DIE WELT UNTER STRONGMEN, POLITISCHE KRIEGER UND EMPIRE AUF DER SUCHE NACH DER VERLORENEN HEGEMONIE MEXIKO, MIGRATION UND FREIHANDEL GESELLSCHAFTSANALYSE UND LINKE PRAXIS IRAN: HÄLT DAS ATOMABKOMMEN? Weltordnungskonflikte ingar Solty | Rainer Rilling | Jan EINE NEUE WELTORDNUNG DER PETRO-MÄCHTE? Turowski | John P. Neelsen | Erhard Crome | Miriam Boyer | TRUMPS REZEPT FÜR DIE KATASTROPHE IN SYRIEN Ali Fathollah-Nejad | Michael T. Klare | Miriam Younes u.A.

Spezial Inhalt

Die Welt unter Donald Trump Von Ingar Solty...... 2 Strongmen, politische Krieger und Empire Wo sie zusammenkommen, wird es kompliziert und heftig Von Rainer Rilling...... 16 imprint USA vs. China Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis, Spezial, Dezember 2017 internationale Politik als Nullsummenspiel? ISSN 1869-0424 Von Jan Turowski...... 24 Herausgeber: Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung Auf der Suche nach der verlorenen Hegemonie Leitende Redakteurin: Barbara Fried, [email protected], Zur strategischen Partnerschaft zwischen Indien und den USA Tel: +49 (0)30 443 10-404 Von John P. Neelsen...... 34 Redaktion: Harry Adler, Michael Brie, Hanno Bruchmann, Ein Sieg der Interventionisten? Mario Candeias, Alex DemiroviĆ, Barbara Fried, Corinna Zur Russland-Politik der USA Genschel, Henning Heine, Christina Kaindl, Ferdinand ­Muggenthaler, Tadzio Müller, Miriam Pieschke, Katharina Von Erhard Crome...... 46 Pühl, Rainer Rilling, Thomas Sablowski, Hannah Schurian, Ingar Solty, Moritz Warnke und Florian Wilde Trump an der Grenze Mexiko, Migration und Freihandel Kontakt: [email protected] Redaktionsbüro: Harry Adler, Von Miriam Boyer...... 52 [email protected] Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin Iran: Hält das Atomabkommen? Telefon: +49 (0)30 443 10-157 Von Ali Fathollah-Nejad...... 62 Fax: +49 (0)30 443 10-184 www.zeitschrift-luxemburg.de Eine neue Weltordnung der Petro-Mächte? Von Michael T. Klare...... 70 Join us on Facebook: http://www.facebook.com/zeitschriftluxemburg

Trumps Rezept für die Katastrophe in Syrien Copyleft: Alle Inhalte, soweit nicht ander ausgewiesen, Von Miriam Younes...... 78 unteliegen den Bedingeungen der Creative Commons License Jenseits prekärer Legalität Grafik Design & Layout: Von David Feldman...... 86 Matthies & Schnegg – Ausstellungs- Trump und sein ›Hinterhof‹ und Kommunikationsdesign, www.matthies-schnegg.com Lateinamerikanische Perspektiven Von Achim Wahl...... 96 Druck: Oktoberdruck AG, Berlin Titelbild: Mural in Kopenhagen, Autor*innen...... 112 Foto: Kristoffer Trolle/flickr Weltordnungskonflikte Vorwort

Donald Trump, 45. US-Präsident – was vor tion im US-Machtblock nicht vorgesehen anderthalb Jahren noch wie eine satirische war. Als Milliardär ist er zwar Fleisch vom Überspitzung von »South Park« aussah, Fleisch der ökonomisch herrschenden ist seit November 2016 Wirklichkeit. Die Klasse; im Wahlkampf jedoch antagonisier- ­US-Wahl ist dabei aus zwei Gründen für te Trump diese Fraktion, indem er dessen die Frage der gegenwärtigen und kom- zwei zentrale Projekte – den »Freihandels«- menden Weltordnungskonflikte entschei- Kapitalismus und den imperialen Krieg zu dend: Erstens schwindet zwar die Macht seiner Durchsetzung und Aufrechterhal- der USA im internationalen System zwei- tung – rhetorisch infrage stellte. Damit fellos, mehr und mehr zeichnet sich eine stellt sich ein Jahr nach ­seinem Amtsantritt multipolare Weltordnung ab. Dennoch die Frage nach Kontinuität und Bruch sind die USA nach wie vor der mächtigste der bisherigen ­US-Politik: Ist Trump im Staat im internationalen Staatensystem: Sinne der neoliberal-imper­ialen Fraktion Ökonomisch bleiben sie – mit annähernd tatsächlich eingehegt worden? Im Innern einem Viertel des globalen Bruttoinlands- radikalisiert seine Regierung augenschein- produkts – ungeachtet des Aufstiegs von lich das marktradikale Programm: Sie China vorläufig die größte Wirtschafts­ senkt die Steuern für Superreiche und nation der Erde. Finanziell stellen sie mit Konzerne, während sie gleichzeitig im dem US-Dollar die dominante Währung sozialen Bereich drastische Einschnitte der Welt und bieten mit der Wall Street vornimmt. Aber wie steht es mit Trumps den sichersten Kapitalanlageplatz. Politisch Außenpolitik­ und seinen entsprechenden kontrollieren sie (und ihre »westlichen« Wahlkampfaussagen? Zweifellos wird Bündnispartner) weitgehend die Instituti- massiv aufgerüstet, indem auf den größten onen des globalen Kapitalismus, vor allem Rüstungshaushalt der Welt noch zehn die schuldenimperialistischen Weltbank Prozentpunkte aufgesattelt werden. Aber und IWF. Zudem verfügen sie über ein kann in seinem ersten Amtsjahr wirklich global dominantes Militär mit einem von einer Entspannungspolitik gegenüber Imperium von fast 800 Basen in über 70 Russland die Rede sein, und falls ja, aus Ländern. Schließlich ist auch ihre kulturelle welchen Gründen? Wie angespannt ist das Hegemonie – von Hollywood bis Harvard – transatlantische Verhältnis? Kehrt Trump ein Ausdruck ihrer besonderen Macht. Obamas Annäherungspolitik an Kuba und Der zweite Grund ist, dass Präsident den Iran um? Und wie ist die aggressive Trump von der neoliberal-imperialen Frak- Haltung gegenüber China einzuschätzen?

Vorwort 1 Die Welt unter Donald Trump

Ingar Solty

Viel wurde in den letzten Wochen und Entwicklung der US-Politik der letzten Monaten über Trump geschrieben und Jahrzehnte einzuordnen. spekuliert. Die Nachrichten sind randvoll Dabei gilt es, eine Reihe von mit Episoden aus der Soap Opera vom zentralen Fragen zu beantworten: Ist (vermeintlich) unfähigen und dilettanti- der 45. US-Präsident Donald Trump ein schen Präsidenten und seiner innerlich Decline-Manager, so wie es nach dem ka- zerstrittenen Regierungsriege. Die einen tastrophalen Scheitern der Bush-Adminis- bestätigt dies in ihrer Meinung von den tration im Irak und in Afghanistan schon voreingenommenen Medien und sie erken- über Obama behauptet wurde? Schätzen nen dann noch nicht einmal mehr einen der rechtsautoritäre Nationalist und seine handfesten Skandal, wenn er offensichtlich konservative Regierung im Gegensatz zutage liegt; die anderen wiederum fühlen zu den neoliberalen Universalisten um sich in ihrer Meinung zu Trump bestätigt Obama die Lage der USA und die Gefahr und übersehen, was die Regierung von der imperialen Überdehnung womög- Trump jenseits aller Tweets, verbaler lich richtig ein? Suchen sie tatsächlich Fauxpas und offener Lügen eigentlich in eine ›Aussöhnung‹ mit Russland? Oder den letzten Monaten getan hat. verkörpern Trump, der »Amerika wieder Es ist daher an der Zeit, sich mit dem großmachen« will, und seine Regierung realen Wirken der Trump-Regierung aus- die nationale Hybris, die die USA daran einanderzusetzen, ihre Außenpolitik im hindert, Hegemonie auszuüben, und sie Wechselspiel zur Innenpolitik in den Blick in militärische Abenteuer bis hin zum zu nehmen und all dies in die allgemeine atomaren Konflikt mit Nordkorea taumeln

2 Die Welt unter Donald Trump lässt, wie der Economist unlängst auf Weltkapitalismusverfassung funktioniert, seinem Titelblatt vermutete? Besteht gar sowie internationale politische Foren wie die Gefahr eines unkontrollierten Krie- die Trilaterale Kommission, den Weltwirt- ges – womöglich ausgelöst durch einen schaftsgipfel von Davos oder die G2-, G7-, Trump-Tweet? Und was sagt eigentlich die G8- und G20-Gipfel. Das politische Ziel weltweite Auseinandersetzung rund um bestand darin, weltweit in den im Zuge der Trump über die Art und Weise aus, wie Welle von Entkolonisierungen in der Nach- heute im krisengeschüttelten Kapitalismus kriegszeit immer zahlreicher werdenden Herrschaft ausgeübt wird? Nationalstaaten die gleichen, möglichst uneingeschränkt geltenden Regeln für Der transnationale Block die freie Entwicklung des Kapitalismus an der Macht und der neoliberal- durchzusetzen – uneingeschränkt freilich imperiale Konsens von den Fesseln der nationalstaatlichen Es ist eine Tatsache, dass das Denken über Liberaldemokratien und ihren Prozessen.1 die USA ein Denken über die USA in der Dabei profitiert hiervon freilich stets das Welt bedeutet, denn die Welt, wie wir sie global dominante und konkurrenzfähigste heute kennen, ist ohne die USA nicht zu Kapital in seinem Expansionsdrang am denken. Ihre Weltpolitik hat die Welt von meisten. heute erst geschaffen. So hat es sich der Unter der Regie der USA transna- US-amerikanische Staat nach 1945 auf tionalisierten sich auf diese Weise die dem Höhepunkt seiner Macht und ausge- kapitalistischen Produktionsverhältnisse, stattet mit entsprechenden Machtressour- entstanden mit den multi- und transnatio- cen zur Aufgabe gemacht, den internatio- nalen Konzernen und ihren Institutionen nalen Kapitalismus zu rekonstruieren und Ansätze einer transnationalisierten gegen antikapitalistische Umwälzungen Bourgeoisie, die ihre zunehmende Ko- in sozialistischer Richtung sowie gegen härenz durch Wirtschaftsverflechtungen, protektionistische Fragmentierungen des internationalisierte Aufsichtsräte, inter- Weltmarktes und Wirtschaftsblockbildun- nationale Institutionen und Foren bis hin gen abzusichern. Hierfür schufen die USA zu internationalisierten Urlaubsressorts Strukturen internationaler und transnatio- und Eheschließungen der globalen 0,1 naler Staatlichkeit wie das Bretton-Woods- Prozent erhalten hat. Als Kapitalfraktion System, den Internationalen Währungs- wurde diese transnationalisierte kapitalis- fonds (IWF), die Weltbank und die Bank tische Klasse im internationalen System für Internationalen Zahlungsausgleich dominant. Als etwa in der kapitalistischen (BIZ) in der internationalen Finanzpolitik, Großkrise der 1970er Jahre, in der Krise das GATT (heute WTO) in der Welthan- des Fordismus mit einer tiefen Profitklem- delspolitik, das wie die Keimform einer me und starken Spannungen zwischen

Ingar Solty 3 globalem Norden und globalem Süden der klassischen Außen- und Sicherheitspo- sowie zwischen den westlichen Mächten litik wird ein imperial-interventionistischer (USA versus BRD/Japan), wie schon in Ansatz verfochten. den zwei vorangegangenen kapitalisti- Die Machtübernahme von Mitte- schen Großkrisen, der Großen Depression links-Parteien – Clintons New Democrats von 1873–1896 und der Weltwirtschafts- in den USA, Blairs New Labour in krise von 1929–1939, ein Rückfall in den Großbritannien und Schröders rot-grüne Protektionismus drohte, erwiesen sich Koalition der »neuen Mitte« in Deutsch- die von den USA geschaffenen Formen land – machten diesen Neoliberalismus von internationaler und transnationaler erst hegemonial. Damals waren ganze elf Staatlichkeit als robust genug, um eine von 15 Mitgliedsländern der Europäischen neuerliche Fragmentierung des kapita- Union von solchen Mitte-links-Parteien listischen Weltmarktes zu verhindern. oder -Koalitionen regiert. Die Wider- Tatsächlich war das Ergebnis dieser Krise sprüche dieser Hegemonialisierung eine Vertiefung der Weltmarktintegration. des Neoliberalismus und seine globale Die in den Machtblöcken der einzel- (Finanz-)Krise seit 2007 haben jedoch nen Nationalstaaten dominanten transna- zu tiefen politischen Rissen geführt. Seit tionalen Kapitalfraktionen eint ein politi- dem Scheitern der grünen Kapitalismus- scher Konsens. Dieser ist in allen Ländern reformen von oben und der globalen des ›Westens‹ partei- und milieuübergrei- austeritätspolitischen Wende vom Sommer fend. Vor dem Hintergrund des Zusam- 2010 lassen sich, begleitet von weltweiten menbruchs des Realsozialismus und der Massenprotesten, zwei auffällige Entwick- Schwäche der antikapitalistischen Kräfte lungen in den politischen Systemen im in den 1990er Jahren erfasste er auch die ›Westen‹ beobachten: Erstens ›franst‹ das aus der Arbeiterbewegung entstandenen politische System in einen rechtsautoritä- sozialdemokratischen Parteien sowie die ren Nationalismus ›aus‹ (US-Präsident Do- aus der Neuen Linken hervorgegangenen nald Trump, UKIP, Front National, AfD, grün-alternativen Mitte-links-Parteien. Der Schwedendemokraten etc.), der – obwohl politische Konsens dieser Kräfte, der in der er ursprünglich eher marktradikal ausge- Sprache der »Alternativlosigkeit« formu- richtet war – sich im Zuge des Zustroms liert wird, lässt sich wie folgt beschreiben: neuer Wählerschichten aus der traditio- nach innen, das heißt in der Wirtschafts-, nellen Arbeiterklasse mehr oder weniger Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, ist die national-sozial gibt. Zweitens sind auf Orientierung neoliberal und marktorien- der linken Seite – mit unterschiedlicher tiert; in der Wirtschaftspolitik nach außen Stärke – neue Kräfte entstanden, die im ist die wirtschaftspolitische Orientierung Rahmen einer neuen Klassenpolitik einen transnational und pro »Freihandel« und in solidarisch-inklusiven Weg aus der Krise

4 Die Welt unter Donald Trump ausbuchstabieren (Bernie Sanders, Jeremy und Architekten der zwei Irakkriege, Corbyn, Jean-Luc Mélenchon, DIE LINKE, George Bush und George W. Bush, sich Podemos etc.) oder, wie die im Januar 2015 weigerten, dem bereits nominierten in Griechenland an die Macht gekommene Trump die Unterstützung auszusprechen. SYRIZA-Regierung, unter schwierigsten Die frühere First Lady Laura Bush und Bedingungen umzusetzen versuchten, George W. Bushs Vizepräsident Dick bis sie dann durch den außenpolitischen Cheney unterstützten sogar mehr oder Druck seitens der deutschdominierten weniger offen Clinton, während sich mit Europäischen Union bereits nach einem Neocons wie Robert Kagan und Max Boot halben Jahr zum Scheitern gebracht einige der entscheidenden, intellektuellen wurden. Die hegemoniale Erosion der Vordenker des Irakkriegs und des »Kriegs neoliberal-imperialen »Mitte« führt damit gegen den Terror« im außenpolitischen zu einer Konstellation mit drei Polen und Beraterstab von Clintons Wahlkampfteam politischen Alternativprojekten. wiederfanden. Den Höhepunkt erreichte die Absetzbewegung von der Republikani- Der Block an der Macht, die trans- schen Partei mit einem offenen Brief, in nationalisierte Kapitalfraktion dem sich mehr als 50 namhafte republi- und die Wahl von Trump kanische außenpolitische Berater gegen Aus der Perspektive der dominanten trans- Trump positionierten und ihn als »Gefahr national-imperialen Fraktion im »Block an für die nationale Sicherheit« der USA der Macht« (Nicos Poulantzas) in den USA anprangerten. war die Wahl von Trump nicht vorgesehen. Der Wahlsieg von Donald Trump ent- Schon die Nominierung Trumps zum sprach also zunächst nicht dem Interesse Präsidentschaftskandidaten der Republika- der herrschenden Klasse in den USA. Im ner war ein Triumph der radikalen rechten Gegenteil: Er markierte einen temporären Basis in der Partei über das Establishment. Kontrollverlust. Entscheidend war jedoch Hiernach lief ein großer Teil der ökonomi- aus der Perspektive der ökonomisch schen und politischen (vor allem außen- und politisch Mächtigen weniger die politischen) Eliten in den bürgerlichen plebejische Unappetitlichkeit von Trump, Medien zu Hillary Clinton über, die den der als New Yorker Immobilienkapitalist neoliberal-imperialen Konsens in besonde- und Multimilliardär zwar Fleisch von rer Weise verkörpert und als frühere First ihrem Fleisch sein mag, aber mit seinem Lady und Außenministerin mit engsten antimuslimischen und antimexikanischen Verbindungen zur New Yorker Finanzwelt Radau-Rassismus und -Sexismus doch zu Recht als Establishment-Kandidatin redet wie aus der Gosse. Vielmehr war galt. Es war ein Novum, dass selbst die es Trumps rhetorisches Ausscheren aus früheren republikanischen Präsidenten ihrem außen- und wirtschaftspolitischen

Ingar Solty 5 Konsens, der ihn aus ihrer Sicht unwählbar Sozialisten Bernie Sanders als Präsident- machte und als Gefahr erscheinen ließ. So schaftskandidatin von der demokratischen hatte Trump im Wahlkampf eine Abkehr Parteispitze installiert worden war – waren vom Freihandel angekündigt (Nichtratifi- so ausgeprägt, dass Trump mit seiner zierung der Transpazifischen Partnerschaft Botschaft gegen die Eliten, gegen Freihan- und von TTIP, Abschaffung oder Neu- del und Empire und mit seiner rassistisch- verhandlung des Nordamerikanischen Frei- demagogischen Thematisierung der handelsabkommens, Strafzölle für China, sozialen Frage in den bevölkerungsreichen Mexiko und Deutschland mit ihren hohen und damit wahlentscheidenden Wechsel- Leistungsbilanzüberschüssen etc.) sowie wählerstaaten (Wisconsin, Michigan, Ohio, einen Bruch mit dem US-amerikanischen Pennsylvania) des deindustrialisierten und Empire (Kritik am gescheiterten »Krieg freihandelsverheerten Mittleren Westens gegen den Terror«, der die USA – nach erfolgreich sein konnte. Berechnungen der Brown University – Die Nervosität der Herrschenden mittlerweile 4,79 Billionen US-Dollar nach diesem Kontrollverlust war auch gekostet hat, Infragestellung des NATO- international entsprechend mit Händen Vertrags, rhetorischer Bruch mit Artikel 5, zu greifen – gerade in Deutschland, das der die Bündnispflicht regelt, etc.). im Verhältnis zu den USA noch einen Es waren dabei diese populären Positi- größeren Handelsüberschuss aufweist als onen, die Trump, vor dem Hintergrund der China und von daher von einem (selekti- Kapitalismuskrise und getragen von einer ven) Protektionismus der USA am meisten massiven Anti-Establishment-Stimmung betroffen wäre. Tatsächlich würde eine in den USA im Rahmen einer tiefen Krise solche Politik das deutsche exportorientier- der politischen Repräsentation, gegen den te Wirtschafts- und Wachstumsmodell und Willen der transnationalisierten Kapital- die politisch-gesellschaftliche Grundlage fraktion an die Macht brachten. Im Rennen des »deutschen Krisenkorporatismus« der zwei unpopulärsten Kandidat*innen, (Hans-Jürgen Urban) grundsätzlich die jemals um das Amt des US-Präsidenten infrage stellen – insbesondere deshalb, antraten, erlangte er zwar kaum mehr weil Deutschlands austeritätsorientierte Stimmen als die zuvor Obama unter- EU-Politik die eigenen Absatzmärkte in legenen republikanischen Kandidaten Südeuropa erheblich geschwächt hat, John McCain (2008) und Mitt Romney womit eine deutliche Verschiebung bei der (2012) und verlor sogar das, was popular Exportabhängigkeit einherging – weg von vote genannt wird. Aber die Unbeliebtheit Europa in Richtung Übersee, insbesondere und Mobilisierungsschwäche von Hillary China und USA. Clinton – die mit allen lauteren und unlau- Die Frage, die sich nach Trumps teren Mitteln gegen den überaus beliebten Wahlsieg im November 2016 stellte, war

6 Die Welt unter Donald Trump darum, ob er tatsächlich gegen die domi- rasande tyskar/flickr nante transnationalisierte Kapitalfraktion im US-Machtblock einen protektionistisch- ökonomisch und politisch Herrschenden antiimperialen Kurswechsel vollziehen rühren; und drittens eine Entwicklung, würde (können) oder ob es dieser Fraktion die man mit dem deutsch-amerikanischen gelingen würde, Trump unter Kontrolle Politikwissenschaftler Franz Neumann als zu bringen. Der Kontrollverlust bei den Unstaat- bzw. Behemoth-Szenario bezeich- Wahlen hatte drei Szenarien denkbar wer- nen könnte, das heißt eine Konstellation, den lassen: erstens eine sozial-nationale in der – bis zur politischen Unregierbar- Faschisierung und ein (rechts-)keynesi- keit und Lähmung – der Kampf um den anischer Kurs, der die soziale Frage von Wiedergewinn der Kontrolle zwischen rechts beantworten würde; zweitens die den einzelnen Staatsapparaten, zwischen Einhegung Trumps im Klasseninteresse den Bundesstaaten und der Nationalregie- der transnational-imperialen Kapitalfrak- rung und auch innerhalb der Regierung tion im US-Machtblock bei gleichzeitiger ausgefochten wird. Umsetzung all jener radikalrechten Es ist hier nicht der Ort nachzuzeich- gesellschaftspolitischen Vorhaben, die nen, welche Indikatoren zunächst auch weniger an den Kerninteressen der Szenario eins und drei plausibel machten.

Ingar Solty 7 Dies gilt insbesondere, weil die Kämpfe Pruitt) und drittens aus Spitzenpersonal um eine Einhegung Trumps auf den des militärischen bzw. außenpolitischen verschiedenen Ebenen des vermachteten Machtapparates und der alten Bush-Regie- Staates auch Elemente von Szenario drei rung (Verteidigungsminister James Mattis, im Rahmen dieses Einhegungsszenarios Heimatschutzminister und Stabschef mit sich gebracht haben. Fest steht: Es im Weißen Haus John F. Kelly, stellver- existiert ein riesengroßer Unterschied tretende nationale Sicherheitsberaterin zwischen Trumps Wahlkampfrhetorik und Dina Powell, Arbeitsminister Alex Acosta, seiner realen Politik. Trump betreibt seit Verkehrsministerin Elaine Chao). Amtsantritt systematisch Betrug an seiner Diese reichste Regierung aller Regie- Wählerbasis. Seine Einhegung seitens der rungen macht nun – ganz banal – Politik neoliberal-imperialen Kräfte im US-Macht- für die Reichen und bedient dabei auch block ist ganz offensichtlich. Sie lässt sich partikulare Kapitalinteressen, insbesondere zum einen an der Zusammensetzung in der Energie- und Umweltpolitik,2 und seiner Ministerriege und zum anderen an sogar partikularste Kapitalinteressen aus den bislang getroffenen konkreten politi- dem unmittelbaren persönlichen und schen Entscheidungen und Handlungen familiären Umfeld von Donald Trump. der Trump-Regierungen festmachen. Die Liste der marktradikalen Reformen Trump wurde als Anti-Establishment- ist lang. Sie beinhaltet in erster Linie Politiker gewählt. Die Regierung ist einen juristisch umstrittenen Zwang zur jedoch – addiert man das Privatvermögen Deregulierung, einen Einstellungsstopp ihrer Mitglieder – die reichste in der im öffentlichen Dienst mit anschließen- Geschichte der Vereinigten Staaten. dem Plan zum systematischen Abbau der Sie besteht vor allem aus hochrangigen öffentlichen Beschäftigung und Infra- Vertretern erstens des Wall-Street-Finanz- struktur, massive Steuersenkungen für das kapitals, das Trump im Wahlkampf noch Kapital, inklusive der weiteren Absenkung im Namen der Arbeiterklasse angegriffen der Unternehmenssteuer von 35 auf 15 hatte (hierzu gehören u.a. sein oberster Prozent, sowie einen Haushaltsplan für Wirtschaftsberater Gary Cohn, Finanzmi- 2018, der die Kürzung und die ersatzlose nister Steven Mnuchin, Handelsminister Streichung von mehr als 60 (sozial-) Wilbur Ross, Trumps außenpolitischer politischen Programmen vorsieht. Berater und Schwiegersohn Jared Einzig und allein in drei Bereichen Kushner), zweitens aus Repräsentanten der sieht der Etat für das kommende Jahr fossilen Energieindustrie und der Pipeline- Anhebungen vor: 54 Milliarden US-Dollar Konzerne (Außenminister , Mehrausgaben für die Rüstung sowie eine Innenminister Ryan Zinke, Energiemi- Aufstockung des Etats vom Heimatschutz- nister Rick Perry, Umweltminister Scott ministerium (sprich: innere Überwachung)

8 Die Welt unter Donald Trump und der Kriegsveteranen-Unterstützung. politischen Einhegung, zu tun. Nach innen Zudem hat Trump den Kongress um radikalisiert die Trump-Regierung das eine Erhöhung der Mittel des Verteidi- neoliberale Programm. Damit verschärft gungsministeriums um 30 Milliarden sie aber zugleich die soziale Krise, die für US-Dollar gebeten. Kurzum: Während im die Anti-Establishment-Stimmung im Land sozialen Bereich und bei der öffentlichen wesentlich verantwortlich ist und die Trump Infrastruktur, auf die die Arbeiterklasse an- erst in das Amt des Präsidenten gespült gewiesen ist, die Axt angelegt wird, rüstet hat. Kaum mit einem Mandat ausgestattet die Regierung des Landes mit den weltweit und mit zunehmend geringer werdender ohnehin mit Abstand höchsten Militär- innenpolitischer Legitimation versehen,4 ausgaben weiter auf und beschließt, noch untergräbt Trump im Grunde genommen einmal zehn Prozent mehr für Kriegsgerät die Unterstützungsgrundlage seiner eige- auszugeben. Inzwischen beläuft sich der nen Regierung. Nach außen wiederum setzt sogenannte Verteidigungsetat der USA auf die Trump-Regierung auf eine Politik der 639 Milliarden US-Dollar. Dies entspricht Stärke, wozu die Drohung mit Nuklearwaf- nach Angaben des Stockholmer Internatio- feneinsätzen gehört (etwa gegen Nordkorea, nalen Friedensforschungsinstituts (SIPRI) nachdem Trump im Wahlkampf noch in etwa dem Dreifachen der Militärausga- betont hatte, sich als Präsident niemals in ben von China (215 Milliarden US-Dollar) einen Konflikt auf der koreanischen Halb- und dem Zehnfachen der Militärausgaben insel ziehen lassen zu wollen), und eskaliert von Russland (69,2 Milliarden US-Dollar), die Aufrüstungsspirale. mit deren »Bedrohung« die Steigerung Inwieweit auch außenpolitisch von der Ausgaben für Kriegsgerät in fast einer Einhegung gesprochen werden kann, allen NATO-Staaten begründet wird. Die lässt sich am besten beantworten, wenn Rüstungsausgaben aller NATO-Staaten wir uns mit der Frage Bruch oder Kontinu- zusammengenommen übersteigen mit ität in Bezug auf die Obama- und andere offiziell 945,96 Milliarden Euro die chine- Vorgängerregierungen befassen. Dabei ist sischen Rüstungsausgaben im Übrigen um es, wie bereits erwähnt, entscheidend, sich mehr als das Vierfache und die russischen nicht von Rhetorik und den vielen hitzigen um mehr als das Dreizehnfache.3 Die Auf- Auseinandersetzungen in der öffentlichen rüstungsspirale dreht sich also weiter nach Debatte um Trumps (Außen-)Politik leiten oben und die Frage muss erlaubt sein: Wer und blenden zu lassen, sondern die realen bedroht hier eigentlich wen? politischen Entscheidungen zu betrachten. Die bisherigen politischen Entschei- Handelspolitisch hat Trump bislang dungen der Trump-Regierung sprechen noch wenige protektionistische Ambi- damit jedenfalls eine eindeutige Sprache: tionen erkennen lassen, obwohl er im Wir haben es mit Szenario zwei, einer Wahlkampf noch gedroht hatte, Chinas

Ingar Solty 9 Waren einen Zoll von 45 Prozent aufzu- in der zweiten Augusthälfte – sind jedoch erlegen, NAFTA neu zu verhandeln oder klare Anzeichen dafür, dass die neoliberal- sogar ganz auszusetzen und Mexiko mit imperialen Kräfte in der Trump-Regierung Importzöllen zwischen 15 und 35 Prozent die Oberhand behalten haben. zu belasten. Zwar hat Trump wohl auf Tatsächlich lässt sich nicht nur vom Drängen seines Wahlkampfberaters und Personal, sondern auch von den bisheri- Wahlsiegarchitekten Steve Bannon, der gen Handlungen der Trump-Regierungen für eine protektionistische Politik steht, allerdings kaum auf einen (selektiv-) gleich zu Beginn tatsächlich die Transpa- protektionistischen Kurswechsel der USA zifische Partnerschaft und das transatlanti- schließen. Anschuldigungen an China sche Investitionsschutzabkommen (TTIP) (und Deutschland), diese würden sich für tot erklärt. Im Zuge der schrittweise unfair verhalten und Währungsmanipu- durchgeführten Regierungsbildung zeigte lation betreiben, waren schon von der sich jedoch ganz eindeutig, dass in sei- Obama-Administration zu hören gewesen, nem Kabinett der freihändlerisch-imperial nachdem diese 2010 auf ihren austeritäts- orientierte Flügel dominant ist. Zwar lässt politischen Kurs mit den Zielen Expor- sich erkennen, dass Trump seit dem Früh- torientierung und Reindustrialisierung ling mit einigen Personalentscheidungen umgeschwenkt waren. Unter Obama war und wohl auch auf Drängen von Steve es darüber hinaus bereits zum Erlass von Bannon hier wiederum leicht gegensteuer- vereinzelten Strafzöllen gekommen (wie te. Anzeichen hierfür sind die Ernennung etwa gegen die chinesische Stahlindustrie). des relativ freihandelskritischen Robert Diese sind von der Trump-Administration Lightizer zum Handelsbeauftragten bislang nicht systematisch ausgeweitet der USA, der damit eine Art Korrektiv worden. zum Wall-Street-Investmentbanker und Außenpolitische Kurswechsel sind Handelsminister Wilbur Ross bildet. zweifellos in Bezug auf Kuba und auch Ähnliches gilt in Bezug auf die Schaffung den Iran (siehe zu Iran ausführlich Ali des Nationalen Handelsrats am 29. April, Fathollah-Nejad in dieser Ausgabe) zu einer neuen Behörde, die vom protekti- beobachten, wo die Trump-Administration onistisch ausgerichteten Ökonom Peter die vorsichtige Annäherungspolitik von Navarro geleitet wird und vor allem dem Obama infrage gestellt hat. Ansonsten Schutz der US-Rüstungsindustrie dienen stehen die Zeichen jedoch – sieht man soll. Die schrittweise Entmachtung des von den Differenzen zwischen Oba- Freihandels- und Empire-kritischen Steve mas Soft-Power-Diskurs und Trumps Bannon – von seiner Entfernung aus dem ­Hard-Power-Rhetorik einmal ab – durch- Nationalen Sicherheitsrat Anfang April aus auf Kontinuität. So hat Trump 2017 bis zu seiner endgültigen Entlassung mittlerweile auch seine Kritik am »Krieg

10 Die Welt unter Donald Trump gegen den Terror« zurückgenommen. In Syrienpolitik siehe ausführlich Miriam Bezug auf den Afghanistankrieg spricht Younes in dieser Ausgabe).5 er mittlerweile nicht mehr von einem Was sich allmählich abzeichnet ist, »furchtbaren Fehler«, sondern von einer dass die Trump-Regierung offenbar im Notwendigkeit. Von einem Truppenabzug Kontext abnehmender Machtressourcen war schon sehr bald nicht mehr die Rede, der USA die Kräfte auf den Hauptgegner sondern davon, dass die USA auch wei- konzentrieren will: China. Dies könnte terhin Soldaten in Afghanistan stationiert erreicht werden, indem Trump stärker auf haben würden; und Ende August 2017 eine kriegspolitische Arbeitsteilung mit verkündete die Trump-Regierung dann – den anderen NATO-Staaten drängt. Die unter dem Jubel der NATO-Partner – eine Drohung, dass gegebenenfalls Artikel 5 Intensivierung des seit 2001 von den USA des NATO-Vertrags (Bündnisfall-Artikel) und der NATO geführten Krieges. Insge- nur Gültigkeit habe, wenn die NATO- samt planen mittlerweile 15 Länder eine Staaten auch die Auflage erfüllen, zwei Aufstockung ihrer Truppenkontingente in Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlands- Afghanistan. produkts für Rüstung aufzuwenden, In Bezug auf Syrien, ist es gleichwohl kann in diese Richtung gedeutet werden. sehr wahrscheinlich, dass die US-amerika- So ist es vorstellbar, dass sich die von nische Bombardierung eines Flughafens Deutschland dominierte EU demnächst unter Kontrolle der syrischen Regierung stärker in den Kriegen an den erweiterten von Baschar al-Assad im April 2017 eher EU-Außengrenzen engagieren wird, symbolischer Natur war. Die mit der damit die USA sich auf ihre geopolitische Assad-Regierung verbündete russische Rolle im pazifischen Raum konzentrie- Seite wurde vorgewarnt und bereits nach ren können. Dies käme jedoch den in kürzester Zeit war der Flughafen wieder den letzten Jahren stark intensivierten in Betrieb. Die Bombardierung mit Bestrebungen Deutschlands nach »mehr Tomahawk-Raketen diente womöglich gar Verantwortung« durchaus entgegen6; und dazu, innenpolitisch die Wogen zu glätten, gerade die – von den neoliberal-imperialen nachdem allen voran das Demokraten- Kräften zwischen CDU und Bündnis 90/ Establishment monatelang versucht hatte, Die Grünen im Gleichklang vorgebrachte nicht die eigene Austeritätspolitik und die Anti-Trump-Rhetorik – dient letztlich Verschärfung der sozialen Ungleichheit diesem Zweck. sowie die massive Ausweitung schlecht Aber auch diese Politik von Trump entlohnter und prekärer Arbeitsverhältnis- ist keine Kehrtwende. Die China-Politik se unter Krisenpräsident Obama, sondern der USA unter seiner Präsidentschaft russische Hacker für die Niederlage von (siehe dazu ausführlich Jan Turowski in Clinton verantwortlich zu machen (Zur diesem Heft) ist weniger von Dis- als von

Ingar Solty 11 Kontinuität gekennzeichnet. Zweifellos balen Kapitalismus entwickelt und dieses sind etwa Trumps rhetorischer Bruch zunächst im ›Westen‹ umgesetzt. mit der »Ein-China-Politik« und seine Die USA befanden sich jedoch 1945 pro-taiwanesischen Signale – wie etwa auf dem Höhepunkt ihrer ökonomischen die Annahme des Gratulationsanrufes und politischen Macht. Sie vereinten fast aus Taiwan wenige Wochen nach seinem die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung Wahlsieg – in ihrer diplomatischen Unbe- auf sich, waren die Gläubigernation der darftheit neu. Die USA hatten aber bereits ›Siegermächte‹ Großbritannien und unter der Obama-Regierung im Grunde Frankreich sowie militärische Besatzungs- zeitgleich zur globalen austeritätspoliti- macht in Deutschland, Japan und dann schen Wende vom Frühjahr/Sommer 2010 auch (Süd-)Korea. Die Integration gerade (rund um den G20-Gipfel in Toronto) der letzten drei, geopolitisch für sie hoch ihren »Schwenk nach Asien« verkündet. bedeutsamen Länder in die US-dominierte Damit verbunden ist die erklärte Absicht, kapitalistische Weltordnung – mithilfe von das 21. Jahrhundert zu »Amerikas pazifi- Wirtschaftshilfen wie dem Marshall-Plan, schem Jahrhundert« zu machen, wie es die einseitig vorteilhaften Handelsbeziehun- ehemalige US-Außenministerin Hillary gen etc. – war nur vor diesem Hintergrund Clinton in einem vielbeachteten Aufsatz in möglich. Foreign Affairs genannt hat. Seither haben Die Situation ist heute eine völlig die USA ihre Bemühungen verstärkt, andere. Während Deutschland, Japan bilaterale Militärabkommen mit den und (Süd-)Korea verglichen mit den USA konkurrierenden Anrainerstaaten Chinas eher kleine Länder sind, handelt es sich auszuhandeln und sich – mit einem erstens bei China um einen Staat mit etwa Ausbau ihrer Truppenstationierungen von viermal so vielen Menschen wie in den Darwin in Australien bis zur US-Basis in USA. Zweitens ist China nicht militärisch Okinawa in Japan sowie mit regelmäßiger besetzt, sondern im Gegensatz zur Situa- Schlachtschiffpräsenz – als geopolitische tion der BRD, Japan oder Südkorea in den Ordnungsmacht im Südchinesischen Nachkriegsjahrzehnten ein vollkommen Meer zu etablieren. souveränes Land. Und drittens gelang den Für die USA als Hegemonialmacht USA die Integration damals auf dem Hö- ist China zweifellos die zentrale Heraus- hepunkt ihrer ökonomischen, politischen forderung. Sie ist dabei historisch ohne und militärischen Macht, während sie Parallele. Die Vereinigten Staaten haben, heute eigentlich nur noch im militärischen wie eingangs beschrieben, nach dem und in Teilen im finanziellen Bereich Ende des Zweiten Weltkriegs aus Sorge unangefochtene Weltmacht sind. Ihr vor einem Rückfall in die Wirtschaftskrise Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt (»Great Depression«) das Projekt des glo- hat sich schon seit den 1970er Jahren auf

12 Die Welt unter Donald Trump ein Viertel des globalen Bruttoinlandspro- nur verlieren könnte, systematisch aus duktes verringert und verharrt seither auf dem Weg gegangen und hat sich auf diesem Niveau. seine kluge, aber auch viele politische Daher ist die zentrale Herausforde- und soziale Verwerfungen produzierende rung für die USA: Sie müssen verhindern, Außenwirtschaftsdiplomatie konzentriert. dass der wirtschaftliche Aufstieg Chinas So oder so: Die chinesische Außenab- als Werkstätte der Welt die US-Dominanz hängigkeit ermöglicht es den USA indes, in der Weltordnung untergräbt. Die China mit ihrer eigenen militärischen regionalen Integrationsbemühungen Präsenz in Ostasien mit dem Untergang zu Chinas im eurasischen Raum (Shanghai drohen. Die Botschaft lautet letztlich: Wir Organization, Asia Cooperation Dialogue, können Euer Land ökonomisch abwürgen Chiang-Mai-Initiative etc.) werden von und den ethnisch-bürgerkriegsähnlichen den USA deswegen mit Sorge verfolgt. Zerfall eures Landes vorantreiben, wenn Bereits die Regierung von Obama hatte es dann zu Verteilungskonflikten zwischen dem größten Konkurrenten darum mit den wirtschaftlich erheblich ungleichen einer Kontinentalblockade gedroht. Die Provinzen und Ethnien kommen sollte Kombination aus Ressourcenarmut, hohen und die sozialen Bedürfnisse der mehr Wachstumsraten und durch Xi Jinpings als 200 Millionen Wanderarbeiter*innen Binnenmarktorientierung nur ansatzweise nicht mehr befriedigt werden können. Die verringerter Exportorientierung macht Chinapolitik der USA zielt damit auf eine Chinas Wirtschaftsmodell extrem abhän- Einbindung Chinas durch Eindämmung ab. gig vom Ausland und von der Seewegroute Chinas 900 Milliarden Euro teure Südchinesisches Meer – Straße von Mal- »neue Seidenstraße« ist entsprechend akka – Persischer Golf, über die rund vier wiederum auch als ein Vehikel zu Fünftel des chinesischen Außenhandels verstehen, mit dem das »Reich der Mitte« abgewickelt werden. Und es ist auch diese einer drohenden Kontinentalblockade Außenabhängigkeit, die China zu seiner über den Landweg zu entgehen versucht. geoökonomisch-imperialen Politik – Land- Gleichwohl unterhalten die USA – von grabbing in Afrika, zahlreiche Handels- Afghanistan über Zentralasien bis zum und Wirtschaftsabkommen mit südameri- Kaukasus und den Vorderen Orient – hier kanischen Staaten, die auf Extraktivismus ein Netz von Militärbasen, das allerdings setzen – zwingt. China verfügt seit diesem politisch durchaus fragil ist. Jahr nun auch über eine erste Militärbasis Die Herausforderung, die China auf dem afrikanischen Kontinent (in für die USA darstellt, kann – neben den Dschibuti). Gleichwohl ist es bis heute vorhandenen, guten Geschäftsbeziehun- einer politisch-militärischen Konfrontation gen von Teilen der Trump-Administration mit den USA und dem ›Westen‹, die es (inklusive Außenminister Rex Tillerson)

Ingar Solty 13 zu Russland – auch als ein zentraler mittel. Mit seiner antichinesischen Grund angesehen werden, warum die Rhetorik ­vermag Trump China (und USA zwar die Sanktionen gegen Russland Mexiko, Deutschland und Japan) auch aufrechterhalten sowie einige Maßnahmen für die soziale und politische Krise im gegen die »nicht-faktenbasierte«, russische Inland verantwortlich machen, die ihn Auslandspropaganda ergriffen und eben zusammen mit der in den USA stark auch in Syrien symbolisch gegen Russland ausgeprägten Anti-Freihandels- und Anti- operiert und Stärke demonstriert haben, Establishment-Stimmung überhaupt erst warum aber zugleich die aktuelle Regie- ins Amt ­gebracht hat. Es steht nämlich rung den Konflikt mit Russland vorerst außer Zweifel, dass Trumps gegen die nicht verschärft (siehe dazu auch Erhard Gewerkschaften und Interessen der Crome in dieser Ausgabe). Denkbar ist, Arbeiterklasse gerichtete prokapitalisti- wie bereits angemerkt, dass nach den di- sche Wirtschaftspolitik die Ausweitung versen Kriegsdesastern im Mittleren Osten prekärer Beschäftigungsverhältnisse, den in den USA unter Trump der Zustand der weiteren Rückgang der Reallöhne und die eigenen Staatsmachtressourcen realis- nochmalige Verschärfung der sozialen tischer eingeschätzt wird als zuvor und Ungleichheit seit Beginn der Krise nicht dass jenseits einer neuen Aufgaben- und eindämmen wird. Im Gegenteil: Seine Lastenverteilung im NATO-Bündnis auf Politik wird diese Krise weiter verschär- eine relative Aussöhnung oder zumindest fen. Entsprechend ist das erfolgreiche auf ein temporäres Einfrieren des Kon- Ablenken von den wahren Krisenursachen, flikts mit Russland gesetzt wird, um somit indem das Ausland – China, Mexiko oder den mit China verbundenen Herausforde- die »bad Germans« (Donald Trump) – zu rungen besser gerecht werden zu können. Sündenböcken erklärt werden, auch eine Faktisch käme ein solcher Ansatz einer Voraussetzung für die Legitimität seiner Inversion der Nixon’schen Asienpolitik Regierung. von 1972 gleich. Damals söhnten sich die Mit dieser Herrschaftspolitik in USA mit China aus, um ihre Kräfte auf die posthegemonialen Zeiten steht Trump Vernichtung der Sowjetunion zu konzen- jedoch nicht allein. In umgekehrter Rich- trieren, die unter US-Präsident Ronald tung profilieren sich auch Politiker*innen Reagan schließlich mit dem von ihm in Deutschland und Westeuropa auf forcierten Rüstungswettlauf ›totgerüstet‹ Kosten von Trump und den USA und ver- wurden. sichern sich und ihren Wähler*innen die Seine aggressive Haltung gegenüber eigene moralische Überlegenheit. Damit China jedenfalls kann Trump zweifellos soll wohl darüber hinwegtäuscht werden, gut und glaubwürdig vertreten. Dabei wie schal das Gerede von den ›westlichen ist sie auch ein nützliches Herrschafts- Werten‹ angesichts der sozialen Zerstörun-

14 Die Welt unter Donald Trump gen der Austeritätspolitik in Südeuropa, der Unabhängigkeit der Zentralbanken (von der NATO-Kriegspolitik oder der mörde- demokratischer Kontrolle). 2 So war Außenminister Rex Tillerson von 2006 rischen Grenzpolitik der EU, inklusive bis 2016 Geschäftsführer des Erdölkonzerns des EU-Türkei-Deals gegen aus Syrien ExxonMobil, während auch Trumps Energiemi- nister Rick Perry, früher Gouverneur von Texas, geflohene Menschen, geworden ist. engste Kontakte zur Erdöl- und Gasindustrie In der Tat scheint es eben ein gängi- unterhält. Er gehört seit 2015 dem Vorstand von ges Mittel der Politik geworden zu sein, Energy Transfer Partners, einem der größten Kapitalanleger in den USA, an. Dem Konzern mithilfe scharfer ›populistischer‹ Kritik gehört u.a. die Dakota Access Pipeline, deren an anderen Staaten und ausländischen legislative und politisch-polizeiliche Durchset- Politiker*innen die eigene Position zu zung im Januar 2017 gegen den Widerstand von Ureinwohner*innen und Umweltschützer*innen stärken, während man zugleich – jenseits zu den ersten Amtshandlungen von Trumps der eigenen Rhetorik und jenseits der Regierung zählte. Trump verfügte zudem mit ver- Aufmerksamkeit der Journalist*innen und schiedenen Exekutivanordnungen die Rücknahme von Auflagen zum Schutz von sensiblen Wasser- der in ständiger Empörung verharrenden schutzzonen, die der Öl- und Gasförderung sowie sozialen Massenmedien – politics und das der Verklappung von Energieindustrieabfällen in Flüssen und im Grundwasser im Weg standen. heißt vor allem business as usual betreibt. 3 Vgl. www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/ Trump, Merkel, Erdoğan, Kaczynski und pdf/pdf_2017_06/20170629_170629-pr2017-111- die britischen Konservativen, die allesamt en.pdf. 4 Der Durchschnitt der aggregierten Werte aller gegen die EU gewettert haben, sind sich wichtigen Umfrageinstitute zwischen 17. Juni hierbei ähnlicher, als sie glauben. und 16. August 2017 liegt laut RealClearPolitics Ein gefährliches Vabanquespiel bleibt bei 39 Prozent Zustimmung und 55,6 Prozent Ablehnung. Kein Präsident zuvor lag so frühzeitig diese Praxis indes dennoch. Der ›Brexit- unter der 40-Prozent-Marke. Unfall‹ der britischen Tories zeigt, wie man 5 Nach Angaben einer Studie der Wirtschafts- sich auf diese Weise populistisch verzocken wissenschaftler Emmanuel Saez und Gabriel Zucman konnten die obersten 0,1 Prozent ihren kann. Und beim Brexit waren im Gegen- Anteil am US-Gesamtvermögen auch während satz zur laufenden, globalen Militarisie- Obamas erster Amtsperiode nochmals von 19 rung nicht einmal Waffen im Spiel, die aus auf 22 Prozent steigern, während der Anteil der untersten 90 Prozent der US-Bevölkerung einem Krieg der Worte auch schnell einen unter Obama einen nochmaligen Rückgang des Krieg der Waffen machen können. eigenen Anteils von 25 auf 23 Prozent erlebte (vgl. dies., »Wealth Inequality in the United States since 1913: Evidence from Capitalized Income Tax Data«, National Bureau of Economic Research Working Paper No. 20625 (October 2014). 6 Vgl. hierzu näher Solty, Ingar: Exportwelt- 1 Die Vordenker dieser systematischen Ent- meister in Fluchtursachen: Die neue deutsche politisierung der (politischen) Ökonomie waren Außenpolitik, die Krise und linke Alternativen, Friedrich August Hayek, James Buchanan sowie hg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Reihe Milton Friedman. Ihre seit den 1940er Jahren Studien, Berlin 2016, www.rosalux.de/fileadmin/ entwickelten Ideen wurden in den 1970er Jahren rls_uploads/pdfs/Studien/Studie_05-2016_Ex- zunehmend umgesetzt, etwa mit der Erklärung portweltmeister.pdf.

Ingar Solty 15 Strongmen, politische Krieger und Empire Wo sie zusammenkommen, wird es kompliziert und heftig

Rainer Rilling

Chaos? machen sie erst so richtig deutlich. Diese »Chaos«, so erinnert in »Games of Ausgangslage hat dazu geführt, dass ein Thrones« der intrigante Petyr ›Littlefinger‹ Großteil der medialen Öffentlichkeit seit Baelish den sanftlippigen Strategen Lord nunmehr über einem Jahr sich immer Varys, »ist keine Grube. Chaos ist eine neu an Skandalen, Fehltritten, Ahnungs- Leiter.« Ob diese politische Weisheit auf losigkeiten oder ungehörigem politischen die Causa Trump zutrifft, ist immer noch Design der privaten Lebensweise der offen. Sicher, der Weg eines bombastischen neuen Administration und ihres familiären Superreichen mit ein paar geschäftlichen Spitzenpersonals abarbeitet, die Staatsap- Erfahrungen auf dem politischen Feld parate als Privatunternehmen behandeln. (»Deal«) zum Teilzeitberuf eines strongman Die Chaosmomente der US-Regie- und politischen Autokraten hat offenbar rung haben jedoch weniger mit fehlendem aus dem Blickwinkel des Liberalismus der politischem Knowhow einer Person, seiner Clintons und Obamas allerlei Strapazen Familie und Koterie oder wechselseitigen mit sich gebracht, die sich zu unbere- Anpassungsproblemen zwischen dem chenbaren Disruptionen, Unordnung Outsider Trump und der tief zerklüfteten und Chaos ausweiten könnten. Trumps republikanischen Partei zu tun. Eher narzisstisch-pharaonischer Habitus schon geht es um eine strategische und sein großspurig-einschüchternder Politik der Furcht durch Verunsicherung. Sprachduktus (»Ich bin die größte Person Sicherheit ist ein mächtiger politischer der Welt«) überspielen solche Mängel eines Hochwertbegriff. Präsidiale Selbstinszenie- politischen Frischlings nicht, sondern rung in der Rolle eines ständig bemühten

16 Strongmen, politische Krieger und Empire Retters in der Not wäre dann eine vielver- zahllos, die knappe Formulierung von sprechende Methode, Chaos als politische John Ikenberry (Princeton) vom 1. Februar Leiter zu nutzen. Im Kern geht es aber um des Jahres mag genügen: »Trump ist ein einen grundlegenden Richtungskonflikt in Feind des liberalen Internationalismus. den politischen Milieus der herrschenden Wenn er die Oberhand erlangt, wird dieser Klasse der USA: Für die Demokraten ist verlieren« (Ikenberry 2017). Das außen- Trump ein Albtraum, denn sein Wahlsieg politische Establishment witterte einen signalisierte die Möglichkeit einer radikal Angriff auf ihre Transmissionsfunktion, rechten und womöglich längerfristig das Selbstverständnis, die Interessen machtfähigen Regierungsalternative zu ih- und die Weltsichten der ökonomischen rer »Globalstrategie« (grand strategy) einer und finanziellen US-Eliten. Es machte neoliberal fundierten, imperialen Außen-, daher fast in Gänze Front gegen Trumps Sicherheits-, Militär- und Wirtschafts- »America First« und »Fortress America«- politik. Sie interpretierten daher diese Losungen des ökonomischen Nationalis- alternativen Positionen auch als einen mus und Protektionismus, der Absagen an ernstzunehmenden Frontalangriff auf Multilateralismus und Internationalismus die eng mit der Konzern- und Finanzelite und ihre Institutionen, des Schwenks verbundenen und von ihnen dominierte zur auf die USA bezogenen Aufrüstungs- außenpolitische Elite der USA. und Militärpolitik, der Unterstützung Deren Sicht auf die Rolle der USA gleichgesinnter autoritärer rechtsnationa- im Weltsystem lässt sich seit über sieben listischer Strömungen und Regime und Jahrzehnten in vier Punkten zusammen- der Absage an progressive bürger- und fassen: das Primat der USA als Manager, menschenrechtspolitische Positionen. Das Koordinator und Supervisor des weltweiten alles empfand und kommunizierte sie als Kapitalismus, die Imperative des Natio- Destabilisierung, Turbulenz, Unsicherheit, nalen Sicherheitsstaats (armed liberalism), Irregularität, Anarchie. Liberale Ideologie und transnationaler Nicht Chaos, sondern von unter- »Freihandel« (»offene Ökonomie«) als schiedlichen, elitenbasierten Grundorien- geopolitischer Expansionsmodus eines tierungen getriebene strategische Konflikte informellen American Empire, welches sind es also, die die tatsächlich globalen eher durch statt über Staaten und Völker Wellen der Unsicherheit und Desorientie- herrscht. Schon seit Frühjahr 2016 hat rung auslösen und welche jede Einschät- diese Elite die Positionen Trumps als zung kommender Entwicklungen extrem gefährliche Demontage ihrer Strategie erschweren. Diese Unsicherheit reflektiert und Politik des »liberalen Internationa- aber auch das Scheitern des triumphalis- lismus« verstanden und bekämpft. Die tischen Furors der radikalen Kerngruppe zunehmend entsetzten Äußerungen sind der neuen Regierung, alles auf einmal zu

Rainer Rilling 17 tun, um möglichst rasch eine ruckartige Budgetvarianten cancelten Dutzende Verschiebung im rechten Machtblock einschlägiger Programme und sozialpoli- der USA durchzusetzen: die liberalen tischer Projekte – eine Austeritätspolitik, Schlüsselmedien zu bekämpfen, Gerichte welche auch einen Teil der weißen zu blockieren, die politischen Verwaltun- Wählerbasis der Republikaner trifft. Die gen umzubauen, Widerspenstigkeiten des ›Ausstrahlungskraft‹ dieser ohnehin tiefen Staats auszuhebeln, die unerwartet stark umkämpften und häufig deutlich heftige Bewegungsopposition zu zerstö- delegitimierenden Aktivitäten erschwerte ren, das Entsetzen, die Spaltungen und es Trump, die zentralen Projekte frontal die politische Schwäche der Demokraten durchzusetzen und die politische Führung auszunutzen, ihr eigenes Elektorat zu der neuen Administration zu konsoli- betreuen um einen exorbitanten Legiti- dieren. Beides scheiterte. Begleitet von mationsverlust aufzuhalten – und sich andauernden Blockaden, grotesken Perso- dann auch noch die propagierten äußeren nalrochaden und politischer Handlungs- Hauptfeinde oder -kontrahenten (Iran, unfähigkeit zerbrach bis Mitte August 2017 Nordkorea, China, Mexiko, die EU usw.) stückweise der anfangs gebildete innere vorzunehmen. Zahllose global ausstrah- Zirkel der Administration. Eine mächtige lende Unsicherheiten, Durchstechereien, und übrigens kriegserfahrene Truppe von Leaks, Revisionen, Umbauten, Konflikte Generälen übernahm Schlüsselpositionen und Kriegshandlungen wie der Abwurf der in der Administration. Kurz darauf kam »Mutter aller Bomben« waren die Folge. Charlotteville und Repräsentanten nicht nur der liberal-libertären IT-Industrie, Einhegung sondern auch von Konzernen wie Merck, Primär wirksam ist die Politik der Regie- Under Armour, Intel, Pepsi, G.E., IBM, rung Trump in der Innenpolitik, wo sich BlackRock, Wal-Mart, JPMorgan oder mittlerweile auch zahlreiche Beispiele aus Walt Disney schieden aus dem Strategic der Arbeits-, Sozial-, Bildungs-, Gesund- and Policy Forum als prominentestem heits-, Umwelt- und Rechtspolitik finden industriellen Beratungsgremium der Ad- lassen, die weit über bloße Revisionen der ministration und zwei weiteren Business- Obama-Politik hinausgehen. Mittlerweile Gremien aus. Was sollen, so werden sich wurden Hunderte von Regulierungen und da manche gefragt haben, Repräsentanten Verwaltungsakten umgeschrieben oder der weltgrößten Unternehmen mit einem blockiert, das Überschreiten der Grenzen präsidialen Dienstleister anfangen, der massiv erschwert, Dutzende von hohen Nazis deckt und nach sieben Monaten lebenslangen Positionen im Gerichtswesen Amtszeit kein einziges strategisches besetzt, LGBT-Rechte eingeschränkt etc. Schlüsselprojekt realisieren konnte? Offen- Die in den im Juli und August vorgelegten bar ist eine ungewöhnlich sichtbare und

18 Strongmen, politische Krieger und Empire weit über die IT-Industrie hinausreichende Mike Maguire/flickr Gruppe auf eine gewisse Distanz zu Trump gegangen, der freilich weiterhin auf wohl haben. Unwahrscheinlich ist, dass dieser gut ein Dutzend Milliardäre aus den Sektor den bislang nicht zu erkennenden Finanz-, Chemie, Auto-, Immobilien- und Übergang zu einer protektionistischen Energiebranchen (darunter als wichtigste Handels- und Wirtschaftspolitik unterstüt- den von Forbes bei 100 Mrd. US-Dollar zen würde. Mit dem Abgang von Bannon Vermögen taxierten Koch-Brothers) zählen als Führungsperson der politischen Krieger kann und eine Reihe von Positionen mit des rassistisch-rechtsnationalistischen ihnen und Wallstreet-Insidern besetzt Flügels sind daher die Richtungskämpfe hat. Es sind nicht randständige, sondern innerhalb des Staatsapparats und die po- den Mainstream der ökonomischen Elite litische Führungskrise nicht beendet. Die der USA repräsentierende Kapital- und Prozesse deutlicher Entmachtung Trumps Personengruppen, die in die regierende durch Einhegung, Verregelung, Blockaden Rechte der Republikaner (von Reagan und Umgehung sind zuweilen auch beglei- über die Bushs bis zu Trump) ›politisch tet von Sirenenklängen über eine »bessere investieren‹, wie die Wahlanalysen von nationalistische große Gesamtstrategie […], Thomas Ferguson et al. (2016) gezeigt die einen wohlwollenden und konstrukti-

Rainer Rilling 19 ven Nationalismus repräsentieren könnte – namkrieg getriebene und zwei Jahrzehnte im Kern einen Internationalismus mit später dann mit Reagan erstmals mitre- einem nationalistischen Akzent.« (Brand gierenden Strömung einer neuen Rechten 2017, 74) Die Frage bleibt, um welche eine mächtige, hegemonie- und regierungs- politischen Verschiebungen es sich in der fähige rechtsimperiale Richtung konstituiert, aktuellen Machtallianz mittlerweile handelt die in der neuen Zeit des postfordistischen und wie sie einzuordnen sind. Neoliberalismus die Rolle der starken Politik gegen die Entgrenzungsdynamik Politische Krieger der Märkte übernahm. Das war vor allem Um welche Verschiebung geht es hier? die Zeit des Aufstiegs einer Generation der Hat sie eine Geschichte? Wann beginnt »politischen Krieger« (Corey Robin) in dem sie? War es 1915, als erstmals ein US- Vierteljahrhundert von Reagan bis zu den Präsident (Woodrow Wilson) von »America Bush-Präsidentschaften und -kriegen, also First« sprach? Waren es die Anti-New Rumsfeld, Cheney, Powell, Rice, Wolfowitz Deal- oder pro-Nazi-Strömungen des US- oder Perle. Für sie gab es keinen Zweifel Medienmoguls William Randolph Hearst, an der weltpolitischen und historischen des Antisemiten Henry Ford oder des Stärke der USA. Sie erlebten die Wende zu Faschisten Charles Lindbergh, die sich in den 90er Jahren als den größten Triumph den 30er und 40er Jahren gegen Roosevelt in der US-Geschichte: den Sieg im Kalten diese Parole zu eigen machten? Oder die Krieg über den Systemfeind. Weit und breit Paläokonservativen wie Pat Buchanan oder kein Niedergang der Supermacht. Nichts William F. Buckley in den 50ern? War es die schien ihnen am Ende unmöglich – auch Mobilisierung des konservativ-rechtslibertä- nicht ein ewig dauerndes globales Ame- ren Republikaners Barry Goldwater in den rican Empire, über das im Jahrzehnt vor 60ern (auf dessen Senatssitz John McCain und nach 9/11 schon zehntausende Texte folgte)? Oder war ihr Beginn die langsame, publiziert worden waren. sich aber kontinuierlich ausbildende politi- Für ihr Kerngeschäft – die Kriegsfüh- sche Polarisierung des Parteiensystems und rung – entwickelten diese political warriors Elektorats seit den 70ern, die ihren ersten eine Doktrin und Politik des räumlich wie Höhepunkt in den 80ern mit der Amtszeit zeitlich entgrenzten Krieges. Sie machten Ronald Reagans hatte und dann unter der die Option präventiver Kriegsführung stark Dynastie Bush fortgesetzt wurde? Steht also und sie erhoben einen Anspruch der USA das »Trump-Event« in einer historischen auf alleinige Souveränität zur Setzung Tradition der politischen Rechten in den unilateraler und universell gültiger Regeln USA – und darüber hinaus? mitsamt dem Recht auf Intervention. Die Tatsächlich hat sich erst mit der in den Norm der formalen souveränen Gleichheit 60er Jahren neu entstandenen, vom Viet- von Staaten wurde von dieser politischen

20 Strongmen, politische Krieger und Empire Rechten immer deutlicher zurückgewiesen Gavin Anderson/flickr und die Selbstbindung der USA an das Völ- kerrecht relativiert. Dieses souveränistische ausgehenden imperialen Macht konkur- Projekt rief die zivilreligiöse Moralideologie rieren könnte. Die »große Strategie« einer des nationalistischen US-amerikanischen souveränistischen, interventionistischen Exzeptionalismus an (G. W. Bush: Amerika und entgrenzten Weltordnungspolitik im sei »auserwählt von Gott und beauftragt Zeichen des American Empire sollte dies von der Geschichte, ein Modell für die ermöglichen. Richtungspolitisch stehen Welt zu sein«.) und betrieb die Abwertung die Trump-Kampagne und -Präsidentschaft und Destabilisierung trans- und internati- in der Tradition dieser rechtsimperialen onaler Regime – ob UNO, NATO oder die Politik, spitzten sie jedoch nationalistisch Rüstungskontrollregimes der 70er Jahre. zu und rückten die Frage nach den Inter- Im Hintergrund stand dabei der seit dem essen des kapitalistischen Gesamtsystems Zusammenbruch des Staatssozialismus in den Hintergrund, also die Frage nach dominierende strategische Gedanke, auf dem Empire. Diese Dimension verschwin- diese Weise bereits die Entstehung eines det hinter der Nationalstaatsrhetorik von Hegemonen verhindern zu können, »America First«. Es sind Imperien, die im der mit den USA und mit der von ihr Unterschied zu anderen Akteuren immer

Rainer Rilling 21 einen eigenen Bezug zu dem haben, was in Japan und Südkorea wie auch die han- »Welt« ist. Nur bei ihnen geht es substan- dels- und außerwirtschaftlichen Aktivitäten ziell um Weltordnung – »Empires are in mit Fokus China massiv aus. Die zentrale the business of producing world order« Zielsetzung seiner Politik, mit einer politi- (Maier 2002). »Welt« selbst nun ist natür- schen Mixtur aus frühzeitiger Intervention, lich ein historisches Konstrukt und fällt Containment und »Penetration« (Samuel erst seit dem letzten Jahrhundert mit der Huntington) eine Einbindung der imperial Realdimension des »Planeten« zusammen. agierenden Hegemonialkonkurrenten Zur Bestimmung des Imperialen gehört Russland und China in den amerikanisch also nicht nur eine economics of scale der geführten Globalkapitalismus substanziell Ressourcenmobilisierung, sondern auch voranzutreiben und langfristig abzusichern, die Absicht und die wirkliche Fähigkeit zur verfehlte er jedoch. Welt-Ordnung, also ein Transformations- anspruch, der auf eine neue Geographie Strongmen des Globalen zielt und nicht in der Dimen- Mit dem ökonomischen Aufstieg der asiati- sion großer Territorialstaaten verbleibt. Die schen Mächte und insbesondere Chinas Fähigkeit, Weltordnung zu bilden und zu und dem damit verbundenen relativen organisieren ist die Potenz, welche Imperi- Niedergang der ökonomischen Macht der en von anderen Ordnungen unterscheidet. USA und ihrer sozialen Krisen sowie der Die Spieler in diesem exklusiven Geschäft Etablierung einer globalen, autoritären, der Produktion von Weltordnung lassen illiberalen, nationalistischen und politisch sich unschwer an einer Hand abzählen. immer stärker rechts positionierten Ge- Wo sie zusammenkommen, wird es genbewegung zeigt sich somit gegenwärtig kompliziert und heftig. eine doppelte Krise des liberal-imperialen Auch bei der Obama-Präsidentschaft Politikmodells. Die Figuren dieser Ge- ging es darum. Sie war zwar vor allem mit genbewegung sind etwa die Al Sisi in der Bereinigung der tiefen Krise des neo- Ägypten, Modi in Indien, Erdogan in der liberalen Kapitalismus 2007–2011 befasst, Türkei, Orbán in Ungarn, Duterte in den setzte aber die Politik der militärisch- Philippinen, Putin in Russland, Temer in diplomatischen Expansion ihrer Vorläufer Brasilien, May in England, Macri in Ar- fort: Ausweitung und Konsolidierung der gentinien, Kaczynski in Polen, Berlusconi Präsenz des »Westens« gegenüber Russ- und Grillo in Italien, Wilders in Holland, land, von Bush übernahm Obama 2008 Hofer oder Stronach in Österreich, Blocher vier Kriege und am Ende seiner Amtszeit in der Schweiz, Le Pen in Frankreich. Und waren drei weitere hinzugekommen. Trump. Sicherlich sind Personen und Zugleich dehnte er die US-amerikanischen Konstellationen sehr unterschiedlich, doch Seestreitkräfte und Bodenpräsenz vor allem sie verbindet vier Merkmale:

22 Strongmen, politische Krieger und Empire ppdie großen homogenisierenden aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhun- Erzählungen des Nationalismus und/ derts zurück. Sie sind global präsent, doch oder Völkischen, die vielfach rassistisch sie haben sich nicht zu bestandsfähigen und oft religiös fundiert sind, immer aber gemeinsamen politisch-institutionellen Ausgrenzungen gegenüber dem Anderen, und organisatorischen Verbindungen dem Fremden und dem Außen ziehen. verdichtet. Ein solches stabiles Gerüst wäre Ein politisch-ideologischer und kultureller für den Aufbau einer anderen politischen gated capitalism. Weltordnung notwendig. Über deren ppDie marktradikalen oder etatistisch- Struktur und Bewegungsformen lässt sich autoritären, häufig staatskapitalistisch aktuell nur spekulieren. Weltordnungskon- grundierten Varianten des Neoliberalismus. flikte, das scheint freilich sicher, führen ppEin populistisches Spitzenpersonal, die Skala der Konflikte an. das sich nicht nur aus tough guys, sondern aus strongmen, starken Männern, zusam- Literatur mensetzt, die meinen weder Wahlen noch Brands, Hal, 2017: U.S. Grand Strategy in an demokratische Institutionen zu brauchen, Age of Nationalism: Fortress America and its Alternatives, in: The Washington Quarterly denn sie wissen was das Volk will und 1/2017,73–94, twq.elliott.gwu.edu/sites/ inszenieren sich als seine unmittelbare twq.elliott.gwu.edu/files/downloads/TWQ_ Spring2017_Brands.pdf Stimme – und sie lieben die Welten der Ferguson, Thomas/Jorgensen, Paul/Chen/Jie, Plutokratie. 2016: How Money Drives US Congressio- ppDie Zielsetzung der Zerstörung der nal Elections, Institute for New Economic Thinking, Working Paper Nr.48, 1.8.2016, verschiedensten politischen (nicht aber der www.ineteconomics.org/uploads/papers/ wirtschaftlichen!) rechtsstaatlichen und WP_48_Ferguson_et_al.pdf demokratischen Elemente des Liberalis- Huntington, Samuel P.,1973: Transnational Orga- nizations in World Politics, in: World Politics mus und jeglicher linker Strömungen. 3/1973, 344 Je nach Zuschnitt mobilisieren sie Ikenberry, John, 2017: The Crisis of Democracy zugleich zum Hass gegen politische Eliten, and Liberal Internationalism (Tokio 1.2.2017), www.u-tokyo.ac.jp/en/news/topics/topics_ spielen auf den Registern des Rassismus, z0313_00012.html des weißen Suprematismus, der Fremden- Maier, Charles S., 2002: An American Empire? In: Harvard Magazine 6/2002, harvardmaga- feindlichkeit, der Bigotterie, des Antifemi- zine.com/2002/11/an-american-empire.html nismus, der Gewalt, Ungleichheit und der Pitzke, Marc, 2004: Der Siegeszug der Puritaner, Missachtung des Rechts. Die politischen in: Spiegel Online, 4.11.2004 www.spiegel.de/ politik/ausland/wahl-analyse-der-siegeszug- Formierungen dieser Figurationen sind der-puritaner-a-326341.html zwar aus vier Jahrzehnten Entwicklungsdy- Rilling, Rainer, 2008: Risse im Empire, Berlin, namik des neoliberalen Kapitalismus ent- www.rainer-rilling.de/texte/texte_50.pdf Robin, Corey, 2004: Endgame. Conservatives af- standen, sie griffen aber in hohem Maße ter the Cold War, in: Boston Review 2/2004, auf ideologische und kulturelle Bestände bostonreview.net/archives/BR29.1/robin.html

Rainer Rilling 23 USA vs. China internationale Politik als Nullsummenspiel?

Jan Turowski

Auch nach einem knappen Jahr im Amt Beziehungen mit China betrachte (Gray/ ist eine ansatzweise kohärente außenpo- Navarro 2016). litische Strategie unter Präsident Donald Von dieser Position ist der gegenwär- Trump nicht erkennbar. Dies gilt auch und tige US-Präsident bereits wieder abgerückt. in erster Linie in Bezug auf die China- Nachdem er im Wahlkampf China noch Politik der USA. Im Präsidentschafts- ganz allgemein verteufelt hatte, sprach wahlkampf hatte Trump China vor allem er nach seiner Zusammenkunft mit dem hinsichtlich dessen Wirtschaftspolitik chinesischen Präsidenten Xí Jìnpíng von kritisiert: Weil China seine Währung einem »großartigem Treffen«. manipuliere, Handelsregeln breche und Seitdem schwankt Trumps außenpoli- Arbeits- sowie Umweltstandards unterlau- tische Rhetorik zwischen Interventionismus fe, zerstöre es Arbeitsplätze in den USA. In und Isolationismus, irritiert er mit errati- einer seiner Reden tönte er: »Wir können schen Aussagen gleichermaßen Verbündete es China nicht erlauben, unser Land zu wie Rivalen und sorgt mit seiner Unbere- vergewaltigen, denn das ist es, was sie chenbarkeit in der asiatisch-pazifischen tun!« (zit. nach Diamond 2016; Übers. Region für allgemeine Unsicherheit. J.T.). Und im Dezember 2016 – das heißt Angesichts mehrerer dort verlaufender noch vor seinem Amtsantritt – erklärte Konfliktlinien kann das unter Umständen Trump nach einem Anruf der taiwanesi- gefährlich zur Eskalation vor Ort beitragen. schen Präsidentin Cài Yīngwén, dass er die Nun lassen sich zwar durchaus »Ein-China-Politik«1 als Verhandlungsmas- Grundlinien der außenpolitischen se für die Neuverhandlung wirtschaftlicher »America-first-Strategie« identifizieren,

24 USA vs. China wie etwa wirtschaftlicher Nationalismus, tischen Vorstellungen im doppelten Sinne größtmögliche Sicherung und Abschottung zu kontextualisieren: Zum einen müssen des US-amerikanischen Territoriums, seine außenpolitischen Policy-Positionen im militärische Stärke und ein »amoralischer Kontext US-amerikanischer geopolitischer Transaktionalismus«2 in den Beziehungen China-Diskurse der letzten Jahre betrachtet zu anderen Ländern. Es ist jedoch weiter- werden. Zum anderen müssen das »Phäno- hin völlig offen, wie sich dies alles konkret men Trump« selbst und die Tatsache, dass in eine US-amerikanische Chinapolitik er als populistischer Außenseiter das Präsi- übersetzen lässt. dentenamt erringen konnte, im Kontext der Und so spekulieren Experten auf der Krise des politischen Systems der USA in ganzen Welt darüber, ob und inwieweit den Blick genommen werden. der derzeitige US-Präsident eine Abkehr von Barack Obamas Asienpolitik der Unterschiedliche sicherheits- letzten Jahre einleiten wird. Doch obschon politische Vorstellungen sich Trumps ungelenke und provokante Die USA und China haben höchst unter- Äußerungen in Richtung China sowie schiedliche Vorstellungen darüber, mit sein schlichtes Null-Summen-Denken in welchen Mitteln Wohlstand und Sicherheit internationalen Beziehungen von den in- sowohl im asiatisch-pazifischen Raum als ternationalen Auftritten Obamas markant auch global geschaffen werden können. unterscheiden, so liegt die Substanz seiner In der Asien-Pazifik-Region besitzen die Forderungen weit weniger außerhalb des USA seit 70 Jahren eine unangefochtene Mainstreams US-amerikanischer Debat- Dominanzposition und betrachten diese ten, als manche europäischen Beobachter ebenso wie ihre nach dem Zweiten Welt- zu glauben meinen oder hoffen. Trumps krieg geschaffenen Verteidigungsallianzen geostrategische Orientierung für die mit Japan, Südkorea und Australien als Asien-Pazifik-Region ist allenfalls eine unverzichtbar für ihre Vorherrschaft in der schrill überzeichnete und populistische Region und in der Welt. Die US-Dominanz Karikatur dessen, was auch in strategi- bedeutet konkret, dass die USA ihre mari- schen Sicherheitskreisen und konserva- time Macht bis zur 12-Seemeilen-Grenze tiven Thinktanks der USA seit Längerem jeder Nation, einschließlich der Chinas, diskutiert wird und was zu großen Teilen im Asien-Pazifik-Raum uneingeschränkt auch die Außenpolitik der USA unter Ob- ausüben können. ama und seiner Außenministerin Hillary China hat diese Situation jedoch nie Clinton war. Die Linie ist geblieben. akzeptiert. Die chinesische Regierung Um die Chinapolitik der neuen ist überzeugt, dass es in der Region eine Regierung einzuordnen, scheint es darum Machtbalance geben müsse, die einerseits notwendig, Trump bzw. seine außenpoli- auch den chinesischen Sicherheitsbedürf-

Jan Turowski 25 nissen Rechnung trage und anderseits die rung hat China heute mehr Ressourcen und ökonomische Entwicklung Chinas und der mehr Interessen im Ausland und erhebt Region insgesamt befördere. Es könne aus zunehmend selbstbewusst den Anspruch, chinesischer Sicht nicht sein, dass die USA diese Ressourcen auch zur Durchsetzung Sicherheit für ihre Verbündeten lautstark der eigenen Interessen einzusetzen. garantierten, legitime Sicherheitsinteressen So hat China seit dem Beginn seines der Länder außerhalb ihrer Allianz aber weltwirtschaftlichen Aufstiegs ganz auf eine unberücksichtigt blieben. Die USA sind so nichtmilitärische Außenpolitik und eine gesehen kein neutraler Vermittler, Schieds- ausgeprägte Außenwirtschaftsdiplomatie richter oder unbefangene Ordnungsmacht, gesetzt. Chinas Kurs zeigt sich in einer so wie sie ihre Rolle im pazifischen Raum Mischung aus eigenen Initiativen (Aufbau oft selbst darstellen. Tatsächlich sind sie neuer internationaler oder regionaler eine interessengeleitete Partei in Asien, Institutionen wie die Asia Infrastructure die eher zusätzliche Spannungen erzeugt, Investment Bank oder die »One Belt, One anstatt zur Stabilität beizutragen. Die chine- Road«-Initiative) und einem größeren sische Forderung war seit jeher, dass Asien Gestaltungsanspruch in bestehenden Foren eine umfassende Sicherheitsarchitektur (etwa der G20). Hatte die chinesische Regie- benötige, die auf den Sicherheitsinteressen rung sich in der Vergangenheit außenpoli- aller Länder gleichermaßen gründet. tisch zurückgehalten, so ist sie nun immer Die US-amerikanische Dominanz weniger gewillt, die US-amerikanische in der Asien-Pazifik-Region wie auch Vorherrschaft in der Asien-Pazifik-Region die chinesische Kritik daran sind kein zu akzeptieren. Sie fordert immer massiver, neues Phänomen. Die beiden Länder sind die von den USA angeführte regionale und diesbezüglich allerdings bisher nie ernsthaft globale Ordnung grundlegend zu transfor- in Konflikt miteinander geraten. Dies vor mieren, weil sie überzeugt ist, dass diese allem deshalb nicht, weil China lange Zeit US-Dominanz langfristig keine Sicherheit weder über die politischen, ökonomischen für China und die Region garantiert. und militärischen Kapazitäten verfügte noch die Motivation besaß, die US-ameri- USA und China: eine nervöse und kanische Vorherrschaft vor seiner Haustür eine aufsteigende Supermacht? ernsthaft herauszufordern. Der Aufstieg Chinas hat in den USA Die Situation hat sich jedoch in den bereits in den 1990er Jahren eine außen- letzten Jahren grundlegend geändert. politische Diskussion ausgelöst, die zwar China ist in historisch einzigartig kurzer wesentlich in strategischen Sicherheits- Zeit zur größten Volkswirtschaft der Welt zirkeln und Thinktanks geführt wurde, aufgestiegen. Eingebettet in diese wie auch aber auch immer wieder in die breitere getrieben von der neoliberalen Globalisie- Öffentlichkeit schwappte: Es geht um den

26 USA vs. China unausweichlichen Konflikt zwischen der wurde, war eine krude, oft widersprüchliche dominanten und der aufstrebenden Macht. Mischung aus der konservativ-militärischen Diese Debatte gründet auf dem Argument, und der liberal-wirtschaftlichen Variante. dass die USA als dominante Macht sich Ihre Vertreter betrachten jeden politischen, dem Aufstieg Chinas erwehren müssten, wirtschaftlichen oder sonstigen Erfolg während sich China als aufstrebende Macht Chinas als Zeichen der Schwäche und des zur Geltung bringen müsse. Diese Debatte nahenden Niedergangs der USA. Diese gründet auf theoretisch sehr schwammigen Variante hatte keine klare außenpolitische wie auch historisch fragwürdigen Grund- Strategie und war vor allem innenpolitisch annahmen darüber, was Großmächte zu motiviert: Die Obama-Regierung sei nicht tun oder zu lassen haben. So gibt es keinen fähig oder willens, die vitalen Interessen Grund anzunehmen, dass Großmächte der USA zu verteidigen. China bot eine – aufstrebende ebenso wie Status-quo- willkommene Projektionsfläche für polemi- Mächte – um jeden Preis »Hard-Power-Do- schen Attacken gegen das liberale Amerika, minanz« anstreben müssen. Und speziell das moralisch dekadent, politisch schwäch- für China liefert die Geschichte keinerlei lich und ökonomisch überreguliert sei Basis für diese Art Argumente. Dennoch und deswegen dem Aufstieg Chinas nichts bildet diese Konzeption konkurrierender entgegenzusetzen habe. Diese populistische Mächte eine wesentliche Grundlage für Variante, die in den strategischen China- außenpolitische Strategien der USA. Debatten als Unterton stets mitschwang, ist In all den Jahren hatte die Debatte mit Trump nun an die Oberfläche gespült in den USA über »aufstrebende und worden. Ihre argumentative Stoßrichtung dominante Mächte« dabei stets sich ist nach wie vor innenpolitisch auf ein überlagernde Varianten: eine konservativ- höchst polarisiertes Wahlvolk ausgerichtet. militärische Variante, die eine Einhegung Chinas über den Ausbau militärischer »Pivot to Asia« Präsenz und Militärbündnisse mit alten Obgleich weit differenzierter und strate- und vor allem auch neuen Partnern in der gisch ausgereifter, gründete auch Präsident Region zu bewerkstelligen suchte, eine Barack Obamas Asienpolitik im Kern auf liberal-wirtschaftliche Variante, die über dem Konzept der aufstrebenden und der Handelsverträge, den zunehmenden Ein- dominanten Großmacht. Obama hatte 2012 fluss Chinas zurückzudrängen versuchte, seine Außenpolitik unter das Label »Pivot und eben eine »populistische« Variante. to Asia« (Hinwendung nach Asien) gestellt Die populistische Variante, die vor und später von »Rebalancing« gesprochen. allem von konservativen Thinktanks und Diese außenpolitische Neuaustarierung Meinungsmedien wie etwa Fox News oder hatte zum Ziel, dass die USA dominierende das Breitbart News Network befürwortet Macht in Asien bleiben und Chinas weiterer

Jan Turowski 27 Aufstieg in einem Rahmen erfolgt, der von müsste. Wohl auch zur Recht, denn zur Un- Washington, nicht von Peking bestimmt terzeichnung des TPP-Abkommens sagte wird. Bei einem Staatsbesuch in Australien Obama 2016 selbst: »TPP allows America – sagte Obama 2014: »American leadership and not countries like China – to write the in the Asia Pacific will always be a funda- rules of the road in the 21 st century« (White mental focus of my foreign policy« (White House Office of the Press Secretary 2015). House Office of the Press Secretary 2015). Die Neuausrichtung integrierte Chinesischer Eigensinn gleichermaßen konservativ-militärische als Der Diskurs »aufstrebende gegen domi- auch liberal-wirtschaftliche Ansätze und nante Macht« und die daraus abgeleitete übersetzte sie in konkrete Maßnahmen Politik der Eindämmung Chinas sind der Eindämmung Chinas. Die Präsenz zudem von der Enttäuschung darüber ge- der US-Marine im Pazifik wurde verstärkt, prägt, dass dieses Land auf seinen eigenen 2 800 US-Marines wurden im australischen Pfad der Entwicklung beharrt. Noch in Darwin stationiert, der Ausbau bestehender den 1990er Jahren war die vorherrschende Allianzen sowie einige neue Militärab- Meinung von der Vorstellung getragen, kommen vorangetrieben. »Die Vereinigten dass Chinas Einbettung in eine liberale Staaten müssen die machtpolitischen Weltordnung das Land unweigerlich Fähigkeiten ihrer Freunde und Verbündeten in Richtung Marktkapitalismus und an Chinas Peripherie ausbauen« (Blackwill/ bürgerlicher Parlamentarismus führen Tellis 2015: 27f.). Darüber hinaus verhan- werde. Wirtschaftsreformen würden China delten die USA mit über ein Transpazifi- mehr und mehr wie die USA werden sches Partnerschaftsabkommen (TPP)3, lassen und somit auch empfänglich für um »China konsequent vom Zugang zu US-amerikanische Positionen von Global Hochtechnologie abzuschneiden« (ebenda: Governance und dem geopolitischen Status 25). In einem Sonderbericht des Council on quo. In den letzten Jahren setzte sich Foreign Relations, dem wichtigsten außen- jedoch die Einsicht durch, dass China weit politischen Thinktank der USA, wurde 2015 widerstandsfähiger ist, als viele geglaubt gefordert, dass man ab sofort jede »Inter- oder auch gehofft hatten. nationalisierung chinesischer Interessen In der Wirtschaft beharrt China in der Welt mit robusten Maßnahmen« weiterhin auf einer zentralisierten politi- begegnen müsse (ebenda: 36). schen Steuerung und einer gemischten Dies führte in China zwangsläufig Wirtschaftsordnung. Auch wenn Markt- zur Einsicht, dass die gesamte strategische mechanismen im Zuge der Reformpolitik »Hinwendung nach Asien« als groß kontinuierlich ausgebaut wurden, sind angelegter Versuch der Eindämmung und die Kommandohöhen der Wirtschaft wie Einkreisung Chinas verstanden werden etwa das Banken- und Finanzwesen oder

28 USA vs. China der Energie- und Infrastrukturbereich Skyline von Shanghai, Lei Han/flickr weiterhin von Staatsbetrieben besetzt. Chinas Regierung macht keine Anstalten, die jedoch von ganz anderen Hoffnungen, an diesem Grundsatz etwas zu ändern. Erwartung und Problemen geprägt ist. In den letzten 40 Jahren sind unge- Und schließlich: Chinas Reformpolitik und fähr 600 Millionen Chinesen zu relativem letztlich auch ökonomischer Aufstieg der Wohlstand gelangt. Ganz im Gegensatz zu letzten Jahrzehnte sind von einer pragma- landläufigen Meinungen gerade im Wes- tisch-realistischen Selbsteinbettung in das ten bilden diese neuen Mittelschichten das gegebene internationale System politischer legitimatorische Rückgrat der KP Chinas und ökonomischer Beziehungen geprägt. und stärken deren Führungsanspruch. Chinas »network strategy of embedded rise« Die Annahme, dass neue Vorstellungs- (vgl. Pang u.a. 2017) passt sich proaktiv der welten, Ambitionen und Hoffnungen der Globalisierung an und versucht, daraus Mittelschichten das chinesische Systems größtmöglichen Vorteil für die eigene zwangsläufig delegitimieren würden, Entwicklung zu ziehen. Chinas Führung hat war eine westliche Verlängerung eigener zwar seine Bereitschaft demonstriert, die Agenden, eigener Prioritäten und Prob- gegenwärtige ökonomische Weltordnung zu lemanalysen in eine chinesische Realität, akzeptieren, diese pragmatische Akzeptanz

Jan Turowski 29 bedeutet jedoch nicht, dass es von dieser rassistisch unterfüttert – als konstante Ordnung auch überzeugt ist. Denn obwohl Bedrohung beschrieben werden kann. sich Chinas Position im globalem ökono- Zweitens bietet sich Chinas Aufstieg als mischen System zunehmend auf die der Begründung für den sozialen und ökono- entwickelten Industrienationen zubewegt, mischen Niedergang der USA an. Chinesi- erklärt es unbeirrt, seine Außenpolitik im scher Eigensinn beutet in Trumps Diskurs Bündnis mit anderen sogenannten Entwick- vor allem, nicht nach den Regeln zu spielen. lungsländern abzustimmen. In der globalen Und schließlich steht drittens der Aufstieg Arena hält China vorsichtige Distanz zu der China auf globaler Ebene symbolisch für ei- von den USA geführten liberalen Weltord- ne viel weiterreichende sozialökonomische nung und betont, dass Länder des globalen Veränderungsdynamik, der völlig unhis- Südens eine zunehmend wichtige Rolle torisch eine romantisierte und idealisierte spielen und sich deshalb die gegenwärtige Welt alter »US-amerikanischer Größe« Ordnung verändern müsse (ebenda). gegenübergestellt werden kann. Angesichts des Erfolgs des Modells Das Dilemma von Trumps China- China stellt der chinesische Eigensinn tat- Diskurs ist jedoch, dass unklar bleibt, wie sächlich eine ernsthafte Herausforderung Stimmungen, Ressentiments und aktionisti- für das gegenwärtige liberale Handelsre- sche Symbolpolitik in eine kohärente Politik gime und die vom Westen bevorzugten übersetzt werden können. Dem weiteren Global-Governance-Normen dar. China will ökonomischen Aufstieg Chinas in der sich (und anderen) besser Bedingungen Asien-Pazifik-Region haben die USA relativ schaffen, wodurch sich in den USA die Sor- wenig entgegenzusetzen. Ein Handelskrieg gen vergrößert haben, dass die von China mit China würde ihnen wohl ebenso initiierten Institutionen mit den westlich schaden wie dem Konkurrenten. Und nach geführten in Konkurrenz treten oder diese Trumps Rückzug aus dem TPP-Abkommen, sogar ersetzen könnten. Zugleich präsen- ursprünglich gedacht, um China im Zaum tiert sich die chinesische zusammen mit zu halten, scharrt Peking bereits mit den der deutschen Regierung als Hüterin des Hufen und will die entstandene Lücke fül- freien Welthandels gegen protektionistische len. Es schickt nicht mehr nur Waren und Gefahren, etwa anlässlich des G20-Treffens Kapital in die Welt hinaus, sondern auch in Hamburg im Juli 2017. Ideen. In Afrika und Südamerika gibt es Doch vor allem bietet der Eigensinn viele Bewunderer des chinesischen Entwick- einen idealen Nährboden für Trumps lungspfades eines staatlichen Dirigismus in rechtspopulistischen China-Diskurs. der Marktwirtschaft. Doch noch für lange Denn erstens lässt sich ein klarer Gegner Zeit wird Peking militärisch und politisch identifizieren: das Andere, das Unbekannte, nicht wirklich mit den USA mithalten welches – antikommunistisch, mitunter können. Daran ändert auch die Tatsache

30 USA vs. China nichts, dass China im Juli 2017 erstmalig etc. belohnt. Das US-Modell war ökono- eine überseeische Militärbasis aufgebaut misch erfolgreich und hochattraktiv. hat – in Dschibuti, also auf dem afrika- China ist ebenfalls für viele Staaten des nischen Kontinent, wo China besonders globalen Südens ein attraktives Modell, engagiert ist, weil es seinen wirtschaftlichen ­zumindest in Teilen. Dennoch stellt sich Aufschwung ohne den Ressourcenimport die Situation für China grundlegend anders gerade aus den afrikanischen Ländern nicht dar. Mit Japan, Südkorea, Thailand und bewerkstelligen könnte. Vietnam in der unmittelbaren Nachbar- schaft, aber auch mit in der Region aktiven Hegemonieanspruch? Akteuren wie den USA, Russland und Die USA stellen eine globale Hegemonial- Indien wäre der Versuch, eine chinesische macht dar und übten entsprechend diese Hegemonie in Asien zu etablieren, ein Hegemonie auch im Asien-Pazifik-Raum überaus komplexes und herausforderndes aus. Jede Großmacht strebt eine hegemo- Unterfangen, das zusätzliche Spannung niale Position an – sicherlich auch China –, erzeugen und China erst einmal nicht doch im Bereich internationaler Bezie- mehr Sicherheit bringen würde. Deshalb hungen stellt sich stets die Frage, ob ein hat China zumindest auf absehbare Zeit alleiniger Hegemonieanspruch sinnvoll ist keinen Ehrgeiz, die Region zu dominieren. und für einen Staat mehr Sicherheit bringt Hegemonie im internationalen oder nicht. Um sich gegen eine herrschende Kontext basiert auf einem transnationalen Hegemonialmacht durchzusetzen, bedarf geschichtlichen Block, dessen Macht- und es enormen Aufwands und erheblicher Herrschaftsstrukturen auf der Grundlage Ressourcen. Zudem sind solche Ablösungs- eines relativ beständigen Arrangements von versuche meist zum Scheitern verurteilt. produktiven und politischen Organisations- Die USA waren in dieser Hinsicht vor allem formen mehrere nationale Gesellschaften deshalb erfolgreich, weil sie zum einen ihre miteinander verbinden. Diese Strukturen Vormachtstellung von einer schwachen und umfassen zwar mehr als nur Staaten, etwa demokratischen Macht, mit der sie zudem auch transnationalen Konzerne und Kapi- eine gewisse politisch-kulturelle Affinität taleliten; es sind aber staatliche Ressour- verbindet – Großbritannien – geerbt cen – vor allem militärische Absicherung, haben, und weil sie zum anderen ihren ­Regulationsmechanismen, Rechtssysteme Hegemonieanspruch langfristig in einer und Institutionen –, die den Block zusam- befriedeten Umwelt entwickeln konnten, in menhalten. Diese Ressourcen wurden in der es in der unmittelbaren Nachbarschaft den letzten Jahrzehnten vor allem von den keine Bedrohung gab. Die Zustimmung der USA bereitgestellt und kontrolliert, auch untergeordneten Staaten wurde mit Schutz, wenn die Stärke der Supermacht des 20. Wirtschaftshilfen, dem Zugang zu Märkten Jahrhunderts seit Längerem erodiert.

Jan Turowski 31 Die Tatsache, dass Donald Trump die internationaler Hegemonie geschwächt Präsidentschaftswahl gewinnen konnte, werden; ob sie sich wirklich auflösen lässt sich unter anderem mit einer Hege- werden, bleibt abzuwarten. Es stellt sich moniekrise erklären, die aus der Erosion die Frage, welche internationalen Institu- der materiellen Basis resultiert, die es der tionen, Staatsformen und sozialen Kräfte kapitalistischen Klasse bisher erlaubte, die sie ersetzen könnten. China wird diese Befriedigung ihrer Bedürfnisse als essen- Lücke nicht füllen können. Auch wenn es tielle Voraussetzung für das Wohlergehen seit einigen Jahren den Aufbau alternativer des ganzen Landes zu präsentieren. Seit internationaler Institutionen vorantreibt dem Beginn des 21. Jahrhunderts, vor und sich in die bestehenden verstärkt ein- allem nach 2008 scheint die Behauptung bringt, fehlt es China vor allem an globaler mehr als zweifelhaft, dass Profite der zivilgesellschaftlicher Vernetzung, um Kapitalklasse zum Wohle aller Klassen einen internationalen geschichtlichen Block seien. In den USA äußert sich diese anzuführen, der eine Transformation der Hegemoniekrise ferner darin, dass sich die bestehenden Struktur herbeiführen könnte. politischen Vehikel – die Demokratische Globale Hegemonie setzt ferner und Republikanische Partei – aufzulösen voraus, dass sich führende Politiker einer scheinen. In diesem Kontext mag sich die Weltmacht auch in ideologischer Hinsicht Bevölkerung um einen charismatischen als Garanten der bestehenden Weltordnung Führer scharen, doch die Artikulation präsentieren. Der Führungsanspruch der eines kohärenten Projekts, in dem Zustim- USA beruhte in den letzten sieben Jahr- mung zudem eine materielle Basis hat, ist zehnten darauf, dass sie vorgaben, weltweit fast unmöglich. Hüter von Demokratie, Menschenrechten Die zentrale Frage ist nun, wie und der Freizügigkeit von Kapital und sich die Hegemoniekrise im globalen Personen zu sein. Die Vereinigten Staaten Zentrum auf das Verhältnis zu China, offerierten damit der Welt eine universa- zu der Asien-Pazifik-Region und zur listische Ideologie, in der unterschiedliche globalen Peripherie auswirken wird. Die Interessen harmonisch zusammengeführt US-amerikanische Dominanz gründet auf werden konnten. Dass mit dieser Rhetorik dem konstitutiven Ineinandergreifen von oftmals handfeste US-amerikanische Macht, Ideologie und Institutionen. Durch Interessen verschleiert wurden, muss hier Trumps »Neo-Isolationismus« werden sich nicht weiter vertieft werden. Dennoch: die USA wahrscheinlich immer weiter aus Hegemonie basiert notwendigerweise auf ­internationalen Institutionen, Abkommen Formen des Ausgleichs, muss reale Entfal- und Verpflichtungen zurückziehen, tungsmöglichkeiten bieten und allgemein was bedeutet, dass die institutionellen das Gefühl vermitteln, dass die bestehende Mechanismen dieser speziellen Struktur Ordnung im besten Interesse aller ist.

32 USA vs. China Trumps »America-first-Politik«, die nur Asia-Pacific, foreignpolicy.com/2016/11/07/ donald-trumps-peace-through-strength-vision- noch auf eigene Interessen und unbe- for-the-asia-pacific/ dingte Überlegenheit setzt, allgemeine Kahl, Colin/Brands, Hal, 2017: Trump’s Grand Normen und Prinzipien über Bord wirft Strategic Train Wreck, foreignpolicy. com/2017/01/31/trumps-grand-strategic-train- und US-amerikanische Außenbeziehungen wreck/ nur noch aktionistisch von Fall zu Fall Pang, Xun/Liu, Linda/Ma, Stephanie, 2017: China’s betrachtet, zerstört diese ideologische Basis Network Strategy for Seeking Great Power Status, in: Chinese Journal of International westlicher Hegemonie. Dies wird zweifel- Politics 10(1), 1–29 los die Asien-Pazifik-Region in Bewegung White House Office of the Press Secretary, 2015: bringen und einige Räume gegenüber Remarks by President Obama at the University of Queensland, obamawhitehouse.archives. einem chinesischen Führungsanspruch gov/the-press-office/2014/11/15/remarks-presi- öffnen. Doch insgesamt wird China – zu- dent-obama-university-queensland White House Office of the Press Secretary, mindest vorerst – das ideologische Vakuum 2016: Statement by the President on the nicht füllen können, da es schlicht keine Signing of the Trans-Pacific Partnership, universalistische Ideologie anzubieten hat. obamawhitehouse.archives.gov/the-press-of- fice/2016/02/03/statement-president-signing- Im Gegenteil: In den ­letzten Jahren hat trans-pacific-partnership die chinesische ­Regierung selbst immer wieder betont, dass ihr Entwicklungsmo- dell einzigartig und auf die chinesische 1 Die »Ein-China-Politik« ist die staatspoli- Situation, Geschichte und Kultur zuge- tische Vorgabe der Volksrepublik, dass Taiwan schnitten sei und nicht in andere Weltregi- kein eigenständiger Staat ist, sondern zu China gehört. Folglich will sie keine diplomatischen onen exportiert werden könne. Beziehungen zu Staaten, die Taiwan anerkennen. Sollte Trumps Präsidentschaft das 2 Mit diesem Begriff wird Trump ein »Ende des Westens« einläuten, dann ist dies diplomatischer Nullsummenspiel-Ansatz unterstellt, den Trump aus seiner Tätigkeit noch nicht der Beginn eines »chinesischen als Kapitalunternehmer entlehnt und in die Zeitalters«. Sprache der good oder bad deals gekleidet habe. In diesem Verständnis von internationaler Politik seien die Gewinne des einen die Verluste des anderen (vgl. Kahl/Brands 2017). Literatur 3 Anfang 2016 wurde das Handelsabkommen Blackwill, Robert D./Tellis, Ashley J., 2015: Revising Trans-Pacific Partnership(TPP) zwischen Aust- U.S. Grand Strategy Toward China, Council on ralien, Brunei, Chile, Japan, Kanada, Malaysia, Foreign Relation Council Special Report No. Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur, Vietnam 72, März 2015, www.cfr.org/sites/default/files/ und den USA unterzeichnet. Es galt als Kernstück pdf/2015/04/China_CSR72.pdf Präsident Obamas außenpolitische Neuausrich- Diamond, Jeremy, 2016: Trump: We Can’t Con- tung nach Asien-Pazifik-Raum und sollte über tinue to Allow China to Rape Our Country, den Abbau von Handelshemmnissen die Staaten edition.cnn.com/2016/05/01/politics/donald- enger aneinander binden und gleichzeitig Chinas trump-china-rape wachsenden Einfluss in der Region zurückdrän- Gray, Alexander/Navarro, Peter, 2016: Donald gen. Am 21. November 2016 gab Präsident Trump Trump’s Peace through Strength Vision for the jedoch bekannt, dass er TPP kündigen werde.

Jan Turowski 33 Auf der Suche nach der verlorenen Hegemonie Zur strategischen Partnerschaft zwischen Indien und den USA

John P. Neelsen

Im Gegensatz zu den meisten anderen ihrer ­jeweiligen Länder erklärt. Zusätz- Staatschefs begrüßte der indische lich sind sich Trump und Modi in ihrer Premierminister im vergangenen Jahr scharfen Kritik an China einig. die Wahl Donald Trumps zum 45. Was ist geschehen, dass die politische Präsidenten der USA. Tatsächlich haben Führung von Indien – Gründungsstaat die beiden »starken Männer« Trump und und führendes Mitglied der Bewegung Modi (Rilling 2016) mehr gemein als der Blockfreien Staaten, wichtiges eine autoritär-nationalistische Rhetorik. Mitglied der BRICS-Staaten (Allianz der So stieß nicht nur Trumps patriotisches ­Schwellenländer Brasilien, Russland, Gebaren, das in Parolen wie »America Indien, China und Südafrika) und der First« oder »Make America Great Again« Schanghaier Organisation für Zusam- zum Ausdruck kommt, auf Verständnis menarbeit – derzeit eine nationalistische in Neu-Delhi. Zustimmung gab es dort US-Politik unterstützt? Was sind die auch zu dessen Absichtserklärung, durch Ursachen für diesen offenkundigen den Bau einer Mauer die Migration aus politischen Paradigmenwechsel in der Lateinamerika einzudämmen. Auch Modi Außenpolitik eines Landes, das seit seiner will den Zuzug aus dem Nachbarland Unabhängigkeit den Nord-Süd-Gegensatz Bangladesch effektiver kontrollieren. als geopolitischen Hauptwiderspruch Beide ziehen über die herrschenden Eliten betrachtete, danach seine wichtigsten her, geben vor, Korruption bekämpfen zu Partner bestimmte und eine entspre- wollen, und haben den Islamismus und chende Reform der Nachkriegsordnung Terrorismus zu den größten Bedrohungen einforderte?

34 Auf der suche nach der verlorenen Hegemonie Vom Atlantik zum Pazifik: unbewältigte Finanz- und Wirtschaftskrise Niedergang des Westens und von 2008 hat die Position der ehemals Aufstieg Asiens führenden Industrieländer (G7) weiter Der Fall der Berliner Mauer 1989 und geschwächt. Viele von ihnen leiden unter der damit verbundene Zusammenbruch geringem Wachstum, Staatsverschuldung, des real existierenden Sozialismus sig­ hoher Arbeitslosigkeit und einer alternden nalisierten einen grundlegenden Bevölkerung. Erwirtschafteten die G7- Systemwechsel. Mit dem weltweiten Staaten Anfang der 1990 Jahre noch zwei Siegeszug des Kapitalismus und der auf Drittel des Weltsozialprodukts, so ist es viele Jahrzehnte gesicherten Vorherrschaft heute nicht einmal mehr die Hälfte (2015: des Westens unter Führung der USA als 46,5 Prozent).1 »Make America Great einzig verbliebener Supermacht schien das Again!«: Mit seinem wichtigsten Wahls- »Ende der Geschichte« eingeläutet. Doch logan thematisierte Trump indirekt den eine Reihe von kostspieligen, gemessen relativen wirtschaftlichen Niedergang und an den Kriegszielen erfolgslosen und den damit verbundenen außenpolitischen nicht selten völkerrechtswidrigen mili- Machtverlust der USA. tärischen Interventionen – angefangen Anders die sogenannte Dritte Welt bei der Zerschlagung Jugoslawiens über und hier insbesondere die Schwellen- die Operationen im Irak, in Afghanistan, länder. Sie verdoppelten ihren Anteil am Syrien und Libyen – untergrub neben Weltsozialprodukt in den letzten 25 Jahren dem moralischen auch das wirtschaftliche von um die 20 auf rund 40 Prozent. Vor Fundament der USA – und am Ende ihren allem diejenigen Länder, deren Bevölke- Einfluss in der Welt. Die Auswirkungen der rung überdurchschnittlich jung und hoch nicht zuletzt von Finanzmarkt orientierten qualifiziert ist, konnten von der Öffnung Kapitalfraktionen forcierten neoliberalen der Märkte und den drastisch gesunkenen Globalisierung verschärften diese Tendenz. Transport- und Kommunikationskosten Nationale Wirtschaftskreisläufe wurden profitieren. Ihre vergleichsweise billigen aufgebrochen, Produktions- und Distribu- Arbeitskräfte und ihre wachsenden tionssysteme im Zuge des internationalen kaufkräftigen Mittelschichten zogen massiv Wettbewerbs um die besten, letztlich kos- ausländische Direktinvestitionen an. Hohe tengünstigsten Standorte immer globaler. Wachstumsraten stärkten Wirtschaft und Auf dem Weltmarkt fanden weitreichende Staat. »Tigerstaaten« wie Taiwan, Südkorea, Umstrukturierungen und Verlagerungen Singapur und Hongkong folgend, sind zwischen Branchen, Standorten, Regionen weitere asiatische Staaten, allen voran und Ländern statt, transnationale Konzerne die Volksrepublik China und Indien, zu entwickelten sich neben den Staaten zu Schwellenländern, teilweise sogar zu neuen zentralen Akteuren in diesem Prozess. Die kapitalistischen Zentren aufgestiegen. Mit

John P. Neelsen 35 Vietnam und Indonesien stehen schon die USA in ihrer Strategie bezüglich China zwi- nächsten aufstrebenden Kandidaten parat. schen einer kodirektoralen »G2-Lösung« Fast alle der hier genannten Länder und einer Containment-Politik, die seit der liegen in Asien. Entsprechend der neuen Obama-Administration unter dem Motto Güter- und Handelsströme verlagert sich »Pivot to Asia« (Hinwendung zu Asien) das Gravitationszentrum der Weltwirtschaft firmiert. Dabei kam der Aushandlung des schon seit Längerem weg vom Atlantik hin Transpazifischen Partnerschaftsabkom- nach Asien bzw. in Richtung des asiatisch- mens (TPPA) zwischen den USA und elf pazifischen Raums. Mit der Ausweitung Staaten in der Region unter dem bewussten des Kreises der G7-Staaten auf nunmehr Ausschluss Chinas eine Schlüsselfunktion 20 Staaten (G20) ist dem veränderten glo- zu. Zusammen mit dem transatlantischen balen ökonomischen Kräftegleichgewicht Zwillingsprojekt TTIP sollte es den USA – in einem ersten Schritt Rechnung getragen die als einziges Land an beiden Handels- worden. Auch in der Geopolitik zeichnet abkommen in führender Position beteiligt sich ein tektonischer Wandel ab, der die waren – auf absehbare Zeit ihre globale überkommene Sicherheitsarchitektur in wirtschaftliche und juristisch-institutionelle Asien zur Disposition stellt. Diese hatte Vormachtstellung sichern. Beide Abkom- seit Ende des Zweiten Weltkriegs auf der men wurden jedoch gleich zu Beginn der Präsenz der USA als ökonomischer und Amtszeit von Trump aufgekündigt. militärischer Hegemonialmacht in der Region beruht. Angesichts des Aufstiegs Wandel des internationalen Chinas zur zweitstärksten globalen Macht Machtgefüges: Indien und die und des beschriebenen Bedeutungsverlusts übrigen BRICS-Staaten der Vereinigten Staaten scheinen deren Im Zuge der Universalisierung des Systems Sicherheitsgarantien aber nicht mehr so der privatkapitalistischen Marktwirtschaft viel wert zu sein wie früher. hat die Ordnungspolitik zwischen Plan Die Transformation der bisherigen und Markt als zentralem Widerspruch der Machtstrukturen steht bislang erst am Nachkriegszeit und als politökonomischer Anfang. Schließlich handelt es sich um Grundlage der geopolitischen Blockbildung einen komplexen Prozess, wobei der an Bedeutung verloren. Mit der neoli- Kampf um die Vorherrschaft von neu beralen Globalisierung ist der ehemals aufbrechenden Konflikten zwischen zentrale Widerspruch zwischen Zentrum verschiedenen Regionalmächten um und Peripherie (oder anders ausgedrückt: territoriale Ansprüche oder den Zugang zwischen globalem Norden und globalem zu Märkten begleitet wird. Im Prozess des Süden) zugunsten einer Hierarchisierung Übergangs von einer Hegemonial- hin zu von Staaten auf der Grundlage ihrer einer bloßen Supermacht schwanken die Wirtschaftsleistung und internationalen

36 Auf der suche nach der verlorenen Hegemonie Konkurrenzfähigkeit (hinsichtlich der die 40 Prozent der Weltwährungsreserven. Produktionskosten und Technologieent- Es ist zu erwarten, dass sie schon in den wicklung) in den Hintergrund getreten. nächsten zwei Jahrzehnten in Bezug auf Das Ergebnis ist eine vielfache Ausdifferen- ihre Wirtschaftskraft mit den G7-Staaten zierung der Länder des globalen Südens. gleichziehen werden.3 Vielerorts kam es zur Gründung von meist Entsprechend ihrer gewachsenen regionalen Wirtschaftsgemeinschaften wie weltwirtschaftlichen Bedeutung versuchen ASEAN (Verband Südostasiatischer Natio- die BRICS, auch ihr politisches und nen), SAARC (Südasiatische Vereinigung institutionelles Gewicht zu vergrößern. So für regionale Kooperation) oder Mercosur haben sie diverse bilaterale Konflikte und (Gemeinsamer Markt Südamerikas). Auf nationale Interessen zurückgestellt und der Nord-Süd-Achse löste der Zusammen- durch eine verstärkte Kooperation und schluss der BRIC-Staaten, dem zusätzlich Koordination erfolgreich ihr gemeinsames zu Russland mit Brasilien, Indien und Sanktionspotenzial mit dem Ziel gestärkt, China die mächtigsten Schwellenländern einen Wandel der vom Westen dominier- angehören, die Bewegung der Blockfreien ten Weltordnung voranzutreiben. Die und die Gruppe der 77 als politische BRICS, eher politische Plattform als ein Interessenvertretung des globalen Südens formales Bündnis, und die Schanghaier ab (vgl. Schmalz/Ebenau 2011). Mit der Organisation für Zusammenarbeit belegen 2010 erfolgten Aufnahme Südafrikas in den dies beispielhaft – in beiden sind Indien Bund (von nun an BRICS genannt) wurde ebenso wie Russland und China Vollmit- gezielt an die postkoloniale trikontinentale glieder. Zusammen ist es ihnen gelungen, Bewegung angeknüpft. In den fünf Mit- beim Internationalen Währungsfonds gliedsstaaten leben gegenwärtig 42 Prozent (IWF) und bei der Weltbank eine neue Ver- der Weltbevölkerung und sie erwirtschaften teilung der Stimmrechte zu ihren Gunsten 20 Prozent des nominalen Weltsozialpro- durchzusetzen. Darüber hinaus wurden dukts, nach Kaufkraftparitäten sogar 31 dem IWF und der Weltbank gegen den Wi- Prozent.2 Ähnlich entwickelte sich ihre derstand der USA alternative, wenn auch Position im Welthandel. Dort steigerten sie noch nicht konkurrenzfähige Finanzinsti- ihren Anteil in den letzten 25 Jahren von tutionen an die Seite gestellt, zum Beispiel unter 4 auf knapp 20 Prozent. Schließlich der zunächst mit 100 Milliarden US- sind sie nicht länger nur Importeure, son- Dollar ausgestattete BRICS-Reservefonds dern exportieren mit einem Anteil von rund (Contingency Reserve Arrangements) 11 Prozent an den weltweiten Auslandsin- und die New Development Bank (Neelsen vestitionen selbst Kapital vor allem nach 2014 u. 2016). Trotz dieser Erfolge und Lateinamerika, Südostasien und Afrika. Mit der Regelung, dass alle beteiligten Staaten über 5 Billionen US-Dollar halten sie um formal das gleiche Stimmrecht haben und

John P. Neelsen 37 mit gleich hohen Finanzeinlagen vertreten wirtschaftliche Entwicklung entstehen. Das sind, ist man sich in Indien des großen Recht auf Entwicklung dürfe nicht gegen Ungleichgewichts bei der Wirtschaftskraft Umweltbelange ausgespielt werden. bewusst: So repräsentiert China zwei Drittel des Sozialprodukts aller fünf Das »asiatische Jahrhundert«: Mitgliedsstaaten, die Kaufkraft in Indien Indiens Weltmachtambitionen beträgt gerade einmal 40 Prozent von der im Schatten Chinas in China und unter Berücksichtigung der Der Aufstieg Asiens und der Niedergang Wechselkurse kommt Indien nur auf 20 des Westens signalisieren eine doppelte Prozent des chinesischen Sozialprodukts. epochale Zäsur. Da ist zum einen das Auch in anderen internationalen historische Ende einer fast 500-jährigen Foren wie dem Kreis der G20 oder der von Gewalt, Völkermord, Enteignung UNO verständigen sich die Regierungs- und systematischer Unterentwicklung in vertreter der BRICS in der Regel vorab auf großen Teilen der Welt gekennzeichneten gemeinsame Positionen, um eine gerech- Herrschaft des Westens. Da ist zum tere multipolare Ordnung durchzusetzen. anderen die Hoffnung Indiens und Chinas So besteht unter ihnen Einigkeit, dass die auf eine Renaissance ihrer früheren kul- Grundpfeiler der UNO wie nationale Souve- turellen, politischen und wirtschaftlichen ränität, Nichteinmischung in innere Ange- Macht. Bis zu ihrer Kolonialisierung durch legenheiten und territoriale Integrität sowie Europa stellten sie nicht nur rund die Hälf- Gleichheit der Mitglieder unter gar keinen te der Weltbevölkerung, sondern gehörten Umständen angetastet werden sollten. auch zu den reichsten Ländern. Indien will Dementsprechend stimmte man gemein- im angebrochenen »asiatischen Jahrhun- sam gegen militärische Interventionen der dert« seine frühere Rolle als regionale und USA bzw. der NATO ohne ein UN-Mandat, globale Führungsmacht zurückgewinnen. wie im Fall von Libyen. Ähnlich verhält es Dazu bedarf es eines international sich bei Umweltfragen: Sowohl in Kopen- wettbewerbsfähigen, technologisch und hagen als auch bei der UN-Klimakonferenz wirtschaftlich starken Fundaments. Ende 2015 in Paris trat man gemeinsam Vorbild und Konkurrent zugleich ist dabei dafür ein, dass die Industrieländer wegen China (vgl. Turowski in dieser Ausgabe). ihrer unverhältnismäßig hohen Treibhaus- Chinas rund 25-jährigen Vorsprung gasemissionen in der Vergangenheit sowie möglichst schnell aufzuholen, ist oberstes wegen ihres weiterhin nicht universalisier- Ziel der Regierung von Narendra Modi. baren imperialen Lebensstils Vorleistungen Dazu müssen im großen Umfang aus- erbringen müssen. Nur so könnten in den ländische Investitionen und technologisches Ländern des globalen Südens Hand- Know-how eingeworben und transnationale lungsspielräume für eine nachholende Unternehmen dazu gewonnen werden,

38 Auf der suche nach der verlorenen Hegemonie sich in Indien niederzulassen. Obwohl es stünde nicht im Zentrum, sondern wäre auch China milliardenhohe Investitionen nur Zwischenstation. So erwägt Neu-Delhi, in Aussicht gestellt hat, richtet sich die eine Art Alternativprojekt anzustoßen. Un- indische Regierung vor allem an die reichen ter dem Stichwort »Mausam« ist geplant, Industrieländer, neben den USA insbeson- die historisch gewachsenen Handels- und dere an Japan. Zudem bemüht sie sich um Kulturbeziehungen mit Südostasien, die eine Verbesserung der Beziehungen zu den von Burma über Thailand und Kambod- südasiatischen Nachbarn, inklusive Pakis- scha bis Bali in Religion und Architektur tan. Hinzu tritt eine aktive Ausrichtung auf sichtbar sind, wiederzubeleben. Südostasien, die im ASEAN-Verbund sowie Schon aufgrund seiner geografischen in der Neuorientierung der Außenpolitik Lage sowie seiner demografischen, von »Look East« hin zu »Act East« zum wirtschaftlichen und politischen Bedeu- Ausdruck kommt. In beiden Fällen stößt tung beansprucht Indien außerdem einen man auf die Konkurrenz der wirtschaftlich ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat, weit überlegenen chinesischen Volksrepu- neben den fünf Vetomächten, deren Privi- blik und wird gelegentlich – wie im Fall legien noch aus der Zeit des Zweiten bzw. Vietnam – Partei in einem Konflikt, der des sich anschließenden Kalten Krieges einen zunächst gar nicht unmittelbar betraf. stammen. Die chinesische Regierung hat China stellt für Indien im derzeitigen zwar versprochen, dieses Vorhaben zu Prozess der Restrukturierung des Einfluss- unterstützen, in Indien wird diese Zusage und Machtgefüges im pazifischen Raum jedoch als reines Lippenbekenntnis nicht nur den Hauptkonkurrenten dar, eingeschätzt. Besonders verärgert ist man sondern verhindert darüber hinaus die Re- über den jüngsten Schachzug von Peking, alisierung der indischen Ambitionen, auch das zusammen mit anderen Regierungs- in ökonomischer Hinsicht aufzuholen. vertretern eine Aufnahme Indiens in die Das chinesische Projekt »One Belt, One Nuclear Suppliers Group (Gruppe der Road« (OBOR) ist dafür ein anschauliches Kernmaterial-Lieferländer) verhindert hat. Beispiel. Es bezieht sich auf den geogra- Weitere bilaterale, zum Teil noch auf fischen Raum der alten Seidenstraße, die die Kolonialzeit zurückgehende territoriale im Mittelalter Europa mit Asien verband, Konflikte vergiften darüber hinaus die bei- sowie auf eine historische maritime derseitigen Beziehungen. So geht es unter Handelsroute zwischen China, Südostasi- anderem um den Verlauf der Grenzen im en und den Anrainerstaaten des Indischen Westen, im zudem von Pakistan kontrollier- Ozeans. Auch wenn Indien vom Aufbau ei- ten Kaschmir, sowie um umstrittene Gebie- nes solchen interkontinentalen Infrastruk- te im nordöstlichsten indischen Bundesstaat turnetzwerkes durch die Belebung von Arunachal Pradesh, der an Tibet, Myanmar Handel und Wirtschaft profitieren würde, und Bhutan angrenzt. 1962 war deswegen

John P. Neelsen 39 ein Grenzkrieg zwischen Indien und China Millionen Flüchtlingen führten und fast entbrannt, der mit einem Waffenstillstand eine Million Todesopfer forderten. Seitdem endete. Seitdem wurden entlang der ist das muslimische Kaschmir geteilt und Kontrolllinie modernste militärische Infra- sind dessen Zugehörigkeit und politischer strukturen errichtet und auf beiden Seiten Status umkämpft. Drei Kriege, bewaffnete Truppen stationiert. Immer wieder wird von Grenzkonflikte sowie Atomwaffen auf bewaffneten Zusammenstößen berichtet. beiden Seiten sind die Folgen. Hinzu kom- Die fortdauernden Spannungen infol- men von pakistanischem Territorium aus- ge dieser ungeklärten Territorialfragen rück- gehende Selbstmordattentate. Der Konflikt ten erst jüngst wieder anlässlich einer Reise bezieht selbst den Nachbarn Afghanistan des Dalai Lama, der nach seiner Flucht aus mit ein. Für Islamabad ist eine pakistan- Tibet 1959 mit seinen Anhängern Zuflucht freundliche Regierung überlebenswichtig. in Indien gefunden hatte, auf die Tagesord- Neu-Delhi ist dagegen bestrebt, seine nung. Der Dalai Lama besuchte vor Kurzem wirtschaftliche und politische Überlegen- ein in dem umstrittenen Gebiet gelegenes heit gegenüber Pakistan auszunutzen und Kloster. Die Regierung in Peking sah ihren Afghanistan mit entsprechenden Anreizen Verdacht, es habe sich dabei um kein rein als engen Verbündeten an sich zu binden. religiös, sondern vor allem ein politisch Vor diesem Hintergrund stellt die motiviertes Unternehmen gehandelt, durch traditionell enge politische und militärische Aussagen des Gouverneurs von Arunachal Zusammenarbeit zwischen China und Pradesh erhärtet. Dieser hatte nämlich Pakistan (auch in Bezug auf Nuklearwaffen) von der Grenze zu »Südtibet« gesprochen ein unüberwindliches Hindernis für engere und damit die Zugehörigkeit Tibets zur indisch-chinesische Beziehungen dar. Volksrepublik bzw. die Ein-China-Politik Jüngste Entwicklungen haben diese Kluft infrage gestellt. Peking protestierte gegen weiter vertieft. So verläuft der Pakistan- den Besuch und behauptete, dieser habe China Economic Corridor, der Teil der den chinesisch-indischen Beziehungen OBOR-Initiative ist, durch das von Indien »schweren Schaden« zugefügt. beanspruchte Kaschmir. Mehr noch: Der Die auf Dauer schwerste Belastung geplante Endpunkt des wirtschaftlichen stellt wohl das Verhältnis Chinas zu Paki- Korridors ist die von China mit Sonderrech- stan dar, dem Erzfeind Indiens seit dem ten ausgestattete und zum Tiefseehafen Ende der britischen Kolonialherrschaft, mit umfassender Infrastruktur ausgebaute das 1947 die Teilung Britisch-Indiens in Region um Gwadar. Selbst wenn mit die zwei unabhängigen Staaten Indien und diesem Projekt vor allem die ökonomische Pakistan besiegelte. Diese war mit einem Erschließung Tibets und des Westen massiven Bevölkerungsaustausch und Chinas beabsichtigt ist, bleibt für Neu-Delhi Vertreibungen verbunden, die zu zwölf entscheidend, dass damit sein Rivale China

40 Auf der suche nach der verlorenen Hegemonie einen direkten Zugang zum Indischen mehrmals mit dem indischen Premier- Ozean erhalten wird. Der Korridor soll die minister Modi aus. Auch die Tatsache, für Peking lebenswichtigen Energieimporte dass gleich sechs Mitglieder des engsten aus dem Vorderen Orient auch in Krisen- Regierungskreises in den USA indischer zeiten sicherstellen und die Transportzeit Herkunft sind, dürfte nicht nur auf die verkürzen. Er ist als Ersatz für die Seeroute umfangreiche politische und finanzielle durch das leicht zu blockierende Nadelöhr Unterstützung der Wahlkampagne Trumps der Straße von Malakka gedacht. Aus durch die Republican Hindu Coalition zu- Sicht aber von Neu-Delhi gefährdet diese rückzuführen sein, Speerspitze der 3,8 Mil- Planung nicht nur die Rolle Indiens als lionen Menschen umfassenden indischen uneingeschränkte maritime Vor- und Community in den USA. Hinzu kommen Ordnungsmacht in der Region, sondern langfristige wirtschaftliche Überlegungen. ist ein weiteres Glied in einer »Perlenket- Schon heute gibt es in Indien eine starke te« von chinesischen Stützpunkten im kaufkräftige Mittelschicht, die aus mehrere Indischen Ozean, Ausdruck einer Strategie Hundertmillionen besteht. Und in wenigen der Einkreisung, mit der China versuche, Jahrzehnten wird es das weltweit bevölke- Indien zu »erdrosseln«.4 rungsreichste Land mit einem der höchsten Um angesichts dieser komplexen, Bruttoinlandsprodukte sein.5 von Konflikten, Konkurrenz und gleich- Das war nicht immer so. Über zeitiger Kooperation gekennzeichneten viele Jahrzehnte galt Indien aufgrund Konstellation die eigene Position zu seines überdurchschnittlich großen stärken und das bestehende Ungleichge- Bevölkerungswachstums als typisches wicht der Kräfte auszugleichen, suchte die Armenhaus. In Washingtoner Regierungs- indische Regierung neue einflussreiche kreisen wurde es wegen seiner Rolle in der Alliierte und fand diese vornehmlich im Bewegung der Blockfreien und insbeson- früher eher verschmähten, wenn nicht gar dere wegen seiner traditionell recht engen bekämpften »Westen«. strategischen und militärischen Beziehun- gen zur Sowjetunion eher als Gegner des Die veränderte Rolle Indiens in der Westens betrachtet. Das Ende des Kalten US-amerikanischen AuSSenpolitik Krieges und die damit einhergehende Indien ist in der neuen Globalstrategie zunehmende Öffnung Indiens gegenüber der USA eine zentrale Rolle zugedacht. dem Weltmarkt, verbunden mit einer Obama definierte das Verhältnis zwischen Reduzierung der Rolle von Plan und Staat der ältesten und der größten Demokratie in der Wirtschaft, änderten daran zunächst »als entscheidende Partnerschaft des 21. wenig. Im Gegenteil: Die Atombombenver- Jahrhunderts«. Trump tauschte sich in den suche von 1998 der gerade zum ersten Mal ersten Tagen seiner Präsidentschaft gleich an die Regierung gelangten ultrarechten

John P. Neelsen 41 indischen Volkspartei BJP riefen scharfe Zu einem grundlegenden Wandel in den Proteste hervor und führten zur Verhän- Beziehungen zwischen den USA und gung von wirtschaftlichen Sanktionen. Indien kam es gleichwohl erst 2014, als die Pakistan folgte bald mit eigenen Nuklear- von der Kongresspartei dominierte United tests. Die USA fürchteten nicht nur eine Progressive Alliance (UPA) von der von Erhöhung des Kriegsrisikos in der Region, der hindunationalistischen Volkspartei BJP sondern sahen den Vertrag über die Nicht- beherrschten National Democratic Alliance verbreitung von Kernwaffen generell als (NDA) an der Regierung abgelöst wurde. gefährdet an. Zwar wurden die ineffektiven Dabei war neben zwischenstaatlichen Sanktionen bereits 2001 aufgehoben, aber Spannungen zunächst auch ein perso- auch der nach mehrjährigen Verhandlun- nenbezogenes Problem zu überwinden. gen 2008 zwischen den USA und Indien So bestand seit 2005 für den neuen, mit geschlossene Vertrag zur Zusammenarbeit überwältigender Mehrheit gewählten auf dem Gebiet der zivilen Nutzung der Partei- und Regierungschef Narendra Modi Kernenergie blieb nicht nur in Indien ein Einreiseverbot in die USA. Anlass umstritten. Auch international – denkt waren die vielen Opfer eines antimuslimi- man an Iran oder an Nordkorea – trägt er schen Pogroms 2002 in Gujarat, für das nicht eben zur Glaubwürdigkeit der USA ihm als damaligem Regierungschef des bei. So setzte die Regierung von George W. Bundesstaates eine Mitschuld angelastet Bush gegen den Widerstand im Inneren wurde. Doch mit den Wahlen von 2014 und bei den zuständigen internationalen änderte sich auf beiden Seiten alles sehr Organisationen Ausnahmeregelungen schnell. Mehrere wechselseitige Staats- für Indien durch. Indien, das weder den besuche, gekrönt von Reden Modis vor Atomteststopp-Vertrag noch den Nicht- dem US-Kongress bzw. der Einladung verbreitungsvertrag unterzeichnet hat, Obamas als Ehrengast zu den Unabhän- wurde damit offiziell als (verantwortliche) gigkeitsfeiern in Neu-Delhi, symbolisieren Atommacht anerkannt. Das bilaterale den Strategiewechsel. Grundlage ist die Abkommen mit den USA erlaubt Indien, Erkenntnis, dass es inzwischen eine eine förmliche Trennung von militärischer Reihe von gemeinsamen Interessen gibt, und ziviler Forschung im Bereich der die Grundlage der »Pivot to Asia« bzw. Entwicklung und Nutzung der Atomkraft der »Act East Policy« sind. Zusagen über vorzunehmen. Mehr noch: Neu-Delhi wird umfangreiche private und öffentliche das Recht eingeräumt, nur die von ihm Investitionen in Indien und eine verstärkte selbst als zivil eingestuften Atommeiler wirtschaftliche Zusammenarbeit fanden (rund zwei Drittel) der Kontrolle durch die Ergänzung durch weitere Abkommen auf Internationale Atomenergie-Organisation militärischem Gebiet. So mündete die zu unterstellen.6 noch von George W. Bush veranlasste Auf-

42 Auf der suche nach der verlorenen Hegemonie hebung der Exportrestriktionen für »Dual- Uranlieferungen und der mit seiner Hilfe Use-Technologien« in der ehrgeizigen gebauten AKW wird Russland auch in Defense Technology and Trade Initiative. Zukunft ein wichtiger Partner Indiens blei- Sie materialisierte sich alsbald in mehre- ben, vor allem wenn es um den Ausbau der ren Projekten zur gemeinsamen Waffen- Atomenergie geht. Aber dabei handelt es produktion. Damit erfuhr die militärisch- sich um sektorale Kooperationen in einem technologische Partnerschaft zwischen immer stärker ausdifferenzierten Netzwerk beiden Ländern eine weitere Stärkung.7 von technologischen, wirtschaftlichen, dip- Obama und Modi verständigten sich 2015 lomatischen und militärischen Abkommen auf eine gemeinsame strategische Vision und Partnerschaften, entsprechend den für die asiatisch-pazifische Region und den jeweiligen nationalen Interessen. Indischen Ozean, die unter anderem 2016 mit einem neuen bilateralen »maritimen Tektonischer Wandel der Geopolitik Sicherheitsdialog« konkretisiert wurde. Mit der zunehmenden Schwächung Gestalt bekommt sie in der gegenseitigen ehemals zentraler geopolitischer Antago- Teilnahme an Marine- oder Luftwaffen- nismen verlieren traditionelle Bündnisse manövern. Von besonderer Bedeutung ist und historisch bedingte Blockbildungen schließlich das Logistics Services Agree- zunehmend an Bedeutung, wenn sie nicht ment von August 2016, das den Militärs gar obsolet werden. Es gibt kein Entweder- beider Länder die wechselseitige Nutzung oder mehr. Im Gegenteil: Die Verfolgung militärischer Anlagen und Logistik erlaubt nationaler Interessen verbietet den Beitritt und damit eine »dauerhafte Vernetzung zu dualistisch und konfrontativ ausgerichte- im Sicherheitsbereich« besiegelt. ten Allianzen im Weltmaßstab und gebietet Vor diesem Hintergrund ist eine wechselnde punktuelle Kooperationen relative Schwächung der alten Achse je nach Problem und Eigeninteressen. Moskau-Neu-Delhi absehbar: Die tradi- Zwischenstaatliche Konkurrenz bei tionelle militärische Kooperation bleibt gleichzeitiger Kooperation kennzeichnet zwar bestehen und wurde in manchen die Geopolitik im globalisierten Neoli- Bereichen wie Rüstungsforschung und beralismus. Das gilt auch für Indien als Waffenentwicklung in den letzten Jahren aufstrebender Weltmacht. Deshalb findet sogar noch intensiviert. Sie verhindert trotz aller gravierender bilateraler Konflikte aber nicht eine engere militärische und im Bund der BRICS-Staaten sowie in der technologische Zusammenarbeit zwischen Schanghaier Organisation für Zusammen- Indien und den USA sowie zwischen arbeit, in der sogar Pakistan vertreten ist, Indien und Israel und neuerdings auch eine kontinuierliche Zusammenarbeit Neu- Frankreich, was sich unter anderem beim Delhis mit verschiedenen Staaten, darunter Waffenhandel zeigt. Allein aufgrund seiner auch China, statt. Dies funktioniert solange,

John P. Neelsen 43 wie diese den Interessen ihrer einzelnen Regionalstaaten Chinas Verhalten als den Mitglieder dient, zum Beispiel beim Kampf machtpolitisch motivierten Expansionis- gegen den Terrorismus, bei der Sicherung mus einer Großmacht wahr und schicken ihrer Energieversorgung oder bei der Re- sich an, gegen diesen im Namen des formierung der Bretton-Woods- und UNO- Völkerrechts und der »Freiheit der Meere« Institutionen. Umso besser, wenn diese vorzugehen. Gegen den gemeinsamen Formen der Abstimmung und Kooperation Rivalen China hat sich ein ungewöhnliches auch anderen Ländern der sogenannten Quartett, bestehend aus den USA, Australi- Dritten Welt zugutekommen. en, Japan und Indien, zusammengefunden. Das sich verändernde weltweite Kräfte- Sie hielten gemeinsam Marinemanöver im gleichgewicht hat gerade in Asien nicht nur Südchinesischen Meer ab. die überkommene, auf die USA fokussierte Der Neoliberalismus hat die alte Ord- Sicherheitsarchitektur geschwächt, sondern nung unter der Dominanz des Westens zugleich alte Konflikte und neue Rivalitäten aufgeweicht. Doch ist die Hoffnung auf zwischen einzelnen Regionalmächten auf- eine multipolare, von UNO und Völker- brechen lassen. Das schwierige Verhältnis recht bestimmte Weltordnung verfrüht. zur aufstrebenden regionalen Supermacht Der Prozess der Transformation verläuft China kommt als komplizierender Faktor über die Rekonstituierung der National- hinzu, ergänzt durch eine wachsende staaten und die Verfolgung nationaler Konkurrenz um Märkte und Einfluss- Interessen als oberstem Staatsziel. Die sphären sowie widerstreitende territoriale damit einhergehende Konkurrenz und Ansprüche. So handelt es sich bei der Auseinandersetzung aller gegen alle wird Auseinandersetzung um die Frage, zu mit allen denkbaren friedlichen Mitteln welchem Land verschiedene Inselgruppen ausgetragen, wenn nötig auch mit militäri- im Chinesischen Meer (Senkaku-, Diaoyu-, schen. Die enttäuschten Erwartungen auf Spratly- und Paracel-Inseln) gehören, eine Friedensdividende nach dem Ende um einen Kampf um die Kontrolle von des Kalten Krieges belegen dies nur zu Seewegen, maritimen Wirtschaftszonen, deutlich. Weltweit steigen die Rüstungs- Überflugzonen, Militärstützpunkten etc. So ausgaben und der Waffenhandel blüht. wurde aus einer Reihe komplexer regionaler Dies gilt vor allem für den Nahen Osten Streitigkeiten ein weitreichender geopoliti- und Asien. Zugleich ist generell eine wach- scher Konflikt, bei dem die Volksrepublik sende Militarisierung der internationalen China und Taiwan derzeit im Zentrum Beziehungen zu beobachten,8 eine neue stehen (Pohle 2016). Während Peking aus Ära (regionaler) Weltordnungskonflikte. seiner Sicht hier legitime wirtschafts- und Indien bildet hier keine Ausnahme: sicherheitspolitische Interessen vertritt, Mit einem Anteil von 13 Prozent an den nehmen die unmittelbar betroffenen weltweiten Waffenimporten liegt das Land

44 Auf der suche nach der verlorenen Hegemonie derzeit an der Spitze. Sein Verhältnis zu den SIPRI, 2017, The Global Arms Trade: Assessing USA wird von seinen Weltmachtambitionen Trends and Future Outlook, www.sipri.org/ events/2017/global-arms-trade-assessing- bestimmt. Gerade wegen ihres relativen trends-and-future-outlook Niedergangs sind die USA ein idealer 1 Dieser Verlust des Anteils der G7-Staaten am Partner für Indien, das im Kampf um die Weltsozialprodukt seit 1990 geht vor allem auf Neufigurierung des internationalen Systems das Konto Europas und Japans. Demgegenüber um eine größere strategische Autonomie stagniert der Anteil der USA bei rund einem Vier- tel, nachdem er in den Jahren nach dem Zweiten ringt. Die Vorteile sind wechselseitig: Mit Weltkrieg noch 50 Prozent ausgemacht hatte. China im Fokus geht es Indien um einen 2 Im Gegenzug fiel der Anteil der G7-Staaten Platz an der Sonne und den USA um einen seit 2000 von rund zwei Dritteln auf 44 Prozent im Jahr 2016. Ihr Anteil an der Weltbevölkerung strategisch Verbündeten bei der Rückgewin- beträgt heute kaum mehr als 10 Prozent und nung der globalen Vorherrschaft. sinkt immer weiter. 3 Die jüngsten Prognosen bestätigen die Voraus­ sagen von Goldman Sachs von 1999/2001. Die Literatur sieben größten Schwellenländer, neben den CIA, 2017, The World Factbook, unter: www.cia. BRICS noch die Türkei, Indonesien und Mexiko, gov/library/publications/the-world-factbook/ haben danach schon 2015 mit den G7-Staaten geos/bf.html gleichgezogen und ihre Wirtschaftskraft wird die Neelsen, John P., 2016: Konfliktreicher Wandel der G7 bereits im Jahr 2040 um das Doppelte zu einer multipolaren Welt – Die BRICS und übertreffen (vgl. hierzu Pcw Global 2015; CIA 2017 die Shanghai Organisation für Zusammen- und O’Neill 2015). arbeit, in: Lühr, Henken (Hg.), Wege aus der 4 Mit der string of pearls sind neben Abkommen Kriegslogik – Für eine neue Friedenspolitik, mit Pakistan spezielle Vereinbarungen Chinas Kassel, 209–223 mit Sri Lanka, Myanmar, den Malediven und Ders., 2014: Das Empire schlägt zurück: TTIP Nepal gemeint. versus BRICS, in: Sozialismus, 12/2014, 2–9 5 Vgl. www.pwc.com/gx/en/issues/economy/ O’Neill, Jim, 2001, Building Better Global Econo- the-world-in-2050.html mic BRICs, Goldman Sachs, Global Economics 6 Dieses von den USA und Indien unter- Paper No. 66 zeichnete Abkommen wird auch US-indischer Pcw Global, 2015, The World in 2050. Will the Nukleardeal genannt. Zu Inhalt und Kritik vgl. shift in global economic power continue?, www.cfr.org/india/us-india-nuclear-deal/p9663. www.pwc.com/gx/en/issues/the-economy/ 7 So ist zum Beispiel der Umfang des Waffenhan- assets/world-in-2050-february-2015.pdf dels zwischen beiden Ländern seit 2008 von einer Pohle, Lutz, 2016: Neue Runde im Konflikt um das Milliarde auf 14 Milliarden US-Dollar gestiegen südchinesische Meer, hg. von der Rosa-Luxem- (vgl. www.firstpost.com/india/pentagon-credits- burg-Stiftung, Standpunkte 20/2016, Berlin ashton-carter-with-spearheading-deepening-of- Rilling, Rainer, 2016: Trump: Auf dem Weg zu india-us-defence-cooperation-3147924.html). einem neuen Machtblock, in: LuXemburg 8 Danach sind Asien und Ozeanien mit Indien online, November 2016, www.zeitschrift- an der Spitze seit 2012 die größten Waffenimpor- luxemburg.de/trump-auf-dem-weg-zu-einem- teure (plus 43 %). In diesem Rahmen ist auch der neuen-machtblock/ Bau eines THAAD-Raketenschilds in Südkorea Schmalz, Stefan/Ebenau, Matthias, 2011: Auf dem durch die USA (offiziell gegen Nordkorea Sprung – Brasilien, Indien und China. Zur ge- gerichtet, in Wahrheit aber zur Flugüberwachung sellschaftlichen Transformation in der Krise, Chinas gedacht) oder die Ermunterung von Prä- hg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Reihe sident Trump an die Adresse Seouls und Tokios, einundzwanzig, Bd. 4 sich um eigene A-Waffen zu kümmern, zu sehen.

John P. Neelsen 45 Ein Sieg der Interventionisten? Zur Russland-Politik der USA

Erhard Crome

Die Regierung Trump sei »zwar absto- Banken gelockert, Neueinstellungen und ßend vulgär, xenophob, nationalistisch Budgets des Öffentlichen Dienstes eingefro- und rückwärtsgewandt – da sie sich aber ren, Obama-Care reduziert, Abtreibungsfi- kaum einmal durchsetzen konnte, blieb nanzierung im Ausland untersagt und die sie dabei jedoch relativ harmlos«, meinte Rüstungsausgaben erhöht. Außerdem hat Spiegel-Autor Stefan Kuzmany (www. er die Ernennung von Neil Gorsuch zum spiegel.de, 1.8.2017). Trump kriege »nichts Mitglied des Obersten Gerichts der USA gebacken«. Das aber könnte sich ändern, durchgesetzt und damit dort die konservati- wenn Ex-General John Kelly Ordnung in ve Mehrheit wiederhergestellt. den Stab des Weißen Hauses bringe. Um sich hat Trump eine Regierung Nun ist fragwürdig, ob diese Administ- vor allem alter Männer geschart, darunter ration bisher nichts erreicht habe. Präsident Generäle und Milliardäre. Etliche Journa- Trump regierte zunächst mit Dekreten. listen meinten, das seien keine Politiker, Das zum Verbot der Einreise aus musli- unerfahren, nicht profiliert. Tatsächlich sind mischen Ländern war Protestobjekt vieler es Leute, die in ihren früheren Tätigkeiten Anti-Trump-Demonstrationen. Derweil in Wirtschaft und Militär gewohnt sind, hatte er Umweltstandards gelockert, um selbständig zu agieren. Und die reich genug den Kohlebergbau wieder zu fördern, zwei sind, sich nicht bestechen lassen zu müssen. Pipelines genehmigt, die Präsident Barack Während bisher in den USA eine Politiker- Obama aus Umweltschutzgründen unter- kaste im Auftrag des global orientierten Teils sagt hatte, das Projekt Mauer gegen Mexiko der herrschenden Kapitaleigner waltete, hat weiter vorangebracht, Begrenzungen für die jetzt ein Flügel der herrschenden Klasse

46 Ein Sieg der Interventionisten? selbst und direkt die Macht übernommen, in Syrien geführt, die gesamte Region des um den Kurs des Landes zu verändern. Ob Nahen Ostens ins Chaos gestürzt und dem sie damit durchkommen, wird sich in den sogenannten Islamischen Staat überhaupt Auseinandersetzungen der nächsten Jahre erst Raum zur Entfaltung gegeben. Offen entscheiden (vgl. Crome 2017, 25f.). kritisierte er Obama und Hillary Clinton, die als seine Außenministerin dafür Der verkündete Kurswechsel mitverantwortlich war; in der Sache war es Das eigentliche Problem der USA ist ihre auch Kritik an der Außenpolitik der Bush- imperiale Überdehnung. Das wurde schon Familie und der »Neo-Konservativen«. unter George W. Bush, vor allem mit den Der Grundbefund lautete: Die katastrophalen Ergebnissen der Kriege USA seien geopolitisch geschwächt, in Irak und Afghanistan sichtbar. Barack weil sie wirtschaftlich geschwächt sind. Obama hatte nicht umgesteuert, sondern Eine kohärente Außenpolitik der USA versucht, die globale Interventionspolitik müsse auf den amerikanischen Interessen etwas geschickter fortzusetzen. Ergebnisse beruhen. Dazu müsse das Land »aus dem waren der Regime-Change-Krieg gegen Geschäft des nation-buildung« in anderen Libyen, der Regime-Change-Putsch in der Ländern »aussteigen« und auf »Stabilität Ukraine und der Syrienkrieg. in der Welt« zielen. Die Spannungen mit Bereits am 27. April 2016 hielt Russland sollten verringert und die Bezie- Donald Trump im Mayflower-Hotel in hungen verbessert werden, der »Zyklus Washington vor ausgesuchtem Publikum der Feindschaft« müsste beendet werden. seine außenpolitische Grundsatzrede, in Auch in Bezug auf China betonte Trump der er verkündete, was er als Präsident zu die Notwendigkeit guter Beziehungen, tun beabsichtige. Es gehe um Frieden und allerdings unter der Voraussetzung einer Wohlstand und deshalb um »eine neue Reduzierung des Außenhandelsdefizits außenpolitische Richtung«, in der »Ziello- der USA gegenüber der Volksrepublik. sigkeit durch Zweckgerichtetheit, Ideologie »America First« wurde als politische durch Strategie und Chaos durch Frieden« Grundlinie verkündet. Das Volk der USA ersetzt werden müssten. Die USA hätten werde »den falschen Gesängen des Globa- es nach dem Kalten Krieg nicht verstan- lismus« nicht länger folgen. Unter seiner den, »eine neue Vision für eine neue Zeit« Präsidentschaft werde es keine internatio- zu entwickeln. An die Stelle logischen nalen Abkommen geben, die die Fähigkeit Handelns seien »Torheit und Arroganz« der USA, »die eigenen Angelegenheit zu getreten, die die Außenpolitik »von einer kontrollieren, beeinträchtigen«. (www.do- Katastrophe zur nächsten« geführt habe. naldjtrump.com). Das bereits ausverhan- Im Nahen Osten habe das vom Irak zu delte Pazifische Handelsabkommen (TPP) Libyen und schließlich zu Obamas Linie wurde von Trump aufgekündigt, das von

Erhard Crome 47 Deutschland und der EU einerseits und der Obama-Administration andererseits erstrebte und zum Teil bereits verhandelte Handelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) auf Eis gelegt.

Gegenkräfte Damit hatte Trump die global orientierten Interventionisten beider Parteien gegen sich. Auf der sogenannten Sicherheitskon- ferenz in München 2017 waren u.a. die re- publikanischen US-Senatoren John McCain und Lindsey Graham, beide erklärte Gegner Trumps und Vertreter einer absichtsvollen weiteren Verschlechterung der Beziehun- gen zu Russland. Graham prophezeite: »2017 wird das Jahr, in dem der Kongress Russland in den Hintern tritt.« Er wolle mit anderen Republikanern und zusam- men mit den Demokraten entsprechende den sich jedoch Passagen, über die ebenso Beschlüsse im Kongress herbeiführen. Das einhellig nicht berichtet wurde: Trump ist mit den jüngsten Boykott-Gesetzen in bezeichnete die Fragen zu Russland, im die Tat umgesetzt worden. Sinne des angeblichen russischen Hackings Trump hatte in einer seiner berüch- und seiner vorgeblichen Beziehungen tigten Twitter-Nachrichten bereits am 29. nach Russland, als Trick. Wenn die beiden Januar geschrieben, die beiden Senatoren Staaten zusammenkämen und Gemein- sollten sich lieber mit dem Kampf gegen samkeiten fänden, wäre das gut. »Und den IS, der illegalen Migration und der vergessen Sie nicht, wir sind eine sehr Grenzsicherheit befassen, »statt ständig starke Nuklearmacht und sie sind es eben- zu schauen, wie sie den Dritten Weltkrieg falls. Daran kann kein Zweifel bestehen.« beginnen können«. Bei einer Zuspitzung könnte es »einen Über Trumps Pressekonferenz am nuklearen Holocaust ohnegleichen« geben. 16. Februar in Washington wurde nahezu »Wenn wir gute Beziehungen zu Russland einhellig berichtet, er habe die Presse hätten, wäre das eine gute Sache, nicht eine beschimpft und die gestellten Fragen nicht schlechte.« Nur hinderten die Auseinander- beantwortet. Die New York Times hatte ein setzungen in Washington ihn daran, einen Wortprotokoll ins Netz gestellt. Darin fin- »guten Deal« mit Putin auszumachen.

48 Ein Sieg der Interventionisten? In den USA nimmt die Hysterie in Sachen Stoerer Dresden/flickr Russland, »Russland-Connection« des Präsidenten, angeblicher Einmischung in Russlands »Aggressionen« in Syrien oder die Präsidentenwahlen 2016 nicht ab, wie der Ukraine als Gründe für ihr Abstim- normalerweise im Zeitverlauf zu erwarten mungsverhalten anführen zu sollen. wäre, sondern weiter zu. Am 15. Juni hatte Am 25. Juli beschloss das USA-Reprä- der US-Senat mit 97 zu zwei Stimmen sentantenhaus mit der breiten Mehrheit nahezu geschlossen für die Verlängerung von 419 gegen drei Stimmen seinerseits der unter Obama verhängten Sanktionen ein Gesetz, das neue Sanktionen gegen gegen Russland gestimmt. Betroffen sind Russland, den Iran und Nordkorea Bereiche des Maschinenbaus und des vorsieht, im Paket. Das sollte besonders Bergbaus, vor allem aber geht es gegen schlau sein: Trump hatte sich mehrfach den russischen Energiekomplex. McCain für Sanktionen gegen Nordkorea und Iran forderte, Russland müsse »einen Preis für ausgesprochen. Wenn er hier intervenierte, seine Taten« bezahlen, die es mit seinem um die Bestimmungen zu Russland zu er- »Angriff auf unsere Demokratie« began- leichtern, würde er seine Politik in den bei- gen habe. Die sind nach wie vor nicht den anderen Fällen desavouieren. Zugleich bewiesen. Andere Abgeordnete meinten, wurde das als geschickte Falle angesehen:

Erhard Crome 49 Lässt Trump das Gesetz, nachdem es eben- Regierung in Washington wendet […] eine falls vom Senat bestätigt wurde, passieren, klassische strategische Denkfigur an, die erschwert er seine Russlandpolitik; greift aber ungeeignet ist für ein Land von der er zum Veto, würde dies als Eingeständnis Größe eines Kontinents: die ‚Strategie des seiner Russland-Connection interpretiert. Verrückten‘, nach der man potentiellen Geg- So war davon auszugehen, dass er das nern möglichst unberechenbar erscheinen Gesetzespaket passieren lässt. sollte, weil sie das noch stärker einschüch- Obama hatte mit den Russland-Sankti- tere.« (Todd 2003, 14) Dies wird derzeit der onen in der Endphase seiner Präsidentschaft Regierung von Donald Trump unterstellt. nicht nur Trump den Weg zur Veränderung Seine Drohungen gegen Nord-Korea, den der Außenpolitik verbauen wollen. Zugleich Iran, Venezuela oder China sprechen dafür. wurde die Legende institutionalisiert, Doch die globalstrategische, interven- Trump sei ein illegitimer Präsident, weil er tionistische Außenpolitik von Franklin D. nur mit Hilfe der Russen ins Weiße Haus Roosevelt bis Barack Obama wurde von der gekommen sei. Die unzähligen Anwürfe der US-Bevölkerung bezahlt; eingebracht hat meisten großen Medien der USA in Sachen sie den global orientierten Großfirmen und Trump und Russland, die immer neuen dem Teil der Bevölkerung an den Küsten »Ermittlungen«, die unaufhörlichen Anhö- etwas, der mit diesem Teil der Wirtschaft rungen in Parlamentsausschüssen seiner verbunden ist. Deshalb wurde von den ehemaligen oder jetzigen Mitarbeiter stehen anderen Trump gewählt. »America First« in dieser Kontinuität. Der politische Gegner meint, sich der veränderten Lage der USA soll demontiert werden. Das Establishment in der Welt anzupassen. Außenminister Rex schlägt zurück. Tillerson (2017) hat in einer Grundsatzrede Vielleicht steht dahinter aber auch vor Mitarbeitern des Außenministeriums ein weiterer Grund: Die Angst vor dem am 3. Mai 2017 seine Schlussfolgerungen Hegemonieverlust: »Dieser hat zwar mit der für die USA-Außenpolitik umrissen. Eine Politik des Kreml nur wenig bis gar nichts »Strategie des Verrückten« lässt sich daraus zu tun, das alte Feindbild Russland erspart nicht herleiten. Wohl aber eine weitreichen- allerdings manchen westlichen Strategen de Kursänderung, die die westeuropäische eine Beschäftigung mit den tiefer liegenden politische Kaste unvorbereitet trifft. Im Ursachen des eigenen zunehmenden Verhältnis zu Russland gehe es um eine Bedeutungsverlustes.« (Hofbauer 2017, 285) »Wiederannäherung« der »beiden größten Atommächte der Welt«. Als ersten Bereich Welche Perspektiven? der Zusammenarbeit nannte Tillerson Der französische Sozialwissenschaftler Syrien, um dann auf »eine lange Liste von Emmanuel Todd schrieb über die US- Dingen« zu verweisen, »angefangen mit un- Außenpolitik unter George W. Bush: »Die seren Rüstungsabkommen und Problemen,

50 Ein Sieg der Interventionisten? die wir mit unseren Atomwaffenabkommen die Präsident Putin damals nicht getroffen haben, bis natürlich hin zur Ukraine, der hatte, auf eine Verbesserung der russisch- Krim und anderen Orten, an denen sich US-amerikanischen Beziehungen hoffend. Russland nicht gerade hilfreich verhält«. Trump zelebrierte inzwischen die Eine solche Formulierung ist eine diploma- Einweihung des neuen US-Flugzeugträgers tische Brücke, keine Schuldzuweisung. »Gerald R. Ford«, der erste einer neuen Trotz oder gerade wegen der Kon- Klasse. Fast zur selben Zeit kam die gress-Beschlüsse gegen Russland betonte Mitteilung, dass Russlands Marine über Tillerson am 1. August 2017, die USA eine neuartige Antischiffsrakete verfügt, die wollten die Meinungsverschiedenheiten achtfache Schallgeschwindigkeit fliegt, nicht mit Russland ohne einen offenen Konflikt abwehrbar ist und einen Flugzeugträger beilegen. »Ich glaube nicht«, sagte er, »dass versenken kann. Eine weitere Weltneuheit die Amerikaner wollen, dass wir schlechte war: Ende Juli fanden erstmals chinesisch- Beziehungen zu einer großen Atommacht russische Seemanöver in der Ostsee statt. haben.« Den Hintergrund für die jüngs- Am 30. Juli 2017 hat Russland eine große ten Gesetze interpretierte er so: »Aber Flottenparade in St. Petersburg veranstaltet, ich glaube, sie sind frustriert, und diese an der auch die chinesischen Flottenkräfte Frustration spiegelt in vielem wider, dass teilnahmen. Am selben Tag nahm Chinas wir nicht jene Verbesserung der Beziehun- Präsident, Xi Jinping, nördlich von Peking gen zu Russland sehen, die wir gern sehen auf einem Truppenübungsplatz eine wollten« (politico.com, 1.8.2017). Damit hat große Militärparade ab, in der auch neue er Moskau für die Kongress-Beschlüsse ver- nuklear-strategische Waffen gezeigt wurden. antwortlich gemacht, gleichwohl aber den Beide Großmächte nehmen die Signale aus Willen der US-Regierung zu guten Bezie- Washington als politische, auf die sie auf hungen zu Moskau bekräftigt – ganz gegen symbolischer Ebene militärisch-politisch die Intention der Boykott-Befürworter. geantwortet haben. Eines haben die Die russische Regierung hat derweil Washingtoner Boykotteure bereits geschafft: verfügt, die Personalzahl an der US-Bot- Die Weltkriegsgefahr wächst und Russland schaft und den Konsulaten in Russland bis und China rücken noch enger zusammen. September auf 455 zu reduzieren. Das ent- Literatur spricht der Zahl der russischen Diplomaten Crome, Erhard, 2017: Faktencheck: Trump und in den USA nach der Ausweisung russischer die Deutschen, Berlin Hofbauer, Hannes, 2017: Feindbild Russland. Diplomaten durch Obama Ende 2016. Ein Geschichte einer Dämonisierung, Wien Wochenend-Domizil der US-Diplomaten Tillerson, Rex, 2017: Grundsatzrede zur US- wurde geschlossen. Ebenfalls eine spie- Außenpolitik, blogs.usembassy.gov/amerika- dienst/2017/05/03/us-aussenpolitik/ gelverkehrte Maßnahme – diplomatisch Todd, Emmanuel, 2003: Weltmacht USA. Ein gesprochen: Retorsion – zu denen Obamas, Nachruf, München/ Zürich

Erhard Crome 51 Trump an der Grenze Mexiko, Migration und Freihandel

Miriam Boyer

»Wann schlagen wir Mexiko an der Millionen von Migrant*innen ermutigte. Grenze? Sie lachen uns aus, lachen über Dass Mexiko und Mexikaner*innen ein unsere Dummheit«, beklagte Trump Hindernis beim »make America great als er seine Kandidatur im Juni 2015 again« darstellten, diente wiederholt der ankündigte. »Und nun schlagen sie uns Befeuerung von Trumps Kampagne und auch wirtschaftlich […] Die USA sind zur vereinigte drei zentrale Themen, die dabei Müllkippe der Probleme aller anderen halfen, ihn ins Weiße Haus zu bringen: geworden.« Im Juli jenen Jahres, twitterte Eine Eindämmung der Einwanderung er daraufhin: »Die mexikanischen Politiker durch Massenabschiebungen von zwei und Verhandlungsführer sind viel härter bis drei Millionen nicht dokumentierten und schlauer als die der USA. Mexiko Migrant*innen; die Sicherung der Süd- zerstört unsere Jobs und unseren Handel. grenze durch den Bau einer Mauer deren WACHT AUF!« Trumps wiederkehrende Kosten die mexikanische Regierung zu Botschaft, dass die Mexikaner*innen tragen hätte; und angesichts des Handels- verantwortlich für die ökonomischen und defizits mit Mexiko, die Einführung von auch die sozialen Probleme seien – die Zöllen und die Wiederverhandlung oder von ihm häufig erwähnten Drogen und ggf. der Ausstieg aus dem Nordamerikani- Kriminalität – trafen einen Nerv unter den schen Freihandelsabkommen (NAFTA). verarmten Arbeiter*innen des mittleren Westens, die über die Jahrzehnte indust- Migration und Sicherheitspolitik riellen Niedergangs litten, als das Kapital Verschont von den Streitigkeiten im ins Ausland abwanderte und umgekehrt Kongress, die Trumps politische Ziele in

52 Trump an der Grenze anderen Bereichen wie der Gesundheits- Justizminister Sessions an, Trump werde und der Steuerreform bisher gebremst das von seinem Vorgänger Barack Obama haben, hat sich bei Trumps Agenda zur verfügte Programm Deferred Action for Einwanderungspolitik durch direkte Childhood Arrivals, kurz DACA, in sechs Maßnahmen wie Präsidentenerlasse etwas Monaten beenden wobei der Kongress mehr bewegt. Obwohl sein Versuch, die diese Zeit für eine neue Regelung nutzen Einreise von Bürger*innen aus Ländern kann. Das Programm aus dem Jahr 2012 mit muslimischer Mehrheit aufgrund von gewährte eine zeitweilige Aufenthalts- und Gerichtsentscheiden bisher nicht gelang, Arbeitserlaubnis für junge Migrant*innen, hatte er, unterstützt vor allem von Justiz- die im Alter von unter 16 Jahren in die minister Jefferson Sessions, mehr Erfolg USA einwanderten. Davon sind knapp bei der Initiierung von Maßnahmen, die 800 000 Menschen betroffen. sich primär gegen die elf Millionen nicht Stellt man die Verbindung zwischen dokumentierte Migranten (3,4 Prozent Trumps Politik und der seiner Vorgänger der Bevölkerung) richten, die derzeit in her, so zeigt sich jedoch, dass es sich den Vereinigten Staaten leben. Das betraf nicht um einen völlig neuen Angriff auf Erlasse, die Kategorie von Menschen Migrant*innen handelt, sondern dass er erweiterte, die »prioritär rückzuführen« auf einen bereits vorhandenen brutalen sind, sowie Kürzungen von Bundeszu- Vollstreckungsapparat zurückgreift, der schüssen für Zufluchtsstädte (sanctuary nun deutlicher sichtbar und legitimiert cities), d.h. Städte oder Kommunen, die werden soll. Dies lässt sich mindestens bis die Umsetzung der Einwanderungsge- zu William Clintons Illegal Immigration setze begrenzen oder behindern. Vom Reform and Immigration Responsibility Justizministerium gingen Memoranden Act aus dem Jahr 1996 zurückverfolgen, an die Bundesanwält*innen, in denen einem Gesetz, das Ordnungswidrigkei- diese ermutigt wurden, alle zu bestra- ten als schwere Straftaten (aggravated fen, die Migrant*innen Unterschlupf felonies) für Migrant*innen redefinierte, gewähren, sowie sogenannte Scheinehen Abschiebungen erleichterte und erhöhte, zur Erlangung von Aufenthaltsgenehmi- und Asylanträge erschwerte. Im gleichen gungen als schwere Straftat zu verfolgen. Jahr erweiterte Clintons Antiterrorism and Ende August begnadigte Trump Joseph Effective Death Penalty Act den Katalog der Arpaio, einen ehemaligen Sheriff aus Gründe zur Inhaftierung und Deporta- Arizona der beschuldigt wurde, sich über tion von Migrant*innen, einschließlich einen Gerichtsbeschluss hinweggesetzt solchen, die legal in den USA lebten. Es zu haben, mit dem unterbunden werden war das erste US-Gesetz, das die Schnell- sollte, dass seine Polizisten ethnisches Pro- verfahren zur Ausweisung ermöglichte, filing verüben. Zehn Tage später kündigte die heute breite Anwendung finden. In der

Miriam Boyer 53 Zeit von 2002 bis 2013 erhöhten sich die und Morde an Migrant*innen, Brand- Ausgaben zur Durchsetzung der Einwan- stiftung von Moscheen etc.) gestiegen. derungsgesetze um das Dreifache und Trumps offene Unterstützung für Arpaio, erreichten 17 Milliarden Dollar jährlich. der im Jahr 2008 sein Freiluftgefängnis So erhielten unter Obama die Behörden, für Migrant*innen als »Konzentrationsla- die mit der Durchsetzung dieser Gesetze ger« bezeichnete und der auf ein langes befasst waren, mehr Haushaltsmittel Register von Polizeibrutalität zurückblickt, als alle anderen Bundesbehörden zur ist eine Ermutigung zu Gewalt sowie ein Strafverfolgung zusammen, einschließlich Rückschlag für die Kämpfe der Rechte von FBI und DEA (die US-Drogenbehörde). Migrant*innen. Doch ist eine Kontex- Was die Ausweisung nichtdokumentierter tualisierung in der bisherigen Politik Migrant*innen betrifft, hat Trump bisher unerlässlich, um die entscheidende Frage weniger getan als sein direkter Vorgänger zu beantworten, ob es Trump gelingen im Weißen Haus: In Trumps fünf ersten kann, jenseits der präsidialen Anord- Monaten lag die durchschnittliche Zahl nungen und direkten Maßnahmen, die der Abschiebungen niedriger (16 900 dominanten Machtverhältnisse in Bezug pro Monat) als jene in irgendeinem Jahr auf Migrationspolitik zu verschieben. Zum während der Amtszeit von Barack Obama, einen haben die meisten Republikaner im bei dem es bis zu 34 000 Abschiebungen Kongress geäußert, die Einwanderungs- pro Monat gab. Tatsächlich ist Trumps gesetzerneuerung sei nicht prioritär. Im reines Versprechen, zwei bis drei Millio- genehmigten Haushaltsplan von Mai nen nichtdokumentierter Migrant*innen ließ der Kongress auch tatsächlich die abzuschieben niedriger als die Zahl der Ausgaben für die Zufluchtsstädte unbe- realisierten Abschiebungen unter Obama, rührt und genehmigte auch nicht mehr der laut Statistiken des Ministeriums Mittel für Abschiebungs-Sondereinheiten. für Heimatschutz insgesamt 3,1 Milli- Gesetzesmaßnahmen zur Eindämmung onen Migrant*innen während seiner der Einwanderung wie das RAISE-Gesetz, Amtszeit auswies, was ihm unter den das vorschlägt, die legale Einwanderung Unterstützer*innen von Migrant*innen von ca. 800 000 neuen Migrant*innen den Titel deporter-in-chief einbrachte. bis 2027 jährlich um 50 Prozent zu Der Vergleich soll Trumps Politik reduzieren, sind wegen ihrer möglichen nicht verharmlosen, zielt sie doch darauf negativen wirtschaftlichen Auswirkungen ab und gelingt es ihr, unmittelbare Gewalt selbst unter Republikanern größtenteils gegen Migrant*innen und ethnische Min- als nichtig erachtet. Auf Bestimmungen derheiten zu erhöhen. Direkt nach seinem wie die Kündigung von DACA, dem Wahlsieg etwa ist die Anzahl rassistischer Schutzprogramm für junge Menschen, Verbrechen (Hassverbrechen wie Angriffe gingen Klagen von 15 Bundesstaaten ein.

54 Trump an der Grenze Ebenfalls angefochten werden derzeit finanziell) kostenaufwendigste Weise zu weitere Maßnahmen auf bundesstaatlicher intensivieren, einschließlich durch Projek- Ebene wie ein texanisches Gesetz, das te wie die 3000 km lange Mauer entlang Polizeichefs oder Sheriffs, die in ihren der mexikanischen Grenze. Einheiten das Einwanderungsgesetz nicht durchsetzen, mit Geldstrafen von bis zu Mexiko hat bereits für 25 000 USD belegt. Aussagekräftig ist die Mauer bezahlt auch die veränderte Zusammensetzung An seinem fünften Tag im Amt begann des Kabinetts um Trump. Hier haben vor Trump mit der öffentlichen Inszenierung allem Vertreter des politischen Establish- der Pläne für den Mauerbau. In wenigen ments nach und nach ihre Stellung gegen Wochen gingen hunderte Bewerbungen Außenseiter wie etwa gegen den ent- von Architekturbüros bis hin zu Militä- machteten und nun entlassenen Stephen runternehmen ein. Bei einem Preis von Bannon behaupten können. Die Republi- 40 bis 70 Milliarden USD1 allerdings hat kaner buhlen zwar um die Stimmen der die Maßnahme relativ wenig politische Gruppen der extremen Rechten, doch nach Unterstützung gefunden. Laut verschie- breiter öffentlicher Empörung wie etwa denen Umfrageergebnissen machten die nach den Attentaten von Charlottesville Stimmen zur gegen den Bau der Mauer distanziert sich der Mainstream der Partei ca. 70 Prozent aus. Selbst republikanische von ihnen vorsichtig. Infolge solcher Hardliner zögern, deren frühere Rufe nach Machtverschiebungen hat John Kelly, einer Verstärkung der Grenze durch mehr ehemals Direktor des Ministeriums für Zäune und Überwachung bereits unter Heimatschutz und heute Trumps Stabs- Obama unbeliebt waren und wiederholt chef, den Behauptungen des Präsidenten von einer republikanischen Mehrheit mehrmals widersprochen, seine Massen- im Kongress überstimmt wurden. Erst abschiebungen von nicht dokumentierten kürzlich hat Trumps Drohung eines Lateinamerikaner*innen würden auch »Regierungsstillstandes« (government ein militärisches Vorgehen implizieren. shutdown) durch eine mögliche Nicht- Kelly, der ehemalige Oberbefehlshaber des einigung zwischen Kongress und Southern Command in Lateinamerika, ist Präsident in Bezug auf den Haushalt keineswegs ein Gegner militärischer Ak- bzw. die Finanzierung der angekündigten tionen in der Region, doch behaupten er Mauer die Kluft innerhalb seiner eigenen und andere in Washington Positionen, bei Partei verschärft — wobei sich sowohl ein denen immer weniger davon auszugehen Stillstand der staatlichen Behörden als ist, dass sie wohlwollend zuschauen, wie auch eine Anhebung der Schuldengrenze Trump versucht, seine Anti-Establishment- für eine Mauer für die Republikaner Politik auf die (sowohl politisch als auch bei den Zwischenwahlen als politisches

Miriam Boyer 55 20 000 Grenzpatrouillenkräfte aktiv, eine Zahl, die sich unter Obama seit 2004 von 10 000 verdoppelt hat. Aktuell setzt sich die Grenze über eine Länge von eintau- send Kilometern aus Segmenten von Zäu- nen, Mauern oder anderen Hindernissen sowie militärischer Technologie wie Droh- nen und Fahrzeugerkennung zusammen. Sollte Trump jemals die Mauer oder einen Teil davon errichten, bliebe die Bedeutung größtenteils symbolischer Art. Darüber hinaus besteht einer der signifikantesten Aspekte des Grenzregimes in einer Ausla- gerungsstrategie: Sowohl die Polizeiarbeit zum Aufhalten von Migrant*innen wie zur Eindämmung des Schmuggels wurde nach Mexiko und Mittelamerika verlagert, insbesondere durch die Militarisierung der Rechtsdurchsetzung in Mexiko und BBC World Service Mittelamerika sowie durch die gezielte Verstärkung der Südgrenze Mexikos. Ein Desaster herausstellen könnte. Somit ist Beispiel hierfür ist die Mérida-Initiative es unwahrscheinlich, dass selbst Trumps von 2008, ein internationaler Vertrag erster Antrag in Höhe von 3,6 Milliarden zwischen den Vereinigten Staaten, Mexiko USD für die Steuerjahre 2018–2019 und mittelamerikanischen Ländern. durchkommt. Bisher wurden lediglich Seitens der Vereinigten Staaten wurden im 341 Millionen USD für Reparaturen an Rahmen des Abkommens zwischen 2008 bereits vorhandenen Grenzbarrieren für und 2017 insgesamt 2,8 Milliarden USD 2017 genehmigt. ausgegeben, darunter für militärische Dem in beiden Parteien vertretenden Ausrüstung und polizeilich militärische politischen Establishment in Washington Schulungen. Da allerdings die Mérida- ist klar, dass es keinerlei Sinn ergibt, eine Initiative nur einen geringen Teil des enorm teure Grenzbarriere zu errichten, eigenen Sicherheitsbudgets von Mexiko wenn bereits das Wirklichkeit ist, was ausmacht, ist vor allem die bereitwillige eigentlich Aufgabe der Mauer sein soll: Beteiligung der mexikanischen Regierung An der Grenze zwischen Mexiko und den an ebendiesen Strategien bezeichnend: Vereinigten Staaten sind derzeit mehr als Sie übernimmt zunehmend die Rolle des

56 Trump an der Grenze Juniorpartners bei der Durchsetzung der Bill Morrow/flickr US-Strategie und im sogenannten Anti- Drogen-Krieg, der seit 2006 in Mexiko xiko tendenziell auf eine Militarisierung etwa 150 000 Menschenleben gekostet und der Polizeiarbeit auf der anderen Seite zu ca. 28 000 Vermissten geführt hat. der Grenze zielt, während gleichzeitig Mit anderen Worten kommt zur wirtschaftliche Hilfsprogramme zur trumpschen Farce hinzu, dass Mexiko Unterstützung einer Justizreform oder zur bereits teuer für eine ›Mauer‹, die schon Gewaltprävention um 45 Prozent gekürzt existiert, bezahlt hat und dies auch werden. Zudem werden ehemals vom weiterhin tut, indem das Land für einen Außenministerium beaufsichtigte Teil der Sicherheitspolitik der USA bilaterale Sicherheitsprogramme dem aufkommt, sowohl finanziell als auch in Verteidigungsministerium oder dem Form der mexikanischen Leben, die einen Ministerium für Heimatsschutz unterstellt Großteil der Gewalt schultern, die mit dem und somit zu einer politischen Grauzone unersättlichen Hunger nach Betäubungs- jenseits der öffentlichen Kontrolle. Dass mitteln und billiger Arbeitskraft der USA Mexiko die Polizeiarbeit für die Vereinig- einhergeht. Trumps Budget zeigt, dass ten Staaten übernimmt, erweist sich für seine Sicherheitspolitik in Richtung Me- diese als nützlich seitdem in den USA

Miriam Boyer 57 der stark ­ansteigende Zustrom mittel- stützung von Trumps vermeintlichem amerikanischer Migrant*innen spürbar Plan, NAFTA aufzukündigen, vernehmen. geworden ist, die auf der Flucht waren Obwohl es interessant ist, wie die Kritik vor den Auswirkungen jahrzehntelanger am Freihandel soweit in den politischen US-Bemühungen zur Unterstützung von Mainstream vordringen konnte, dass Putschen in der Region, zur Privatisierung selbst jemandem wie Hillary Clinton die und Deregulierung und zur Finanzie- halbherzige Behauptung entlockt wurde, rung, Schulung und Bewaffnung von sie lehne das Trans-Pacific Partnership- Diktatoren, die für Terror und Massaker Abkommen (TPP) ab, steht dieses inner- verantwortlich waren. Als 2014 in den halb des politischen Establishments der USA ein starker Anstieg an asylsuchenden USA gegenwärtig nicht zur Disposition. Kindern, Minderjährigen und Frauen Trumps Regierung setzt sich zusammen verzeichnet wurde, die einzureisen ver- aus Vertretern des transnationalen Kapi- suchten, weil die Gewalt in ihren Ländern tals: für seinen Wirtschaftsberater Gary förmlich explodierte, führte Mexikos Cohn, Handelsminister Wilbur Ross oder Regierung das Programm Frontera Sur Finanzminister Steven Mnuchin, um nur ein. Es hatte zur Folge, dass es bei den einige aufzuzählen, bedeutet Freihandel 400 000 Migrant*innen, die Mexiko ein Muss. Während der ersten Monate von jährlich in Richtung USA durchqueren, zu Trumps Amtszeit gab es eine erhebliche deutlich mehr Festnahmen kam sodass die Mobilisierung sowohl innerhalb des mexikanischen Behörden nun doppelt so engeren Regierungskreises als auch in viele Mittelamerikaner*innen abschieben der Republikanischen Partei, in der sich wie die USA es tut. Bei der Konferenz zu viele gegen Trumps Entscheidung für Wohlstand und Sicherheit in Mittelameri- Robert Lighthizer – einen bekennenden ka, zu der unter anderem Mexiko und die Protektionisten – als Trumps Handels- USA im Juni 2017 einluden, lobte Trump beauftragten aussprachen. Hunderte Mexikos Rolle und betonte, das Land solle Branchenvorstände unter anderem aus der mehr Verantwortung für die Aufrechter- Agrar-, Luftfahrt- oder Automobilindustrie haltung der Sicherheit in Mittelamerika übten Trump und der Handelskammer übernehmen. Währenddessen plant die gegenüber Lobbyarbeit und brachten ihre US-Regierung, die Hilfen für Mittelameri- Beschwerden gegen einen NAFTA-Austritt ka um 42 Prozent zu kürzen. vor. Obwohl Trump sich wenige Tage nach seiner Amtseinführung von TPP Freihandel ist noch immer König zurückzog, wird sein Handeln durch die Ein vergleichbarer Grad an Enthusiasmus Tatsache relativiert, dass bereits Obama wie für den Mauerbau lässt sich bislang keine Mehrheit gefunden hatte, um dessen in Washington in Bezug auf die Unter- Ratifizierung zu priorisieren. Tatsächlich

58 Trump an der Grenze »Rally in solidarity with immigrants and refugees«, Minneapolis, USA, Februar 2017, Fibonacci Blue/flickr gab Trump auf seine Forderung nach geringer, Trump werde »etwas Verrücktes einem NAFTA-Austritt zur Amtsübernah- wie einen NAFTA-Austritt vollziehen« – wie me folgend im April bekannt, es würde der Financial Times zuvor im Frühjahr lediglich Nachverhandlungen geben und berichtete. nachdem die Ziele seiner Regierung für Auf der mexikanischen Seite ist die das Abkommen veröffentlicht wurden, regierende Partei PRI ebenso wenig wie sahen viele TPP sogar durch die Hintertür ihre größte Opposition innerhalb des Kon- mithilfe von NAFTA kommen. gresses, die PAN, an protektionistischen Seitdem hat Trump, wenn er in politi- Maßnahmen interessiert. Sie vertreten die sche Turbulenzen geriet, wiederholt behaup- Interessen des NAFTA-Kapitals in Mexiko, tet, die USA würden letzten Endes doch aus insbesondere die der Eliten der wichtigsten NAFTA aussteigen. Doch aufschlussreicher Exportbranchen: Allgemeine Fertigung, Au- als Trump auf Twitter scheinen die bereits tomobilindustrie und Agrarindustrie – um erwähnte starke Präsenz transnationalen Ka- sie ihrer Bedeutung nach zu ordnen. Diese pitals in hochrangigen Machtpositionen als Bereiche haben jährliche Zuwachsraten in auch die Tatsache, dass finanzielle Schlüs- Höhe von zehn bis zwölf Prozent verbucht selakteure wie die Rating-Agenturen sich als Exporte von 52 Milliarden USD 1994 bislang nicht besonders beeindruckt gezeigt auf 300 Milliarden USD heute angestiegen haben. Obwohl Trumps Wahlsieg den Mexi- sind. Jenseits dieser Branchen allerdings kanischen Peso zunächst auf Sturzflug ge- könnte jegliche Darstellung Mexikos als schickt hatte, kam er mittlerweile wieder zu ein Gewinner NAFTAs kaum falscher sein. Kräften. Fitch Ratings berichtete im August, Mexikos primäre »komparative Vorteile« sie erwarteten, dass gegenseitiger zollfreier in NAFTA sind billige Löhne und Deregu- Zugang für Industriegüter ein vorrangiges lierung im Umweltbereich: Reale Mindest- Ziel bleibe und dass es als unwahrscheinlich löhne sind um ca. 20 Prozent im Vergleich gelte, dass die USA die anfänglich gemut- zu 1994 gefallen, was bedeutet, dass heute maßten sogenannten Ursprungsregeln Gehälter lediglich 28 Prozent des BIP aus- anwendeten, die zum Beispiel festlegen machen, während in Ländern wie Brasilien würden, ob in Deutschland hergestellte oder selbst Honduras dieser Anteil näher Autoteile, die in Mexiko zusammengesetzt an 50 Prozent liegt. In der Automobilindu- werden, als mexikanisch klassifiziert werden strie beispielsweise, wo die meisten mexika- könnten, um so den Marktzugang Mexikos nischen Arbeiter*innen eher Fahrzeugteile zu den USA zu beschränken. Je stärker sich anfertigen, als dass sie Autos montieren, Trump und seine Regierung im Zentrum erhalten sie einen Durchschnittslohn des bisherigen politischen Establishments von 2,50 USD pro Stunde, wohingegen angesiedelt haben, werden die Befürchtun- US-Arbeiter 20 USD je Stunde für erstere gen innerhalb des internationalen Kapitals und 30 für letztere Tätigkeit erhalten (zum

60 Trump an der Grenze Vergleich: die Löhne in China bei Anfer- ten Weg zu folgen: Das mexikanische tigung Fahrzeugteile liegen bei 3,60 USD Verhandlungsteam ist in den linken pro Stunde). Gleichermaßen verhält es sich Medien dafür kritisiert worden, keine klare mit Deregulierungen im Umweltbereich, Verhandlungsstrategie vorzuzeigen außer angefangen bei der Ernährung. NAFTA Investoren damit beruhigt zu haben, dass brachte gewaltige Mengen an Direktinvesti- eine Erhöhung mexikanischer Löhne tionen mit sich, sowohl in die hochgradige kein Verhandlungsthema sein wird. Der Verarbeitung von Nahrungsmitteln als auch Verhandlungsprozess ist bürokratisch und in aggressive Einzelhandels- und Wer- könnte ohne Weiteres andauern bis lange bestrategien, beides verbunden mit dem nachdem Trump sein Amt abgibt. Nicht- Entstehen schwerwiegender öffentlicher destotrotz haben die regierenden Parteien Gesundheitsprobleme unter Kindern durch beider Staaten ein Interesse daran, zügig Übergewicht und Diabetes. Investitionen zu verhandeln, da sich die Zwischenwah- nach Mexiko wurden gefördert durch die len im US-Kongress für November 2018 Lockerung von Umweltstandards, flankiert und die Präsidentschaftswahlen Mexikos von NAFTA Investorenschiedsgerichten. für Juli 2018 anbahnen. In Mexiko könnte Diese ermöglichen es, dass Firmen Klagen eine mögliche Trump(f)-Karte der mexika- gegen den Staat vorbringen. So wurden nische Linksmitte-Kandidat Andrés Manu- beispielsweise dem US-Unternehmen el López Obrador darstellen. Bislang ist er Metalclad 16,2 Millionen USD gezahlt, der populärste Kandidat und führt seine nachdem ihm die Bauerlaubnis für eine Kampagne zum dritten Mal mit einem toxische Abfallentsorgungsanlage nicht Wahlprogramm an, das sich für wirtschaft- erteilt worden war und somit aufgrund liche Schutzmaßnahmen einsetzt. Ob ihm von Umweltvorschriften die vorgesehenen das gelingen würde lässt sich momentan Profite nicht erreicht werden konnten. nicht erahnen angesichts der wenigen Offizielle mexikanische Statistiken schätzen und eher milden Mobilisierungen linker die jährlichen Kosten von Umweltschäden Kräfte in Mexiko im Zuge der Diskussion auf durchschnittlich zehn Prozent des BIP um die NAFTA-Wiederverhandlung. In seit 1999. der Zwischenzeit bleibt es beim business as Die Verhandlungen für die Überar- usual an der südlichen Grenze. beitung NAFTAs haben begonnen. Dem Versprechen des US-Handelsvertreters zum Trotz, es werde dabei transparent 1 Die Zahl von 70 Milliarden USD basiert auf vorgegangen, bleibt der Verhandlungs- dem Haushaltsplan 2018, indem 1 900 Meilen text bislang für die Öffentlichkeit nicht Mauer mit 36,6 Millionen USD pro Meile berech- net werden. Die niedrigere Zahl von 40 Milliar- zugänglich und als geheim eingestuft. den hingegen geht auf einen Kostenvoranschlag Auch der Rest scheint einem vertrau- des Massachusetts Institute of Technology zurück.

Miriam Boyer 61 Iran: Hält das Atomabkommen?

Ali Fathollah-Nejad

Während des US-Präsidentschaftswahl- Atomdeal aufkündigen, als grundlos – kampfs äußerte sich Donald Trump ganz nach dem Motto »Hunde, die bellen, abschätzig über den Atomdeal mit Iran. beißen nicht«. Letzterer sei »der schlechteste Deal, der Erst im April und dann noch einmal je ausgehandelt wurde«, den es zu im Juli hatte der US-Präsident bestätigt, ­»zerfetzen« gelte (AlJazeera, 18.7.2017), dass Iran sich an das Abkommen halte. so der damalige Kandidat der Republi- Im Mai hatte Trump auch die Ausset- kaner. Er versprach, ihn als Präsident zung der Sanktionen verlängert. Der aufzulösen. US-Präsident soll dem Kongress nun Unterdessen befand Irans Staats­ alle 90 Tage mitteilen, ob Iran seinen oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei Verpflichtungen nachgekommen ist oder lobende Worte für Trump, weil er nicht und ob somit die auf das Atompro- einerseits die Wahrheit über die Verhält- gramm bezogenen Sanktionen weiterhin nisse in seinem Land ausspreche und ausgesetzt werden sollen (im Folgenden weil er andererseits das wahre Gesicht der als Überprüfung bezeichnet). Damit war USA offenbare. Andere Offizielle, wie der der Unterschied zwischen Trump’scher Vizechef des Parlaments, Ali Mottahari, Rhetorik und tatsächlicher Politik greifbar. begrüßten Trumps Wahlsieg wegen seiner Doch wegen der prinzipiell ablehnenden konzilianten Haltung gegenüber Syrien Haltung des Präsidenten gegenüber dem und Russland (Iran-Journal, 9.11.2016). Iran-Deal wurde die nächste Überprü- Im ersten Halbjahr von Trumps Amtszeit fungsrunde im Oktober weltweit mit schienen Befürchtungen, er würde den Spannung erwartet.

62 Iran Hält das Atom-Abkommen Kaltgestelltes AuSSenministerium eines »Mini-Imperiums« ist da die Rede.2 und Gefahren eines Trump-Allein- Tatsächlich haben die Spannungen zwi- gangs schen Trump und Tillerson längst größere Die ersten Monate von Trumps Amtszeit Bedeutung erlangt. Für große Aufmerk- waren jedoch von Zerwürfnissen in der samkeit sorgte Anfang Oktober 2017, dass Frage des Umgangs mit dem Iran-Atom- Tillerson Trump womöglich als »Trottel« deal geprägt. Die Iran-Politik der Trump- bezeichnet hatte, woraufhin dieser ihn Regierung werde gerade noch entwickelt, ernsthaft zu einem vergleichenden IQ-Test so Außenminister Rex Tillerson Mitte aufforderte. Jedoch konnten schon Anfang Juni 2017 bei einer Anhörung im US- Juni in der Katar-Krise sich deutlich Repräsentantenhaus. Schlussfolgerungen widersprechende öffentliche Aussagen von zur zukünftigen Iran-Politik der USA sind Trump und Tillerson beobachtet werden, zwar nicht abschließend möglich,1 doch weshalb Insider Tillerson bereits Unzufrie- kann man bereits die verschiedenen Lager denheit mit seiner Rolle als Außenminis- in der Iran-Frage identifizieren. ter attestieren (Gramer et al. 2017). Zunächst lohnt ein Blick auf die Ge- samtlage der US-Außenpolitik unter Trump. Die Überprüfungsrunde im Juli In einem wohl einmaligen Akt wurde unter Bei der letzten Überprüfung des Atom- der Trump-Administration das Außenmi- deals im Juli wurde von einer hitzigen nisterium marginalisiert, was seine Rolle in Auseinandersetzung zwischen dem der US-Außenpolitik merklich geschmälert Präsidenten und seinem Außenminister hat: Hohe Beamtenstellen (nicht zuletzt berichtet. Trump warf Tillerson und dem auch jene für den Nahen und Mittleren Außenministerium vor, dass ihm entgegen Osten) wurden nicht besetzt, Karrierediplo- seinen anderslautenden expliziten maten wurden von Entscheidungsprozessen Vorgaben lediglich eine einzige Option ferngehalten, was die US-Diplomatie in eine auf den Tisch gelegt worden sei, wonach beispiellose Krise manövriert hat. Vorrang der Iran-Deal weiterhin als erfüllt zu hingegen hatten in der Außenpolitik betrachten ist. Trump wolle aber auch eine das Weiße Haus (einschließlich Trumps Option angeboten bekommen, wodurch Schwiegersohn und Tochter er erklären könne, dass Teheran nicht im Ivanka) und das Pentagon. Einklang mit den Vertragsabsprachen sei. Innerhalb des Außenministeriums Bei der vorherigen Überprüfungsrunde im selbst hat Tillerson den – mit ihm vertrau- April hatte Trump Tillerson aufgefordert, ten Beratern besetzten – Policy Planning spezifische Vorbereitungen zu treffen, Staff ermächtigt und somit traditionelle darunter mit ausländischen Bündnispart- Entscheidungsprozesse mithilfe hoher nern zu sprechen, um sie ins Boot zu Beamter untergraben. Von der Bildung holen. Berichten zufolge kam Tillerson

Ali Fathollah-Nejad 63 dieser Aufforderung jedoch nicht nach, unterteilt werden. Auf der einen Seite was Trumps Vertrauen in den Außenmi- gelten neben Außenminister Tillerson der nister massiv schmälerte, zumal er von Verteidigungsminister James Mattis, der ihm nicht mit den gewünschten Optionen Nationale Sicherheitsberater General H.R. ausgestattet wurde. McMaster sowie der Vorsitzende der Verei- Berichten zufolge waren in der nigten Stabschefs General Joseph Dunford Juli-Sitzung v.a. Steve Bannon, damaliger als Unterstützer des Deals. Ende Juli wurde Chefstratege des Weißen Hauses, und Se- ­berichtet, dass McMaster Derek Harvey, bastian Gorka, stellvertretender Assistent den Leiter für Nah-/Mittelost-Angelegen­ des Präsidenten, besonders entschieden heiten im Nationalen Sicherheitsrat, der und forderten Tillerson mehrmalig auf, Irans regionale Rolle besonders negativ sah, die Vorteile einer Zertifizierung für die von seinem Posten enthob (Sanger 2017). Nationale Sicherheit der USA zu erklären. Auf der anderen Seite steht neben Die Antworten bzw. Nicht-Antworten des Präsident Trump auch CIA-Direktor Mike Außenministers hätten demnach Trump Pompeo dem Deal ablehnend gegenüber. erzürnt. Neben dem Außenministerium So sprach sich der frühere Kongress- ist aber auch der Nationale Sicherheitsrat Abgeordnete gegen die Bestätigung des verantwortlich dafür, über die Politikge- Atomdeals aus. Laut regierungsnahen staltung zu wachen sowie verschiedene Kreisen schlug Pompeo zuletzt vor, dass Optionen für den Präsidenten vorzuberei- der Kongress sich des Deals annehme, um ten (Vgl. z.B. Tharoor 2017). früher oder später das Abkommen zu Fall Bei der Überprüfungsrunde im April zu bringen. Trumps scharfe Iran-Rhetorik hatte Trump zwar noch sein Einverständnis hingegen soll innen- und außenpolitische erklärt, paarte dies jedoch mit der Auferle- Skeptiker des Deals (v.a. Saudi-Arabien, aber gung neuer Sanktionen gegen Iran wegen auch Israel) beschwichtigen. Wenn es nach dessen Aktivitäten im nicht-nuklearen ihm persönlich ginge, wäre der Deal längst Bereich, v.a. wegen des Raketenprogramms, zusammengebrochen. Ende Juli erklärte der Schnellboote im Persischen Golf (vgl. Trump gegenüber dem Wall Street Journal U.S. Central Command, 4.8.2017) und der vom 25.7.2017: »If it was up to me, I would Unterstützung des »Terrorismus«. have had them [the Iranians, Anm.d.Verf.] non-compliant 180 days ago.«. Zudem Die Lager in der Iran-Frage befürwortet dieses Lager neue Sanktionen Berichte aus jenen Überprüfungsrunden aufgrund von iranischen Aktivitäten im sowie öffentliche Statements erlauben nicht-nuklearen Bereich. bereits, verschiedene Lager in der Iran- Zwar versuche Tillerson, laut einem Frage zu identifizieren. Grob können diese ranghohen Beamten des Außenminis- in Befürworter und Gegner des Iran-Deals teriums, »ein Gegengewicht zu den

64 Iran Hält das Atom-Abkommen Hardlinern zu sein, um den Atomdeal zu Teheran, Oktober 2016 retten«, doch bliebe offen, wie lange er dies durchhalten kann (Winter et al. 2017). damaligen Bereitstellung von Hunderten von Millionen US-Dollar für »Regime Das verfrühte Gerede zur Rückkehr Change«-Zwecke (vgl. Fathollah-Nejad einer »Regime Change«-Politik 2007) vor der Tür stünde (vgl. von Hein In jüngster Zeit hat wieder das Gerede 2017). Trotz beunruhigender Tendenzen von einer US-Politik des Regime Change unterscheidet sich jedoch die gegenwärtige gegenüber Iran Konjunktur erfahren. Lage von jener vor 15 Jahren: Weder wurde Die Indizien allerdings sind nicht eine »Regime Change«-Politik samt der so eindeutig, wie manche Analysten direkten militärischen Drohungen und der leichtfertig behaupten. Tillerson sagte Bereitstellung der genannten Gelder kon- zwar in der oben genannten Anhörung: kret in Angriff genommen, noch ist Irans »Die US-Politik ist darauf ausgelegt, unter mittlerweile stark gewachsener Einfluss in Bezug auf Elemente innerhalb Irans einen der Region vergleichbar. friedlichen Übergang der Regierung zu Zwar häufen sich Rufe nach einem bewirken.« Dies führte zu wilden Spekula- Regime Change aus sicherlich einfluss- tionen, dass die Bush/Cheney-Ära mit der reichen Kreisen (wie zum Beispiel durch

Ali Fathollah-Nejad 65 den Iran-Experten des Council on Foreign gen einzufordern. Sobald Teheran dagegen Relations, Ray Takeyh). Diese sind protestieren sollte, zumal der Mechanismus dennoch nicht unbedingt dominant. Der nur im Falle greifbarer Beweise vorgesehen Ausgang der Iran-Politik-Debatte bleibt ist, dass jene Anlagen für unzulässige darum schwer vorhersehbar. atomare Aktivitäten genutzt werden, könnte Das verfrühte Gerede vom Regime Trump in die Lage versetzt werden, Iran Change ist in jedem Fall eine Zumutung Vertragsbruch vorzuwerfen. Laut einem für die iranische Zivilgesellschaft. Deren Bericht der New York Times Ende Juli sei Räume werden hierdurch wieder enger bereits die Grundlage für eine Strategie der geschnürt, wenn das Regime etwa mit »radikalen Umsetzung« des Deals gegeben. Verweis auf alarmistische westliche Be- So nannte es der Vorsitzende des Auswärti- richterstattungen, die im Kern durch wirt- gen Ausschusses des Senats, der Repub- schaftliche Interessen getrieben sind, eine likaner Bob Corker. »Falls sie [die Iraner, angebliche äußere Gefahr zur Forcierung­ Anm.d.Verf.] uns nicht hereinlassen, [dann] der Repression nach innen ausnutzt.3 Boom.« Ziel sei es, den Zusammenbruch des Deals Iran in die Schuhe zu schieben, Zukunft des Atomdeals auf damit es zu keiner Spaltung zwischen den tönernen FüSSen: Welche sind USA und ihren am Atomdeal beteiligten die neuralgischen Stellen? Bündnispartnern kommt. Wegen seiner Unzufriedenheit mit Tiller- Trump zeige sich zuversichtlich, son bildete Trump nach der Juli-Überprü- dass Iran im Oktober eine Verletzung des fungsrunde ein Team von Vertrauten im Abkommens angekreidet werden könne Weißen Haus, um das Außenministerium (Sanger 2017). in der Iran-Frage zu umschiffen und um ihn bei der nächsten 90-Tage-Überprü- Zugang zu Irans Militäranlagen fung im Oktober mit der Möglichkeit Die USA fordern derweilZugang zu Irans zu versehen, Iran als vertragsbrüchig zu militärischen Anlagen, um eine iranische bezichtigen (Winter et al. 2017). Im Fol- Reaktion zu provozieren, die ihren Rück- genden sollen einige neuralgische Punkte zug vom Deal legitimieren könnte. Im Vor- des Atomdeals aufgezählt werden. feld ihres Besuchs bei der IAEA in Wien, um deren Inspektionsregime in Iran zu US-Strategie der »radikalen diskutieren, sagte die amerikanische UN- Umsetzung« Botschafterin Nikki Haley, dass Teheran für Die USA könnten den so genannten Spot- »seine Raketenwerfer, Unterstützung des inspections-Mechanismus (sprich: kurz- Terrorismus, Missachtung der Menschen- fristig angesetzte Inspektionen) des Deals rechte und Verletzungen von UN-Sicher- nutzen, um Zugang zu Irans Militäranla- heitsresolutionen« (Daniels 2017, Überset-

66 Iran Hält das Atom-Abkommen zung des Verf.) zur Rechenschaft geozogen zum sogenannten Geist des Abkommens. werden sollte Bei ihrem Treffen mit der Die Verletzung des Geistes des Abkom- IAEA, forderte Haley die Behörde auf, auch mens allein hat jedoch keinerlei rechtliche Irans militärische Anlagen zu inspizieren Bewandtnis (Al Jazeera, 18.7.2017). (Smith-Spark & El Sirgany 2017). Die IAEA Dazu gehört auch die implizite ihrerseits lehnte diese Forderung prompt Vorstellung, vor allem in den USA, infolge ab. Gegenüber der Nachrichtenagentur des Atomdeals werde es zu Kurskorrektu- Associated Press erklärte IAEA –Direktor ren des Iran kommen. Dort hieß es, dass Yukiya Amano, dass seine Organisation die Unterzeichnerstaaten des Abkommens Zugang zu allen Anlagen hätte, ohne »zwi- davon ausgehen (»anticipate«), dass die schen militärischen und zivilen Orten zu »vollkommene Implementierung dieses unterscheiden«. Denn im Atomdeal ist ein [Abkommens] sich positiv auf Frieden Mechanismus eingebaut, wonach die IAEA und Sicherheit regional und international Zugang zu sensiblen Anlagen beantragen auswirken werde« (EEAS 2015). Teherans und sogar einfordern kann, falls fünf der Regionalpolitik war seit dem Abkommen in sieben in der so genannten Gemeinsamen der Tat nicht mit diesen Zielen vereinbar. Kommsission vertreteten Vertragsunter- Des Weiteren könnte die weithin igno- zeichner dem zustimmen (Borger 2017). rierte Resolution 2 231 des UN-Sicherheits- Bislang gibt es jedoch keine Anzei- rates vom 20. Juli 2015, die den Atomdeal chen dafür, dass die IAEA – anders als aufgriff, eine wichtige Rolle einnehmen. noch während des jahrzehntelangen so ge- Darin wird nämlich Iran »aufgefordert, bis nannten Atomstreits – sich dem US-Druck zu dem Tag acht Jahre nach dem Tag der beugen wird, zumal Washingtons Position Annahme des Gemeinsamen umfassenden von keinem der anderen Mitunterzeichner Aktionsplans oder bis zu dem Tag, an des Iran-Deals getragen wird. Tatsächlich dem die IAEO einen Bericht vorlegt, der ist die Erklärung der IAEA vom 30. Okto- die breitere Schlussfolgerung bestätigt, je ber, derzufolge, wie gesagt, der Iran seine nachdem, welcher Zeitpunkt früher liegt, Auflagen erfüllt habe, konsequent. keine Tätigkeiten im Zusammenhang mit ballistischen Flugkörpern durchzuführen, »Geist« des Atomdeals die dazu angelegt sind, Kernwaffen zum unterschiedlich interpretiert Einsatz bringen zu können, einschließlich Neben diesen politisch motivierten Starts unter Verwendung von Technologie Schritten hin zu einem Zusammenbruch für solche ballistischen Flugkörper« (ebd.). des Atomdeals gibt es aber auch eine Reihe Ob diese Aufforderung rechtlich bindend von objektiven Aspekten, die dasselbe ist oder nicht, ist unter Experten umstritten. Ergebnis zeitigen könnten. Dazu gehören Dennoch besteht durchaus die Möglichkeit, vor allem unterschiedliche Vorstellungen dass neue Sanktionen mit der Fortführung

Ali Fathollah-Nejad 67 des iranischen Raketenprogramms und bei einer Rede vor dem Parlament, das damit einhergehenden Tests begründet Atomprogramm in verstärkter Weise werden könnten (Deutsche Welle, 30.3.2017). wieder aufzunehmen, falls die USA ihre Die EU und die USA pflegen jedoch Politik »der Sanktionen und des Zwangs« unterschiedliche Lesarten, was die Frage fortsetzten. Doch diese Drohung ist nicht nach dem Geist des Abkommens anbelangt. besonders glaubwürdig (vgl. Hasselbach Europa sieht dessen Verletzung durch den 2017). Denn immerhin hat das Regime in Iran eher als punktuell und versehentlich Iran durchaus vom Abkommen und seinen an, während Washington darin eine Syste- Folgen profitiert. Die Wiederbelebung der matik sieht. Die Position Europas erklärt Wirtschaftsbeziehungen begünstigte aller- sich durch dessen Wirtschaftsinteressen dings ausnahmslos den autoritären Staat. gegenüber dem Iran (vgl. Cunnigham 2017). Die Kritik aus dem Westen gegenüber der Teheran seinerseits macht Washington sich verschlimmernden Menschenrechts- für den Bruch des Geistes des Abkommens lage – Iran hält seit einigen Jahren den verantwortlich. Vor allem wirft die iranische Weltrekord in puncto Exekutionsrate – ver- Regierung den USA vor, sie würden die stummte.4 Der gesamte Annäherungspro- Aufhebung der Sanktionen ausbremsen. zess ist getrieben von Europas Wirtschafts- Zuletzt wurde Trump vorgehalten, am interessen. Diese sind derart groß, dass Rande des G20-Gipfels in Hamburg explizit es ungeachtet der US-Politik weiterhin Artikel 29 des Atomabkommens verletzt zu an diesem Prozess festhalten dürfte, der haben, indem er dort andere Länder aufrief, bereits Elemente der jahrzehntelangen, keine Geschäfte mit dem Iran zu betreiben jedoch als gescheitert zu betrachtenden (vgl. auch NIAC 2017). westlichen Nah- und Mittelost-Politik der »autoritären Stabilität« beinhaltet. Auswirkungen der US-Politik auf die europäische Iran-Politik: »Dezertifizierung« des Iran-Deals US- versus EU-Politik im Oktober und die Gefahr eines Der Graben zwischen der Iran-Politik Kollapses im Januar der EU einerseits und jener der USA Am 13. Oktober verkündete US-Präsident andererseits bleibt erheblich. Während die Trump die »Dezertifizierung« des EU-Staaten weiterhin am Annäherungs- Iran-Deals, ohne jedoch Sanktionen kurs gegenüber Iran festhalten, verfolgt wieder aufzuerlegen. Damit verlegte er die die US-Außenpolitik nunmehr eine Verantwortung auf den Kongress. Dieser Eindämmungspolitik gegenüber Iran (vgl. jedoch wird aller Wahrscheinlichkeit nach Fathollah-Nejad 2017b). bis Dezember aufgrund anderweitiger Be- Derweil drohte der iranische lange keine neuen Sanktionen gegen Iran Präsident Hassan Rohani im August beschließen. Hinsichtlich der nächsten

68 Iran Hält das Atom-Abkommen »Review«-Runde Mitte Januar wird jedoch Sanger, David E., 2017: Trump Looks for Way to befürchtet, dass Trump nicht nur wieder ei- Find Iran in Violation of the Deal, in: New York Times, 28.7.2017 ne »Dezertifizierung«, sondern Sanktionen Smith-Spark, Laura/ El Sirgany, 2017: , Iran rejects wiederauferlegt (snap-back). Damit wäre US for UN nuclear watchdog to inspect more sites, CNN, 30.08.2017. der Iran-Deal de facto kollabiert, zumal Tharoor, Ishaan, 2017: The U.S. and Iran are Teheran in solch einem Falle Gegenmaß- heading toward crisis, in: Washington Post nahmen hinsichtlich der Wiederaufnahme (online), 19.7.2017 von Hein, Matthias, 2017: Regimewechsel in Tehe- des Atomprogramms angekündigt hat. ran?, Deutsche Welle (DW), 17.6.2017 Winter, Jana/ Gramer, Robbie/ De Luce, Dan, 2017: Trump Assigns White House Team to Target Literatur Iran Nuclear Deal, Sidelining State Depart- Borger, Julian, 2017: Iran is adhering to nuclear ment, in: Foreign Policy, 21.7.2017 deal limits, UN says, despite Donald Trump claim, in: The Guardian, 01.09.2017 Cunnigham, Erin, 2017: The United States and 1 Was die gesamte Ausrichtung der US- Europe are on a collision course over Iran, in: Außenpolitik betrifft, so sehen manche Beobachter Washington Post, 14.7.2017 die Herausbildung einer Allianz zwischen Falken EEAS, 2015: Joint Comprehensive Plan of Action, der Demokratischen Partei und den Neocons 14.7.2015 der Republikanischen Partei. Diese befürworte Daniels, Jeff. 2017: ›Strong indications‹ Trump eine forschere US-Außenpolitik, v.a. gegenüber won’t recertify Iranian compliance with nuclear Russland, dem Assad-Regime in Syrien sowie deal, CNBC, 25.08.2017 der Islamischen Republik Iran, die einer neuen Fathollah-Nejad, Ali, 2007: Iran in the Eye of Tendenz des Isolationismus entgegentreten Storm: Backgrounds of a Global Crisis [online], soll. Vgl. Katrina vanden Heuvel, The emerging in: Peace and Conflict Studies, Mai 2007. unholy alliance between hawkish Democrats and Ders., 2017a: Deutsche Iran-Politik jenseits des neoconservatives, Washington Post, 08.08.2017. Atomdeals: Außen- und entwicklungspoliti- 2 Zu Tillersons Top-Berater*innen gehören vor sche Neujustierungen, in: Christian Mölling allem seine Stabschefin Margaret Peterlin sowie & Daniela Schwarzer (Hg.) Außenpolitische sein Politikplanungsdirektor Brian Hook, ein Herausforderungen für die nächste Bun- Mainstream-Republikaner, der während der Bush/ desregerung: Stärken, Schwächen, Chancen Cheney-Administration im Außenministerium und Risiken, Berlin, (DGAPkompakt, Nr. 6, und Weißen Haus arbeitete. Sommer), 37–39 3 Zur Rolle kritischen Denkens in Zeiten der Ders., 2017b: The Iranian–Saudi Hegemonic Rival- westlichen Annäherung an die Islamische Repub- ry, in: Iran Matters (a special research initiative lik, vgl. die Diskussion mit und Vortrag von Hamid of the Harvard Kennedy School Belfer Center’s Dabashi, »Peace Utopias and War Interludes: What Iran Project, Harvard University, Cambridge, is Our Task in this Time of Rapprochement with MA), 25.10.2017 Iran?«, organisiert und moderiert vom Verfasser, Gramer, Robbie/De Luce, Dan/Lynch, Clum, 2017: Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin, 25.11.2015. How the Administration Broke the State De- 4 Vgl. Ali Fathollah-Nejad, Westliche Iranpolitik: partment, in: Foreign Policy, 31.7.2017 Wandel durch Handel?, Qantara.de: Dialog mit Hasselbach, Christoph, 2017: Rohani-Rede »eine der islamischen Welt, 23.08.2017. Ausführlicher, leere Drohung«, in: DW, 18.8.2017 vgl. ibid., Wandel durch Handel und Annaherung? National Iranian American Council (NIAC), Ernuchternde Bilanz und Lehren nach vier Jahren 2017: NIAC Statement on the Trump Rohani-Prasidentschaft in Iran, multipolar: Administration’s Undermining of the JCPOA, Zeitschrift für kritische Sicherheitsforschung, Jg. Washington, 18. 7.2017 1, Nr. 2, 75–82.

Ali Fathollah-Nejad 69 Eine neue Weltordnung der Petro-Mächte?

Michael T. Klare

Die Petro-Mächte versus Diese übergeordnete Strategie durchzieht grüne Energie so ziemlich alles, was Trump im In- und Dass Donald Trump ein großer Spalter in Ausland als Präsident bisher getan hat. internationalen Beziehungen ist, ist in den Zuhause hat er alle Hebel in Bewegung etablierten Medien mittlerweile zu einer gesetzt, um den Aufstieg alternativer recht abgedroschenen Feststellung gewor- Energien aufzuhalten und den Fortbestand den. Durch sein Brüskieren der NATO und der fossilistischen beziehungsweise den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkom- Kohlenstoffökonomie festzuschreiben. men, so wird uns gesagt, zerlegt Trump Im Ausland bemüht er sich um die die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Bildung einer von den USA, Russland geschaffene liberale Weltordnung. Dabei und Saudi-Arabien angeführten Allianz übersehen diese Prophezeiungen bevorste- fossilistischer Staaten, während zuneh- hender globaler Unordnung einen entschei- mend auf erneuerbare Energien orientierte denden Punkt: Donald Trump versucht – Länder wie Deutschland und China isoliert auf seine eigensinnige Art – nicht nur die werden sollen. Sollte dieses Projekt der bestehende Weltordnung zu zerschlagen, Neuordnung weitergehen wie geplant, so sondern vor allem das Fundament für eine wird die Welt schon bald immer mehr in neue Ordnung zu legen: Eine Welt, in der zwei Lager gespalten sein, die um Macht, auf fossile Energieträger ausgerichtete Reichtum und Einfluss konkurrieren: Auf Länder mit den auf grüne Energie ausge- der einen Seite jene fossilistisch ausge- richteten Post-Kohlenstoffökonomien um richteten Länder, und auf der anderen die die Vorherrschaft ringen. post-fossilistischen grünen Staaten.

70 eine Neue Weltordnung der Petro-Mächte? Dies ist eine sehr andere Wahrnehmung zu stärken und den Einfluss illiberaler des internationalen Systems als die des Autokratien wie Russland, der Türkei internationalistischen Wilsonianismus, oder China einzudämmen. Anhänger der der die Welt noch immer als zwischen Huntington’schen Perspektive (wie es viele liberalen Demokratien und illiberalen Unterstützer*innen und Wähler*innen, Autokratien aufgeteilt sieht. Überraschen- Berater*innen und Amtsträger*innen derweise unterscheidet sie sich ebenso von Trumps sind) verfolgen eher das Ziel, die dem fragmentierten Weltsystem, wie es Ausbreitung islamistischer Bewegungen von Anhängern des verstorbenen Harvard- aufzuhalten, egal ob sie durch den mehrheit- Politologen Samuel Huntington, Autor von lich schiitischen Iran oder das überwiegend »Kampf der Kulturen«, dargestellt wird, sunnitische Saudi-Arabien unterstützt wer- die die Welt als entlang »zivilisatorischer« den. Doch wenn die Weltsicht wie im Falle Bruchlinien gespalten betrachten und Trumps vor allem durch Energiepräferenzen insbesondere eine Konfrontation zwischen geprägt ist, trifft keine dieser Perspektiven dem Islam und dem jüdisch-christlichen zu; stattdessen gilt die Unterstützung dann Westen beschwören. Für das erste dieser denjenigen Staaten, die fossile Energieträger beiden Modelle kann Trump ohne Frage befürworten, während die, die auf Alternati- keine Geduld mehr aufbringen, und ven setzen, bestraft werden. obwohl er während seines Wahlkamp- fes und den ersten Monaten im Amt Die Grundlage für eine sicherlich anti-muslimische Ressentiments neue Weltordnung bedient hat, so scheint er ebensowenig ein Die Entschlossenheit, mit der Trump Anhänger der Huntington-These zu sein. diesen übergreifenden Plan verfolgt, wurde Seine Loyalität ist vielmehr jenen Ländern während seiner kürzlich erfolgten Reisen vorbehalten, die fossile Brennstoffe pro- in den Nahen Osten und nach Europa duzieren, während er diejenigen Staaten ebenso wie durch den Ausstieg der USA verachtet, die auf grüne Energie setzen. aus dem Pariser Klimaabkommen ein- Wie man die Welt sieht – und welcher drücklich sichtbar. In Saudi-Arabien tanzte dieser Visionen man anhängt – spielt eine und speiste er mit den in Öl schwimmen- wichtige Rolle für die Konzeption einer den Königen und Prinzen; in Europa trat US-amerikanischen Außenpolitik. Aus Sicht er der NATO sowie der EU mit zur Schau des Wilsonianismus (unter amerikanischen gestellter Respektlosigkeit gegenüber; Diplomat*innen sicherlich mehrheitlich zuhause versprach er, jegliche Hindernisse prägend) würde man vermutlich Anstren- zu beseitigen, die einer Ausweitung der gungen unternehmen, die Beziehungen zu Ausbeutung fossiler Energieträger im We- Großbritannien, Frankreich, Deutschland, ge stehen, ohne Rücksicht auf die ökologi- und anderen gleichgesinnten Demokratien schen Auswirkungen. Viele Kritiker*innen

Michael T. Klare 71 sehen diese Schritte als voneinander ten Ölproduzenten der Welt. Aufgrund der losgelöste Manifestationen der destruktiven anhaltenden Unruhe in Washington über Persönlichkeit Trumps; von einem anderen die Vorwürfe russischer Einmischung in Blickwinkel aus betrachtet erscheinen sie die Präsidentschaftswahlen von 2016 hat jedoch alle als wohlüberlegte Schritte mit Präsident Trump in dieser Hinsicht wenige dem Ziel, die Aussichten der fossilistischen Fortschritte erzielen können, allerdings Länder im bevorstehenden Kampf um konnte er während seines Besuchs beim globale Vorherrschaft zu verbessern. NATO-Hauptquartier in Brüssel am 25. Mai Der erste Schritt in diesem Prozess einen spektakulären Erfolg verbuchen. Er war es, das historische Bündnis zwischen verweigerte das Bekenntnis zum gegenseiti- den USA und Saudi-Arabien, dem weltweit gen Verteidigungsabkommen und weigerte führenden Ölproduzenten, zu erneuern. sich, den NATO-Mitgliedern Washingtons Im Mai reiste Trump nach Riad, um der Verpflichtung gegenüber dem Prinzip des Königsfamilie zu versichern, dass Men- »Einer für alle und alle für einen« zuzusi- schenrechtsfragen ihre Beziehungen von chern. Dieses Prinzip, das sich in Artikel nun an nicht länger belasten würden und 5 des NATO Pakts findet, verpflichtet alle dass Washington sie in ihren Bemühun- Mitgliedsstaaten dazu, jedem Mitglied, das gen unterstützen werde, den iranischen angegriffen wird, beizustehen (allerdings Einfluss in der Region zurückzudrängen. gelobte Trump während einer Pressekon- Teil dieser »Partnerschaft« war die Unter- ferenz in Washington zu einem späteren zeichnung eines 100 Milliarden US-Dollar Zeitpunkt ausdrücklich, diesem Artikel schweren Rüstungsdeals mit den Saudis. treu zu bleiben). Tatsächlich ging er die Durch weitere erwartete Waffenverkäufe Mitgliedsstaaten dafür an, dass sie zu wenig über das nächste Jahrzehnt dürfte sich Ressourcen für das Militärbündnis bei- die Gesamtsumme für diesen Zeitraum steuern würden. Zwar haben auch andere auf 350 Milliarden US-Dollar belaufen. US-Präsidenten vor ihm diese Beschwerde Während seines Aufenthalts in Riad sprach bereits vorgetragen, allerdings niemals auf Trump auch über engere Beziehungen solch herablassende und despektierliche zwischen US-amerikanischen Energieko- Art und Weise, die zwangsläufig zu einer nzernen und der saudischen Ölindustrie, Entfremdung von den wichtigsten Verbün- die wiederum größtenteils von der saudi- deten führen musste. Überdies war er sich schen Königsfamilie kontrolliert wird. mit führenden NATO-Funktionären uneins Der zweite Schritt in diesem Prozess über das Ausmaß der Bedrohung, die von war der Versuch einer Schwächung des russischen Cyberattacken und politischer NATO-Bündnisses und der Europäischen Einflussnahme ausgeht und die Solidarität Union sowie die Verbesserung der US- des Bündnisses aufweichen könnte, und Beziehungen zu Russland, dem zweitgröß- spielte deren Bedeutung herunter.

72 eine Neue Weltordnung der Petro-Mächte? Während der letzten Station seiner Reise Als er seine Entscheidung verkündete, beim G7-Gipfel in Taormina auf Sizilien behauptete der Präsident (fälschlicherwei- stieß Trump die Europäer erneut vor den se), dass das Pariser Abkommen anderen Kopf. Presseberichten zufolge versuch- Ländern, darunter China und Indien, ten die Europäer, angeführt vom frisch erlauben würde weitere Kohlekraftwerke gewählten französischen Präsidenten zu bauen, während die USA an der Macron und der deutschen Kanzlerin Ausbeutung ihrer eigenen fossilen Ener- Angela Merkel, Trump zu überzeugen, im gieträger gehindert würden. »Wir haben Pariser Klimaschutzabkommen zu bleiben, mit die größten Energiereserven weltweit, und verwiesen auf dessen Wichtigkeit für genug um Millionen der ärmsten ameri- die euro-atlantische Solidarität. »Wenn die kanischen Arbeitnehmer aus der Armut größte Wirtschaftsmacht aussteigt, überlässt zu befördern«, erklärte er. »Doch unter man das Feld den Chinesen«, warnte Mer- diesem Abkommen werden wir effektiv an kel. Doch Trump zeigte sich unbeeindruckt der Nutzung des großartigen Reichtums und wies darauf hin, dass die Schaffung von unserer Nation gehindert.« Als er von den Arbeitsplätzen Vorrang vor Umweltschutz- reichhaltigen Energieressourcen sprach, fragen hätte.»Jetzt führt China«, bemerkte die er entwickeln wolle, meinte er freilich ein resignierter Macron – ein Kommentar, nicht das unbegrenzte Potenzial an Wind- der sich als prophetisch erweisen könnte. und Solarkraft des Landes, sondern seine Der dritte Schritt war Trumps Öl-, Kohle- und Gasvorkommen. Er prahlte offizielle Ankündigung des Rückzugs der damit, dass viele Kohleminen bereits wie- USA aus dem Pariser Klimaabkommen. der »den Betrieb aufnehmen« und betonte Nach derzeitigem Stand würde das seine Pläne, sämtliche Beschränkungen Abkommen die USA zu einer deutlichen für Öl- und Gasbohrungen an Land im Reduzierung von CO2-Emmissionen und Bundesbesitz aufzuheben. anderer Treibhausgase (THG) verpflichten, Zweifelsohne wird es Jahre des insbesondere durch die Eindämmung der Gesetzschreibens, juristischer Winkelzüge Verbrennung fossiler Energieträger. Durch und Verhandlungen im Kongress und den Ausstieg aus diesem Abkommen hofft mit der internationalen Gemeinschaft Trump, allen Widrigkeiten zum Trotz, der bedürfen, ehe das Weiße Haus eine solche heimischen Kohleindustrie (die derzeit pro-fossilistische Agenda vollständig in die unter der verstärkten Konkurrenz durch Tat umsetzen kann. Gleichwohl bedeuten Erdgas, Wind- und Solarenergie leidet) die bereits angekündigten Schritte, dass die neues Leben einzuhauchen und den Trend regulatorischen Beschränkungen für einen hin zu verbrauchsärmeren Fahrzeugen erhöhten Verbrauch fossiler Brennstoffe auf- umzukehren, um so die Nachfrage nach Öl gehoben und die Anreize für die Einführung zu erhöhen. erneuerbarer Energie gestrichen werden.

Michael T. Klare 73 gesamten Ölproduktion weltweit auf. Die USA und Russland sind darüber hinaus die zwei größten Erdgasförderer der Welt. Zusam- men mit Saudi-Arabien beziffert sich ihr Anteil an der globalen Gasproduktion auf 41 Prozent. Hinzu kommt, dass jeder dieser drei Staaten eng mit anderen Öl- und Gasproduzenten verbunden ist: die USA mit Ka- nada; für Saudi-Arabien sind dies die Scheichtümer am Persischen Golf (einschließlich des winzigen Katars mit seinen gigantischen Erdgasfeldern); im Falle Russlands handelt es sich um die ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien. Dies verleiht der Charks Ei1/flickr Dominanz dieser potenziellen trilateralen Allianz fossilistischer Ökonomien nur noch Die neue trilaterale Achse mehr Gewicht. Wenn man nun die Öl- und Bei alledem sollte man sich vor Augen Gasproduktion all dieser Länder, einschließ- halten, dass dies nur die ersten vom Prä­ lich Aserbaidschans, Kasachstans, Kuweits, sidenten anvisierten Schritte sind. Letzten Omans, Katars, Turkmenistans und der Endes scheint er auf die Errichtung einer Vereinigten Arabischen Emirate, zu der der neuen Weltordnung entlang des Faktors ›Großen Drei‹ hinzuaddiert, so kontrolliert Energiepräferenz zu zielen. Aus dieser das sich ergebende Kombinat ungefähr 57 Perspektive erscheint ein Bündnis zwischen Prozent der weltweiten Öl- und 59 Prozent Russland, Saudi-Arabien und den USA abso- der weltweiten Gasproduktion. Angesichts lut plausibel. Autoritär gesinnte Führer, die der Tatsache, dass Öl nach wie vor das das Öl- und Kohlezeitalter erhalten wollen, wertvollste Handelsgut der Welt darstellt sind in allen drei Ländern an der Macht. und Öl und Gas zusammengenommen Zugleich haben diese drei Staaten wiederum etwa 60 Prozent des weltweiten Energie- die Vorherrschaft in der globalen Energie- verbrauchs ausmachen, bedeutet dies eine produktion inne. Als die drei weltgrößten gewaltige Konzentration wirtschaftlicher Erdölförderer kommen sie für 38 Prozent der und geopolitischer Macht.

74 eine Neue Weltordnung der Petro-Mächte? Die Artikulation einer übergeordneten Shealah Craighead Strategie seitens Trumps und seiner Bera- ter, sofern geschehen, dient der Stärkung bisher stark behindert. Kurz nach der der Beziehungen zwischen den USA und Amtsübernahme wiesen Mitglieder seines eben jenen anderen Petro-Mächten im Stabs das State Department (US-Außen- Bereich der Energie, Diplomatie und des ministerium) an, nach Wegen zu suchen Militärs. Zugleich beinhaltet sie auch die wie die Wirtschaftssanktionen gegen Unterstützung dieser Länder gegen ihre Russland – die bis dahin eine verstärkte Feinde, wie Trump sie Saudi-Arabien im Kooperation zwischen den Vereinigten Hinblick auf dessen Feindschaft mit dem Staaten und russischen Energiekonzernen Iran zugesichert hat. verhinderte – aufgehoben werden könnten. Der US-saudische Zweig dieses Und sollte es noch einen Zweifel Bündnisses ist bereits voll funktionsfähig. hinsichtlich der Dreiecksform der ent- Trump hatte sicherlich erwartet, dass er stehenden Allianz geben: In Moskau traf nach seinem Einzug ins Weiße Haus in der russische Präsident Wladimir Putin Bezug auf Russland ähnliche Fortschritte Verteidigungsminister Mohammed bin erzielen würde, allerdings haben seine Salman, den saudischen Vizekronprinzen, zahlreichen Fehltritte diese Bemühungen nur wenige Tage nach Trumps Treffen mit

Michael T. Klare 75 Prinz Mohammed in Riad. »Die Beziehun- Energie abzielen, bisher einen Bumerang- gen zwischen Saudi-Arabien und Russland Effekt gehabt: Potenzielle zukünftige sind derzeit so gut wie selten zuvor«, Großmächte grüner Energie fühlen sich sagte der Prinz laut Tass, der russischen ermutigt, ihre partnerschaftlichen Bezie- staatlichen Nachrichtenagentur. Wie schon hungen zu stärken und sich mit noch mehr bei Trumps Besuch in Riad spielte auch im Nachdruck für eine alternative Energiezu- russisch-saudischen Dialog die Energieko- kunft des Planeten in Stellung zu bringen. operation eine Hauptrolle. »Möglicherweise werden wir eine Selbstverständlich stehen Trumps bedeutsame Verschiebung der Dreiecks- Plan für ein ölbasiertes trilaterales Bündnis beziehung zwischen China, den USA und noch diverse Hindernisse im Weg. Obwohl der EU erleben, wobei China und die EU Russland und Saudi-Arabien viele Interes- sich annähern und die USA und die EU sen teilen – besonders im Energiesektor, sich voneinander entfernen werden«, so der wo beide auf eine Produktionsdrosselung Kommentar von Wang Dong, Assistenzpro- setzen, um die Preise in die Höhe zu fessor an der School of International Studies treiben –, herrscht zwischen den beiden in der Universität von Peking. »Premier Li und vielen Bereichen auch Dissens. In Syrien Kanzlerin Merkel werden aller Wahrschein- unterstützt Russland beispielsweise das lichkeit nach ihre Verpflichtung gegenüber Regime von Baschar al-Assad, während dem Pariser Abkommen bekräftigen.« die Saudis ihn entmachtet sehen wollen; In seinem Streben nach globaler Füh- außerdem ist Russland ein wichtiger Waf- rung im Sektor der erneuerbaren Energien fenlieferant für den Iran – ein Land, das die hat China enorme Fortschritte bei der Ent- Saudis versuchen zu isolieren. Gleichwohl, wicklung und Einspeisung bzw. Nutzung Putins Treffen mit Prinz Mohammed im von Wind- und Solarenergie gemacht. Wie Anschluss an Trumps Besuch in Riad Keith Bradsher von der New York Times in deutet durchaus darauf hin, dass diese Un- einem Bericht über Entwicklung großflächi- einigkeiten überwunden werden könnten. ger schwimmender Sonnenkollektoren in Chinas kürzlich schrieb: »Das Projekt spie- Die Konturen einer möglichen gelt Chinas Bemühungen wider, angesichts neuen Weltordnung des Rückzugs der USA die Weltordnung im Durch ein Bündnis der auf fossile Energie- Hinblick auf erneuerbare Energien neu zu träger ausgerichteten Länder, einschließlich formieren. Diese technologische Expertise islamischer Länder, versucht Trump die wird eine tragende Säule der Infrastruktur Macht der pro-fossilistischen Kräfte weltweit in denjenigen Ländern bilden, die ihre zu stärken. Ironischerweise haben seine Klimaziele erreichen wollen, wodurch Possen, die auf eine Schwächung jeglicher China der bevorzugte Energiepartner für potenziellen zukünftigen Allianz für grüne viele Nationen werden wird.«

76 eine Neue Weltordnung der Petro-Mächte? Wir stehen wohl noch am Anfang, doch ler Ressourcen kämpfen, darunter vor allem scheinen die Konturen einer möglichen Nahrungsmittel, Wasser und Ackerland, neuen Weltordnung durchaus abzuzeich- kann die Kriegsgefahr nur steigen. nen, eine Weltordnung, in der die fossilisti- Im Gegensatz dazu hätte eine Welt, schen Staaten um die Bewahrung ihrer Vor- die von grünen Mächten dominiert würde machtstellung kämpfen – und dies in einer und in der erneuerbare Energieressourcen Ära, in der ein größer werdender Anteil der billiger und verfügbarer wären, aller Wahr- Weltbevölkerung grüne Energie (und den scheinlichkeit nach wesentlich weniger damit verbundenen Beschäftigungsmotor) unter den Verwüstungen durch Kriege und unweigerlich immer stärker bevorzugen einen extremen Klimawandel zu leiden. wird. Allein die Ereignisse aus den ersten Diejenigen, die wie Trump einen von Öl Monaten der Trump-Administration versor- (und anderen fossilen Brennstoffen) ab- gen uns mit genügend Gedankenfutter in hängigen Planeten bevorzugen, werden für Bezug auf die Entstehung einer neuerlichen ihre höllische Vision kämpfen, während (diesmal energiebasierten) bipolaren Welt- die Befürworter einer grünen Zukunft alle ordnung, einschließlich eines bewussten Anstrengungen unternehmen werden, Versuchs, die NATO handlungsunfähig zu die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu machen; bislang erfolgloser Bemühungen erreichen und zu übertreffen. Selbst in den um ein US-russisches Bündnis; Washing- USA ist ein beeindruckender Zusammen- tons Unterstützung für saudische regionale schluss aus Städten, Bundesstaaten und Hegemonie; und des Aufstiegs eines mögli- Konzernen (darunter Apple, Google, Tesla, chen deutsch-chinesischen Bündnisses. Es Target, eBay, Adidas, Facebook und Nike) ist an uns, diese Entwicklungen weiter im entstanden (mit dem Slogan »We Are Blick zu behalten. Still In« lautet – »Wir sind noch dabei!«), Eines ist sicher: Vom Ergebnis dieser mit dem Ziel die Verpflichtung der USA neugeordneten Bündnisse und Rivalitäten gegenüber dem Klimaschutzabkommen wird der gesamte Planet betroffen sein. Eine unabhängig von Washington am Leben von Petro-Mächten beherrschte Welt wird zu halten. Wir haben die Wahl: Entweder eine sein, in der es massenhaft Öl gibt, der überlassen wir Donald Trump und seiner Himmel durch den Smog nicht mehr zu dystopischen Vision das Feld, oder aber sehen ist, die Wettermuster unvorhersehbar wir tun uns mit denjenigen zusammen, werden, Küstenregionen von Untergang die eine lebenswerte Zukunft für diese und bedroht sind und Dürren eine wiederkeh- kommende Generationen anstreben. rende Gefahr darstellen. Auf solch einem Planeten, auf dem Nationalstaaten und Dieser Beitrag erschien auf tom.dispatch.com Bevölkerungsgruppen um die immer und wurde für diese Ausgabe leicht gekürzt. geringer werdende Verfügbarkeit essenziel- Aus dem Englischen von Jan-Peter Herrmann

Michael T. Klare 77 Trumps Rezept für die Katastrophe in Syrien

Miriam Younes

»5 cab drivers in Beirut have asked me letzten Jahre maßgeblich mitverantwort- how Trump became president. When the lich für die Eskalation des Konflikts sowie Lebanese are amazed by a politician’s die sich nun Jahre hinziehende verhee- incompetence, time to panic.« Dieser rende Situation vor Ort. Vor allem Barack Tweet der amerikanischen Journalistin Obama wurden immer wieder seine Sulome Anderson vom 28. Juli 2017 aus Unentschlossenheit, seine Kurzsichtigkeit Beirut gibt die dortigen Reaktionen auf die und seine großen Worte, denen meist Präsidentschaft Donald Trumps prägnant keine Taten folgten, vorgeworfen. wieder: Erstaunen, Verwirrung und jede Seit Beginn der Demonstrationen Menge Humor, weil nun endlich auch ein 2011, gegen die das syrische Regime mit anderer Teil der Erde von vermeintlicher beispielsloser Gewalt vorging und denen Inkompetenz, Willkür und Größenwahn bald darauf bewaffnete Aufstände folgten, regiert wird. Der Libanon und der Nahe stand immer auch die Frage nach den Osten sind eine Region, deren Schicksal Möglichkeiten einer Form der militärischen seit Jahrzehnten in wechselndem Ausmaß Intervention mit Beteiligung oder unter direkt abhängig war und ist vom Wirken Führung der USA im Raum – mit dem der US-amerikanischen Außenpolitik. Ziel, den Präsidenten Bashar al-Asad zu Dies trifft gegenwärtig vor allem auf stürzen. Zur Regierungszeit Obamas war den Krieg in Syrien zu. Für viele direkt diese Intervention nach dem Giftgasangriff Betroffene des Krieges und vor allem für in Ghouta im August 2013 für kurze Zeit Unterstützer*innen der syrischen Revolu- in greifbare Nähe gerückt, bevor wieder auf tion ist die US-amerikanische Politik der die Mittel der Diplomatie zurückgegriffen

78 Trumps Rezept für die Katastrophe in Syrien wurde. Die Frage nach einer wie auch ihrem Kampf gegen den IS immer tiefer immer gearteten militärischen Intervention in den Krieg in Syrien verwickeln. Dieser in Syrien ist die Gretchenfrage nicht nur, relativ hohe Einsatz im Kampf gegen den aber in besonderem Maße für US-ameri- IS mit gleichzeitiger Vernachlässigung kanische Politiker*innen. An ihr scheiden anderer Faktoren des syrischen Konflikts sich die Geister. Während eine militärische ist Obama wie Trump gemein. Grund Intervention für Anti-Kriegsaktivist*innen dafür ist, dass der Krieg in Syrien, die unbedingt zu vermeiden ist, ist sie für viele Grausamkeit des syrischen Regimes, der Unterstützer*innen der syrischen Revoluti- große Strom Geflüchteter und das Leid on schon lange die noch einzig verbliebene der Zivilgesellschaft keine Prioritäten realistische Option, Bashar al-Asad zu US-amerikanischer Außenpolitik sind – stürzen und das aus ihrer Sicht Hauptübel anders als der »Anti-Terrorkrieg« gegen der syrischen Tragödie aus dem Gefecht zu den IS in Syrien und weltweit. ziehen. Zu Obamas Regierungszeit wurde Auch gibt es weder im republika- diese Option nie ernsthaft verfolgt. Statt- nischen noch im demokratischen Lager dessen bombardiert die US-Luftwaffe seit Einigkeit über die richtige Position zu 2014 in Syrien Stellungen des sogenannten Syrien. Im demokratischen Lager vertritt Islamischen Staates. Im April dieses Jahres Barack Obama eine andere Position als wurde eine Intervention dann plötzlich jene klar interventionistische Hilary überraschend Realität, als Donald Trump in Clintons, Bernie Sanders hält wiederum Reaktion auf einen erneuten Giftgasangriff an einer dritten, Anti-Kriegsposition fest. in Khan Shaykhoun den syrischen Militär- Ähnlich bei den Republikanern: Hier flugplatz al-Sha’irat bombardierte. Trumps vertritt Donald Trump immer mal wieder militärische Intervention gegen das al-Asad- eine andere Position als sein Außenmi- Regime sollte sich jedoch als eine einmalige nister Rex Tillerson. Die Positionen der Aktion herausstellen, die in das willkürliche beiden unterscheiden sich wiederum von Muster der bisherigen Politikentscheidun- der von Nikki Haley, der momentanen US- gen dieses US-Präsidenten passt. Botschafterin der Vereinten Nationen. Auf den ersten Blick hat die Politik Die Mischung aus Uneinigkeit und Trumps in der Syrienfrage viele Ähn- Unentschiedenheit, der geringen Priorität lichkeiten mit der seines Vorgängers und gleichzeitigen Verstrickung in den syri- Barack Obama. Beiden fehlt es an einer schen Krieg führt zu verwirrenden und sich kohärenten Strategie, während sich die häufig widersprechenden Politikwechseln USA seit 2014 durch die Angriffe der der USA. Diese haben zur dramatischen US-Luftwaffe auf Stellungen des IS in Verschlechterung der Lage in Syrien mit Syrien sowie durch die Unterstützung der beigetragen und erschweren längerfristige Demokratischen Kräfte Syirens (DKS) in Optionen für einen dauerhaften Frieden.

Miriam Younes 79 Russland – USA: »Alien vs. Predator« einer Entwicklung des syrischen Konflikts oder umgekehrt zu einem Stellvertreterkrieg, der – ähnlich Am 2. August 2017 unterzeichnete Donald dem Vietnamkrieg – in einen Krieg führe, Trump neue wirtschaftliche Sanktionen der für keine Seite zu gewinnen wäre und gegen Russland, unter anderem wegen der hohe Verluste zur Folge hätte. Obwohl diese militärischen Unterstützung des syrischen Beschreibung in vielem auf die gegenwär- Regimes durch Russland. Diese kamen in- tige Situation in Syrien zutrifft, hat sich sofern überraschend, da der Präsident zuvor das von Obama vorhergesagte »Desaster« sein Veto gegen Sanktionen angekündigt aus russischer Sicht so nicht verwirklicht. und sich in der Syrienfrage zunehmend an Jedenfalls nicht, wenn man die militärische Russland angenähert hatte. Offensichtlich Entwicklung des Konflikts für Russland und war diese Kehrtwende dem innenpoliti- das Regime betrachtet. Nicht zuletzt wegen schen Druck geschuldet, dem sich Trump der Intervention der russischen Luftwaffe wegen des Vorwurfs der Einmischung der ist ein militärischer Sieg für das syrische russischen Geheimdienste in die amerikani- Regime in erreichbare Nähe gerückt. Auch sche Präsidentschaftswahl ausgesetzt sah. wenn dies noch lange kein politischer Sieg Das starke Engagement Russlands und ein Ende des Konflikts wäre, so ist im syrischen Konflikt und die uneinge- dies für die USA und ihre Verbündeten schränkte politische und militärische doch eine Niederlage. Eine militärische Unterstützung für das al-Asad-Regime Intervention wäre wegen des russischen begründen ein besonderes Interesse der Engagements mit unkalkulierbaren Risiken USA in der Syrien-Frage. Dies folgt der verbunden. Diese Verschiebung der Kräfte­ klassische Logik eines Stellvertreterkrie- verhältnisse schränkt auch Spielräume ges: US-amerikanisch-russischen Bezie- auf dem diplomatischen Parkett ein: Dies hungen können immer auch ein Stück zeigte sich an den vergeblichen Versuchen weit an dem jeweiligen Engagement und des US-amerikanischen Außenministers Reaktionen der beiden Akteure in Syrien John Kerry, mit der Regierung Putins einen abgelesen werden. Dies gilt auch für die Waffenstillstand zu vereinbaren. Am Ende jeweiligen innersyrischen oder lokalen seiner Amtszeit blieben Obama nur harte, Verbündeten der beiden Staaten. aber folgenlose Worte, als die russische Als die russische Luftwaffe im Sep­- Luftwaffe Seite an Seite mit dem syrischen tember 2015 militärisch an der Seite des Regime den von oppositionellen Milizen syrischen Regimes in den Konflikt interve- ­besetzten Teil der Stadt Aleppo in Schutt nierte, nannte Obama das russische Vorge- und Asche legte, ohne Rücksicht auf die hen »ein Rezept für die Katastrophe« (The noch in der Stadt verbliebene Zivilgesell- Guardian, 2.10.2015). Wie viele Male zuvor, schaft sowie auf Kranke und Verletzte zu warnte der US-amerikanische Präsident vor nehmen.

80 Trumps Rezept für die Katastrophe in Syrien In einer ähnlichen Lage befindet sich nun Aleppo, Syrien, Juni 2017, SebDech/flickr Donald Trump, der von vornherein die Bereitschaft mitbrachte, der russischen schen den beiden Staaten trennte, die eine Regierung die Vormacht in Syrien zu Konfrontation im Luftraum zu vermeiden überlassen. Dennoch kam es in den angestrebt hatte. letzten Monaten bereits einige Male zu Dennoch hat sich die vorteilhafte heftigeren Spannungen zwischen den russische Position auf der syrischen beiden Staaten, von denen die Sanktionen Stellvertreterbühne vor allem im Juli von Anfang August nur das letzte Beispiel noch einmal verbessert. Nach dem in einer Reihe von Ereignissen darstellen. G20-Gipfel in Hamburg, auf dem sich Ein erster Tiefpunkt der amerikanisch- Putin und Trump das erste Mal in ihrer russischen Beziehungen wurde mit dem Rolle als Staatsoberhäupter begegneten, US-Luftangriff auf al-Sha’irat im April bestätigen beide Staaten die gemeinsame dieses Jahres erreicht. Diesem folgten Prioritätensetzung auf den Kampf gegen Spannungen im Juni, als die amerikani- den IS, während Fragen der Zukunft des sche Luftwaffe einen syrischen Armeejet al-Asad-Regimes mehr oder weniger der abschoss und Russland in Folge die erst russischen Regierung überlassen wurden. im März etablierte direkte Hotline zwi- So kündigten die USA am 19. Juli an, das

Miriam Younes 81 von Obama geschaffene CIA-Programm überraschenden Militärschlag im April zur Bewaffnung und zum Training »mo- dieses Jahres. Obwohl den meisten klar derater« Oppositionsmilizen einzustellen. war, dass Trumps Angriff keine nachhal- Gleichzeitig vereinbarten die USA und tige Änderung in der US-amerikanischen Russland einen neuen Waffenstillstand Syrienpolitik darstellte, so war es doch das im Süd-Westen Syriens. In den letzten erste Mal, dass einer der in den Syrien- Wochen lobte Außenminister Tillerson krieg involvierten Staaten, das syrische mehrmals die russische Initiative zur Regime gewollt und direkt angriff. Die Schaffung von De-Eskalationszonen und Anerkennung, die Donald Trump durch betonte die wichtige Zusammenarbeit mit den überraschenden Angriff von Seiten Russland, um die Fortsetzung des Krieges vieler Syrer*innen erfuhr, hatte vor allem in einer Post-IS-Phase zu vermeiden. Eine zwei Gründe: Zum einen ist für viele Zukunft Syriens ohne al-Asad wurde in eine Anti-Interventionshaltung in einem diesen Szenarien nicht mehr erwähnt. Konflikt fragwürdig, in dem seit 2014 Diese Ereignisse belegen die Gefah- bereits täglich und von verschiedenen ren eines Stellvertreterkriegs, den Obama Seiten militärisch interveniert wird, nur so doch vermeiden wollte: Beide Staaten eben nicht gegen das Regime, das sich seit tragen ihre Rivalität auf dem Rücken der Jahren diverser Kriegsverbrechen gegen syrischen Bevölkerung aus, ohne einem seine eigene Bevölkerung schuldig macht. Ende des Bürgerkrieges und einer Lösung Zum anderen ist für viele eine militärische des Konflikts näher zu kommen. Beide Intervention von außen die noch einzig Staaten handeln wie der klassische »alien verbliebene Hoffnung, al-Asad zu stürzen predator«, als fremde Akteure, die nicht und eine Zukunft Syriens ohne ihn zu im lokalen Kontext involviert sind, über denken. Syrer*innen innerhalb und außer- lückenhaftes Wissen verfügen und deren halb des Landes haben bereits seit 2013 für Einfluss auf lokale und syrische Akteure eine Form der militärischen Intervention immer auch begrenzt bleibt. von außen plädiert, sei es durch eine Flugverbotszone oder durch eine direkte Militärische Intervention, Intervention. Allerdings scheint eine Bewaffnung und Diplomatie solche im Moment ebenso wenig im Fokus »The Americans have been bombing Syria der realpolitischen Optionen wie noch since 2014. Last night, for the first time, zu Zeiten Obamas. Kurz nach Trumps they hit the right target«. Dieser Facebook- Angriff, machte die US-Regierung über Kommentar des Schriftstellers und diverse Kanäle deutlich, dass der Angriff Journalisten Robin Yassin-Kassab spiegelt nicht gegen Bashar al-Asad als regierendes die Reaktionen vieler Unterstützer*innen Staatsoberhaupt Syriens gerichtet sei, der syrischen Revolution auf Trumps sondern nur gegen seinen Gebrauch

82 Trumps Rezept für die Katastrophe in Syrien von Chemiewaffen. Der Militärschlag sei kein Interesse an einem Sturz al-Asads demnach eine Warnung an al-Asad, keine haben – und weil sie die einzige effektive Chemiewaffen mehr gegen sein Volk Streitkraft gegen den IS sind. Verschiedene einzusetzen. Milizen der Freien Syrischen Armee haben Jenseits der diplomatischen Versuche die Kooperation mit den USA abgelehnt, in Genf, die im Juli das letzte Mal ohne solange sich der angestrebte Kampf nur Ergebnis endeten, waren die Waffenliefe- gegen den IS richtet. rungen an oppositionelle und sogenannte Die Unterstützung der DKS sowie die moderate Milizen in Syrien die einzige ge- Luftangriffe Syriens durch die US-Luftwaf- gen das Regime gerichteten Maßnahmen fe im Rahmen des Krieges gegen den IS der US-Regierung. Diese Strategie wurde zeigen, dass die wahren und womöglich von Obama bereits seit 2013 verfolgt. Das einzigen Prioritäten US-amerikanischer Programm wurde im Juli dieses Jahres von Außenpolitik in Syrien einerseits die Trump aufgekündigt. Bekämpfung des IS, andererseits die Weiterhin Unterstützung von Seiten Behauptung der eigenen Präsenz in den der USA erhalten die Demokratischen verschiedenen Stellvertreterkonstellation Kräfte Syriens (DKS), ein Militärbündnis eben durch die Bekämpfung des IS ist. aus kurdischen und einigen wenigen Dieser Kampf zeigt zunehmend Erfolge: arabischen Milizen. Führende Miliz der Als Territorialmacht schwindet der IS in DKS sind die kurdischen Volksverteidi- Syrien und im Irak seit einiger Zeit. Die gungseinheiten, der bewaffnete Arm der Kämpfer der DKS haben mittlerweile die kurdischen und PKK-nahen »Partei der Hälfte der IS-Hauptstadt Rakka einge- Demokratischen Union«. Die DKS erhalten nommen seit sie im Juni mit Hilfe der von den USA Unterstützung aus der Luft, US-Militärschläge eine Großoffensive auf Waffen, Training sowie direkten Beistand die Stadt begonnen haben. durch Teile der US-Special Forces. Diese enge Unterstützung erhält die DKS nicht Geflüchtete und der »Muslim-Ban« für ihren Kampf gegen Asad, sondern für »I can look in their [d.h. syrische geflüch- ihren Kampf gegen den IS. Die Kooperation tete Kinder] faces and say ›You can’t come.‹ zwischen DKS und USA ist damit Teil des I’ll look them in the face.« – Donald Anti-Terrorkampfes und der Bodenoffen- Trump, Februar 2016 sive, die von der US-Luftwaffe aus der Luft Der größte Unterschied in der unterstützt wird. Die DKS hat sich hier vor Politik von Trump und Obama zeigt sich allem als Kooperationspartner der USA an- wahrscheinlich in der Frage der Aufnahme geboten, da sie sich in einer eher taktischen von Geflüchteten aus Syrien in die USA. Partnerschaft mit dem al-Asad-Regime und Das Thema war – im Unterschied zum auch mit Russland befinden und demnach Krieg in Syrien selbst – eines der viel

Miriam Younes 83 und polemisch diskutierten Themen des wurde, so ist die Zahl von aufgenommenen US-Wahlkampfes im Jahr 2016. Mehrmals Geflüchteten aus Syrien in die USA in den warnte Trump vor der Aufnahme syrischer ersten Monaten von Trumps Präsident- Geflüchteter in die USA, verglich diese schaft bereits extrem gesunken. Auch gegen mit einem »enormen Trojanischen Pferd«, das leicht abgeschwächte Nachfolgedekret in dem sich IS-Anhänger und Terroristen »« wurde von einigen verstecken könnten. Auch Obama hatte US-Staaten Klage eingereicht. Seit Juni liegt sich im Unterschied zu anderen westlichen der Fall beim Supreme Court und Teile des Staaten bei der Aufnahme von Geflüchteten Einreiseverbots sind bis zur Verhandlung aus Syrien lange zurückgehalten. Erst 2015 außer Kraft gesetzt. Je nach Entscheidung wurden Geflüchtete durch den UNHCR sieht es für die Aufnahme von Geflüchteten in die USA gebracht– und dies auch nur in Zukunft noch schlechter aus. nach Druck von Seiten der UN und einiger Parallel sicherte Trump bereits im Ap- europäischer Staaten. Zwischen Ende 2011 ril dem Libanon die stattliche Summe von und Dezember 2016 betrug die Zahl der 167 Millionen US-Dollar zu, um Geflüchtete aufgenommenen Geflüchteten etwa 18 000, aus Syrien in der Nähe ihrer Heimat, d.h. wovon alleine circa 12 000 im Jahre 2016 im Libanon zu unterstützen. Dies bestätigte aufgenommen wurden (migrantpolicicy. Trump im Juli auf seiner Pressekonferenz org). Damit sind syrische nach den kongo- mit dem libanesischen Ministerpräsident lesischen Refugees die zweitgrößte Gruppe Rafik al-Hariri, als er betonte, der beste von Geflüchteten in den USA. Weg, Geflüchteten aus Syrien zu helfen sei, Trump hatte im Wahlkampf nicht zu sie in der Nähe ihrer Heimat zu unterstüt- viel versprochen. Bereits im Januar 2017 zen. Betrachtet man die Lage Geflüchteter setzte er im Zuge der »Executive Order im Libanon, die ohne Flüchtlings- oder 13769« (dem sogenannten »Muslim« Aufenthaltsstatus in einer Quasi-Illegalität oder »travel ban«) die Aufnahme von ohne grundlegende Rechte leben, so zeigt Geflüchteten aus Syrien aus, um angeblich Trump auch hier wieder seine bewusste Terroranschläge in den USA zu verhindern. oder unbewusste Ignoranz des lokalen Syrien zählt auch zu den sieben Ländern, Kontexts in den Nachbarländern Syriens. deren Staatsangehörige generell durch den »ban« für 90 Tage die Einreise in die Fazit USA verboten wurde. Auch wenn der erste »Justice must do its work because without »travel ban« von Bundesrichter James justice there is no real peace, we know Robart bereits im Februar als nicht ver- that from history. « – Carla Del Ponte, bei fassungskonform erklärt wurde und auch ihrem Rücktritt aus der Untersuchungs- der Rechtsbehelf der US-Regierung vom kommission der Vereinten Nationen für Bundesberufungsgericht zurückgewiesen Syrien (The Guardian, 7.8.2017 )

84 Trumps Rezept für die Katastrophe in Syrien Betrachtet man die US-amerikanische hier nur ein wichtiger Akteur von vielen, Außenpolitik der letzten Jahre mit Blick auf der in der syrischen Frage versagt hat. Syrien, so haben Fragen von Gerechtigkeit, Es ist müßig, darüber nachzudenken, der Aufklärung von Kriegsverbrechen wann und wodurch die USA eine andere sowie einer dauerhaften Aussöhnung Politik hätte einschlagen können, und wie und des Frieden in Syrien eine geringe eine solche Politik hätte aussehen können. Rolle gespielt. Hier unterscheiden sich Sicher wurden Gelegenheiten verpasst, die die Regierungen von Trump und Obama dem Krieg in Syrien einen anderen Verlauf wenig. Beide haben in und um Syrien eine gegeben hätten. Optionen im Hier und Jetzt Politik verfolgt, die sich in vieler Hinsicht gibt es angesichts des militärischen Sieges als kurzsichtig, einseitig in ihren Prioritä- des Regimes einerseits wenige. Andererseits ten und – angesichts der Grausamkeiten wäre dies nun der Zeitpunkt, an dem Kritik des Bürgerkrieges – auch als unmenschlich auch noch einmal ansetzen kann: durch erwiesen hat. Beide Regierungen haben eben ein Beharren auf Fragen der struk- einen Stellvertreterkrieg in Syrien nicht nur turellen Gewalt und der transformativen Ge- zugelassen, sondern ihre Politik der Logik rechtigkeit, das die Seite des Regimes nicht der Rivalität um Einfluss untergeordnet. nur auch, sondern in besonderem Maße zur Lokale Realitäten, Dynamiken und Befind- Rechenschaft zieht; durch ein genaues Be- lichkeiten haben dabei kaum eine Rolle obachten der Situation und möglicherweise gespielt, sie sind auch diesem Stellvertreter- eine Einmischung in die Politik Russlands krieg zunehmend zum Opfer gefallen. und des Irans; durch ein Nicht-Ignorieren Das Versagen der USA in Syrien der Millionen von Geflüchteten innerhalb ist – wie der Rücktritt von Carla del Ponte und außerhalb Syriens, durch die Erhöhung beispielhaft zeigt – auch ein Versagen der der Aufnahmezahlen und Gewährleis- »internationalen Staatengemeinschaft«, tung eines gesicherten Rechtsstatus der die nicht in der Lage war, ein grausames Geflüchteten in den Aufnahmeländern oder Regime und seine Verbündeten zu stop- bei ihrer Rückkehr nach Syrien; und nicht pen, Giftgas und Fassbomben gegen die zuletzt durch die Versuche, lokale Dynami- syrische Bevölkerung einzusetzen, die auch ken in Post-IS-Gebieten und ehemaligen nicht in der Lage war, die Militarisierung Regionen der syrischen Opposition, sowie und religiöse Radikalisierung von Teilen die dortige Zivilgesellschaft und politische der bewaffneten Opposition aufzuhalten. Aktivist*innen nicht außer Acht zu lassen Ebenso wenig konnte die Vertreibung von und bei Friedensverhandlungen miteinzu- gegenwärtig geschätzten 5,5 Millionen beziehen. Es überrascht wenig, dass es nicht Geflüchteten verhindert, noch konnten in danach aussieht, als würde die Trump- sechs Jahren Friedensverhandlungen dau- Administration solche Schritte in Erwägung erhafte Erfolge erzielt werden. Die USA ist ziehen.

Miriam Younes 85 Jenseits prekärer Legalität

David Feldman

Am 9. Februar ließ die US-Behörde, die in irgendeiner Form straffällig geworden für Immigration and Customs Enforcement sind, zur obersten Priorität erklärt und die (ICE) zuständig ist, im Rahmen einer Einrichtung einer Behörde zur »Unter- landesweit koordinierten Aktion mehr als stützung der Opfer von durch Migranten 600 Migrant*innen verhaften. Allein in verübte Straftaten« angeordnet sowie den Los Angeles wurden über 100 Menschen Bau neuer Haftanstalten und Grenzzäune. festgenommen, was erbitterten Widerstand Darüber hinaus hat er das Personal des vor Ort auslöste und Bedenken schürte, Grenzschutzes und der ICE mit Tausenden Donald Trump werde seine Kampfansage, neuen Mitarbeiter*innen aufstocken lassen. alle elf Millionen Migrant*innen ohne Die wenigen Zugeständnisse, die Aufenthaltsgenehmigung aus dem Land zu der Regierung von Obama mühselig werfen, tatsächlich wahrmachen. abgerungen werden konnten, scheinen Einen Monat zuvor hatte Trump seit der Machtübernahme von Trump verschiedene Executive Orders erlassen, die einem üblen Rachefeldzug der Reaktion unter anderem eine verstärkte Zusammen- zum Opfer zu fallen. Trotzdem gab es arbeit der lokalen und regionalen Polizeien während der ersten 100 Tage von Trump mit den nationalen Einwanderungsbehörden im Präsidentenamt auch einige wenige vorsehen sowie Strafen für alle sogenannten Lichtblicke. Ende Februar verkündete Sanctuary Cities in den USA,1 die einer er, dass er einer Teillegalisierung von Milli- solchen Kooperation ablehnend gegenüber- onen von Einwander*innen ohne Papiere stehen. Trump hat zudem die Abschiebung durchaus offen gegenüberstehe, er könne von allen Migrant*innen ohne Papiere, die sich auch vorstellen, den sogenannten

86 Jenseits prekärer legalität DREAMers die Möglichkeit einzuräumen, riglohnkräfte in Zukunft in den USA noch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft strikteren Kontrollen unterwerfen müssten. zu beantragen (s.u.). In diesen unruhigen Zeiten voller Sanctuary Revisited Angst und Unsicherheit ist es manchmal Die Bewegung für die Rechte von schwierig, die scheinbar widersprüchliche Migrant*innen und Geflüchteten hat Rhetorik des Weißen Hauses genau ein- unter Trump bislang einen Großteil ihrer zuordnen. Trump ist ein bigotter Narzisst Energie in den Kampf gegen Abschie- mit einem starken Hang zu Fremden- bungen gesteckt, insbesondere in die feindlichkeit. Diese Feststellung bringt uns Schaffung und Verteidigung von Sanctuary allerdings nicht besonders weit. Statt sich Cities. Aber daran gibt es inzwischen lange bei seinen persönlichen Eigenschaf- Kritik. So warnt zum beispielsweise Elliot ten aufzuhalten, erscheint es sinnvoller, Young davor, das Sanctuary-Konzept sich mit strukturellen Fragen zu beschäf- könne aufgrund des Ausbleibens einer tigen und sich genauer anzuschauen, konsequenten Basismobilisierung zu einer welche Funktion er in dem in den USA Wohlfühlnummer und letztlich zu einem stark ›rassifizierten‹ Kampf zwischen »bedeutungslosen Label« verkommen. Kapital und Arbeit einnimmt. In Zukunft Und David Harvey weist darauf hin, dass wird eine zentrale Aufgabe der Bewegung obwohl ›regionaler Widerstand‹ der Kampf für die Rechte von Migrant*innen und um lokale Autonomie [und] ortsbezogene Geflüchteten sowie der Linken ganz Formen der Organisierung ausgezeichnete allgemein darin bestehen, die Anklage der Ausgangspunkte für politisches Handeln Herrschenden mit einer Entmystifizierung sein mögen, sie allein nicht die Her- zu verbinden, das heißt, die ungerechten ausforderung des historischen Wandels und unrechtmäßigen Maßnahmen der bewältigen können«. Hilary Goodfriend Trump-Regierung anzugreifen und dagegen vertritt eine wohlwollendere gleichzeitig die ihnen zugrundeliegende Haltung und ruft die Linke dazu auf, sich strukturelle Logik aufzudecken. auf das radikale Vermächtnis der Sanctu- Was die Einwanderungspolitik ary-Bewegung aus den 1980er Jahren zu angeht, so würde eine Ausweitung der von besinnen, als »eine Komponente eines der Obama-Administration eingeleiteten umfassenden und grenzüberschreitenden Massenabschiebungen keineswegs dem antiimperialistischen Kampfes«. entgegenlaufen, was Trump unter einer »positiven Reform des Migrationssystems« Was ergibt sich aus versteht. Im Gegenteil: Die Ausweisung dieser Diskussion? weiterer Millionen ›Illegaler‹ würde dazu Erst einmal ist festzuhalten, dass es der führen, dass sich die migrantischen Nied- heutigen Sanctuary-Bewegung mit ihren

David Feldman 87 direkten Aktionen und Mobilisierungen bessere Möglichkeiten der Kontrolle über von unten gelungen ist, soweit Druck auf die migrantischen Arbeiter*innen als die die lokalen (links)liberalen Eliten auszu- Kategorie ›illegal‹, mit der Menschen ohne üben, dass sich diese zum Teil eindeutig Papiere gebrandmarkt werden. Zugleich gegen die derzeitige Bundesregierung kann der Staat mit diesem neu geschaf- positioniert haben. Man sollte darüber fenen Aufenthaltsstatus jegliche Verant- hinaus auf keinen Fall die Errungenschaf- wortung für ihr soziales Wohlergehen den ten der Vorläuferin der gegenwärtigen Migrant*innen selbst aufbürden (wobei es Sanctuary-Bewegung überbewerten. Eine in der Regel die Frauen sind, die aufgrund zentrale Forderung in den 1980er Jahren der traditionellen geschlechtsspezifischen war, allen aus Zentralamerika in die USA Arbeitsteilung hier einspringen müssen). Geflohenen einen umfassenden Flücht- Berücksichtigt man darüber hinaus, dass lingsstatus zuzugestehen. 1990 schließlich die Einführung des TPS am Ende zur reagierte die damalige Regierung auf diese Demobilisierung der früheren Sanctuary- Bewegung und führte einen temporären Bewegung beigetragen hat, muss dies Schutz ein. Dieser Temporary Protected wohl als äußerst geschickter Schachzug Status (TPS), der weit vom offiziellen und Sieg des kapitalistischen Staates Flüchtlingsstatus entfernt ist, verschaffte bewertet werden. vor allem Menschen aus El Salvador die Option, ohne Unterbrechungen 18 Monate Der aktuelle Stand lang im Land zu leben und zu arbeiten, Der TPS ist 27 Jahre nach seiner Einfüh- schloss sie aber von der Wahrnehmung rung immer noch von Bedeutung, er kann jeglicher mit öffentlichen Mitteln finan- von Migrant*innen aus insgesamt 13 Staa- zierten sozialen Dienste und Leistungen ten beantragt werden, wobei die meisten, aus. Cecilia Menjívar beschreibt diesen die mit diesem Status derzeit in den USA »liminalen Rechtszustand« als einen, der leben, aus El Salvador (195 000), Hondu- von »extremer Unsicherheit« geprägt ist, ras (57 000) und Haiti (50 000) kommen. bei dem »jede Fristsetzung und Stichtagre- Sein Vermächtnis findet sich auch in dem gelung die prekäre Situation der Betroffe- 2012 von der Obama-Regierung aufgeleg- nen noch weiter verschärft« und bei dem ten Programm Deferred Action for Early die Menschen jederzeit damit rechnen Childhood Arrivals (DACA) wieder, das müssen, den ihnen zugestandenen Status seitdem um die 750 000 Migrant*innen, wieder zu verlieren. die als Kinder rechtswidrig in die USA Da es sich beim TPS um eine von eingereist sind, durchlaufen haben. Die staatlicher Seite geschaffene und definierte Antragsgebühren betragen annähernd offizielle aufenthaltsrechtliche Kategorie 500 US-Dollar pro Person. Das Programm handelt, beschert sie dem Kapital noch bietet einem spezifischen Teil der illegali-

88 Jenseits prekärer legalität sierten Bevölkerung in den USA – jungen, men. Im Juni 2012 hatten Jugendliche im meist gut gebildeten und zweisprachig ganzen Land die Wahlkampfbüros von Ob- im Land aufgewachsenen junge Men- ama besetzt und von diesem verlangt, über schen – eine zweijährige Arbeitserlaubnis eine Executive Order einen Abschiebestopp sowie eine Aussetzung der Abschiebung zu verhängen und sich für ihre vollständige an. Doch trotz des damit verbundenen ›Legalisierung‹ im Rahmen des DREAM temporären Rechtsschutzes gibt es für Act (Gesetz zur Förderung der Entwicklung die Programmteilnehmer*innen keinerlei und Bildung von ausländischen Minderjäh- Garantien, sie müssen sich von daher rigen) einzusetzen. weiterhin Sorgen um ihren langfristigen Obwohl sich das DACA-Programm ei- Aufenthaltsstatus machen, ebenso wie um niger Beliebtheit erfreut, ließ sich der harte den ihrer Familienangehörigen. Kern der Aktivist*innen dieser vorwiegend Wenn diese jungen Menschen studie- studentischen Bewegung so leicht nicht re wollen, können sie nicht auf staatliche beschwichtigen. Sie wissen um die Limi- Unterstützung wie Ausbildungsförderung tierungen des Programms und sind sich und Stipendienprogramme (z.B. Pell darüber im Klaren, dass es auch etliche Grants) zurückgreifen, sondern müssen Nachteile mit sich bringt: Zunächst einmal sich ihr Studium mit Niedriglohnjobs und lassen sich damit viele in trügerischer Bankkrediten finanzieren. Wie eine neuere Sicherheit wiegen, des Weiteren spaltet es Untersuchung zu den Auswirkungen des die größere Bewegung für die Rechte von DACA-Programms in Südkalifornien erge- Migrant*innen. Darüber hinaus weiß die ben hat, geht die überwältigende Mehrheit Bewegung, dass es nicht ganz ungefährlich der ›Geförderten‹ einer Erwerbstätigkeit sein kann, dem Heimatschutzministerium mit einem durchschnittlichen Stunden- so viele personenbezogene Daten zur lohn von 11,47 US-Dollar nach, wovon nur Verfügung zu stellen. fünf Prozent einer Gewerkschaft ange- Als Trump zu Beginn seines Wahl- hören. Zwei Drittel der für die Untersu- kampfes erklärte, er wolle nach seinem chung Befragten gaben an, schon einmal Sieg DACA abschaffen, zeigten sich große Schwierigkeiten gehabt zu haben, für die Teile der migrantischen Communities Kosten ihrer Ausbildung aufzukommen. entsetzt. Das bringt die DREAMers in die So wie der TPS eine Reaktion auf die reichlich frustrierende Situation, ein Pro- Organisierungsbemühungen und Proteste gramm verteidigen zu müssen, das noch der alten Sanctuary-Bewegung darstellte, ist nicht einmal ansatzweise ihren Bedürfnis- DACA ein Ausdruck der Bemühungen der sen gerecht wird. Allerdings hat Trump seit Obama-Administration, den entschlosse- seinem Amtsantritt dieser Ankündigung nen Kampf minderjähriger Migrant*innen noch keine Taten folgen lassen. Vielmehr ohne Papiere in den USA zu vereinnah- gab Heimatschutzminister John Kelly im

David Feldman 89 Februar dieses Jahres zu Protokoll, man beschriebenen »liminalen Rechtszustand« werde nicht nur an DACA, sondern auch gründen soll. Unterstützt werden soll an DAPA (Deferred Action for Parents of dieses System durch einen aufgerüsteten Americans and Lawful Permanent Residents), Überwachungsstaat, der diejenigen ein- einem ähnlichen Programm für die Eltern sperrt und abschiebt, die es wagen sollten, dieser Jugendlichen, das zwischenzeit- aus der Reihe zu tanzen. Der Gesetzesent- lich auf gerichtlichem Wege gestoppt wurf der Demokraten S. 744 hatte ganze worden war, festhalten. Diese scheinbare 46 Milliarden US-Dollar für Maßnahmen Kehrtwende wird nur verständlich, wenn des »Grenzschutzes« vorgesehen. wir uns anschauen, welche Vorteile mit In seiner ersten Kongressansprache der Aufrechterhaltung eines »liminalen behauptete Trump, er hoffe, sehr bald eine Rechtszustands« für Migrant*innen für »echte und positive Reform der Einwande- Kapital und Staat verbunden sind. rungspolitik« unterzeichnen zu können. Er wünsche sich vor allem ein stärker »leis- Die sich rächende Reform tungsabhängiges Selektionssystem«. Mit In seinem ersten Interview nach seinem seiner »Buy-American-and-Hire-American- Wahlsieg umriss Trump seine migrations- Verfügung«, die er kurz zuvor erlassen politischen Vorstellungen: die Grenzen hatte, beabsichtigt Trump, das Visasystem ›sichern‹, ›Kriminelle‹ einsperren und für hoch qualifizierte Arbeitnehmer*innen abschieben und für die ›guten Einwan- (das H-1B-Visa-Programm) nach ähnlichen derer‹ den Schritt hin zur Staatsbürger- Kriterien umzugestalten. schaft erleichtern. Trumps Ansatz weist Ähnlich sah der Gesetzesentwurf S. eine frappierende Ähnlichkeit mit dem 744 vor, die Visavergabe noch stärker an Gesetzesentwurf S. 744 zur Reform des US- den Interessen des Kapitals zu orientieren, amerikanischen Migrationssystems auf, die wofür eine neue Behörde für Migrations- der damals noch demokratisch kontrollierte und Arbeitsmarktforschung geschaffen Senat im Juni 2013 verabschiedet hat (und werden sollte, deren Aufgabe unter ande- der später bei der Abstimmung im Abge- rem darin bestanden hätte, Vorschläge für ordnetenhaus gescheitert ist; Anm. d. Ü.). die Verteilung von temporären Visa zum Trotz einiger nennenswerter Zwecke der Arbeitsaufnahme (und nicht Unterschiede stehen Trumps präsidiale der langfristigen Einwanderung) zu un- Anordnungen in völligem Einklang mit terbreiten. Mit dem Gesetz wäre die Zahl dem übergeordneten Ziel jener Gesetzes- der jährlich vergebenen Visa für »niedrig initiative: Beide streben ein neues System qualifizierte Beschäftigte außerhalb der der Kontrolle über migrantische Arbeit Landwirtschaft« (H-2B-Visa) gesenkt, das an, welches jedoch nicht mehr vorrangig alte Visa-Programm für landwirtschaftliche auf Illegalität, sondern eher auf dem Helfer abgeschafft und durch ein neues

90 Jenseits prekärer legalität Migrantischer Plantagenarbeiter, Fort Blackmore, VA, Bread for the World//flickr Programm für die Besetzung von Stellen ter und Amtsträger ebenso ausgewiesene mit niedrigen Qualifikationsanforderun- Parteigänger des Kapitals. So gehörte zu gen (in und außerhalb der Landwirtschaft) seinem anfänglichen Team im Arbeitsmi- ersetzt worden. Es war geplant, temporäre nisterium der Chef eines Unternehmens, Arbeitsvisa (»W« visa) für maximal drei das mit der Vermittlung von ausländi- Jahre auszugeben und die bis heute gültige schen Arbeitskräften mit »geringfügiger Beschränkung, die Saisonarbeiter*innen Qualifizierung« sein Geld verdient, und an einen bestimmten Arbeitgeber bindet, ein Fellow des Manhattan Institute, der aufzuheben. schon seit Langem als Befürworter von Diese geplante Neuausrichtung Gastarbeiterprogrammen bekannt ist. Ein hätte das System vielleicht ein ganz klein weiterer potenzieller Kandidat für das Amt wenig egalitärer gemacht. Politische des Arbeitsministers, Fastfood-Magnat Aktivist*innen haben schon immer an Andy Puzder, erntete Empörung, als er traditionellen Gastarbeiterprogrammen sich gegen eine Erhöhung des gesetzlichen kritisiert, dass bei ihnen die Arbeits- und Mindestlohns aussprach. Seine lautstarke Aufenthaltserlaubnis an einen einzelnen Befürwortung einer flexibleren Handha- Arbeitgeber geknüpft ist. Die vorgesehene bung der Einbürgerungsbestimmungen Übertragbarkeitsklausel hätte zumindest fand dagegen in der Öffentlichkeit weniger an diesem Punkt Abhilfe geschaffen. Beachtung. Letzten Endes wäre die Durchsetzung Doch sind diese beiden Positionen der demokratischen Reforminitiative S. Puzders absolut vereinbar. Obwohl im 744 jedoch ein Triumph für all diejenigen Gesetzentwurf S. 744 viel von erleichterter gewesen, die ein Interesse an der weiteren Staatsbürgerschaft die Rede war, hätte Prekarisierung von Beschäftigungsver- die Einführung der dort vorgeschlagenen hältnissen haben, bei der Arbeitnehmer- Aufenthaltskategorie Registered Provisional rechte den Bedürfnissen des Kapitals Immigrant (RPI) den »liminalen Rechtszu- nach flexiblen und fügsamen Arbeits- stand« im einem noch wesentlich größe- kräften eindeutig untergeordnet sind. Ob rem Umfang institutionalisiert. Personen ›Gastarbeiter*innen‹ eine Bleiberecht in mit einem solchen RPI-Status hätten den USA erhalten, wäre weiterhin von mehrere Tausend US-Dollar für ihre Visa ihrem Beschäftigungsstatus abhängig bezahlen müssen und wären für den vorge- gewesen, das heißt, sie hätten keinerlei gebenen Zeitraum von sechs Jahre explizit Chance gehabt, sich der außerordentlichen dazu verpflichtet gewesen, durchgängig Macht zu entziehen, mit der das Kapital erwerbstätig zu sein. Sie wären in diesen in den USA seine Arbeiter*innen zu sechs Jahren von allen mit Bundesmitteln disziplinieren pflegt. Wenig überraschend finanzierten bedarfsabhängigen Sozialleis- sind viele der von Trump ernannten Minis- tungen ausgeschlossen gewesen.

92 Jenseits prekärer legalität Für Erwachsene, die nicht alleinerziehend hätten jedoch dafür gesorgt, dass diese sind, wäre die Verlängerung ihres RPI-Sta- Migrant*innen, wenn überhaupt, erst tus von dem Nachweis abhängig gewesen, nach 20 Jahren einen Anspruch auf eine dass sie während ihres Aufenthalts in den Green Card hätten erwerben können. Und USA nicht länger als 60 Tage arbeitslos ge- geschätzte 4 bis 5 Millionen Menschen wesen sind, dass sie dem »Gemeinwesen ohne Papiere wären von vornherein von all mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zur diesen Optionen ausgeschlossen worden. Last fallen werden« und dass sie über ein Einkommen oder Vermögen verfügen, das Die Willkürherrschaft des Kapitals 125 Prozent über der vom Bund festgeleg- Die politischen Konflikte, Antagonismen ten Armutsschwelle liegt. und Rassismen, die die US-amerikanische Theoretisch hätten Straflosigkeit und Einwanderungspolitik bestimmen, die Erfüllung der oben genannten Anfor- können unmöglich allein mit den derungen über einen Zeitraum von zehn Erfordernissen der Kapitalakkumulation Jahren (plus die Zahlung einer weiteren erklärt werden. Es ist jedoch unerlässlich, Gebühr von 1 000 US-Dollar) ausgereicht, dass wir das ganze Terrain in den Blick um den Status eine Lawful Permanent nehmen, auf dem diese Kämpfe ausge- Resident zu beantragen. Andere Vorgaben fochten werden. Die Abkehr des transnati-

David Feldman 93 onalen Kapitals von einem Kontrollsystem in den USA noch weiter verschärfen und migrantischer Arbeit, das maßgeblich auf noch schlimmer ausfallen als die hier viel dem Prozess der Illegalisierung beruhte, zitierte Gesetzesinitiative S. 744. Unter- hat viel mit dem massenhaften Unge- dessen können wir davon ausgehen, dass horsam und den anhaltenden Kämpfen die Einwanderungskontrollbehörde ICE dieser in die Illegalität getriebenen versuchen wird, einen Großteil derjenigen, Migrant*innen zu tun. die noch nicht einmal mehr unter den »li- Eine herausragende Bedeutung minalen Rechtszustand« fallen, des Landes kommen in diesem Zusammenhang den zu verweisen. Das, was man den im Land massiven Streiks und Arbeitsniederlegun- verbleibenden ›illegalen‹ migrantischen gen im Frühjahr 2006 zu, die im »Great Arbeiter*innen im besten Falle noch zu- American Boycott« am 1. Mai gipfelten. gesteht, ist, ihr Leben als die am stärksten In diesen Mobilisierungen artikulierte ausbeutbare Fraktion einer Arbeiterklasse sich nur die eigene »Existenz als Wi- zu fristen, die gerade in den USA durch derstand«, sie waren auch deutlicher eine zunehmende Prekarisierung und Ausdruck davon, dass man nicht länger Stratifizierung gekennzeichnet ist. bereit war, die massive Kriminalisierung Der Staat ist selbstverständlich alles und vielen Abschiebungen ‚illegaler‘ andere als eine monolithische Einheit. Einwanderer*innen einfach hinzuneh- Er kann nicht einfach mit den Fingern men. Damals forderten die politischen schnippen und einen bis ins letzte Detail Aktivist*innen eine sofortige und ausgearbeiteten Plan in die Tat umsetzen, bedingungslose Amnestie für alle illegal egal ob es um die Regulierung von Einwan- eingereisten und undokumentierten derung oder andere Angelegenheiten geht. Migrant*innen und wandten sich gegen Bereits vor 40 Jahren hat der marxistische den Bau weiterer Grenzzäune und die Theoretiker Nicos Poulantzas überzeugend Einstellung neuer Grenzschützer*innen dargelegt, dass eine staatliche Gesamtstra- und ICE-Beamten. tegie erst aus der Konfrontation und Aus- Leider haben die Individuen und einandersetzung zwischen verschiedenen Gruppierungen, die diese Bewegung getra- Taktiken, Netzwerken und Machtapparaten gen haben und bis heute um Migranten- des Staates erwächst. So geht zum Beispiel rechte kämpfen trotz ihrer Entschlossen- die Abschiebung von Juan Manuel Montes, heit im zurückliegenden Jahrzehnt mehr einem Teilnehmer am DACA-Programm, Rückschläge als Erfolge erlebt. Mit Trump am 17. Februar dieses Jahres wohl auf die am Ruder und einer republikanischen Initiative von lokalen Beamten und nicht Mehrheit im US-Kongress wird wohl jede auf den Befehl übergeordneter Stellen künftige umfassende Reform des Migra- zurück. Solche Uneinigkeiten und Spaltun- tionsregimes das ausbeuterische System gen wird es auch weiterhin geben.

94 Jenseits prekärer legalität Es kann auch sein, dass mit vermehrten Wenn wir heute auf die Straße gehen, Abschiebungen der Druck erhöht werden sollten wir uns daran erinnern, dass »die soll, eine umfassenden Reform der Ein- Gewerkschaften nicht aus bloßer Solida- wanderungspolitik tatsächlich bald auf den rität entschlossen an vorderster Front des Weg zu bringen. Heimatschutzminister Kampfes in diesem Land um die Rechte Kelly ermahnte kürzlich seiner Behörde von Migrant*innen stehen«, um hier zum kritisch gegenüberstehende Kongressabge- Schluss Neidi Dominguez, Gewerkschafts- ordnete, eine entsprechende Gesetzgebung und gleichzeitig Immigrant-Rights-Akti- zu unterstützen. Man tut also falsch daran, vistin, zu zitieren. »Es geht um unserer auch wenn dies naheliegt, hinter den Maß- eigenen Mitglieder.« Der Widerstand nahmen der Trump-Regierung lediglich gegen Abschiebungen muss weiterhin im fremdenfeindliche Impulse zu vermuten Zentrum dieses Kampfes stehen. Doch und zu meinen, sie sei auf die Abschie- wenn die Bewegung für die Rechte von bung aller illegal in den USA lebenden Migrant*innen und Geflüchteten wirkliche Migrant*innen aus. Eine solche Einschät- Siege erringen will, dann werden wir uns zung übersieht die Funktion Trumps als nicht länger mit lokalen Schutzzonen und Diener des Kapitals. Außerdem besteht bei »liminalen Rechtzuständen« zufrieden- solche einer einseitigen Betrachtungsweise geben können, sondern müssen auf die die Gefahr, dass am Ende eine den An- sofortige Legalisierung aller Menschen forderungen des transnationalen Kapitals ohne Papiere sowie auf ein Ende der voll und ganz Rechnung tragende »echte Willkürherrschaft des Kapitals dringen. und positive Einwanderungsreform« als relativer Erfolg gefeiert wird. Dieser Beitrag erschien im Juni 2017 auf Am Tag vor Montes’ Abschiebung der Website der Zeitschrift Jacobin. Aus dem und eine Woche nach den landesweiten Englischen von Jan-Peter Herrmann Razzien der ICE blieben Zehntausende Migrant*innen am sogenannten »Day Without Immigrants« – der dem »Great 1 Sanctuary Cities sind Städte, die sich der American Boycott« von 2006 nachempfun- Abschiebepolitik der Bundesbehörden widerset- zen und ihren rechtlichen Spielraum zum Schutz den war – ihrem Arbeitsplatz fern. Sie zeig- von illegalisierten Migrant*innen nutzen. Sanctu- ten damit, dass sie nicht länger bereit sind, ary bedeutet Zufluchtsort, Schutzraum oder auch sich vollständige den Anforderungen des Asyl. Die Sanctuary-Bewegung entstand zwischen den späten 1970er und frühen 1980er Jahren in Kapitals zu unterwerfen, und haben sich den USA und Kanada, die aus Zentralamerika Ge- vielerorts trotz der Einschüchterungsversu- flüchtete ohne Papiere unterstützte. (Anm. d. Ü.). che der Trump-Administration sehr aktiv Vgl. hierzu auch das Interview mit Helene Heuser: Sanctuary Cities sind in Deutschland an den Vorbereitungen zu den diesjährigen nicht utopisch, in: LuXemburg 1/2017. 1.Mai-Demonstrationen beteiligt. BILD 11 Bread for the World / flickr

David Feldman 95 Trump und sein ›Hinterhof‹ Lateinamerikanische Perspektiven

Achim Wahl

Nach einem Jahr der Präsidentschaft Lateinamerika – der ›traditionelle Donald Trumps zeichnet sich – schon Hinterhof‹ der USA in deutlicheren Konturen – die Latein­ Die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts amerika-Politik der USA ab. So unter- waren von verbesserten Bedingungen für schiedlich der jetzige Präsident und sein die Sicherung der nationalen Souveränität Vorgänger Barack Obama erscheinen der lateinamerikanischen Länder und mögen: Die Herangehensweise der neuen ihrer zunehmend wichtigeren Rolle in den US-Administration wird weitgehend von internationalen Beziehungen geprägt. Die Konti­nuität geprägt sein. Gleichwohl dadurch geförderte Selbstständigkeit ge- werden einige neue Akzente gesetzt, die genüber der imperialen Macht im Norden bedeutsam sind. zwang die USA, sich auf diese Entwicklung Die von Trump postulierte protek- einzustellen. Die Obama-Administration tionistische Politik richtet sich dabei vor agierte im Sinne der von Joseph Nye (2011, allem gegen das Nachbarland Mexiko 302 ff.) entworfenen Linie der smart policy, und – wie alle Kommentatoren hervor- also einer Politik der »intelligenten Macht«. heben – kann sie Auswirkungen für Sie fand ihren Niederschlag in dem Ende ganz Lateinamerika mit sich bringen. 2015 begonnenen Prozess der Normali- Weiteren Grund für Befürchtungen gibt sierung der Beziehungen zu Kuba, in der es besonders in Bezug auf das zukünftige Unterstützung des Friedensprozesses in Verhältnis der Vereinigten Staaten zu den Kolumbien und in der veränderten Hal- Linksregierungen in Kuba, Venezuela, tung der USA gegenüber großen Ländern Bolivien und Ecuador. wie zum Beispiel zu Brasilien. Das Ziel der

96 Trump und sein ›Hinterhof‹ US-Politik bestand darin, diese Länder als militärischen Dominanz der USA. Machten Alliierte zu gewinnen oder sie zumindest im Jahr 2000 die US-Militärausgaben noch zu neutralisieren, um eine weitergehende 2,9 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus, Eigenständigkeit zu verhindern. waren es 2010 schon 4,66 Prozent (Romero Diese Politik der »intelligenten 2017a). Macht« stützte sich auf die militärische Der (drohende) Hegemonieverlust hat Präsenz der USA mit insgesamt 70 Mili- in den USA eine Debatte ausgelöst, in der tärbasen auf dem lateinamerikanischen Thesen von Zbiegniew Brzezinski, Berater Kontinent sowie auf die traditionell engen verschiedener, vor allem demokratischer wirtschaftlichen Beziehungen (verstärkt US-Präsidenten, von Bedeutung sind. noch durch den Abschlusses bilateraler Diese tauchten auch in den Wahlkampf- Freihandelsabkommen). Außerdem gehört reden von Donald Trump auf. Bereits in zum Arsenal dieser Politik die Tätigkeit seinem 1971 erschienen Buch »Zwischen von US-amerikanischen Nichtregierungs- zwei Zeiten: Die Rolle der USA in der organisationen wie zum Beispiel National digitalen Ära« (»Between Two Ages«) Endowment for Democracy (NED) oder schrieb Brzezinski, dass es an der Zeit sei, Students for Liberty und anderen Insti- die Welt neu auszutarieren und eine neue tutionen wie der United States Agency for politische globale Ordnung mit einem International Development (USAID) sowie trilateralen wirtschaftlichen Zusammen- der Einsatz von Geheimdiensten, darunter schlusses zwischen Japan, Europa und den die National Security Agency (NSA). USA zu schaffen (vgl. Lopez 2017). Trumps politischer Ansatz selbst weist in einer Die Trump-Administration: Situation, in der das System geschwächt Von der smart power zur ist, auf eine Vertiefung der kapitalistischen hard (stupid) power? Globalisierung und auf eine Umverteilung Der US-amerikanische Soziologe und Welt- und Neuformierung der Kräfte hin. Es systemtheoretiker Immanuel Wallerstein stellt sich somit die Frage, welche Rolle geht davon aus, dass die technologischen, Lateinamerika in dieser neuen politischen militärischen und vor allem die wirtschaftli- globalen Ordnung für die USA spielen soll. chen Kapazitäten der USA im 21. Jahrhun- Lateinamerikanische Kommentatoren dert nicht ausreichen werden, um allein wie Juan Eduardo Romero (2017a) gehen in die Welt zu beherrschen. Die Strategie des ihren Analysen der Lateinamerika-Politik Unilateralismus, die von den meisten frü- der neuen US-Administration von einem heren US-Präsidenten (einschließlich des direkten Einfluss einiger von Brzezinski liberalen Präsidenten Barack Obama) präfe- vertretenen Thesen aus, unter anderem der riert wurde, war verbunden mit wachsenden These vom »konstruktiven Chaos«.1 Brze- Ausgaben für die Aufrechterhaltung der zinski bescheinigt Mexiko große interne

Achim Wahl 97 Probleme, die beunruhigende Dimensio- der USA zu Kuba, der Friedensprozess in nen erreicht hätten. Beispielhaft bezieht er Kolumbien und das Drogenproblem im sich auf den seit 2006 im Land tobenden Fokus der US-Politik stehen werden. Drogenkrieg. Dieser habe Mexiko im Grunde zu einem »failed state« gemacht, Mexiko der sich im Zustand eines »konstruktiven Zwischen den USA und Mexiko existieren Chaos« befinde. Es bestehe so die Gefahr intensive Beziehungen. Rund 35 Millionen von starken anti-US-amerikanischen Mexikaner*innen leben in den USA, eine Bewegungen, woraus sich wiederum die Million US-Bürger*innen wiederum in Notwendigkeit ergebe, Mexiko stärker Mexiko. Täglich passieren eine Million unter Kontrolle zu bringen (López, 2017). Menschen und 437.000 Fahrzeuge die Die Entwicklung in Venezuela wieder- Grenze. Mexiko ist einer der wichtigsten um lässt sich aus diesem Blickwinkel als das Handelspartner der USA: Das Handelsvo- Zusammenspiel von inneren Widersprü- lumen beträgt 352 Milliarden US-Dollar. chen des bolivarischen Entwicklungspfades Mexiko exportiert Waren im Wert von 296 in der globalen (Ressourcenpreis-)Krise und Milliarden US-Dollar in die Vereinigten äußerer Destabilisierung und Durchsetzung Staaten, das Volumen der Importe macht dieses Konzeptes verstehen: Die politische 235 Milliarden US-Dollar aus. Das bedeutet Instabilität bietet die Möglichkeit, dieses 60 Milliarden US-Dollar Überschuss für »konstruktive Chaos« auszunutzen. Mexiko. 64 Prozent der mexikanischen Der kubanische Historiker Elier Exporte gehen in die USA, somit sind sie Ramirez Canedo befürchtet bei der Analyse der wichtigste Handelspartner Mexikos der entstandenen Situation, dass die von (vgl. Main 2017). Trump gewählte Sprache, seine politischen Mexiko stand sowohl in Trumps Auslassungen und seine ersten politischen Wahlkampf als auch sofort nach seinem Maßnahmen den Übergang von der smart- Amtsantritt im Mittelpunkt seiner ›Kritik‹: power-Politik Obamas zu einer hard-power– Mexiko sei auf der Basis des Nordamerika- und damit stupid-power-Politik markieren. nischen Freihandelsabkommens (NAFTA) wirtschaftlich bevorteilt, und die Migration Vorgehen der Trump-Administration sei ein Teil der Probleme, die die USA gegen einzelne Länder belasten. Ein aktueller Blick auf Lateinamerika Für Mexiko, das seit 1992 NAFTA- macht deutlich, dass vor allem Fragen der Mitglied ist, beweisen wirtschaftliche Wirtschafts- und Außenhandelspolitik, Indikatoren, dass der Vertrag im Wesent- die Haltung der USA zu Migrant*innen, lichen negative Auswirkungen gehabt hat: die politische Instabilität in Venezuela, Es gab keinen Industrialisierungseffekt, die weitere Entwicklung der Beziehungen dafür aber einen Rückgang der landwirt-

98 Trump und sein ›Hinterhof‹ schaftlichen Produktion. Außerdem wurde Venezuela Mexiko aufgrund seines Lohngefälles zur Der Historiker Juan Eduardo Romero ›(Re-)Importplattform‹ für die USA. Zum (2017b) vom Forschungszentrum für Beispiel gehen 90 Prozent der in Mexiko politische strategische Studien in Mexiko produzierten Autoteile und Pkw in die beschreibt die Situation in Venezuela als USA. Die Maquiladores nutzen die billige »katastrophalen Patt«. Dieser gefährde die mexikanische Arbeitskraft zur Montage Existenz der linken Maduro-Regierung. von Pkw und anderen Industrieerzeugnis- Zur schlechten wirtschaftlichen Lage sen, die vor allem für den US-Markt be- und zu den destablisierenden Aktionen stimmt sind. Sie sind für etwa 60 Prozent der radikalen Opposition kämen eigene des Exports in die USA verantwortlich. Es Schwächen hinzu wie etwa die versuchte arbeiten in diesem sogenannten industri- Ausschaltung des Parlaments durch ein ellen Sektor mit seinen überaus prekären Gerichtsurteil und schließlich durch die Beschäftigungsverhältnissen derzeit über Abstimmung über die Verfassungsgebende 2,6 Millionen Menschen (vgl. Costa 2017). Versammlung (ANC) am 30.7.2017. Vom Weißen Haus war zu vernehmen, Trumps Außenminister Tillerson dass die USA in Zukunft Importzölle von machte deutlich: »Wir arbeiten mit der Or- 20 Prozent auf mexikanische Einfuhren ganisation Amerikanischer Staaten (OAS) erheben wollen, was außerordentliche ne- zusammen, um eine Verhandlungslösung gative Konsequenzen für die Wirtschaft und für einen demokratischen Übergang zu die Menschen dort haben würde. Bisher finden.«2 reagierte die mexikanische Regierung auf Beispielhaft für diese politische die Angriffe sehr defensiv. Die Beunruhi- Zielstellung verlief die Tagung des gung der mexikanischen Unternehmense- Ständigen Rates der OAS am 23. März 2017 lite beruht auf der Ungewissheit, ob Trump in Washington. Aus Protest blieben einige den NAFTA-Vertrag neu verhandeln oder linksregierte Länder (Bolivien, Venezuela, aufkündigen wird. Inzwischen hat Trump Nicaragua) dem Treffen fern, aber 21 von den NAFTA-Vertrag gekündigt. Trump 34 OAS-Mitgliedsstaaten nahmen die demütigte Präsident Pena Nieto mit der politische Krise in Venezuela zum Anlass, Drohung, US-Truppen an die mexikanisch- gegen Maduro vorzugehen. Zur Debatte amerikanische Grenze zu schicken, um stand eine Resolution, die eine direkte Ein- Mexiko dazu zu zwingen, die von Trump mischung in die inneren Angelegenheiten angekündigte Mauer zu bauen. Venezuelas vorsieht. In der Resolution heißt Mit dieser Politik versucht Trump es, dass »im Rahmen der Interamerikani- nicht nur, wirtschaftliche Ziele zu verwirk- schen Demokratischen Charta zusätzliche lichen, sondern Mexiko den geopolitischen Schritte unternommen werden sollen, um Erfordernissen der USA unterzuordnen. eine Normalisierung der demokratischen

Achim Wahl 99 Institutionen (in Venezuela) abzusichern.« auf 1,4 Milliarden Barrel geschätzten (Proceso.com.mx, 3.4.2017). Erdölvorkommens an der venezolanisch- Sie wurde per Akklamation angenom- guyanischen Grenze.5 Tatsächlich hat men. Dabei handelt es sich nach Ansicht US-Außenminister Rex Tillerson noch von zahlreichen Kommentatoren um die eine Rechnung mit Venezuela offen, da bisher schärfste Verurteilung der Maduro- er als ehemaliger Chef von ExxonMobil Regierung, nach Meinung der Regierung eine Neuverhandlung der Erdölverträge Venezuelas aber kommen die in der Resolu- mit Venezuela ablehnte, woraufhin 2007 tion vorgeschlagenen Maßnahmen einem die Anlagen des Konzerns in Venezuela »institutionellen Staatsstreich« gleich.3 verstaatlicht wurden (vgl. Neuber 2017). Begleitet wurde die Debatte im Neben der OAS ist Kolumbien, das Rahmen der OAS von einer Einschätzung schon jetzt einen Wirtschaftskrieg gegen des Chefs des Südkommandos der US- Venezuela führt, derzeit ein geeigneter Part- amerikanischen Streitkräfte, Admiral Kurt ner für die Vorhaben der US-Regierung, da Tidd, die er dem Komitee für militärische die politischen Interessen der herrschen- Angelegenheiten im US-Senat übermittelte. den Elite Kolumbiens deckungsgleich mit Nach Tidd stellt Venezuela einen »destabi- denen der USA sind. Auch die kolumbiani- lisierenden Faktor« in der Region dar, was sche Regierung, die die Energiesicherheit durch »die sich verschärfende humanitäre des Landes erhöhen will, hat großes Krise eine regionale Antwort erfordern Interesse an dem venezolanischen Erdöl.6 könnte«. Darüber hinaus warnte er vor dem Mit der Trump-Administration »russischen, chinesischen und iranischen wächst die Gefahr einer militärischen Einfluss in der Region«, der die Interessen Intervention in Venezuela. In einer der USA in Lateinamerika bedrohe.4 Situation, in der die Welt vor allem auf die Trump persönlich rief im Februar Entwicklungen im Nahen Osten, insbeson- 2017 den Präsidenten Panamas, Juan Car- dere in Syrien schaut, ist eine militärische los Varela, an, um mit ihm über Venezuela Aktion seitens der USA in Lateinamerika zu reden, zu dessen Regierung Panama nicht ausgeschlossen. bislang gute Beziehungen pflegte. Offenbar Nach der Durchführung der Abstim- hat Trump vor, unter Ausnutzung der mung über die Verfassungsgebende Ver- wirtschaftlichen Interessen Panamas Varela sammlung (ANC), die von der Opposition dazu zu drängen, seine Haltung gegenüber boykottiert wurde, haben die USA weitere zu Venezuela zu ändern. Venezuela steht Sanktionen gegen Venezuela angekündigt. im Zentrum der Aufmerksamkeit der Alle Aktiva, die Präsident Maduro in den Trump-Administration, da es um die Erdöl- USA hat, werden eingefroren und alle vorräte des Landes geht. So hat ExxonMobil Transaktionen verboten. Angedroht werden großes Interesse an der Ausbeutung des Einschränkungen (Importverbote) auf dem

100 Trump und sein ›Hinterhof‹ Erdölsektor. (Die USA sind hauptsächlicher alister/flickr Abnehmer von Erdölexporten aus Venezu- ela.) Die USA-Administration betrachtet Vizepräsident Pence, der auf einer die Abstimmung zur ANC als »Verletzung ­Rundreise verschiedene lateinamerika- demokratischer und institutioneller Rech- nische Länder besuchte, relativierte die te«7. Das Schatzamt der USA verhängte Äußerung Trumps, nachdem sich u.a. diese Sanktionen gegen Präsident Maduro, der Präsident Kolumbiens Santos gegen weil er mit der Durchsetzung der neuen militärische Maßnahmen gegen Venezuela Verfassung zum »Diktator« mutiert sei. ausgesprochen hatte. Pence erklärte, dass Diesen Reaktionen der USA folgten in Venezuela auf dem Weg in eine Diktatur treuer Anhänglichkeit sowohl die OAS wie sei. Dabei würden die USA nicht »ruhig auch einige lateinamerikanische Länder bleiben«. Das südamerikanische Land sei wie Chile und Peru, dessen Botschafter ein »gescheiterter Staat«, der »eine Bedro- aus Venezuela ausgewiesen wurde. Am hung für die Sicherheit und den Wohlstand 10.8.2017 erklärte Trump, dass »wir der ganzen Hemisphäre« darstelle.9 Die viele Optionen für Venezuela offenhalten, Reise Pence’ durch Lateinamerika diente einschließlich einer militärischen, wenn es offensichtlich dem Ziel, Venezuela von an- erforderlich ist«.8 deren Ländern des Kontinents zu isolieren.

Achim Wahl 101 Mit der Trump-Administration wächst die Weder ist es zu Einschränkungen des Gefahr einer militärischen oder ähnlich Tourismus gekommen noch wurde dem gelagerten Intervention in Venezuela. In Unternehmen Cuba International Network einer Situation, in der die Welt vor allem (Sitz in Florida) die Lizenz für sein auf die Entwicklungen im Nahen Osten, kubanischen Büro verweigert, das vorhat, insbesondere in Syrien schaut, ist eine auf der Karibikinsel für den Verkauf in militärische Aktion seitens der USA in den USA bestimmte Radio-, Fernseh- und Lateinamerika nicht ausgeschlossen. Filmproduktionen zu realisieren. Die kubanische Regierung reagierte Kuba ihrerseits besonnen und zurückhaltend Schon während des Wahlkampfes hatte auf die Angriffe während des US-Wahl­ Donald Trump seine Ablehnung der Politik kampfes. Präsident Raul Castro erklärte Obamas gegenüber Kuba deutlich gemacht. im Januar 2017 auf der 5. Tagung der Er hatte die »Öffnung« gegenüber Kuba Gemeinschaft Lateinamerikanischer und als eine »schandhafte Annäherung an die Karibischer Staaten (CELAC) in Santo Tyrannen, die nur die Militärdiktatur fes- Domingo die Bereitschaft Kubas, den Dia- tigt«, genannt und verkündet: »Wir werden log mit den USA weiterzuführen und die das Recht der Kubaner verteidigen, sich begonnene Kooperation unter Beachtung vom Kommunismus zu befreien« (zit. nach unterschiedlicher Positionen fortzusetzen Salazar 2017). US-Außenminister Tillerson (vgl. CELAC 2017). unterstützte Trump, indem er die entspre- Nach einer Zeit des Abwartens und chenden US-Institutionen aufforderte, alle der Wahl eines geeigneten Ortes und von Obama bezüglich Kuba eingeleiteten Ereignisses erklärte Präsident Trump im Schritte rückgängig zu machen. Dazu gehö- Juni 2017 alle von der Obama-Administ- ren die Visaerleichterungen, wirtschaftliche ration mit Kuba vereinbarten Schritte zur Maßnahmen sowie die Entfernung Kubas Normalisierung der Beziehungen und von der berüchtigten Liste von Terrorstaaten Abkommen für beendet. »Ich erkläre den der US-Regierung. Gleichzeitig forderte Til- bilateralen Vertrag der letzten Regierung lerson den Senat und das Abgeordnetenhaus für beendet. Ich erkläre hiermit eine neue Anfang des Jahres dazu auf, das Wirtschaft- Politik, wie ich sie während der Wahlkam- sembargo gegen Kuba nicht aufzuheben. pagne versprochen habe. Ich unterzeichne Nach der Amtsübernahme Trumps diesen Vertrag (»Memorando Presidencial erwartete die Miami-Fraktion der Exilkuba- de Seguridad Nacional sobre el fortaleci- ner konkrete Schritte vom neuen Präsiden- miento de la Política de los Estados Unidos ten. Doch weder er noch der Beauftragte hacia Cuba« – Präsidentenmemorandum für kubanische Angelegenheiten, Jann über nationale Sicherheit zur Stärkung Greenblath, wurden bisher aktiv geworden. der Politik der USA gegenüber Kuba«) an

102 Trump und sein ›Hinterhof‹ diesem Tisch sofort.«10 Diese Sätze sprach rasande tystar/flickr Trump in Miami vor enthusiastischen Exilkubanern, die schon lange auf eine entspricht. Mit diesen Maßnahmen wird solche Maßnahme gegen Kuba gewartet deutlich, wie die Trump-Administration hatten. Zu den verhängten Maßnahmen gedenkt, die Beziehungen zu Kuba grund- zählen u. a. die Einschränkung von Dollar­ sätzlich zu ändern. zahlungen, ein Verbot des individuellen Tourismus, ein Verbot von Geschäften Welchen Platz wird Lateinamerika mit kubanischen Unternehmen, die mit in der US-ausenpolitik einnehmen? militärischen Einrichtungen realisiert In Lateinamerika wird darauf verwiesen, werden, und die Aufrechterhaltung der dass eine Antwort auf die Frage, welche Blockade, die seitens der USA gegen Kuba Richtung die Politik der Trump-Administra- seit über 60 Jahren völkerrechtswidrig tion am Ende einschlagen wird, noch nicht (seit 1992 als Gesetz) realisiert wird. Mit umfassend möglich ist. Es bedürfe einer diesen Maßnahmen entsprach Trump den genaueren Fall-zu-Fall-Analyse, da Vieles Forderungen rechter und nationalistischer davon abhänge, welche politischen und Kräfte, was einer Rückkehr von Praktiken militärischen Positionen unterschiedliche aus der Zeit der Blockkonfrontation Interessengruppen, aber vor allem entschei-

Achim Wahl 103 dende Stellen im bürokratisch-militärischen (UNASUR), der Bolivarianischen Allianz für Apparat und ihre Vertreter in Regierungs- die Völker unseres Amerika (ALBA) und in funktionen einnehmen werden (vgl. Salazar der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen 2017). Ganz offensichtlich und besonders und Karibischen Staaten (CELAC) zum zu beachten ist dabei zweifellos die starke Ausdruck kommen. Repräsentation der Erdöllobby (u.a. durch Für die USA wird Lateinamerika im Rex Tillerson, Rick Perry und Scott Pruit) in Hinblick auf die weltweit existierenden der gegenwärtigen US-Regierung. Konflikte, auf die die Trump-Administra- Was Trump und andere Kräfte tion reagieren muss und wird, weiterhin umtreibt, ist die bröckelnde Dominanz der eine bedeutende Rolle spielen. Als USA in Lateinamerika. Die Existenz linksge- ›Hinterhof‹ hatte Lateinamerika, historisch richteter Regierungen und Bewegungen, die betrachtet, immer eine außerordentliche sich nicht im Sinne der strategischen Linie Bedeutung für die USA. Es war immer der USA bewegten, ist ein wesentlicher Hinterland, Rohstofflieferant, dem US- Ausgangspunkt für Trumps Losung, »Ame- Kapital untergeordnet, politisch abhängig rika wieder groß zu machen«. Das erinnert und quasi eine ›friedensberuhigte Zone‹. die Lateinamerikaner an die historischen Und Trump hat offenkundig mit sei- Erfahrungen mit der aggressiv-interventio- nen bisherigen Erklärungen und Handlun- nistischen Politik des »Big Stick« (»Großer gen die Regierungen Lateinamerikas leicht Knüppel«) und der Monroe-Doktrin, die verschreckt. Bei einer Analyse der Reaktion 1823 von den USA zunächst als defensive lateinamerikanischer Länder auf die Doktrin der Nichteinmischung gegen Wahl Trumps zum US-Präsidenten kann die Westeuropäer formuliert worden war festgestellt werden, dass die führenden (»Amerika den Amerikanern«) und dann als Vertreter Lateinamerikas wohl auf einen politisch-ideologische Rechtfertigung für die Wahlsieg Hillary Clintons gesetzt hatten, Interventionspolitik der USA im zentral- weil sie befürchten mussten, dass Trump und südamerikanischen ›Hinterhof‹ die existierenden bilateralen und internati- (patio traseiro) diente. Diese Doktrin, so die onalen Verträge infrage stellen würde, um Befürchtung, könnte durch die Trump-Ad- sie zugunsten wirtschaftlicher Interessen ministration eine Wiederbelebung erfahren. der USA neu zu regeln.11 Damit droht eine neue Welle politischer Die offenkundige Orientierungslosig- Destabilisierung und ökonomischer keit der mexikanischen Führung erstreckt Zerrüttungen. Im besonderen Maße wird sich auf die Eliten ganz Lateinamerikas. sich diese Politik auch gegen die Integrati- Gegenwärtig reagieren sie eher pragma- onsbestrebungen der lateinamerikanischen tisch und sind nicht in der Lage, eigene Länder richten, die in Zusammenschlüssen politische Alternativen zu präsentieren. wie der Union Südamerikanischer Nationen Das hat auch zur Folge, dass sich der

104 Trump und sein ›Hinterhof‹ Zerfallsprozess des Gemeinsamen Markts Temer hat erklärt, dass die USA ein bedeu- Südamerikas (Mercosur) und der damit tender Handelspartner Brasiliens seien, verbundenen regionalen Integrationsbe- sodass es trotz des dort vorherrschenden mühungen fortgesetzt hat. Es dominiert nationalistischen und protektionistischen nunmehr die Tendenz, Freihandelsverträge Diskurses zu keinen negativen Folgen zum Beispiel mit der EU abzuschließen. für Brasilien kommen werde. Brasilien Argentinien und Brasilien versuchen zu- sei nicht Mexiko, sodass er überzeugt sei, dem, mit China ins Gespräch zu kommen. Brasilien werde in der Lateinamerika- Dabei bedenken sie nicht, dass sie im Fall Politik von Trump eine »zentrale Rolle eines Handelskrieges zwischen den USA spielen«. Für seine Regierung sind die und China mit harten Folgen rechnen Beziehungen zu den USA prioritär, wobei müssten. Im Übrigen setzen die Staaten vor allem kommerzielle Interessen und Lateinamerikas weiter auf den Export von die Zusammenarbeit auf militärischem, Rohstoffen (vgl. Katz 2017). wissenschaftlichem und technischem Gebiet im Vordergrund stehen. Es geht Mögliche Szenarien einer unter anderem um die Ausbeutung der zukünftigen US-Politik gegenüber Erdölvorkommen vor der Atlantikküste Lateinamerika Brasiliens (Pre-Salt). Die Temer-Regierung hat erste Schritte eingeleitet, um die von a | Ausbau der neoliberalen Front der Lula-Regierung getroffenen Maßnah- mit Brasilien und Argentinien men zur Nutzung des Erdöls im nationa- Nach der Niederlage linksgerichteter len Sinne rückgängig zu machen. Regierungen in Argentinien und Brasilien Wirtschaftliche Konsequenzen sind hat sich in Lateinamerika eine neue möglich, wenn es – wie von Trump ange- neoliberale Front gebildet. Die Folge ist kündigt – zu einer Zinserhöhung kommen eine veränderte geopolitische Situation. wird, da daraufhin ein Kapitalabfluss aus Dies erhöht den Druck auf andere Länder, lateinamerikanischen Ländern zu erwarten wie zum Beispiel auf Venezuela, und ist. Ähnliches gilt für die Spekulation mit es stellt die bisher erreichten sozialen Rohstoffen (Soja, Eisenerz und Erdöl), da Errungenschaft infrage. Faktisch drohen diese unmittelbare Auswirkungen auf die diese gänzlich zurückgedrängt zu werden. öffentlichen Schulden hat. Insgesamt aber Präsident Mauricio Macri in Argentinien bleibt die Unsicherheit für die Temer- und Präsident Michel Temer in Brasilien Regierung, welche wirtschaftliche Richtung haben sich beeilt, Signale in Richtung Wa- Trump einschlagen wird. Das erhöht damit shington auszusenden, die eine bewusste auch den Druck auf diese instabile Regie- Unterordnung unter die Interessen der rung, von der die ökonomischen Eliten in USA erwarten lassen. Brasilien lukrative Ergebnisse erwarten.

Achim Wahl 105 Mauricio Macri wiederum hat einen Allianz das neoliberale Integrationsmodell schlechten Start mit Trump erwischt, da für Lateinamerika sein soll. Aber auch in bekannt geworden ist, dass er auf Hillary dieser Frage herrscht noch Ungewissheit, Clinton gesetzt hatte. Politisch, vor allem weil konkrete Schritte der Trump- in Bezug auf Migration, steht er nahe Administration noch ausstehen. »Die von bei Trump. Auch in Argentinien ist eine den Regierungen Macri und Temer gegen Reform der Einwanderungsgesetzgebung Venezuela ergriffenen Maßnahmen im geplant, die Einreiseerlaubnisse per Dekret Rahmen von Mercosur wie auch die Ver- regeln soll. Für Aufsehen sorgte nach suche, die UNASUR zu schwächen und Trumps Machtübernahme die 60-tägige sich der Pazifischen Allianz anzunähern, Suspendierung des Vertrages über den zeigen die Richtigkeit dieser Analyse.« Export von Zitrusfrüchten in die USA. (Romero 2017a) Enttäuscht ist Macri auch, weil er sich Vi- Mit der Entscheidung der Außenmi- saerleichterungen für Argentinier für die nister Brasiliens, Argentiniens, Uruguays USA erhofft hatte. Trump dagegen fordert und Paraguays vom 6.8.2017 die Mitglied- konsularische Anhörungen, bevor ein schaft Venezuelas im Mercosur zu suspen- Visum erteilt wird. Ein Besuch Macris in dieren, ging ein monatelanges Ringen zu den USA erbrachte nicht die gewünschten Ende. Die Regierung Uruguays, die sich Ergebnisse.12 Macri positionierte sich als lange den Bestrebungen Brasiliens und der Hauptverbündete der USA in Latein- Argentiniens widersetzt hatte, gab ihren amerika, mehr aber als das Versprechen Widerstand auf, sodass eine einstimmige seitens Trumps, die Importrestriktionen Entscheidung herbeigeführt werden konn- für argentinische Zitrusfrüchte aufzuhe- te, Venezuela aus »politischen Gründen« ben, konnte Macri nicht erreichen. Jedoch aus dem Mercosur auszuschließen. Diese wollen die USA die Aufnahme Argentini- Entscheidung hat solange Gültigkeit, ens in die OECD befürworten. bis die »demokratischen Institutionen« Venezuelas wiederhergestellt werden. b | Erweiterung des Einflusses der Schon im Dezember 2016 beschlossen die Pazifischen Allianz in Lateinamerika Mitglieder des Mercosur eine »juristische Besonders die Regierungen Brasiliens Suspendierung« Venezuelas. Der politi- und Argentiniens haben konkrete Schritte sche Ausschluss wird mit der »Beseitigung unternommen, um den Ausschluss Vene- der demokratischen Institutionen« nach zuelas aus dem Mercosur zu erreichen. der Gesetzgebenden Versammlung (ANC) Das würde die Möglichkeit eröffnen, begründet.13 Der Ausschluss Venezuelas den Mercosur an die Pazifische Allianz ist ein weiterer Schritt zur Isolierung heranzuführen. Offensichtlich besteht des Landes in Lateinamerika und der Übereinstimmung, dass die Pazifische angestrebten Gleichschaltung neoliberaler

106 Trump und sein ›Hinterhof‹ Politik zwischen der Pazifischen Allianz Erstmalig in Lateinamerika – so schreibt und den Mitgliedern des Mercosur. der uruguayische Journalist Raul Zibechi –­ nehmen US-amerikanische Truppen c | Ausbau der militärischen an einem Militärmanöver im brasiliani- Präsenz der USA in Lateinamerika schen Amazonasgebiet teil. Nach seiner Aufbauend auf der Konzession der Macri- ­Dar­stellung stellt die Durchführung dieses Regierung zum Ausbau von US-Militärba- Manövers eine grundsätzliche Verände- sen in Ushaia und im Dreiländerdreieck rung der bisherigen Position Brasiliens Argentinien, Brasilien und Paraguay, dar.15 könnte es den USA gelingen, sowohl ihre Wie die Befürchtungen brasiliani- Kontrolle im Südatlantik auszubauen scher Experten erkennen lassen, kann die- als auch ihren Zugriff auf die Antarktis ses Manöver den US-Militärs die Tür zum und auf die Wasserreserven des Guarani- Amazonasgebiet öffnen. Nach Meinung Reservoirs noch stärker abzusichern. von Sektoren nationalistisch eingestellter Die Präsenz des britischen Militärs auf Militärs stellt die »Einladung US-ameri- den Malvinen garantiert einen NATO- kanischer Streitkräfte zu Manövern mit Stützpunkt im Südatlantik. unseren Streitkräften in Amazonasgebiet Nun hat die Regierung Temer ein Verbrechen« dar. Andere Experten nachgezogen und wird erstmalig seit beurteilen in Übereinstimmung mit Regierungsübernahme durch Präsident diesen Militärs dieses Manöver als Ein- Lula 2003 Militärmanöver gemeinsam mit schränkung der Souveränität Brasiliens, US-Truppen im Amazonasgebiet zulassen. denn bisher wurden niemals ausländische Zwischen dem 6. und 13. November Militärkräfte im »Instruktionszentrum des werden Militärmanöver im Amazonas- Dschungelkampfes« der brasilianischen gebiet stattfinden. Sie laufen unter der Armee akzeptiert. Mit diesem Manöver Bezeichnung AmazonLog und werden in ist die Befürchtung verbunden, dass die der Gemeinde Tabatinga am Dreiländereck zeitweilige Militärbasis in Tabatinga in Peru, Kolumbien und Brasilien durch- eine permanente verwandelt werden wird geführt. Die offiziell erklärten Aufgaben und die Temer-Regierung die bisherige des Manövers bestehen in der verstärkten Position Brasiliens, sehr vorsichtig mit der Kontrolle der illegalen Migration, in der nationalen Absicherung des Amazonasbe- Durchführung humanitärer Hilfsmaß- ckens umzugehen, aufgeben wird. nahmen bei Großveranstaltungen und Die Politik der letzten Regierungen von Friedensmissionen in entlegenen Brasiliens, die im Hinblick auf die großen Gebieten, in Maßnahmen gegen den Wasservorräte und der einmaligen Bio- Drogenhandel und im Vorgehen gegen diversität des Amazonasbeckens bedacht »Umweltvergehen«.14 war, diese Ressourcen im nationalen

Achim Wahl 107 Interesse zu nutzen, wird offensichtlich In einer Einschätzung der Sociedad im Interesse der Annäherung an die Latinoamericana de Economía Política y Trump-Administration verändert.16 Pensamiento Crítico (SEPLA) wird davon Die Umorientierung der brasilia- ausgegangen, dass Trump die Offensive nischen Position kommt den Interessen gegen die Länder der Peripherie und die des US-Militärs wesentlich entgegen, die Werktätigen verstärken wird. Die gesell- vor allem auch die Militärbasis Brasiliens schaftliche Spaltung zwischen Arm und in Alcantara im Blick hatten. Verweigert Reich werde sich vertiefen. Dies kann sich ­wurde ihnen der Zugriff auf diese aber zugleich durchaus destabilisierend Basis durch die Regierungen Lulas und auf das kapitalistische System auswirken.18 Rousseffs.17 Trump ist der neuen Rechten in Lateinamerika durchaus sehr willkommen d | Ausbau der Zusammenarbeit und wird durch seine nationalistische der USA mit Kolumbien und dessen und rassistische Politik ein direkter Kooperation mit der NATO Partner sein. Die Rechten sehen damit Möglich ist auch, dass die USA und die die Möglichkeit, in Zukunft noch mit NATO ihre Zusammenarbeit mit Kolum- größerer Gewalt gegen indigene Völkern bien verstärken werden. 2013 einigte man und Afrolateinamerikaner vorgehen zu sich bereits auf eine Kooperationsverein- können. Das Wiederaufkommen einer barung. Dies gestattet eine verstärkte Kon- neuen Rechten in Lateinamerika richtet trolle über die Biodiversität des Amazonas- sich gegen Transformationsprozesse, beckens und die Ölreserven dieser Region. die von linksgerichteten Regierungen Schon im Rahmen des Plan Colombia angestrebt wurden. Ein Beispiel dafür der Bush-Administration aus dem Jahre war der kürzlich in Ecuador ausgetragene 2000 hatten die USA 71 Prozent der dafür Wahlkampf, in dem die Rechte mit allen vorgesehenen 141 Milliarden US-Dollar in Mitteln versuchte, den Sieg des Kandida- die militärische Aufrüstung Kolumbiens ten der sozialistischen Partei Alianza PAIS, gesteckt. Insgesamt werden mit diesen Lenin Moreno, zu verhindern. Die Wahl Mitteln 420 000 Mann in Kolumbien um das Präsidentenamt im April 2017 in unter Waffen gehalten (Cosoy 2016). Ecuador fand vor dem Hintergrund einer neuen globalen politischen Konstellation Drohende Gefahren für statt, in der die USA eine Zurückdrängung Lateinamerika der Multi- zugunsten einer Bipolarität Feststeht, dass der Region Lateinamerika anstreben. Dass Lenin Moreno am in den nächsten Jahren vonseiten der Ende gewonnen hat und dem bisherigen USA unter Trump verschiedene Gefahren Präsidenten Rafael Correia nachfolgte, ist drohen. Fünf seien hier benannt: damit ein positives Signal für alle, die auf

108 Trump und sein ›Hinterhof‹ dem Kontinent eine progressive Politik insgesamt geschwächt, das Land verliert verfolgen. international an Bedeutung und darüber Aufgrund des weltweiten Erstar- hinaus eine Unmenge an Arbeitsplätzen kens neokonservativer und neoliberaler (vgl. Lima 2017). Kräfte werden Gewalt und Unterdrückung In den vergangenen Jahrzehnten allgemein zunehmen. Der Kapitalismus haben sich in Lateinamerika die natio- wird in seiner vom US-Kapital abhängigen nalen Eliten in erschreckender Weise Form nach neuen Mitteln der Ausbeutung diskreditiert. Davon betroffen sind auch und Unterdrückung suchen. Die Trump- die linken Kräfte und Bewegungen, die Administration wird sehr aggressiv vorge- in den letzten knapp zwei Jahrzehnten an hen. Dies zeigt schon allein das Beispiel die Regierungsmacht gekommen waren. Mexiko. Es dient als Modell, das auf die Für sie stellt das eine herbe Niederlage gesamte Region ausgedehnt werden kann dar und es wird viel Zeit beanspruchen, (vgl. Zibechi 2017). um diese Rückschläge zu überwinden. An Mit der Erneuerung der Vorherr­ deren Stelle könnten andere Kräfte (u.a. schaft der USA in Lateinamerika die Evangelikalen) treten und damit ihren erhält das Problem der Ausschaltung negativen Einfluss auf die lateinamerika- möglicher regionaler Widersacher eine nischen Gesellschaften ausweiten. Nicht neue Dringlichkeit. Das zeigt sich im auszuschließen ist auch die Zunahme von besonderen Maße in dem Bestreben von sozialer und gesellschaftlicher Unzu- US-Unternehmen, lästige Konkurren- friedenheit, die sich in neuen Formen ten, etwa einflussreiche brasilianische politischen Protestes äußern kann. Unternehmen, aus dem Weg zu räumen. Mit der Aufdeckung von erheblicher China in Lateinamerika Korruption im Zusammenhang mit Der Außenhandel Chinas mit Lateiname- dem halbstaatlichen Erdölunternehmen rika erhöhte sich zwischen 2000 und 2013 Petrobras in Brasilien gelang es der von 13 Milliarden auf 262 Milliarden US- US-Justiz etwa, unter aktiver Beihilfe Dollar. Damit nimmt China nach den USA brasilianischer Staatsanwälte dieses den zweiten Platz als wichtigster Handels- Unternehmen in bedeutende wirtschaftli- partner Lateinamerikas ein. Bedeutend che Schwierigkeiten zu bringen. Das Ziel angewachsen sind die Kapitalinvestitionen, dürfte sein, Petrobras gänzlich als Kon- womit eine bedeutende ökonomische kurrenten auszuschalten. Dabei handelt Ausweitung der Aktivitäten Chinas zu es sich um die Offensive einer mächtigen verzeichnen ist. Besonders die linksgerich- kapitalistischen Struktur gegen eine teten Regierungen profitierten davon, weil weniger starke Struktur. Damit wird die es dadurch unter anderem möglich wurde, brasilianische Industrie und Wirtschaft die Armutsquote in Lateinamerika im

Achim Wahl 109 Zeitraum zwischen 2002 und 2014 von 44 ganz Lateinamerika befindet sich damit in auf 28 Prozent abzusenken (Main 2017). einer Phase der Ungewissheit: Werden die Mit dieser Entwicklung ist China in jeweiligen Regierungen dazu in der Lage der Region zu einem ernsten Konkurren- sein, ihre pragmatische Politik aufrecht- ten der USA herangewachsen. Nach dem zuerhalten und die mit China getroffenen Amtsantritt Trumps stellt sich die Frage, Vereinbarungen und Verträge einzuhalten ob sich der Einfluss von China in der oder müssen sie dem Druck der USA Region noch verstärken und wie darauf die nachgeben und ihre Beziehungen zu China neue US-Administration reagieren wird. zurückfahren? Ein wesentlicher Teil des Wie Admiral Tidd unterstrich, ist für die lateinamerikanischen Wirtschaftssektors US-Administration die Präsenz Russlands hält eine Vertiefung der Beziehungen und Chinas in Lateinamerika sehr beun- zur EU und zu den asiatischen Ländern, ruhigend. Venezuela will russische Waffen besonders zu China, für erforderlich. Das kaufen und die Putin-Regierung hat dem Gleiche gilt in Bezug auf eine Annäherung Land Beratung in militärischen Fragen an das chinesische Projekt der Asien- zugesagt. China hat beträchtliche Mengen Gemeinschaft und die Aufrechterhaltung von Kapital in die Erdölproduktion und der Beziehungen zu den BRICS-Staaten. andere Bereiche in Venezuela investiert. Sollte, wie vorausgesagt, der US-Dollar im Ausgehend von den Fakten, die Wert steigen, kann das China sichtliche China in Lateinamerika geschaffen hat, Vorteile für seine Exportpolitik bringen. ist zu vermuten, dass Präsident Trump Unter diesen Gesichtspunkten wird sich entsprechend seiner Ankündigungen im die Auseinandersetzung zwischen den Wahlkampf und danach eine Offensive USA und China im Wesentlichen um die gegen die Präsenz Chinas in Lateinamerika entscheidenden Positionen in Lateinameri- einleiten wird. Die Frage ist, wer sich auf ka und im pazifischen Raum drehen. den Märkten Lateinamerikas durchsetzen wird und kann. Trump will den USA dazu verhelfen, verlorenes wirtschaftliches Literatur Terrain zurückzugewinnen. In erster Linie CELAC, 2017: Declaración Política de la V cumbre de la Celac, 26.1.2017, unter: www.alainet.org/ wird es dabei um den Erdölmarkt gehen – es/articulo/183123 und damit um den Ölpreis. Cosoy, Natalio, 2016: 7 consecuencias negativas Verschärft sich die Politik Trumps in del Plan Colombia que quizás no conoces, 4.2.2016, unter: www.bbc.com/mundo/ Bezug auf China, werden für eine Reihe noticias/2016/02/160201_colombia_plan_co- Länder erhebliche Probleme entstehen. Der lombia_15_aniversario_consecuencias_inespe- Druck wird wachsen, weniger mit China radas_nc Costa, Antonio, Luiz M., 2017: 2017 não será fácil zu handeln und den USA stärker entgegen- para a direita neoliberal, 20.1.2017, unter: zukommen. Nicht nur Brasilien, sondern www.alainet.org/es/node/182768

110 Trump und sein ›Hinterhof‹ Iturbe, Néstor García, 2017: Algunos asuntos en 3 Zit. nach www.resumenlatinoamericano. los que trabajará Trump en los próximos días, org/2017/04/06/a-los-rumores-de-golpe-interno- 5.4.2017, unter: www.alainet.org/es/articu- la-unidad-del-pueblo-venezolano. lo/184590 4 Zit. nach www.resumenlatinoamericano. Katz, Claudio, 2017: El Tormentoso Debut de- org/2017/04/06/comando-sur-de-ee-uu-tomaria- Trump, 2.2.2017, unter: Katz%20Trump%20 acciones-contra-venezuela. 01_17.pdf, 2.2.2017 5 Vgl. misionverdad.com/la-guerra-en-venezue- Lima, Bruno Rocha, 2017: Lava Jato: as brechas la/exxon-mobil-acelerar-sus-planes-para-robarse-el- para a interferência dos EUA, 13.1.2017, unter: petroleo-venezolano outraspalavras.net/outrasmidias/capa-outras- 6 Vgl. www.anh.gov.co/Operaciones-Regalias-y- midias/lava-jato-janot/ Participaciones/Sistema-Integrado-de-Operacio- Neuber, Harald, 2017: Designierter US- nes/Paginas/Estadisticas-de-Produccion.aspx. Außenminister will »Transition« für 7 elpais.com/internacional/2017/07/31/ Venezuela, 20.1.2017, unter: amerika21. estados_unidos/1501526497_220591.html, de/2017/01/168880/usa-venezuela-tillerson Estados Unidos impone sanciones económicas Nye, Joseph, 2011: Macht im 21. Jahrhundert: a Maduro. Politische Strategien für ein neues Zeitalter, 8 www.telesurtv.net/news/Trump-no-descarta- München una-opcion-militar-en-Venezuela-20170811-0067. Lopez, Germán Gorrai, 2017: Nuevo Orden html. ­Mundial de Brzezinski, 10.1.2017, unter: 9 amerika21.de/print/183016. www.alainet.org/es/articulo/184502, Germán 10 www.elsiglo.cl/2017/06/16/trump-cancela- Gorraiz López, »EEUU y el «, 10.1.2017 el-acuerdo-bilateral-con-cuba/Trump cancela el Main. Alexander, 2017: Trump y América acuerdo bilateral con Cuba Latina, 13.1.2017, unter: www.alainet.org/es/ 11 Der gegenwärtige Präsiden Argentiniens, Mau- print/182958 ricio Macri, hat sich vor einigen Jahren (2015) zum Romero, Juan Eduardo, 2017a: Brzezinski, Donald Beispiel beklagt, er habe schlechte Erfahrungen Trump, el sistema-mundo y Venezuela, mit Trump als Geschäftspartner gemacht. Vgl. 9.1.2017, unter: www.alainet.org/es/articu- hierzu www.perfil.com/politica/macri-sobre- lo/182990 trump-previo-a-que-fuera-electo-presidente-esta. Romero, Juan Eduardo, 2017b: »Venezuela: ¿Un phtml und www.noticiasargentinas.com.ar/ nuevo Caracazo?«, 26.2.2017, unter: www. nuevosite/57128-el-gobierno-aseguro-que-esta- alainet.org/es/articulo/183822 mas-cerca-hillary-clinton-que-trump.html. Salazar, Luis Suárez, 2017: El gobierno temporal 12 www.clarin.com/politica/macri-salon-oval- de Donald Trump: Una redoblada amenaza trump-tarde-capitolio_0_ryLg1i0Rg.html para Nuestra América, 20.1.2017, unter: www. 13 elpais.com/internacional/2017/08/05/actuali- alainet.org/es/print/183018 dad/1501946948_015024.html Zibechi, Raúl, 2017: La oportunidad Trump, in: 14 www.defesanet.com.br/br_usa/noticia/25642/ Rebelión.org, 10.2.2017, www.rebelion.org/ AMAZONLOG—Exercito-dos-EUA-participara-de- noticia.php?id=222751 exercicio-militar-inedito-na-Amazonia-a-convite- do-Brasil. 15 www.ihu.unisinos.br/169-noti- cias-2015/548354-os-estados-unidos-ganham-no- 1 Dieses Konzept Zbigniew Brzezinskis besagt brasil-artigo-de-raul-zibechi . Schaffung von Instabilität, verstärkter Gewalt 16 www.defesanet.com.br/br_usa/noticia/25662/ und chaotischen politischen Zustandes, d.h. BR-US—TOA-%E2%80%93-Tropas-dos-EUA-na- Balkanisierung. Amazonia–Saiba-o-que-esta-em-jogo/. 2 Zit. nach www.resumenlatinoamericano. 17 www.cartamaior.com.br/?/Editoria/Politica/ org/2017/01/22/el-secretario-de-estado-de-trump- Base-de-Alcantara/4/38354. insiste-en-buscar-una-transicion-a-la-democracia- 18 Vgl. hierzu sepla21.org/declaracion-de-sepla- en-venezuela. sobre-el-gobierno-trump/

Achim Wahl 111 Autor*innen

Miriam Boyer ist promovierte Sozialwis- John P. Neelsen lehrt als Soziologe an senschaftlerin. Bis Juni 2017 arbeitete sie der Universität Tübingen und arbeitet zu am Ibero-Amerikanischen Institut in Ber- Fragen der Entwicklungssoziologie mit lin. Sie ist Mitgründerin und im Vorstand Schwerpunkt Südasien. Er ist Vertrauens- von México via Berlin, e.V. dozent der Rosa-Luxemburg-Stiftung und im wissenschaftlichen Beirat von ATTAC. Erhard Crome ist Politikwissenschaftler und Senior Research Fellow beim Welt- Rainer Rilling ist Fellow am Institut für Trends e.V. Potsdam. 2002–2016 war er Gesellschaftsanalyse der osa-Luxemburg- Referent für Friedens- und Sicherheitspoli- Stiftung sowie Redakteur dieser Zeitschrift. tik der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Von ihm erschien in diesem Jahr »Faktencheck: Ingar Solty ist Referent für Friedens- und Trump und die Deutschen« im Verlag Das Sicherheitspolitik am Institut für Gesell- Neue Berlin. schaftsanalyse der Rosa-Luxemburg- Stiftung und Redakteur dieser Zeitschrift. Ali Fathollah-Nejad ist ein freier Poli- Er arbeitet zu Fragen der internationalen tologe und Iran-Experte der Deutschen politischen Ökonomie. Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und am Belfer Center for Science and Jan Turowski ist Büroleiter der Rosa- International Affairs der Harvard Kennedy Luxemburg-Stiftung in Peking. School. Er ist gegenwärtig Gastwissen- schaftler am Brookings Doha Center. Achim Wahl ist Lateinamerikanist und war 2002–2004 Leiter des Büros der David Feldman ist Soziologe und Dokto- Rosa -Luxemburg-Stiftung in Brasilien rand an der University of California, Santa (Sao Paulo). Barbara. Miriam Younes ist Islamwissenschaftlerin Michael T. Klare ist Professor für Peace und Soziologin und promoviert zur liba­ and World Security Studies am Hampshire nesischen linken Bewegung. Sie ist seit College und Autor mehrerer Bücher, von Juli 2017 Programmdirektorin des Beirut-­ ihm erschienen ist »The Race for What’s Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Left«. Über Energiekämpfe und Geopolitik schrieb er u.a. in LuXemburg 1/2012.

112 Autor*innen Inhalt

Die Welt unter Donald Trump Von Ingar Solty...... 2 Strongmen, politische Krieger und Empire Wo sie zusammenkommen, wird es kompliziert und heftig Von Rainer Rilling...... 16 imprint USA vs. China Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis, Spezial, Dezember 2017 internationale Politik als Nullsummenspiel? ISSN 1869-0424 Von Jan Turowski...... 24 Herausgeber: Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung Auf der Suche nach der verlorenen Hegemonie Leitende Redakteurin: Barbara Fried, [email protected], Zur strategischen Partnerschaft zwischen Indien und den USA Tel: +49 (0)30 443 10-404 Von John P. Neelsen...... 34 Redaktion: Harry Adler, Michael Brie, Hanno Bruchmann, Ein Sieg der Interventionisten? Mario Candeias, Alex DemiroviĆ, Barbara Fried, Corinna Zur Russland-Politik der USA Genschel, Henning Heine, Christina Kaindl, Ferdinand ­Muggenthaler, Tadzio Müller, Miriam Pieschke, Katharina Von Erhard Crome...... 46 Pühl, Rainer Rilling, Thomas Sablowski, Hannah Schurian, Ingar Solty, Moritz Warnke und Florian Wilde Trump an der Grenze Mexiko, Migration und Freihandel Kontakt: [email protected] Redaktionsbüro: Harry Adler, Von Miriam Boyer...... 52 [email protected] Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin Iran: Hält das Atomabkommen? Telefon: +49 (0)30 443 10-157 Von Ali Fathollah-Nejad...... 62 Fax: +49 (0)30 443 10-184 www.zeitschrift-luxemburg.de Eine neue Weltordnung der Petro-Mächte? Von Michael T. Klare...... 70 Join us on Facebook: http://www.facebook.com/zeitschriftluxemburg

Trumps Rezept für die Katastrophe in Syrien Copyleft: Alle Inhalte, soweit nicht ander ausgewiesen, Von Miriam Younes...... 78 unteliegen den Bedingeungen der Creative Commons License Jenseits prekärer Legalität Grafik Design & Layout: Von David Feldman...... 86 Matthies & Schnegg – Ausstellungs- Trump und sein ›Hinterhof‹ und Kommunikationsdesign, www.matthies-schnegg.com Lateinamerikanische Perspektiven Von Achim Wahl...... 96 Druck: Oktoberdruck AG, Berlin Titelbild: Mural in Kopenhagen, Autor*innen...... 112 Foto: Kristoffer Trolle/flickr DIE WELT UNTER DONALD TRUMP STRONGMEN, POLITISCHE KRIEGER UND EMPIRE AUF DER SUCHE NACH DER VERLORENEN HEGEMONIE MEXIKO, MIGRATION UND FREIHANDEL GESELLSCHAFTSANALYSE UND LINKE PRAXIS IRAN: HÄLT DAS ATOMABKOMMEN? Weltordnungskonflikte ingar Solty | Rainer Rilling | Jan EINE NEUE WELTORDNUNG DER PETRO-MÄCHTE? Turowski | John P. Neelsen | Erhard Crome | Miriam Boyer | TRUMPS REZEPT FÜR DIE KATASTROPHE IN SYRIEN Ali Fathollah-Nejad | Michael T. Klare | Miriam Younes u.A.

Spezial