Plenarprotokoll 13/233

Deutscher

Stenographischer Bericht

233. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Inhalt:-

Begrüßung des Vorsitzenden der Volks- Gisela Frick F.D.P 21331 C versammlung der Republik Bulgarien, Manfred Müller (Berlin) PDS . . 21334 A, 21338 D Herrn Jordan Sokolov 21321 A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA . 21336 A, .Glückwünsche zum Geburtstag des Ab- 21339 A geordneten Reinhard Freiherr von Schor- Hans-Eberhard Urbaniak SPD 21339 B lemer 21321 B Peter Keller CDU/CSU 21341 B Dr. CDU/CSU 21342 D Erweiterung und Abwicklung der Tages ordnung 21321 B Tagesordnungspunkt 9: Absetzung von Tagesordnungspunkten 21321 C a) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs Nachträgliche Ausschußüberweisungen 21321 D eines Gesetzes zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit (Drucksachen Tagesordnungspunkt 8: 13/8942, 13/10269) 21344 D a) Zweite und dritte Beratung des von den - Zweite und dritte Beratung des von Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. der Fraktion der SPD eingebrachten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Entwurfs eines Gesetzes zur Be- zur Förderung der Beteiligung der kämpfung der Scheinselbständigkeit Arbeitnehmer am Produktivvermögen (Drucksachen 13/6549, 13/10269) . 21344 D und anderer Formen der Vermögensbil- b) Beschlußempfehlung und Be richt des dung der Arbeitnehmer (Drittes Ver- Ausschusses für Arbeit und Sozialord- mögensbeteiligungsgesetz) (Drucksa- nung zu dem Antrag der Abgeordneten chen 13/10012, 13/10527, 13/10528) . 21322 A Annelie Buntenbach, b) Beschlußempfehlung und Be richt des (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nung zu dem Antrag der Abgeordneten Arbeits- und sozialrechtlicher Schutz , Hans-Eberhard Ur- für abhängige Selbständige (Druck- baniak, weiterer Abgeordneter und der sachen 13/7421, 13/10269) 21344 D Fraktion der SPD c) Zweite und dritte Beratung des von Offensive zur Förderung der Arbeitneh- den Abgeordneten Ottmar Schreiner, merbeteiligung am Produktivvermö- Rudolf Dreßler, weiteren Abgeordneten gen (Drucksachen 13/4373, 13/10527) 21322 B und der Fraktion der SPD eingebrach- Wolfgang Vogt (Düren) CDU/CSU . . 21322 C ten Entwurfs eines Gesetzes zur Be- seitigung des Mißbrauchs der Gering- Ottmar Schreiner SPD 21325 D fügigkeitsgrenze in der Sozialversiche- Margareta Wolf (Frankfu rt) BÜNDNIS 90/ rung (Drucksachen 13/3301, 13/10180, DIE GRÜNEN 21328 D 13/10447) 21345 A II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

d) Beschlußempfehlung und Be richt des b) Erste Beratung des von der Bundesre- Ausschusses für Arbeit und Sozialord- gierung eingebrachten Entwurfs eines nung Gesetzes zu der Änderungsvereinba- - zu dem Antrag der Fraktion BÜND- rung vom 8. Mai 1997 zum Abkommen NIS 90/DIE GRÜNEN vom 5. Mai 1995 zwischen der Regie- rung der Bundesrepublik Deutschland Dauerhafte Beschäftigungen sozial und der Regierung von Hongkong versichern über den Fluglinienverkehr (Druck- - zu dem Antrag der Abgeordneten sache 13/10432) 21375 C Petra Bläss, Dr. Heidi Knake-Werner c) Erste Beratung des von der Bundesre- und der Gruppe der PDS gierung eingebrachten Entwurfs eines Sozialversicherungspflicht für jede Gesetzes zu dem Abkommen vom bezahlte Arbeitsstunde 24. November 1997 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und der Re- (Drucksachen 13/4969, 13/6090, 13/ publik Kroatien über Soziale Sicher- 10180) 21345 A heit (Drucksache 13/10433) 21375 D e) Beschlußempfehlung und Be richt des d) Erste Beratung des von der Bundesre- Ausschusses für Arbeit und Sozialord- gierung eingebrachten Entwurfs eines nung zu dem Antrag der Fraktion der Gesetzes zu dem Abkommen vom SPD 17. Dezember 1997 zwischen der Bun- Illegale Beschäftigung durch konse- desrepublik Deutschland und der Re- quentes gemeinsames Handeln von - publik Bulgarien über Soziale Sicher- Bund und Ländern unterbinden heit (Drucksache 13/10434) 21375 D (Drucksachen 13/7802, 13/9458) . . 21345 B e) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- SPD 21345 C gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Julius Louven CDU/CSU 21349 A Statistik im Produzierenden Gewerbe Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE (Drucksache 13/10342) 21376 A GRÜNEN 21350D, 21359 C f) Erste Beratung des von der Bundes- Dr. F.D.P 21353 B regierung eingebrachten Entwurfs ei- Dr. Heidi Knake-Werner PDS 21355 A nes Gesetzes zur Umwandlung der Deutschen Genossenschaftsbank (DG Horst Günther, Parl. Staatssekretär BMA 21356 C, Bank-Umwandlungsgesetz) (Drucksa- 21360 B che 13/10366) 21376 A Leyla Onur SPD 21360 D g) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU . . 21362 C der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Auf- Paul K. Friedhoff F.D.P 21364 A hebung der Vorschriften über die re- Dr. PDS 21366 A präsentative Wahlstatistik bei der Wahl Peter Dreßen SPD 21366 C zum Deutschen Bundestag und bei der Wahl der Abgeordneten des Europäi- Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . 21368B, 21371 A schen Parlaments aus der Bundesre- Peter Dreßen SPD 21368 D publik Deutschland (Wahlstatistikauf- hebungsgesetz - WStatAufhG) (Druck- SPD 21370 C sache 13/10533) 21376 A Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 21371 B h) Erste Beratung des von den Fraktionen Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . 21372 C der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE ten Entwurfs eines Gesetzes zur Be- GRÜNEN (zur GO) 21374 C seitigung von Erwerbsbeschränkun- gen für ausländische Investoren und Tagesordnungspunkt 14: Staaten (Drucksache 13/10534) . . . 21376 B Überweisungen im vereinfachten Verfah- i) Antrag des Bundesministeriums der ren Finanzen a) Erste Beratung des von der Bundesre- Entlastung der Bundesregierung für gierung eingebrachten Entwurfs eines das Haushaltsjahr 1997 - Vorlage der Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Haushaltsrechnung und Vermögens- November 1997 zwischen der Bundes- rechnung des Bundes (Jahresrechnung republik Deutschland und der Re- 1997) - (Drucksache 13/10378) . . . . 31276 B publik Kasachstan zur Vermeidung der j) Antrag der Abgeordneten Ulrike Mehl, Doppelbesteuerung auf dem Gebiet Michael Müller (Düsseldorf), weiterer der Steuern vom Einkommen und vom Abgeordneter und der Fraktion der Vermögen (Drucksache 13/10401) . . 21375 C SPD Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 III

Langfristige Sicherung des Naturschut- d) Beschlußempfehlung und Bericht des zes bei der Privatisierung von Flächen Ausschusses für Wirtschaft zu der Ver- in Nationalparken und Biosphären ordnung der Bundesregierung reservaten (Drucksache 13/10211) . . 21376 B Aufhebbare Einhundertsechsunddrei- k) Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried ßigste Verordnung zur Änderung der Wolf, Dr. , Dr. Gre- Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirt-

gor Gysi und der Gruppe der PDS schaftsgesetz - (Drucksachen 13/9583, Bau- und Betriebsordnung für Regio- 13/9669 Nr. 2.3, 13/10382) 21377 C nale Eisenbahnstrecken (Drucksache e) Beschlußempfehlung und Be richt des 13/10340) 21376 C Ausschusses für Familie, Senioren, 1) Antrag der Abgeordneten Klaus- Frauen und Jugend zu der Unterrich- Jürgen Warnick, Dr. Uwe-Jens Heuer, tung durch das Europäische Parlament Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der Entschließung des Europäischen Par- PDS laments zum Jahresbericht der Kom- Begrenzung der Erhöhung der Nut- mission über Chancengleichheit für zungsentgelte für Erholungsgrund- Frauen und Männer in der Euro- stücke in Ostdeutschland auf die der- päischen Union 1996 (Drucksachen zeit übliche Bodenrendite (Drucksache 13/9086 Nr. 1.7, 13/10351) 21377 D 13/10466) 21376 C f) Beschlußempfehlung des Rechtsaus- schusses Zusatztagesordnungspunkt 1: - Übersicht 9 über die dem Deutschen Weitere Überweisungen im vereinfachten Bundestag zugeleiteten Streitsachen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht a) Antrag der Abgeordneten Hans- (Drucksache 13/10377) 21378 A Joachim Hacker, , weite- g) Beschlußempfehlung und Be richt des rer Abgeordneter und der Fraktion der Ausschusses für Wirtschaft SPD - zu der Unterrichtung durch die Bun- Hemmnisse und Rechtsunsicherheiten desregierung im Immobilienrecht und beim Nutzer- Vorschlag für eine Verordnung (EG) schutz beseitigen (Drucksache 13/10329) 21376 C des Rates zur Änderung der Verord- b) Antrag der Abgeordneten Dr. Dietmar nung Nr. 3094/95 des Rates und Kansy, Peter Götz, weiterer Abgeord- damit zur weiteren Verlängerung neter und der Fraktion der CDU/CSU der Anwendung von Regelungen sowie der Abgeordneten Hildebrecht der Siebten Richtlinie des Rates über Braun, Dr. Klaus Röhl und der Fraktion Beihilfen für den Schiffbau der F.D.P. Vorschlag für eine Verordnung (EG) Politik zur Erhaltung und Stärkung des Rates über eine Neuregelung der Innenstädte (Drucksache 13/10536) 21376 D der Beihilfen für den Schiffbau

Tagesordnungspunkt 15: - zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den a) Zweite und dritte Beratung des von der Wirtschafts- und Sozialausschuß und Bundesregierung eingebrachten Ent- den Ausschuß der Regionen wurfs eines Elften Gesetzes zur Ände- Für eine neue Schiffbaupolitik rung des Luftverkehrsgesetzes (Druck- sachen 13/9513, 13/10530, 13/10556) . 21377 A (Drucksachen 13/9086 Nr. 2.53 und 2.52, 13/10448) 21378 A b) Beschlußempfehlung und Be richt des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- h) bis k) trag der Fraktion der SPD Beschlußempfehlungen des Petitions- Fortsetzung des Friedensprozesses in ausschusses Sammelübersichten 334 Bosnien-Herzegowina (Drucksachen bis 337 zu Petitionen (Drucksachen 13/

13/6488, 13/10456) 21377 B 10467 bis 13/10470) 21378 B - D c) Beschlußempfehlung und Be richt des Zusatztagesordnungspunkt 2: Ausschusses für Wirtschaft zu der Ver- ordnung der Bundesregierung Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- Aufhebbare Vierzigste Verordnung desregierung zum Treffen des Bundes- zur Änderung der Außenwirtschafts- ratspräsidenten Schröder mit dem weiß- verordnung (Drucksachen 13/9582, russischen Präsidenten Lukaschenko . . 21378 D 13/9669 Nr. 2.2, 13/10380) 21377 C Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . 21378 D IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Günter Verheugen SPD 21380 A Ernst Hinsken, Parl. Staatssekretär BML 21393 C Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21381 C Heidi Wright SPD 21395 C Ulrich Irmer F.D.P 21382 D CDU/CSU 21397 B Steffen Tippach PDS 21383 D BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21398 C Dr. , Staatsminister AA . 21384 C Ulrich Heinrich F D P. 21399 D Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . 21385 C Rolf Köhne PDS 21401 B Karsten D. Voigt (Frankfu rt) SPD . . . 21386 D Reinhard Freiherr von Schorlemer CDU/ () CDU/CSU . 21387 D CSU 21402 B SPD 21388 D Dr. Liesel Hartenstein SPD 21403 B Andreas Krautscheid CDU/CSU . . . 21390 B (Wiesloch) SPD . . 21391 A Tagesordnungspunkt 12: Dr. Wolfgang Bötsch CDU/CSU 21392 A a) Erste Beratung des von den Abgeord- neten (Köln), Cern Özde- Tagesordnungspunkt 10: mir, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN a) Unterrichtung durch die Bundesregie- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes rung - zum Schutz vor Diskriminierung und zur Stärkung von Minderheitenrechten Waldzustandsbericht der Bundesregie- (Antidiskriminierungs- und Minderhei- rung 1997 - Ergebnisse der Waldscha- tenrechtsgesetz) (Drucksache 13/9706) 21406 A denserhebung - (Drucksache 13/9442) 21393 A b) Beschlußempfehlung und Bericht des b), Erste Beratung des von dem Abgeord- Ausschusses für Ernährung, Landwirt- neten Volker Beck (Köln) und der Frak- schaft und Forsten zu der Unterrich- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- tung durch die Bundesregierung gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Eintritt des hinterbliebenen Haus- Waldbericht der Bundesregierung haltsangehörigen in den Mietvertrag (Drucksachen 13/8493, 13/10374) . . 21393 A (Drucksache 13/9961) 21406 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des c) Erste Beratung des von den Abgeord- Ausschusses für Ernährung, Landwirt- neten Margot von Renesse, Dr. Herta schaft und Forsten Däubler-Gmelin, weiteren Abgeordne- - zu der Unterrichtung durch die Bun- ten und der Fraktion der SPD einge- desregierung brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchsetzung des Gleichbehandlungs- - zu dem Entschließungsantrag der gebotes des Artikels 3 Grundgesetz Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. (Gleichbehandlungsgesetz) (Drucksa- zu der Unterrichtung durch die Bun- che 13/10081) 21406 B desregierung Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE - zu dem Entschließungsantrag der GRÜNEN 21406 C Fraktion der SPD zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU 21407 C - zu dem Entschließungsantrag der Margot von Renesse SPD 21408 C Abgeordneten Steffi Lemke, Ul rike Höfken, weiterer Abgeordneter und Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . 21410 A der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN zu der Unterrichtung durch die Christina Schenk PDS 21410 D Bundesregierung Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesmini Waldzustandsbericht der Bundesregie- ster BMJ 21411 C rung 1996 - Ergebnisse der Waldscha- Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE denserhebung - (Drucksachen 13/6300, 21412 C 13/6961, 13/6974, 13/6975, 13/9925) . 21393 A GRÜNEN d) Zweite und dritte Beratung des von den Nächste Sitzung 21413 C Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Forstabsatz- Anlage fondsgesetzes (Drucksachen 13/10285, 13/10542) 21393 B Liste der entschuldigten Abgeordneten . 21415 * A Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21321

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Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und 2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit- Haltung der Bundesregierung zum Treffen des Bundesrats- präsidenten Schröder mit dem weißrussischen Präsidenten zung ist eröffnet. Lukaschenko Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte- Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, so- ich zunächst auf der Ehrentribüne den Vorsitzenden weit erforderlich, abgewichen werden. der Volksversammlung der Republik Bulgarien, Herrn Jordan Sokolov, ganz herzlich begrüßen, Weiterhin ist vereinbart worden, die Beratung des der zu einem Arbeitsbesuch nach Bonn gekommen Waldzustandsberichts erst nach der Aktuellen ist. Stunde aufzurufen. Darüber hinaus soll der Tages- -ordnungspunkt 11 - Kraftfahrzeugsteueränderungs (Beifall) und -ergänzungsgesetz - sowie der Tagesordnungs- Ich freue mich, daß Sie in so kurzen Abständen punkt 12d - Anerkennung für alle Lebensformen - hier sind. Sie können davon ausgehen, daß wir ange- und der Tagesordnungspunkt 13 - Altenpflegegesetz sichts des Engagements der Parlamentarier in den - abgesetzt werden. letzten Jahren auch in Zukunft die großen Anstren- Außerdem mache ich auf nachträgliche Aus- gungen, die insbesondere im Jahre 1997 nach den schußüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkt Wahlen unternommen worden sind, um das Land aus liste aufmerksam: der Krise zu führen, nicht nur begleiten, sondern auch tatkräftig unterstützen werden. Alles Gute für Der in der 219. Sitzung des Deutschen Bundestages über- wiesene nachfolgende Antrag soll dem Ausschuß für die Ihr Land und Ihr Engagement! Angelegenheiten der Europäischen Union zur Mitberatung überwiesen werden. (Beifall) Antrag der Abgeordneten Thomas Krüger, , Ich möchte dann dem Kollegen Reinhard Freiherr , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Kulturförderung des Bundes von Schorlemer ganz herzlich gratulieren, der am 27. April seinen 60. Geburtstag gefeiert hat. Ganz - Drucksache 13/9806- herzlichen Glückwunsch von dieser Stelle aus und überwiesen: alles Gute! Innenausschuß (federführend) Rechtsausschuß (Beifall) Finanzausschuß Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo- Ferner teile ich mit: Interfraktionell ist vereinbart gie und Technikfolgenabschätzung worden, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß mit einer Zusatzpunktliste vorgelegten Punkte zu er- weitern: Die in der 230. Sitzung des Deutschen Bundestages über- 1. Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren wiesenen nachfolgenden Gesetzentwürfe sollen zusätzlich dem Finanzausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. (Ergänzung zu TOP 14) Gesetzentwurf von der Bundesregierung zu dem Protokoll a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Hacker, Rolf Schwanitz, Siegf ried Scheffler, weiterer Ab- Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Ge- geordneter und der Fraktion der SPD: Hemmnisse und meinschaften (EU-Bestechungsgesetz - EUBestG) Rechtsunsicherheiten im Immobilienrecht und beim - Drucksache 13/10424- Nutzerschutz beseitigen - Drucksache 13/10329 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dietmar überwiesen: Kansy, Peter Götz, We rner Dörflinger, weiterer Abgeord- Rechtsausschuß (federführend) neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- Innenausschuß ordneten Hildebrecht Braun, Dr. Klaus Röhl und der Finanzausschuß Fraktion der F.D.P.: Politik zur Erhaltung und Stärkung Ausschuß für Wirtschaft der Innenstädte - Drucksache 13/10536- Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union 21322 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Gesetzentwurf von der Bundesregierung zu dem Überein- Zum Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag kommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union - Drucksache 13/10427- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind überwiesen: für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu Rechtsausschuß (federführend) höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be- Innenausschuß schlossen. Finanzausschuß Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Wolfgang Vogt. Gesetzentwurf von der Bundesregierung zu dem Überein- kommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Wolfgang Vogt (Dürer) (CDU/CSU): Frau Präsi- Geschäftsverkehr (Gesetz zur Bekämpfung internationaler dentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute Bestechung - IntBestG) abschließend über das Dritte Vermögensbeteili- - Drucksache 13/10428- gungsgesetz. Es kann, sofern der Bundesrat es nicht überwiesen: blockiert, wozu es, bei Licht besehen, auch keinen Rechtsausschuß (federführend) triftigen Grund gibt, termingerecht am 1. Januar Innenausschuß Finanzausschuß 1999 in Kraft treten. Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Dieses Gesetz eröffnet die Chance, daß sich eine Vision erfüllt, nämlich die Vision von einer Gesell- Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - schaft von Teilhabern. Ich sage bewußt: „Chance". Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Es liegt nämlich künftig noch mehr als bisher in der Hand der Betriebs- wie der Tarifpartner, ob diese Vi- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf: sion Wirklichkeit wird; denn nur die Betriebspartner haben das Recht, Mitarbeiterbeteiligungen zu ver- a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- einbaren. Niemand kann sie zwingen. Nur den Tarif- tionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- partnern steht es zu, über vermögenswirksame Lei- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung stungen zum Erwerb von Wohneigentum und über der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produk- Investivlöhne zur Beteiligung der Arbeitnehmer am tivvermögen und andere Formen der Vermö- Produktivkapital zu verhandeln - niemandem sonst. gensbildung der Arbeitnehmer (Drittes Ver- Der Staat kann zwar Kindergeld gewähren, nicht je- mögensbeteiligungsgesetz) doch Kapitalbeteiligung. Der Staat kann den Tarif- -Drucksache 13/10012- partnern den Weg ebnen; den Weg gehen müssen sie selbst. (Erste Beratung 221. Sitzung) - Was bringt dieses Gesetz? aa) Beschlußempfehlung und Be richt des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung Erstens. Wir heben die für die Sparzulage maßgeb- (11. Ausschuß) lichen Einkommensgrenzen deutlich an. Mehr als - Drucksache 13/10527 - zwei Drittel der Arbeitnehmer werden künftig von der Förderung erfaßt. Wir konzentrieren die Förde- Berichterstattung: rung auf die schwächeren und mittleren Einkommen. Abgeordneter Hans-Eberhard Urbaniak Das ist fiskalisch vernünftig, und das ist sozial. bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Zweitens. Zusätzlich zum Förderbetrag in Höhe schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung von 936 DM, der künftig für das Bausparen reserviert wird, wird ein zweiter Förderkorb in Höhe von - Drucksache- 13/10528 800 DM - bzw. für die Bürgerinnen und Bürger in Berichterstattung: den neuen Bundesländern in Höhe von 1 000 DM - Abgeordnete ausschließlich für die Beteiligung am Produktivver- Oswald Metzger mögen eingerichtet. Peter Jacoby (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ein hervor Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) ragender Einstieg!) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Das heißt, der Förderbetrag steigt von 936 DM auf Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- 1 736 DM bzw. auf 1936 DM. Das ist ein ausgreifen- zialordnung (11. Ausschuß) zu dem Antrag der der Schritt nach vorn. Abgeordneten Ottmar Schreiner, Hans-Eber- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hard Urbaniak, Gerd Andres, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD Das Konzept der zwei Förderkörbe macht deutlich: Wir wollen beides, nämlich Wohneigentum über Offensive zur Förderung der Arbeitnehmer- Bausparen und Kapitalbeteiligung für alle. beteiligung am Produktivvermögen - Drucksachen 13/4373, 13/10527 - Drittens. Wir erhöhen für innerbetriebliche wie außerbetriebliche Beteiligungen die Sparzulage auf Berichterstattung: 20 Prozent. Die Sparzulage wächst also, wenn der Abgeordneter Hans-Eberhard Urbaniak Förderhöchstbetrag ausgeschöpft wird, von derzeit Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21323

Wolfgang Vogt (Düren) 94 DM um 160 DM auf 254 DM bzw. von 94 DM um Die SPD hat in ihrer Regierungszeit hinsichtlich 200 DM auf 294 DM. Mit diesem Gesetz stellen wir der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapi- 1,1 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung - zusätz- tal nichts zustande gebracht. Philipp Rosenthal per- lich zu den 700 Millionen DM, mit denen nach gel- sonifiziert das Scheitern ihrer Politik. tendem Recht vermögenswirksame Leistungen geför- dert werden. Wer dies, wie Bündnis 90/Die Grünen, Wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel als Placebo diffamiert - ich habe als simpler Sozial- zu stellen. Aber das Erreichte genügt uns nicht. politiker erst einmal nachgucken müssen, was das Darum wollen wir neben dem Bausparen der Kapital- heißt, und übersetze es einmal frei mit beteiligung der Arbeitnehmer über Investivlöhne neue Dynamik verleihen, eine Dynamik, die von den (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Peinlich!) Tarifparteien aufgegriffen und mitgetragen werden „Das sei nichts" -, der lebt im Wolkenkuckucksheim, muß, soll sie nicht verpuffen. Weil dem so ist, plädiere der hat abgehoben von der Wirklichkeit. Das ist ich heute auch für eine Renaissance der Idee der Pa wirklich eine abwegige Behauptung. rtnerschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben unterschied- ordneten der F.D.P.) liche Interessen; das ist wahr. Zugleich besteht zwi- schen ihnen aber ein zwingender Interessenverbund. Viertens. Vermögenswirksame Leistungen werden Keiner kann sich nämlich voll durchsetzen, ohne künftig auch dann staatlich gefördert, wenn die Tarif- selbst Schaden zu nehmen. Auf dieses Beziehungs- partner die Wahlfreiheit auf das Bausparen und alle geflecht antwortet soziale Marktwirtschaft mit Pa rt Beteiligungsformen beschränken. Wir stärken damit -nerschaft. Diese beruht auf Gleichberechtigung und die Kompetenz der Tarifpartner im Bereich des Bau- auf wohlverstandenem Eigeninteresse. Ihr Ethos ist sparens und des Investivlohns. Mehr Kompetenz nicht das selbstloser Uneigennützigkeit, sondern heißt jedoch auch stets: mehr Verantwortung. vielmehr das der Fairneß und des gegenseitigen Re- spekts. Wer Pa rtnerschaft als „Konsenssauce" ab- Fazit: Das Gesetz ist ein entscheidender Schritt in qualifiziert, hat noch nicht einmal das kleine Einmal- die richtige Richtung. Die öffentliche Anhörung am eins der sozialen Marktwirtschaft verstanden. 1. April diesen Jahres hat uns darin bestätigt. Das Gesetz ist ein Erfolg für die christlichen Sozialver- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bände, also für die KAB und die Kolpingfamilie. Sie hatten Hand in Hand mit der CDA und christlichen Weil es ohne die Tarifpartner nicht geht, haben wir Gewerkschaftern das Jahr 1997 unter das Leitwort offen und ohne Vorbehalte - ich persönlich höchst „Investivlohn - jetzt" gestellt. Im Namen der CDU/ skeptisch - die Frage geprüft, ob die Regelungsbe- CSU-Bundestagsfraktion danke ich diesen Verbän- fugnis der Tarifvertragsparteien rechtlich ausrei- den für ihr tatkräftiges Engagement für eine gemein- chend geklärt ist. Das ist der Fall. same Sache. - Tariflich vereinbarten Investivlöhnen steht nichts (Beifall bei der CDU/CSU) im Wege. Die Bundesregierung hat dies im übrigen Mit dem Dritten Vermögensbeteiligungsgesetz mehrfach klargestellt. knüpfen wir konsequent an unsere Politik, die wir Die Tarifpartner können außerbetriebliche Kapital- seit 1982 betrieben haben, an. Denn sofort nach beteiligungen der Arbeitnehmer vereinbaren oder - Übernahme der Regierungsverantwortung hat die das hebe ich ausdrücklich hervor - durch tarifver- Regierung von an die große vermögens- tragliche Öffnungsklauseln für Betriebsvereinbarun- politische Tradition der Union angeknüpft, die mit gen der Mitarbeiterbeteiligung den Weg ebnen. Das den Namen bedeutender Christdemokraten wie Karl erlaubt es, Rahmenvereinbarungen maßgeschneidert Arnold, Paul Lücke, Theodor Blank, Hans Katzer, und betriebsspezifisch umzusetzen. Fritz Burgbacher und Erwin Häussler verbunden ist. Sie hat 1983 ihre vermögenspolitische Visitenkarte Im übrigen ergibt sich aus dem Tarifvertragsrecht abgegeben. In der Vermögensbildungspolitik wur- die Möglichkeit, daß die Partner gemeinsame Ein- den die Weichen neu gestellt, um die Kapitalbeteili- richtungen gründen. Solche gemeinsamen Einrich- gung der Arbeitnehmer voranzubringen. tungen gibt es in der Bauwirtschaft. Sie sind nie be- anstandet worden. Die juristischen Sachverständigen 1982, also am Ende der Regierungszeit der SPD, haben dies in der Anhörung bestätigt. wurden 2 Prozent der vermögenswirksamen Leistun- gen in Kapitalbeteiligungen angelegt. 1993 waren es Bemerkenswert aber war, daß der Vertreter des 10 Prozent. Zehn sind mehr als zwei. DGB in der öffentlichen Anhörung zu Protokoll gege- (Beifall bei der CDU/CSU) ben hat, daß in seiner Organisation der Meinungsbil- dungsprozeß über - wie es heißt - Tariffonds noch 1983 gab es 8 600 Verträge über die Anlage vermö- nicht abgeschlossen sei. Diese Fonds sind deshalb genswirksamer Leistungen in Aktienfondsanteilen. nur ein Etikett. Die Flasche, der Ka rton oder die Kiste 1992 waren es schon 1,8 Millionen Verträge. zu diesem Etikett fehlen noch. Das hindert die SPD aber nicht daran, dieses virtuelle Gebilde mit einem (Siegfried Honing [CDU/CSU]: Hört, hört!) Privileg auszustatten. Das ist ziemlich abwegig, 1,8 Millionen sind mehr als 8 600. meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU) 21324 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Wolfgang Vogt (Düren) Deutlich sagen wir aber, was wir nicht wollen und heit", wie das IG-Metall-Chef Klaus Zwickel noch was mit uns nicht geht: Rechtlich unzulässig ist die vorgestern versprochen hat, den Anteil der Einkom- Forderung der SPD, daß Tariffonds, was immer das men aus unselbständiger Tätigkeit am Volkseinkom- heißen mag, auch dann uneingeschränkt gefördert men auf Teufel komm raus zu steigern. Es geht viel- werden sollen, wenn die Tarifvertragsparteien die mehr darum, die Arbeitnehmer - weit mehr als bisher obligatorische Anlage der vermögenswirksamen Lei- - am Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Ver- stungen in solchen Fonds verbindlich festlegen. Dies mögen zu beteiligen. Deshalb wollen wir Vermögen ist rechtlich unzulässig. Aber selbst wenn es rechtlich für alle, nicht zuletzt Kapitalbeteiligung für a lle. zulässig wäre: Wir wollen eine derartige Einschrän- kung der Wahlfreiheit der Arbeitnehmer nicht. Sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge stünde im Widerspruch zu unserem Verständnis von ordneten der F.D.P.) privatem Eigentum. Deshalb kommt das für uns nicht in Frage. Im übrigen - das sage ich auch an die Adresse der Arbeitgeber -: Wer forde rt und erwartet, daß die Ta- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rifabschlüsse auch längerfristig den Produktivitäts- zuwachs - im Interesse von Wachstum und Beschäfti- Die Verteilung der Vermögen, nicht zuletzt des gung - nicht übersteigen, der muß mit von der Partie Produktivkapitals, ist unbef riedigend; das ist wahr. sein, wenn es gilt, daß die Arbeitnehmer Vermögen Es ist jedoch höchst ärgerlich, daß vor allem diejeni- gen lauthals anklagen und klagen, die bisher am we- bilden und daraus zusätzliches Einkommen beziehen nigsten für eine gerechte Verteilung getan haben. können. Diese Klagen sind, mit Verlaub, scheinheilig. Seit der Ermordung des BDA-Präsidenten Hanns Ich will nicht alte Wunden aufreißen. Aber was Martin Schleyer ist von den Verbänden der Wi rt wahr ist, bleibt halt wahr. Wahr ist, daß in den 50er -schaft - ich bedauere das - nichts Konstruktives Jahren die Investivlohnidee, so wie sie Karl A rnold mehr zu diesem Thema vermeldet worden. vertreten hat, durch den damaligen Chefideologen des DGB, Viktor Agartz, mit seiner These von der ex- Demgegenüber erkenne ich ganz ausdrücklich das pansiven Lohnpolitik konterkariert wurde. sozial verantwortliche Verhalten der Arbeitgeber an, die vor allem unter Nutzung des § 19a des Einkom- Wahr ist, daß die IG Metall in den 60er Jahren ihre mensteuergesetzes, den wir, CDU/CSU und F.D.P., Parole „Barlohn statt Sparlohn" gegen den damali- 1983 ausgestaltet haben, ihren Mitarbeitern Beteili- gen Chef der IG Bau, , gesetzt hat. gungen angeboten und mit dem Betriebsrat darüber Betriebsvereinbarungen abgeschlossen haben. Wahr ist, daß die IG Metall in den 70er und 80er Jahren „Mitbestimmung statt Umverteilung" pre- Dieser Paragraph wird jetzt nicht geändert. Ich be- digte und danach „Reformen statt Vermögensumver- - fürchte jedoch, daß er aus einer Reihe von Gründen teilung" forderte. die Reform des Einkommensteuerrechts nicht überle- Wer so ständig gemauert hat und sich dessen noch ben wird. Die Reform des Einkommensteuerrechts rühmt, wer auf den DGB und auf die SPD einen so steht in der nächsten Wahlperiode ja ganz dringlich miserablen Einfluß ausgeübt hat, wer verhindert hat, an. § 19 a darf nicht ersatzlos wegfallen; er muß durch daß die Arbeitnehmer verstärkt am Vermögen teilha- ein Zulagensystem ersetzt werden, wie wir das im ben oder daraus Einkommen beziehen, dem fehlt Rahmen unserer steuerpolitischen Beschlüsse verein- jede moralische Berechtigung, die unbef riedigende bart haben. Vermögensverteilung anzuklagen. Nun hat die SPD gefordert, den begünstigten Be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge trag nach dieser Regelung des Einkommensteuer- ordneten der F.D.P.) rechts von 300 DM auf 1000 DM zu erhöhen. Ich traute wirklich meinen Augen nicht, als ich sah, daß Schließlich ist wahr, daß es noch immer Zeitgenos- sich die SPD bei dieser Forderung sogar selbst aner- sen gibt, die glauben und behaupten, an der Größe kennend auf die Schulter geschlagen hat. Denn diese „Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit" könne Forderung ist ein Schlag ins eigene Kontor. abgelesen werden, ob es in dieser Gesellschaft ge- recht zugeht oder nicht - was ja, konsequent zu Ende Erstens gibt es gute Gründe, steuerliche Vergünsti- gedacht, hieße, eine Gesellschaft wäre um so gerech- gungen künftig durch Zulagen zu ersetzen. Das ist ter, je höher der Anteil von Einkommen aus unselb- einsichtiger, das ist durchsichtiger, das ist fiskalisch ständiger Tätigkeit am Volkseinkommen ist. Das vernünftiger, und es ist gerechter. Die Eigenheimzu- aber ist schlicht falsch. Je mehr nämlich die Einkom- lage, die an die Stelle steuerlicher Vergünstigungen men aus Unternehmertätigkeit und Vermögen zu ei- getreten ist, ist der schlagende Beweis für die Rich- ner Restgröße zusammengepreßt werden, um so we- tigkeit dieses Konzepts. niger wird in den Erhalt und in die Schaffung neuer Arbeitsplätze investiert. Das geht zu Lasten der Ar- Zweitens: Von diesem Pult aus hat die SPD ver- beitnehmer und zu Lasten dieses Landes. schiedentlich lautstark und - verzeihen Sie - manch- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge mal auch mit etwas Schaum vor dem Mund die an- ordneten der F.D.P.) geblich ungerechte und unsoziale Wirkung der steu- erlichen Kinderfreibeträge gegeißelt. Jetzt fordern Es kann nicht darum gehen, durch expansive Sie den Ausbau eines steuerlichen Privilegs mit der Lohnpolitik oder durch das „Ende der Bescheiden- gleichen Wirkung. Das ist schon abenteuerlich. Zu Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21325 Wolfgang Vogt (Düren) Recht haben die Sachverständigen diese Idee gna- Dieser Antrag, Frau Kollegin, besteht aus Versatz- denlos durchfallen lassen. stücken. Er hat die gleiche Qualität wie Ihr Beschluß, den Benzinpreis auf 5 DM zu erhöhen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Damen und Herren, von Max Weber stammt Dabei verkennen Sie, liebe Kolleginnen und Kolle- die Sentenz, Politik habe etwas mit dem Bohren von gen von der SPD, zusätzlich den feinen, aber doch dicken Brettern zu tun. Ich habe meine erste Rede in schwerwiegenden Unterschied zwischen § 19 a des diesem Haus am 15. April 1970 gehalten. Thema war Einkommensteuergesetzes und den Kinderfreibeträ- die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktiv- gen. Das Existenzminimum für Kinder steuerlich frei- kapital. zustellen ist Verfassungsgebot. Die Verfassung ge- bietet aber nicht, bei der Förderung der Vermögens- (Manfred Müller [Berlin] [PDS]: Was ist dar bildung die hohen und höheren Arbeitnehmerein- aus geworden? - Zurufe von der SPD) kommen zu begünstigen. - In der Zwischenzeit war Ihre Regierungszeit, in der Diese Politik der neuen Mitte der SPD ist eine Ab- Sie nichts getan haben. Sie haben vorhin gehört: Wir sage an den kleinen Mann. Wir fördern die Bezieher haben in den 16 Jahren die Weichen neu gestellt. Wir niedriger und mittlerer Arbeitnehmereinkommen. haben heute hier ein Drittes Vermögensbeteiligungs- Die SPD will die Bezieher höherer und höchster Ar- gesetz vorliegen. Es ist in der Zukunft ausbaufähig. beitnehmereinkommen begünstigen. Das unterschei- (Manfred Müller [Berlin] [PDS]: Etiketten det uns. schwindel!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Ich werde zu diesem Thema nicht mehr reden, zu- ordneten der F.D.P.) mindest nicht mehr in diesem Hause. Deshalb gebe ich meiner Hoffnung Ausdruck, die Bretter mögen Es gibt also keine Alte rnative und keinen Grund, dünner, die Bohrer stärker und die Bohrenden kräfti- unserem Dritten Vermögensbeteiligungsgesetz nicht ger werden. zuzustimmen. Ich bitte das Haus um Zustimmung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und Nun haben die Grünen zu diesem Gesetzentwurf der F.D.P.) einen Entschließungsantrag vorgelegt, den ich ge- stern mit Interesse zur Kenntnis genommen habe. Ich Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich denke, das war war auf diesen Entschließungsantrag sehr gespannt, noch nicht seine letzte Rede hier. nachdem die Kollegin Margareta Wolf am 4. März dieses Jahres in der Debatte erklärt hatte, sie sei mit - (Wolfgang Vogt [Düren] [CDU/CSU]: Zu Oswald von Nell - Breuning aufgewachsen. diesem Thema ja!) Ich habe schnell im „Kürschner" nachgeschlagen - Als nächster Redner jetzt der Kollege Ottmar und gesehen: Geboren 1957. Richtig? - Da hatte ich Schreiner. das Bild vor mir: Die zehnjährige Margareta Wolf, sit- zend vor den Füßen von Nell-Breuning, des Nestors Ottmar Schreiner (SPD): Frau Präsidentin, ich der katholischen Soziallehre, der damals 77 Jahre alt nehme an, daß dies die letzte Rede des Kollegen war, Vogt hier im Deutschen Bundestag war, und will die Gelegenheit nutzen, um zunächst einmal, lieber Kol- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ lege Vogt, meinen Respekt auszudrücken vor Ihren DIE GRÜNEN]: Sitzend zur Rechten! - Hei langjährigen Bemühungen, in Sachen Beteiligung terkeit bei der CDU/CSU) der Arbeitnehmer am Produktivkapital ein Stück weit voranzukommen. Da haben Sie sich ohne jeden lauschend den Worten. Von diesem Lauschen bei Os- Zweifel persönliche Verdienste erworben, und das wald von Nell-Breuning ist in dem Antrag nichts zu sollte auch vom politischen Gegner respektiert und spüren. Wenn Sie • sagen, daß die Einrichtung von akzeptiert werden. zwei Förderkörben die Rahmenbedingungen für Ver- mögensbildung verschlechtern würde, ist das ein (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem Witz, und nicht ein kleiner Witz. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS) (Margareta Wolf [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was sagen denn die BDA Jeder hat seine Lebensleistung, und Sie haben Ihre. und der DIHT dazu?) Was Ihre Polemiken gegen die SPD anbelangt, Wenn Sie in dem Antrag sagen, daß die Rahmen- sind diese mißraten wie immer. bedingungen für Vermögensbildung durch steuerli- (Heiterkeit bei der SPD - Lachen bei der che Erleichterungen verbessert werden sollten, kann CDU/CSU und der F.D.P. - Wolfgang Vogt ich nur zustimmen. Nur, wieso haben Sie dann un- [Düren] [CDU/CSU]: Das waren doch nur sere Vorschläge zur Reform des Einkommensteuer- Anregungen!) rechts Hand in Hand mit der SPD abgelehnt? Sie sind einfach kein geeigneter Polemiker. Sie sind (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eher ein geborener Staatsmann. Polemik formulieren, 21326 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Ottmar Schreiner das kann der Abgeordnete Blüm ein Stück weit ter als nach 16 Jahren konservativ-reaktionärer Re- besser. gierung in Deutschland. Deshalb ist es allerhöchste Eisenbahn, daß diese Regierung abgelöst wird. (Dr. Peter Struck [SPD]: Sie aber nicht, Herr Kollege Schreiner!) (Beifall bei der SPD und der PDS) - Ja, mir geht das völlig ab. Das ist leider wahr. Im übrigen habe ich den Eindruck, Herr Kollege Vogt, daß mit dem Projekt „Beteiligung der Arbeit- (Heiterkeit im ganzen Hause) nehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapi- Sie haben hier die Stunde der Wahrheit beschwo- tal" von seiten dieser Koalition ein übles Doppelspiel ren und haben immer wieder gesagt, was alles wahr geboten wird sei. Herr Kollege Vogt, wahr ist auch, daß die Vermö- (Gerd Andres [SPD]: Richtig!) gens-, die Eigentums- und die Einkommensverhält- nisse in Deutschland nie so ungerecht waren, wie sie und daß es Ihnen nicht um die Sache geht. Hier wird es gegenwärtig - nach 16jähriger konservativer Re- ein übles Doppelspiel auch zu Ihren Lasten veran- gierung sind. staltet. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf von der CDU/CSU - Gegenruf des GRÜNEN und der PDS) Abg. Gerd Andres [SPD]: Natürlich! Er ist das Feigenblatt, wie so oft!) Wahr ist, daß die Reallöhne der deutschen Arbeit- nehmerschaft 1997 niedriger waren als 1990 und daß Ich respektiere, daß die Sozialverbände der CDU/ dies zu einem guten Stück ein Ergebnis konservati- CSU, im übrigen auch die sozial orientierten Ver- ver Regierungspolitik gewesen ist, weil Sie in den bände der Kirchen sehr an diesem Projekt interessiert letzten Jahren über steigende Lohnnebenkosten waren und sind. Aber ich habe den festen Eindruck, Dinge finanziert haben, die mit dem Faktor Arbeit daß sie das Opfer von Machenschaften dieser Regie- überhaupt nichts zu tun haben. Sie haben als Mehr- rung werden, und das werde ich Ihnen jetzt belegen. heitsgesetzgeber hier die Bedingungen dafür ge- schaffen, daß die arbeitenden Menschen in Deutsch- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist land in den letzten Jahren von Jahr zu Jahr eher we- doch barer Unsinn!) niger verdient haben als mehr. Von einer Anpassung der Löhne an die Arbeitsproduktivität kann keine - Bevor Sie etwas lauter werden, lieber Kollege, be- Rede sein. Das aber war die Kernthese von Nell- lege ich es Ihnen. Breuning: Die Reallöhne sollen der Arbeitsprodukti- (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) vität folgen. Würden die Reallöhne der Arbeitspro- duktivität folgen, dann hätten wir im Schnitt einen - Maßhalten, maßhalten! Reallohnzuwachs von etwa 3 Prozent. - Sie wissen, daß Ihr Gesetzentwurf zustimmungs- (Beifall bei der SPD) pflichtig ist. Das bedeutet, daß Ihr Gesetzentwurf nur in das Bundesgesetzblatt kommt, wenn die Sozialde- Davon kann aber überhaupt keine Rede sein, weil mokraten zustimmen, da Sie die Mehrheit des Bun- Sie mit Ihrer Umverteilungspolitik in den letzten Jah- desrates brauchen. Das wußten Sie von Anfang an. ren und Jahrzehnten dafür gesorgt haben, daß die Sie wußten auch, daß dem Deutschen Bundestag seit Reallöhne stagniert haben, daß die Lohnnebenkosten 1996 ein umfänglicher Antrag der sozialdemokrati- immer höher wurden, daß der Abstand zwischen schen Fraktion, der mit unseren Ländern abgestimmt Brutto- und Nettoeinkommen von Jahr zu Jahr ge- war, vorliegt, in dem wir versucht haben, die Eckpo- wachsen ist. sitionen der sozialdemokratischen Fraktion in Sachen Ich will Sie daran erinnern: Viele deutsche Arbeit- Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- nehmerinnen und Arbeitnehmer sind inzwischen im mer am Produktivkapital zu formulieren. Insoweit Sozialismus gelandet; sie wissen es nur nicht. Der war völlig klar, daß Sie nicht davon ausgehen konn- Bundeskanzler hat 1981- damals als Oppositionsfüh- ten, daß Ihr Gesetzentwurf in der Form, in der Sie ihn rer - von diesem Podium aus formuliert: Wenn der hier eingebracht haben, das Parlament auch wieder Staat den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verlassen würde. mehr als die Hälfte ihres Bruttoeinkommens über (Gisela Frick [F.D.P.]: Das Parlament schon!) Steuern und Sozialabgaben abnimmt, dann sind die Leute im Sozialismus. Das war das Sozialismusver- Es ging also darum, einen Kompromiß zu finden. Die ständnis des Bundeskanzlers. Methode „Vogel, friß oder stirb " funktioniert ja nicht; das haben Sie schon an anderen Beispielen gesehen. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genosse Kohl!) Jetzt komme ich zum entscheidenden Punkt: Bei der ersten Lesung Ihres Gesetzentwurfes am 4. März Da sind inzwischen in wachsendem Maße Arbeitneh- dieses Jahres - das ist gerade einmal knappe zwei merinnen und Arbeitnehmer gelandet, ohne es über- Monate her - habe ich Ihnen angeboten, unverzüg- haupt wahrgenommen zu haben. Das ist die Lage. lich in Verhandlungen einzutreten, um der Sache we- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen einen gemeinsamen Kompromiß zu finden. Niemals war die Vermögens-, die Einkommens- und (Gerd Andres [SPD]: Das ist im Protokoll die Eigentumsverteilung in Deutschland ungerech nachlesbar!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998 21327

Ottmar Schreiner - Ja, das können Sie alles nachlesen. platz zu verlieren, und andererseits das Risiko, zu- sätzlich das eingeschossene Sparkapital zu verlieren. (Wolfgang Vogt [Düren] [CDU/CSU]: Sie haben keine Anträge gestellt!) (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Auf dieses Angebot hin, das mit dem Vorsitzenden Wir fordern also eine Insolvenzsicherung, um die der Bundestagsfraktion abgestimmt war, ist von sei- Verdoppelung des Arbeitnehmerrisikos zu vermei- ten der Koalition auch nicht die leiseste Reaktion ge- den. Davon ist in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt kommen. Sie haben dieses Angebot völlig ignoriert. keine Rede. Dieses Problem blenden Sie völlig aus. Meine Schlußfolgerung daraus ist, daß Sie von An- fang an Ihren eigenen Gesetzentwurf als wahltakti- Wenn ich gleichwohl der Meinung bin, daß man sches Manöver mißbraucht haben, und zwar zu La- hier hätte zusammenkommen können, dann beruht sten Ihrer eigenen Leute, die an der Sache interes- das auf einer schriftlichen Stellungnahme des Bun- siert sind. Das ist die Wahrheit, so ist es hier abgelau- des Katholischer Unternehmer. Der Bund Katholi- fen. scher Unternehmer steht vermutlich Ihrer Fraktion oder Ihrer Partei etwas - ich sage: in Nuancen - nä- (Beifall bei der SPD) her als uns - noch. Das kann sich schnell ändern. In der Stellungnahme des Bundes Katholischer Unter- Meine Damen und Herren, das ist wirklich ein jäm- nehmer vom 31. März dieses Jahres, die dem Fach- merlicher Vorgang. ausschuß für Arbeit und Soziales im Vorfeld der An- (Wolfgang Vogt [Düren] [CDU/CSU]: Sie hörung vorgelegt worden ist, heißt es: Falls im Laufe haben im Ausschuß nicht abgelehnt!) des Gesetzgebungsverfahrens eine Absicherung im Insolvenzfall als unumgänglich erachtet wird, so - Herr Kollege Vogt, das geht ja gar nicht gegen Sie. schlagen wir vor, diese durch Einrichtungen analog Ich versuche doch ständig, Sie in dieser Frage noch des Pensions-Sicherungs-Vereins zu gewährleisten. als einen ordentlichen Menschen herauszuheben. Das wäre ein denkbarer Vorschlag, in diesem Fall Das ist übrigens ein Projekt, das nicht nur in den vom Bund Katholischer Unternehmer. Ich will damit 50er und 60er Jahren zirkulierte. Das Thema „Beteili- nur andeuten, daß in diesem ersten großen Dissens gung der Arbeitnehmer am Produktivkapital" ist fall Brücken nicht unmöglich gewesen wären, wenn nach meiner Kenntnis inzwischen über 80 Jahre alt man sich zusammengesetzt und herauszufinden ver- und wurde ebensolange diskutiert. sucht hätte, wie man hier gemeinsam eine Lösung Wir hätten die geradezu einmalige Chance gehabt, finden kann. nach der ersten Lesung am 4. März in raschen Ver- handlungen herauszufinden, ob wir einen tragfähi- Der zweite große Dissens in den vorliegenden Vor- gen Kompromiß in diesem Hause finden könnten. - schlägen bezieht sich auf die von uns und dem DGB Die Unterschiede zwischen Ihren Vorstellungen und ebenfalls geforderte rechtliche Klarstellung, daß Ihrem Gesetzentwurf und dem, was wir 1996 in dem auch tariflich vereinbarte überbetriebliche Vermö- sozialdemokratischen Antrag formuliert hatten, sind gensbildungseinrichtungen, sogenannte Tariffonds, ja nicht so gravierend. Wenn Sie einmal in die Reso- ermöglicht und gefördert werden sollen. Dazu haben lution der Grünen schauen, stellen Sie fest, daß auch Sie eben einiges - bezogen auf die mündlichen Äu- sie nicht sehr weit davon entfernt sind. - Die Unter- ßerungen des Kollegen vom DGB, der jeweils vorge- schiede sind nicht so gravierend, als daß man einen tragen hat - gesagt. Kompromiß von vornherein hätte ausschließen kön- Ich möchte einmal aus der schriftlichen Stellung- nen; davon kann keine Rede sein. Sie können sich nahme des DGB zitieren, um deutlich zu machen, auch nicht herausreden, indem Sie sagen: Die Posi- worum es eigentlich geht, und um deutlich zu ma- tion der Sozialdemokraten ist von unserer Position so chen, daß auch hier eine Lösung nicht unmöglich ge- weit weg, daß sich Verhandlungen nicht gelohnt hät- wesen wäre. Do rt heißt es: Wie die Erfahrungen mit ten, das wären Scheinverhandlungen geworden. dem Vermögensbildungsgesetz belegen, wird es Dies will ich Ihnen kurz an Hand der entscheiden- ohne tarifvertragliche Regelungen zwischen Ge- den Dissense zwischen Ihren und unseren Vorstel- werkschaften und Arbeitgebern keinen Durchbruch lungen, die dem Haus vorgelegt worden sind, bele- für eine breite Produktivkapitalbeteiligung geben. gen. Es gibt im wesentlichen zwei große Unter- Auch die Bundesregierung hatte in der Koalitionsver- schiede. Es gibt eine Reihe von Unterschieden in De- einbarung von 1994 zum Ausdruck gebracht, daß tailfragen, etwa über die Ausgestaltung der Prämien Vermögenspolitik nicht ohne Tarifverträge aus- und die Definition der Einkommensgrenzen. Dies komme. Eine solche Einbeziehung der Tarifparteien sind eher nebensächliche Differenzen. Die entschei- kann aber nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn denden Differenzen bewegen sich um zwei Punkte. Tarifverträge als Instrumente für die Produktivkapi- talbeteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Der erste Punkt ist die von uns geforderte Insol- nehmern gesetzlich anerkannt werden. venzsicherung. Wir haben gemeinsam mit dem Deut- schen Gewerkschaftsbund gesagt: Es ist nicht zumut- Das genau ist die Position, die wir 1996 in unserem bar, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Antrag zu formulieren versucht hatten. Als Restbe- bei einer Beteiligung am Produktivkapital ein dop- denken bleiben die von Ihnen vorgetragenen Beden- peltes Risiko tragen müssen, nämlich einerseits das ken, es sei rechtlich in hohem Maße zweifelhaft, ob Risiko, im Insolvenzfall ihres Bet riebes ihren Arbeits eine solche Regelung tragfähig sei. 21328 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Ottmar Schreiner Ich möchte nun aus der schriftlichen Stellung- Sie auf unsere Verhandlungsangebote nach dem nahme von Professor Hanau zitieren. Professor Ha- 4. März rasch und zügig eingegangen. nau ist, wenn man das so formulieren möchte, der Nestor der Arbeitsrechtler in Deutschland. Er ist Ge- (Beifall bei der SPD) schäftsführender Direktor des Forschungsinstituts für Zwar könnte ich hier noch seitenlang über die Ent- Sozialrecht der Universität zu Köln. Professor Hanau wicklung der Einkommens-, der Vermögens- und der schreibt in seiner Stellungnahme anläßlich der Anhö- Eigentumsverhältnisse vortragen; doch ich erspare rung des Fachausschusses: Ihnen das alles. Die Zahlen hierzu sind bekannt; sie Nach alledem sind tarifvertragliche Regelungen sind im Fachausschuß diskutiert worden. zur Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Ich möchte zusammenfassen: Im Nachkriegs- Tarifvertrag sowohl unmittelbar im Verhältnis deutschland waren die Unterschiede, was den Ver- zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als mögensbesitz, den Eigentumsbesitz und die Einkom- auch durch Kapitalsammelstellen mensverhältnisse angeht, niemals so ungerecht wie - Tariffonds - heute, nach 16 Jahren konservativer Regierung. grundsätzlich zulässig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Also relativieren sich auch diese Bedenken in hohem Schon aus diesen Gründen wäre eine vermögenspoli- tische Korrektur d ringendst überfällig gewesen, auch Maße. in Gestalt einer wirksamen Beteiligung der Arbeit- Ich wollte Ihnen mit diesen beiden Beispielen nur nehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapi- deutlich machen, daß es aus meiner Sicht dann, tal. wenn der politische Wille vorhanden gewesen wäre, (Beifall bei der SPD) sehr wohl möglich gewesen wäre, bezüglich der Be- teiligung der Arbeitnehmerschaft am Produktivkapi- Abschließend möchte ich zum Abstimmungsver- tal eine breite Übereinstimmung in diesem Hause zu halten der SPD-Fraktion folgendes sagen: Obwohl finden. Das wäre allerhöchste Eisenbahn. wir uns - Sie wissen das - für unseren Antrag einge- setzt haben, gehen wir davon aus, daß der Antrag Es macht keinen Sinn mehr, in die Vergangenheit der SPD-Fraktion angesichts der Mehrheitsverhält- zu gucken. Lassen Sie uns in die Zukunft gucken! nisse in diesem Hohen Hause - bedauerlicherweise - Ein Durchbruch bei der Beteiligung der Arbeitneh- keine Mehrheit erhalten wird, während der Gesetz- mer am Produktivkapital ist absolut überfällig. entwurf der CDU/CSU-Fraktion diese - bedauerli- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne cherweise - finden wird. Der Entwurf der CDU/CSU- ten der PDS) Fraktion ist - das haben wir auch in der ersten Le- - sung gesagt - mehr als nichts; er ist aber von so Dafür gibt es viele Gründe. Einige dieser Gründe schweren Mängeln gekennzeichnet, daß für uns eine sind von Ihnen bereits vorgetragen worden: Die Be- Zustimmung nicht in Frage kommt. Deshalb werden teiligung stärkt die Investitionskraft der Unterneh- wir uns bei der Schlußabstimmung über Ihren Antrag men, sie stellt ein flankierendes Element zur Stär- enthalten. kung der Altersvorsorge dar usw. Ich will mir erspa- ren, weitere Gründe zu nennen. Im übrigen haben Sie noch eine letzte Chance: Sie haben die Chance, im Vermittlungsausschuß doch Entscheidend scheint mir etwas anderes zu sein, noch zu einem Ergebnis zu kommen. Wenn Sie sich wozu es hier im Hause einen Konsens gibt. In dem im Vermittlungsausschuß genauso borniert verhal- Entschließungsantrag der Grünen heißt es: ten, wie dies in den letzten zwei Monaten in diesem Eine breite Streuung des Eigentums entspricht Parlament der Fall gewesen ist, dann müssen Sie sich dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft. erst recht den Vorwurf gefallen lassen, aus reiner Wahlkampftaktik ein äußerst bedeutendes Thema Sie entspricht aber nicht nur dem Leitbild der sozia- schamlos zu mißbrauchen. Das wird Ihnen überhaupt len Marktwirtschaft; vielmehr ist die breite Streuung nichts nutzen. von Vermögen und Eigentum eine unabdingbare Voraussetzung der sozialen Marktwirtschaft und Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. darüber hinaus eine unabdingbare Voraussetzung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne für soziale und politische Stabilität. ten der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste Redne- und der PDS) rin spricht die Kollegin Margareta Wolf. Das ist der entscheidende Punkt. Hier stellt sich heraus, ob wir in diesem Haus einen Konsens haben, Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE der darauf abzielt, die Verhältnisse zu ändern, oder GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten ob es ein Konsens bloßer Lippenbekenntnisse ist. Damen und Herren! Herr Kollege Vogt, auch ich Wie Sie in den letzten Wochen und Monaten mit die- möchte es wie der Kollege Schreiner nicht versäu- sem Problem umgegangen sind, hat gezeigt, daß Sie men, Ihre durchaus verdienstvolle Rolle in der De- einen Konsens der Lippenbekenntnisse und keine batte um die Beteiligung am Produktivkapital und Veränderung in der Sache wollen. Ansonsten wären die Vermögensbildung explizit hervorzuheben. Nur, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21329

Margareta Wolf (Frankfurt) Sie sind doch auf die Nase gefallen; Sie wollten doch Diesen Sex-Appeal erreichen Sie auch nicht, indem viel mehr, als in Ihrem Gesetzentwurf enthalten ist. Sie jetzt im Rahmen dieses Gesetzes ein paar Mark drauflegen. (Gerd Andres [SPD]: Richtig!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben vorhin gesagt, Ihr Gesetzentwurf erfülle die Vision einer Gesellschaft von Teilhabern. Das ist Ihr Gesetzentwurf macht deutlich, daß Sie ein nicht so. Das gesamte europäische Ausland lacht Thema, das in der Tat das gesamtgesellschaftliche über uns. Wir haben noch immer nicht die steuerli- Gleichgewicht betrifft, zu Wahlkampfzwecken funk- che Gleichstellung. tionalisieren. Darin lesen wir - Zitat -: (Wolfgang Vogt [Düren] [CDU/CSU]: Es Individuelles Eigentum ist eine wesentliche gibt eine Chance, habe ich gesagt!) Grundlage persönlicher Freiheit und Vorsorge und damit eine tragende Säule unserer Sozialen - Wenn Sie das jetzt so sagen, dann relativieren Sie Marktwirtschaft. Eine breite Streuung des Eigen- Ihre Aussage. tums ... festigt unsere Wirtschafts- und Gesell- schaftsordnung. (Zuruf von der CDU/CSU) Richtig, absoluter Konsens. Aber wie sieht denn die - Sie sollten hier einmal reden und nicht ständig da- Realität in diesem Lande aus? Es stimmt doch einfach zwischenrufen; das wäre für Sie, verehrter Herr Kol- nicht, daß sich die Verteilungssituation in diesem lege, wirklich eine Herausforderung. Land verbessert hat. Im Gegenteil, Herr Vogt und Herr Louven, und das wissen auch Sie. Tatsächlich ist die Beteiligung am Produktivkapital bei uns steuerlich benachteiligt. Es gibt keine Ver- Schauen Sie sich die gesamtwirtschaftlichen Daten zahnung von bet rieblicher und privater Altersvor- an, Vergleich 1992 und 1997. Da sehen Sie: Bei einem sorge; es gibt keine Rahmenbedingungen zum Auf- Anstieg des Bruttoinlandsproduktes um 16,9 Prozent bau eines Kapitalstocks, um die umlagefinanzierte erhöhten sich die Einkommen aus Unternehmertätig- Rente abzusichern, auch wenn wir uns das ge- keit und Vermögen netto um 46,8 Prozent, die Lohn- wünscht hätten. Sie wissen das, und wir wissen das und Gehaltssumme hingegen stieg nur um 3,1 Pro- auch. zent. Die Zahl der Beschäftigten - das ist bekannt - ging dramatisch zurück, und trotzdem lag das Auf- Da Sie Scherze darüber gemacht haben, meine Er- kommen aus veranlagter Einkommen-, Kapitaler- ziehung sei von Nell-Breuning geleitet worden: Ich trag- .und Körperschaftsteuer mit einem Minus von bin das älteste von sieben Kindern und komme aus 6,9 Prozent unter dem Niveau von 1992. Das Lohn- einer katholischen Familie. Ein Prinzip in der Erzie- steueraufkommen ist um 20 Prozent gestiegen. - Da hung durch meine Eltern war tatsächlich, für eine können Sie doch nicht sagen, daß wir es mit einer möglichst breite Beteiligung von Arbeitnehmerinnen - Verteilungsgerechtigkeit zu tun hätten oder daß wir und Arbeitnehmern am Produktivkapital einzutreten. auf dem Weg seien, diese zu erreichen! Die Sachver- Ich denke, darüber gibt es keine Scherze zu machen, ständigen sagten Ihnen doch auch in der Anhörung, verehrter Herr Kollege. daß 80 Prozent des Produktivvermögens in der Hand von nur 3 Prozent der Bevölkerung liegen, daß heute (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 32 Prozent der Gewinne aus Kapitalanlagen lediglich und bei der SPD sowie des Abg. Rolf Kutz 3 Prozent der Bevölkerung zugehen. mutz [PDS] - Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Möge der Deshalb sagen wir: Dieses Gesetz ist ein Placebo, Heilige Geist über ihn kommen! - Franz weil es nicht die Beteiligung am Produktivkapital för- Thönnes [SPD]: Und in ihn fahren!) dern wird. Diese können Sie nur fördern, wenn Sie eine Gleichstellung aller Anlageformen vornehmen, Ich glaube, daß der heute zur Beratung anstehende wenn Sie die Vorsorgeaufwendungen steuerlich ab- Gesetzentwurf nur aus Wahlkampfzwecken in der setzbar machen, wenn Sie die bet riebliche und die Kernzeit debattiert wird, verehrter Herr Kollege private Vorsorge gleichstellen. Sie beziehen sich Vogt. Sie wissen genau, daß im Rahmen der be- doch immer gerne auf Amerika und Großbritannien. stehenden Vermögensbildung das Ziel der Altersvor- Wenn Sie das in diesem Fall einmal täten, wäre ich sorge zu stark vernachlässigt wird. Sie wissen zu- wirklich sehr froh. dem, daß die steuerlichen Rahmenbedingungen nach wie vor die Anlage von Geldern in Produktiv- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vermögen benachteiligen. Das können Sie auch nicht Man bezieht sich hier immer auf die Verbände, wie durch kleine Anpassungen im Rahmen des Vermö- das nach einer Anhörung Usus ist. Die Verbände ha- gensbildungsgesetzes aufheben. ben Ihnen in dieser Anhörung und mir und Frau Ich möchte Ihnen noch etwas vorlesen, verehrter Frick auch noch vor der Tür gesagt, der Gesetzent- Herr Kollege Vogt. Im „Handelsblatt" vom 13. August wurf sei unbefriedigend, er greife zu kurz, die vorge- 1997 lesen wir in einem Kommentar: sehene Schaffung der zwei Fördertöpfe - lesen Sie sich die Stellungnahmen der BDA und des DIHT Nierentische und Isetta haben den Charme der durch - sei abzulehnen, weil sie zu hohen administra- Wirtschaftswunderjahre. Obwohl in der gleichen tiven Aufwendungen führe, im Vergleich zum Ist-Zu- Ara geboren, fehlt dem heute als 936-DM-Gesetz stand seien die Rahmenbedingungen für die Beteili- bekannten Sparmodell dieser Sex-Appeal. gung am Produktivkapital in Ihrem Gesetzentwurf 21330 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Margareta Wolf (Frankfurt) schlechter geworden, und insgesamt fehle ein schlüs- sich die Leute die Mittel nach der Bindungsfrist ha- siges Konzept zur Stärkung der p rivaten und der be- ben ausschütten lassen und in Urlaub gefahren sind. trieblichen Altersvorsorge. Für mich, verehrter Herr Was das mit Vermögensbildung zu tun hat, verstehe Kollege Vogt, sind die Stellungnahmen fast aus- ich nicht so recht. Ich sehe auch nicht, daß sich das nahmslos eine resignativ, aber freundlich formulierte ändert. Neue attraktive Formen der Vermögensbil- Ohrfeige. dung sind vor allem angesichts der zu erwartenden Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur und den Noch ein Wort zum Osten. Selbst wenn Sie für die Auswirkungen auf die Alterssicherung dringend ge- Menschen im Osten eine maximale Förderung pro boten. Person und Jahr von zusätzlich 40 DM bis zum Jahr 2004 vorsehen, so können Sie doch nicht wirklich ( [F.D.P.]: Das ist wie bei den glauben, daß man so den überdeutlichen Fehlent- Flugreisen!) wicklungen im Osten entgegenwirken kann. Das - Diesen Gag mit den Flugreisen kann ich nicht mehr wirkt wie ein zweites Begrüßungsgeld. Nach dem hören. Wir haben uns davon distanziert. Das ist die Wahlergebnis vom letzten Wochenende sollten Sie Einzelmeinung einer Abgeordneten gewesen. Ich sich Gedanken darüber machen, welche metaphori- kann es nicht mehr hören. schen und symbolischen Signale Sie tatsächlich in den Osten senden. Dieses ist für meine Beg riffe kein (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ gutes Signal. DIE GRÜNEN]: Frau Albowitz muß mehr bezahlen! Bei jedem Flug!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Das ist eine gute Idee, daß Frau Albowitz bei jedem Sehr geehrter Herr Kollege Vogt, Sie haben mich Flug mehr bezahlt. gefragt, warum wir Ihre Steuerreform abgelehnt ha- ben. Sie wissen ganz genau, daß wir Ihre Steuerre- (Joseph Fischer [Frankfur]) [BÜNDNIS 90/ form abgelehnt haben, weil sie nicht sozial gerecht DIE GRÜNEN]: Das Doppelte!) ist und nicht die Transparenz hat, die wir uns ge- Wir legen einen Vorschlag vor, der tatsächlich das wünscht hätten, weil sie sich nicht aus sich selbst fi- klare Ziel verfolgt, die Altersvorsorge zu verbessern. nanziert - Sie wollen eine Nettoentlastung von Wir stellen die Beiträge 30 Milliarden DM; das ist ein ungedeckter Scheck zu Lasten der nächsten Generationen - und weil zudem (Zuruf der Abg. Ina Albowitz [F.D.P.]) in ihr die Anlageformen steuerlich nicht gleichge- stellt werden. Ich weiß, daß es zwischen Ihrem Steu- - Sie können hier gerne einmal zu einem Sozial- erreformkonzept und unserem viele Parallelen gibt. thema reden, Frau Albowitz, das wäre wirklich ganz Nur, wir lügen den Leuten nichts vor und verfahren schön -, nicht nach dem Motto: Aus der einen Tasche wird ih- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ nen genommen, in die andere Tasche wird ihnen ge- - DIE GRÜNEN]: Sie wird nach Mallorca ver geben. Diese Umverteilung haben Sie ja bei der bannt, wenn sie so weitermacht!) Mehrwertsteuer schon wieder exemplarisch vorge- führt. die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ihre Vorsorge abführen, bis zur Beitragsbemessungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) grenze in der Sozialversicherung von der Besteue- rung frei. Hierzu zählen die Beiträge zur gesetzlichen Wir wollen eine sozial gerechte und transparente Rentenversicherung wie auch p rivate Aufwendun- Einkommensteuerreform. Dann steigen die Netto- gen für die Vorsorge. Insgesamt können so im Monat löhne in Deutschland, dann wird die Gerechtigkeits- zirka 2 500 DM für die Vorsorge aufgewendet wer- lücke geschlossen, und dann haben die Menschen den. Der Arbeitgeber kann die Arbeitnehmerinnen endlich wieder genug Geld in ihrer Tasche, um tat- und Arbeitnehmer dabei unterstützen. Werden Er- sächlich eine Vorsorge zu betreiben, die diesen Na- träge aus einer Kapitalanlage thesauriert, das heißt: men auch verdient. Es besteht in diesem Hause über- wieder angelegt und nicht entnommen, werden sie haupt kein Zweifel darüber, daß wir eine Reform der ebenfalls von der Besteuerung freigestellt, wenn sie Vermögensbildung brauchen und eine Brücke zwi- nicht die Beitragsbemessungsgrenze überschreiten. schen Kapital und Arbeit bauen müssen. Wir haben in unserem Einkommensteuerkonzept die Grundla- Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir beziehen die gen für eine wirkliche Reform der Vermögensbildung Vermögensbildung nicht nur auf die Arbeitnehme- gelegt. rinnen und Arbeitnehmer. Durch die Verankerung im Steuerrecht stellen wir Selbständige und abhän- Wir glauben, daß sich die Vermögensbildung mit- gig Beschäftigte bei der Besteuerung gleich. So ent- nichten für Wahlkampfzwecke eignet. Wir müssen wickeln wir die Vermögensbildung - das ist eine tat- im Rahmen der Einkommensteuer die Möglichkeiten sächliche Reform - weiter und ergänzen das bishe- für eine wirkliche Vermögensbildung schaffen. Diese rige System der Alterssicherung, wie wir glauben, Rahmenbedingungen haben wir in unserem Ent- sinnvoll. Das glauben auch viele Verbände; sie haben schließungsantrag in den Vordergrund gestellt. Wir uns das vor der Tür gesagt. rücken bei der Reform der Vermögensbildung die Funktion in den Mittelpunkt, die der Aufbau eines Wir glauben, daß die Bevölkerung in ihrem Bemü- Vermögens für viele Menschen hat: Ihnen dient es hen, Vermögen aufzubauen, unterstützt werden muß als sicheres Polster für die Zukunft. Sie wissen doch und die umlagefinanzierte Altersvorsorge sinnvoll er- selber, daß das 936-DM-Gesetz dazu geführt hat, daß gänzt werden muß. Um Existenzgründungen zu er- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21331 Margareta Wolf (Frankfurt) mutigen, stellen wir die Selbständigen gleich. Selbst Anreize, die die private Altersvorsorge stärken, um Herr Herzog sagte ja gestern abend, daß die Rah- die umlagefinanzierte Rente zu sichern. Das ist ein menbedingungen für Existenzgründungen in diesem Angebot, das die Jugend in unserem Land von uns Land nicht richtig gesetzt sind. So denke ich, daß wir erwartet. Sie glaubt nämlich nicht mehr daran, daß mit dem Prinzip, daß wir auch Selbständige bei der sie, die heute die Beiträge einzahlt, später entspre- Altersvorsorge steuerlich entlasten, tatsächlich mehr chende Renten bezieht. Existenzgründungen evozieren könnten. Lesen Sie Meinhard Miegel, der sagt: Die umlage- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) finanzierte Rente allein ist ein Kapitalvernichtungs- programm. Wir wollen deshalb hin zu einer zweiten Sie hatten tatsächlich 15 Jahre Zeit, Rahmenbedin- Säule, die private Altersvorsorge heißt. gungen für einen Brückenbau zwischen Kapital und Arbeit zu schaffen. Sie haben es nicht getan. Hierzu Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. möchte ich Ihnen etwas sagen. Gabor Steingart hat neulich - es war, wie ich glaube, vor zwei Monaten - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen sehr schönen und spannenden Essay im „Spie- sowie bei Abgeordneten der SPD) gel" geschrieben. Dort heißt es: Wenn man die Rah- menbedingungen für die Beteiligung am Produktiv- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt die kapital - ich meine jetzt die steuerliche Gleichstel- Kollegin Professor Gisela Frick. lung - Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre gesetzt hätte und sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer mit nur 2 Prozent ihrer Lohnerhöhungen am Gisela Frick (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Da- Produktivkapital der Bet riebe beteiligt hätten, dann men und Herren! Auch ich möchte zunächst einmal wären heute 365 Milliarden DM in der Hand von Ar- dem Kollegen Vogt meinen Respekt für seine jahre- beitnehmerinnen und Arbeitnehmern und dann hät- lange Arbeit im Bereich der Beteiligung der Arbeit- ten Sie die Brücke zwischen Kapital und Arbeit und nehmer am Produktivvermögen aussprechen. Wir ha- nicht eine „Deutschland AG". Man hätte nur 2 Pro- ben heute von Ihnen gehört, daß Sie bereits 1970 zent der Lohnerhöhungen in Produktivkapital inve- Ihre erste Rede zu diesem Thema gehalten haben. stieren müssen, und wir wären heute in einer ande- Ich verstehe daher um so weniger, warum heute von ren Situation und auch vor dem Hintergrund der Glo- seiten der Opposition der Vorwurf gemacht wird, es balisierung besser gerüstet, als wir das im Moment handele sich bei dem vorliegenden Entwurf um ein sind. billiges wahltaktisches Manöver. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der PDS und der Abg. Heidi Wright [SPD]) Genau das zeigt doch, daß wir uns in der Koalition - schon seit langer Zeit ernsthaft um dieses Thema be- Meine Damen und Herren, hat ge- mühen. Wenn Sie sich die Koalitionsvereinbarungen sagt: Eine breite Streuung des Eigentums entspricht vom Herbst 1994 ansehen, dann sehen Sie, daß das dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft. Sie ist die damals schon ein wesentliches Thema war, das wir in Voraussetzung und die Grundlage, Herr Kollege dieser Legislaturperiode angehen wollten. Das 50- Schreiner, sozialer Gerechtigkeit und wesentliche Punkte-Aktionsprogramm der Bundesregierung Voraussetzung für Sicherheit und Wohlstand breiter stammt aus dem Winter 1996. Bevölkerungsteile. Vielen Menschen dient ein Ver- mögen als sicheres Polster für die Zukunft, vor allen Man kann doch nicht, wie es Frau Wolf gerade ge- Dingen als Vorsorge für das Alter. Das wissen auch tan hat, sagen: Das ist ein Thema, das nur zu Wahl- Sie. kampfzwecken hochgezoomt wird. Wir haben uns die ganze Legislaturperiode darum bemüht, und wir Diesem Anliegen folgt unser Entschließungsan- haben jetzt zum Ende der Legislaturperiode einen trag. Ich würde mich freuen, wenn Sie diesem Ent- Gesetzentwurf zur Vermögensbeteiligung vorgelegt, schließungsantrag zustimmen könnten, verehrter der natürlich noch nicht die Lösung aller Probleme Herr Kollege Vogt. Ich weiß, daß Sie das gleiche Ziel ist. verfolgen. Sie konnten sich als CDA-Vertreter in Ih- rer Fraktion jedoch nicht durchsetzen. Ihr Gesetzent- Wir als F.D.P. - das brauche ich nicht zu betonen - wurf ist und bleibt ein Placebo. Sie bleiben zwar im setzen natürlich auf das Eigentum als Grundlage der rechtlichen Rahmen, aber Ihr Vorschlag stellt über- persönlichen Freiheit und der Altersvorsorge. Wir haupt keine Reform der Altersvorsorge und der Ver- sind mit der derzeitigen Verteilung des Vermögens mögensbildung dar. Er ist eine Geschichte, die Sie und des Einkommens keineswegs zufrieden. Von da- jetzt im Rahmen des Wahlkampfes hochzoomen. Nor- her sind wir nicht der Meinung, daß der heute vorge- malerweise, wenn wir nicht im Wahlkampf wären, legte Gesetzentwurf schon die Lösung aller Dinge ist. hätten wir donnerstags abends um 21 Uhr über diese Er ist aber ein guter Einstieg, und das ist von allen Novelle gesprochen. Gut, jetzt sind wir im Wahl- Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung am kampf. 1. April bestätigt worden. Wir setzen auf Vermögensbildung, wir setzen auf Natürlich könnten auch wir uns mehr vorstellen. steuerliche Gleichstellung der Anlageformen. Wir Wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, daß die Be- setzen auf die Verzahnung von betrieblicher und pri- rechtigung nicht nur auf die Arbeitnehmer konzen- vater Altersvorsorge, und wir setzen auf steuerliche triert wird, sondern auf alle Bürger unseres Staates. 21332 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Gisela Frick Wir könnten uns einen höheren Förderbetrag als Jedenfalls werden wir, wenn wir die Regierungs- 800 DM bzw. 1000 DM in den neuen Ländern vorstel- verantwortung haben, diese Steuerreform am len. Wir könnten uns durchaus auch eine höhere 28. September wieder vorlegen, weil wir von der Sparzulage vorstellen. A ll das ist vorstellbar. Aber es Richtigkeit dieser Reform, der Richtigkeit der Netto- muß in der derzeitigen Haushaltssituation auch entlastung und des Tarifverlaufs, gerade auch im un- machbar sein. Wir haben eben vom Kollegen Vogt teren Bereich mit den geringen Eingangsteuersätzen, schon gehört, daß das, was wir heute vorlegen, ein überzeugt sind und weil wir überzeugt sind, daß dies Volumen von ungefähr 1,1 Milliarden DM hat. Das ist die Voraussetzung für eine echte Vermögensbildung wirklich mehr als nichts. Das ist in der heutigen Si- bei weiten Teilen der Bevölkerung ist. tuation ein deutliches Zeichen dafür, wo wir unsere (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und Prioritäten setzen wollen. der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wenn Sie die Regierungsverantwortung bekom- Von daher glaube ich, daß wir sehr gut beraten men sollten, was ich natürlich nicht hoffe, dann wird sind, wenn wir dem heute vorgelegten Entwurf zu- auch Ihnen nichts anderes übrigbleiben, als eine stimmen. Ich möchte noch einmal ausdrücklich an Steuerreform in etwa dem Sinne zu machen, wie wir die beiden Oppositionsparteien SPD und Grüne ap- sie jetzt vorgelegt haben. Die Weltbedingungen er- pellieren, dies als ersten Einstieg schon einmal mit- fordern eine solche Reform. Nur durch sie ist ein ge- zutragen und hier jetzt keineswegs Maximalforde- wisser Selbstfinanzierungseffekt zu erreichen, der rungen zu erheben. letztendlich - davon bin ich fest überzeugt und auch meine Fraktion - sehr viel mehr Geld in die öffentli- Zunächst möchte ich aus Sicht der F.D.P. noch ein- chen Kassen spülen wird, obwohl die Bürger und die mal auf die Steuerreform eingehen, weil die eigent- Unternehmen eine Nettoentlastung erhalten werden. lich vorher hätte kommen müssen. Wir haben es Sie werden sich daran nicht vorbeidrücken können. auch vorher gemacht. Wir haben im Sommer letzten Da bin ich ganz sicher. Wir hätten die Steuerreform Jahres vor der Sommerpause hier im Bundestag die gerne zuerst gehabt, um überhaupt Spielräume für große Steuerreform auf der Basis der Petersberger die Vermögensbildung zu schaffen. Beschlüsse beschlossen. Nur an der Blockadehal- tung, insbesondere der SPD-Mehrheit im Bundesrat, Der Gesetzentwurf, den wir jetzt vorliegen haben, ist es dann leider gescheitert, daß diese Steuerreform ist, wie ich eben schon gesagt habe, ein erster Ein- mit einer geplanten Nettoentlastung von 30 Milliar- stieg. Aber - das hat auch die öffentliche Anhörung den DM und einer Absenkung des Tarifs über den gezeigt - es ist ein Einstieg, der durchaus Sinn macht gesamten Verlauf letztendlich im Gesetzblatt stand. und uns voranbringt. Ich habe eben schon das Volu- men von 1,1 Milliarden DM genannt. Ich komme Es ist nicht wahr, wenn Sie immer sagen, wir woll- noch ganz kurz zum Inhalt. Leider haben wir auf ten nur die hohen Einkommen entlasten. Unser Tarif- - Grund der finanziellen Möglichkeiten den Kreis der verlauf sah einen Eingangssteuersatz nach dem steu- nach wie vor auf die Arbeitnehmer be- erfreien Existenzminimum von 15 Prozent vor. Sie ha- Berechtigten schränken müssen. Wir hätten es gerne anders ge- ben sich nicht getraut, diesen Satz vorzulegen, meine macht. Aber an den Variablen konnten wir nur im Damen und Herren von der SPD. Es wäre eine Entla- Zuge des finanziell Machbaren schrauben. Wir ha- stung gerade auch für die schwachen Einkommens- ben, wie wir gehört haben, einen zweiten Förderbe- gruppen gewesen. Das war für uns ganz entschei- von 800 DM in den alten und 1000 DM in den dend. trag neuen Ländern. Wir haben die Anlagemöglichkeiten (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - erweitert. Das ist eine indirekte Folge des Dritten Gerd Andres [SPD]: Damit alle Vermögen Finanzmarktförderungsgesetzes, mit dem wir neue bilden können!) Anlageformen in das Kapitalanlagegesellschaftenge- setz aufgenommen haben. Neue, moderne Anlage- - Sie meinen das ironisch, aber wir meinen das ganz formen werden jetzt mit einbezogen - Stichwort: ge- ernst. Eine echte Entlastung durch eine große Steuer- mischte Fonds und Dachfonds. Wir haben also auch reform schafft überhaupt erst die Spielräume für Ver- in diesem Bereich einiges getan. mögensbildung. Sie ist die Voraussetzung. Deshalb hätte die Steuerreform vorher kommen müssen. Wir haben die entsprechende Förderzulage auf Aber, wie gesagt, es war mit Ihnen nun leider nicht 20 Prozent erhöht. Wir haben - das ist für uns Libe- zu machen. rale besonders wichtig - das Bausparen dadurch ge- stärkt, daß der erste Förderkorb mit einem Förderbe- Wir müssen das ganze Projekt jetzt auf die nächste trag von 936 DM ausschließlich für das Bausparen re- Legislaturperiode verschieben, in der wir hoffentlich serviert wird. Das ist neu. Insofern handelt es sich um wieder die Regierungsverantwortung bekommen. eine Stärkung und nicht um eine Schwächung des (Gerd Andres [SPD]: Das ist sehr wahr Bausparens. scheinlich!) Die Beteiligung am Produktivvermögen kommt Wir sind da ganz optimistisch; denn die Wahl am als ein sogenannter zweiter Korb hinzu. Das ist in un- 27. September wird unter anderem auch eine Ent- seren Augen ein ganz wesentlicher Aspekt. Diese scheidung des Wahlbürgers über die vorgelegten Regelung wird sicherlich angenommen werden. Die Steuerpläne sein. Wir werden sehen, wie am 27. Sep- Sachverständigen haben uns in der Anhörung ge- tember letztendlich entschieden wird. Das werden sagt, daß hier genug Anreize gegeben sind, um da- wir nachher besprechen. von Gebrauch zu machen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998 21333

Gisela Frick Weiterhin haben wir § 19 a EStG erhalten. Ich habe Chance. Das hat sich gerade in den letzten Jahren in einem anderen Debattenbeitrag schon darauf hin- gezeigt. Wenn Sie sich die Entwicklung der Aktien- gewiesen, daß § 19a EStG nicht gerade eine sehr ge- kurse ansehen, dann stellen Sie fest, daß in der Betei- glückte Vorschrift ist. Auch Professor Bareis kritisiert ligung sehr viele Chancen stecken. Jeder sagt, wenn immer wieder, daß diese Norm trotz ihres Umfangs - wir beispielsweise eine Altersversorgung geschaffen ich habe einmal nachzählen lassen; es waren 2397 hätten, die auf solchen Beteiligungsmodellen fußt - Wörter - letztendlich nur eine steuerliche Wirkung wir haben heute dazu schon Zahlen gehört -, dann im Gegenwert einer Schachtel Zigaretten pro Monat wäre der Wert dieser Altersbeteiligung in den letzten produziert. Insofern ist § 19a EStG sicher nicht ge- Jahren deutlich gewachsen. Insofern sollten wir viel- rade ein Ruhmesblatt für unsere Gesetzgebung. leicht nicht so sehr das Risiko der Insolvenz betonen, sondern mehr die Chance, die sich aus solchen Betei- Wir haben aber schon gesagt, daß wir diese Rege- ligungsmodellen ergibt. lung im Rahmen einer großen Steuerreform korrigie- ren werden. Wir wollen diesen Paragraphen nicht er- (Beifall bei der F.D.P.) satzlos abschaffen - darauf hat der Kollege Vogt schon hingewiesen -, sondern wir werden uns eine andere Entscheidend war für mich auch der Hinweis, daß Förderung einfallen lassen. Denn es ist natürlich sinn- solche Insolvenzsicherungen - Sie haben zum Bei- voll, Mitarbeiter am eigenen Unternehmen zu beteili- spiel die Vorstellung, so eine Art Pensionssicherungs- gen, weil dadurch die Verzahnung von Kapital und Ar- fonds oder ähnliches zu schaffen - natürlich Geld ko- beit sehr viel besser erfolgen kann und das Interesse sten. Das heißt, dies schmälert dann wieder die ge- der Mitarbeiter am Erfolg ihres eigenen Unterneh- wünschten Erträge aus diesen Beteiligungen. Man mens noch einmal gestärkt und unterstützt wird. Der muß dies sehr, sehr sorgfältig gegeneinander abwä- Sinn dieser Regelung wird daher von uns nicht bestrit- gen. Ich bin also von der Idee der Insolvenzsicherung ten. Aber die Regelung selbst könnte durch einfachere nicht so überzeugt. Deshalb steht sie in unserem Ge- und bessere Lösungen ersetzt werden. Aber das be- setzentwurf im Moment auch nicht d rin. Es handelt halten wir ausdrücklich der großen Steuerreform vor. sich nur um einen verhältnismäßig kleinen Teilbetrag Wir haben deshalb im Zusammenhang mit dem Drit- des Lohns, der in solche Beteiligungsmodelle fließen ten Vermögensbeteiligungsgesetz § 19 a EStG unan- soll. Ich meine, daß man, wenn man Chancen und Ri- getastet gelassen. Das ist ein wichtiger Punkt. siken gegeneinander abwägt, durchaus die Chancen in den Vordergrund stellen kann und die Risiken Die zwei Punkte, auf die Sie, Herr Schreiner, hin- nicht unbedingt absichern muß. gewiesen haben und bei denen es noch einen offe- nen Dissens gibt, sind uns sehr wichtig. Ich glaube, Die F.D.P. hätte sich allerdings gewünscht, daß in daß wir nicht so nahe zusammenliegen, wie Sie das dem Dritten Vermögensbeteiligungsgesetz mehr Ge- vermuten. wicht auf die Altersvorsorge gelegt worden wäre. Das war aber leider nicht mehr zu machen. Wir ha- Der erste Punkt, den Sie erwähnt haben, behandelt ben die Vermögensbeteiligung in den Mittelpunkt die Einrichtung von Tariffonds. Wir sind der Mei- dieses Gesetzentwurfs gestellt. In der Anhörung ha- nung, daß solche tariflichen Einrichtungen, wenn sie ben wir gehört, daß Beteiligung am Produktivkapital, auch dann - wie Sie es vorschlagen - gefördert wer- am Produktivvermögen, gleichzeitig immer auch Si- den sollen, wenn sie in obligatorischen Tarifverträ- cherheit bedeutet und damit auch ein Teil Altersvor- gen vereinbart werden, ein Eingriff in die Dispositi- sorge sein kann. Aber es ist eben nicht genug abge- onsfreiheit unserer Bürger und auch der Unterneh- sichert, auch nicht durch entsprechend lange Bin- mer sind. Das ist mit unserer Vorstellung von Wahl- dungsfristen und ähnliches. Dazu hätten wir uns freiheit und Freiwilligkeit im Bereich der Vermögens- mehr gewünscht. Aber nachdem wir sagen, daß der bildung nicht zu vereinbaren. Für uns ist es ganz heute vorliegende Gesetzentwurf nur ein Einstieg ist, wichtig, die Wahlfreiheit zu erhalten. Vermögensbil- sind wir guten Mutes, daß wir das Vorhaben zu Be- dung kann man nicht sozusagen mit der Peitsche er- ginn der nächsten Legislaturperiode dann weiter zwingen, sondern sie muß freiwillig geschehen. Des- ausbauen werden. Dabei wird für uns die Altersvor- halb ist der Grundsatz der Dispositionsfreiheit, der sorge ganz eindeutig im Mittelpunkt stehen. Wahlfreiheit, zu achten. Wir wissen alle, daß unser gesetzliches Alterssiche- Der zweite Punkt ist die Insolvenzsicherung. Sie rungssystem an die Grenzen seiner Leistungsfähig- haben dazu aus Gutachten im Rahmen der öffentli- keit gekommen ist. Die betriebliche Altersversor- chen Anhörung zitiert. Sie haben aber nur einen Teil gung, die sogenannte zweite Säule, wird auch nicht zitiert. Sehr viel mehr Sachverständige haben darauf mehr in dem Maße in Anspruch genommen, wie es hingewiesen - das ist auch die Meinung der Libera- wünschenswert wäre. Wir wollen - das habe ich len -, daß eine Beteiligung am Unternehmenskapital schon im Plenum vorgetragen - insbesondere noch immer eine Beteiligung am Risikokapital ist. Das ist eine Erweiterung der Altersvorsorgemöglichkeit gerade das Wesen einer solchen Beteiligung. Man durch die Einrichtung von Pension funds nach angel- kann sich selbstverständlich Gedanken über eine sächsischem Vorbild. Wir haben darauf hingewiesen, Absicherung der Insolvenz machen. Das doppelte Ri- daß das sowohl für die Risikokapitalbeteiligung als siko wird von uns nicht geleugnet, insbesondere auch für die Sicherung für das Alter eine gute Sache wenn es sich um eine Beteiligung der Mitarbeiter am wäre. Es wäre aber auch eine sehr gute Einrichtung, eigenen Unternehmen handelt. Aber ich gebe grund- was den Finanzplatz Deutschland angeht. Denn sätzlich zu bedenken: Es handelt sich um eine Betei- dann könnten wir sehr viel Kapital sammeln, das ligung am Risikokapital. Risiko bedeutet immer auch auch in risikobehaftete Unternehmen investiert wer- 21334 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998

Gisela Frick den könnte und dürfte. Das ist etwas, was uns für die Was haben Sie dem entgegenzusetzen? - Eine lä- Schaffung von Arbeitsplätzen heute fehlt. cherliche Förderung der jährlichen Vermögensbil- dung in Höhe von höchstens 1,2 Milliarden DM. Seit Insofern meine ich, daß wir in der nächsten Legis- Ihrem Regierungsantritt verschlechtert sich die Ver- laturperiode, aufbauend auf dem heute zu beschlie- teilungsposition der Arbeitnehmer jährlich um einen ßenden Gesetz, sehr gut in der Lage sein werden, Betrag zwischen 30 und 60 Milliarden DM. Ange- weitere Elemente der Altersvorsorge einzubeziehen. sichts dessen wollen Sie mit einer lächerlichen Spar- Das ist notwendig, und das werden wir mit sehr viel förderung in Höhe von 1,2 Milliarden DM eine ge- Energie betreiben. rechte Verteilung des Produktivvermögens errei- Sie von der Opposition sollten sich diesem Geset- chen? zesvorschlag deshalb nicht verschließen. Arbeiten Wie lächerlich dieser Betrag ist, kann man schon Sie mit, daß der Vorschlag die Hürden des Bundesra- der Tatsache entnehmen, daß Sie durch den Erlaß tes nimmt! Stimmen Sie heute zu! Ich finde Stimm- der Vermögensteuer den wirklich Vermögenden in enthaltung im parlamentarischen Verfahren sowieso diesem Land jährlich nicht 1,2 Milliarden sondern immer ein bißchen traurig. Es ist zwar noch nicht die 9,3 Milliarden DM schenken. ganz runde, endgültige Lösung, aber es ist ein sehr guter Einstieg. Stimmen Sie heute zu, und versuchen (Beifall bei der PDS - Wolfgang Vogt Sie, Ihren Einfluß auf die Bundesratsmehrheit zu [Düren] [CDU/CSU]: So ein Blödsinn!) nehmen, damit dieses Gesetz nicht im Bundesrat scheitert. Das wäre dann nämlich ein wahltaktisches Ich könnte mich damit noch abfinden, wenn Ihre Vor- Manöver, und das fände ich für das gesamte Projekt lage mit dem so anspruchsvollen Titel nichts als Vermögensbeteiligung in Arbeitnehmerhand ausge- Wahlkampfgetöse wäre. Aber es ist viel schlimmer: sprochen schade. Das sogenannte Vermögensbildungsgesetz ist ein bewußtes Täuschungsmanöver, mit dem Sie davon Danke schön. ablenken wollen, daß Sie seit 16 Jahren eine scham- lose staatliche Reichtumspflege betreiben. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der PDS) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der Sie fördern die Vermögensbildung nämlich bei den Kollege Manfred Müller. 3 Prozent der Bevölkerung, die bereits jetzt 80 Pro- zent des Produktivvermögens besitzen. Sie haben Manfred Müller (Berlin) (PDS): Frau Präsidentin! das Kunststück fertiggebracht, daß die Nettoein- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich wage zu künfte aus Gewinnen und Vermögen inzwischen re- bezweifeln, daß der vorliegende Entwurf für ein Ge- gelmäßig stärker steigen als die Bruttogewinne. setz zur Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, vorgestern mögen ausreichen wird, um den katastrophalen Ver- konnte man in der „Frankfurter Rundschau" einen lust an Glaubwürdigkeit und Wählerstimmen der Re- bemerkenswerten Satz lesen: gierungskoalition aufzuhalten. Der Großteil der deutschen Arbeitnehmer hatte (Beifall bei der PDS) in der jüngsten Vergangenheit wenig zum La- Eines steht zweifelsfrei fest: Die immer ungerechter chen. werdende Verteilung des gesellschaftlichen Reich- Bemerkenswert ist dieser Satz, weil er aus dem ar- wird dieser Entwurf nicht aufhalten. Was Sie tums beitgebernahen Institut der deutschen Wi rtschaft hier eingebracht haben, eignet sich nicht einmal zum stammt. Wenn das schon die Arbeitgeberverbände Abbremsen der Jahr für Jahr eintretenden Vertei- sagen, muß eine solche Feststellung aufhorchen las- lungsverluste. Das wäre doch das mindeste, was man sen. von einem Gesetz zur Vermögensbildung erwarten kann. Wenn es schon keine gerechte Vermögensver- In der Tat kommt die bereits oben erwähnte Unter- teilung herstellen kann, dann sollte es doch zumin- suchung des DGB zu dem Schluß, daß der Anteil der dest geeignet sein, den Status quo zu erhalten. Löhne und Gehälter am Volkseinkommen den nied- rigsten Stand seit Bestehen der Bundesrepublik er- Das alles tut der Gesetzentwurf nicht. Die seit Ihrer reicht hat. Sogar die reale Kaufkraft der Arbeitneh- Regierungsübernahme jährlich eintretenden Einkom- mereinkommen lag im vergangenen Jahr um 1 Pro- mensverluste der abhängig Beschäftigten sind um ein zent unter dem Niveau von 1980. Seit einigen Wochen Vielfaches größer als deren jährliche Vermögensbil- ist es nach den Veröffentlichungen der Deutschen dung. Daran wird sich nichts ändern. So ist das Volks- Bundesbank auch kein Geheimnis mehr, daß die ab- einkommen im vergangenen Jahr im Schnitt zwar um hängig Beschäftigten 1997 erstmals in der Bundesre- 2,7 Prozent gestiegen. Aber nach Angaben des DGB publik einen realen Einkommensverlust hinnehmen mußten die abhängig Beschäftigten bei den Nettoein- mußten und Deutschland das einzige Land in der kommen ein Minus von 0,4 Prozent hinnehmen. Die OECD ist, in dem 1997 die Lohnstückkosten sanken. durchschnittliche Erhöhung des Volkseinkommens um 2,7 Prozent errechnet sich nahezu ausschließlich Das alles sind Tatsachen, die man einfach zur aus der enormen Erhöhung der Nettogewinne um Kenntnis nehmen muß, wenn man hier über eine ge- 10,4 Prozent. Aus diesem Zurückbleiben der Arbeit- rechtere Verteilung des Produktivvermögens spricht. nehmereinkommen errechnet sich für 1997 ein Vertei- Denn wie sollen die abhängig Beschäftigten aus ei- lungsverlust von rund 66 Milliarden DM. gener Ersparnis Vermögen bilden, wenn ihre Real- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21335

Manfred Müller (Berlin) einkommen sinken? Wie soll die ungerechte Vertei- betreibt, um angeblich die Arbeitslosigkeit zu be- lung des Produktivvermögens aufgehalten werden, kämpfen, und wenn dann das Ergebnis nicht weni- wenn die Arbeitseinkommen heute unter dem Ni- ger, sondern mehr Arbeitslose sind, spätestens dann veau von 1980 liegen, aber die Nettogewinne im glei- ist für die Gewerkschaften der Zeitpunkt gekommen, chen Zeitraum um sage und schreibe 119 Prozent ge- offen für eine andere Politik in diesem Lande einzu- stiegen sind? treten. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist (Beifall bei der PDS - Ina Albowitz [F.D.P.]: doch alles Quatsch, was Sie da erzählen! - Sie waren beim DGB in der Zentrale, Herr Widerspruch bei der PDS) Müller!) Herr Vogt, Sie haben gesagt, daß 1983 die Weichen Das, was der DGB da macht, ist keine Parteinahme für die Vermögensbildung neu gestellt worden sind. für die Opposition, Da haben Sie vollkommen recht. Aber sehen Sie sich (Zurufe von der F.D.P.: Nein, nein!) die Zahlen an, die ich eben vorgetragen habe: im Vergleich zu 1980 eine Steigerung der Nettogewinne sondern eine Parteinahme für die abhängig Beschäf- um 119 Prozent bei gleichzeitigem Sinken der Real- tigten, die Arbeitslosen und die Millionen Ausge- löhne. Da haben Sie völlig recht. Aber die Weichen grenzten, die die herrschende Politik - Ihre Politik - sind in die falsche Richtung gestellt worden. bereits abgeschrieben hat. Dabei kann man ruhig ein (Wolfgang Vogt [Düren] [CDU/CSU]: Null bißchen lauter werden. Verstand!) (Beifall bei der PDS) Eine gerechte Verteilung des Produktivvermögens, Aber - das scheint mir besonders wichtig - es ist mit dem die Antragsteller ihr Drittes Vermögensbe- auch eine Parteinahme für die Demokratie. Vor weni- teiligungsgesetz begründen, ist ohne eine Umkehr ger als einer Woche haben sich in Sachsen-Anhalt bei der Primärverteilung unmöglich. Eher zieht sich fast 13 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die der berühmte Baron von Münchhausen am eigenen fremdenfeindliche, rassistische und demokratiefeind Schopf selber aus dem Sumpf, ehe sich die Arbeit- liche DVU entschieden. Ich möchte ausdrücklich be- nehmer bei sinkenden Realeinkommen in das gleich- tonen, daß Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit zeitig explodierende Produktivvermögen einkaufen keine Entschuldigung für den Rückfall in die Dema- können. So ist die Meinung des unternehmernahen gogie der braunen Barbarei sind. Wirtschaftsinstituts in seiner Stellungnahme. (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeitnehmer Sehr richtig!) hatten in der Vergangenheit wirklich wenig zum La- chen; Grund zum Zorn haben sie dagegen zur Ge- Aber wir müssen uns wohl wieder darüber klar wer- nüge. Dieser Zo rn wird sich morgen, am 1. Mai, auf - den, daß die Demokratie eine soziale Basis braucht. den DGB-Kundgebungen breiten Raum verschaffen, Wo die Demokratie unfähig ist, der extremen Profit- und es wird deutlich werden, daß der DGB mit der jagd soziale Grenzen zu setzen, laufenden Kampagne „Für Arbeit und soziale Ge- (Julius Louven [CDU/CSU]: Das müssen Sie rechtigkeit" die richtige Aussage gefunden hat. gerade sagen! - Siegf ried Hornung [CDU/ (Beifall bei der PDS - Siegf ried Hornung CSU]: Wer hat euch das gesagt?) [CDU/CSU]: Die 8 Millionen hätte man bes da darf man sich nicht wundern, wenn die extreme ser anlegen können!) Rechte Morgenluft witte rt. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da sind Bundesregierung und den Regierungsparteien diese doch Sie mit dabei!) DGB-Kampagne nicht gerade gelegen kommt. - Wissen Sie; ich habe schon über so viele Tarifver- (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Wer träge über die sogenannte Vermögensbildung ver- schreit, hat unrecht!) handelt und habe sie unterschrieben, daß Sie mir Aber ich habe nicht das mindeste Verständnis für keine Belehrungen über soziale Marktwirtschaft er- Ihre unqualifizierten Ang riffe gegen die Gewerk- teilen müssen. schaften, indem Sie ihnen einseitige Parteinahme für (Beifall bei der PDS - Siegf ried Hornung die Opposition vorwerfen. [CDU/CSU]: Und Sie uns keine über Demo (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Tun sie kratie!) natürlich auch nicht!) Auch ich halte das für einen richtigen Weg. Aber Die Gewerkschaften werden von unserer Verfas- er muß in eine Steuerpolitik und in eine Verteilungs- sung nicht geduldet, vielmehr haben sie einen von politik eingebettet sein, die die Reichen nicht immer der Verfassung vorgegebenen Auftrag. Sie sind eine reicher und die Armen nicht immer ärmer macht. Säule des Sozialstaats und haben diesen zu verteidi- (Beifall bei der PDS) gen, wenn er von der herrschenden Regierung bis auf die Grundmauern geschliffen wird. Wenn diese Dann hat eine Vermögensbildung über Tarifver- Bundesregierung 16 Jahre lang eine schamlose Um- träge, so wie sie hier vorgeschlagen worden ist, einen verteilung von unten nach oben vornimmt, wenn Sinn. Ansonsten ist sie wie eine weiße Salbe, die die diese Regierung einen hemmungslosen Sozialabbau skandalöse Reichtumsverteilung zukleistern soll. 21336 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Manfred Müller (Berlin) Wo die Demokratie unfähig ist, der extremen Pro- Das ist mehr, als nur Geld zu verteilen. Dahinter steht fitjagd soziale Grenzen zu setzen, darf man sich nicht eine Idee. wundern, wenn die extreme Rechte Morgenluft wit- tert. Die Demokratie kann nur als soziale Demokratie Der zweite Grund ist ein verteilungspolitischer: Die überleben. Aber Sie haben das Wo rt „sozial" so sehr Tarifverträge erhalten neue Handlungsräume und aus den Erfahrungen der Menschen getilgt, daß die Gestaltungsmöglichkeiten. Demokratie selbst in Gefahr geraten kann. Der dritte Grund ist ein sicherungspolitischer: Die (Beifall bei der PDS) Solidarsysteme werden durch p rivates Eigentum er- gänzt. An dieser negativen Erfahrung von Millionen Men- schen werden Sie mit Ihrem angeblichen Vermö- (Beifall bei der CDU/CSU) gensbeteiligungsgesetz nichts ändern, im Gegenteil: Hinter allen drei Gründen verbirgt sich eine Vor- Dieser Entwurf ist angesichts der bestehenden sozia- stellung davon, wie die Gesellschaft der Zukunft len Spaltung nicht nur unzureichend; er ist eine Pro- aussehen soll. Karl Marx hat den Arbeitsvertrag als vokation. Tauschvertrag attackiert, der die Arbeit zur Ware de- (Beifall bei der PDS) gradiert. Nun wird niemand bestreiten, daß sich der Arbeitsvertrag inzwischen weiterentwickelt hat, daß er Sozialbezüge aufgenommen hat. Aber in seiner Das Wort hat jetzt Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Grundstruktur ist er immer noch ein Tauschvertrag: der Arbeitsminister Norbe rt Blüm. Arbeit für Lohn oder Lohn für Arbeit. Eine Gesell- schaft von Miteigentümern würde den Arbeitsvertrag Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und zu einem echten Gesellschaftsvertrag weiterentwik- Sozialordnung: Frau Präsidentin! Meine Damen und keln. Das ist die Überwindung dessen, was Karl Herren! Da Parlamentsdebatte auch Dialog ist, will Marx attackie rt hat. Das ist unser Ziel. ich gleich mit einer Rückfrage an Ihre Rede, Herr Kollege Müller, anschließen. Wieviel Beteiligung am (Beifall bei der CDU/CSU) Produktivkapital hatten die Arbeitnehmer in der In unserer Gesellschaft wird immer nach Visionen DDR? gefragt. Wahrscheinlich ist der Bedarf an Visionen (Wolfgang Vogt [Düren] [CDU/CSU]: Null!) um so größer, je härter die Sachzwänge werden. - Ja, null. Sie waren so beteiligt, wie ich früher an der (Ottmar Schreiner [SPD]: Je näher der Deutschen Bundesbahn beteiligt war. Da war ich Wahlkampftermin, desto größer die Vision!) auch Miteigentümer. - Langsam! Sie haben sich heute doch als Antipole- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU - miker geoutet. Bleiben Sie doch Ihrem eigenen guten Ottmar Schreiner [SPD]: Beim Finanzamt!) Vorsatz treu! - Ich finde, daß gerade in Zeiten großer Zwänge Phantasie gefragt ist. Die Phantasie, neue - Oder beim Finanzamt. Da bin ich auch Miteigentü- Handlungsfelder für eine freiheitliche Gesellschaft mer. zu finden, landet oft im Nirwana der Utopie. Oder es Ich muß das Thema 1. Mai kurz aufgreifen. Liebe gibt Resignation: Jeder sorgt für sich selber. Was wir Kolleginnen und Kollegen, ich sage als jemand, der hier vorschlagen, ist nicht die abstrakte Vision eines seit 50 Jahren Mitglied der IG-Metall ist, also Beitrag Paradieses, noch ist es die Politik „Jeder sorgt für zahlt: Für die 8 Millionen DM, die der DGB für den sich selber", sondern die konkrete Utopie einer Ge- Wahlkampf einsetzt, hätte ich drei bessere Vor- sellschaft der Beteiligten. schläge: Erstens. Die Betriebsrente der DGB-Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schäftigten nicht abbauen. Wir müssen, Schritt für Schritt das Projekt der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Be- teiligtengesellschaft verwirklichen. Beteiligtenge- Zweitens. Nicht 600 Arbeitsplätze abbauen und dann sellschaft ist auch im Zeitalter der Globalisierung ein Einstellungen verkünden. wichtiges Ziel. Jener Standort wird die besten Vor- aussetzungen haben, dessen Arbeitnehmer am stärk- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sten motiviert sind. Miteigentum ist auch eine Moti- Drittens. Wenn dem DGB gar nichts mehr einfällt, vationsgrundlage. sollte der DGB Lehrlinge einstellen. Karl Marx hat die klassenlose Gesellschaft verkün- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) det, Ludwig Erhard hat die klassenlose Gesellschaft zum Ziel erklärt. Sie hatten nur zwei unterschiedliche Nun zum Thema Vermögensbildung. Meine Da- Wege. Die klassenlose Gesellschaft nach Karl Marx men und Herren, für mich ist das Gesetz mehr als nur bedeutet: Keiner hat Eigentum. Die klassenlose Ge- ein Gesetz über Geld, Zulagen und Einkommens- sellschaft Ludwig Erhards bedeutet: Jeder hat Eigen- grenzen. Dieses Gesetz hat für mich drei wichtige tum. Das ist der Unterschied. Gründe. Der erste ist ein ordnungspolitischer Grund: Eine Arbeitnehmergesellschaft zur Gesellschaft der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Beteiligten weiterzuentwickeln ist der Sinn der Betei- ligung der Arbeitnehmer an der Vermögensbildung. Damit wir uns darüber nicht streiten, will ich zur Verteilungsgerechtigkeit feststellen, daß die Vermö- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21337

Bundesminister Dr. Norbert Blüm nicht befriedigend ist. Die Zahl hinsichtlich des Pro- diese erhöhte Förderung bis zu 800 DM in Anspruch duktivkapitals ist genannt worden: 3 Prozent besit- nehmen. Für die neuen Länder gilt ein höherer zen 80 Prozent des Produktivkapitals. Das kann nicht Höchstbetrag - eine Folge der DDR-Wirtschaft: Der das Spiegelbild von Leistungsgerechtigkeit sein. Sozialismus hat in bezug auf Eigentum Arbeitnehmer mit leeren Händen hinterlassen. Das ist das Ergebnis Ich will festhalten, daß wir nicht rückwärts mar- des Sozialismus. schiert sind: 1962 hatten 38 Prozent der westdeut- schen Haushalte Grundvermögen; heute sind es 50 (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Prozent. 1962 traf dies auf 31 Prozent der Arbeitneh- mer zu; heute gilt es für 52 Prozent. Die Hälfte der Ich habe als Punkte bis jetzt genannt: Ordnungs- privaten Haushalte besitzt Wertpapiere. Das ist alles politik - Gesellschaft der Beteiligten; Verteilungspoli- kein Grund, um zufrieden zu sein. Aber ich will, wie tik - neue Spielräume für die Tarifpartner, neue der Kollege Vogt, darauf aufmerksam machen: Als Chancen für die Gerechtigkeit. Der dritte Punkt ist: wir 1982 die Regierung übernahmen, waren 2 Pro- soziale Sicherheit. zent der vermögenswirksamen Leistungen im Beteili- gungssparen angelegt; heute sind es 10 Prozent. Das unverzichtbare Solidarsystem kann und muß durch private Vorsorge ergänzt werden. Eigentums- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Richtig!) bildung - Beteiligung am Produktivvermögen, Woh- Das ist immer noch zuwenig, aber wir sind einen nungseigentum - ist eine elementare Ergänzung der Schritt vorangekommen. Größere Schritte müssen Solidarsysteme. Ein Rentner mit einer eigenen Woh- folgen. nung steht sich besser als ein Rentner ohne eigene Wohnung, weil er keine Miete zahlen muß, selbst (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU wenn der ohne eigene Wohnung eine höhere Rente sowie des Abg. Dr. hat. Das ist ganz handfest! [F.D.P.]) (Ottmar Schreiner [SPD]: Eins plus eins ist Solange die Tarifpolitik nur den konsumtiven Teil des volkswirtschaftlichen Ergebnisses ins Auge faßt, drei!) ist sie immer zweiter Sieger. Da kann sie machen, Hinzukommen müssen eine bet riebliche Altersver- was sie will. Wenn sie den Spielraum überschreitet, sorgung und eine private Altersvorsorge. Wir wollen kommt es entweder zu Preissteigerungen oder zu in der nächsten Legislaturperiode auch dieses Feld Entlassungen. Eine Tarifpolitik ohne investive Betei- ordnen. Hätten wir die Steuerreform durchgebracht, ligung ist ein gefesselter Riese: Er ist entweder gefes- hätten wir es jetzt schon machen können. Es ist nicht selt durch das Bestreben, Inflation zu vermeiden - an uns gescheitert. Die Grundidee ist: Sparen nicht was haben Arbeitnehmer von Lohnerhöhungen, die nur für den Konsum. Es sei jedem gegönnt, daß er für durch Preissteigerungen wieder aufgefressen wer- ein Auto spart . Nur, zur Alterssicherung trägt das den? -, oder er ist gefesselt durch die Gefahr sinken- - Auto nicht bei. der Beschäftigung. Insofern ist dieser Gesetzentwurf auch ein Angebot (Ottmar Schreiner [SPD]: Einem Rentner mit an die Tarifpartner, neue Chancen zu nutzen. Die Ta- Auto geht es besser als einem Rentner ohne rifpolitik wird auf den alten Gleisen nicht mehr so Auto!) spektakulär verlaufen. Neue Spielräume schaffen Es muß auch für die Sicherheit im Alter gespart wer- auch eine neue Akzeptanz der Tarifpolitik und zei- den - Sicherheit, die nicht nur auf Arbeitnehmer be- gen, daß wirtschaftliche Notwendigkeiten und so- schränkt bleiben darf, sondern für alle Bürgerinnen ziale Erfordernisse keine Gegensätze sind, daß dieses und Bürger anzustreben ist. Gesetz den Unternehmen helfen - Verbreiterung der Kapitalbasis - und genauso Arbeitnehmern zugute Die Einkommensgrenzen werden erhöht, wobei kommen wird. ich darauf aufmerksam mache, daß sich die Einkom- Ein Investivlohn könnte auch das überwinden, mensgrenzen, die genannt wurden - für Verheiratete was Oswald von Nell-Breuning einmal den „Abfin- steigt die Grenze von 54 000 auf 70 000 DM -, auf das dungslohn" genannt hat. Eine investive Ertragsbetei- zu versteuernde Einkommen beziehen, so daß die ligung könnte auch die Lohnpolitik mit neuen Chan- Bruttobeträge höher sind, nämlich jetzt 41 000 DM cen versehen. Ein Festlohn, der im voraus vereinbart für Alleinstehende bzw. 80 000 DM für Verheiratete. wird, und daneben ein ertragsabhängiger Investiv lohn - das wäre ein Kombi-Lohn ganz neuer A rt und Meine Damen und Herren, wir müssen die Diskus- würde die Ängste beider Seiten, über den Tisch ge- sion von der Höhe der Philosophie wieder auf den zogen zu werden, entkrampfen. Also, wer sagt, wir Boden der Tatsachen bringen. hätten keine Ideen? Das ist eine neue Idee. Nur brau- (Lachen und Widerspruch bei der SPD) chen wir nicht diejenigen, die Ideen besprechen, sondern diejenigen, die sie umsetzen. - Reizen Sie mich nicht! Sie sind doch die Partei der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ideologie. Bringen Sie den Schröder einmal auf den Boden der Tatsachen zurück! Der ist doch Tag und Für jährlich bis zu 800 DM erhöhen wir die Förde- Nacht in Wolkenkuckucksheim daheim. rung des Beteiligungssparens auf 20 Prozent. Hier setzen wir einen Akzent. Tarifverträge, die auf Bau- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sparen und Beteiligungssparen abstellen, können und der F.D.P.) 21338 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Bundesminister Dr. Norbert Blüm Ich versuche hier, die hohen Absichten in handfe- ständigkeit bedeutet auch, Miteigentümer zu werden ste Ergebnisse umzuwandeln: 800 DM Höchstbetrag und nicht immer auf andere angewiesen zu sein. In- mit 20 Prozent Förderung würden nach sieben Jah- sofern glaube ich, daß es ein Beitrag zur Weiterent- ren 7 000 DM, nach 25 Jahren - 6 Prozent Zinseszins wicklung unserer Gesellschaft ist. mit eingerechnet - 50 000 DM ergeben. Das ist ein Schritt - ich sage nicht, die Lösung aller Probleme - Der Sozialismus ist passé. Aber es wäre ein Trug- im Sinne von Fortschritt. Konkret ist es nicht die schluß, jetzt vom Ende der Geschichte zu sprechen. heiße Luft Ihrer Erklärungen, sondern handfester (Ottmar Schreiner [SPD]: Jetzt geht's nach Fortschritt. Alaska!) Kollege Schreiner, wenn Sie das Gesetz mit über Es wäre auch ein Irrtum, zu glauben, unsere Ge- einer Milliarde DM Förderung durch den Staat ab- sellschaft würde nicht unter Rechtfertigungszwän- lehnen, dann müssen Sie den Arbeitnehmern erklä- gen stehen - Rechtfertigungszwänge einer freien ren, warum Sie auf eine Milliarde DM verzichten - und gerechten Gesellschaft. nur damit der CDU/CSU-F.D.P.-Vorschlag nicht durchkommt. Ich will auch Wolfgang Vogt danken. Er hat von den „großen Bohrern" gesprochen. Ich hoffe, Wolf- Wenn Sie das machen, auf eine Milliarde DM zu gang Vogt, daß wir auch in der nächsten Legislatur- Lasten der Arbeitnehmer verzichten, dann sagen Sie periode kräftige Mitkämpfer haben, so wie du einer noch einmal, wir würden Wahlkampftaktik machen! warst, für eine gerechte Gesellschaft, für eine Gesell- Dann sind Sie nämlich diejenigen, die um der Kon- schaft der Mitbeteiligten. Ich bin wie du stolz darauf, frontation willen einen Fortschritt für die Arbeitneh- daß die Idee des Miteigentums eine ureigene Idee mer verhindern. Das tragen wir dann aus. der christlichen Soziallehre ist: nicht im Himmel und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) im Jenseits, sondern hier und jetzt. Insofern ist das ein guter Tag, auch für die christlich-soziale Bewe- Was die Steuerfreistellung anbelangt - ein großes, gung. kompliziertes Thema -, kann ich den sozialpoliti- schen Sinn nicht erkennen, wenn man die Lohnsteu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) erpauschale auf das Beteiligungssparen ausdehnt, denn von der Lohnsteuerpauschale haben die hö- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer heren Einkommensbezieher etwas. Ich habe ja nichts Kurzintervention hat der Abgeordnete Manfred Mül- dagegen. Nur, wer wie Sie und wie ich auch an dieje- ler. nigen denkt, die nicht aus eigener Kraft Vorsorge schaffen, der muß doch den Akzent bei anderen set- zen, bei der Verkäuferin mit 1 800 DM Monatslohn. Manfred Müller (Berlin) (PDS): Herr Minister! Ich Da hilft auch nicht die Rede von der Selbstvorsorge. sage ausdrücklich als Gewerkschafter: Lieber Kol- Sie muß unterstützt werden, damit sie selbst auch - lege Blüm! Sie haben mich dafür kritisiert, daß ich vorsorgen kann. mich nicht mit der Eigentumsverteilung in der frühe- ren DDR befaßt habe. Das war heute nicht Aufgabe, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sondern ich als Mitglied eines Teils der Opposition in So habe ich übrigens Subsidiarität immer verstan- diesem Hause habe mich mit dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung aus- den. Das wird manchmal mit Eigenvorsorge über- einandergesetzt. Aber ich würde Ihnen raten, Herr setzt. Das halte ich für einen Kurzschluß. Minister, diesen Hinweis auf die Verteilung in der „Hilfe zur Selbsthilfe" - Subsidiarität stammt von früheren DDR, auf den Anteil der Arbeitnehmer an dem Begriff „subsidium" ab. Diejenigen zu unter- ihren Betrieben, nicht so hämisch zu sehen. stützen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen, das ist ein Gebot der Subsidiarität. Das ist Ziel dieses Ge- Ich war vor drei Wochen auf einer Betriebsver- setzes und sicherlich auch der steuerlichen Maßnah- sammlung von ABB, einem der wenigen Industriebe- men, die wir hoffentlich in der nächsten Legislatur- triebe in meinem Wahlkreis. Die produzieren Turbi- periode - in dieser haben wir es nicht geschafft - nen für den Weltmarkt. Früher hießen sie Bergmann- schaffen werden. Borsig, dann war es ein volkseigener Bet rieb. 1990 waren noch 4 500 Menschen do rt beschäftigt, und die (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Produkte waren auf dem Weltmarkt konkurrenzfä- DIE GRÜNEN]: Amen!) hig. Die Belegschaft gehörte zu den ersten, die ge- sagt haben: Wir wollen jetzt soziale Marktwirtschaft. - Sie brauchen nicht amen zu sagen, Herr Fischer, es Sie haben sich selber um einen westdeutschen oder wäre gut, wenn Sie ja sagen würden. Amen brau- westeuropäischen Investor bemüht. Sie fanden ihn in chen Sie nicht zu sagen, ja müssen Sie sagen! ABB. ABB hat allerdings mehrere Produktionsstätten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - nicht nur in der übrigen Welt, sondern auch in Deutschland. Eine Kultur der Selbständigkeit begreife ich nicht nur arbeitsrechtlich, finanz- und steuerrechtlich. Ich Kurz nach Weihnachten haben nun die Arbeitneh- begreife sie als eine Kultur des Selbstbewußtseins mer aus der Presse erfahren, daß zugunsten des von jedermann, daß er oder sie Herr seiner eigenen Standorts Mannheim die Produktion in Berlin einge- Lage ist. Das ist nicht nur eine wi rtschaftliche Kate- stellt werden soll. Wenn Sie eine derartige Äußerung, gorie. Selbständigkeit der Arbeitnehmer in Bet rieben wie Sie sie hier mir gegenüber vorgebracht haben, bedeutet, Mitverantwortung zu übernehmen. Selb auf dieser Betriebsversammlung gemacht hätten, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21339

Manfred Müller (Berlin) dann hätten Sie von denen gehört: Bevor wir den gehen könne, weil der Konsens in dieser Gesellschaft letzten Menschen aus der Produktion entlassen müs- zerstört wird, meine Damen und Herren. sen, setzen wir uns lieber mit einer Verbesserung der Zustände auseinander, die wir früher in der DDR hat- (Beifall bei der SPD) ten. Wir hatten in der DDR Arbeit, wir hatten soziale Hier liegen für mich die größten Probleme über- Sicherheit, wir hatten eine Perspektive. haupt, wenn wir über Vermögensbildung in Arbeit- Wenn Sie das in Gegensatz zu den Eigentumsver- nehmerhand reden. hältnissen stellen, wird möglicherweise die Diskus- Des weiteren hat Norbe rt Blüm auf Gerhard Schrö- sion neu beginnen, ob diese Gesellschaftsordnung der verwiesen, und er wurde durch sechs Worte von hier überhaupt noch geeignet ist, die Bedürfnisse der ihm völlig durcheinandergebracht. Erst sagte Schrö- Menschen, die Arbeit haben und Arbeit haben wol- der: „Wir sind bereit!" Da waren Sie schon ganz er- len für sich und ihre Kinder, zu befriedigen. Dann schrocken. Dann hat er noch etwas aus Ihrer Sicht wird diese Diskussion ein ganz anderes Ergebnis ha- ganz Schlimmes gesagt: „die neue Mitte". Da sind ben, als es die Menschen in der DDR 1989 für sich Norbert Blüm und die F.D.P. fast verrückt geworden. gefunden haben. Da wäre ich also nicht so hämisch, wie Sie es heute mir gegenüber zu sein versucht ha- (Dr. Norbe rt Blüm [CDU/CSU]: Ich bin doch ben. ganz ruhig!) (Beifall bei der PDS) Ich erwähne diese sechs Worte nur, weil sie zeigen, wohin die Sozialdemokraten wollen und was sie auch auf dem Felde der Vermögensbildung gestalten Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister. wollen. Das alles sind praktische Vorschläge, die mit Ideologie überhaupt nichts zu tun haben. Bundesminister für Arbeit und Dr. Norbert Blüm, (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Nein, natürlich Sozialordnung: Herr Kollege Müller, Sie stimmen mir nicht!) doch zu, daß im Geheimbericht der SED im Oktober 1989 stand, daß die DDR-Wirtschaft - einschließlich Nehmen wir die Ausgangslage, wie sie uns gegen- der Betriebe, die Sie genannt haben - vor dem Bank- wärtig berichtet wird: In einer Pressemitteilung heißt rott stehe. Insofern wäre es mit der Beschäftigung in es: der DDR nicht so weitergegangen, weil das ganze System ruiniert war. Der große Teil der deutschen Arbeitnehmer hat in der jüngsten Vergangenheit wenig Anlaß zum Weil wir eine Gesellschaft der Mitte einführen, Lachen. weil wir nicht wollen, daß ein paar Aktionäre allein über Betriebe entscheiden, gerade deshalb sind wir Dieser Satz stammt nicht etwa von den Gewerkschaf- für eine Gesellschaft der Beteiligten. Das ist der Un- ten, sondern vom arbeitgebernahen Institut der deut- terschied zum alten Kapitalismus. schen Wirtschaft. Dann wird festgestellt: Tatsächlich sorgt die staatliche Umverteilungspolitik dafür, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bei den Arbeitnehmern zuletzt aus einem kleinen Plus von 0,9 Prozent beim Bruttolohn netto ein Minus von 0,4 Prozent wurde. Dagegen stiegen die Ge- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster in der Debatte der Kollege Hans Urbaniak. winne der Unternehmen laut Deutschem Gewerk- schaftsbund um fast 11 Prozent.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Frau Präsidentin! Diese Tatbestände müssen Sie als Ergebnis Ihrer Meine Damen und Herren! Minister Blüm hat den Politik zur Kenntnis nehmen. Gegen diese Politik Deutschen Gewerkschaftsbund angegriffen wegen muß man doch ankämpfen; denn Sie treffen damit seiner Aktion im Kampf um soziale Gerechtigkeit die breiten Schichten der Bevölkerung und insbeson- und der Aufforderung, sage ich mal - man sollte sich dere die Arbeitnehmer, die ja zusammen mit ihren das Plakat genau ansehen -, den Koalitionsfraktio- Gewerkschaften bereit waren, das „Bündnis für Ar- nen und der Bundesregierung die Zähne zu zeigen. beit" mit Ihnen einzugehen, das Sie so schmählich Denn was sollen die denn eigentlich anderes ma- zerstört haben. Wer ein solches Bündnis in Frage chen! stellt, kann nicht erwarten, daß er von den Gewerk- schaften bejubelt wird. Das Gegenteil ist der Fall. Sehen Sie sich die Situation in unserem Lande an: die meisten Sozialhilfeempfänger, die es jemals ge- Es ist auch richtig, daß sich die Leute wehren, da- geben hat, die höchste Arbeitslosigkeit, die negativ- mit der staatliche Abbau von Sozialleistungen und ste Entwicklung bei den Nettolöhnen, ein Pleitenre- die ungerechte Verteilung von Produktivvermögen kord, den - leider, sage ich - die Sachverständigen nicht mehr so weitergehen können. Dafür werden für 1998 voraussagen, Zunahme der Armut, das Pro- wir als Sozialdemokraten in der kommenden Legisla- blem der Langzeitarbeitslosigkeit wird nicht gelöst, turperiode sorgen. Hoffnungslosigkeit breitet sich aus, Jugendarbeitslo- (Beifall bei der SPD) sigkeit als drängendes Problem, Ausbildungsplatz- defizit und eine Steuerreform, die auch noch die Be- In der 12. Legislaturperiode haben wir bereits ei- lastung von Nacht- und Sonntagsarbeit bei den Ar- nen Entwurf für eine Vermögensbildungsstrategie beitnehmern vorsieht. Da muß doch eine Gewerk- vorgelegt; er war insbesondere auf die neuen Länder schaft protestieren und sagen, daß es so nicht weiter- bezogen, weil dort der Neuaufbau der Wirtschaft zu- 21340 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Hans-Eberhard Urbaniak nächst mit einer überfälligen Demontage beginnen eine Bürgschaft von 1 Milliarde DM gestützt. Dazu mußte. Hier wäre es sinnvoll gewesen, an dem zur war sie nicht verpflichtet - Lahnstein war damals Fi- Verfügung gestellten Kapital auch die Arbeitnehmer nanzminister -, aber es ist gemacht worden. zu beteiligen. Sie von der Regierungskoalition haben in der 12. Legislaturperiode diesen Entwurf nicht auf- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und wie gegriffen und das Gespräch mit uns überhaupt nicht ist das bei der Preussag?) gesucht. Hätten wir zu dem Zeitpunkt keine Insolvenzrege- Wir haben am 13. März 1996 weitere Vorschläge lung gehabt, wäre es knüppeldick gekommen. Die eingebracht. Erst danach haben Sie im Jahr 1997 - Parteien und Fraktionen waren sich klar darüber, daß recht spät - Ihren Vorschlag dem Bundestag vorge- es dann, wenn die Unternehmer dies nicht selber legt. Wir waren sofort bereit, mit den Koalitionsfrak- über ihren Pensionsverein machen, gesetzlich gere- tionen und der Bundesregierung zu debattieren, da- gelt werden muß. Dann wurde es vernünftigerweise mit wir auf einer vernünftigen Grundlage in der gemacht, und es funktioniert. Das würde selbstver- Frage der Verteilung des Produktivvermögens voran- ständlich auch hier bei der Regelung der Vermögens- kommen. bildung funktionieren. Darum sage ich: Diese Ele- mente sind für uns ganz wichtige Voraussetzungen. Aber alle Anregungen, die wir auch bei den Aus- Das ist die Grundlage dafür, um auf diesem Gebiet schußberatungen gegeben und gerade in der letzten entscheidend voranzukommen. Woche noch einmal besonders betont haben, haben Sie ignoriert. Sie haben eine große Chance vertan, (Beifall bei der SPD) um dieses drängende Problem bezüglich des Produk- tivvermögens in Arbeitnehmerhand so anzupacken, Ich möchte an dieser Stelle auch Philip Rosenthal daß es in den kommenden Jahren gelöst werden für seine vielen Aktivitäten danken, könnte. Die Verantwortung hierfür liegt bei den Ko- (Beifall bei der SPD - Dr. Norbe rt Blüm alitionsfraktionen. [CDU/CSU]: Das ist wahr!) (Beifall bei der SPD - Ottmar Schreiner der die beiden Punkte unter „Haben" und „Sagen" [SPD]: Leider wahr!) dargestellt hat: Wir haben - das wissen Sie ganz genau - zwei (Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Ein bedeu wichtige Punkte in die Debatte eingebracht. Der er- tender Mann!) ste Punkt sind die Tariffonds. Der Deutsche Gewerk- schaftsbund hat diese Tariffonds gefordert. Auch von „Haben" in der Form der Vermögensbildung und einigen Sachverständigen sind die Tariffonds be- „Sagen" in der Form der Mitbestimmung. Diese pari- grüßt worden. Wenn man Tarifverträge entsprechend tätische Mitbestimmung verfolgen wir weiter. Sie ist gestaltet, bekommt man eine breite Streuung und auch notwendig, um der Machtkonzentration im - kann aus diesen Fonds Kapital für Investitionen zur Bankwesen, in der Indust rie und im Versicherungs- Verfügung stellen. wesen entgegenzutreten. Auch in diesem Punkt muß in den Aufsichtsräten geteilt und das Element der Ar- Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat diesen beitnehmerbeteiligung ganz entscheidend mit einge- Punkt auf der Fachkonferenz am 24. September 1997 führt werden. besonders herausgestellt. Sie haben die Einrichtung der Tariffonds leider verwehrt, obwohl uns gesagt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) worden ist, daß Sie bei der Beratung mit den Ge- werkschaften über Elemente einer Steuerreform ge- Ich weise noch einmal auf Philip Rosenthal hin, der sagt haben: Wir sind bereit, in dieser Frage auf Sie diese beiden Punkte besonders herausgestellt hat. zuzukommen. Also muß es in den Koalitionsfraktio- Ich danke aber auch der IG Chemie, die so bei- nen einen Schuldigen geben, der dies sabotiert hat. spielhafte Arbeit geleistet hat, um auf diesem Ge- Das kann nur die F.D.P. sein. Dies ist klar. Dies wer- biete voranzukommen. den Sie auch nicht bestreiten. Ich habe heute morgen gehört, wie man in diesem Punkt einlenken möchte. (Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Richtig!) Dies sind schon andere Töne, als wir sie bei Ihnen seinerzeit gehört haben. Schließlich danke ich Schorsch Leber, der durch die ersten Tarifverträge die Voraussetzungen erst einmal Der zweite Punkt: Wir haben die Insolvenzsiche- geschaffen hat, diese Dinge zu entwickeln. rung verlangt. Viele von uns können sich daran erin- nern, wie es beim Betriebsrentengesetz war. Es (Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der mußte neu gestaltet werden. Erstens war es notwen- CDU/CSU) dig, die goldene Kette abzuschlagen. Das ist erreicht worden. Herr Kollege Vogt, Sie wissen, wie wir sei- Herr Kollege Vogt, Sie sprachen von der Pa rtner- nerzeit darum gekämpft haben. Zweitens stellte sich schaft. Das ist ganz selbstverständlich. Die Tarifpar- die Frage: Wie sichern wir im Falle des Konkurses ei- teien gehen immer in Gegnerschaft aufeinander zu, nes Unternehmens die Ansprüche der Arbeitnehmer, wenn sie verhandeln müssen. Am Ende steht der Ta- eine Betriebsrente zu beziehen? rifvertrag, der aus der Pa rtnerschaft heraus gestaltet worden ist. Genau diese Pa rtnerschaft ist Grundlage Für einen solchen Zusammenbruch gibt es ein unserer Gesellschaftsordnung; denn wenn die Aus- ganz gravierendes Beispiel, das der AEG. Die dama- einandersetzung zwischen den unterschiedlichen La- lige Bundesregierung hat das Unternehmen durch gern ohne Kompromißbereitschaft geführt würde, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998 21341

Hans-Eberhard Urbaniak wenn es Spitz auf Knopf steht, dann wäre das eine Kurzformel: Eigentum für jeden mit dem Ziel einer schlimme Sache. Gesellschaft von Teilhabern. Ich hoffe auch, daß wir auf dem Felde des Investiv- Wir haben aber alle erfahren, daß die Vermögens- lohnes vorankommen. Hier liegt eines der allergröß- bildung seit der Wiedervereinigung in nahezu dra- ten Probleme. Denn wenn für die Gewerkschaften matischer Weise an Aktualität gewonnen hat. Die Tariffonds gesetzlich geregelt werden - für die Ar- Konzentration des Produktivkapitals in den Händen beitgeber übrigens auch - und die Pleitenregelung weniger hat sich leider weiter verstärkt. durch die Einrichtung, die wir wünschen, ebenfalls vernünftig geregelt werden kann, dann müssen die (Dr. Uwe Küster [SPD): Wer hat denn dafür Gewerkschaften mit ihren Mitgliedern selber über- gesorgt?) einkommen, daß ein Teil des Lohnes in die Fonds Das vorliegende Gesetz ist für mich auch ein Be- eingezahlt wird. weis dafür, daß es sich lohnt, nicht nur aktuelle Ta- Das ist kein einfacher Prozeß. Darüber sind wir uns gespolitik zu machen. Ich meine, für die Fortent- im klaren. Aus diesem Grunde können wir nur Vor- wicklung unserer sozialen Marktwirtschaft als Ge- schläge für die Gestaltung von Rahmenbedingungen sellschaftsordnung sind auch langfristige Visionen machen. Leider haben Sie unsere Vorschläge nicht möglich, und heute wird eine solche Vision Wirklich- aufgegriffen. Der Boden für die Vermögensbildung keit. in Arbeitnehmerhand ist nicht fruchtbar, weil Ar- (Vorsitz : Vizepräsidentin Michaela Geiger) beitslosigkeit und Armut sich leider ausweiten. Das sind keine guten Grundlagen, um auf diesem Felde In aller Bescheidenheit möchte ich auch auf die weiterzukommen. Wir gehen aber davon aus, daß die Kampagne 1997 „Investivlohn jetzt" der Aktionsge- Impulse und die Dynamik nach dem 27. September meinschaft christlich-sozialer Verbände eingehen. dieses Jahres kräftig zunehmen werden und diese Ich danke ihnen, Kolping, KAB, den christlich-sozia- Ungerechtigkeiten ein Ende haben werden. len Gewerkschaften und unseren eigenen Organisa- tionen, CDA und CSA, daß sie damit einen wichtigen (Beifall bei der SPD - Dr. Norbe rt Blüm Beitrag zur Bildung eines öffentlichen Bewußtseins [CDU/CSU]: Das war ein Sturmangriff mit für diese Maßnahme geleistet haben. Platzpatronen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Jetzt hören wir den Kollegen Peter Keller. Das vorliegende Gesetz ist ein Meilenstein in der Fortentwicklung der sozialen Pa rtnerschaft, Peter Keller (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine (Dr. Uwe Küster [SPD]: Ein Kieselsteinchen! lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich - Ein Sandkörnchen! - Gegenruf von der trotz mancher Polemik mit einer ganz persönlichen CDU/CSU: Nur kein Neid!) Bemerkung beginnen. Ich beschäftige mich seit mehr als 30 Jahren politisch mit der Vermögensbil- von der heute viel die Rede war, zu einer Kapitalpart- dung, besonders mit dem Investivlohn. Deshalb - nerschaft. Ich halte diese Frage für ungemein wich- das möchte ich öffentlich feststellen - freue ich mich, tig. Denn nach einer Umfrage des Allensbach-Insti- daß wir heute mit dem Dritten Vermögensbeteili- tuts meinten 1997 gegenüber 1980 - der Wandel ist gungsgesetz ein weiteres Stück deutscher Sozialge- also innerhalb von 17 Jahren eingetreten - mehr als schichte schreiben. doppelt so viele der Befragten, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Grunde völlig unvereinbare Inter- (Beifall bei der CDU/CSU) essen hätten und daß es daher richtig sei, von Klas- Ich möchte an eine der geschichtlichen Wurzeln senkampf zu sprechen. Diese Umfrage, die gezeigt der Vermögensbildung erinnern. Der Gedanke der hat, daß heute das Verhältnis von Arbeitnehmern zu Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand ist eine ur- Arbeitgebern mehrheitlich nicht mehr partnerschaft- alte Idee der christlichen Soziallehre. Schon der Ar- lich, sondern klassenkämpferisch gesehen wird, hat beiterbischof Ketteler hatte der entstehenden christli- mich nachdenklich gemacht. Diese Einschätzung chen Arbeiterbewegung in der Mitte des letzten spiegelt eine gefährliche Polarisierung wider, die so- Jahrhunderts diese Idee mit auf den Weg gegeben. zialen Sprengstoff in sich birgt. Er stellte einen Zusammenhang zwischen der Beteili- Wir müssen daher alles daransetzen, dieses „böse gungsidee, Fragen der Lohnpolitik und der sozialen Bild" des Kapitalismus zu durchbrechen. Wir müssen Gerechtigkeit her. Ketteler sagte, es sei „unbillig", bewußtmachen, daß in der sozialen Marktwirtschaft wenn das Ergebnis des Zusammenwirkens von Kapi- zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer durchaus tal und Arbeit „ausschließlich dem toten Kapitale eine umfassende und ausbaufähige Interessenver- und nicht auch dem verwendeten Fleisch und bundenheit besteht. Deshalb meine ich, daß gerade Blute "- ich bitte das als Ausdrucksweise der damali- eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am Pro- gen Sprache zu verstehen -, das heißt dem Arbeiter duktivvermögen ein geeignetes Mittel ist, diesem zufalle, denn er „verarbeitet täglich gleichsam ein Trend entgegenzuwirken. Stück seines Lebens", meinte der Bischof im Jahre 1864. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch der Vater der sozialen Marktwirtschaft, Lud- Denn wer am Unternehmenserfolg beteiligt ist, zum wig Erhard, bündelte seine Zielvorstellung in der Beispiel durch Aktien, hat ähnliche Interessen wie 21342 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Peter Keller der Arbeitgeber. Diese Erfahrung - die mir genauso Wirtschaft, Finanzen und Haushalt stemmten sich so- wichtig ist, wie dicke Bücher zu lesen - habe ich als gar ausdrücklich dagegen, angeblich, weil es zu Arbeitnehmer vor über 30 Jahren in einem großen teuer sei, obwohl der eigene SPD-Antrag mehr geko- Betrieb selbst machen können. stet hätte als der unsrige. (Bernd Reuter [SPD]: Er hat das Klassenbe (Ottmar Schreiner [SPD]: Das ist falsch!) wußtsein verloren!) - So habe ich es gelesen. - Das ist ja fast eine Beleidigung. (Ottmar Schreiner [SPD]: Wieder falsch ge Der Durchbruch in der Vermögensbildung ent- lesen!) spricht auch dem heutigen Selbstverständnis der Ar- Ich frage mich daher: Wird der Bundesrat - das ist beitnehmer. Wer als Arbeitgeber die Identifikation die spannende Frage - das Gesetz gegen die Wand der Arbeitnehmer will, muß neue Formen der Zusam- fahren? Heißt das, daß die Arbeitnehmer von der menarbeit, der Mitwirkung und vor allem auch der SPD in Sachen Vermögensbeteiligung keine Unter- Beteiligung am Unternehmenserfolg schaffen. stützung zu erwarten haben? Oder, so frage ich wei- (Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Bravo!) ter, geht es wieder einmal nur um Wahlkampf, lieber Kollege Schreiner? Es ließen sich weitere große Vorteile nennen. Ich nenne bloß ein paar Schlagworte: Die Verteilungs- (Zurufe von der SPD) konflikte werden entschärft; das ist ein Beitrag zum Ich möchte die SPD vor einer durchsichtigen Blocka- sozialen Frieden. Das tarifpolitische Spektrum wird detaktik nur warnen. Dies wäre gerade vor dem qualitativ erweitert, und die Flexibilisierungsspiel- 1. Mai ein Verrat an den Interessen der Arbeitnehmer räume für den Flächentarifvertrag werden vergrö- und auch der Arbeitslosen. ßert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Reinhard Mohn, der Vorstandsvorsitzende der Ber- Ottmar Schreiner [SPD]: Wer hat uns verra telsmann-Stiftung, hat dieser Tage in einem A rtikel ten? Christdemokraten!) die These vertreten - so wörtlich -, Das Gesetz sollte und muß jetzt umgehend verab- daß die Leistungsverbesserung eines Bet riebes schiedet werden, damit es bereits für die 99er Tarif- durch Mitarbeiterbeteiligung im Rahmen der Un- runden genutzt werden kann. Es öffnet neue Wege ternehmenskultur zu finanziellen Vorteilen füh- und Türen in der Tarifpolitik, die dringend notwen- ren wird, welche den entstehenden Aufwand um dig sind. Wir setzen jedenfalls alles daran, daß dieses ein Vielfaches übertreffen. Gesetz schnell Wirklichkeit werden kann. (Zuruf von der CDU/CSU: Recht hat er!) (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Über den - Vermittlungsausschuß!) Anders ausgedrückt: Mitarbeiterbeteiligung lohnt sich, auch für den Gewinn des Unternehmers. Beide Was die SPD bezweckt, wisen wir nicht, das weiß haben etwas davon. nur sie allein. Was wir wollen, (Beifall bei der CDU/CSU) (Ottmar Schreiner [SPD]: Das weiß auch niemand!) Ich stelle dazu fest: Nicht nur die Vertreter der Ar- beitnehmerinteressen sehen in der Kapitalbeteili- ist, daß die Arbeitnehmer endlich mehr am Produk- gung der Arbeitnehmer Vorteile. Es kommt nicht im- tivkapital beteiligt werden. Dazu leisten wir hier und mer vor, aber in diesem Fall ist es so: Wenn beide Sei- jetzt einen ganz konkreten Beitrag. Deshalb bitten ten einen Vorteil haben, dann ist es um so besser. wir um Ihre Unterstützung. Ich möchte von den gesetzlichen Rahmenbedin- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge gungen, die schon genannt worden sind, nur einen ordneten der F.D.P.) einzigen Punkt noch einmal gesondert hervorheben: Obgleich es im Gesetzentwurf nicht ausdrücklich er- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat wähnt ist, ist die tarifvertragliche Vereinbarung in- jetzt der Abgeordnete Michael Meister, CDU/CSU- vestiver Lohnbestandteile grundsätzlich möglich; sie Fraktion. ist von uns auch politisch gewollt. Dies haben uns die Experten in der öffentlichen Anhörung, gerade die (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Arbeitsrechtler, eindeutig bestätigt. Das ist auch ein Dr. Michael Meister Meine Damen und Herren! Zunächst einmal hat mir neuer Qualitätssprung für die Tarifvereinbarungen. diese Debatte gezeigt, daß die Koalition handlungs- Nun, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, in fähig ist und ihr Programm so, wie es in der Koaliti- bezug auf die Haltung der Opposition zu diesem Ge- onsvereinbarung steht, Punkt für Punkt umsetzt. setzentwurf ist festzustellen, daß es an sich keine ein- ( [Köln] [SPD]: Zu spät, Herr deutigen Antworten gibt. Unsere Kolleginnen und Kollege!) Kollegen von der SPD in den Ausschüssen für Arbeit und Sozialordnung und für das Bauwesen haben sich Mit dem heutigen Gesetzentwurf führen wir die enthalten. Tatsächlich haben sie sich also nicht für Menschen in Deutschland zusammen und bauen diese Verbesserungen zugunsten der Arbeitnehmer Brücken in dieser Gesellschaft. Die Rede des Kolle- ausgesprochen. Die Kollegen in den Ausschüssen für gen Schreiner, die wir eingangs gehört haben, hat für Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998 21343

Dr. Michael Meister mich über weite Passagen so geklungen wie ein Teil noch nie so viele Bausparverträge wie in den letzten der Neidkampagne, die dazu beiträgt, daß unsere zwei Jahren abgeschlossen worden. Gesellschaft gespalten wird. Ich möchte Sie dringend (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge auffordern, Ihre Haltung in den kommenden Wochen ordneten der F.D.P.) zu überdenken und mit dazu beizutragen, daß in die- sem Land, in der Bundesrepublik Deutschland, tat- Gerade dann, wenn wir über die Baukonjunktur sächlich etwas für die Arbeitnehmerinteressen getan reden, sollten wir auch erwähnen, daß die deutschen werden kann. Bausparkassen im vergangenen Jahr 48 Milliarden DM ausgezahlt und damit mit dazu beigetragen ha- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ben, daß die notleidende Baukonjunktur gestützt d Reuter [SPD]: ordneten der F.D.P. - Be rn wurde. Frau Kollegin Wolf, ich habe Ihre Rede ge- Ihr hättet schon längst etwas machen kön hört, höre aber auch immer die Kollegin Eichstädt- nen!) Bohlig, die bei keiner Gelegenheit versäumt, gegen Ich hätte mir auch gewünscht, daß die Damen und das Eigenheimzulagengesetz zu polemisieren, ihm Herren aus dem Bundesrat diese Debatte am heuti- die Mittel entziehen will und dafür sorgen will, daß gen Morgen, in der es um die Beteiligung der Arbeit- wir weniger für die Wohneigentumsförderung in nehmer am Produktivkapital geht, ernster genom- Deutschland tun. Deshalb halte ich das, was Sie men hätten und wir hier nicht auf leere Bänke hätten heute morgen vorgetragen haben, für nicht beson- blicken müssen. Ich glaube, das Thema ist so ernst, ders glaubhaft. daß es auch der Bundesrat entsprechend würdigen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sollte. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir eröffnen (Zustimmung bei der CDU/CSU) mit diesem Gesetz neue Chancen. Sinn und Zweck In Deutschland ist die Vermögensbeteiligung - wir der Übung ist es, daß wir bestehende Förderinstru- haben es heute morgen gehört - in den letzten Jah- mente erhalten, insbesondere diejenigen, die sich ren gestärkt worden. Ich glaube, wir sind auf dem bewährt haben, daß wir aber, ohne Bestehendes zu richtigen Weg, was die Beteiligung der Arbeitnehmer zerstören, wie Sie es in Ihren Vorlagen vorhatten, am Produktivvermögen bet rifft. Wolfgang Vogt hat neue Gebiete wie etwa die Beteiligung am Produk- heute morgen in überzeugender Weise deutlich ge- tivkapital weiterentwickeln. Deshalb sieht unser Ge- macht, wie weit wir nun auch im Bereich der Vermö- setzentwurf eine Beschränkung der Wahlfreiheit gensbeteiligung vorangekommen sind. zwischen Beteiligung am Produktivkapital und För- derung des Bausparens ausdrücklich nicht vor. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Dieser Punkt liegt mir als Politiker sehr am Herzen. Wir wollen nämlich über das Geld, das angespart Ich glaube aber, wir können gar nicht so viel für die - wird, keine verdeckte Finanzierung der Gewerk- Vermögensbildung tun, wie es nötig wäre, nachdem schaften ermöglichen, zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung jedes Jahr 5 Prozent des Volksvermögens durch Inflation ver- (Beifall des Abg. Dr. [CDU/ nichtet worden ist. Erforderlich sind eine Konsolidie- CSU]) rungspolitik und eine Antiinflationspolitik, damit die sondern wir wollen wirklich den einzelnen Arbeit- Vermögen, die gebildet worden sind, als Vermögen nehmer in seiner Vermögensbildung stärken. erhalten bleiben und nicht durch Geldentwertung aufgefressen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Wir brauchen auch keinen Vormund für die Arbeit- ordneten der F.D.P.) nehmer in Deutschland, der sie an die Hand nehmen und ihnen sagen will, wie ihr Vermögen richtig ver- Ziele unseres Gesetzes sind eine breitere Streuung waltet wird. Wir brauchen die Eigenverantwortung des Eigentums, die Verbesserung der persönlichen und die individuelle Entscheidung darüber, wer in Altersvorsorge und eine Stärkung der Eigenkapital- welcher Form Vermögen bilden will. Wir sollten als basis der Unternehmen, insbesondere der mittelstän- Staat, als Politiker und als Tarifparteien dazu beitra- dischen Unternehmen. gen, daß die Menschen dabei Hilfestellungen erhal- (Ottmar Schreiner [SPD]: Ist das ein junger ten, wir sollten ihnen aber keinen Vormund an die Wilder?) Hand geben. Ich glaube, wir haben vor zwei Jahren, als wir das Ei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) genheimzulagengesetz verabschiedet haben, bewie- Ich möchte auch ein kritisches Wort zu dem Ge- sen, daß wir in diesem Punkt bereits einen Riesener- setzentwurf sagen. Richtigerweise ist von den Kolle- folg erreicht haben. gen aus der Koalition betont worden, daß es ein er- Schauen Sie sich einmal an, wie das Eigenheimzu- ster Schritt, ein Einstieg, ist. Wir würden sehr gern lagengesetz und die damit verbundene Förderung weitergehen, das möchte ich ganz deutlich sagen. des Bausparens in den letzten zwei Jahren gewirkt Wir dürfen dabei aber nicht nur - das ist heute mor- hat. Der Wohneigentumserwerb ist um über 30 Pro- gen bereits mehrfach angesprochen worden - die zent gestiegen. Die Kosten im Wohnungsbau sind um Frage der finanziellen Möglichkeiten in staatlicher '7 Prozent gesunken. Die Reform des Bausparens hat Hand sehen. Wir müssen auch die finanziellen Mög- einen Boom in diesem Sektor ausgelöst, und es sind lichkeiten derjenigen sehen, die wir fördern wollen; 21344 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Dr. Michael Meister auch diese Menschen wollen wir nicht überfordern. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Auch im Tarifbereich muß das Gesetz erst einmal ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen umgesetzt werden; das hat der Kollege Vogt schon auf Drucksache 13/10555. Wer stimmt für diesen Ent- richtigerweise angesprochen. Begleitend dazu sind schließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - wir aufgefordert, die weiteren Schritte im gesetzge- Dann ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen berischen Bereich zu tun. der Koalition bei Enthaltung der Fraktion der SPD und gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen Ich möchte ein Zweites kritisch anmerken, und und PDS abgelehnt. zwar zum Thema kommunale Spitzenverbände. Von denen ist richtig gesagt worden, daß wir besser einen Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit durch zwölf teilbaren Betrag genommen hätten. Ich und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der persönlich hätte mir gewünscht, daß wir die 800 DM SPD zu einer Offensive zur Förderung der Arbeitneh- auf 804 DM angehoben hätten, um diesem Verlangen merbeteiligung am Produktivvermögen, nachkommen zu können. Das ist leider nicht der Fall, aber ich glaube, wir können das in Zukunft nachbes- (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Das ist ein sern. Antrag!) Meine Damen und Herren, ich möchte Sie ein- Drucksache 13/10527 Buchstabe b. Der Ausschuß dringlich auffordern: Stimmen Sie dieser Gesetzes- empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4373 abzu vorlage nicht nur im Deutschen Bundestag zu, son- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - dem geben Sie auch grünes Licht im Bundesrat, da- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das kann doch mit wir tatsächlich den ersten Schritt in Richtung Be- nicht wahr sein! - Dr. Norbe rt Blüm [CDU/ teiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital ma- CSU]: Hättet ihr mit uns gestimmt, würden chen können. Dann würden Sie mit Ihrer Politik tat- wir jetzt mit euch stimmen!) sächlich einen Beitrag für die Menschen in Deutsch- land leisten. Wir alle sind gewählt worden, um dies Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die voranzubringen, und nicht, um uns gegenseitig zu Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition blockieren. gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Herzlichen Dank. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 e (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) auf: a) - Zweite und dritte Beratung des vom Bun- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Weitere Wort- desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- meldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aus- zes zur Bekämpfung der Scheinselbstän- sprache. digkeit - Wir kommen zur Abstimmung über den von den - Drucksache 13/8942 - Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrach- (Erste Beratung 213. Sitzung) ten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Betei- ligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen - Zweite und dritte Beratung des von der und anderer Formen der Vermögensbildung der Ar- Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs beitnehmer, Drucksache 13/10012. Der Ausschuß für eines Gesetzes zur Bekämpfung der Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache Scheinselbständigkeit 13/10527 unter Buchstabe a, den Gesetzentwurf un- - Drucksache 13/6549 - verändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem (Erste Beratung 160. Sitzung) Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- schusses für Arbeit und Sozialordnung (Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Wie? Die (11. Ausschuß) PDS stimmt gegen die Arbeitnehmer? Das kann doch nicht wahr sein!) - Drucksache 13/10269- Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zwei- Berichterstattung: ter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen Abgeordneter Peter Dreßen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der Fraktionen b) Beratung der Beschlußempfehlung und des von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- Dritte Beratung zialordnung (11. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Annelle Buntenbach, Ma rie und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die luise Beck (Bremen), (Berlin), dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- weiterer Abgeordneter und der Fraktion ben. - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Jetzt könnt Arbeits- und sozialrechtlicher Schutz für ab- ihr noch!) hängige Selbständige Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- - Drucksachen 13/7421, 13/10269 - entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie Berichterstattung: zuvor angenommen. Abgeordneter Peter Dreßen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21345

Vizepräsidentin Michaela Geiger c) Zweite und dritte Beratung des von den Abge- Rudolf Scharping (SPD): Frau Präsidentin! Meine ordneten Ottmar Schreiner, Rudolf Dreßler, Damen und Herren! Wir haben uns hier im Deut- Christel Hanewinckel, weiteren Abgeordneten schen Bundestag schon mehrfach über Fragen unter- und der Fraktion der SPD eingebrachten Ent- halten, die um das Thema von Recht und Ordnung wurf eines Gesetzes zur Beseitigung des Miß- auf den Arbeitsmärkten kreisen. brauchs der Geringfügigkeitsgrenze in der Kürzlich hat mir ein Betriebsrat in Kiel gemeinsam Sozialversicherung mit seinem Bauunternehmer den Tätigkeitsbericht - Drucksache 13/3301 - des Winterbauausschusses des Landesarbeitsamtes (Erste Beratung 114. Sitzung) Nord vorgelegt. In diesem Bericht vom 10. September 1997 wird aufgelistet, was sich aus den Feststellun- aa) Beschlußempfehlung und Be richt des gen der Arbeitsverwaltung im Zusammenhang mit Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung dem Arbeitnehmerentsendegesetz ergeben hat. (11. Ausschuß) - Drucksache 13/10180 In diesem Be richt steht beispielsweise, daß in 740 Fällen im Bezirk des Landesarbeitsamtes Nord Berichterstattung: gegen die Mindestlohnregelungen verstoßen wurde Abgeordnete Leyla Onur und daß sich insbesondere bei Firmen aus Großbri- bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- tannien der Verdacht auf Scheinselbständigkeit er- geben habe. Darauf komme ich gleich noch einmal schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung zurück. In diesem Bericht wird dargetan, daß sich - Drucksache 13/10447 - das Landesarbeitsamt mit seinen Möglichkeiten ins- Berichterstattung: besondere auf die Frage konzentriert habe, ob die Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Mindestlohnregelungen nach dem Arbeitnehmer- Kristin Heyne entsendegesetz eingehalten worden seien. Dann Ina Albowitz wird berichtet, daß bei einzelnen Firmen, und zwar Dr. Konstanze Wegner mit Herkunft aus der Europäischen Union und aus Polen, Stundenlöhne von 4,47 DM bis 2,24 DM fest- d) Beratung der Beschlußempfehlung und des gestellt worden sind. Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- zialordnung (11. Ausschuß) Ich erwähne dies hier am Anfang, weil die Fragen der illegalen Beschäftigung, der Scheinselbständig- - zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ keit und der Verstöße gegen Mindestlohnvorschriften DIE GRÜNEN und Bestimmungen des Arbeitnehmerentsendege- Dauerhafte Beschäftigungen sozialversi- setzes in einem Zusammenhang gesehen werden chern müssen. Wenn es nicht gelingt, diese Mißstände zu - beseitigen, konsequent dagegen vorzugehen und - zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Wettbewerbsgleichheit zwischen Firmen herzustel- Bläss, Dr. Heidi Knake-Werner und der len, dann kann es nicht gelingen, Recht und Ord- Gruppe der PDS nung auf dem Arbeitsmarkt herzustellen und einen Sozialversicherungspflicht für jede be- Schritt zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu tun. zahlte Arbeitsstunde (Beifall bei der SPD und der PDS) - Drucksachen 13/4969, 13/6090, 13/10180 - Ich habe hier im Deutschen Bundestag zu diesen Berichterstattung: Fragen mehrfach Stellung genommen. Ich muß Ihnen Abgeordnete Leyla Onur sagen, daß ich angesichts solcher und anderer Be- richte, die ich Ihnen schon aus Zeitgründen jetzt e) Beratung der Beschlußempfehlung und des nicht vortragen will, über die Ignoranz erschüttert Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- bin, mit der die Mehrheit des Deutschen Bundesta- zialordnung (11. Ausschuß) zu dem Antrag der ges diese Themen behandelt. Fraktion der SPD Illegale Beschäftigung durch konsequentes (Zuruf von der SPD: Die wollen das so!) gemeinsames Handeln von Bund und Län- Ein Aspekt ist noch zu ergänzen: Es geht ja nicht dern unterbinden nur um die Einhaltung von Regeln im Sozialbereich - Drucksachen 13/7802, 13/9458 - und um den Schutz von Arbeitnehmern. Das ist wich- tig. Es geht auch um die Wettbewerbsgleichheit zwi- Berichterstattung: schen Firmen und um das Rechtsbewußtsein der Abgeordneter Wolfgang Meckelburg Bürgerinnen und Bürger. Nicht zuletzt geht es Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion darum, den Nährboden für rechtsradikalen Protest Bündnis 90/Die Grünen vor. auszutrocknen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich ten der PDS) höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlos- Wer sich solche Berichte anschaut und darüber mit sen. betroffenen Menschen, Bet riebsräten und Arbeitneh- Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Vor- mern redet, dem wird sehr schnell deutlich, daß diese sitzende der SPD-Fraktion, Rudolf Scharping. Berichte eine außerordentlich hohe Brisanz besitzen. 21.346 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Rudolf Scharping Wenn zum Beispiel im Baubereich - und nicht nur antwortlich ist auch die Ignoranz der Koalition hin- dort - der Mißbrauch und Verstöße gegen gesetzliche sichtlich dieses Problems. Vorschriften, Tariftreue und andere Bestimmungen gang und gäbe werden, dann entsteht ein Prozeß, in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne dem Arbeitnehmer den Staat nicht mehr als das emp- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN finden, was er sein muß, nämlich Schutzmacht gegen und der PDS) Mißbrauch und gegen Rechtsverstöße, sondern als Man kann - viele von uns tun das voller Über- ignorant empfinden. zeugung - gegen orientierungslosen, wütenden und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne politisch gefährlichen Protest anreden. Genauso ten der PDS) wichtig ist, etwas gegen seine Ursachen zu tun. Des- wegen sage ich in aller Deutlichkeit: Wir werden uns Was sich die Mehrheit des Deutschen Bundestages nicht nur zu überlegen haben, daß wir uns die ille- und die Bundesregierung auf diesem Felde leisten, gale Beschäftigung mit Kontrollen schärfer vorneh- ist gänzlich unverantwortlich. Der Antrag der SPD- men. Wir werden uns nicht nur zu überlegen haben, Fraktion zur Bekämpfung illegaler Arbeit stammt daß wir den Mißbrauch, der von manchen Firmen be- vom 4. Juni 1997. Die Mißstände sind offenkundig. trieben wird, konsequent bekämpfen. Dazu wird im Ein Jahr später reden wir über diese Frage, wobei Zweifel auch gehören, sich die Frage zu stellen, ob nach dem Willen der Mehrheit negativ entschieden solche Zustände tatsächlich nur nach dem Ordnungs- werden soll. widrigkeitenrecht und in Zukunft nicht auch nach dem Strafrecht behandelt werden müssen. Der Gesetzentwurf der SPD gegen den Mißbrauch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne der 620-Mark-Verträge stammt vom 11. Dezember 1995. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Hört! Hört!) Ich sage das mit Blick auf ein in Bonn leider nicht so sehr gewürdigtes Urteil aus Regensburg, wo ein Erst jetzt - und dann auch noch negativ - soll darüber Landgericht, wenn ich es richtig im Kopfe habe, ei- entschieden werden, obwohl sich der Mißbrauch die- nen Unternehmer verurteilt hat, weil der ähnliche ser sozialversicherungsfreien Beschäftigung immer Praktiken gepflegt hatte. weiter, mittlerweile millionenfach, ausgedehnt hat. Meine Damen und Herren, die illegale Beschäfti- Der Gesetzentwurf der SPD gegen die Scheinselb- gung ist ein Element besonderer Schwierigkeiten ständigkeit ist im Dezember 1996 eingereicht wor- des Arbeitsmarktes bei ganz bestimmten Berufsgrup- den. Er mußte erneut im Dezember 1997 eingereicht pen. Wenn Schätzungen der Arbeitsverwaltung oder werden, um Sie überhaupt zur Beratung zu zwingen. - anderer Sachverständiger davon sprechen, daß in Es ist eine unverantwortliche Ignoranz, daß die Koali- Deutschland mehrere hunderttausend Menschen il- tionsmehrheit die groben Mißstände auf dem Ar- legal beschäftigt sind, dann besteht für uns eigent- beitsmarkt nicht zur Kenntnis nimmt und nichts da- lich die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, alle In- gegen tun will. strumente, auch das öffentliche Bewußtsein, zu schärfen, um gegen solche Mißstände vorzugehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Schlimmer noch: In der letzten Sitzungswoche Sie empfehlen Ablehnung. Sie empfehlen Ignoranz. wurde hier ein sogenanntes Vergabegesetz verab- Sie empfehlen, die Augen zuzumachen. schiedet. Möglichkeiten, Bet riebe über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu verpflichten, auszubilden, (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch gar die Geschlechter gleichberechtigt zu behandeln und nicht!) Arbeitnehmer tariftreu zu bezahlen, sind von Ihnen Die Augen vor den Realitäten zu verschließen ist mittlerweile gesetzlich eliminiert worden. Sie haben aber keine sinnvolle Möglichkeit, um Realitäten zum damit eines von vielen wichtigen Instrumenten aus Besseren zu verändern. der Hand gegeben - eine Mischung aus Regeln und Gesetzen, um auf der einen Seite die Einhaltung die- Das gilt übrigens auch für die 620-DM-Verträge. ser Verpflichtungen zu überwachen und die Verstöße Eine Zeitlang hatten wir 'die Hoffnung, auf diesem zu ahnden und auf der anderen Seite wirtschaftliche Gebiet könne sich etwas bewegen. 1995 haben wir Anreize zu schaffen -, wirksam etwas gegen die Tat- den erwähnten Antrag eingebracht. Dann gab es sache zu tun, daß ein Arbeitnehmer mit Wohn- oder eine kontinuierliche Debatte bei Aussprachen über Geburtsort in Berlin, in Brandenburg, in Mecklen- Regierungserklärungen, Haushalte und anderes. Im burg-Vorpommern oder anderenorts in Deutschland Herbst 1997 kam plötzlich eine Scheinbewegung in ja keine Chance hat, zu den normalen Ta rifen be- die Diskussion. In der „Leipziger Volkszeitung" vom schäftigt zu werden und damit seine Arbeitslosigkeit 13. Oktober 1997 stand zu lesen: Dieses Nein von zu überwinden, solange es Firmen gibt, die nur mit Herrn Westerwelle - ich füge hinzu: zur Einschrän- Bußgeldern wegen einer scheinbaren Ordnungswid- kung der versicherungsfreien Beschäftigungsverhält- rigkeit belegt werden und die Arbeitnehmer für nisse - ist nicht einmal das Papier we rt, auf dem es 2,24 DM oder wenig mehr in der Stunde beschäfti- steht. Wenn wir eine vernünftige Lösung haben, wird gen. Das ist ein unverantwo rtlicher Zustand! Unver sie kommen, mit oder ohne Westerwelle. Solche Pro- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21347

Rudolf Scharping bleme erzwingen ihre Lösung. Das ist wie mit der von 1,2 Millionen innerhalb von nur fünf Jahren. Das Steuer- oder Rentenreform. - Wolfgang Schäuble! sozioökonomische Panel, also eine Erhebung bei pri- vaten Haushalten, die vom DIW durchgeführt wird, (Zurufe von der SPD: Nanu! - Wo ist er nennt hochgerechnet 5,4 Millionen und beziffert die denn?) Zahl einschließlich der Dunkelziffer auf bis zu Aus diesem Zitat kann ich nur den Schluß ziehen: Sie 6,3 Millionen. kennen vielleicht das Problem, aber Sie haben keine Meine Damen und Herren, wenn man solche Zah- Lösung. len und die Trends, die sich übrigens auch aus dem (Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: Mikrozensus ergeben, sieht, bleibt eine einzige Die sind das Problem!) Frage: Wieviel Ignoranz braucht man, wie lange muß man die Augen zudrücken, wie lange muß man die Der sich einflußreich und machtvoll fühlende Vor- Ohren verschließen, um nicht zu sehen, daß hier eine sitzende der CSU-Landesgruppe sagte in der „Stutt- Grundlage des Sozialversicherungssystemes weg garter Zeitung": Die Arbeitsverhältnisse auf der Basis bricht, daß es unsolidarisch ist, ganze Belegschaften der 620-DM-Jobs sind in dieser Masse nicht erträg- außerhalb der Sozialversicherung zu beschäftigen, lich. und daß es auch frauenfeindlich ist, was hier getan wird? Gebt den Frauen ordentliche Teilzeitarbeits- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Hört! Hört!) plätze! Das ist vernünftiger. Herr Schäuble fügte im Oktober 1997 hinzu: Es (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE kann doch nicht sein, daß ein immer größerer Teil der GRÜNEN und der PDS - Dr. Gisela Babel Beschäftigung nicht versicherungspflichtig ist. Da [F.D.P.]: Nein, es ist nicht frauenfeindlich!) bricht die Grundlage unseres Sozialsystems weg. - So im „Stern" zitiert. Man kann sich nicht wie der Bundeskanzler - mehrfach hat er das getan - hier im Deutschen Bun- (Peter Dreßen [SPD]: Recht hat er!) destag hinstellen und die Verhältnisse in den Nieder- Herr Geißler fügte hinzu - gewisse strategische Fä- landen, nämlich die Schaffung von Teilzeitarbeits- higkeiten kann man ihm nicht absprechen -, die plätzen, also die dortige hohe Teilzeitquote, als Vor- F.D.P. habe in der Koalition - Zitat - jetzt ihr Konto bild preisen, ohne die Bedingungen zu nennen. Der ausgeglichen; ich will sogar sagen: Sie haben es niederländische Ministerpräsident Wim Kok hat das überzogen. einmal auf eine sehr feine und zurückhaltende, aber auch sehr deutliche Weise klargemacht: Wer die nie- (Franz Thönnes [SPD]: Recht hat er!) derländische Situation niedrigerer Arbeitslosigkeit, einer höheren Zahl von Teilzeitarbeitsplätzen und ei- Meine Damen und Herren, wenn Sie doch selber ner besseren Beschäftigungsmöglichkeit gerade für diese Einsicht haben, wenn Ihr Fraktionsvorsitzen- - Frauen preist, muß hinzufügen, daß in den Nieder- der, der CSU-Landesgruppenvorsitzende, der frü- landen jede regelmäßige Arbeitsstunde - ab der er- here Generalsekretär und heutige stellvertretende sten Stunde - sozialversichert ist. Fraktionsvorsitzende und auch der Generalsekretär Ihrer Partei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Zuruf von der SPD: Und Frau Süssmuth!) Wenn Sie aber glauben, daß es zur Wettbewerbs- zu demselben Ergebnis kommen, warum können Sie gleichheit in Handwerk und Mittelstand gehört, daß dann nicht Ihrer Einsicht folgen und hier ohne Koali- sich eine Minderheit aus der Ausbildung verabschie- tionszwänge etwas beschließen, was nach Ihrer eige- det, die große Mehrheit aber dabeibleibt und daß nen Überzeugung beschlossen werden muß, um den sich eine Minderheit aus der regelmäßigen sozialver- Mißbrauch einzudämmen? sicherten Beschäftigung verabschiedet, die große (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Mehrheit aber versucht, dabeizubleiben, dann kann GRÜNEN und der PDS) ich nur feststellen: Sie haben null Ahnung. Diese Tätigkeiten waren einmal für Aushilfen in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Landwirtschaft, in den Gastwirtschaften oder an- DIE GRÜNEN) derenorts gedacht. Sie waren einmal für Studierende gedacht, damit sie sich in den Semesterferien ein ver- Deswegen appelliere ich an Sie, der Einsicht von sicherungsfreies Zubrot erwerben können. Sie waren Herrn Schäuble, Herrn Glos, Herrn Geißler und, wenn Sie wollen, auch der von Herrn Hintze zu fol- aber nicht für Handelsketten gedacht, die mehr als die Hälfte ihrer Belegschaften außerhalb der Sozial- gen. Dann könnten wir heute im Deutschen Bundes- tag einen ersten großen Schritt tun, um aus der so- versicherung beschäftigen. zialversicherungsfreien Beschäftigung und ihrem (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Mißbrauch ordentliche Teilzeitarbeitsplätze zu ma- GRÜNEN und der PDS) chen. Eine Untersuchung des Bundesarbeitsministe- Dasselbe gilt für die Scheinselbständigkeit. Nach riums, durchgeführt vom Institut für Sozialforschung meiner Meinung wird im Deutschen Bundestag und Gesellschaftspolitik, beziffert die Zahl der Mini- manchmal zuwenig über das Praktische gesprochen. jobs auf rund 5,6 Millionen und nennt einen Anstieg Kann mir jemand erklären, was es mit Selbständig- 21348 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Rudolf Scharping keit zu tun hat, wenn sich ein britischer Bauarbeiter Verehrte Frau Kollegin Babel, da Sie ja auf diesem auf einer Baustelle in Deutschland verdingt und von Thema immer - - der Baufirma wie ein Selbständiger behandelt wird? Kann mir jemand erklären, was es mit Selbständig- (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Rumreiten!) keit zu tun hat, wenn ein Kellner in einem durchaus feinen Restaurant - solche Restaurants gibt es viele - Nein, ich will nicht sagen, daß Sie besonders darauf und Kellner noch mehr - „rumreiten". Sie haben nur gesagt, es sei eine „He- xenjagd". (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Aha, die kennen Sie!?) (Peter Dreßen [SPD]: Der Dracula der mit Umsatzbeteiligung drei Tische bedient und Sozialpolitik! - Detlev von Larcher [SPD]: dann behauptet wird, er sei selbständig? Kann mir Aber wer ist die Hexe? - Gegenruf von der jemand erklären, was es mit Selbständigkeit zu tun CDU/CSU: Wer ist der Jäger?) hat, wenn ein Lkw-Fahrer gegen Zahlung einer Pacht, nachdem er den Lkw vorher finanziert hat, Das haben Sie ausweislich des „Fernseh- und Hör- von einer Firma beschäftigt wird, die ihm die Rou- funkspiegels Inland" des Bundespresseamtes am ten, die Margen, die Güter und alles andere vor- 20. Oktober 1997 gesagt. Wer mit solchen Äußerun- schreibt? gen an dieses ernste Thema herangeht, der hat etwas übersehen, nämlich daß in Deutschland vermutlich Das alles hat mit Selbständigkeit überhaupt nichts 5 Millionen Frauen außerhalb der Sozialversicherung zu tun. Es hat mit einem einzigen Umstand zu tun, von Handelsketten usw. beschäftigt werden. Das ist daß es nämlich leider eine wachsende Zahl von Ar- ein Schaden für die betroffenen Frauen, und es ist beitgebern gibt, die aus der Sozialversicherung flie- ein Schaden für die anderen Firmen, die mit diesen hen und versuchen, Leistungen, die für die Allge- Handelsketten konkurrieren müssen. meinheit zu zahlen sind, auf diese Weise zu vermei- den bzw. mindestens zu vermindern. Auch halte ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ es für unverantwortlich, daß Sie der großen Zahl an DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Recht, Ordnung und fairen Verhältnissen interessier- Müller [Berlin] [PDS]) ten und ehrlichen Handwerkern sowie selbständigen Mittelständlern sagen: Im Zweifel müßt auch ihr das Deswegen zeigt sich auch hier leider mehreres: In so tun. Wir wollen, daß im Interesse der ehrlichen der Koalition gibt es einige, die die richtige Einsicht selbständigen Handwerker ein Damm gegen Schein- haben, sie sind aber unfähig, die notwendigen Kon- selbständigkeit gebaut wird. War es nicht der Bun- sequenzen daraus zu ziehen und sie umzusetzen. desarbeitsminister, der diesen Damm ebenfalls gef or- Wenn man überhaupt in Deutschland von Blockade dert hat? reden kann: Da ist sie. - (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred GRÜNEN und der PDS) Müller [Berlin] [PDS])

Ich möchte eines deutlich machen - Herr Schäuble, Sie sind unfähig, etwas durchzusetzen. Herr Glos und Herr Hintze sind nicht anwesend -: Das zweite ist: Diejenigen, die sich hier immer als (Zuruf von der SPD: Blüm auch nicht!) besonders mittelstands-, selbständigen- und hand- werksfreundlich gerieren - was sind sie tatsächlich? Wir sprechen über eines der zentralen Probleme Sie sind entweder aus Ignoranz oder aus anderen auf dem Arbeitsmarkt, über eines der zentralen Pro- Gründen - wie auch immer - ganz konkret und prak- bleme für das Rechtsbewußtsein und das Vertrauen tisch Gegner von Wettbewerbsgleichheit und Wett- in den Staat und seine Fähigkeit, Schutz zu bewirken bewerbsfähigkeit. und die Einhaltung von Vorschriften und Gesetzen zu erreichen. Es ist außerordentlich billig, sich in al- (Beifall bei der SPD) lerlei Interviews dahin gehend zu äußern, jawohl, da muß etwas geschehen, da muß man etwas tun, da Ich will damit auch sagen: Wir reden hier über den muß etwas entschieden werden, Arbeitsmarkt, die soziale Sicherheit und über ein Thema, das mit der Wettbewerbsfähigkeit und mit (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Der war ja nicht den Wettbewerbsbedingungen des Handwerks und in der Anhörung, leider!) Mittelstandes zu tun hat. Auf allen drei Gebieten ha- ben Sie bisher versagt. und dann bei solchen Debatten im Deutschen Bun- destag weder anwesend zu sein noch sich mit Wo rt Wenn Sie das heute erneut ablehnen, auch diejeni- -meldungen zu beteiligen und möglicherweise auch gen, die sich öffentlich ganz anders geäußert haben: nicht an Abstimmungen teilzunehmen. Das macht Nun, was wird dann passieren? Es wird eine Pause deutlich: Es ist unglaubwürdig, was da einige trei- von sechs Monaten eintreten. Dann passiert es. ben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Müller [Berlin] [PDS]) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21349

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat einer Entschließung ausdrücklich zum Ausdruck ge- jetzt der Abgeordnete Julius Louven, CDU/CSU- bracht. Fraktion. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Aber ge (Gerd Andres [SPD]: Julius, sag die Wahr schehen ist nichts! Sie könnten doch einmal heit, und gib den Inhalt aller drei Interviews handeln!) wieder, die du dazu gegeben hast! - Gegen - Ich rede erst zwei Minuten, Herr Büttner. Ich will ruf von der CDU/CSU: Dann ist der Schar Ihnen einiges dazu sagen. Vielleicht warten Sie ein- ping ganz schön blamiert!) mal ab. (Franz Thönnes [SPD]: Vielleicht könnten Julius Louven (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sie jetzt mal handeln!) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wir haben also absoluten Handlungsbedarf. Nur, Scharping, ich finde es schon eigenartig. Wir führen es ist viel schwieriger, zu einer Problemlösung zu heute eine sozialpolitische Debatte; die verantwortli- kommen, als Sie es dargestellt haben. Ihre beiden chen Sozialpolitiker der Koalition sind hier. Gesetzentwürfe zur geringfügigen Beschäftigung (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wo ist denn der und zur Scheinselbständigkeit sind absolut ungeeig- Blüm!) net. Dies haben Kollegen und Kolleginnen Ihrer Fraktion auch anerkannt. Ihre Gesetzentwürfe sind Zufällig reden Sie als Nicht-Sozialpolitiker einmal in zu kompliziert. Sie sind nicht handhabbar. einer sozialpolitischen Debatte. Sie nehmen sich her- (Hans Büttner [Ingolstadt]: Wer sagt denn aus, Klage darüber zu führen, daß unser Fraktions- das?) vorsitzender, der Vorsitzende der CSU-Landes- gruppe und der Generalsekretär der CDU nicht im Sie berücksichtigen nicht die karitativen Einrich- Saal sind. tungen. Sie berücksichtigen nicht die Interessen der Sport- und der Gesangvereine. (Bernd Reuter [SPD]: Und Blüm!) (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: So ist es! - Peter Herr Scharping, dies war schlechter Stil. Dies sehen Dreßen [SPD]: Warum haben Sie denn kein Sie wahrscheinlich auch ein. Gesetz vorgelegt, das das beinhaltet?) Und sie berücksichtigen auch nicht die Interessen Ich will Ihnen, Herr Scharping, zwei weitere Dinge der Gastronomie und der Landwirtschaft sowie des sagen. Sie haben Wim Kok angesprochen. Würden Einzelhandels. Denn wir müssen Regelungen prä- Sie doch bereit sein, von Wim Kok mehr zu lernen, sentieren, die eine flexible Abrufbarkeit von Arbeit (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das ist wahr! Da - garantieren. Dies würden Sie mit Ihren Gesetzent- hat er recht!) würfen unmöglich machen. Wir haben in der Tat Handlungsbedarf. Dies habe dann kämen wir in der Sozialpolitik viel besser voran. ich anerkannt. Wir diskutieren diese Frage seit lan- Er hat es Ihnen ja auf Ihrem Parteitag sehr deutlich gem, haben es neuerdings aber mit dem Phänomen ins Stammbuch geschrieben, aber Sie haben daraus zu tun, daß sozialversicherungspflichtige Arbeitsver- nicht die erforderlichen Lehren gezogen. hältnisse in sozialversicherungsfreie umgewandelt Noch etwas: Sie haben gesagt, Herr Scharping, un- werden, ser Nichtstun werde dazu führen, daß sich rechtsradi- (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Neuer kaler Protest erhebe. Versuchen Sie nicht, hier eine dings? Seit Jahren!) Schuldzuweisung bezüglich des Abschneidens der DVU in Sachsen-Anhalt vorzunehmen. Ich kann Ih- und dies in großem Umfang. Grund dafür - darüber nen, Herr Scharping, nur sagen: Wer Linksaußen hät- sollten wir auch gemeinsam nachdenken - ist der Ko- schelt, erntet Rechts. Dies ist eine alte Erfahrung; stendruck, dem die Unternehmen unterliegen. Das darüber sollten Sie nachdenken. sind die hohen Lohnzusatzkosten. Wenn wir an Ein- sparungen herangehen, jaulen Sie auf. Im übrigen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wollen Sie ja das, was wir an Einsparungen beschlos- sen haben, rückgängig machen. Nun will ich etwas versöhnlicher werden, Herr Scharping, und Ihnen ausdrücklich zugestehen, daß (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wir wollen die hinsichtlich der geringfügig Beschäftigten und hin- Lohnnebenkosten senken!) sichtlich der Scheinselbständigkeit absoluter Hand- Damit würden Sie die Situation noch zusätzlich ver- lungsbedarf besteht. schärfen. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aha! Wer regiert Diese Umwandlung von sozialversicherungspflich- denn seit 16 Jahren?) tigen Beschäftigungsverhältnissen führt zu Wettbe- werbsverzerrungen. Das sehen wir. Diese Wettbe- - Frau Fuchs, warten Sie doch einmal ab. - Dies hat werbsverzerrungen bringen es dann mit sich, daß unser Fraktionsvorsitzender deutlich gemacht. Dies diejenigen, die sich bisher ordentlich verhalten, eines hat der Bundeskanzler erklärt. Dies haben wir auch Tages möglicherweise das gleiche tun. Das zwingt Ende letzten Jahres hier im Deutschen Bundestag in uns zum Handeln; denn die Folge dieser Umwand- 21350 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998

Julius Louven lung besteht darin, daß zunächst die Beiträge in der Insofern haben Sie, Herr Scharping, recht: Es wird Krankenversicherung steigen müssen - und zwar da- sechs Monate später werden. Aber das ist wie bei der durch, daß die Anzahl von Leistungsbeziehern Steuerreform. Wir hätten die Steuerreform, die wir im gleichbleibt, die Anzahl von Beitragszahlern aber ge- Juni letzten Jahres hier beschlossen haben, verab- ringer wird - und daß die Beiträge in anderen Sozial- schieden können. Sie haben sie blockiert. versicherungssystemen dann auch steigen müssen. (Franz Thönnes [SPD]: Man muß doch nicht Ich habe zu diesem Problembereich einen Vor- jeden Unsinn mitmachen!) schlag gemacht. Herr Scharping, viele Kollegen Ihrer Fraktion, gestandene Sozialpolitiker, haben diesen Wenn wir die Wahl gewinnen - wovon ich ausgehe -, Vorschlag begrüßt. wird es zur Steuerreform kommen, aber mit einem Jahr Verzögerung, mit all den verheerenden Auswir- (Peter Dreßen [SPD]: Wo ist Ihr Gesetzent kungen auf die Arbeitsplätze. wurf? Vorschläge nützen nichts, Gesetze müssen her!) (Zuruf von der SPD: Ach du liebe Zeit!) Dieser Vorschlag garantiert, daß Arbeit weiterhin fle- Meine sehr verehrten Damen und Herren von der xibel abgerufen werden kann, wenn die Tarifver- SPD, wir sollten die Lösung dieses Problems weiter- tragsparteien mit einem solchen Instrument verant- hin sorgfältig beraten. Ich sage abschließend noch wortlich umgehen. einmal: Ihre Gesetzentwürfe sind absolut ungeeig- net, die Problematik zu lösen. Jetzt will ich Ihnen sagen, warum es noch keinen Gesetzentwurf gibt. Sie wissen doch aus Koalitions- Zum Thema Scheinselbständigkeit nur soviel: regierungen, die auch Sie hatten oder die Sie noch Auch hier ist der Handlungsbedarf anerkannt. Wir müssen aber, wenn wir an eine Neuregelung heran- haben, daß Sie nur im Einvernehmen mit dem Koali- gehen, daran denken, daß wir den Schritt in die Selb- tionspartner etwas vorlegen können. ständigkeit nicht erschweren. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und die wollen nun einmal nicht!) (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: So ist es!) Bisher ist es eben nicht gelungen, mit unserem Koali- Dies kann nicht in unserem Interesse sein. Deshalb tionspartner in dieser Frage zu einer einvernehmli- arbeiten wir an Lösungen, die ähnlich der Regelung der Handwerkerversicherung ist. Für selbständige chen Regelung zu kommen. Daran arbeiten wir. Ich Handwerker ist ja eine gesetzliche Rentenversiche- denke, auch unser Koalitionspartner kann nicht die rung vorgeschrieben. Ich könnte mir vorstellen, daß Augen vor dem Wandel verschließen, der sich zur dies ein Weg ist, den wir gemeinsam verabreden Zeit in Deutschland vollzieht. können. Dieser Weg wäre sicherlich viel unkompli- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Tut er aber! - - zierter als Ihr umfangreicher Gesetzesvorschlag, des- Peter Dreßen [SPD]: Nichts hören, nichts sen Umsetzung wirklich nicht zu praktizieren ist. sehen, nicht denken!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will das hier ganz offen sagen: Herr Friedhoff, ich war schon ein wenig enttäuscht, daß Sie meinen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat die Vorschlag, den Sie gar nicht in Gänze, sondern nur Abgeordnete Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die aus der Presse kennen konnten, abgelehnt haben Grünen. und dann auch noch behauptet haben, bei meinem Vorschlag würde Arbeit teurer. Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf von der SPD: Präventive Ableh NEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und nung!) Herren! Morgen ist, wie wir alle wissen, der 1. Mai. Vielleicht rechnen Sie mir dies einmal vor. Ich kann Ich hoffe sehr, daß viele Menschen an den Kundge- Ihnen nachweisen, daß die Arbeit auf Grund meines bungen und Veranstaltungen des DGB teilnehmen Vorschlags nicht teurer wird. Im übrigen sollte auch werden. Denn die Forderung nach sozialer Gerech- die F.D.P. einmal darüber nachdenken, daß die Deut- tigkeit braucht dringend Unterstützung und Nach- sche Angestelltengewerkschaft und andere Einrich- druck. tungen diesen Vorschlag gut finden, und zwar auch Die Arbeitslosigkeit hat während der Regierung die Regelungen, die ich für die Sozialversicherung Kohl unerträgliche Ausmaße erreicht. Die Sozialkas- vorgeschlagen habe. sen stehen in einer sehr schweren Belastungsprobe. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Schere zwischen Arm und Reich ist inzwischen so weit auseinandergegangen, daß das nicht nur den Ich habe ausgeführt, daß die Lösung schwierig ist. DGB als Interessenvertretung auf den Plan ruft. Auch Das entbindet uns nicht davon, daran zu arbeiten. die Kirchen kritisieren die unerträgliche soziale Wir haben in der Fraktion eine Kommission einge- Schieflage. setzt. Wir werden Lösungsvorschläge präsentieren, allerdings - davon gehe ich aus - nicht mehr in dieser Was hat die Bundesregierung nicht alles verspro- Legislaturperiode. chen! Und welche Versprechen hat sie eigentlich nicht gebrochen? Der Kanzler wollte bis zum Jahr (Franz Thönnes [SPD]: Dann ist es ja zu 2000 die Arbeitslosigkeit halbieren. Statt es aber spät für euch!) überhaupt ernsthaft zu versuchen - und zwar in ei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21351

Annelle Buntenbach nem Bündnis für Arbeit -, hat er die ausgestreckte Lassen Sie mich hier einen Punkt ansprechen, der Hand der Gewerkschaften ausgeschlagen. Die Re- mir nach dem erschreckenden Wahlerfolg der DVU gierung hat, genau wie die Arbeitgeber, ihren Bei- in Sachsen-Anhalt sehr am Herzen liegt - wir alle ha- trag zur Umwandlung von Überstunden in Neuein- ben heute diesen Punkt schon angesprochen -: Jen- stellungen schlicht verweigert und damit zugelassen, seits aller Polemik - derer bedienen wir uns ja in daß 1996 und auch 1997 fast 1,8 Milliarden Überstun- Wahlkampfzeiten alle gerne - möchte ich Sie, liebe den geleistet wurden. Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle ernsthaft und nachdrücklich auffordern und an Sie appellie- (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) ren: Lassen Sie uns bitte keinen Wahlkampf auf dem Die Beschäftigungsinitiative für Ostdeutschland mit Rücken von Migrantinnen und Migranten führen! dem Versprechen von jährlich 100 000 neuen Arbeits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, plätzen ist gescheitert. Der Kündigungsschutz ist auf- bei der PDS sowie bei Abgeordneten der geweicht worden. Sie haben mit großem Trara die La- SPD) denöffnungszeiten verlängert. Aber wo sind denn die neuen Jobs, die Sie den Menschen dafür versprochen Wir können uns gerne weiter gegenseitig be- haben? Statt dessen haben Sie noch einmal einen re- schimpfen, aber lassen Sie uns darauf verzichten, mit gelrechten Schub in Richtung ungeschützter Beschäf- der DVU um eine möglichst autoritäre oder restrik- tigungsverhältnisse in Gang gesetzt. tive Innen- und Sozialpolitik zu wetteifern. In Amerika kursiert ein schlechter Witz: Sitzen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zwei Geschäftsleute in einem Restaurant und reden bei der SPD und der PDS) über die wirtschaftliche Entwicklung. Sagt der eine zum anderen: Inzwischen sind wir doch wirklich vor- Gegenstand der Anträge, über die wir heute zu be- angekommen - so viele neue Arbeitsplätze haben finden haben, ist ein Systemwandel, eine tiefge- wir geschaffen. Da dreht sich der Kellner um und hende Veränderung der Arbeits- und Lebenssitua- sagt: Ja, zwei davon habe ich. tion vieler Menschen, die insbesondere ihre soziale Absicherung im Kern betrifft. Das hat der Kollege (Franz Thönnes [SPD]: Drei!) Scharping sehr anschaulich ausgeführt. Scheinselb- ständigkeit oder Beschäftigung unterhalb der Ge- - Zwei. ringfügigkeitsgrenze sind nicht etwa ein Phänomen Ich frage Sie von den Regierungsfraktionen: Wol- am Rande der Gesellschaft, sondern finden massen- len Sie diese Entwicklung hier wirklich noch weiter haft in der Mitte statt. vorantreiben? Wollen Sie, daß man zwei oder drei Im Baubereich haben Sie eine ganze Branche mit Jobs braucht, weil man von einem nicht mehr leben Ihrem halbherzigen Entsendegesetz und seinen man- kann? Mit Ihrer Ausweitung des Billiglohnbereichs, gelhaften Kontrollmechanismen zu einem Versuchs- der Zerlegung regulärer Jobs in Minijobs unterhalb feld für Lohn- und Sozialdumping und illegale Be- der Sozialversicherungspflicht drängen Sie die Men- schäftigung gemacht, mit katastrophalen Folgen für schen aus den sozialen Sicherungen heraus und set- die dort noch Beschäftigten. zen die Gesellschaft einer Zerreißprobe aus. Scheinselbständig sind mehr als eine Million Men- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen. Die Zahl geringfügiger Beschäftigungen ist und bei der SPD sowie des Abg. Manfred nach den neuesten Untersuchungen rasant auf mehr Müller [Berlin] [PDS]) als 5,5 Millionen angewachsen, und die meisten da- Ihre Politik führt statt zu einer Verringerung der Ar- von sind Frauen. Während diese Minijobs seit 1992 beitslosigkeit nur zur Verschärfung sozialer Unge- um 25 Prozent zugenommen haben, hat gleichzeitig rechtigkeit. Die Halbwertzeit Ihrer Versprechen wird die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Be- inzwischen immer kürzer, und Sie versuchen jetzt, schäftigungsverhältnisse um 2 Millionen abgenom- sich mit Wahlkampfbonbons und geschönten Statisti- men. Auch das ist eine Ursache für Arbeitslosigkeit. ken über den Wahltag zu retten. Was Sie hier ablie- Das müssen wir uns an dieser Stelle klarmachen. fern, ist ein echter Beitrag zur Politikverdrossenheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen aber dringend eine glaubwürdige Folgen dieses Abbaus von regulärer Beschäftigung Politik, die der Arbeitslosigkeit zu Leibe rückt: mit und dieser Erosion der Sozialversicherung sind Aus- ökologischem Umbau, Arbeitszeitverkürzung, fun- fälle bei der Sozialversicherung, die der DGB auf dierter Arbeitsmarktpolitik, öffentlicher Förderung zwischen 15 und 20 Milliarden DM im Jahr schätzt. von Beschäftigung im ökologisch-sozial-kulturellen Darüber jammern Sie aus den Regierungsfraktionen Bereich. Und wir brauchen die Sozialversicherungs- zwar schon lange, aber Sie tun nichts. Alle Vor- pflicht für jede dauerhafte Beschäftigung. schläge, die heute zur Entscheidung auf dem Tisch Eine solche Politik setzt auf gesellschaftliche Inte- liegen, kommen aus den Reihen der Opposition. gration statt auf Ausgrenzung. Keine Gesellschaft (Julius Louven [CDU/CSU]: Das ist doch kann es sich ohne Gefahr für die Demokratie leisten, nicht wahr!) ihr unteres Drittel einfach abzuhängen. Keine Gesell- schaft kann es sich leisten, ganze Gruppen von ihrem Daß Sie, meine Damen und Herren aus der CDU/ Anspruch auf Teilhabe an der Erwerbsarbeit auszu- CSU-Fraktion, in den letzten Monaten alle mögli- schließen, wie es diese Regierung tut, die auf Sün- chen Vorschläge in der Presse unterbreitet haben, denböcke und Schuldzuweisungen setzt. die jetzt im Parlament eben nicht auf dem Tisch lie- 21352 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Annette Buntenbach gen, macht die Sache nur noch peinlicher. Sie sind Entscheidungsspielraum. Im Gegenteil: Sie haben als Regierung schlicht handlungsunfähig. nichts dazugewonnen, sondern etwas Wesentliches verloren, nämlich ihre soziale Absicherung. Und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenn sie jetzt abstürzen, dann tun sie das ohne Netz, und bei der SPD) direkt in die Sozialhilfe. Der Arbeitgeber entledigt Sie beschleunigen mit Ihrer Politik der Deregulie- sich der Kosten für die Sozialversicherung, zahlen rung den Prozeß, bei dem Sie sich anschließend wei- muß letztlich die Allgemeinheit. gern, dafür die Verantwortung zu übernehmen und wenigstens vernünftige Rahmenbedingungen zu set- Da möchte ich Sie doch fragen: Ist denn das die zen, mit denen der Veränderungsprozeß sozial abge- neue Kultur der Selbständigkeit, die der Kanzler ein- sichert würde. Das ist in Anbetracht der Größe des klagt? Ich halte das eher für einen Schritt zurück in Problems schlicht verantwortungslos. die sozialen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts, in den Frühkapitalismus. Ich will versuchen, das Problem einmal greifbar zu machen. Ich will es mit Hilfe eines Beispiels tun: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn ein Arbeitgeber seinem Transportfahrer einen sowie bei Abgeordneten der SPD und der Bully verkauft und ihn verpflichtet, zukünftig die PDS) Vertretung für Urlaub und Krankheit selbst zu orga- nisieren und zu bezahlen, ihn dann als Arbeitnehmer Herr Schäuble hat einmal von den „immer teurer entläßt und als Unternehmer unter Vertrag nimmt, ist werdenden Zwangseinrichtungen" unserer sozialen er die Kosten für die Sozialversicherung los. Er ent- Sicherungssysteme gesprochen, als sei der Anspruch zieht sich seiner sozialen Mitverantwortung und bür- auf Beteiligung, auf solidarische Versicherung illegi- det die Risiken von Arbeitslosigkeit, Krankheit und tim, als sei es etwas Heroisches, sich dagegen aufzu- Alter allein dem Arbeitnehmer auf. lehnen oder sich zumindest zu entziehen. Zwang wird die Pflichtversicherung für diejenigen, die nicht So lange der „worst case" nicht eintritt, der den Schutz und die Solidarität im Vordergrund se- Mensch jung und fit ist, gibt es nicht sofort ein Pro- hen, weil sie meinen, sie seien nicht darauf angewie- blem. Aber da beim Paketdienst niemand so gut be- sen. Für die anderen bedeutet die Existenz und die zahlt wird wie im Profifußball, ist der gemütliche Le- Funktionsfähigkeit der Solidarversicherung ein bensabend mit der individuellen Vorsorge leider un- Stück Freiheit, nämlich Freiheit von existentiellen wahrscheinlich. Ängsten vor Risiken, die die Leute allein nicht abfan- gen können, wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pflege. Von dieser Freiheit hat Herr Schäuble nicht sowie bei Abgeordneten der SPD) gesprochen, sondern die Freiheit, die er meint, ist die Noch unwahrscheinlicher ist es für die Frau, die jah- des Stärkeren. Ausgerechnet er, der sonst so gern auf relang in einem 620- bzw. 520-Mark-Job arbeitet und - Nation und Staatsräson verweist, hat damit indirekt keine Chance hat, eine eigenständige soziale Absi- dazu aufgerufen, sich gesellschaftlicher Verantwor- cherung aufzubauen. Von der Sozialhilfe ist sie dann tung zu entziehen. später nur einen Gatten entfernt. Die Vorschläge der Opposition, wie wir das im- Gemeinsam haben all diese prekären Jobs: Das Le- mense Problem der immer unsichereren Arbeitsver- ben und Arbeiten bleibt unsicher, die Menschen er- hältnisse angehen können, liegen ja auf dem Tisch. preßbar, fast jeder Anforderung durch den Arbeitge- Die Regierung hat dazu praktisch, Herr Louven, au- ber ausgeliefert. Das ist der ungebremste Zugriff des ßer Bedenken eben nichts zu bieten. Sie ist offen- Chefs auf die Lebensstruktur der Arbeitnehmerinnen sichtlich nicht handlungsfähig, wenn es um die zeit- und Arbeitnehmer statt Wahlmöglichkeiten ihrer- gemäße Verbesserung sozialer Absicherung geht seits, zum Beispiel demokratische Mitbestimmung und eben nicht um deren Durchlöcherung oder um über die Lage und Dauer der Arbeitszeiten. Hier Steuergeschenke für Reiche. kann dann - und das wissen wir alle - oft auch der Betriebsrat nicht mehr helfen, zumal dieser ja im Wir haben bei jeder Gelegenheit - und das gilt für Zuge der Ausgründung als erstes verlorengeht. alle Oppositionsfraktionen hier - jeden noch vertret baren Kompromiß angeboten, weil wir alle wissen, Kaum einer dieser Jobs ist sozialversichert. Um die wie die Zeit drängt und daß uns das Problem über Abgaben zu sparen, wird die Sozialversicherungs- den Kopf zu wachsen droht. pflicht schlicht umgangen. Und nach Möglichkeiten dazu muß kein Arbeitgeber lange suchen; die Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN desregierung hat hierzu ja reichlich Wege frei ge- und bei der SPD) macht. Monatelang haben wir alle möglichen Vorschläge Der Transportfahrer beim Paketdienst ist nur ein aus den Reihen der CDU der Presse entnommen; Beispiel für die immer größer werdende Gruppe der jede zweite Meinung ist mit Veröffentlichung geadelt Scheinselbständigen. Andere sind Fahrradkuriere, worden. Daß trotzdem hier heute kein Antrag der Re- Versicherungskaufleute, Kellnerinnen, Ein-Mann- gierungsfraktionen vorliegt, ist zwar der Blockade Subunternehmen im Baugewerbe oder - auch das der F.D.P. geschuldet, aber es ist schlicht ein Armuts- gibt es ja inzwischen - die selbständige Regalauffül- zeugnis für die gesamte Regierung. lerin im Handel. Diese Art der Selbständigkeit hat für die Betroffenen überhaupt nichts mehr gemein mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, einem größeren, unabhängigen, also selbständigen bei der SPD und der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21353

Annelle Buntenbach Deshalb haben wir noch einmal eine Teillösung Wer nun 620-DM-Verträge versicherungspflichtig des Problems als Entschließungsantrag eingebracht. machen möchte und wer vielleicht auch noch die Diese Teillösung sieht eine Kombination aus dem Versicherungspflichtgrenze nach oben anheben österreichischen Modell und der Absenkung der Ge- möchte, wer Selbständige mit der Begründung, sie ringfügigkeitsgrenze vor; das liegt Ihnen schriftlich seien Scheinselbständige, in die Pflichtversicherung vor. Wir haben damit einen Vorschlag aus den Reihen zwingen möchte, der will vor allem nur eins: mehr der CDA aufgegriffen. Beiträge in die Sozialkassen lenken. (Julius Louven [CDU/CSU]: Er ist besser als (Beifall bei der F.D.P. - Peter Dreßen [SPD]: der der SPD-Fraktion, Frau Kollegin!) Dummes Zeug! Wir wollen eine soziale Absicherung für diese armen Menschen! - Ja, dann stimmen Sie bitte zu! Haben Sie schon einmal etwas von den Pro blemen der Sozialversicherung gehört? - Wir haben unseren Antrag vorgelegt, in dem wir Weitere Zurufe von der SPD und dem unsere Vorstellungen, wie das Problem gelöst wer- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den könnte, formuliert haben. Ich bin aber gern be- reit - und das haben wir in der ganzen Debatte deut- Das ist vielleicht ein gutes Vorhaben, wenn man nur lich gemacht -, mich auch auf Teillösungen einzulas- die Finanznöte in den Sozialkassen bedenkt; aber es sen, weil ich weiß, daß ansonsten die Sozialversiche- ist ein schlechtes Vorhaben, wenn man die übrigen rungen weiter ausbluten, daß die Wettbewerbsver- ökonomischen Wirkungen bedenkt: das Anziehen zerrungen weitergehen, daß die eigenständige Absi- der Daumenschrauben, um dem Bürger noch mehr cherung von Frauen leidet und jeder weitere Auf- Geld aus den Taschen zu ziehen. schub eben besonders zu Lasten von Frauen geht. Deshalb haben wir noch einmal eine Teillösung vor- Beide Themen, Scheinselbständigkeit und gering- gelegt, von der wir hoffen, daß Sie ihr auch zustim- fügige Beschäftigung, gehören insofern zusammen, men können. als beide in die gleiche Richtung zielen und beide den gleichen Bedenken begegnen. Beginnen wir mit Ich denke, wenn wir wenigstens diesen Schritt ge- den Scheinselbständigen. meinsam gehen, dann haben wir eben nicht einen Scheinselbständige sollen für die Rentenversiche- Aufschub um ein weiteres halbes Jahr. Aber wenn rung eingefangen werden. Was ist scheinselbstän- Sie sich heute auch diesem Vorschlag verweigern, dig? dann - das kann ich Ihnen jetzt ankündigen - wird die Neuregelung, der Einbezug jeder dauerhaften (Peter Dreßen [SPD]: Ja, das ist die Frage!) Beschäftigung in die Sozialversicherung, eines der ersten Dinge sein, die eine rotgrüne Regierung nach „Meide jeden bösen Schein", heißt es. Wie bekommt dem 27. September zügig anpackt. man diesen bösen Schein als Selbständiger? - (Peter Dreßen [SPD]: Wenn man abhängig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschäftigt ist!) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS - Julius Louven [CDU/CSU]: Es sei Herr Scharping, Ihre Sozialpolitiker haben Sie ein denn, Sie sind nicht dabei!) bißchen schlecht beraten. Man hätte Ihnen doch noch einiges in Ihre Papiere hineinschreiben müssen,

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Die Arroganz jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Gisela Babel, F.D.P.- können Sie sein lassen!) Fraktion. zum Beispiel die Urteile: Lastwagenfahrer sind so- zialversicherungspflichtig, wenn sie nur für einen Be- Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine trieb arbeiten dürfen - BVG 1996. Mutterschutz einer Damen und Herren! Es gibt Selbständige, und es selbständigen Handelsve rtreterin wird nicht ausge- gibt abhängig Beschäftigte. Grundsätzlich sind Selb- hebelt, wenn die Erwerbstätige nur für einen Auf- ständige nicht pflichtversichert, traggeber tätig sein darf, außerdem umfangreichen Weisungen unterliegt - Landesarbeitsgericht Schles- (Konrad Gilges [SPD]: Und die Selbständi wig-Holstein. gen sind auch selbständig - oder?) (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) und grundsätzlich müssen sich Beschäftigte versi- Beschäftigt ein Bauunternehmer einen Arbeiter einer chern. anderen Baufirma vorübergehend, so handelt es sich Von diesen Grundsätzen gibt es - wie immer im deut- nicht um einen Subunternehmer, sondern um einen schen Recht - Ausnahmen. Selbständige, die wie Ar- Arbeitnehmer - versicherungspflichtig. chitekten und Rechtsanwälte in verkammerten Beru- (Peter Dreßen [SPD]: Das sind ein paar fen tätig sind, müssen auch eine Pflichtversicherung wenige, die geklagt haben! Da sehen Sie haben; Handwerker sind für einen begrenzten Zeit- einmal, wie notwendig das ist!) raum versichert. Bei den Beschäftigten gibt es Aus- nahmen, wenn ihr Verdienst oberhalb der Versiche- Gibt eine Deutschlehrerin im Auftrag der Bundesan- rungsgrenze angesiedelt ist oder wenn sie unterhalb stalt für Arbeit Unterricht mit vorgegebenem Lehr- der Grenze auf der Basis von 620-DM-Verträgen be- buch und vorgegebenen Unterrichtszeiten, so ist sie schäftigt sind. Das ist die Ordnung, die wir haben. sozialversicherungspflichtig. Ein Schlachter, der wei- 21354 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Dr. Gisela Babel sungsgebunden beschäftigt ist, ist sozialversiche- einmal ein Eckrentner, ist so oft durch die Plenarde- rungspflichtig, auch wenn er ein Gewerbe angemel- batten „gescheucht" worden wie der geringfügig Be- det hat. schäftigte. Dabei ist er gar nicht zu bedauern. In ganz überwiegender Zahl ist er mit seinem Los, mit Meine Damen und Herren, die schockierenden seiner Beschäftigung und seiner Entlohnung völlig Fälle, die wir in der Anhörung erfahren haben, bezie- zufrieden, und zwar auch die Frauen. Zufrieden sind hen sich nach geltendem Recht allesamt auf Men- auch die vielen Arbeitgeber. Denken Sie doch nicht schen, die nicht scheinselbständig, sondern abhän- nur an die Kettenläden! Ich habe selbst oft genug an gig beschäftigt sind. Hier muß das geltende Recht dieser Stelle gesagt, daß die Zustände in den Ketten- durchgesetzt werden. läden auch unsere Zustimmung nicht finden. Aber (Beifall bei der F.D.P. - Walter Hirche bitte sehen Sie sich doch einmal andere Arbeitgeber [F.D.P.]: Das sind Scharpings Pappkamera an: Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt. Denken Sie den!) an die Parteien,

Nun stelle man sich einmal folgendes vor: Es wagt (Zuruf von der F.D.P.: Auch an Abgeord ein junger Mensch den Sprung in die Selbständig- nete!) keit, vielleicht aus der Arbeitslosigkeit, der Ausbil- dung oder aus einem Beschäftigungsverhältnis her- aus. Einen Mitarbeiter kann er sich zu Beginn noch denken Sie an die Vereine. Denken Sie vor allem nicht leisten. Er fängt klein an, und vielleicht hat er auch an Universitäten, von denen gerade Studenten am Anfang auch nur einen einzigen Kunden. Beschäftigung als studentische Hilfskräfte erhalten. Schließlich ist er neu am Markt; das Geschäft soll Sie glauben doch wohl selber nicht, daß die Universi- sich erst entwickeln. Die SPD nennt das in ihrem täten dann, wenn die Versicherungspflicht kommt Wahlprogramm einen „mutigen Existenzgründer". und diese Verträge verteuert werden, den Studenten Sie verlangt in ihrem Wahlprogramm „wirksame Hil- noch in demselben Ausmaß Beschäftigung anbieten fen" für unseren jungen Existenzgründer. Außerdem können. will sie ihn laut Wahlprogramm unter anderem durch eine Senkung der Lohnnebenkosten fördern. Aber (Beifall bei der F.D.P.) vorher holt die SPD erst einmal zu einem Schlag ge- gen diesen jungen Selbständigen aus: Er soll, bevor Alle diese Verträge wollen Sie mit der Verteuerung er überhaupt seine Existenz neu begründen darf, So- treffen. Mir ist unbegreiflich, warum es hier nicht ei- zialabgaben für sich selbst abliefern. nen viel heftigeren Widerstand gibt. Ich glaube, daß die Öffentlichkeit hierüber nur hinlänglich informiert (Dr. Uwe Küster [SPD]: Erzählen Sie doch ist. keinen Quatsch!) Das ist nun einmal nicht das, was wir uns unter - Den Beschäftigten nutzt der Versicherungsschutz Förderung von Existenzgründungen vorstellen. nichts; das haben wir hier schon öfter ausgeführt. Auch den Sozialkassen bringt dies langfristig keine (Beifall bei der F.D.P. - Zuruf von der SPD: Entlastung. Selbst Professor Ruland hat gesagt, daß Wir reden über die vielen Existenzgründe man bei Einführung der generellen Versicherungs- rinnen bei Schlecker!) pflicht dafür sorgen muß, daß ihnen dann nicht sofort Wer den Schritt in die Selbständigkeit wagt, hat es andere Leistungen aus den Sozialkassen zur Verfü- ohnehin schwer genug. Ämter, Behörden, Genehmi- gung stehen. Sie sehen schon die Schwierigkeiten. gungsverfahren, amtliche Bescheinigungen machen die Existenzgründung bei uns zu einem Hinde rnis- Arbeitslosigkeit kann man nicht mit der Verteue- lauf. Das letzte, was wir brauchen, sind neue finan- rung bekämpfen. Man schafft Flexibilität ab, und zielle Belastungen für unsere jungen Selbständigen. man trifft auch oft die Familien, in denen ein oder zwei Mitglieder zu einem zusätzlichen Familienein- Wir sind dafür, daß sich Selbständige für das Alter kommen beitragen. absichern. Wir haben verschiedene Möglichkeiten, das zu erreichen. Es soll nicht so sein, daß sie unbe- dingt auf Fürsorgeleistungen angewiesen sind. Wir (Beifall bei der F.D.P.) denken nicht reflexartig an die Eingliederung in kol- lektive Sicherungssysteme. Die F.D.P. ist für eine Politik, die hierbei nur auf das Heute und nicht auf das Morgen setzt, in der Tat (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) nicht zu haben. Wir sind für die Sanierung der sozia- Gerade bei den Selbständigen bietet sich eine pri- len Sicherungssysteme, aber nicht durch das Er- vate Altersabsicherung an. schließen immer neuer Personenkreise.

(Beifall bei der F.D.P.) Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zum Das wäre auch ein Beitrag zur Entlastung der Ren- Schluß noch eine Bemerkung: Wir sind am Vorabend tenkassen, deren Situation in 20, 30 Jahren schwierig des 1. Mai mit seinen Kundgebungen. Daß der DGB genug sein wird. glaubt - und dagegen polemisiert -, der Sozialstaat werde zu Grabe getragen, muß niemanden verwun- Nun noch einmal zu den geringfügig Beschäftig- dern. Daß aber die evangelische Kirche es zuläßt, ten: Niemand, nicht einmal ein Arbeitsloser, nicht daß Totenmessen auf den Sozialstaat gelesen wer- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21355

Dr. Gisela Babel den, finde ich unglaublich und unglaublich absto- - das wissen Sie alle -, sie verdienen in Westdeutsch- ßend. land 620 DM bzw. in Ostdeutschland nur 520 DM. Für zwei Drittel von ihnen ist dieses Minieinkommen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne die einzige Einnahmequelle. Daß dieser Tatbestand ten der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Da überwiegend Frauen betrifft, die damit kaum ein sehen Sie einmal, wie die Kirchen das menschenwürdiges, selbstbestimmtes Leben bestrei- sehen!) ten können und die zudem im Alter von bitterer Ar- Die Bürger unseres Landes, die Gläubigen der Kirche mut bedroht sind, wissen all diejenigen, die seit Jah- haben es nicht verdient, daß sich die Kirche so schrill, ren für die Versicherungspflicht von 620-DM-Jobs so unwahr, so anmaßend und so unchristlich gebär- und 520-DM-Jobs kämpfen. det. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne muß Ihnen erneut entgangen sein, daß dies hier im ten der CDU/CSU) Hause auch durch die PDS geschieht. Da wir aber nicht kleinlich sind, werden wir uns nicht aus diesem Ich rufe die evangelische Kirche auf: Machen Sie Grund bei der Abstimmung über Ihren Gesetzent- diesem Hexenspuk ein Ende! Die Sozialordnung in wurf enthalten. Wir tun dies vielmehr, weil wir gegen Deutschland ist und bleibt gesichert. Ihre Bagatellgrenze sind; denn wir setzen uns - wie Ich bedanke mich. Sie wissen - in unserem Antrag dafür ein, für jede be- zahlte Arbeitsstunde die Versicherungspflicht einzu- (Beifall bei der F.D.P.) führen. (Beifall bei der PDS) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Heidi Knake-Werner, Natürlich kennt auch die Regierungskoalition die PDS. Gefahren jahrelanger prekärer Beschäftigung. Daß Sie von der Regierungskoalition dennoch nichts tun, Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Frau Präsidentin! ist nicht nur frauenfeindlich; vielmehr ist der eigent- Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Babel, daß liche Skandal politischer Natur. Nicht drohende Ar- hier die Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen mut und Unterversorgung der so Arbeitenden regen beschimpft wurden, haben wir schon öfter erlebt, Sie auf, sondern höchstens die Steuerausfälle und aber daß Sie jetzt auch noch zu einem solchen Rund- Beitragsverluste bei den Sozialkassen, die in der Tat umschlag gegen die Kirchen ausholen, finde ich eini- dramatisch sind. germaßen überraschend. Aber ist das Problem von Armut trotz Vollzeitar- Wir diskutieren heute - das ist schon gesagt wor- beit nicht wirklich eines, um das sich verantwor- tungsvolle Politik kümmern müßte? Viele, die als den - nicht zum erstenmal über Scheinselbständig- - keit, über illegale Beschäftigung und über geringfü- Scheinselbständige in Paketdiensten, als Teleheimar- gig Beschäftigte. In den zurückliegenden Beratun- beiterinnen oder als Fensterputzer und Verkäuferin gen ist bis in die Reihen der Koalition Handlungsbe- geringfügig beschäftigt sind - von illegaler Beschäfti- darf anerkannt worden. Auch Herr Louven hat das gung will ich jetzt gar nicht reden -, gehören zu der hier bestätigt. Die Bundesregierung bleibt aber untä- Gruppe der „working poor", die auch in der Bundes- tig, und - was noch viel schlimmer ist - sie blockiert republik leider immer größer wird. Die jüngste Studie die Initiativen der Opposition. Das ist einfach unver- des Instituts für Sozialberichterstattung und Lebens- antwortlich. lagenforschung in Frankfu rt beweist nachdrücklich, daß in diesem Land mehr als 2 Millionen Vollzeitbe- (Beifall bei der PDS) schäftigte unterhalb des Existenzminimums leben. In An dieser Stelle hätten Sie Gelegenheit, endlich Ostdeutschland nimmt das Problem der verdeckten Mißbrauch in Milliardenhöhe durch Unternehmer zu Armut dramatische Ausmaße an. bekämpfen. Das wäre glaubwürdige Politik. Statt Die wildwuchsartige Ablösung des Normalarbeits- dessen lassen Sie zu, daß Scheinselbständigkeit im verhältnisses durch Scheinselbständigkeit, durch ille- rechtsfreien Raum schlimmste Blüten treibt. Frau Ba- gale Beschäftigung und durch versicherungsfreie bel, ich habe gedacht, daß wenigstens die Anhörung Minijobs vernichtet Schutzstandards und entläßt die Ihnen das Problem der Scheinselbständigkeit ein we- Arbeitgeber endgültig aus ihrer sozialen Verantwor- nig näher gebracht hätte. Sie machen es sich mit dem tung. Verweis auf geltendes Recht wirklich sehr einfach. (Beifall bei der PDS) Sie schließen die Augen vor illegaler Beschäfti- gung, obwohl allein am Bau 400 000 Menschen unter Diese Erscheinung ist nicht vom Himmel gefallen, unwürdigen Bedingungen arbeiten. Es kümmert Sie sondern das Ergebnis einer Politik, wie diese Bun- offenbar wenig, daß für die meisten der so beschäf- desregierung sie seit 16 Jahren mit Lohn- und Sozial- tigten Menschen der Lohn weder zum Leben reicht dumping betreibt. noch die geltenden sozialen Schutzstandards An- Herr Louven, wenn Sie hier heute wieder vom Ko- wendung finden. stendruck der Unternehmen gesprochen haben, Nach Angaben der „Sozialpolitischen Umschau" dann erinnere ich Sie an die Aussagen von Herrn vom April arbeiten allein 5,6 Millionen Menschen in Müller in der vorhergehenden Debatte, wonach die sogenannter geringfügiger Beschäftigung, das heißt Lohnstückkosten der Bundesrepublik in den letzten 21356 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Dr. Heidi Knake-Werner Jahren gesunken sind. Erklären Sie mir einmal, wie sigkeit geschuldet und einer Politik, die nicht vorran- die enormen Gewinne der Unternehmen in den letz- gig die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitslosen be- ten Jahren zustande gekommen sind, wenn es tat- kämpft. Daß die „taz" Ihren erneuten Versuch, Ar- sächlich einen solchen - von Ihnen angenommenen - beitslose zum Spargelstechen zu zwingen, titelt: Kostendruck auf die Unternehmer gibt. Dies ist doch „Bücken lernen", trifft mehr als nur diesen konkreten absolut unglaubwürdig! Vorgang. (Julius Louven [CDU/CSU]: Warum sind (Julius Louven [CDU/CSU]: Sie sind ja aus denn 36 000 Unternehmer bankrott gegan länderfeindlich! Sie muten den Polen zu, gen? Erklären Sie mir das mal!) sich zu bücken, den Deutschen aber nicht! - Das weiß ich auch. Allerdings ist das ein Ergebnis Schämen Sie sich!) Ihrer Politik, weil Sie für die klein- und mittelständi- Nein, Sie haben die Menschen aus dem Blick verlo- schen Unternehmen genausowenig tun wie für die ren, Sie nehmen ihre Sorgen nicht ernst, Sie haben Arbeitslosen und die arbeitenden Armen. keine Ahnung mehr von der Perspektivlosigkeit und (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Dr. Uwe von der Zukunftsangst, die sich gerade bei jungen Küster [SPD]) Menschen ausbreitet. Dann wundern Sie sich, wenn sie politischen Rattenfängern auf den Leim gehen. Mit Ihrer undifferenzie rten Mißbrauchsdebatte, mit Vizepräsidentin Michaela Geiger: Frau Abgeord- Ihrem Kampf gegen die sozial Schwächsten, mit Ihrer nete, Ihre Redezeit ist zu Ende. Ausländerfeindlichkeit sind Sie dafür die Stichwort- geber. (PDS): Ich komme gleich • Dr. Heidi Knake-Werner (Beifall bei der PDS - Julius Louven [CDU/ zum Ende. CSU]: Sie wissen nicht, wovon Sie reden, Es ist angeblich im Interesse der Schaffung neuer Frau Kollegin!) Arbeitsplätze - das hat diese Bundesregierung immer wieder gesagt -, die Flexibilisierung des Arbeits- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat marktes voranzutreiben. Diese Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Horst Gün- dem Einzelhandel neue Ladenöffnungszeiten aufge- ther. drängt. Sie ist deshalb dafür verantwortlich, daß Zig- tausende Vollzeitarbeitsplätze in versicherungsfreie 620-DM-Jobs bzw. 520-DM-Jobs und andere Formen Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes- prekärer Beschäftigung umgewandelt worden sind - minister für Arbeit und Sozialordnung: Frau Präsi- befristet und ohne arbeitsrechtlichen und tarifver- dentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Der Kol- traglichen Schutz. lege Scharping kann leider nicht mehr hier sein. - (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Er kommt gleich Vizepräsidentin Michaela Geiger: Frau Kollegin, wieder!) ich habe gesagt, ihre Redezeit ist zu Ende. Sie reden jetzt auf Kosten Ihres Kollegen Gysi. - Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Ich wollte gerade sagen, Frau Fuchs, daß ich dafür Verständnis habe; das passiert auch uns schon mal. Aber es ist ei- Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Wenn er mir noch gentlich schade, daß er nicht hört, was ich jetzt sage, eine Minute gestattet, dann würde ich gerne diesen weil er von seinen Kollegen aus der Sozialpolitik of- Absatz noch zu Ende führen. fensichtlich falsch informiert worden ist. Die Bundesregierung propagiert eine neue Kultur (Gerd Andres [SPD]: So ein Quatsch!) der Selbständigkeit, beschwört Gründer- und Pio- niergeist, und was kommt dabei heraus? Heraus - Den Quatsch, Kollege Andres, können Sie sich jetzt kommt, daß immer mehr Unternehmer weniger ge- anhören. winnträchtige Bereiche und nicht so lukrative Be- triebsteile abstoßen und in höchst fragwürdige For- Erster Punkt: Seine Rede war aufgebaut mit Vor- men von Selbständigkeit vergeben. Die Expansion würfen gegen die Bundesregierung, was sie a lles des Franchise-Systems ist dafür ein beredtes Beispiel. falsch macht und was im Ausland besser läuft. Er Das ist ein Verschiebebahnhof, der nur dazu beiträgt, führte unter anderem an, daß es in den Niederlanden das Tarifvertragssystem auszuhebeln, die betriebli- von der ersten Mark an Versicherungspflicht gibt. che Interessenvertretung zu schwächen und die so- Das ist falsch. In den Niederlanden gibt es eine an- zialen Standards zu schleifen. dere Berechnungsgrundlage. Es gibt keine Geringfü- gigkeitsgrenze, aber da die Beiträge in den Nieder- Diese Koalition hat mit ihrer Deregulierungspoli- landen nach steuerlichen Grundsätzen erhoben wer- tik den beschäftigungsfeindlichen Wildwuchs in un- den, gibt es do rt einen Freibetrag für Versicherungs- serem Arbeits- und Wirtschaftssystem gefördert und freiheit von 520 DM. damit einem Prozeß, der ohnehin in Gang ist, die so- zialstaatliche Absicherung entzogen, und zwar mit (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Aha!) dramatischen Folgen für Arbeitende und Arbeitslose. Wenn man so etwas nicht weiß, sollte man besser Daß trotzdem viele Menschen bereit sind, sich auf den Mund halten. solche Beschäftigungsverhältnisse einzulassen, ist dem enormen Druck der millionenfachen Arbeitslo (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21357

Parl. Staatssekretär Horst Günther Nächster Punkt: Der Kollege Scharping weiß offen- üben. Von 1995 bis heute hat sich diese Situation sichtlich nicht, daß es auch für die Mißbrauchsbe- eher verschärft. Hierüber müssen wir natürlich re- kämpfung Strafvorschriften gibt, daß es jede Menge den. Anzeigen durch die Bundesanstalt für Arbeit gibt und daß es bereits auch Urteile gibt. Allerdings lösen die Vorschläge von seiten des Bundesrats und der SPD-Fraktion dieses Problem (Zurufe von der SPD) überhaupt nicht, der Kollege Louven hat sich damit schon beschäftigt. Ihre Gesetzentwürfe gehen an der - Warum regen Sie sich über Fakten auf, die ich hier Realität vorbei. Denn die Frage, ob eine Tätigkeit richtig darstelle und die Ihr Fraktionsvorsitzender selbständig oder abhängig ausgeübt wird, kann nur falsch dargestellt hat? - Es gibt also genügend Straf- für den konkreten Einzelfall beantwortet werden. vorschriften. Woran es aber noch mangelt, sind die Die meisten Tätigkeiten können - rechtlich zulässig - Urteile. sowohl in Selbständigkeit als auch in abhängiger Be- schäftigung ausgeübt werden. Anknüpfungspunkt für das Sozialversicherungsrecht ist grundsätzlich Vizepräsidentin Michaela Geiger: Gestatten Sie das Beschäftigungsverhältnis. Beschäftigung im eine Zwischenfrage der Abgeordneten Buntenbach? Sinne der Sozialversicherung wird durch nichtselb- ständige Arbeit geprägt. Soweit durch eine vertrag- lich vereinbarte Selbständigkeit die Sozialversiche- Parl. Staatssekretär beim Bundes- Horst Günther, rungspflicht umgangen werden soll, stimmt die ver- minister für Arbeit und Sozialordnung: Nein, jetzt tragliche Gestaltung häufig nicht mit den tatsächli- nicht, ich muß erst die Dinge richtigstellen, die hier chen Gegebenheiten überein. Im Sozialversiche- falsch gesagt worden sind. Ich bitte um Verständnis. rungsrecht kommt es aber nicht auf einen noch so Es liegt nicht an der Bundesregierung - höchstens scharfsinnig formulierten Vertrag, sondern auf die an Landesregierungen, Kollege Büttner -, wenn die tatsächlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten Justiz nicht mitkommt, die ganzen Strafanzeigen, die an. Das ist das Entscheidende. vorliegen, abzuarbeiten. Das ist Fakt in diesem Sach- zusammenhang und nichts anderes. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall des Abg. Walter Hirche [F.D.P.]) Die Frage, ob ein sozialversicherungspflichtiges Das wollte ich erst einmal geradegestellt haben. Beschäftigungsverhältnis vorliegt, wird von der Ein- zugsstelle - der zuständigen Krankenkasse - und im Ich will auch noch hinzufügen, daß uns sehr wohl Streitfall von den Ge richten der Sozialgerichtsbarkeit bekannt ist, daß es Beschäftigungsverhältnisse gibt, entschieden. Die Krankenkassen als Beitragsein- in denen ein Stundenlohn von 2 oder 4 DM gezahlt zugsstellen sind zusammen mit der Bundesanstalt für - wird. Diese verurteilen wir genauso. Deshalb haben Arbeit und den Rentenversicherungsträgern bemüht, wir schon vor Jahren 1000 Mitarbeiter bei der Bun- Umgehungstendenzen im Zusammenhang mit der desanstalt für Arbeit eingestellt, die insbesondere Scheinselbständigkeit entgegenzuwirken. Dabei zie- Baustellen mit Akribie prüfen. Was Herr Scharping hen sie die Kriterien heran, die die Rechtsprechung dazu gesagt hat, ist ein Schlag ins Gesicht der fleißi- für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung gen Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit, die - entwickelt hat. leider - großartige Erfolge auf diesem Gebiet erzie- len. Eine Schwachstelle bei der Bekämpfung von Scheinselbständigkeit ist allerdings, daß die Einzug Meine Damen und Herren, wir haben ja schon des stellen häufig erst nach Betriebsprüfungen erfahren, öfteren in diesem Hause über die anstehenden The- ob Anhaltspunkte für eine solche Scheinselbständig- men beraten. Die Bundesregierung nimmt das Pro- keit vorliegen. Denn ein Unternehmen, das von der blem der Scheinselbständigkeit sehr ernst. Wir för- Selbständigkeit einer Tätigkeit ausgeht, meldet den dern Existenzgründungen, denn wir brauchen einen nach seiner Ansicht Selbständigen natürlich nicht neuen Aufbruch hin zu mehr Selbständigkeit. Es bei der Krankenkasse an und führt für ihn auch keine kann nicht angehen, daß für immer mehr Arbeitneh- Beiträge ab. Diese Schwachstelle gilt es zu beseiti- mer Selbständigkeit konstruiert wird, um die Sozial- gen. Die vorliegenden Gesetzentwürfe halten aber beiträge zu sparen, und diese sich damit aus der Soli- lediglich Merkmale fest, die von der Praxis und dargemeinschaft verabschieden. In diesem Punkt Rechtsprechung seit langem entwickelt worden sind. sind wir uns sicherlich einig. Der soziale Schutz der Das reicht nicht, den Sozialversicherungsträgern das Betroffenen geht dabei verloren; gleichzeitig führt Aufdecken von Scheinselbständigkeit zu erleichtern. dieses zu einer Erosion in der Sozialversicherung. Wenn der Kollege Scharping einen scheinselbstän- Nach den Ergebnissen einer IAB-Untersuchung digen Kellner entdeckt hat, soll er ihn doch der Kran- waren 1995 - je nach Abgrenzung - zwischen 180 000 kenkasse melden und den Bet rieb einmal prüfen las- und 430 000 Personen Scheinselbständige. Bezogen sen. Dann kann festgestellt werden, ob er scheinselb- auf die Zahl aller Erwerbstätigen sind damit zwi- ständig ist oder nicht. Das ist besser, als hier im Bun- schen 0,5 und 1,2 Prozent als scheinselbständig ein- destag der Bundesregierung Vorwürfe zu machen. zustufen. Je nach Abgrenzung dürften 330 000 bis zu Damit haben wir nun wirklich nichts zu tun. 1 Million Personen eine scheinselbständige - das heißt: tatsächlich abhängige - Nebentätigkeit aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 21358 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Parl. Staatssekretär Horst Günther Schon heute müssen Einzugsstellen und Prüfdien- Meine Damen und Herren, damit komme ich zu ste die im Gesetzentwurf genannten Kriterien in je- den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, dem Einzelfall prüfen und würdigen. Die vorgeschla- den sogenannten 620-DM-Verträgen. Vorweg stelle gene gesetzliche Normierung dieser Kriterien und ich klar: Auch mir paßt es nicht, wenn Arbeitgeber die in diesem Zusammenhang vorgesehene Vermu- versicherungspflichtige Arbeitsplätze in mehrere so- tung machen diese Prüfung nicht entbehrlich. zialversicherungsfreie geringfügige Beschäftigungs- verhältnisse aufspalten. (Peter Dreßen [SPD]: Wie viele Prüfer brau chen Sie denn dann?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Peter Dreßen [SPD]: Sehr gut! Da müssen Sie Statt dessen entsteht die Gefahr, daß sich die Betei- handeln!) ligten mit entsprechend gestalteten Verträgen schnell auf die neue Rechtslage einstellen. Damit Das ist, Kollege Dreßen, eine Kampfansage an unse- wird das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich ren Sozialstaat. Das darf man wohl so formulieren. gewollt ist. Früher waren geringfügige Beschäftigungsverhält- Ich erinnere an die Entscheidung des Bundesver- nisse die Ausnahme. So war auch die Intention des fassungsgerichts von 1996, in der das geltende Recht Gesetzes. Ich habe allerdings zu denen gehört, die zum Begriff des Beschäftigungsverhältnisses be- gesagt haben: Seid nicht so perfekt, Leute; wenn ei- grüßt wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat sei- ner ein paar Mark nebenbei verdient, dann muß nerzeit festgestellt, daß dieser offene Ansatz über nicht sofort der Sozialstaat zulangen. Aber die Ver- Jahrzehnte hinweg auch den sich ändernden Sozial- hältnisse haben sich gründlich geändert. Zwischen strukturen gerecht werden konnte. Er ist besser ge- 1992 und 1997 ist die Zahl der versicherungsfreien eignet, Umgehungen im Versicherungs- und Bei- Arbeitsverhältnisse um rund 25 Prozent, von 4,5 Mil- tragsrecht zum Nachteil abhängig Beschäftigter zu lionen auf 5,6 Millionen, angestiegen, und eine wei- vermeiden, als eine Normierung bestimmter Krite- tere Zunahme ist wahrscheinlich. Renten-, Kranken- rien, die immer nur den Charakter einer Momentauf- und Arbeitslosenversicherung dürfen nicht weiter nahme haben kann. - Ich habe bereits beim letzten die Verlierer sein, während die Unternehmen sozial- Mal gesagt: Es gibt viele, die wissen, daß sie schein- versicherungspflichtige Arbeitsplätze aufsplitten und selbständig tätig sind, die sich aber aus Angst, sonst in 620-DM-Jobs zerstückeln. überhaupt keinen Job zu haben, nicht melden. Wenn Die Dummen sind bei einer solchen Entwicklung das geschehen würde, könnte man der Sache besser die treuen und ehrlichen Arbeitgeber und Arbeitneh- nachgehen. - Ich stimme der Wertung des Bundes- mer; sie müssen um so höhere Beiträge zahlen. Hier verfassungsgerichts ohne jede Einschränkung zu. sind die Arbeitgeber aufgefordert, Solidarität und Nur eine offene Definition ermöglicht der Praxis, fle- Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern und xibel auf neue Erscheinungsformen der Arbeitswelt - der Sozialversicherung zu zeigen. zu reagieren. Andere Wege sind - wie jeder Aktionis- mus - Holzwege. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es geht also darum, Scheinselbständigkeit besser zu erfassen und aufzudecken. Hier hat die Bundesre- Ich hätte mich gefreut, wenn der Kollege Schar- gierung bereits gehandelt: So sind seit 1995 Über- ping einen Appell an die Arbeitgeber gerichtet hätte, mittlungen von Gewerbeanzeigen an die Einzugs- sich darüber einig zu werden, die Zerstückelung so- stellen vorgesehen. Seit Mitte 1996 sind die Prüfbe- zialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze zu unter- fugnisse nach der Beitragsüberwachungsverordnung lassen. Statt dessen hat er der Bundesregierung vor- erweitert worden. Mittlerweile können die Betriebs- geworfen, daß sie in dieser Richtung nicht genügend prüfer auch ohne besondere Begründung über den tut. Bereich der Lohn- und Gehaltsabrechnung hinaus (Lachen der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) die Finanzbuchhaltung einsehen, also auch die Ver- träge mit den freien Mitarbeitern. Jetzt kommt es - Frau Fuchs, Sie lachen in Ihrer bekannten Weise, darauf an, daß die Sozialversicherungsträger diese weil Sie wissen, daß alles, was der Kollege Scharping Möglichkeiten auch tatkräftig nutzen. Die Bundesre- vorgeführt hat, nur Wahlkampfgetöse ist. Sonst hätte gierung beobachtet die Entwicklung in diesem Be- er zu diesem Thema überhaupt nicht gesprochen. So reich weiterhin mit großer Aufmerksamkeit. Wir wer- und nicht anders ist es doch. den ergänzende Maßnahmen treffen, wenn dies not- wendig ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) In diesem Zusammenhang bedarf es einer ein- Es ist vor allem die hohe Belastung mit Steuern gehenden Überprüfung der Frage, inwieweit arbeit- und Abgaben, die die Arbeitnehmer oft veranlaßt, nehmerähnliche selbständig Erwerbstätige eines auf versicherungsfreie Beschäftigungsformen auszu- Versicherungsschutzes gegen die Risiken der Invali- weichen oder sie anzunehmen, weil sie sonst nichts dität und des Alters bedürfen, um Not und Fürsorge anderes bekommen. Ein Ja zur Steuerreform wäre si- zu vermeiden. - Der Kollege Louven hat bereits da- cherlich der bessere Beitrag gewesen, um dieser Pro- von gesprochen, daß solche Dinge im Augenblick be- blematik beizukommen. raten werden. - Die von der SPD vorgeschlagenen Neuregelungen werden diesem Anspruch leider (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nicht gerecht und deshalb von uns abgelehnt. ordneten der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21359

Parl. Staatssekretär Horst Günther Die Verweigerung der Sozialdemokratischen Partei Den Mißbrauch bei den geringfügigen Beschäfti- Deutschlands, wenn es darum geht, den Bürgern gungsverhältnissen wollen wir beseitigen. Milliarden an Steuern zurückzugeben, wirkt sich auf die Binnennachfrage und auf den Arbeitsmarkt ver- (Gerd Andres [SPD]: Richtig! Was steht heerend aus. denn in Ihrem Wahlprogramm d rin, Herr Staatssekretär? - Weitere Zurufe von der (Beifall bei der CDU/CSU) SPD) Wenn dadurch die Realeinkommen sinken, trägt - Das werden Sie noch lesen. - Aber die Bürger las- dafür ebenfalls die SPD die Verantwortung und nicht sen sich nicht für dumm verkaufen: die Tarifpartner. Sie wollen auch gar nicht, wie es der Titel Ihres Gesetzentwurfs vermuten läßt, den Miß- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge brauch der Geringfügigkeitsgrenze bekämpfen. Sie ordneten der F.D.P. - Gerd Andres [SPD]: wollen sie doch im Grunde abschaffen. Dies lehne Das ist wahr!) allerdings auch ich ab. Wir wollen den Mißbrauch hier Maximalforderungen stellen und do rt eine pflau- bekämpfen, aber die Geringfügigkeitsgrenze nicht menweiche Forderung im Wahlprogramm, natürlich generell abschaffen. unter dem Finanzierungsvorbehalt so wie do rt alles. Anders als die Opposition setzt die Bundesregie- Meine Damen und Herren, mit solchen faulen Eiern rung nicht auf die Fata Morgana, mit einer Herabset- werden Sie niemanden überzeugen können. zung der Geringfügigkeitsgrenze bis hin zu ihrer fak- Vielen Dank. tischen Abschaffung könnte man das Problem lösen. Eine politische Lösung, meine ich, bedarf der Akzep- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tanz von seiten aller Beteiligten; sonst werden wieder neue Schlupflöcher erfunden. Wir wissen, daß die Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile der Arbeitgeber die hier vorgeschlagene Radikallösung Abgeordneten Annelie Buntenbach das Wo rt zu ablehnen. Ihnen würde zum Beispiel die Möglichkeit einer Kurzintervention. Bitte schön. genommen, auf Auftragsspitzen flexibel zu reagie- ren. Auch wissen wir, daß eine generelle Versiche- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: rungspflicht bei den geringfügig Beschäftigten über- Die hatten wir doch schon! Gräßlich!) wiegend auf Ablehnung stößt. Bei dieser Interessenlage eine konsensfähige Lö- Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sung zu finden ist zugegebenermaßen sehr schwie- NEN): Lieber Kollege Günther! Liebe Kolleginnen rig. Mit einem Rundumschlag, wie hier vorgeschla- und Kollegen! Es ist ein interessantes Phänomen: gen, ist es jedoch nicht getan. Wenn man mit dem Rücken an der Wand steht, dann versucht man die Flucht nach vorn, und die funktio- Wir werden uns weiter bemühen, sachgerechte Lö-- niert mit drei Mechanismen: Einmal funktioniert sie sungen zu finden, wenn es sein muß, auch in mehre- so, daß man den Überbringer der schlechten Nach- ren Schritten; denn in diesem sensiblen Bereich ver- richt schlechtmacht, statt sich die Nachricht anzuhö- spricht ein behutsames Vorgehen eher Erfolg als die ren. Dann funktioniert sie darüber, daß man das Pro- große Dampfwalze. blem selbst herunterspielt, und darüber, daß man dann gegenüber den vorliegenden Vorschlägen Be- (Gerd Andres [SPD]: Bis jetzt gibt es gar denken, Bedenken und noch mal Bedenken äußert, kein Vorgehen von Ihnen!) statt selbst etwas vorzulegen. Damit, meint man Zu dem Gesetzentwurf der SPD hat eine ausführ- dann, kann man das Problem erledigen. Genau das liche Anhörung stattgefunden. Er wurde im Aus- funktioniert aber so nicht. schuß für Arbeit und Sozialordnung ausgiebig bera- Ich will jetzt einen Punkt, den ich als ein Herunter- ten. Ohne daß neue Erkenntnisse vorliegen, legt spielen des Problems bezeichnet habe, einmal aus- Frau Ministerin Stolterfoht aus Hessen einen Gesetz- führen. Sie haben sich auf die IAB-Studie bezogen entwurf vor, der noch nicht einmal einen anderen und haben erklärt: Darin wird deutlich, daß die recht- Namen trägt. Dabei hat das Land Hessen in der liche Grundlage jetzt und heute ausreicht. Dann ha- vorigen Woche - man höre und staune - in den ben Sie fortgeführt: Der Kollege Scharping soll doch zuständigen Ausschüssen des Bundesrates bean- den Kellner melden; dann wird man schon überprü- tragt, die Behandlung dieses Antrags, der mit dem fen, was er für einen Status hat. Genau so funktio- heute hier zur Entscheidung stehenden identisch ist, niert es nicht. zu vertagen, und dies mit der lächerlichen Begrün- dung, daß die Prüfung des Gesetzesantrages noch Die IAB-Studie ergibt, daß es ein breites Feld von nicht abgeschlossen sei. Ein Schelm, der dabei an die über einer Million Menschen gibt, deren Status un- bevorstehende Bundestagswahl denkt! Der Kandidat geklärt ist. Diese können natürlich versuchen, für aus Niedersachsen muß in seinem Bauchladen eben sich selbst ihren Status zu klären. Nur wissen auch für jeden etwas dabeihaben. Sie, was das bedeutet, nämlich daß der Mensch nachher in der Regel seinen Job los ist. Er hat dann Allerdings steht dann im Wahlprogramm der SPD sehr abgeschwächt und unkonkret zu diesem zwar seinen Status geklärt. Aber da er keinen ver- nünftigen rechtlichen Schutz hat, ist er danach den Thema -: Job und damit die soziale Absicherung los, für die er (Zuruf von der SPD: Wir haben wenigstens geklagt hat. Das kann der Kollege Scharping für den eins!) Kellner gar nicht erledigen, weil wir - das gilt so- 21360 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Annette Buntenbach wieso für die SPD, aber eben auch für die Gewerk- zwar keine Geringfügigkeitsgrenze; aber durch die schaft - kein Verbandsklagerecht haben. Auch an Freibeträge wird das kompensiert. dieser Stelle haben wir also ein Loch. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nein!) Der Kollege Scharping wollte - das kann ich nur - Sie müssen sich einmal richtig informieren! voll unterstreichen - die Botschaft übermitteln, daß die Wirtschaft nicht kaputtgeht, wenn die Ge ring- Wenn Sie meinen, wir stünden mit dem Rücken fügigkeitsgrenze abgeschafft und jede dauerhafte zur Wand, dann kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Beschäftigung in die Sozialversicherung einbezogen man an der Wand steht, steht man sicher. Ich kann wird. In diesem Zusammenhang hatte er sich auf ein auf diese Weise ganz gut stehen. Das ist also nicht Beispiel aus den Niederlanden bezogen. Sie haben das Problem. behauptet, er habe falsche Fakten genannt. Ich sage: Sie haben falsche Fakten genannt. (Gerd Andres [SPD]: Das merkt man bei Ihnen schon seit längerem!) (Gerd Andres [SPD]: Richtig!) Zu dem, was Sie sonst noch ausgeführt haben: In den Niederlanden gibt es nämlich keine Versiche- Frankreich habe ich nicht erwähnt, weil es mit die- rungsfreiheit in der Rentenversicherung. Die Versi- sem Thema überhaupt nichts zu tun hat. Mir liegt die cherungspflicht gilt ab der ersten Arbeitsstunde. Sie Aufstellung für alle europäischen Staaten selbstver- haben zwar recht - der Kollege Scharping hat das ständlich vor. vorhin im einzelnen nicht auseinandergewuselt -, Aber weil Sie mich gerade angesprochen haben daß dort für andere Versicherungszweige ein späte- und weil ich noch Zeit habe, will ich Ihnen sagen, rer Einstieg in die Sozialversicherung gilt. Aber für daß auch Sie in Ihrer Rede nichts Falsches in die Welt die Rentenversicherung - über die reden wir derzeit setzen sollten. Das habe ich eben vergessen. Sie ha- hier im wesentlichen - gilt, daß es keine Ausnahme ben nämlich dem Bundeskanzler wieder vorgewor- für geringfügige Beschäftigung gibt und daß daher fen, er habe behauptet, die Arbeitslosigkeit werde die Rentenversicherungspflicht ab der ersten Stunde bis zum Jahr 2000 halbiert. Seien Sie doch einmal so und ab dem ersten Gulden besteht. freundlich und nehmen Sie zur Kenntnis, daß dieses (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie in einem gemeinsamen Papier mit den Sozialpart- des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]) nern steht. Das war damals die Geschäftsgrundlage. Auf dieser Basis wurde die Aussage getroffen. Das gleiche gilt übrigens auch für Frankreich, wo es überhaupt keine Sonderregelungen für geringfü- (Lachen bei der SPD - Zuruf von der SPD) gige Beschäftigung gibt. Auch in anderen Ländern - Ich kann Ihnen das Papier gerne zur Verfügung wird die Versicherungspflicht restriktiver gehand- stellen. - Diese Geschäftsgrundlage ist nicht mehr habt als in der Bundesrepublik. Wir haben hier die - gegeben, und deshalb ist es nicht statthaft, eine sol- höchste Geringfügigkeitsgrenze, die es überhaupt che Unterstellung dem Bundeskanzler gegenüber im gibt. Damit lassen wir einen breiten Raum für Wild- Parlament auszusprechen. wuchs zu, was gesellschaftlich, so finde ich, absolut unverantwortlich ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Zuruf von der SPD: Welche Geschäfts Ich behaupte: Der Blick nach Europa, der auch an- grundlage hat denn der Bundeskanzler? - deren Fraktionen nützen würde, zeigt, daß die Wi rt Gerd Andres [SPD]: Sie ist der Rücken-an -schaft nicht kaputtgeht, wenn die Geringfügigkeits- der-Wand-Staatssekretär, damit er noch auf- grenze abgeschafft wird. recht stehen kann! - Konrad Gilges [SPD]: Die Geschäftsgrundlage hat doch der Kanz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ler entzogen!) bei der SPD und der PDS - Gerd Andres [SPD]: Für die Verteidigung von Rudolf Scharping bedanke ich mich!) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat die Abgeordnete Leyla Onur, SPD-Fraktion.

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Staats- sekretär, Sie können antworten. Leyla Onur (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- ginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Bundesrepublik gilt bekanntlich Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes- das Prinzip: Personen, die gegen Entgelt beschäftigt minister für Arbeit und Sozialordnung: Frau Kollegin werden, sind grundsätzlich in der gesetzlichen Buntenbach, es ist ja schön, daß Sie den Kollegen Sozialversicherung gegen Arbeitslosigkeit, Pflege- Scharping verteidigen. bedürftigkeit, Krankheit sowie Berufs- und Erwerbs- unfähigkeit versichert. Zudem erwerben sie durch (Gerd Andres [SPD]: Genau!) ihre Beiträge in die Rentenversicherung einen Ren- tenanspruch. Dennoch ist das, was er hier gesagt hat, und das, was Sie hier gesagt haben, falsch. In den Niederlanden Eine Ausnahme - ich wiederhole: eine Ausnahme werden Freibeträge bei allen Sozialversicherungen - sollten nach dem ursprünglichen Willen des Ge- im 520-DM-Bereich gewährt. Da beißt keine Maus setzgebers die geringfügigen Beschäftigungsverhält- den Faden ab. Ich habe eben schon erklärt: Es gibt nisse sein, also die sogenannten 620-DM-Jobs. Um Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21361

Leyla Onur saisonale Schwankungen und Auftragsspitzen ab- Menschen, insbesondere Frauen, ohne soziale Ab- fangen zu können, sollten Bet riebe vorübergehend sicherung arbeiten müssen. oder für wenige Stunden Arbeitskräfte einstellen können, ohne Beiträge in die Sozialversicherung zah- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Annelie len zu müssen. Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wer vor diesen Tatsachen die Augen verschließt und (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: so tut, als gäbe es keinen Handlungsbedarf, verhält Sie haben überhaupt keine Ahnung von der sich wie ein Feuerwehrmann, der vor brennenden Praxis!) Häusern steht und sich weige rt zu löschen. Ich frage Sie: Kann man bei fast 6 Millionen ge- Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestags- ringfügig Beschäftigten noch ernsthaft von einer fraktion will löschen, bevor ein Flächenbrand ent- Ausnahme reden? steht. (Peter Dreßen [SPD]: Nein!) (Beifall bei der SPD)

Die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhält- Deshalb haben wir 1994 einen Gesetzentwurf zur Be- nisse hat sich nach der jüngsten Studie des Instituts seitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeits- für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik in den grenze in der Sozialversicherung eingebracht, der vergangenen zehn Jahren von 2,8 Millionen auf von der Koalitionsmehrheit abgelehnt wurde, weil es 5,6 Millionen verdoppelt. Die Zahl steigt von Tag zu angeblich keinen Handlungsbedarf gab. In dieser Tag weiter. Legislaturperiode haben wir deshalb unseren Ge- setzentwurf erneut eingebracht. Unser Vorschlag läßt Tatsache ist, daß das, was einmal als Ausnahme durchaus den zeitlich flexiblen Personaleinsatz zu, gedacht war, mehr und mehr zur Regel verkommt. soweit er betriebswirtschaftlich notwendig ist bzw. Ein Blick in die Lokalzeitung genügt, Unter der den Interessen der Beschäftigten entspricht. Er be- Rubrik „Stellenangebote" finden Sie seitenweise seitigt allerdings objektiv vorhandene soziale Defi- Jobs auf 620-DM-Basis. Besonders Frauen sind zu- zite und Mißbrauchsmöglichkeiten. nehmend gezwungen, diese 620-DM-Jobs anzuneh- Arbeitgeber werden danach generell nach einer men, weil immer weniger sozialversicherungspflich- Bagatellgrenze - ich verweise dazu auf das Ergebnis tige Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse des Vermittlungsausschusses - auch für geringfügig angeboten werden. Wie der Kollege Ke ller von der Beschäftigte beitragspflichtig. Dadurch wird die un- CSU am 1. Oktober 1997 sehr richtig festgestellt hat, gerechtfertigte Subvention der 620-DM-Jobs abge- findet schafft, es fließen zusätzliche Beiträge in die Sozial- kassen, Lohnnebenkosten werden gesenkt, Arbeit- eine massenweise Umschichtung von versiche- nehmer und Arbeitgeber werden entlastet, und Be- rungspflichtigen Beschäftigungen hin zu den be- schäftigte werden differenzie rt nach Kranken-, rühmten 610 DM Jobs Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung nur statt. Das heißt, versicherungspflichtige Beschäf- dann beitragspflichtig, wenn ein Schutzbedürfnis be- tigungsverhältnisse werden in 620-DM-Jobs zer- steht oder der Grundsatz der solidarischen Finanzie- stückelt. Die Krönung ist, daß mittlerweile ganze Be- rung der Sozialversicherung dieses erfordert. triebe nur noch mit 620-DM-Kräften arbeiten. Die Meine Damen und Herren, wir haben unseren Landesversicherungsanstalt Baden hat im April 1998 Gesetzentwurf eigentlich in der Hoffnung einge- ermittelt, daß von 85 000 geprüften Bet rieben 20 000, bracht, daß die Bundesregierung angesichts der dra- das heißt, fast ein Viertel, ausschließlich mit gering- matischen Entwicklung endlich Einsicht zeigt und fügig Beschäftigten arbeiten. handelt. (Peter Dreßen [SPD]: Hört, hört!) (Beifall bei der SPD)

Das, meine Damen und Herren, hat der Gesetzge- In der Aktuellen Stunde am 1. Oktober haben einige ber mit seiner Ausnahmeregelung nicht beabsichtigt. Abgeordnete der CDU/CSU durchaus den Eindruck erweckt, das Problem und den Handlungsbedarf (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Annelie erkannt zu haben. Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Zuruf von der SPD: Das machen die schon Die Ausnahmeregelung wird eindeutig mißbraucht, seit Jahren!) und zwar mit verheerenden Folgen. Geringfügige Unter anderem - man höre und staune - sprach der Beschäftigung verzerrt den Wettbewerb. Arbeitneh- Kollege Ramsauer - er ist leider nicht anwesend - mer und Arbeitgeber, die treu und brav Sozialver- von einem dringenden Handlungsbedarf. Nur we- sicherungsbeiträge abführen, werden mit immer nige Wochen später, am 19. Dezember 1997, konnten höheren Beiträgen belastet, weil sie für diejenigen wir im „Handelsblatt" von dem Kollegen Ramsauer mitzahlen müssen, die sich aus der Sozialversiche- lesen: „610-DM-Jobs kein Thema mehr für die rungspflicht verabschiedet haben. Die Sozialver- CSU. " sicherungen erleiden entsprechende Einnahmever- luste in einer Größenordnung von mehr als 16 Milliar- Angenehm überrascht waren wir dann noch ein- den DM. Und das Schlimmste ist, daß immer mehr mal im Januar dieses Jahres, als uns der Louven-Vor- 21362 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Leyla Onur schlag über die sogenannten schlanken Beschäfti- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat gungsverhältnisse auf die Schreibtische flatterte. jetzt der Abgeordnete Johannes Singhammer, CDU/ CSU-Fraktion. ( [CDU/CSU]: Louven ist ein guter Mann!) (Gerd Andres [SPD]: Jetzt spricht die CSU!) Die SPD-Bundestagsfraktion hat den Louven-Vor- schlag ausdrücklich begrüßt, in wesentlichen Punk- Johannes Singhammer (CDU/CSU): Frau Präsi- ten Übereinstimmung festgestellt dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ursachen für das Wuchern von 620-DM-Jobs und (Julius Louven [CDU/CSU]: Aber Scharping von Scheinselbständigkeit sind die hohen Arbeitsko- hat etwas anderes gesagt!) sten und der geringe Ertrag dessen, was in der Hand bleibt. und angeboten - ich zitiere den Kollegen Andres -, sofort Gespräche über den Vorschlag von Julius Lou- (Beifall bei der F.D.P. - Gerd Andres [SPD]: ven aufzunehmen und auf seiner Basis eine parla- Wer ist denn dafür verantwortlich? Wer mentarische Mehrheit für die längst überfällige Neu- regiert denn seit 16 Jahren? - Gegenruf der regelung der geringfügigen Beschäftigungsverhält- Abg. Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Die SPD nisse sicherzustellen. Mehr kann man nicht tun, blockiert!) wenn man ein Problem ernsthaft lösen will. Brutto und Netto klaffen immer weiter auseinander. Wer ernsthaft dagegensteuern will, darf eine ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rechte Steuerreform nicht verhindern. Das ist der DIE GRÜNEN - Julius Louven [CDU/CSU]: politische Lackmustest. Aber wir sind in einer Koalition!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Schon in der folgenden Sitzung des Ausschusses Peter Dreßen [SPD]: Wer regiert denn seit erklärte der Kollege Louven dann, es werde mit 16 Jahren?) Ihnen in dieser Legislaturperiode keine wie immer geartete Neuregelung der geringfügigen Beschäfti- Wer die Auswüchse und Symptome beklagt, ohne gungsverhältnisse geben, weil die F.D.P. dagegen die Ursachen konsequent zu verändern, handelt wie sei. Das kennen wir schon. Entsprechend ist am jemand, der beim Zahnarzt eine Amalgamfüllung 4. März dieses Jahres die Abstimmung im Ausschuß verlangt, während eine Wurzelbehandlung nötig ist. ausgegangen. Die Wurzelbehandlung aber heißt Steuerreform. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Unverantwort (Lachen bei der PDS - Rudolf Scharping lich!) [SPD]: Das zeugt von der Schmerzhaftigkeit - Ihrer Vorstellungen!) Es bedarf keiner prophetischen Gaben meinerseits, um schon jetzt zu wissen, wie die Abstimmung heute Wer hier von Ihrer Seite den Vorwurf der Handlungs- ausgehen wird. Sie werden, ohne einen eigenen Vor- unfähigkeit macht, der sollte sich zunächst an die ei- schlag eingebracht zu haben, unseren Vorschlag ab- gene Nase fassen und überlegen, ob er die Strategie lehnen. Übrigens ist das der einzige Gesetzentwurf, der Blockade im Bundesrat nicht zuallererst beenden der auf dem Tisch liegt. Das möchte ich hier noch und die Möglichkeiten für eine Steuerreform eröff- einmal feststellen. nen müßte. Mehrere Millionen 620-DM-Jobs, Scheinselbstän- (Beifall bei der SPD - Johannes Singham digkeit als Wachstumsprogramm und Schwarzarbeit mer [CDU/CSU]: Der ist überhaupt nicht mit einem wachsenden Anteil am Bruttosozialpro- praktikabel!) dukt sind doch die gleiche Seite einer Medaille: ein Keine andere Gruppe, keine andere Fraktion hat ei- viel zu hoher Bruttoaufwand pro Arbeitsstunde. Dazu nen Gesetzentwurf eingebracht. Es gibt zugegebe- ein Beispiel: Von einem Bruttoaufwand von 90 DM in nermaßen Anträge. So sieht die traurige Wahrheit einer Kfz-Werkstatt verbleiben nach Abzug von aus. Steuern und Sozialversicherungsabgaben einem Junggesellen vielleicht 16 DM und einem Verheirate- Es bleibt nur die Feststellung: Drängende Pro- ten 20 DM netto. Dies inspiriert natürlich, die Sozial bleme sind mit dieser Bundesregierung nicht lösbar. versicherungs- oder Steuerpflicht mit ständig neuen Deshalb muß sie abgelöst werden. Modellen zu umgehen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der F.D.P.) Nach dem 27. September diesen Jahres wird eine SPD-geführte Bundesregierung für die notwendige Der Schlüssel zur Problemlösung - eine gerechte Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsver- Steuerpolitik - darf deshalb in dieser Debatte nicht hältnisse sorgen. Das verspreche ich Ihnen. aus den Augen verloren werden. (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Sehr wahr!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Unser Ziel ist es, mit einer gerechten Steuerreform Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: möglichst viele reguläre Arbeitsverhältnisse neu zu Kaputtmachen wollt ihr das alles!) schaffen, und zwar Arbeitsverhältnisse, für die So- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21363

Johannes Singhammer zialversicherungsbeiträge gezahlt und als erträglich Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger bei empfundene Steuern entrichtet werden. der Anhörung

Sie dagegen gehen mit Ihrem Wahlprogramm ei- (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Was wol nen anderen Weg. Sie stellen viele ungedeckte len Sie denn? - Gerd Andres [SPD]: Jetzt Schecks aus, was dazu führen wird, daß die Steuer- sagen Sie mal, was Sie wollen?) quote steigt und die Abgabenquote nicht sinkt. - wir sagen schon, was wir wollen -, in der dieser dar- auf hingewiesen hat, daß nach Einführung der So- (Peter Dreßen [SPD]: Aber das ist nur Ihre zialversicherungspflicht die Tätigkeit für die über- Meinung!) wiegend geringfügig beschäftigten Zusteller nur dann attraktiv sei, wenn der Arbeitgeber auch den Nun zum Vorschlag der SPD. Mit Ihrem Gesetzent- Arbeitnehmeranteil übernehme. Dies führe zu einer wurf wollen Sie, wie in der Begründung nachzulesen Erhöhung des monatlichen Aufwands für den Zustel- ist, die heute geltende Geringfügigkeitsgrenze ent- ler auf 1200 bis 1 500 DM. Diese Verteuerung könne fallen lassen. Diese Beschäftigten sollen nach Ihren nicht verkraftet werden. Andere Beispiele sind bei Plänen künftig, wie alle anderen Arbeitnehmer auch, der Anhörung aufgeführt worden. hälftig einen Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversi- cherung entrichten. Damit schaffen Sie im wesentli- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was wollen Sie chen die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse denn nun? - Gegenruf der Abg. Doris Bar ab. Eine Lösung mit der Abrißbirne wird aber dem nett [SPD]: Das weiß er selbst nicht!) komplizierten Sachverhalt nicht gerecht. Wir haben in der Union intensiv darüber beraten, (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Gar nichts wie das Fundament der Sozialversicherungssysteme machen wir!) gestärkt werden kann.

Augenmaß ist angesagt. (Gerd Andres [SPD]: Donnerwetter!)

Wir stimmen mit Ihnen darin überein: Wir wollen Eine Einigung innerhalb der Koalition ist bis jetzt die massenhafte Flucht aus den Sozialversicherungs- nicht zustande gekommen. systemen stoppen. (Gerd Andres [SPD]: Das ist aber was ganz Neues!) (Peter Dreßen [SPD]: Sehr gut! - Weitere Zurufe von der SPD: Aber wie? - Wie - Das ist nichts Neues; das wissen Sie bereits. denn?) Ihre Vorschläge sind allerdings völlig ungeeignet. Aber dazu gehört mehr als eine Abrißbirne. Gering- - Das gilt genauso für die Maßnahmen gegen die fügige Beschäftigungsverhältnisse sind eben auf der Scheinselbständigkeit. Sie gehen mit einem gesetzli- einen Seite ein stetig wachsendes Ärgernis durch zu- chen Holzhammer vor, der jedenfalls die Entstehung nehmende Einnahmeausfälle bei den Sozialversiche- neuer gewünschter Formen von Existenzgründungen rungssystemen; auf der anderen Seite - das wissen im Keim ersticken würde. Sie auch - sehen viele Beschäftigte in diesen Arbeits- verhältnissen eine dringend nötige Verdienstmög- (Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch ein Witz!) lichkeit, auf die sie nicht verzichten wollen. Was in Die SPD greift Kriterien des Arbeitnehmerbegriffs dem einen Fall zu Recht als ungerechtfertigter Vorteil auf, die in der Praxis und in der Rechtsprechung ent- angesehen und als Entsolidarisierung verurteilt wickelt worden sind, und verkauft das Ganze als Lö- wird, kann in dem anderen Fall auf Grund der per- sung des Problems. sönlichen Situation nicht vorschnell verdammt wer- den. In dem einen Fall betreibt eine Reihe von Unter- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) nehmen die massenhafte Umwandlung von Arbeits- plätzen in 620-DM-Jobs, wobei dies als Ausnutzen Dabei besteht die Gefahr, daß sich die Praxis durch wirtschaftlicher Macht angeprangert wird. Im ande- entsprechende Vertragsgestaltungen schnell auf die ren Fall kann aber die Beschäftigung von 620-DM- neue Rechtslage einstellt. Damit würden Sie das Ge- Arbeitskräften einem kleinen oder Kleinstunterneh- genteil von dem erreichen, was beabsichtigt ist. men das Überleben im beinharten Konkurrenzkampf ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU - Anke Fuchs Nur eine weite Definition des Arbeitnehmerbe- [Köln] [SPD]: Was heißt das denn? - Hans griffs ermöglicht es, flexibel auf die Arbeitswelt zu Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Was meinen Sie reagieren. Dies zeigen vor allem auch die neueren denn?) Urteile im Bereich des Transportgewerbes, des Ver- kaufs und der Versicherung. Wer eine pauschale Abschaffung aller 620-DM-Jobs anstrebt - das tun Sie -, riskiert oder nimmt billigend (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Also n ix!) in Kauf, daß in diesen Fällen schlußendlich über- haupt keine Arbeitsplätze mehr vorhanden sind. Ich Der Vorschlag der SPD ist ein typischer Oppositi- erinnere an die eindringliche Stellungnahme des onsvorschlag: handwerklich schlecht, nicht zu Ende 21364 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Johannes Singhammer gedacht, in dem sicheren Bewußtsein, daß man ihn klassischer Berufsfelder, die bislang von Selbständig- nie verwirklichen muß. Deshalb lehnen wir ihn ab. keit geprägt waren, zerstört. Ich nenne nur die Han- dels- und Versicherungsvertreter und auch viele (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Franchise-Nehmer. Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Bei vielen neuen Selbständigen-Berufsfeldern, Steinen werfen!) etwa im Bereich der Informations- und Kommunikati- onsdienste, ist die Projektarbeit mit einer längerfri- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat stigen Anbindung an einen Auftraggeber eine typi- jetzt der Abgeordnete , F.D.P.-Fraktion. sche Erscheinungsform. Es gibt viele, die selbständig sind und bei denen möglicherweise die Ehefrau die Buchhaltung macht. Diese würden demnächst alle Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine nicht mehr als Selbständige geführt. Niemand kann sehr verehrten Damen und Herren! Herr Singham- hier aber ernsthaft von Scheinselbständigkeit reden. mer, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür, Dies sind Selbständige. daß Sie hier noch einmal die Differenzen deutlich ge- macht haben, die zwischen dem, womit Sie die 620- (Beifall der Abg. Dr. Gisela Babel [F.D.P.]) DM-Jobs und die Scheinselbständigkeit bekämpfen wollen, und dem, was die Opposition machen will, Im übrigen ist dies ja - darauf ist vorhin bereits hin- bestehen. Ansonsten wird ja hier gelegentlich ver- gewiesen worden - am Anfang einer Selbständigkeit sucht, grundsätz lich so. (Zuruf von der SPD: Schulterschluß zwi Wer hier, wie die Initiatoren der vorliegenden Ge- schen CSU und F.D.P.!) setzentwürfe, gleich wieder den Staat aufmarschie- ren läßt, der würgt neue und häufig boomende Tätig- einen Keil in die Koalition hineinzutreiben, mit dem keiten ab. So wird man verhindern, daß aus der Selb- Ziel, Verunsicherung herbeizuführen. ständigkeit des einzelnen zu Beginn seiner Existenz- Meine Damen und Herren, die heutige Debatte gründung im Laufe der Zeit zahlreiche neue Arbeits- zeigt einmal mehr, welch beschäftigungspolitischer plätze entstehen können. Das Gegenteil aber brau- Amoklauf in unserem Lande eintreten würde, wenn chen wir. Rotgrün wirklich die Regierung übernähme. Der Verdacht liegt nahe, daß der Feldzug der SPD (Lachen bei der SPD) gegen die sogenannte Scheinselbständigkeit nur ein Alibi ist, um die notwendige Reform der Sozialversi- Wenn wir mehr Arbeitsplätze nach Deutschland ho- cherung zu verweigern. len wollen, dann müssen wir den Arbeitsmarkt fle- xibler machen und die Arbeitskosten senken. Das ist - (Beifall bei der F.D.P.) das Gebot der Stunde. Die Rede von Herrn Scharping hat gezeigt - Frau Ba- (Beifall bei der F.D.P.) bel hat darauf hingewiesen -, daß hier ein Pappka- SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen das Ge- merad aufgebaut wird. Hier werden Leute benannt, genteil. Sie wollen den Arbeitsmarkt zu Tode stran- die eindeutig nicht selbständig sind, die abhängig gulieren. Die Folgen für die Arbeitsplätze wären ver- Beschäftigte sind, um dann dem deutschen Volk klar- heerend. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie zumachen, daß man laut Gesetzeslage dagegen vor- setzen Ihre Kampagne gegen alle Beschäftigungs- gehen müsse. Damit dreht man sich dann nur weiter chancen fort, die nicht Ihren antiquierten Vorstellun- und wieder einen Schritt schneller in diesem Teufels- gen entsprechen. kreis der Verteuerung der Arbeit. Dies wird mit uns nicht zu machen sein. Worum geht es eigentlich bei der sogenannten Scheinselbständigkeit? Die Arbeitsteilung in der (Beifall bei der F.D.P.) Wirtschaft schreitet voran. Häufig werden Tätigkei- ten nicht mehr durch Angestellte des Unternehmens Meine Damen und Herren, die SPD setzt sich in ih- selbst erledigt, sondern als Aufträge an Selbständige rem Wahlprogramm dafür ein, Existenzgründer zu vergeben. Diese Art der Spezialisierung ist im stärken. Die Sozialdemokratie wi ll sogar eine Grün- Grunde eine völlig normale Entwicklung. Es gibt sie dungswelle auslösen. Ich glaube, daß mit solchen seit langem, und sie ist weltweit zu erkennen. In al- Gesetzen genau das Gegenteil geschehen wird. len Ländern wird dies so gemacht. Das hat etwas mit Auch ist in der heutigen Debatte immer wieder Arbeitsteilung zu tun, die Sie nicht verstanden ha- vom Mißbrauch der geringfügigen Beschäftigungs- ben. verhältnisse die Rede. Dabei profitieren natürlich Die SPD will nun alle Selbständigen, die zum Bei- Millionen unserer Mitbürger von den Chancen, die spiel nur einen einzigen Auftraggeber haben und dieses Instrumenta rium auch bietet. In vielen Fami- keinen Mitarbeiter beschäftigen, zwangsweise in die lien wird die Möglichkeit, jeden Monat eine ordentli- Sozialversicherung eingliedern. Sie nennt sie damit che Summe zum Einkommen beizutragen, sehr Scheinselbständige. Ich glaube, daß dieser Weg völ- gerne wahrgenommen. Durch die 620-DM-Jobs muß lig in die Irre geht. man nicht in die Schwarzarbeit ausweichen, was sonst automatisch geschehen würde. Wenn man den Kriterienkatalog des Gesetzentwur- fes wirklich ernsthaft anwendet, wird eine Reihe (Beifall bei der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998 21365

Paul K. Friedhoff Viele Frauen können zum Beispiel neben der Kin- Auch dazu stehen wir. Allerdings muß, wie Herr dererziehung gar nicht mehr Zeit für eine Arbeit auf- Singhammer eben richtig gesagt hat, ein wesent- wenden. Diese nehmen das gerne in Anspruch. licher Teil der Bekämpfung darin bestehen - darin stimmen wir sicher völlig überein -, den Unterschied (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) zwischen Netto- und Bruttoeinkommen zu verrin- Soll man ihnen diese Arbeitsmöglichkeit wirklich gern. Dazu gehört die Steuerreform - die ja von der nehmen? Wir sagen dazu mit allem Nachdruck: Mit linken Seite des Hauses blockiert wird -, dazu gehört der F.D.P. war das in der Vergangenheit nicht zu ma- eine Reform der sozialen Sicherungssysteme, damit chen, und das wird mit ihr auch in der Zukunft nicht wir die Sozialabgaben wirklich senken können. zu machen sein. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. - Horst Kubatschka Dies sind unverzichtbare Elemente bei dem Kampf [SPD]: Weil sie weg sein wird!) dagegen. Vermutlich deswegen heißt es in Ihrem Nach den Angaben des Deutschen Instituts für Programm weiter: Wirtschaftsforschung sind 40 Prozent der 620-DM- Grundsätzlich wollen wir dieses Instrument aber Kräfte verheiratete Frauen, knapp 20 Prozent sind erhalten, weil es einen unverzichtbaren Beitrag Rentner, 25 Prozent sind Schüler und Studenten. Wer zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes leistet. deren Beschäftigungschancen einschränkt, handelt familienfeindlich und auch zutiefst unsozial. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P.) Dem ist nichts hinzuzufügen. Auf dieser Basis kön- nen wir uns sehr schnell einigen. Dann haben wir Deshalb kann es auch nicht überraschen, daß sich eine vernünftige Grundlage, um der, wie Sie es nen- eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger in Umfra- nen, Flucht in die 620-Mark-Jobs den Boden zu ent- gen immer wieder dafür ausspricht, die 620-DM-Jobs ziehen. nicht zu verändern. Nachdem wir durchgesetzt haben, daß viele der Die Menschen wollen die geringfügigen Beschäfti- zum Beispiel an den Universitäten bestehenden Be- gungsverhältnisse; die Wirtschaft braucht sie. Die schäftigungsverhältnisse rentenversicherungspflich- 620-Mark-Jobs gibt es vor allem in Bereichen, in de- tig wurden, haben die Länder - übrigens auch die so- nen sonst keine Arbeitsplätze entstehen würden. Das zialdemokratisch geführten Länder - darauf reagiert, gilt besonders für den Dienstleistungsbereich und indem sie die betreffenden Beschäftigungsverhält- private Haushalte. Die Dienstleistungsbranche ist der nisse der Studenten jetzt in 620-Mark-Jobs umge- Wachstumsmarkt der Zukunft. Dieser Markt - mit im wandelt haben. Es ist, so meine ich, sehr scheinhei- übrigen vielen Vollzeitbeschäftigungsverhältnissen - lig, das, was man selber macht, an anderer Stelle an- ist in hohem Maße auf die Flexibilität der geringfügi- zuprangern. gen Beschäftigungsverhältnisse angewiesen. Wer dies ignoriert, zerstört Beschäftigungschancen. Dann Ich möchte zum Schluß kommen. Man wird die So- darf man sich im übrigen auch nicht wundern, daß zialkassen - davon bin ich fest überzeugt - nicht da- Deutschland international immer noch als Dienstlei- durch füllen, daß man die geringfügigen Beschäfti- stungswüste gilt. Hier verspielen wir sehr viele Be- gungsverhältnisse eindämmt und einen Feldzug ge- schäftigungsmöglichkeiten. gen die sogenannte Scheinselbständigkeit führt. Die meisten dieser Arbeitsplätze würden dann schlicht Herr Louven - Sie haben mich vorhin angespro- und einfach entfallen oder in die Schwarzarbeit ab- chen -, wir können uns sicher auf einen ganz einf a- wandern. chen Nenner einigen. Ich lese Ihnen dazu aus dem (Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.]) Wirtschaftsprogramm der CDU, das ja Herr Wiss- mann vorgestellt hat, vor. Das rotgrüne Modell würde Arbeitsplätze in Deutschland vernichten und die Schwarzarbeit an- (Julius Louven [CDU/CSU]: Aus dem vor- heizen. Die F.D.P. wird einem solchen beschäfti- läufigen!) gungspolitischen Unsinn nicht die Hand reichen. - Ob das vorläufig ist, weiß ich nicht. Er hat gesagt, (Beifall bei der F.D.P.) das sei mit den Sozialpolitikern abgestimmt. Was uns heute zur Entscheidung vorliegt, ist ein Ka- Es heißt darin: pitel aus dem rotgrünen Arbeitsplatzvernichtungs- Wir brauchen eine neue Dynamik im Bereich von programm. Wir Freien Demokraten lehnen dies mit Niedriglohn- und Teilzeitarbeit. aller Entschiedenheit ab. (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das ist richtig!) Herzlichen Dank. Das unterstreichen wir. (Beifall bei der F.D.P. - Dr. Uwe Küster [SPD]: Kein Applaus von der CDU/CSU- Daher muß bei dem Instrument der geringfügi- Fraktion! Das muß toll daneben gewesen gen Beschäftigungsverhältnisse der Mißbrauch sein!) bekämpft werden.

(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Auch das ist Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der okay!) Kollege Dr. Gysi, PDS. 21366 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da- herrscht doch ein Grundwiderspruch, den Sie hier men und Herren! Ich bedauere, daß Sie, Herr Lou- noch nie aufgeklärt haben. ven, von allen Thesen von Herrn Hintze gerade die dümmste vertreten haben, indem Sie gesagt haben: Wir sind dafür, die Beschäftigungsverhältnisse ver- Die SPD hat dadurch, daß sie sich in Sachsen-Anhalt sicherungspflichtig zu machen und die Lohnneben- von der PDS hat tolerieren lassen, den Boden bereitet kosten für Unternehmen abzuschaffen und dafür für das Wahlergebnis der DVU. eine Wertschöpfungsabgabe einzuführen. Dann würde es sich für diese Unternehmen nicht mehr loh- (Julius Louven [CDU/CSU]: Das gefällt nen, Scheinselbständigkeit zu organisieren und Ihnen nicht! Das kann ich mir vorstellen!) Leute in versicherungsfreie Beschäftigungsverhält- nisse zu treiben; denn es hätte auf die Wertschöp- - Nein, das ist einfach blanker Unsinn. fungsabgabe keine Auswirkung. Das wäre wirklich (Beifall bei der PDS) ein Dienst für mehr Beschäftigung in der Bundesre- publik Deutschland. In erster Linie haben nicht SPD und PDS Stimmen verloren, sondern die CDU, (Beifall bei der PDS) (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Ziemlich reichlich!) Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Peter Dreßen, SPD. nämlich 12 Prozent. Und bei der DVU sind 12 Prozent gelandet. Peter Dreßen (SPD): Herr Präsident! Meine Kolle- Zudem: Sie waren im Landtag die einzige Opposi- ginnen und Kollegen! tionspartei gegen das Magdeburger Modell. Das hat Wir haben vor eineinhalb Jahren unseren Gesetz- Ihnen keine einzige zusätzliche Stimme eingebracht, entwurf zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit sondern den Verlust von 12 Prozent. Darüber müssen eingebracht, weil wir alle erkannt haben, daß hier Sie doch einmal nachdenken. ein Problem vorliegt. Auch Teile der CDU haben an- Außerdem ärgere ich mich über diese Aussage, erkannt, daß es hier ein Problem gibt. So weit, so gut. weil ich generell dagegen bin, diese Frage so platt Wenn ein Problem vorliegt, ist es meiner Meinung und so polemisch zu beantworten. Der eigentliche nach Aufgabe des Parlaments, eine Lösung zu fin- Skandal ist, daß viele Junge so gewählt haben, weil den. Wir haben im Ausschuß Beratungen durchge- sie keine Hoffnung mehr für die Zukunft haben. führt, wir haben Anhörungen gemacht. Der Herr (Beifall bei der PDS) Bundesarbeitsminister hat das Institut für Arbeits- markt- und Berufsforschung beauftragt, eine Studie Das hängt eben mit Ausbildungsplatzmangel, mit Ar- durchzuführen. Der Bundesrat hat die Vorlagen beitsplatzmangel, mit der Schließung von Jugendein- parallel beraten und das Ergebnis diesem Haus vor- richtungen usw. zusammen. Einen Beitrag dazu lei- gelegt. Alle Beteiligten waren sich einig, daß es so sten auch die 5,6 Millionen sozialversicherungsfreien nicht weitergehen kann - mit zwei Ausnahmen: näm- Beschäftigungsverhältnisse, weil sie eben keine Zu- lich der F.D.P. und der Arbeitgeberverbände. kunft versprechen. In der Anhörung hat die Arbeitgeberseite erklärt, Im übrigen wird hier immer von 620-Mark-Jobs ge- daß es keinen Handlungsbedarf gebe. Die anwesen- sprochen. Vergessen Sie nicht, daß Sie die ostdeut- den Arbeitsrichter haben diese Auffassung in der schen Frauen, die das erwischt, noch zusätzlich da- Luft zerrissen. Wir können nicht rund 1 Million Zwei- durch demütigen, daß Sie Ihnen 100 DM weniger ge- felsfälle im Detail vor Ge richt prüfen, lautete ihr Ar- ben, nämlich nur 520 DM. Wie man im Rahmen von gument in der Anhörung. Schließlich hat sich auch Armut noch so differenzieren kann, bleibt für mich die Rentenkommission beim Arbeitsminister dafür eine völlig offene Frage. ausgesprochen, Scheinselbständige zumindest in der Rentenversicherung einzubeziehen. Das ist nicht der (Beifall bei der PDS) Weisheit letzter Schluß; aber immerhin war es ein Ich will, weil meine Zeit sehr begrenzt ist, Fortschritt. - Der Handlungsbedarf ist also selbst für die Bundesregierung offensichtlich. Demnach waren (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Die Rede- die Voraussetzungen gegeben, damit der Gesetzge- zeit!) ber diesen Mißstand endlich beseitigt. nur noch sagen, daß ich glaube, daß ein großes Pro- Und was ist passiert? Im anschließenden Rentenre- blem darin besteht, daß es zu viele Henkels in dieser formgesetz der Koalition fehlte die angekündigte Re- Gesellschaft gibt, die sich wünschen, daß viele drau- gelung. Bei der Schlußabstimmung darüber erklärte ßen stehen, um den Druck in den Unternehmen erhö- dann Herr Kauder in aller Offenheit, die CDU hätte hen zu können. ja gerne eine Regelung vorgenommen; aber das sei halt mit der F.D.P. nicht zu machen. Wir haben hier Sie reden immer von den zu hohen Arbeitskosten. dieselbe Situation wie bei den 620-Mark-Jobs. Beantworten Sie doch einmal zwei Fragen: Wie kom- men dann die riesigen Gewinne zustande? Wieso Herr Louven, wenn ich die „Bild"-Zeitung vom kann Deutschland Exportweltmeister sein, wenn die 27. April richtig gelesen habe, haben Sie do rt wieder Kosten angeblich viel zu hoch sind? Wenn das so erklärt, daß Sie Vorschläge machen werden, um die wäre, könnte man im Ausland nichts absetzen. Da Scheinselbständigkeit abzuschaffen. Sie von der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21367

Peter Dreßen CDU kommen mir langsam wie Männer vor, die die damit Existenzgründer genügend Zeit haben, sich in Backen aufblasen und, wenn es darauf ankommt, diesem einen Jahr einen Stamm von mehr als einem das Pfeifen vergessen. Das nennt man im Badischen Kunden zu schaffen. Wir haben uns hier also kom- „Maulhelden" . Ich will Ihnen das einmal so offen sa- promißbereit gezeigt. Ja, auch Sie sollten sich einmal gen. ein bißchen bewegen. (Beifall bei der SPD) Insgesamt wollen wir also nichts weiter als gelten- des Recht durchsetzen. In diesem Haus gibt es eine breite Übereinstim- mung. Nur die F.D.P. mauert und blockiert. Wenn der (Paul K. Friedhoff [F.D.P.]: Das ist doch nicht Vorwurf ewiger Blockade auf etwas zutrifft, dann auf geltendes Recht!) diese Situation. Es ist mir völlig schleierhaft, wie man dagegen oppo- Der Fall aus der Anhörung, daß ein sogenannter nieren kann. Hier zeigt sich wieder: Die F.D.P. hat Selbständiger im Monat bei 200 Arbeitsstunden ef- ihre rechtsstaatlichen Grundsätze inzwischen voll- fektiv 47,50 DM verdient, zeigt doch, wie dringend ständig einem falsch verstandenen Wirtschaftslibera- eine Lösung notwendig ist; da können Sie noch so lismus geopfert. In dieser Hinsicht ist die F.D.P. ja viel reden. Das ist eines der konkreten Beispiele, die noch konsequent. wir in der Anhörung mitbekommen haben. Bisher habe ich die Union als grundsätzlich ein- Die F.D.P. hat uns bei der ersten Lesung des Ent- sichtsfähig beschrieben. Wenn man aber etwas ge- wurfs vorgeworfen, wir wollten nur eine neue Regu- nauer hinschaut, sieht es bei der CDU/CSU anders lierung und damit neue Formen der Selbständigkeit aus; denn mit ihrer Kürzungspolitik hat sie sogar im Keim ersticken. Ähnliches haben wir eben von noch zur Konjunktur des Sozialdumpings beigetra- Herrn Singhammer gehört. gen. Meine Damen und Herren von der F.D.P. und Herr (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Singhammer, nichts ist unredlicher als dieser Vor- wurf. Meine Fraktion hat hier eine Vielzahl von An- In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit sind gerade funktio- trägen vorgelegt, mit denen neue Möglichkeiten im nierende Regelungen im Bereich der sozialen Siche- Bereich der Dienstleistungen, der Existenzgründun- rung wichtig. Es geschieht aber genau das Gegenteil. gen und des Mittelstands gefördert werden sollen. Sie haben Schutzfunktionen der sozialen Siche- Wir haben die Novelle der Handwerksordnung mit- rungssysteme immer weiter ausgehöhlt. Verschlech- getragen. Nichts liegt uns also ferner, als neue Felder terungen beim Kündigungsschutz und bei der Lohn- der Beschäftigung zu verhindern. Es ist einfach un- fortzahlung im Krankheitsfall, Kürzungen beim Ar- beitslosengeld, Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe, wahr, was Sie hier sagen. Verschärfungen bei der Sozialhilfe sind nur die jüng- Das kann aber doch nicht heißen, daß wir jede - sten Beispiele. Dazu kommt die Berg-und-Talfahrt Form von Sozialdumping mitmachen. Scheinselb- bei aktiver Arbeitsmarktpolitik, die sich nicht zuletzt ständigkeit ist eine Form von Sozialdumping. immer in steigender Langzeitarbeitslosigkeit nieder- schlägt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Offenbar muß man Sie immer wieder an eines erin- nern: Die Arbeitslosenversicherung ist eingeführt Vor allem aber ist es ein Rechtsverstoß. Hier wird gel- worden, um eine ruinöse Konkurrenz der Arbeitslo- tendes Recht umgangen. Nichts anderes wollen wir sen zu verhindern. Die immer neuen Verschärfungen mit unserem Gesetzentwurf als eine Konkretisie- im Arbeitsförderungsrecht bewirken aber, Herr Lou- rung, weil es bei den Arbeitsgerichten immer Pro- ven, genau das Gegenteil. Und Ihre erfolglose Be- bleme gibt, das zu definieren. Diese Konkretisierung schäftigungspolitik kommt noch hinzu. Sie ist mitver- der Begriffe soll also nur die Prüfung der Einzelfälle antwortlich für immer mehr Scheinselbständige, Out- erleichtern und zugleich eine Grauzone beseitigen, sourcing und die ungehemmte Konjunktur der ge- durch die Scheinselbständigkeit erst entstehen kann. ringfügigen Beschäftigungsverhältnisse. In unserem Gesetzentwurf werden nur die wichtig- Wenn ich als Arbeitsuchender in dieser Situation sten Kriterien benannt, die bei jeder Einzelprüfung eine Anzeige lese angewandt werden. Wo liegt denn da, Herr Fried- hoff, eine Regulierung, wie Sie uns das immer vor- (Julius Louven [CDU/CSU]: Die von Schrö werfen? Der Entwurf bleibt gleichzeitig für Nach- der meinen Sie!) weise offen, daß trotz allem Selbständigkeit im Sinne des Wortes vorliegt. Wo ist denn da die Begrenzung - die von Herrn Dr. Schröder lese ich auch sehr für die berühmten neuen Selbständigen? Das frage gerne -, ich mich. (Paul K. Friedhoff [F.D.P.]: Von Herrn Schrö (Paul K. Friedhoff [F.D.P.]: In den Kriterien! der in Goslar!) Lesen Sie sie doch mal!) in der mir eine Tätigkeit als Tankstellenpächter oder - Ja, lesen. Sie sie mal durch! Speditionsfahrer, Ober, Baggerführer oder was auch immer angeboten wird, und sich bei der Bewerbung Wir haben dann zusammen mit dem Bundesrat vor- herausstellt, daß man mich formal als Selbständigen geschlagen, die Kriterien des Gesetzentwurfs im er- behandeln will, was soll ich denn dann tun, wenn ich sten Jahr einer Selbständigkeit nicht anzuwenden, zwei Kinder habe, vielleicht Ratenverträge abzuzah- 21368 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998

Peter Dreßen len habe, ein Haus abzahlen muß oder sonstige Aus- geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse und der gaben habe? Was bleibt mir anderes übrig, wenn die Scheinselbständigkeit beschäftigt, sowohl in Plenar- Alternative die Arbeitslosigkeit ist? Wer wird sich debatten als auch in den Ausschüssen und in Anhö- dann gegen die Umwidmung seines Arbeitsvertrages rungen, zuletzt im Dezember. Wir haben das auch im wehren können? Das gilt um so mehr, als vielen Be- Zusammenhang mit der Rentenreform getan. Wir ha- troffenen auch noch die kaufmännischen Grund- ben uns dieser Problematik in der Fraktion sowie in kenntnisse fehlen, um überhaupt durchzublicken, der CDU in mehreren Arbeitsgruppen gewidmet und auf was sie sich da einlassen, und dann viel zu spät Lösungen vorgelegt, die heute auch noch einmal zur merken, wo sie landen. Sprache gekommen sind. Dabei ist immer wieder deutlich geworden, daß eine isolierte Betrachtung Scheinselbständigkeit hat auch deswegen Kon- der geringfügigen Beschäftigung und der Schein- junktur, weil die Auftraggeber die prekäre Lage auf selbständigkeit zu kurz greift. Es handelt sich um dem Arbeitsmarkt ausnutzen und die Betroffenen eine mehr als schwierige und komplexe Problematik. quasi zum Mitspielen zwingen. Das sind inzwischen Wer hier nach der Rasenmähermethode verfährt und nicht mehr nur ein paar schwarze Schafe bei den Un- alles über einen Kamm schert, wie es leider oft bei ternehmen, das hat System. Oder was halten Sie da- der SPD geschieht, kann nicht zu konkreten Lösun- von, wenn ein Arzt eine Sprechstundenhilfe zu einer gen beitragen. Selbständigen macht? Frau Buntenbach, Sie haben heute mit einem (Julius Louven [CDU/CSU]: Wie geht das neuen Entschließungsantrag durchaus interessante denn? - Paul K. Friedhoff [F.D.P.]: Das ist Ansätze gezeigt. Sie haben die Diskussion, die wir gegen das Gesetz!) geführt haben, aufgegriffen und versucht, dieser Meine Damen und Herren, ich will mit einer Fest- schwierigen Situation stärker als in früheren Anträ- stellung in Form eines Appells schließen. Dazu gen gerecht zu werden. Hier registriere ich bei Ihnen wende ich mich jetzt wirklich an die besonnenen eine positive Entwicklung. Kräfte in der CDU oder auch in der CDA: Springen (Gerd Andres [SPD]: Stimmen Sie dem Grü Sie über Ihren eigenen Schatten! Stimmen Sie dem nen-Antrag denn zu?) Gesetzentwurf zu! Frau Buntenbach hat in ihrer Kurzintervention deutlich gemacht: Wir wären bereit, Wir müssen mit der Frage der geringfügigen Be- einem solchen Antrag in jedweder Form zuzustim- schäftigung und der Scheinselbständigkeit auch die men. Wichtig wäre einfach, daß wir in dieser Rich- Grundsatzfrage verbinden, wie wir in Zukunft arbei- tung einen Schritt weiterkommen. ten wollen, wie die Arbeitswelt von morgen aussieht Stimmen Sie also diesem Gesetzentwurf zu! Wenn und wie es um die sozialen Sicherungssysteme und Sie sich nicht dazu durchringen können, dann ver- um das Steuersystem bestellt ist, welche Auswirkun- gen die neuen Technologien haben und wie sich spreche ich Ihnen eines: Nach dem Herbst wird sich - der nächste Bundestag erneut mit dieser Vorlage be- nicht nur der Export von Arbeit, sondern auch der schäftigen. Ich bin mir sicher, daß es dann klappen Import von Dienstleistungen via Datennetz auf un- wird. sere Arbeitswelt und auf das Entstehen solcher Be- schäftigungsverhältnisse auswirkt. Wer glaubt, bei (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Annelie den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen die Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Tür einfach zuschlagen und damit das Problem lösen zu können, der verschließt die Augen vor dem drin- genden Reformbedarf bei Steuern und Sozialversi- Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat die cherungen. Nur wenn es uns gelingt, die Steuer- und Kollegin Dr. Maria Böhmer, CDU/CSU. Abgabenlast für jeden einzelnen Arbeitnehmer und (Gerd Andres [SPD]: Jetzt kommen die für die Unternehmen zu reduzieren, werden auch glänzenden Beschäftigungsverhältnisse im Vorschläge zur Eindämmung der geringfügigen Be- Bereich des Dienstmädchenprivilegs! Da schäftigung und der Scheinselbständigkeit eine rea- bin ich einmal gespannt!) listische Chance haben und wirklich greifen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dreßen hat natürlich in einem Satz recht: In der Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Frau Dr. Böhmer, nächsten Legislaturperiode werden wir uns weiter gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dre- mit dem Thema Geringfügigkeit beschäftigen. Aber ßen? wir werden dann hier unsere Vorschläge vorlegen, und dann wird über unsere Vorschläge positiv abge- (CDU/CSU): Ja, bitte. stimmt werden. Dr. Maria Böhmer (Gerd Andres [SPD]: Welche Vorschläge, Frau Kollegin? Sie hatten 16 Jahre Zeit, Peter Dreßen (SPD): Frau Dr. Böhmer, ich habe von welche vorzulegen!) einigen Ihrer Redner immer wieder gehört, daß es Änderungen geben müsse. Uns werfen Sie vor, wir Wir haben uns in dieser Legislaturperiode im Bun- hätten radikale Lösungen. Können Sie denn endlich destag außerordentlich intensiv mit der Problematik einmal sagen, wann Sie uns konkrete Vorschläge Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21369

Peter Dreßen vorlegen, damit wir darüber beraten können, und zieren oder ehrenamtlich tätig zu sein. Diesen Flexi- wie sie aussehen? bilisierungsprozeß wollen wir nachhaltig unterstüt- zen. (Walter Hirche [F.D.P.]: Netto und brutto annähern! Dann macht Scharping auch Aber dort, wo die Veränderung von Normalarbeits- nicht mehr diese Fehler!) verhältnissen in prekärer Beschäftigung mündet, sind Grenzen gesetzt. Do rt müssen wir die Weichen Uns würde einmal brennend interessieren, wie Sie anders stellen; denn die als Ausnahme gedachte ge- dieses Problem lösen wollen, weil Sie ja immer sa- ringfügige Beschäftigung hat sich - das ist heute gen, bei der Scheinselbständigkeit und bei den 620- schon mehrfach gesagt worden - zu einem Massen- DM-Verträgen handele es sich um ein Problem. Kön- phänomen entwickelt. Besonders belastend stellt nen Sie uns einmal sagen, wann Sie endlich dem Ho- sich die Umwandlung von regulärer Teilzeit- und re- hen Hause etwas vorlegen? Vielleicht könnte es ein- gulärer Vollzeitbeschäftigung in geringfügige Be- mal so gehen, daß wir es nicht aus den Zeitungen, schäftigung dar. sondern, wie es parlamentarisch notwendig ist, in den Gremien erfahren. In der Anhörung, die im wesentlichen nichts Neues gebracht hat - es wurden die alten Argumente vorge- Um- Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Herr Kollege Dre- tragen -, haben wir konkreten Zahlen über die ßen, wir haben heute beispielsweise über den Vor- wandlung nachgespürt. Das war außerordentlich schlag des Kollegen Louven gesprochen. schwierig. Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen rechnete den Anwesenden vor, daß (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie sollen Probleme im Jahre 1996 im Einzelhandel die Anzahl der Voll- lösen und nicht ansprechen!) zeitbeschäftigten um rund 30 000 zurückgegangen ist und die Anzahl der geringfügig Beschäftigten Ich habe den Eindruck, daß das ein Vorschlag ist, der mittlerweile 600 000 Personen beträgt. Man kann durchaus weiter trägt und der die Richtung der wei- dies als Tendenz hinstellen. Es gibt noch andere Zah- teren Beratung deutlich machen kann. len, die diese Tendenz stützen. Zu Ihrem Antrag: Sie haben gesagt, er sei andert- halb Jahre alt. Genaugenommen ist er drei Jahre alt. Von daher unterstreiche ich voll, was Julius Louven Das sollten Sie als Antragsteller eigentlich wissen. hier gesagt hat, daß wir gerade auf diese Verände- rung, auf die Umwandlung der Beschäftigungsver- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wer hat denn die hältnisse hin zu geringfügiger Beschäftigung, reagie- Beratung verhindert?) ren müssen und diese Umwandlung gestoppt werden muß. Schauen Sie einmal auf das Datum; er stammt aus dem Jahre 1995. Sie haben es noch nicht einmal für (Peter Dreßen [SPD]: Wie denn?) notwendig gehalten - ich wiederhole das, was ich schon im Ausschuß gesagt habe -, den Gesetzent- - Herr Dreßen, zu der Scheinlösung, die die SPD vor- wurf zu aktualisieren, nachdem die Bundesregierung legt, und zu den Vorwürfen, die der Fraktionsvorsit- in bestimmten Bereichen Verbesserungen vorgenom- zende vorhin gemacht hat, wir würden Lösungen, die men hat. Wer so schlampig mit seinem eigenen An- wir favorisieren, in der Koalition nicht durchbringen, trag umgeht, darf sich nicht wundern, wenn dieser kann ich nur sagen: Wer im Glashaus sitzt, der sollte abgelehnt wird. nicht mit Steinen werfen. In Rheinland-Pfalz - do rt gibt es eine SPD/F.D.P.-Koalition - hat die Frauenmi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - nisterin Götte immer wieder den Anlauf gemacht, ei- Dr. Uwe Küster [SPD]: Wer hat denn die nen Gesetzentwurf zur Abschaffung geringfügiger Beratung verhindert?) Beschäftigung auszuarbeiten. Sie hat es gerade ein- mal so weit gebracht, eine Öffentlichkeitskampagne Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin, machen zu dürfen. Der Ministerpräsident hat sie gestatten Sie auch dem Kollegen Andres eine Zwi- nämlich aus dem Grund „Koalition" gestoppt. Des- schenfrage? wegen sage ich: Mehr Ehrlichkeit von seiten der SPD an dieser Stelle!

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Wir können jetzt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) natürlich ein Frage-Antwort-Spiel machen. Aber, Herr Kollege Andres, ich würde gerne zu Ende kom- Mit Recht muß man sagen - darauf hat auch Herr men. In der Debatte sind die wesentlichen Punkte Staatssekretär Günther hingewiesen -, daß es doch gesagt. Ich würde aber gerne noch das eine oder an- sehr merkwürdig anmutet, wenn die Behandlung des dere hinzufügen. Deshalb möchte ich jetzt fortfah- Gesetzentwurfes vom 18. März, den das Land Hessen ren. dem Bundesrat vorgelegt hat - die Farbe ist noch nicht einmal trocken -, im Bundesrat vertagt wird. Ich will noch einmal auf den Gedanken eingehen, Was ist denn eigentlich Ernsthaftigkeit, was ist denn daß die Veränderungen in der Arbeitswelt einen Fle- Eilbedürftigkeit bei der SPD, wenn man so handelt xibilisierungsprozeß darstellen und daß wir ein grö- und die eigenen Gesetzentwürfe auf Eis legt, und ßeres Angebot an Teilzeitbeschäftigung haben, das zwar offensichtlich deshalb, weil der Kanzlerkandi- vielen Männern und Frauen entgegenkommt, wenn dat dazu eine andere Auffassung hat? es um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Be- ruf geht, wenn es darum geht, sich weiterzuqualifi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 21370 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Dr. Maria Böhmer Ich will noch einmal kurz fünf Punkte nennen, die eine Überprüfung der gesetzlichen Vorschriften für für uns wesentlich sind, wenn es um Lösungen hin- die sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhält- sichtlich der geringfügigen Beschäftigung geht: nisse mit dem Ziel der Erarbeitung einer ausgewoge- nen Gesamtlösung anstreben. Ich kann Ihnen sagen: Erstens. Die Umwandlung von regulärer Beschäfti- Wir werden an dieser Stelle am Ball bleiben. Wir ar- gung in geringfügige Beschäftigung muß gestoppt beiten weiter an einer grundsätzlichen Reform der werden. geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ; denn wir Zweitens. Jede Lösung, die gefunden wird, muß wollen für mehr Dynamik im Bereich der Teilzeitar- dazu führen, daß Frauen eine bessere Chance haben, beit sorgen. zu einer eigenständigen sozialen Sicherung zu kom- Ich danke Ihnen. men. Diese Lösungen werden nur dann tragfähig sein, wenn wir insgesamt von Minijobs weg- und zu (Beifall bei der CDU/CSU) attraktiveren und sozial gesicherten Teilzeitarbeits- plätzen hinkommen, die an die Stelle von 620-DM- Arbeitsplätzen bzw. 520-DM-Arbeitsplätzen treten Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- müssen. Das heißt, wir müssen die Entwicklung um- ner Kurzintervention hat der Kollege Andres. kehren: Was wir brauchen, ist nicht eine Umwand- lung hin zur Geringfügigkeit, sondern ein Aufbau (SPD): Meine sehr verehrten Damen von regulärer Beschäftigung. Nur das wird wirklich Gerd Andres und Herren! Frau Dr. Böhmer hat eben in ihrem Re- zu einer Verbesserung der Alterssicherung von debeitrag der SPD schlampige Arbeit vorgeworfen. Frauen in diesem Bereich führen. Dazu will ich sagen, daß unser Gesetzentwurf im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jahre 1995 vorgelegt worden ist. Wer allen Reden, auch der letzten von Frau Dr. Böhmer, gelauscht hat, Drittens. Ich halte es für unabdingbar, daß wir die der wird feststellen, daß jetzt die vier Jahre der Legis- Anreize für die sozialversicherungspflichtige Be- laturperiode zu Ende gehen, in denen es außer An- schäftigung im Privathaushalt weiter ausbauen. Ich kündigungen keinen einzigen konkreten, praktika- lege großen Wert darauf, daß wir die bereits vorhan- blen Vorschlag der Koalition gegeben hat. denen Linien fortführen, und den Sonderausgaben- abzug, der von Ihnen so heftig bekämpft wird, auch (Beifall bei der SPD) auf Haushaltskräfte, die über ein Dienstleistungszen- Alle Aufforderungen, doch einmal konkrete Positio- trum im Privathaushalt beschäftigt sind, erweitern, so nen zu beziehen, sind in all den Debatten fruchtlos daß wir die Chance haben, mehr reguläre Beschäfti- geblieben. gung im Privathaushalt zu schaffen. Es geht immer- hin um 24 Prozent aller geringfügig Beschäftigten; Ich habe mich aus folgendendem Grund zu Wo rt das sind 1,3 Millionen Menschen, denen wir damit gemeldet, Frau Dr. Böhmer: Sie haben uns in den helfen könnten. Ausschußsitzungen, in denen wir intensiv diskutiert haben, mitgeteilt, die SPD könne machen, was sie (Wolfgang Vogt [Düren] [CDU/CSU]: Sehr wolle, es werde keine Zustimmung geben. Daraufhin wahr!) haben wir gesagt, wir müßten einen Änderungsan- Viertens. Hauptbeschäftigung und Nebenbeschäf- trag zu den vollzogenen Veränderungen des tigung müssen zusammengezählt werden; denn es Sozialgesetzbuches III erarbeiten - das ist schon klar; geht um die Beseitigung der Gerechtigkeitslücke, das liegt am Gesetzentwurf des Jahres 1995. Daß Sie die hier besteht. Wir haben das immer wieder deut- sich vor diesem Hintergrund hier hinstellen und uns lich gemacht, und an diesem Punkt werden wir wei- schlampige Arbeit vorwerfen, halte ich für absolut ter arbeiten. unredlich. Fünftens. Wer in puncto Veränderung bei der ge- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Annelie ringfügigen Beschäftigung eine wirksame Regelung Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) erreichen will, der darf die steuerliche Seite nicht au- Ich habe eine zweite Bitte an Sie. Den Entschlie- ßen vor lassen. Denn wenn - was ich für sinnvoll ßungsantrag, den die Grünen vorgelegt haben, ha- halte - die Pauschalversteuerung durch Sozialversi- ben Sie eben angesprochen. Die Kollegin Bunten- cherungsbeiträge abgelöst wird und an ihre Stelle bach wird dazu gleich etwas sagen. Dieser Entschlie- die Individualbesteuerung tritt, dann müssen wir im ßungsantrag enthält - wenn er zur Abstimmung ge- Auge haben, daß sich viele Frauen - wenn die stellt wird - exakt den Vorschlag des Kollegen Lou- Steuerklasse V in dieser Form fortbesteht - dafür ent- ven. scheiden werden, lieber in die Schwarzarbeit abzu- tauchen, als in dieser neuen Beschäftigung zu blei- (Julius Louven [CDU/CSU]: Nicht exakt!) ben, die für sie große steuerliche Abzüge bedeutet. Deshalb müssen wir an dieser Stelle bei der Reform Es ist auch unredlich, nach draußen bestimmte Posi- des Steuersystems auch das Problem der Steuer- tionen zu vertreten und gleichzeitig hier Debatten zu klasse V diskutieren und lösen. führen, die keinen anderen Sinn haben, als Nebel- kerzen zu werfen, um den Leuten draußen den Blick Zum Schluß möchte ich daran erinnern: Wir haben dafür zu verstellen, worum es eigentlich geht. Wenn gemeinsam mit der F.D.P. im Dezember vergangenen diese Vorschläge gemacht wurden, dann steht es Ih- Jahres eine Entschließung verabschiedet, daß wir nen gleich in der Abstimmung frei, dem Entschlie- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21371

Gerd Andres ßungsantrag der Grünen zuzustimmen. Dann würde worden ist, ein Abkommen, das zudem inzwischen - hier exakt das beschlossen, was Sie öffentlich vorge- wie Ihnen von mir hier im Hause und im Ausschuß tragen haben. mehrmals vorausgesagt - gegen den Assoziierungs- vertrag der EU mit Polen verstößt, weshalb die Bun- (Beifall bei der SPD) desregierung bereits vor einem Jahr von der Kom- mission aufgefordert worden ist, diesen Vertrag zu Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Dr. Böhmer, ändern. wollen Sie erwidern? Dann beschließt die Koalition ein nationales Ent- Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Ich will auf das rea- sendegesetz, das die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt gieren, was hier gesagt worden ist. Es ist doch in der noch weiter stört und zusammen mit dem Werkver- Tat so: Der Gesetzentwurf ist bei Ihnen unverände rt tragsabkommen dazu beigetragen hat, daß Illegalität geblieben. Darüber haben wir auch - ich denke, sehr auf den Baustellen gefördert, die Arbeitslosigkeit offen - in der Ausschußsitzung miteinander gespro- deutscher Bauarbeiter drastisch erhöht und die Ein- chen. Daß ich das hier noch einmal sage, hat seine kommen der Beschäftigten gesenkt worden sind, Berechtigung, denn es ist ein Unterschied, ob man ohne daß - das können Sie in Berichten der Bundes- das im Ausschuß sagt oder im Plenum. bank nachlesen - die Baupreise zurückgegangen wären. Auch das zweite, was ich eben in meiner Rede sagte, will ich noch einmal betonen: Auf den Vor- Schließlich ist die Bundesbauverwaltung nicht in wurf, wir würden hier Handlungsbedarf aufzeigen, der Lage, auf ihren eigenen Baustellen i llegale Be- aber nicht reagieren - es ist auf die Koalition verwie- schäftigung zu verhindern, weil sich die Regierung sen worden -, habe ich Ihnen entgegnet, daß sich die weigert, in unbürokratischer Weise - wie mit unse- SPD in Rheinland-Pfalz in der gleichen Situation ge- rem hier vorliegenden Antrag - Kontrollmöglichkei- nauso verhalten hat. Man muß sehen: Wo Koalitionen ten zu erleichtern. bestehen, sind bestimmte Entscheidungen manches Mal nicht anders möglich. Wir sollten entsprechend Unfähig hat sich die Bundesregierung auch erwie- miteinander umgehen und dies in aller Ruhe so fest- sen, mit den Vertragsstaaten und den EU-Entsende- stellen. staaten für die Kontrollinstanzen handhabbare Ver- einbarungen über die Kontrolle der Zahlungen von Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat Löhnen, Steuern und Sozialabgaben zu schließen. jetzt der Kollege Hans Büttner, SPD. Statt dessen werden, wie gesagt, unter dem Titel „Neue Maßnahmen zur Beschäftigung" nun Arbeits- stet eingesetzt, um das handwerkliche Ver- (Ingolstadt) (SPD): Herr Präsident! lose befri Hans Büttner sagen der Regierung durch zusätzlich notwendige Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte zum Kontrollen zu kaschieren. Das zeigt: Entweder nimmt Schluß dieser Debatte noch auf den Antrag zur Be- die Bundesregierung die Unordnung und die Illegali- kämpfung illegaler Beschäftigung durch neue Kon- tät auf dem Arbeitsmarkt hin und fördert sie sogar trollmaßnahmen eingehen, weil all die Themen, noch, oder sie ist einfach überfordert, ihre Aufgaben über die wir vorher gesprochen haben, genau das belegen, was unseren Arbeitsmarkt im Moment im- wahrzunehmen. mer schwerer belastet, nämlich zunehmende Illega- lität, zunehmende Unordnung auf dem Arbeits- (Peter Dreßen [SPD]: Beides wäre schlimm!) markt. Kontrollen auf den Baustellen sind notwendig und Nun hat der Staatssekretär - auch im Ausschuß erforderlich, aber sie müssen in einer Arbeitswelt wurde das so gesagt - gesagt, es sei alles erledigt, stattfinden, in der wieder eine kontrollierbare Ord- weil man das schon durch statistische Abgleichun- nung herrscht. gen auf der Grundlage des SGB III berücksichtigt hätte. Ich sage Ihnen: Das zeigt erneut, wie wenig (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie eigentlich von dem Arbeitsmarkt in der Bauwirt- schaft wahrnehmen und verstehen. Denn genau zu Das bisherige Verhalten der Koalition hat das Ge- dem Zeitpunkt, zu dem Sie das sagen, bauen Sie wei- genteil bewirkt. Man hat die Ordnung zerstört, Mas- tere Kontrollinstanzen auf, sogar in der Form, daß Sie senarbeitslosigkeit herbeigeführt und beschäftigt diese unter dem Titel „Neue Maßnahmen zur Be- nun einen minimalen Teil der Arbeitslosen, um die schäftigung" finanzieren lassen. Zeitlich bef ristet Öffentlichkeit von den wahren Ursachen abzulen- eingesetzte arbeitslose Bauarbeiter, die Sie vorher ken. durch Ihre Politik arbeitslos gemacht haben, kontrol- lieren hier. Die Debatte heute hat gezeigt, daß wir uns wahr- Das muß man sich wirklich auf der Zunge zerge- scheinlich keine Hoffnung machen können, daß die hen lassen: Da erkauft sich die Bundesregierung die Koalition von dieser Politik abläßt, aber ich bin zuver- Zustimmung Polens zur Rücknahme abgelehnter pol- sichtlich, daß die Wähler am 27. September in ihrer nischer Asylbewerber durch ein Werkvertragsab- Mehrheit für eine andere Politik stimmen werden. kommen, das zunächst die Ordnung auf dem Ar- Die Gewerkschaften tun gut daran, auch dafür zu beitsmarkt in Deutschland empfindlich gestört hat sorgen. Sie wurden auch von Ihrem stellvertretenden und zu einem Einfallstor illegaler Beschäftigung ge- Fraktionsvorsitzenden, Heiner Geißler, dankenswer- 21372 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Hans Büttner (Ingolstadt) terweise dazu ermutigt, dies zu tun. Er hat nämlich Eine Schlußbemerkung gestatten Sie mir noch zu geschrieben: der Einlassung von Frau Dr. Babel. Sie haben vorhin die evangelische Kirche in einer Weise angegriffen, Es ist nicht Aufgabe der Gewerkschaften, eine die nicht nur falsch war, sondern auch Ihre Unkennt- Regierung im Amt zu halten, die nis über die evangelische Kirche zeigt. - Herr Louven, ich danke Ihnen, daß Sie das in aller (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Überhaupt nicht!) Offenheit und Klarheit hier angesprochen haben - Das ist deswegen so, weil in der evangelischen Kir- die Arbeitnehmerinteressen längst der politi- che nirgends - ich habe mich vorhin telefonisch noch schen Taktik geopfert hat. einmal bei ranghohen Theologen erkundigt - Toten- So sagte es Heiner Geißler 1982 in der „Welt der Ar- messen gelesen werden; die gibt es do rt nicht. Sie beit". gibt es in der katholischen Kirche und nicht an- derswo. (Beifall bei der SPD - Julius Louven [CDU/ CSU]: Wo habe ich das hier gesagt?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - - Sie haben gesagt, daß Sie sich aus taktischen Grün- Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie hat ja noch nicht den nicht mit der F.D.P. haben einigen können. Ist einmal davon Ahnung!) das nicht so?

(Julius Louven [CDU/CSU]: Ich habe Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der gesagt, daß wir uns noch nicht einigen Kollege Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU. konnten!) Ein letztes: Wir werden mit unserer Politik auf dem Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Herr Präsident! Arbeitsmarkt wieder für Ordnung sorgen. Die von Ih- Meine Damen und Herren! Nach zweistündiger De- nen jetzt abgelehnten Anträge werden uns erlauben, batte jetzt hier noch den Aufschwung am eigentlich dies schnell umsetzen zu können: durchgehangenen Reck zu vollziehen ist ein wenig schwierig, ich will aber trotzdem den Versuch star- (Beifall bei der SPD) ten, am Ende der Debatte noch einmal einige Punkte Wir werden das Entsendegesetz europakonform an- zu benennen. passen und sozialverträglich gestalten. Wir werden (Peter Dreßen [SPD]: Einfach praktische mit den Staaten Ost- und Mitteleuropas die Werkver- Vorschläge! Bringen Sie die CDU-Ent tragsabkommen so modifizieren, daß sie sowohl dem würfe!) EU-Recht, als auch den Bedürfnissen unseres Ar- beitsmarktes und den Anliegen der Arbeitnehmerin- Zwischenzeitlich hat die Teilnehmerzahl an dieser - nen und Arbeitnehmer der Staaten entsprechen, mit zweistündigen Debatte insbesondere bei Ihnen, denen bald Beitrittsverhandlungen aufgenommen meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, den werden. Wir werden durch Verhandlungen mit den Umfang einer geringfügigen Beschäftigung ange- EU-Entsendestaaten handwerklich brauchbare und nommen. einheitliche Nachweispapiere über die Einhaltung der Löhne, Arbeitsbedingungen und Sozialabgaben Herr Büttner, wenn Sie hier von zivilisiertem Ord- konzentriert aushandeln. Wir werden durch eine Ä n- nungsrahmen sprechen, hege ich immer die Befürch- derung der Vergabeordnung für die Einhaltung ta- tung, daß Sie dasselbe wie immer damit meinen, rifvertraglicher und gesetzlicher Bedingungen bei öf- nämlich mehr Regelungen und mehr Kontrolle bis in fentlichen Aufträgen sorgen, und wir werden, wie in Details und ins Spezifische. Genau das brauchen wir diesem Antrag vorgesehen, auf dem Verordnungs- nicht. Wir brauchen Flexibilisierung in vielen Berei- wege unbürokratische Verbesserungen für nötige chen. Das, was Sie vorgeschlagen haben, dürfen Sie wirkungsvolle Kontrollen durchführen. nicht in voller Länge Ihrem Kanzlerkandidaten vorle- gen; denn der ist gerade dabei, alles mögliche, was Wettbewerb ist ein wesentlicher Impuls für Innova- an Störungen vorhanden ist, glattzubügeln. Deswe- tion. Aber - das müßten gerade die Ordnungspoliti- gen ist es wichtig, hier noch einmal ein paar Dinge ker in Ihren Reihen wissen - er ist in zivilisierter zusammenzufassen. Form nur dann möglich, wenn er innerhalb eines zi- vilisierten Ordnungsrahmens stattfindet. Wildwest- Herr Gysi ist bereits gegangen. Ich hätte ihm gern verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt führen letztlich zu gesagt, daß ich es komisch finde, wenn er hier zu den rechtlosen Gesellschaften und sind eine wesentliche 620-DM-Jobs spricht. Herr Gysi ist schließlich je- Ursache für die Zerstörung unserer Demokratie. mand, der in der Nachfolge der SED steht und eine Zeit mit zu vertreten hat, in der man für 620 Mark (Beifall bei der SPD) Vollzeit gearbeitet hat und froh gewesen wäre, wenn man mehr Geld gehabt hätte. Wir Sozialdemokraten wollen ab Herbst wieder für Wettbewerb und Ordnung, für Innovation und Frei- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die drei heit durch eine Politik sorgen, die durch aktive Be- Bereiche noch einmal ansprechen. Der erste ist die schäftigungs- und Arbeitsmarktinitiativen den Men- Bekämpfung der illegalen Beschäftigung. Es gibt schen die Teilhabe an der Erarbeitung unseres ge- nichts daran zu deuteln, daß die Bekämpfung der il- meinsamen Wohlstands erlaubt und damit wieder legalen Beschäftigung weiterhin mit allem Nach- Würde gibt. druck betrieben werden muß. Dabei hilft das - ich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21373

Wolfgang Meckelburg sage das noch einmal -, was wir von der Union inzwi- Niemand von uns will die Möglichkeit einer flexiblen schen auf den Weg gebracht haben: Antwort der Wirtschaft auf Auftragsspitzen durch ge- ringfügige Beschäftigung behindern. (Gerd Andres [SPD]: Was denn?) Eines ist aber klar, Herr Friedhoff: Wir dürfen als Erweiterung der Frage- und Prüfrechte - Sie müssen Gesetzgeber nicht das Signal zulassen, daß der Trend das über einen längeren Zeitraum vergleichen -, ver- der Zunahme bei den 620-DM-Jobs das ist, was wir besserte Zusammenarbeit der beteiligten Behörden - wollen; denn das hieße, wir wollten den Umstieg von das sind Probleme, die Sie sicher vor Ort schon ein- normaler Arbeit mit Sozialversicherungspflicht und mal gehört haben - und radikale Aufstockung des Steuerabgaben in immer mehr Billigjobs. Das kann Kontrollpersonals von 50 Personen im Jahre 1982 auf nicht der Trend sein, den wir wollen. heute 2450 Bedienstete. Außerdem sind zusätzlich (Walter Hirche [F.D.P.]: Deshalb Steuer- und 1070 Bedienstete der Hauptzollämter eingesetzt. Abgabenreform! Deshalb Senkung von Per Dazu kommen verstärkte Kontrollen - allein im Jahre sonalnebenkosten!) 1996 wurden 150 000 Außenprüfungen vorgenom- men - und die Erhöhung des Bußgeldrahmens. Wir Deswegen dürfen wir als Gesetzgeber nicht das fal- haben Verschärfungen im SGB III vorgenommen; sche Signal setzen, daß die 620-DM-Jobs möglicher- früher reichte der Bußgeldrahmen bis 100 000 DM, weise die Form der Arbeit sind, die wir als Normalfall jetzt geht er bis zu einer halben Mil lion DM. ansehen.

Wer hier sagt, auf diesem Feld sei nichts passiert, Hier besteht Handlungsbedarf. Wir dürfen die der hat die Realität nicht wahrgenommen. Meine Da- Flucht aus den Sozialversicherungsbeiträgen nicht men und Herren von der SPD, ich sage noch eines zulassen. Dort, wo diese Flucht stattfindet, wo gar die dazu: Wer die totale Kontrolle will - ich habe das Umwandlung, ob tendenziell schleichend oder syste- schon einmal gesagt, ich sage es aber noch einmal in matisch gewollt, in abgabenfreie Jobs organisiert aller Deutlichkeit -, der muß letztlich nicht nur neben wird, müssen wir deutlich sagen: Das wollen wir jeden vermutlich illegal Beschäftigten, sondern ne- nicht. Wir müssen auch den Aspekt der Gerechtig- ben jeden Beschäftigten einen Kontrolleur stellen. Ei- keit sehen. Ich glaube, wir müssen darüber reden. nen solchen Kontrolleurstaat wollen wir nicht, er ist Jemand, der im ersten Job 3000 DM und 620 DM im nicht sinnvoll. Wir müssen andere Maßnahmen er- Nebenjob verdient, wird bei den Abgaben und Steu- greifen. ern anders als jemand behandelt, der 3620 DM in ei- nem Job verdient. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dort besteht ein Regelungsbedarf. Da kommen wir Wenn Sie, Herr Büttner, beklagen, daß auf den nicht dran vorbei. Baustellen des Bundes in Berlin Dinge passieren, die - (Zuruf des Abg. Paul K. Friedhoff [F.D.P.]) Sie nicht wollen, dann verstehe ich den Krach nicht, den Sie gestern im Ausschuß gemacht haben, als wir - Doch, dort besteht ein Regelungsbedarf. im Zusammenhang mit neuen Projekten, die im Rah- (Peter Dreßen [SPD]: Herr Friedhoff, das ist men eines 80-Millionen-DM-Programms gemacht das klassische Beispiel, das geändert wer worden sind, die Bekämpfung der illegalen Beschäf- den muß!) tigung auf Baustellen des Bundes in Berlin festge- schrieben haben und die Einstellung von zusätzli- Wir haben es bisher nicht abgeschafft. Aber ich chen 150 Personen zu den bereits vorhandenen 37 sage auch in Richtung SPD ganz deutlich: Was wir besprochen haben. Das paßt einfach nicht zusam- nicht wollen, ist eine einfache Lösung, um draußen men. Ich bin froh, daß diese Maßnahme kommt; denn so dazustehen, als ob wir eine Lösung hätten. Sie sie wird helfen. sind zur Zeit ohnehin eher dabei, alles zu verklei- stern. Sie wissen, wo ich in dieser Frage politisch stehe. Ich sehe wie auch viele andere Kollegen die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Handlungsnotwendigkeiten. Dies ist weiter verbrei- Meckelburg, gestatten Sie eine Zwischenfrage der tet, als man glaubt. Ich glaube schon, daß wir eine Kollegin Bulling-Schröter? Lösung finden können; um so eher, je mehr wir im Bereich einer Steuerreform weitergekommen sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Nein. Ich finde, wir sollten nach zwei Stunden Debatte jetzt wirklich Bei einer Steuerreform mit niedrigen Tarifen für keine Zeit mehr mit Einzelheiten verlieren. die Arbeitnehmer bedeutet dies, daß sie nicht so sehr auf 620-DM-Jobs angewiesen sind. Der Kostendruck Der zweite Bereich, auf den ich noch einmal einge- in den Unternehmen ist nicht mehr so hoch. Man hen möchte, sind die 620-DM-Jobs. Auch hier sollte wird in diesem Klima dann sicherlich eine Regelung nicht herumgedeutelt werden. Der Mißbrauch bei finden können, die zu gewissen Eindämpfungen den 620-DM-Jobs muß bekämpft werden. Ich sage führt. dazu: Niemand von uns will alle geringfügigen Be- schäftigungsverhältnisse abschaffen. Ich finde es wichtig, daß wir sagen: Die Steuerre- form ist ein Schritt. In diesem Zusammenhang müs- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. - Gerd sen wir darüber reden. Das werden wir auch tun. Ich Andres [SPD]: Wir auch nicht!) bin sicher, daß dies in der Koalition geschehen wird; 21374 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Wolfgang Meckelburg auch wenn dies erst nach dem 27. September der Fall Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die sein wird. Ich bin sicher, daß wir diejenigen sein wer- Aussprache. den, die es nach dem 27. September regeln werden. Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchte Meine Damen und Herren, Sie wissen, wo ich in die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - ich nehme an, dieser Diskussion politisch stehe. Sie, Frau Buntenbach, machen das -, eine Erklärung zur Abstimmung Ihres Antrags abgeben. Das ist der (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Wo denn?) auf Drucksache 13/10558. Bitte.

- Die Kollegen aus dem Ausschuß können Ihnen das Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sagen. Ich will dafür nicht meine Redezeit nehmen. NEN): Herr Präsident, wir möchten den Punkt 3 aus diesem Antrag herausnehmen und ihn ohne diesen Ich sehe Handlungsbedarf und die Notwendigkeit, Punkt 3 zur Abstimmung stellen. bei den 620-DM-Jobs und im Bereich der Scheinselb- ständigkeit etwas zu tun. Das habe ich ausgelassen. Wir halten zwar nach wie vor die Kombination zwi- Ich habe schon bei der Einbringung Ihres Antrags schen Absenkung der Quote der Geringsfügigkeits- gesagt, daß er nicht praktikabel ist. Ihm kann man grenze, die in den anderen Punkten enthalten ist, einfach nicht zustimmen. Das beweist übrigens die und einer Anlehnung an das österreichische Modell IAB-Studie. für sinnvoll. Aber wir sind jetzt sehr weit gegangen, um Teillösungen zu finden, mit denen wir das Pro- Auch ich weiß - das unterscheidet mich von Ihnen blem praktisch angehen können. Wir gehen da jetzt in der SPD -, daß die Lösung nicht ganz einfach ist noch einen Schritt weiter, weil ich glaube, daß jeder und daß sie differenziert sein muß. Es ist auch ein Schritt, den wir in die richtige Richtung tun, jede Lö- Stück Ehrlichkeit, wenn man das hier so sagt. Der sung oder Teillösung, die wir heute finden können, Keil, der heute mit der aus meiner Sicht überlangen auf jeden Fall eine echte Hilfe wäre. Wir stehen wirk- Debatte versucht worden ist in die Koalition zu trei- lich unter Zeitdruck. Ich möchte deswegen dringend ben, wird nicht fruchten. Das, was Sie hier wirklich um Zustimmung für diesen so veränderten Antrag angeboten haben, ist das alte einfache Modell: mehr bitten. Kontrolle, mehr Regulierung bis ins Detail. Das ist Ich möchte gleichzeitig sagen: Wir wollen heute das alte sozialistische Modell. Trotzdem reden Sie eine Entscheidung erreichen, weil wir glauben, daß draußen von der „Kraft des Neuen". die Zeit drängt. Eine Überweisung des Antrages an Das wundert mich; denn Sie sind doch inzwischen den Ausschuß, die dazu führen würde, daß wir in die- ser Legislaturperiode doch nicht mehr entscheiden wirklich zur Partei der Kreidefresser verkommen. Al- könnten, kommt für uns nicht in Frage. Deswegen les Trennende in der SPD-Fraktion wird zugeklei- möchte ich um Zustimmung für unseren Antrag bit- stert; Sie fressen Kreide und sagen nichts; alles Strit- ten. tige in Ihrer Partei wird nicht ausgetragen. Wir sagen hier: Wir haben es nicht geschafft, in dieser Frage zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einer Lösung zu kommen. Aber wir wollen eine sol- und bei der SPD) che Lösung finden. Ich sage noch einmal: Bei insge- samt verminderter Steuerbelastung ist dann sicher- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Wir kommen zu lich nach oder im Zuge einer Steuerreform ein ver- den Abstimmungen. bessertes Klima vorhanden, das eine sachgerechte Lösung möglich macht. Wir müssen den Weg der Re- Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den formen gehen. Gesetzentwurf des Bundesrates zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit auf Drucksache 13/8942. Der Auch das muß man sagen: Arbeitsplätze entstehen Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt nicht dadurch, daß wir die drei Dinge, die wir heute auf Drucksache 13/10269 unter Buchstabe a, den Ge- diskutiert haben, beackern, sondern Arbeitsplätze setzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetz- entstehen dadurch, daß wir Lohnnebenkosten sen- entwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/8942 ab- ken und flexibler werden. Das ist der Weg, den wir in stimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzent- den letzten Jahren gegangen sind. Die Früchte wer- wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die den erkennbar. Der Trend auf dem Arbeitsmarkt Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf West ist erkennbar. Wir haben dicke Bretter gebohrt, ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der aber es hat sich gelohnt. Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesam- ten Opposition abgelehnt. Damit entfällt nach unse- (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Deswegen rer Geschäftsordnung die weitere Beratung. haben wir so viele Arbeitslose!) Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- Weil das so ist, bin ich ganz sicher: Was wir brau- wurf der Fraktion der SPD zur Bekämpfung der chen, sind Reformen, Zug um Zug und Stück für Scheinselbständigkeit auf Drucksache 13/6549. Der Stück. Das ist der Weg der Zukunft. Wir werden ihn Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auch nach dem 27. September weiter fortsetzen. auf Drucksache 13/10269 unter Buchstabe a, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über Schönen Dank. den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/6549 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzent- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998 21375

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ange- ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der nommen. Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit Geschäftsordnung wiederum die weitere Beratung. und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Unterbindung illegaler Beschäftigung durch Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- konsequentes gemeinsames Handeln von Bund und empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozial- Ländern. Das ist die Drucksache 13/9458. Der Aus- ordnung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die schuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7802 Grünen zum arbeits- und sozialrechtlichen Schutz für abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- abhängige Selbständige auf Drucksache 13/10269 lung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- unter Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den An- schlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- trag auf Drucksache 13/7421 abzulehnen. Wer onsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegen- übrigen angenommen. probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 14a bis 1 die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS sowie die Zusatzpunkte 1 a und b auf: bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenom- men. 14. Überweisungen im vereinfachten Verfahren Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- a) Erste Beratung des von der Bundesregie- wurf der Fraktion der SPD zur Beseitigung des Miß- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- brauchs der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialver- setzes zu dem Abkommen vom 26. Novem- sicherung auf Drucksache 13/3301. Der Ausschuß für ber 1997 zwischen der Bundesrepublik Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache Deutschland und der Republik Kasachstan 13/10180 unter Buchstabe a, den Gesetzentwurf ab- zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf dem Gebiet der Steuern vom Einkom- auf Drucksache 13/3301 abstimmen und bitte dieje- men und vom Vermögen nigen, die dem Entwurf zustimmen wollen, um das - Drucksache 13/10401 — Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Überweisungsvorschlag: Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Finanzausschuß Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- men der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Die Grünen und PDS abgelehnt. Damit entfällt nach rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- der Geschäftsordnung die weitere Beratung. zes zu der Änderungsvereinbarung vom Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- 8 Mai 1997 zum Abkommen vom 5. Mai schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- 1995 zwischen der Regierung der Bundes- nen auf Drucksache 13/10558 mit der eben vorgetra- republik Deutschland und der Regierung genen Änderung. Wer stimmt für diesen Entschlie- von Hongkong über den Fluglinienver- ßungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - kehr Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der - Drucksache 13/10432 — Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses Überweisungsvorschlag: im übrigen abgelehnt. Ausschuß für Verkehr (federführend) Finanzausschuß Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozial- c) Erste Beratung des von der Bundesregie- ordnung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Grünen zur Sozialversicherungspflicht dauerhafter zes zu dem Abkommen vom 24. November Beschäftigungen auf Drucksache 13/10180 unter 1997 zwischen der Bundesrepublik Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag Deutschland und der Republik Kroatien auf Drucksache 13/4969 abzulehnen. Wer stimmt für über Soziale Sicherheit diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - - Drucksache 13/10433 — Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- Überweisungsvorschlg: men von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Gesundheit Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit d) Erste Beratung des von der Bundesregie- und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe der rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- PDS zur Sozialversicherungspflicht für jede bezahlte zes zu dem Abkommen vom 17. Dezember Arbeitsstunde. Das ist die Drucksache 13/10180 1997 zwischen der Bundesrepublik Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag Deutschland und der Republik Bulgarien auf Drucksache 13/6090 abzulehnen. Wer stimmt für über Soziale Sicherheit diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - - Drucksache 13/10434 — Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Überweisungsvorschlag: Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Frak- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) tion gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Ausschuß für Gesundheit 21376 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose e) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ä - Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus derung des Gesetzes über die Statistik im k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Produzierenden Gewerbe Dr. Winfried Wolf, Dr. Dagmar Enkelmann, - Drucksache 13/10342 — Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Überweisungsvorschlag: Bau- und Betriebsordnung für Regionale Ausschuß für Wirtschaft Eisenbahnstrecken f) Erste Beratung des von der Bundesregie- - Drucksache 13/10340 — rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Überweisungsvorschlag: zes zur Umwandlung der Deutschen Genos- Ausschuß für Verkehr senschaftsbank (DG Bank-Umwandlungs- gesetz) 1) Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Uwe-Jens - Drucksache 13/10366 Heuer, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der —Überweisungsvorschlag: PDS Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Begrenzung der Erhöhung der Nutzungs- entgelte für Erholungsgrundstücke in Ost- g) Erste Beratung des von den Fraktionen der deutschland auf die derzeit übliche Boden- CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- rendite wurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der - Drucksache 13/10466 — Vorschriften über die repräsentative Wahl- Überweisungsvorschlag: statistik bei der Wahl zum Deutschen Bun- Rechtsausschuß (federführend) destag und bei der Wahl der Abgeordneten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau des Europäischen Parlaments aus der Bun- Finanzausschuß desrepublik Deutschland ZP1 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver- (Wahlstatistikaufhebungsgesetz - WStat- fahren AufhG) (Ergänzung zu TOP 14) - Drucksache 13/10533 — a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Hans-Joachim Hacker, Rolf Schwanitz, Innenausschuß Siegfried Scheffler, weiterer Abgeordneter h) Erste Beratung des von den Fraktionen der und der Fraktion der SPD CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- Hemmnisse und Rechtsunsicherheiten im wurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Immobilienrecht und beim Nutzerschutz Erwerbsbeschränkungen für ausländische beseitigen Investoren und Staaten - Drucksache 13/10329 — - Drucksache 13/10534 — Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Rechtsausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus

i) Beratung des Antrags des Bundesministe- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten riums der Finanzen Dr. Dietmar Kansy, Peter Götz, Werner Dörf- linger, weiterer Abgeordneter und der Frak- Entlastung der Bundesregierung für das tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Haushaltsjahr 1997 - Vorlage der Haus- Hildebrecht Braun, Dr. Klaus Röhl und der haltsrechnung und Vermögensrechnung Fraktion der F.D.P. des Bundes (Jahresrechnung 1997) - Politik zur Erhaltung und Stärkung der In- - Drucksache 13/10378 — nenstädte Überweisungsvorschlag: - Drucksache 13/10536 — Haushaltsausschuß Überweisungsvorschlag: j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ulrike Mehl, Michael Müller (Düsseldorf), (federführend) Innenausschuß Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter Ausschuß für Wirtschaft und der Fraktion der SPD Ausschuß für Verkehr Langfristige Sicherung des Naturschutzes Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- bei der Privatisierung von Flächen in Na- ten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird tionalparken und Biosphärenreservaten vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesord- - Drucksache 13/10211 — nung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Überweisungsvorschlag: Gesetzentwurf der Bundesregierung zu der Ände- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- rungsvereinbarung zu dem Abkommen mit der Re- heit (federführend) gierung von Hongkong über den Fluglinienverkehr Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21377

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose auf Drucksache 13/10432 - das ist der Tagesord- Berichterstattung: nungspunkt 14 b - soll zur Mitberatung zusätzlich Abgeordnete Christian Schmidt (Fürth) dem Finanzausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind Gerd Poppe die Überweisungen so beschlossen. Ulrich Irmer Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf. Es che 13/6488 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- denen keine Aussprache vorgesehen ist: tungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 15 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Tagesordnungspunkt 15 c: desregierung eingebrachten Entwurfs eines Beratung der Beschlußempfehlung und des Elften Gesetzes zur Änderung des Luftver- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft kehrsgesetzes (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundes- - Drucksache 13/9513 - regierung (Erste Beratung 213. Sitzung) Aufhebbare Vierzigste Verordnung zur Än derung der Außenwirtschaftsverordnung aa) Beschlußempfehlung und Be richt des Ausschusses für Verkehr (15. Ausschuß) - Drucksachen 13/9582, 13/9669 Nr. 2.2, 13/ 10380 - - Drucksache 13/10530 - Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Abgeordneter Lothar Ibrügger Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung lung ist einstimmig angenommen. - Drucksache 13/10556 - Berichterstaatung: Tagesordnungspunkt 15 d: Abgeordnete Hans Georg Wagner Beratung der Beschlußempfehlung und des Bartholomäus Kalb Berichts des Ausschusses für Wirtschaft Kristin Heyne (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundes- Jürgen Koppelin regierung Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der - Aufhebbare Einhundertsechsundreißigste Ver Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- ordnung zur Änderung der Einfuhrliste zeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Frak- - Drucksachen 13/9583, 13/9669 Nr. 2.3, 13/ tion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grü- 10382 - nen und PDS angenommen. Berichterstattung: Dritte Beratung Abgeordneter Sigmar Mosdorf und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der lung ist einstimmig angenommen. Gesetzentwurf ist damit angenommen, Mehrheits- verhältnisse wie vor. Tagesordnungspunkt 15 e: Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt unter Nr. 2 Beratung der Beschlußempfehlung und des seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/ Berichts des Ausschusses für Familie, Senio- 10530 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt ren, Frauen und Jugend (13. Ausschuß) zu der für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Unterrichtung durch das Europäische Parla- Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei ment Stimmenthaltung der PDS mit den Stimmen des Hau- Entschließung des Europäischen Parlaments ses im übrigen angenommen. zum Jahresbericht der Kommission über Chancengleichheit für Frauen und Männer in Tagesordnungspunkt 15 b: der Europäischen Union 1996 Beratung der Beschlußempfehlung und des - Drucksachen 13/9086 Nr. 1.7, 13/10351 - Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- schuß) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Berichterstattung: Abgeordnete Rita Grießhaber Fortsetzung des Friedensprozesses in Bos- Heidemarie Lüth nien-Herzegowina Ortrun Schätzle - Drucksachen 13/6488, 13/10456 - Hanna Wolf (München) 21378 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Ent- Gegenprobe! - Enthalungen? - Die Beschlußempfeh- haltungen? - Die Sammelübersicht 334 ist bei Stimm- lung ist bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS mit mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenom- den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. men. Tagesordnungspunkt 15 i: Tagesordnungspunkt 15 f: Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Beratung der Beschlußempfehlung des Rechts- tionsausschusses (2. Ausschuß) ausschusses (6. Ausschuß) Sammelübersicht 335 zu Petitionen Übersicht 9 - Drucksache 13/10468 - über die dem Deutschen Bundestag zugeleite- ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs- Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? gericht - Die Sammelübersicht .335 ist bei Stimmenthaltung - Drucksache 13/10377 - von Bündnis 90/Die Grünen und PDS mit den Stim- men des Hauses im übrigen angenommen. Berichterstattung: Abgeordneter Tagesordnungspunkt 15j: Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- fehlung ist bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die tionsausschusses (2. Ausschuß) Grünen mit den Stimmen des Hauses im übrigen an- Sammelübersicht 336 zu Petitionen genommen. - Drucksache 13/10469 - Tagesordnungspunkt 15 g: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Die Sammelübersicht 336 ist mit den Beratung der Beschlußempfehlung und des Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei (9. Ausschuß) Stimmenthaltung der PDS angenommen. - zu der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung Tagesordnungspunkt 15 k: Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Änderung der Verordnung Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Nr. 3094/95 des Rates und damit zur weite- tionsausschusses (2. Ausschuß) - ren Verlängerung der Anwendung von Re- Sammelübersicht 337 zu Petitionen gelungen der Siebten Richtlinie des Rates über Beihilfen für den Schiffbau - Drucksache 13/10470 - Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Ent- Rates über eine Neuregelung der Beihilfen haltungen? - Die Sammelübersicht 337 ist gegen die für den Schiffbau Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. - zu der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 2 auf: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Aktuelle Stunde Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuß und den Ausschuß der auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Regionen Haltung der Bundesregierung zum Treffen Für eine neue Schiffbaupolitik des Bundesratspräsidenten Schröder mit dem - Drucksachen 13/9086 Nr. 2.53 und 2.52, 13/ weißrussischen Präsidenten Lukaschenko 10448 - Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Kol- Berichterstattung: lege Dr. Friedbert Pflüger, CDU/CSU. Abgeordneter Wolfgang Börsen (Bönstrup) (Jörg Tauss [SPD]: Wo ist denn die Bundes Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die regierung? - Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/ Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- CSU]: Wo ist denn der Herr Bundesratsprä fehlung ist einstimmig angenommen. sident?)

Tagesordnungspunkt 15 h: Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Herr Präsident! Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Meine Damen und Herren! Gerhard Schröder hat tionsausschusses (2. Ausschuß) sich mit dem weißrussischen Diktator Lukaschenko, dem letzten Erben Stalins, im Gästehaus der nieder- Sammelübersicht 334 zu Petitionen sächsischen Landesregierung getroffen. Er verstößt - Drucksache 13/10467 - damit gegen die mühsam vereinbarte Politik der EU, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Apr il 1998 21379

Dr. Friedbert Pflüger der Bundesregierung und des Deutschen Bundesta- hätte er Arbeitsplätze geschaffen, und zwar bei uns ges. Dieses Treffen war ein Fehltritt. und nicht in Weißrußland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - sowie des Abg. Gerd Poppe [BÜNDNIS 90/ Jörg Tauss [SPD]: Das ist unter Niveau, DIE GRÜNEN]) selbst unter Ihrem, Herr Kollege!)

Es ist wünschenswert, wenn sich ein führendes Er ist nicht mehr nur Ministerpräsident, sondern er deutsches Unternehmen wie Conti in Weißrußland ist Kanzlerkandidat; er wird weltweit beobachtet. Um neue Märkte erschließt und Konkurrenten aussticht. so verantwortlicher und sensibler muß er sich verhal- Es ist gut und allgemein üblich, wenn Ministerpräsi- ten. Ich finde, daß der SPD-Expe rte für Weißrußland, denten einzelne Unternehmungen ihrer Bundeslän- Herr Professor Weisskirchen, recht hat: Es wäre bes- der unterstützen. Aber diese Hilfsbereitschaft hat ser gewesen, wenn Herr Schröder als ersten Staats- dort ihre Grenzen, wo übergeordnete politische Inter- mann aus den mittel- und osteuropäischen Ländern essen und Vereinbarungen unterlaufen werden. Die einen Demokraten wie Havel und nicht einen Stalini- verständliche Anfrage von Conti-Chef von Grünberg sten wie Lukaschenko getroffen hätte. hätte Gerhard Schröder freundlich, aber entschieden ablehnen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Schröder versucht, seine außenpolitische Un- erfahrenheit durch eine populistische Abwertung der Es kann im deutschen Interesse sein und langfri- Außenpolitik aufzufangen. Es gehe hier nicht um Au- stig auch Menschenrechte befördern, mit Ländern ßenpolitik, es gehe um Arbeitsplätze. Aber Außen- schaftlich zusammenzuarbeiten, die keine frei- wirt politik in Deutschland ist immer mit Arbeitsplätzen heitliche politische Verfassung haben. In diesem Fall verbunden. Denn wenn wir nicht Frieden, Berechen- aber wird ein schwacher Diktator ohne jede Not sa- barkeit, Stabilität und Partnerschaft mit den Ländern lonfähig gemacht. Die wachsende demokratische um uns herum hätten, dann hätten wir auch keinen Opposition in Minsk wird entmutigt. Wohlstand und keine Arbeitsplätze in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Für Berechenbarkeit und Verläßlichkeit steht Helmut Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Kohl, steht Wolfgang Schäuble, steht unsere Fraktion Und Verheugen schweigt!) - und nicht Gerhard Schröder und seine Politik. So wie die Sozialdemokraten in den 30er und 80er (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Jahren die Solidarnosc in Polen und die Cha rta 77 in der Tschechoslowakei links liegen ließen, Ein weiteres Beispiel für diese Unberechenbarkeit, die wir feststellen müssen: Bisher war es für einen (Widerspruch bei der SPD) deutschen Kanzlerkandidaten üblich, vor der Bun- destagswahl nach Washington zu fahren. so mißachtet Herr Schröder nun die Cha rta 97, die Menschenrechtsbewegung in Weißrußland. (Günter Verheugen [SPD]: Das tut er auch! - Weiterer Zuruf von der SPD: Er hat noch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Zeit!)

Herr Lukaschenko hat laut Deutschlandradio am Der amerikanische Präsident gewährte stets einen 22. April folgendes gesagt: Hitler schuf den deut- Termin im Weißen Haus - ein symbolischer Akt für schen Staat durch eine starke Präsidialmacht; das ist die Bedeutung Deutschlands. Schröder wird, glaubt genau unsere Auffassung von der Rolle eines Präsi- man der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" denten. vom 22. April, nicht in die USA reisen. (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! - (Günter Verheugen [SPD]: Da glauben Sie Günter Verheugen [SPD]: Warum haben Sie mir!) denn einen Botschafter dort?) lieber

Ich finde, er ist ein Gesprächspartner für Herrn Frey Wir lassen Bill kommen, heißt es in Hannover. Eine und Herrn Schirinowskij, aber nicht für Herrn Schrö- Dreitagereise für ein Foto aus dem Weißen Haus sei der. ein bißchen viel. Das ist eine unglaubliche Arroganz gegenüber unserem wichtigsten Bündnispartner. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Günter Verheugen [SPD]: Auch nicht für (Günter Verheugen [SPD]: Arrogant sind den deutschen Botschafter?) Sie! - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Dümmlich!) Dann höre ich, es gehe doch um Arbeitsplätze. Wenn das so ist, dann frage ich mich allerdings, Vielleicht hat er das inzwischen auf Grund der Kritik warum denn Herr Schröder 1990 um ein Haar - wenn korrigiert. Aber aus solchen Äußerungen aus der wir nicht aufgepaßt hätten - die Conti-Werke an Staatskanzlei, zitiert in der „Hannoverschen Allge- Pirelli verscherbelt hätte. Wenn es Herrn Schröder meinen Zeitung", spricht Unkenntnis, Unerfahren- um Arbeitsplätze geht: Warum hat er im Bundesrat heit. Denn es geht nicht um einen Fototermin im Wei- die Steuerreform nicht durchgehen lassen? Dann ßen Haus, sondern es geht um mehr als eine symboli- 21380 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Dr. Friedbert Pflüger sche Geste im Rahmen des deutsch-amerikanischen nach sorgfältiger Abwägung der Chancen und der Verhältnisses. Risiken einer solchen Begegnung zustande gekom- men. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Günter Verheugen [SPD]: Fragen Sie doch (Widerspruch bei der CDU/CSU) vorher einmal nach!) „Sorgfältige Abwägung" heißt: Was läßt sich durch Wir wären schlecht dran, wenn der Eindruck ent- Gesprächsverweigerung, und was läßt sich durch stünde: Da kommt ein Kanzlerkandidat, der sich in Gespräche erreichen? Es war nie die Politik meiner Havanna besser auskennt als in Washington und Partei und meiner Fraktion, Gespräche zu verwei- nach Minsk bessere Drähte hat als nach Warschau. gern. Wir haben auch die Bundesregierung nie kriti- Das darf in Deutschland nicht passieren. Die Deut- siert, weil sie Gespräche geführt hat. schen wollen, daß Helmut Kohl Kanzler bleibt, weil (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Was?) das die Berechenbarkeit der deutschen Außenpolitik gegen einen solchen Schlingerkurs garantiert. Die Gespräche des Bundeskanzlers in China und in Indonesien beispielsweise sind nicht kritisiert wor- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - den, weil er dort war, sondern wegen des in diesen Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Schlingel Gesprächen Ausgeblendeten, weil in China eben kurs! - Jörg Tauss [SPD]: Peinlicher geht es nicht über die Menschenrechte gesprochen, sondern schon nimmer!) vor der Volksbefreiungsarmee Kotau gemacht wor- den ist. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Weng Kollege Günter Verheugen. [Gerlingen] [F.D.P.]: Da lachen Sie ja sel ber!) Günter Verheugen (SPD): Herr Präsident! Meine Herr Pflüger, Sie haben gar nicht gefragt, worüber sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin deshalb Herr Schröder eigentlich mit Herrn Lukaschenko ge- in einer etwas unangenehmen Lage, weil ich laut sprochen hat. Das interessiert Sie auch gar nicht, Thema der Aktuellen Stunde etwas zur „Haltung der weil Sie hier nur ein bißchen Wahlkampf machen Bundesregierung" zu einem Vorgang sagen soll. wollen. Deshalb will ich Ihnen auf die Sprünge hel- fen: Gegenstand des Gespräches waren die politi- (Jörg Tauss [SPD]: Wo ist die Bundesregie schen Rahmenbedingungen für eine engere wirt rung denn? - Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das ist -schaftliche Kooperation. Herrn Lukaschenko ist bei immer so, Herr Verheugen!) diesem Gespräch gesagt worden, daß er demokrati- Wie ernst Sie Ihre eigene Aktuelle Stunde nehmen, sche, rechtsstaatliche und marktwirtschaftliche Re- formen in Gang setzen muß, wenn er wi ll, daß es zu sehen Sie daran, daß Sie der Bundesregierung gar - nicht die Gelegenheit gegeben haben, zunächst ein- einer engeren Kooperation mit deutschen Unterneh- mal ihre Meinung zu sagen. Deshalb kann ich das men kommt. nicht kommentieren. (Beifall bei der SPD) (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das ist in jeder Aktu Das entspricht genau dem, was die Europäische ellen Stunde so, Herr Verheugen! Sie haben Union beschlossen hat. Ich darf aus dem Beschluß zi- keine Ahnung von unserer Geschäftsord tieren. In diesem Beschluß heißt es, der Rat appelliere nung! - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] an alle Mitgliedsstaaten der OSZE - das sind ja wohl [F.D.P.]: Reden Sie einfach zur Sache!) wir - und des Europarates - das sind wir auch -, ins- besondere an die Nachbarstaaten von Belarus, des- Aber mit dem Thema der Aktuellen Stunde segeln sen Regierung zu überzeugen, einen Rechtsrahmen Sie auch in einem anderen Zusammenhang unter fal- zu schaffen, der mit den grundlegenden demokrati- scher Flagge. Es geht hier nicht um ein Gespräch, schen Prinzipien und der Einhaltung der Menschen- das der Bundesratspräsident geführt hat. Sagen Sie rechte in Einklang stehe. doch, um was es geht! Es geht um ein Gespräch, das der Kanzlerkandidat der SPD geführt hat. Nur des- Genau das hat der niedersächsische Ministerpräsi- halb, weil Gerhard Schröder Kanzlerkandidat der dent in dem Gespräch getan. Es war richtig, das zu SPD ist, reden wir heute im Bundestag darüber. Das tun. So, wie es richtig war, daß sich vor ist auch gut so; das ist richtig so. Denn es gibt Ihnen etwas mehr als zehn Jahren mit dem südafrikani- die Gelegenheit, sich schon einmal etwas in die Op- schen Präsidenten Botha getroffen und ihm gesagt positionsrolle einzuüben. hat, was die Welt von ihm erwartet, so war es auch richtig, sich mit Herrn Lukaschenko zu treffen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Den Ich möchte zu der Sache selber folgendes sagen: Vergleich hat Willy Brandt nicht verdient! Erstens ist das Gespräch zwischen dem niedersächsi- Schämen Sie sich für überhaupt nichts schen Ministerpräsidenten und Herrn Lukaschenko, mehr? Wenn ich solche Vergleiche anstellen den ich genauso qualifizieren möchte, wie das hier würde! Mein lieber Mann!) schon geschehen ist, Isolierung, meine Damen und Herren, ist nicht die (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Politik, die den Menschen in Belarus hilft. Dies ist Herr Schröder scheint das nicht zu tun!) auch nicht die Beschlußlage der Europäischen Union. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21381

Günter Verheugen Ich habe die Beschlüsse hier. Weder der Ministerrat ständige Kontakte und durch die Zusammenarbeit noch das Europäische Parlament reden an irgendei- mit der demokratischen Opposition in diesem Land. ner Stelle davon, daß hochrangige politische Kon- (Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU/ takte nicht stattfinden sollten. Auch der Deutsche CSU - Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Bundestag hat das nicht beschlossen. Schauen Sie Jetzt kann er sich wieder geradebiegen!) doch nach! Kein Wort davon steht in diesem Be- schluß. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der (Beifall bei der SPD) Kollege Gerd Poppe, Bündnis 90/Die Grünen. Dies würde ja unserer Politik auch widersprechen. Es ist niemals die Politik dieses Parlamentes gewe- Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr sen, das Gespräch zu verweigern und die Möglich- Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege keit der Einflußnahme aufzugeben. Verheugen, Ihr ausdrückliches Bekenntnis zu einer außenpolitischen Geschmacklosigkeit dieser A rt Es war richtig, dieses Gespräch zu führen. Denn macht den zur Debatte stehenden Vorgang noch fa- wie soll der Mann sonst hören, was eigentlich von taler, als er ohnehin schon ist. ihm erwartet wird? Es war auch richtig, darauf hinzu- weisen, daß wir an der Öffnung von Belarus - auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, durch wirtschaftliche Kontakte - ein Interesse haben. bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Diese Politik, die seit vielen Jahren in unserem Eine selbstkritische Anmerkung, wie sie gestern der Lande betrieben wird, hat sich doch bewäh rt. Es Kollege Voigt im Auswärtigen Ausschuß für die SPD wurde immer gesagt: Wirtschaftskontakte können gefunden hat, wäre angemessener und glaubwürdi- und sollen auch dazu dienen, die sozialen und politi- ger gewesen. schen Rahmenbedingungen zu verbessern. Ich kann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nichts Kritikwürdiges daran finden, wenn sich ein bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Karsten deutscher Ministerpräsident - auch im Interesse der D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ich bin nie Arbeitsplätze der Menschen in seinem Lande - selbstkritisch! Das weise ich zurück!) darum bemüht, die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen. - Wir werden es nachher hören. (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Der Bun Die Klassifizierung des Gespräches zwischen dem desratspräsident!) niedersächsischen Ministerpräsidenten - immerhin zugleich auch Bundesratspräsident - und dem Präsi- Wenn Sie sich darüber erregen möchten, daß für denten der Republik Belarus als „informell" und den Ministerpräsidenten von Niedersachsen die Si- - „privat", wie es Herr Schröder verbreiten ließ, ist cherung und die Schaffung von Arbeitsplätzen Chef- eine geradezu lächerliche Verharmlosung. Im übri- sache ist, dann sage ich Ihnen: Wir sind stolz darauf, gen hat Lukaschenko dieser abwertenden Charakte- daß das so ist. Es wäre besser, wenn der Bundeskanz- risierung des Gesprächs ausdrücklich widerspro- ler die Arbeitsplatzsicherung in Deutschland auch chen. Ohne Zweifel gehört ein solches Treffen zu den zur Chefsache gemacht hätte und wenn etwas dabei hochrangigen Kontakten, auf deren Vermeidung sich herausgekommen wäre. die EU-Staaten verständigt haben. (Beifall bei der SPD) (Günter Verheugen [SPD]: Wo steht das?) Meine Damen und Herren, um das ganz klar zu sa- Die offenkundige Geringschätzung eines in Men- gen: Ihre Kritik ist nicht begründet. Es liegt kein Ver- schenrechtsfragen ohnehin reichlich seltenen Kon- stoß gegen Beschlüsse der Europäischen Union vor. senses innerhalb der EU durch den Kanzlerkandida- Es gibt keine Kontaktsperre. Die Union hat lediglich ten erweckt nicht gerade Hoffnung auf eine zukünf- beschlossen, daß ministerielle Kontakte koordiniert tige gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. werden sollen. Damit sind aber eindeutig die Kon- takte der Regierungen der Mitgliedstaaten gemeint (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und ganz gewiß nicht die föderale Ebene der Bun- bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Günter desrepublik Deutschland. Verheugen [SPD]: Wo hat die EU das beschlossen?) Die Europäische Union betreibt eine Politik, mit Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht der wir dazu aufgefordert werden, Einfluß auf dieses um die Verhinderung von Wirtschaftskontakten und Land zu nehmen. Das haben wir getan, indem der von deutschen Investitionen in Belarus. Es geht Ministerpräsident von Niedersachsen Herrn Luka- schon gar nicht um Kritik an Begegnungen mit den schenko das gesagt hat, was zu sagen war. unterdrückten Demokraten, mit den ehemaligen Par- lamentariern des von Lukaschenko aufgelösten Par- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Achten Sie bitte lamentes oder die Unterstützung von Tschernobyl-In- auf die Zeit. itiativen. Das alles ist notwendig und hilfreich. Es geht ausschließlich um die politische Aufwertung des Diktators durch offizielle Repräsentanten der Bun- (SPD): Ich bin sofort fertig. - Günter Verheugen desrepublik Deutschland. Wir tun es außerdem - da brauchen wir keinerlei Be- lehrungen von Ihnen - durch enge, intensive und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21382 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Gerd Poppe Mich erinnert dieser Vorgang an die vielen Nettig- massiv verletzt. Diese Menschen bedürfen unserer keiten, die bundesdeutsche Politiker mit Honecker, Unterstützung und Solidarität. Krenz und anderen ausgetauscht haben, ohne sich auch nur die Frage zu stellen, was das für die demo- (Beifall bei der F.D.P.) kratische Opposition bedeutete. Kontakte zu ihnen sind dringend erforderlich, ebenso wie die Hilfe für den Transformationsprozeß in Bela- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS rus. Behindert werden diese Beziehungen nicht SES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU) durch Beschlüsse von EU oder Bundestag, sondern Pikanterweise hat der von Herrn Schröder gestern in durch einen autoritären Präsidenten. Angesichts des den Auswärtigen Ausschuß entsandte Staatssekretär dadurch entstandenen geringen Handlungsspiel- von sich aus die aktuelle Hannover-Messe mit der raums sind demonstrative Aufwertungen eben jenes Leipziger Messe zu DDR-Zeiten gedanklich ver- Präsidenten um so schädlicher. knüpft. Schließlich ist für mich nicht erkennbar, daß (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit diesem Gespräch etwas hätte ermöglicht werden und bei der F.D.P.) müssen, was auf andere Weise nicht zustande ge- kommen wäre. Meine Damen und Herren, ich kritisiere den Vor- gang, der zur heutigen Debatte führte. Ich finde es (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr aber andererseits nicht angemessen und wenig über- wahr!) zeugend, ihn als Wahlkampfmunition zu benutzen.

Nun möchte ich mich an die andere Seite des Hau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ses wenden und Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle- sowie des Abg. Ge rt Weisskirchen [Wies gen von der Koalition, sagen, daß nicht mit Steinen loch] [SPD]) werfen sollte, wer im Glashaus sitzt. Wichtiger und hilfreicher für uns für eine erfolgreiche deutsche und europäische Außenpolitik, vor allem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aber auch für die Menschen in Belarus, wäre es, Sie, die Sie sich heute empören, sollten sich verge- wenn wir gemeinsame Positionen in Menschen- genwärtigen, daß gerade die Bundesregierung im rechtsfragen entwickeln und konsequent umsetzen Umgang mit gemeinsamen Positionen der EU zu würden - sei es als Regierung oder als Opposition Menschenrechtsfragen nicht eben immer eine glück- oder sei es als zukünftige Regierung oder zukünftige liche Hand hatte. Zu erinnern ist zum Beispiel an das Opposition. traurige Schicksal der EU-Entwürfe für die China- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Resolution der Genfer Menschenrechtskommission. sowie bei Abgeordneten der SPD) Hier hat die Bundesregierung eine unrühmliche- Rolle gespielt, indem sie den mit den meisten EU- Staaten ausgehandelten Konsens verließ. Und es war Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der nicht der Kanzlerkandidat Schröder, sondern Bun- Kollege Ulrich Irmer, F.D.P. deskanzler Kohl, der die Parade der chinesischen Ar- mee, die das Massaker auf dem Tienanmen-Platz Ulrich Irmer (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen verübte, abgenommen hat. und Herren! Als ich Herrn Verheugen gelauscht habe, sind mir fast die Tränen gekommen. Man hatte Etliche weitere Beispiele ließen sich nennen, deren den Eindruck, daß der Bundesratspräsident und nie- Resümee lautet: Die Bundesregierung und die sie tra- dersächsische Ministerpräsident Schröder den Herrn genden Parteien sollten sich zurückhalten mit Kritik Lukaschenko nur deshalb empfangen hat, um ihn am Umgang anderer mit Diktatoren und Antidemo- nachdrücklich auf die Menschenrechte hinzuweisen. kraten. Ich entnehme der Tageszeitung „taz" vom 23. April (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 1998 folgendes: Schröders Regierungssprecher Solange Sie selbst kurzfristige Wirtschaftsinteressen betonte, bei dem Essen habe kein politischer Mei- immer wieder über die Ächtung von Menschen- nungsaustausch mit Lukaschenko stattgefunden, rechtsverletzungen stellen, fällt solche Kritik auf Sie (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/ selbst zurück. CSU) Der Bundestag hat seine Position zu Belarus im - ich zitiere weiter - Oktober 1997 einvernehmlich beschlossen. Diese bleibt aktuell. man habe vielmehr über Investitionen von Conti und MAN in Weißrußland gesprochen. (Günter Verheugen [SPD]: Kein Wo rt von Kontaktverbot!) Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. Der Pressesprecher von Herrn Schröder wird es ja Lukaschenko hat seitdem keinerlei Anlaß für eine besser wissen als Sie, Herr Verheugen. Änderung unserer Einschätzung gegeben. Es gibt (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nach wie vor weder Gewaltenteilung noch Presse- freiheit. Die Rechte von gewählten Parlamentariern Kollege Poppe hat ja recht. Der eigentliche Skan- und von Nichtregierungsorganisationen werden dal ist gar nicht das Treffen als solches. - Ich sage Ih- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21383

Ulrich Irmer nen im Vertrauen: Ich habe Herrn Schröder noch nie denn in Deutschland ein einziger Arbeitsplatz ge- außenpolitisches Fingerspitzengefühl zugetraut. In- schaffen? sofern hat mich dieser Vorgang nicht überrascht, ob- gleich empört. - Der eigentliche Skandal bei der Ge- (Zuruf von der SPD: Das ist doch ein Witz!) schichte ist vielmehr der, daß die SPD wieder einmal Meine Damen und Herren! Der Verdacht liegt eine Doppelzüngigkeit, eine Bigotte rie hier demon- nicht fern, daß sich Herr Schröder gerade für seinen striert, wie sie ihresgleichen sucht. Wahlkampf den Zuspruch von Herrn Lukaschenko sichern wollte. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. - Lachen bei der SPD) Als damals der bayerische Ministerpräsident, Franz-Josef Strauß, nach Bophuthatswana gereist ist - Ich werde Ihnen das beweisen. Das hat nämlich und freundschaftlichste Kontakte mit dem Regime in eine Vorgeschichte. Südafrika gepflegt hat, da haben Sie das, ich sage: Ich habe hier einen Brief vor mir liegen: Hannover, mit Recht vehement kritisiert. Wir haben es auch kri- 31. Januar 1986. Der damalige Bundestagsabgeord- tisiert. Heute tun Sie so, als ob es die bare Selbstver- nete Gerhard Schröder schreibt: ständlichkeit wäre und als ob nichts Kritikwürdiges daran wäre, wenn ein Ministerpräsident eines Lan- Lieber Egon Krenz! des Dinge tut, von denen die Europäische Union aus- drücklich gesagt hat, sie sollten nicht stattfinden. (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) (Günter Verheugen [SPD]: Das stimmt ja Die Gespräche in der DDR waren offen und infor- nicht!) mativ. Besonders war ich von E rich Honecker be- eindruckt. - Doch, es ist gesagt worden, es sollten keine Begeg- (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/ nungen auf hoher Ebene stattfinden. Daran haben CSU) sich alle gehalten, nur Herr Schröder nicht. Herr Lu- kaschenko ist dadurch inte rnational aufgewertet Er schreibt weiter: worden - ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht. Durchstehvermögen, das Du mir wünschst, brau- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) che ich in diesem arbeitsreichen Wahlkampf ja ganz bestimmt. Aber auch Du wirst für Euren Par- Dies haben wir nach Möglichkeit zu unterlassen. teitag und die Volkskammerwahlen sicher viel Beantworten Sie mir doch einmal die Frage, weshalb, Kraft und vor allen Dingen Gesundheit benöti- wenn es um Arbeitsplätze gegangen wäre, Herr gen. Beides wünsche ich Dir von ganzem Herzen. Schröder nicht den Staatssekretär aus seinem Wi rt -schaftsministerium dort hingeschickt hat. Das wäre - (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/ ohne weiteres möglich gewesen. Auf der unteren CSU) Ebene hätte man alle Fachfragen erörtern können. Meine Damen und Herren, wer schreibt Herrn Schröder jetzt den B ri Ich will Ihnen noch eines sagen: Weißrußland muß ef, der ihm Durchstehvermögen sich, was Menschenrechts- und Demokratiefragen im Wahlkampf wünscht? Ich vermute, Herr Luka- schenko. Ich bitte Sie um die Zurverfügungstellung angeht, anders behandeln lassen als manches andere Land; denn es hat einen Gaststatus im Europarat. einer Durchschrift dieses Schreibens, das demnächst in der niedersächsischen Staatskanzlei eingehen Durch den Antrag auf Gaststatus im Europarat hat wird. es sich selbst zu den Prinzipien und Grundsätzen des Ich bedanke mich bei Ihnen. Europarates, das heißt zu Menschenrechten und de- mokratischen Strukturen, bekannt. Wenn ein solches (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und Land dagegen verstößt, ist das um so gravierender. der CDU/CSU) Ich erwarte dies doch von irgendwelchen anderen Ländern, wie beispielsweise Nigeria, gar nicht in Das Wort hat der dem Maße, obwohl wir auch da die Menschenrechts- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Kollege Steffen Tippach, PDS. verletzungen vehement kritisieren. Aber ein Land, das sich selbst diesen Maßstäben unterworfen hat, (Zuruf von der CDU/CSU: Der hat schon muß sich eben anders behandeln lassen. einen Durchschlag! - Heiterkeit) Noch ein Wort zu den Arbeitsplätzen, meine Da- men und Herren von der SPD: Weshalb will denn Steffen Tippach (PDS): Sie werden sich wundern, Conti ausgerechnet in Weißrußland investieren? Da was wir so alles haben! geht es doch nur darum, daß es sich do rt um ein Bil- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ligstlohnland handelt, mit dem verglichen die Löhne Über die Situation der Menschenrechte und der man- selbst in der Tschechischen Republik, in Ungarn und gelnden Demokratie in Belorußland besteht, denke Polen sich geradezu auf einem luxuriösen Niveau be- ich, hier im Hause weitgehend Einigkeit. Nur, darum wegen. Der Grund dafür, daß die Firmen do rt inve- geht es in dieser Debatte nicht. stieren, liegt doch darin, daß sie Lohndumping be- treiben wollen. Das vertreten Sie jetzt hier als einen (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Offen Einsatz für Arbeitsplätze in Deutschland. Wo wird sichtlich nicht!) 21384 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998

Steffen Tippach Vielmehr geht es um ein Gespräch zwischen Gerd Wir werden in unserer vernünftigen und realisti- Schröder und dem Präsidenten Lukaschenko, ein schen Außenpolitik auch gegenüber Belorußland Gespräch, das ich für ausgesprochen unglücklich fortfahren, und ich würde Sie einfach bitten, nicht halte, vor allem auch deswegen, weil ich der Mei- zwischen Wort und Tat und zwischen Schrift und nung bin, daß man die Beschlüsse internationaler Or- Realität solche Widersprüche klaffen zu lassen. Das ganisationen und Institutionen wirklich ernst neh- gilt für die SPD wie für die CDU. men sollte, aber nicht an irgendeiner Stelle sagen sollte: Na ja, ganz so steht es in dem Satz ja nicht, Vielen Dank. und man könnte ja hineininterpretieren, daß das (Beifall bei der PDS) noch zulässig ist. Ich denke, gerade was Demokratie und Menschenrechte betrifft, sollte man in der Ausle- gung entsprechend st rikt sein. Aber auch das ist Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der nicht der Punkt. Staatsminister Dr. Hoyer. Was hier heute vorgeht, ist aus meiner Sicht eine Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Wahlveranstaltung, eine Show billigsten Kalibers. Amt: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle- Ich finde, die Kolleginnen und Kollegen der Koalition gen! Die Bundesregierung fühlt sich den Beschlüssen sollten sich schämen, die Zeit dieses Parlaments ge- des Allgemeinen Rates vom 15. September 1997, die rade in solch schwierigen Zeiten in diesem Land für maßgeblich von mir selbst mit formuliert wurden, diese Debatte zu mißbrauchen. verpflichtet, und sie achtet sorgfältig darauf, daß (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: diese Beschlüsse von allen betroffenen Stellen der Sie wollten heimfahren!) Bundesrepublik Deutschland eingehalten werden. Wenn Europa - man muß ja sagen: endlich - in der Denn gerade Sie - es ist mehrfach angesprochen Außenpolitik handlungsfähig wird, dann dürfen wir worden - können sich eine unendliche Reihe von die Union und die Wirksamkeit ihrer Außenpolitik Kontakten mit Menschenschlächtern, Diktatoren und nicht durch Alleingänge schwächen. Folterern auf dieser Welt aus jüngster und vergange- ner Zeit weiß Gott an die Fahne heften. Dann aber (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) verstehe ich es in keiner Sekunde, wieso Sie ausge- Es ist der Sinn immer wieder gemachter Überzeu- rechnet an diesem Punkt hier plötzlich eine solche gungsversuche, daß wir uns alle an die Beschlüsse Show abziehen wollen. Diese Zeitverschwendung - des Rates der Europäischen Union halten sollten. das muß ich sagen - finde ich beschämend. Zur Lage in Belarus hat die Bundesregierung im (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sie brauchten dann August 1997 ausführlich Stellung genommen und da- gar nicht hier zu reden!) mals ihre Besorgnis über die generelle Entwicklung - Auch das muß ich an alle Fraktionen dieses Hauses des Landes, über Einschränkungen der Pressefreiheit richten: Der Antrag zu Belorußland - Sie kennen ihn und über die Behinderung der Nichtregierungsorga- alle - ist vor kurzem in diesem Haus verabschiedet nisationen zum Ausdruck gebracht. Auf die Frage, worden. Die PDS hat sich als einzige Fraktion enthal- welche Möglichkeiten die Bundesregierung für die ten, und das hat ihr diese üblichen absurden Vor- Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland sieht, würfe wie „Diktaturfreunde" eingebracht. Der An- zur Demokratisierung für Belarus beizutragen, haben satz für uns war, daß in diesem Antrag steht - jetzt wir damals gesagt: muß ich ihn noch mal zitieren -, daß es in Zukunft Die innerhalb der EU vereinbarte politische Linie, keine wirtschaftliche, finanzielle, personelle deut- die Beziehungen zu Weißrußland einzuschrän- sche und europäische Unterstützung für Belorußland ken, solange die Regierung nicht konkrete geben soll. Alle Redner, die in dieser Debatte gespro- Schritte zur Wiederherstellung von parlamentari- chen haben, haben gesagt, daß es wichtig ist, weiter- scher Demokratie, Gewaltenteilung und Medien hin wirtschaftliche Unterstützung zu geben. freiheit unternimmt, und das gleichzeitige Ange- (Günter Verheugen [SPD]: Das hat keiner bot seitens der Europäischen Union zur aktiven gesagt!) Unterstützung dieser Schritte stellt aus Sicht der Bundesregierung den am ehesten erfolgverspre- - Das haben alle gesagt. Natürlich, wi rtschaftliche chenden Weg dar, zur Demokratisierung in Weiß- Kontakte sind wichtig. Es redet niemand davon, wirt- rußland beizutragen ... schaftliche Unterstützung abzulehnen. Die Lage in Belarus gibt unverände rt zu großer Be- (Widerspruch bei der SPD) sorgnis Anlaß. Die seit 1996 eingeleiteten Maßnah- - Ich kann Ihnen die Zitate nennen. Gucken Sie ins men des Präsidenten, die dem Ziel der Bündelung Protokoll, dann werden Sie das sehen. der Macht in seiner Hand dienen, haben im staatli- chen und gesellschaftlichen Bereich zu einem tief- Das ist genau der Punkt. Es geht darum, die Person greifenden Umbau des Landes geführt. Die soge- Lukaschenko zu isolieren, nicht aber die Bevölke- nannte Repräsentantenkammer und das Verfas- rung. Mit dem Beschluß, den Sie gefaßt haben, errei- sungsgericht erweisen sich als dem Präsidenten will- chen Sie das Gegenteil. Und mit dem, was Sie hier fährige Organe; die Opposition wird in jüngster Zeit, gesagt haben, korrigieren Sie vernünftigerweise das, nach Hoffnungszeichen noch im Herbst, wieder ver- was Sie selber geschrieben haben, und zeigen damit, stärkt unter Druck gesetzt und ist vollständig in den daß es das Papier nicht we rt ist, auf dem es steht. außerparlamentarischen Bereich abgedrängt wor- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21385

Dr. Werner Hoyer, Staatsminister den. Private Universitäten, Studenten, Oppositionelle Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich wirft und Vertreter unabhängiger Medien werden zuneh- der Umgang mit Repräsentanten eines Regimes wie mend unter Druck gesetzt. Verhaftungen und Verur- dem in Weißrußland immer wieder schwierige Fra- teilungen von Demonstranten nehmen zu. Belarus ist gen auf. Für die Bundesregierung kann es aber kei- kein demokratisch verfaßtes Land und kein Rechts- nen Zweifel daran geben, daß der Beschluß der Euro- staat mehr. päischen Union vom 15. September ein wichtiges Druckmittel bleiben muß, um der Regierung in (Zustimmung bei der CDU/CSU) Minsk und nicht zuletzt Präsident Lukaschenko sel- Dem deprimierenden Bild der politischen Lage ent- ber immer wieder deutlich zu machen, daß wir nicht spricht die wirtschaftliche Situation des Landes: Sie bereit sind, irgendwann zur Tagesordnung überzu- hat sich dramatisch verschlechtert. Von einem Prozeß gehen. Wir müssen weiter darauf drängen, daß Weiß- der Reformen in Richtung Marktwirtschaft kann rußland, ein wichtiges Nachbarland in Europa - es ist nicht einmal ansatzweise die Rede sein, im Gegen- gar nicht so weit von uns entfernt, wie man manch- teil. Private humanitäre Hilfsorganisationen haben mal glauben könnte, wenn man diese Debatten ver- übrigens wieder verstärkt unter Beeinträchtigungen folgt -, zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu- ihrer Arbeit zu leiden, obwohl die Hilfe von außen rückkehrt. bei zunehmender Not der Bevölkerung immer wich- Herzlichen Dank. tiger wird. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und Es hat in jüngster Zeit auch einen schwachen Hoff- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nungsschimmer gegeben. Nachdem die belarussi- sche Seite Ende letzten Jahres endlich ihre Blockade gegenüber den Mandatsbedingungen aufgegeben Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der und das weit gefaßte Mandat „Demokratieförde- Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU. -rung" akzeptiert hatte, konnte die OSZE-Beratungs und Beobachtungsgruppe unter Leitung von Bot- schafter a.D. Wieck im Februar 1998 ihre Arbeit in Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Herr Präsi- Minsk beginnen. Die belarussische Seite ist mit der dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich OSZE-Beratungsgruppe unter anderem übereinge- möchte - der Bitte des Kollegen Verheugen entspre- kommen, eine Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines chend - der Bundesregierung, die erschöpfend zur neuen Wahlgesetzes einzurichten. Sollten die Arbei- Vorgeschichte Stellung genommen hat, zur Seite tre- ten zu konkreten Ergebnissen führen, könnte dies ei- ten und aus dem Beschluß des Europäischen Rates nen Fortschritt bedeuten. Ob das genügt, wird die vom 15. September 1997, Ziffer 5, 4. Spiegelstrich, zi- Zukunft zeigen. tieren: In der Europäischen Union herrscht jedenfalls Ei- Bilaterale ministerielle Kontakte zwischen der nigkeit darüber, daß der Beschluß des Allgemeinen Europäischen Union und Belarus werden grund- Rates vom 15. September 1997 in vollem Umfang sätzlich nur über den Vorsitz oder die Troika ge- wirksam bleibt, bis konkrete Fortschritte erkennbar knüpft. sind. Der Beschluß ist ja durch fraktionsübergrei- (Günter Verheugen [SPD]: Ja!) fende Entscheidungen des Deutschen Bundestages am 14. November 1997 ausdrücklich indossiert wor- Herr Verheugen, hier haben Sie Ihr Zitat. den. Folglich fühlen wir uns den Beschlüssen des A ll -gemeinen Rats nach wie vor verpflichtet. (Günter Verheugen [SPD]: Das ist doch keine Kontaktsperre!) In diesem Sinne hat Staatssekretär Ha rtmann am 21. Januar dieses Jahres die Chefs der Staatskanz- Das ist hier nun gerade nicht passiert, es sei denn, leien der Bundesländer „um eine möglichst enge Ab- Sie sagen: Er ist Ministerpräsident und kein Minister, stimmung mit dem Auswärtigen Amt bei allen weiß- deswegen gilt es für ihn nicht. Na gut, ich würde sa- rußland-politischen Fragen" gebeten. gen: Ostern war bei der SPD so, daß Herr Schröder die faulen Eier gelegt hat, auf denen die SPD-Frak- (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Hoch- tion jetzt tanzen muß. interessant!) (Uta Zapf [SPD]: Ein schönes Bild! Er ist ein Er bat außerdem darum, von hochrangigen politi- Lyriker!) schen Gesprächen mit dem Präsidenten, die im Wi- derspruch zu den auch für uns maßgeblichen EU-Be- Aber auch Ihr Parforceritt, Herr Verheugen, wird schlüssen stünden, Abstand zu nehmen. nicht davon ablenken können, daß dieses Treffen schädlich war, das vom Ministerium für Volksaufklä- (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: rung und Propaganda in Minsk natürlich ausge- Ach, so war das? - Weitere Zurufe von der schlachtet worden ist. Ich habe am Samstag anläßlich CDU/CSU: Hört! Hört!) eines Zusammentreffens in Österreich mit den Ver- Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung tretern der Opposition gesprochen. Die haben sich wiederholt der Landesregierung von Niedersachsen bitter über die Propaganda beklagt, die dieser Be- nahegelegt, auf die beabsichtigte Begegnung mit such ausgelöst hat, und haben sich ausdrücklich Präsident Lukaschenko zu verzichten. beim Bundestag für die Beschlußlage bedankt, die wir herbeigeführt haben. Sie haben an die EU appel- (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) liert, das aufrechtzuerhalten, was gerade von der 21386 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Christian Schmidt (Fürth) Bundesregierung sehr deutlich und klar dargestellt weisen nicht zugänglich ist, dem kann es passieren, worden ist. daß er stolpert. Gerade das ist passiert. Nun komme ich zu der Frage: Wenn das an alle Wenn es ein Einzelfall wäre, wenn es eigentlich Staatskanzleien ging - so habe ich den Herrn Staats- ein prinzipienfester Mann wäre, der nicht wankt und minister verstanden -, also an die Posteingangsstel- seinen Weg gerade geht, gut, dann müßte man in der len aller 16 deutschen Bundesländer, muß man fra- Tat vielleicht nicht so ausführlich darüber reden. gen, wie es denn die anderen damit gehalten haben. Aber nachdem sich zwischenzeitlich auch seine Ehe- Ist Herr Schröder etwa von der Ministerpräsidenten- frau, Frau Schröder-Köpf, in die Außenpolitik einge- konferenz beauftragt worden? Nein, ich kann Ihnen schaltet hat und sich bemüßigt fühlt, sich über die eine interessante Mitteilung machen: Es gab natür- Türkeipolitik zu äußern, über einen Sachverhalt, lich auch andere Staatskanzleien, bei denen ange- fragt worden ist. Es gibt einen Ministerpräsidenten, (Uta Zapf [SPD]: Es war sehr richtig, was sie der besonders dafür bekannt ist, daß er sich nachhal- gesagt hat!) tig für wirtschaftliche Entwicklungen in seinem Bun- zu dem ich angesichts der gegenwärtig sehr aufge- desland einsetzt, der übrigens auch sehr viel bessere heizten emotionalen Argumentation und der Be- Wirtschaftsdaten aufweisen kann als das Bundesland schimpfungen, die von türkischer Seite kommen, je- Niedersachsen, der im Verhältnis zu der miesen Bi- dem empfehlen würde, die Ruhe zu bewahren, aber lanz, die Herr Schröder in Niedersachsen aufbieten auch deutlich zu machen, daß es auch hier um die kann, sowohl bei den Arbeitslosenzahlen als auch Vertretung und Wahrung einer gemeinsamen deut- beim Wirtschaftswachstum weitaus besser - golden, schen Position geht, muß darüber gesprochen wer- glänzend - dasteht; das ist der bayerische Minister- den. präsident Edmund Stoiber. Zwischenzeitlich gibt es wohl noch eine Reihe wei- Edmund Stoiber hat auch eine Anfrage erhalten, terer solcher Überlegungen in bezug auf Wahlkampf- ob er sich mit Herrn Lukaschenko treffen möge. reisen, die von Herrn Schröder geplant sind. Auch das, was in Paris an Äußerungen gefallen ist, ist nach (Uta Zapf [SPD]: Das stand auch schon in unserer Meinung auch nicht gerade besonders klug der Zeitung! Keine neue Mitteilung!) gewesen. Wir können nur eines feststellen: Hier ist - Hören Sie es sich an. Es kann gut sein, daß Sie sich einer auf ein hohes niedersächsisches Roß gestiegen, einige Dinge sowohl heute als auch in den nächsten und von diesem ist er heruntergefallen. Das ist alles Auseinandersetzungen noch einmal anhören müs- andere als ein Ausweis verantwortungsvoller Politik. sen. Dieser Mann ist in seinen außenpolitischen Eskapa- den ein Risiko. Nach Beratung hat sich der bayerische Minister- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) präsident entschieden, den Kontakt mit Herrn Luka- - schenko nicht zu suchen. Das Wort hat (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: der Kollege , SPD. Günter Verheugen [SPD]: Das ist ganz unbayerisch!) Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): Herr Präsident! Er hat sich entschieden, Herrn Lukaschenko einen Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es Korb zu geben, weil er sich in seiner staatspolitischen den Koalitionsfraktionen vor allen Dingen um Men- Verantwortung an die Beschlußlage der Europäi- schenrechte ginge, schen Union und an die Ratschläge der Bundesregie- rung gebunden gesehen hat. Genau dies vermissen (Zuruf von der CDU/CSU: Ja! - Gegenruf wir bei Herrn Schröder und haben wir vermißt. von der SPD: Ginge!) Der Kollege von der wackelnden Magdeburger dann hätten sie den Debattenstil anders angelegt. Front hat gesagt, es wäre Zeitverschwendung, sich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne heute mit diesem Thema auseinanderzusetzen, weil ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN es Wahlkampf wäre. Lieber Kollege von der PDS, und der PDS) hier haben Sie etwas verwechselt: Die Wahlveran- staltung fand in Niedersachsen statt. Die Wahlveran- Tatsächlich geht es um Wahlkampf. staltung fand im Gästehaus der niedersächsischen Regierung statt. Ich kann mir schon die Gedanken- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Worum gänge vorstellen. Da sagt ein Hemdsärmeliger: „Was geht es Ihnen denn?) soll es denn? Ich zeige es mal, ich bin der große Ma- Legitim ist, daß der Wahlkampf zum Teil mit kabaret- cher. Weg mit solchen Bedenken! Wir machen das tistischen Einlagen geführt wird. Der Kollege Irmer einfach und zeigen, welch große Maxe wir sind." hat das vorgemacht. Ich habe dafür Verständnis; ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU bin selber Ehrensenator in meinem Karnevalsverein. und der F.D.P.) Deshalb lassen Sie mich zu Beginn meines Redebei- trags zu Ihren Bemerkungen - auch ironisch - nur sa- Wer aber die Nase so hoch trägt und für Informatio- gen: Gerhard Schröder war Anfang der 80er Jahre nen und grundlegende Kenntnisse in der Außenpoli- von Erich Honecker beeindruckt. Er hat dies mit Hel- tik sowie für notwendige gemeinsame Verhaltens- mut Kohl gemeinsam, der Ende der 80er Jahre von Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21387

Karsten D. Voigt (Frankfurt) Erich Honecker beeindruckt war. Insofern würde ihn Belarus gewesen ist und mit Lukaschenko geredet dieser Irrtum zur Kanzlerschaft geradezu prädestinie- hat. ren. Ich persönlich glaube, daß man die Isolierungsstra- (Heiterkeit bei der SPD - Widerspruch bei tegie gegenüber Lukaschenko - selbst wenn sie in der CDU/CSU - Heinrich-Wilhelm Ronsöhr dieser Form beschlossen sein sollte; aber sie ist in [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit!) dieser Form gar nicht beschlossen worden Zum Thema der Menschenrechte selber: In der Sa- (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Ich che ist Gerhard Schröder mit allen Abgeordneten des habe es doch vorgelesen!) Deutschen Bundestages, was die Einschätzung der - da steht nur: Ministeriumskontakte auf EU-Ebene - Lage in Belarus angeht, einer Meinung. nicht durchhalten kann und daß sie von der Sache (Zuruf von der CDU/CSU: Nein!) her auch falsch ist. Das zeigt sich nicht nur daran, daß er mit Luka- schenko über Menschenrechte gesprochen hat und Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege sich mit ihm öffentlich nicht hat fotografieren lassen, Voigt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen sondern auch darin, daß Gerhard Schröder auf unse- Scholz? rem Parteitag in Hannover mit dem Vorsitzenden der belarussischen Sozialdemokratie, Nikolai Statke- Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): Das ist bei Ak- witsch, einem der führenden Vertreter der dortigen tuellen Stunden normalerweise nicht üblich, aber demokratischen Opposition, geredet hat. Das zeigt wenn der Präsident das zuläßt und das von meiner sich darüber hinaus daran, daß sich neben anderen Zeit nicht abgezogen wird, gerne. Bundesländern ein Bundesland ganz besonders für die demokratischen Kräfte in Belarus engagiert; so Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Nein, richtig, das hilft zum Beispiel das Land Niedersachsen unter der geht ja nicht. Führung von Gerhard Schröder besonders den Kin- dern von Tschernobyl. Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): Ich möchte (Zustimmung bei der SPD - Christian zum Abschluß nur sagen: Wir haben Helmut Kohl, Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das macht als er nach China fuhr, nicht kritisiert, weil er mit der Hillu Schröder!) dortigen politischen Führung gesprochen hat, son- dern wir haben ihn kritisiert, weil er bei der Nationa- - Das macht auch Gerhard Schröder. Kommen Sie len Volksarmee symbolisch Hände geschüttelt hat. doch etwas von dem Kleinklein weg. - In Wirklich- Wir haben den kritischen Dialog - wie immer man keit geht es hier nicht um die Differenz in bezug auf den Titel nennt - mit dem Iran nicht pauschal in Menschenrechte. Grund und Boden verdammt. Wir haben aber sehr (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Nein, wohl gesagt, daß es ein Fehler war, daß Staatsmi- um das Gespräch geht es!) nister Schmidbauer Fallahian im Bundeskanzleramt empfangen hat. Die Frage der Menschenrechte wird hier von allen in gleicher Weise gesehen, Gerhard Schröder inbe- Bei all dem Streit darüber, ob Gerhard Schröder griffen. Wenn man nicht nur den Wahlkampf im Kopf jetzt richtig oder falsch gehandelt hat: Ich glaube, hat, sondern legitime Abwägungsgründe diskutieren daß Gerhard Schröder sehr schnell in seine neue möchte, dann erkennt man, daß es um die Frage des Rolle als Bundeskanzler hineinwachsen wird - Sie Verhältnisses von Menschenrechten, Wirtschaftsin- üben ja auch schon Ihre neue Rolle als Oppositions- teressen und Kontaktpflege geht. Gerhard Schröder parteien - und daß er als Bundeskanzler vor allen hat in dieser Diskussion - darüber kann man auch Dingen nicht den Fehler machen wird, den Helmut meiner Meinung nach unterschiedlicher Auffassung Kohl als Bundeskanzler gemacht hat, indem er zum sein - legitimerweise gesagt: Ich engagiere mich für Beispiel Gorbatschow als Goebbels bezeichnet hat, die Menschenrechte in Belarus; aber ich lasse darun- was nicht die größte außenpolitische Glanzleistung ter die Wirtschaftsbeziehungen von Niedersachsen eines Bundeskanzlers war. Demgegenüber, wie im- nicht leiden. mer man das unter kritischen Aspekten beurteilen mag, ist das, was Gerhard Schröder do rt gemacht hat (Widerspruch bei der CDU/CSU) - kritische Auseinandersetzung mit Lukaschenko, Daß man unterschiedlicher Meinung darüber sein kein Pressetermin, aber Engagement in Wirtschafts- kann, ob Kontakte fortgesetzt werden sollen oder fragen -, geradezu lobenswert. nicht, steht außer Frage. Ich selbst bin eher für die (Beifall bei der SPD - Ch ristian Schmidt Fortsetzung der Kontakte. Diese Ansicht vertritt auch [Fürth] [CDU/CSU]: Ich höre nur Erdbeereis die Kollegin Fischer, Präsidentin der Parlamentari- mit Schlagsahne und sonst nichts!) schen Versammlung des Europarats, also derjenigen Organisation, die für Menschenrechte zuständig ist. Sie hat sich vor kurzem mit dem Vizepräsidenten von Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Belarus getroffen und hat darin keine Verletzung ir- Kollege Klaus Francke, CDU/CSU. gendwelcher Prinzipien von Menschenrechten gese- hen. Daß eine Fortsetzung der Kontakte sinnvoll ist, Klaus Francke (Hamburg) (CDU/CSU): Herr Präsi- zeigt sich auch daran, daß eine OSZE-Delegation in dent! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Voigt, 21388 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Klaus Francke (Hamburg) es geht nicht um die Frage Menschenrechte einer- den. Ein amtierender Bundesratspräsident wird au- seits und Wirtschaftsfragen andererseits - über Men- ßenpolitisch nicht als Privatmann gesehen. Ich wie- schenrechte hat der Ministerpräsident gar nicht gere- derhole: Der Bundesratspräsident hat in seiner Funk- det, wie wir gehört haben -, tion im wesentlichen die Bundespolitik auch nach au- ßen zu vertreten. Hier geht es nicht primär um den (Günter Verheugen [SPD]: Das ist nicht Ministerpräsidenten, sondern um den Bundesrats- wahr! Waren Sie denn dabei?) präsidenten. sondern es geht um die Frage, welchen außenpoliti- (Beifall bei der CDU/CSU) schen Schaden der amtierende Bundesratspräsident durch sein Verhalten angerichtet hat. Das ist der zen- Es war auch völlig klar, daß sich die weißrussische trale Punkt, über den geredet werden muß. Seite keine Gelegenheit entgehen lassen würde, das Gespräch auf das Niveau einer Begegnung zwischen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zwei Staatsmännern hochzustilisieren. Das Treffen dieser beiden Herren beweist aus mei- (Zuruf von der CDU/CSU: Und was für wel ner Sicht eine seltene politische Unreife, die sich aus che!) einer gefährlichen Mischung von Borniertheit und persönlicher Eitelkeit zusammensetzt. Dieses Treffen hat den weißrussischen Präsidenten in seinem Lande in gefährlicher Weise aufgewertet und (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sehr gut!) in seiner Position bestätigt. Im November 1997 hat an dieser Stelle der Kollege (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll Weisskirchen unter Zustimmung des ganzen Hauses mer) erklärt - ich zitiere ihn -: Bei der weißrussischen Opposition und gerade - wie Wir ermutigen alle Demokraten in Weißrußland wir gestern von den Sozialdemokraten noch einmal und warnen Präsident Lukaschenko. Die Fami lie deutlich gehört haben, Herr Kollege Voigt - bei den der europäischen Demokratien wird es nicht län- stark unterdrückten Sozialdemokraten, die sonst De- ger hinnehmen, wenn ein Mitglied der gemeinsa- monstrationen zur Unterstützung aus dem Westen er- men Familie unterdrückt wird. fahren, ist angesichts der Nachricht von diesem Tref- (Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!) fen blankes Entsetzen ausgebrochen. Die Beurteilung der Lage in Weißrußland, der Un- (Andreas Krautscheid [CDU/CSU]: Aber wir terdrückung und Drangsalierung der Menschen, ist bleiben an ihrer Seite!) einhellig in Europa und im Bundestag. Deswegen ha- Schröder hat es geschafft, mit einer einzigen Ak- ben wir im vergangenen Jahr den interfraktionellen tion den Deutschen Bundestag zu brüskieren, die Antrag beschlossen. - europäischen Partner vor den Kopf zu stoßen und der (Jörg Tauss [SPD]: War auch gut!) weißrussischen Opposition einen deutlichen Tief- schlag zu versetzen. Äußerungen nun aus Niedersachsen, Herr Schröder beurteile die Lage in Weißrußland genauso wie der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bundestag, aber wenn man früher Herrn Honecker Er hat, was grundsätzlicher wiegt, die gewohnte Ver- empfangen habe, wieso jetzt nicht Herrn Luka- läßlichkeit der deutschen Außenpolitik in den Augen schenko, sind nur als bodenlos dumm zu bezeichnen. unserer Partner gefährdet und uns von unserem Ziel, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Weißrußland auf den Weg von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückzuführen, ein Stück weiter Günter Verheugen [SPD]: Na, na! Und das entfernt. Das, meine Damen und Herren, zeigt keine aus Ihrem Mund!) Kanzlerreife, sondern daß Herr Schröder ein außen- Klarer kann nicht dargelegt werden, was landauf, politischer Spieler ist. landab immer mehr ins Bewußtsein dringt: Herr (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Schröder redet nach Beliebigkeit, aber nicht auf Grund gefestigter Überzeugungen. Vizepräsidentin Dr. : Das Wort hat (Zuruf von der CDU/CSU: Die hat er ja die Abgeordnete Uta Zapf. nicht!)

Ihm fehlt das Gespür für eine seriöse Politik. Er ver- Uta Zapf (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ge- kauft seine Anbiederung dreist dann auch noch als ehrten Damen und Herren! Ich habe das Gefühl, hier Anbahnung von Wirtschaftskontakten, die dem Bür- allmählich ganz feuchte Füße von den vielen Kroko- ger zugute kommen sollen. Aber auch hier wäre das dilstränen zu bekommen, die hier vergossen werden. Nachdenken über den Zentimeter vor der Nasen- spitze hinaus sinnvoll gewesen. Es gibt nämlich kei- (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Bei nerlei Notwendigkeit dafür, Wi rtschaftskontakte auf euch da drüben?) dieser Ebene zu pflegen. Ich würde ganz gerne zunächst einmal zu Herrn Ir- (Uta Zapf [SPD]: Warum nicht?) mer - Herr Francke hat es jetzt ja auch wiederholt - sagen, daß es sich lohnt, die richtige Zeitung zu le- Auch die Naivität, das Treffen als inoffiziell zu be- sen. Ich wundere mich, daß Sie hier die „taz" zitieren zeichnen, kann nur als erschreckend bezeichnet wer und dabei vergessen, daß auch die „FAZ" etwas zu Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21389

Uta Zapf dieser Sache gesagt hat. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Ich möchte hier nur einen Beispielsfall ansprechen, Präsidentin, würde ich das hier jetzt gerne zitieren. mit dem wir umzugehen lernen müssen. Es geht Da steht zu demselben Tatbestand, den Sie ange- darum, daß die Bundesregierung die Gelder für die sprochen haben: Regierungssprecher Jürdens bestä- MW im Rahmen des Transformprogrammes drastisch tigte, gekürzt hat, und zwar auf Grund des hier gefaßten Beschlusses, Hilfsprogramme nicht mehr zu fördern. Schröder sei die Schwierigkeit dieses Treffens be- Die KfW hatte sich schon weitgehend auf die Unter- wußt gewesen. stützung von NGOs konzentriert. Die NGOs sind in (Lachen bei der CDU/CSU) der Tat in Weißrußland diejenige Gruppe, die in der Lage ist, Demokratisierung am besten voranzutrei- Er habe daher auf einem informellen Treffen au- ben. ßerhalb des Protokolls bestanden, einen gemein- samen Fototermin mit Lukaschenko abgelehnt Nun fallen die Gelder für diese nichtstaatlichen Or- und auch zu Beginn des Essens darauf hingewie- ganisationen weitgehend weg. Die kleinen und mitt- sen, daß man in der Beurteilung der innenpoliti- leren Privatbetriebe, die die KfW unterstützt hat, schen Situation Weißrußlands nicht überein- können nicht mehr gefördert werden, und auch der stimme. ganz wichtige Bereich Aus- und Weiterbildung wird eingeschränkt, so beispielsweise die Förderung (Lachen bei der CDU/CSU - Ul rich Irmer nichtstaatlicher Organisationen wie des IBB und an- [F.D.P.]: Das ist ja grandios! - Wolf-Michael derer, die die Demokratisierungsaspekte in ihre Pro- Catenhusen [SPD]: Bei den Grünen kann gramme einflechten. Ich denke, das ist ein Dilemma, ich das ja ernst nehmen, aber nicht bei der vor dem wir alle stehen. CDU/CSU!) Wenn wir uns nicht in einer Wahlkampfdiskussion Man sollte also, wenn man schon zitiert, seriös zitie- ren. befänden, wäre es wirklich lohnend, über die Sache nachzudenken. Das, was hier passiert, kann ich gut Zweites Problem, meine Damen und Herren: Es ist verstehen. Sie haben eine wunderbare Gelegenheit richtig, daß wir Herrn Lukaschenko, der genauso re- genutzt, dem Strahlemann Schröder eins auszuwi- giert, wie es hier auch von der Koalition beschrieben schen und ihm im außenpolitischen Bereich etwas worden ist, nicht hoffähig machen wollen. Er ist aber Dämpfendes aufzusetzen. Das hätte ich an Ihrer immerhin ein regulär gewählter Präsident und wurde Stelle ganz genauso gemacht. Das ist doch klar. damals noch nach durchaus demokratischen Spielre- geln gewählt. Wir haben die Möglichkeit, ihm einer- (Zustimmung bei der CDU/CSU) seits offizielle strahlende Gelegenheiten zu verweh- Dafür haben wir doch alle Verständnis. Wir sind im ren, aber auf der anderen Seite müssen wir berück- Wahlkampf. sichtigen, daß er immerhin der Präsident ist. - (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) Ich würde Sie gerne einmal fragen, was Sie ma- chen würden, wenn Sie mit der deutsch-belarussi- Aber das, was hier passiert, ist doch nicht seriös. schen Parlamentariergruppe nach Belarus fahren (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ und dort mit den Regierenden und mit der Admini- CSU: Herr Schröder ist nicht seriös!) stration Kontakte pflegen wollen. Was machen Sie? Reden Sie mit Herrn Lukaschenko? Ja oder nein? Ich denke, es trifft das, was Herr Francke in der (Gerd Poppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: letzten Diskussion zu Protokoll gegeben hat. Herr Nein natürlich!) Francke, mit der Genehmigung der Frau Präsidentin würde ich Sie gerne zitieren. Sie haben in der De- Ich finde es lächerlich, wie Sie das behandeln. Wir batte über den Antrag, den wir gemeinsam beschlos- haben uns in der deutsch-belarussischen Parlamen- sen haben, Ihre Rede zu Protokoll gegeben. Dazu tariergruppe stundenlang mit diesem Thema be- möchte ich einen kleinen Einschub machen: Die schäftigt. Die Kehrseite der Medaille ist doch, daß Frage der Demokratisierung in Belarus hat dieses wir dann, wenn wir der von Ihnen behaupteten Kon- Haus offenbar so gebeutelt, daß die Debatte nur zu taktsperre entsprechen würden - dabei ist diese nicht Protokoll gegeben worden ist. ausgesprochen worden -, in ein Dilemma hineinkä- men, über das es sich nicht nur am Beispiel von Bela- (Günter Verheugen [SPD]: Ja, es war keiner rus, sondern auch am Beispiel anderer Länder nach- da!) zudenken lohnt. Herr Antretter hat das gestern im Ich zitiere Herrn Francke: Auswärtigen Ausschuß mit der Formel umschrieben: Was nützt denn den Menschen, wenn wir in einem Trotzdem kann es nicht unser Ziel sein, Belarus Lande Demokratisierung fördern wollen? Nützt die dauerhaft zu isolieren. Nur im Dialog mit dem Isolierung oder nützt zum Beispiel eine wohldosierte Land Art bei der Kontaktpflege? ( [CDU/CSU]: Mit dem (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das Land! - Günter Verheugen [SPD]: Ja, wer war eine Überdosis!) ist denn das Land? - Widerspruch bei der CDU/CSU) Nützt es, die Wirtschaft zu fördern - ich erinnere an das berühmte Wort vom Wandel durch Handel -, werden wir zu einem innenpolitischen Umden oder nützt es, Sanktionen auszusprechen? ken und damit langfristig zu einer politischen Sta- 21390 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Uta Zapf bilität beitragen können, die auch in die Region Jahre 1997 55 Todesurteile, die meisten davon ohne ausstrahlt. Nicht umsonst sprechen sich insbe- jeden Prozeß. sondere die direkten Nachbarn Belarus' dagegen aus, das Land dauerhaft zu isolieren. Meine Damen und Herren, nach dem, was ich von Ihnen gerade gehört habe, kann man diese Ran- (Karsten D. Voigt [Frankfu rt] [SPD]: Rich schmeiße Ihres Kanzlerkandidaten nicht mehr als ig!) Tolpatschigkeit bezeichnen. Das ist auch kein Tritt ins Fettnäpfchen mehr, nein, es ist zynisch gegen- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, über den Menschen in Weißrußland. Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie dürfen nicht mehr (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so lange zitieren. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS SES 90/DIE GRÜNEN) Uta Zapf (SPD): Letzter Satz, wenn Sie gestatten: Es ist bereits gesagt worden: Das ist kein Einzelfall. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß mit der Öff- Je mehr dieser Mensch vom Allgemeinen zum Kon- nung der Europäischen Union und der NATO Be- kreten kommt, um so öfter wird es peinlich. Offenbar larus zu einem unmittelbaren Nachbarn beider ist das - die Türkeiäußerungen sind bereits ange- Organisationen werden wird und uns damit nä- sprochen worden - auch ein familiäres Problem. herrückt. Damit ist die politische Stabilität von Belarus ein wichtiges Anliegen unserer Politik, (Günter Verheugen [SPD]: Die Frau hatte auch im Interesse unserer Pa rtner in Mittel- und doch recht, oder nicht?) Osteuropa. Ich habe einer von Ihnen sicherlich als seriös einge- Ich denke, es würde sich mehr Gehirnschmalz loh- schätzen Montagszeitung entnommen, daß Ihr eige- nen, als hier von Ihnen in diese Wahlkampfdebatte ner Wahlkampfmanager das, was Frau Köpf von sich investiert worden ist. gegeben hat, als Sicherheitsrisiko eingeordnet hat und daß man diese Dame von weiteren Äußerungen Herzlichen Dank. abhalten möchte. (Beifall bei der SPD) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Am besten den Mann auch!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Krautscheid. Meine Damen und Herren, wir haben hier ein ge- meinsames Interesse. Bevor die beiden in nächster Zeit öfter Bill und Hillary spielen und solange noch Andreas Krautscheid (CDU/CSU): Frau Präsiden- sachkundige Kollegen - wie der Kollege Voigt - in Ih- tin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn -t- rer Arbeitsgruppe sind, sollten Sie die beiden einmal man bedenkt, wieviel Mühe, Zeit und Engagement zu einem Grundkurs in Außenpolitik einladen, Kollegen aus allen Fraktionen in den letzten Mona- ten und Jahren darauf verwendet haben, in Fragen (Zuruf von der CDU/CSU: Vergeblich!) schwerster Menschenrechtsverletzungen zu einer damit durch persönliche Eitelkeit entstehender Scha- gemeinsamen Position der Demokraten zu kommen, den in der Außenpolitik von unserem Land abgehal- dann kann man sagen: Herr Schröder hat diesen Be- ten wird. Bringen Sie ihm die einfachsten Dinge bei! mühungen mit seiner Aktion einen Bärendienst er- wiesen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Ulrich Irmer [F.D.P.]: Versuch am untaugli und der F.D.P.) chen Objekt!) Mir ist ganz klar, warum jetzt zum Beispiel kein - Vielleicht ist er lernfähig. einziges ordentliches SPD-Mitglied aus dem Unter- (Zuruf von der CDU/CSU: Das bezweifle ausschuß Menschenrechte anwesend ist. Sie sind ich!) nicht deshalb abwesend, weil sie sich nicht dafür in- teressieren, nein, sie schämen sich für diese Aktion Eines aber finde ich wichtig: Wir selber haben in ihres eigenen Kanzlerkandidaten. unseren Reihen immer wieder gemerkt, wie schwie- rig es ist, solche einvernehmlichen Positionen durch- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zuhalten, aber auch wie wichtig es ist, in schwerwie- Wir haben oft Fälle gehabt, bei denen man darüber genden, ganz offensichtlichen Fällen so zu verfahren. streiten konnte, wie man mit einem Regime umzuge- Ich empfinde es genauso wie die Nichtregierungsor- hen hatte. Wir waren oft unterschiedlicher Auff as ganisationen im Menschenrechtsbereich als einen sung. Aber wer ist eigentlich Herr Lukaschenko, und Tritt in die Kniekehle, wenn wir bei den Bemühun- wie sieht es in Weißrußland aus? Was hat er in den gen, uns darauf zu einigen, wieder von vorne anfan- letzten Monaten getan? gen müssen, bloß weil Ihr Kanzlerkandidat einen sol- chen Fauxpas begeht. Das ist für unsere zukünftige Es gab die Aufhebung der Gewaltenteilung, die Arbeit eine schwere Hypothek. Entlassung von Verfassungsrichtern, die Auflösung des frei gewählten Parlaments, physische und psy- Wenn es für die Sache besser ist, dann halten Sie chische Gewalt gegenüber Parlamentariern, die Auf- ihn von vornherein von solchen außenpolitischen Äu- hebung der Versammlungsfreiheit und allein im ßerungen ab. Die Schuhe, in die er geschlüpft ist, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21391 Andreas Krautscheid sind ihm zu groß. Sie wissen genau: Er wird auch rungsorganisationen - gestärkt werden. Das ist für nicht hineinwachsen. mich das zentrale Kriterium.

Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das habe ich so gehalten. Dafür bin ich von man- chen früher ab und an mal kritisiert worden. Das halte ich auch heute so, Gerd Poppe. Das ist ein Zu- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat sammenspiel. Das ist ein schwieriger dialektischer jetzt der Abgeordnete Ge rt Weisskirchen. Prozeß, bei dem es - das weiß ich sehr wohl - auch zu Mißverständnissen kommen kann. Daran besteht kein Zweifel. Natürlich kann es dabei auch zu Miß- Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Frau Präsi- verständnissen kommen. Natürlich kann auch Herr dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fände es Lukaschenko versuchen, dies zu mißbrauchen. Aber ganz gut, wenn wir an den Gedanken anknüpfen das gilt in jedem Falle, wenn so etwas gemacht wird. könnten, den wir trotz des Streites durchgängig als den richtigen Gedanken erkannt haben, nämlich: Die entscheidende Frage ist: Wo hat das Land Nie- Wie kann es uns gelingen, Weißrußland zurück in die dersachsen zur Unterstützung der Demokratiebewe- Familie der europäischen Demokratien zu führen? gungen in Belarus beigetragen? Das ist, glaube ich, der zentrale Punkt. ( [CDU/CSU]: Ja!) (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sehr gut!) - Ja, das ist die entscheidende Frage. Herr Kollege Wir haben ja Erfahrungen mit gemeinsamer Entspan- Lamers, ich will Ihnen drei Beispiele nennen. nungspolitik, auch mit der Politik von Helmut Kohl ab 1982, bei der er, was das Zusammenspiel von Erstes Beispiel. Nikolai Statchewitsch hat auf unse- staatlichem und gesellschaftlichem Handeln anbe- rem Parteitag gesprochen. Auf welchem Parteitag trifft, in gewisser Weise durchaus die Kontinuität ge- der CDU hat ein Vertreter der demokratischen Oppo- wahrt hat. sition Weißrußlands gesprochen?

Der zentrale Punkt der Auseinandersetzung sollte (Beifall bei der SPD - Ch ristian Schmidt meiner Ansicht nach der sein: Ist es richtig, daß Men- [Fürth] [CDU/CSU]: Fragen Sie ihn mal, schenrechte gegen Arbeitsplätze oder - umgekehrt - was er jetzt von Schröder hält!) Arbeitsplätze gegen Menschenrechte ausgespielt werden können? Wenn ich zu entscheiden hätte, Zweites Beispiel. Es gibt eine Niederlassung der dann würde ich sagen: Da kann es kein Ausspielen Friedrich-Ebert-Stiftung in Minsk. Gibt es in Minsk geben. Im Zweifel müssen meiner Meinung nach Niederlassungen der Konrad-Adenauer-Stiftung und Menschenrechte Priorität haben. der Friedrich-Naumann-Stiftung?

Dennoch müssen wir wissen - das wissen wir doch Drittes Beispiel. Lieber Herr Kollege Irmer, wenn auch -, daß dann, wenn p rivate Investoren - nehmen Sie diesen Vorgang schon so kritisch aufspießen - wir das Beispiel Weißrußland - in Weißrußland wirt- das gehört zum Wahlkampf -, dann möchte ich Sie schaftlich kooperieren, wenn dort Arbeitsplätze ge- fragen: Wo, bitte schön, war Ihre Kooperation mit schaffen werden - auch in Weißrußland ist Arbeitslo- dem Ex-Nationalbankchef von Belarus, der kürzlich sigkeit wie bei uns ein Problem -, nicht nur die Frei- in Deutschland war? Der F.D.P. ist angeboten wor- heit derer, die als Investoren agieren, die Freiheit der den, mit ihm persönlich zu reden. Er gehört zu Ihrer Unternehmer und die Freiheit des ökonomischen Schwesterpartei, der Vereinigten Bürgerpartei. Lei- Handelns betrachtet werden kann. Vielmehr müssen der - ich habe es jedenfalls nicht vernommen - gab wir bedenken, daß die Freiheit, die die Investoren in es keinen Kontakt und keine Zusammenarbeit zwi- bezug auf die Wirtschaft nutzen, schließlich dazu schen der F.D.P. und dem Ex-Nationalbankchef, als führen wird, daß dieses Projekt in politische Freiheit er in Deutschland war. Also bitte schön, wenn Sie überführt werden kann, weil nämlich Freiheit nicht schon kritisieren: Ich fände es ganz gut, wenn es die geteilt werden kann. selbstkritischen Töne bei uns allen geben würde.

(Günter Verheugen [SPD]: Altes liberales Was mich anbetrifft, sage ich noch einmal: Wenn Gedankengut!) man entscheiden muß, haben meiner Meinung nach Menschenrechte auf jeden Fall den Vorrang. Den- Ich will damit nur sagen: Wenn wir uns auf diese noch muß man wissen: Es gibt ein Zusammenspiel schwierige Diskussion einlassen, dann kann man zwischen beiden Faktoren. Wenn dieses Zusammen- auch - unabhängig davon, wer agiert, ob es Minister- spiel von uns gemeinsam genutzt wird - da muß je- präsident Schröder oder Ministerpräsident Stoiber ist der seine Rolle spielen -, dann können wir die Frage - zu der Auffassung kommen, daß dies zu einem er- beantworten, die Sie, Herr Staatsminister, richtiger- wünschten Ergebnis führt, wenn - das ist der ent- weise gestellt haben: Wie kann es uns gelingen, daß scheidende Punkt für mich; das sage ich Ihnen ganz Belarus zur Familie der Demokratien in Europa zu- offen - dazu eine Praxis kommt, die so aussieht, daß rückkehrt? Wenn uns das trotz verschiedener politi- zugleich auch die kritischen Gruppen innerhalb des scher Ansätze gelingt, dann haben beide, Opposition Landes - die Demokratiebewegung, diejenigen, die und Regierung - unabhängig davon, welche Parteien Initiativen von unten entwickeln, die Nicht-Regie- in den entsprechenden Funktionen sind -, das Spiel 21392 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Gert Weisskirchen (Wiesloch) gewonnen und die Demokratie in Weißrußland ge- Meine Damen und Herren, eines steht fest: Schrö- stärkt. der betreibt seine politische Show ohne Rücksicht auf Verluste deutscher und europäischer Glaubwür- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerd digkeit. Poppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Das ist im Grunde genommen das, was wir zu dem jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bötsch. Thema zusammenfassen können. Rabulistik, Herr Kollege Verheugen, hinsichtlich Dr. Wolfgang Bötsch (CDU/CSU): Frau Präsiden- dessen, was die Europäische Union zu dem Thema tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolle- gesagt hat, führt tatsächlich nicht weiter. Denn ich gen! Ich möchte wieder zum Thema zurückkommen muß den Satz schon noch einmal zitieren: „Bilaterale (Uta Zapf [SPD]: Zum Wahlkampf jawohl!) ministerielle Kontakte zwischen der Europäischen Union und Belarus werden grundsätzlich nur über und die Frage anschneiden, wie die Bundesregie- den Vorsitz oder die Troika geknüpft." Nun können rung das Verhalten des Herrn Ministerpräsidenten Sie rabulistisch sagen, Schröder ist nicht Mitglied der Schröder bei seinem Treffen mit dem weißrussischen Bundesregierung, er ist ja lediglich ein Ministerpräsi- Diktator beurteilt. dent. Damit minimieren Sie aber seine eigene Rolle. Schröder will jedoch Kanzler werden. Ich möchte mich zunächst bei Herrn Staatsminister Hoyer für die klare Aussage bedanken, daß die Bun- Herr Kollege Voigt, Sie haben gesagt: Herr Schrö- desregierung, das Auswärtige Amt, Herrn Schröder der wird schon in seine Aufgabe hineinwachsen. - von diesem Treffen abgeraten hat. Ich glaube, diese Der Bundestag als teuerste Volkshochschule der deutliche Klarstellung war notwendig, weil in den Welt, das wollen wir doch nicht. letzten Tagen Gerüchte durch die Gegend geschwirrt sind, als sei diese Haltung nicht so klar gewesen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Herr Staatsminister, ich darf mich für diese Klarstel- und der F.D.P.) lung bei Ihnen herzlich bedanken. Ich bin der Meinung, wer Kanzler werden will, der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sollte eigentlich die Voraussetzungen für außenpoliti- sche Fragen schon mitbringen und hier nicht erst ler- Entgegen dem, was Sie ausgeführt haben, Herr nen müssen. Kollege Verheugen, ist Herr Schröder natürlich nicht nur als Ministerpräsident, sondern auch als Kanzler- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P) kandidat nach der alten Methode „to wear several Nachdem die „taz" und die „FAZ" zitiert wurden, hats" in Erscheinung getreten. will ich die „Süddeutsche Zeitung" von heute zitie- (Günter Verheugen [SPD]: Das habe ich ren, die schreibt: nicht gesagt!) „Ich bin weder Außenminister, noch will ich es Herr Schröder selbst stellt eine Verbindung zwischen werden", hat Gerhard Schröder bei seinem Is- diesen Funktionen her. Er ist von Ihnen sozusagen rael-Besuch vor einiger Zeit zu diesem Thema ge- nach vorne auf die Rampe geschoben worden. Er sagt. Richtig ist, nutzt all das für sein Vorhaben, Kanzler zu werden, - so schreibt die „Süddeutsche Zeitung" - was ihm aber nicht gelingen wird. Nach Israel ist er zwar als Bundesratspräsident gereist, aber er hat do rt daß er sich für Außenpolitik im diplomatischen die Grünen in seiner Funktion als Kanzlerkandidat Sinne noch nie interessiert hat. Für ihn, der als beschimpft. Vorstandsvorsitzender der „Deutschland AG " zu handeln gedenkt, besteht die Welt jenseits natio- Sie, meine sehr verehrten Damen und Herrn Kolle- naler oder europäischer Grenzen vor allem aus gen von der SPD, sollten bedenken, daß Sie - das Absatzmärkten oder konkurrierenden Stand- müssen Sie doch gemerkt haben - in dieser Frage orten. Deshalb trifft er sich auch gegen alle Be- stark isoliert sind. denken mit einem diktatorisch regierenden Präsi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) denten; er nimmt eben im Zweifel die Bitten einer Reifenfirma und eines Lastwagenherstellers in- Wenn ich die Reden richtig verfolgt habe, dann kann teressierter zur Kenntnis als eine Lukaschenko- ich feststellen, daß Sie die einzigen hier im Hause Bannbulle des Auswärtigen Amtes an alle bun- sind, die das Verhalten von Herrn Schröder gebilligt desdeutschen Staatskanzleien. haben. Alle anderen - zu meiner Überraschung auch die PDS - haben Kritik geübt, wobei ich aber in ei- So versteht Gerhard Schröder Außenpolitik. Dem nem Punkt anderer Auffassung bin als die PDS: ist nichts hinzuzufügen. Diese Aktuelle Stunde ist sehr wohl notwendig. Um Vielen Dank. uns in Fragen des Parlamentarismus Nachhilfe geben zu können, müßten Sie noch etwas länger - das hoffe (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ich zwar nicht - dem Parlament angehören. (Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Aktuelle DIE GRÜNEN und der PDS) Stunde ist damit beendet. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998 21393

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 d auf: Es liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der Fraktion der SPD a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. regierung Waldzustandsbericht der Bundesregierung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für 1997 die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. - Ergebnisse der Waldschadenserhebung - - Drucksache 13/9442 Das Wort hat zunächst der Parlamentarische —Überweisungsvorschlag: Staatssekretär Ernst Hinsken. Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (fe- derführend) Ausschuß für Verkehr Ernst Hinsken, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo- Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kol- gie und Technikfolgenabschätzung legen! Seit 1960 hat sich das Waldgebiet in der Bun- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des desrepublik um 500 000 Hektar vermehrt. Das Berichts des Ausschusses für Ernährung, möchte ich gleich vorweg ausführen und besonders Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu unterstreichen. der Unterrichtung duch die Bundesregierung Mit der Vorlage dieses Waldberichts ist die Bun- Waldbericht der Bundesregierung desregierung einem Wunsch des Deutschen Bundes- tages nachgekommen. Mit diesem Be richt gibt sie ei- - Drucksachen 13/8493, 13/10374 - nen allgemeinen Überblick über die Situation des Berichterstattung: Waldes sowie über die der Forst- und Holzwirtschaft. Abgeordnete Heidi Wright Wir wollen damit die vielfältigen Funktionen des Waldes in seiner ganzen Bandbreite würdigen. c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Es gehört zur gewachsenen forstlichen Tradition Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) unseres Landes, den Wald zu erhalten, zu mehren - zu der Unterrichtung durch die Bundesre- und nachhaltig zu bewirtschaften. In verantwor- gierung tungsvollem Zusammenwirken von Forstpolitik, Forstverwaltung und Waldeigentümern wird dies - zu dem Entschließungsantrag der Fraktio- auch erfolgreich verwirklicht. Waldfläche, Holzvor- nen der CDU/CSU und F.D.P. zu der Unter- räte, Laub- und Mischbestände nehmen seit Jahr- richtung durch die Bundesregierung zehnten zu. Das ist gut so, denn der Wald erfüllt - zu dem Entschließungsantrag der Fraktion wichtige Funktionen für Natur und Umwelt. Er sorgt der SPD zu der Unterrichtung durch die - für einen Ausgleich im Wasserhaushalt, schützt den Bundesregierung Boden vor Erosion, säubert Luft und Wasser und ist - zu dem Entschließungsantrag der Abgeord- Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere. neten Steffi Lemke, Ul rike Höfken, Gila Alt- mann (Aurich), weiterer Abgeordneter und (Rolf Köhne [PDS]: Sehr wahr!) der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Nicht zu vergessen: Für unsere Mitbürgerinnen und der Unterrichtung durch die Bundesregie- Mitbürger ist der Wald ein gutes Stück Natur mit ho- rung hem Erholungs- und Freizeitwert. Ich möchte hinzu- Waldzustandsbericht der Bundesregierung fügen, daß es mir natürlich schon am Herzen liegt, zu 1996 sagen, daß es im Interesse der Bürger liegen sollte, den Wald, soweit irgend möglich, von Abfallstoffen - Ergebnisse der Waldschadenserhebung - frei zu halten und ihn nicht als Müllkippe zu nutzen, - Drucksachen 13/6300, 13/6961, 13/6974, 13/ wie das zuweilen der Fall ist. 6975 13/9925 - Der Wald hat wichtige ökologische Funktionen. Er Berichterstattung: ist darüber hinaus ein nicht zu unterschätzender Abgeordneter Wirtschaftsfaktor. d) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- (Heidi Wright [SPD]: Das stimmt!) tionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- ten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände Für rund 450 000 Betriebe stellt der Wald nach wie rung des Forstabsatzfondsgesetzes vor Vermögen und Einkommensquelle dar. Unser Wald ist eine umweltfreundliche Rohstoffquelle. Er - Drucksache 13/10285- sichert in den Forstbetrieben und der holzverarbei- (Erste Beratung 227. Sitzung) tenden Industrie wichtige Arbeitsplätze gerade im Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- ländlichen Raum. schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) Damit der Wald seine unverzichtbaren Funktionen auf Dauer erfüllen kann, braucht Deutschland auch - Drucksache 13/10542 - in Zukunft eine leistungsfähige Forst- und Holzwirt- Berichterstattung: schaft. Es ist daher das Ziel des forstpolitischen Kon- Abgeordnete Heidi Wright zepts der Bundesregierung, die Leistungsfähigkeit 21394 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998 Parl. Staatssekretär Ernst Hinsken der Forstbetriebe zu stärken, die Wettbewerbsfähig- Ich muß in diesem Zusammenhang schon darauf keit des Rohstoffes Holz zu verbessern und die Stabi- verweisen, daß eine solche Ausgleichsregelung bis- lität des Waldes zu erhöhen. Die Bundesregierung her an der Blockadehaltung des SPD-dominierten fördert die Forstbetriebe mit den Mitteln der Wi rt Bundesrates gescheitert ist. Vielleicht geben Sie sich -schafts-, Agrar- und Steuerpolitik, damit der Wald jetzt einen Ruck und stimmen mit uns, wenn es unter wirtschaftlich angemessenen Bedingungen ge- darum geht, solche Maßnahmen zu ergreifen. nutzt und auch erhalten werden kann. Für die Forstbetriebe ist ein florierender Holzab- Durch eine konsequente Weiterführung der Luft- satz wichtig. Für die Umwelt ist ein verstärkter Ein- reinhaltepolitik und durch einen möglichst naturna- satz des nachwachsenden Rohstoffes Holz richtig. hen Waldbau soll der Gesundheitszustand des Wal- Wir haben hier ein hohes Nutzungspotential zur Ver- des weiter verbessert, seine Vitalität gesteigert und fügung. Der Holzeinschlag könnte nach einer Studie seine Funktionsvielfalt gewährleistet werden. der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirt- schaft um etwa 40 Prozent gesteigert werden, ohne In Deutschland nimmt der Kleinprivatwald einen die Nachhaltigkeit in irgendeiner Weise zu gefähr- relativ hohen Anteil ein. Ein privater Forstbetrieb den. besitzt im Durchschnitt etwa 8 Hektar Wald. Ich bin deshalb froh darüber, daß der Deutsche Bundestag in (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Trotz der der Zwischenzeit das Agrarstatistikgesetz beschlos- Grünen wächst der Wald!) sen hat, das unter anderem beinhaltet, daß alle forst- Die Bundesregierung hat vielfältige Aktivitäten zur wirtschaftlichen Bet riebe in der Größenordnung bis Steigerung der Holzverwendung ergriffen, von de- zu 10 Hektar von Abgabeerhebungen und dem Aus- nen ich hier nur zwei erwähnen möchte: die Zellstoff- füllen von Formularen befreit sind. produktion und die energetische Holznutzung. Wir (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr gut!) unterstützen den Aufbau einer Zellstoffproduktion in Deutschland und damit die Öffnung eines neuen Ab- Auch das ist ein Stück Entbürokratisierung. Es satzmarktes für heimisches Holz. So ist im Dezember kommt den meisten Forstwirten in der Bundesrepu- 1997, vor wenigen Monaten, dank eines besseren In- blik zugute. vestitionsklimas der erste Spatenstich für ein neues Zellstoffwerk erfolgt, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Denn die wollen ja im Wald arbeiten!) (Zuruf von der SPD: Viel zu spät!) - Herr Kollege Hornung, ich bedanke mich. Die wol- das sich in den neuen Bundesländern befindet. len lieber im Wald arbeiten als Formulare ausfüllen, Wir sind auch mit dem Stromeinspeisungsgesetz was nur Zeit kostet und kein Geld bringt. auf dem richtigen Weg; Ich darf darauf verweisen, daß in den neuen Bun- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Richtig!) desländern bezüglich des Waldes eine besonders ausgeprägte Parzellierung besteht. Der überbetrieb- denn es hat bereits eine Reihe von Investitionen zur Stromerzeugung auf Holzbasis ausgelöst. lichen Zusammenarbeit der Waldbesitzer kommt also eine besondere Bedeutung zu. Wir wollen daher (Zuruf von der SPD: Viel zu wenig!) forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse weiterent- wickeln und die Förderung im Rahmen der Gemein- Im Rahmen einer Neuregelung dieses Gesetzes wird schaftsaufgabe beibehalten. der Einsatz von Biomasse umfassend begünstigt. Da- durch ergeben sich auch bessere Möglichkeiten für Die Leistungsfähigkeit unserer Forstwirtschaft auf die energetische Holznutzung im Brennstoffmix. Die der einen Seite zu fördern heißt, daß sie auf der ande- Bundesregierung fördert mit beträchtlichen Mitteln ren Seite nicht durch zusätzliche gesellschaftliche mehrere größere Demonstrationsanlagen, bei denen Anforderungen strapaziert werden darf. Wir treten auch Holz als Energieträger eingesetzt wird. deshalb dafür ein, daß die finanziellen Belastungen Wir befinden uns auch beim Marketing von Holz der forst- und landwirtschaftlichen Bet riebe durch auf einem erfolgreichen Weg. Die Imagekampagne Naturschutzauflagen, Frau Kollegin W right, die über des Forstabsatzfonds war ein gelungener Einstieg in die Anforderungen der guten fachlichen Praxis hin- ein aktives Marketing. Der Forstabsatzfonds soll - ausgehen, ausgeglichen werden. Die Koalitionsfrak- das ist unsere Meinung; ich möchte die größere Frak- tionen haben aus diesem Grund eine dritte Novelle tion dabei besonders herausheben, die ja gestern zu- zum Bundesnaturschutzgesetz eingebracht, die eine nächst meinte, sich in unserem Sinne einlassen zu gerechte Ausgleichsregelung vorsieht, die aber nicht müssen, die aber dann doch zu guter Letzt das Ganze mehr der Zustimmung des Bundesrates bedarf. nicht positiv begleitet hat, sondern sich der Stimme (Beifall bei der CDU/CSU) enthalten hat; das ist weder Fisch noch Fleisch; wenn, dann hätte man gleich dagegen sein können; Ich möchte mich bei den Kollegen der Koalitionsfrak- aber ich hätte mir gewünscht, wenn man das Ganze tionen herzlich dafür bedanken, daß der Weg einge- mitgetragen hätte - zum einen durch eine Verbreite- schlagen wurde, daß vor allen Dingen der Forstbesit- rung der Finanzbasis, die wir auf diesem Gebiet ha- zer, wenn er schon Einschränkungen auf sich zu neh- ben, und zum anderen durch eine Verbesserung der men hat, dafür staatlicherseits, insbesondere von den Organisation noch effizienter gestaltet werden. Die Ländern, die notwendigen Entschädigungen be- entsprechende Gesetzesnovelle ist als Fraktions- kommt. initiative heute zur Entscheidung in den Bundestag Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21395

Parl. Staatssekretär Ernst Hinsken eingebracht worden. Mit Inkrafttreten der Novelle zwischen den Interessen der Waldeigentümer und zum Forstabsatzfondsgesetz - angestrebt wird der den Interessen der Öffentlichkeit eintreten. 1. Januar 1999 - wird sich das Mittelaufkommen um rund 50 Prozent erhöhen. Dies ist seitens der betrof- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. fenen Wirtschaft ausdrücklich gewünscht worden, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) um noch wirkungsvoller für den umweltfreundlichen, nachwachsenden Rohstoff Holz werben zu können. Dieser Wunsch wird nun erfüllt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidi Wright. Vor einigen Jahren hat das Thema Waldsterben viele Leute bewegt. Heidi Wright (SPD): Sehr verehrte Frau Präsiden- (Heidi Wright [SPD]: Jetzt auch noch!) tin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge- ehrte Damen und Herren Minister - wollte ich jetzt Hier gibt es Lichtblicke. Der Anteil der deutlichen eigentlich sagen. Keine Angst, das ist natürlich nur Schäden ist in den Jahren 1992 bis 1997 von 27 auf ein rhetorischer Einwurf. Ich weiß, es ist eine ungün- 20 Prozent gesunken. stige Zeit. Aber ich meine, die einmal im Jahr statt- findende Walddebatte ist so wichtig, daß sie auch die (Heidi Wright [SPD]: Weil ihr die abgestor Anwesenheit von Ministern erfordert. benen Bäume aus der Statistik genommen habt!) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Von euch sind auch nur drei Leute da!) Die pessimistischen Prognosen vom großflächigen Sterben unserer Wälder sind Gott sei Dank nicht ein- - Sehr richtig. Das liegt an der Zeit. Ich will damit nur getreten. die Wichtigkeit des Themas unterstreichen. Ich möchte aber selbstkritisch feststellen: Es gibt Auch der Landwirtschaftsminister ist nicht da. So- noch keinen Grund zur Entwarnung. Die Belastung mit, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hinsken, der Waldböden bleibt kritisch. Die Bundesregierung werden Sie jetzt alles auf sich nehmen müssen. hält deshalb an ihrer konsequenten Luftreinhaltepo- Ich denke, die Wald- und Forstpolitik verlangt ei- litik fest. nen vernetzten Handlungsrahmen. Diesen vernetz- (Zuruf von der SPD: Das ist ja wunderbar!) ten Handlungsrahmen hat der Landwirtschaftsmini- ster, in dessen Verantwortungsbereich er fallen In diesem Bereich haben wir in den vergangenen würde, nicht geschaffen. Da es in den vielen Jahren Jahren beachtliche Erfolge erzielt; das müssen Sie Ihrer Politikverantwortung gerade an dieser Vernet- sich anhören. In den Jahren 1983 bis 1994 sind die zung mangelte, muß ich in der letzten Walddebatte Schwefeldioxidemissionen aus Großfeuerungsanla- der 13. Legislaturperiode und der letzten Waldde- gen um 89 Prozent, die Stickoxidemissionen um -batte Ihrer Regierungsverantwortung rundum ein 77 Prozent zurückgegangen. Die im letzten Jahr ein- schlechtes Fazit ziehen. geführte emissionsorientierte Kfz-Steuer ist ein wei- terer wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wir haben heute bei der Debatte über den Waldbe- richt und über die Waldzustandsberichte von 1996 Eine naturnahe Waldbewirtschaftung hat für die und 1997 auch den ersten Waldbodenbericht im Hin- Erhaltung der biologischen Vielfalt und für andere terkopf, der dem Haus noch nicht vorgelegt worden Ziele des Natur- und Artenschutzes besonderes Ge- ist, der uns aber - Sie haben es selber erwähnt, Herr wicht. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, daß Parlamentarischer Staatssekretär - auf den Nägeln diese Bewirtschaftungsform heute bereits von vielen brennt und uns ins Gewissen redet. Der Waldboden Waldbesitzern und Forstbetrieben praktiziert wird. bericht besagt, daß der Waldboden als Schadstoffde- Wir unterstützen die Waldeigentümer bei der Ver- ponie für Einträge aus der Luft und für den Eintrag wirklichung des naturnahen Waldbaus. Bund und von saurem Regen in einem sehr schlechten Zustand Länder fördern im Rahmen der Gemeinschaftsauf- ist. gabe Maßnahmen wie etwa die Überführung von Reinbeständen in Mischwälder mit 28 Millionen DM Wenn die vielen Berichte nicht nur ein großer büro- jährlich. kratischer Aufwand zur Beschäftigung der Wissen- schaftler und Beamten und zur Beruhigung der Öf- Zusammenfassend stelle ich fest, meine sehr ge- fentlichkeit und der Politiker sein sollen, hätten Sie ehrten Damen und Herren, daß die Bundesregierung in Ihrer Regierungskoalition aus den berichtlichen in der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der Erkenntnissen politische Konsequenzen ziehen müs- forstgenetischen Ressourcen als Produktionsgrund- sen. Der Minister ist jedoch im Berichtedschungel lage der Forstwirtschaft und Teil der biologischen zum Papiertiger geworden. Vielfalt eine wichtige Zukunftsaufgabe sieht, eine Aufgabe, die wir auch durch Verbesserung der inter- Lassen Sie mich etwas zur Wald- und Forstpolitik nationalen Zusammenarbeit auf diesem wichtigen der letzten eineinhalb Jahrzehnte ausführen. Diese Gebiet erfüllen wollen. Politik ist geprägt von einem Zuspätkommen, von ei- nem Zuspätreagieren statt von einem Vorausschau- All diese Aktivitäten zeigen: Das Thema Wald ist end-Agieren. Zu spät wurden die Waldschäden be- für die Bundesregierung ein wichtiger Politikbereich. achtet. Wo ist die Verantwortung des Herrn Land- Wir werden deshalb auch in Zukunft für unsere wirtschaftsministers und seine Durchsetzungskraft in Wald- und Forstwirtschaft und für einen Ausgleich diesem wichtigen Bereich? Zu spät und insbesondere 21396 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Heidi Wright zu halbherzig wurde Schadstoffminimierungspolitik les Zertifizierungssystem, das unter anderem auch betrieben. Wo ist die Barriere, auf die die Frau Um- den Arbeitsplatzfaktor berücksichtigt, nicht befür- weltministerin zum Schutz von Luft und Wasser, zum wortet. Wie gesagt, wir werden auch hier wieder zu Schutz des Klimas und der Atmosphäre gestiegen spät kommen, werden wieder später sein als die ist? Skandinavier und die Kanadier, Holzländer mithin, die uns mit der Zertifizierungsoffensive den Rang ab- Zu spät, Herr Hinsken, wurde das große wirtschaft- laufen werden. Notwendig wäre eine Zertifizierung, liche Potential des nachwachsenden Rohstoffes die über die nationale Angabe „gewachsen in Nummer eins über das reine Stammholz hinaus er- Deutschlands Wäldern" - die ich für richtig halte - schlossen. Zum Beispiel beim Holzbau: Es stehen in hinaus die ökologische Wirtschaftsweise beachtet Deutschland schmucke Holzhäuser. Aber die sind und neben wirtschaftlichen Kriterien gerade auch die aus Skandinavien und Österreich. Auch die energeti- sozialen Kriterien der Arbeitsplätze im Blick hat. sche Verwertung von Holz gibt es noch viel zuwenig. Zudem ist die Technik aus Österreich. Und es gibt (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Nirgendwo zwar erste Ansätze zur modernen Zellstoffproduk- besser als in Deutschland!) tion, nur haben uns auch da die Skandinavier den Rang abgelaufen - zu spät! Das würde in den Bereich Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß mit dem des Herrn Wirtschaftsministers fallen. Hier hätte er erweiterten Holzabsatzfonds, der von der groben ein breit gefächertes Betätigungsfeld für Innovatio- Zielsetzung her sehr wohl unsere Zustimmung - nen und Arbeitsplätze gehabt. auch die meine - findet, aber in der Ausdifferenzie- rung Mängel aufweist, doch noch Schritte zum An- Ich will noch den Bereich des Finanzministers an- schluß an das internationale Zertifizierungssystem sprechen. Auch er ist längst zu spät gekommen. Mit unternommen werden. Wenn das vom Deutschen einer ökologischen Steuerreform hätte er prima mit- Forstwirtschaftsrat entwickelte Kennzeichen in dem geholfen, den nachwachsenden Rohstoff Nummer neuen Forstabsatzfonds nun in seiner Weiterentwick- eins, das Holz, zu fördern, lung zu einem „Nachhaltigkeitskennzeichen" wer- den soll, bricht sich hier eine sinnvolle Entwicklung (Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig Bahn. Jedoch: Statt sich offensiv anzuschließen, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wurde hier zu lange gezaudert. Aber so ist sie nun die Umwelt zu entlasten und Arbeitsplätze zu sichern einmal, unsere deutsche Wald- und Forstpolitik der und zu schaffen. letzten eineinhalb Jahrzehnte: zu schwach, zu spät, zu wenig koordiniert, zu träge und zu bieder. Es wäre die Aufgabe von Herrn Minister Borche rt gewesen, all diese Politikbereiche zusammenzufas- (Zuruf des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.]) sen - jedoch: zu spät! - Zu bieder, Herr Heinrich, ich wiederhole es. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden wei- - Liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf, daß die ter zu spät kommen bei der Fortentwicklung und of- Schutzfunktion des Waldes für Wasser und Luft und fensiven Förderung von Anlagen zur energetischen den Lebensraum nicht mehr gegeben ist, wird eine Nutzung von Holz, zum Beispiel im Bereich der meiner Fraktionskolleginnen noch zu sprechen kom- Holzpyrolyse. Die Förderung für Holzhackschnitzel- men. Zu den internationalen Vereinbarungen von heizanlagen ist so knapp bemessen, daß sich rasch mir nur so viel: Es müßten Ihnen in der Regierungs- ein enormer Antragsüberhang ergab. Es wurde zwar koalition ja ständig die Ohren klingen, ja, Sie müßten ein „Marktanreizprogramm für erneuerbare Ener- schon Ohrensausen haben, wenn Sie allerorten - ob gien" aufgelegt; aber für die Jahre 1995 bis 1998, in Rio oder New York, ob in Kyoto und letzte Woche also für drei Jahre, standen ganze 100 Millionen DM in Chester - diese Beschwörungen zum Klimaschutz zur Verfügung. Da lacht der Herr Rühe nur, weil er hören. Es müßte doch inzwischen jedem klar sein: weiß, daß ein dreiviertel Eurofighter gar nicht fliegt. Klimaschutz kann ohne Schutz der Wälder, ohne Als man erkannte, daß das zu knapp bemessene Schutz der Waldböden nicht funktionieren. Marktanreizprogramm zu gering ausgestattet war, hat man den Förderschwerpunkt flugs auf 50 kW/h Wenn dann immer wieder versucht wird, die Scha- pro Holzverbrennungsanlage angehoben, so daß also densentwicklung der Wälder schönzureden, ist das der kleine Häuslebauer leer ausgeht. Nein, dies ist an langen Linien und in der Schau der verschiedenen kein verläßliches Förderprogramm für den nach- Baumarten leider nicht nachzuvollziehen. Wir sind wachsenden Rohstoff Nummer eins, das Holz. jetzt auf dem Schadensniveau von 1986, allerdings nur bei den Nadelbäumen. Bei den Laubbäumen ha- Wir werden weiter zu spät kommen, zum Beispiel ben wir steigende und alarmierende schlimme Ten- bei der Erhaltung der Arbeitsplätze im Forstbereich. denzen. In diesem Bereich wird ohne Rücksicht auf Fach- und Sachkenntnis auf Teufel komm raus eingespart, und Und die Analyse des Waldbodenberichtes zeigt Personalstrukturen werden zerschlagen. Ob in der mit erhobenem Zeigefinger auf künftige Entwicklun- Bundesforstverwaltung oder über die Länderschiene gen: Einer überreichlichen Stickstoffversorgung ste- - ich bin aktuell von der bayerischen Forstreform ge- hen eine Phosphorunterversorgung und eine Ver- schädigt -, Arbeitskraft ist nicht mehr Sach- und sauerung der Böden gegenüber. Das ist alarmierend Fachkompetenz, sondern nur noch Kostenfaktor. für den Bodenzustand und für den Wald insgesamt. Bei alledem wundert es nicht, daß das Landwirt- Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluß: schaftsministerium den Anschluß an ein internationa Längst ist klar: Baum ab - das ist keine Waldschutz- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998 21397

Heidi Wright politik. Der jährliche Zuwachs in den deutschen Wäl- Gerade auch die Beschlüsse zur Einführung des dern - Herr Hinsken hat darauf hingewiesen - wird Dreiwegekatalysators und die jüngsten Beschlüsse jedoch nicht ausreichend genutzt, und die forstwirt- zu einer emissionsbezogenen Kfz-Steuer sind ein schaftliche Ertragslage ist nach Angaben des BML Beitrag dazu, daß Schadstoffe minimiert werden. schlecht. Herr Staatssekretär Hinsken hat hier schon die pro- zentualen Verbesserungen dargestellt; ich möchte Neue Marktchancen sind nur unzureichend ge- dies auch in absoluten Zahlen ausdrücken: Der nutzt worden, was dazu führt, daß zum Beispiel im Schwefeldioxidausstoß ist um 1,7 Millionen Tonnen Bereich des Schwachholzes lediglich eine Ausschöp- je Jahr zurückgegangen, der Stickoxidausstoß um fung von 52 Prozent vorliegt, während beim Stamm- 0,7 Millionen Tonnen je Jahr. holz eine Ausschöpfung von 83 Prozent erreicht wird. In den neuen Bundesländern, zum Beispiel in Thü- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Wollen ringen, liegt die Ausnutzung von Holz insgesamt nur Sie immer noch den Katalysator rühmen?) bei 37 Prozent. Kein Wunder, daß man dort auf kei- nen grünen Zweig kommt. Hier wird der Satz wahr, Das sind sehr eindrucksvolle Ergebnisse, die wir auf der da heißt: Mangelnde Ökonomie schadet auch Grund der politischen Vorgaben erbracht haben. der Ökologie des Waldes. Mit einer gesunden Öko- Darüber hinaus ist es auch we rt, hier dargestellt zu nomie für das große Potential unserer Wälder könn- werden, daß von den Kraftwerksbetreibern 22 Milliar- ten wir auch die ökologischen Notwendigkeiten stär- den DM für Entschwefelungs- und Entstickungsanla- ker zur Anwendung bringen - weil besser finanzie- gen ausgegeben wurden. Auch das zeigt sehr deut- ren. Mein letzter Satz: Allein, es bräuchte auch hier lich, daß man der umweltpolitischen Verantwortung den entsprechenden politischen Willen und somit die gegenüber dem Wald Rechnung getragen hat. dringend notwendige politische Erneuerung. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, daß die Vielen Dank. Beschlüsse von SPD und Grünen für den deutschen Wald sehr gefährlich sind. Sollten Sie Regierungsver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ antwortung haben, dann wollen Sie, wie Sie sagen, DIE GRÜNEN) aus der Kernenergie aussteigen. (Heidi Wright [SPD]: Jawohl!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Straubinger. Wenn die Stromerzeugung mittels Kraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen bet rieben werden, erfolgt, dann wird natürlich ein vermehrter Ausstoß von Max Straubinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Schadstoffen eintreten, und damit werden natürlich Meine Damen und Herren! Ich möchte zuerst dem auch Beeinträchtigungen für den deutschen Wald Parlamentarischen Staatssekretär, Ernst Hinsken, für - verbunden sein. Deshalb ist es schon im Interesse die Darstellung der Forstpolitik der Bundesregierung des deutschen Waldes, daß Sie nicht die Regierungs- danken und ihren Einsatz hervorheben. verantwortung übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich verstehe, verehrte Frau Kollegin W right, Ihre Kritik, daß der Bundesminister heute nicht da ist, Übrigens: Die Gesamtfläche des bundesdeutschen nicht. Ich glaube, der Herr Staatssekretär hat die Waldes hat eine Ausdehnung erfahren, in Bayern um Situation eindrucksvoll dargelegt. Im übrigen ist es 35 000 Hektar. um die Vollständigkeit der SPD-Fraktion nicht son- derlich gut bestellt; sie ist offensichtlich im Abreisen Ich möchte noch einige Punkte darstellen, die zu- begriffen. sätzlich zu den Beschlüssen der Bundesregierung die Bayerische Staatsregierung für die Forstbetriebe er- Meine Damen und Herren, entgegen allen Bekun- bringt. Ich glaube, das wäre auch für andere Bundes- dungen von SPD und Grünen hat sich die Situation länder vorbildlich. 2 Millionen DM je Jahr gibt die des Waldes verbessert - und dies sehr eindrucksvoll. Bayerische Staatsregierung aus Forstbetriebsmitteln Dies ist auch auf Grund der Beschlüsse und vor allen zu Werbungs- und Imagekampagnen für das Holz Dingen der Taten nachzuvollziehen, die die Regie- aus. Kein anderes Bundesland erbringt eine solche rung vollbracht hat. Nachdem diese Bundesregie- Leistung. Mittlerweile sind dies 8 Millionen DM. Das rung 1983 die Verantwortung übernommen hat, Frau schlägt sich auch im Ergebnis nieder. Man kann fest- Wright, wurde das Aktionsprogramm „Rettet den stellen, daß insbesondere die Zahl der Genehmigun- Wald" in Gang gesetzt. Die Großfeuerungsanlagen- gen zum Bau von Holzhäusern von 1 Prozent auf verordnung wurde novelliert, ebenfalls 1986 die TA mittlerweile 4 Prozent der Baugenehmigungen zuge- Luft. Auch möchte ich an die Kleinfeuerungsanla- nommen hat. genverordnung von 1988 und die Novelle des Bun- des-Immissionsschutzgesetzes 1993 erinnern. Dies (Heidi Wright [SPD]: Das sind skandinavi zeigt sehr deutlich, daß alle diese Beschlüsse dazu sche Hölzer!) beigetragen haben, daß insgesamt große Erfolge in der Verbesserung der Luftreinhaltung eingetreten - Das sind nicht nur skandinavische oder sonstwoher sind. importierte Hölzer, sondern es sind natürlich auch bayerische Hölzer. Das ist ganz klar. Und wir expor- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tieren auch Holz, zum Beispiel nach Österreich, Frau 21398 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Max Straubinger Wright. Das heißt, hier gibt es durchaus einen Aus- Verehrte Damen und Herren, ich möchte zum tausch. Schluß feststellen, daß sich die Situation des Waldes verbessert hat. Sie ist aber noch verbesserungsfähig Ich glaube, es ist auch wichtig, darauf hinzuwei- und verbesserungswürdig. Wir werden alles daran sen, daß die Bayerische Staatsregierung in einem setzen, daß dies mit geeigneten Maßnahmen auf den Modellvorhaben Holzbausysteme zusätzlich darge- Weg gebracht wird. stellt hat und daß Sozialwohnungen mit Erstellungs- kosten von 1800 DM je Quadratmeter Wohnfläche Der Änderung des Forstabsatzfondsgesetzes stim- gebaut wurden. Dies verdeutlicht, daß Holz auch ein men wir aus diesem Grund ausdrücklich zu, zumal kostengünstiger Baustoff ist, der somit natürlich auch damit auch ein Weg für eine zukünftig gute Wald- in die ganze Bauwirtschaft stärker Einzug hält. politik beschritten wird.

Auch die Förderung durch das Projekt CARMEN Besten Dank für die Aufmerksamkeit. der Bayerischen Staatsregierung trägt zusätzlich zur bioenergetischen und der Biomasseverwertung des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Holzes bei. Die Bayerische Staatsregierung unter- stützt damit natürlich auch Hackschnitzelheizungs- anlagen und andere Feuerungsanlagen. Ich glaube, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat das ist vorbildlich. jetzt die Abgeordnete Steffi Lemke. (Heidi Wright [SPD]: Nachdem es mit Gas nicht funktioniert, machen wir jetzt in Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Holz!) Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1997 war das Jahr der Waldberichte. Wir haben im Laufe Sie haben vorhin kritisiert, das Bundesprogramm, dieses Jahres vier Berichte vorgelegt bekommen, die das auch das Ziel hatte, verstärkt Hackschnitzelhei- im einzelnen sicherlich alle ihre Berechtigung haben, zungen zum Einsatz zu bringen, sei finanziell zu ge- deren Aussagen man aber kritisch hinterfragen muß. ring ausgestattet. Aber es zeigt sich sehr deutlich: Auf Grund dieses Markteinführungsprogrammes Der Waldzustandsbericht 1997 verzeichnet eigent- sind vermehrt Hackschnitzelheizungen in das Blick- lich eine Stabilisierung des Waldzustandes. Einge- feld der Öffentlichkeit gerückt worden, sie werden schränkt wird diese positive Beurteilung jedoch auf Grund dessen auch ohne staatliche Förderung durch erhebliche Unterschiede in den Regionen und verstärkt zum Einsatz kommen. Dies aber ist mit das bei den Baumarten. Während in den nordwestdeut- Entscheidende, Frau Wright. schen und den ostdeutschen Ländern vorwiegend Verbesserungen des Waldzustandes zu verzeichnen (Beifall bei der CDU/CSU) sind, verharren die süddeutschen Länder auf einem fast unverändert hohen Schadensniveau. Kiefer, Verehrte Damen und Herren, hier ist festzustellen, Fichte und Buche zeigen leichte Zustandsverbesse- daß die Bundesregierung und auch die Bayerische rungen, während die Eiche auch 1997 wieder extrem Staatsregierung eine gute und erfolgreiche Politik in starke Schäden aufweist und in einzelnen Regionen der Vergangenheit bet ri eben haben und dies auch in sogar in ihrem Bestand gefährdet ist. Zukunft tun werden. Hier ist insbesondere darauf hinzuwirken, daß die Funktionen des Waldes erhal- Auch der Vergleich zwischen den Ergebnissen der ten bzw. noch verbessert werden. Der Wald bietet Kronenzustandserhebung und der Waldbodenunter- dem Boden Schutz vor Erosionen, die Säuberung von suchungen rückt den Waldzustand in ein anderes Luft und Wasser sowie den Lebensraum für viele Licht. Die leichte Verbesserung des Kronenzustandes Pflanzen und Tiere. Natürlich möchte ich hier auch steht in einem krassen Gegensatz zu den Aussagen den Erholungswert für uns Menschen ansprechen. im Waldbodenbericht. Die Ergebnisse der bundes- Der Wald sichert darüber hinaus Arbeitsplätze, und weiten Erhebung zum Zustand des Bodens im Wald der Rohstoff Holz ist umweltfreundlich und gerade in dokumentieren eine schnell fortschreitende Versaue- Wohnungen sehr vorteilhaft einzusetzen. Die CDU/ rung und Degradation der Waldböden. In einzelnen CSU-Fraktion wird deshalb auch weiterhin für die Regionen ist die Versauerung bereits derart hoch, Waldbauern und für die Forstwirtschaft das Bestmög- daß nicht nur Gefahr für den Fortbestand des Wal- liche tun. Vor allem muß eine Forstpolitik bet rieben des, sondern auch für die Sicherung der Trinkwasser- werden, die im Einklang mit Natur- und Umwelt- versorgung besteht. Laut Waldbodenbericht sind „Ri- schutz steht. siken für das Quell- und Grundwasser bei entspre- chenden hydrogeologischen Verhältnissen im Unter- Staatssekretär Hinsken hat schon darauf hingewie- grund nicht mehr ausgeschlossen". sen - ich möchte das aber für die CDU/CSU noch ein- mal im besonderen zum Ausdruck bringen -: Es ist Der Waldbodenbericht wurde dem Parlament bis für die Forstbetriebe wichtig, daß, wenn zusätzliche heute nicht zugeleitet. Über die Ursachen können Auflagen naturschützerischer Art gemacht werden, wir nur spekulieren; ich vermute, daß der Bundesre- diese für die Forstbetriebe und für die Landwirtschaft gierung die Fakten einfach zu b risant sind. So heißt auch ausgeglichen werden. Die CDU/CSU, die F.D.P. es im Waldbodenbericht beispielsweise: und die Bundesregierung tragen dem Rechnung. Mit der 3. Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes ist Auffallend stark versauert bis in den Unterboden dem ebenfalls Rechnung getragen worden. Dies ist stellen sich Böden auf Sand, Sandstein und Meta- auch im Interesse der Waldwirtschaft sehr wichtig. morphiten dar. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998 21399 Steffi Lemke Es besteht eine durch Tiefenversauerung indu- Die Verknüpfung des Waldbodenzustandes mit zierte Gefahr der Aluminiumauswaschung und dem Baumkronenzustand sowie daraus resultierende potentiellen Grundwasserkontamination. Es sind Maßnahmen bleibt der Waldbericht schuldig. Fakt gewässerschädliche Auswirkungen infolge fo rt ist, daß trotz aller Anstrengungen und nachweisli- -schreitender Bodenversauerung auch in Deutsch- chen Erfolge bei der Luftreinhaltung in den letzten land regional bereits deutlich erkennbar. Jahren die Belastung der Waldökosysteme durch Säureeinträge nach wie vor wesentlich zu hoch ist. Wir fordern auf Grund der Brisanz dieser Aussagen die Bundesregierung auf, den Waldbodenbericht (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das hat dem Parlament zuzuleiten, damit wir ihn auch im man Ihnen falsch aufgeschrieben!) Ausschuß diskutieren können - und dies am besten in Verbindung mit dem nächsten Waldzustandsbe- Insbesondere bei den Stickoxidemissionen des Stra- richt. ßenverkehrs und den Ammoniakemissionen der Landwirtschaft ist bisher keine Trendwende zu ver- Eine Aufweichung der Waldschadenserhebung, zeichnen. Die technischen Maßnahmen zur Emissi- wie sie das Ministerium von Herrn Rüttgers im ver- onsminderung, Stichwort: Katalysator - das erzählen gangenen Jahr angestoßen hat, halte ich vor diesem Sie jetzt seit 15 Jahren -, Stichwort: Injektionstechnik Hintergrund für völlig verfehlt. Mit einem Abqualifi- bei der Gülleausbringung, haben bisher zu keiner zieren der Waldschadenserhebung als wissenschaft- Besserung des Waldzustandes geführt. lich nicht haltbar ist für den Wald nichts gewonnen. Vielmehr begrüßt meine Fraktion ausdrücklich die Die Bundesregierung hat es versäumt, im Rahmen Vorschläge der Expertengruppe des BML zur Fo rt der Düngeverordnung praktisch umsetzbare Vorga- -führung und Intensivierung der Waldschadenserhe- ben für eine umweltentlastende massive Reduktion bung. Es wäre allerdings nicht das erste Mal, daß die der Stickstoffdüngung und damit der Ammoniak- Bundesregierung Empfehlungen ihrer eigenen Ex- emissionen zu definieren. Ebenso sind die Regelun- perten in den Wind schlägt. Wir fordern die Bundes- gen der Sommersmogverordnung völlig ungenü- regierung auf, das vorgeschlagene modifizierte Ver- gend, um das Auftreten des stark waldschädigenden fahren der Waldschadenserhebung, beginnend mit bodennahen Ozons im Sommer zu unterbinden. der Waldschadenserhebung, 1999, praktisch umzu- Das Umweltbundesamt hat im Rahmen der UN- setzen. Konvention über weiträumige, grenzüberschreitende Ein realistisches Bild des Waldzustandes ist nur Luftverunreinigungen die „c ritical loads" von Stick- durch eine Verknüpfung aller standortrelevanten Da- stoff und säurebildenden Substanzen für Deutsch- ten möglich, also des Zustands der Baumkronen, des land berechnet.' Diese übersteigen auf fast 90 Prozent Waldbodens sowie der Nährstoffversorgung. Diese der Fläche die Toleranzgrenzen und sind teilweise komplexe Betrachtung der Waldsituation hatte ich ei- dreimal höher, als das Ökosystem verkraften kann. gentlich vom 1997 erstmals vorgelegten Waldbericht Gegen dieses Übermaß an Schadstoff-Frachten erwartet. Das vorliegende Ergebnis erscheint mir je- wirkt die von der Bundesregierung verschriebene doch eher als eine Pflichtübung von Herrn Borche rt. Kalkung der Waldböden nur wie ein Tropfen auf den Herr Hinsken, Sie haben vorhin - ein wenig wie im heißen Stein. Das, was dort bisher an Kalk verrie- Heimatkundeunterricht - Daten aus dem Waldbe- selte, hat überhaupt nur ein Fünftel der Waldfläche richt vorgetragen. Das kann man sicher machen. erreicht. Die Kosten der Trinkwasseraufbereitung, Aber ich denke, daß eine Bundesregierung eine an- die uns bei einer weiteren Versauerung der Waldbö- dere Verantwortung hat und in einem solchen Wald- den ins Haus stehen, werden um ein Vielfaches hö- bericht die Probleme des Waldes zusammenhängend her liegen als die 260 Millionen DM, die bisher für darstellen und vor allem Lösungsansätze anbieten die Waldkalkung ausgegeben worden sind. Daher ist muß. Dieses vermisse ich im Waldbericht. es dringend geboten, an Stelle einer End-of-pipe- Strategie, die lediglich Symptome bekämpft, endlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei den Ursachen von Luftverschmutzung und Bo- und bei. der PDS) denversauerung anzusetzen. Im Zentrum seiner Ausführungen steht die wirt- Meine Fraktion hat in den vergangenen drei Jah- schaftliche Frage, das heißt, wie eine Stärkung der ren dazu eine Reihe von Vorschlägen entwickelt. Die Leistungsfähigkeit der Forstbetriebe erreicht wer- Konzepte müssen jetzt endlich umgesetzt werden. den kann. Aber auch hier bietet der Waldbericht Nachhaltige Forstwirtschaft, auf die man in Deutsch- nichts Neues, sondern stellt lediglich ausführlicher land stets stolz verweist, kann langfristig nur funktio- dar, was auch im Forstteil des jährlichen Agrarbe- nieren, wenn auch die übrige Wi rtschaft nachhaltig richtes zum Thema Wald steht. gestaltet wird. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich halte die Danke. Frage, wie die Forstbetriebe wirtschaftlich gestärkt werden können, für wesentlich. Aber die Basis für wirtschaftlichen Erfolg ist gerade beim Wald dessen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat ökologische Stabilität. Nirgendwo sonst ist die Ver- jetzt der Abgeordnete Ul rich Heinrich. zahnung von Ökologie und Ökonomie so eng wie im Wald. Holz kann nicht aktiv „produziert" werden, Ulrich Heinrich (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sondern ist auf den Erhalt und die Bewah rung der lieben Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich habe natürlichen Ressourcen angewiesen. ich erwartet, daß wir jetzt etwas über die 5 DM pro 21400 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Ulrich Heinrich Liter Benzin hören, die als wirksames Mittel gegen Die Bodenversauerung schreitet fort. Durch die zu hohen Energieverbrauch eingeführt werden sol- Verknüpfung der Ergebnisse der Waldschadenserhe- len. bung 1997 mit denen der Bodenzustandserhebung wurde ein erster wichtiger Schritt getan. Ich meine, Schön wäre es auch, wenn man bei diesem herrli- daß das allerdings ein bißchen zu spät geschehen ist. chen Wetter den Maiwald genießen könnte. Nichts- destotrotz werden wir heute den Waldbericht der (Heidi Wright [SPD]: Jawohl!) Bundesregierung diskutieren. Die Inhalte des Wald- Diese „tickende Zeitbombe" muß entschärft werden. zustandsberichts 1997 und des ersten Waldberichts Auch wenn die dafür notwendigen Bodenkalkungen sowie die Novellierung des Forstabsatzfondsgesetzes nicht das Allheilmittel sein können, so wirken sie sind für die Forst- und Holzwirtschaft und den Um- doch in die richtige Richtung. Wirkliche Verbesse- weltschutz ganz zentrale Anliegen. Der heimische rungen erzielen wir aber nur, indem wir die wahren Wald erfüllt unverzichtbare Funktionen für Wirt Ursachen bekämpfen. Dazu gehört die Schadstoff -schaft, Natur und Gesellschaft. Unser Wald ist Er- quelle Nummer eins, die Emissionen des Straßenver- werbs- und Einkommensquelle für viele Menschen kehrs. Hier muß endlich eine deutliche Reduktion er- im ländlichen Raum; er liefert den umweltfreundli- folgen. Streitig ist in diesem Bereich vor allem der chen und nachwachsenden Rohstoff Holz, speichert Weg. Die Verteufelung der Autofahrer und ein hem- Kohlendioxid, reguliert den Wasserhaushalt und mungsloses Abkassieren, wie es die Grünen mit ih- trägt wesentlich zur Grundwasserneubildung bei, ren 5 DM für den Liter Benzin wollen, kann für uns schützt den Boden vor Erosion, ist Lebensraum für nicht der richtige Weg sein. Mit diesem Vorschlag ha- Pflanzen und Tiere, ist damit ein wichtiger Faktor ben die Öko-Utopisten viel Porzellan zum Schaden beim Erhalt der biologischen Vielfalt und bietet den der Umweltpolitik zerschlagen. Menschen vielfältige Möglichkeiten für Entspan- nung und Erholung. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die große und immens positive Bedeutung des Eine derartige Schocktherapie macht die F.D.P. Waldes für die Umwelt unterstreichen zusätzlich fol- nicht mit. Wir wollen einen schonenden und sparsa- gende Fakten: Rund 30 Prozent der Fläche in men Umgang mit der Energie im allgemeinen und Deutschland besteht aus Wald. Seit 1960 hat die treten deshalb europaweit für einen dritten Mehr- Waldfläche bei uns um zirka 500 000 Hektar auf wertsteuersatz ein. 10,7 Millionen Hektar zugenommen. Die deutschen Zum zweiten ist hier der Forstabsatzfonds zu nen- Wälder speichern insgesamt 7 Milliarden Tonnen nen. Mit der Gesetzesnovelle soll vor allem die finan- CO2. Jedes Jahr werden 16 Millionen Tonnen CO 2 zielle Basis des Forstabsatzfonds gestärkt und dessen durch Holzzuwachs gebunden. Der jährliche Holzzu- Organisationsstruktur verbessert werden. Um dies zu wachs beträgt 6 Kubikmeter je Hektar, während der ermöglichen, werden in Zukunft auch die stamm - Holzeinschlag nur bei 4 Kubikmeter liegt; das heißt, holzbearbeitenden Bet riebe - Säge-, Furnier- und wir haben keine Über-, sondern eine Unternutzung Sperrholzwerke - mit einem Abgabesatz von 3 Pro- unserer Wälder. Es heißt nicht „Baum ab - nein zent auf das eingekaufte Stammholz erfaßt. In Zu- danke"; vielmehr heißt es „Baum ab - ja bitte". kunft soll der Fonds entsprechend der erweiterten F.D.P., Bundesregierung und die Waldbesitzerver- Aufgabenstellung und der Einbeziehung der Holz- wirtschaft „Holzabsatzfonds" heißen. Auch das ist bände halten eine Zertifizierung für überflüssig. Auf Grund des hohen Standards der Waldbewirtschaf- sinnvoll. tung und der forstgesetzlichen Vorgaben in Deutsch- Obwohl die Wirtschaftspolitiker vor allem ord- land ist eine Zertifizierung der heimischen Forstwirt- nungspolitische Bedenken hatten - das muß man bei schaft zur Durchsetzung einer nachhaltigen Bewirt- einer in Deutschland ohnehin viel zu hohen Steuer- schaftung nicht erforderlich. Daß Herkunftszeichen und Abgabenbelastung wohl auch unterstreichen -, der deutschen Forstwirtschaft „Holz aus nachhaltiger hat sich die F.D.P. für diese Novellierung entschie- Forstwirtschaft - gewachsen in Deutschlands Wäl- den, weil die betroffenen Unternehmen selbst die zu- dern" stützt sich auf das Bundeswaldgesetz und sätzliche Abgabe wollen. Sie versprechen sich von außerdem auf die sogenannten Helsinki-Kriterien. Es einer effizienteren Organisation und neuen Ver- geht damit weit über quantitative Aspekte der Nach- marktungswegen bessere Marktchancen für den haltigkeit hinaus. Es schließt die Schutz-, Nutz- und nachwachsenden Rohstoff Holz. Erholungsfunktion unserer Wälder ein. Es ist deshalb als Herkunftszeichen ausgesprochen geeignet. Für die vorgelegte Novellierung sprechen folgende Argumente: (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Zentrale Aufgabe muß sein, den Roh- und Werk- Vor uns liegen allerdings noch große Aufgaben. stoff Holz im Wettbewerb zu stärken. Das technisch nutzbare Energieholzpotential - Holz Die wirtschaftliche Situation der kleinbetrieblich aus Waldpflege, Be- und Verarbeitung und Land- und mittelständisch strukturierten forst- und holz- schaftspflege - wird gegenwärtig - leider Gottes - wirtschaftlichen Betriebe ist zu verbessern. nur zur Hälfte genutzt. Dabei würde die Substitution fossiler Brennstoffe durch dieses Holz zu einem Net- Die marktwirtschaftliche Ausrichtung der Absatz- toeinspareffekt bei den CO 2-Emissionen von 16 Mil- förderung ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig. lionen Tonnen im Jahr führen, wenn wir auch noch Der Forstabsatzfonds kann zukünftig das günstigste die andere Hälfte entsprechend nutzen könnten. und erfolgversprechendste Angebot aus der Wi rt- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21401

Ulrich Heinrich schaft einholen und verwirklichen. Dieser Schritt befördern wird, und - das ist eigentlich ein Skandal - wird sich für die Unternehmen positiv auszahlen. daß für den Ausbau der Straßen in Hannover gerade für die Expo im Bereich Eilenriede wieder etliche Vor dem Hintergrund der hohen Werbeaufwen- Bäume abgeholzt wurden. dungen für alternative Konkurrenzbranchen müssen die Anstrengungen für Werbung, Öffentlichkeits- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Hart am arbeit und Verkaufsförderung im Bereich Holz deut- Thema vorbei!) lich verstärkt werden. Die Bereitschaft a ller Sägebe- triebe zur Leistung freiwilliger Werbebeiträge wäre - Das ist nicht am Thema vorbei; das bezieht sich auf nur äußerst schwierig zu realisieren und deshalb im meinen Vorredner. Erfolg wahrscheinlich nicht durchschlagend. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Einer wird Die Abgabepflicht in europäischen Wettbewerbs- abgeholzt, 20 werden gepflanzt! Sie haben ländern im Holzbereich muß beachtet werden. überhaupt keine Ahnung vom Wald!) Die deutsche Forst- und Holzwirtschaft muß ihre Die Kalkdüngung aus der Luft, mit der man jahr- Chance entschlossen nutzen, auf der Expo 2000 in zehntelang versucht hat, etwas gegen diese Versaue- Hannover für den nachwachsenden Rohstoff Holz rung zu unternehmen, hat nichts genutzt. nachhaltig zu werben. Damit kann das breite Lei- stungsspektrum der Branche in einer spektakulären (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das war und ästhetisch anspruchsvollen A rt und Weise prä- jetzt für den Lokalteil!) sentiert werden. Hunderttausende werden sich im Sie hat vielleicht einige Flugunternehmen reich ge- Jahr der Expo unter dem Dach aufhalten und seine macht; aber den Waldboden hat sie im wesentlichen Bekanntheit steigern. Auch nach Beendigung der nicht gesünder gemacht. Der oberflächliche Auftrag Weltausstellung wird es ein markantes Wahrzeichen von Kalk ist lediglich eine kosmetische Maßnahme, der Messe von Hannover sein. mit der die Öffentlichkeit beruhigt werden soll, um in (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) der Verkehrs-, Energie- und Landwirtschaftspolitik so weitermachen zu können wie bisher. Für Fach- Zum Schluß, Frau Präsidentin, einen ganz kurzen leute ist längst klar: Theoretisch müßte der Waldbo- Satz, und zwar ein Appell an die Länder: daß sie in den bis zu einer Tiefe von einem halben Meter umge- der anstehenden Beratung im Bundesrat dafür stim- graben und dabei gekalkt werden. Das ist praktisch für die Forstwirtschaft men, die Vorsteuerpauschale unmöglich. von 5 auf 6 Prozent anzuheben. (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Die Herzlichen Dank. Bäume sollen ja auch noch stehenbleiben!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Während die Politik damit beschäftigt ist, die Waldschäden auf-, gegen- und schließlich gesundzu- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat rechnen, schreitet vielerorts die Versauerung voran. jetzt der Abgeordnete Rolf Köhne. Nährstoffe können so kaum noch gespeichert wer- den, während sich Schwermetalle lösen, die das Rolf Köhne (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- Grundwasser akut gefährden und auf die Bäume ginnen und Kollegen! Die Waldschäden haben ge- wiederum toxisch wirken. Notwendig ist also vor al- genüber dem Vorjahr um 2 Prozent zugenommen. lem ein tatsächliches Umsteuern im Verkehrssektor. Waren im Vorjahr noch 57 Prozent der Bäume in Neben der sicherlich ebenfalls erforderlichen Ver- Deutschland krank, so sind es nun 59 Prozent. Dra- teuerung des Autoverkehrs müssen Verkehrsvermei- matisch ist die Situation insbesondere bei der Eiche, dung, Tempolimits, der Stopp der Pro-Lkw-Politik die lange Zeit als besonders widerstandsfähig gegen der Bundesregierung und ein Stopp der sinnlosen, Luftschadstoffe galt. 46 Prozent der Eichen gelten als teuren und umweltzerstörenden Verkehrsgroßpro- geschädigt. Nur noch eine von zehn Eichen über jekte wie Transrapid und Stuttgart 21 im Mittelpunkt 60 Jahre ist gesund. einer neuen Verkehrspolitik stehen. Die Hauptursache für das Waldsterben und für (Beifall bei der PDS) Waldschäden ist die Versauerung der Böden, die aus Emissionen resultiert. Die Emissionen entstehen Die Verkehrspolitik muß sich einer Investitions- überwiegend im Verkehrssektor. Die Erfolge, die es offensive für einen ökologisch und sozial zukunfts- im Bereich der Energieumwandlung, zum Beispiel fähigen öffentlichen Verkehr verschreiben: Erhalt bei Entschwefelungsanlagen, sicherlich gibt, sind und Ausbau der Bahn als Gesamtverkehrsmittel und durch zunehmenden Straßenverkehr wieder aufge- Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Nur so wer- fressen worden. Das muß man an dieser Stelle einmal den wir den Autoverkehr zurückdrängen und eine ganz deutlich unterstreichen. der wesentlichen Ursachen für die Versauerung von Böden bekämpfen können. Die Verlagerung der In diesem Zusammenhang erlaube ich mir noch Fracht von der Straße und von der Luft auf die Bahn eine Bemerkung: Wer meint, die Expo könne in ir- sowie die Förderung des Fahrradverkehrs gehören gendeiner Weise zu einer positiven Werbung für den natürlich auch dazu. Wald beitragen, der sollte sich zunächst einmal vor Augen halten, daß mit der Expo ein Verkehr produ- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie haben ziert wird, der die weitere Versauerung der Böden doch gerade vorher die Bahn beschimpft!) 21402 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Rolf Köhne Nur so können die verkehrsbedingten Schadstoffein- Auch im Hinblick auf den hohen Mitteleinsatz träge über den Luftpfad drastisch reduziert werden. dieser konkurrierenden Branchen muß die Einnah- Doch anstelle einer solchen Orientierung liest man mebasis des umweltschonenden Rohstoffes Holz ver- von unserem Bundeskanzler ein Grußwort an ein bessert werden. Für diese Novellierung war das ge- Rüsselsheimer Unternehmen mit der Überschrift: meinsame Vorgehen von Forst- und Holzwirtschaft „Klares Ja zum Auto!" wichtig. Ich möchte allen, auch der Forstabteilung des Bundesministeriums, ein herzliches Dankeschön Das Waldsterben ist nur ein Problem der Waldpoli- sagen. tik. Ein zweites ist das Fehlen einer Konzeption zur nachhaltigen naturnahen Waldbewirtschaftung. Bis- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) her wird nur etwa 1 Prozent der Waldfläche von knapp 11 Millionen Hektar naturnah bewirtschaftet. Dieses Gesetz eröffnet intensive Kooperations- Die in den Bundesländern existierenden Programme möglichkeiten zwischen Forstwirtschaft und für eine naturnahe Waldentwicklung sind oft verwa- Holzwirtschaft, von der wichtige Impulse für die schen und unverbindlich. Am Ende orientiert sich die Förderung des Absatzes von Holz und Holz- heutige Waldwirtschaft leider immer noch an den ge- erzeugnissen erwartet werden. pflanzten Kunstforsten der letzten 200 Jahre. 90 Pro- Diese Bewertung schreiben der Präsident des Deut- zent der Waldfläche bestehen aus lediglich fünf schen Forstwirtschaftsrates, Hermann Ilaender, und Baumarten. der Sprecher des Deutschen Holzwirtschaftsrates, Al- Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Redezeit bert Lüghausen. ist leider zu Ende. Lassen Sie mich abschließend zum Zweitens. In Deutschland wird seit Generationen Waldzustandsbericht nur noch die Bemerkung ma- nachhaltig Forstwirtschaft bet rieben. chen: außer Spesen nichts gewesen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. und der F.D.P.) (Beifall bei der PDS) Das Bundeswaldgesetz und die Gesetze der Bundes- länder formulieren und kontrollieren das. Deshalb war es für die Forst- und Holzwirtschaft einfach, das Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten Freiherr von Schorle- Herkunftszeichen zu entwickeln. Dieses Zeichen mer. muß zu einem europäischen Nachhaltigkeitszeichen weiterentwickelt werden.

Reinhard Freiherr von Schorlemer (CDU/CSU): Die verschiedenen Gruppen europäischer Waldbe- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und sitzer arbeiten daran. Sie lehnen in großen Teilen Herren! Lassen Sie mich zum Einstieg sagen - das eine Zertifizierung durch FSC ab, und zwar schon sollten wir bei einer Diskukssion über den Wald im- wegen der Fremdbestimmung und einer undurch- mer berücksichtigen -, daß 30 Prozent der Gesamtflä- führbaren Einzelzertifizierung. che unseres Landes mit Wald bewachsen ist. Der Lassen Sie mich vier kurze Zitate von Landespoliti- Wald in Deutschland gehört zu 34 Prozent dem Staat kern anführen. Der baden-württembergische Mini- - vorwiegend den Ländern - und zu 20 Prozent den sterpräsident Teufel sagt: Kommunen und Körperschaften. 46 Prozent der Waldfläche sind Privatwald. Wir brauchen in Deutschland und erst recht in Ba- den-Württemberg keine einzelbetriebliche Zerti- Ich nenne diese Zahl auch deshalb, weil sich ge- fizierung. Es liegt auf der Hand, daß diese Zertifi- rade bei dieser Eigentumsverteilung jeder, der forst- zierung zu zusätzlichen Kosten, zu mehr Bürokra- politische Forderungen und Bemerkungen aufstellt, tie und zur Fremdbestimmung in der Waldbewirt- immer bewußt sein sollte, daß der größte Anteil derer, schaftung führen wird. die im und für den Wald tätig sind, jene 1,2 Millionen Privatwaldbesitzer sind. Das sind keine großen Be- Die sozialdemokratische Landesministerin Ma rtini triebe; die durchschnittliche Betriebsgröße liegt viel- schreibt: mehr bei acht Hektar. Für den Verbraucher muß deutlich sein, daß Holz Ich glaube, daß man in diesem Zusammenhang er- aus einer nachhaltigen Bewi rtschaftung stammt. wähnen muß, daß sich die forstpolitischen Forderun- Deshalb stehe ich hinter der Initiative der deut- gen und Bemerkungen an dieser Eigentumsvertei- schen Forstwirtschaft >Holz aus nachhaltiger lung orientieren müssen und daß sich zusätzliche Be- Forstwirtschaft. Gewachsen in Deutschlands lastungen auf die staatlichen Haushalte negativ aus- Wäldern.< Dies ist ausreichend. wirken. Ähnlich äußert sich der bayerische Staatsminister Ich möchte drei Bereiche ansprechen: erstens die Bocklet. Novellierung des Forstabsatzfondsgesetzes. Hierbei Der niedersächsische Staatssekretär Uwe Ba rtels, geht es zunächst um die Stärkung der finanziellen SPD, sagt: Basis durch Einbeziehung der stammholzbearbeiten- den Industrie und die Verbesserung der Organisati- Das Land Niedersachsen wird daher die FSC-Zer- onsstruktur; denn der Rohstoff Holz steht im Wettbe- tifizierung nicht anstreben, es steht weiterhin werb mit Stahl und Beton. zum Herkunftszeichen Holz. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21403

Reinhard Freiherr von Schorlemer Drittens. Wir haben keine gemeinsame Forstpoli- ist leider: Jede zweite Eiche ist schwer krank; fast tik in Europa, und wir wollen diese auch nicht. Es jede zweite Tanne und jede dritte Buche ebenfalls. gibt aber zahlreiche Richtlinien und Verordnungen Das ist wahrlich kein Grund zum Jubeln. in der EU, zum Beispiel im Landwirtschafts-, Wi rt -schafts- und Umweltbereich, die unmittelbar in die Noch erschreckender sind meines Erachtens die Forstwirtschaft hineinwirken und diese beeinflussen Ergebnisse des Waldbodenberichts; denn nahezu können. Hierzu, Herr Staatssekretär meine herzliche 80 Prozent der Waldböden sind durch den Eintrag Bitte an die Bundesregierung um ein aufmerksames von Luftschadstoffen versauert. In den Humusaufla- Mitwirken, damit interpretierbare Begriffe, die bei gen befinden sich hohe Schwermetallkonzentratio- der Umsetzung zur Verwirrung führen, die Ir ritation nen, zum Beispiel von Blei und Kupfer. und Arger nach sich ziehen, von vornherein im Keim Noch einmal unser Forstmann: erstickt werden; denn ungenaue Begriffe bringen Unsicherheit. Durch solche Leitlinien dürfen unser Der Boden ist unser Kapital. Wenn er das Regen- Bundesforstgesetz und unsere Landesforstgesetze - wasser nicht mehr filtern kann, dann schlägt die und dies auch noch an den Parlamenten vorbei - Säure auch ins Trinkwasser durch. nicht unterlaufen werden. In diesem Boden tickt eine Zeitbombe. Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen: Er- Es ist also Faktum: In unseren Wäldern vollzieht stens. Der durch die Bundesregierung vorgelegte sich eine schleichende Tragödie, die auch nicht da- Waldbericht gab uns die Möglichkeit zu dieser De- durch gemildert wird, daß man kaum mehr davon batte. spricht. Der Countdown läuft. Zweitens. Das forstpolitische Konzept, das Bundes- Vor mehr als 15 Jahren war das Waldsterben das minister Borchert 1995 vorlegte, macht das Engage- erste deutliche, Alarmsignal dafür, daß ein ganzes ment der Bundesregierung für den Wald deutlich. Ökosystem außer Kontrolle geraten kann, ins Wan- Drittens. Die Novellierung des Forstabsatzfondsge- ken geraten kann. Dies hat damals einen Aufweckef- setzes gibt dem umweltfreundlichen und nachwach- fekt, aber leider noch keinen Umkehreffekt erzeugt. senden Rohstoff Holz mehr Möglichkeiten, im Wett- Wir verschmutzen weiterhin das Wasser, den Boden, bewerb mit anderen Rohstoffen zu bestehen. Daher die Luft, rotten gnadenlos 70 Tier- und Pflanzenarten bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetz. pro Tag aus und überlasten den Naturhaushalt der- art, daß das gesamte System nicht mehr funktionsfä- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hig ist. Waldschäden sind Systemschäden. Man kann das Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat nicht oft genug betonen. jetzt die Kollegin Liesel Hartenstein. (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Frau Präsidentin! Sie sind ein untrügliches Symptom für ein falsches, Meine Damen und Herren! Ich spreche zum Wald- nicht nachhaltiges, unverantwort liches Wirtschaften schadensbericht. Es besteht leider die Gefahr, daß und Konsumieren. Wälder sind eben nicht nur Holz- dieser wichtige Be richt und die parlamentarische De- läger. Wir brauchen das Holz; darüber ist viel gesagt batte darüber in diesem Hause zu einem ungeliebten worden. Sie sind aber zugleich Vorratskammern für Ritual werden. Das dürfte nicht passieren; denn die die Artenvielfalt. Sie regulieren den Wasserhaushalt. Realität schreit - entgegen manchen Aussagen, die Sie schützen gegen Bodenerosion, und sie sind nach hier getroffen worden sind - nach Abhilfe. den Ozeanen die größten Kohlenstoffspeicher der Erde. Ohne Waldschutz wird Klimaschutz keinen Er- So schlimm wie in diesem Jahr war es noch nie. folg haben - das müssen wir uns klarmachen -, denn Große Teile der Kronen werden nicht mehr aus- die Kohlenstoffsenke Wald ist unverzichtbar. schlagen. (Beifall bei der SPD und der PDS) Das ist nicht, wie Sie vielleicht glauben, eine Fest- stellung von aufgeregten Umweltschützern, sondern Zum Klimaschutz tragen nicht nur die tropischen das sagte mir ein Forstamtsleiter im Nordschwarz- Regenwälder bei, sondern auch die Wälder in den wald bei einem Waldbegang im Dezember 1997, ein gemäßigten und in den nördlichen Breiten. Es ist da- Mann, der sein Revier genau kennt, und die beglei- her nicht erlaubt, mit dem Finger ständig auf die Tro- tenden Kollegen aus den Nachbarbezirken pflichte- penländer zu zeigen, wenn es um die Walderhaltung ten ihm bei. Einer fügte hinzu, man habe bei der geht. Auch die nördlichen Industrieländer sind ver- Standortkartierung vor kurzem einen pH-Wert von pflichtet, zuerst zu Hause das Nötige zur Erhaltung 3,42 ermittelt. „Der Waldboden ist saurer als Essig", ihrer Wälder zu tun. Das gilt auch für uns. war sein bitterer Kommentar. Natürlich bleibt unbestritten, daß seit Beginn des (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Quatsch!) Waldsterbens eine Menge geschehen ist. Das ist uns allen bekannt; das wird keiner leugnen. An die- So sieht es aus. Alle Beruhigungspillen nützen ser Stelle mögen Stichworte genügen: Großfeue- nichts. Auch das Feilschen um Prozentpunkte führt rungsanlagen-Verordnung, Einführung des Kataly- nicht weiter. 2 Prozent Verbesserung bei Fichten und sators, TA Luft usw. Allerdings muß ich Sie, Herr Kiefern, 3 bis 4 oder 5 Prozent Verschlechterung bei Staatssekretär Hinsken, daran erinnern, daß die Laubbäumen - das sind papierne Spielchen. Faktum Großfeuerungsanlagen-Verordnung noch von der 21404 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Dr. Liesel Hartenstein Bundesregierung unter beschlossen Wir brauchen ein europäisches Schnellbahnnetz; worden ist. wir brauchen den rascheren Ausbau der ÖPNV-Sy- steme; wir brauchen die Verlagerung des Schwerlast- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Halbherzig!) verkehrs auf die Schiene. Alles schon lange gefordert Das wird von Ihnen gerne unterschlagen. - ich weiß -, aber alles nicht realisiert. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Die Erfolge sind nicht ausgeblieben, zum Beispiel bei der deutlichen Reduzierung des Schwefeldioxids (Beifall bei der SPD - Zuruf des Abg. Sieg- und damit bei der Reduzierung des sauren Regens. fried Hornung [CDU/CSU]) Dennoch gibt es keinerlei Anlaß, die Hände in den Schoß zu legen. Die Verluste durch Waldschäden ge- - Sie haben es gar nicht erst probiert, Herr Hornung. hen mittlerweile in die Milliarden. Für den Schwarz- Sie sollten nicht immer mit dem Finger auf die Grü- wald ist von der Forstlichen Versuchs- und For- nen zeigen. schungsanstalt Freiburg ein Schaden von 131 DM Zweites Beispiel: Nicht nur der Straßenverkehr pro Hektar und Jahr errechnet worden. explodiert - ich will noch ein anderes Beispiel brin- Ich muß daran erinnern: Schon vor zehn Jahren gen -, sondern auch die Papier- und Zellstoffver- gab es ein höchstrichterliches Urteil, das den Wald- schwendung. Daran möchte ich ebenfalls erinnern: besitzern, und zwar den kommunalen und den priva- Die Industrieländer insgesamt sind Weltmeister bei ten - Herr von Schorlemer, in diesem Punkt gibt es der Verschwendung von Papier und Zellstoff. Seit zwischen uns keinen Streit -, ein Entschädigungs- den 50er Jahren ist der Verbrauch in der Bundesre- recht zugesprochen hat. Die Gemeinden drängen publik in bezug auf Zeitungen, Zeitschriften, Werbe- sehr stark darauf, eine Regelung zu finden. Aber bis broschüren, Kataloge, Büropapiere und Hygienepa- heute hat die Bundesregierung keinen Finger ge- pier um das Siebenfache gestiegen. Hinzu kommt rührt. Ich finde das nicht in Ordnung. die Zunahme des Verpackungsluxus. (Beifall des Abg. Detlev von Larcher [SPD]) Auf den bundesdeutschen Markt kommen allein jährlich 10 Milliarden Verpackungseinheiten auf Pa- Abwehrerfolge zur Schadensminderung sind das pierbasis. Darunter befinden sich 200 000 Tonnen Ge- eine, Vorsorge zur Schadensvermeidung wäre das tränkekartons für Milch, Säfte usw. Der größte Teil andere. Aber hier herrscht bei der Bundesregierung davon landet nach einmaligem Gebrauch im Abfall. Fehlanzeige. Im Grundsatz hat sich die Industriege- Dabei ließe sich der Einsatz von frischem Zellstoff sellschaft überhaupt nicht verändert. Sie ist weiterhin schon heute durch moderne technische Methoden eine Verschwendungs- und Wegwerfgesellschaft ge- und durch die Steigerung des Einsatzes von Altpa- blieben - zu Lasten der Natur, zu Lasten unserer na- pier um die Hälfte vermindern, wenn man nur daran- türlichen Lebensgrundlagen und auch zu Lasten des - gehen würde. Waldes. Ich will dies an zwei Beispielen illustrieren. Sie fragen wahrscheinlich: Was hat dieser Papier- Erstes Beispiel. Heute wird jeder Hektar Wald mit hunger mit den Entwicklungsländern zu tun? Der 30 bis 40 kg Stickstoff überfrachtet. Das ist das Zwei- Teufelskreis ist offensichtlich. - Wenn Sie ein bißchen bis Fünffache dessen, was die Bäume für ihr Wachs- Geduld haben - meine Redezeit ist nämlich gleich zu tum tatsächlich benötigen und was die Waldböden Ende -, dann sage ich das noch. verkraften können. Die Folge ist, wie wir schon ge- hört haben, eine galoppierende Versauerung. Je mehr Zellstoff nachgefragt wird, desto stärker wird der Anreiz, diesen möglichst rasch und zu ei- Mehr als die Hälfte der Stickoxide stammt aus den nem möglichst niedrigen Preis bereitzustellen. Dafür Auspufftöpfen unserer Pkw und Lkw. Aus diesem werden nicht nur die letzten Urwaldriesen zermah- Abgasgemisch entsteht übrigens auch das waldschä- len, sondern auch immer mehr Primärwaldflächen digende Ozon. Wenn Sie Ihre Zahlen bezüglich der abgebrannt und in Plantagen mit schnellwüchsigen Reduzierung der NOx-Emissionen vorlegen, Herr Bäumen umgewandelt. Denn das verspricht raschen Hinsken, dann dürfen Sie nicht nur von den Indu- Gewinn. Bei uns dagegen - darin gebe ich Ihnen striefeuerungen sprechen. Hier ist infolge der Groß- recht - bleibt das Schwachholz, das sich zur Papier- feuerungsanlagen-Verordnung tatsächlich eine Re- herstellung eignen würde, aus Kostengründen lie- duzierung eingetreten, nicht aber beim Verkehr. Wir gen. wissen, daß der motorisierte Straßenverkehr der Waldzerstörer Nummer eins ist. Hier fehlt eine natio- Meine Damen und Herren, Verschwendung bei nale und erst recht eine handfeste europäische Stra- uns und Raubbau in den armen Ländern hängen eng tegie zum Umsteigen auf umweltfreundlichere Ver- zusammen. Insofern haben auch die schrecklichen kehrssysteme. Waldbrände in Indonesien und Malaysia, soweit sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Detlev von profitgierigen Holzkonzernen gelegt worden von Larcher [SPD]: Außerordentlich bedau sind, mit dieser exzessiven Wegwerf- und Ver- erlich!) schwendungsmentalität zu tun. In diesem Bereich hat die Bundesregierung keine Ein Planet ohne Wälder ist nicht lebensfähig. Die Konzepte. Sonntagsreden helfen da nicht weiter. Wälder können nur erhalten werden, wenn wir end- lich den Imperativ von Rio ernst nehmen, das heißt, (Beifall bei der SPD) die Nachhaltigkeit unserer Wirtschafts- und Konsum- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21405

Dr. Liesel Hartenstein weise als oberstes Gebot nehmen und es tatsächlich Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und realisieren. Forsten empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußemp- fehlung auf Drucksache 13/10374 die Annahme einer (Beifall bei der SPD) Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußemp- „Wir werden uns alle für das zu verantworten ha- fehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die ben, was wir in Rio versäumen", hat die damalige Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition an- Brundtland gesagt. Daß in Rio keine internationale genommen. Waldkonvention zustande kam, war das größte Ver- Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernäh- säumnis dieser Mammutkonferenz. Deshalb muß das rung, Landwirtschaft und Forsten zum Waldzu- schleunigst nachgeholt werden. standsbericht der Bundesregierung 1996 - das ist (Beifall bei der SPD) Drucksache 13/9925, Nr. 1 -: Der Ausschuß emp- fiehlt, den Bericht auf Drucksache 13/6300 zur Die Bewahrung unserer Wälder wird zum Testfall Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für die Beschluß- für eine Überlebenspartnerschaft zwischen Nord und empfehlung „Kenntnisnahme"? - Gegenstimmen? - Süd und sogar zwischen Mensch und Natur werden. Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist Wir haben den Schlüssel dafür in der Hand. Es be- bei einer Enthaltung aus der PDS einstimmig ange- darf nur des ernsthaften politischen Willens, und die- nommen. sen vermisse ich bei Ihnen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernäh- Danke schön. rung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Entschlie- ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf F.D.P. zum Waldzustandsbericht der Bundesregie- Köhne [PDS]) rung 1996, Drucksache 13/9925, Nr. 2: Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön. - 13/6961 anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- Ich schließe damit die Aussprache. schlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist Interfraktionell wird die Überweisung des Waldzu- mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die standsberichts 1997 auf Drucksache 13/9442 an die Stimmen der gesamten Opposition angenommen in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- worden. geschlagen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernäh- Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD rung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Entschlie- auf Drucksache 13/10539 soll an dieselben Aus- ßungsantrag der Fraktion der SPD zum Waldzu- schüsse überwiesen werden. - standsbericht 1996, Drucksache 13/9925, Nr. 3: Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Der Entschließungsantrag der Fraktionen der Drucksache 13/6974 abzulehnen. CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/10535 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuß für (Detlev von Larcher [SPD]: Sehr bedauer Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie zur lich!) Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Natur- Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- schutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. stimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Auch diese Be- Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis schlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10554 soll zur fe- onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition an- derführenden Beratung dem Ausschuß für Ernäh- genommen worden. rung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitbera- Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernäh- tung dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und rung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Entschlie- Reaktorsicherheit sowie dem Ausschuß für Bildung, ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technik- zum Waldzustandsbericht 1996, Drucksache 13/9925, folgenabschätzung überwiesen werden. Nr. 4: Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungs- Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der antrag auf Drucksache 13/6975 abzulehnen. Wer Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen so be- stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstim- schlossen. men? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS ange- nommen worden; die SPD hat sich enthalten. Wir stimmen zunächst über die Beschlußempfeh- lung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft Abstimmung über den von den Fraktionen der und Forsten zum Waldbericht der Bundesregierung - CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Gesetzent- das sind die Drucksachen 13/8493 und 13/10374, wurf zur Änderung des Forstabsatzfondsgesetzes, Nr. 1- ab. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Drucksachen 13/10285 und 13/10542. Ich bitte dieje- Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfas- stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Ge- lung ist bei einer Enthaltung aus der PDS einstimmig genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf angenommen. ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen 21406 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer der Koalitionsfraktionen angenommen worden; ten erhalten soll. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben sich enthal- der Fall. Dann ist so beschlossen. ten. Und die PDS? Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat zunächst (Rolf Köhne [PDS]: Hier steht „Zustim der Abgeordnete Volker Beck. mung"! - Heiterkeit)

- Wollen Sie nun zustimmen? - In Ordnung, bei Zu- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stimmung der PDS. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Min- derheiten müssen in Deutschland wieder Angst ha- Dritte Beratung ben. Rechtsextremisten propagieren eine Ideologie der Ungleichheit. Sie predigen Haß auf alles, was ih- und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die nen als undeutsch und minderwertig gilt. Ausländer, dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Schwule und Behinderte, aber auch Obdachlose und ben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ge- Punks werden zu Objekten von Haß und Gewalt. Die setzentwurf ist damit in dritter Lesung mit den Stim- Rechtsextremisten haben damit immer wieder wahl- men der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der ge- politischen Erfolg: letzten Sonntag in Sachsen-Anhalt samten Opposition angenommen worden. und vor einiger Zeit in Baden-Württemberg. Dies ist also kein Thema des Ostens, sondern ein Thema un- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf: serer Gesellschaft.

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten (Beifall bei der PDS) Volker Beck (Köln), Cem Özdemir, Andrea Fi- Alle Demokraten sind aufgerufen, dem Haß der scher (Berlin), weiteren Abgeordneten und der Rechtsextremen eine Perspektive der Gleichheit aller Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- Menschen an Würde und Rechten entgegenzuset- brachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz zen. vor Diskriminierung und zur Stärkung von Minderheitenrechten- (Antidiskriminierungs (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Minderheitenrechtsgesetz) Wir müssen integrieren statt ausgrenzen. Wir dürfen - Drucksache 13/9706 — nicht den Rechtsextremen ideologisch hinterherlau- Überweisungsvorschlag: fen und ihre Parolen nachplappern, sondern wir müs- Rechtsausschuß (federführend) sen um die Köpfe ihrer Anhänger kämpfen. Wir wol- Innenausschuß len sie für ein demokratisches Miteinander gewin- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung nen. Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Wir brauchen eine Reform des Staatsbürger- b) Erste Beratung des von dem Abgeordneten schaftsrechtes und ein Antidiskriminierungsgesetz Volker Beck (Köln) und der Fraktion BÜND- für Minderheiten. Wir müssen klarstellen: Wer Ange- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs hörige von Minderheiten zum Opfer von Diskriminie- eines Gesetzes zum Eintritt des hinterbliebe- rung und Gewalt macht, begibt sich außerhalb unse- nen Haushaltsangehörigen in den Mietver- res gesellschaftlichen Konsenses. Dieses Signal wol- trag len wir mit unserer Initiative setzen. - Drucksache 13/9961 — Diskriminierung gehört zum Alltag für Minder- Überweisungsvorschlag: heiten in Deutschland. Am Arbeitsplatz oder auf Rechtsausschuß (federführend) dem Wohnungsmarkt erleben Angehörige von Min- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend derheiten immer wieder Benachteiligungen. Aber Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auch im alltäglichen p rivaten Rechtsverkehr sind Diskriminierungen keine Seltenheit: Ein Behinderter c) Erste Beratung des von den Abgeordneten wird in einem Café meines Wahlkreises nicht be- Margot von Renesse, Dr. Herta Däubler-Gme- dient, weil der Wirt den anderen Gästen den An- lin, Gerd Andres, weiteren Abgeordneten und blick ersparen will. Der Lebensversicherer Debeka der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs versichert keine homosexuellen Männer, weil sie eines Gesetzes zur Durchsetzung des Gleich- seiner Ansicht nach schneller sterben, selbst wenn behandlungsgebotes des Artikels 3 Grundge- sie HIV-negativ sind. Ausländer oder Deutsche mit setz (Gleichbehandlungsgesetz) ausländisch klingenden Namen werden häufig von - Drucksache 13/10081 — Kfz-Versicherern abgelehnt. Letzte Woche meldete dpa: In einer Regensburger Diskothek muß man als Überweisungsvorschlag: Dunkelhaariger oder Dunkelhäutiger seinen Paß Rechtsausschuß (federführend) hinterlegen, „weil Ausländer ja generell Schläge- Innenausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung reien in Diskotheken anfangen" , so die Ansicht des Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Diskothekenbesitzers. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für All diese Diskriminierungen wollen wir abstellen; die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wo- hier soll nach unserer Auffassung der Gesetzgeber bei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minu größere Klarheit schaffen und den Minderheiten In- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Ap ril 1998 21407

Volker Beck (Köln) strumente an die Hand geben, mit denen sie sich gemeinschaften tun kann, zu bilden. Wir bieten Ih- wirksam gegen Diskriminierungen im Alltag wehren nen an, das gemeinsam mit uns auf den Weg zu brin- können. gen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. Mit Anspruch auf Schadenersatz, Unterlassungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - anspruch und Verbandsklage geben wir Schwulen Detlev von Larcher [SPD]: Da sind wir aber und Lesben, Ausländern und Behinderten geeignete jetzt gespannt, Herr Westerwelle!) rechtliche Instrumentarien zum Kampf gegen Diskri- minierung an die Hand. Diskriminierung ist keine Das Wort hat Bagatelle; sie ist ein gesellschaftliches Übel, vor dem Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: jetzt der Abgeordnete Diet rich Mahlo. der Gesetzgeber nicht die Augen verschließen darf. Unsere europäischen Nachbarstaaten haben eine (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Oh Gott! umfangreiche Antidiskriminierungsgesetzgebung er- Jetzt wird es aber haarig!) lassen. Deutschland hinkt hier gewaltig hinterher. Der Wahlsieg der DVU in Sachsen-Anhalt sollte Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Frau Präsidentin! uns gemeinsam ein Ansporn sein, für den Gedanken Meine lieben Freunde! Die vorgelegten Entwürfe zu der Gleichberechtigung, der Gleichheit vor dem Ge- einem Antidiskriminierungs- bzw. Gleichbehand- setz, für Art. 3 Grundgesetz zu werben und ihm lungsgesetz sind keine völlig neuen Initiativen, son- rechtlich mehr Ausstrahlungskraft im Alltag zu ver- dern greifen auf Bemühungen aus den frühen 80er leihen. Wie kaum ein anderer ist dieser A rtikel als Jahren und meiner Ansicht nach unausgesprochen Antwort auf den Rassismus der Nazis formuliert wor- auch auf Ergebnisse einer Regierungsanhörung vom den. Er ist gleichsam ein verfassungsrechtliches „Nie Januar 1982 zurück. Damals wie heute ist zu fragen, wieder!" ob wir mit Antidiskriminierungsgesetzen Segen stif- ten oder einen Irrweg betreten. Die Antwort ist nicht Ich freue mich, daß die sozialdemokratische Frak- einfach. Ich beschränke mich in der ersten Lesung tion mit einem ähnlichen Entwurf für ein Gleichbe- auf einige Anmerkungen. handlungsgesetz nachgezogen hat und daß sich trotz einiger Differenzen im Detail hier ein gemeinsames Erstens. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß in wei- Projekt für Rotgrün abzeichnet. Ich freue mich dar- ten Bereichen unseres Volkes dümmliche und schwer auf, dies in der nächsten Legislaturperiode ausarbei- erträgliche Vorurteile gegen bestimmte andere Men- ten und zu einem gemeinsamen gesellschaftlichen schen und Menschengruppen existieren und daß Projekt führen zu können. Das wäre, so glaube ich, dies nicht nur in seltenen Einzelfällen zu ungerecht- die richtige Antwort auf den Rechtsextremismus, fertigten Benachteiligungen, ja zu Leid bei den Be- aber auch auf Minderheitenfeindlichkeit aus der - troffenen führt. Insgesamt behindert dieser Tatbe- Mitte unserer Gesellschaft. Wir dürfen es hier an stand sinnlos das gleichberechtigte und freie Zusam- Klarheit nicht fehlen lassen. menleben von Menschen in unserem Lande und muß als eine erhebliche Belastung des öffentlichen Woh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) les angesehen werden. - Ich denke, daß über diesen Wir haben einen weiteren Gesetzentwurf einge- Sachverhalt und seine Bewe rtung weitgehend Einig- bracht, um Herrn Westerwelle und der F.D.P. etwas keit bestehen dürfte. auf die Sprünge zu helfen. Herr Westerwelle und die Zweitens. Zu fragen ist allerdings, ob man ein Phä- F.D.P. - Herr Braun und Herr van Essen im Plenum - nomen, das seine Ursache in sozialen Ängsten, in haben immer wieder versprochen, daß es in dieser Unbildung, in mangelnder Reife, in fehlender Auf- Wahlperiode eine Reform für gleichgeschlechtliche klärung, in materieller Bedürftigkeit, kurz: im Gesell- Lebensgemeinschaften geben soll, nämlich bei der schaftlichen hat, par ordre du mufti abschaffen kann. Sonderrechtsnachfolge im Mietrecht. Da sollen schwule und lesbische Paare wenigstens nicht mehr (Margot von Renesse [SPD]: Nein, das kann schlechtergestellt werden als heterosexuelle unver- man nicht!) heiratete Paare. Kann man Toleranz, Mitmenschlichkeit, gesellschaft- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - liches Augenmaß auf dem Gesetzgebungswege her- Dr. [F.D.P.]: Das ist ein stellen? kluger Vorschlag! - Dr. Cornelie Sonntag (Margot von Renesse [SPD]: Antwort: Nein!) Wolgast [SPD]: Bei der F.D.P. lohnt es sich nicht mehr!) Oder wird durch die Verrechtlichung nur eine Fas- sade des Wohlverhaltens geschaffen, hinter der die Der Bundesjustizminister hat eine Formulierungs- eigentlichen Mißstände dann um so eher weiterwu- hilfe für die Berichterstatter erarbeitet. Leider hat sie chern? immer noch keinen Eingang in die parlamentari- schen Beratungen gefunden. Wir haben Ihren Vor- Drittens. Diejenigen, denen wir den Anstand mit schlag, Herr Minister, heute auf den Tisch des Hau- sanktionsbewehrten Gesetzen, Schadenersatzan- ses gelegt. Jetzt ist es an der F.D.P., hier im Bundes- sprüchen bis hin zum Ausgleich von Nicht-Vermö- tag noch bis zum Juni mit der Opposition gemeinsam gensschäden, Eingriffen in die freie Beweiswürdi- eine Mehrheit für diesen kleinsten Schritt, den man gung, mit Verordnung sogenannter emanzipatori- für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebens scher Diskriminierungen und dem Einsetzen p rivater 21408 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Dr. Dietrich Mahlo Verbände als Aufpasser oder Hilfspolizei mit eige- Teint als hierzulande üblich heiratet, wenn nigeriani- nem Klagerecht austreiben wollen - das alles ist ja sche Fußballspieler in Spitzenklubs der Bundesliga von Ihnen vorgesehen, Herr Kollege -, ohne aber Be- spielentscheidende Tore schießen, hat das für ein wußtsein und innere Einstellung ändern zu können, gleichberechtigtes Zusammenleben und mitmensch- werden natürlich überzeugt sein, daß es sich um eine liche Toleranz eine größere und segensreichere Wir- Art Gesinnungsrecht handelt und daß in Deutsch- kung als alle Antidiskriminierungsgesetze, die wir land, wie so oft in diesem Jahrhundert, wieder Leute uns hier ausdenken können. unterwegs sind, die den anderen beibringen wollen, (Detlev von Larcher [SPD]: Herr Kollege, da wie sie zu leben und was sie zu denken haben. täuschen Sie sich leider!) Die Freiheit des Grundgesetzes umfaßt das Recht, Ich danke Ihnen für das Zuhören. nach Merkmalen des Art. 3 Abs. 2, das heißt nach Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Religion (Beifall bei der CDU/CSU) usw. zu differenzieren. Von dieser Freiheit darf auch in einer Weise Gebrauch gemacht werden, die den Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Prinzipien der „political correctness" glatt ins Gesicht jetzt die Abgeordnete Margot von Renesse. schlägt, auch wenn uns allen das nicht gefallen sollte. Das Grundrecht auf Gleichbehandlung ist kein Superrecht, und es erlaubt schon gar nicht dem ein- Margot von Renesse (SPD): Frau Präsidentin! fachen Gesetzgeber, das differenzie rte System der Meine Damen und Herren! Nach der Wahl in Sach- Freiheitsrechte, also die Freiheit, Verträge abzu- sen-Anhalt den Entwurf eines Gleichbehandlungs- schließen, seine Kinder zu erziehen, Vereine zu grün- gesetzes vorzustellen, ist eine wahrhaft besondere den, seine Intimsphäre zu bestimmen und seine Mei- Herausforderung. Auf das Stimmergebnis der DVU nung kundzutun, durch Antidiskriminierungsgesetze dort können demokratische Parteien auf dreierlei zu nivellieren. Weise reagieren - und für alles haben wir schon Bei- spiele -: Gerade diejenigen in diesem Hause, die unter Be- rufung auf ihre Meinungsfreiheit darauf bestehen, Sie können sich - erstens - darauf beschränken, die Soldaten der Bundeswehr, denen unser Land ein sich wechselseitig die Schuld daran zuzuweisen. halbes Jahrhundert Frieden mit zu danken hat, als Nur, das ist ein Schauspiel, das jedem der Protest- Mörder bezeichnen zu dürfen, müssen gelegentlich wähler - die ja nicht unbedingt rechtsradikal zu sein an die Meinungsfreiheit anderer erinnert werden. brauchen - nur seinen Verdruß an den demokrati- schen Parteien bestätigt, fürchte ich. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Dem stim des Abg. [CDU/CSU]) men wir auch zu!) - Zweitens kann man sich - auch dafür gibt es Bei- Es kommt hinzu, Herr Beck, daß das Phänomen spiele - in einen Wettbewerb mit den Rechtsradika- des Vorurteils, der Diskriminierung, des Schikanie- len um die vorgeblich nationalste Gesinnung und rivaten rens, der verletzenden Ausgrenzung, der p ihre Demonstration einlassen und damit seine verf as- Herabwürdigung und des Mobbing am Arbeitsplatz sungsrechtliche Seele verkaufen, ohne daß man auf auch sonst im zwischenmenschlichen Bereich ver- diesem Felde auch nur annähernd die gleichen Er- breitet anzutreffen ist und dabei vielfach an Kriterien folge erzielen kann wie die Braunen. anknüpft, die sich rechtlichen Erfassungsversuchen weitgehend entziehen, so etwa an Unbildung, Intelli- Drittens aber kann man auch versuchen, die Ursa- genzmangel, Häßlichkeit, mangelnden Umgangsfor- chen des Unheils nüchtern zu ermitteln und sie ziel- men usw. Ich stelle daher die Frage, ob die Sollbruch- gerichtet mit politischer Handlung anzugehen. stelle, die in den Gesetzentwürfen von Ihnen ange- Darum geht es heute. Hinsichtlich der Ursachen wis- nommen wird - nämlich Behinderung, ethnische und sen wir: Da ist das Krisenbewußtsein und der Ein- sexuelle Identität -, wirklich die Bedeutung hat, von druck von Perspektivlosigkeit, insbesondere bei jun- der Sie ausgehen. gen Leuten, der sich wie Mehltau über unser Land gelegt hat. Das macht deutlich, warum viele von uns Insgesamt bekenne ich mich zu einer gewissen vehement für die Erneuerung der politischen Hand- Skepsis gegenüber den vorgeschlagenen Gesetzen. lungsfähigkeit eintreten: um auch dieser Ursache Rechtliche Maßnahmen und Sanktionen sollten je- entgegenzutreten. denfalls den Fällen vorbehalten bleiben, wo p rivates Verhalten in besonders grober Weise den „ordre pu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ blique" unserer Gesellschaft verletzt und damit das DIE GRÜNEN) allgemeine Wohl tangiert wird. Generell denke ich, Aber Krisenbewußtsein allein reicht als Erklärung daß sich gesellschaftliche Mißstände auch nur gesell- für die Zutaten der braunen Soße nicht aus. Denn schaftlich überwinden lassen, das heißt durch Über- weder ist ein Arbeitsloser naturnotwendig ein zeugungsarbeit, durch Beispiel, durch Einüben in To- Rechtsradikaler, noch ist ein Arbeitsplatzbesitzer leranz, nicht aber durch das Bekämpfen von Sympto- stets davor gefeit, men. (Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist es!) Wenn Menschen sehen, daß in ihrer Umgebung deutsch-türkische Ehen ganz normal funktionieren, auch kein Gebildeter. Das alleine reicht nicht. Es gibt wenn ein großer Tennisstar eine Frau mit dunklerem wohl in allen Menschen eine tiefsitzende Bereit- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21409

Margot von Renesse 1 schaft, der Versuchung nachzugeben, für eigene Herr Mahlo, wir wissen, Art. 3 beinhaltet auch das Schwierigkeiten und Probleme Sündenböcke ausfin- Willkürverbot. St riktes Rationalitätsgebot und Will dig zu machen - um dann auf sie einzuprügeln. Der -kürverbot im Recht sind die zwei Seiten einer Me- kollektive Haß auf diese Sündenböcke entlastet dann daille. Beides gilt für den Staat wie für den Bürger, von der Selbstverantwortung und vor allem der Müh- wenn es um die Gestaltung von Rechtsverhältnissen sal der Problemlösung. Darum brauchen rechtsradi- geht. kale Parteien offensichtlich kein politisches Pro- . 3 ist ohne gramm. Die Bekundung von Haß auf „die anderen" Ich sage Ihnen: Die Verletzung von A rt steht ihnen dafür. Verletzung der Menschenwürde, gerade bei diesen drei Gruppen, nicht zu haben. Damit handelt es sich Als diese „anderen" bieten sich - man muß schon um schwerwiegende Verletzungen der „ordre publi- sagen: traditionell - vor allem drei Gruppen von que". Menschen an: die Fremden, die Behinderten und die Homosexuellen. Sie sind die prädestinierten Außen- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) seiter, an denen die aus der Ordnung geratenen Gruppierungen ihr Mütchen zu kühlen neigen. Sie Unser Entwurf enthält eine Konzeption. Es gibt sind in allen Gesellschaften do rt, wo Rechtskultur darin nur Instrumente, die sich im deutschen Recht aus den Fugen gerät, die ersten Haßopfer. Sie füllten bereits bewährt haben und für deren Verwendung es auch die Konzentrationslager der Nazis. Darum hat keiner verfassungsändernden Mehrheit bedarf. Herr Beck Recht, wenn er sagt: A rt. 3 Abs. 3 ist eine zentrale Norm des „Nie-wieder! " Denn die Damen Dazu gehört. das - ich richte mich einmal an die und Herren saßen in Herrenchiemsee zusammen und F.D.P.-Vertreter - aus dem Wi rtschaftsrecht entlehnte wollten einen erneuten Hitler verhindern. Aus Erfah Abmahnverfahren, das uns Gelegenheit gibt, kom- rung haben sie auf diese Gruppen besonders ihr Au- petente NGOs einzubeziehen, wie das - Rechtsver- genmerk gerichtet. gleiche zeigen dies - in anderen Ländern üblich ist, damit nicht alles Gute von oben kommen muß. Das Um unsere Zivilgesellschaft vor der „Bestie" zu Abmahnverfahren, das wir aus dem Wirtschaftsrecht schützen, richtet die Verfassung in A rt. 3 Abs. 3 unser kennen, macht es möglich, daß eine Industrie- und Augenmerk auf diese drei besonders gefährdeten Handelskammer wegen eines falsch ausgezeichne- Gruppen, obgleich wir wissen, daß es Diskriminie- ten Preisschildes vorgeht. Sollte das, was für einen rung auch woanders gibt. Aber hier haben wir auch fehlgeleiteten Ausverkauf und für ein falsches Preis- einen rechtlichen Anhaltspunkt. schild möglich ist, nicht bei Verletzung des Gleichbe- handlungsgebotes möglich sein? Der Grundsatz des Art. 3 ist eine der stolzesten und nobelsten Vorschriften der Verfassung, aber er be Dazu gehört die Streichung des Deutschen-Vorbe- unseren inneren Frieden, der jedem von -wahrt halts im Beamtenrecht. Er stellt - das ist verblüffend uns die Achtung seiner Menschenwürde garantiert. - zu sehen - eine Rechtslage wieder her, wie sie vor Die Menschen sind nicht gleich. Art. 3 erkennt das dem NS-Regime bei uns bestand und die für uns des- an und setzt gerade darum die Gleichheit vor dem halb besonderen Sinn macht, weil wir nur mit Hilfe Gesetz als eine Norm. Denn jedes Merkmal, das den rechtstreuer Migranten Recht und Gesetz in deren einen vom anderen unterscheidet, kann zur Ausgren- Gruppen durchsetzen können. Sonst müssen wir uns zung verwendet werden. Ein jeder von uns kann auf V-Leute und auf Dolmetscher verlassen. Wir plötzlich zu einer verfemten Minderheit gehören, die brauchen Leute der Corporate identity innerhalb der an allem schuld ist: die Arbeitslosen, die Sozialhilfe- Beamtenkörper, um Recht und Gesetz durchzuset- empfänger, die Obdachlosen - Herr Beck erwähnte zen. Ich rede fast schon wie Herr Kanther. sie -, die Asozialen, aber auch die Linken, die Intel- lektuellen und andere mehr. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die drei Gruppen des Art. 3 werden uns deshalb besonders ans Herz gelegt, weil sie in der Regel die Den gleichgeschlechtlichen Paaren ein familien- ersten sind, die Ausgrenzung erfahren und damit rechtliches Institut zu öffnen, das die menschliche Seismographen dafür sind, daß sich die „Bestie" wie- Substanz auch ihrer Beziehung akzeptiert und das der rührt. Darum ist ein Gleichbehandlungsgesetz ihnen bei Übernahme gleicher Pflichten auch den nach Sachsen-Anhalt besonders dringlich. Genuß gleicher Rechte wie Eheleuten gewährt, ist eine mitmenschliche Notwendigkeit und kommt der (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) Familienpolitik sogar zugute, weil sie nämlich den Gesetzgeber dazu zwingt - hoffentlich bald -, fami- Unser Entwurf zielt darauf ab, den Fremden, den lienbezogene Vergünstigungen nicht fehlzuleiten, Behinderten und den Homosexuellen mit effektiven sondern sie den Familien mit Kindern - ob mit oder rechtlichen Instrumenten die rechtliche Gleichbe- ohne Ehe - zuzuwenden. handlung zu sichern - nicht Sympathie und schon gar nicht eine von Herzen kommende Toleranz -, die Zu der Konzeption gehört, daß wir sie in der Form rechtliche Gleichbehandlung im Privatrecht, in der eines Gesetzentwurfs vorlegen, weil es in der Diskus- staatlichen Verwaltung und in der Gesetzgebung. sion um das Antidiskriminierungsgesetz - ein Wo rt, Immer dann, wenn rechtliche Unterschiede in diesen das ich nicht liebe - oft umstritten war, ob eine ge- Bereichen gemacht werden, schlägt die Alarmglocke setzliche Regelung überhaupt möglich ist. Techni- des Art. 3 an und fragt nach einer rationalen Begrün- sche Mängel, die ich ohne weiteres einräume und zu dung für Unterscheidung. deren Ausmerzung ministerielles Spezialwissen ge- 21410 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Margot von Renesse hört, wird es dann nicht mehr geben, wenn wir den mosexuelle und Heterosexuelle haben. Diese Vielfalt Entwurf in der nächsten Legislaturperiode überarbei- unterscheidet sich wohltuend von der Einfalt vieler tet erneut vorlegen, weil wir dann im Besitz dieses religiöser Eiferer. ministeriellen Spezialwissens sind. (Beifall bei der F.D.P.) Auf Grund ihrer langen Erfahrung über mehr als hundert Jahre ist die SPD eine Liebhaberin der Ver- Würden die Kirchen ihrem neutestamentlichen fassung, insbesondere auch des A rt. 3. Ich sage es er- Auftrag bei der Bekämpfung der Diskriminierung ge- neut mit einem - leicht abgewandelten - Zitat von recht werden, so würde es auch für die Konservati- Theodor Adorno: Ich möchte in einer Gesellschaft le- ven in diesem Parlament sehr viel leichter sein, uns ben, in der jeder ohne Angst anders sein kann. zu einer großen Mehrheit im Parlament bei dem Be- mühen zu verhelfen, endlich für Gleichberechtigung (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) aller in diesem Land zu sorgen. Eines der letzten Relikte schlimmer deutscher Zei- Das Wort hat Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: ten ist, daß homosexuelle Lebenspartner im Falle des jetzt der Abgeordnete Hildebrecht Braun. Versterbens des Freundes, der Mieter war, die Woh- nung nicht übernehmen dürfen, während Ehepartner Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Frau Präsi- und gar verschiedengeschlechtliche Partner einer dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die nichtehelichen Lebensgemeinschaft nach der Recht- erste Beratung der Anträge von SPD und Grünen ver- sprechung des Bundesgerichtshofs dies längst tun langt noch keine ins Detail gehende Auseinanderset- dürfen. Warum in Gottes Namen soll hier unterschie- zung mit einzelnen Vorschlägen, aber doch eine Ge- den werden, gar zu Lasten der homosexuellen Pa rt samtbewertung. -ner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft von heterosexuellen Pa rtnern? Das versteht doch über- Ich will für die F.D.P. deutlich machen, daß die In- haupt niemand mehr. itiativen der Oppositionsparteien in diesem Bereich richtig und notwendig sind. Ich muß deutlich sagen: Als Liberaler kann ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, Menschen (Beifall bei der F.D.P.) deswegen zu diskriminieren, weil sie so sind, wie sie Ich möchte auch deutlich machen, daß wir Libera- sind. Wann endlich lösen sich die Gegner dieser nö- len längst selbst initiativ geworden wären, wenn tigen Reformen von der Vorstellung, daß Homose- nicht unser Koalitionspartner erhebliche Probleme im xualität nicht eine Frage des individuellen Schick- Umgang mit den zur Diskussion stehenden Fragen sals, sondern der persönlichen Wahlfreiheit sei? hätte. Wann sind diese konservativen Politiker endlich be- reit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Homosexualität (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist - nicht erlernt wird, sondern vorhanden oder eben wohl wahr!) nicht vorhanden ist? Wann können sich diese Kolle- ginnen und Kollegen endlich von der Vorstellung lö- Ich habe aber Verständnis dafür, daß eine große sen, daß Homosexualität gar etwas mit Schuld zu Fraktion, die für den konservativen Teil der Bevölke- tun habe? rung primärer Ansprechpartner ist, bei Themen Zu- rückhaltung übt, die für einen großen Teil der Bevöl- Nicht die Menschen müssen sich ändern, um den kerung schwer bekömmlich sind. Insbesondere fehlt Gesetzen zu entsprechen, sondern die Gesetze müs- es an der Unterstützung durch die Kirchen. Sie sen geändert werden, damit sie den Menschen ge- äußern sich zwar zu vielen Dingen, wo sie besser recht werden. schweigen würden - gerade in diesen Tagen -, hal- ten sich aber schlimm zurück gerade bei Fragen der Vielen Dank. Menschenwürde, um die es hier ganz besonders geht. (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P.)

Die Menschenwürde ist sicherlich für uns Liberale Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat das zentrale Thema, aber eigentlich doch auch für jetzt die Abgeordnete Ch ristina Schenk. die Kirchen. Wir müssen beobachten, daß bis zum heutigen Tag die evangelische Kirche nur sehr zag- haft und die katholische Kirche überhaupt nicht Stel- Christina Schenk (PDS): Frau Präsidentin! Meine lung nimmt zu den Fragen der Menschenwürde de- Damen und Herren! Die PDS hat sich insbesondere rer, deren sexuelle Orientierung anders ist als die der auch im Bundestag immer dafür eingesetzt, daß Mehrheit in der Bevölkerung. Das ist ein Punkt, den Menschen mit Behinderungen, Angehörige ethni- wir hier deutlich ansprechen müssen. Wann werden scher Minderheiten sowie auch Lesben und Schwule die Kirchen endlich erkennen, daß die göttliche vor Diskriminierung geschützt werden und die Schöpfung Linkshänder und Rechtshänder enthält - Gleichbehandlung entschieden stärker als bisher und eben nicht nur Rechtshänder? Wann werden die rechtlich verankert wird. Allerdings meinen wir, daß Kirchen endlich erkennen, daß es an der Zeit ist, an- es nicht ausreicht, die Diskriminierung von Men- zuerkennen: Die Schöpfung hat Vielfalt gebracht, schen mit Behinderungen nur durch eine juristische und diese Vielfalt äußert sich auch da rin, daß wir Ho Gleichstellung beheben zu wollen. Wir meinen, daß Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21411

Christina Schenk gleiche Teilhabechancen erst dann gesichert sind, meinschaft artifiziell und eben nicht präzise be- wenn es auch einen materiellen Nachteilsausgleich stimmbar ist. gibt. Insgesamt stellen wir fest, daß die Gesetzesinitiati- (Margot von Renesse [SPD]: Selbstverständ ven zur Regelung von Lebensformen Flickwerk sind. lich! Da haben Sie völlig recht!) Man versucht damit, einzelne Mißstände zu beheben - das ist natürlich zu begrüßen -, aber eben ohne In diesem Sinne ist auch unser in den Bundestag ein- zum Kern des Ganzen vorzustoßen. Dieser Kern - das gebrachter Antrag auf ein Leistungsgesetz zu verste- habe ich an dieser Stelle auch oft genug gesagt - be- hen. steht darin, die ungerechtfertigten Sonderregelun- Wir finden es natürlich auch ärgerlich - das wird gen für Verheiratete anzugehen, was Sie eben nicht für Sie vielleicht nachvollziehbar sein -, daß das Anti- tun. Wir meinen - das sage ich hier zum wiederholten rassismusgesetz der PDS vor drei Jahren hier im Male -, daß erst mit der konsequenten Abschaffung Hause abgelehnt worden ist. der ehelichen Privilegien eine wirkliche Gleichstel- lung aller Lebensweisen möglich sein wird. (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Fal sche Ansätze! - Volker Beck [Köln] (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie ken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wegen der nen selber das Grundgesetz, oder?) Instrumente!) Erst dann gibt es auch tatsächlich die Chance zur Wir meinen, daß damals die Chance verpaßt worden Freiheit der Wahl und zur gleichberechtigten Aner- ist, einen wirksamen Schutz vor rassistischer Diskri- kennung aller Lebensformen. minierung zu verabschieden. Danke schön Die von der SPD und den Bündnisgrünen vorge- (Beifall bei der PDS) legten Antidiskriminierungs- bzw. Gleichbehand- lungsgesetze greifen - das muß man zugestehen - viele Forderungen der Lesben- und Schwulenbewe- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Als letztem in gung auf. Ich nenne nur das Benachteiligungsverbot, der Debatte gebe ich dem Herrn Minister Schmidt die arbeitsrechtliche Gleichstellung, Beweislaster- Jortzig das Wort. leichterungen, das Verbandsklagerecht und insbe- sondere auch die Feststellung, daß die Förderung so- Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister der zial benachteiligter Gruppen keine Diskriminierung Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! gegenüber anderen darstellt. Es ist durchaus sehr Auch ich will nur erste und grundsätzliche Überle- wichtig, das hier darzustellen. gungen vortragen; ohnehin kann man in fünf Minu- Im SPD-Entwurf ist - dazu will ich noch kurz etwas ten nicht mehr tun. Wir sind auch erst in der ersten sagen - ein Gesetz über die Eingehung einer Lebens- - Beratung. partnerschaft enthalten. Angepriesen wird die recht- Gesetze und Anträge wie die, über die wir heute liche Gleichstellung, bzw. es wird so getan, als ob sprechen, die die Diskriminierung bekämpfen sollen, eine rechtliche Gleichstellung der homosexuellen Le- sind mit Sicherheit richtig. Diskriminierung zu be- bensgemeinschaft mit der Ehe präjudiziert sei. Aber kämpfen ist ein wichtiges, ein gutes, ein dringendes das Recht auf Adoption und das Recht auf die Aus- und ein lohnendes Ziel. Zwei Dinge allerdings müß- übung des gemeinsamen Sorgerechts sind explizit ten, wenn wir uns über gesetzliche Schritte auf die- ausgeschlossen. Ich meine, das ist zumindest dahin sem Feld unterhalten, schon bedacht werden. gehend interpretierbar, daß Sie der Auffassung sind, daß Lesben und Schwule per se nicht in der Lage Erstens. Man müßte das, was gut und schön ist, im- sind, Kinder zu betreuen oder zu erziehen. Ich meine, mer darauf prüfen, ob es in Form eines Gesetzes daß damit ein ganz zentrales Diskriminierungsmuster wirklich richtig auf den Weg gebracht ist. Es läßt sich fortgesetzt wird, was wir so nicht akzeptieren kön- natürlich nicht regeln, was man eigentlich im gesell- nen. schaftlichen Umfeld tun müßte. Mit einem schlichten Strich des Gesetzgebers die Lebenswirklichkeit zu Der nunmehr zweite Versuch der Bündnisgrünen, verändern ist nicht möglich, jedenfalls nicht so ein- das Mietrecht zu verändern, soll nun auch die auf fach möglich, wie man es sich in meinen Augen unter Dauer angelegten Haushaltsgemeinschaften recht- anderem beim Gesetzentwurf der Grünen macht. lich absichern. Daß wir diese Initiative begrüßen, ist bekannt. Das ist gar nicht die Frage. Das Problem ist Zweitens. Wir sollten auch deutlich sehen, daß für uns nur, daß Sie, Herr Beck, implizit behaupten, man Ungleiches nicht einfach nivellieren kann und daß nur, wie es heißt, auf Dauer angelegte gemein- dies auch gar nicht versuchen sollte. Dadurch same Haushalte förderungswürdig seien. werden nur neue Ungerechtigkeiten geschaffen. Montesquieu hat treffend gesagt: (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Mietrecht geht es nicht ums Der Geist der Gleichheit ist vom Geist der über- Fördern!) triebenen Gleichheit so weit entfernt wie der Himmel von der Erde. Wir fragen, warum nicht alle Wohngemeinschaften mietrechtlich schützenswert sind. Wir meinen, daß Dies vorausgeschickt, will ich beim SPD-Entwurf die Unterscheidung zwischen auf Dauer angelegten eines Gleichbehandlungsgesetzes nur etwas zu Ih- Haushalten, wie es dort heißt, und einer Wohnge rem Art. 8 sagen. Manches, was davorsteht, ist so 21412 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig finde ich, durchaus diskussionsfähig und -bedürftig. Weil letztlich die bloße Behauptung einer Benach- Anderes scheint mir auch nur eine in andere Worte teiligung reicht, ist eine Nichtbenachteiligung kaum gekleidete Kommentierung von Art. 3 Abs. 3 des beweisbar. Wenn mehrere Personen mit verschiede- Grundgesetzes zu sein. Aber immerhin. nen Minderheitenmerkmalen konkurrieren - zum Beispiel um eine einzige Wohnung - entsteht für den (Margot von Renesse [SPD]: Genauso sehe Anbieter ein Pflichtenkonflikt: Die Zusage an eine ich das auch!) Partei diskriminiert durch die Gefahr von Schadener- Ich finde Art. 8 Ihres Entwurfs interessant. Der satzansprüchen automatisch die andere. Und schließ- Grundgedanke, Verantwortungsgemeinschaften jen- lich: Konkurrieren Personen mit Minderheitenmerk- seits der Ehe einen gewissen rechtlichen Rahmen zu malen mit Personen ohne Minderheitenmerkmale, geben, ist wirklich unterstreichens- und bedenkens- dann haben letztere immer das Nachsehen. Die be- wert. Aus verfassungsrechtlicher Sicht kommt aber rühmte Konstellation „Mensch männlichen Ge- sicher eine pauschale Gleichstellung der Ehe mit der schlechts, deutscher Staats- und Volkszugehörigkeit, gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft vor dem in mittleren Jahren und gesund" wird durch Ihren Hintergrund von Art. 6 des Grundgesetzes nicht in Gesetzentwurf diskriminiert. Frage, der für die Ehe einen besonderen Schutz der staatlichen Ordnung forde rt. Statt dessen sollte man Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister, erst einmal pragmatisch versuchen, für die einzelnen gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten diskriminierenden Konstellationen unserer Rechts- Beck? ordnung sachgerechte und punktgenaue Lösungen zu finden. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister der Im übrigen dürfen gewiß umfassendere Ansätze - Justiz: Gerne. ich sage das in aller Vorsicht - nicht mit einem Denk- verbot belegt werden. Ich verrate auch kein Geheim- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nis, wenn ich sage, daß in der F.D.P. intensiv darüber Herr Minister, kommt Ihnen die Formulierung zur nachgedacht wird, wie man im Rahmen der Verfassung Beweislasterleichterung in unserem Gesetzentwurf die in der Tat vorhandenen Defizite mit einer Diskrimi- nicht bekannt vor? Wir haben sie im Verhältnis 1:1 nierungsvermeidungsstrategie angehen kann. aus dem Arbeitsrecht § 611 a BGB, übertragen. Wür- Ich halte deshalb den Vorschlag, nicht nur dem den Sie mir zustimmen - Sie haben eben ein Beispiel Ehepartner, sondern jedem hinterbliebenen Haus- aus dem Mietrecht angeführt; im § 611 a BGB geht es haltsangehörigen den Eintritt in den Mietvertrag zu um Frauen -, daß das jetzige Arbeitsrecht nicht dazu ermöglichen, für höchst sinnvoll. Allerdings - auch führt, daß eine Frau, die sich auf eine Stelle bewirbt das muß man nachdrücklich bedenken - müssen und ansonsten nur männliche Konkurrenten hat, dann, wenn der Kreis der Personen erweitert wird, automatisch eingestellt werden müßte? Vielmehr ha- die in den Mietvertrag eintreten können, wahr- ben wir in der Tat noch große Probleme bei der scheinlich auch dem Vermieter erweiterte Kündi- Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ar- gungsmöglichkeiten zugestanden werden, um eine beitswelt, obwohl wir diese Beweislasterleichterung ausgewogene, faire Regelung zu schaffen. in diesem Bereich geschaffen haben. Würden Sie mir zustimmen, daß Ihr Beispiel in der Weise, wie Sie es Letzter Aspekt: Der Anspruch auf Gleichbehand- interpretiert haben - wir werden das im Aussschuß lung im Rechtsverkehr im Antidiskriminierungsge- en détail diskutieren können -, auf diese Rechtsfrage setz vom Bündnis 90/Die Grünen schießt in meinen vielleicht gar nicht anwendbar ist? Ist es nicht viel- Augen weit über das in allen Absätzen des A rt. 3 des mehr so, daß es erst dann zur Anwendung kommen Grundgesetzes verankerte Gleichbehandlungsgebot kann, wenn die Glaubhaftmachung entsprechend bzw. Nichtdiskriminierungsgebot bzw. Diskriminie- materieller gestaltet ist, als Sie es hier angedeutet ha- rungsverbot hinaus. Denn dieses verbietet dem Bür- ben, und daß diese Beweislasterleichterung nicht auf ger Differenzierungen nicht. Das, was die Grünen jeden Bereich, auf den das Gesetz generell anwend- veranstalten, ist typische Regelungseuphorie und Be- bar ist, passen wird? vormundungslinie. So wird man jedenfalls nicht zur Rechtsstaatspartei. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Sie dürfen nicht Durch die komplizierte, pardon, durch die konzi- nur eine Frage stellen; vielmehr müssen Sie auch ste- pierte -, wenn sie kompliziert wäre, wäre sie noch hen bleiben, Herr Kollege Beck. viel diskussionswürdiger, sie ist nicht einmal kompli- ziert, sondern sehr durchsichtig - Beweislastumkehr Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wird sogar praktisch die Vertragsfreiheit aufgehoben Es tut mir leid. und ein strafbewehrter Kontrahierungszwang einge- führt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Formulierung kommt Ihnen aber nicht bekannt vor? Das ist § 611 a Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister der BGB!) Justiz: Ich würde Ihnen gerne so entgegenkommen, wie Sie erheischen, wenn Ihr Text tatsächlich so - Herr Beck, lesen Sie Ihren Gesetzentwurf einmal wäre, wie Sie es jetzt vorgeben. Er ist aber eben nicht wirklich kritisch durch! so differenziert, er ist nicht abgewogen, je nach Ma- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. April 1998 21413

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig terie unterschiedlich, nämlich angemessen, vielmehr zu üben. Ich glaube, daß der Anstoß, den wir durch wird in ihm pauschal vorgegangen. Sie versuchen die Anträge erfahren haben, gut und diskutierens- mit ihm Dinge zu dekretieren, die in ihrer Allgemein- wert ist; dabei sollten wir uns aber immer um Ratio- heit für alle Lebensbereiche nicht akzeptabel sind. nalität und Augenmaß bemühen. Sie versuchen genau das zu lancieren, was ich zuvor aufgezählt habe. Im Rechtaussschuß wird man dar- Besten Dank. über natürlich noch im einzelnen sprechen müssen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich sage Ihnen deutlich: So geht es nicht. Die Quintessenz aus allem ist jedenfalls, daß dis- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- kriminierendem Fehlverhalten im Alltag nicht mit mit die Aussprache. Freiheitsbeschränkungen oder umgekehrter Diskri- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen minierung begegnet werden kann. Dies richtet sich auf den Drucksachen 13/9706, 13/9961 und 13/10081 wirklich gegen den Gesetzentwurf der Grünen für an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse ein Antidiskriminierungsgesetz. vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Der Glaube an die gesellschaftsverändernde Kraft Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. einfacher gesetzlicher Federstriche sollte endlich zu Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Grabe getragen werden. Es kann nur richtig sein, wenn wir die intensive gesellschaftliche Anstren- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- gung mit rechtlichen Dingen unterfangen. Wir soll- destages auf Mittwoch, den 6. Mai 1998, 13 Uhr ein. ten uns weniger als Gesetzgeber denn als Politiker Die Sitzung ist geschlossen. und Mitbürger gefordert fühlen, Verständnis zu wek- ken sowie Toleranz zu fördern und vor allem selbst (Schluß der Sitzung: 17.14 Uhr)

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Anlage zum Stenographischen Bericht

Anlage entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Reinhardt, Erika CDU/CSU 30. 4. 98 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Reschke, Otto SPD 30. 4. 98 Dr. Rexrodt, Günter F.D.P. 30. 4. 98 Bahr, Ernst SPD 30. 4. 98 Dr. Rochlitz, Jürgen BÜNDNIS 30. 4. 98 Becker-Inglau, Ing rid SPD 30. 4. 98 90/DIE Braune, Tilo SPD 30. 4. 98 GRÜNEN Dr. Bürsch, Michael SPD 30. 4. 98 Rübenkönig, Gerhard SPD 30. 4. 98 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 30. 4. 98 Saibold, Halo BÜNDNIS 30. 4. 98 Peter Harry 90/DIE GRÜNEN Dempwolf, Gertrud CDU/CSU 30. 4. 98 Schild, Horst SPD 30. 4. 98 Dr. Dregger, Alfred CDU/CSU 30. 4. 98 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 30. 4. 98 Duve, Freimut SPD 30. 4. 98 90/DIE Dr. Gerhardt, Wolfgang F.D.P. 30. 4. 98 GRÜNEN Glos, Michael CDU/CSU 30. 4. 98 Schmidt (Salzgitter), SPD 30. 4. 98 , Graf (Friesoythe), Günter SPD 30. 4. 98 Wilhelm Gysi, Andrea PDS 30. 4. 98 Schütz (Oldenburg), SPD 30. 4. 98 Dietmar Frhr. von Hammerstein, CDU/CSU 30. 4. 98 Carl-Detlev Schütze (Berlin), CDU/CSU 30. 4. 98 Diethard W. Hanewinckel, Christel SPD 30. 4. 98 Schulte (Hameln), SPD 30. 4. 98 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 30. 4. 98 Brigitte Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 30. 4. 98 Schultz (Everswinkel), SPD 30. 4. 98 Hempelmann, Rolf SPD 30. 4. 98 Reinhard Hiller (Lübeck), Reinhold SPD 30. 4. 98 Schwanitz, Rolf SPD 30. 4. 98 Hoffmann (Chemnitz), SPD 30. 4. 98 Seidenthal, Bodo SPD 30. 4. 98 Jelena Terborg, Margitta SPD 30. 4. 98 Janz, Ilse SPD 30. 4. 98 Dr. Thalheim, SPD 30. 4. 98 Dr. Jüttner, Egon CDU/CSU 30. 4. 98 Gerald Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 30. 4. 98 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 30. 4. 98 Kurzhals, Christine SPD 30. 4. 98 Titze-Stecher, Uta SPD 30. 4. 98 Dr. Leonhard, Elke SPD 30. 4. 98 Tröger, Gottfried CDU/CSU 30. 4. 98 Lüth, Heidemarie PDS 30. 4. 98 Türk, Jürgen F.D.P. 30. 4. 98 Meißner, Herbert SPD 30. 4. 98 Vergin, Siegfried SPD 30. 4. 98 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 30. 4. 98 Vosen, Josef SPD 30. 4. 98 Oesinghaus, Günther SPD 30. 4. 98 Welt, Jochen SPD 30. 4. 98 Papenroth, Albrecht SPD 30. 4. 98 Dr. Wolf, Winfried PDS 30. 4. 98 Dr. Pick, Eckhart SPD 30. 4. 98 Zierer, Benno CDU/CSU 30. 4. 98 Regenspurger, Otto CDU/CSU 30. 4. 98 Zwerenz, Gerhard PDS 30. 4. 98