„EMPFANGSHALLE“, KÜNSTLERDUO CORBINIAN BÖHM UND MICHAEL GRUBER

CORBINIAN BÖHM UND MICHAEL GRUBER

BIOGRAFIE ARBEITEN, PROJEKTE, AUSSTELLUNGEN, PREISE ( AUSWAHLSCHWERPUNKT ÖFFENTLICHER RAUM AB 200 5 ) CORBINIAN BÖHM 2015 „Goldrausch“, Kunst im öffentlichen Raum im Rahmen des Kunstfestivals 1966 geboren in München Pasing by, an der Pasinger Mariensäule 198 8–1990 Studium der Kunstgeschichte an der LMU 2014 „Fuck you Zug“, ein Film in Zusammenarbeit mit Funda Gül Özcan „Kunst - Ausbildung zum Holz- und Stein bildhauer KulturRespekt“, konzeptuelle Gruppenausstellung in der Galerie der Künst - Studium der Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste München ler, München bei Pia Stadtbäumer, Anthony Gormley, Asta Gröting und Rita McBride „Das große Reinemachen“, konzeptuelle Gruppenausstellung im Kunsthaus 2000 Meisterschüler, Diplom Nürnberg, Nürnberg 2013 „Hinterm Horizont“, Kunst-am-Bau-Projekt für die JVA Heidering, 2012 „Komsomolets“, ortsspezifische Videoarbeit, Art Symposium ALANICA in MICHAEL GRUBER Vladikavkaz, Russia „Caspar“, Hauser XII, Loft – Raum für Kunst, Ansbach 1965 geboren in Mallersdorf „arabian countdown“, temporäre Arbeit in der Rotunde der Pinakothek der Ausbildung zum Holz- und Steinbildhauer Moderne, München Studium der Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste München, 2011 „taggen“ am KunstKiosk, Sendlinger Tor, München bei Hans Ladner, Anthony Gormley, Asta Gröting sowie bei Gastprofessor „ Peak“, im Rahmen von „Transformationen“, Galerie Kampl, München Timm Ulrichs 2010 „The Benjamin Project“, Einzelausstellung He Xiangning Art Museum, 1999 Meisterschüler, Diplom Shenz hen, China „Hinterm Horizont“, Ausführung des gewonnenen Kunst-am-Bau-Konzeptes für die JVA Heidering, Berlin 2009 „Art on Site“, NCCA Moskau und Goethe-Institut, Kaliningrad, Russland

214 KÜNSTLERPORTRÄTS „EMPFANGSHALLE” 215 EPHEMERE SKULPTUR UND IN STEIN GEMEISSELT

„Aus dem öffentlichen Raum schöpfen wir wohner eines Hochhauses, die ihre Hausord - das Rohmaterial für unsere Arbeit. Wir sind nung aus allen Stockwerken von den Balkonen Beobachter und finden vielfältige Strukturen: riefen (Hausordnung, Video, München 200 5). gesellschaftliche, menschliche, ortsspezifische . Wir finden einen Weg zur Nutzung dieser Der neue Skulpturenbegriff entgrenzt die tradi - Strukturen und diskutieren dabei die Frage, tionellen Kategorien plastischer Form durch die wann und wie hier Kunst entstehen kann – Ausdehnung im Raum, das entscheidende Mo - in welchem Medium auch immer. Hier spannt ment der Bewegung sowie die dadurch einge - sich unser Arbeitsfeld auf: zwischen Privat - führte Dimension der Zeit. Hier findet eine Ent- sphäre und globaler Öffentlichkeit.“ materialisierung des Kunstwerks statt und eine (Corbinian Böhm und Michael Grube r) Überführung in temporäre Strukturen.

ALTAR UND AMBO, ST. PETER, LENGDORF, 2014 Das Künstlerduo „Empfangshalle“ wurde im Jahr Im Rahmen des internationalen Kunstkonzeptes 2000 v on Corbinian Böhm und Michael Gruber „Overtures am Wasser“ wurde die „Empfangs - in München gegründet. Die Namensgebung halle“ 2002 von Artcircolo eingeladen, in Gel - ver weist auf das erste gemeinsame Atelier am senkirchen ein Projekt im öffentlichen Raum zu 2009 „Beauty and the beast“, 3. Moskow Biennale, Russland Hauptbahnhof in einer ehemaligen Empfangs - realisieren. Mit großem Einfühlungsvermögen „Kunst zur Arbeit“, Opelvillen, Rüsselsheim halle und lässt bereits erahnen: In die künstle - wurden zwei offenkundige Probleme der Stadt „The Benjamin Project“, Gallery Diet, Miami, USA rischen Projekte werden oftmals auch Außen- lokalisiert und „behandelt“. Die katholische „Paradiso“, Diözesanmuseum Freising stehende einbezogen, ob als Akteur oder nur als Props teikirche St. Urbanus in - 2008 „thevoyagebeyondtime“, China Cup, , China Beobachter. Buer, errichtet 1893, war im Zweiten Weltkrieg „3+ 2=4“ DG Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst, München bombardiert worden und dabei die Turmspitze „seesaw“, Dina4, Atelier, Berlin Die beiden Künstler definieren den Begriff des vernichtet. Der Turmstumpf wurde nach dem „Golden Gate“, Kunst-am-Bau-Projekt, Schulzentrum Fürstenfeldbruck Bild hauers neu: Neben klassischen Skulpturen Krieg als Mahnmal für den Frieden nicht wieder „Paradoxien des Öffentlichen“, Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg entstehen auch performative und ephemere Ar - rekonstruiert. Dies ist Teilen der Stadtbevölke - Steiner Stiftung für „The Benjamin project“ beiten. Theodor W. Adorno verbindet bereits rung ein Dorn im Auge, da der Stumpf über der 200 7 „Mobile journey”, 52. Biennale di Venezia, Italien 1970 in seiner Abhandlung über die Kunst „Äs - In nenstadt wie ein Wahrzeichen thront. Ein noch „Woher Kollege Wohin Kollege“, Fototriennale Esslingen th etische Theorie“ das ephemere Kunstwerk mit drängenderes Problem der Stadt ist die hohe „urban stories“, Berlin den Phänomenen der Sensation und des Spek - Ar beitslosenquote. Die „Empfangshalle“ ver - 200 6 „Image Flux: China“, Guangzhou, China ta kels. 1 Eine passende Verknüpfung für die Pro - knüpfte mit dem Projekt „Gelsenlos“ beide Miss - „as if we were alone“, Ars Electronica, , Österreich jekte der „Empfangshalle“, denn manchmal er - stände. Ein arbeitsloser Straßenverkäufer einer „der hausderkunst preis“, Kunstpreis , München scheint die Grenze fließend zur darstellenden Obdachlosenzeitschrift erhielt eine kioskartige „asifwewerealone“, Filmfest München Kunst. Bei manchen Projekten tritt die „Emp - Behausung, die im Umfeld von St. Urbanus in Eröffnungsausstellung im „H2”, Augsburg fangshalle“ selbst in Aktion, doch oftmals wer - der Fußgängerzone aufgestellt wurde. Er konnt e „Klopstockstr. Haus 6“, Petulapark, München den andere Menschen eingeladen oder aufge- den Kiosk nutzen, um das „Gelsenlos“ an die 200 5 „Willkommen in “ im Rahmen von „Zwischengrün“, fordert, Handlungen durchzuführen. So z. B. das Vor beieilenden zu verkaufen. Das Gewinnerlos Kunstverein Leipzig Quartett der Aufseher, die sich als lebendiger bevollmächtigte den Gewinner, das eigentliche „Ein Kreuz für das 21. Jahrhundert“, Diözesanmuseum Freising Brunnen im Stadtzentrum aufstellen ließen (Brot Kunstwerk zu initiieren: Für einige Sekunden „ge:ihinho:l”, Kunstprojekt mit Megaplakaten, ortstermine, München & Butter, Aktion, Augsburg, 200 4) oder die Be - wurde die zerstörte Turmspitze allen Anwe sen -

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den sichtbar gemacht. Die Künstler hatten riesi- dazu wurde der Ambo als sich nach oben ver - ge Wasserfontänen auf dem Turmstumpf ange - jüngender Säulenstumpf geformt. Die Grund - bracht, die die ursprüngliche Form des Daches form des Altares ist in Messing als Buchstütze, nun für einen Moment mittels Wasserstrahlen angeschnitten durch die Buchform, auf dem in den Himmel zeichneten, bevor die Illusion Ambo wiederzufinden und verdeutlicht sehr sich der Schwerkraft hingab und als mächtiger schön nochmals das Thema der Dreieinigkeit. Wasserschwall auf den Platz klatschte. Es ge - Die Materialwahl des Altars, weißer Marmor, lang den beiden Künstlern durch ihre Interven - nimmt Bezug auf den heiligen Petrus, zu dem ti on, zwei gewichtige Probleme der Stadt zu the- Je sus sagte: „Du bist Petrus der Fels, und auf matisieren, einer breiten Öffentlichkeit zu prä - diesen Felsen werde ich meine Kirche erbauen“ sentieren und mit einem zwinkernden Auge kre- (Mt 16,1 8). Der Marmorblock wurde von den ative Lösungsansätze anzubieten. Künstlern im italienischen Laas ausgewählt, vor Ort noch in die gewünschte Form gebracht und Die „Empfangshalle“ ist nicht nur für ephemere nach München transportiert. Im Atelier wurden Skulpturen bekannt, sondern blickt auf eine Rei - dann die Oberflächen manuell bearbeitet. Die he ausgezeichneter, physisch greifbarer Arbei - Künstler entschieden sich für eine zeitgenössi - ten zurück. Zu nennen wäre hier die Realisierung sche Oberflächenbearbeitung, wie sie mit einer von Altar und Ambo für St. Peter in Lengdorf im mechanischen Seilsäge entstehen würde, um Jahr 2 014. Nach dem zweiten Vatikanischen den heutigen Produktionsprozess zu dokumen - Konzil wurde St. Peter mit einem provisorischen tieren. Da sich dieser maschinell nicht verwirk - Volksaltar ausgestattet. Für die Realisierung ei- lichen ließ, weil der Altar konisch zuläuft, wur- nes neuen Altars und Ambo wurden Corbinian den die Riefen von Hand eingearbeitet. Das Er - Böhm und Michael Gruber ausgewählt. Die Ge - gebnis ist ein sehr lebendig wirkendes Oberflä - meind e konnte sich in mehreren Treffen mit chenrelief. Die Aufstellung des neuen Altars den Künstlern austauschen und wurde über die kaschiert die Überformungen des Kirchenrau - Vorgehensweise informiert. Die Grundidee für mes der Vergangenheit und harmoniert in der eine neue Form nimmt vor allem die schwierige farblichen Zurückhaltung mit dem bestehenden

räumliche Situation der Hallenkirche auf. Diese barocken Hochaltar. BENITA MEISSNER war im Laufe der Jahrhunderte mehrfach um - gebaut und erweitert worden mit dem Ergebnis , dass der Mittelgang nicht mittig auf den Hoch - altar zuführt, die Achsen des Hauptschiffes und des rechten Seitenschiffes verschoben und die Seitenaltäre nicht einheitlich ausgebildet sind.

Es wurde also nach einer Figur gesucht, die ANMERKUNGEN keine Hauptansichtsfläche ausbildet, sondern 1 Ralph Schnel l/Georg Stanitzek, „Ephemeres, Mediale Innovationen 190 0/ 2000“, Universität Siegen, trans- sich nach den verschiedenen Blickrichtungen cript Verlag, Bielefeld 20 05, S . 10. ausrichtet. Die Lösung war eine rundliche Form aus drei ineinandergreifenden Kegelstümpfen, ABBILDUNGSNACHWEIS die nach unten hin konisch zulaufen. Passend „Empfangshalle“, München: S. 21 5‒21 6, 21 8

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