Aufsätze

RReecchhttssggeesscchhiicchhttee Schloss, in dem sich heute die Universität sowie das Amts- gericht befinden. Die Gegenbewegung zu dem von Louis XIV. auf die Spitze getriebenen französischen Absolutismus – man erinnere sich Die Badische Revolution – nur an den Ausspruch „l’état c’est moi“ – war die Französi- sche Revolution (1789–1792), die bekanntlich am 14. Juli und woran sie 170 Jahre 1789 mit dem Sturm auf die Bastille begann. Ihre Thesen Li- später mahnt berté, Égalité, Fraternité und Ziele in Form der Abschaffung der Feudalordnung und Befreiung der Bauern, strahlten auf Anwälte brachten Demokratie, Freiheit und die Region aus. Nachdem die Französische Republik seit Rechtsstaatlichkeit nach Deutschland* 1799 von Napoleon Bonaparte geführt wurde, kamen die na- poleonischen Truppen auf jedem Weg nach Osten jeweils Rechtsanwalt Prof. Dr. Ralph Landsittel, zweimal hier durch die Kurpfalz. Im Juni 1812 marschierte Napoleon in Russland ein, des- sen Zar Alexander I. im Jahre 1793 die Prinzessin Luise von Die Grund- und Menschenrechte sind einst hart erkämpft Baden geheiratet hatte. Auch nach dem Fall Moskaus führte worden – vorneweg waren Anwälte. Die Badische Revolution Alexander I. zusammen mit seinem Generalfeldmarschall 1848 wurde zwar niedergeschlagen, die damals formulierten Kutusow den Kampf weiter und schlug Friedensangebote Na- Ideen lebten weiter – und setzten sich dann durch (zur Ba- poleons aus. Von russischen Truppen verfolgt, wird der Über- dischen Revolution siehe Tondorf, AnwBl 2016, 890 und zur gang der Grande Armée über die Beresina Ende November Paulskirchenverfassung Rückert, AnwBl 2014, 982). Was heu- 1812 zur Katastrophe. Auf den Untergang der Grande Armée te so selbstverständlich erscheint, muss aber immer wieder folgten die Befreiungskriege, insbesondere mit der Völker- verteidigt werden. Das zeigt der Blick in die Geschichte. schlacht bei im Oktober 1813 und – nach Rückkehr Napoleons von Elba mit der anschließenden Herrschaft der Die Metropolregion Rhein-Neckar entspricht geographisch so 100 Tage – die Schlacht bei Waterloo im Juni 1815. ungefähr der früheren Kurpfalz. Mannheim ist in der Kur- Der Untergang Napoleons machte die Neuordnung Eu- pfalz der Mittelpunkt von Nordbaden, wo 1848, also vor ropas notwendig. Dies geschah auf dem Wiener Kongress in 170 Jahren, die Badische Revolution ausbrach. Dabei handelte der Zeit von 1814 bis 1815. Hauptfigur des Kongresses war es sich um die erste Bewegung in Deutschland, in der Bürger neben Zar Alexander I. der deutsche Fürst Metternich, der gegen monarchistisch-feudale Strukturen aufstanden und De- im Dienste der Habsburger stand. Metternich lehnte als über- mokratie, staatliche Einheit, Pressefreiheit und Gerichte unter zeugter Vertreter monarchistisch-feudaler Strukturen liberale Beteiligung der Bürger forderten. In diesem Beitrag versuche und nationale Ideen als staatsgefährdend ab. Im Verhältnis ich zu skizzieren, warum diese Revolution gerade hier statt- war das kleine Baden der wohl größte Profiteur des Wiener fand, was ihre Ziele und wer die maßgeblichen Akteure wa- Kongresses und der anschließenden Deutschen Bundesakte ren, sowie welche Bedeutung die Badische Revolution für die vom Juni 1815. Denn im Rahmen der Neuordnung vergrößer- demokratische Entwicklung Deutschlands, ja sogar ein wenig te sich das Gebiet Badens um das Vierfache, versechsfachte auch derjenigen der Vereinigten Staaten von Amerika hatte. sich die Bevölkerung innerhalb kurzer Zeit und wurde aus Dass diese Themen für einen Deutschen Anwaltstag in der dem Badischen Markgrafen ein Kurfürst und schließlich ein Metropolregion Rhein-Neckar prädestiniert sind, ergibt sich Großherzog. nicht nur aus dem regionalen Bezug und unserer Verantwor- Ein Sammelbecken für die nationalen Ideen, die die Be- tung für die Rechtstaatlichkeit, sondern auch daraus, dass die freiungskriege gegen Napoleon ausgelöst hatten, wurde in führenden Köpfe der Badischen Revolution in Mannheim zu- Deutschland die 1815 gegründete Deutsche Burschenschaft. gelassene Rechtsanwälte waren. Diese Kollegen haben im Er- Hierin schlossen sich Studenten unter der Devise „Ehre, Frei- gebnis auch dazu beigetragen, die verfassungsgemäße Ord- heit, Vaterland“, unter den „Reichsfarben“ Schwarz, Rot, Gold nung zu verwirklichen, auf die wir den Eid nach § 12a BRAO zusammen, die den Uniformfarben des lützowschen Frei- geleistet haben. korps entlehnt waren. Ein Burschenschaftler und Theologiestudent, nämlich I. Regionaler Bezug: Die Nähe zu Frankreich Karl-Ludwig Sand, ermordete im Jahr 1819 in Mannheim im Quadrat A2, also gegenüber des Mannheimer Schlosses, den Unsere Region wird unter anderem durch die Nähe zu Frank- Dramatiker August von Kotzebue. Dieses Attentat nahm Met- reich geprägt. Dies hatte und hat sehr positive Seiten, aller- ternich zum Anlass durch die sogenannten Karlsbadener Be- dings in der Vergangenheit auch negative. So werden wir am schlüsse eine Zentraluntersuchungskommission in Mainz zu Ende des Deutschen Anwaltstags den Festabend im Heidel- installieren, um die Burschenschaften zu verbieten, ihre Mit- berger Schloss feiern, einer der wohl berühmtesten Ruinen glieder als Demagogen zu verfolgen und die Presse sowie die 1 Deutschlands. Zerstört wurde das Schloss über der Heidelber- Universitäten zu überwachen. Als Widerstand gegen diese ger Altstadt durch die Soldaten Louis XIV. im Jahr 1689 und polizeistaatlichen Methoden wurde oberhalb von Neustadt an die nachfolgenden Sprengungen im Jahr 1693. Die Erbfolge der Weinstraße, ca. 35 km von hier, das Hambacher Fest, in der Herrscher der Pfalz bildete für den Sonnenkönig den Vor- der Zeit vom 27. Mai bis zum 1. Juni 1832 gefeiert. Inspiriert wand für den Einmarsch hier, mit dem er die französische Hegemonie im Herzen Europas gegen die Wiener große Alli- anz durchsetzen wollte. Nach der Zerstörung war das Heidel- * Der Beitrag geht zurück auf einen Vortrag im Rahmen einer Veranstaltung des Forums Anwaltsgeschichte am 8. Juni 2018 auf dem Deutschen Anwaltstag der Metropolregion berger Schloss nicht mehr Residenz. Der Kurfürst der Pfalz, Rhein-Neckar in Mannheim 2018. Die Vortagsform ist beibehalten worden. Carl-Theodor, nahm seinen Wohnsitz im Mannheimer 1 dtv-Atlas Weltgeschichte Band 2, S. 325.

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war diese Zusammenkunft von Bürgern und Studenten durch als Beamter strafversetzt und pensioniert wurde, sammelte die Französische Julirevolution von 1830, die sich gegen die die jüngeren liberalen und demokratischen Kräfte um sich. reaktionäre Politik König Karls X. richtete, der an der Restau- So war er Initiator der Heidelberger Versammlung liberaler ration, also der Vorherrschaft des Adels festhielt. und demokratischer Politiker am 5. März 1848 im Gasthaus Unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besuch- Badischer Hof in . An dieser Versammlung nah- te am 19. März dieses Jahres Mannheim und das Hambacher men auch Friedrich Daniel Bassermann, Lorenz Brentano, Jo- Schloss. Dieser Besuch stellte das Ende seiner Antrittsbesu- hann von Soiron, Gustav von Struve und che durch Deutschland dar. In seiner Rede auf dem Hamba- teil. cher Schloss bemerkte er: „Meine Deutschlandreise geht da zu Ende, wo die Demokratie in Deutschland begonnen hat.“2 bb) Friedrich Daniel Bassermann (1811–1855) Das System Metternich bewirkte eine fortschreitende geis- Die Familie Bassermann profitierte vom wirtschaftlichen tige Entfremdung zwischen Österreich und dem übrigen Wiederaufstieg nach der katastrophalen Lage Deutschland, das sich aus Preußen und dem 3. Deutschland der Stadt, die durch die Verlegung der Residenz des Kurfürs- – also dem Rest – zusammensetzte. Die Opposition gegen ten Carl-Theodor von Mannheim nach München im Jahr 1777 die Maßnahmen und Ansätze von Metternich formierten ausgelöst worden war. Nach dem Tod Max III. Josef erbte sich insbesondere hier im Großherzogtum Baden. Zur Revo- Carl-Theodor Bayern; musste aber nach den Wittels- Anwalts Wissen lution kam es dann unter dem Eindruck der Februarrevoluti- bach’schen Erbverträgen seine Residenz von Mannheim in on in Paris, wo am 24. Februar 1848 der Thron von Louis Phi- das damals noch recht unbedeutende München verlegen.7 Da- lippe auf dem Place de la Bastille verbrannte.3 Karl Marx, des- mit begann ein Niedergang Mannheims, der sich erst wieder sen 200. Geburtstag gerade am 5. Mai 2018 begangen wurde, in ein Aufschwung wandelte, als Mannheim als Endpunkt hatte schon Anfang 1844 vorhergesagt, dass einer neuen fran- der Großschifffahrt auf dem Rhein zum wesentlichen Ver- zösischen, alsbald eine deutsche Revolution folgen werde, in- kehrszentrum und Handelsplatz, insbesondere für Tabak, dem er bemerkte: „Wenn alle inneren Bedingungen erfüllt sind, Wein, Getreide, aber auch Kredite aufstieg8. Dieser wirtschaft- wird der Deutsche Auferstehungstag verkündet werden durch das liche Erfolg führte zu einem selbstbewussten Bürgertum, das Schmettern des Gallischen Hahns.“4 von Friedrich Daniel Bassermann signifikant seit dem Juni Die Tatsache, dass die Revolution hier ausbrach, ist also 1841 in der zweiten Kammer Badens repräsentiert wurde. Folge der räumlichen Nähe dieser Region zu Frankreich. Der Von Friedrich Bassermann stammt der zweifellos immer Grund des Ausbruchs war die Opposition gegen die Restaura- noch aktuelle Satz: „Das Volk ist nicht der Regierung wegen da, tion als Folge des Wiener Kongresses mit der liberale und na- sondern die Regierung des Volkes wegen.“9 tionale Ideen bekämpft wurden, in Verbindung mit der im Frühjahr 1848 erneut von Frankreich herüberschwappenden cc) Lorenz Brentano (1813–1891) Proteste gegen die Feudalherrschaft. Brentano hatte in Freiburg und Heidelberg Rechtswissen- schaft studiert und war dort auch Burschenschaftsstudent. II. Hauptakteure: Anwälte machen Geschichte Als Abgeordneter der zweiten Kammer, der er seit 1845 ange- hörte, brachte er unter anderem einen Gesetzesantrag zur Am Abend des 27. Februars 1848 strömten Mannheims Ein- richterlichen Unabhängigkeit ein, der prompt zu einem Kon- wohner in die Aula des großherzoglichen Lyzeums gegenüber flikt mit dem Präsidenten des Justizministeriums führte. des Mannheimer Schlosses unter Führung von Friedrich Da- Vom Juli 1848 an war er beim Hofgericht des Unterrheinkrei- niel Bassermann, Karl Mathy, Wilhelm Sachs, Alexander von ses in Mannheim als Rechtsanwalt zugelassen. Nach Beginn Soiron und Adam von Itzstein.5 Dort wurde dann die Mann- der Märzrevolution 1848 wurde Brentano Mitglied des Vor- heimer Erklärung formuliert. Schon zum damaligen Zeit- parlaments und der Frankfurter Nationalversammlung, die punkt war der Konflikt angelegt, der wesentlich zu dem späte- die Deutsche Einheit vorbereiten und eine gesamtdeutsche ren Scheitern der Badischen Revolution beitrug. Die Haupt- Verfassung ausarbeiten sollte. akteure waren in die Fraktionen der radikalen Demokraten, dd) Johann Alexander Freiherr von Soiron (1806–1855) der sog. „Ganzen“ und diejenige der gemäßigten Liberalen, die die Monarchie nicht ganz in Frage stellten, der „Halben“, Der in Mannheim geborene Soiron hatte in Heidelberg und gespalten. Die interne Uneinigkeit der Hauptakteure minder- Bonn Jura studiert und war von 1834 an Oberhofgerichtsadvo- te die Schlagkraft der Revolution. kat in Mannheim. Während des Studiums hatte er sich der Al- Auf einige dieser wesentlichen Akteure möchte ich vor der ten Heidelberger Burschenschaft angeschlossen und zusam- Darstellung ihrer Ziele eingehen.6 men mit seinen Freunden Karl Mathy und Friedrich Daniel Bassermann am Hambacher Fest teilgenommen. Er gehörte 1. Gemäßigte Liberale und deren Ziele dem Vorparlament an und war Präsident des 50er-Ausschus- ses. Auf diese Institutionen wird später noch einzugehen a) Personen 2 Mannheimer Morgen vom 20.3.2018, S. 1. aa) Johann Adam von Itzstein (1775–1855) 3 Nipperdey Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 595. Die Badische Verfassung von 1819 sah zwei Kammern vor. 4 Winkler, Geschichte des Westens, S. 571. Während die erste Kammer, das sogenannte Oberhaus, aus 5 Kreutz, Mannheimer Morgen vom 27.2.2018, S. 3. 6 Grundlegend zu den Mannheimer Anwälten und der Mannheimer Anwaltschaft in der Ba- Adligen und Geistlichen bestand, wählten Wahlmänner Bür- dischen Revolution Scherner, Advokaten Revolutionäre Anwälte-Die Geschichte der ger Badens in die zweite Kammer. Itzstein wurde bereits Mannheimer Anwaltschaft S. 175ff. 1822 Mitglied der zweiten Kammer. Er trat insbesondere für 7 Hierzu Landsittel, Status: Recht 2008, S. 26. 8 Frey/Hochstuhl/Braun, Wegbereiter der Demokratie, S. 30. Pressefreiheit und die Erweiterung der parlamentarischen 9 Frey/Hochstuhl/Braun, Wegbereiter der Demokratie, S. 33; Rügert „… es gilt in Baden Rechte ein. Itzstein, der aufgrund seiner politischen Tätigkeit loszuschlagen“, S. 13.

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sein. Soiron zog sich 1851 aus der Politik zurück und arbeite- 3. Die Mannheimer Versammlung und erste kriegerische te bis zu seinem Tod 1855 in Heidelberg als Anwalt. Auseinandersetzungen Die vier Forderungen des Volkes, die in der Mannheimer Ver- b) Ziele sammlung am 27. Februar 1848 ganz in der Nähe von hier Gemäßigt liberale und radikale Demokraten verfolgten ge- formuliert wurden, waren Volksbewaffnung mit freier Wahl meinsame Ziele, unterschieden sich aber in konstitutionellen der Offiziere, unbedingte Pressefreiheit, Schwurgerichte Fragen und der Intensität der revolutionären Durchsetzung. nach dem Vorbild Englands und die sofortige Herstellung ei- Man verlangte Volksbewaffnung, also Bürgerwehr, das mo- nes Parlamentes.15 Am 1. März 1848 brachte die Eisenbahn narchistische Heer sollte nicht mehr das Waffenmonopol ha- 600 Mannheimer nach , die die von Gustav Struve ben. Die Pressefreiheit, also das Ende der damaligen Zensur formulierte Petition Friedrich Hecker übergaben, der sie an wurde gefordert und die Freigabe der vollen politischen Öf- den Präsidenten der zweiten Kammer weiterleitete.16 fentlichkeit, im Grunde das Ende des Parteienverbots. Weite- Die aristokratische Führung schlug jedoch einen Be- 17 re Forderungen waren „Schwurgerichte“ im Sinne einer De- schwichtigungs- und Pazifizierungskurs ein. So kündigte mokratisierung der Justiz und ein deutsches Nationalpar- Großherzog Leopold am 15. März 1848 nicht nur die Beseiti- 10 gung aller noch bestehenden Feudalrechte an, sondern ge- lament. Während die gemäßigten Liberalen sich mit einer 18 konstitutionellen Monarchie anfreunden konnten, strebten nehmigte zudem die Einrichtung von Bürgerwehren. die radikalen Demokraten die Abschaffung der Monarchie In Mannheim kam es Ende April 1848 zu kriegerischen und die republikanische Demokratie für ganz Deutschland Auseinandersetzungen zwischen der Mannheimer Bürger- an. Dieser Unterschied war wohl entscheidend für das Schei- wehr unter dem Kommando von Friedrich Hecker und bayri- schen Truppen, die die Brücke nach Ludwigshafen bewach- tern der Revolution. ten.19 Die Errichtung einer Barrikade zur Brücke nach Lud- 2. Radikale Demokraten wigshafen durch Bürgerwehr und Bürger zeigt ein Bild aus dem Mannheimer Morgen. Bei der auf der Barrikade stehen- Die Fraktion der radikalen Demokraten, also der Republika- den Mannheimer Jeanne d’Arc handelte es sich um die ner, wurde insbesondere durch zwei Mannheimer Rechts- Schuhmachertochter Lisette Hatzfeld, von der die Mannhei- anwälte geprägt. mer Abendzeitung berichtete, „dass sie manchem Manne zum Vorbild dienen könne, da sie von Anfang bis zum Ende unter a) Gustav von Struve (1805–1870) dem anhaltenden Gewehrfeuer furchtlos mit Verbarrikadieren Gustav von Struve hatte in Göppingen und in Heidelberg Jura half.“20 studiert und ließ sich 1836 in Mannheim als Rechtsanwalt Die Aufstände von Bürgern und Studenten, die dann auch nieder, wo er die Zulassung zum Oberhofgericht erhielt. Hier weitere Teile Deutschlands erfassten, zeigten Wirkung. Sogar 11 begann er auch sich politisch und publizistisch zu betätigen. der preußische König und der österreichische Kaiser gaben 1847 gab Struve unter großem Beifall in der Offenburger Ver- nach und nach ihren Widerstand gegen Wahlen zu einer Na- sammlung seinen Adelstitel mit den Worten zurück: „Die Zeit tionalversammlung auf. Vom 30. März bis 2. April 1848 berei- des Adels ist vorbei. Bis zum heutigen Tage hieß ich Gustav von tete das „Vorparlament“ zu dem Parlamentarier aus allen Struve, ab sofort will ich nur noch Bürger Struve sein!“12 Der ana- deutschen Bundesstaaten nach Frankfurt gekommen waren, lytisch-intellektuelle Struve ergänzte den charismatisch-dyna- die reichsweiten Wahlen vor und setzte als provisorisches mischen Hecker. Exekutivorgan einen „50er-Ausschuss“ ein, dem Alexander von Soiron vorstand.21 Diese Nachgiebigkeit brachte die radi- b) Friedrich Hecker (1811–1881) kalen Demokraten um Friedrich Hecker in die Isolation. Zentralfigur der Badischen Revolution war Friedrich Hecker. Er studierte Jura an der Universität Heidelberg und wurde 4. Der Heckerzug 1838 Advokat und Prokurator am großherzoglichen Oberhof- Nachdem auf der letzten Sitzung des Vorparlaments die Re- gericht und Hofgericht des Unterrheinkreises in Mannheim. publik nicht ausgerufen worden war, äußerte Hecker: „Hier in Frankfurt ist nichts zu machen, es gilt, in Baden loszuschla- Seine Ausbildung und berufliche Tätigkeit war auch prägend 22 für sein politisches Engagement. So führte er, nachdem er gen!“ 1842 in die zweite Kammer gewählt worden war, dort 1843 aus: „Wenn der ärmere Bürger gut genug ist, sein Blut für das Ge- meinwohl als Krieger zu verspritzen, muss er auch gut genug sein, mitzureden bei den allgemeinen Landesangelegenheiten, denn Blut ist mehr als Geld und nur da ist ein wahres Repräsentativsystem 13 10 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 595. vorhanden, wo alle Bürger an der Volksvertretung teilnehmen.“ 11 Hochstuhl, Friedrich Hecker, S. 35. Gleichfalls im Badischen Landtag führte Hecker 1844 ei- 12 Frey/Hochstuhl/Braun, Wegbereiter der Demokratie, S. 66. nen für uns Juristen gerade auch heute aktuellen Aspekt des 13 Hochstuhl, Friedrich Hecker, S. 32. nationalen und europäischen Rechts an, indem er sagte: 14 Hochstuhl, Friedrich Hecker, S. 18. „Wenn die Nation nach außen stark und selbst bei ihrer jetzigen 15 Kreutz, Mannheimer Morgen vom 24.2.2018, S. 3. 16 Kreutz, Mannheimer Morgen vom 27.4.2018, S. 3. Zerstückelung kräftig sein soll, so gibt es nur ein Mittel, welches da- 17 Rügert „… es gilt in Baden loszuschlagen“, S. 40. rin besteht, die Nation einig zu machen, dadurch, dass ein und 18 Kreutz, Mannheimer Morgen vom 27.2.2018, S. 3. dasselbe Recht sie durchdringe. Das Recht ist die Milch der Erzie- 19 Nieß/Caroli, S. 270/271. hung und der gemeinschaftlichen Bildung, und nur die Gemein- 20 Nieß/Caroli, S. 272/273; das Bild entstammt Kreutz, Mannheimer Morgen vom 27.2.2018, S. 3. schaft des Rechts vereinigt in der Tat, die Nation zu einem Eini- 21 Kreutz, Mannheimer Morgen vom 27.2.2018, S. 3. 14 gen.“ 22 Rügert „… es gilt in Baden loszuschlagen“, S. 39.

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Er verabschiedete sich daraufhin in Mannheim von seiner III. Auswirkungen: Grundrechte verteidigen – Frau und schlug sich zu den in Konstanz versammelten Revo- immer wieder lutionäre durch, denen sich Gustav Struve schon zwei Tage zuvor angeschlossen hatte. Gemeinsam riefen sie die Repu- Amand Goegg (1820–1897), auch ein führender Kopf der Ba- blik aus. Den beiden Mannheimern war die politische Leitung dischen Revolution, schrieb lange Zeit danach: „Ja, es wird dieses Aufstandsversuchs vorbehalten, der in vier militärisch ein Tag kommen, (…) an welchem die republikanischen Vertreter organisierten Kolonnen einen Sternmarsch auf die badische des souveränen deutschen Volkes den Beschluss fassen werden, dass Hauptstadt Karlsruhe versuchen sollte, um von dort direkt in sich die in den Jahren 1848 und 1849 gefallenen Vorkämpfer um Richtung Frankfurt vorzustoßen: Ein Fanal für einen all- das Vaterland verdient gemacht haben, und dass ihre Namen mit gemeinen deutschen Aufstand, und Mannheim hätte dann goldenen Buchstaben in den Freiheitstempel zu verewigen sind.“28 sozusagen auf dem Weg zu einer deutschen Republik gele- Kurzfristig hatte die Badische Revolution die Bauern- gen!23 befreiung, also die Aufhebung der wirtschaftlichen und per- Der Hecker-Zug scheiterte kläglich. Als er aufbrach, sönlichen Abhängigkeit der Bauern von ihren meist adligen schlossen sich nur etwa 50 Leute an. Obwohl in den folgen- Grundherren zu Folge. Diese wurde 1848 in allen Staaten den Tagen noch einige Revolutionäre dazukamen, hatten sie des Deutschen Bundes und auch im Habsburger Kaiserreich dem Bündnis aus hessischen, württembergischen und ba- verwirklicht.29 Die Verwirklichung der anderen Ziele dauerte dischen Truppen militärisch nichts entgegenzusetzen. In der länger. Anwalts Wissen Nähe von Kandern, das ist so ungefähr zwischen Basel und Die nationale Einheit Deutschlands bedurfte des deutsch- Freiburg im Breisgau, brachen nach einem Angriff der Bun- französischen Krieges von 1870/71, um als Folge des Natio- destruppen die schlecht bewaffneten Freischärler auseinan- nalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs wieder zu schei- der, flohen und der Hecker-Zug löste sich auf. Hecker selbst tern. entkam als Bauer verkleidet über die Schweizer Grenze.24 Eine Republik ist Deutschland seit dem 9. November 1918. Die Weimarer Reichsverfassung trat am 14. August 5. Die Forty-Eighters 1919 in Kraft. Die von ihr gewährten freiheitlichen Grund- Friedrich Hecker wanderte im September 1848, Gustav Struve rechte wurden dann ab dem 30. Januar 1933 in ihr Gegenteil nach dem gescheiterten Struve-Putsch im Jahr 1851 in die verkehrt. USA aus. Lorenz Brentano folgte, nachdem er 1850 in Abwe- Erst seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland senheit vom Hofgericht Bruchsal zu lebenslangem Zuchthaus am 23. Mai 1949 und dem in Kraft treten des Grundgesetzes verurteilt worden war. Mit ihnen setzten viele andere Teilneh- an diesem Tag sind die von den Revolutionären geforderten mer der 48er-Revolution über den Atlantik, die in den Ver- Grundrechte zunächst im Westen und seit dem Einigungsver- einigten Staaten Forty-Eighters genannt wurden. Sie traten trag vom 3. Oktober 1990 in ganz Deutschland garantiert. in die republikanische Partei und für die Kandidatur von Umso alarmierter müssen gerade wir Anwältinnen und Abraham Lincoln als US-Präsident im Herbst 1860 ein.25 Anwälte sein, dass heute Glaubens-, Gewissens-, Lehr- und Damals bildeten die Republikaner, nicht die Demokraten, Pressefreiheit nicht nur in entfernten Ländern, sondern ganz die fortschrittliche Bewegung Amerikas. Die Wahl Lincolns in der Nähe von uns, ja sogar zum Teil auch in unserem eige- führte zum Austritt von South Carolina, Mississippi, Florida, nen Land bekämpft werden. Deswegen lassen Sie mich einen Alabama, Georgia, Louisana und Texas aus der Union, da die- Satz von Abraham Lincoln, für den Friedrich Hecker sowohl se Staaten, die Konföderierten, die Sklaverei beibehalten woll- im Wahlkampf als auch im Sezessionskrieg gekämpft hat, zi- ten. In dem darauf folgenden amerikanischen Bürgerkrieg, tieren: dem Sezessionskrieg, kämpfte Hecker als Offizier zwischen „Wer anderen die Freiheit verweigert, verdient sie nicht für sich 1861 und 1864 in einem Regiment von Freiwilligen aus deut- selbst.“ schen Auswanderern auf der Seite der Nordstaaten gegen die Und zum Schluss noch ein Zitat von Napoleon Bonaparte, Konföderierten, also die Sklaverei. der – wie gezeigt – seinen Teil zur badischen Revolution bei- Im Gegensatz zu Struve blieb Hecker auch nach zwei Be- trug und im Hinblick auf die Pressefreiheit sagte: „Ich fürchte suchen in seiner alten Heimat in den USA. Bei seiner Rück- drei Zeitungen mehr als hundert Bajonette.“ kehr begründete er seine Entscheidung in Amerika zu bleiben Die existentielle Bedeutung der Pressefreiheit für die De- mit einer denkwürdigen Prophezeiung, indem er sagte: „Da mokratie und den Rechtsstaat zeigt sich daran, dass sie da- bin ich wieder, wo es (…) keine Trinkgelder und Geheimräte, kein mals wie heute von Despoten oder denen, die es werden wol- Hutabnehmen (…), keine Fürsten und Bettelvögte gibt, jeder ein len, bekämpft wurde und wird. Lassen Sie uns diesen Bestre- Saumaul haben und im Schlafwagen reisen kann, sogar die Nase bungen in der Tradition der Kollegen von 1848 mit aller Kraft mit den Fingern schnäuzen kann und (…) jeder Esel Präsident entgegentreten. werden kann.“26 Seit Herbst 2016 wissen wir, dass Hecker da- mit noch deutlich untertrieben hat. Heckers Bronzedenkmä- ler stehen heute in Cincinnati und St. Louis.27 Prof. Dr. Ralph Landsittel, Mannheim Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Vorsitzender des Mannheimer Anwaltsvereins.

23 Nieß/Caroli, Geschichte der Stadt Mannheim, S. 267. Leserreaktionen an [email protected]. 24 Rügert „… es gilt in Baden loszuschlagen“, S. 46. 25 Der Spiegel 14/2016, S. 120. 26 Rügert, „… es gilt in Baden loszuschlagen“, S. 58. 27 Der Spiegel 14/2016, S. 123. 28 Frey/Hochstuhl/Braun, Wegbereiter der Demokratie, S. 177; 178. 29 Kreutz, Mannheimer Morgen vom 27.2.2018, S. 3.

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