, dass Sie das (B) stellt werden. Aber Sie, Herr Minister, sollten in Ihrem tun, dass Sie mehr Druck machen, ob auf EU-Ebene oder (D) Agieren diesen Organisationen wesentlich mehr Bedeu- auf Ebene der Vereinten Nationen. Das würde der Rolle tung zumessen. Deutschlands gerecht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Warum sind diese Organisationen so wichtig? Die He- sowie des Abg. Dr. Christoph Hoffmann rausforderungen, die wir heute haben – Klimakrise, Res- [FDP]) sourcenfragen, auch die Migrationsfrage –, können wir Ich kann ein weiteres Beispiel bringen: Rechte von nur in gemeinsamer Anstrengung lösen. Bundeskanzlerin Kleinbauern. Eine UN-Deklaration wird beraten, und bei Merkel hat heute Morgen dazu ausgesprochen engagiert der UN-Vollversammlung am Montag ist eine Resolution Stellung genommen, gerade in Bezug auf das Thema zu den Rechten von Kleinbauern in ländlichen Regionen „Flucht und Migration“. Dann erwarte ich aber auch, angenommen worden. 119 Staaten haben dafür gestimmt, dass sich ein Vorsitzender des Ausschusses für wirt- 7 haben dagegengestimmt, Deutschland hat sich enthal- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung daran ein ten. Ich weiß, dass Sie persönlich es eigentlich gerne an- Beispiel nimmt und darüber nachdenkt, was es bedeutet, ders gemacht hätten; aber hier fehlt die Kohärenz in der wenn wir einen solchen Pakt international beschließen. Bundesregierung. Dass wir bei internationalen Organisa- Dann erwarte ich auch eine ganz andere Präsenz von Ih- tionen glaubwürdig und engagiert auftreten, ist wichti- nen, Herr Minister. Ich hoffe, dass Sie noch einmal Stel- ger, als mit der einen oder anderen Sonderinitiative durch lung dazu nehmen, was die unionsinterne Auseinander- die Welt zu ziehen. Denn wenn wir wirklich den Hunger setzung angeht. bekämpfen wollen, dann müssen wir die multilaterale Zusammenarbeit viel engagierter stärken. Dieser Aufga- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be sind Sie noch nicht hinreichend nachgekommen. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Man kann das auch beispielhaft belegen. Der Globale sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Ma- laria – eine internationale Organisation – konnte zum Allerletzter Punkt. Wir brauchen auch ein viel stärke- Beispiel allein 5 Millionen Menschen mit Tuberkulose res Engagement für die Unterstützung von Frauen und zusätzlich behandeln, weil durch eine Bündelung der Mädchen. Wir haben in den Haushaltsberatungen nach- Maßnahmen 205 Millionen Dollar im Einkauf gespart gefragt: Nur 0,7 Prozent der ODA-Gelder gehen gezielt werden konnten. Da sieht man sehr wohl, dass solche in Projekte für Gleichberechtigung der Geschlechter. Dinge sehr effizient sein können, dass wir darauf achten, Hier liegt noch eine Menge Arbeit vor Ihnen. Schauen 7390 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Anja Hajduk (A) Sie sich unseren Antrag an. Da kann man noch viel bes- Meine sehr verehrten Damen und Herren, von 6,4 (C) ser werden. auf 10,2 Milliarden Euro – das sind technische Dinge. Deutschland übernimmt Verantwortung in der Welt. In diesem Sinne wünsche ich mir weiterhin erfolgrei- Wichtig sind nicht die Zahlen, sondern die Maßnah- che Haushaltsberatungen in diesem Haus, und das nicht men, die wir damit umsetzen können, die Bedarfe, die nur in diesem Jahr. wir damit decken können. Die Kolleginnen und Kolle- Danke schön. gen haben das Spektrum dargestellt. Das Wichtigste ist nach wie vor die Bekämpfung von Hunger und Not und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Elend. 800 Millionen Menschen leben in Hunger und sowie bei Abgeordneten der SPD) Not und Elend. Deswegen haben wir die Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ und retten Zehntausenden Vizepräsident Wolfgang Kubicki: von Menschen, insbesondere Kindern, mit dem Geld der Vielen Dank, Frau Kollegin Hajduk. – Ich weise da- Steuerzahler das Leben. rauf hin, dass der Kollege Kekeritz jetzt nur noch drei (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Minuten zur Verfügung hat – damit er sich schon darauf einstellen kann. Meine zweite Priorität ist: Wir helfen und investieren in den Kriegs- und Flüchtlingsregionen der Welt. Wir Als nächster Redner spricht zu uns der Bundesminis- brauchen auch den Migrationspakt. Ich war dabei – ich ter Dr. Gerd Müller. hoffe, Sie verraten es nicht weiter, Frau Hajduk –, als vor zwei Jahren das Startzeichen in New York gegeben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wurde. Wir brauchen internationale menschenrechtliche ordneten der SPD) Standards im Umgang mit Migranten. Hier denke ich an die Arbeitssklaven in Katar, die die Fußballstadien für Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche die nächste Weltmeisterschaft bauen, oder an die Mäd- Zusammenarbeit und Entwicklung: chen in Kuwait, denen die Pässe weggenommen werden, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt die wie Sklavinnen arbeiten müssen. Hier brauchen wir nichts Gutes, außer man tut es. Heute tun Sie alle was Standards. Menschenrechte sind unteilbar, und dieser Gutes – mit diesem Haushalt des Entwicklungsministe- Migrationspakt setzt diese internationalen Standards. riums, der um über 800 Millionen Euro wächst und da- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP mit erstmals über die 10-Milliarden-Euro-Grenze hinaus. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Das ist ein starkes Zeichen. Frau Steffen, Frau Hajduk, bei Abgeordneten der LINKEN) (B) Herr Körber, Sie haben es gesagt: Es ist ein Zeichen des (D) Parlamentes. Ich möchte allen danken. Über die staatlichen Partner hinaus möchte ich den NGOs, der Welthungerhilfe und Sie haben das Königsrecht in den Haushaltsberatun- den kirchlichen Hilfswerken danken. Ich sage Ihnen Fol- gen wahrgenommen, und dafür bedanke ich mich, und gendes: In Deutschland, von Oberstdorf, wo ich zu Hause zwar auch bei den Vorsitzenden der Koalitionsfraktio- bin, bis nach Lübeck, gibt es Tausende von Privatinitia- nen, die ich jetzt nicht alle namentlich nenne. Ich weiß: tiven und NGOs. Diese Privatinitiativen verdoppeln den Andrea Nahles und die anderen, meine Kollegen, haben staatlichen EZ-Haushalt noch einmal. Circa 8 Milliarden sich dafür starkgemacht. Deshalb konnten wir dieses Euro schaffen die privaten Initiativen in die einzelnen Ergebnis erzielen. Ich danke den Berichterstattern, zum Projekte und in deren Arbeit. Dafür meinen herzlichen Beispiel Herrn Leutert; ich möchte jetzt nicht alle auf- Dank. zählen. Ich danke auch Sascha Raabe, der bei den ersten Haushaltsberatungen eine impulsive Rede gehalten hat. Die NGOs in der EZ sind die größte Friedens- und Vielen herzlichen Dank! Entwicklungsbewegung der Welt. Herzlichen Dank al- len. Ich will Ihnen jetzt sagen, dass ich selbstverständlich in der Verpflichtung stehe, eine hohe Wirksamkeit der Maßnahmen zu erzielen. Ich möchte es Ihnen anhand ei- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nes Beispiels darstellen: Was könnte man mit 800 Millio- Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus nen Euro Haushaltsaufwuchs bewirken, wenn man sie in der Fraktion Die Linke? die Not- und Überlebenshilfe investieren würde, bei der wir nicht alles, aber einen Teil leisten können? Wir könn- Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche ten 4 Millionen Menschen ein Jahr lang das Überleben Zusammenarbeit und Entwicklung: sichern. Können Sie sich vorstellen, welchen Wirkungs- Wer möchte eine Zwischenfrage stellen? hebel die Mittel in der Entwicklungszusammenarbeit haben? Mit 200 Euro im Jahr können Sie ein Menschen- leben im Jemen, wo die Not unglaublich ist, oder in Syri- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: en – in Idlib und in anderen Regionen – retten. Deshalb: Die Fraktion Die Linke. Danke schön für die 800 Millionen Euro. Wir werden sie sinnvoll und wirksam einsetzen. Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Zusammenarbeit und Entwicklung: ordneten der SPD) Ja, gerne. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7391

(A) Heike Hänsel (DIE LINKE): private Investitionen der deutschen Wirtschaft. Auf nach (C) Afrika! Die Instrumente sind jetzt geschaffen. Danke schön, Herr Präsident! – Herr Minister Müller, Sie haben sich ja gerade auf den globalen Vertrag für (Beifall bei der CDU/CSU) Migration bezogen und gesagt, er werde Standards Dazu gehört die Sonderinitiative „Ausbildung und Be- schaffen. Gleichzeitig betont die Bundesregierung stän- schäftigung“. Die deutsche Wirtschaft geht andere Wege dig, dass es ein nichtvölkerrechtlich bindender Vertrag als die Wirtschaft in China, Afrika und anderen Entwick- sei und er von daher keine realen Auswirkungen auf die lungsländern. Investitionen werden stets gepaart mit In- nationale Gesetzgebung habe. Von daher ist es eigent- vestitionen in die Ausbildung der heimischen Jugendli- lich der Willkür der Staaten überlassen, ob sie zukünftig chen, in Afrika, in Asien, aber auch in Lateinamerika. Standards einhalten oder nicht. Wir setzen den Marshallplan mit Afrika um. Wir füh- Es gibt aber eine ganz andere Initiative des UN-Men- ren eine eigene Debatte. Stellen Sie einen Antrag, dann schenrechtsrats, die sich darum bemüht, ein Unterneh- diskutieren wir nur über dieses Thema. Die Kanzlerin – mensstrafrecht für multinationale Konzerne durchzuset- ich durfte mit dabei sein – hat vor drei Wochen die größte zen – das betrifft vor allem europäische Konzerne –, die Afrika-Konferenz seit 1884 durchgeführt. Das hat kaum die Arbeitsstandards eben nicht einhalten und dadurch einer von Ihnen wahrgenommen. Das wurde überlagert gezwungen würden – weil sie sonst sanktioniert wer- von dramatischen innenpolitischen Themen, über die dis- den –, dass sie Arbeitsstandards, soziale Standards ein- kutiert wurde. halten. Diese wichtige Initiative, die völkerrechtlich bin- (Heiterkeit der Abg. Sonja Amalie Steffen dend wäre, unterstützt die Bundesregierung aber nicht. [SPD]) Wieso unterstützt sie sie nicht, und was ist Ihre Position? Wir haben den Ressortkreis Afrika etabliert. Ein kohä- rentes Auftreten der Ressorts ist mir sehr wichtig, vom Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Außenministerium über das Wirtschaftsministerium Zusammenarbeit und Entwicklung: bis hin zum Finanzministerium. Wir europäisieren den Sie bringen jetzt viele Dinge etwas durcheinander. Marshallplan. Deutschland macht das nicht allein. Wir Es ist auch für die Zuhörer da draußen am Fernsehap- sind wesentlich stärker, wenn wir das Thema zu einem parat schwierig, das überhaupt noch zu verstehen. Ich europäischen Thema machen. Im Rahmen der deutschen sage Ihnen ganz klar: Wir brauchen die weltweite Ver- EU-Ratspräsidentschaft 2020 werden wir den Nachfol- pflichtung auf menschenrechtliche Grundstandards. gevertrag zum Post-Cotonou-Vertrag vorlegen. Die Menschenrechte sind unteilbar – von Honduras bis Wir setzen auf die Umsetzung von Reformpartner- (B) nach Bangladesch. Dazu gehört die Verabschiedung des schaften. Wir haben sechs Reformpartner, von denen wir (D) Migrationspaktes, aber auch die Anerkennung der Men- Good Governance, Bekämpfung der Korruption und Ein- schenrechtsdeklaration der UN; das ist die Grundlage un- haltung der Menschenrechte einfordern. Dazu wurde ein serer internationalen Arbeit. Konzept erstellt, das einige von Ihnen noch nicht gelesen haben, aber es liegt mir vor. Wenn so viel Geld investiert Meine Damen und Herren, ich bin dankbar für die wird, dann muss ein klares Konzept mit entsprechender Quantensprünge, die wir machen. Ich kann das ja nur Kontrolle der Wirksamkeit dahinterstehen. Deswegen kurz darstellen: Beim Haushalt und der öffentlichen EZ habe ich das Konzept EZ 2030 vorgelegt und positioniere mit dem neuen Maßnahmenpaket für mehr Investitionen damit die deutsche Entwicklungspolitik neu, weg von der in Afrika – das sage ich allen, gerade denen in der FDP – Gießkanne, hin zu mehr Wirksamkeit, klarer Konditio- setzen wir auf mehrere Säulen: Eigenleistung der Ent- nierung und mehr Zusammenarbeit in Deutschland und wicklungspartner, insbesondere der Afrikaner. Zunächst Europa. einmal muss jeder selber einen Eigenbeitrag leisten – Good Governance –, dann kommt die staatliche EZ, mit Lassen Sie mich zum Schluss auf die drei inhaltlichen der wir Impulse setzen. Ich denke an Leuchtturmprojekte Schwerpunkte eingehen, die ich für 2019 gesetzt habe. Erster Schwerpunkt ist der Klimaschutz. Ich werde im im Bereich der erneuerbaren Energien, im Bereich der Vorfeld der Klimakonferenz in Kattowitz eine neue Initi- Ausbildung. ative, eine Allianz für Entwicklung und Klima vorstellen. Dann komme ich zum Thema „private Investitionen“. Zweiter Schwerpunkt ist eine Offensive zur Wahrung Hier ist uns mithilfe der Kanzlerin, des Bundesministers der Menschenrechte und der Rechte der Frauen. Wir gra- Altmaier, aber auch des Finanzministers ein Durchbruch tulieren Nadia Murad zum Friedensnobelpreis. Sie ist gelungen, Stichwort: Afrika-Verein und vieles andere. eine großartige Kämpferin für Menschenrechte und ge- Wir stärken jetzt private Investitionen in afrikanischen gen Gewalt gegen Frauen. Sie wird hier in Deutschland Ländern mit einem neuen Instrument, mit einem neuen Gast sein, worauf wir stolz sind. Wirtschaftsinvestitionspaket. Hauptpunkt dabei ist ein neuer Entwicklungsinvestitionsfonds, ausgestattet mit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- wie bei Abgeordneten der LINKEN) 1 Milliarde Euro, wodurch wir deutsche und afrikanische KMUs zusammenbringen und die privaten Investitionen Dritter Schwerpunkt ist: Ich setze erneut das Thema mit einer neuen Säule aufbauen. Denn in Zukunft können „gerechter und fairer Handel in globalen Lieferketten“ wir Arbeitsplätze nicht mit öffentlichen Geldern schaf- auf die Tagesordnung; denn der Markt braucht Moral, er fen. Wir können Ansätze schaffen. Dazu brauchen wir braucht Regeln, und er braucht Grenzen. Wir brauchen 7392 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) eine neue Wachstumsphilosophie. Wir können, wollen gendergerechte lokale Selbstverwaltungsprozesse in In- (C) und werden die Welt ein Stück humaner, gerechter und dien, friedlicher machen. Es gibt nichts Gutes, außer man tut (Beifall bei Abgeordneten der AfD, der SPD, es. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Herzlichen Dank. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gendersensible Männerarbeit in Nicaragua, Erstellung eines auf den traditionellen Praktiken ethnischer Minder- heiten basierenden Umweltschutzkonzeptes in China, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Minister. – Nun darf sich die Uni- (Leni Breymaier [SPD]: Bravo! – Claudia onsfraktion mit der Frage beschäftigen, wem ich die Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Minute abziehen soll, die der Minister die angemeldete NEN]: Bravo!) Redezeit überschritten hat. Verbesserung der sexuellen und reproduktiven Gesund- Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Markus heit von Jugendlichen des Distrikts 8 in Bolivien, Frohnmaier, AfD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der AfD) gendergerechte Förderung kleinbäuerlicher Familien in Tansania, Markus Frohnmaier (AfD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Der Entwicklungshaushalt soll gegenüber 2018 um integrierte und genderbasierte Förderung von organisier- rund 800 Millionen Euro aufwachsen und wird 2019 ten Kleinbauerfamilien in Uganda, Stärkung der Gender- erstmals über 10 Milliarden Euro liegen. Was macht das gerechtigkeit und sozioökonomischen Entwicklung mit Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Landfrauen in Indien, genderorientierte Entwicklungs- und Entwicklung mit unserem Steuergeld? arbeit auf den Philippinen, ländliche Entwicklung und Raumordnung bei kleinbäuerlichen Dorfgemeinschaften Ich will Ihnen eine kleine Übersicht über Projekte und unter Einbeziehung von Genderfragen, Vorhaben geben, die der deutsche Steuerzahler unter die- ser Bundesregierung fördert und die der Bundesminister (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gerade nicht erwähnt hatte – ich zitiere –: angewandtes grenzüberschreitende Förderung marginalisierter Halb- Gender Diversity Management im Nahen Osten, nomaden in Nordkenia, Stärkung lokaler und regionaler (B) (D) (Michel Brandt [DIE LINKE]: Sie wissen Entwicklungsvorhaben durch Dezentralisierung und par- doch nicht einmal, was das heißt!) tizipativen Demokratieansatz unter besonderer Berück- sichtigung von Genderaspekten in Marokko, Mediation und Transformation sozialer Konflikte in Me- xiko, Integration des Genderansatzes in die marokkani- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sche Wirtschafts- und Sozialpolitik, Empowerment von Jugendlichen in der Provinz Sichuan (Beifall der Abg. Stephan Brandner [AfD]) durch Kooperationen mit erwachsenen Künstlern, Künst- lerinnen, Stärkung und effektive Umsetzung von Arbeitsrechten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mit Genderfokus auch noch mit Behinderung, in China, Ausbildung von (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Trainern, Trainerinnen und Moderatoren, Moderato- SES 90/DIE GRÜNEN – Helin Evrim ­Sommer rinnen mit partizipativen Methoden und zu guter Letzt [DIE LINKE]: Was heißt denn Gender?) Beschäftigungsförderung durch Energieeffizienz und er- in der Bekleidungsindustrie in Zentralamerika, neuerbare Energien in Moscheen in Marokko. (Beifall des Abg. Stephan Brandner [AfD] (Beifall bei der AfD – Stephan Brandner sowie der Abg. Leni Breymaier [SPD]) [AfD]: Ohne Gender!) Stärkung von LGBT-Menschenrechten in Honduras, Sehr geehrte Vertreter der Bundesregierung, Herr Mi- nister Dr. Müller, wenn man sich diese kleine Auswahl (Beifall der Abg. Leni Breymaier [SPD]) ansieht, dann könnte man denken, Sie stehen einem bürgerverbindende Aktionen zur Bekämpfung von gen- Lehrstuhl für Planetare Genderstudien und keinem Mi- derbasierter Gewalt in Namibia, nisterium vor. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Förderung eines zivilgesellschaftlichen landesweiten CDU/CSU) Gendernetzwerks in China, Wir sollten Entwicklungsländer nicht umerziehen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Dort fehlt es häufig an sauberem Trinkwasser und Nah- DIE GRÜNEN]: Super!) rung, aber nicht an Genderideologie. Daher lehnen wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7393

Markus Frohnmaier (A) die Erhöhung dieses Etats ab, erst recht diese bescheuerte lich hinter diese Haushaltstitel die richtigen Zahlen ge- (C) Mittelverwendung. Geld allein löst keine Probleme. setzt haben. – Herzlichen Dank dafür. (Zuruf der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD]) (Beifall bei der SPD – Stephan Brandner [AfD]: „Berichterstatterin“ haben Sie verges- Geld hat keine Ideen. Und das Geld gehört weder Ihnen sen!) noch der Regierung. Es gehört dem deutschen Steuerzah- ler. Herzlichen Dank dafür! Vielen Dank. Herr Minister Müller, durch unsere Unterstützung ha- ben Sie nun erneut so viel Geld in Ihrem Geldbeutel wie (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- noch kein Minister für Entwicklungspolitik jemals zuvor. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei dem wird das Das ist richtig; denn es wird gebraucht für Ernährungs- nichts mehr mit Gender!) sicherung, für gleichberechtigte Bildung, für den Ausbau von Gesundheitssystemen, das Schaffen von Einkom- men, Korruptionsbekämpfung und gute Regierungsfüh- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: rung und für den zivilen Friedensdienst, um hier einige Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Gabi Weber, wichtige Punkte zu nennen. SPD-Fraktion. Herr Minister, wir sehen alle, dass Sie sich auf Afri- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ka konzentrieren. Es gibt den Compact with Africa; Sie haben die Reformpartnerschaften genannt; seit neuestem Gabi Weber (SPD): gibt es eine Strategie vom Ministerium für Bildung und Forschung, und Ministerin Klöckner will sich um die Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen und Landwirtschaft in Afrika kümmern. Aber das ist nichts Kolleginnen! Muss ich jetzt nach diesen tollen Einlas- Neues, das passiert im BMZ eigentlich alles schon sehr sungen überlegen, ob ich hier überhaupt noch Frauen an- lange. Darüber hinaus wissen wir, dass es 15 verschie- sprechen darf, oder muss ich mich dafür bedanken, dass dene Strategien, Pläne und Konzepte aus den verschie- Sie endlich all die tollen Projekte nennen? Ich bin mir denen Ministerien gibt. Herr Minister, sorgen Sie am nicht ganz sicher. Kabinettstisch für klare und nachvollziehbare Zusam- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- menarbeit! Sorgen Sie dafür, dass Deutschland in den ten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ Partnerländern als eine Stimme wahrgenommen wird DIE GRÜNEN und des Abg. Hermann Gröhe und nicht als ein buntes Konzert; ich denke, das ist ganz (B) [CDU/CSU] – Jürgen Braun [AfD]: Darauf wichtig, um den Stellenwert dessen, was wir heute be- (D) sind Sie auch noch stolz bei der SPD!) schließen, auch wirklich rüberzubringen. Ich denke, es geht nicht um Umerziehung, aber es würde (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ihrer Fraktion vielleicht guttun, endlich mal Gendersemi- Herr Minister, Sie haben, wie gesagt, erstmals über nare zu belegen. 10 Milliarden Euro in der Tasche. Und was sehen wir in (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Ihrem Haus und bei den staatlichen Durchführungsorga- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- nisationen? Kürzungen an der einen oder anderen Stelle. geordneten der FDP und der LINKEN) Es werden Länderprogramme heruntergefahren, weil die Mittel zugunsten von Fluchtursachenbekämpfung umge- Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich möchte zu- leitet werden. Herr Minister Müller – ich habe das schon nächst, obwohl es schon so oft gesagt wurde, weil es so mehrfach gesagt –, Sie sind nicht der Minister eines schön ist, den enormen Aufwuchs der ODA-Mittel um Fluchtursachenbekämpfungsministeriums, sondern der 700 Millionen Euro im Verhältnis zum Haushaltsentwurf Minister für Entwicklung und Zusammenarbeit. Damit noch einmal betonen. Für diejenigen auf der Tribüne, die ist auch klar: Sie sind verantwortlich, dass Entwicklung sich nicht richtig vorstellen können, was das ist, sage ich: ein wesentlicher Teil Ihres Ministeriums ist, übrigens Official Development Assistance, abgekürzt: ODA. Die nicht nur in den Staaten Afrikas, die sich als Investitions- ODA-Quote gibt an, wie groß die von öffentlicher Sei- standort für deutsche Unternehmen eignen. Nein, auch te gegebene Unterstützung für die Entwicklungszusam- die fragilen Staaten Afrikas, die Partnerländer in Asien, menarbeit ist, und das quer durch die Ministerien, nicht Süd- und Mittelamerika brauchen weiterhin unsere Zu- nur in dem Ministerium, über das wir jetzt reden. sammenarbeit; das darf bei dem totalen Schwerpunkt Afrika nicht in Vergessenheit geraten! Eins ist auch klar: Wir hätten diesen Aufwuchs nicht erreicht, wenn sich bei uns, bei der SPD, nicht die stell- Ich freue mich, dass wir die Beiträge zu vielen Or- vertretenden Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich und ganisationen der Vereinten Nationen anheben, teilweise Achim Post gegen manchen Widerstand durchgesetzt sogar verdoppeln. Multilaterale Zusammenarbeit ist und hätten und vor allen Dingen Andrea Nahles im abschlie- bleibt ein wesentliches Kernstück von Entwicklungszu- ßenden Gespräch mit dem Fraktionsvorsitzenden der sammenarbeit. CDU/CSU, Herrn Brinkhaus, nicht erfolgreich für die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ODA-Quote gekämpft hätte. Um das ganz konkret zu machen, danke ich den Berichterstattern im Haushalts- Und wir wissen alle, dass Frauen die zentrale Rolle ausschuss, Sonja Steffen und Carsten Körber, die wirk- bei der Entwicklung spielen. Deshalb haben wir unseren 7394 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Gabi Weber (A) Beitrag zu UN Women auf 8 Millionen Euro verdoppelt, Klar ist doch auch, dass diese ganzen Einzelprojekte – (C) den Beitrag zum UN-Bevölkerungsfonds um mehr als egal, wie man vielleicht zu einem einzelnen Aspekt hier die Hälfte auf 33 Millionen Euro erhöht und – was uns oder da steht – entscheidend wichtig sind zur Fluchtursa- besonders wichtig ist – die Mittel für die Initiative für chenbekämpfung. Familienplanung auf 12 Millionen Euro verdoppelt. (Stephan Brandner [AfD]: Nein!) Ganz besonders wichtig ist – das freut mich –, dass wir die Mittel für die globale Bildungsinitiative der Verein- Sie sind wichtig, weil sie die Schwächsten der Schwa- ten Nationen um mehr als das Doppelte auf 37 Millionen chen stärken, weil sie sie ernst nehmen in ihrer Men- Euro erhöhen. Da sind wir vor ein paar Jahren gestartet schenwürde und weil sie sie auch ernst nehmen in ihrem bei 8 bis 9 Millionen Euro. Hier unterstreichen wir, wie Anderssein in Staaten, in denen sie oft unterdrückt wer- wichtig uns Bildung ist, Grundbildung für Mädchen und den. Jungen weltweit. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb: Ja, danke an all die, die für uns in der Ent- Eines noch, Herr Minister: Nicht kurzfristige Sicht- wicklungszusammenarbeit und als Mitarbeiter in der barkeit darf das Ziel Ihres Ministeriums sein. Ziel jeder Entwicklungshilfe tätig sind – im weitesten Sinne bei Entwicklungspolitik ist eine langfristig wirkende, struk- der GIZ, der KfW oder im Ministerium. Danke auch an turelle Entwicklung. Wir haben es im Koalitionsvertrag Ihr Team, Herr Minister, aber auch Dank an die Kolle- festgehalten: Die Agenda 2030 der UN ist Richtschnur ginnen und Kollegen Mitberichterstatterinnen und Mit- für unsere Politik. Also sollten wir uns auch daran halten. berichterstatter. Wir haben heute viel Wichtiges gesagt. Gute Arbeit weltweit ist da ein ganz wichtiges Thema, Unser Hauptberichterstatter, Herr Leutert, ist heute leider das wir auch noch anschneiden müssen. krank. Es war ein gutes Miteinander. Eine Anmerkung noch, Herr Minister: Sie sagen, Sie Dass wir als FDP heute dennoch sehr viele kritische wollen die Anzahl der Partnerländer reduzieren und die Sachen zum Haushalt als solchem zu sagen haben, hat Zusammenarbeit konzentrieren. Auf Deutsch: Sie wollen aus unserer Sicht den Grund – Sie wissen es –, dass es, die Liste der Länder, mit denen wir arbeiten, neu aufstel- gerade weil es so viel Geld ist, in vielen Bereichen ein len. Hier möchte ich, dass Sie einen Beteiligungsprozess Haushalt verpasster Chancen ist. Sie haben es verpasst, organisieren und die Kriterien offen mit uns und mit der Vorkehrungen dafür zu treffen, dass mehr Finanzmit- NGO-Szene diskutieren. tel für die Entwicklungszusammenarbeit auch wirklich (Stephan Brandner [AfD]: Einen Stuhlkreis mehr bewirken – Stichwort „Vernetzter Ansatz“, Stich- (B) am besten!) wort „Evaluierung“, was heute noch gar nicht angespro- (D) chen wurde. Sie haben es verpasst, die Schattenhaushal- Hierzu reiche ich Ihnen die Hand. te im BMZ aufzulösen. Schlimmer noch: Sie haben sie Vielen Dank. weiter ausgebaut. Sie haben es verpasst, die massiven Aufwüchse auch wirklich in multilaterale Initiativen zu (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Carsten kanalisieren. Körber [CDU/CSU]) In der Bereinigungssitzung wurde einiges besser; das ist von Kollegin Hajduk und Kollegin Steffen zu Recht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gesagt worden. Dazu kam es aber aufgrund des Drucks Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster ist der des Ausschusses. Es ist ganz wichtig, immer wieder zu Kollege Michael Link, FDP-Fraktion, an der Reihe. sagen, dass für uns von Regierungsseite aus deutlich (Beifall bei der FDP) zu wenig in multilaterale Initiativen – insbesondere in UN-Initiativen – gesteckt wird.

Michael Georg Link (FDP): Chancen gab es in diesem Jahr wirklich jede Menge; Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das denn der Haushalt knackt die 10-Milliarden-Euro-Marke, BMZ und Deutschland insgesamt leisten eine ganz be- und in der Tat erfordern die Entwicklungen in der Welt ja eindruckende Zahl von Einzelprojekten. Mein Vorvor- auch ein stärkeres Engagement Deutschlands. redner hat vielleicht, ohne es zu wollen, daran erinnert, Im Namen meiner Fraktion möchte ich deshalb noch wie extrem viel die deutsche Entwicklungszusammenar- mal ganz deutlich sagen: Uns sollte bewusst sein: Mehr beit für die Schwächsten der Schwachen tut. Geld bewirkt nicht zwangsläufig auch mehr. Die zusätz- (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche lichen Gelder müssen sinnvoll eingesetzt werden. Ein so [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) starker Aufwuchs wie im BMZ muss also besser abge- stimmt werden, als das in der Bundesregierung heute der Das hier in den Zusammenhang zu stellen, wie Sie es Fall ist. Wir sehen eine regelrechte Geldschwemme im getan haben, und es sozusagen lächerlich zu machen, das Etat des BMZ und einen bunten Strauß an Maßnahmen, ist unter der Würde des Hauses. die im Einzelfall oft richtig, aber zu wenig abgestimmt sind. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Ganz unverständlich ist zum Beispiel, wieso das BMZ bei Abgeordneten der LINKEN) noch mehr Gelder für Projekte innerhalb Deutschlands Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7395

Michael Georg Link (A) einsetzen wird, zum Beispiel für Tagungen oder für – tenhaushalte steckt, von den Haushältern der Koalition (C) Sie hören richtig – den Bau eines Veranstaltungsortes in mitgemacht wird. Ich glaube, wenn das in einem anderen Berlin. Hier entfalten unsere Mittel doch die geringste Etat der Fall wäre, würde man das nicht machen; denn Wirkung. das verleitet geradezu – – (Beifall bei der FDP) (Das Mikrofon wird abgeschaltet) Nun finanziert das BMZ für 10 Millionen Euro sogar auch Projekte des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das ist mehr als nur mangelnde Haushaltsklarheit. Hier Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzo- fehlt eine klare Zuschreibung von Aufgaben und Kompe- gen. tenzen, und das meinen wir, wenn wir immer wieder von einem vernetzten Ansatz sprechen. Michael Georg Link (FDP): (Beifall bei der FDP) Dann müssen wir einen anderen Weg gehen. Bei den drei Hauptakteuren dabei, BMZ, Auswärti- Vielen herzlichen Dank. ges Amt, Verteidigungsministerium: Wo ist der wirklich (Beifall bei der FDP) vernetzte Ansatz? Denn er wird in der Bundesregierung zurzeit nur sehr schleppend gelebt. Uns wird hier was angekündigt, uns wird da was angekündigt; keiner will Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kompromisse eingehen. Das Resultat: Gelder werden Als Nächstes für die Fraktion Die Linke die Kollegin leider verschwendet. In den Projektländern weiß die Eva-Maria Schreiber. rechte Hand oft nicht, was die linke tut, weil die An- (Beifall bei der LINKEN) schlussfähigkeit fehlt.

Von einer gemeinsamen Evaluierung ist überhaupt Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE): noch nicht die Rede. Dabei ist es doch in unser aller In- Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe teresse, dass, wenn wir schon mehr Geld ausgeben, es Gäste! Sehr geehrter Minister Müller! Ich war im Okto- auch besser evaluiert wird – Stichwort „Wirkungsorien- ber dieses Jahres beim Jahrestreffen von IWF und Welt- tierung“. Wir haben dazu Anträge gestellt, die von der bank. Hier stand das Thema „Privatisierung der Entwick- Koalition abgelehnt wurden. Ergebnis: Chance verpasst! lungszusammenarbeit“ im Zentrum. Entwicklungspolitik Nicht nur innerhalb der Bundesregierung wollen wir beschränkt sich zunehmend auf Förderung der Privat- (B) mehr Vernetzung, auch nach außen wäre deutlich mehr wirtschaft. Das zieht sich auch wie ein roter Faden durch (D) zu tun, zum Beispiel abgestimmt mit den Partnern in Eu- den aktuellen Entwicklungshaushalt. Dementsprechend ropa. Wir haben es heute sehr wohl gehört, Herr Minister, haben Sie die Titel „Entwicklungspartnerschaft mit der und wir werden Sie gerne dran erinnern. Wirtschaft“ und „Private deutsche Träger“ aufgestockt. Zudem stellen Sie – das haben Sie gerade gesagt – 1 Mil- Unserer Meinung nach sprechen die Zahlen eine deut- liarde Euro für einen Entwicklungsinvestitionsfonds be- liche Sprache. Die Schere zwischen den Geldern für die reit. bilaterale und die multilaterale Entwicklungszusammen- arbeit geht weiter auf. Das zeigen die Zahlen deutlich. Um jetzt Missverständnissen vorzubeugen: Ja, Privat­ Deshalb müssten wir doch umso mehr gezielt multila- investitionen können zu einer nachhaltigen Entwicklung teral agieren, um weltweit Bildung zu fördern, um in beitragen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, wenn Afrika verstärkt Familienplanung zu ermöglichen – dort, es nicht den öffentlichen Sektor betrifft, wenn sich die wo es dringend erforderlich wäre – und um den besten Unternehmen bei ihren Geschäften vor Ort an ökologi- CO2-Speicher zu schützen, den wir haben, den Regen- sche, soziale und menschenrechtliche Mindeststandards wald. halten. Über diese notwendigen Rahmenbedingungen zu diskutieren, ist bitter nötig. (Beifall bei der FDP) Herr Minister, Sie haben versprochen, ein Entwick- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum lungsinvestitionsgesetz in enger Abstimmung mit dem Schluss. – Die vielen zusätzlichen Gelder hat die GroKo Bundestag zu erarbeiten. Diese Pläne sind wohl still und aber leider lieber in Schattenhaushalte im BMZ inves- heimlich fallen gelassen worden. tiert, in die sogenannten Sonderinitiativen. Für diese wird mittlerweile 1 Milliarde Euro – ein Zehntel des gesamten (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Haushaltes – aufgewandt. Ergebnis: Viel Geld ausgege- NEN]: Gott sei Dank!) ben, Chance aber verpasst! Stattdessen haben Sie diesen Investitionsfonds gegrün- det – am Bundestag vorbei, in enger Abstimmung mit der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Privatwirtschaft. Das Parlament ist doch die Legislative. Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. (Beifall bei der LINKEN)

Michael Georg Link (FDP): Mindestens drei Punkte sehe ich kritisch: Ich wundere mich, dass die Tatsache, dass das Mi- Erstens. Das Vorgehen ist völlig intransparent. Eine nisterium 10 Prozent seiner gesamten Gelder in Schat- Gesetzesinitiative hätte eben die Chance für eine öffent- 7396 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Eva-Maria Schreiber (A) liche Debatte und das Aushandeln der Inhalte im Parla- zu Beginn widerspreche: Ich habe die Entwicklungs- (C) ment geboten. Für Die Linke, für uns, müssen dabei stets strategie 2030 gelesen, und zwar sehr intensiv. Schon die Interessen der Menschen in diesen Ländern im Vor- auf Seite 2 formulieren Sie tatsächlich eine ganz wich- dergrund stehen. tige Botschaft: Wir haben kein Erkenntnisproblem; wir haben ein Handlungsproblem – Das ist natürlich richtig. (Beifall bei der LINKEN) Tatsächlich haben wir aber nicht ein Handlungsproblem, Zweitens. Der Nutzen für die Länder ist bei der Ko- sondern viele Handlungsprobleme, zum Beispiel auch in operation mit der Privatwirtschaft bisher nicht erkenn- Bezug auf Kohärenz innerhalb der Bundesregierung. bar. Selbst Ihr hauseigenes Evaluierungsinstitut DEval (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- hat dies in mehreren Studien festgehalten. Aber das wird SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) ignoriert. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Sie bestätigen das auch eindrucksvoll in dem Spen- (Beifall bei der LINKEN) ding Review zum Thema „Humanitäre Hilfe und Über- Drittens. Ihre Initiativen zur Förderung der Privatwirt- gangshilfe“. Dieser Review übt deutliche Kritik an den schaft zielen vor allem darauf ab, die Rahmenbedingun- Abstimmungsprozessen: Sie sind nicht ausreichend for- gen für Investoren zu verbessern. Was für diese gut ist, malisiert. Sie sind eher abhängig von den handelnden nutzt aber nicht automatisch langfristig den Menschen in Personen. Es fehlt ein systematischer und verbindlicher den beteiligten Ländern. Ansatz. Es gibt noch nicht einmal eine Übersicht über die in einem Land geförderten Maßnahmen. – Kann denn Die neue Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäf- eine Eigenkritik eigentlich deutlicher sein? tigung“, die Sie mit 230 Millionen Euro ausgestattet haben, fördert Sonderwirtschaftszonen. Das sind Steu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ersparmodelle für Konzerne. Durch Steuerflucht inter- sowie des Abg. Dr. Christoph Hoffmann nationaler Konzerne entgehen allein den afrikanischen [FDP]) Staaten etwa 175 Milliarden Euro im Jahr. Diese Summe Interessant ist, dass die OECD 2015 auch einen Be- entspricht etwa der dreifachen Menge aller westlichen richt erstellt hat, komischerweise mit genau dem glei- Entwicklungsgelder für den gesamten Kontinent. chen Ergebnis. Da frage ich mich natürlich: Sind AA und Wie kann es dann sein, dass die GIZ in Äthiopien da- BMZ völlig immun gegen solche Analysen? Was machen für wirbt, dass Unternehmen dort zehn Jahre steuerbe- Sie eigentlich damit? Sie stellen sie einfach weg. freit sind? Das verringert doch die Aussichten Äthiopi- Die neue Strategie bezieht sich auch zu Recht auf die ens, seine Steuereinnahmen zu erhöhen. SDGs. Das begrüßen wir. Die SDGs heben zum Beispiel (B) (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Es erhöht auch ganz besonders die Bedeutung bäuerlicher Struktu- (D) die Chance auf Arbeitsplätze!) ren hervor. Diese Mittel fehlen beim Aufbau von Sozial-, Bildungs- Gestern allerdings hat sich die Bundesregierung bei oder Gesundheitssystemen. Das sind Gründe für Men- der Abstimmung über die UN-Erklärung für die Rechte schen, ihre Heimat zu verlassen. Das ist das Gegenteil von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen enthalten. von Fluchtursachenbekämpfung. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Unglaublich!) Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – In dieser Erklärung geht es um Menschenrechte und Le- Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Da fehlt der bensgrundlagen, um Selbstbestimmung, Arbeitsplätze Grundkurs Volkswirtschaft!) und um die Zukunftschancen der Menschen. Damit geht Herr Minister Müller, ich schätze Ihr persönliches es natürlich ganz zentral um Entwicklungsperspektiven. Engagement für Ihr Haus und einen steigenden Ent- Dieser Erklärung hätte die Regierung der Bundesre- wicklungsetat sehr. Gerade deswegen bitte ich Sie, die publik Deutschland unbedingt zustimmen müssen. Aber verstärkte Ausrichtung der deutschen Entwicklungs- unser Entwicklungsminister hat im Kabinett nicht dafür zusammenarbeit an privatwirtschaftliche Interessen zu gekämpft, und er hat sich nicht mit dem Außenminister überdenken. der SPD auseinandergesetzt. Da hätten Sie sich durchset- Danke schön. zen müssen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Traurig ist auch das Beispiel des Binding-Treaty-Pro- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zesses. Das ist wirklich ein wichtiger entwicklungspoliti- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes spricht zu scher Ansatz, der die Lieferkettenproblematik verbessert. uns der Kollege Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen. Von Anfang an hat Ihr Kollege aus dem AA diesen Pro- zess torpediert. In der ersten Verhandlungsrunde – dafür (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schäme ich mich – wurde die Bundesrepublik Deutsch- land von einer Praktikantin vertreten, und am letzten Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Tag, in der vierten Verhandlungsrunde – man höre und Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! staune –, saß wieder ein Praktikant als Repräsentant der Herr Minister, gestatten Sie mir, dass ich Ihnen gleich deutschen Bundesregierung vor Ort. Mehr Arroganz und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7397

Uwe Kekeritz (A) Missachtung gegenüber einem internationalen Gremium Erreichung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (C) kann man nicht an den Tag legen. dienen, ein verlässlicher Partner sein. Für uns ist diese Thematik entwicklungspolitisch hoch Unser Engagement ist notwendig. Es entspricht der wichtig. Auch deswegen, Herr Müller, hätten Sie sich im Wertordnung unserer Politik für Menschenrechte, für Kabinett durchsetzen müssen, und das haben Sie nicht soziale und wirtschaftliche Entwicklung, gerade in den getan. Es ist eine Inkohärenz zwischen BMZ und AA. ärmsten Ländern der Welt. Ich sage sehr deutlich: Die Die kann doch nicht genetisch verursacht sein. Art und Weise, wie man sich vonseiten einer Fraktion über Frauen- und Arbeitnehmerrechte lächerlich macht, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zeigt, wie weit Sie von den Wertentscheidungen unserer Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Verfassungsordnung entfernt sind. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Gleich. bei Abgeordneten der LINKEN – Stephan Brandner [AfD]: Das heißt „Arbeitnehmerin- (Heiterkeit) nenrechte“!) Herr Minister, hören Sie auf, ein Strategiepapier nach dem anderen zu produzieren! Kein Mensch braucht die- Wenn Sie sich ernsthaft – eigentlich unterstelle ich das se nichtssagenden, schon x-mal veröffentlichten State- nicht – mit dem Zusammenhang zwischen gleichberech- ments. Sie haben es doch richtig erkannt und auch richtig tigtem Zugang von Mädchen und Frauen zu Ressourcen formuliert. und Bildung sowie der Entwicklung eines Landes be- schäftigen wollten,

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Stephan Brandner [AfD]: Sagen Sie etwas Herr Kollege, Sie haben jetzt noch einen Satz. zu Gender!) dann müssten Sie gar nicht die von Ihnen offenkundig Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gefürchteten Genderstudien lesen. Es reichen die Berich- Ich bin in zwei Sekunden fertig. – Wir haben keinen te der Weltbank. Da müsste Ihnen der Zugang leichter Mangel an unnötigen Veröffentlichungen, sondern Hand- fallen. Die Autoren sind meistens männliche Banker. lungsprobleme. Das sind die Probleme. Aber diese verstehen im Gegensatz zu Ihnen etwas von diesen Themen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank, Herr Kollege Kekeritz. – Als Nächs- GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LIN- tes spricht zu uns der Kollege Hermann Gröhe, CDU/ KEN) CSU-Fraktion. Schließlich liegt diese Arbeit in unserem eigenen In- (Beifall bei der CDU/CSU) teresse. Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe können helfen, Konflikte zu entschärfen, zu ver- Hermann Gröhe (CDU/CSU): meiden oder zu befrieden. Damit dient diese Arbeit einer umfassenden Friedens- und Sicherheitspolitik im Sinne Herr Präsident! Herr Bundesminister, lieber Gerd eines erweiterten Sicherheitsbegriffs. Müller! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Für uns ist die Beratung und Beschlussfassung des Einzelplans 23 Unsere Hilfe ist notwendig, ich sage: bitter notwendig. Anlass zur Freude. Erstmals wird im Jahr 2019 der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen- (Stephan Brandner [AfD]: Man darf nicht arbeit die 10-Milliarden-Marke sprengen. Ich danke al- „Hilfe“ sagen! Es heißt „Zusammenarbeit“!) len, die daran mitgewirkt haben – den Berichterstatte- rinnen und Berichterstattern fast aller Fraktionen –, für Jeden Tag sterben in dieser Welt knapp 15 000 Kinder diesen gemeinsamen Einsatz. Ich denke an die lebhafte unter fünf Jahre – 5,4 Millionen im Jahr – an mangelnder Debatte bei der ersten Lesung. Und ich lade den Bundes- Nachsorge unmittelbar nach der Geburt, an häufig leicht finanzminister ein, sich noch freudiger in diese Allianz behandelbaren Infektionskrankheiten, an Mangel- und einzureihen. Unterernährung. Rund 800 Millionen Menschen müssen noch immer mit weniger als 2 Dollar pro Tag überleben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 64 Millionen Kinder besuchen keine Grundschule. Wahr ist aber auch: Internationale Anstrengungen haben in Ich glaube, dann werden wir den Weg auch gemeinsam den letzten Jahren viel erreicht. Vor 25 Jahren war die entschlossen fortsetzen. globale Armut doppelt so hoch, starben pro Tag unge- Es zeigt sich: Wir nehmen als Bundesrepublik fähr 34 000 Kinder unter fünf Jahre, besuchten viel mehr Deutschland in Zeiten vielfältiger schwerer internationa- Kinder – über 100 Millionen – keine Grundschule. Diese ler Krisen und zunehmender Auswirkungen des Klima- Erfolge können uns einerseits zuversichtlich stimmen. wandels unsere internationale Verantwortung wahr und Sie nehmen uns andererseits in die Pflicht. Weil wir die werden bei allen internationalen Anstrengungen, die der bittere Armut besiegen können, würden wir moralisch 7398 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Hermann Gröhe (A) versagen, wenn wir nicht alles täten, diese Aufgabe ent- Aber das setzt gerade in Afghanistan und Pakistan ver- (C) schlossen anzugehen. stärkte gemeinsame Bemühungen voraus. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Weil verschiedentlich das Zusammenwirken von pri- vatem Engagement und staatlicher Hilfe erwähnt wurde, Wir leisten dazu in Deutschland einen wichtigen Bei- will ich auch Rotary International nennen, eine Organi- trag mit den Durchführungsorganisationen der Entwick- sation, die in den Kampf gegen Polio in den letzten Jah- lungszusammenarbeit, den Hilfswerken der Kirchen, ren über 1 Milliarde Euro an privaten Spenden gesteckt zahlreichen Nichtregierungsorganisationen und den un- hat – ein großartiges Zeichen zwischenmenschlicher So- terschiedlichsten Freiwilligendiensten. Allen danke ich lidarität. für diesen Dienst, bei dem die Beteiligten nicht selten er- hebliche Risiken für die eigene Gesundheit auf sich neh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- men. Herzlichen Dank! Sie sind mit ihrer Arbeit wahrlich ordneten der SPD) ein Aushängeschild für unser Gemeinwesen. Wir werden diesen Weg weiter fortsetzen müssen, ja, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem wir werden noch mehr Mittel brauchen. Der Internationa- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) le Währungsfonds hat darauf hingewiesen, dass wir auch im Bereich öffentlicher Entwicklungshilfe noch mehr tun Dieser Einsatz wirkt und sorgt vielfältig dafür, dass Men- müssen. Ich hoffe, dass andere unserem Beispiel folgen. schen besseren Zugang zu Bildung, zu sauberem Trink- Erlauben Sie mir den Hinweis: Deutschland wendet an wasser und zu besserer Schulbildung erhalten. ODA-Mitteln mehr als 70 Prozent dessen auf, was die Auf diesem Weg geht der Haushalt auch infolge der USA zur Verfügung stellen – ein Land mit fünffacher parlamentarischen Beratungen deutlich voran. Ich nen- Wirtschaftskraft. Angesichts der Tweets, mit denen der ne als Beispiel aus dem Bildungsbereich die Mittel für amerikanische Botschafter unsere Haushaltsberatungen die Globale Bildungspartnerschaft, die mit 19 Millionen liebevoll begleitet, würde ich dem neuen amerikanischen Euro zusätzlich mehr als verdoppelt wurden. Kongress gern zurufen: Make foreign aid great again! – Das wäre ein gutes Zeichen für die stärkste Demokratie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Welt, meine Damen und Herren. der SPD) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der Ich nenne den Treuhandfonds „berufliche Bildung“ der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank mit 10 Mil- sowie bei Abgeordneten der FDP) lionen Euro in den nächsten zwei Jahren. Ich weiß aus Gesprächen mit Präsident Moreno, wie wichtig dieses Natürlich geht es um mehr als um Geld. Es geht um (B) Zeichen der Sichtbarkeit gerade in Lateinamerika ge- Investitionschancen. Glückwunsch zu drei weiteren Re- (D) nommen wird. Wir stärken damit die Chancen unseres formpartnerschaften, die auf den Weg gebracht worden Modells der dualen beruflichen Ausbildung auch in die- sind! Es geht um fairen Welthandel. Das Investitionspro- sen Ländern – die Chancen, zu profitieren und zu lernen. gramm für Afrika ist ein solcher Schritt. Gemeinsam et- was zu schaffen, damit es in der Welt gerechter zugeht – Deutlich gestärkt wurde schließlich der Bereich es ist moralisch geboten; es ist in unserem Interesse. der globalen Gesundheit. Erst vor wenigen Tagen hat Deswegen stimmen wir diesem Rekordhaushalt gern zu. der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Dr. Tedros, darauf aufmerksam gemacht, dass wir im (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Jahr 2017 3,5 Millionen Malariafälle mehr zu verzeich- nen hatten als im Jahr zuvor, dass wir im zweiten Jahr in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Folge nicht im Plan sind im Hinblick auf das ehrgeizige Vielen Dank, Herr Kollege Gröhe. – Als Nächstes für Ziel, bis 2030 die Malaria zu besiegen. Deswegen ist es die AfD-Fraktion der Kollege Dietmar Friedhoff. so wichtig, dass der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria gestärkt wird, wie das (Beifall bei der AfD) der Haushalt nun vorsieht. Ich will ausdrücklich unserem ehemaligen Bundestags- und Fraktionskollegen Norbert Dietmar Friedhoff (AfD): Hauser danken, der als Vorstandsvorsitzender des Glo- Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Werte balen Fonds über Jahre entscheidend dazu beigetragen Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Bürgerinnen und hat, die Effizienz dieses Instruments zu stärken. Ich nen- Bürger! Wir, die AfD, stehen selbstverständlich zu einer ne schließlich die 50 Millionen Euro, die zusätzlich der unterstützenden humanitären Hilfe in gegenseitiger Ach- globalen Gesundheitsfazilität der Weltbank gerade für tung, die Bekämpfung der Kinder- und Müttersterblichkeit zur Verfügung gestellt werden. Die 6 Millionen Euro zur Be- (Sonja Amalie Steffen [SPD]: Das ist ja ganz kämpfung von Polio wurden schon erwähnt. Wir haben was Neues!) hier die einmalige Chance – die letzten Meter sind häufig die anstrengendsten; da darf nicht vor der Zeit nachge- wir stehen selbstverständlich zu einer zielführenden wirt- lassen werden –, eine Geißel der Menschheit wie Polio schaftlichen Zusammenarbeit, und wir stehen selbstver- dauerhaft zu besiegen. ständlich zu einer fordernden und fördernden nachhalti- gen Selbstentwicklung; denn genau das sind die Pfeiler (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und einer strategisch ausgerichteten, taktisch klugen Selbst- der SPD) entwicklungspolitik. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7399

Dietmar Friedhoff (A) Richtig ist: Wir haben beantragt, die Zusagen an die Nicht nur durch Köpfe schaffe ich Erfolg, sondern (C) Kirchen um 50 Prozent zu reduzieren. Warum? Weil eben und gerade durch der Hände Arbeit. Dazu bedarf die Projekte und Ausgaben der Kirchen im Bereich der es, Herr Müller, einer neuen Selbstentwicklungspolitik. Entwicklungspolitik laut Bundesrechnungshof teilweise Dafür bedarf es dreimal AfD und dreimal E. nicht nachvollziehbar sind! (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Richtig ist: Wir haben beantragt, den Titel für Vor- haben der politischen Stiftungen komplett zu streichen. Das erste AfD: A wie Arbeit, um Armut zu bekämp- Warum? Weil wir wollen, dass Selbstentwicklungspolitik fen, F wie Frauen, stark, aufgeklärt und unabhängig, kein Instrument politischer Parteien ist, wird und bleibt! (Dagmar Ziegler [SPD]: Das meinen Sie (Beifall bei der AfD) nicht ernst!) Richtig ist: Wir haben die Sonderinitiative „Fluchtur- um D wie dem demografischen Effekt in Afrika wir- sachen bekämpfen“ um 247,5 Millionen Euro gekürzt. kungsvoll zu begegnen. (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Sie kürzen (Beifall bei der AfD) nichts! Gott sei Dank! – Gegenruf des Abg. Das zweite AfD: A wie Ausbildung im Sinne unseres Stephan Brandner [AfD]: Noch nicht! Kommt mehrgliedrigen Ausbildungs- und Bildungssystems für Zeit, kommt Kürzung!) die Schaffung einer starken Mittelschicht, um F wie fi- Warum? Weil das Wenigste wirklich effektiv zur nanzielle Freiheit für Menschen und Staaten dauerhaft Fluchtursachenbekämpfung eingesetzt wird! Deswegen zu sichern, um D wie Demokratie zu gestalten und zu Umschichtung in die Sonderinitiative zu Nordafrika stärken. und Nahost, zur Schaffung eines der EU vorgelagerten Drittes AfD: A wie Aufgaben, die man stemmen kann, Grenzkorridors! um sie F wie folgerichtig zu gestalten und umzusetzen, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ um D wie dauerhaft und nachhaltig Erfolge zu generie- DIE GRÜNEN]: Das ist Entwicklungspoli- ren. tik?) (Beifall bei der AfD – Stephan Brandner Das kurz zu einigen Zahlen. Wir würden die Gesamt- [AfD]: Ganz großes Kino!) summe gern unterstützen; können wir aber nicht. Ob- Zum Abschluss die drei E, Herr Müller. Erstes E: wohl einiges gut ist, ist eben vieles absolut nicht gut, Eigenverantwortlichkeit der Partner stärken für mehr schon seit 60 Jahren nicht, und deswegen benötigt man Selbstverantwortung und Selbstentwicklung. Das for- (B) für die Zukunft ein neues, ein mutiges und ein nachhal- dert das zweite E: Entschlusskraft, Entschlossenheit zur (D) tiges System. schnellen Veränderung, Umsetzung und Gestaltung einer Am Beispiel des afrikanischen Kontinents sehen neuen, modernen und verantwortungsvollen Selbstent- wir enorme Möglichkeiten, die wir nutzen müssen, um wicklungspolitik. Migration dauerhaft zu beenden und Teilhabe zu gewähr- (Zuruf von der FDP: Pippi Langstrumpf!) leisten. Und, Herr Müller, dazu bedarf es bei allen Beteiligten (Beifall bei der AfD) und damit auf beiden Seiten eines dritten E: E wie Mut, Wie das geht? Auf der letzten Delegationsreise nach also Eier, und das nicht nur zu Ostern. Ägypten und Jordanien wurde uns von den Politikern Danke. vor Ort immer wieder eines gesagt: dass sie die deutsche Kultur und die deutschen Werte besonders schätzen. (Beifall bei der AfD – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: P wie Peinlich! – Steffi Lemke (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Weil sie das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist hier nicht haben!) keine Karnevalsveranstaltung! – Weiterer Zu- Also, man schätzt uns im Ausland genau für das, was wir ruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das gerne bereit sind aufzugeben: unsere Kultur und unsere war jetzt aber sexistisch!) Werte. (Beifall bei der AfD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das steht einfach für sich. Nun befinden sich unser Bildungs- und unser Berufs- ausbildungssystem, Herr Müller, eben im Gleichklang, Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege im System mit unserer Kultur und unseren Werten: Dis- Dr. Sascha Raabe, SPD-Fraktion. ziplin, Ausdauer, Fleiß und Genauigkeit. (Beifall bei der SPD) (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, Disziplin!) Dr. Sascha Raabe (SPD): Wer also ein deutsches Erfolgsmodell integrieren Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- möchte, muss bereit sein, von der Torte nicht nur die Sah- gen! Heute ist ein guter Tag für das Parlament und für die ne zu nehmen, sondern auch die Füllung und den Mürbe- ärmsten Menschen dieser Erde. Erinnern Sie sich an den teigboden, mag er auch noch so hart sein. 12. September zurück, als wir den eingebrachten Haus- 7400 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Dr. Sascha Raabe (A) halt hier in erster Lesung debattiert haben. Da waren wir es aufgrund des Bevölkerungswachstums noch unwahr- (C) zu Recht zornig, aber nicht mutlos, sondern kämpferisch, scheinlich viel zu tun. Denken Sie an unseren Nach- und haben gesagt: Das, was die Regierung vorgelegt hat, barkontinent Afrika. Da haben wir jetzt 1,3 Milliarden muss noch entscheidend verbessert werden. In den mitt- Menschen. Deren Zahl wird sich bis zum Jahr 2050 auf lerweile 16 Jahren, die ich diesem Parlament angehöre – 2,6 Milliarden verdoppeln. Bereits heute lebt der größ- ich bin seit 2002 im Entwicklungsausschuss und damit te Teil der etwa 1 Milliarde Menschen, die in extremer der dienstälteste Entwicklungspolitiker –, gab es noch Armut und in Hunger leben – die Zahl der Menschen, nie eine so umfangreiche positive Veränderung eines die hungern müssen, ist auf über 821 Millionen angestie- Regierungsentwurfes bis zur zweiten Lesung. Auf diese gen –, in Subsahara-Afrika. 700 Millionen Euro, die wir jetzt für die ärmsten Men- schen dieser Erde herausgeholt haben, können wir stolz Viele von unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem sein, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Entwicklungsausschuss und auch ich fahren mindestens einmal im Jahr dorthin und schauen uns an, was wir im (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Rahmen der Entwicklungsarbeit tun können, aber auch, 2002 – wenn ich das einmal Revue passieren lassen wie die Lebensverhältnisse vor Ort sind. Wenn Sie dort darf – hatten wir, Herr Minister, im Haushalt Ihres Hau- durch die Straßen gehen, dann sehen Sie erst einmal ei- ses 3,7 Milliarden Euro zur Verfügung. Die ODA-Quote nen anderen Altersaufbau, ganz viele Kinder, junge Men- lag bei 0,27 Prozent. schen, und nicht wie bei uns in Deutschland vor allem ältere Menschen. Die Kinder, die heute 7 oder 8 Jahre alt (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Da war noch sind, sind in 10 Jahren 17 oder 18 Jahre. Wenn wir es heute Heidemarie!) nicht schaffen, die Weichen so zu stellen, dass diese dann Heute liegt die ODA-Quote doppelt so hoch, bei 0,51 Pro- eine Arbeit haben, aufgrund derer sie eine menschenwür- zent, und die Mittel wurden verdreifacht. Wir durchbre- dige Perspektive in ihren Heimatländern haben, dann ist chen erstmals die 10 Milliarden Euro. Das ist wirklich doch klar, dass sie eventuell sagen werden – das kann etwas, auf das wir nicht nur stolz sein können, sondern ihnen keiner verdenken; wir würden das wahrscheinlich was auch die Verpflichtung für uns, für das Ministerium, genauso machen –: Dann versuche ich, dahin zu gehen, für uns Parlamentarier im Fachausschuss, mit sich bringt, wo ich mir eine bessere Chance für meine Kinder erhof- diese Mittel auch gut und effizient einzusetzen. fe. – Das ist den Menschen gegenüber grausam, weil sie lieber in ihren Heimatländern bleiben würden, aber stellt Es muss uns, glaube ich, klar sein – das möchte ich auch andere Länder vor Probleme. Diese Probleme kön- noch sagen, bevor ich zu den Schwerpunkten komme, nen wir logischerweise nicht alle hier lösen. Wir müssen die wir uns da vornehmen sollten –, dass es jedes Jahr deshalb schauen, dass wir vor Ort Perspektiven schaffen. (B) wieder ein Kampf sein wird, die Mittel, die wir brauchen, Jeder Euro, für den wir hier im Parlament hart gekämpft (D) auch im folgenden Jahr zu erhalten. Die Finanzplanung, haben, ist ein Euro zur Bekämpfung von Fluchtursachen, die uns vorliegt, sieht für die Jahre 2020 und 2021 schon für menschenwürdiges Leben vor Ort. Darauf sollten wir wieder deutliche Senkungen vor. Wir haben es aber in stolz sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. diesem Jahr und in den letzten Jahren immer wieder ge- schafft, das zu verhindern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Hermann Gröhe [CDU/ Natürlich sollten wir auch schauen, Herr Minister, dass CSU]) wir diese Mittel wie bisher zielgerichtet einsetzen und noch mehr den ärmsten Entwicklungsländern zukommen Ich sage aber an dieser Stelle: Das wird kein Selbstläu- lassen. Wir haben ein Ungleichgewicht in unserem Port- fer sein. Ich weiß, der Minister ist da kämpferisch, und folio – in diesem Punkt werden wir vom Entwicklungs- unsere Fraktion, unsere Fraktionsvorsitzende, unsere ausschuss der OECD immer gerügt –: Wir geben zu viel Haushälterin, unsere stellvertretende Fraktionsvorsitzen- in die Middle- und Upper-Income-Countries, also in die de und unsere Sprecherin werden sicherlich alles tun, um Länder mit mittlerem und höherem Pro-Kopf-Einkom- das gemeinsam zu verhindern. Es ist aber klar: Es wird men. Ich weiß, dass auch dort jedes Projekt berechtigt ein harter Kampf. Sie alle kennen mich hier im Haus: Ich ist. Aber wenn Sie zum Beispiel in Ländern wie Mada- werde ihn im Zweifel auch mit meinem Finanzminister gaskar oder Haiti, wo wir gerade waren, gewesen sind, führen stellen Sie fest: Da ist die Armut so himmelschreiend; da (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fehlt es wirklich am Nötigsten. Wenn Sie dort in die Ar- NEN]: Außenminister!) menviertel gehen, wo es keinen Strom, kein Wasser gibt, wo bei Regen der ganze Urin, der ganze Kot unten durch und bin zuversichtlich, dass uns das auch wieder gelin- die Hütten rauscht, weil es keine Toiletten, keine sanitäre gen wird. Versorgung gibt, dann ist das so bitter und erschütternd. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dort kann man mit wenig Geld so viel Gutes tun. Deswe- gen, glaube ich, müssen wir darauf unseren Fokus legen. Es muss uns auch gelingen, meine sehr verehrten Da- men und Herren, weil die Herausforderungen ja nicht Gleichzeitig müssen wir für faire Handelsbedingun- kleiner werden. Wir haben zwar Erfolge vorzuweisen: gen, für gute Regierungsführung sorgen. Dann bin ich Der Anteil der Hungernden und Armen an der Weltbe- zuversichtlich, dass wir mit dem, was wir heute für den völkerung ist seit 1990 gesunken; da hat die Weltgemein- Haushalt 2019 erreichen, das Leben ganz vieler Men- schaft ihre Ziele erreicht. Aber in absoluten Zahlen gibt schen verbessern können, ihnen eine Zukunft geben kön- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2018 7401

Dr. Sascha Raabe (A) nen. Lassen Sie uns daran alle gemeinsam mitwirken. Ich Klimawandel und Digitalisierung erfolgreich sein wol- (C) freue mich auf die Zusammenarbeit im nächsten Jahr. len. Danke. Es gibt Signale von China, Südkorea und weiteren Ländern, über trilaterale Aktivitäten zu sprechen; dazu (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie sollten wir bereit sein. Wir setzen aber auch auf mehr der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜND- Eigenverantwortung bei reformwilligen Ländern. Das NIS 90/DIE GRÜNEN]) heißt, dass reformbereite Länder auch mehr Mittel erhal- ten können. Hoffnungsvoll schauen wir auf Äthiopien. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Premierminister Abiy möchte Frieden, Wohlstand und Perspektiven für alle Äthiopier und hat die Aussöhnung Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Raabe. – Als letz- mit Eritrea hinbekommen. Allein deshalb lohnen sich un- ter Redner spricht zu uns der Kollege Johannes Selle, sere Anstrengungen, damit solche konstruktiven Arbei- CDU/CSU-Fraktion. ten erfolgreich werden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte noch einen Blick auf einen vergleichs- Johannes Selle (CDU/CSU): weise kleinen Haushaltstitel im BMZ werfen: Förderung Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und von Medien und der freie Zugang zu Informationen in Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Dem Dank an Entwicklungsländern. Es wird ein Mittelaufwuchs auf den Haushaltsausschuss, der in seiner letzten Sitzung an- 30 Millionen Euro vorgeschlagen; dafür bin ich dankbar. gesichts der Verzweiflung in der Welt verfügbare Mittel Das Recht auf freie Meinungsäußerung, Medienvielfalt, auch zugunsten des BMZ-Haushaltes verteilt hat, will ich Medienunabhängigkeit und der freie Zugang zu Infor- mich gerne anschließen. Damit wird für die Öffentlich- mationen ist ein Menschenrecht, das für den Aufbau von keit offensichtlich, dass das Empfinden und Erkennen demokratischen Strukturen wesentlich ist. Darüber hi- der Herausforderungen nicht auf den betroffenen Aus- naus werden wichtige Versöhnungs- und Aufarbeitungs- schuss begrenzt ist. Wir haben erfahren, dass die Frak- prozesse in den betreffenden Ländern angestoßen. Neben tionsvorsitzende der SPD wesentlichen Anteil daran hat. der Deutsche-Welle-Akademie, die alle Aktivitäten im Aber ganz besonderer Dank gilt Minister Müller, der in Bereich Medienentwicklung bündelt, können sich auch wirklich sympathischer Form jede Gelegenheit nutzt, um Nichtregierungsorganisationen mit Projektvorhaben be- auf die Herausforderungen hinzuweisen, und das Be- werben. wusstsein dafür signifikant erweitert hat. In Pakistan zum Beispiel werden Reporter an der Uni- (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) versität von Peschawar für den Einsatz in Konfliktregio- nen und Rückzugsorten der Taliban professionalisiert. In Die Menschen in Not und Verzweiflung setzen auf Uganda berichten über 100 Bürgerjournalisten mit einer uns. Das kann jeder spüren, der mit uns auf eine Rei- speziell entwickelten App über Geschehnisse in abgele- se kommt. Die Menschen mögen die Gründlichkeit und genen Gebieten, aus denen zuvor keine Nachrichten zur Sorgfalt, mit denen wir Projekte hinsichtlich Umweltver- Verfügung standen. Die NGO Agency for Open Culture träglichkeit, sozialer Auswirkungen und Nachhaltigkeit and Critical Transformation unterstützt in Uganda den abwägen. Sie wünschen sich allerdings, dass wir dabei Aufbau eines mobilen Medienausbildungszentrums, das schneller werden und noch mehr tun. von jungen südsudanesischen Medienschaffenden im Wir werden keine Probleme haben, die zur Verfügung Exil, besonders in Flüchtlingscamps genutzt wird. Ein gestellten Mittel sinnvoll einzusetzen. Der Marshallplan junger Südsudanese hat mir selbst berichtet, wie er Me- mit Afrika und der Compact with Africa nehmen an Fahrt dienschaffende ausbildet und welche Wirkung das in sei- auf und werden auch in Deutschland zunehmend positiv nem Heimatland erzielt. Genau wie bei uns stellen dort reflektiert. Ich spüre das auf den Reisen, an denen sich Fake News und Hate Speech ein großes Problem dar. Un- immer mehr Mittelständler beteiligen wollen. Ich kann abhängige Medien überwachen Regierungsarbeit, vertre- das vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft sagen; ten die Anliegen und Interessen der Bürger und helfen aber auch der Bundesverband mittelständische Wirt- uns bei der Umsetzung unserer Intentionen. schaft hat die Initiative ergriffen und jüngst die Unteror- Mit dem Haushalt können wir einen großen Schritt ganisation „Mittelstandsallianz Afrika“ gegründet. gehen. Wenn wir das gut hinbekommen, dann hilft das den Menschen in ihrer Heimat, und darauf kommt es an. Mit den richtigen Weichenstellungen kommt Dynamik in die Bewältigung der großen Aufgabe, die Armut bis (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 2030 auszuradieren und niemanden dabei zurückzulas- sen. Die zusätzlich mobilisierten Mittel sind beträchtlich Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und übertreffen unseren Haushaltsansatz. Die weiteren Vielen Dank, Herr Kollege Selle. – Damit schließe ich notwendigen Folgeschritte mit den reformwilligen Län- die Aussprache. dern und auch bei den involvierten deutschen Institutio- nen werden einen genauso hohen Einsatz verlangen. Wir Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- müssen schnell und effektiv sein und uns mit weiteren plan 23 – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- Akteuren verbinden, wenn wir bei den Themen Bevölke- menarbeit und Entwicklung – in der Ausschussfassung. rungswachstum, Globalisierung, Ressourcenknappheit, Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- 7402 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) gen? – Keine. Dann ist der Einzelplan 23 mit den Stim- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (C) men von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stim- tages auf morgen, Donnerstag, den 22. November 2018, men der anderen Fraktionen des Hauses angenommen. 9 Uhr, ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Die Sitzung ist geschlossen. Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ih- nen einen besonders schönen Abend. (Schluss: 18.13 Uhr)

Berichtigung 63. Sitzung, Seite 7263 D, zweiter Absatz, erster Satz, ist wie folgt zu lesen: „Deswegen legt Die Linke heute ein öffentliches Wohnungsbauprogramm nach Wiener Vorbild vor.“

(B) (D) Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 64 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 21 November 2018 7403

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Bahr, Ulrike SPD Möhring, Cornelia DIE LINKE

Brandenburg (Südpfalz), Mario FDP Mrosek, Andreas AfD

Bystron, Petr AfD Müller, Hansjörg AfD Dittmar, Sabine SPD Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Nolte, Jan Ralf AfD Freihold, Brigitte DIE LINKE Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ Gabriel, Sigmar SPD DIE GRÜNEN

Held, Marcus SPD Otten, Gerold AfD

Helfrich, Mark CDU/CSU Reinhold, Hagen FDP

Hellmich, Wolfgang SPD Schlund, Dr. Robby AfD (B) (D) Herdt, Waldemar AfD Schüle, Dr. Manja SPD

Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Schulz, Jimmy FDP

Höchst, Nicole AfD Skudelny, Judith FDP Hoffmann, Dr. Bettina BÜNDNIS 90/ Spaniel, Dr. Dirk AfD DIE GRÜNEN

Hollnagel, Dr. Bruno AfD Tauber, Dr. Peter CDU/CSU

Klingbeil, Lars SPD Wadephul, Dr. Johann David CDU/CSU

Komning, Enrico AfD Wagner, Andreas DIE LINKE

Mieruch, Mario fraktionslos Weiler, Dr. h. c. (NUACA) Albert (CDU/CSU

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333