04.03.2020

Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 04.03.2020

Geschäftszahl G311 2182571-1

Spruch G311 2182571-1/11E

Schriftliche Ausfertigung des am 25.10.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. Helmut BLUM, LL.M., MAS, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2017, Zahl: XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.10.2019, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben, diese werden behoben und festgestellt, dass gemäß

§ 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

XXXX wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 20.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

Am 22.05.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers zu seinem Antrag auf internationalen Schutz statt.

Die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, fand am 04.05.2017 statt.

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Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Antrag bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.), dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde dem Beschwerdeführer weiters eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

Mit dem am 04.01.2018 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom 02.01.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den ihn betreffenden Bescheid des Bundesamtes. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, der Beschwerde stattgeben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten oder allenfalls des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, zumindest aber einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen, oder den angefochtenen Bescheid aufheben und das Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 11.01.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit Schreiben vom 25.01.2018, beim Bundesverwaltungsgericht am 30.01.2018 einlangend, übermittelte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter mehrere Unterstützungsschreiben mit dem Ersuchen, diese bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.

Mit Schreiben vom 24.04.2019, beim Bundesverwaltungsgericht am 25.04.2019 einlangend, übermittelte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter weitere Unterstützungsschreiben sowie eine Bestätigung der Wohnortgemeinde über die von ihm seit mehreren Jahren ausgeübte Hilfstätigkeit am örtlichen Bauhof mit dem Ersuchen, diese bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.

Mit dem am 02.05.2019 einlangenden und mit 30.04.2019 datierten Schreiben legte der Beschwerdeführer ein Zeugnis über die von ihm bestandene Integrationsprüfung mit einem Deutsch-Sprachniveau B1 sowie eine Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs vor. Mit Schreiben vom 15.08.2019, einlangend am 19.08.2019, brachte der Beschwerdeführer weiters eine Einstellungszusage zur Vorlage.

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.10.2019 wurden der bevollmächtigten Rechtsvertretung des Beschwerdeführers und dem Bundesamt zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung ein Konvolut von aktuellen und relevanten Länderberichten zum Irak zur Kenntnisnahme übermittelt und zugleich die Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung oder der mündlichen Stellungnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingeräumt.

Mit Schreiben vom 15.10.2019 wurden seitens der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers zur Vorbereitung der mündlichen Beschwerdeverhandlung weitere Unterstützungs- und Bestätigungsschreiben, darunter eine Mitarbeiterkarte des Roten Kreuzes, seine Bewerbung zur Lehre als Prozesstechniker vom Juni 2018 sowie eine Bestätigung der Wohnortgemeinde vom 11.10.2019 über die Hilfstätigkeiten des Beschwerdeführers in der Gemeinde zwischen Oktober 2015 und September 2019.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25.10.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die arabische Sprache teilnahmen. Die belangte Behörde erschien unentschuldigt nicht zur Verhandlung und nahm auch zu den vorab übermittelten Länderberichten nicht Stellung. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als Zeugin vernommen.

Im Anschluss wurde das gegenständliche Erkenntnis gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG mündlich verkündet.

Mit am 28.10.2019 beim Bundesverwaltungsgericht einlangenden Schreiben vom selben Tag beantragte das Bundesamt fristgerecht die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

Mit Schriftsatz vom 30.10.2019 beantragte der Beschwerdeführer fristgerecht die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

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II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch, er ist ledig und hat keine Kinder (vgl etwa Erstbefragung vom 22.05.2015, S 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 04.05.2017, S 2 ff; Kopie irakischer Personalausweis sowie irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis; Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 3 ff).

Der Beschwerdeführer leidet an Neurodermitis und wird deswegen mit einer "Impfkur" medizinisch behandelt, ist aber sonst gesund und arbeitsfähig. Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen im Endstadium leidet, die im Irak nicht behandelbar wären (vgl etwa Erstbefragung vom 22.05.2015, S 3; Niederschrift Bundesamt vom 04.05.2017, S 2; Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 7 ff; diverse Einstellungszusagen und Bestätigungen über Gemeindetätigkeiten).

Geboren und aufgewachsen ist der Beschwerdeführer in Bagdad, wo er von 1994 bis 2003 lebte und auch die ersten drei Jahre der Grundschule besuchte. Dann übersiedelte er mit seiner Familie nach XXXX im Gouvernement Anbar, wo er den Rest seiner Schulbildung bis zur Matura abschloss. Von 2013 bis 2014 studierte er in XXXX ein Jahr Politikwissenschaften. In dieser Zeit wohnte er im Studentenwohnheim in XXXX. Im Zuge der Eroberungen durch den IS im Jahr 2014 im Gouvernement Anbar flüchtete der Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seinen beiden Brüdern im August 2014 nach Bagdad zum Großvater. Der Vater des Beschwerdeführers verstarb bereits 2013 an einem Herzinfarkt. In der Folge kam die Mutter durch ihre Arbeit als Grundschullehrerin für Englisch für den Familienunterhalt auf. Nach der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Irak blieben seine Mutter und seine beiden Brüder weiterhin in Bagdad, bis auch der Großvater verstarb. Im Jänner 2018 verließen auch sie den Irak und leben seither in der Türkei. Er hat mit seiner Familie in der Türkei etwa einmal pro Monat telefonischen Kontakt. Weiters hat der Beschwerdeführer noch zu im Irak lebenden Freunden Kontakt (vgl etwa Erstbefragung vom 22.05.2015, S 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 04.05.2017, S 3 f; Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 3 ff).

Der Beschwerdeführer reiste mit seiner Mutter und seinen beiden Brüdern am 06.08.2014 mit dem Taxi von XXXX/Anbar nach Bagdad. Am 17.09.2014 reiste der Beschwerdeführer alleine und legal auf dem Luftweg von Bagdad nach Ankara/Türkei aus. Er blieb daraufhin bis 05.05.2015 in der Türkei und reiste dann ab Izmir/Türkei schlepperunterstützt über Griechenland, Nordmazedonien, Serbien und weitere "unbekannte Länder" bis nach Österreich, wo er am 20.05.2015 einreiste und am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl etwa Erstbefragung vom 22.05.2015, S 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 04.05.2017, S 3 ff; Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 5 ff).

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Asylantragstellung ununterbrochen im Bundesgebiet auf und verfügt im Bundesgebiet seit 23.05.2015 bis zum Entscheidungszeitpunkt über durchgehende Hauptwohnsitzmeldungen. Er ist strafgerichtlich unbescholten (vgl Auszug aus dem Zentralen Melderegister sowie dem Strafregister jeweils vom 25.10.2019).

In Österreich führt der Beschwerdeführer seit etwa März 2018 eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen, die als Bibliothekarin an der Akademie der XXXX arbeitet. Der Beschwerdeführer ist in das Familienleben seiner Freundin integriert und nimmt regelmäßig an gemeinsamen Treffen, Weihnachts- und Osterfeiern teil (vgl Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 6 ff; Konvolut aktenkundiger Unterstützungsschreiben).

Von Oktober 2015 bis September 2019 arbeitete der Beschwerdeführer durchgehend für durchschnittlich 22 Stunden im Monat als Hilfsarbeiter seiner damaligen Wohnortgemeinde am Bauhof und erhielt dafür auch monatlich zwischen EUR 90,00 und EUR 110,00 an Remuneration von der Gemeinde (vgl etwa Bestätigungen der Marktgemeinde XXXX vom 30.01.2018 und vom 11.10.2019). Einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit ist der Beschwerdeführer im Bundesgebiet bisher nicht nachgegangen, er bezog zusätzlich zu seinen Leistungen bei der Gemeinde auch Grundversorgung. Zum Entscheidungszeitpunkt bezieht der Beschwerdeführer aber keine Grundversorgungsleistungen mehr (vgl Auszug aus den Grundversorgungsdaten vom 25.10.2019). Weiters war der Beschwerdeführer als Mitarbeiter beim Roten Kreuz aktiv, indem er dort wegen seiner guten Englisch-Kenntnisse gedolmetscht hat und bei diversen Tätigkeiten als Hausarbeiter mitarbeitete. Er hat weiters einen Erste-Hilfe-Grundkurs besucht (vgl etwa Bestätigung des Roten Kreuzes vom 09.05.2019; Kopie Mitarbeiterausweis Rotes Kreuz; Bescheinigung Erste-Hilfe-Grundkurs vom 27.08.2019) und konnte eine Zusage für Schnuppertage und allfällig folgend einen Ausbildungsplatz als www.ris.bka.gv.at Seite 3 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Elektroinstallationstechniker vom 31.07.2019 vorlegen (vgl aktenkundige Bestätigung; Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 6). Der Beschwerdeführer hat viele österreichische Freunde, mit welchen er seine Freizeit verbringt (vgl ua die zahlreichen aktenkundigen Unterstützungsschreiben).

Weiters hat der Beschwerdeführer am 15.03.2019 die Integrationsprüfung mit Sprachkompetenzen in Deutsch auf Niveau B1 sowie zu Werte- und Orientierungswissen bestanden (vgl aktenkundiges Zeugnis zur Integrationsprüfung vom 15.03.2019). Der Beschwerdeführer spricht sehr gut Deutsch und konnte die in der mündlichen Verhandlung an ihn gerichteten Fragen zu seiner Integration problemlos auf Deutsch beantworten (vgl Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 6).

Insgesamt liegen maßgebliche Anhaltspunkte für eine Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht vor.

Der Beschwerdeführer ist weder im Irak noch einem anderen Land vorbestraft, er war nie politisch tätig oder Mitglied einer politischen Partei, er hatte keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit, keine Probleme mit Behörden, Gerichten oder der Polizei im Irak, er hat nie an bewaffneten Auseinandersetzungen teilgenommen und war kein Mitglied einer radikalen oder extremistischen Gruppierung.

Im Zuge der Eroberungen des IS im Gouvernement Anbar kamen am 05.08.2014 zwei IS-Mitglieder zum Elternhaus des Beschwerdeführers in Al Haditheh und stellten die Familie vor die Wahl, dass sie die männlichen Mitglieder, insbesondere der Beschwerdeführer, mit ihnen mitkämpfen oder andernfalls getötet würden. Die Familie entschied sich deswegen, zum Großvater nach Bagdad zu flüchten. Dazu nahmen sie am 06.08.2014 ein Taxi, welches sie auf Schleichwegen durch die Wüste zur Umgehung von Checkpoints nach Bagdad brachte. Dort angekommen, beschloss die Mutter des Beschwerdeführers, dass er den Irak so schnell wie möglich verlassen müsste. Ein Flugticket konnte er jedoch erst für 17.09.2014 erlangen.

Der Beschwerdeführer trägt einen sunnitisch konnotierten Namen. Aus Angst vor Verfolgung durch schiitische Milizen in Bagdad bzw. Beschimpfungen/Benachteiligungen durch die Schiiten hat er zwischen 06.08.2014 und 17.09.2014 das Haus des Großvaters in Bagdad nicht verlassen. Eine konkrete, persönliche Verfolgung oder Bedrohung des Beschwerdeführers im Irak wegen seiner Zugehörigkeit zu den Sunniten bzw. wegen seines sunnitisch konnotierten Namens konnte nicht festgestellt werden.

Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:

Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht zur Vorbereitung der mündlichen Beschwerdeverhandlung mit Schreiben vom 15.10.2019 in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich ein Konvolut aus fallbezogen relevanten aktueller Länderberichte samt den angeführten Quellen (mit Stand Oktober 2019) auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses erhoben.

Daraus ergibt sich auszugsweise:

1. Sicherheitslage:

1.1. Allgemeine Sicherheitslage:

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen www.ris.bka.gv.at Seite 4 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 19.07.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): : Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf, Zugriff 29.10.2018

- MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_im proving/10061710, Zugriff 30.10.2018

1.2. Islamischer Staat (IS):

1.2.1. Islamischer Staat - Stand LIB vom 20.11.2018:

Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).

Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018).

Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018).

Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).

Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).

Quellen: www.ris.bka.gv.at Seite 5 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- Atlantic (31.8.2018): ISIS Never Went Away in Iraq, https://www.theatlantic.com/international/archive/2018/08/iraq-isis/569047/, Zugriff 30.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf, Zugriff 29.10.2018

- ISW - Institute for the Study of War (2.10.2018): ISIS's Second Resurgence, https://iswresearch.blogspot.com/2018/10/isiss-second-resurgence.html, Zugriff 30.10.2018

- Jamestown Foundation (28.7.2018): Is Islamic State Making Plans for a Comeback in Iraq?, https://jamestown.org/program/is-islamic-state-making-plans-for-a-comeback-in-iraq/, Zugriff 30.10.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (3.7.2018): June 2018 Islamic State Rebuilding In Rural Areas Of Central Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/june-2018-islamic-state-rebuildingin.html, Zugriff 30.10.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To While Overall Security In Iraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-statereturns-to-baghdad- while.html, Zugriff 30.10.2018

- Niqash (12.7.2018): Extremists Intimidate, Harass, Dislocate Locals In Salahaddin, Then Take Over, http://www.niqash.org/en/articles/security/5951/, Zugriff 30.10.2018

- WP - Washington Post (17.7.2018): ISIS is making a comeback in Iraq just months after Baghdad declared victory, https://www.washingtonpost.com/world/isis-is-making-a-comebackin-iraq-less-than-a- year-after-baghdad-declared-victory/2018/07/17/9aac54a6-892c-11e8-9d59- dccc2c0cabcf_story.html?noredirect=on&utm_term=.8ebfcea17e9f, Zugriff 30.10.2018

1.2.2. Islamischer Staat - Stand Kurzinformation vom 09.04.2019:

Der Islamische Staat (IS) ist im Irak weitestgehend auf Zellen von Aufständischen reduziert worden, die meist aus jenen Gebieten heraus operieren, die früher unter IS-Kontrolle standen, d.h. aus den Gouvernements Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salahaddin. Laut dem Institute for the Study of War (ISW) werden nur die Distrikte Shirqat und Tuz in Salahaddin, Makhmour in Erbil, Hawija und Daquq in Kirkuk, sowie Kifri und Khanaqin in Diyala als umkämpft angesehen (EASO 3.2019). Das ganze Jahr 2018 über führten IS-Kämpfer Streifzüge nach Anbar, Bagdad und Salahaddin durch, zogen sich dann aber im Winter aus diesen Gouvernements zurück. Die Anzahl der verzeichneten Übergriffe und zivilen Todesopfern sank daher im Vergleich zu den Vormonaten deutlich ab (Joel Wing 2.1.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- EASO - European Asylum Support Office (3.2019): Iraq; Security situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004116/Iraq_security_situation.pdf, 13.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018 , https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html, Zugriff 12.3.2019

1.2.3. Islamischer Staat - Stand Kurzinformation vom 25.07.2019:

Die folgende Karte des Institute for the Study of War (ISW) weist neben Unterstützungszonen des islamischen Staates (IS) im Irak und in Syrien auch Gebiete aus, in denen Angriffe und Manöver vom IS ausgeführt wurden, sowie Gebiete, in denen Änderungen in der Vorgehensweise des IS beobachtet wurden. Weiters werden Gebiete, die sowohl von der kurdischen Regionalregierung als auch von der irakischen Zentralregierung für sich beansprucht werden (die sogenannten "umstrittenen Gebiete") dargestellt (in grau schattierten Linien). www.ris.bka.gv.at Seite 6 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-apri/-16-2019.html, Zugriff 17.6.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Obwohl die terroristischen Aktivitäten im Irak deutlich zurückgegangen sind, stellt der islamische Staat (IS) nach wie vor eine Bedrohung dar (SCR 30.4.2019). Nachdem der IS am 23.3.2019 in Syrien das letzte von ihm kontrollierte Territorium verloren hatte (ISW 19.4.2019), kündigte er Anfang April einen neuen Feldzug an, um den Gebietsverlust in Syrien zu rächen (Joel Wing 3.5.2019). Der IS vergrößerte so seine "Unterstützungszonen" [Anm. eine Kategorie des ISW für Gebiete, in denen der IS aktive und passive Unterstützung durch die lokale Bevölkerung lukrieren kann] im Irak und weitete seine Angriffe in bedeutenden Städten, wie Mossul und Fallujah, sowie im irakischen Kurdistan aus (ISW 19.4.2019). Neu wiederorganisierte IS-Zellen verstärkten ihre Operationen und Angriffe in den Gouvernements Anbar, Babil, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninawa und Salahaddin (UNSC 2.5.2019). Das führte zu einem starken Anstieg der Angriffe in der zweiten Woche des Monats April. So erfolgten alleine in der zweiten Aprilwoche 41 der im gesamten Monat verzeichneten 97 sicherheitsrelevanten Vorfälle. Danach gingen die Vorfälle jedoch wieder auf das niedrige Niveau der Vormonate zurück (Joel Wing 3.5.2019). Für Mai 2019 wurden im Zuge der Frühjahrsoffensive des IS wieder die höchsten monatlichen Angriffszahlen seit Oktober 2018 verzeichnet (Joel Wing 5.6.2019). Es gab tägliche Berichte über IS-Kämpfer, die Hit-and-Run- Angriffe auf Sicherheitspersonal und Infrastruktur sowie Entführungen und Tötungen von lokalen Beamten und Zivilisten in Gebieten mit massiven Sicherheitslücken durchführten - vor allem in den Wüstenregionen Anbars, nahe der Grenze zu Syrien, als auch in den umstrittenen Gebieten, in denen es "Lücken" zwischen den irakischen und kurdischen Truppen gibt (Rudaw 9.5.2019).

Irakische Einheiten führten wiederholt Operationen in Rückzugsgebieten des IS durch (Rudaw 9.5.2019). Beispielsweise am 11.4.2019 in den Hamrin Bergen (ISW 19.4.2019; vgl. Kurdistan 24 11.4.2019) und am 5.5.2019 in den Gouvernements Anbar, Salahaddin und Ninewa (Xinhua 6.5.2019). Solche Operationen hatten jedoch nur begrenzten Erfolg, da sie die Operationsmöglichkeiten des IS nur geringfügig einschränkten. Eine große Herausforderung für die irakischen Streitkräfte besteht in Versäumnissen ihrer Geheimdienste. Unzureichende Ausbildung, Finanzierung, schlechte Kommunikation zwischen den Behörden des Sicherheitsapparats und damit einhergehend die mangelnde Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und zu nutzen, behindern die Aufklärungsarbeit (Rudaw 9.5.2019).

Einem Bericht des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom Februar 2019 zufolge kontrolliert der IS immer noch zwischen 14.000 und 18.000 Kämpfer im Irak und in Syrien (UNSC 1.2.2019). Nach Angaben des US- Verteidigungsministeriums, unter Berufung auf Geheimdienstquellen, verfügt der IS noch über 20.000 bis 30.000 Angehörige - Kämpfer, Anhänger und Unterstützer - im Irak und in Syrien (USDOD 7.5.2019).

Der IS hat seine Präsenz in den Gouvernements Ninewa und Anbar durch Kämpfer aus dem benachbarten Syrien erhöht. Auch das Gouvernement Diyala bleibt weiterhin ein Kerngebiet des IS, der sich auf Gebiete im Norden und Osten des Irak fokussiert. Vorfälle in Bagdad und im Süden bleiben sporadisch (Joel Wing 3.5.2019).

Im Mai 2019 hat der Islamische Staat (IS) im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern zu erheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salahaddin - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und wegen lokalen Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung AI-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Das irakische Militär und die Koalitionstruppen [Anm. die Truppen der von den USA geführten Koalition westlicher Staaten im Irak] führten eine Reihe von Angriffen gegen den IS durch, insbesondere im Gouvernement Anbar (ACLED 11.6.2019) und in den Hamrin Bergen (ISW 19.4.2019; vgl. Kurdistan 24 11.4.2019; Jane's 1.5.2019).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview - Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june- 2019/, Zugriff 18.6.2019

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (11.6.2019): Regional Overview - Middle East 11 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/12/regional-overview-middle-east-11-june- 2019/, Zugriff 18.6.2019 www.ris.bka.gv.at Seite 7 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 18.6.2019

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html, Zugriff 17.6.2019

- Jane's 360 (1.5.2019): USAF reports combat debut for F-35A, https://www.janes.com/article/88186/usaf-reports-combat-debut-for-f-35a, Zugriff 17.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new-offensive.html, Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State's Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 14.6.2019

- Kurdistan 24 (11.4.2019): Iraq launches 'large-scale' anti-ISIS operation in Hamrin Mountains, https://www.kurdistan24.net/en/news/e2d4b872-d38a-4a00-8de1-fd4a6b93d8f0, Zugriff 17.6.2019

- Rudaw (9.5.2019): Iraq not keeping up with evolving ISIS: US Defense Department, http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/090520191, Zugriff 18.6.2019

- SCR - Security Council Report (30.4.2019): May 2019 Monthly Forecast, https://www.securitycouncilreport.org/monthly-forecast/2019-05/iraq-3.php, Zugriff 1.7.2019

- UNSC - UN Security Council (2.5.2019): Implementation of resolution 2421 (2018); Report of the Secretary-General [S/2019/365], https://www.ecoi.net/en/file/local/2008023/S_2019_365_E.pdf, Zugriff 17.6.2019

- UNSC - United Nations Security Council (1.2.2019): Eighth report of the Secretary-General on the threat posed by ISIL (Da'esh) to international peace and security and the range of United Nations efforts in support of Member States in countering the threat, https://www.un.org/sc/ctc/wp- content/uploads/2019/02/N1901937_EN.pdf, Zugriff 18.6.2019

- USDOD - US Department of Defense (7.5.2019): Operation Inherent Resolve - Lead Inspector General report to the United States Congress, January 1, 2019, March 31, 2019, https://media.defense.gov/2019/May/07/2002128675/-1/- 1/1/LIG%20OCO%20OIR%20Q2%20MARCH2019.PDF, Zugriff 18.6.2019

- Xinhua (6.5.2019): 8 IS militants killed in operation in western Iraq desert, http://www.xinhuanet.com/english/2019-05/06/c_138036239.htm, Zugriff 18.6.2019

1.3. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen:

1.3.1. Sicherheitsrelevante Vorfälle - Stand LIB vom 20.11.2018:

Der Irak verzeichnet derzeit die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (Joel Wing 5.4.2018). Die Sicherheitslage ist in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, insgesamt hat sich die Lage jedoch verbessert (MIGRI 6.2.2018).

So wurden beispielsweise im September 2018 vom Irak-Experten Joel Wing 210 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 195 Todesopfern im Irak verzeichnet. Dem standen im September des Jahres 2017 noch 306 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 728 Todesopfern gegenüber. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im September 2018 waren Bagdad mit 65 Vorfällen, Diyala mit 36, Kirkuk mit 31, Salah al-Din mit 21, Ninewa mit 18 und Anbar mit 17 Vorfällen (Joel Wing 6.10.2018).

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Die folgende Grafik von ACCORD zeigt, im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im zweiten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im zweiten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 5.9.2018).

ACCORD (5.9.2018): Irak, 2. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus ACLED, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442566/193015362173742018q2iraq-de.pdf, Zugriff 29.10.2018 [Grafik gelöst, Anm.]

Laut Angaben von UNAMI, der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak, wurden im September 2018 im Irak insgesamt 75 irakische Zivilisten durch Terroranschläge, Gewalt und bewaffnete Konflikte getötet und weitere 179 verletzt (UNAMI 1.10.2018). Insgesamt verzeichneteUNAMI im Jahr 2017 3.298 getötete und 4.781 verwundete Zivilisten. Nicht mit einbezogen in diesen Zahlen waren zivile Opfer aus der Provinz Anbar im November und Dezember 2017, für die keine Angaben verfügbar sind. Laut UNAMI handelt es sich bei den Zahlen um absolute Mindestangaben, da die Unterstützungsmission bei der Überprüfung von Opferzahlen in bestimmten Gebieten eingeschränkt ist (UNAMI 2.1.2018). Im Jahr 2016 betrug die Zahl getöteter Zivilisten laut UNAMI noch 6.878 bzw. die verwundeter Zivilisten 12.388. Auch diese Zahlen beinhalten keine zivilen Opfer aus Anbar für die Monate Mai, Juli, August und Dezember (UNAMI 3.1.2017)

Die folgenden Grafiken von lraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle, dokumentierte IBC im September 2018 241 zivile Todesopfer im Irak. Im September 2017 betrug die Zahl von IBC dokumentierter ziviler Todesopfer im Irak 490; im September 2016 935. Insgesamt dokumentierte IBC von Januar bis September 2018 2.699 getötete Zivilisten im Irak. Im Jahr 2017 dokumentierte IBC 13.178 zivile Todesopfer im Irak; im Jahr 2016 betrug diese Zahl 16.393 (IBC 9.2018).

IBC - lraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence, https://www.iraqbodycoun t.org/database/, Zugriff 31.10.2018 [Grafik gelöscht, Anm.]

IBC - lraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence, https://www.iragbodycount.org/database/, Zugriff 31.10.2018 [Grafik gelöscht, Anm.]

Quellen:

- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (5.9.2018): Irak, 2. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/1442566/1930 1536217374 2018q2irag-de.pdf, Zugriff 29.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- IBC - lraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence, https://www.iragbodycount.org/database/, Zugriff 31.10.2018

- Joel Wing - Musings on lraq (5.4.2018): lraq Witnessing Fewest Security lncidents Since 2003, http://musingsonirag.blogspot.com/2018/04/iraq-witnessing-fewest-securi.thytml, Zugriff 02.11.2018

- Joel Wing - Musings on lraq (6.10.2018): lslamic State Returns To Baghdad While Overall Security In lraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-state•returns-to-baghdad- while.html, Zugriff 30.10.2018

- MIGRI - Finnische lmmigrationsbehörde (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in lraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish immigrationservicereportsecurityiniraqvariablebutimproving/10061710, Zugriff 30.10.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in lraq (3.1.2017): UN Casualties Figures for lraq for the Month of December 2016, http://www.unirag.org/index.php?option=comk2&view=item&id=6611:un- casualties-figures-for-irag-for-the-month-of-december-2016&Itemid=633&Iang=en, Zugriff 31.10.2018 www.ris.bka.gv.at Seite 9 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in lraq (2.1.2018): UN Casualty Figures for lraq for the Month of December 2017, http://www.unirag.org/index.php?option=comk2&view=item&id=8427:un- casualty-figures-for-irag-for-the-month-of-december-2017&Itemid=633&Iang=en, Zugriff 31.10.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in lraq (1.10.2018): UN Casualty Figures for lraq for the Month of September 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=comk2&view=item&id=9687:un- casualty-figures-for-irag-for-the-month-of-september-2018&Itemid=633&Iang=en, Zugriff 31.10.2018

1.3.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle - Stand Kurzinformation vom 09.04.2019:

Liveuamap Live Universal Awareness Map, https://irag.liveuamap.com/en/time/01.04.2019, Zugriff 1.4.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Seit Sommer 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Irak zurückgegangen. Im Dezember 2018 wurde ein Rekordtief an Sicherheitsvorfällen registriert (Joel Wing 2.1.2019). Anfang 2019 ist diese Zahl wieder leicht angestiegen, wobei die Monate Jänner und Februar in etwa die gleichen Zahlen an Angriffen und Opfern aufweisen (Joel Wing 4.3.2019). Für März 2019 wurde die niedrigste, je vom Irak-Experten Joel Wing registriere Zahl von Sicherheitsvorfällen verzeichnet (Joel Wing 3.4.2019).

Die folgende Grafik von lraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar (IBC 3.2019). lraq Bodycount (3.2019): Month/y civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 1.4.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für Dezember 2018 sind 155 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im Jänner 2019 wurden von IBC 323 und im Februar 2019 271 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert (IBC 3.2019). lraq Bodycount (3.2019): Month/y civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 1.4.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- IBC - Iraq Bodycount (3.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (4.3.2019): Islamic State Might Be Coming Out Of Its Winter Hibernation In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/islamic-state-might-be-coming-out-of.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.4.2019): Iraq Saw Lowest Violence Ever March 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/iraq-saw-lowest-violence-ever-march-2019.html, Zugriff 4.4.2019

1.3.3. Sicherheitsrelevante Vorfälle - Stand Kurzinformation vom 25.07.2019:

Die folgende Karte von liveuamap zeigt die Einteilung des Irak in offiziell von der irakischen Zentralregierung kontrollierte Gouvernements (in rosa), die autonome Region Kurdistan (KRG) (in gelb) und Gebiete unter der weitgehenden Kontrolle von Gruppen des Islamischen Staates (IS) (in grau). Die Symbole kennzeichnen dabei Orte und Arten von sicherheitsrelevanten Vorfällen, wie Luftschläge, Schusswechsel/-attentate, Sprengstoffanschläge/Explosionen, Granatbeschuss, u.v.m.

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Liveuamap Live Universal Awareness Map (30.6.2019): Map of Iraq, https://iraq.liveuamap.com/enltime/30.06.2019, Zugriff 30.6.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Die folgende Grafik von Iraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar (IBC 7.2019). lraq Bodycount (7.2019): Month/y civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iragbodycount.org/database/, Zugriff 17.7.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für April 2019 sind 140 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im Mai 2019 wurden von IBC 166 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert (IBC 7.2019). lraq Bodycount (7.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iragbodycount.org/databasel/, Zugriff 17.7.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats April 2019 99 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 105 Toten und 100 Verletzten verzeichnet. 36 Tote gingen auf Funde älterer Massengräber im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im April auf 69 reduziert werden kann. Die meisten Opfer gab es in den Gouvernements Diyala und Ninewa (Joel Wing 3.5.2019).

Im Mai 2019 verzeichnet Joel Wing 137 sicherheitsrelevante Vorfälle, von denen 136 auf den islamischen Staat (IS) zurückgehen (Joel Wing 5.6.2019). Bei einem dieser Vorfälle handelte es sich um einen Raketenbeschuss der "Green Zone" in Bagdad durch eine mutmaßlich pro-iranische Gruppe (Joel Wing 5.6.2019; vgl. OS 19.5.2019). Insgesamt wurden im Mai 163 Todesfälle und 200 Verwundete registriert, wobei 35 Tote auf einen Massengräberfund im Bezirk Sinjar in Ninewa zurückgehen (Joel Wing 5.6.2019).

Im Juni 2019 wurden von Joel Wing 99 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Da jedoch zwei Hauptquellen zur Sicherheitslage im Irak den gesamten Monat Juni über offline waren, kann es sein, dass es tatsächlich mehr Angriffe gab, als registriert wurden. Sechs Vorfälle werden pro- iranischen Gruppen zugeschrieben, die mutmaßlich wegen der Spannungen zwischen den USA und dem Iran ausgeführt wurden (Joel Wing 1.7.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- IBC - Iraq Bodycount (7.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 17.7.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new-offensive.html, Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State's Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (1.7.2019): Violence Dips During Islamic State's Latest Offensive, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/07/violence-dips-during-islamic-states.html, Zugriff 3.7.2019

1.4. Sicherheitslage Bagdad:

1.4.1. Sicherheitslage Bagdad - Stand LIB vom 20.11.2018:

Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus www.ris.bka.gv.at Seite 11 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die oben genannten Ereignisse im Zusammenhang mit der Bekämpfung des IS im Zentralirak. Im Laufe der Jahre 2016 und 2017 kam es jedoch im Stadtgebiet von Bagdad zu mehreren Anschlägen bzw. Selbstmordattentaten auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern, die sich, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS, gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden.

Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch in Bagdad als die Schlacht um Mossul begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS- Aktivität, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Darüber hinaus sind sunnitische Bewohner der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt, einschließlich Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen (OFPRA 10.11.2017).

Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.4.2018).

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).

Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 6.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt bedenkt, sind Angriffe immer noch selten (Joel Wing 9.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).

In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018). Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- Joel Wing - Musings on Iraq (8.7.2017): 3,230 Dead, 1,128 Wounded In Iraq June 2017, https://musingsoniraq.blogspot.com/2017/07/3230-dead-1128-wounded-in-iraq-june-2017.html, Zugriff 1.11.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (4.10.2017): 728 Dead And 549 Wounded In September 2017 In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2017/10/728-dead-and-549-wounded-in-september.html, Zugriff 1.11.2018 www.ris.bka.gv.at Seite 12 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- Joel Wing - Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To Baghdad While Overall Security In Iraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-state-returns-to-baghdad- while.html, Zugriff 30.10.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (9.10.2018): Security In Iraq Oct 1-7, 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/security-in-iraq-oct-1-7-2018.html, Zugriff 1.11.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (30.10.2018): Security In Iraq Oct 22-28, 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/security-in-iraq-oct-22-28-2018.html, Zugriff 1.11.2018

- OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 31.10.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (1.2.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of January 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8500:un- casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-january-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (2.3.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of February 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8643:un- casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-february-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (4.4.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of March 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8801:un- casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-march-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (31.5.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of May 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9155:un- casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-may-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (1.8.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of July 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9402:un- casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-july-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (3.9.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of August 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9542:un- casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-august-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (1.10.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of September 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9687:un- casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-september-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 31.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

1.4.2. Sicherheitslage Bagdad - Stand Kurzinformation vom 09.04.2019:

Aufständische haben mittlerweile die meisten ihrer Ressourcen aus Bagdad abgezogen, einst das Hauptziel des Terrorismus (Joel Wing 4.3.2019). Im Dezember 2018 wurden 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten (Joel Wing 2.1.2019) verzeichnet, bzw. 17 Tote und drei Verwundete (UNAMI 3.1.2019). Im Jänner 2019 wurden zwölf sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten erfasst (Joel Wing 4.2.2019), im Februar dagegen nur noch sieben Vorfälle mit sieben Toten (Joel Wing 4.3.2019) und im März vier Vorfälle mit fünf Toten und fünf verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Dabei handelte es sich meist um Schießereien/Schussattentate in den Vorstädten und Dörfern des Gouvernements (Joel Wing 4.3.2019).

Der IS behielt jedoch eine latente Präsenz nördlich von Bagdad und begann damit seine Unterstützungszone weiter auszubauen (ISW 7.3.2019). Er verfügt in Bagdad und den Bagdad Belts über mehrere aktive Zellen (EASO 3.2019). Der nördliche "Bagdad-Belt" dient dabei als Transferroute von Kämpfern zwischen den Gouvernements Anbar, Salahaddin und Diyala, während das sogenannte "Dreieck des Todes" im südlichen Bagdad-Belt IS-Gruppen in den Gouvernements Anbar, Bagdad und Babil verbindet. Irakische Sicherheitskräfte www.ris.bka.gv.at Seite 13 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

(ISF) haben seit Dezember 2018 mehrere IS-Kämpfer an Kontrollpunkten entlang der Autobahnen, die das Gouvernement Babil mit Bagdad verbindet, festgenommen und im Februar 2019 180 Personen mit Verbindungen zum IS verhaftet (ISW 7.3.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- EASO - European Asylum Support Office (3.2019): Iraq; Security situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004116/Iraq_security_situation.pdf, 13.3.2019

- ISW - Institute for the Study of War (7.3.2019): ISIS Re-Establishes Historical Sanctuary in Iraq, https://iswresearch.blogspot.com/2019/03/isis-re-establishes-historic-sanctuary.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (4.2.2019): Slight Uptick In Islamic State Ops In Iraq As New Year Begins, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/02/slight-uptick-in-islamic-state-ops-in.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (4.3.2019): Islamic State Might Be Coming Out Of Its Winter Hibernation In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/islamic-state-might-becoming-out-of.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.4.2019): Iraq Saw Lowest Violence Ever March 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/iraq-saw-lowest-violence-ever-march-2019.html, Zugriff 4.4.2019

- UNAMI - United Nations Assistance Mission for Iraq (3.1.2019): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of December 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=10269:un-casualty-figures-for-iraq- for-the-month-of-december-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 12.3.2019

1.4.3. Sicherheitslage Bagdad - Stand Kurzinformation vom 25.07.2019:

Laut Joel Wing ist Bagdad ist eine weitgehend vergessene Front des Islamischen Staates (IS). Seit Anfang des Jahres 2019 wurden dort wochenweise überhaupt keine terroristischen Aktivitäten verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Der IS versucht jedoch wieder in Bagdad Fuß zu fassen (Joel Wing 3.5.2019) und baut seine "Unterstützungszone" im südwestlichen Quadranten der "Bagdad- Belts" wieder auf, um seine Aktivitäten im Gouvernement Anbar mit denen in Bagdad und dem Südirak zu verbinden (ISW 19.4.2019). Alle im Gouvernement Bagdad verzeichneten Angriffe betrafen nur die Vorstädte und Dörfer im Norden, Süden und Westen (Joel Wing 3.5.2019; vgl. Joel Wing 1.7.2019). Während es sich dabei üblicherweise nur um kleinere Schießereien und Schussattentate handelte, wurden im Juni, bei einem kombinierten Einsatz eines improvisierten Sprengsatzes mit einem Hinterhalt für die den Vorfall untersuchenden, herankommenden irakischen Sicherheitskräfte, sechs Soldaten getötet und 15 weitere verwundet (Joel Wing 1.7.2019).

Im April 2019 wurden zehn sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement Bagdad verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Diese führten zu sieben Toten und einer verwundeten Person (Joel Wing 1.5.2019). Auch im Mai 2019 wurden zehn Vorfälle erfasst, mit 16 Toten und 14 Verwundeten. Ein weiterer mutmaßlicher Vorfall, eine Autobombe in Sadr City betreffend, ist umstritten (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni gab es 13 Vorfälle mit 15 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 1.7.2019).

Am 19.5.2019 ist eine Rakete des Typs Katjuscha in der hoch gesicherten Grünen Zone in der irakischen Hauptstadt Bagdad, Standort der US-Botschaft, sowie einiger Ministerien und des Parlaments, eingeschlagen und explodiert. Verletzte oder Schäden habe es laut dem irakischen Militär nicht gegeben (DS 19.5.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

www.ris.bka.gv.at Seite 14 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- Der Standard (19.5.2019): Rakete schlägt in Grüner Zone in Bagdad ein, https://derstandard.at/2000103450186/Rakete-schlaegt-in-Gruener-Zone-in-Bagdad-ein, Zugriff 14.6.2019

- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html, Zugriff 17.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-newoffensive.html, Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State's Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (1.7.2019): Violence Dips During Islamic State's Latest Offensive, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/07/violence-dips-during-islamic-states.html, Zugriff 3.7.2019

1.4.4. Proteste und Ausgangssperre in Bagdad und Südirak - Stand Kurzinformation vom 04.10.2019:

Betreffend die seit Anfang Oktober 2019 im Irak stattfindenden gewalttätigen Demonstrationen und die damit im Zusammenhang stehende Sicherheitslage wird auf die unter Punkt 3.4. (Politische Lage - Protestbewegung) dargelegten Ausführungen der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 04.10.2019 verwiesen.

1.5. Sicherheitslage Autonome Region Kurdistan / Kurdische Region im Irak:

1.5.1. Sicherheitslage Kurdistan - Stand LIB vom 20.11.2018:

In Erbil bzw. Sulaymaniya und unmittelbarer Umgebung erscheint die Sicherheitssituation vergleichsweise besser als in anderen Teilen des Irak. Allerdings ist die derzeitige Sicherheitssituation aufgrund der andauernden Kämpfe, in die teilweise auch die kurdischen Streitkräfte (Peshmerga) und diverse Milizen eingebunden sind, besorgniserregend. Insbesondere Einrichtungen der kurdischen Regionalregierung und politischer Parteien sowie militärische und polizeiliche Einrichtungen können immer wieder Ziele terroristischer Attacken sein (BMEIA 1.11.2018).

Die türkische Armee führt regelmäßig (teilweise im Abstand von wenigen Tagen) Luftangriffe auf PKK-Ziele in der kurdischen Autonomieregion im Irak durch. Beide Seiten (sowohl die Türkei als auch die PKK) geben wenig Informationen über die Opfer. In Einzelfällen handelt es sich um Zivilisten (CEDOCA 14.3.2018).

Nachdem die Kurdische Demokratische Partei des Iran (KDPI) ihre bewaffneten Aktivitäten im Jahr 2015 wieder aufnahm, fanden 2016 zum ersten Mal seit zehn Jahren auch wieder iranische Angriffe auf KDPI-Ziele in der Autonomen Region Kurdistan-Irak statt (CEDOCA 14.3.2018). Iranische Revolutionsgarden führten gezielte Tötungen von KDPI-Mitgliedern in der Autonomen Region Kurdistan durch (Al Monitor 7.3.2018). Der Iran hat in der Vergangenheit auch bewaffnete kurdische Oppositionsgruppen im Irak beschossen. Auch im September 2018 kam es zu einem tödlichen Raketenangriff der iranischen Revolutionsgarden auf die KDPI im Irak (Reuters 8.9.2018; vgl. RFE/RL 9.9.2018).

Quellen:

- Al Monitor (7.3.2018): Assassinations mount as Iranian Kurdish militants clash with Tehran, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/03/iran-kdpi-kurdish-opposition-iraq-assassinations- rahmani.html, Zugriff 1.11.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (1.11.2018): Reiseinformation: Irak, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/irak/, Zugriff 1.11.2018

- CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides (14.3.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans la Région autonome du Kurdistan,

www.ris.bka.gv.at Seite 15 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak._situation_securitaire_dans_la_region_ autonome_du_kurdistan_0.pdf, Zugriff 1.11.2018

- Reuters (8.9.2018): Iran attacks Iranian Kurdish opposition group base in Iraq, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-iran/iran-attacks-iranian-kurdish-opposition-group-base- in-iraq-idUSKCN1LO0KZ, Zugriff 1.11.2018

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (9.9.2018): Iran's Revolutionary Guards Confirm Deadly Missile Strikes On Kurdish Rebels In Iraq, https://www.rferl.org/a/at-least-11-iranian-kurdish-fighters-killed-in-attack-rebels-blame-on- tehran/29479697.html, Zugriff 1.11.2018

1.5.2. Sicherheitslage Kurdistan - Stand Kurzinformation vom 09.04.2019:

In Nordkurdistan setzte die Türkei ihre Angriffe auf PKK-Stellungen fort. Zwei Treffer durch Luftschläge in Ninewa zogen letztlich einen Protest der irakischen Regierung nach sich. Die Türkei gab jedoch bekannt, ihre Aktionen fortführen zu wollen (Joel Wing 2.1.2019). Als Folge eines Luftangriffs, bei dem mutmaßlich einige Zivilisten ums Leben kamen, stürmte eine aufgebrachte Menge einen Posten der türkischen Armee nahe Dohuk, wobei eine Person ums Leben kam und zehn verletzt wurden (BBC 26.1.2019). Im Dezember 2018 wurden zwölf Luftschläge mit 31 Toten registriert (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 elf mit 35 Toten (Joel Wing 4.2.2019) und im März zwei Vorfälle mit 32 Toten und 10 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Zusammenstöße zwischen türkischen Soldaten und kurdischen Kämpfern hatten Todesopfer auf beiden Seiten zur Folge (Joel Wing 26.3.2019). Am 30.3.2019 bombardierte die türkische Luftwaffe erneut PKK-Stellungen im Qandil Gebirge (BAMF 1.4.2019).

Der IS rekrutiert in der kurdischen Autonomieregion (ISW 7.3.2019).

Quellen:

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.4.2019): Briefing Notes 1 April 2019, per E-Mail

- BBC News (29.1.2019): Kurdish protesters storm Turkish military camp in Iraq, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-47015699, Zugriff 13.3.2019

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- ISW - Institute for the Study of War (7.3.2019): ISIS Re-Establishes Historical Sanctuary in Iraq, https://iswresearch.blogspot.com/2019/03/isis-re-establishes-historic-sanctuary.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018 , https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (4.2.2019): Slight Uptick In Islamic State Ops In Iraq As New Year Begins, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/02/slight-uptick-in-islamic-state-ops-in.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (26.3.2019): Security In Iraq Mar 15-21, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/security-in-iraq-mar-15-21-2019.html, Zugriff 27.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.4.2019): Iraq Saw Lowest Violence Ever March 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/iraq-saw-lowest-violence-ever-march-2019.html, Zugriff 4.4.2019

1.5.3. Sicherheitslage Kurdistan - Stand Kurzinformation vom 25.07.2019:

Der Islamische Staat (IS) erweitert seine Netzwerke im irakischen Kurdistan. Es wird vermutet, dass er versucht diese mit seinen wieder auflebenden Unterstützungszonen in den Gouvernements Kirkuk und Diyala zu verbinden. Einheiten der Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] konnten laut eigenen Angaben seit Jänner 2019 unter anderem drei arabische IS-Zellen sprengen - in Sulaymaniyah City, in Chamchamal, zwischen Sulaymaniyah www.ris.bka.gv.at Seite 16 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 und der Stadt Kirkuk, sowie in Kalar, im Nordosten des Diyala Flußtales. Am 11. April verhafteten die Asayish einen IS-Kämpfer, der für das Schleusen von Kämpfern zwischen Kirkuk Stadt, Hawija und Dibis im Gouvernement Kirkuk verantwortlich war (ISW 19.4.2019).

Die türkische Luftwaffe führte in den Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniya Luftangriffe durch und verursachte materielle Schäden, ohne dass jedoch Verluste an Menschenleben gemeldet wurden. Zwischen 14. Februar und 9. April meldeten die türkischen Streitkräfte mindestens zwölf Einsätze sowie zwei Zusammenstöße mit Einheiten der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (UNSC 2.5.2019). Am 27.5.2019 startete das türkische Militär die "Operation Klaue" mit dem Ziel PKK-Hochburgen im Nordirak, in der Region Qandil zu beseitigen (ACLED 2.7.2019; vgl. Al Jazeera 28.5.2019). Nach einer anfänglich defensiven Haltung der PKK kam es zu einer Zunahme der Angriffe auf die türkischen Streitkräfte, insbesondere im Südosten der Türkei, wie den Bezirk Cukurca in der Provinz Hakkari. Kurdische Einheiten zogen sich dabei grenzüberschreitend auch in den Iran zurück (ACLED 2.7.2019). Über 60 PKK-Kämpfer wurden seit Beginn der "Operation Klaue" als "neutralisiert" (d.h. getötet, gefangen genommen oder verletzt) gemeldet (ACLED 11.6.2019; vgl. ACLED 2.7.2019). Ebenso wurde die Zerstörung von Sprengmittel (Landminen, IEDs) und Verstecken der PKK gemeldet (ACLED 11.6.2019; vgl. Reuters 8.6.2019).

Türkisches Bombardement, das die Ortsränder dreier Dörfer im Bezirk Amadiya im Gouvernement Dohuk traf, zwang deren Einwohner zur Flucht (Kurdistan 24 9.4.2019).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.7.2019): Regional Overview - Middle East 2 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/02/regional-overview-middle-east-2-july-2019/, Zugriff 3.7.2019

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (11.6.2019): Regional Overview - Middle East 11 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/12/regional-overview-middle-east-11-june- 2019/, Zugriff 18.6.2019

- Al Jazeera (28.5.2019): Turkey launches operation against PKK fighters in northern Iraq, https://www.aljazeera.com/news/2019/05/turkey-launches-operation-pkk-fighters-northern-iraq- 190528140950966.html, Zugriff 18.6.2019

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html, Zugriff 17.6.2019

- Kurdistan 24 (9.4.2019): Christian villagers flee from Turkish cross-border attacks into Kurdistan Region, https://www.kurdistan24.net/en/news/e04e4df6-9d16-45a7-83b1-57281d28fd74, Zugriff 1.7.2019

- Reuters (8.6.2019): Turkey says it has 'neutralized' 43 Kurdish militants in northern Iraq, https://www.reuters.com/article/us-turkey-iraq-security/turkey-says-it-has-neutralized-43-kurdish-militants-in- northern-iraq-idUSKCN1T90A7, Zugriff 18.6.2019

- UNSC - UN Security Council (2.5.2019): Implementation of resolution 2421 (2018); Report of the Secretary-General [S/2019/365], https://www.ecoi.net/en/file/local/2008023/S_2019_365_E.pdf, Zugriff 17.6.2019

1.6. Sicherheitslage im Nord- und Zentralirak:

1.6.1. Sicherheitslage Nord- & Zentralirak - Stand LIB vom 20.11.2018:

In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta'mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala. Hinzu kommen aktuelle Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 1.11.2018). www.ris.bka.gv.at Seite 17 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeinen Stabilität dar (GPPI 3.2018).

Der Zentralirak ist derzeit der wichtigste Stützpunkt für den IS. Die Gewalt dort nahm im Sommer 2018 zu, ist aber inzwischen wieder gesunken. In der Provinz Diyala beispielsweise fiel die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle von durchschnittlich 1,7 Vorfällen pro Tag im Juni 2018 auf 1,1 Vorfälle im Oktober 2018. Auch in der Provinz Salah al-Din kam es im Juni 2018 zu durchschnittlich 1,4 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Tag, im Oktober jedoch nur noch zu 0,5. Die Provinz Kirkuk verzeichnete im Oktober 2018 einen Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit durchschnittlich 1,5 Vorfällen pro Tag, die höchste Zahl seit Juni 2018. Die Anzahl der Vorfälle selbst ist jedoch nicht so maßgeblich wie die Art der Vorfälle und die Schauplätze an denen sie ausgeübt werden. Der IS ist in allen ländlichen Gebieten der Provinz Diyala, in Süd-Kirkuk, Nord- und Zentral-Salah-al-Din tätig. Es gibt regelmäßige Angriffe auf Städte; Zivilisten und Beamte werden entführt; Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt immer mehr Berichte über IS-Mitglieder, die sich tagsüber im Freien bewegen und das Ausmaß ihrer Kontrolle zeigen. Die Regierung hat in vielen dieser Gegenden wenig Präsenz und die anhaltenden Sicherheitseinsätze sind ineffektiv, da die Kämpfer ausweichen, wenn die Einsätze im Gang sind, und zurückkehren, wenn sie wieder beendet sind. Der IS verfügt derzeit über eine nach außen hin expandierende Kontrolle in diesen Gebieten (Joel Wing 2.11.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges- amt.de/de/iraksicherheit/202738, Zugriff 1.11.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- GPPI - Global Public Policy Institute (3.2018): Iraq after ISIL: Sub-State Actors, Local Forces, and the Micro-Politics of Control, http://www.gppi.net/fileadmin/userupload/media/pub/2018/GastonDerzsi-HorvathIraqAfterISIL.pdf, Zugriff 5.11.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (2.11.2018): October 2018: Islamic State Expanding Operations in Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/11/october-2018-islamic-state-expanding.html, Zugriff 5.11.2018

1.6.2. Sicherheitslage Nord- & Zentralirak - Stand Kurzinformation vom 09.04.2019:

In einem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom 1.2.2019 heißt es, dass verbliebene IS-Kämpfer nach wie vor eine Bedrohung im Nord- und Zentralirak (Gouvernements Kirkuk, Ninewa und Salahaddin, sowie Anbar, Bagdad und Diyala) darstellen (UNSC 1.2.2019). Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salahaddin sind dabei das Herzstück der Umgruppierungsbemühungen des IS. Dort werden monatlich auch die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle verzeichnet. Der IS ist beinahe im gesamten ruralen Gebiet dieser Gouvernements aktiv, kann sich Berichten zufolge in einigen Städten nachts völlig frei bewegen und hebt Steuern ein (Joel Wing 3.4.2019). Die Lage in diesen umstrittenen Gebieten hat sich nach dem Abzug der kurdischen Peschmerga 2017 verschärft (Landinfo 8.1.2019). Die Konkurrenz zwischen der irakischen Zentralregierung und der kurdischen Autonomieregierung, erzeugt in diesen Gebieten zusätzliche Instabilität, die wiederum vom IS ausgenutzt werden kann (ISW 7.3.2019). Sowohl kurdische Streitkräfte als auch Mitglieder der vom Iran unterstützten Volksmobilisierungskräfte (PMF) üben weiterhin in unterschiedlichem Ausmaß Kontrolle und Einfluss aus, was die Zentralregierung in eine prekäre Lage versetzt, da sie sowohl mit zivilen Unruhen, als auch mit Versuchen einer Reorganisation des IS umgehen und gleichzeitig ihre Verbündeten unter Kontrolle halten muss (ACLED 2019).

Insbesondere ländliche Gebiete, das Hamrin-Gebirge, sowie das Diyala-Flussdelta dienen dem IS als Rückzugsorte, von wo bereits im Jahr 2018 ein Großteil der IS-Operationen im Irak ausgegangen sind (Landinfo 8.1.2019). Das Hamrin-Gebirge ermöglicht dabei den Nord-Süd Übergang zwischen den Gouvernements Ninewa und Diyala und bietet dem IS dauerhaften Schutz vor Luftangriffen und Bodenoffensiven (ISW www.ris.bka.gv.at Seite 18 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

7.3.2019). Es gelang den irakischen Sicherheitskräften (ISF) bisher trotz umfangreicher Säuberungsaktionen nicht, den IS aus Hawija zu vertreiben (ISW 7.3.2019; vgl. Landinfo 8.1.2019). Zwischen 25. und 27. März wurde eine neuerliche koordinierte Luft- und Bodenoperation durch die Luftwaffe der Koalition und die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gegen den IS im nordwestlichen Irak geführt (OIR 29.3.2019).

Der IS führt seine Operationen hauptsächlich südlich und westlich von Ninewas Hauptstadt Mossul durch (Joel Wing 4.2.2019). Er soll auch in der Stadt über Schläferzellen verfügen, und hat dort zuletzt im Februar 2019 eine Autobombe eingesetzt (ISW 7.3.2019). Seit einigen Wochen fordern IS-Angriffe insbesondere in Ninewa regelmäßig viele Opfer (Joel Wing 1.4.2019). So wurden in der Provinz im Dezember 2018 22 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 36 Toten und 37 Verwundeten registriert, wobei hier elf ältere Leichen eingerechnet wurden, die aus Trümmern der Altstadt von Mossul geborgen wurden. Mit den verbliebenen 25 im Dezember getöteten Personen und 37 Verwundeten verzeichnete die Provinz die meisten Gewaltopfer im Irak im Dezember (Joel Wing 2.1.2019). Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für den Irak nennt für denselben Zeitraum hingegen sieben Tote und 19 Verwundete (UNAMI 3.1.2019). Im Jänner 2019 wurden neun Vorfälle mit 75 Toten und einer verwundeten Person, sowie zwei Massengräberfunde (ältere Gräber aus der Zeit der IS-Herrschaft) mit den Überresten von insgesamt 66 Leichen verzeichnet (Joel Wing 4.2.2019). Im Februar kam es erneut zu einem Anstieg der IS-Aktivitäten, mit 20 Vorfällen mit 147 Toten und 31 Verletzten, wobei wiederum die meisten der Toten auf Funde von Massengräbern älteren Datums zurückgehen (Joel Wing 4.3.2019). Im März wurden elf Vorfälle mit 109 Toten und 53 Verletzten registriert (Joel Wing 3.4.2019).

In Diyala kam es im Dezember 2018 zu 28 sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit insgesamt 15 Toten und 16 Verwundeten, darunter drei Angriffe auf Kontrollpunkte (Joel Wing 2.1.2019), sowie Mörserbeschuss der Stadt Saraya (Joel Wing 10.12.2018). Im Jänner 2019 wurden 32 Vorfälle mit zehn Toten und 21 Verwundeten registriert (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 26 Vorfälle mit acht Toten und 16 Verwundeten (Joel Wing 4.3.2019) und im März 17 Vorfälle mit acht Toten und 18 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019).

In Kirkuk wurden im Dezember 17 Vorfälle mit 204 Toten und 16 Verwundeten registriert, wobei 200 Leichenfunde aus einem Massengrab im Distrikt Hawija im Süden Kirkuks miteingerechnet wurden (Joel Wing 2.1.2019). Im Jänner 2019 wurden 28 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten und 31 Verwundeten registriert (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 17 Vorfälle mit 17 Toten und 7 Verwundeten (Joel Wing 4.3.2019) und im März 15 Vorfälle mit sieben Toten und sechs Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Die Stämme von Diyala kündigten um Jänner 2019 eine Mobilmachung gegen den IS an, um die Sicherheitskräfte in ihrem Kampf zu unterstützen (Diyaruna 21.1.2019).

In Salahaddin wurden im Dezember acht Vorfälle mit drei Toten und zwei, bzw. drei Verletzten registriert (Joel Wing 2.1.2019; vgl. UNAMI 3.1.2019), im Jänner 2019 14 Vorfälle mit 17 Toten und 36 Verwundeten (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 18 Vorfälle mit 25 Toten und 48 Verwundeten (Joel Wing 4.3.2019) und im März acht Vorfälle mit acht Toten und 14 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019).

In Anbar, ist es dem IS wieder gelungen eine Unterstützungszone in der Nähe von Amariyat al- Fallujah einzurichten, von der aus seit August 2018 Angriffe in Fallujah erfolgen (ISW 7.3.2019). Im Dezember 2018 wurden in Anbar acht Vorfälle mit acht Toten und 13 Verwundeten registriert (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 16 Vorfälle mit elf Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 28 Vorfälle mit 46 Toten und 26 Verletzten und im März fünf Vorfälle mit acht Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Der starke Anstieg im Februar wird auf das Einsickern fliehender IS-Kämpfer aus dem benachbarten Syrien zurückgeführt (Joel Wing 4.3.2019).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2019), Behind Frenemy Lines: Uneasy Alliances against IS in Iraq, https://www.acleddata.com/2019/03/01/behind- frenemy-lines-uneasy-alliances-against-is-in-iraq/, Zugriff 12.3.2019

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- Diyaruna (21.1.2019): Diyala tribes mobilise to rout ISIS remnants, http://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/01/28/feature-02, Zugriff 14.3.2019

- ISW - Institute for the Study of War (7.3.2019): ISIS Re-Establishes Historical Sanctuary in Iraq, https://iswresearch.blogspot.com/2019/03/isis-re-establishes-historic-sanctuary.html, Zugriff 12.3.2019

www.ris.bka.gv.at Seite 19 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (10.12.2018): Security In Iraq Dec 1-7, 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/12/security-in-iraq-dec-1-7-2018.html, Zugriff 4.4.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (4.2.2019): Slight Uptick In Islamic State Ops In Iraq As New Year Begins, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/02/slight-uptick-in-islamic-state-ops-in.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (4.3.2019): Islamic State Might Be Coming Out Of Its Winter Hibernation In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/islamic-state-might-be-coming-out-of.html, Zugriff 12.3.2019

? Joel Wing, Musings on Iraq (1.4.2019): Security In Iraq Mar 22-28, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/security-in-iraq-mar-22-28-2019.html, Zugriff 2.4.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.4.2019): Iraq Saw Lowest Violence Ever March 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/iraq-saw-lowest-violence-ever-march-2019.html, Zugriff 4.4.2019

- Landinfo - Norwegian Country of Origin Information Centre (8.1.2019): Temanotat Irak: Diyala provins - sikkerhetssituasjonen per november 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1456258/4792_1547275214_irak-temanotat-diyala-provins- sikkerhetssituasjonen-per-november-2018.pdf, Zugriff 14.3.2019

- OIR - Operation Inherent Resolve (29.3.2019): Fight is not over: Iraqi clearances spearhead fight against Daesh in Iraq, https://www.inherentresolve.mil/Media-Library/News- Releases/Article/1799730/fight-is-not-over-iraqi-clearances-spearhead-fight-against-daesh-in-iraq/, Zugriff 1.4.2019

- UNAMI - United Nations Assistance Mission for Iraq (3.1.2019): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of December 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=10269:un-casualty-figures-for-iraq- for-the-month-of-december-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 12.3.2019

- UNSC - United Nations Security Council (1.2.2019): Implementation of resolution 2421 (2018) Report of the Secretary-General, https://www.ecoi.net/en/file/local/2002890/S_2019_101_E.pdf, Zugriff 14.3.2019

1.6.3. Sicherheitslage Nord- & Zentralirak - Stand Kurzinformation vom 25.07.2019:

In den 2017 von der Zentralregierung übernommenen, umstrittenen Gebieten nutzt der Islamische Staat (IS) die geringe Zahl an Sicherheitskräften und deren Konkurrenzverhältnis zueinander aus, woraus sich die hohe Zahl an Übergriffen ableiten lässt (Joel Wing 1.7.2019). Kleinere Gruppen von IS-Kämpfern infiltrieren von Syrien kommend immer wieder die zerklüfteten Gebiete und Wüstenlandschaft im Westirak (Xinhua 6.5.2019).

Das irakische Militär und die von den USA geführte internationale Koalition führten eine Reihe von Angriffen gegen den IS durch, insbesondere im Gouvernement Anbar (ACLED 11.6.2019). Am 5.5.2019 startete ein gemischter Verband der irakischen Armee und paramilitärischen Stammeseinheiten, mit Luftunterstützung der Koalition, und in Abstimmung zwischen den Militärkommandos der Gouvernements Anbar, Salahaddin und Ninewa, eine großangelegte Militäroperation im Westirak (Xinhua 6.5.2019).

Der Islamische Staat (IS) hat seine Präsenz in Ninewa durch Kräfte aus Syrien verstärkt und führte seine Operationen hauptsächlich im Süden und Westen des Gouvernements aus (Joel Wing 3.5.2019). Er verfügt aber auch in Mossul über Zellen (Joel Wing 5.6.2019). Es wird außerdem vermutet, dass der IS vorhat in den Badush Bergen, westlich von Mossul, Stützpunkte einzurichten (ISW 19.4.2019).

Im April 2019 wurden in Ninewa 19 Vorfälle (Joel Wing 3.5.2019) mit 46 Toten und zehn Verletzten (Joel Wing 1.5.2019) verzeichnet, wobei hier auch der Fund eines Massengrabs älteren Datums, mit 36 Leichen, eingerechnet ist (Joel Wing 3.5.2019). Im Mai 2019 wurden 25 Vorfälle mit 64 Toten und 26 Verwundeten registriert, wobei der Fund eines jesidischen Massengrabes älteren Datums im Bezirk Sinjar, mit 35 Leichen, www.ris.bka.gv.at Seite 20 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 miteingerechnet ist (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni wurden zehn Vorfälle mit 24 Toten und 22 Verletzten registriert, wobei hier vier Brandstiftungen von landwirtschaftlichen Flächen und zwei Explosionen von Kriegsrelikten aus der Schlacht um Mossul (Anm.: 17.10.2016 bis 9.7.2017) inkludiert sind (Joel Wing 1.7.2019).

1.6.3.1. Gouvernement Diyala:

Der Islamische Staat (IS) hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten des Gouvernements Diyala, konzentriert sich aber besonders auf den Bezirk Khanaqin im Nordosten, der eines der zwischen der Zentralregierung und der Autonomen Kurdischen Region umstrittenen Gebiete ist (Joel Wing 3.5.2019; vgl. Joel Wing 5.6.2019).

In Diyala kam es im April 2019 zu 30 sicherheitsrelevanten Vorfällen (Joel Wing 3.5.2019) mit 22 Toten und 23 Verletzten (Joel Wing 1.5.2019). Im Mai 2019 wurden 35 Vorfälle mit 22 Toten und 42 Verwundeten registriert (Joel Wing 5.6.2019) und im Juni 27 Vorfälle mit zwölf Toten und 20 Verletzten (Joel Wing 1.7.2019).

1.6.3.2. Gouvernement Kirkuk:

Im Gouvernement Kirkuk ist der Islamische Staat (IS) in allen Bezirken aktiv und hat auch regelmäßigen Zugang zu Kirkuk City (Joel Wing 3.5.2019; vgl. Joel Wing 5.6.2019). Insbesondere die Hamrin Berge, sowie die Haine im Westen des Gouvernements dienen dem IS als Rückzugsorte (Joel Wing 3.5.2019). Üblicherweise ereignen sich sicherheitsrelevante Vorfälle in Kirkuk im Süden des Gouvernements (Joel Wing 1.7.2019). Am 30. Mai fand jedoch in Kirkuk City mit der Detonation von sechs "Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen" (IEDs) der schwerwiegendste Angriff des Monats statt, der fünf Tote und 35 Verletzte forderte (Joel Wing 5.6.2019; vgl. Reuters 30.5.2019). Im Juni wurden acht Angriffe in Kirkuk City verzeichnet (Joel Wing 1.7.2019). Eine Veränderung in der Taktik des IS in Kirkuk stellt das Legen von Hinterhalten für die Sicherheitskräfte dar (Joel Wing 3.5.2019).

Die 1. und 2. Brigade der Irakischen Spezialeinheiten (ISOF) begannen am 11. April, unterstützt durch die US- geführte Koalition, mit der bisher größten Säuberungsaktion gegen die "Unterstützungszone" des IS in den Hamrin Bergen (ISW 19.4.2019; vgl. Kurdistan 24 11.4.2019). Die US-amerikanische Luftwaffe (USAF) bombardierte ein Tunnelnetz des IS in den Hamrin Bergen (Jane's 1.5.2019). Ähnliche Operationen wurden bereits in den vergangenen Monaten durchgeführt (Kurdistan 24 11.4.2019). Laut lokalen Quellen wurden im Zuge der Operation sechs bedeutende Anführer des IS getötet und damit die Kommandokette in dem Gebiet stark beeinträchtigt (D&S 24.4.2019).

In Kirkuk wurden im April 2019 13 Vorfällen registriert (Joel Wing 3.5.2019) mit 18 Toten und 53 Verletzten (Anm.: Summe aus Joel Wing 1.5.2019 und Joel Wing 5.6.2019). Im Mai 2019 wurden in Kirkuk 35 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 29 Toten und 78 Verwundeten, die höchsten Opferzahlen dieses Monats im Irak, verzeichnet (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni sanken die registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle auf 18, mit 18 Toten und 40 Verletzten (Joel Wing 1.7.2019).

1.6.3.3. Gouvernement Salah-al-Din:

Obwohl sich das Gouvernement Salahaddin die Hamrin-Gebirge, das dem Islamischen Staat (IS) als Basis dient, mit dem Gouvernement Diyala teilt, konzentrieren sich die Aufständischen in ihren Aktivitäten stärker auf Diyala (Joel Wing 3.5.2019).

In Salahaddin wurden im April 2019 acht Vorfälle (Joel Wing 3.5.2019) mit zehn Toten und neun Verletzten (Joel Wing 1.5.2019) registriert. Einer davon war ein Angriff auf einen ISF-Konvoi, gefolgt von einem Hinterhalt für die Einsatzkräfte, die am Tatort eintrafen (Joel Wing 3.5.2019; vgl. UNAMI 3.1.2019). Im Mai 2019 wurden 20 Vorfälle mit 22 Toten und 28 Verwundeten verzeichnet (Joel Wing 5.6.2019) und im Juni neun Vorfälle mit vier Toten und neun Verletzten (Joel Wing 1.7.2019). Zwei Angriffe auf das Alas Ölfeld im Mai weiteten sich zu großen Feuergefechten aus (Joel Wing 5.6.2019).

1.6.3.4. Gouvernement Anbar:

Der Islamische Staat (IS) hat vermehrt Kämpfer und Material durch die Jazeera Wüste zwischen Ostsyrien und dem Westirak in den Westen des Gouvernements Anbar verlegt (ISW 19.4.2019; vgl. Joel Wing 3.5.2019). In dieser Region passierten auch die meisten der in Anbar verzeichneten Gewaltakte (Joel Wing 3.5.2019).

www.ris.bka.gv.at Seite 21 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Seit Ende Jänner 2019 werden Trüffelsammler, meist in den Wüsten Anbars, vom IS entführt und manchmal, im Fall von Schiiten, getötet. Die irakischen Sicherheitskräfte bestätigten die Entführung von 44 Trüffelsammlern in diesem Jahr, wobei davon auszugehen ist, dass weitere Vorfälle nicht gemeldet wurden (NYT 19.5.2019). Im April wurde eine Autobombe gezündet, die gegen Trüffelsammler in der Rutba Wüste gerichtet war (Joel Wing 3.5.2019).

Die Rutba Wüste an der Grenze zu Saudi Arabien war das Ziel einer von einem gemischten irakischen Verband mit Luftunterstützung der Koalition durchgeführten Militäroperation (Rudaw 9.5.2019). Der Manöverbereich des IS in der Wüste konnte durch die irakischen Sicherheitskräfte um einige Kilometer verkleinert werden (D&S 10.6.2019).

Im April 2019 wurden in Anbar 16 Vorfälle (Joel Wing 3.5.2019) mit sieben Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 1.5.2019) registriert, im Mai 2019 acht Vorfälle mit acht Toten und sieben Verwundeten (Joel Wing 5.6.2019) und im Juni 13 Vorfälle mit einem Toten und sieben Verletzten (Joel Wing 1.7.2019).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (11.6.2019): Regional Overview - Middle East 11 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/12/regional-overview-middle-east-11-june- 2019/, Zugriff 18.6.2019

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- D&S - Difesa & Sicurezza (24.4.2019): Iraq, Isis chain of command in the Hamrin mountains in Diyala decimated, https://www.difesaesicurezza.com/en/defence-and-security/iraq-isis-chainof-command-in- the-hamrin-mountains-in-diyala-decimated/, Zugriff 17.6.2019

- D&S - Difesa & Sicurezza (10.6.2019): Iraq-Syria, ISF and SDF intensify the hunt for ISIS cells, https://www.difesaesicurezza.com/en/defence-and-security/iraq-syria-isf-and-sdfintensify-the-hunt-for- isis-cells/, Zugriff 17.6.2019

- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html, Zugriff 17.6.2019

- Jane's 360 (1.5.2019): USAF reports combat debut for F-35A, https://www.janes.com/article/88186/usaf-reports-combat-debut-for-f-35a, Zugriff 17.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (1.5.2019): Security In Iraq Apr 22-28, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/security-in-iraq-apr-22-28-2019.html, Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-newoffensive.html, Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State's Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (1.7.2019): Violence Dips During Islamic State's Latest Offensive, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/07/violence-dips-during-islamic-states.html, Zugriff 3.7.2019

- Kurdistan 24 (11.4.2019): Iraq launches 'large-scale' anti-ISIS operation in Hamrin Mountains, https://www.kurdistan24.net/en/news/e2d4b872-d38a-4a00-8de1-fd4a6b93d8f0, Zugriff 17.6.2019

- Reuters (30.5.2019): At least five dead in blasts in Iraq's Kirkuk: medical sources, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/at-least-five-dead-in-blasts-in-iraqs-kirkukmedical-sources- idUSKCN1T02E8, Zugriff 14.6.2019

- Rudaw (9.5.2019): Iraq not keeping up with evolving ISIS: US Defense Department, http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/090520191, Zugriff 18.6.2019

www.ris.bka.gv.at Seite 22 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- NYT - The New York Times (19.5.2019): They Go to the Desert to Hunt for Truffles. But ISIS Is Hunting Them, https://www.nytimes.com/2019/03/19/world/middleeast/isis-truffle-iraq.html, Zugriff 17.6.2019

- Xinhua (6.5.2019): 8 IS militants killed in operation in western Iraq desert, http://www.xinhuanet.com/english/2019-05/06/c_138036239.htm, Zugriff 18.6.2019

1.7. Sicherheitslage Südirak:

1.7.1. Sicherheitslage Südirak - Stand LIB vom 20.11.2018:

Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018).

In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen (AA 1.11.2018).

Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, zu Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018). Dies war auch im Juli und September 2018 der Fall, als Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei getötet wurden (Al Jazeera 16.7.2018; vgl. Joel Wing 5.9.2018, AI 7.9.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges- amt.de/de/iraksicherheit/202738, Zugriff 1.11.2018

- AI - Amnesty International (7.9.2018): Iraq: Effective Investigations needed into deaths of protesters in Basra, https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1490552018ENGLISH.PDF, Zugriff 2.11.2018

- Al Jazeera (16.7.2018): Death toll rises in southern Iraq protests, https://www.aljazeera.com/news/2018/07/death-toll-rises-southern-iraq-protests-180716181812482.html, Zugriff 02.11.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides (28.2.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans le sud de l'Irak, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak_situation_securitaire_dans_le_sud_de_l irak_20180228.pdf, Zugriff 1.11.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (5.9.2018): Basra Explodes In Rage and Riots Over Water Crisis, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/basra-explodes-in-rage-and-riots-over.html, Zugriff 2.11.2018

- Landinfo - The Norwegian COI Centre (31.5.2018): Irak: Sikkerhetssituasjonen i Sør-Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434620/1226_1528700530_irak- temanotatsikkerhetssituasjonen-i-syarirak-hrn-31052018.pdf, Zugriff 1.11.2018 www.ris.bka.gv.at Seite 23 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

1.7.2. Sicherheitslage Südirak - Stand Kurzinformation vom 09.04.2019:

Am 21.12.2018 setzte die Polizei scharfe Munition und Tränengas ein, um Demonstranten im südirakischen Basra an der Erstürmung eines Regierungsgebäudes zu hindern. Die zweitgrößte Stadt des Landes erlebt seit Juli 2018 ausgedehnte Proteste gegen Korruption, Misswirtschaft, die schlechte Grundversorgung und Arbeitslosigkeit (Guardian 18.7.2018; vgl. Reuters 21.12.2019). Auch 2019 kommt es weiterhin zu häufigen Protesten (Jane's 5.2.2019).

In Qadisiya wurde im Dezember 2018 ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit einer verwundeten Person registriert. In Babil waren es im Dezember 2018 zwei Vorfälle mit sechs Verletzten (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 drei Vorfälle mit sechs Verletzten (Joel Wing 4.2.2019) und im Februar zwei Vorfälle mit zwei Verletzten (Joel Wing 4.3.2019). Im März wurde in Babil ein Vorfall registriert, bei dem zwei Personen getötet wurden (Joel Wing 3.4.2019). In Basra wurden bei einem Zusammenstoß zweier Stämme am 11.3.2019 mindestens drei Menschen getötet und sieben weitere verwundet (Kurdistan 24 12.3.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- Jane's 360 (5.2.2019): Protests in Iraq's Basra likely throughout 2019, but security force presence mitigates disruption risk to oil sites, https://www.janes.com/article/86167/protests-in-iraq-s-basra-likely-throughout-2019-but-security-force- presence-mitigates-disruption-risk-to-oil-sites, Zugriff 13.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.4.2019): Iraq Saw Lowest Violence Ever March 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/iraq-saw-lowest-violence-ever-march-2019.html, Zugriff 4.4.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (4.2.2019): Slight Uptick In Islamic State Ops In Iraq As New Year Begins, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/02/slight-uptick-in-islamic-state-ops-in.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (4.3.2019): Islamic State Might Be Coming Out Of Its Winter Hibernation In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/islamic-state-might-becoming-out-of.html, Zugriff 12.3.2019

- Kurdistan 24 (12.3.2019): WATCH: Clashes between Basra tribes kill, injure ten people, http://www.kurdistan24.net/en/news/5dc59e22-744f-483e-a102-dfe1388e5afd, Zugriff 1.4.2019

- Reuters (21.12.2018): Police use live rounds to disperse protest in Iraq's Basra for second week, https://www.reuters.com/article/us-iraq-protests/police-use-live-rounds-to-disperse-protest-in-iraqs- basra-for-second-week-idUSKCN1OK29Q, Zugriff 13.3.2019

- The Guardian (18.7.2018): Protests spread through cities in Iraq's oil-rich Shia south, https://www.theguardian.com/world/2018/jul/18/protests-spread-through-cities-in-iraqs-oil-rich-shia-south, Zugriff 1.4.2019

1.7.3. Sicherheitslage Südirak - Stand Kurzinformation vom 25.07.2019:

Der Islamische Staat (IS) arbeitet daran seine Netzwerke im Norden des Gouvernements Babil wieder aufzubauen, mutmaßlich um Angriffe auf leichte Ziele (Anm. orig. "soft targets") in Bagdad und im Süden, in den heiligen Städten Karbala und Najaf, auszuführen (ISW 19.4.2019).

Fast immer, wenn es im Gouvernement Babil zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt, geschehen diese im Bezirk Jurf al-Sakhr. Der vom Gouvernement Anbar aus zugängliche Bezirk musste von seiner Bevölkerung verlassen werden und dient nun den al-Hashd al-Sha'bi (Volksmobilisierungseinheiten, PMF) als Basis, weswegen der IS für gewöhnlich hier zuschlägt (Joel Wing 5.6.2019). Am 9. April stieß die 47. Brigade der www.ris.bka.gv.at Seite 24 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Volksmobilisierungseinheiten (PMF) in Jurf al-Sakhr mit dem IS zusammen. Dieser zog sich zwar vorübergehend aus dem Gebiet zurück, es erfolgte jedoch keine vollständige Säuberung durch die PMF (ISW 19.4.2019). Im Mai fanden zwei Angriffe im nordwestlichen Jurf al-Sakhr und einer im zentralen Mahawil statt (Joel Wing 5.6.2019). Eine SVBIED-Attacke (Suicide Vehicle Borne Improvised Explosive Device) - die erste seit 2014 - in Jurf al-Sakhr konnte durch die 46. PMF-Brigade verhindert werden (ISW 19.4.2019).

Im April 2019 wurden in Babil drei sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 5.6.2019) mit fünf Verletzten (Joel Wing 1.5.2019) registriert. Im Mai gab es drei Vorfälle mit zwei Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 5.6.2019) und im Juni waren es drei Vorfälle mit zwei Verletzten (Joel Wing 1.7.2019).

In Basra wurden im Juni zwei Vorfälle mit drei Verletzten registriert. Ein von internationalen Ölgesellschaften genutzter Gebäudekomplex wurde von Raketen getroffen. Mutmaßlich steckt eine pro-iranischen Gruppe hinter diesem Angriff (Joel Wing 1.7.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html, Zugriff 17.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (1.5.2019): Security In Iraq Apr 22-28, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/security-in-iraq-apr-22-28-2019.html, Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State's Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (1.7.2019): Violence Dips During Islamic State's Latest Offensive, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/07/violence-dips-during-islamic-states.html, Zugriff 3.7.2019

1.7.4. Proteste und Ausgangssperre in Bagdad und Südirak - Stand Kurzinformation vom 04.10.2019:

Betreffend die seit Anfang Oktober 2019 im Irak stattfindenden gewalttätigen Demonstrationen und die damit im Zusammenhang stehende Sicherheitslage wird auf die unter Punkt 3.4. (Politische Lage - Protestbewegung) dargelegten Ausführungen der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 04.10.2019 verwiesen.

1.8. Sicherheitslage in Anbar:

Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak: Anbar, Sicherheitslage, Erreichbarkeit vom 16.04.2019 ergibt sich zur Sicherheitslage:

"[...]

1. Wie sieht die aktuelle Sicherheitslage in Anbar aus?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch einige Informationen gefunden. Eine ausgewogene Auswahl wird entsprechend den Standards der Staatendokumentation im Folgenden zur Verfügung gestellt.

Eine ausführliche Quellenbeschreibung zu einigen der verwendeten Quellen findet sich unter http://www.ecoi.net/5.unsere-quellen.htm. Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben. Als weniger bekannt erkannte Quellen werden im Abschnitt "Einzelquellen" näher beschrieben.

Informationen zur Fragestellung finden sich auch auf ecoi.net im Länderinformationsblatt zum Irak, IRAK_LIB_2018_11_20, auch abrufbar auf dem Koordinationsboard und auf www.staatendokumentation.at, in www.ris.bka.gv.at Seite 25 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Abschnitt "1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen", in der KI vom 9.4.2019, Sicherheitsupdate 1. Quartal 2019, sowie in Abschnitt "3.5. Sicherheitslage Nord- und Zentralirak".

Zusammenfassung:

Nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass im Gouvernement Anbar verschiedene Kontingente von Sicherheitskräften, Armee-Kommandos, diverse Milizen, sowie US-amerikanische Truppen aktiv sind. Deren nicht-einheitliche Führung schafft Lücken zwischen ihren Verantwortungsbereichen, die von bewaffneten Gruppen für eine Reorganisation genutzt werden können. Einer Quelle zufolge beschränkt sich der Einfluss der Sicherheitskräfte nur auf die Städte, während die Wüste nach wie vor als sicherer Hafen für bewaffnete Gruppen gilt.

Den Quellen ist weiter zu entnehmen, dass bis zu tausend Mitglieder des Islamischen Staates (IS) aus Syrien in die Wüste von Anbar eingesickert sind. Der IS versucht eine Reorganisation in den Wüstengebieten nahe Wadi und anderen Zonen.

Die irakischen Sicherheitskräfte haben ihre Operationen ausgeweitet, um Mitglieder des Islamischen Staates (IS) in der ausgedehnten Westwüste aufzuspüren und Wüstengebiete zu sichern. Am 4.3.2019 wurden große Teile der Westwüste zu militärischem Sperrgebiet erklärt. Zivilisten wurden gewarnt und dazu angehalten, das Gebiet zu verlassen, da sie sonst zu militärischen Zielen würden.

Den Quellen ist des Weiteren zu entnehmen, dass der Islamische Staat unter anderem in der Nähe von Amariyat al-Fallujah eine Unterstützungszone eingerichtet hat, von der aus Fallujah seit August 2018 mit z.B. Autobomben und Selbstmordattentätern angegriffen werden kann. Seit Oktober 2018 hat der IS auch in der Umgebung von Karmah einige Zellen etabliert. Im Jänner 2019 wurde ein Tunnelsystem entdeckt, das Amariyat al-Fallujah mit Fallujah verbindet.

Einzelquellen:

Niqash, eine 2004 gegründete, dreisprachige (Arabisch, Englisch, Kurdisch) Website, die Beiträge über politische Entwicklungen im Irak veröffentlicht, berichtet am 21.12.2018, dass es fünf verschiedene Sicherheitskräfte gibt, die Anbar vor extremistischen Angriffen schützen, jedoch ohne zentrale Führung oder einen übergreifenden Plan.

In der Vergangenheit galt die zentralirakische Provinz Anbar als einer der gefährlichsten Teile des Landes, vor allem wegen der Präsenz sunnitischer extremistischer Gruppen wie Al Qaida im Irak und später des Islamischen Staats (IS), mit beinahe täglichen Bombenanschlägen und Attentaten. Mit der Vertreibung des IS aus der Provinz, Ende 2017, ist die Lage stabiler und sicherer geworden. Tariq Yusef al-Asal, einer der Führer der Stammesmilizen Anbars, die gegen den Islamischen Staat gekämpft hatten, meint vergleichend, dass sich Anbar in eine Militärkaserne verwandelt habe und Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit im Austausch für ein sicheres Leben in einem riesigen Gefängnis eingezogen wurden. Er erklärt, dass sie (Anm.: die Sicherheitskräfte) nur innerhalb der Städte Macht hätten, während die Wüste nach wie vor ein sicherer Hafen für bewaffnete Gruppen sei. Zu den fünf Hauptkräften gehören mehrere an die irakische Armee angegliederte Befehlsgruppen - die Kommandos Anbar, Jazeera, Badiya und Ost Anbar, die Polizei und die Grenzbehörden sowie verschiedene Geheimdienste. Weiters gibt es verschiedenen Milizen, darunter Stammeseinheiten, die alle vor kurzem gegründet wurden, um den IS zu bekämpfen. Auch sind in Anbar schätzungsweise 9.000 US-Truppen in vier verschiedenen Basen stationiert.

Als Folge dessen gibt es jedoch keinen einzelnen militärischen Kommandanten, der den Oberbefehl innehat, sodass auch die Lokalregierung herausfinden muss, an wen sie sich wenden soll.

Die mangelnde Koordination und fehlende zentrale Führung haben, insbesondere in Gebieten, in denen sich unterschiedliche Verantwortungsbereiche überschneiden, eine Reihe von Lücken und Möglichkeiten geschaffen, die von bewaffneten Gruppen für eine neu Organisation genutzt werden können. Diese Schlupflöcher müssen verhindert werden, schlägt Khudair vor, vor allem im Gebiet der Kommandos Jazeera und Badiya, da diese Einheiten einen wichtigen bzw. lebenswichtigen Teil der Provinz kontrollieren.

There are more than five different security forces protecting Anbar from extremist attacks. But in this case, too much security is starting to equal too little, with no central command or overarching plan.

www.ris.bka.gv.at Seite 26 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Not that long ago, the central Iraqi province of Anbar was known as one of the most dangerous parts of the country, mostly because of the presence of Sunni Muslim extremist groups like Al Qaeda in Iraq, and then later the Islamic State group. Bombings and assassinations were an almost daily occurrence.

After the extremist group known as the Islamic State, or IS, was finally pushed out of the province in late 2017, things have been far more stable and secure.

"Anbar has been transformed into a military barracks, as a result of the complex security measures," Tariq Yusef al-Asal, one of the leaders of Anbar's tribal militias that had been fighting the Islamic State, told NIQASH. "This has confiscated citizens' freedoms and restricted movement, in return for a secure life in a giant prison."

Al-Asal believes there are an excessive amount of security forces in the province now, with peace imposed by force. "But it's a false sort of security," he adds. "We only have power inside the cities, The desert is still a safe haven for armed groups."

The militia commander believes that part of the problem has to do with the many different kinds of security forces operating in the province. There are five and there is no central command, he explains. "Each of the groups thinks that it is the strongest and it is the one that should make all the decisions in the areas it controls."

The five main forces include several Iraqi army-associated command groups - the Anbar, Jazeera, Badiya and East Anbar Commands. Then there's the police and the border forces as well as various intelligence departments. There are also the various militias, which include the tribal groups, all formed more recently to fight the IS group here.

The different groups have different roles - for example, the border patrol is supposed to ensure that extremists don't get back into the country, via Anbar's vast deserts, while most of the other forces are stationed in Anbar's cities.

There are also US troops stationed in Anbar, an estimated 9,000 of them in four different bases. They play an important role here but it's not often made very public due to antipathy towards the US that lingers in Anbar. For example, when the US announce their intentions to set up a new base near the Iraqi-Syrian border and the city of Qaim, local security leaders complained loudly.

Anbar politicians don't have the authority to prevent US-led forces from setting up bases here as this is a federal matter. The provincial council has also complained about the establishment of such bases in the province without their approval.

As a result of all of the above though, there is no single military commander that has oversight. Even the local government has to work out who to speak to.

"Anbar provincial authorities don't have the authority to make any security decisions, until after we have put it in writing to the general command of the Iraqi armed forces," Ali Farhan, Anbar's governor, told NIQASH. "When that's been done, measures are implemented - but only according to those prior approvals."

"All this security chaos has the potential for disaster, one that could take us backwards," warns Amjad Hamid, an officer who works in the Anbar Operations Command - he used a false name because he was not allowed to speak on the record. "Especially if the different commands don't somehow unite and share their plans, with one command taking the ultimate responsibility."

"The situation may suggest stability but in fact Anbar's security is teetering on the edge of the abyss," argues Abdul Karim Khudair, a retired army officer who lives in Fallujah. "Lack of coordination and a central leadership have created a number of loopholes that could be used by armed groups to redeploy, particularly in areas where different responsibilities intersect."

Those holes at the intersections need to be filled, Khudair suggests, especially in the Jazeera and Badiya Commands' territory, because those forces control an important and vital part of the province.

Niqash (21.12.2018): Extremists At The Intersections, As Security Forces Multiply In Anbar, So Does Danger, http://www.niqash.org/en/articles/security/5979/As-Security-Forces-Multiply-In-Anbar-So-Does-Danger.htm, Zugriff 12.3.2019

www.ris.bka.gv.at Seite 27 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Al Monitor ist eine Onlinezeitung mit Sitz in Washington, DC., welche durch eigene und übersetzte Inhalte Reportagen und Analysen über den Nahen Osten bietet. In einem Beitrag vom 20.3.2019 berichtet Al Monitor, dass die irakischen Sicherheitskräfte ihre Operationen ausgeweitet haben, um Mitglieder des Islamischen Staates (IS) in der riesigen Westwüste aufzuspüren.

Der Untergouverneur der Stadt al-Ratba im Westen Anbars, Emad al-Dulaimi, bestätigte am 13. März, dass ein Trüffelsammler, der zwei Wochen zuvor vom IS in der Wüste entführt worden war, getötet wurde. Der IS terrorisierte Bewohner der an die Westwüste angrenzenden Provinzen, die auf der Suche nach Lebensgrundlagen in dieses Gebiet zogen. Mehrere Trüffelsammler wurden entführt, viele hingerichtet.

Geheimdienstberichten zufolge haben IS-Mitglieder, die vor der Niederschlagung der letzten IS-Hochburg in Ost-Syrien flohen, die westliche Wüste, die an mehrere irakische Provinzen grenzt, darunter Anbar, Karbala und Najaf, infiltriert. Hisham al-Hashimi, ein auf bewaffnete Gruppen spezialisierter Forscher, bestätigte diese Berichte und führte aus, dass diese Gruppen das Gebiet seit September 2018 infiltrierten. Nach Geheimdienstangaben kamen bis zu tausend IS-Mitglieder in kleinen Einheiten in den Irak.

Die irakischen Sicherheitskräfte sind sich der Ernsthaftigkeit dieser Bewegungen bewusst. In Zusammenarbeit mit lokalen Stammesverbänden führen irakische Armeedivisionen daher verstärkt Operationen und gemeinsame Sicherheitskontrollen in den ausgedehnten Wüstengebieten im westlichen Anbar durch.

Der Kommandant des Regiments des Oberen Euphrats, Oberst Mousi Said al-Karbouli, erläuterte am 11.3.2019, dass der IS versucht seine Reihen in den Wüstengebieten nahe Wadi Hauran und anderen Gebieten neu zu organisieren. Am 4.3.2019 wurden große Teile der Westwüste zu Militärgebieten erklärt. Auch ein weiterer irakischer Militärbeamter gab unter Anonymität an, dass große Teile der Wüste von Anbar zu einer militärischen Zone wurden. Hirten, Nomaden, Jäger und Trüffelsammler wurden angehalten, das Gebiet zu verlassen und davor gewarnt nicht in seine Täler vorzudringen, da sie sonst zu militärischen Zielen für Armee und Luftwaffe würden.

Am 25.2.2019 gab die al-Abbas Combat Division den Abschluss ihrer Bodenoperation "Vengeance for the Martyrs" bekannt. Die Einheit säuberte mehr als 1.000 Quadratkilometer der an die die schiitische Provinz Karbala angrenzende Westwüste. Diese Operation kam als Reaktion auf die Entführungen und Morde von Trüffelsuchern, darunter auch Einwohner von Karbala. Die Al-Abbas Combat Division ist eine Formation von Freiwilligenkräften, die dem obersten schiitischen Geistlichen Ali al-Sistani nahestehen. Sie wurde auf der Grundlage einer Fatwa (religiöser Erlass)gegründet, die 2014 von Sistani erlassen wurde und die Iraker dazu aufforderte, die Waffen zum Kampf gegen den IS zu erheben.

The Iraqi security forces have expanded their operations to track down members of the Islamic State (IS) in the vast Western Desert. The security forces, however, have yet to reach an integrated strategy to confront IS in these lands, which stretch along Iraq's borders with three countries and are located near key Sunni and Shiite cities.

The sub-governor of the city of al-Ratba in west Anbar, Emad al-Dulaimi, confirmed March 13 that an IS member killed a resident who was kidnapped while picking truffles more than two weeks ago in the desert.

IS has terrorized the citizens of the provinces bordering the Western Desert, who headed to this area looking for sources of livelihood. IS kidnapped and executed many truffle collectors. Desert truffles are a kind of mushroom found in abundance this season in these areas and sold in the local markets.

According to intelligence reports, IS members infiltrated the Western Desert bordering several Iraqi provinces, including Anbar, Karbala and Najaf. They fled the intensified crackdown on their last stronghold in eastern Syria.

Hisham al-Hashimi, a researcher specializing in armed groups, confirmed these reports. "These groups have been infiltrating the area since September 2018," he told Al-Monitor. "According to the intelligence agencies, up to a thousand IS members arrived to Iraq in the form of small units. Some were carrying amounts of up to $25,000. This represents a total of more than $200 million."

However, Hashimi does not believe this infiltration is the reason behind the recent increase in IS operations in Iraq. "These members need time to be trained," he said. "They have to get identity documents to be able to move freely."

www.ris.bka.gv.at Seite 28 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

The Iraqi security forces are aware of the seriousness of these movements. Therefore, the forces increased their operations in the vast desert areas of western Iraq. In this context, joint Iraqi military divisions and the local tribal regiments are conducting a security sweep in the Western Desert of Anbar.

Commenting on the security sweep, the commander of the Upper regiment, Col. Mousi Said al- Karbouli, said March 11, "IS has been attempting to reorganize its ranks in the desert areas near Wadi Hauran and other areas. Its fighters are using the ground elevations and trenches in the desert and disguising themselves as shepherds. But our forces are local trained forces and are well acquainted with the desert area. We are now conducting proactive operations to prevent IS from resurging."

On March 4, Iraq security forces declared large parts of the Western Desert as "military zones." Iraqi military helicopters dropped flyers demanding all shepherds in the desert leave the area immediately, toward al-Ratba- Nukhayb-Kilo 160 (the name of an eastern Anbar region). "The area is a military operation zone with no access to civilians," the flyers said.

An Iraqi military official, speaking on condition of anonymity, told the New Arab newspaper, "Large areas of the Anbar desert have become a military zone. Shepherds, nomads, hunters and truffle collectors have been warned to leave the area and not to enter its valleys, otherwise they would be a military target for the army troops and air force."

These military operations are not limited to the areas adjacent to Sunni provinces like Anbar. On Feb. 25, al- Abbas Combat Division announced the completion of ground duties in Operation Vengeance for the Martyrs. The division added that it cleared more than 1,000 square kilometers of the Western Desert adjacent to the Shiite province of Karbala.

This operation came in response to the kidnappings and killings of truffle hunters, including citizens from Karbala province. Al-Abbas Combat Division is a formation of volunteer forces close to supreme religious authority Ali al-Sistani. It was formed upon a fatwa, or religious edict, issued by Sistani in 2014, demanding Iraqis take up arms to fight IS.

Contrary to other intelligence reports and noting IS' inability to destabilize the security situation, al-Abbas Combat Division said in a press statement that IS has no significant presence deep in the desert.

The Operation Vengeance for the Martyrs, backed by the Iraqi air force, was carried out quickly.

In this context, the commander of al-Abbas Combat Division, Maitham al-Zaidi, told Al-Monitor, "The operation had important objectives, including access to an area that for a long time was seen as an imminent danger to the holy areas [in Karbala and Najaf]. It has always been portrayed as an area prohibited to military forces."

He added, "Thanks to the combing operation, we were able to determine the roads used by the enemy."

For his part, Hashimi said this type of operation is merely a reaction to the movements of IS and cannot eliminate the danger in the desert and the adjacent provinces. "These operations are not based on proactive intelligence," he said. "They are mostly routine sweep operations with minor outcomes despite great efforts and considerable spending."

Hashimi believes the radical solution to this security dilemma lies in resorting to intelligence, as well as surveillance aircraft, unmanned drones and landing operations of special forces.

Pointing out new progress in dealing with IS, Zaidi said, "We have moved from lengthy routine approvals to immediate urgent approvals. This gives us high flexibility. We have the element of surprise against the enemy."

He also noted, "We have prepared a plan for fast landing operations against hostile targets at various times."

The Iraqi security forces appear to be more active against the IS presence in the Western Desert. But these efforts remain intermittent and incomplete, which gives IS an opportunity to destabilize security in these areas from time to time.

Al Monitor (20.3.2019): Has the Islamic State returned to western Anbar?, www.ris.bka.gv.at Seite 29 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/03/iraq-isis-anbar-security-terrorism.html, Zugriff 9.4.2019

Diyaruna ist laut eigenen Angaben eine Website, die vom USCENTCOM (United States Central Command) finanziert wird, und durch bilaterale und multilaterale Vereinbarungen zur Zusammenarbeit zu größerer regionaler Stabilität beitragen soll. In einem Beitrag vom 28.3.2019 berichtet Diyaruna über die Installation eines Überwachungssystems in der Stadt Rawa und ihren umliegenden Wüstengebieten im westlichen Anbar, wodurch Versuche des Islamischen Staates, die Stadt zu infiltrieren, verhindert werden sollen.

Die lokale Regierung von Rawa führt das Projekt in Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften durch, wobei anspruchsvolle Überwachungskameras und -ausrüstungen in der Stadt und ihrem Umland installiert werden. Dieses Überwachungssystem umfasst thermische, hochpräzise Nachtsichtkameras mit Fernerkennungsfunktionen sowie weitere Überwachungs- und Frühwarngeräte.

Die al-Jazeera Wüste bei Rawa konnte zwar gesichert werden, aufgrund ihrer Ausdehnung und Nähe zu Syrien jedoch nicht vollständig.

Sicherheitskräfte des al-Jazeera-Operations Command und der 28. Armeebrigade führen unentwegt vorbeugende Einsätze in der Wüste durch und durchkämmen diese. Ohne diese Operationen hätten IS-Reste in der Wüste Fuß fassen können, von der aus sie die Stadt und die gesamte Provinz Anbar bedrohen könnten.

Iraqi authorities launched a monitoring and surveillance system this month in the city of Rawa and its desert areas in western Anbar province to thwart "Islamic State of Iraq and Syria" (ISIS) attempts to infiltrate the city.

Rawa's local government is implementing the project in collaboration with security forces, which will involve installing sophisticated surveillance cameras and equipment inside the city and in its surrounding areas.

"We have been preparing to implement the system ever since we retook control of the administrative district of Rawa from ISIS, at the end of 2017," Rawa mayor Hussein al-Akidi told Diyaruna.

The city's location, which stretches along the Syrian border to the west, and the vast desert that surrounds it from all sides, drove its local authorities to "embark on this project to fully support security forces", he said.

The monitoring system, which was activated on March 5th, includes "dozens of thermal, high precision night vision cameras that have long distance detection capabilities, in addition to other surveillance and early warning equipment".

These devices are connected, he said, adding that a control and surveillance centre is located in the mayoral building with screens to display and record video and digital data.

Securing desert areas

The surveillance system is currently operating 24 hours a day, he said, and it will "hopefully reinforce the security situation in a way that would allow us to quickly detect any infiltration or suspicious movement that targets our city".

"It also will provide a more effective way to monitor the desert area surrounding the city and surveil any attempt on the part of the enemy to hide there or use the desert to launch missile attacks," he said.

The desert in Rawa, known as al-Jazeera, "has been secured, but not fully, due to its vastness and proximity to Syria", said al-Akidi.

Security forces with the al-Jazeera Operations Command and the 28th army brigade are constantly conducting pre-emptive missions to comb the desert, he said.

Without these operations, ISIS remnants "would have been able to find a foothold in the desert from which to threaten the city and the entire [Anbar] province", he added. [...]

Diyaruna (28.3.2019): New surveillance system to protect Anbar's Rawa from ISIS infiltration, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/03/28/feature-01, Zugriff 9.4.2019

www.ris.bka.gv.at Seite 30 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Der Irak-Experte Joel Wing, der für die Jamestown Foundation geschrieben hat, von BBC und CNN eingeladen wird und immer wieder in einschlägigen Berichten (z.B. UK Home Office-Bericht zum Irak oder von der österreichischen Nahost-Expertin Gudrun Harrer) zitiert wird, veröffentlicht in seinem Blog "Musings of Iraq" Zahlen zu den Opfern von Gewalt im Irak. Die Statistiken von Joel Wing enthalten genaue Angaben zur Anzahl Getöteter, getöteter Zivilisten, Verwundeter, etc. - dies jeweils in Kombination mit der Art des Angriffes/Anschlages. Laut Joel Wing handelt es sich bei den auf seiner Webseite angegebenen Zahlen um keine Schätzungen, die versuchen das Gesamtausmaß zu erfassen, sondern um einzeln dokumentierte Fälle. Sie seien daher keinesfalls als erschöpfend anzusehen. Zudem würde die irakische Regierung aus Propagandagründen immer wieder aktiv Informationen über bestimmte Vorfälle unterdrücken.

In einem Beitrag zu sicherheitsrelevanten Vorfällen und deren Opfer für die erste April-Woche 2019 berichtet Joel Wing, dass es in Anbar nur zwei sicherheitsrelevante Vorfälle gab. Einer davon, eine gegen Trüffelsammler gerichtete Autobombe im westlichen Anbar, forderte drei Todesopfer und einen Verletzten. Seit Jänner 2019 attackiert der Islamische Staat (IS) Trüffelsammler, was jedoch niemanden abzuschrecken scheint.

[...] Anbar had just two incidents, but one of those was a vehicle bomb. The car bomb targeted Iraqis collecting truffles in western Anbar and left 3 dead and 1 wounded. Since January the Islamic State has been targeting people searching for truffles. This danger hasn't seemed to deter anyone from this endeavor. [...]

Joel Wing, Musings on Iraq (10.4.2017): Security In Iraq Apr 1-7, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/security-in-iraq-apr-1-7-2019.html, Zugriff 12.4.2019

Das Institute for the Study of War (ISW), ein Think Tank der Vereinigten Staaten, der Forschung und Analysen zu Fragen der U.S-amerikanischen Verteidigung und Außenpolitik bereitstellt, berichtet am 7.3.2019, dass der Islamische Staat (IS) seit Oktober 2018 einige Zellen in der Umgebung von Karmah [Anm.: nordöstlich von Fallujah], im Gouvernement Anbar, etabliert hat.

Der IS hat auch eine Unterstützungszone in der Nähe von Amariyat al-Fallujah wieder eingerichtet, von der aus er seit August 2018 Fallujah angreifen kann. Im August 2018 wurde ein Selbstmordanschlag auf ein beliebtes Restaurant in Fallujah versucht. Im Oktober 2018 detonierte in Fallujah die erste Autobombe seit der Rückeroberung der Stadt durch die U.S.-Anti-IS-Koalition im Juni 2016.

Im Jänner 2019 entdeckten die ISF (Irakische Sicherheitskräfte) ein ausgeklügeltes Tunnelsystem, das aus Richtung Amariyat al-Fallujah nach Fallujah hineinreicht. Der IS nutzte diese Tunnel wahrscheinlich, um die Stadt durch IS-Zellen zu infiltrieren. Im Februar 2019 verhafteten die Sicherheitskräfte über 180 Personen mit Verbindungen zum IS.

[...] ISIS has also established several cells near Karmah in Anbar Province since October 2018. [...]

ISIS has re-established a support zone near Amariyat al-Fallujah to attack into Fallujah as of August 2018. ISIS attempted a motorcycle-borne suicide bombing of a popular restaurant in Fallujah in August 2018. In October 2018, ISIS detonated its first VBIED in Fallujah since the city's recapture by the U.S. Anti-ISIS Coalition in June 2016. ISIS likely produced the VBIED using historical production sites in Amariyat al-Fallujah or Southern Fallujah. The ISF discovered sophisticated tunnel networks entering Fallujah from the direction of Amariyat al- Fallujah in January 2019. ISIS likely used the tunnels to infiltrate cells into the city. Security forces later arrested more than 180 individuals connected to ISIS in Fallujah in February 2019. ISIS has also begun using its support zone in Amariyat al-Fallujah to project force south towards Jurf al-Sakhar and Northern Babil Province in December 2018. The ISF has detained several ISIS militants at checkpoints along the highways connecting Babil Province to Baghdad since December 2018. Security forces later thwarted an ISIS SVBIED in Jurf al-Sakhar in January 2019. [...]

ISW - Institute for the Study of War (7.3.2019): ISIS Re-Establishes Historical Sanctuary in Iraq, https://iswresearch.blogspot.com/2019/03/isis-re-establishes-historic-sanctuary.html, Zugriff 9.4.2019

2. Was hat sich seit Mitte 2016 im Hinblick auf die aktuelle Sicherheitslage in Anbar geändert?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

www.ris.bka.gv.at Seite 31 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch einige Informationen gefunden. Eine ausgewogene Auswahl wird entsprechend den Standards der Staatendokumentation im Folgenden zur Verfügung gestellt.

Eine ausführliche Quellenbeschreibung zu einigen der verwendeten Quellen findet sich unter http://www.ecoi.net/5.unsere-quellen.htm. Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben. Als weniger bekannt erkannte Quellen werden im Abschnitt "Einzelquellen" näher beschrieben.

Änderungen der Sicherheitslage im Irak und in Anbar können den die Zeitspanne umfassenden Länderinformationsblättern zum Irak entnommen werden: IRAK_LIB_2016_04_08_KE, in Abschnitt "3. Sicherheitslage", IRAK_LIB_2017_08_24_KE, in Abschnitt "3. Sicherheitslage", sowie "3.1. Statistiken und Grafiken zur Sicherheitslage im Irak" und IRAK_LIB_2018_11_20, in Abschnitt "1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen", in der KI vom 9.4.2019, Sicherheitsupdate 1. Quartal 2019, sowie in Abschnitt "3.5. Sicherheitslage Nord- und Zentralirak". Die Dokumente sind sowohl auf ecoi.net (verlinkt) als auch auf dem Koordinationsboard und auf www.staatendokumentation.at abrufbar.

Zusammenfassung:

Nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die Sicherheitslage im Gouvernement Anbar, auch nach der 2016 gestarteten Operation zur Rückeroberung der unter IS-Kontrolle stehenden Gebiete in Anbar, mit unter anderem der Fallujah-Offensive im Juni 2017 und dem offiziellen Abschluss der Operationen mit der Befreiung Rawas, der letzten Stadt im Irak unter IS-Kontrolle, am 11.11.2017, volatil blieb. Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar fiel mit dem Abschluss der Operationen.

Die Operationen im westlichen Anbar haben seit Januar 2017 über 60.000 Menschen vertrieben. Am stärksten betroffen waren die Distrikte Ana, al-Qaim und Rawa. Im Dezember 2017 lebten schätzungsweise noch 69.000 Binnenvertriebene in den fünf formalen Lagern in Anbar: AAF, HTC, Bezabize, Al-Khalidiya und Kilo 18. Fast 300.000 Menschen aus Anbar waren Ende 2017 immer noch in anderen Gouvernements vertrieben.

Bedrohungen für Rückkehrer bleiben explosive Kriegsrelikte, das Risiko von IS-Angriffen und Attentaten u.a. mit Autobomben und Selbstmordattentätern, sowie Verfolgung aufgrund von wahrgenommener und mutmaßlicher Verbindungen zum IS.

Einzelquellen:

In einem Jahresrückblick zu sicherheitsrelevanten Vorfällen und deren Opfer für das Jahr 2016 berichtet der Irak-Experte Joel Wing, dass das Ausmaß der Gewalt im Irak im Jahr 2016 fluktuierte.

Gegenüber 2015 gab es einen Rückgang der Vorfallzahlen um 1.026 auf 7.447, ein weiterer Rückgang der Gewalt seit 2014, als die Aufständischen kontinuierlich zurückgedrängt und ihre Ressourcen für die Durchführung von Operationen verringert wurden. Trotz dieses Rückgangs der Anzahl der Vorfälle sind die Opferzahlen im Vergleich zu 2015 gestiegen.

Für Anbar wurden 898 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 3.846 Toten und 6.617 Verwundeten verzeichnet.

Violence in Iraq fluctuated throughout 2016. During the start of the year security incidents were in a steady decline until May and June when they went up slightly during the Islamic State's spring offensive. They then continued to spiral downwards until August when attacks went up reaching a peak in November, before dipping again in December. In 2015 8,473 security incidents were recorded by tracking over 40 Iraqi, western and Asian media outlets each day. In 2016 there were 7,447, a decline of 1,026 showing overall that violence has declined since its peak in 2014 when the Islamic State swept across northern and central Iraq. Since then the insurgents have continuously been beaten back and their resources to carry out operations has been diminished. During the first three quarters of 2016 the number of incidents shrank from 2,063 the first quarter to 1,936 the second to 1,678 in the third. They then saw an uptick to 1,770 in the fourth, but it was still below the level of the first half of the year.

[...] Despite the decrease in incidents the number of casualties actually increased from 2015 to 2016. [...]

When broken down by province, Ninewa surpassed Baghdad as the deadliest. There were 1,394 incidents reported in the former, leading to 9,559 deaths and 15,367 wounded. That was just 18% of all incidents, but 39% www.ris.bka.gv.at Seite 32 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 of all casualties in the country. In previous years Baghdad was always the most violence province. In 2016 it still had the most incidents with 3,420, 45% of the total with 5,319 killed and 13,462 injured or 29% of the total. After that Anbar with 898 incidents, 3,846 dead and 6,617 wounded, Kirkuk with 519 incidents, 1,290 deaths and 1,046 injured, and Salahaddin with 465 incidents, 1,116 fatalities and 1,158 wounded had the most losses. All together, Ninewa, Baghdad, Anbar, Kirkuk, and Salahaddin accounted for 87% the violence and 90% of the reported dead and wounded. After those five only Diyala had any significant attacks with 535 incidents, 571 dead and 673 wounded. [...]

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[...]

Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2017): 24,091 Reported Dead And 39,205 Wounded In Iraq In 2016 (2nd Revision), https://musingsoniraq.blogspot.com/2017/01/24079-reported-dead-and-39166-wounded.html, Zugriff 9.4.2019

Die schwedische Migrationsbehörde Migrationsverket berichtet am 18.12.2017 in einem Bericht über die Sicherheitslage im Irak für den Zeitraum von Juli 2016 bis November 2017, dass die Lage im Gouvernement Anbar, das als IS-Hochburg bekannt ist, weiterhin volatil blieb, auch wenn die Gewalt seit der Fallujah- Offensive im Juni 2017 dramatisch abgenommen hat. Nach der Befreiung Fallujahs säuberten irakische Streitkräfte und sunnitische Stammeskämpfer weiterhin Städte vom IS und sicherten Gebiete im nordwestlichen Teil des Gouvernements, wie in . Die Schwierigkeiten der irakischen Truppen, die große und dünn besiedelte Wüstenregion zu sichern, haben zur Folge, dass aufständische Gruppen abgelegene Dörfer inmitten des riesigen Wüstengebietes als Standorte nutzen, um sich neu zu gruppieren und Angriffe an anderer Stelle durchzuführen.

Die Situation änderte sich allmählich inmitten der Hawija-Offensive im September 2017, als die irakische Regierung entschied, ihre Militäroperationen zu intensivieren, um den Einfluss des IS im westlichen Anbar zu brechen, den IS vollständig aus dem Irak zu vertreiben und die irakisch-syrische Grenze wiederherzustellen.

Irakische Armee-, Polizei und Volksmobilisierungskräfte (PMU) nahmen am 16.9.2017 die Stadt Akashat ein. Am 3.11.2017 konnte mit Unterstützung sunnitischer Stammeskämpfer und PMUs al-Qaim zurückerobert werden und am 11.11.2017 wurde bei der Stadt Rawa das letzte verbliebene Gebiet des Irak unter IS-Kontrolle erobert.

Die Operationen im westlichen Anbar haben seit Januar 2017 über 60.000 Menschen vertrieben. Am stärksten betroffen waren die Distrikte Ana, al-Qaim und Rawa. Über 40.000 Menschen lebten zum Berichtszeitraum in Lagern. Der Wiederaufbau und die Wiederherstellung der zuvor vom IS besetzten Gebiete verläuft langsam. In Ramadi wurden über 5.000 Häuser zerstört und 15.000 beschädigt. Schulen liegen in Trümmern. Das Stromnetz, die Wasserversorgung und die Kanalisation wurden während der Kämpfe zerstört. Auch Monate nach der Befreiung sind die Strom- und Wasservorräte knapp, und vom IS gelegte Minen und Sprengfallen müssen noch geräumt werden.

Fallujah war nach seiner Befreiung im Juni 2016 praktisch unbewohnt. IS-Kämpfer hatten Sprengfallen und manipulierte Sprengstoffe zurückgelassen, um die Einwohner von der Rückkehr abzuhalten.

Die starke Verbreitung miteinander konkurrierender bewaffneter Gruppen trug zur Instabilität des Gebietes bei. Auch die lokale Bevölkerung von Anbar ist gespalten in jene, die den IS bekämpften, und jene, die ihn unterstützten.

[...] Anbar governorate, a renowned IS stronghold, remains volatile, although violence has plunged dramatically since the Fallujah offensive in June 2017. Following the liberation of Fallujah, Iraqi forces and Sunni tribal fighters continued to clear towns of IS and to secure territories in the northwest part of the governorate, such as in Haditha. Despite these efforts and the final mopping up of remnants of the militants along the Iraqi-Syrian border, security analysts and military commanders warn it ¿s not the end of the IS threat. This is partly attributed to the difficulty for Iraqi troops to hold the large and sparsely populated desert region. Subsequently, insurgent groups use the isolated villages located in the midst of the vast desert terrain as a launch pad to regroup and conduct attacks elsewhere.

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www.ris.bka.gv.at Seite 33 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

The situation gradually began to change amid the Hawija offensive in September 2017 (see 4.3.3), when the Iraqi government opted to step up military operations in a decisive attempt to break IS's grip over western Anbar, with the aim of completely expelling IS forces from Iraq and restoring the Iraqi-Syrian border. Moving northward from Rutba, the Iraqi army, police, and PMU forces retook the town of Akashat on September 16th. A few days later, Iraqi forces, backed by groups of local tribal fighters, continued westward toward Anah, Rawa, and al-Qaim. The campaign first targeted the town of Anah, liberating it on September 19th. Operations in the western towns came to a halt thereafter to allow the Iraqi forces to push on to Hawija. At the end of October, Iraqi forces renewed their efforts to expelling IS from Rawaandal-Qaim. The towns, which were identified by IS as the "Euphrates Province", were strategically important IS routes for the transfer of fighters, weapons, and goods. Thousands of civilians fleeing the towns, with the help of smugglers, have reported on food and water shortages, as well as forced recruitment of young boys as young as 11 years and other human rights violations by IS.

[...]

Iraqi security forces were able to retake al-Qaim on November 3rd, 2017, backed by Sunni tribal forces and Iranian-backed PMU forces. Military advances continued thereafter to the neighbouring town of Rawa, capturing Iraq's last remaining area under IS control on November 11th, 2017, and liberating 10,000 civilians believed to be held hostage by the organisation. Operations in western Anbar have displaced over 60,000 persons since January 2017. The most severely affected are the districts of Ana, al-Qaim,and Rawa, and over 40,000 people are currently residing in camps. The majority of the internally displaced persons (IDPs) transit through a screening site (Kilo 18), from where they are further transferred to camps orto out-of-camp locations. Rebuilding and restoration of the areas earlier besieged by IS is moving slowly. Over 5,000 homes were destroyed and 15,000 damaged in Ramadi. Schools lie in ruins. Electricity, water, and sewerage systems were destroyed during the fighting. Months after the liberation, electricity and water supplies are scarce, and mines and booby-traps laid by IS remain to be cleared.

The battle for the liberation of Fallujah was both intense and bloody. The city was virtually unpopulated when the Iraqi forces quelled the last of the IS resistance in June 2016. IS fighters had left behind boobytraps and rigged explosives in order to deter people from returning. Tight checkpoints controlled the main roads in and out of Fallujah to screen suspects with ties to IS. The city lacks rehabilitation resources, and local sources have stated that most of the aid, such as electricity and water pumps, comes from international organisations. Security forces patrol neighbourhoods and set checkpoints along roadsides inside and outside the cities in the governorate. The proliferation of competing armed groups adds to the instability of the area. The local population within Anbar is divided between those who fought against IS and those who accommodated them. Distrust and suspicion run deep, and many worry about tribal retribution, and there is fear of new cycles of violence. In addition, widespread corruption, weak institutions, and the lack of rule of law allows IS collaborators to move freely and with impunity. The impact of the post-IS power struggle is felt as households from IS-held territories face forcible displacement to other Sunni sub-districts prompted by informal local councils fearing IS intrusion and destabilising retributive violence. The Tribal Council is advocating for a return to tribal justice, sanctioning retributive violence, collective punishment, destruction of property,and eviction notices to families accused of being associated with extremist groups. Tribal leaders have banned IS supporters from returning until their charges are reviewed. In addition, individuals who do not renounce relatives who supported IS are also banned from returning home. An Iraqi parliamentarian whom Lifos/Landinfo spoke to in Baghdad stated that IDPs held in Amariyah camp were banned from returning by tribal leaders in fear of retribution from locals who have been victimised by IS. [...]

Migrationsverket - Swedish Migration Board (18.12.2017): The Security Situation in Iraq: July 2016-November 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1420556/1226_1514470370_17121801.pdf, Zugriff 9.4.2019

In einem Jahresrückblick zu sicherheitsrelevanten Vorfällen und deren Opfer für das Jahr 2017 berichtet Joel Wing, dass es 2017 zu einem stetigen Rückgang der Gewalt im Irak kam. Sowohl die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle auch der Opfer sanken auf Tiefststände, wie sie seit 2003 nicht mehr verzeichnen wurde. Dies wird auf die Niederlage des Islamischen Staates als konventionelle Armee, die Befreiung der letzten Landesteile und die Entscheidung der Aufständischen zurückgeführt, sich bis Ende des Jahres kampflos zurückzuziehen.

Der Islamische Staat behielt bis Ende 2017 die Kontrolle über den Westen von Anbar und zog sich meist kampflos und kampfkraftschonend zurück, als die Regierung diese Gebiete schließlich befreite. Der IS begann daraufhin Selbstmordattentate und Autobomben in großer Zahl einzusetzen, wobei in den Monaten Jänner, Juli und Oktober je über 40 derartige Versuche verzeichnet wurden. Nach Abschluss der Militäroperation zur Befreiung von West-Anbar im Oktober fielen diese Zahlen wieder auf 14 im November und 6 im Dezember.

www.ris.bka.gv.at Seite 34 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

2017 saw a steady decline in violence in Iraq. After the Mosul battle concluded at the start of the year, security incidents and casualties both went down reaching significant lows not seen since 2003. This was due to the defeat of the Islamic State as a conventional army and the last sections of the country being freed, and a decision by the militants by the end of the year to give up fighting and withdraw.

[...] The Islamic State maintained control of western Anbar until the end of the year. When the government finally freed those areas the insurgents barely put up a fight deciding to withdraw and reserve its manpower instead. Before that, IS was not carrying out many operations in the province with only around 1 incident per day for most of the year. It would launch a large number of suicide and car bombs however. During January, July and October there were over 40 such attempts each month. Only October coincided with a military offensive by the government, which usually results in a large number of counter attacks using such devices. In comparison, when the campaign to free west Anbar was completed in November and December there were only 14 and 6 such attempts respectively, again highlighting the shift in tactics by the insurgents.

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Joel Wing, Musings on Iraq (3.1.2018): 2017 Security In Iraq In Review Defeat Of The Islamic State On The Battlefield, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/01/2017-security-in-iraq-in-review-defeat_3.html, Zugriff 9.4.2019

Der Norwegian Refugee Council (NRC) ist eine unabhängige humanitäre Nichtregierungsorganisation, die sich für die Rechte von Vertriebenen einsetzt.

Danish Refugee Council ist eine private dänische humanitäre Organisation, die 1956 gegründet wurde. Das International Rescue Committee ist eine internationale Hilfsorganisation, die sich für Flüchtlinge und Kriegsopfer einsetzt.

In einem gemeinsamen Bericht von NRC, Danish Refugee Council und International Rescue Committee vom 28.2.2018 wird über die über die Rückkehrsituation in Anbar berichtet.

Dem Bericht ist zu entnehmen, dass Anbar, mit dem Fall von Fallujah im Jänner 2014, eines der ersten Gouvernements des Irak war, die vom Islamischen Staat (IS) angegriffen wurden. Es folgten die Verluste von Al-Rutba, Al-Qaim und Heet, sowie der Hauptstadt Ramadi im Jahr 2015. Die militärische Offensive zur Rückeroberung des IS-Gebietes wurde 2016 gestartet und im November 2017 mit der Rückeroberung von Rawa, der letzten Stadt, die noch unter der Kontrolle des IS stand, offiziell abgeschlossen.

Die IS-Herrschaft und die anschließenden militärischen Operationen zur Rückgewinnung der Kontrolle über Anbar verwüsteten zivile Gebiete durch weitreichende Zerstörungen.

1,2 Millionen Personen kehrten nach Anbar zurück. Von den etwa 100.000 Personen, die in Anbar nach wie vor in Vertreibung leben, stammen 96% aus Gebieten innerhalb des Gouvernements. Im Dezember 2017 leben schätzungsweise noch 69.000 Binnenvertriebene in den fünf formalen Lagern in Anbar: AAF, HTC, Bezabize, Al-Khalidiya und Kilo 18. Fast 300.000 Menschen aus Anbar sind immer noch in anderen Gouvernements vertrieben.

Für Rückkehrer, die versuchen, ihr Leben wieder aufzubauen, bleibt das Risiko von Gewalt, Verletzungen und Tod. 84% der in den Lagern AAF und Bezabize befragten Binnenvertriebenen gaben an, sich im Lager sicherer zu fühlen, als in ihren Herkunftsgebieten. Insbesondere von explosiven Kriegsresten (ERWs), Angriffen, persönlicher Gewalt und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit gehen weiterhin Gefahren für die persönliche Sicherheit aus.

Explosive Kriegsreste: Nicht alle von ISIS zurückeroberten Gebiete wurden von explosiven Kriegsrückständen befreit, bevor die Menschen mit der Rückkehr begannen. Für die Gegenden, die für gesäubert erklärt wurden, gilt dies oft nur für den öffentlichen Raum, während ein Großteil der Wohn- und Landwirtschaftsflächen kontaminiert bleibt. Im Jahr 2017 gab es mehrere Fälle von arbeitenden Bauern und von im Freien spielenden Kindern, die durch ERWs getötet wurden, sowie von Personen, die Sprengfallen auslösten, die in verlassenen Häusern zurückgelassen wurden. Vorbehalte gegen die Fähigkeit der Behörden, Gebiete ausreichend zu dekontaminieren, sind weit verbreitet. Außerdem gibt es Berichte, dass erhebliche Summen für die Säuberung von Häusern gefordert wurden.

www.ris.bka.gv.at Seite 35 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Risiko von IS-Angriffen: Neben dem Risiko durch die Auswirkungen vorangegangener Offensiven, besteht die Bedrohung des Lebens durch laufende IS-Angriffe und sporadische Zusammenstöße weiter.

Kollektive Bestrafung: Die vielleicht häufigste und anhaltende Bedrohung für die Sicherheit und das Wohlergehen der Rückkehrer ist die Zunahme von Gewalt und Vergeltungsmaßnahmen gegen Rückkehrer aufgrund ihrer wahrgenommenen, mutmaßlichen Verbindungen zum IS. Vorfälle von Brandstiftung, Vandalismus und Zerstörung von Eigentum, Einzelangriffe und Verleumdungen sind häufig.

[...] Anbar was one of the first governor-ates attacked by ISIS when, in January 2014, Fallu-jah fell to the group. This was followed by the losses of Al-Rutba, Al-Qaim, and Heet, and the capital, Ramadi in 2015. The military offensive to retake ISIS territory was launched in 2016 and formally concluded in November 2017, with the retaking of Rawa, the last town remaining under ISIS control. ISIS rule, and subsequent military operation to regain control of Anbar, devastated civilian areas and led to widespread destruction of public and private property.

[...] 1.2 million of the total returns in Iraq have been to districts in Anbar, and about 100,000 Iraqis in Anbar are still living in displacement, more than 96% of whom originated from areas within the governor-ate. In December 2017, 69,000 of the internally displaced were estimated to still be living in the five formal camps in Anbar: AAF, HTC, Bezabize, Al-Khalidiya, and Kilo 18. Almost 300,000 people from Anbar are still displaced in other governorates.

[...] For those who return, the risk of violence, injury, and death still looms over people's efforts to rebuild their lives. In fact, 84% of internally displaced people surveyed in AAF and Bezabize reported feeling safer in the camp compared to their area of origin. Threats to personal safety persist from ERWs, attacks on property, personal violence, and freedom of movement restrictions.

Explosive remnants of war: Not all areas retaken from ISIS had been declared cleared of explosive remnants of war before people started returning. For the areas that have been declared clear to date, this often only applies to the public spaces and much of the residential areas and agricultural lands remain contaminated. In 2017, there were multiple instances of farmers working or children playing in open fields killed by ERWs, as well as people triggering booby traps left behind in aban-doned houses. One family evicted from AAF in late 2017 were forced to return to a partially dam-aged house, only to have a family member killed after an explosive device went off in the room where they tried to shelter. Reservations about the ability of authorities to sufficiently decontami- nate areas are common, and further, some families have reported being asked for significant sums of money for their houses to be cleared. In one area of Fallujah, families reported that an armed actor charged a sum of 300USD to clear their houses.

Risk of ISIS attacks: Beyond the risk of lingering impact from the previous military offensives, the threats to people's lives from ongoing ISIS attacks and sporadic clashes continue. In June 2017, a bomb affixed to a bicycle exploded near the gate of the public garden in Fallujah city, where many returnees gathered, injuring five men and two women. In another case, a group of returnee boys playing football were attacked with grenades and two suicide attacks followed, targeting the first responders, resulting in the death of eight peo-ple. In May, ISIS fighters reportedly took advan-tage of a sandstorm and infiltrated a Baghdad sub-district disguised as police. Ensuing clashes resulted in one returnee killed and three others injured.

Collective punishment: Perhaps the most common and persistent threat to returnees' safety and well-being is the proliferation of violence and retributive acts perpetrated against returnees for their perceived links with ISIS. Incidents of burning down houses, vandalizing property, individual attacks, and slander are common. [...]

NRC - Norwegian Refugee Council; DRC - Danish Refugee Council; IRC - International Rescue Committee (Author), published by NRC - Norwegian Refugee Council (28.2.2018): The Long Road Home; Achieving durable Solutions to Displacement in Iraq: Lessons from Returns to Anbar, https://www.nrc.no/globalassets/pdf/reports/the-long-road-home/the-long-road-home.pdf, Zugriff 15.4.2019

Joel Wing berichtet im Jahresrückblick zu sicherheitsrelevanten Vorfällen und deren Opfer für das Jahr 2018, dass seit Sommer 2018 die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Irak zurückgegangen ist. Der Islamische Staat zog sich Ende des Jahres weitgehend aus den Gouvernements Anbar, Bagdad und Salahaddin zurück, was einen Rückgang der Vorfälle zur Folge hatte.

www.ris.bka.gv.at Seite 36 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Der Islamische Staat führte das ganze Jahr über Streifzüge nach Anbar, Bagdad und Salahaddin durch, zog sich aber im Winter zurück. Im Herbst 2018, von August bis Oktober, unternahm der Islamische Staat einige Versuche mit Massenbombenanschlägen, Selbstmordattentäter und Autobomben, in Anbar. Im Dezember wurden nur acht Angriffe gezählt. [...]

Since the summer of 2018 incidents have declined in Iraq. That ended in December with the lowest number of security incidents ever recorded for a month by Musings On Iraq. The Islamic State largely retreated from Anbar, Baghdad and Salahaddin at the end of the year resulting in the low level of violence.

[...] The Islamic State made forays into Anbar, Baghdad and Salahaddin throughout the year, but then pulled back in the winter. During the fall the Islamic State made some attempts at mass casualty bombings in Anbar. There were suicide and car bombs from August to October. After that attacks declined to single digits with just 8 in December. [...]

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Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html, Zugriff 9.4.2019

Das US-amerikanische Außenministerium, USDOS, berichtet am 13.3.2019, dass der Islamische Staat (IS), trotz seiner territorialen Niederlage im Dezember 2017, der Hauptakteur für Missbrauch und Gräueltaten im Irak bleibt.

Diese Missbräuche waren besonders deutlich in Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah al-Din, wo der IS routinemäßig Zivilisten tötete und entführte, und Sicherheitskräfte angriff. Das ganze Jahr 2018 über setzte der IS Autobomben und Selbstmordattentäter ein.

Im August griffen IS-Selbstmordattentäter ein Gebäude der politischen Partei al-Hal in Heet, Anbar, an, wobei drei Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte (ISF) getötet und neun Zivilisten, darunter eine Kandidatin zur Wahl, verwundet wurden.

Der Konflikt mit dem IS hat das Leben von Hunderttausenden von Menschen im ganzen Land gestört, insbesondere in den Gouvernements Bagdad, Anbar und den Ninewa.

[...] Despite its territorial defeat in December 2017, ISIS remained the major perpetrator of abuses and atrocities. These abuses were particularly evident in Anbar, Baghdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa, and Salah al-Din Governorates, where ISIS routinely killed and abducted civilians and attacked security forces. Throughout the year ISIS detonated vehicle-borne IEDs and suicide bombs.

[...] In August, ISIS suicide bombers attacked an al-Hal political party building in Heet, Anbar, killing three ISF and wounding nine civilians, including a female electoral candidate.

[...] Conflict disrupted the lives of hundreds of thousands of persons throughout the country, particularly in Baghdad, Anbar, and Ninewa Governorates. [...]

USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2004254.html, 12.4.2019

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Anbar, Sicherheitslage, Erreichbarkeit vom 16.04.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006888.html, mwN (Zugriff am 18.10.2019)

2. Sicherheitskräfte und Milizen:

Im ganzen Land sind zahlreiche innerstaatliche Sicherheitskräfte tätig. Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle ausgeübt (USDOS 20.4.2018).

Quellen: www.ris.bka.gv.at Seite 37 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

2.1. Irakische Sicherheitskräfte (ISF):

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 20.4.2018).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee- Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Sie sind noch nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.2.2018).

Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen findet Missbrauch vor allem während der Verhöre inhaftierter Personen im Rahmen der Untersuchungshaft statt. Probleme innerhalb der Provinzpolizei des Landes, einschließlich Korruption, bleiben weiterhin bestehen. Armee und Bundespolizei rekrutieren und entsenden bundesweit Soldaten und Polizisten. Dies führt zu Beschwerden lokaler Gemeinden bezüglich Diskriminierung aufgrund ethno-konfessioneller Unterschiede durch Mitglieder von Armee und Polizei. Die Sicherheitskräfte unternehmen nur begrenzte Anstrengungen, um gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 31.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

2.2. Popular Mobilization Forces (PMF) - Milizen:

2.2.1. Übersicht:

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" (al-hashd al-sha'bi, engl.: popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, www.ris.bka.gv.at Seite 38 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 20.4.2018). Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr- Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.2.2018).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.2.2018). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten das Assad-Regime in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und der iranischen Revolutionsgarde. Ende 2017 war keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch Premierminister und ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben "iranisch" ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 20.4.2018).

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa'ib Ahl al-Haqq und den Kata'ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen von Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF. Diese Meldungen haben sich mit dem Konflikt um die umstrittenen Gebiete zum Teil verschärft (AA 12.2.2018).

2.2.2. Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF:

Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mossul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizzentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen www.ris.bka.gv.at Seite 39 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind/waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind/waren (Posch 8.2017).

2.2.3. Bekannte PMF-Organisationen:

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der "Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak" wurde später zum "Obersten Islamischen Rat im Irak" (OIRI), siehe Abschnitt "Politische Lage"]. Die Badr- Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017).

Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al- Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die USamerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017).

Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali al-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

Auch die Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr- Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

Quellen:

www.ris.bka.gv.at Seite 40 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 31.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq's Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian- peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state, Zugriff 31.10.2018

- Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien - Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-Mail

- Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha'bi: Die irakischen "Volksmobilisierungseinheiten" (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu- jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 31.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

2.2.4. ACCORD-Themendossier zu schiitischen Milizen:

Aus dem ACCORD - ecoi.net Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen vom 22.07.2019 ergibt sich:

"[...]

1. Überblick über die Milizen

Als die Gruppe Islamischer Staat (IS) im Juni 2014 die Stadt Mossul einnahm, rief Ayatollah Ali al-Sistani, der einflussreichste schiitische Kleriker im Land, dazu auf, den Staat bei der Bekämpfung des IS zu unterstützen. Zehntausende Männer folgten dem Aufruf des Klerikers und sammelten sich unter dem losen Dachverband der Volksverteidigungskräfte (Popular Mobilization Forces, PMF) (EPIC, 18. Jänner 2017[i]; The Century Foundation, 5. März 2018[ii]). Circa 50 Milizen mit insgesamt 45.000 bis 142.000 Kämpfern sind unter diesem Dachverband gruppiert (ICG, 30. Juli 2018, S. 1[iii]). Von manchen Quellen wird die arabische Bezeichnung der PMF, Al-Haschd Asch-Schaabi (Al-Hashd Al-Sha'abi), verwendet. Weitere gängige Bezeichnungen sind Popular Mobilization Units (PMU) oder einfach nur "Hashd".

Im November 2016 wurde mit Unterstützung des schiitischen Blocks im Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Legalisierung der PMF und deren Einrichtung als separate militärische Einheit vorsieht, die dem Premierminister untersteht (RFE/RL, 26. November 2016[iv]). Die PMF-Milizen erhalten ihren Sold aus der Staatskasse (FAZ, 28. Juni 2019). Seit Ende 2017, als die irakische Regierung offiziell den Sieg über den IS verkündete, haben die PMF neben ihren kämpferischen Funktionen ihren Wirkungsbereich ausgeweitet. So verfügen sie über einen eigenen Parteienblock im Parlament und haben insbesondere in den vom IS zurückgewonnenen Gebieten im Zuge des Wiederaufbaus Wirtschaftssektoren übernommen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen (ICG, 30. Juli 2018, S. i-ii). Nachdem der Parteienblock der PMF, genannt Fatah, bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 die zweitstärkste Kraft wurde, erließ das Parlament im November 2018 ein Gesetz, das den PMF-Kämpfern den gleichen Lohn und manche der Vorzüge von Soldaten der irakischen Armee garantiert (Los Angeles Times, 13. Februar 2019[v]). Im Jänner 2019 wurde den PMF laut lokalen Medienberichten die Kontrolle über eine der größten in Staatsbesitz befindlichen Baufirmen übertragen. Die PMF-Kämpfer könnten folglich in Zukunft dafür eingesetzt werden, Straßen zu bauen und Häuser wieder instand zu setzen (Los Angeles Times, 13. Februar 2019). Anfang Juli erließ Premierminister Abd Al-Mahdi ein Dekret, in dem er alle PMF-Milizen dazu aufforderte, sich bis zum 31. Juli den regulären Sicherheitskräften anzugliedern oder nur mehr als politische Bewegung zu fungieren (EPIC, 4. Juli 2019; DW, 2. Juli 2019). Die Milizenführer der Badr-Organisation, der Asa'ib Ahl al-Haq sowie Milizenführer Muqtada Al-Sadr gaben ihre Zustimmung bekannt (EPIC, 4. Juli 2019). Laut Renad Mansour von der britischen Denkfabrik Chatham House ist das Ziel der PMF-Führung, Teil des Staates zu werden, um so Kontrolle über diesen zu erlangen (FP, 9. Juli 2019[vi]).

Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, www.ris.bka.gv.at Seite 41 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distriktvorsteher und andere Amtsträger auszuüben (Al-Araby Al-Jadeed, 12. Februar 2019[vii]).

1.1 Wichtigste Gruppen

Die unter den PMF gruppierten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat (Clingendael Institute, Juni 2018, S. 2[viii]). Man kann sie laut International Crisis Group aber nach ihrer Ausrichtung etwa in drei Blöcke einteilen: der erste und mächtigste Block folgt dem iranischen Obersten Religionsführer Ali Khamenei und unterhält enge Verbindungen zu den iranischen Revolutionsgarden. Der zweite Block folgt dem höchsten schiitischen Kleriker im Irak, Ayatollah Ali Al-Sistani. Der dritte Block besteht aus der mit dem irakischen Kleriker Muqtada Al-Sadr verbundenen Miliz Saraya Al-Salam und steht in Opposition zum erstgenannten pro-iranischen Block. Während die pro-iranischen Milizen die Integration in die nationalen Sicherheitskräfte ablehnten, standen der zweite und dritte Block einer möglichen Unterordnung ihrer Milizen unter Innen- oder Verteidigungsministerium positiv gegenüber (ICG, 30. Juli 2018, S. 3-4). Mittlerweile haben auch einige pro-iranische Milizen einer Eingliederung in die regulären Sicherheitskräfte zumindest öffentlich zugestimmt (EPIC, 4. Juli 2019).

1.2 Pro-Iran-Milizen

Viele der Pro-Iran-Milizen entstanden bereits in der Zeit nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2003. Zu ihnen gehören die Badr-Organisation (ursprünglich 1982 im Iran gegründet, seit 2003 wieder im Irak vertreten), Asa'ib Ahl al-Haqq (gegründet 2006), Kata'ib Hisbollah (gegründet 2007) sowie weitere Milizen (ICG, 30. Juli 2018, S. 3). Die Pro-Iran-Milizen machen den größten Teil der PMF aus (The Soufan Center, 20. März 2019[ix]).

Unter ihrem Anführer Abu Mahdi Al-Muhandis ist Kata'ib Hisbollah mit etwa 20.000 Kämpfern die am engsten mit dem Iran kooperierende Miliz. Asa'ib Ahl al-Haqq mit ihrem Anführer Qais Al-Khazali verfügt über etwa 15.000 Kämpfer und zwölf Sitze im Parlament. Als älteste schiitische Miliz gilt die Badr-Organisation unter ihrem Anführer Hadi-Al-Amiri. Sie verfügt über etwa 20.000 Kämpfer und ist als Teil des von den PMF geführten Fatah-Blocks stark in der Politik vertreten (The Soufan Center, 20. März 2019).

Kurze Profile der Milizen Badr, Kat'ib Hisbollah und Asa'ib Ahl al-Haqq sind auf der Website des Wilson Center[x] unter folgendem Link abrufbar:

- Wilson Center: Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq (AutorInnen: Garrett Nada und Mattisan Rowan), 27. April 2018https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq

1.3 Milizen loyal gegenüber Ali Al-Sistani

Milizen, die Ayatollah Al-Sistani folgen, sind nach Imamen oder deren Grabstätten benannt und heißen unter anderem Imam Ali-Kampfdivision (Firqat al-Imam Ali al-Qitaliya), Sarayat al-Ataba al-Abbasiya, Sarayat al- Ataba al-Huseiniya, Sarayat al-Ataba al-Alawiya und Liwaa Ali al-Akbar. Sie gründeten sich im Juni 2014, als Al-Sistani Freiwillige dazu aufrief, sich den Sicherheitskräften anzuschließen. Offiziell operieren sie als Teil der PMF, haben aber ein angespanntes Verhältnis mit der Führungsriege der PMF, die von den Pro-Iran-Milizen dominiert wird (ICG, 30. Juli 2018, S. 3). Diese Milizen sind von einer nationalistischen Einstellung geprägt, stehen der irakischen Regierung eher positiv gegenüber und streben eine Auflösung und Integrierung in die irakischen Sicherheitskräfte an (Clingendael Institute, Juni 2018, S. 3)

1.4 Miliz Saraya Al-Salam von Muqtada Al-Sadr

2014 mobilisierte sich aus den Rängen der vormaligen Mahdi-Armee die Miliz Saraya Al-Salam, die dem irakischen Kleriker Muqtada Al-Sadr untersteht. Sie verfolgt eine nationalistische Ideologie und eigene politische Ziele (Clingendael Institute, Juni 2018, S. 3). Al-Sadr hat angekündigt, die Miliz Saraya Al-Salam als militärischen Arm seiner Organisation aufzulösen. Die in Samarra stationierten Kämpfer der Miliz wurden jedoch ausgenommen (Rudaw, 30. März 2019[xi]). Im Juli 2019 gibt Al-Sadr bekannt, sich endgültig von Saraya Al-Salam loszulösen, deren Stützpunkte zu schließen sowie den Namen aufzugeben. Die Kämpfer seien jetzt Teil der offiziellen Sicherheitskräfte (Basnews, 1. Juni 2019[xii]). Laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu wurden jedoch noch keine Details bezüglich der weiteren Schritte zur Auflösung der Miliz veröffentlicht (AA, 2. Juli 2019).

Ein Kurzprofil von Saraya Al-Salam ist auf der Website des Wilson Center unter folgendem Link abrufbar: www.ris.bka.gv.at Seite 42 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- Wilson Center: Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq (AutorInnen: Garrett Nada und Mattisan Rowan), 27. April 2018, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq

2. Überblick zu Verbreitung und Aktivitäten der Milizen im Land

Al-Araby Al-Jadeed berichtet im Oktober 2018, dass sich PMF-Milizen im Norden und im Westen des Landes ohne spezielle Anordnung der irakischen Regierung wieder ausbreiten. Laut einem ranghohen Mitarbeiter von Premierminister Al-Abadi sind 80 Prozent der PMF-Milizen im Norden und Westen des Irak stationiert. Der Artikel erwähnt, ohne dabei Quellen zu nennen, die Präsenz von Milizen in 20 Städten und Distrikten, insbesondere in den Provinzen Anbar, Diyala Salahaddin, Kirkuk und Ninawa sowie an der Grenze zu Syrien. Zudem gibt es Stützpunkte in Tadschi (bei Bagdad) sowie in Nasiriya zum Schutz schiitischer Pilger. Die Milizen stellen Checkpoints und Sicherheitsbarrieren auf, führen Hausdurchsuchungen und Razzien durch und übernehmen damit Aufgaben aus dem Zuständigkeitsbereich der irakischen Armee. Genannt werden die Milizen Asa'ib Ahl Al-Haqq, Kata'ib Hisbollah, Saraya Al-Khorasani; Badr, Hisbollah Al-Nudschaba, Kata'ib Imam Ali, die Abbas-Kampfdivision und weitere (Al-Araby Al-Jadeed, 18. Oktober 2018).

Ein weiterer Artikel von Al-Araby Al-Jadeed beschreibt unter Verweis auf Informationen aus staatlichen Quellen und aus PMF-Kreisen die Anfang 2019 begonnene Initiative zur Errichtung und Erweiterung bereits bestehender Stützpunkte von PMF-Milizen in den Provinzen Anbar, Diyala, Ninawa, Kirkuk und Salahaddin sowie im Bagdad-Gürtel (Umland der Hauptstadt). Sie liegen in der nahen Umgebung von Städten. In Diyala wird Camp Aschraf zum Hauptstützpunkt der PMF ausgebaut. In Anbar gibt es sechs Stützpunkte (drei im Umland von Falludscha, im Gebiet "160 Kilo" westlich von Ramadi, im Gebiet der Phosphatgruben und beim Grenzübergang Al-Rutba); in Ninawa fünf Hauptstützpunkte (nahe Mossul, Tel Afar, Sindschar, Baadsch und Rabia); in Salahaddin gibt es Stützpunkte in Tikrit, Baidschi, Siniya, Balad und Duluiya und in der Provinz Kirkuk bei den Hamrin-Bergen, Umm al-Khanadschir, Riyad, bei al-Hawidscha und im Westen von Dibis. Einige dieser Stützpunkte sind reine PMF-Stützpunkte, andere werden mit Einheiten der Bundespolizei geteilt (Al-Araby Al-Jadeed, 12. Februar 2019).

Die folgende Chronologie gibt Vorfälle in Zusammenhang mit Milizen seit Sommer 2018 sortiert nach den einzelnen irakischen Provinzen wieder.

2.1 Bagdad

Die Quellen deuten auf mehrere Wirkungsfelder der Milizen in Bagdad hin. Sie konkurrieren mit offiziellen Sicherheitskräften, haben Mitglieder beziehungsweise Verbündete in wichtigen politischen Ämtern und sind teilweise für Übergriffe auf StadtbewohnerInnen verantwortlich:

Laut dem EASO-Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 befinden sich die Stadt Bagdad und ihre Vororte generell unter staatlicher Kontrolle, in der Praxis teilen sich jedoch die Behörden die Bereiche Verteidigung und Strafverfolgung mit den zumeist schiitischen PMF, was zu unvollständiger oder sich mit den Milizen überschneidender Kontrolle führt (EASO, März 2019, S. 75[xiii]).

Im Juni 2018 berichtet das Long War Journal (LWJ) über Zusammenstöße zwischen Mitgliedern der irakischen Polizei und Kämpfern der irakischen Hisbollah-Brigaden (Kata'ib Hisbollah) in Bagdad. Bei dem Schusswechsel sind laut Angaben einer anonymen Quelle aus Sicherheitskreisen mindestens drei Personen verletzt worden (LWJ, 21. Juni 2018[xiv]).

Im August 2018 räumen Asa'ib Ahl al-Haqq ein, dass rund 50 ihrer Milizkämpfer in Bagdad Verbrechen, darunter Plünderung, Erpressung, Entführungen und Morde verübt haben, um an Geld zu gelangen (Yaqein, 6. August 2018[xv]).

Der irakische Innenminister gibt im Oktober 2018 bekannt, seine Mitgliedschaft in der Badr-Organisation auszusetzen. Zuvor hat der schiitische Kleriker Muqtada Al-Sadr verkündet, dass die Ministerien für Inneres und Verteidigung von unabhängigen Personen geleitet werden sollten (Erem News, 20. Oktober 2018[xvi]).

Al-Arabiya bezeichnet im Dezember 2018 den gerade vom Provinzrat gewählten Provinzgouverneur von Bagdad als Person mit Naheverhältnis zur Miliz Kata'ib Hisbollah (Al-Arabiya, 23. Dezember 2018[xvii]).

Im Jänner 2019 wird in Sadr City ein Restaurantbesitzer von einem Angreifer auf einem Motorrad erschossen. Zuvor ist laut Rudaw der Vorwurf an die PMF, für Verbrechen wie Erpressung, Entführung und Tötungen www.ris.bka.gv.at Seite 43 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 verantwortlich zu sein, nur verhalten vonseiten von Menschenrechtsorganisationen und BewohnerInnen sunnitischer Stadtteile geäußert worden. Dieses Mal hat jedoch ein Medium, das dem schiitischen Parteienblock Al-Hikma nahesteht, berichtet, dass der Täter später gefasst wurde und er Papiere bei sich trug, die dessen Mitgliedschaft bei Asa'ib Ahl al-Haqq bestätigen. Führende Mitglieder von Asa'ib Ahl al-Haqq lehnen diese Berichterstattung scharf ab und sehen sich als Opfer einer Verleumdungskampagne (Rudaw, 11. Jänner 2019; Al-Araby Al-Jadeed, 11. Jänner 2019).

Im Februar 2019 verweist Middle East Monitor (MEMO)[xviii] unter Berufung auf Informationen der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu auf eine Operation der Sicherheitskräfte in Bagdad, bei der vier Stützpunkte der PMF durchsucht und geschlossen wurden (MEMO, 8. Februar 2019). Im Februar 2019 kommt es innerhalb der PMF-Strukturen in Bagdad zu Auseinandersetzungen, was eine Welle von Festnahmen und Schließungen von PMF-Stützpunkten zufolge hat. Mehrere Stützpunkte der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz sind von den Schließungen betroffen, der Aufenthaltsort des Anführers ist unbekannt. Die Durchsuchungen erfolgen, nachdem die Führung der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz bestimmte Kräfte für die Ermordung eines Schriftstellers verantwortlich gemacht hat (Al-Araby Al-Jadeed, 8. Februar 2019).

Im Mai belagern zum Präsidentenregiment gehörende Sicherheitskräfte einen PMF-Stützpunkt in Bagdad im Stadtteil Dschadiriya und fordern die PMF dazu auf, ihren Stützpunkt zu verlassen (Al-Sumaria, 23. Mai 2019[xix]).

Laut einer Meldung auf Sumer News[xx] vom Juni 2019 ruft der Provinzrat von Bagdad dazu auf, die PMF zu Hilfe zu nehmen, um den Bagdad-Gürtel zu sichern (Sumer News, 9. Juni 2019).

2.2 Al-Anbar

Die Quellen erwähnen insbesondere den militärischen Einsatz von PMF-Truppen im Grenzgebiet zu Syrien im Westen der Provinz. Jedoch auch in manchen Städten zeigen die PMF durch ihre Stützpunkte und die Eröffnung von Büros Präsenz:

Der EASO-Bericht erwähnt unter Verweis auf mehrere Quellen die Präsenz der Milizen Sarayat al-Dschihad in Falludscha und Kata'ib Hisbollah, Kata'ib Dschund al-Imam, Sarayat Ansar al-Aqida in Ramadi und Hit. Im Ort Al-Nukhaib zwischen Ramadi und Kerbela sind Einheiten der Asa'ib Ahl al-Haqq, der Badr-Organisation, der Abbas-Kampfdivision sowie weitere Milizen stationiert (EASO, März 2019, S. 62).

Im Juli 2018 erwähnt Al Araby Al Jadeed, dass in der Stadt Falludscha die Straße am Fluss abgeriegelt ist, da sich dort der Stützpunkt der PMF befindet. Besitzer von Geschäften und Häusern an dieser Straße können bereits seit 2014 ihre Gebäude dort nicht mehr nutzen (Al-Araby Al-Jadeed, 25. Juli 2018).

Im Dezember 2019 berichtet Haaretz[xxi] über die zunehmende Stationierung von PMF-Truppen im Grenzgebiet zu Syrien bei Al-Qaim. Anführer von PMF-Milizen hatten eine permanente Rolle beim Grenzschutz gefordert und würden eigenen Angaben zufolge einen Grenzstreifen von 240 Kilometern Länge kontrollieren (Haaretz, 12. Dezember 2018). Al-Monitor[xxii] schreibt, dass verschiedene überregionale PMF-Milizen, darunter insbesondere Kata'ib Hisbollah, die Straße von Al-Qaim bis Rutba im Westen der Provinz Anbar kontrollieren (Al-Monitor, 27. Dezember 2018).

Laut NAS News[xxiii] hat die PMF-Führung beschlossen, im Distrikt Haditha der Provinz Al-Anbar ein Büro für "religiöse Mitteilungen" zu eröffnen (NAS News, 29. Jänner 2019). Rudaw zitiert einen PMF-Anführer, laut dem es bei diesem Büro nicht darum gehe, den schiitischen Glauben zu verbreiten. Es gebe viele dieser mit PMF verbundenen Zentren, die meisten davon würden von Sunniten angeführt und würden medizinische oder religiöse Beratungen anbieten (Rudaw, 31. Jänner 2019).

Laut Alghad Press[xxiv] ist im Februar 2019 die Abbas-Kampfdivision aufgebrochen, um zusammen mit anderen Kampfeinheiten die Wüste im Westen des Irak von Terrorelementen zu befreien (Alghad Press, 24. Februar 2019).

Im Februar werden drei PMF-Kämpfer bei der Explosion eines Sprengsatzes an der Straße in der Gegend Thirthar nördlich von Ramadi verletzt (Basnews, 24. Februar 2019).

Im Juni meldet die PMF-Führung in der Provinz Anbar, dass bei einer Operation in der Wüste im Westen des Irak drei IS-Mitglieder getötet sowie deren Ausrüstung zerstört wurden (Baghdad Today, 20. Juni 2019[xxv]).

www.ris.bka.gv.at Seite 44 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Ende Juni gibt die PMF-Führung die Ergebnisse ihrer Operation im Westen der Provinz Anbar bekannt. Mittels einer Kooperation von Luftwaffe und Einsätzen von Bodentruppen sind die Versorgungsketten von Terroristen, die in die Wüste geflohen seien, abgeschnitten worden (Al-Sumaria, 30. Juni 2019).

[...]"

Quellen:

- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: ecoi.net- Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen vom 22.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013050.html, mwN (Zugriff am 18.10.2019)

2.3. Kurdische Sicherheitskräfte (Peshmerga):

Die kurdischen Sicherheitskräfte (Peshmerga) unterstehen formal der kurdischen Regionalregierung und sind bislang nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert. Sie bilden allerdings keine homogene Einheit, sondern unterstehen faktisch voneinander getrennt den beiden großen Parteien, der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), in ihren jeweiligen Einflussgebieten (AA 12.2.2018). Die Peshmerga sind eine komplexe und vielschichtige Kraft, ihre Loyalität geteilt zwischen dem irakischen Staat, der autonomen Region Kurdistan, verschiedenen politischen Parteien und mächtigen Persönlichkeiten. Zu verschiedenen Zeitpunkten, manchmal auch gleichzeitig, können die Peshmerga als nationale Sicherheitskräfte, regionale Sicherheitskräfte, Partei-Kräfte und persönliche Sicherheitskräfte bezeichnet werden (Clingendael 3.2018).

Im Kampf gegen den IS hatten die Peshmerga Gebiete über die ursprünglichen Grenzen von 2003 der Region Kurdistan-Irak hinaus befreit. Aus diesen zwischen Bagdad und Erbil seit jeher umstrittenen Gebieten hat die irakische Armee die Peshmerga nach Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums im September 2017 größtenteils zurückgedrängt. In weiten Teilen haben die Peshmerga sich kampflos zurückgezogen, es gab jedoch auch teils schwere bewaffnete Auseinandersetzungen mit Opfern auf beiden Seiten (AA 12.2.2018).

Nach der irakischen Verfassung hat die kurdische Autonomieregion das Recht, ihre eigenen Sicherheitskräfte zu unterhalten, finanziell unterstützt von der irakischen Bundesregierung, aber unter der operativen Kontrolle der kurdischen Autonomieregierung. Dementsprechend beaufsichtigt das Ministerium für Peshmerga- Angelegenheiten der kurdischen Autonomieregion 14 Infanteriebrigaden und zwei Unterstützungsbrigaden. Die PUK und die KDP kontrollieren zehntausende Mann zusätzliches Militärpersonal, einschließlich Milizen, die allgemein als die 70er und 80er Peshmerga-Brigaden bezeichnet werden (USDOS 20.4.2018).

KDP und PUK unterhalten getrennte Sicherheits- und Nachrichtendienste, einerseits Asayish und Parastin (KDP), und andererseits Asayish und Zanyari (PUK) (USDOS 20.4.2018; vgl. Chapman 2009). Die Unabhängige Menschenrechtskommission der kurdischen Autonomieregion informiert das kurdische Innenministerium regelmäßig, wenn ihr glaubwürdige Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch Polizeikräfte zukommen (USDOS 20.4.2018).

Die Sicherheitsdienste der kurdischen Autonomieregion halten in den von ihnen kontrollierten Gebieten bisweilen Verdächtige fest. Die schlecht definierten administrativen Grenzen zwischen Gebieten und dem Rest des Landes führen zu anhaltender Verwirrung über die Zuständigkeit der Sicherheitskräfte und der Gerichte. Erschwerend kommt hinzu, dass Teile dieser Gebiete sich noch unter IS-Kontrolle befinden (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 31.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (3.2018): Fighting for Kurdistan? Assessing the nature and functions of the Peshmerga in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-03/fighting-for-kurdistan.pdf, Zugriff 31.10.2018

www.ris.bka.gv.at Seite 45 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

3. Politische Lage:

3.1. Im Zentralirak:

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch- republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik- Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018). Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018; vgl. IRIS 11.5.2018).

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch- religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.2.2018).

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 9.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS- www.ris.bka.gv.at Seite 46 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 12.10.2018

- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker- 180915115434675.html, Zugriff 19.10.2018

- BBC - British Broadcasting Corporation (9.12.2017): Iraq declares war with Islamic State is over, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-42291985, Zugriff 18.10.2018

- BBC - British Broadcasting Corporation (3.10.2018): New Iraq President Barham Saleh names Adel Abdul Mahdi as PM, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-45722528, Zugriff 18.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- CIA - Central Intelligence Agency (17.10.2018): The World Factbook - Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 19.10.2018

- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salihas-new- president/a-45733912, Zugriff 18.10.2018

3.2. In der Autonomen Region Kurdistan:

Das Verhältnis der Zentralregierung zur kurdischen Autonomieregion, die einen semi-autonomen Status innehat, hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der Autonomieregion und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25. September 2017 deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018). Die Kurden konnten das von ihnen kontrollierte Territorium im Irak in Folge der Siege gegen den IS zunächst ausdehnen. Mit dem Referendum am 25.9.2017 versuchte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken (BPB 24.1.2018).

Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren, angefangen mit der ölreichen Region um Kirkuk (AA 12.2.2018). Die schnelle militärische Rückeroberung der umstrittenen Gebiete durch die irakische Armee, einschließlich der Erdöl- und Erdgasfördergebiete um Kirkuk, mit massiver iranischer Unterstützung, bedeutete für die kurdischen Ambitionen einen Dämpfer. Präsident Barzani erklärte als Reaktion darauf am 29.10.2017 seinen Rücktritt. Der kampflose Rückzug der kurdischen Peshmerga scheint auch auf zunehmende Differenzen zwischen den kurdischen Parteien hinzudeuten (BPB 24.1.2018).

Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der kurdischen Autonomieregion (AA 12.2.2018).

Im Dezember 2017 forderte die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen gegen die Regionalregierung in Sulaymaniya mehrere Todesopfer. Daraufhin hat sich die Oppositionspartei Gorran aus dem kurdischen Parlament zurückgezogen (BPB 24.1.2018). In der Autonomieregion gehen die Proteste schon auf die Zeit gleich nach 2003 zurück und haben seitdem mehrere Phasen durchlaufen. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind jedoch gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018).

www.ris.bka.gv.at Seite 47 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Am 30.9.2018 fanden in der kurdischen Autonomieregion Wahlen zum Regionalparlament statt (Tagesschau 30.9.2018). Mit einer Verzögerung von drei Wochen konnte die regionale Wahlkommission am 20.10.2018 die Endergebnisse veröffentlichen. Zahlreiche Parteien hatten gegen die vorläufigen Ergebnisse Widerspruch eingelegt. Gemäß der offiziellen Endergebnisse gewann die KDP mit 686.070 Stimmen (45 Sitze), vor der PUK mit 319.912 Stimmen (21 Sitze) und Gorran mit 186.903 Stimmen (12 Sitze) (ANF 21.10.2018; vgl. Al Jazeera 21.10.2018, RFE/RL 21.10.2018). Die Oppositionsparteien lehnen die Abstimmungsergebnisse ab und sagen, dass Beschwerden über den Wahlbetrug nicht gelöst wurden (Al Jazeera 21.10.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 12.10.2018

- Al Jazeera (21.10.2018): Opposition parties reject vote results in Iraq's Kurdish region, https://www.aljazeera.com/news/2018/10/opposition-parties-reject-vote-results-iraq-kurdish-region- 181021194012607.html, Zugriff 23.10.2018

- ANF - ANF News (21.10.2018): Wahlergebnisse in Südkurdistan veröffentlicht, https://anfdeutsch.com/kurdistan/wahlergebnisse-in-suedkurdistan-veroeffentlicht-7293, Zugriff 23.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- BPB - Bundeszentrale für politische Bildung (24.1.2018): Kurdenkonflikt, https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54641/kurdenkonflikt, Zugriff 22.10.2018

- LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf, Zugriff 23.10.2018

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (21.10.2018): Ruling KDP Wins Most Seats In Kurdish Regional Parliament Vote, https://www.rferl.org/a/ruling-kdp-wins-most-seats-in-kurdish-regional- parliament-vote/29555348.html, Zugriff 23.10.2018

- Tagesschau (30.9.2018): Wahl in Irakisch-Kurdistan Ein Parlament, das besser arbeitet?, https://www.tagesschau.de/ausland/irak-kurden-wahlen-101.html, Zugriff 23.10.2018

3.3. Parteien:

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).

Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018).

Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).

Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran

www.ris.bka.gv.at Seite 48 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

("Wandel"), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018).

Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).

LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 lraqi Federal Elections, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC lragi-elections Report 2018.pdf, Zugriff 2.11.2018 [Grafik gelöscht, Anm.]

Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al• Monitor 23.8.2018; vgl. Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vgl. Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018). Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).

Quellen:

- Al Jazeera (6.6.2018): lraq orders recount of all 11 million votes from May 12 election, https://www.aljazeera.com/news/2018/06/irag-orders-recount-11-million-votes-12-election- 180606163950024.html, Zugriff 23.10.2018

- Al-Monitor (23.8.2018): Many lraqi legislators call for canceling election results, https://www.al•monitor.com/pulse/originals/2018/05/irag-election-fraud.html, Zugriff 23.10.2018

- The Arab Weekly (7.10.2018): Room for optimism in lraq under new leadership, https://thearabweekly.com/room-optimism-irag-under-new-leadership, Zugriff 23.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- BP - Baghdad Post (17.12.2017): All Shia political parties have armed militias - Nujaba, https://www.thebaghdadpost.com/en/Story/21086/All-Shia-political-parties-have-armed-militias-Nujaba, Zugriff 22.10.2018

- CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq's Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 22.10.2018

- Fanack (27.9.2018): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of- iraq/, Zugriff 17.10.2018

- The Guardian (12.5.2018): Martyr or master? Future of anti-Isis militias splits Iraq ahead of elections, https://www.theguardian.com/world/2018/may/12/iraq-elections-become-battleground-iranian- influence, Zugriff 22.10.2018

- HoC - House of Commons (12.6.2018): Briefing paper: Iraq and the 2018 election, researchbriefings.files.parliament.uk/documents/.../CBP-8337.pdf, Zugriff 22.10.2018

- IRIS - Institute of Regional and International Studies (11.5.2018): Iraq Votes 2018: Election Mobilization Strategies, https://auis.edu.krd/iris/sites/default/files/IraqVotes2018_MobilizationStrategies1.pdf, Zugriff 2.11.2018 www.ris.bka.gv.at Seite 49 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- ISPI - Istituto per gli studi di politica internazionale (10.5.2018): After IS: The meaning of Iraq's election for the Arab Sunni community, https://www.ispionline.it/sites/default/files/pubblicazioni/commentary_seloom_10.05.2018.pdf, Zugriff 22.10.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (22.5.2018): Sadr-Communist Alliance And Iraq's 2018 Elections Interview With Benedict Robin, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/05/sadr-communistalliance- and-iraqs-2018.html, Zugriff 22.10.2018

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 17.10.2018

- LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf, Zugriff 23.10.2018

- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi- elections_Report_2018.pdf, Zugriff 18.10.2018

- MEMO - Middle East Monitor (16.1.2018): Iraq: 3 major Sunni provinces form alliance to run in elections, https://www.middleeastmonitor.com/20180116-iraq-3-major-sunni-provinces-form-alliance- to-run-in-elections/, Zugriff 22.10.2018

- MEMO - Middle East Monitor (27.2.2018): Iraq Islamic party will not run in upcoming elections, https://www.middleeastmonitor.com/20180227-iraq-islamic-party-will-not-run-in-upcoming-elections/, Zugriff 22.10.2018

- Niqash (7.7.2016): Too Many Contradictions: Why Iraq's New Political Parties Law Can Never Work, http://www.niqash.org/en/articles/politics/5304/, Zugriff 22.10.2018

- Niqash (5.4.2018): Formerly-Armed Angels? The Controversial Iraqi Militia That Now Prefers Social Work To Politics, http://www.niqash.org/en/articles/security/5873/, Zugriff 22.10.2018

- Reuters (19.5.2018): Cleric Moqtada al-Sadr's bloc wins Iraq election, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election-results/cleric-moqtada-al-sadrs-bloc-wins-iraqelection- idUSKCN1IJ2X0, Zugriff 19.10.2018

- Reuters (24.5.2018): Iraqi PM Abadi says election fraud allegations to be investigated, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election-fraud/iraqi-pm-abadi-says-election-fraud-allegationsto- be-investigated-idUSKCN1IP2Z2, Zugriff 23.10.2018

- Reuters (10.8.2018): Recount shows Iraq's Sadr retains election victory, no major changes, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election/recount-shows-iraqs-sadr-retains-electionvictory-no-major- changes-idUSKBN1KV041, Zugriff 19.10.2018

- Der Standard (29.10.2017): Kurdenpräsident Barzani hinterlässt einen Trümmerhaufen, https://derstandard.at/2000066849335/Kurdenpraesident-Barzani-hinterlaesst-einen-Truemmerhaufen, Zugriff 22.10.2018

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2016): Die "Volksmobilisierung" im Irak, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2016A52_sbg.pdf, Zugriff 22.10.2018

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Die Badr-Organisation: Irans wichtigstes politisch- militärisches Instrument im Irak, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A27_sbg.pdf, Zugriff 22.10.2018

- WI - al-Waqa'i'a al-iraqiyya (12.10.2015): Law No. 36 of 2015 on Political Parties, https://www.ilo.org/dyn/natlex/docs/ELECTRONIC/102986/124758/F1240401810/4383.pdf, Zugriff 22.10.2018 www.ris.bka.gv.at Seite 50 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- WoR - War on the Rocks (25.8.2017): Iraq's competing security forces after the battle for Mosul, https://warontherocks.com/2017/08/iraqs-competing-security-forces-after-the-battle-for-mosul/, Zugriff 22.10.2018

- WSJ - Wall Street Journal (9.8.2018): Iraq Election Results Unchanged After Recount on Fraud Allegations, https://www.wsj.com/articles/iraq-election-results-unchanged-after-recount-on-fraud- allegations-1533852653, Zugriff 23.10.2018

- WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/994916_Schluesselland-Irak.html, Zugriff 15.10.2018

3.4. Protestbewegung:

3.4.1. Übersicht:

Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Quellen:

- Al Jazeera (22.7.2018): Iraq protests: What you should know, https://www.aljazeera.com/indepth/features/iraq-protests-180717074846746.html, Zugriff 23.10.2018

- Al Jazeera (3.8.2018): Protests in Iraq dwindle after weeks of anger, https://www.aljazeera.com/news/2018/08/protests-iraq-dwindle-weeks-anger-180803192747710.html, Zugriff 24.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- Carnegie - Carnegie Middle East Center (19.9.2018): The Basra Exception, http://carnegie- mec.org/diwan/77284?lang=en, Zugriff 23.10.2018

- CNN - Central News Network (17.7.2018): Protests spread, turn deadly in Iraq: At least 8 are dead, dozens hurt, https://edition.cnn.com/2018/07/16/world/iraq-protests-violent/index.html, Zugriff 23.10.2018

- The Daily Star (19.7.2018): In Iraq, old grievances fuel deadly protests,

www.ris.bka.gv.at Seite 51 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2018/Jul-19/457085-in-iraq-old-grievances-fuel-deadly- protests.ashx, Zugriff 23.10.2018

- DW - Deutsche Welle (15.7.2018): Protests spread from oil-rich Basra across southern Iraq, https://www.dw.com/en/protests-spread-from-oil-rich-basra-across-southern-iraq/a-44678926, Zugriff 23.10.2018

- HRW - Human Rights Watch (24.7.2018): Iraq: Security Forces Fire on Protesters, https://www.hrw.org/news/2018/07/24/iraq-security-forces-fire-protesters, Zugriff 24.10.2018

- ICG - International Crisis Group (31.7.2018): How to cope with Iraq's summer brushfire, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/b61-howcope-iraqs- summer-brushfire, Zugriff 23.10.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (14.7.2018): Protests In Iraq Greatly Escalate And Spread Throughout South, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/protests-in-iraq-greatly-escalate-and.html, Zugriff 24.10.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (17.7.2018): Iraq Government Starts Crackdown On Protests, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/iraq-government-starts-crackdown-on.html, Zugriff 24.10.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (21.7.2018): 2 Killed As Protests Hit 10 Provinces In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/2-killed-as-protests-hit-10-provinces.html, Zugriff 24.10.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (25.7.2018): Silencing Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/silencing-protests-in-iraq.html, Zugriff 24.10.2018

- Kurier (15.7.2018): Proteste im Irak eskalieren weiter: Mehrere Tote, https://kurier.at/politik/ausland/proteste-im-irak-eskalieren-weiter-mehrere-tote/400066748, Zugriff 24.10.2018

- NPR - National Public Radio (27.9.2018): Months Of Protests Roil Iraq's Oil Capital Basra, https://www.npr.org/2018/09/27/651508389/months-of-protests-roil-iraqs-oil-capital- basra?t=1539869569857&t=1540298050551, Zugriff 23.10.2018

- Die Presse (15.7.2018): Massive Proteste breiten sich im Süden des Irak aus, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5464674/Massive-Proteste-breiten-sich-im-Sueden-des-Irak- aus, Zugriff 24.10.2018

- Vox (8.9.2018): The violent protests in Iraq, explained, https://www.vox.com/world/2018/9/7/17831526/iraq-protests-basra-burning-government-buildings-iran- consulate-water, Zugriff 24.10.2018

- WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=994916&em_l oc=69&em_ref=/nachrichten/welt/weltpolitik/&em_ivw=RedCont/Politik/Ausland&em_absatz_bold=0, Zugriff 2.11.2018

3.4.2. Proteste und Ausgangssperre in Bagdad und Südirak - Stand Kurzinformation vom 04.10.2019:

Aus der Kurzinformation der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zum Irak: Proteste und Ausgangssperre in Bagdad und Südirak vom 04.10.2019 ergibt sich:

"Am Dienstag den 1.10.2019 kam es in zehn irakischen Gouvernements, Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala und Najaf, zu teils gewalttätigen

Demonstrationen. Diese haben sich am Mittwoch den 2.10. auch auf die Gouvernements Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din ausgeweitet. In vielen Gebieten eskalierten die Proteste

www.ris.bka.gv.at Seite 52 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

(Joel Wing 3.10.2019), die Sicherheitskräfte verloren mancherorts die Kontrolle und Demonstranten besetzten Regierungsgebäude (FAZ 3.10.2019). Die Regierungssitze in Dhi Qar, Babil, Diwaniya und Maysan wurden in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019).

Am Mittwochabend verhängte Ministerpräsident Adel Abdul Mahdi eine Ausgangssperre in Bagdad und mehreren Städten im Südirak (FAZ 3.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019). Am Donnerstag wurde auch über eine flächendeckende Blockade des Internets berichtet. Etwa drei Viertel des Landes, inklusive der Hauptstadt, seien "offline" (FAZ 3.10.2019). Tausende Demonstranten widersetzten sich der Ausgangssperre und versammelten sich auf dem Tahrir-Platz (Platz der Befreiung). Sicherheitskräfte setzten Tränengas und scharfe Munition gegen Demonstranten ein (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; FAZ 3.10.2019).

Polizei- und Krankenhausquellen zufolge gab es Todesfälle in Bagdad und den Städten Amara, Diwaniya, Hilla und Nassiriya (BBC 4.10.2019). Die Zahl der Toten wird am 4.10. mit 44 beziffert, 42 Demonstranten und zwei Polizisten. Über 1.000 Personen wurden verletzt (Standard 4.10.2019).

Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe (Jugend-)Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard

4.10.2019).

Mahdi nannte die Proteste in einer Fernsehansprache in der Nacht auf Freitag berechtigt (Standard 4.10.2019), verurteilte jedoch den Vandalismus (FAZ 3.10.2019).

Zusätzlich zu den Protesten gibt es Meldungen über Explosionen in der Grünen Zone in Bagdad, bei denen es sich offenbar um Raketeneinschläge handelte (FAZ 3.10.2019; vgl.

BBC 4.10.2019)."

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Kurzinformation zu Irak: Proteste und Ausgangssperre in Bagdad und Südirak vom 04.10.2019 mwN per E-Mail (Zugriff am 07.10.2019)

- Al Mada (2.10.2019): , https://almadapaper.net/view.php? cat=221822, Zugriff 4.10.2019

- BBC News (4.10.2019): Iraq protests: 'No magic solution' to problems, PM says, https:// www.bbc.com/news/world-middle-east-49929280, Zugriff 4.10.2019

- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (3.10.2019): Die Wut der Iraker auf die Regierung, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tote-bei-protesten-die-wut-der-iraker-auf-dieregierung- 16415369.html, Zugriff 4.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq's October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-andgrow.html, Zugriff 4.10.2019

- Standard, Der (4.10.2019): Irakischer Premier sieht Demonstranten im Recht, https://www.derstandard.at/story/2000109475503/mehr-als-30-tote-bei-protesten-im-irak, Zugriff 4.10.2019

4. Rechtsschutz und Justizwesen:

4.1. Im Zentralirak:

Die Bundesjustiz besteht aus dem Obersten Justizrat (Higher Judicial Council, HJC), dem Bundesgerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission und anderen Bundesgerichten, die durch das Gesetz geregelt werden. Das reguläre Strafjustizsystem besteht aus Ermittlungsgerichten, Gerichten der ersten Instanz, Berufungsgerichten, dem Kassationsgerichtshof und der Staatsanwaltschaft (LIFOS 8.5.2014). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.2.2018).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.2.2018). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein. Darüber hinaus www.ris.bka.gv.at Seite 53 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 schwächen die Sicherheitslage und die politische Geschichte des Landes die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 20.4.2018). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.2.2018).

Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 16.1.2018).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.2.2018). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft (FH 16.1.2018). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.2.2018).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Die Integritätskommission untersucht routinemäßig Richter wegen Korruptionsvorwürfen, aber einige Untersuchungen sind Berichten zufolge politisch motiviert. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente sowie der Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 20.4.2018). Nicht nur Polizei Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).

Die Verfassung gibt allen Bürgern das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess. Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen. Obwohl Ermittlungs-, Prozess- und Berufungsrichter im Allgemeinen versuchen, das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen, ist der unzureichende Zugang der Angeklagten zu Verteidigern ein schwerwiegender Mangel im Verfahren. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 20.4.2018).

2017 endeten viele Schnellverfahren gegen Terrorverdächtige mit Todesurteilen. Zwischen Juli und August 2017 erließen die irakischen Behörden auch Haftbefehle gegen mindestens 15 Rechtsanwälte, die mutmaßliche IS- Mitglieder verteidigt hatten. Den Anwälten wurde vorgeworfen, sie stünden mit dem IS in Verbindung (AI 22.2.2018).

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 16.7.2018

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425073.html, Zugriff 13.7.2018

www.ris.bka.gv.at Seite 54 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- FH - Freedom House (16.1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq, Zugriff 25.7.2018

- LIFOS (8.5.2014): Iraq: Rule of Law in the Security and Legal System, https://landinfo.no/asset/2872/1/28721.pdf, Zugriff 13.7.2018

- Stanford - Stanford Law School (2013): Constitutional Law of Iraq, https://law.stanford.edu/wp- content/uploads/2018/04/ILEI-Constitutional-Law-2013.pdf, Zugriff 12.7.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 13.7.2018

4.2. In Kurdistan:

Auch die Lage in der Autonomen Region Kurdistan ist von Defiziten der rechtsstaatlichen Praxis gekennzeichnet (AA 12.2.2018). Der Kurdische Justizrat ist rechtlich, finanziell und administrativ unabhängig vom Justizministerium der Regierung der Autonomen Region Kurdistan, die Exekutive beeinflusst jedoch politisch sensible Fälle. Beamte der Region Kurdistan-Irak berichten, dass Staatsanwälte und Verteidiger bei der Durchführung ihrer Arbeit häufig auf Hindernisse stoßen und dass Prozesse aus administrativen Gründen unnötig verzögert werden. Nach Angaben der Unabhängigen Menschenrechtskommission der Region Kurdistan- Irak bleiben Häftlinge auch nach gerichtlicher Anordnungen ihrer Freilassung für längere Zeit in den Einrichtungen des internen Sicherheitsdienstes der kurdischen Regierung (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 16.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 13.7.2018

5. Folter und unmenschliche Behandlung:

5.1. Im Zentralirak:

Folter und unmenschliche Behandlung sind lautder irakischen Verfassung ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte. Laut Informationen von UNAMI sollen u. a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören. Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz übergeben, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 12.2.2018).

Es gibt Berichte, dass die Polizei mit Gewalt Geständnisse erzwingt und Gerichte diese als Beweismittel akzeptieren. Weiterhin misshandeln und foltern die Sicherheitskräfte der Regierung, einschließlich der mit den PMF verbundenen Milizen, Personen während Verhaftungen, Untersuchungshaft und nach Verurteilungen. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums sowie in Einrichtungen unter KRG-Kontrolle. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen (USDOS 20.4.2018).

Gegen Ende der Kämpfe um Mossul zwischen Mai und Juli 2017 häuften sich Berichte, wonach irakische Einheiten, darunter Spezialkräfte des Innenministeriums, Bundespolizei und irakische Sicherheitskräfte, Männer und Jungen, die vor den Kämpfen flohen, festnahmen, folterten und außergerichtlich hinrichteten (AI 22.2.2018). www.ris.bka.gv.at Seite 55 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

In ihrem Kampf gegen den IS haben irakische Streitkräfte Hunderte von IS-Verdächtigen gefoltert, hingerichtet oder gewaltsam verschwinden lassen. Zahlreiche gefangene IS-Verdächtige haben behauptet, die Behörden hätten sie durch Folter zu Geständnissen gezwungen. Während der Militäreinsätze zur Befreiung von Mosul, haben irakische Streitkräfte mutmaßliche IS-Kämpfer, die auf dem Schlachtfeld oder in dessen Umfeld gefangen genommen worden waren, ungestraft gefoltert und hingerichtet, manchmal sogar nachdem sie Fotos und Videos der Misshandlungen auf Social Media Seiten veröffentlicht hatten (HRW 18.1.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 16.7.2018

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Jahresbericht 2017/18 Irak, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/irak#section-1722159, Zugriff 16.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Iraq, https://www.hrw.org/world- report/2018/country-chapters/iraq, Zugriff 16.7.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 16.7.2018

5.2. In Kurdistan:

Missbräuchliche Verhöre sollen unter bestimmten Bedingungen in einigen Haftanstalten der internen Sicherheitseinheit der KRG, der Asayish, und der Geheimdienste der großen politischen Parteien, der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) Parastin und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) Zanyari stattfinden (USDOS 20.4.2018). Berichten zufolge kommt es in Gefängnissen der Asayish in der Region Kurdistan-Irak zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige (AA 12.2.2018).

KRG-Behörden haben Buben zwischen 11 und 17 Jahren gefoltert, die wegen angeblicher Verbindungen zum IS verhaftet worden waren, und haben sie daran gehindert, sich an einen Anwalt zu wenden. Nach Angaben der Unabhängigen Menschenrechtskommission der KRG befanden sich in einer Jugendstrafanstalt in Erbil 215 Buben wegen Vorwürfen in Zusammenhang mit dem IS. Die Kommission hat 165 Buben befragt. Die meisten Jugendlichen behaupteten, dass die Sicherheitskräfte von PMF und KRG sie verschiedenen Formen des Missbrauchs, einschließlich Schlägen, ausgesetzt hätten (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 16.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 16.7.2018

6. Korruption:

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Staatsdiener vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht immer wirksam um. Im Laufe des Jahres 2017 gab es zahlreiche Berichte über staatliche Korruption. Auf allen Ebenen des Staates sind einzelne Amtsträger in korrupte Praktiken verstrickt. Die Untersuchung von Korruption ist nicht frei von politischer Einflussnahme. Erwägungen hinsichtlich Familienzugehörigkeit, Stammeszugehörigkeit und Religionszugehörigkeit beeinflussen Regierungsentscheidungen auf allen Ebenen maßgeblich. Bestechung, Geldwäsche, Vetternwirtschaft und Veruntreuung öffentlicher Gelder sind üblich. Medien und NGOs versuchen Korruption unabhängig aufzudecken, obwohl ihre Möglichkeiten begrenzt sind. Antikorruptions-, Strafverfolgungs- und Justizbeamte www.ris.bka.gv.at Seite 56 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 sowie Mitglieder der Zivilgesellschaft und der Medien werden wegen ihrer Bemühungen zur Bekämpfung korrupter Praktiken bedroht und eingeschüchtert (USDOS 20.4.2018).

Die im ganzen Land grassierende Korruption ist bei fast allen Reformvorhaben ein wesentliches Hindernis, ihre Bekämpfung wurde nach dem militärischen Sieg gegen den IS von Ministerpräsident Abadi als dringlichste politische Aufgabe ausgerufen. Positiv zu vermerken ist die (demokratische) Absetzung einiger besonders korrupter Gouverneure, insbesondere in Ninewa. Abzuwarten bleibt, ob eine konsequentere Strafverfolgung auch unabhängig von der jeweiligen Zugehörigkeit zu bestimmten politischen Lagern erfolgen wird (AA 12.2.2018).

Es kommt wiederholt zu Demonstrationen gegen Korruption, sowohl im Süden des Landes, als auch in Bagdad, sowie in den kurdischen Autonomiegebieten (Rudaw 19.12.2017; vgl. Rudaw 9.2.2018, Qantara 16.7.2018).

Auf dem Corruption Perceptions Index 2017 von Transparency International wird der Irak mit 18 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) (TI 21.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 16.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- Rudaw (19.12.2017): Anger over corruption fuels Kurdish protests, http://www.rudaw.net/english/kurdistan/181220178, Zugriff 17.7.2018

- Rudaw (9.2.2018): Thousands join anti-corruption protests across Iraq, http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/09022018, Zugriff 2.11.2018

- TI - Transparency International (21.2.2018): Iraq, https://www.transparency.org/country/IRQ, Zugriff 16.7.2018

- Qantara (16.7.2018): Proteste im Irak gegen Arbeitslosigkeit und Korruption eskalieren, https://de.qantara.de/content/proteste-im-irak-gegen-arbeitslosigkeit-und-korruption-eskalieren, Zugriff 17.7.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 16.7.2018

7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten:

Mit Stand August 2018 waren laut irakischer Bundesdirektion für Nichtregierungsorganisationen 3.550 NGOs registriert. In der Autonomen Region Kurdistan betrug die Zahl registrierter NGOs 4.300 Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs erleichtert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigte, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen über die Suspendierung von NGOs schuf (ICNL 14.9.2018).

Trotz positiver rechtlicher Rahmenbedingungen hat sich im Zuge der seit 2014 anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen das Arbeitsumfeld für Menschenrechtsorganisationen deutlich verschlechtert. Im gesamten Irak existierten allein im Bereich Menschenrechte zuletzt etwa 350 registrierte NGOs. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen besonderen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und weiter bestehende regulatorische Hindernisse erschweren dennoch die Arbeit vieler NGOs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs berichten von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden "Besuchen" durch Vertreter des Ministeriums. Die Präsenz von ausländischen NGOs im Zentral- und Südirak ist nach wie vor gering. Dies gilt nicht für die Region Kurdistan-Irak, wo viele ausländische NGOs tätig sind, die derzeit aber unter verschärften Kontrollen durch die Zentralregierung in ihrer Arbeit beeinträchtigt sind (AA 12.2.2018). www.ris.bka.gv.at Seite 57 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Nationale und internationale NGOs operieren in den meisten Fällen unter geringer staatlicher Einflussnahme, jedoch gibt es Berichte über staatliche Einmischung, wenn NGOs der Regierung oder bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppen Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. Im Südirak berichten einige NGOs von Regierungsbeamten, die ihre Arbeit behindert bzw. sie belästigt haben, insbesondere was die Finanzen betrifft. Die kurdische Autonomieregion verfügt über eine aktive Gemeinschaft von meist kurdischen NGOs, viele mit engen Beziehungen zu den politischen Parteien PUK und KDP (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 17.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- ICNL - The International Center for Not-for-Profit Law (14.9.2018): Civic Freedom Monitor: Iraq, http://www.icnl.org/research/monitor/iraq.html, Zugriff 30.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 16.7.2018

8. Allgemeine Menschenrechtslage:

8.1. Im Zentralirak:

Die Verfassung garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.2.2018).

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen und Erpressung durch PMF-Elemente; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; stark reduzierte Strafen für so genannte "Ehrenmorde"; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Menschenhandel. Militante Gruppen töteten bisweilen LGBTI-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 20.4.2018).

Im Zuge des internen bewaffneten Konflikts begingen Regierungstruppen, kurdische Streitkräfte, paramilitärische Milizen, die US-geführte Militärallianz und der IS auch 2017 Kriegsverbrechen, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und schwere Menschenrechtsverstöße. Der IS vertrieb Tausende Zivilpersonen, zwang sie in Kampfgebiete und missbrauchte sie massenhaft als menschliche Schutzschilde. Er tötete vorsätzlich Zivilpersonen, die vor den Kämpfen fliehen wollten, und setzte Kindersoldaten ein. Regierungstruppen und kurdische Streitkräfte sowie paramilitärische Milizen waren für außergerichtliche Hinrichtungen von gefangen genommenen Kämpfern und Zivilpersonen, die dem Konflikt entkommen wollten, verantwortlich. Außerdem zerstörten sie Wohnhäuser und anderes Privateigentum. Sowohl irakische und kurdische Streitkräfte als auch Regierungsbehörden hielten Zivilpersonen, denen Verbindungen zum IS nachgesagt wurden, willkürlich fest, folterten sie und ließen sie verschwinden. Prozesse gegen mutmaßliche IS-Mitglieder und andere Personen, denen terroristische Straftaten vorgeworfen wurden, waren unfair und endeten häufig mit Todesurteilen, die auf "Geständnissen" basierten, welche unter Folter erpresst worden waren. Die Zahl der Hinrichtungen war weiterhin besorgniserregend hoch (AI 22.2.2018).

www.ris.bka.gv.at Seite 58 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Es gibt zahlreiche Berichte, dass der IS und andere terroristische Gruppen, sowie einige Regierungskräfte, einschließlich der PMF, willkürliche oder rechtswidrige Tötungen begangen haben. Es gibt keine öffentlich zugängliche umfassende Darstellung des Umfangs des Problems verschwundener Personen. Obwohl die PMF offiziell unter dem Kommando des Premierministers stehen, operieren einige PMF-Einheiten nur unter begrenzter staatlicher Aufsicht oder Rechenschaftspflicht (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 23.7.2018

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State oft he World's Human Rights - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1425073.html, Zugriff 28.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 23.7.2018

8.2. In Kurdistan:

Es gibt zwar eine unabhängige kurdische Menschenrechtskommission, sie beschränkt sich aber eher auf die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen und kann selten eine volle Aufklärung oder gar Ahndung gewährleisten (AA 12.2.2018). Der Hohe Ausschuss für die Bewertung und Reaktion auf internationale Berichte überprüfte in der Autonomen Region Kurdistan Anschuldigungen von Misshandlungen durch die Peshmerga, insbesondere gegen IDPs, und entschuldigte sie in öffentlichen Berichten und Kommentaren. Es besteht quasi Straffreiheit für Regierungsbeamte und Sicherheitskräfte, einschließlich der Peshmerga und PMF (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 23.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 23.7.2018

8.3. Haftbedingungen:

8.3.1. Im Zentralirak:

Die Haftbedingungen entsprechen nicht dem Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert (AA 12.2.2018). In einigen Gefängnissen und Haftanstalten bleiben die Bedingungen aufgrund von Überbelegung, Misshandlung und unzureichendem Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung hart und lebensbedrohlich. In staatlichen Haftanstalten und Gefängnissen fehlt es zuweilen an ausreichender Nahrung und Wasser. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist uneinheitlich. Einige Haftanstalten verfügten über keine eigene Apotheke oder Krankenstation. Existierende Apotheken sind oft unterversorgt. Die Überbelegung der staatlichen Gefängnisse stellt ein systemisches Problem dar, das durch die Zunahme der Zahl der mutmaßlichen IS-Mitglieder, die im Berichtszeitraum festgenommen wurden, noch verschärft wird. Es gibt keine Unterkünfte für Häftlinge mit Behinderungen. Häftlinge, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden vom Rest der Gefangenen isoliert und bleiben häufiger in Gewahrsam des Innen- bzw. Verteidigungsministeriums. (USDOS 20.4.2018)

Es fehlt an Jugendstrafanstalten; laut dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz werden jugendliche Häftlinge mittlerweile meist getrennt von erwachsenen Straftätern inhaftiert, ihnen wird aber oft der regelmäßige Kontakt zu ihren Familien verwehrt (AA 12.2.2018) www.ris.bka.gv.at Seite 59 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Die UN-Mission für den Irak (UNAMI) konnte ihr Mandat zum Besuch irakischer Haftanstaltennicht umfassend wahrnehmen. Die irakischen Behörden verweigerten in mehreren Fällen den Zugang zu Haftanstalten. Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) hat hingegen regelmäßigen und flächendeckenden Zugang (AA 12.2.2018).

Die Behörden halten IS-Verdächtige unter überfüllten und in einigen Fällen unmenschlichen Bedingungen fest. Inhaftierte Minderjährige werden in manchen Fällen nicht von Erwachsenen getrennt (HRW 18.1.2018).

Berichten zufolge unterhält der nationale Sicherheitsdienst (National Security Service, NSS), ein dem Premierminister unterstellter Geheimdienst, auch inoffizielle Gefangenenlager (BAMF 23.7.2018; vgl. HRW 22.7.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 23.7.2018

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (23.7.2018): Briefing Notes, per E-Mail

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 16.09.2019)

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Iraq, https://www.hrw.org/world- report/2018/country-chapters/iraq, Zugriff 24.7.2018

- HRW - Human Rights Watch (22.7.2018): Iraq: Intelligence Agency Admits Holding Hundreds Despite Previous Denials, https://www.hrw.org/news/2018/07/22/iraq-intelligence-agency-admits-holding- hundreds-despite-previous-denials, Zugriff 24.7.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 23.7.2018

8.3.2. In Kurdistan:

In den Haftanstalten der Region Kurdistan-Irak (KRG) herrschen etwas bessere Bedingungen, insbesondere in der neugebauten Modellanstalt Dohuk (AA 12.2.2018). Die Bedingungen in vielen kleineren Haftanstalten des KRG-Innenministeriums sind jedoch weiterhin schlecht. In einigen Haftanstalten der Asayish und der Polizei halten KRG-Behörden gelegentlich Jugendliche in denselben Zellen wie Erwachsene fest (USDOS 20.4.2018).

In Gefängnissen der Asayisch in der Region Kurdistan-Irak werden Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige angewendet. Die Haftbedingungen sind insgesamt sehr schlecht. Allerdings sind Bemühungen der kurdischen Regionalregierung erkennbar, die Haftbedingungen zu verbessern, systematische Folter abzustellen und internationale Standards einzuhalten. Das IKRK hat Zugang zu den Gefängnissen in der Region Kurdistan-Irak (AA 12.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 23.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 16.09.2019)

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 23.7.2018

8.4. Todesstrafe:

8.4.1. Im Zentralirak:

www.ris.bka.gv.at Seite 60 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (AA 12.2.2018; vgl. HRW 18.1.2018, AI 12.4.2018).

Aktuelle Daten liegen nicht vor, da die irakische Regierung die Zahlen nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen berichtet und, auch auf Nachfrage, keine verlässlichen Angaben macht. Laut Berichten von NGOs sind 1.816 Personen aktuell zum Tode verurteilt (AA 12.2.2018), gemäß einer anderen Quelle sind es sogar über 3.000 (AI 21.3.2018). Human Rights Watch berichtet von mindestens 78 Hinrichtungen von verurteilten IS- Mitgliedern im Jahr 2017. Es gibt jedoch seit Kurzem Berichte über wöchentlich 3-4 Vollstreckungen der Todesstrafe, was die jährliche Zahl verdoppeln würde (AA 12.2.2018). Hintergrund könnte sein, dass aktuell insbesondere ehemalige IS-Kämpfer - oder Personen die dessen beschuldigt werden - massenhaft in unzulänglichen Prozessen zu Tode verurteilt werden (AA 12.2.2018; vgl. AI 21.3.2018).

Problematisch sind bereits seit Jahren die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag unter Anderem auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art. Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 12.2.2018).

8.4.2. In Kurdistan:

In der Autonomen Region Kurdistan wurde nach dem Fall des Regimes Saddam Husseins die Todesstrafe abgeschafft, später aber zur Bekämpfung des Terrorismus wieder eingeführt. Am 12. August 2015 wurden erstmals seit 2008 wieder drei Menschen hingerichtet. Auch im Jahr 2017 wurde ein Todesurteil durch den Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan zur Vollstreckung freigegeben, die Vollstreckung ist bisher aber noch nicht erfolgt (AA 12.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 23.7.2018

- AI - Amnesty International (12.4.2018): Death sentences and executions 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1429291/90_1523523827_act5079552018english.pdf, Zugriff 25.7.2018

- AI - Amnesty International (21.3.2018): Iraq: Alarming reports of more than 3,000 people facing death over terror-related offences, https://www.ecoi.net/en/document/1427328.html, Zugriff 25.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 16.09.2019)

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Iraq, https://www.hrw.org/world- report/2018/country-chapters/iraq, Zugriff 25.7.2018

9. Meinungs- und Pressefreiheit:

9.1. Im Zentralirak:

Die Verfassung garantiert die Freiheit der Meinungsäußerung (AA 12.2.2018), solange diese nicht die öffentliche Ordnung und Moral verletzt, Unterstützung für die verbotene Ba'ath-Partei ausdrückt oder die gewaltsame Änderung der Grenzen des Landes befürwortet. Einzelpersonen und Medien betreiben jedoch Selbstzensur, aufgrund der glaubwürdigen Angst vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionellen Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden. Kontrolle und Zensur der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung behindern manchmal den Medienbetrieb, was mitunter die Schließung von Medien, Einschränkungen der Berichterstattung und Behinderung von Internetdiensten zur Folge hat. Einzelpersonen können die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, jedoch nicht ohne Angst vor Vergeltung (USDOS 20.4.2018).

Im Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, zumeist die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen (AA 12.2.2018). Die meisten der mehrere hundert Printmedien, die im Irak täglich oder wöchentlich erscheinen, sowie dutzende www.ris.bka.gv.at Seite 61 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Radio- und Fernsehsender, werden von politischen Parteien stark beeinflusst oder vollständig kontrolliert (USDOS 20.4.2018). Es gibt nur wenige politisch unabhängige Nachrichtenquellen. Journalisten, die sich nicht selbst zensieren, können mit rechtlichen Konsequenzen oder gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen rechnen (FH 1.2018).

Einige Medienorganisationen berichteten über Verhaftungen und Schikane von Journalisten sowie darüber, dass die Regierung sie davon abhielt, politisch heikle Themen, wie Sicherheitsfragen, Korruption und schwache Regierungskapazitäten, zu behandeln (USDOS 20.4.2018). Das "Gesetz zum Schutz von Journalisten" von 2011 hält unter anderem mehrere Kategorien des Straftatbestands der Verleumdung aufrecht, die in ihrem Strafmaß zum Teil unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig (AA 12.2.2018).

Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist der Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder der Welt. Auf ihrem Index für Pressefreiheit kommt der Irak im Jahr 2017 auf Platz 158 von 180. Das Land nimmt im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2007-2016) des Committee to Protect Journalists zudem den weltweit vorletzten Platz in Bezug auf die Aufklärung von Morden an Journalisten ein. Demnach wurden in den letzten zehn Jahren 32 Morde an Journalisten nicht aufgeklärt (AA 12.2.2018).

Auch Lehrer sind im Irak seit langem mit der Gefahr von Gewalt oder anderen Auswirkungen konfrontiert, wenn sie Themen unterrichten oder besprechen, die mächtige staatliche oder nicht staatliche Akteure für verwerflich halten. Politischer Aktivismus von Universitätsstudenten kann zu Schikane oder Einschüchterung führen (FH 1.2018). Sozialer, religiöser und politischer Druck schränken die Entscheidungsfreiheit in akademischen und kulturellen Angelegenheiten ein. In allen Regionen des Landes versuchen verschiedene Gruppen die Ausübung der formalen Bildung und die Vergabe von akademischen Positionen zu kontrollieren (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 19.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html, Zugriff 25.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 25.10.2018

9.2. In Kurdistan:

Politische Meinungsäußerung kann in der kurdischen Autonomieregion auch willkürliche Verhaftung oder andere Repressalien von staatlicher Seite auslösen. Journalisten und Medien, die kritisch über die KRG-Führung oder die Krise des Unabhängigkeitsreferendums berichteten, sahen sich mit Verhaftungen, Drohungen und Schließungsanordnungen durch Sicherheitskräfte und Aufsichtsbehörden sowie mit Angriffen von parteizugehörigen Schlägern konfrontiert. Es gab Berichte über Einschüchterungen im Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum, insbesondere in den umstrittenen Gebieten, wie Kirkuk (FH 1.2018). Es gibt zahlreiche Fälle von Gewalt, Inhaftierung und Todesdrohungen gegen Medienschaffende. In manchen Fällen trugen die Angreifer Militär- oder Polizeiuniformen (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 19.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html, Zugriff 25.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 25.10.2018 www.ris.bka.gv.at Seite 62 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

9.3. Internet und Soziale Medien:

Es gibt offene staatliche Einschränkungen beim Zugang zum Internet und Berichte (jedoch kein offizielles Eingeständnis), dass die Regierung E-Mail- und Internetkommunikationen ohne entsprechende rechtliche Befugnisse überwacht (USDOS 20.4.2018).

Es gibt Fälle von Vergeltungsmaßnahmen aufgrund von Aussagen bzw. Beiträgen in sozialen Medien (FH 1.2018). Trotz Einschränkungen nutzten politische Persönlichkeiten und Aktivisten das Internet, um korrupte und ineffektive Politiker zu kritisieren, Demonstranten zu mobilisieren und sich über soziale Medien für Kandidaten zu engagieren bzw. Wahlkampf zu betreiben (USDOS 20.4.2018).

Es gibt keine Berichte, dass das Ministerium für Kommunikation sozialen Medien Sperren auferlegt hätte (USDOS 20.4.2018). Während Großereignissen wird regelmäßig das Internet für einige Stunden gesperrt (AA 12.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 19.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html, Zugriff 25.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 25.10.2018

10. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

10.1. Versammlungsfreiheit:

Die Verfassung sieht das Recht auf Versammlung und friedliche Demonstration, "nach den Regeln des Gesetzes" vor (USDOS 20.4.2018). Diese einfach gesetzlichen Bestimmungen fehlen jedoch. Im Alltag wird die Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch das seit dem 7.11.2004 geltende

"Gesetz zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit" eingeschränkt, das u. a. die Verhängung eines bis zu 60-tägigen Ausnahmezustands ermöglicht (AA 12.2.2018).

Das Recht auf Versammlungsfreiheit wird in der Praxis zunehmend respektiert, obwohl es immer noch zu tödlicher Gewalt kommt (FH 1.2018). Die gesetzlichen Regelungen schreiben vor, dass die Veranstalter sieben Tage vor einer Demonstration um Genehmigung ansuchen und detaillierte Informationen über Veranstalter, Grund des Protests und Teilnehmer einreichen müssen. Die Vorschriften verbieten jegliche Slogans, Schilder, Druckschriften oder Zeichnungen, die Konfessionalismus, Rassismus oder die Segregation der Bürger zum Inhalt haben. Die Vorschriften verbieten auch alles, was gegen die Verfassung oder gegen das Gesetz verstößt; alles, was zu Gewalt, Hass oder Mord ermutigt; und alles, was eine Beleidigung des Islam, der Ehre, Moral, Religion, heiliger Gruppen oder irakischer Einrichtungen im Allgemeinen darstellt. Die Behörden erteilen Genehmigungen in der Regel in Übereinstimmung mit diesen Vorschriften (USDOS 20.4.2018).

Bei den Demonstrationen im Süd- und Zentralirak im Juli 2018 feuerten irakische Sicherheitskräfte mit scharfer Munition auf Demonstranten (AI 19.7.2018). Die größtenteils vom Innenministerium eingesetzten Kräfte verwendeten scheinbar unverhältnismäßige Gewalt, die in Basra zum Tod von drei Menschen führte (HRW 24.7.2018). Auch in Najaf, Simawa und Karbala starben Menschen (CNN 17.7.2018). Auch im September kam es zu Gewalt und Todesopfern, als Sicherheitskräfte auf Demonstranten schossen (AI 7.9.2018). Berichten zufolge werden Demonstranten und Aktivisten von schiitischen Milizen willkürlich festgenommen, eingeschüchtert und bedroht (ToI 23.9.2018).

Quellen:

www.ris.bka.gv.at Seite 63 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 19.7.2018

- AI - Amnesty International (19.7.2018): Iraq: Security forces deliberately attack peaceful protesters while internet is disabled, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2018/07/iraqsecurity-forces- deliberately-attack-peaceful-protesters-while-internet-is-disabled/, Zugriff 25.10.2018

- AI - Amnesty International (7.9.2018): Iraq: Effective investigations needed into deaths of proteters in Basra, https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1490552018ENGLISH.PDF, Zugriff 25.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- CNN - Central News Network (17.7.2018): Protests spread, turn deadly in Iraq: At least 8 are dead, dozens hurt, https://edition.cnn.com/2018/07/16/world/iraq-protests-violent/index.html, Zugriff 23.10.2018

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html, Zugriff 25.10.2018

- HRW - Human Rights Watch (24.7.2018): Iraq: Security Forces Fire on Protesters, https://www.hrw.org/news/2018/07/24/iraq-security-forces-fire-protesters, Zugriff 25.10.2018

- ToI - Times of Israel (23.9.2018): Iran-backed militias accused of reign of fear in Iraqi Basra, https://www.timesofisrael.com/iran-backed-militias-accused-of-reign-of-fear-in-iraqi-basra/, Zugriff 25.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 25.10.2018

10.2. Vereinigungsfreiheit, Opposition:

10.2.1. Im Zentralirak:

Die Verfassung garantiert, mit einigen Ausnahmen, das Recht auf Gründung von und Mitgliedschaft in Vereinen und politischen Parteien. Die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen. Ausnahmen betreffen das gesetzliche Verbot von Gruppen, die Unterstützung für die Ba'ath-Partei oder für zionistische Prinzipien bekunden (USDOS 20.4.2018). Belastbare Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der politischen Opposition durch staatliche Organe liegen nicht vor. Politische Aktivisten berichten jedoch von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche, nichtstaatliche oder paramilitärische Akteure, die abschrecken sollen, neue politische Bewegungen zu etablieren und die freie Meinungsäußerung teils massiv einschränken (AA 12.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 19.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 25.10.2018

10.2.2. In Kurdistan:

In der kurdischen Autonomieregion ist im Raum Erbil und Dohuk eine Oppositionsbewegung kaum existent. Die KDP gilt in weiten Teilen als alternativlos. In der Region um Sulaymaniya und Halabja haben sich in den vergangenen Jahren auch Gruppen von der PUK abgewandt. (AA 12.2.2018)

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In den KDP-Gebieten finden kaum Demonstrationen statt, da sie meist bereits im Keim erstickt werden. In den PUK-Gebieten, v.a. in der Stadt Sulaymaniya, sind Demonstrationen (beispielsweise gegen Gehaltskürzungen) hingegen keine Seltenheit (AA 12.2.2018).

Im Laufe des Jahres 2017 sahen sich Demonstranten mit Verhaftungen und tödlicher Gewalt konfrontiert, insbesondere bei Demonstrationen gegen die Regierung, die infolge der Krise nach dem Unabhängigkeitsreferendum stattfanden und bei denen Angriffe auf staatliche und parteipolitische Einrichtungen verübt wurden. In Sulaymaniya und Halabja wurden im Dezember 2017 mindestens fünf regierungsfeindliche Demonstranten von Sicherheitskräften getötet (FH 1.2018). Auch im März 2018 kam es zu Gewalt gegen Demonstranten und Journalisten bei ausgedehnten Anti-Austeritäts-Protesten in der Autonomen Region Kurdistan (AI 28.3.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 19.7.2018

- AI - Amnesty International (28.3.2018): Iraq: Violence against protesters and journalists in Kurdistan Region shows blatant disregard for freedom of expression, https://www.ecoi.net/en/document/1428025.html, Zugriff 25.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html, Zugriff 25.10.2018

Aus den UNHCR-Erwägungen zu internationalem Schutz für Menschen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), in der Folge: UNHCR-Erwägungen, Punkt III.A.3., Seiten 70 ff, ergibt sich:

Personen mit (unterstellter) oppositoneller Einstellung gegenüber der Regierung oder solche, die der Regierung nahestehen:

Einzelpersonen, die Regierungsbeamte, Politiker oder andere Personen mit politischem Einfluss kritisieren, denen Kritik unterstellt wird oder welche Missbrauch und Korruption durch die Regierung aufzeigen, sind Berichten zufolge ein Ziel staatlicher und nichtstaatlicher Akteuere, einschließlich einflussreicher Regierungs- und Parteibeamter, deren Sicherheitsmitarbeitern und angegliederter bewaffenter Gruppierungen. Es wird berichtet, dass solche Peronen Einschüchterung, Belästigung, körperlichen Angriffen, willkürlichen Festnahmen und politisch motivierter strafrechtlicher Verfolgung (zb. einer Anklage wegen Diffamierung), Entführung und in einigen Fällen Tötung ausgesetzt sind. Unter dieses Profil fallen insbesondere Medienschaffende, Aktivisten der Zivilgesellschaft und Demonstranten, deren Profile sich auch überschneiden können, sowie Strafverfolgungs- und Justizbeamte, die mit Korruptionsbekämpfung befasst sind. Die Ankündigung der Regierung zur Untersuchung von Morden führen nur selten zur Identifizierung und strafrechtlichen Verfolgung von Tätern.

Einzelne ehemalige Regierungsmitglieder des ehemaligen Präsidenten Saddam Hussein und der verbotenen Baath Partei werden berichten zufolge weiterhin als Zielscheibe ausgewählt, darunter in einigen Fällen auch getötet, obwohl oft nicht bekannt wird, ob diese nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur früheren Regierung oder der Baath-Partei ausgewählt wurden oder (auch) aus anderen Gründen (zB Verdahct auf Zugehörigkeit zum IS oder deren Stammesangehörigen, Sektenangehörigkeit oder beruflicher Hintergrund).

UNHCR ist der Ansicht, dass Personen, die sich Regierungsbeamten (einschließlich auf lokaler Ebene), Politikern oder anderen mit politischem Einfluss widersetzen oder als solche angesehen werden, auf internationalen Schutz aufgrund ihrer (unterstellten) politischen Meinung und/oder eines anderen relevanten GFK-Grundes je nach den Umständen des Einzelfalles angewiesen sein können.

Quelle:

- UNHCR - The UN Refugee Agency (05.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/unhcr-2019-05- protection-considerations-iraq.pdf, Zugriff 02.09.2019, mwN

11. Religionsfreiheit: www.ris.bka.gv.at Seite 65 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

11.1. Übersicht und religiöse Minderheiten (darunter Sunniten):

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Gemäß Art. 2 Abs. 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 12.2.2018). Es darf kein Gesetz erlassen werden das den "erwiesenen Bestimmungen des Islams" widerspricht (USDOS 29.5.2018; vgl. RoI 15.10.2005). In Abs. 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 29.5.2018).

Art. 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 12.2.2018; vgl. UNHCR 15.1.2018). Art. 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z. B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z.B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht (AA 12.2.2018). Das Zivilgesetz sieht einen einfachen Prozess für die Konversion eines Nicht-Muslims zum Islam vor. Die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion ist jedoch gesetzlich verboten (USDOS 29.5.2018).

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische

Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der jesidischen NGO Yazda gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 29.5.2018).

Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 29.5.2018; vgl. UNHCR 15.1.2018).

Die alten irakischen Personalausweise enthielten Informationen zur Religionszugehörigkeit einer Person, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiös-konfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen: Art. 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 12.2.2018). Es wird berichtet, dass das Gesetz faktisch zu Zwangskonvertierungen führt, indem Kinder mit nur einem muslimischen Elternteil (selbst Kinder, die infolge von Vergewaltigung geboren wurden) als Muslime angeführt werden müssen. Christliche Konvertiten berichten auch, dass sie gezwungen sind, ihr Kind als Muslim zu registrieren oder das Kind undokumentiert zu lassen, was die Berechtigung auf staatliche Leistungen beeinträchtigt (USDOS 29.5.2018).

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Sabäer, Mandäer und Schabak). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 12.2.2018).

Es gibt weiterhin Berichte, dass die irakischen Sicherheitskräfte (ISF), einschließlich der Peshmerga und schiitischer Milizen, sunnitische Gefangene töten. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten. Internationale Menschenrechtsorganisationen erklären, dass die Regierung es immer noch verabsäumt ethnischkonfessionelle Verbrechen zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, einschließlich Verbrechen, die von bewaffneten Gruppen in den vom IS befreiten Gebieten ausgeübt wurden. Sunnitische Araber berichten weiterhin, dass manche Regierungsbeamte bei Festnahmen und Inhaftierungen konfessionelles Profiling vornehmen, sowie Religion als bestimmenden Faktor bei der Vergabe von Arbeitsplätzen benützen (USDOS 29.5.2018).

www.ris.bka.gv.at Seite 66 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Minderheiten sind auch weiterhin mit Belästigungen, einschließlich sexueller Übergriffe, und Einschränkungen durch lokale Behörden in einigen Regionen konfrontiert. Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren. Einige Jesiden und christliche Führer berichten von Belästigungen und Misshandlungen durch kurdische Sicherheitskräfte, einschließlich Anforderungen für Sicherheitsgenehmigungen, die von den Asayish auferlegt werden und die die Bewegungsfreiheit von Jesiden zwischen der Provinz Dohuk und dem Sinjar- Gebiet einschränken. Christen berichten von Belästigungen und Misshandlungen an zahlreichen Checkpoints, die von Einheiten der Volksmobilisierungseinheiten (PMF) betriebenen werden. Dadurch wird die Bewegungsfreiheit im Gebiet der Ninewa-Ebene behindert (USDOS 29.5.2018).

Christen und Jesiden geben an, dass die Zentralregierung in Bagdad eine gezielte demografische Veränderung fördert, indem sie Schiiten mit Land und Häusern ausstattet, damit diese in traditionell christliche Gebiete ziehen (USDOS 29.5.2018).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in religiöse Handlungen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt (USDOS 29.5.2018).

11.2. Atheismus, Agnostizismus, Kritik an konfessioneller Politik:

Das irakische Strafgesetzbuch enthält keine Artikel, die eine direkte Bestrafung für Atheismus vorsehen. Es gibt auch keine speziellen Gesetze, die Strafen für Atheisten vorsehen. (Al-Monitor 1.4.2018; vgl. EASO 7.2017, EASO 11.4.2018, Landinfo 29.8.2018). Die irakische Verfassung garantiert Atheisten nicht die freie Glaubensausübung (USDOS 29.5.2018). Im März 2018 wurden in Dhi Qar Haftbefehle gegen vier Iraker aufgrund von Atheismus-Vorwürfen erlassen (Al-Monitor 1.4.2018).

Der Irak ist ein zutiefst religiöses Land, in dem Atheismus selten ist (PRI 17.1.2018; vgl. RDC 31.1.2018). Trotzdem berichten Universitätsstudenten landesweit, dass es noch nie so viele Atheisten im Irak gegeben habe wie heute (WZ 9.10.2018).

Obwohl in der Bevölkerung verschiedene Grade der Religiosität vertreten sind und ein Segment der Iraker eine säkulare Weltanschauung vertritt, ist es dennoch selten, dass sich jemand öffentlich zum Atheismus bekennt. Die meisten Atheisten verstecken ihre Identität. Manchmal sagen sie, dass sie Muslime seien, insgeheim sind sie jedoch Atheisten (EASO 7.2017).

Viele Geistliche, die islamischen politischen Parteien nahestehen, haben missverständliche Vorstellungen zu dem Thema und bezeichnen z. B. oft den Säkularismus als Atheismus (Al-Monitor 1.4.2018). Einige Politiker führender konfessioneller Parteien verurteilten Säkularismus und Atheismus und reagierten damit offenbar auf einen Wandel in der öffentlichen Meinung nach dem IS-Konflikt, gegen religiösen Extremismus und den politischen Islam (FH 1.2018).

Berichten zufolge gibt es auch eine wachsende Bewegung von Agnostikern. Dazu kommen viele Menschen, die zwar bestimmte religiöse Erscheinungen oder Überzeugungen kritisieren, den generellen Rahmen der Religiosität jedoch nicht aufgeben (Al-Monitor 6.3.2014). Eine wachsende Gruppe junger Iraker spricht frei über Säkularismus, Atheismus und den Bedarf ihres Landes an nicht-konfessionellen Institutionen. Während ihr Einfluss begrenzt ist, spiegelt ihre Frustration über die konfessionelle Politik einen breiteren Trend im Land wider. Die Welle des "Facebook-Säkularismus" muss die irakische Politik jedoch erst erreichen (Defense One 5.7.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 19.7.2018

- Al-Monitor (1.4.2018): Iraqi courts seeking out atheists for prosecution, https://www.almonitor.com/pulse/originals/2018/03/atheists-iraq-human-rights.html, Zugriff 24.10.2018

- Al-Monitor (6.3.2014): Iraqi atheists demand recognition, guarantee of their rights, https://www.al-monitor.com/pulse/en/contents/articles/originals/2014/03/iraq-atheism-spread-rights- recognition.html, Zugriff 24.10.2018

www.ris.bka.gv.at Seite 67 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- Defense One (5.7.2018): The Rise of Iraq's Young Secularists, https://www.defenseone.com/ideas/2018/07/rise-iraqs-young-secularists/149507/?oref=d-channeltop, Zugriff 24.10.2018

- EASO - European Asylum Support Office (11.4.2018): Iraq: COI Query Response on atheism, especially in Baghdad (treatment of atheists by non-state and state actors and militias; state protection), https://www.ecoi.net/en/file/local/1429402/5228_1523539284_66-q-iraq-atheism.pdf, Zugriff 25.7.2018

- EASO - European Asylum Support Office (7.2017): EASO COI Meeting Report: Iraq; Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 5.11.2018

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html, Zugriff 29.10.2018

- Landinfo (29.8.2018): Irak: Apostasi og ateisme, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442030/4792_1535643188_irak-respons-apostasi-og-ateisme-grha- 29082018.pdf, Zugriff 24.10.2018

- PRI - Public Radio International (17.1.2018): ISIS turned this young Iraqi Christian into an atheist, https://www.pri.org/stories/2018-01-17/isis-turned-young-iraqi-christian-atheist, Zugriff 24.10.2018

- RDC - Refugee Documentation Centre Ireland (31.1.2018): Iraq - Treatment of atheists including by ISIS, https://www.ecoi.net/en/file/local/1423773/1788_1518009737_3101.pdf, Zugriff 24.10.2018RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 5.11.2018

- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (15.1.2018): Situation of Christians in Baghdad, http://www.refworld.org/docid/5a66f80e4.html, Zugriff 29.8.2018

- USDOS - United States Department of State (29.5.2018): International Religious Freedom Report 2017 - Iraq, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2017/nea/280984.htm, Zugriff 26.7.2018

- WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/994916_Schluesselland-Irak.html, Zugriff 24.10.2018

11.3. UNHCR-Erwägungen zu religiösen und ethnischen Minderheiten:

Aus den UNHCR-Erwägungen zu internationalem Schutz für Menschen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), in der Folge: UNHCR-Erwägungen, Punkt III.A.5a., Seiten 74 ff, ergibt sich:

Zugehörige von religiösen und ethnischen Minderheiten:

Im Irak leben verschiedene ethnische Gruppen, darunter Araber, Kurden, Turkmenen und Staatsbürger afrikanischer Abstammung (als "Black Iraqi" bezeichnet), Roma (Dom), Bidoon und Shabaks. Die Mehrheit der Bevölkerung bekennt sich entweder zum schiitischen oder zum sunnitischen Islam. Darüber hinaus gibt es verschiedene Gemeinschaften christlicher Konfessionen, Jesiden, Sabäer-Mandäer, Kakaer, Bahäer und eine sehr kleine Anzahl von Juden.

Während die irakischen Behörden Berichten zufolge die Religionsfreiheit im Allgemeinen achten, gibt es viele Minderheiten, die keine starken politischen oder Stammesnetzwerke haben und aufgrund von Konflikten mit Vertreibungswellen sowie politischer und religiöser Verfolgung, zuletzt durch den IS, konfrontiert sind.

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Weiters berichten Minderheitengruppen von rechtlicher, politischer und wirtschaftlicher Marginalisieerung. Die Ausübung des Baha¿i-Glaubens bleibt weiterhin verboten. Minderheitengruppen berichten von Fällen von Belästigung sowie sexuellen Übergriffen regierungsnaher Gruppen in einigen Gebieten. In Kurdistan wurden Fälle von Diskriminierung durch die Behörden gegen Angehörige von Minderheiten und Unterdrückung ihrer politischen Freiheit berichtet. In einigen Fällen haben Gruppen für Minderheitenrechte und Aktivisten über Bedrohungen berichtet sowie über politisch motivierte Einschärnkungen ihrer Arbeit durch staatliche und nichtstaatliche Akteure.

In und in der Nähe von ehemaligen IS-Gebieten sollen Angriffe auf Angehörige von Minderheiten, darunter Schiiten, Turkmenen, Kurden und Kakai stattgefunden haben, die durch den IS verübt oder von diesem beansprucht bzw. diesem zugeschrieben werden. Fast 3.000 Jesiden und 1.200 Turkmenen, hauptsächlich Frauen und Kinder, bleiben Berichten zufolge vermisst, nachdem sie 2014 vom IS entführt wurden.

Sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen aus ehemals vom IS besetzten Gebieten sind aufgrund unterstellter IS-Unterstützung besonders bedroht.

Im Laufe der Jahre geab es Berichte über Fällen von Tötungen und Entführungen wegen Lösegeld von Angehörigen religiöser Minderheiten, einschließlich Christen, Sabäer-Mandäer, seitens der Regierung angeliederten Gruppen, krimineller Gruppen aus kriminellen Gründen oder Sektenmotiven oder einer Kombination.

Häuser von Christen, die seit 2003 aus Bagdad in andere Gebiete vertrieben wurden, sowie Kirchen und Klöster sind berichten zufolge illegal straffrei von Milizen, mächtigen Einzelpersonen und kriminellen Netzwerken beschlagnahmt worden. Außerhalb von Kurdistan wurden auch gegenüber Kurden Repressalien wegen ihrer (unterstellten) Unterstützung des Unabhängigkeitsreferendumgs im September 2017 verhängt, was die Spannungen zwischen der arabischen und kurdischen Gemeinschaft verschärfte.

Aus Berichten geht hervor, dass Angehörige anderer Minderheiten, darunter Roma (Dom) und Iraker afrikanischer Abstammung ("Black Iraqis") weiterhin systematischer Diskriminierung ausgesetzt sind und Marginalisierung in allen Lebensbereichen erfahren, was darin resultiert, dass viele in extremer Armut leben und eine hohe Analphabetenrate sowie Arbeitslosenquote besteht. Zusätzlich besteht für Roma mangels Personaldokumente die Gefahr, staatenlos zu sein oder zu werden, was ihre bereits gefährdete Situation weiter verschärft. Eine Reihe von Faili-Kurden und Bidoon sind ebenfalls staatenlos und daher ohne Personaldokumente, was zu Einschränkungen des Zuganges zu öffentlichen Leistungen und formeller Beschäftigung sowie der Freizügigkeit aufgrun von Schwierigkeiten bei Checkpoints führt.

UNHCR ist der Ansicht, dass Zugehörige von religiösen oder ethnischen Minderheiten in oder nahe von Gebieten, in welchen der IS noch präsent ist, wahrscheinlich auf internationalen Schutz aufgrund ihrer Religion, Volksgruppe, (unterstellter) politischer Einstellung und/oder anderer GFK-relevanter Gründe je nach den Umständen des Einzelfalles angewiesen sind.

UNHCR ist der Ansicht, dass Zugehörige von religiösen oder ethnischen Minderheiten in anderen Gebieten, auf internationalen Schutz aufgrund ihrer Religion, Volksgruppe, (unterstellter) politischer Einstellung und/oder anderer GFK-relevanter Gründe je nach den Umständen des Einzelfalles angewiesen sein können.

Quelle:

- UNHCR - The UN Refugee Agency (05.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/unhcr-2019-05-protection- considerations-iraq.pdf, Zugriff 02.09.2019, mwN

12. Minderheiten:

12.1. Übersicht:

In der irakischen Verfassung vom 15.10.2005 ist der Schutz von Minderheiten verankert (AA 12.2.2018). Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten unter weitreichender faktischer Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.2.2018).

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Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Autonomen Region Kurdistan, oft benachteiligt (AA 12.2.2018).

Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65 Prozent der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17 bis 22 Prozent) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20 Prozent) (AA 12.2.2018). Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Allerdings ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen - eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch- konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 12.2.2018).

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäern, Kakai, Schabak und Christen. Es liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.2.2018).

In der Autonomen Region Kurdistan sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 12.2.2018; vgl. KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017).

Es gab auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch Behörden der Kurdischen Autonomieregierung in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 20.4.2018). Darüber hinaus empfinden Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit in den sog. umstrittenen Gebieten aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und v.a. der schiitischen Milizen (AA 12.2.2018).

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in der ethnisch- konfessionell sehr heterogenen Provinz Diyala (AA 12.2.2018).

BMI (2016): Atlas - Middle East & North Africa: Religious Groups [Grafik gelöscht, Anm.]

BMI (2016): Atlas - Middle East & North Africa: Ethnic Groups [Grafik gelöscht, Anm.]

Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016).

Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend eine Minderheit sein, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017; vgl. Prochazka 11.8.2014).

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Durch den Vorstoß des IS und seiner aktiven Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes kam es zu drastischen Veränderungen in der konfessionellen und ethnischen Verteilung der Bevölkerung im Irak (FH 2018; vgl. Ferris und Taylor 8.9.2014). Viele Schiiten und religiöse Minderheiten, die vom IS vertrieben wurden, sind bis heute nicht in ihre Häuser zurückgekehrt. Die Rückkehr irakischer Streitkräfte in Gebiete, die seit 2014 von kurdischen Streitkräfte gehalten wurden, führte Ende 2017 zu einer weiteren Runde demografischer Veränderungen, wobei manche kurdischen Bewohner auszogen und Araber zurückkehrten. In Gebieten, die von schiitischen Milizen befreit wurden, gab es wiederum Berichte von der Vertreibung sunnitischer Araber. Dasselbe gilt für Gebiete, die von den kurdischen Peshmerga befreit wurden (FH 2018; vgl. GNI 20.11.2016).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 19.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- BMI - Bundesministerium für Inneres; BMLVS - Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (2016 - Stand Irak: 2014): Atlas: Middle East & North Africa, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1487770786_2017-02-bfa-mena-atlas.pdf, Zugriff 17.8.2018

- Ferris und Taylor (8.9.2014): The Past and Future of Iraq's Minorities, https://www.brookings.edu/opinions/the-past-and-future-of-iraqs-minorities/, Zugriff 17.8.2018

- FH - Freedom House (2018): Freedom in the World, 2018: Iraq Profile, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq, Zugriff 17.8.2018

- GNI - Gulf News Iraq (20.11.2016): Kirkuk, Mosul and the ever-changing demographics of Iraq, https://gulfnews.com/world/mena/kirkuk-mosul-and-the-ever-changing-demographics-of-iraq- 1.1930570, Zugriff 17.8.2018

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (8.2017): Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten in Kurdistan- Irak, http://www.kas.de/wf/doc/kas_50065-1522-1-30.pdf?170918113417, Zugriff 17.8.2018

- Lattimer EASO (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 12.9.2018

- MRG - Minority Rights Group International (5.2018): Iraq - Minorities and indigenous peoples, http://minorityrights.org/country/iraq/, Zugriff 17.8.2018

- Prochazka (11.8.2014): Religiöse Minderheiten in arabischen Staaten - Historie und aktuelle Situation, https://blog.univie.ac.at/religioese-minderheiten-in-arabischen-staaten-historie-und-%20aktuelle- situation/, Zugriff 17.8.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 17.8.2018

12.2. Sunnitische Araber:

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al- Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich 2017 vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.2.2018). Es gab zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch- arabischen IDPs durch Regierungskräfte, die PMF und die Peshmerga (USDOS 20.4.2018). www.ris.bka.gv.at Seite 71 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 19.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 17.8.2018

13. (Mutmaßliche) IS-Mitglieder, IS-Sympathisanten und "IS-Familien" (Dawa'esh):

13.1. Allgemein:

Tausende von IS-Verdächtigen werden sowohl von den irakischen Bundesbehörden als auch von den Behörden der kurdischen Autonomieregion im Rahmen der jeweiligen Anti-Terror-Gesetze rechtlich verfolgt, primär wegen Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung von einer terroristischen Organisation, aber auch wegen Mord und anderen Handlungen, die unter die Anti-Terror-Gesetzgebung fallen. Die Behörden halten IS-Verdächtige in überfüllten Haftanstalten und in einigen Fällen unter unmenschlichen Bedingungen und verletzen laut Menschenrechtsorganisationen systematisch die Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, wie z.B. Garantien im irakischen Recht, dass Häftlinge innerhalb von 24 Stunden einen Richter sehen müssen, während der Verhöre Zugang zu einem Anwalt haben müssen, dass Familien über Inhaftierungen informiert werden bzw. dass Inhaftierte mit ihren Familien kommunizieren können. Zahlreiche Häftlinge behaupten auch, unter Folter zu Geständnissen gezwungen worden zu sein (HRW 18.1.2018; vgl. AA 12.2.2018, HRW 19.8.2018). Darüber hinaus bedrohen und verhaften irakische Sicherheitskräfte Anwälte, die IS-Verdächtigen und deren Familien Rechtsbeistand leisten (HRW 12.9.2018).

Aufgrund von IS-Mitgliedschaft Inhaftierte können nach dem im August 2016 verabschiedeten Allgemeinen Amnestiegesetz (Nr. 27/2016) Anspruch auf Haftentlassung haben (Ausnahme: Autonome Region Kurdistan). Das Gesetz bietet jenen Personen Amnestie, die nachweisen können, dass sie gegen ihren Willen dem IS oder einer anderen extremistischen Gruppe beigetreten sind und vor August 2016 keine schwere Straftat begangen haben. Nach Angaben des Justizministeriums hatten die Behörden bis Februar 2017 756 Verurteilte nach dem Amnestiegesetz freigelassen. Es ist allerdings unklar, ob die Richter dieses Gesetz konsequent anwenden. Die kurdische Autonomieregierung hat kein Amnestiegesetz verabschiedet (HRW 18.1.2018).

Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich 2017 vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.2.2018). So wurden Familien von mutmaßlichen IS-Mitgliedern und mutmaßlichen IS-Sympathisanten Opfer von Kollektivbestrafung, Misshandlungen und Angriffen (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Teilweise betrifft dies auch Familien, die aus Gebieten unter IS-Kontrolle geflohen waren und denen Sympathie für den IS unterstellt wird (HRW 24.6.2018). Menschenrechtsorganisationen dokumentierten im Zuge der Befreiung vom IS Diskriminierungen, Folterungen und Vergeltungsmorde an sunnitischen Muslimen, von denen viele verdächtigt wurden, IS-Sympathisanten zu sein. An einigen Orten wurden "IS-Familien-Lager" eingerichtet, nachdem vielen Sunniten das Recht auf Rückkehr in ihre Heimatorte verweigert worden war (USCIRF 4.2018; vgl. HRW 24.6.2018). Nach der Rückeroberung der vormals unter IS-Kontrolle stehenden Gebiete wurden Familien mutmaßlicher IS-Mitglieder in den Provinzen Anbar, Babil, Diyala, Salah al-Din und Ninewa durch örtliche Beamte vertrieben. Sicherheitskräfte unternahmen kaum etwas, um diese Übergriffe zu stoppen, und nahmen in einigen Fällen auch daran teil (HRW 18.1.2018; vgl. CIVIC 9.5.2018).

Als Familien aus dem Gebiet in und um Mosul flohen, wurden Tausende von Männern und Buben von ihren Familien getrennt und willkürlich verhaftet. Während es sich bei einigen davon um IS- Kämpfer handelte, waren vielen davon Personen, die z.B. als Köche oder Fahrer für den IS gearbeitet hatten; deren Namen in Datenbanken aufscheinenden Namen ähnlich waren; oder sie wurden verhaftet, weil sie aus bestimmten Gebieten oder Nachbarschaften kamen bzw. mit IS-Kämpfern verwandt waren. Viele wurden außergerichtlich hingerichtet. Fast alle dieser Männer sind gewaltsam verschwunden (AI 17.4.2018).

Volksmobilisierungseinheiten (PMF) nahmen in Ninewa routinemäßig sunnitische Männer, die aus der Gegend stammen, unter dem Verdacht fest, dass diese den IS unterstützt hätten bzw. unterstützten. Sicherheitskräfte der Zentralregierung informierten in vielen Fällen die Häftlinge nicht über den Grund ihrer Inhaftierung oder die gegen sie erhobenen Anklagen. In mehreren Provinzen vertrieben Regierungskräfte und Milizen angebliche IS- www.ris.bka.gv.at Seite 72 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Sympathisanten aus ihren Häusern. In Diyala und Babil hat die Kata'ib Hizbollah örtlich ansässige sunnitische Araber entführt und eingeschüchtert und arabisch-sunnitische IDPs daran gehindert, in ihre Herkunftsorte zurückzukehren. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach örtliche Behörden Familienmitglieder mutmaßlicher IS- Mitglieder bestraften. In einigen Fällen haben örtliche Gemeindeleiter gegen Familienmitglieder von IS- Verdächtigten Gewalt- und Todesdrohungen ausgesprochen (USDOS 20.4.2018).

Frauen und Kinder mit vermeintlichen Verbindungen zum IS sind in IDP-Lagern einer Reihe von Übergriffen, Misshandlungen und Risiken ausgesetzt. Diese Verstöße werden von bewaffneten Akteuren, die in den Lagern aktiv sind, von Lagerbehörden und anderen Personen begangen. Vielen wird der Zugang zu Nahrung, Wasser und Gesundheitsversorgung verwehrt. Sie erleiden schwere Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit, sei es, weil sie über keine ordnungsgemäßen Dokumente verfügen oder weil die Lagerbehörden sie daran hindern, das Lager zu verlassen und sie de facto in Haft halten (AI 17.4.2018).

Frauen mit vermeintlichen Verbindungen zum IS sind sexuellen Belästigungen ausgesetzt. Viele von ihnen werden auch zu Opfern sexueller Gewalt und Ausbeutung. Die Täter sind in erster Linie bewaffnete Akteure, die in den Lagern präsent sind. Letztere nutzen ihre Machtpositionen aus, um Frauen in sexuelle Beziehungen zu zwingen, im Austausch gegen Bargeld, Hilfsgüter oder Schutz vor anderen bewaffneten Akteuren oder Männern im Lager (AI 17.4.2018).

Verwandten von IS-Verdächtigen wird routinemäßig die notwendige Sicherheitsfreigabe zur Ausstellung von Personalausweisen und Dokumenten verweigert. Ohne vollständige Personenstanddokumente können sich Iraker im Land jedoch nicht frei bewegen, um Arbeitsplätze bewerben oder Sozialleistungen beantragen. Frauen, die keine Sterbeurkunden für ihre Ehemänner haben oder erhalten, können nicht erben und nicht wieder heiraten (HRW 25.2.2018; vgl. CIVIC 9.5.2018).

Der IS konfiszierte regelmäßig offizielle Dokumente, die von staatlichen irakischen Stellen ausgestellt worden waren. IS Behörden erstellten ihre eigenen Dokumente, wie z.B. Heirats- und Geburtsurkunden. Diese werden von den irakischen Behörden jedoch nicht anerkannt. Ohne Geburtsurkunde kann ein Kind, das unter IS- Kontrolle geboren wurde, keine anderen Dokumente erhalten, was ihm z.B. den Zugang zu staatliche Leistungen, wie den Zugang zur Schule, Gesundheitsversorgung, etc., verwehrt (HRW 25.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Tausende von Kindern, die unter der IS-Herrschaft geboren oder von Kämpfern gezeugt wurden, fallen so durch den Raster des irakischen Rechtssystems und sind faktisch staatenlos (Independent 18.5.2017). Es handelt sich dabei um mindestens 30.000 Kinder (ISI 6.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 27.9.2018

- AI - Amnesty International (17.4.2018): The Condemned: Women and children isolated, trapped and exploited in Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1429590/1226_1523942325_mde1481962018english.PDF, Zugriff 4.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- CIVIC - Center for Civilians in Conflict (9.5.2018): Mosul: Civilian protection challenges post- ISIS, https://civiliansinconflict.org/wp- content/uploads/2018/05/FINAL_MosulCIVProtectChallenges May2018-1.pdf, Zugriff 4.10.2018

- HRW - Human Rights Watch (12.9.2018): Iraq: Officials Threatening, Arresting Lawyers, https://www.ecoi.net/en/document/1443377.html, Zugriff 2.10.2018

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Iraq, https://www.hrw.org/world- report/2018/country-chapters/iraq, Zugriff 2.10.2018

- HRW - Human Rights Watch (19.8.2018): Iraq: Chilling Accounts of Torture, Deaths, https://www.ecoi.net/en/document/1441253.html, Zugriff 2.10.2018

- HRW - Human Rights Watch (24.6.2018): Iraq: Displaced Families blocked from Returning, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436492.html, Zugriff 4.10.2018 www.ris.bka.gv.at Seite 73 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- HRW - Human Rights Watch (25.2.2018): Iraq: Families of Alleged ISIS Members denied Ids, https://www.hrw.org/news/2018/02/25/iraq-families-alleged-isis-members-denied-ids, Zugriff 4.10.2018

- Independent (18.5.2017): Iraq's generation of stateless Isis children is being 'punished for the crimes of their fathers', https://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/isis-mosulchildren-iraq-legal- system-stateless-school-aid-fighter-fathers-crime-a7742751.html, Zugriff 4.10.2018

- ISI - Institute on Statelessness and Inclusion (6.2017): Statelessness Monthly Bulletin: June 2017, http://www.institutesi.org/stateless_bulletin_2017-06.pdf, Zugriff 4.10.2018

- USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom (4.2018): United States Commission on International Religious Freedom 2018 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435649/1930_1529395043_tier2- iraq.pdf, Zugriff 4.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 21.9.2018

13.2. UNHCR-Erwägungen:

Aus den UNHCR-Erwägungen zu internationalem Schutz für Menschen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), in der Folge: UNHCR-Erwägungen, Punkt III.A.1., Seiten 59 ff, ergibt sich: a) Zivilisten, die als IS-Unterstützer wahrgenommen werden:

Personen mit überwiegend sunnitisch-arabischer Identität, insbesondere aber nicht ausschließlich Männer und Jungen im kampffähigen Alter aus ehemaligen vom IS besetzten Gebieten, stehen im Generalverdacht, mit dem IS in Verbindung zu stehen oder diesen zu unterstützen. Seit 2014 sind Zivilisten dieses Profils regelmäßig einer Reihe von gewalttätigen Vergeltungsmaßnahmen und Misshandlungen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgesetzt, dies auch während militärischen Operationen gegen den IS und nach der Flucht aus IS- Gebieten, sowohl nach deren Rückeroberung sowie während der laufenden Sicherheitsmaßnahmen gegen verbliebene IS-Kämpfer.

Generell sind strafrechtliche Maßnahmen gegen Personen, bei denen der Vedacht einer begangenen Straftat besteht, vollends legitim, aber es müssen dabei einschlägige Rechtsvorschriften und rechtsstaatliche Verfahren eingehalten werden. Beobachter stellen jedoch fest, dass die irakischen und kurdischen Sicherheitskräfte sowie angegliederte Streitkräfte regelmäßig auf Grundlage breiter und diskriminierender, sich häufig überschneidender Kriterien eine Anklage wegen IS-Zugehörigkeit gegenüber einzelnen Personen erheben, darunter:

- religiöser und ethnischer Hintergrund (sunnitische Araber oder Turkmenen);

- Geschlecht und Alter (Männer und Jungen im kampffähigen Alter);

- Familien- und Stammeshintergrund, einschließlich ursprüngliches Herkunftsgebiet; und/oder

- Aufenthalt in einem ehemals vom IS besestzten Gebiet zum Zeitpunkt der IS-Herrschaft;

Der Verdacht einer Beteiligung am IS wird regelmäßig gegen Personen dieses Profils ohne Rücksicht auf die Art ihrer Beteiligung (dh ob diese freiwillig oder erzwungen war, oder die Beteiligung als Zivilist oder Militärangehöriger) erhoben. Einzelpersonen dieser Profile sollen aufgrund fragwürdiger Beweise, wie Ausagen von geheimen Informanten oder die Aufnahme in von verschiedenen Stellen verwaltete "Fahndungslisten", festgenommen worden sein.

Im Zusammenhang mit Militäreinsätzen gegen den IS sind zwischen 2014 und 2017 Berichten zufolge Personen dieser Profile durch die, den irakischen Sicherheitskräften angeschlossenen Streitkräften und kurdischen Sicherheitskräften Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Inhaftierungen, Entführungen, Verschwindenlassen, Folter und andere Formen der Misshandlung, sowie außergerichtlicher Tötungen geworden. In dieser Zeit kam es sowohl in Konfliktgebieten als auch anderswo am häufigsten in Durchsuchungszentren, an Checkpoints, in

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Häusern und Flüchtlingslagern sowie "Sicherheits-Razzien" zum Verschwinden von vermeintlichen IS- Angehörigen und Unterstützern.

Seit dem Ende der großen Militäreinsätze gegen den IS Ende 2017 werden weiterhin Räumungseinsätze und Verhaftungskampagnen gegen IS-Verdächtige in Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden und auch anderswo fortgesetzt.

Personen, die im Verdacht stehen, am IS beteiligt zu sein, einschließlich Perosnen, die nicht an gewalttätigen Handlungen beteiligt waren, oder die zur Kooperation mit dem IS gezwungen waren (etwa wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit von der Beibehaltung ihrer Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor, zB Beamte, Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern, Lehrer unter der IS-Verwaltung) oder bloß in einem vom IS besetzten Gebiet wohnten, sind von wilkürlicher Verhaftung, Verschwindenlassen, Folter und anderer Form der Misshandlung, außergerichtlichen Tötungen und unfairen Gerichtsverhandlungen, die zu einem Todesurteil wegen angeblicher Zugehörigkeit zum oder Unterstützung des IS führen können, bedroht.

Berichten zufolge bleiben die Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen einschließlich der Bürgschaftserfordernisse in mehreren Gouvernements in Kraft. Solche Beschränkungen beruhen häufig auf diskriminierenden und breiten Kriterien wie wahrgenommene Assoziation mit dem IS aufgrund der ethnischen, religiösen und/oder Stammeszugehörigkeit einer Person oder deren Herkunftsgebiet. b) Familien, die mit tatsächlichen oder unterstellten IS-Mitglieder assoziiert werden

Familien und insbesondere Frauen und Kinder, die mit tatsächlichen oder als solche wahrgenommenen IS- Mitglieder aufgrund ihrer Familie oder Stammesbeziehungen in Verbindung gebracht werden, sind Berichten zufolge einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen durch lokale Authoritäten, darunter die irakischen Sicherheitskräfte und ihnen zugeordnete Streikräfte, lokale Milizen sowie Mitglieder der Stämme und Gemeinschaften ausgesetzt. Die Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen haben diese Behandlung als "kollektive Bestrafung" dieser Familien beschrieben. Es ist zu befürchten, dass diesen Familien wegen des Fehlens angemessener Verfahren keine Gelegenheit gegeben wird, die Feststellung, dass sie mit dem IS verbunden sind, auszuräumen.

In ihren Heimatgebieten sollen Familien, die mit tatsächlichen oder unterstellten IS-Mitglieder in Verbindung gebracht werden, routinemäßig einer Vielzahl von Strafmaßnahmen, einschließlich Drohungen (zB durch Kennzeichnung von Häusern), Belästigungen, körperlicher Angriffe, Zerstörung, Verbrennung, Plünderung und Beschlagnahmung von Häusern, gesellschaftlicher Marginalisierung sowie Abschneiden von wesentlichen Dienstleistungen (einschließlich Strom und Wasser) unterzogen werden. Berichten zufolge sind sie auch Zwangsräumungen/Vertreibung und/oder der Zwangsumsiedelung in IDP-Lager ausgesetzt.

Seit 2015 werden Repressalien gegen sunnitisch-arabische Zivilisten wegen der ihren Angehörigen oder ihrem Stamm unterstellten Unterstützung des IS durch jesidische bewaffnete Gruppen in Sinjar (Ninewa) berichtet. Es wird von Entführungen und Tötungen von Zivilisten berichtet, während Eigentum geplündert und zerstört wurde.

Berichte beschreiben auch, dass IDP-Famlien, die mit tatsächlichen oder unterstellten IS-Mitglieder in Verbindung stehen, an der Rückkehr in ihre Heimatgebiet gehindert werden. Andere sollen unter Druck gesetzt worden sein, "Blutgeld-Zahlungen" an IS-Opfer zu leisten, bevor sie zurückkehren dürfen. Familien, die mit tatsächlichen oder unterstellten IS-Mitgliedern in Verbindung gebracht werden, unterliegen stringenten Bewegungseinschränkungen, auch wenn sie nur temporär ein Flüchtlingslager verlassen möchten (zB für einen Krankenhausbesuch) oder im Zusammenhang mit der Rückkehr in ihre Heimatgebiete. (zB für einen Krankenhausbesuch) oder im Zusammenhang mit der Rückkehr in ihre Heimatgebiete.

Trotz weniger Anzeigen aufgrund von Stigmatisierung und Angst vor Vergeltungsmaßnahmen wird von sexueller Belästigung, (angedrohter) Vergewaltigung sowie sexueller Ausbeutung von Frauen und Mädchen in Flüchtlingslagern durch Sicherheitskräfte berichtet. Sexuelle Gewalt soll in diesem Zusammenhang zur Bestrafung der Frauen wegen ihrer Verbindung zu tatsächlichen oder unterstellten IS-Mitgliedern eingesetzt werden. Es wurde berichtet, dass in IDP-Lagern Familien, die mit tatsächlichen oder unterstellten IS-Mitgliedern in Verbindung stehen, insbesondere weiblichen Haushaltsangehörigen humanitäre Hilfe, einschließlich Nahrungsmittel, Waser, Non-Food-Artikel und Gesundheitsversorgung aufgrund ihrer Verbindung verweigert wird.

Familien, die mit tatsächlichen oder unterstellten ISIS-Mitgliedern in Verbindung stehen, sind Berichten zufolge nicht in der Lage, die erforderliche Sicherheitsfreigabe zu erhalten, um Schadenersatz zu verlangen oder um www.ris.bka.gv.at Seite 75 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 fehlende oder abgelaufene Personaldokumente (einschließlich Personalausweise, Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden, Scheidungsbescheinigungen, Sozialversicherungskarten und Reisepässe) zu ersetzen. Die fehlenden Dokumente beeinträchtigt ihren Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt, ihrer Bewegungsfreiheit und der Möglichkeit, Sozialleistungen zu beantragen, Eigentum zu erwerben oder wieder zu heiraten. Frauen, die mit tatsächlichen oder unterstellten ISIS-Mitgliedern in Verbindung stehen, und zu Personenstandsbehörden gehen, um sich über Personaldokumente zu erkundigen, riskieren eine Festnahme, außer sie werden von einem Anwalt begleitet.

In einigen Fällen wurden Familien, die sich nach dem Schicksal von vehrafteten oder verschwundenen Familienmitgliedern mit angeblichen IS-Verbindungen erkundigten, von Sicherheitskräften bedroht. c) Personen, die IS-Verdächtigen und Familien, die mit tatsächlichen oder unterstellten IS-Mitgliedern in Verbindung gebracht werden, Rechtsbeistand leisten

Anwälte und andere Personen, die IS-Verdächtigen und Familien, die mit tatsächlichen oder unterstellten IS- Mitgliedern in Verbindung stehen, Rechtsbeistand leisten sind berichten zufolge Drohungen, Belästigungen und in einigen Fällen willkürlichen Verhaftungen, strafrechtlicher Verfolgung wegen Terrorismus durch Sicherheits- und Gemeindienstbeamte und Regierungsangehörige ausgesetzt. Infolge dessen, ist ein Rechtsbeistand für IS- Verdächtige und Familien, die mit tatsächlichen oder unterstellten IS-Mitgliedern in Verbindung stehen, nur sehr eingeschränkt möglich.

UNHCR ist der Ansicht, dass je nach den Umständen des Einzelfalles Zivilisten der folgenden Kategorien wahrscheinlich internationalen Schutz durch Gewährung eines Flüchtlingsstatus wegen ihrer unterstellten politischen Einstellung, ihrer Volksgruppen- und/oder Religionszugehörigkeit oder anderer GFK-relevanter Gründe benötigen: a) Männer und Jungen sunnitisch-arabischer und sunnitisch-turkmenischer Abstammung im kampffähigen Alter, die in einem vom IS besetzten Gebiet während dessen Kontrolle oder in einem Gebiet, in dem der IS weiterhin präsent ist, gelebt haben; b) Frauen und Kinder, die mit tatsächlichen oder unterstellten IS-Mitgliedern wegen ihrer Familien- oder Stammesbeziehungen in Verbindung gebracht werden

UNHCR ist weiters der Ansicht, dass je nach den Umständen des Einzelfalles Zivilisten der folgenden Kategorien internationalen Schutz durch Gewährung eines Flüchtlingsstatus wegen ihrer unterstellten politischen Einstellung, ihrer Volksgruppen- und/oder Religionszugehörigkeit oder anderer GFK-relevanter Gründe benötigen können: a) andere sunnitische Araber oder sunnitische Turkmenen, auch weil sie in einem vom IS besetzten Gebiet während dessen Kontrolle oder in einem Gebiet, in dem der IS weiterhin präsent ist, gelebt haben, oder weil sie eine Stammesverbindung oder familiäre Verindung mit einem Gebiet unter ehemaliger IS-Kontrolle und/oder fortgesetzter IS-Präsenz teilen b) Personen, die IS-Verdächtigen und und Familien, die mit tatsächlichen oder unterstellten IS-Mitgliedern in Verbindung stehen, Rechtsbeistand leisten

Quelle:

- UNHCR - The UN Refugee Agency (05.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/unhcr-2019-05- protection-considerations-iraq.pdf, Zugriff 02.09.2019, mwN

14. Bewegungsfreiheit:

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an (USDOS 20.4.2018). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 1.2018).

Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von Vertriebenen und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, www.ris.bka.gv.at Seite 76 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen. Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken, selektiv umgesetzt haben (USDOS 20.4.2018).

Die kurdische Autonomieregierung schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 20.4.2018). Innerirakische Migration aus dem Zentralirak in die Autonome Region Kurdistan ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 12.2.2018). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, Genehmigungen einzuholen, die einen befristeten Aufenthalt in der Autonomieregion erlauben. Diese Genehmigungen waren in der Regel erneuerbar. Bürger, die eine Aufenthaltserlaubnis für die Autonome Region Kurdistan bzw. die von ihr kontrollierten Gebiete einholen wollen, benötigen einen in der Region ansässigen Bürgen. Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die Autonome Region Kurdistan einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehenlassen (USDOS 20.4.2018).

Die Behörden der Autonomen Region Kurdistan wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 20.4.2018).

Aufgrund militärischer Operationen gegen den IS erhöhten die irakischen Streitkräfte, PMF und Peshmerga die Zahl der Checkpoints und errichteten in vielen Teilen des Landes provisorische Straßensperren (USDOS 20.4.2018). Diese Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der IS richtet falsche Checkpoints ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (albawaba 12.3.2018; vgl. GardaWorld 29.3.2018, Kurdistan24 29.3.2018, Iraqi News 28.6.2018).

In Bagdad selbst sollen seit Dezember 2017 hingegen 305 Checkpoints und Straßensperren entfernt worden sein. Über tausend Straßen sind in Bagdad seit dem offiziellen Sieg über den IS wieder geöffnet worden (AAA 8.8.2018; vgl. AAA 29.1.2018, Iraqi News 29.1.2018).

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht routinemäßig durchgesetzt (USDOS 20.4.2018). An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden (AA 12.2.2018).

Die Bewegungsfreiheit von Frauen wird im Allgemeinen durch Recht und Brauchtum nicht respektiert. So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen. In den vom IS kontrollierten Gebieten war es Frauen angeblich verboten, ihr Zuhause ohne männlichen Verwandten zu verlassen (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 12.10.2018

- AAA - Asharq Al-Awsat (29.1.2018): Iraq Reopens 600 Main Streets, Lifts 281 Security Checkpoints in Baghdad, https://aawsat.com/english/home/article/1158316/iraq-reopens-600- main-streets-lifts-281- security-checkpoints-baghdad, Zugriff 5.10.2018

- AAA - Asharq Al-Awsat (8.8.2018): Removal of Roadblocks in Iraq's Capital Oils Traffic and Trade, https://aawsat.com/english/home/article/1356981/removal-roadblocks-iraqs-capital-oilstraffic-and-trade, Zugriff 5.10.2018

- albawaba (12.3.2018): ISIS Kills 10 Civilians at Fake Checkpoint in Eastern Iraq, https://www.albawaba.com/news/isis-kills-10-civilians-fake-checkpoint-eastern-iraq-1101032, Zugriff 5.10.2018

www.ris.bka.gv.at Seite 77 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html, Zugriff 29.10.2018

- GardaWorld (29.3.2018): Iraq: Increasing IS attacks on fake checkpoints in north, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/104516/iraq-increasing-is-attacks-on-fakecheckpoints-in-north, Zugriff 5.10.2018

- Iraqi News (28.6.2018): 17 Islamic State militants killed as they set fake checkpoint to kidnap civilians, near Mosul, https://www.iraqinews.com/iraq-war/17-islamic-state-militants-killed-as-they-set-fake- checkpoints-to-kidnap-civilians-near-mosul/, Zugriff 5.10.2018

- Iraqi News (29.1.2018): Iraq plans to remove 300 checkpoints, erect security fence in Baghdad, https://www.iraqinews.com/iraq-war/iraq-uncovers-plan-remove-300-checkpoints-set-security-fence- around-baghdad/, Zugriff 5.10.2018

- Kurdistan24 (29.3.2018): IS ambush at another fake checkpoint leaves five Iraqi forces dead, http://www.kurdistan24.net/en/news/995d414a-88be-42ec-be9b-b3cf84e2bac5, Zugriff 5.10.2018

- NYT - New York Times (2.4.2018): In Iraq, I Found Checkpoints as Endless as the Whims of Armed Men, https://www.nytimes.com/2018/04/02/magazine/iraq-sinjar-checkpointsmilitias.html, Zugriff 5.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018

Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak: Anbar, Sicherheitslage, Erreichbarkeit vom 16.04.2019 ergibt sich zur Erreichbarkeit:

"[...]

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch einige Informationen zur Erreichbarkeit und zum Straßenverkehr in Anbar gefunden werden. Eine ausgewogene Auswahl wird entsprechend den Standards der Staatendokumentation im Folgenden zur Verfügung gestellt.

Eine ausführliche Quellenbeschreibung zu einigen der verwendeten Quellen findet sich unter http://www.ecoi.net/5.unsere-quellen.htm. Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben. Als weniger bekannt erkannte Quellen werden im Abschnitt "Einzelquellen" näher beschrieben.

Es konnten keine Informationen zu aktuell betriebenen zivilen Flughäfen im Gouvernement Anbar gefunden werden.

Zusammenfassung:

Nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass Straßen im Irak im Allgemeinen gut ausgebaut sind und auch die Fahrbahnbedingungen einigermaßen gut sind.

Zahlreiche Sicherheitskontrollen der Regierung, sowie improvisierte Kontrollpunkte, die ohne Vorankündigung erscheinen, beeinflussen den Verkehr in Bagdad. Auch im Gouvernement Anbar werden entlang der Hauptstraßen, durch Vertreter der diversen Sicherheitskräfte, Kontrollpunkte unterhalten, was die Bewegung verlangsamt. Einem Bericht zufolge kam es im Oktober 2017 zu erzwungenem Verschwindenlassen von acht sunnitischen Arabern an einem von PMUs (Volksmobilisierungseinheiten) betriebenen Kontrollpunkt.

www.ris.bka.gv.at Seite 78 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Überlandbusse, die grundsätzlich verfügbar sind, sind schlecht gewartet, halten sich nicht an die Fahrpläne und ändern häufig die Streckenführung.

In umstrittenen Gebieten, in denen die Sicherheit nicht gewährleistet ist, dürfen nur Fahrzeuge des jeweiligen Gouvernements fahren.

Einer der Quellen zufolge gibt es im Irak fünf internationale Flughäfen, Baghdad, Erbil, Basra, Sulaimaniyah und Al-Najaf.

Einzelquellen:

Overseas Security Advisory Council (OSAC) ist eine US-amerikanische Organisation die zum Zweck der Förderung einer Kooperation zwischen US-amerikanischen Privatunternehmen und dem US-Außenministerium in Fragen der Sicherheit eingerichtet wurde. OSAC berichtet am 2.12.2018, dass die Straßen im Irak im Allgemeinen gut ausgebaut und die Fahrbahnbedingungen einigermaßen gut sind. Städtische Straßen bestehen größtenteils aus Asphalt, während Landstraßen typischerweise nicht asphaltierte Staub und Schotterstraßen sind. Im Winter sind Überschwemmungen häufig und können die Fahrbedingungen beeinträchtigen, da auf vielen Straßen keine geeigneten Entwässerungssysteme vorhanden sind.

Zusätzlich zu zahlreichen Sicherheitskontrollen der Regierung in ganz Bagdad beeinflussen auch improvisierte Kontrollpunkte, die ohne Vorankündigung erscheinen, den Verkehr.

Bagdads Stadtverkehrsmittel sind schlecht gewartet, Stadtbusse halten sich nicht an die veröffentlichten Fahrpläne und ändern unregelmäßig und häufig ihre Strecken. Überlandbusse sind zwar verfügbar, aber wie im Stadtverkehr sind die Fahrzeuge in einem schlechten Zustand und fahren oft mit unsicheren Geschwindigkeiten. Hohe Geschwindigkeiten und schlecht gewartete Geräte sind häufige Unfallursachen. Die irakische Eisenbahninfrastruktur ist weitgehend unzureichend.

[...] Road Safety and Road Conditions

Roads are generally well constructed and roadway conditions are reasonably good. Urban roads are mostly constructed of asphalt while rural roads are typically dirt and gravel. Flooding is common in the winter and may impact driving conditions as many roads lack proper drainage systems.

Dense urban populations, compounded by vehicle security checkpoints, can cause significant traffic congestion. In addition to the numerous government security checkpoints throughout Baghdad, improvised checkpoints that appear without notice further impact normal traffic patterns.

Public Transportation Conditions

Baghdad city transit vehicles are poorly maintained. City buses do not adhere to published schedules, and irregularly and frequently change routes. Long-distance buses are available, but like city transit vehicles are in poor condition and often drive at unsafe speeds. High speeds and poorly maintained equipment are often the cause of accidents. The Iraqi train infrastructure is largely inadequate. [...]

OSAC - Overseas Security Advisory Council (2.12.2018): Iraq 2018 Crime & Safety Report: Baghdad, https://www.osac.gov/pages/ContentReportDetails.aspx?cid=23505, Zugriff 1.4.2019

Logistics Capacity Assessment (LCA), eine Informationsplattform für die Logistikinfrastruktur eines Landes, welches sich auf die Bedürfnisse der humanitären Notfalllogistik bezieht, berichtet am 29.5.2018, dass es im Irak fünf internationale Flughäfen gibt und zwar in Baghdad, Erbil, Basra, Sulaimaniyah und Al-Najaf.

Bild kann nicht dargestellt werden

All the aviation activities in Iraq are supervised by ICAA. The ICAA is the competent aviation regulator in Iraq: its works include; flight permissions, safety regulations and economical regulations. Any new carrier, need an approval from ICAA prior to the flight commencement. [...]

2.2.1 Iraq Baghdad International Airport

www.ris.bka.gv.at Seite 79 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

2.2.2 Iraq Erbil International Airport

2.2.3 Iraq Basrah International Airport

2.2.4 Iraq Sulaimaniyah International Airport

2.2.5 Iraq Al-Najaf International Airport

LCA - Logistics Capacity Assessment (29.5.2018): Iraq Aviation, https://dlca.logcluster.org/display/public/DLCA/2.2+Iraq+Aviation, Zugriff 1.4.2019

Logistics Capacity Assessment (LCA) berichtet am 29.5.2018, dass die Straßenverkehrssicherheit von dem anhaltenden Konflikt betroffen ist, und dass es zu unvorhersehbaren Änderungen bei der Zugänglichkeit von Verkehrswegen kommt. In den von irakischen und kurdischen Sicherheitskräften kontrollierten Gebieten gibt es einige Checkpoints.

In umstrittenen Gebieten, in denen die Sicherheit nicht gewährleistet ist, dürfen nur Fahrzeuge des jeweiligen Gouvernements fahren. Güter mit abweichender Herkunft müssen möglicherweise auf lokal registrierte Lastwagen mit lokalen Fahrern umgeladen werden.

[...] The road security is affected by the ongoing conflict and unpredictable variations on accessibility occurs. In the Iraq Security Forces and Kurdish Security Forces controlled areas have various security checkpoints.

In disputed areas where security is not granted, only vehicles from the same governorate are allowed to circulate. Cargo with different provenience might need to be shifted from trucks with different plate number and re loaded on locally registered trucks with local drivers. [...]

LCA - Logistics Capacity Assessment (29.5.2018): Iraq Road Network, https://dlca.logcluster.org/display/public/DLCA/2.3+Iraq+Road+Network, Zugriff 1.4.2019

EASO veröffentlichte im März 2019 einem Bericht zur Sicherheitslage im Irak für das Jahr 2018. Darin wird berichtet, dass innerhalb des Gouvernements Anbar verschiedene militärische Gruppen die Sicherheit gewährleisten. Dazu gehören Armee, Polizei, sunnitische Stammesmilizen sowie die Volksmobilmachungskräfte (PMUs). Die Kontrollpunkte entlang der Hauptstraßen werden von Vertretern der verschiedenen Sicherheitskräfte in der Region betrieben, die nach eigenen Zeitplänen, unter Einsatz von Spürhunden oder auch anderen Sicherheitsvorrichtungen, arbeiten. Eine Vielzahl von Kontrollpunkten, die von mehreren verschiedenen Sicherheitskräften betrieben werden, sind über die Provinz Anbar verstreut, was die Bewegung verlangsamt und, aufgrund der unwirksamen Kommunikation zwischen den zuständigen Beamten, zu Verwirrungen in Bezug auf Genehmigungen führt.

Dem Bericht zufolge besteht beispielsweise für sunnitische Araber, die einen vom PMUs betriebenen Kontrollpunkt benutzen müssen, das Risiko willkürlich festgenommen zu werden. Es gibt dabei keine Möglichkeit einer Benachrichtigung über die Verhaftung oder einer möglichen Lokalisierung der Festgenommenen durch deren Familien. Es wurde ein Fall vom Oktober 2017 dokumentiert, bei dem das Anbar Operations Command, ein integriertes Militär- und Sicherheitskommando, in das gewaltsame Verschwinden von acht sunnitischen Männern an einem Kontrollpunkt verwickelt war, die vor den Kämpfen gegen den IS im Gouvernement Anbar geflohen sind.

[...] Road security

There are different military groups maintaining security within the governorate. These include the army, police, Sunni tribal militias, as well as the PMUs. Every checkpoint along the main roads tends to have representatives from the different security forces working in the area. The checkpoints appear to work arbitrarily, depending on the schedule set by the different groups, using sniffer dogs and various security devices. Local residents in Anbar have complained of the increasing 'militarisation' of their hometowns, whereby civilians are caught up in checkpoints, and requiring dozens of pieces of documentation in order to pass, hampering their freedomof movement. According to Al Monitor 'a plethora of checkpoints manned by several different security forces are scattered throughout Anbar province, slowing movement and creating confusion regarding authorizations due to ineffective communication between the officers in charge.'

www.ris.bka.gv.at Seite 80 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Referring to the risks encountered by Sunni crossing PMU-manned checkpoints, a Senior Researcher on Iraq for Human Rights Watch, pointed out that in Anbar 'there are numerous checkpoints there as well where you could be taken and there is no reason to think there are better systems in place if you are arbitrarily arrested or detained either -in terms of notification of arrest or your family being able to locate you, or that you're more likely to see a judge or be released if you're the wrong person.' Human Rights Watch has documented one case in which the Anbar Operations Command, an integrated military and security command, was implicated in the enforced disappearance of eight Sunni men who were displaced by the fighting against ISIL in Anbar governorate from a checkpoint in October 2017. [...]

EASO - European Asylum Support Office (3.2019): Iraq; Security situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004116/Iraq_security_situation.pdf, 13.3.2019

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Anbar, Sicherheitslage, Erreichbarkeit vom 16.04.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006888.html, mwN (Zugriff am 18.10.2019)

15. Innerstaatliche Fluchtalternative:

15.1. Allgemein:

Laut UNHCR wurden in fast allen Teilen des Landes für Binnenflüchtlinge verschärfte Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen implementiert. Zu den verschärften Maßnahmen gehören die Notwendigkeit des Vorweisens eines Bürgen, die Registrierung bei lokalen Behörden, sowie das Durchlaufen von Sicherheitsüberprüfungen durch mehrere verschiedene Sicherheitsbehörden, da die Regionen fürchten, dass sich IS Kämpfer unter den Schutzsuchenden befinden.

Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen variieren von Provinz zu Provinz und beinhalten nicht nur Sicherheits- Screenings, sondern hängen Berichten zufolge auch vom persönlichen Profil der flüchtenden Personen und Familien ab, wie z.B. vom ethnisch-konfessionellen Hintergrund, dem Herkunftsort oder der Zusammensetzung der Familie der jeweiligen Person. Eine ID-Karte ist in fast allen Regionen von Nöten, doch besteht nicht in jeder Region die Notwendigkeit eines Bürgen.

Seit Jänner 2014 hat der Krieg gegen den IS im Irak die Vertreibung von ca. sechs Millionen Irakern verursacht, rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes (IOM 4.9.2018). Ende September 2018 betrug die Zahl der weiterhin intern Vertriebenen noch 1,89 Millionen (IOM 30.9.2018).

Dabei handelt es sich um die niedrigste Zahl an IDPs seit Ende 2014 (IOM 4.9.2018). Die Zahl der Vertriebenen sinkt seit der zweiten Hälfte des Jahres 2017 sukzessive (UNHCR 31.8.2018; vgl. UNHCR 31.7.2018, IOM 30.9.2018); die Zahl der Rückkehrer ist mittlerweile auf 4 Millionen gestiegen (IOM 30.9.2018). Bis zu einer Million Menschen bleiben weiterhin aus dem konfessionellen Konflikt von 2006-08 vertrieben (USDOS 20.4.2018).

Die Regierung und internationale Organisationen, einschließlich UN-Einrichtungen und NGOs, versuchen, IDPs Schutz und andere Hilfe zu gewähren. Eine hohe Anzahl von IDPs außerhalb der Lager belastet die Ressourcen der Gastgebergemeinden (USDOS 20.4.2018).

Anfang 2018 lag die Rückkehrrate noch bei ca. 200.000 Menschen pro Monat. Diese Zahl hat sich seither drastisch verringert. So kehrten im März 2018 beispielsweise 112.446 Menschen in ihre Heimat zurück, von April bis Mai 2018 durchschnittlich 79.000 pro Monat, von Juni bis Juli 45.871. Im August 2018 lag die Zahl der Rückkehrer bei 33.528 Menschen (Joel Wing 19.9.2018).

Verschiedene Hilfsorganisationen berichten über eine Änderung der Einstellung von IDPs. Ursprünglich erklärte eine Mehrheit, sie würden zurückkehren, sobald der Krieg gegen den IS vorbei sei. Jetzt sind sie besorgt aufgrund der Sicherheit, dem Mangel an Dienstleistungen, zerstörten Häusern, wenig Arbeitsplätzen und wenig Geld. Es gibt auch eine beträchtliche Anzahl an IDPs, denen die Rückkehr verweigert wird, weil ihnen vorgeworfen wird, mit dem IS in Verbindung zu stehen. Darüber hinaus gibt es Menschen, die in ihre ursprünglichen Gebiete zurückgereist sind, die Situation dort jedoch als mangelhaft wahrgenommen haben und

www.ris.bka.gv.at Seite 81 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 wieder in die Binnenvertreibung zurückgekehrt sind (Joel Wing 19.9.2018). Der Großteil der verbliebenen IDPs hat keine unmittelbaren Pläne zur Rückkehr (IOM 26.6.2018; vgl. REACH 29.8.2018, Joel Wing 11.10.2018).

Schwierige Rückkehrbedingungen finden sich unter anderem in Sinjar Zentrum, Telafar Zentrum, West Mossul, al-Ba'aj, im Wüsten-Streifen von al-Tal, Hatra (Hadr) und Muhallabiyya (Provinz Ninewa); in Baiji, Tuz Khurmatu/Sulayman Beg und Balad/Duloeiya (Provinz Salah al-Din); in Taza Khurmatu, Hawija Zentrum und al-'Abassi (Provinz Kirkuk); in al-Adheim und Sa'adiya/Jalawla (Provinz Diyala); und im Falludscha-Ramadi Streifen sowie in Ana Zentrum (Provinz Anbar) (IOM 9.2018).

In einigen Gebieten behindern Gewalt und Unsicherheit sowie langjährige politische, stammes¬und konfessionelle Spannungen die Fortschritte bei der nationalen Aussöhnung und erschweren den Schutz von IDPs. Tausende von Familien haben mehr als eine Vertreibung erlebt, und viele waren gezwungen, auf der Suche nach Schutz über die Grenzen der jeweiligen Provinz hinaus zu ziehen. Zwangsvertreibungen, kombiniert mit dem langwierigen und weitgehend ungelösten Problem von Millionen von Menschen, die in den letzten Jahrzehnten entwurzelt wurden, haben eine destabilisierende Wirkung auf die ohnehin schon komplexe soziale und politische Dynamik des Landes. Dies belastet die Kapazitäten der lokalen Behörden und offenbart die Grenzen der rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen (USDOS 20.4.2018).

Sowohl Vertriebene als auch Rückkehrer sind vulnerabel und auf humanitäre Hilfe angewiesen, um ihren Lebensunterhalt wiederzuerlangen und ihre Familien ernähren zu können (IOM 4.9.2018).

Die Regierung stellt vielen - aber nicht allen - IDPs, auch in der kurdischen Autonomieregion, Nahrungsmittel, Wasser und finanzielle Hilfe zur Verfügung. Viele IDPs leben in informellen Siedlungen, wo sie keine ausreichende Versorgung mit Wasser, sanitären Einrichtungen oder anderen wichtigen Dienstleistungen erhalten (USDOS 20.4.2018). Alle Bürger sind berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des Public Distribution System (PDS) zu erhalten. Die Behörden verteilen aber nicht jeden Monat alle Waren, und nicht alle IDPs können in jeder Provinz auf Lebensmittel aus dem Public Distribution System (PDS) zugreifen. Die Bürger können die PDS-Rationen nur an ihrem Wohnort und in ihrer eingetragenen Provinz einlösen, was zu einem Verlust des Zugangs und der Ansprüche aufgrund von Vertreibungen führt (USDOS 20.4.2018).

Personen, die sich nicht als IDPs an ihrem Wohnort registriert haben, verfügen manchmal nur über einen begrenzten Zugang zu staatlichen Leistungen. Die lokalen Behörden entscheiden oft darüber, ob IDPs Zugang zu örtlichen Leistungen erhalten. Humanitäre Organisationen berichten, dass einige IDPs mangels erforderlicher Unterlagen Schwierigkeiten bei der Registrierung haben. Viele Bürger, die zuvor in den vom IS kontrollierten Gebieten gelebt haben, besitzen keine Personenstandsdokumente, was die Schwierigkeit, einen Ausweis und andere persönliche Dokumente zu erhalten, noch vergrößerte. Durch die Bereitstellung von Rechtshilfe unterstützen die Vereinten Nationen und humanitäre Organisationen IDPs bei der Beschaffung von Dokumenten und der Registrierung bei Behörden, um den Zugang zu staatlichen Leistungen zu verbessern (USDOS 20.4.2018).

Für den Süden des Iraks (Babil, Basra, Kerbala, Najaf, Missan, Muthanna, Qaddisiya, Thi-Qar und Wassit) liegen generell nur wenige Berichte über Menschenrechtsverletzungen von schiitischen Milizen an Sunniten vor. Im Süden des Iraks leben ca. 400.000 Sunniten sowie Angehörige anderer Minderheiten. Die Region Südirak hat ca. 200.000 flüchtende irakische Staatsangehörige aufgenommen.

Im Regelfall können sich irakische Staatsangehörige mit einer irakischen ID-Karte in den Gebieten des Südiraks frei und ohne Einschränkungen bewegen. Basra betreffend besteht Berichten zufolge grundsätzlich auch für Binnenflüchtlinge die Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Leistungen des staatlichen Gesundheitssystems. Laut eines Berichtes der IOM haben in Basra zudem 80% der Binnenflüchtlinge die Möglichkeit, am örtlichen Bildungssystem und am Arbeitsmarkt teilzuhaben. In den meisten Gemeinden ist es auch für Frauen möglich, Berufen nachzugehen, allerdings vor allem solche, die von zuhause aus ausgeübt werden können.

Es ist möglich, ohne Bürgschaft in die Autonome Region Kurdistan einzureisen. Eine Einreise ist über den Internationalen Flughafen Erbil als auch auf dem Landweg möglich. Laut Bericht der International Organisation for Immigration (IOM) würden irakische Bürger bei der Ankunft an einem Checkpoint einer Landgrenze zu Kurdistan oder am Flughafen eine einwöchige Aufenthaltserlaubnis erhalten. Irakische Staatsbürger können sich z.B. in Erbil frei bewegen und von dort aus in alle Provinzen einzureisen. Binnenflüchtlinge müssen sich bei der Einreise registrieren und können dann eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung beantragten. Ob eine Person ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bzw. eine verlängerbare Aufenthaltsgenehmigung in der Autonomen Region Kurdistan bekommt, hängt dabei oft vom ethischen, religiösen und persönlichen Profil ab. Die Notwendigkeit eines Bürgen zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung differiert von Provinz zu Provinz und wird zuweilen

www.ris.bka.gv.at Seite 82 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 auch willkürlich gehandhabt. In manchen Provinzen kann Bürge notwendig werden, um sich dort niederzulassen oder dort zu arbeiten.

Arabische Binnenflüchtlinge können in der Region Sulaimaniyya zunächst eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung erhalten und sodann den Daueraufenthalt beantragen. In Sulaimaniyya ist nach Berichten der UNHCR kein Bürge notwendig, um sich niederzulassen oder eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. Berichten der IOM zufolge leben 90 % aller Binnengeflüchteten in Sulaimaniyya in stabilen sanitären Verhältnissen und haben 83 % Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem. Im Regelfall können binnengeflüchtete Menschen in Sulaimaniyya am Bildungssystem teilhaben. Binnengeflüchtete haben in Sulaimaniyya die Möglichkeit in den verschiedensten Feldern zu den gleichen Löhnen wie ortsansässige Personen zu arbeiten.

In Bagdad gibt es sunnitisch geprägte Viertel. Zur Einreise von sunnitischen Arabern in das Stadtgebiet Bagdad müssen sich diese einem Sicherheitscheck unterziehen, vor allem, wenn sie aus vom IS dominierten Gebieten kommen. Ein Bürge für die Einreise nach Bagdad ist jedoch nicht mehr nötig. Wird jedoch eine Niederlassung mit Wohnsitz in Bagdad angestrebt, ist in Bagdad das Vorweisen von zwei Bürgern aus der Nachbarschaft, in welcher man sich niederlassen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des örtlichen "mukhtar" nötig, wenn eine Person aus früheren IS-Gebieten oder umstrittenen Gebieten sich in Bagdad niederlassen möchte. Auch um Bagdad herum gibt es Flüchtlingslager und Aufnahmestationen.

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 12.10.2018

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- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 25.10.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1416409/5818_1508929404_irak-lib-2017-08-24-ke.doc mwN (Zugriff am 20. Februar 2018)

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- IOM - International Organization for Migration (26.6.2018): Returns Continue While Obstacles to Return Remain in Iraq: IOM, https://www.iom.int/news/returns-continue- while-obstacles-return-remain-iraq-iom, Zugriff 11.10.2018

- IOM - International Organization for Migration (4.9.2018): Iraq Displacement Figures Drop Below Two Million for First Time Since 2014; Nearly Four Million Have Returned Home, https://www.iom.int/news/iraq-displacement-figures-drop-below-two-million-first-time-2014-nearly- fpur-million-have, Zugriff 5.10.2018

- IOM - International Organization for Migration (9.2018): Return Index: Findings Round 1 | Iraq, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/Return%20Index%20Briefing%20Round%201%20FindingsSept ember%202018.pdf, Zugriff 11.10.2018

- IOM - International Organization for Migration, Iraq Mission, 17.05.2017, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/Round86_Report_English_2017_December_31_IOM_DTM.pdf, (Zugriff am 08. Februar 2018)

- Joel Wing - Musings on Iraq (19.9.2018): Number Of Displaced In Iraq Returning Home Declined Again, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/number-of-displaced-in-iraq-returning.html, Zugriff 11.10.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (31.8.2018): More Evidence Iraq Reaching Tipping Point With Displaced, Few Want To Return Home, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/08/more-evidence-iraq-reaching- tipping.html, Zugriff 11.10.2018

www.ris.bka.gv.at Seite 83 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- REACH Initiative (29.8.2018): Majority of IDPs living outside of displacement camps have no intention of returning home - Findings from Dahuk, Erbil, Ninewa, Salah al-Din and Sulaymaniyah, http://www.reach-initiative.org/iraq-majoritv-of-idps-living-out-of-displacement-camps-have-no- intention-of-returning-home-findings-from-dahuk-erbil-ninewa-salah-al-din-and-sulaymaniyahm, Zugriff 11.10.2018

- UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, Juni 2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf (Zugriff am 8. Februar 2018)

- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.4.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf (Zugriff am 8. Februar 2018)

- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees: Iraq: Country of Origin Information on Access and Residency Requirements in Iraq: Ability of Persons Origination from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access an Remain in Proposed Areas of Relocation, 25.04.2019, https://www.refworld.org/docid/5cc2c30d7.html, (Zugriff am 06.05.2019).

- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (31.7.2018): Iraq Protection Update - July 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20180820%20Iraq%20Protection%20Update%20- %20Julv%202018.pdf, Zugriff 11.10.2018

- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (31.8.2018): Iraq Protection Update August 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20180919%20Iraq%20Protection%20Update%20- %20August%202018.pdf, Zugriff 11.10.2018

- UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.8.2018): Iraq: Internally displaced people by governorate, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/iraqidpsandreturneesbygovernoratedtm- iomround102aug312018.pdf, Zugriff 5.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq. https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018

15.2. UNHCR-Erwägungen zur innerstaatlichen Fluchtalternative:

Aus den UNHCR-Erwägungen zu internationalem Schutz für Menschen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), in der Folge: UNHCR-Erwägungen, Punkt I.3. und 5., Seiten 7 f und 9, ergibt sich:

Innerstaatliche Flucht- oder Relokationsalternative (IFA/IFA):

UNHCR ist der Ansicht, dass eine IFA/IRA in Gebieten, die zuvor vom IS kontrolliert wurden oder auf andere Weise von Konflikten hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen durch staatliche und nichtstaatliche Akteuere betroffen waren, mit anhaltender IS-Präsenz und/oder laufenden Militäroperationen gegen den IS, nicht zur Verfügung steht.

UNHCR ist ferner der Ansicht, dass in den umstrittenen Gebieten wegen der dort herrschenden volatilen Sicherheitslage, der politischen und demografischen Dynamik und dem Risiko weiterer Destabilisierung der Situaion durch Bevölkerungsbewegungen keine IFA/IRA verfügbar ist.

In Bezug auf sunnitische Araber und sunnitische Turkemen aus ehemals vom IS besetzten Gebieten oder von Konflikten betroffenen Gebieten muss bei der Beurteilung der Verfügbarkeit einer IFA/IRA in anderen Gebieten des Irak geprüft werden, ob diese das vorgeschlagene Gebiet als Einzelperson praktisch, sicher und legal erreichbar sind. Diese Anforderung beinhaltet die Einschätzung der konkreten Perspektiven des Einzelnen: www.ris.bka.gv.at Seite 84 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

- Möglichkeit das vorgeschlagene Umsiedlungsgebiet sicher zu erreich und dort aufgenommen zu werden, was die Einschätzung beinhaltet, ob die Einzelperson Checkpoints passieren und in das vorgeschlagene Gebiet aufgenommen werden kann, einschließlich der möglichen Notwendigkeit eines Bürgen

- Erlaubnis der Wohnsitznahme, wofür womöglich ein Bürge nötig ist

- Erlaubnis, sich im Umsiedlungsgebiet dauerhaft niederzulassen

Zugangs- und Aufenthaltsbesteimmungen sind Berichten zufolge nicht immer klar definiert und/oder kann deren Umsetzung variieren oder Änderungen, hauptsächlich abhängig von der Sicherheitslage, unterliegen. Bürgschafts-Voraussetzungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert noch werden diese offiziell angekündigt.

Vor dem Hintergrund der in vielen Teilen des Landes geltenden Zugangs- und Aufenthaltsbeschärnkungen ist UNHCR der Ansicht, dass für sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen aus ehemals vom IS besetzten oder von Konflikten betroffenen Gebieten eine IFA/IRA generell keine Relevanz in Gebieten entfaltet, in welchen die Behörden Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen aufrechterhalten und/oder wo auf Personen aus ehemaligen vom IS besetzten oder von Konflikten betroffenen Gebieten Druck ausgeübt wird, in ihre Heimatregion zurückzukehren. Die einzige Ausnahme wären Antragsteller dieser Profile für die festgestellt werden kann, dass basierend auf den individuellen Umständen ihres Falles, ein tatsächlicher Zugang und ein legaler und dauerhafter Aufenthalt in den vorgeschlagenen Umsiedlungsgebieten besteht.

Im konkreten Fall der autonomen Region Kurdistan (KRG) als Gebiet für eine IFA/IRA ist UNHCR der Auffassung, dass eine solche angesichts der dort herrschenden, derzeitigen humanitären Lage im Allgemeinen nicht zumutbar ist. Die einzigen Ausnahmen wären Antragsteller für die festgestellt werden kann, dass basierend auf den individuellen Umständen ihres Falles, sie Zugang zu:

- angemessener Unterbringung in dem vorgeschlagenen Umsiedlungsgebiet der KRG haben, mit dem Hinweis, dass die IDP-Lager oder informelle Siedlungen nicht als "angemessene Unterbringung"eingestuft werden;

- wesentlichen Dienste in dem vorgeschlagenen Umsiedlungsgebiet der KRG haben, wie Trinkwasser, Wasser und sanitäre Anlagen, Elektrizität, Gesundheitsführsorge und Bildung; und

- Lebensgrundlagen oder bei Antragstellern, von denen nicht erwartet werden kann, dass sie für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen (zB Frauenhaushalte, ältere Antragsteller oder solche mit nachgewiesenen Behinderungen) nachgewiesener und nachhaltiger Unterstützung um einen Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen

UNHCR-Position zu Abschiebungen:

Angesichts der weit verbreiteten Zerstörung und Beschädigung von Häusern, Grundinfrastruktur und landwirtschaftlichen Flächen, eingeschränktem Zugang zu Lebensgurndlagen und Grundversorgung, Verseuchung von Häusern und Grundstükcen mit ERW, anhaltenden Spannungen in der Gemeinschaftm einschließlich Repressalien gegen Zivilisten, von welchen angenommen wird, dass sie den IS unterstützten, fordert UNHCR die Staaten auf, von erzwungenen Abschiebungen von Personen, die aus ehemaligen vom IS besetzten Gebieten oder Gebieten mit anhaltender IS-Präsenz stammen, Abstand zu nehmen. UNHCR rät auch von der zwangsweisen Rückführung dieser Personen in andere Teile des Irak ab, wenn das Risiko besteht, dass sie möglicherweise nicht in der Lage sind, zu diesen Gebieten Zugang zu erhalten oder sich dort niederzulassen oder sie sich sonst in einer Situation wiederfinden, die ihnen keine andere Wahl lässt, als zu ihrer Herkunftsregion zurückzukehren. Dieser Rat bezieht sich auf Personen, bei denen festgestellt wurde, dass sie keinen internationalen Schutz in Form der Gewährung des Status eines Asylberechtigten benötigen.

Quelle:

- UNHCR - The UN Refugee Agency (05.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/unhcr-2019-05- protection-considerations-iraq.pdf, Zugriff 17.09.2019, mwN

16. Grundversorgung und Wirtschaft: www.ris.bka.gv.at Seite 85 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.2.2018). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom. Wasser. Abwasser- und Abfallentsorgung. Gesundheitsversorgung. Bildung. Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten. sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018).

Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN- Programms "Habitat" leben 70 Prozent der Iraker in Städten. die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.2.2018).

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.2.2018).

16.1. Wirtschaftslage:

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des sogenannten Islamischen Staat und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land. nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg. Bürgerkrieg. Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits. vorsichtig- positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt. hängt aus Sicht der Weltbank davon ab. ob das Land die Korruption in den Griff bekommt (GIZ 11.2018).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 11.2018). Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 12.2.2018). Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist (WKO 2.10.2018). Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern (WB 16.4.2018). Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber (WKO 2.10.2018).

So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote [schon vor dem IS, Anm.] von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014 (WB 18.4.2018).

Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15-24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25-49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS- bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten (WB 16.4.2018).

Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.2.2018). Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung (IOM 13.6.2018).

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Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten (IOM 13.6.2018).

16.2. Stromversorgung:

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.2.2018). Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 22.12.2017). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.2.2018).

16.3. Wasserversorgung:

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen (AA 12.2.2018). Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird (UNOCHA 31.8.2018).

Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei (UNOCHA 31.8.2018). Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.2.2018). Im August meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch (Iraqi News 28.8.2018).

16.4. Nahrungsversorgung:

Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen (FAO 8.2.2018). 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt (AA 12.2.2018). Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe (USAID 23.2.2018).

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig (AW 11.2.2018; vgl. USAID 1.8.2017).

Das Sozialsystem wird vom sogenannten "Public Distribution System" (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 20.04.2018).

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Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 12.10.2018

- AW - The Arab Weekly (11.2.2018): Can Iraq's ailing economy liberate itself in 2018?, https://thearabweekly.com/can-iraqs-ailing-economy-liberate-itself-2018, Zugriff 15.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018- 07/PB_PSI_water_challenges_Iraq.pdf, Zugriff 15.10.2018

- Fanack (22.12.2017): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/, Zugriff 15.10.2018

- FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (8.2.2018): Iraq: Recovery and Resilience Programme 2018-2019, http://www.fao.org/3/I8658EN/i8658en.pdf, Zugriff 15.10.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak: Die wirtschaftliche Lage im Überblick, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 20.11.2018

- Iraqi News (28.8.2018): Iraq's Basra declares 17000 infection cases from water pollution, https://www.iraqinews.com/features/iraqs-basra-declares-17000-infection-cases-from-water-pollution/, Zugriff 15.10.2018

- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo- DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak- dl_de.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

- K4D - Knowledge for Development Program (18.5.2018): Iraqi state capabilities, https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5b18e952e5274a18eb1ee3aa/Iraqi_state_capabilities.pdf, Zugriff 15.10.2018

- UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.8.2018): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA%20Iraq%20Humanitarian%20Bulletin%2 0-%20August%202018.pdf, Zugriff 15.10.2018

- USAID - Unites States Agency for International Development (1.8.2017): Iraq: Agriculture, https://www.usaid.gov/iraq/agriculture, Zugriff 16.10.2018

- USAID - Unites States Agency for International Development (30.9.2018): Food Assistance Fact Sheet: Iraq, https://www.usaid.gov/sites/default/files/documents/1866/FFP_Iraq_Fact_Sheet.pdf, Zugriff 15.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018

- WB - The World Bank (16.4.2018): Iraq's Economic Outlook - April 2018, https://www.worldbank.org/en/country/iraq/publication/economic-outlook-april-2018, Zugriff16.10.2018

- WB - The World Bank (18.4.2018): Iraq: Overview, http://www.worldbank.org/en/country/iraq/overview, Zugriff 15.10.2018

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (2.10.2018): Die irakische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html, Zugriff 15.10.2018

17. Medizinische Versorgung: www.ris.bka.gv.at Seite 88 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen (AA 7.2.2017). Geschätzte 75 Prozent der Ärzte, Pharmakologen und Krankenpfleger haben seit 2003 ihre Arbeit niedergelegt, wodurch ein massiver Versorgungsmangel entsteht. Etwa 60 Prozent des medizinischen Fachpersonals, das das Land verlassen hat, tat dies aufgrund der Sicherheitslage (CR 7.7.2016).

Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Korruption ist verbreitet. Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 7.2.2017). Die Jahre des bewaffneten Konflikts haben das Gesundheitssystem ernsthaft deformiert und im Irak gibt es beträchtliche Lücken bei der Bereitstellung von medizinischen Leistungen, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. In Konfliktzonen sind viele Gesundheitseinrichtungen außer Betrieb oder zerstört (AIO 12.6.2017). In den am meisten betroffenen Provinzen Anbar, Kirkuk, Ninewah und Salahuddin wurden geschätzt 23 Krankenhäuser und über 230 medizinische Versorgungseinrichtungen beschädigt oder zerstört (OCHA 7.3.2017). Angriffe auf Spitäler und Schulen sind häufig und die Verweigerung von humanitärer Unterstützung und die Zerstörung von grundlegenden Diensten wie Wasser- und Stromversorgung werden als Kriegswaffe eingesetzt (UNICEF o.D.). Jenen Gesundheitseinrichtungen, die weiterbetrieben werden, fehlt es häufig an der Kapazität für den erhöhten Bedarf an zu Versorgenden, insbesondere in Gebieten mit einer hohen Zahl an IDPs, wie in der Region Kurdistan (AIO 12.6.2017).

Neben dem bewaffneten Konflikt und der großen Menge an IDPs tragen auch noch der Ausbruch von Krankheiten (mitausgelöst durch die beeinträchtigte Wasserversorgung und die Unterbrechung bei Schutzimpfungsprogrammen), sowie Finanzierungsengpässe zur Verschlimmerung bei. Es gibt einen weit verbreiteten Mangel an wesentlichen Medikamenten, Sanitätsartikeln und Nahrungsergänzungen. Laut Schätzungen haben mehr als 7,7 Millionen Menschen (laut anderer Quelle mehr als 8 Millionen Menschen) dringenden Bedarf an wesentlichen medizinischen Dienstleistungen. Seit Ende 2015 gibt es im Irak einen Cholera-Ausbruch und es besteht darüber hinaus ein erhöhtes Risiko, an Typhus, Gelbsucht oder Masern zu erkranken (WHO 2016, vgl. OCHA 7.3.2017). Im gesamten Land gibt es für schwangere Frauen nur eingeschränkten Zugang zu reproduktiven Gesundheits- und Beratungsdiensten, zu prä- und postnataler Versorgung und sicheren Geburtseinrichtungen. Diese Situation ist in verschärftem Ausmaß in Flüchtlingslagern oder anderen Umgebungen zu beobachten, in denen es einen mangelhaften Zugang zu Gesundheitsversorgung in diesem Bereich gibt. Darüber hinaus sehen sich schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen verschiedenen Barrieren beim Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung gegenüber, beispielsweise auf Grund der Sicherheitslage, der ethnischen Zugehörigkeit oder finanzieller Schwierigkeiten (OCHA 7.3.2017).

Gemäß WHO lag im Jahr 2014 die Dichte von primären medizinischen Einrichtungen im Irak bei 0,7 auf 10.000 Einwohner (MedCOI 2017). In ungefähr der Hälfte der medizinischen Zentren arbeitet zumindest ein Arzt/ eine Ärztin, im Rest der Versorgungszentren arbeiten geschulte Gesundheitskräfte wie medizinische HelferInnen und KrankenpflegerInnen.

Das Gesundheitsministerium ist der Hauptanbieter im Gesundheitsbereich. Das öffentliche Gesundheitssystem basiert auf einem Kostenteilungsmodell, bei dem die Regierung die Kosten für die medizinischen Dienstleistungen übernimmt und dem Patienten eine geringe Gebühr in Rechnung stellt. Der Mangel an politischer Stabilität und Staatssicherheit im Irak hindert den Staat jedoch daran, die allgemeine Gesundheitsversorgung der Bevölkerung abzudecken. Der private Sektor bietet ebenfalls heilmedizinische Leistungen an, diese können jedoch, wenn weitere Leistungen nötig werden (z.B. MRT, Medikamente oder operative Eingriffe) für ärmere Familien kostspielig sein (MedCOI 2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455296_deutschland-auswaertiges-amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2016-07- 02-2017.pdf, Zugriff 6.8.2017

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 18.05.2018,

www.ris.bka.gv.at Seite 89 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 https://www.ecoi.net/en/file/local/1416409/5818_1508929404_irak-lib-2017-08-24-ke.doc mwN (Zugriff am 15.11.2018)

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- Crisis response (7.7.2016): Crisis - The state of healthcare in Iraq, https://www.crisis- response.com/comment/blogpost.php?post=264, Zugriff 30.9.2017.

- MedCOI - Medical Country of Origin Information (2017): Country Fact Sheet Iraq, https://www.medcoi.eu/Source/Detail/10009, Zugriff 5.7.2017

- OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (7.3.2017): Humanitarian Needs Overview, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/irq_2017_hno.pdf, Zugriff 16.6.2017

- UNICEF Iraq (o.D.): The situation of children in Iraq, https://www.unicef.org/iraq/children.html, Zugriff 9.2.2017.

- WHO - World Health Organization (2016): Iraq Humanitarian Response Plan 2016, http://www.who.int/hac/crises/irq/appeal/en/, Zugriff 7.12.2016

17.1. Allgemeines:

17.1.1. Gesundheitswesen und Zugang zu Gesundheitsversorgung:

Aus dem EASO-Bericht über Herkunftsländer Irak: Zentrale sozioökonomische Indikatoren vom Februar 2019 ergibt sich auszugsweise (Punkt 7.2., S 80 ff):

"[...]

Seit den 1970er Jahren umfasst das irakische Gesundheitswesen Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung und Krankenhäuser. Die Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung erbringen Vorsorge- und Heilbehandlungen. Die Leistungen werden für gewöhnlich von Ärzten erbracht, in den Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten kann es jedoch vorkommen, dass lediglich medizinisches Hilfspersonal vor Ort ist.680 Zur Primärversorgung zählen "Untersuchungen, Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge und Gesundheitserziehung", soweit einfache Behandlungen und Arzneimittel erforderlich sind; komplexere Krankheitsfälle werden an die Krankenhäuser überwiesen. Trotz schlechter Organisation sowie Personal- und Arzneimittelmangel in den Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung gelten sie als unverzichtbare Eckpfeiler der Gesundheitsversorgung, insbesondere für die ärmeren Bevölkerungsgruppen. Krankenhäuser und sonstige Gesundheitseinrichtungen sind ganz überwiegend in städtischen Gebieten zu finden. Infolgedessen sind Krankenhäuser und sonstige medizinische Einrichtungen für die Einwohner der ärmeren Gouvernements entweder selten oder überhaupt nicht zugänglich. Sowohl Gesundheitsdienste als auch Arzneimittel sind im Rahmen eines öffentlichen und eines privaten Gesundheitssystems verfügbar. Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Der Zugang zum Gesundheitswesen erfordert einen Personalausweis und die Bezahlung der Leistung. Die Patienten müssen für die Mehrheit der Beratungen und Behandlungen sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitssystem bezahlen. Die Leistungen der Primärversorgung und der Vorsorge werden durch Unterbrechungen der Stromversorgung und fehlende Ausrüstungen beeinträchtigt. Zur Primärversorgung zählen "Untersuchungen, Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge und Gesundheitserziehung", soweit einfache Behandlungen und Arzneimittel erforderlich sind; komplexere Krankheitsfälle werden an die Krankenhäuser überwiesen. Im Jahr 2017 schrieb die Weltbank: "Da es keine Krankenversicherungssysteme im Irak gibt, müssen die Kosten der privaten Gesundheitsversorgung aus eigener Tasche finanziert werden, wozu zahlreiche Iraker nicht imstande sind". Den im Jahr 2017 veröffentlichten Länder-Factsheets der IOM war zu entnehmen, dass die Krankenversicherung keine Kosten übernimmt; die "Leistungen des öffentlichen Gesundheitswesens sind kostengünstiger als die Leistungen des privaten Gesundheitswesens". Im privaten Gesundheitssystem sind Qualität und Verfügbarkeit in der Regel besser, dagegen sind die Preise höher. Infolgedessen suchen Patienten, die es sich leisten können, private Gesundheitseinrichtungen in Erbil oder Bagdad oder im Ausland auf, während die Patienten mit geringerem Einkommen auf öffentliche Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen angewiesen sind. Die Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung berichten, dass fehlendes Material und der Mangel an Fachkräften ihre Behandlungskapazitäten mindern und somit weniger Patienten behandelt werden können.690 In einem von IRIN News im März 2018 veröffentlichten Artikel wurden die Schwierigkeiten jesidischer Rückkehrer beim Zugang zur Gesundheitsversorgung in der Region Sindschar im Nordosten des Irak beleuchtet. IRIN berichtete ferner, dass die neuen von der irakischen Regierung im öffentlichen www.ris.bka.gv.at Seite 90 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Gesundheitswesen eingeführten Gebühren zwar moderat waren - 2 000 IQD [1,48 EUR] für eine Beratung und 1 000 IQD [0,74 EUR] für eine Verordnung -, jedoch gravierende Auswirkungen auf einige der ärmsten Gruppen der Gemeinde in Sindschar gehabt haben, die diese Gebühren nicht aufbringen können.

Präzise und aktuelle Informationen über die vorhandenen Gesundheitseinrichtungen sind kaum verfügbar. Den Statistiken der irakischen Regierung für 2015 war zu entnehmen, dass es 212 öffentliche und 95 private Krankenhäuser gab, von denen 207 bzw. 93 "voll oder teilweise einsatzfähig" waren. Angaben der WHO auf ihrer Website (ohne Datum) zufolge hat der Irak 229 allgemeine Krankenhäuser und Fachkliniken. Nach Angaben der WHO gibt es 1 185 Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung, die von einem Arzt geleitet werden, und 1 146 Einrichtungen, die von medizinischem Hilfspersonal geleitet werden. Aus den von der irakischen Regierung 2017 vorgelegten Statistiken ging jedoch hervor, dass es 2 669 Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung gibt. Die WHO schätzt, dass es 0,7 Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung je 10 000 Einwohner und 13 Krankenhausbetten je 10 000 Einwohner im Irak gibt. Was das Gesundheitspersonal angeht, beläuft sich die Zahl der Ärzte auf 8,4 und die Zahl von Krankenpflegern/Hebammen auf 19,4 je 10 000 Einwohner im Irak. In Bereich der Gesundheitsindikatoren (wie Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben, Krankenhausbetten je 1 000 Einwohner, Krankenpfleger/Hebammen je 1000 Einwohner) schneidet der Irak schlechter ab als seine Nachbarländer in der Region. Im dem Bericht 2017 von REACH wird festgestellt, dass die gesamte irakische Bevölkerung der Verbesserung des Zugangs zur medizinischen Grundversorgung weiterhin einen hohen Stellenwert beimisst. Zudem wurde berichtet, dass es einen "Mangel an Arzneimitteln in Krankenhäusern gibt und sich Patienten die Arzneimittel in den Apotheken nicht leisten können". Einem von The Lancet 2013 veröffentlichten Papier zufolge bleibt die Personalausstattung im medizinischen Bereich hinter derjenigen anderer vergleichbarer Länder in der Region zurück (Jordanien, Syrien, Ägypten). Im Gesundheitswesen fehlen ferner Ärzte und medizinische Fachkräfte, die Berichten zufolge das Land in den vergangenen Jahren aufgrund des Konflikts, ausbleibender Gehaltszahlungen und der Korruption verlassen haben. Medizinische Fachkräfte verteilen sich ungleichmäßig über das Land: In Bagdad befinden sich unverhältnismäßig viele Ärzte, Angehörige des medizinischen Personals und Betten, während die ärmeren Gouvernements über geringere medizinische Ressourcen verfügen. Die Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung berichten, dass fehlendes Material und der Mangel an Fachkräften ihre Behandlungskapazitäten mindern und somit weniger Patienten behandelt werden können."

Quelle:

- EASO-Bericht über Herkunftsländer Irak: Zentrale sozioökonomische Indikatoren, Februar 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2015474.html mwN (Zugriff am 02.10.2019)

17.2. Gesundheitsversorgung in Bagdad:

Aus dem EASO-Bericht über Herkunftsländer Irak: Zentrale sozioökonomische Indikatoren vom Februar 2019 ergibt sich auszugsweise (Punkt 7.5., S 91 ff):

Der allgemeine Zustand der öffentlichen Krankenhäuser in Bagdad sowie die Qualität ihrer Versorgungsleistungen wird in den Medien als schlecht beschrieben. Darüber hinaus gibt der insbesondere durch die Sicherheitslage und die Abwanderung bedingte Ärztemangel Anlass zur Sorge. Es wird geschätzt, dass seit 2011 etwa 5 400 Ärzte jährlich das Land verlassen haben. Im Jahr 2017 wurden in Bagdad sechs Anschläge auf Gesundheitseinrichtungen und medizinisches Personal verübt. Vier Anschläge richteten sich direkt gegen Ärzte, darunter einen Mediziner, der in seiner Klinik getötet wurde, eine Zahnärztin, die zu Hause ermordet wurde, und zwei Ärzte, die unabhängig voneinander entführt wurden.

17.2.1. Verfügbarkeit von Behandlungen und Arzneimitteln:

Arzneimittel werden in öffentlichen Krankenhäuser vorgehalten; die von Ärzten verschriebenen Arzneimittel können ausschließlich in Apotheken beschafft werden. Im Irak herrscht allgemein ein Mangel an Krebsmedikamenten, die erst nach Monaten oder Jahren über die Regierung beschafft werden können. Der Irak ist im starken Maße von der Einfuhr ausländischer Arzneimittel und anderer Medizinprodukte abhängig. Den Berichten zufolge gibt es keine angemessenen Rechtsvorschriften für die Einfuhr medizinischer Ausrüstung und pharmazeutischer Produkte.

17.2.2. Allgemeine Behandlungen und spezialisierte Versorungszentren:

Dem Iraq Health Cluster Response Monitoring Interactive Dashboard 2018 der WHO ist zu entnehmen, dass im Gouvernement Bagdad 6 Organisationen Gesundheitseinrichtungen an 12 Standorten betreiben. Darunter www.ris.bka.gv.at Seite 91 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 befinden sich eine psychiatrische Einrichtung und acht Gesundheitseinrichtungen für die Behandlung verbreiteter Krankheiten. Gemäß der Länderkooperationsstrategie der WHO für den Irak werden landesweit im Rahmen der Primärversorgung unzureichende psychiatrische Versorgungsleistungen erbracht. Im Jahr 2016 wurden in Bagdad zwei unfallchirurgische Kliniken eröffnet. Dem Bericht der UNAMI/des OHCHR ist zu entnehmen, dass 2016 45 NRO in Bagdad beim Ministerium für Arbeit und Soziales registriert waren, die medizinische Unterstützung speziell im Bereich Behinderung leisteten. Nach Angaben der im Bericht der UNAMI/des OHCHR befragten NRO gab es in Bagdad lediglich ein Sanitätshaus für die Herstellung künstlicher Gliedmaßen und medizinischer Polster/Kissen und eine Fachklinik für behinderte Menschen mit Rückenmarksverletzungen. Im Sommer 2017 eröffnete Ärzte ohne Grenzen das Baghdad Medical Rehabilitation Centre. Das Rehabilitationszentrum bietet postoperative Rehabilitationsleistungen sowie Physiotherapie, Pflegeleistungen, Schmerztherapie und psychologische Unterstützung für Kriegsopfer.

17.2.3. Binnenvertriebene und Rückkehrer:

Nach Angaben von IOM/REACH ist die medizinische Versorgung für die Binnenvertriebenen im Irak eines der wichtigsten Anliegen: 45 % der Binnenvertriebenen bezeichneten sie als vorrangiges Bedürfnis und vertraten die Auffassung, die hohen Kosten seien das Haupthindernis für den Zugang von Binnenvertriebenen in und außerhalb von Lagern zur Gesundheitsversorgung im Irak (81 %). Langfristig führt diese Situation zu einer Belastung der Binnenvertriebenenhaushalte mit chronisch kranken Angehörigen. In Bagdad wurde die medizinische Versorgung von 91 % der Binnenvertriebenen in Lagern durch öffentliche Krankenhäuser gewährleistet, während lediglich 6 % Kliniken von NRO aufsuchten. Der IOM zufolge sind 70 % der Rückkehrer über die Qualität der Gesundheitsdienste besorgt. REACH berichtete, dass 67 % der binnenvertriebenen Schwangeren oder stillenden Mütter in Lagern geburtshilfliche oder pränatale Einrichtungen aufgesucht hatten, 33 % hatten jedoch keine derartigen Versorgungsleistungen in Anspruch genommen. Demgegenüber stellte die IOM fest, dass in 63 % der bewerteten informellen Gemeinschaftsunterkünfte der Binnenvertriebenen Schwangere und/oder stillende Mütter keinen Zugang zu entsprechenden Gesundheitsdiensten hatten. Die Polio-Impfquoten von binnenvertriebenen Kindern in Lagern fallen je nach Gouvernement unterschiedlich aus; in Bagdad beträgt die Quote 38 %. In der im Jahr 2017 von der IOM durchgeführten Bewertung informeller Gemeinschaftsunterkünfte von Binnenvertriebenen in Bagdad wurde festgestellt, dass in 65 % der bewerteten informellen Gemeinschaftsunterkünfte die Binnenvertriebenen keinen Zugang zu einer Gesundheitseinrichtung in einem Umkreis von weniger als 2 Kilometern hatten. Der NCCI erklärt, dass Vertriebene in Bagdad, "die in sogenannten prekären Unterkünften wie Schulen oder unfertigen Gebäuden wohnen", häufig vom Bildungssystem und von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sind. Die schlechte Qualität der Gesundheitsversorgung (und der Trinkwasserqualität) gibt insbesondere in Bagdad, wo 70 % der Rückkehrerfamilien betroffen ist, Anlass zur Sorge.

Quelle:

- EASO-Bericht über Herkunftsländer Irak: Zentrale sozioökonomische Indikatoren, Februar 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2015474.html mwN (Zugriff am 02.10.2019)

18. Rückkehr:

18.1. Übersicht:

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.2.2018).

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Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m2 in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7- 18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM 13.6.2018). Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.2.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UN-Habitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html, Zugriff 12.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 25.07.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html, mwN (Zugriff am 19.08.2019)

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c28570, Zugriff 20.11.2018

- IEC - Iraq's Economic Center (24.1.2018): Rising Real Estate Prices in Iraq encourages buying abroad, http://en.economiciraq.com/2018/01/24/rising-real-estate-prices-in-iraq-encourages-buying-abroad/, Zugriff 17.10.2018

- IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/DP.1635%20-%20IraqReturneesSnapshot-Report%20- %20V5.pdf, Zugriff 16.10.2018

- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo- DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak- dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

- MCH - Ministry of Construction and Housing (10.2010): Iraq National Housing Policy. https://www.humanitarianlibrary.org/sites/default/files/2013/05/634247_INHP_English_Version.pdf, Zugriff 17.10.2018

- REACH (30.6.2017): Iraqi migration to Europe in 2016: Profiles. Drivers and Return. https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/reach_irq_grc_report_iraqi_migration_to_europe_in_2016 _june_2017%20%281%29.pdf, Zugriff 16.10.2018

- Reuters (12.2.2018): Iraq says reconstruction after war on Islamic State to cost $88 billion. https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-reconstruction/iraq-savs-reconstruction-after-war-on- islamic-state-to-cost-88-billion-idUSKBN1FW0JB, Zugriff 17.10.2018

- UNHSP - United Nations Human Settlements Program (6.11.2017): The Council of Ministers Endorses the Updated Housing Policy of Iraq by the Ministry of Construction. Housing Municipalities and Public Works through the support of UN-Habitat, https://reliefweb.int/report/iraq/council-ministers-endorses- updated-housing-policy-iraqministry-construction-housing, Zugriff 17.10.2018

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19. Schiitische und sunnitische Namensgebung:

Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak: schiitische und sunnitische Namensgebung vom 17.06.2019 ergibt sich:

"[...]

3. Trifft es zu, dass Namen wie Ali oder Hussein auf einen schiitischen Kontext hinweisen?

4. Gibt es Hinweise dazu, dass es während der Zeit des Ba'ath-Regimes unter Saddam Hussein üblich war, als Sunnit einen schiitischen Namen zu wählen?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch einige Informationen gefunden. Eine ausgewogene Auswahl wird entsprechend den Standards der Staatendokumentation im Folgenden zur Verfügung gestellt.

Eine ausführliche Quellenbeschreibung zu einigen der verwendeten Quellen findet sich unter http://www.ecoi.net/5.unsere-quellen.htm. Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben. Als weniger bekannt erkannte Quellen werden im Abschnitt "Einzelquellen" näher beschrieben.

Relevante Informationen zur Fragestellung finden sich auch auf ecoi.net und auf dem Koordinationsboard in den Anfragebeantwortungen (AFB) IRAK_MIN_Verfolgung_aufgrund_des_Namens_Bakr_2016_01_28_AS, (https://www.ecoi.net/en/file/local/1035927/1729_1460450163_irak-min-verfolgung-aufgrund-des-namens- bakr-2016-01-28-as.doc), IRAK_MR_MIN_Verfolgung_aufgrund_eines_sunnitischen_Namens_2016_10_06_KE (https://www.ecoi.net/en/file/local/1029156/5013_1475818794_irak-mr-min-verfolgung-aufgrund-eines- sunnitischen-namens-2016-10-06-ke.doc), IRAK_MR_MIN_Bani Wais_Verfolgung aufgrund sunnitischen Namens_Ergänzung_2017_08_21_KE (https://www.ecoi.net/en/file/local/1405742/5209_1503559572_irak-mr-min-bani-wais-verfolgung-aufgrung- sunnitischen-namens-ergaenzung-2017-08-21-ke.doc) und IRAK_MR_MIN_Verfolgung_aufgrund_eines_sunnitischen_Namens_2018_05_07_KE (https://www.ecoi.net/en/file/local/1433860/5618_1527685583_irak-mr-min-verfolgung-aufgrund-eines- sunnitischen-namens-2018-05-07-ke.odt).

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass es im Irak schwierig ist allein aufgrund des Namens einer Person festzustellen, ob diese Sunnit oder Schiit ist.

Traditionell sind Namen wie Omar, Abu Bakr und Yazid sunnitische Namen, während Ali, Hassan und Hussein als schiitisch gelten. Mehrere Quellen berichten, dass die Namen Ali und Hussein im Irak jedoch als neutral angesehen werden können, da sie sowohl bei Sunniten als auch bei Schiiten beliebt sind.

Eine große Zahl von Irakern hat es seit der US-geführten Invasion der Irak 2003 und den darauf folgenden konfessionell motivierten Unruhen, die 2008 wieder abebbten, vermieden, ihren Kindern Namen mit religiöser Konnotation zu geben.

Einzelquellen:

Die finnische Asylbehörde Finnish Immigration Service (FIS) berichtet am 29.4.2015, dass dass Sunniten aufgrund ihrer Namen Probleme an Kontrollpunkten erlebt haben. Bereits von 2003 bis 2005, während des konfessionell motivierten Konflikts, erwarben viele Iraker zwei Ausweispapiere, einen mit einem sunnitischen Namen und einen weiteren mit einem schiitischen Namen. Dies galt insbesondere für Menschen, die aus beruflichen Gründen zwischen verschiedenen Stadtteilen pendeln mussten. Das Gleiche gilt bis heute.

www.ris.bka.gv.at Seite 94 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Es ist im Irak schwierig allein aufgrund des Namens einer Person festzustellen, ob diese Sunnit oder Schiit ist. Es gibt im Irak Sunniten namens Ali und Hussein und Schiiten namens Omar, obwohl einige Quellen vermuten lassen, dass selbst weltliche schiitische Eltern ihre Kinder nicht Omar, Abu Bakri, Othman oder Aisha nennen würden.

Traditionell sind Namen wie Omar, Abu Bakr und Yazid sunnitische Namen, während Ali, Hassan und Hussein als schiitisch gelten. Mohammed und Fatima sind sowohl bei Sunniten als auch bei Schiiten beliebt.

Omar scheint einer der Namen zu sein, die Sunniten Probleme bereiten. So gab es bereits während des Bürgerkriegs 2006 Probleme in Bezug auf den Namen Omar. Im Juli 2006 fand die Polizei 14 junge Männer tot in Bagdad auf. Die mit Kopfschüssen getöteten Männer waren alles Sunniten, die den Vornamen Omar trugen. Unterdessen haben Schiiten Berichten zufolge, aufgrund ihrer Namen, Probleme durch sunnitische militante Gruppen wie den Islamischen Staat (IS) erlebt.

Heutzutage kann es für Eltern einfacher sein, ihrem Neugeborenen einen neutralen Namen zu geben, der nicht eindeutig sunnitisch oder schiitisch ist. Aus Angst vor Konflikten geben einige irakische Eltern ihren Kindern Namen, die keine bestimmte religiöse Orientierung widerspiegeln. Neutrale Namen sind Muhammad, Abdullah und Mariam. Die Namen Ali und Hussein können als ziemlich neutral angesehen werden, da sie sowohl bei Sunniten als auch bei Schiiten beliebt sind. Die Namen Zina, Raneen, Atasi und Safad sind sehr säkular und geben daher keine religiöse Orientierung einer Person an.

[...] Sunnis have experienced problems at checkpoints because of their names. Back in 2003-2005, during the sectarian conflict, many Iraqis acquired two identification documents, one with a Sunni name and another with a Shia name. This was particularly the case with people who had to travel between different parts of the town for work-related reasons. The same holds true to 17(44) this day: Sunnis acquire identity documents indicating they are Shiites to avoid trouble. In a Shia-dominated district in western Baghdad with a 20% Sunni population, Sunnis have to pose as Shiites to avoid being killed by the militias or being driven away from that part of town.160

However, it is difficult to know whether a person is Sunni or Shiite simply on the basis of their name. In Iraq there are Sunniscalled Ali and Hussein and Shia calledOmar, even though somesources suggest that even secular Shia parents would not name their children Omar, Abu Bakri, Othman or Aisha. Traditionally names such as Omar, Abu Bakr and Yazid are Sunni names while Ali, Hassan and Hussein are Shia names. Mohammed and Fatima are popular with both Sunnis and Shiites. Omar appears to be one of the names that causes trouble for Sunnis. There were already problems with the name Omar during the civil war in 2006.In July 2006, the police found 14 young men dead in Baghdad. They were all Sunnis who had been shot in the head. All of them had the same first name, Omar. Meanwhile, Shiites have reportedly experienced problems at the hands of Sunni militantgroups such as ISIS due to their names. These days it can be easier for parentsto give their newborn childa neutral namethat isnot clearly Sunni or Shiite. In fear of conflicts, some Iraqi parents give their children names that do not reflect any particular religious orientation. Neutral names include Muhammed, Abdullah and Mariam. The names Ali and Hussein can be considered fairly neutral, as they are popular with both Sunnis and Shiites. The names Zina, Raneen, Atasi and Safad are highly secular and do not therefore directly indicate a person's religious orientation. [...]

FIS - Finnish Immigration Service (29.4.2015): Security Situation in Baghdad - The Shia Militias, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/61225_Security_Situation_in_Baghdad_- _The_Shia_Militias_29.4.2015.pdf, Zugriff 14.6.2019

Al-Monitor ist eine Onlinezeitung mit Sitz in Washington, DC., welche durch eigene und übersetzte Inhalte Reportagen und Analysen über den Nahen Osten bietet. Am 24.9.2013 berichtet Al-Monitor, dass während des Bürgerkriegs im Irak von 2006 bis 2008 sowohl bewaffnete sunnitische als auch schiitische Gruppen Kontrollpunkte errichtet haben, um Angehörige der jeweils anderen Glaubensrichtung aufzugreifen und zu töten, wobei zur Identifizierung ihrer Opfer meist auf Namen mit religiöser und historischer Konnotation zurückgegriffen wurde. Zum Beispiel ist Omar ein sunnitischer Name, während Abdel-Hussein schiitisch ist.

Irakische Jugendliche, die den Bürgerkrieg erlebt haben, tragen mehrere Ausweise mit unterschiedlichen Namen bei sich, um zu verhindern, dass ihre Religionszugehörigkeit festgestellt werden kann.

Jene, die eine neutrale Haltung einnehmen und sich nicht um ihre Religionszugehörigkeit kümmern, werden von den Bewaffneten beider Glaubensrichtungen als potenzielle Opfer betrachtet, da sie kleine religiöse Details, Begriffe und Verhaltensweisen, die als Beweise für ihre religiöse Zugehörigkeit herangezogen werden, nicht beachten. www.ris.bka.gv.at Seite 95 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Namen sind im Irak zu einer heiklen Angelegenheit geworden. Eine große Zahl von Irakern hat es nach 2003 vermieden, ihren Kindern Namen mit religiöser Konnotation zu geben. Außerdem ist es für Eltern nicht mehr möglich, ihren Kindern einen Namen zu geben, der sich auf Symbole der anderen Glaubensrichtung bezieht.

[...] Omar al-Jaffal, an Iraqi journalist, wrote a scary note on his Facebook page: "I can be killed just because of my name. Have you ever heard of someone fearing his own name?" The Iraqi poet Ahmed Abdul Hussein replied: "Mere names have become a pretext for killing people."

The story seems similar to a movie recalling the events of the 2006-08 civil war in Iraq, when both armed Sunni and Shiite groups decided to set up checkpoints, catching and killing members of the other sect. They mostly relied on names and religious and historical connotations to identify their targets. For instance, Omar is a Sunni name, whereas Abdel-Hussein is Shiite.

[...]

It should be mentioned that today, Iraqi youth have lived through civil war. They carry more than one ID with different names, to prevent their sectarian affiliation from being identified. In addition, they have mastered more than one accent to persuade gunmen that they are not affiliated with the targeted sect. Yet, this is not enough, especially for those who take a neutral stance and do not care about sectarian affiliation. They are considered by gunmen of both sects as potential victims, for ignoring small religious details, as well as terms and behaviors that are interpreted as proof of sectarian affiliation in Iraq.

Names have become a delicate matter in Iraq. A large number of Iraqis have avoided giving their children names with sectarian connotation after 2003. Moreover, it is no longer possible for parents to give their children a name referring to icons of the other sects.

According to Omar al-Maliki, a Shiite from southern Iraq, this reality did not exist before 2003. He told Al- Monitor, "My name proves that Iraqis did not care about the sectarian connotations of names in the past. In my opinion, my name was pretty until it began to be used to accuse me in a way that could lead me to an unidentified grave."

Ali Abel Sadah, a writer for Al-Monitor, suffers from the same problem. His name, which directly indicates that he is Shiite, is a burden when he goes to Mosul to visit his mother's Sunni relatives. [...]

Al-Monitor (24.9.2013): Iraq's Sunni-Shiite Killings: When It's Based on a Name, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2013/09/iraq-names-sectarian-affiliation-violence.html, Zugriff 13.6.2019

Niqash, eine 2004 gegründete, dreisprachige (Arabisch, Englisch, Kurdisch) Website, die Beiträge über politische Entwicklungen im Irak veröffentlicht, berichtet am 23.5.2012, dass ein Angestellter des Salam Hospitals in der nordirakischen Stadt Mossul, beim Ausfüllen der Geburtsurkunden, auf denen die Geburtszeiten, das Geschlecht, die Väter und die vorgesehenen Namen der Neugeborenen festgehalten werden, einen neuen Trend bemerkt hat: Eltern geben ihren Neugeborenen Namen, die nicht mehr verraten, ob die Familie schiitisch oder sunnitisch ist.

Kinder erhalten Namen, die entweder neutral sind, um Rückschlüsse auf die Glaubenszugehörigkeit zu verunmöglichen, oder sie erhalten ganz neue Namen, wie Inaq und Qasim.

Nach Angaben von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst von Ninewah wächst dieser Trend zu nicht-religiösen, neutralen oder ursprünglichen Namen seit einigen Jahren an. Laut einem Beamten begann dies etwa 2008, als sich die konfessionell motivierte Gewalt, die auf die US-geführte Invasion des Irak im Jahr 2003 folgte, wieder beruhigte. Beliebte Namen sind die neutralen Namen Mohammed, Abdullah und Mariam.

Der Name Umar, nach der religiösen Figur Umar ibn al-Khattab, wird von sunnitischen Muslimen hoch geschätzt, von Schiiten jedoch weniger positiv angesehen.

www.ris.bka.gv.at Seite 96 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Namen mit religiösen Untertönen, wie Ali und Hussein, werden von beiden Glaubensrichtungen verwendet und können als ziemlich neutral angesehen werden.

On a Tuesday in mid-May the office at the entrance to the Salam Hospital in the northern Iraqi city of Mosul is full of people. This is the office where births are registered and it's located next to the delivery and operating rooms, near the main entrance.

A male clerk there is doing his routine work: he receives forms on which new born babies' times of birth, sex, fathers and intended names are written. And this clerk has noticed a significant trend: parents are giving their newborns names that don't give away which sect of Islam their family belongs to, Shiite or Sunni Muslim.

They're calling their children names that are either neutral - so it's impossible to say whether the child's family is Shiite or Sunni - or they're being christened with totally new monikers that have no such history, the clerk says. "And people are giving their newborns names I've never heard about before," the clerk points out, "like Inaq and Qasim."

According to those working in Ninawa's civil service, this trend for non-sectarian, neutral or original names has been growing for several years now. According to one civil servant, who preferred to remain anonymous, it started around 2008 when the sectarian violence that followed in the wake of the US-led invasion of Iraq in 2003 was quietening down again. It was then, he believes, that people all over Iraq started to understand how important it was to abandon the sectarian allegiances that caused the bloodshed, if they were ever to live together as a nation in peace.

[...] "Mohammed, Abdullah and Mariam are popular names - because they're neutral and don't provoke any comment between the sects," he notes.

[...] Visiting hospitals around Mosul, NIQASH was able to view lists of newborn babies' names. Out of 20 newborns at Salam Hospital that day, only one had an overtly religious name that implied sectarian loyalties. That baby was called Umar, after the religious figure Umar ibn al-Khattab. The latter is held in high regard by Sunni Muslims while Shiite Muslims see him in a far less positive light. Other names with religious overtones were also used - such as Ali and Hussein - but these are used by both sects and could be considered fairly neutral. [...]

Niqash (23.5.2012): what's in a name? iraqis at risk for having 'dangerous' first names, http://www.niqash.org/en/articles/society/3056/what%E2%80%99s-in-a-name-iraqis-at-risk-for-having- %E2%80%98dangerous%E2%80%99-first-names.htm, Zugriff 16.6.2019

[...]"

Quellen:

- BFA - Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak: Schiitische und sunnitische Namensgebung vom 17.062019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2010697.html, mwN (Zugriff am 18.10.2019)

Insgesamt konnten keine Umstände festgestellt werden, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG unzulässig wäre.

2. Beweiswürdigung:

Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

www.ris.bka.gv.at Seite 97 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum, Geburtsort), Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Aktenkundig sind weiters Kopien des irakischen Personalausweises und des irakischen Staatsbürgerschaftsnachweises, an deren Echtheit keine Zweifel aufgekommen sind.

Das Bundesverwaltungsgericht nahm weiters hinsichtlich des Beschwerdeführers Einsicht in das Fremdenregister, das Strafregister, das Zentrale Melderegister sowie die Grundversorgungs- und Sozialversicherungsdaten und holte die aktenkundigen Auszüge ein.

Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln und insbesondere den im gesamten Verfahren vom Beschwerdeführer und der Zeugin gemachten eigenen Angaben, welche jeweils in Klammer zitiert und weder vom Beschwerdeführer noch vom Bundesamt bestritten wurden. Der Beschwerdeführer und auch die einvernommene Zeugin wirkten im unmittelbaren Eindruck korrekt und zuverlässig. Es sind keine Umstände hervorgekommen, die die Angaben des Beschwerdeführers in Zweifel ziehen könnten. Darüber hinaus konnte er sein gesamtes Vorbringen durch geeignete Nachweise untermauern.

Zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:

Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen in der Erstbefragung, der Niederschrift vor dem Bundesamt und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ohne wesentliche Widersprüche zusammengefasst vor, er habe wegen des Einmarsches des IS in die Heimatstadt des Beschwerdeführers im August 2014 diese aus Angst vor Zwangsrekrutierung oder Tötung mit seiner Mutter und seinen beiden Brüdern verlassen und sei mit ihnen nach Bagdad geflüchtet. Dort habe er aus Angst, von den schiitischen Milizen oder der schiitischen Bevölkerung wegen seines sunnitisch konnotierten Namens bedroht oder verfolgt zu werden, das Haus des Großvaters nicht verlassen und sei bereits etwa einen Monat später in die Türkei ausgereist. Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist grundsätzlich glaubhaft und deckt sich auch mit der zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Irak herrschenden allgemeinen Lage. Der Beschwerdeführer machte jedoch wegen seines sunnitisch konnotierten Namens in Bagdad keine konkrete, persönlich gegen ihn gerichtete Verfolgungs- oder Bedrohungshandlung geltend, sondern vielmehr Befürchtungen, deswegen Probleme zu bekommen. Im Zuge seiner Ausreise aus dem Irak, welche legal erfolgte, musste der Beschwerdeführer seinen eigenen Angaben nach insgesamt vier Checkpoints passieren, wobei es zu keinerlei Problemen kam. Seine beiden Brüder, die zumindest denselben sunnitischen Nachnamen wie der Beschwerdeführer tragen, lebten mit der Mutter noch bis 2018 ohne gröbere Probleme in Bagdad und verließen den Irak erst, als der Großvater des Beschwerdeführers verstarb.

Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer keinerlei andere Fluchtgründe vorgebracht. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dahingehend, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Irak konkrete, ihn persönlich treffende Verfolgung drohen würde.

Eine generelle und systematische Verfolgung von männlichen Arabern mit sunnitischer Glaubensrichtung und sunnitisch konnotierten Vornamen ergibt sich aus den Länderberichten zu aktuellen Zeitpunkt nicht. Die Problematik zwischen Schiiten und Sunniten besteht in der Form, wie sie noch 2014/2015 bestanden hat, nicht mehr. Somit ergibt sich, dass es dem Beschwerdeführer auch unter Berücksichtigung der Länderberichte zur Sicherheitslage in Bagdad und den schiitischen Milizen nicht gelungen ist, glaubhaft darzutun, dass er im Irak einer individuellen Verfolgung ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr ausgesetzt wäre.

Der IS wurde 2017 militärisch besiegt, ist aber aktuell in allen ländlichen Gebieten der Provinz Diyala, in Süd- Kirkuk, Nord- und Zentral-Salah-al-Din sowie auch in Anbar tätig. Es gibt regelmäßige Angriffe auf Städte; Zivilisten und Beamte werden entführt; Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt immer mehr Berichte über IS-Mitglieder, die sich tagsüber im Freien bewegen und das Ausmaß ihrer Kontrolle zeigen. Die Regierung hat in vielen dieser Gegenden wenig Präsenz und die anhaltenden Sicherheitseinsätze sind ineffektiv, da die Kämpfer ausweichen, wenn die Einsätze im Gang sind, und zurückkehren, wenn sie wieder beendet sind. Der IS verfügt derzeit über eine nach außen hin expandierende Kontrolle in diesen Gebieten. Eine flächendeckende Besetzung von Territorien durch den IS ergibt sich aus den aktuellen Länderberichten jedoch nicht. Am 5.5.2019 startete ein gemischter Verband der irakischen Armee und paramilitärischen Stammeseinheiten, mit Luftunterstützung der Koalition, und in Abstimmung zwischen den Militärkommandos der Gouvernements Anbar, Salahaddin und Ninewa, eine großangelegte Militäroperation im Westirak.

www.ris.bka.gv.at Seite 98 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Konkret zur Sicherheitslage im Gouvernement Anbar ergibt sich, dass der IS vermehrt Kämpfer und Material durch die Jazeera Wüste zwischen Ostsyrien und dem Westirak in den Westen des Gouvernements Anbar verlegt hat. In dieser Region passierten auch die meisten der in Anbar verzeichneten Gewaltakte. Seit Ende Jänner 2019 werden Trüffelsammler, meist in den Wüsten Anbars, vom IS entführt und manchmal, im Fall von Schiiten, getötet. Die irakischen Sicherheitskräfte bestätigten die Entführung von 44 Trüffelsammlern in diesem Jahr, wobei davon auszugehen ist, dass weitere Vorfälle nicht gemeldet wurden. Im April wurde eine Autobombe gezündet, die gegen Trüffelsammler in der Rutba Wüste gerichtet war. Die Rutba Wüste an der Grenze zu Saudi- Arabien war das Ziel einer von einem gemischten irakischen Verband mit Luftunterstützung der Koalition durchgeführten Militäroperation. Der Manöverbereich des IS in der Wüste konnte durch die irakischen Sicherheitskräfte um einige Kilometer verkleinert werden. Im April 2019 wurden in Anbar 16 Vorfälle mit sieben Toten und 30 Verletzten registriert, im Mai 2019 acht Vorfälle mit acht Toten und sieben Verwundeten und im Juni 13 Vorfälle mit einem Toten und sieben Verletzten. Die Vorfälle beziehen sich überwiegend auf die Wüstenregion Anbars, nicht auf deren Städte.

Aus den Länderberichten ergibt sich weiters, dass es in Bagdad seit Anfang des Jahres 2019 nur zu wenigen sicherheitsrelevanten Vorfällen gekommen ist und wochenweise sogar zu gar keinen terroristischen Aktivitäten des IS, auch wenn dieser wieder versucht, in Bagdad wieder Fuß zu fassen. Alle im Gouvernement Bagdad verzeichneten Angriffe betrafen nur die Vorstädte und Dörfer im Norden, Süden und Westen. Die seit 2014 vor allem im Südirak anhaltenden Proteste für bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus gewinnen immer mehr an Bedeutung und breiteten sich vom Südirak bis in den Zentralirak aus. Inzwischen haben diese auch die Hauptstadt Bagdad erreicht. Es kam Anfang Oktober 2019 zu Gewalteskalationen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die Tränengas und scharfe Munition gegen Demonstranten einsetzten. Es kam unter anderen auch in Bagdad zu Todesfällen und über tausend Verletzten. Den Länderberichten lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass an den Demonstrationen sich nicht beteiligende Menschen deswegen einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt wären.

Andere Vorkommnisse oder andere Fluchtgründe wurden seitens des Beschwerdeführers auch nicht vorgebracht.

Insbesondere wurden in der gegenständlichen Beschwerde und der mündlichen Verhandlung keine, den seitens der belangten Behörde und des erkennenden Gerichtes jeweils in das Verfahren eingeführten Länderberichten entgegenstehenden oder anderslautenden, Berichte vorgebracht, die eine andere Beurteilung des gegenständlichen Falles erfordern würden.

Zusammenfassend ist im Lichte der ins Verfahren eingebrachten Länderfeststellungen sowie der konkreten familiären Situation des Beschwerdeführers auch festzuhalten, dass er im Falle einer Rückkehr in den Irak nicht in eine existenz- und lebensbedrohende Notlage geraten würde, was in weiterer Folge in der rechtlichen Beurteilung noch dargestellt wird.

Die Feststellung betreffend die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in den Irak beruht darauf, dass der Beschwerdeführer - wie in der rechtlichen Beurteilung näher ausgeführt - keine konkreten Angaben dahingehend getätigt hat, denen zufolge gegenwärtig eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung anzunehmen gewesen wäre. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG aus von dem Beschwerdeführer zu vertretenden Gründen nicht möglich wäre (§ 52 Abs. 9 FPG).

Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den von ihr in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die belangte Behörde hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Diese Quellen liegen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und decken sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgericht, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergibt.

Darüber hinaus brachte das Bundesverwaltungsgericht für den konkreten Fall maßgebliche und zum Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung aktuelle Länderberichte bereits im Zuge der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor deren Abhaltung in das gegenständliche Verfahren ein. Die Rechtsvertretung gab dazu keine schriftliche Stellungnahme ab und bestritt diese auch sonst nicht. Bei den angeführten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben. www.ris.bka.gv.at Seite 99 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf eine Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention - GFK, droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid (bzw. das Asylerkenntnis) erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von

www.ris.bka.gv.at Seite 100 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinn ist die Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793).

Vorliegend ist festzuhalten, dass dem Vorbringen im Ergebnis keine Asylrelevanz zukommt:

Im gegenständlichen Fall gelangte das Bundesverwaltungsgericht aus den oben im Rahmen der Beweiswürdigung erörterten Gründen zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführer im Irak aufgrund des zwischenzeitlich verstrichenen Zeitraumes von über fünf Jahren im Zusammenschau mit der allgemeinen Lage im Irak bezogen auf den IS bzw. eine allfällige Verfolgung wegen eines sunnitisch konnotierten Namens keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaate ausgesetzt war oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wären, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status eines Asylberechtigten zu erhalten (VwGH vom 15.12.2015, Ra 2015/18/0100). Ferner liegen keine Anhaltspunkte vor, dass dem Beschwerdeführer eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung droht. Eine derart angespannte Situation zwischen Schiiten und Sunniten wie in den Jahren 2014/2015 besteht im Irak nicht mehr.

Eine systematische Verfolgung und Diskriminierung von sunnitischen Arabern im Irak durch staatliche Stellen oder Privatpersonen kann im Lichte der vorliegenden Länderberichte nicht angenommen werden.

Demzufolge lässt sich eine aktuelle Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe nicht erkennen.

Zur Abweisung des Asylantrages sei erwähnt, dass auch ein wirtschaftlicher Nachteil unter bestimmten Voraussetzungen als Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu qualifizieren sein kann, im Ergebnis jedoch nur dann, wenn durch den Nachteil die Lebensgrundlage massiv bedroht ist und der Nachteil in einem Kausalzusammenhang mit den Gründen der Flüchtlingskonvention steht. Eine solche Bedrohung der Lebensgrundlage ist den Feststellungen zufolge nicht gegeben und ein derartiger Kausalzusammenhang ist im vorliegenden Fall auch nicht ersichtlich.

Entsprechend den oben getätigten Ausführungen ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen darzutun, dass ihm im Herkunftsstaat Irak asylrelevante Verfolgung droht, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen war.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

www.ris.bka.gv.at Seite 101 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Die Voraussetzungen dafür, einem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 subsidiären Schutz zu gewähren, unterscheiden sich im Ergebnis nicht von jenen nach § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG (VwGH 19.02.2004, 99/20/0573; 28.06.2005, 2005/01/0080), weshalb zur Auslegung die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu diesen Bestimmungen herangezogen werden kann.

Nach dieser Rechtsprechung ist Voraussetzung für eine positive Entscheidung betreffend den subsidiären Schutz, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege. Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch

Art. 3 MRK gewährleisteten oder anderer in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnter Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Landes in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 FrG gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 08.06.2000, 99/20/0203; 17.09.2008, 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, 2002/18/0028; 06.11.2009, 2008/19/0174).

Gemäß § 8 Abs. 3 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag auch in Bezug auf den subsidiären Schutz abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Der Asylwerber hat glaubhaft zu machen, dass er aktuell bedroht sei, dass die Bedrohung also im Fall seiner Abschiebung in dem von seinem Antrag erfassten Staat gegeben wäre und durch staatliche Stellen zumindest gebilligt wird oder durch sie nicht abgewendet werden kann. Gesichtspunkte der Zurechnung der Bedrohung im Zielstaat zu einem bestimmten "Verfolgersubjekt" sind nicht von Bedeutung; auf die Quelle der Gefahr im Zielstaat kommt es nicht an (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509; 22.08.2006, 2005/01/0718). Diese aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender Angaben darzutun, die durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert werden (VwGH 02.08.2000, 98/21/0461; 25.01.2001, 2001/20/0011). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu

§ 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Die Anerkennung des Vorliegens einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person, die als Zivilperson die Gewährung von subsidiären Schutz beantragt, setzt nicht voraus, dass sie beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Eine solche Bedrohung liegt auch dann vor, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region

www.ris.bka.gv.at Seite 102 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EUGH 17.02.2009, Elgafaji, C-465/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 45).

Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH vom 31.03.2005, 2002/20/0582, 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

Wie bereits oben ausgeführt wurde, hat der Beschwerdeführer keine ihn konkret drohende aktuelle, an asylrelevante Merkmale im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität bzw. keine für eine aktuell drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechende Gründe vorgebracht. Wie bereits oben zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ausgeführt wurde, kann daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer im Irak eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.

Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

Konkrete Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer einer Gefahr ausgesetzt sein würde, liegen nicht vor. Zudem hat der Beschwerdeführer auch im Rahmen der Beschwerde kein substanziiertes Vorbringen dahingehend erstattet, noch kann aus den Feststellungen zur Lage im Irak abgeleitet werden, dass er alleine schon aufgrund der bloßen Anwesenheit in Bagdad oder in einer Stadt des Gouvernements Anbar mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch Anschlagskriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände ausgesetzt wäre, zumal sich die aktuellen Aktivitäten des IS in Anbar fast ausschließlich auf die Wüstenregionen beschränken.

Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen arbeitsfähigen, gesunden Mann, bei welchem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann, zumal er den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens im Irak verbrachte, dort sozialisiert ist und in XXXX, XXXX bzw. Bagdad über ein soziales Netz von Freunden verfügt, zu denen er auch noch Kontakt hat. Seine Mutter und Brüder leben inzwischen in der Türkei. Es ist daher davon auszugehen, dass er im in XXXX, XXXX oder auch Bagdad wieder Unterkunft nehmen und/oder (finanzielle) Unterstützung durch die Familie aus der Türkei erhalten könnte. Von einer hinreichenden Absicherung seiner Grundbedürfnisse kann somit ausgegangen werden. Weiters ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer notfalls auch Unterkunft bei seiner Familie in der Türkei nehmen könnte, die dort seit über einem Jahr lebt.

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.

Durch die Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.

Weder droht ihm im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde konkret die Gefahr einer Todesstrafe. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen. www.ris.bka.gv.at Seite 103 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Letztlich war zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer zu keiner Zeit den vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Feststellungen und Erwägungen zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr in den Irak substanziiert entgegengetreten ist und in weiterer Folge auch nicht dargelegt hat, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf seine individuelle Situation auswirken würde, insbesondere inwieweit der Beschwerdeführer durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

Zu den Spruchpunkten III. bis VI. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Mit der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.

Der mit "Arten und Form der Aufenthaltstitel" betitelte § 54 AsylG lautet:

"§ 54. (1) Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen werden Drittstaatsangehörigen erteilt als:

1. "Aufenthaltsberechtigung plus", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt,

2. "Aufenthaltsberechtigung", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,

3. "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

(2) Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 sind für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 Z 1 und 2 sind nicht verlängerbar.

(3) Den Verlust und die Unbrauchbarkeit eines Aufenthaltstitels sowie Änderungen der dem Inhalt eines Aufenthaltstitels zugrunde gelegten Identitätsdaten hat der Drittstaatsangehörige dem Bundesamt unverzüglich zu melden. Auf Antrag sind die Dokumente mit der ursprünglichen Geltungsdauer und im ursprünglichen Berechtigungsumfang, falls erforderlich mit berichtigten Identitätsdaten, neuerlich auszustellen.

(4) Der Bundesminister für Inneres legt das Aussehen und den Inhalt der Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 Z 1 bis 3 durch Verordnung fest. Die Aufenthaltstitel haben insbesondere Name, Vorname, Geburtsdatum, Lichtbild, ausstellende Behörde und Gültigkeitsdauer zu enthalten; sie gelten als Identitätsdokumente. www.ris.bka.gv.at Seite 104 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

(5) Die Bestimmungen des 7. Hauptstückes gelten nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige."

Der mit "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" betitelte § 55 AsylG lautet:

"§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Der mit "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" betitelte § 57 AsylG lautet:

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen: www.ris.bka.gv.at Seite 105 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Der Beschwerdeführer reiste spätestens zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung am 20.05.2015 in das Bundesgebiet ein und ist sein Aufenthalt nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt im Bundesgebiet. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in www.ris.bka.gv.at Seite 106 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Der Beschwerdeführer hat seit Anfang des Jahres 2018 eine österreichische Freundin und führt mit ihr eine Beziehung. Eine Heirat steht im Raum, jedoch lebten die beiden bisher nicht im gemeinsamen Haushalt. Sonst hat der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen im Bundesgebiet. Ein Familienleben in Österreich iSd Art. 8 EMRK liegt derzeit daher nicht vor.

Die Beziehung zu seiner Freundin und die Integration in deren Familienverband ist konkret jedoch bei der Prüfung eines etwaigen Eingriffes in das Privatleben des Beschwerdeführers zu berücksichtigen.

Der Begriff des Privatlebens iSd Art. 8 EMRK ist weit zu verstehen und umfasst das persönliche und berufliche Umfeld eines Menschen, in dem er mit anderen interagiert. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen einem ansässigen Migranten und der Gemeinschaft, in der er lebt, integraler Bestandteil des Begriffs des Privatlebens (EGMR 13.10.2011, 41548/06, Trabelsi/DE; EGMR [GK] 23.06.2008, 1638/03, Maslov/AT). Dazu zählen auch berufliche und geschäftliche Beziehungen. Wie stark das Privatleben ausgeprägt ist, hängt in erster Linie von der Dauer des Aufenthalts ab. Für die Annahme eines in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fallenden Privatlebens ist keine konkrete Mindestaufenthaltsdauer erforderlich. Die bereits in Österreich verbrachte Zeit und die dabei erfolgte Integration ist erst bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten (vgl. Peyerl/Czech in Abermann ua. (Hrsg), NAG § 11 Rz 38).

Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ohne Hinzutreten weiterer maßgeblicher Umstände noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH vom 10.04.2019, Zl. Ra 2019/18/0058, mwN).

Andererseits kann nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen "kann" und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen auszugehen ist. Da es sich bei der Aufenthaltsdauer um einen von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände handelt, ist die Annahme eines "Automatismus", wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Aufenthaltsdauer von nur drei Jahren jedenfalls abzuweisen wäre, verfehlt (vgl VwGH vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055).

Fallbezogen ergibt sich daraus:

Der Beschwerdeführer stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 20.05.2015 am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither kam ihm für die Dauer des Asylverfahrens ein vorläufiges Aufenthaltsrecht gemäß § 13 AsylG zu.

Zum Entscheidungszeitpunkt hielt sich der Beschwerdeführer damit viereinhalb Jahre durchgehend im Bundesgebiet auf.

www.ris.bka.gv.at Seite 107 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020

Die Verwandten bzw. Familienangehörigen des Beschwerdeführers im Irak sind verstorben oder leben mittlerweile seit knapp zwei Jahren in der Türkei. Bis zu einigen Freunden verfügt der Beschwerdeführer im Irak über keine darüberhinausgehenden maßgeblichen sozialen Bezüge mehr.

Zum Entscheidungszeitpunkt hielt sich der Beschwerdeführer zwar noch nicht ganz fünf Jahre, aber immerhin viereinhalb Jahre im Bundesgebiet auf. Auch wenn ihm sein unsicherer Aufenthaltsstatus im Zuge des Asylverfahrens bewusst sein musste, kann in Anbetracht der Aufenthaltsdauer, die weit näher an den fünf Jahren als an den drei Jahren der oben angeführten Judikatur liegt, dem Beschwerdeführer nicht vorgehalten werden, dass er sich im Integration und den Aufbau eines Privatlebens bemüht hat. Auch erwies sich sein Aufenthalt aufgrund seines asylrechtlichen Aufenthaltsrechts als rechtmäßig.

Der Beschwerdeführer hält sich seit viereinhalb Jahren in Österreich auf (zu einem knapp vierjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet vgl VfGH vom 06.06.2014, U 145/2014).

Der Beschwerdeführer hat bereits erfolgreich die Integrationsprüfung auf einem Deutsch-Sprachniveau B1 abgeschlossen. Er verfügt über ausgezeichnete Deutsch-Kenntnisse. Die Prüfung auf Niveau B2 konnte er bisher nur wegen der hohen Kosten (EUR 400,00) nicht absolvieren. Er hat weiters umfangreiche Integrationsbemühungen im Bundesgebiet gesetzt. Neben den Deutsch-Sprachkenntnissen ist gegenständlich besonders hervorzuheben, dass der Beschwerdeführer von Oktober 2015 bis September 2019 durchgehend bei seiner damaligen Wohnortgemeinde als Hilfsarbeiter im Bauhof tätig war und sich damit ein Zusatzeinkommen zur Grundversorgung erwirtschaftete. Er ist weiters beim Roten Kreuz mehrere Jahre als Englisch-Arabisch Dolmetscher tätig gewesen, hat auch bei Hausarbeiten ehrenamtlich geholfen und einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert. Er verfügt über zahlreiche österreichische Freunde und Bekanntschaften, wie sich aus den Unterstützungsschreiben eindrucksvoll ergibt und kann eine Einstellungszusage zur Ausbildung als Elektroinstallationstechniker vorweisen. Schlussendlich führt der Beschwerdeführer seit Anfang des Jahres 2018 eine Beziehung mit seiner österreichischen Freundin. Eine Heirat ist beiderseits glaubwürdig geplant, jedoch aufgrund des unsicheren Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers nicht erfolgt. Er ist in ihre Familie integriert und bei allen Familienfesten dabei. Der Beschwerdeführer bezieht auch keine Leistungen aus der Grundversorgung mehr. Er wird künftig in der Lage sein, durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt selbst zu sichern, zumal seine Freundin ebenso eine Vollzeitbeschäftigung ausübt.

Insgesamt ist der Beschwerdeführer in das örtliche Leben und die Gesellschaft bestens integriert und strafgerichtlich unbescholten.

Diesem Aspekt kommt zwar unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG 2014 ("Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren") Bedeutung zu. Dies hat schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung (bzw. Rückkehrentscheidung) führen kann (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325 mwN).

Es wird vom erkennenden Gericht nicht verkannt, dass die einzelnen Umstände für sich genommen keine außergewöhnlichen Integrationsschritte darstellen, doch führt die Zusammenschau der dargestellten Umstände und der Aufbau sozialer, beruflicher sowie wesentlicher sprachlicher Bindungen im Bundesgebiet bei einem knapp fünfjährigen durchgehenden Aufenthalt (wenngleich die konkrete Aufenthaltsdauer an sich nicht so stark ausgeprägt ist, dass sich bereits deswegen die Rückkehrentscheidung als unzulässig erweisen würde).

Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen einer Interessenabwägung gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das erkennende Gericht auf Dauer unzulässig ist.

Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das private Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich dennoch höher zu bewerten ist als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der bisherige Aufenthalt des Beschwerdeführers auf einem einzigen Antrag auf internationalen Schutz beruhte, er am Verfahren stets mitwirkte und auch von Anfang an seine Identität offenlegte.

Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid verfügte Rückkehrentscheidung ist angesichts der vorliegenden persönlichen Bindungen unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Da die www.ris.bka.gv.at Seite 108 von 109 Bundesverwaltungsgericht 04.03.2020 maßgeblichen Umstände in ihrem Wesen nicht bloß vorübergehend sind, war die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und Spruchpunkt IV. zu beheben. Entsprechend waren die auf der Rückkehrentscheidung aufbauende Abschiebung (Spruchpunkt V.) sowie Spruchpunkt VI. zu beheben.

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" die Voraussetzungen nach Z 1 und Z 2 des § 55 Abs. 1 AsylG kumulativ vorliegen müssen und ist daher nicht nur zu prüfen, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Beschwerdeführer zur Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, sondern auch, ob der Beschwerdeführer das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz erfüllt.

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG sind im Fall des Beschwerdeführers gegeben und darüber hinaus hat der Beschwerdeführer Modul 1 der Integrationsvereinbarung nach § 9 IntG durch die Vorlage seines Zeugnisses auf Niveau B1 des Integrationsfonds nachweisen können.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR zu Fragen des Asyls, zur Überschreitung der Eingriffsschwelle des Art. 3 EMRK und zu Fragen des Art. 8 EMRK ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bei allen erheblichen Rechtsfragen an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR orientiert und hat diese - soweit erforderlich - auch zitiert.

European Case Law Identifier ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2182571.1.00

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