UEBERSICIIT

DER

GEOLOGISOHEN VERHÄLrrNISSE

DER LANDSCHAFT IN OBERlTALlEN

VON

DR. FRIEDR. ROLL.E.

WIESBADEN. J. F. BERGMANN.

1878. ~".

VORREDE.

Die Zusammenstellung meiner geologischen Beobachtungen in den Umgebungen von Chiavenna, welche ich hier der Oeffent­ lichkeit übergebe, sind ein Theil der Ergebnisse der geologischen Aufnahme inden drei Sommern 1875, 1876, 1877 während welcher ich im Auftrage der Schweizerischen geologischen Commission die Gegend von Chiavenna, einen Theil von Graubünden und einen Theil von Tessin bereiste. Von Vorarbeiten konnte ich nur die Werke der Herrn Sfttdet', Escher und Theobald benutzen. Zu voller Klarheit bringen auch meine Arbeiten den Gegen­ stand nicht. Gebirge- und Lagerungsverhältnisse bieten hier zu oft Schwierigkeiten. Bald legen sich unersteigbar schroffe Fels­ abstürze dem geologischen Forscher in den Weg, bald unterbricht ungünstige Witterung die an sich schon mühsame Reise im Hoch­ gebirg. Endlich geht viele Arbeit in Folge ungenügender karto­ graphischer Grundlage frühe wieder verloren. Erst nach allem dem kommt die geologische Projection und Construction, die Deu­ tung problematischer Lagerungen und die Entzifferung räthsel• haftel' oder in der Zusammensetzung schwankender Gesteine. Es ist darnach kein Wunder, wenn man unter so schwie­ rigen Verhältnissen nach mehrjähriger Arbeit noch an der Pforte zu stehen vermeint und fast mehr Neigung fühlt, von vorn wieder anzufangen als die Ergebnisse der Forschung der Oeffentlichkeit anzuvertrauen. Wenn dies gleichwohl hiermit schon für einen kleinen TheiI des mir zugewiesenen Arbeitsfelds geschieht, so lag einerseits t+0f&'16 '" '"b '\() & c;..

fY ~ D I die Gefahr vor, dass mir nach längerem Zögern der frische Ein­ druck der besonderen Beobachtungen allmählig verjähren und ent­ schwinden würde, andererseits das Bedürfniss, meine allgemeinen Ansichten der Kritik anderer Geologen zu unterbreiten, um bei späterer Veröffentlichung Einwänden begegnen oder nachgeben zu können. Ho m bur g vor der Höhe, Februar 1878. Dr. Friedr. Rolle. INHALT.

Einleitung Seite 1 Gebirgsfaltung, Massive und streichende Zonen 3 " Das ,Massiv . . 9 Das Tessiner Massiv . . . . 19 Das Massiv des Monte della Disgrazia und des Bernina 21 Das Seegebirge . . . . . 24 Reihenfolge und Lagerung der Formationen 25 Jüngere Gebilde 39 " Gebirgs- und Thalbildung 40 " Die See-Bildung 61.

Uebersicht

der geographischen Verhältnisse der Landschaft Chiavenna in Oberitalien.

Die Landschaft Cläven oder das Mandamento di Chiavenna, [Provincia di Sondrio], begreift 13 Gemeinden. Von diesen folgen sich im Liro-Thale von Nord gegen Süd 1) Isola (oder Isolato), 2) Cam­ podolcino, 3) Sant Giacomo, 4) Chiavenna. Oestlich von da im unteren Bergell liegen 5) Piuro oder Plürs, 6) Villa di Chiavenna. Westlich von Chiavenna liegt 7) Mese. Dann folgen sich der Maira entlang weiter in Süd 8) Prata, 9) Gordona, 10) Menarola, 11) Samolaco, 12) Novate und 13) Verceja. In Nord, West und Ost grenzt die Clävener Landschaft an Schweizer Gebiet, in Süd an das Veltlin oder Addathal und an die Provinz Como. U ebrigens greifen hier Italienisches und Schweizerisches Gebiet in langen Schleifen so weit in einander über, dass die geologische Be­ trachtung sich nicht eng an die politischen Grenzen binden lässt und die auf dem einen Gebiet gewonnenen Ergebnisse die Verhältnisse des andern erläutern helfen müssen, was um so mehr gilt, als grosse Strecken des Gebiets aus schwer zugänglichem Hochgebirg bestehen. Ich habe im Sommer 1875 und 1876 das Clävenerland und überhaupt das Gebiet von Splügen und Ferrem (Cant on Graubünden) in Süd hinab über Chiavenna bis an den Corner-See (Colico und Gra­ vedona) im Auftrag der Schweizerischen Commission geologisch unter­ sucht. Als Grundlage der Aufnahme diente die vom österreichischen Generalstab herausgegebene Lombardische Karte (1 : 86,400), die beste, die über diesen Theil des italienischen Gebiets vorliegt. Leider ent- Rolle, Chia venna. 1 2 hält sie gar keine Höhenangaben und auch die kartographische Aus­ führung ist vielfach und namentlich im Hochgebirge für gen aue geolo­ gische Aufnahme ganz ungenügend. Das Blatt XIX des Schweizerischen Dufour-Atlases (Bellinzona, Chiavenna, 1: 100,000) ist zwar für italienisches Gebiet noch dürftiger ausgestattet, von der Schweizer-Grenze an aber genauer ausgeführt und mit zahlreichen Höhenangaben versehen, so dass auch die geolo­ gische Aufnahme von der Schweizer-Grenze an wesentlich günstiger gestellt erscheint. Auf Schweizer-Gebiet und für das italienische Val di Lei konnte ich auch die topographischen Blätter (1: 50,000) benutzen. Die Gebirge von Chiavenna werden im Allgemeinen den Rhätischen Alpen zugezählt. Doch ist die Abgrenzung derselben gegen die in Westen gelegenen Lepontinischen Alpen unsicher und wiIlkührlich. So wird die Grenze bald am Splügen bald am Bernhardin angenommen. Indessen ist die Unterscheidung von Rhätischen und Lepontinischen Alpen auf die alte schier unentwirrbare Ethnographie gegründet - Völkerwohnsitze schieden sich aber eher an hohen Gebirgskämmen und könnte darnach vielleicht noch mehr das Rheinwaldhorn mit dem Kamme des Adnla-Stocks darauf Anspruch machen als Grenzpunlrt an­ genommen zu werden.*) Uns liegt die Aufgabe näher, die Abgliederung der einzelnen Gruppen de!' Alpen auf Grund des geologischen Baus durchzuführen. In letzterer Hinsicht steht der Aufbau der die Alpen durchzieh­ enden liI ass i v e oder g e 0 log i s c h e n S t ö c keim Vordergrund und muss vor allen Dingen in Betracht gezogen werden. Aber auch die Abglie­ derung des Gebirgs naeh Massiven hat ihre schwachen Seiten, indem die Massive nicht alle gleich stark ausgeprägt erscheinen und nicht überall sich scharf abgrenzen, ausserdem auch grosse Strecken des alpinen Gebiets nur streichende Zonen ohne augenfällige Massiv­ bildung darstellen und nur ergänzungsweise den Massiven zugerechnet werden. Die Eintheilung der Alpen nach dem geologischen Bau wird daher auch nie zu ganz scharfen Grenzen führen, um so weniger also die aus älterer Zeit überkommenen Gruppen-Bezeichnungen - Rhätische Alpen,

*) A. Escher und B. Studel·. Geologische Beschreibung von Mittel­ Bünden. 1839. Seite 13 u. 14. B. Studer. Geologie der Schweiz. B. 1. 1851. S. 242. 3

Lepontinische, Peninische u. s. w. - ganz beseitigen I,önnen. Aber auch orographische Configuration und geologische Construction stimmen vielfach nicht mit einander überein. Man muss darnach immer zwei oder mehr un­ gleichwerthige Verfahren der Eintheilung zugleich im Auge behalten und darf nicht darauf rechnen, das eine auf das andre genau zurückführen zu können.

Gebirgsfaltung, 11lassive und streichende Zonen. Prof. Studer hat, so viel mir bekannt ist, zum ersten Male in seiner Geologie der westlichen Schweizer-Alpen, 1834, Seite 26 und 27, den Begriff der Ge b ir g sm as s e entwickelt und dieselbe als eine Gebirgsgruppe bezeichnet, in welcher sich Ein h e i t der A n 0 I' d nun g und S tr u c t u I' geltend macht. Die Untersuchung dieser Gebirgsmassen erkannte er damals SChOll als die nächste und dringendste Aufgabe der Geologie der Alpen - und sie steht auch heute noch im Vordergrund. Die Bestimmung der Gebirgsmassen .oder Massive in der Gegend von Chiavenna und dem Comer-See folgte einige Jahre später und die­ selbe muss ihren Grundzügen nach auch beibehalten wel'den. Im Jahre 1839 stellten die Herren A, Escher und B. Studer in ihrer geologischen Beschreibung von Mittel-Bünden, Seite 12 - 16 für diesen Theil des Alpengebiets folgende zwei Centralmassen auf. 1. Das System der Adula-Gebirge, in welchem das Streichen (SO. nach NW.) fast senkrecht auf das herrschende Streichen der Alpen geschieht, gewöhnlich verbunden mit östlichem oder nordöstlichem Fallen. In diesem Gebiet wechseln vorherrschend Meridian-Ketten mit Meridian­ Thälern. 2. Die Centralmasse des Bernina. Sie verläuft südlich von Oberengadin und streicht in West gegen den Piano di Chiavenna. B. Studer. Geologie der Schweiz B. 1. 1851 unterscheidet in demselben Gebiet, Seite 110, S. 226, S. 242, S. 248, S. 254, 1) Das Adula-Gebirge, 2) östlich von demselben das Sureta-Gebirge. Zwischen diese beiden Hauptgruppen fallen die beq uernem Alpenpässe des Bernardin und des Splügen. 1* 4

3. Die Central1nasse des Bernina. 4. Die Tessiner-Alpen, in West vom Adula-Gebirg. Die Grenze dieser beiden Systeme setzt Studer beiläufig in Val Calanca oder Val Blegno. Wie das Sureta-Gebirge, mit dem Adula-Gebirg, so ist auch dieses mit den Tessiner-Alpen eng verbunden. 5. Das Seegebirge oder das westöstlich streichende Gebiet in Süden vom Bernina, dem Adula-Gebirge und den Tessiner-Alpen. Hierzu kommt noch 6. Das von G. TheobaZd (die südöstlichen Gebirge von Grau­ bünden 1866) unterschiedene Massiv des Monte delta Disgrazia, das derselbe vom Bernina-Massiv getrennt wissen will. Theobald S. 10 umgrenzt das Albigna-Disgrazia-Gebirg in Ost mit dem Mureto­ Pass, dem Ordlegna-Thal und dem oberen Malero- oder Malenco-Thal, im West mit dem uutern Lauf der Maira zwischen Chiavenna und dem Mezzola-See, im Nord mit demBergeller-Thal, im Süd mit dem ­ ThaI von Sondrio bis zum Comer-See. Das Streichen ist SW. in NO. und folgt also dem Hauptstreichen der Alpen. Dieses Massiv verbindet das des Bernina mit dem der Tessiner Alpen. Nach den Ergebnissen meiner geologischen Aufnahme im Sommer 1875, 1876, 1877, komme ich im Wesentlichen mit den von den Herrn Studer, Escher und Theobald entwickelten Grundzügen der Massiv-Abgliederung überein, weiche aber in mehreren Stücken ab. Das Suretta-Gebirg fasse ich ganz anders auf. Das Adula-System und die Tessiner Alpen betrachte ich als ein und dasselbe, nur durch eine geringe Einkerbung bei Olivone halbwegs abgegliederte Massiv. Deber die Scheidung des Bernina-Massivs in zwei besondere Gruppen habe ich keinen Grund mich auszusprechen, da die kritische Stelle ausserhalb meines Aufnahmegebiets liegt, ich folge aber vorläufig Theobald' s Annahme. In dem ganzen von mir untersuchten Gebiet von der Hinterrhein­ Quelle bis Madris und von Bellinzona bis ins untere Veltlin ist der Gneis vorwaltend und jedenfalls das älteste Gestein, welches zu Tag tritt. Das jüngste secundäre Gestein dieses Gebiets sind die grauen und grünen Bündner-Schiefer, welche ich mit TheobaZd beiläufig für Lias nehme, ohne übrigens grosses Gewicht auf diese ungefähre Alters­ bestimmung zu legen. 5

Nächst dem Vorwalten des Gneises fällt ein langer meridianer Zug von jüngeren Gesteinen auf, welche dem Lias angehören mögen, Es sind die grauen Bündner-Schiefer - mit grauem phyllitischen Schiefer, grünem chlorithaltigem Schiefer, grauem oft plattenförmigem Kalkstein, so wie auch mit Lagern von Glimmerschiefer und grünglimmerigem Gneis - welche aus Nord von Vals und Savien her das Hinterrhein­ Thai überqueren, im Osten vom Bernardin vorbeiziehen und erst in S. O. von Mesocco enden. Sie entsprechen entweder einer tiefgehenden Einmuldung oder einer einflügligen Einschaltung im krystallinischen Schiefergebirg, welche dieses in besondre Massive scheidet. In S. O. von Mesocco setzt sich diese Einmuldung weiter fort bis zum Forcola-Pass, auf welcher Strecke sie aber nur noch Glimmer­ schiefer eingelagert enthält. Von da zieht sie sich auf italienischer Seite fort bis Gordona am Rande des Maira-Thales (Piano di Chiavenna). Sie knüpft hier an die Glimmerschiefer-Zone von Chiavenna und die Vorkommen von Triaskalk bei Soglio und Bondo im Bergell an (Theo­ bald, 1866, Blatt 20). Weiter in Ost schliessen sich noch ausgebrei­ tete Vorkommen von Bündner-Schiefer an, die den Zusammenhang mit dem Oberhalbsteiner-Schiefergebiet vermitteln. Im Ganzen genommen haben wir hier also einen Muldenzug oder eine anderweitige Einschaltung von jüngern Gesteinen, welcher bald Bündner-Schiefer, bald Triaskalk beherbergt, bald auch in den Glimmer­ schiefer oder wie in einem Theile des Bergell sogar in den Gneis hinabreicht, aber auch hier noch in Gedanken sich wohl ergänzen und fortleiten lässt. Dieser Zug von jüngeren Gesteinen und muldenförmigen oder anderweitige Einlagerungen verschiedenaltriger Gesteine umschliesst ein fast kreisrundes Gebiet, welches das Tambo-Horn, das Suretta-Gebirg und die nördliche Bergeller Bergkette vom Pizzo Stella über den Galle­ gione begreift und einen westöstlich gestreckten Kern von Gneis mit Auflagerung von Glimmerschiefer, Triaskalk und Bündner - Schiefer erkennen lässt. Ein orographischer Mittelpunkt fehlt und am Splügenpass tritt sogar noch von Norden eine lange meridiane Einmuldung von Trias­ kalk herein, die bis Pianazzo (Splügenstrasse) hinabreicht und dem Liro­ Thale den Ursprung vorzeichnet. 6

Es wird daher auch schwer, für das oben umschriebene Massiv eine zutreffende Benennung zu finden. Vielleicht ist es, bei dem Mangel eines orographischen Mittelpunkts und der meridianen Einschal­ tung eines Thales mit streckenweiser Schichtenmuldung - angemes­ sen, das betreffende Gebiet älterer Gesteine als Liro-Massiv zu bezeichnen. Einen Theil desselben bildet das früher sogenannte Suretta-Massiv, welches aber, wie ich zu finden glaube, nicht mehr wohl als Massiv gelten kann, sondern nur noch secundäre Bedeutung behauptet. Das Suretta-Gebirg beherrscht zwar orographisch ein bedeuten­ des Berg- und Thalgebiet, besteht aber vorwiegend aus jüngerem Gneis den ü:h nach seiner Lagerung für' ein Aequivalent des Verruccano nehme. Das in West gegenüber liegende Tambo-Horn ist orographisch von geringerer Bedeutung und besteht auch nicht aus älterem Gneis sondern aus Glimmerschiefer mit einer untergeordneten eigenthümlich gearteten Gneismasse. Den eigentlichen Kern der betreffenden Gruppe bildet der ältere Gneis der hohen Gebirge beiderseits des Liro-Thales oder des Val San Giacomo. Ich werde daher für das durch das Suretta-Horn, Tambo­ Horn und den Pizzo-Stella bezeichnete Gebiet mich der Bezeichnung Liro-Massiv bedienen. Dieselbe wird daran erinnern, dass dieses Mas­ siv als Einheit nur geologisch, aber nicht orographisch ausgeprägt ist, ja von einer Mulde im obern Liro nahezu in zwei besondre Systeme eine Tambo- Gruppe und eine Suretta-Gruppe abgetheilt wird. Die aus Gneis bestehende Längsaxe des Massivs geht von West in Ost und wird vom Liro-Thale mit einer tiefen steilwandigen Schlucht durchbrochen, deren Bildung einer weit spätern Zeit angehört. Nach der Unterscheidung 1) der Zone jüngerer eingemuldeter Gesteine von Vals, Savien, Hinten'hein, San Bernardino und Mesocco und 2) des von jüngeren Zonen theils in Zusammenhang theils lücken• haft umschriebenen Liro-Massivs bleibt uns noch die Betrachtung von 3) Dem ausgedehnten Gneisgebiet in West und Süd vom Liro­ Massiv. Es begreift die von Prof. Studer unterschiedene Adula-Gruppe und die Tessiner-Alpen, dann im Süd vom Liro-Massiv die Central­ masse des Bernina oder vielmehr die durch Prof. Theobald von dieser abgegliederte Oentralmasse des Albigna-Disgrazia-Gebirgs; endlich weiter in Süd das von Prof. Studer unterschiedene Seegebirge. 7

Das Adula-Gebirge und die Tessiner-Alpen fasse ich nach den Ergebnissen meiner Aufnahme vom Jahr 1877 als ein zusammengehö• riges Ganzes auf. Doch gebe ich zu, dass die von Nord hereinreichende Einmuldung jüngerer Schichten bei Ghirone und Olivone, die ich noch nicht aus eigner Anschauung kenne, halbwegs die Unterscheidung einer Adula-Gruppe in Ost und einer Tessiner-Gntppe in West rechtfer­ tigen könnte. Soweit meine Aufnahme reicht, liegt hier ein zusammengesetztes Faltungsgebiet ohne deutlich erkennbaren oder wenigstens ohne bestimmt sich aufdrängenden Centralkern vor. Der Gneis ist durchaus vorherr­ schend, meist steil oder mässig steil aufgerichtet, seltener flach liegend. Ich kann mich der Vermuthung nicht erwehren, dass hier eine Reihe theils parallel gehender, theils querüber laufender l!'altungen vorliegt, die Medianen meist schief, die Sattel wölbungen aber abgetragen sind und daraus schliesslich der Anschein einer weit mächtigeren über einander folgenden Schichtenreihe hervorgegangen ist. Es dürfte sich empfehlen, das Gebiet der Adulagruppe und der Tessiner-Alpen als Tessiner· Faltungsgebiet zusammenzufassen. Viel­ leicht, wenn man von der sehr unvollkommenen Abgrenzung absieht, darf man es auch Tessiner-Massiv nennen. Die Hauptrichtung des Streichens oder nach meiner Meinung der Faltung geht in Mesocco, Calanca und Blegno von Nord in Süd oder von NNW. in SSO. Weiter südlich streichen die Schichten westöstlich oder vielmehr nach meiner Meinung liegt eine westöstlich verlaufende Faltung mit Mulden- und Sattelbildung vor. Gleichviel, wie auch die schwel' zu erweisende Construction des Gebirgs hier in Wirklichkeit geartet sein möge, etwas Thatsächliches liegt sicher zu Grunde. Namentlich darf ich auf eine Angabe der Herrn Escher und Studer (Mittelbünden 1839, Seite 13) zurück• greifen. Nach dieser endet das meridiane Streichen und östliche Fallen des Adula-Systems am Lago di Mezzola und bei Grono sowie am Aus­ gang von Mesocco. Dies ist ganz richtig und zwischen Grono und BeIIinzona liegt eine westöstlich streichende Mulde im Gneis. Der nördliche Flügel hat südliches, der südliche Flügel nördliches Einfallen und auf jedem Flügel erscheint ein Lager von körnigem Kalk eingeschaltet, einerseits 8 das Lager von Castione bei Lumino und das der Traversegna, ander­ seits das Lager von Pedemonte bei Bellinzona und diese bei den Flügel hängen allem Anschein nach in der Tiefe zusammen. Ich nehme darnach auch für das meridian streichende Gneisgebiet von Mesocco, Calanca und Blegno eine Faltung und nachmalige Degra­ dation der Sattelwölbungell an, nur dass hier die Faltung quer zum Hauptstreichen der Alpen verläuft. In der Faltung erblieke ich eine Wirkung von mächtigem Seiten­ druck, der hauptsächlich von NW. oder SO. ausging und das herrschen·de Streichen SW. in NO. zur Folge hatte, aber auch durch Stauung ab­ weichende Falten emporwarf, die vorzüglich senIrrecht zum herrschenden System verlaufen. Es verbleibt nun noch die Aufgabe einen Blick auf das von Prof. Studer als Massiv aufgeführte Seegebirge zu werfen. Eine westöstlich streichende Zone verschiedener Schichten ver­ läuft aus dem Veltlin in West über den Comer-See, den Jorio-Pass und die Val Morobbia bis nahe gegen die Flussebene des Tessin. Den Gneis unterteuft hier Hornblendegneis, diesen aber Glimmerschiefer. Die Schichtenfolge ist offenbar umgekehrt. Da im Glimmerschiefer dieser streichenden Zone im unteren Velt­ lin bei Gravedona und im Westen vom Jorio-Pass eingemuldete strei­ chende Partien von Triaskalk auftreten, kann man diese jüngeren Schichten als Andeutung gelten lassen, dass hier die Massive sich abgrenzen, an der Nordseite das Tessiner Massiv und weiter östlich das Disgra­ zia- und Bernina-Massiv, in Süd das Seegebirg. Auf das letztere näher einzugehen, habe ich keinen Grund, da nur ein kleiner Theil seines ~ordrandes in mein Aufnahmsgebiet fällt. Die Massive oder geotektonischen Einheiten, wie ich sie in der Landschaft Chiavenna und ihrer nächsten Umgebung annehme, sind darnach folgende: 1. Das Liro-Massiv, a) östliche Hälfte, Saretta-Gruppe, b) westliche Hälfte, Tambo-Gruppe. H. Das Tessiner-Massiv, a) östliche Hälfte, Adula-Gruppe, b) westliche Hälfte, Tessiner-Gruppe. 9

III. Das Bernina-Massiv, a) östliche Hälfte, Bernina-Gruppe, b) westliche Hälfte, Disgrazia-Gruppe. IV. Das Seegebirge. Die M ass i v e überhaupt sind nach meiner Deutung nur Fa 1 tun g s­ er s eh ein u n gen, aher von grösserer Unregelmässigkeit als dies bei ge­ wöhnlichen Schichtenfaltungen der Fall zu sein pflegt, also vel'muth­ lieh unter heftigerem mehrseitigem Druck entstanden, der an 8tellen der Stauung eine Bildung von verschiedentlich streichenden und fallen­ den Falten zur Folge hatte. FächersteIlung kommt zwar in dem er­ örterten Gebiet vor, ist aber kein wesentlicher Charakter und nur ein Anzeichen von örtlich gesteigerter Heftigkeit des Vorgangs der Faltung und Hebung. Eruptive Gesteine finde ich nicht bei der Gebirgsbildung betheiligt. Die jüngeren Gesteine, welche die Massive umgrenzen, zeigen theils mnldenföl'mige Einlagerung mit meistens schiefer Mediane, theils sind es einflüglige Gebirgsumkippungen von räthselhafter Gestaltung. Theils auch blfibt man hier ganz rathlos vor der Aufgabe einer erläu• ternden Construction - wie namentlich im Tessiner Val Morobbia. Die Abgrenzung der Massive beruht darnach nur auf Zügen tieferer Einmuldung oder anderweiter Einschaltung jüngerer Lager. Abgrenzung von Massiven nach quer übersetzenden Thalebnen erscheint nicht stich­ haltig, kann aber zum Behuf besserer Uebersicht zugelassen werden.

Das Liro -Massiv. *) Das Liro-Massiv hat nach seinem weitsten Umfang - den grünen Suretta-Gneis mit dem Triaskalk einbegriffen - rundlichen Umriss. Im Innern herrscht theils das normale Streichen der Alpen, theils die meridiane Aufwerfung. , Den Kern bildet eine westöstlich ziehende Gneis· Zone, die vom Pas so della Forcola, dem Passo di Lendine und dem Gebirge des Lago

*) E. Des01', Gebirgsbau der Alpen. Wiesbaden 1865. Cel1tralmasse des Sureta. Seite 27. lJ. Studel'. Geologie der Schweiz. B. I.. 1861. S. 248. Das Sm·eta-Gebirge. 10 di Truzzo in Ost geht, zwischen Cimaganda und San Giacomo vom tief und steilwandig eingeengten Liro-Thal durchsetzt wird und dann die nördliche Bergeller-Bergkette mit dem Pizzo Stella und dem Galle­ gione bildet. Das Fallen in dieser Centralaxe ist nördlich. Beiderseits liegt Glimmerschiefer, an der Nordseite als wahres Hangendes, an der Südseite als scheinbares Liegendes. Gegen Nord folgen auf den Glimmerschiefer die Tria:sbildungen von Ferrera und Avers, dann der Bündner-Schiefer. Gegen Süd im Bergell zwischen Chiavenna und Castasegna wird der Glimmers,chiefer von der nördlich einfallendenLavez-Zone unterteuft und diese begreift Hornblendeschiefer mit Lavez, Serpentin, Schriftgranit u. s. w. Diese Lavez-Zone ruht auf einer westöstlich streichenden sehr breiten Gneis-Zone, welche dem Bernina- oder Disgrazia-Massivangehört. Die Lagerungsfolge Gneis, Lavez-Zone, Glimmerschiefer und noch­ mals Gneis deutet zunächst auf einen Muldenzug zwischen zwei Gneis­ Massiven mit schiefer Mediane. Aber als einfache Mulde lässt sich gleichwohl der Durchschnitt nicht construiren. Eher möchte man an eine grossartige Ueberkippung von Gneis über Glimmerschiefer denken. Der Glimmerschiefer selbst enthält kleinere Einmuldungen von Trias­ kalk (bei Soglio und BOlldo nach Theobald's Aufnahme.) Dieses Lagerungsverhältniss ist und bleibt vor der Hand noch räthselhaft. Es ist nicht einmal zu sagen, ob der das Hangende der Lavez-Zone bildende Glimmerschiefer ein wahres Hangendes derselben ist. An der Westseite des Liro-Massivs verläuft der meridiane (NNW. in SSO. streichende) Zug der Bündner-Schiefer von Hinterrhein, San Bernardino und Mesocco. Er fällt in Ost und bildet das scheinbare Liegende des weit ausgedehnten Glimmerschiefer-Gebiets des Tambo-Horns und des Splügen-Passes. Das Liegende des Zugs der Bündner-Schiefer ist der in West vorliegende grau und weiss glimmerige Gneis (Glimmer­ Gneis) des Bernardino und des die Rheinquelle umgebenden Gebirgs. Ueber den Durchschnitt ist schwer Rechenschaft zu geben. Der Bündner• Schiefer liegt wie eingemuldet, aber die Construction einer Mulde stösst auf Schwierigkeiten, und es fragt sich, ob nicht hier wie im Bergell eine UeberkipPuIjg der Seite des einen Massivs über die des andern stattgefunden hat. 11

Die grösstentheils auf Graubündner Gebiet fallende Nordseite des Liro-Massivs zeigt noch verwickeltere Verhältnisse, namentlich folgt hier auf den Glimmerschiefer über ein ansehnliches Gebiet nochmals ein Gneis in grosseI' Mächtigkeit, aber mit ganz andern Charakteren, als die, welche dem unteren Gneis desselben Gebiets zukommen. Darüber folgen dann hier Kalksteine und Dolomite der Trias in ansehnlicher Mächtigkeit, endlich über diesen der Bündner-Schiefer als hangendste Schicht. Wir müssen hier zunächst den Suretta-Stock mit seinen beiden 3025 und 3039 Meter Meereshöhe erreichenden Gipfeln ins Auge fassen. Er fällt nur zum kleinsten Theile in den Nordosten der Clävener Landschaft, die Hauptmasse desselben ist GraubÜndner-Gebiet und auch davon fällt nur ein Theil in mein Aufnalimsfeld. Sein Bau ist mir auch nur nach wiederholtem Besuche klar geworden. Erst im S~mmer 1877 war ich im Stand mir eine bestimmte Meinung darüber zu bilden. Der Suretta-Stock ist grossentheils ein Gneis mit grünem Glim­ mer, der bald massig und granitartig (sogenannter RoHa-Porphyr) bald deutlich geschichtet (sogen. RoHa-Gneis) bald auch durch feinschuppige Entwicklung des Glimmers etwas phyllitisch erscheint (sogenannter Chlo­ ritgneis oder Talkgneis). Dieser Gneis des Suretta-Stocks ist ein ganz andres Gestein als der im Liro-Thal, im BergelI, in Mesocco und in Tessin herrschende braunglimmerige Gneis. Ich hatte Gelegenheit, Prof. Kenngott's Urtheil über dasselbe zu hören. Er erklärte das gl'üne Mineral für grünen Glimmer (grünen Magnesia-Glimmer mit Eisengehalt) und findet im grünen Gneis keine Spur von Chlorit oder von Talk. Die Bezeichnungen Chloritgneis und Talkgneis sind darnach aufzulassen. Wahrscheinlich ist aber auch die ganze Masse des grünen Gneises des Suretta und der Rofla nichts anderes als der gneisartige Verrucano des Vorderrheins, Simmler's Hel vetan-.Gneis*). Im Jahre 1851 beschrieb Prof. Studer das Suretta-Gebirge als selbständige Centralmasse zwischen Adula und Bernina. Nachdem

*) Jahresbericht der Naturforschenden GeseIlschaftGraubündens. Band XIII. Chur 1868. Seite 3. 12 aber meine Aufnahme in den Jahren 1876 und 1877 zu dem Ergebniss geführt hat, dass der Suretta-Gneis nicht das Gestein der benachbarten Centralmassen ist, dass er zwischen Glimmerschiefer und Triaskalk liegt und mit gutem Grund als Aequivalent des Verrucano betrachtet werden kann, erscheint auch das früher sogenannte Suretta-Massiv nur als ein Flügel des Liro-Massivs. Es bildet keine eigne Centralaxe und hat nur durch die bis zur Gneis-Stufe vorgerückte Metamorphose des Ver­ rucano den äusseren Anschein eines Massivs erhalten. Den Westrand der Gneismassen des Suretta-Stocks unterteuft vom Splügenpass bis gegen die Alp Tecchio im Val Madesimo ein feinschup­ piger phyllitischer Glimmerschiefer (Casanna Zone) der am Splügen kleine Einlagerungen von körnigem Kalk führt. Die Schichten streichen meri­ dian und fallen in Ost. Die Auflagerung des grünen Gneises auf grauem Glimmerschiefer ist unzweifelhaft. «Der Splügenpass benutzt die Sohle eines isoklinalen Thales» sagt Prof. Studer. 6eo1. der Schweiz B. 1. 1851, Seite 249. Die Schichten fallen von derTambo-Gruppe ab und unter die Suretta-Gruppe ein. An der Ostseite von der Alp Tecchio an in NNO. über Alp Emet bis zum Averser Rheinthai 1 1/2 Kilometer oberhalb Canicul sind die Lagerungsverhältnisse etwas anders. Der grüne Suretta·Gneis fällt hier theils unter feinschuppigen Glimmerschiefer theils unter gewöhnlichen Glimmerschiefer von gröberem Korn in Ost und OSO. ein. Diese Unter­ teufung kann nur eine scheinbare sein. Wenn die Lagerung an SpIügen rechtsinnig ist, kann sie in Emet nur widersinnig sein. Der Querschnitt durch den südlichen Theil des Suretta-Gebirgs - vom Splügenjoch bis Alp Emet - ergibt jedenfalls ein meridian streichendes Sattelgewölbe mit schief gestellter in Ost fallenden Mediane und abgetragenem stark degradirtem Scheitel, es liegt also hier eine meridiane Gebirgsfaltung Vor. Von Canicul geht dann der grüne Gneis als schmalerer Ausbiss in OSO. über Bleis und Starlera, fällt hier in NO. unter die gewaltigen Triaskalk-Massen des Fianell oder Piz Grisch ein und verschwindet damit von der Oberfläche. Nördlich unterhalb Canicul bis Ausser-Ferrera und weiter thal­ abzu ist die Gneis-Masse des Suretta-Stocks westöstlich geschichtet und fällt in Nord. Eingelagert sind Züge von körnigem Kalk, welche aber nur eingemuldete und zusammengeklappte Lager von metamorphosirtem 13

Triaskalk sein können. Dieselben Gesteine bilden in NO. von Canicul den gewaltigen Kalkstein-Stock des Fianell (3048 Met.), an den sich dann in Ost als Hangendes eine mächtige Lagermasse von grauem und grünem Bündner-Schiefer anlegt, um in's Oberhalbstein fortzusetzen. Dies alles erweist, dass der grüne Suretta-Gneis die Stelle des Verrucano einnimmt. Er ist aber auch in petrographischer Beschaffen­ heit und nach seinen Einlagerungen durchaus verschieden vom braun­ glimmerigem Gneise der Clävener- und Tessiner-Alpen. Er führt einge­ muldete Lager von Triaskalk und Eisenglanz-Lager, niemals Einlage­ rungen von Hornblendeschiefer, wie sie im braunglimmerigen Gneis auf­ treten, dem dagegen seinerseits Eisenglanzlager abgehen. Die Lagerungsverhältnisse des Suretta-Gneises ergeben eine zu­ sammengesetzte Sattelaufwölbung, die im südlichen Theile eine meridian streichende, östlich fallende, im nördlichen Theil eine westöstlich streichende nördlich fallende Faltung erlitten hat. Die Sattelfirsten sind längst abgetragen, die Decke von Triaskalk ist stellenweise noch vorhanden, meist aber ist sie ebenfalls abgetragen und hier sind von ihr nur noch die tiefer eingehenden Einmuldungen übrig, die dann den täuschenden Anschein von Lagern gewähren, die dem grünen Gneis untergeordnet sind. Das Alles sind verwirrende Verhältnisse, ich glaube aber mit gutem Grund zu dem Schlusse gelangt zu sein, dass der Suretta-Gneis ein Verrucano-Aequivalent ist, auf Glimmerschiefer lagert und Triaskalk zum wahren Hangenden kat. Er stellt kein eignes Massiv ~r, sondern ist nur ein Flügel des Liro-Massivs. In seiner Lagerung wechselt Faltung im Alpenstreichen (Longitudinalfaltung) mit meridianer Faltung (Adula­ Streichen, Transversalfaltung). Denselben Wechsel von longitudinaler Alpen­ Faltung mit transversaler Faltung erkenne ich auch in den Tessiner-Alpen. Was hier an objectiver Beobachtung zu Grunde liegt, findet man schon in der Abhandlung der Herrn Escher undStuder 1839 mehrfach auseinander gesetzt. Ich habe nur die Deutung beizufügen, dass eine Faltung in zwei zu einander beiläufig rechtwinkligen Richtungen vorliegt und seit­ her eine grossartige Degradation der Gewölbfirsten vorgegangen ist, in Folge deren die Faltung nicht mehr deutlich ins Auge fällt. In der Linie von Splügen über den Splügenpass bis über Campodolcino im Liro-Thal herrscht meridianes Streichen mit östlichem Fallen. Das herrschende Gestein ist Glimmerschiefer und zwar meist in Form eines grauen dünnplattigen Schiefers mit phyllitisch verwebtem 14

Glimmer. Theobald unterschied diese Gesteine als Casanna-Schiefer, hat sie aber nicht durchgreifend vom granatenführenden älteren Glimmerschiefer abgeschieden und mir ist diese Scheidung auch nicht möglich gewesen. Ein Theil des Glimmerschiefers mag sogar bereits ein Aequivalent des Verrucano sein. Dies geht namentlich daraus her­ vor, dass der Triaskalk, der am Fianell auf grünglimmerigem Gneis liegt, in seiner südlichen Fortsetzung in Val di Lei und in Madris auf Glimmerschiefer und Casanna-Schiefer ruht. Ein Theil davon mag ein Verrucano-Aequivalent sein, aber ich bin ausser Stand gewesen, diesen kartographisch auch nur annähernd vom älteren Glimmerschiefer abzuscheiden. Escher und Studer 1839 bezeichneten diese proble­ matischen Lager als Glimmerflysch, auch als unteren Flysch. (Mittel­ bünden. Seite 97.) In Westen von der Splügenlinie hält der Glimmerschiefer mit meri­ dianem Streichen und östlichem Fallen bis zum Bernardino und dem Mesocco oder Moesa-Thal an, wo er - nach kurzer Unterbrechung durch den Zug der Bündner-Schiefer .- an den gleichfalls meridian streichenden und östlich fallenden Gneis der Adula-Gruppe und der Tessiner Alpen stösst. In dieses Gebiet fällt der hohe Gebirgsstock des Tambo-Horns Pizzo-Tambo, 3276 Met. Er besteht aus grauem quarz reichem , bald mehr phyllitischem, bald mehr gneisartigem Glimmerschiefer, der sowohl vom grünen Gueis des Suretta-Stocks als vom braunglimmerigen Gneis der Tessiner-Alpen durchaus abweicht. Von ihm fallen in Osten meridiane Schichtenzüge vom feinschup­ pigem phyllitisehern Glimmerschiefer ab, die am Splügenpasse dicht an der Grenze gegen den im Hangenden folgenden Suretta-Gneis unterge­ ordnete Lager von körnigem Kalk führen. Es sind die Casannaschiefer Theobald' s, und nichts steht dessen Meinung entgegen, dass man hier ein metamorphosirtes Aequivalent der Steinkohlenformation vor sich hat. Es dürfte aber schwer zu beweisen sein, da die Gesteine krystal­ linisch geworden und von organischen Resten nichts mehr wahrzuneh­ men ist. Das einzige, was sich zur Stütze von Theobald's Hypothese bei­ bringen Hesse, ist ein Vorkommen von Graphit am Pizzo Truzzo auf der W €stseite des Liro-ThaIs. Ich traf ein mindestens drei Centimeter mächtiges Flötzchen von Graphitschiefer zwischen dem PizZü Truzzo 15 und dem in N. von da gelegnen kleinen Lago Nero. Er mag beiläu• fig an der Grenze von granatführendem Glimmerschiefer und phyllitischen Casanna-Schiefer liegen. Das die umher liegenden Gipfel um ein Namhaftes überragende steile Tambo-Horn an der Grenze von Italien und Graubünden besteht aus einem besondern Phyllit-Gneis. Es ist grobkörnig und bricht in groben granitähnlichen Blöcken. Es besteht auf feinschuppig verweb­ ten grauen Glimmer, grösseren Feldspath-Ausscheidungen in Gestalt von Körnern und Krystallen, ferner aus Quarz der oft gegen den Feldspath zurücktritt. Prof. Escher beschreibt dieses Gestein aus dem in Süd vom Tambo-Horn verlaufenden Val Loga in ähnlicher, aber etwas andrer Weise in Studer's Geologie der Schweiz B. 1. Seite 248. Jedenfalls ist dieses gneis artige oder fast granitische Gestein dem grauen Glim­ merschiefer untergeordnet und gehört sogar zu dessen oberen Lagern, so dass man classelbe in geologischer Hinsicht in den Horizont der Casanna-Schiefer Theobald's verlegen müsste. Aber seine petrographische Beschaffenheit ist ganz abweichend. Im Streichen dürfte es nicht weit anhalten. Ich habe es nur am Areue-Pass überquert. In den meri­ dianen Schichtenzug des Splügen fallen zwei Mulden jüngerer Gesteine die vor Degradation des Gebirgs in Verbindung gestanden haben mögen und zusammen eine die Tambo-Gruppe von der Suretta-Gruppe scheiden­ den Muldenzug darstellen. Der Splügenpass selbst fällt zwischen beide Mulden und stellt eine Aufwölbung der Basis des Mulden­ zugs dar, an der das jüngre Gestein der Abtragung verfal­ len ist. Auf der Nordseite des Splügen schiebt sich zwischen die Tambo­ und die Suretta-Gruppe eine meridiane Mulde mit meridianem Streichen und östlichem Fällen ein (Bäusernbachthal). Ihre Grundlage bildet der Glimmerschiefer oder Casanna-Schiefer. Eingelagert ist weisser körniger Kalk (Triaskalk). Auf ihm besteht die öfter genannte Splügner Mar­ morgewinnung. Das oberste Glied der Mulde ist grauer Kalkschiefer (Bündner-Schiefer, Lias) mit einem untergeordneten Gneis-Lager, welches gegen den Binterrhein zu sich anlegt. Das Fallen geht hier in Süd. Leider bietet die kritische Strecke -- zwischen östlich fallendem Trias­ kalk und südlich fallendem Bündner - Kalkschiefer - keinen befriedi­ digenden Aufschluss. Ich vel'muthe eine westöstlich streichende Kluft, an deren Südseite gehobene meridian streichende Lager vorliegen. 16

Im Hinterrheinthale bei Medels und Splügen fallen die jüngeren Formationen in Süd sowohl unter die krystallinischen Schiefer der Tambo­ Gruppe als auch in die der Suretta-Gruppe. Hier ist offenbar dem Rande des Massivs entlang eine widersinnige Lagerung herrschend. Südlich vom Splügenpass liegt im grauen Glimmerschiefer der auf 6 Kilometer Länge meridian gestreckte Kalkstock der Andossi und der grossen Splügen-Gallerie. Es sind theils schwarzgraue theils weisse körnige Kalksteine, die mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit als Triaskalk bezeichnet werden können. Ich -erkenne darin eine meridi­ ane Mulde mit schiefer in Ost fallender Mediane. Sie liegt in der Linie der Splügener Mulde. Aber beide trennt die höhere Erhebung der Wasserscheidkette des Splügenpasses. Die Basale des Zugs steigt und fällt also. Das meridiane Streichen im Glimmerschiefer oder Casanna­ Schiefer setz\; noch von Pianazzo in Süd bis Prestone fort. Weiter in Süd legen sich aber bald westöstlich streichende nördlich fallende Schichten vor und setzen der meridianen Muldenbildung ein Ziel. Hier streicht die Centralaxe des Liro-Massivs über. Gyps ist in der Andossi-Mulde stellenweise vertreten. Er geht nördlich von Madesimo zu Tage aus und ist von Bittersalz-Quellen be­ gleitet. Ich erkenne darin keine besondre Schichte der Trias, sondern nur eine örtliche Umwandlung eines Theils des Triaskalks und bin der Meinung, dass die Bittersalzquellen von Madesimo die Fortdauer des Umwandlungs-Vorgangs bezeugen. Die Südwestseite des Liro-Massivs bildet weithin ein von NW. in SO. streichender in NO. fallender Zug, der von Mesocco in Graubünden über den an der Landesgrenze gelegenen Passo della Forcola sich bis Gordona unweit Chiavenna verfolgen lässt. Am Forcola-Pass wird der die Grenze bildende Schichtenzug des Glimmerschiefers sehr schmal, die Gneismassen des Tessiner­ Massivs und die des Liro-Massivs treten dicht an einander heran, erstere unterteufen die letztren, nordöstliches Fallen ist herrschend. Der Gneis des Tessiner-Massivs fällt unter eine schmale Zone jüngerer krystallinischer SChiefer, die im Allgemeinen als Glimmerschiefer bezeichnet werden können, aber bald einen phyllitischen Casannaschiefer, bald einen glim­ merigen Quarzfels darstellen, bald in Gneis überspielen. Dieser Schichten­ zug, den ich als F 0 r c 0 I a - Z 0 ne unterscheide, lässt sich beiläufig von der Alp Guarnei (oder Corneja) über den Pass in SO. bis Gordona verfolgen, wo er am breiten Maira-Thale abschneidet. Am Passo deUa 17

Fm'cola in 2217 Meter Meereshöhe führt er auch noch schwarzgrauen Kalkstein, ferner auch Hornblendeschiefer. . Diese seltsame Formation ist nicht sicher zu deuten, am meisten Wahrscheinlichkeit dürfte ihre Beziehung zum Casannaschiefer haben. (Möglicher Weise ist der Kalk­ stein auch nur der Basaltheil einer grösstentheils schon abgetragenen Einlagerung der viel jüngren Bündner Kalksteine und Schiefer.) Noch räthselhafter ist das Lagerungsverhältniss der Forcola-Zone. Die schmale an der Forcola höchstens 300 oder 400 Meter breite Zone des jüngren Gesteins fällt alsbald unter den Gneis des Liro-Mas­ sivs. Eine Mulde lässt sich hier so wenig wie im ganzen Schichten­ zug von Mesocco bis Gordona construiren. Es scheint also, es liegt eine weithin gehende grossartige Gcbirgs­ umkippung vor. Aber in ihren Einzelheiten lässt sich auch diese nicht erklären. Ich dachte einmal an Faltung mit schiefer Mediane, Kluftbildung und Verwerfung in derselben Mediane und Abtragung des einen der beiden Muldenflügel dnrch Degradation. Aber eine so zusammenge­ setzte Erklärung lässt sich nicht wohl auf eine so lange Streichungs­ linie durchführen. Man niüsste im Bergell von Chiavenmt bis über Castasegna hinaus dasselbe annehmen. Eher ist eine grossartige Um­ kippung zu vermuthen. Während die Forcola-Zone in SO. bis Gordona anhält und erst an der breiten Maira-Ebne oder dem Piano di Chiayenna abschneidet, legt sich in Ost vom Pass zwischen dieselbe und den Gnris des Liro­ Massivs der Granat-Glimmerschiefer in zunehmender Breite an, west­ östlich streichend und in Nord - scheinbar unter den Gneis - einfallend. Er wird hier bis vier Kilometer breit und zieht dann über das Liro­ ThaI in Ost ins BergeIl fort, wo er gegen ein Kilometer breit über Castasegna hinaus anhält. Hier tritt das noch weiter verwirrende Verhältniss ein, dass an der Stelle der in Westen den Glimmerschiefer untet·teufenden Forcola­ Zone die breite und mächtige Lavez-Zone von Chiavenna eintritt, genau ihre Stelle vertretend und im Streichen durch die breite Maira-Ebne von ihr getrennt. Hier möchte man die Forcola-Zone und die Zone des Lavez und Hornblendeschiefers von Chiavenna einander gleichstellen. Abrr kein weitrer Grund spricht dafür und ich zögre mich zu entscheiuen. Viel- Rolle, C'hiavf'una. 2 18 leicht lösen sich Lager von sehr ungleichem Alter in derselben Strei­ chungslinie ab. Wie dem nun auch sei, jedenfalls sind hier die Lagerungsver­ hältnisse verwirrend und die Schichtenfolgen nur annähernd zu ent­ wickeln. Diese räthselhaften Umkippungen umziehen das Liro-Massiv auf eine weite Strecke. VO!l Splügen in West bis zum Bernardin fallen jüngre Schichten unter ältre, von da in Süd bis Mesocco ist dasselbe der Fall, dann von da in Südost über den Forcola-Pass bis Gordona und von da wieder in Ost über Chiavenna und Castasegna hinaus sind auch, wie schon erörtert wurde, die Lagerungsverhältnisse räthselhaft. Hege1mässige Schichtenfolge mit rechtsinniger Lagerung herrscht nur in Nord und Nordost vom Liro-Massiv beiläufig von Emet und Canicul an durch Val di Lei und Madris, wo auf eine grössere Strecke Glimmerschiefer unter Triaskalk und dieser unter Bündner Schiefer ein­ fällt und die Schichtenfolge auf grosse Strecken hin ganz klar ist. Es bleibt uns nun noch übrig, einen Blick auf die aus Gneis bestehende Ce n t I' a 1- A x e des Liro-Massivs zu werfen. Sie streicht vom Forcolapass und dem Truzzo-See mit einer Breite von 4-5-6 Kilometer in Ost, wird zwischen Cimaganda und San Giacomo von der tiefen Erosions-Schlucht des Liro meridian durchschnitten und bildet von da das nördliche Bergeller Gebirg bis über Castasegna hinaus. Das Fallen geht in Nord Im BergeIl wird der Gneis von Glimmerschiefer mit Granat und Staurolith (scheinbar) unterteuft und in Nord von der Gneisaxe legt sich im Lirothal, in Val di Lei und Madris der Glimmerschiefer wieder mit nördlichem Fallen an, meines Erachtens an dieser Seite als wahres Hangendes. Das Gestein ist theils braunglimmeriger, theils weissgli)1lmeriger Gneis. Zwischen San Giacomo und Cimaganda entblösst das Liro-Thal mächtige Schichtenfolgen von granitischem fast massigem Gneis mit grossen Feldspatheinschlüssen. Untergeordnete Lager sind mir nicht aufgefallen. 19

Das rressiner Massiv*).

Der Gneiszug der Tessiner Alpen und der Adula-Gruppe verläuft als geschlossene in keiner Weise durchgreifend zu scheidende Masse zwischen dem Passo della Forcola und dem Passo di San Jorio mit einer Breite von 18 oder 20 Kilometer über die Wasserscheidkette in Ost auf italienisches Gebiet bis zum breiten Piano di Chiavenna, dem Mezzola-See und dem Oberende des Comer-Sees. In Ost von diesel' breiten und tiefen mit Alluvionen erfüllten Einthalung setzen die Gneis­ massen des Tessiner Massivs mit streichenden Zügen in das Massiv des Monte della Disgrazia und des Bernina fort, von dem sie sich über• haupt nur durch eben diesen Thalverlauf künstlich abscheiden lassen. Strenger genommen müsste man nur ein einziges Massiv hier annehmen. Die Scheidung ist nur mit Rücksicht auf bequemere Orientirung zu rechtfertigen. Der Gneis des Tessiner Massivs ist vorwiegend ein braun­ glimmeriger plattenförmiger Gneis, doch sind auch Lager von ge­ schlossenem in massige Blöcke zerklüftendem Granitgneis häufig. Unter­ geordnete Lager von Hornblendeschiefer und Serpentin erscheinen nur spärlich. Das Streichen ist - in dem von mir untersuchten Gebiet von Mesocco, Grono und Bellinzona an bis zur Maira - vorwiegend west­ östlich, das Fallen geht, wie schon beim Liro-Massiv erörtert wurde, vom Forcolapass bis Gordona in Nordost und der Gneis unterteuft hier - widersinnig - die offenbar viel jüngere Forcola-Zone - und schein­ bar auch den Gneis des Liro-Massivs. Meridian ist die Aufwerfung des Gneises von Mesocco an in Nord bis zum Bernardino, in Ost über Val Calanca bis Val Blegno. Zwischen Mesocco und der Forcola herrscht eine vermittelnde Richtung mit nord­ östlichem Fallen. In Süden vom breiten Gneiszug des Tessiner Massivs verläuft eine weithin anhaltende westöstlich streichende durchschnittlich ein bis zwei Kilometer breite Zone von Hornblendegneis. Sie fällt steil in Norden unter den Gneis, wie ieh annehme in widersinniger Lagerung und wird

*) E. Deso1'. Gebirgsbau 1865. Centralmasse des Tessin. Seite 25. Cen­ tralmasse des Adula. Seite 26. 2* 20 ihrerseits von Glimmerschiefer unterteuft. Diese Zone von Hornblende­ gneis lässt sich an der Nordseite von Val Morobbia (Velano und Ca­ renal fiber die Wasserscheidkette (gleich in Nord fiber dem Jorio-Pass) anhaltend in Ost fiber Liro bis zum Passo d'~dda (Unterende des Mez­ zola-Sees) verfolgen. Hier schneidet sie vor der breiten Thalebne ab, legt sich aber im Osten alsbald wieder an und setzt nun an der Nordseite das Velt­ Un weiter in Ost fort, wo sie in das von Prof. Theobald aufge­ nommene Gebiet (Blatt 20 des Dufour-Atlases) übertritt. Der Hornblendegneis (Syenitgneis) ist bald mehr geschichtet, bald mehr granitartig massig. Er besteht aus Quarz, Feldspath und brau­ nem Glimmer, wozu oft noch Epidot und Titanit kommen. (Ich hatte Gelegenheit, Herrn Prof. Dr. Streng in Gi e s sen fiber dieses Gestein zu Rath zu ziehen). Glimmerschiefer, bald mehr phyllitisch und sogenannten Casanna­ Schiefer darstellend, bald ächter Granatglimmerschiefer, bald auch in Gneis überspielend, streicht in Süd von der Zone des Hornblendegneises von Carena (Val Morobbia) in Ost über den Jorio-Pass und ins Veltlin und fällt auf dieser ganzen Strecke in Nord, den Hornblendegneis scheinbar unterteufend, meines Erachtens aber das wahre Hangende desselben bildend. Eingemuldet im Glimmerschiefer und zwar nahe in Süd von der Zone des Hornblendegneises erscheinen Partien von hellgrauem Kalk und Dolomit der Trias. Auf Tessiner Gebiet liegt eine solche Kalkmulde zwischen Carena und dem Jorio-Pass. Die Wasserscheid­ kette entspricht einer Luftbasale des Muldenzugs. (Sit venia verbo. Am Splügen bemerkten wir schon dasselbe Verhältniss.) Ein bedeutenderer Zug von Triaskalk bildet den Sass Pell nörd• lich über Gravedona und streicht von da in Ost bis Cinque case am Ufer des Comer Sees, wo er in den See eintaucht. Auffallend ist, dass er bei Livo und Caino so dicht an den Hornblendegneis rückt, dass auf eine ansehnliche Strecke es mir nicht möglich war, dazwischen eine Zone Glimmerschiefer aufzufinden. Letztere scheint hier, wie man sagt, verdrückt zu sein. In Ost vom Comer See taucht diesel' Kalkzug in der Höhe des nördlichen Gebirgs wieder hervor, hier mit einem mächtigen Liegenden von grünem Schiefer (Verrucano-Aequi valent) und setzt in Ost über 21

Dubino fort. Der östliche Muldenzug liegt in ,namhafter Höhe übel' dem Spiegel desselben Sees, in welchem das westliebe Stück des Zuges untertaucht. Die Basale steigt und fällt also wiederholt. Ich nehme diese triasischen Kalkeinmuldungen im Glimmerschiefergebiet von Carena bis über Dubino hinaus als Zeichen, dass hier das Massiv der Tessiner Alpen und des Disgrazia in Süd an das von Prof. Studer unterscbie­ dene Massiv des Seegebirgs angrenzt. Diese Grenze ist aber nur lückenhaft ausgeprägt und nur beiläufig zu verfolgen, je nachdem der Kalkmuldenzug sich unter den Boden senkt oder so zu sagen sich in die Luft hebt.

Das Massiv des Monte della Disgrazia und des Bernina*).

Vom Tessiner Massiv scheidet nur die breite Einthalung der Maira und des Mezzola-Sees die beiden östlich fortstreichenden Massive ab. Im innern Gebirgsbau ist kein Grund zu einer Abgliederung ge­ geben, die streichenden Züge legen sich in Osten in wesentlich gleichen Cbarakteren wieder an und nur die Erleichterung der Orientirung ver­ anlasst mich, bier dem Beispiel meines Vorgängers zu folgen und beide Massive zu scheiden. Von Chiavenna bis Dubino im unteren Veltlin streichen die Züge des Tessiner Massivs mit vorherrschendem nördlichen Fallen über das Mairathai und die Seen in Ost über in einer Breite von beiläufig 18 Kilometer. Auch hier ist der Gneis bei weitem vorherrschend und noch ganz dem der Tessiner Alpen und des Mesocco gleich. Granitische Gneise kommen auch hier gelegentlich vor. Hierzu kommt noch das Auftreten eines bedeutenden von SW. in NO. strei­ chenden etwa 3 Kilometer breiten Granitzugs, der bei Riva, Novate und Campo zur Ebene der Maira nnd des Mezzola-Sees ausstreicht. Er zeigt Merkmale eruptiver Entstehung und soll weiter unten Erör• terung finden, In Süden von der Gneiszone des Disgrazia-Massivs legt sich die

*) E. Deso1'. Gebirgsbau. 1865. Centralmasse des Bernina. Seite 29. 22

westöstlich streichende Zone des Hornblendegneises wieder an und zwar in bedeutender Verbreiterung, am Ostrande des Mezzola-Sees beiläufig anderthalb Kilometer breit, gegen Osten noch mehr verbreitert. Sio bildet hier das hohe steile Gebirge der Nordseite des unteren Veltlin, welches die Adda vom Val dei Ratti trennt. Ein gangbarer Pfad führt über die Bassetta nördlich VOll Cino. Südlich von der breiten Zone des Hornblendegneises legt sich der Glimmerschiefer wieder an und fällt wie in Val Morobbia und am Jorio-Pass in Norden unter dieselbe ein, meines Erachtens widersinnig. Die wahre Altersfolge scheint Gneis, Hornblendegneis, Glimmer­ schiefer zu sein. Sie lässt sich aber nicht erweisen, wie dies auch in Val llIorobbia der Fall ist. Der Hornblendegneis müsste weiter in Süd wieder zu Tage treten, aber ich weiss nicht, ob der 15 bis 16 Kilometer weiter südlich hervortretende Syenit - Zug an der Pioverna (Stoppani, Blatt XXIV) sich auf den Hornblendegneis des Veltlins beziehen lässt. Der in Glimmerschiefer eingezwängte Zug des Triaskalks von Ca­ rena und G'ravedona taucht in Ost vom Comer See unter ähnlichen Verhältnissen wieder hervor und erscheint zuerst am steilen Hang des Gebirgs östlich von der Addamündung in ansehnlicher Höhe über der Thal­ ebene und den Seen. Er hat hier ein mächtiges Liegende von grünem Schiefer, den ich mit Theobald als Verrucano-Aequivalent betrachte, und ist unzweifelhaft eingemuldet. Die Mediane fällt in Nord und . der Kalk selbst erreicht die Thalebene nicht, so dass man hier die Basis des Muldenzugs - im Vergleich mit ihrem Eintauchen in den Comer See bei Cinque Case - deutlich emporgehen sieht. Dies ist bereits schon ein lehrreicher Aufschluss in Bezug auf das Verständniss der in Glimmerschiefer eingemuldeten Triaskalk~Züge, aber es bleibt immer noch der räthselhafte Umstand, dass dieser Kalkzug so nahe am Rande der Zone des Hornblendegneises auftritt, wie er denn auch bei Livo westlich vom Comer See an derselben unmittelbar anstreicht. Es bleiben also selbst in diesem klarsten und günstigsten Falle von muldenförmiger Einlagernng von Triaskalk und Verrucano in Glim­ merschiefer noch einzelne räthselhafte Umstände. Die Basallinie des Muldenzugs hebt sich und senkt sich. Das Liegende der Mulde ist stellenweise noch einigermassen gleichflügelig, stellenweise aber auch seltsam ungleich-Hügelig. Die Verrucano-Zone aber ist bei Dubino 23

mächtig entwickelt, wogegen ich bei Livo von ihr nur nach längerem Suchen unansehnliche Geschiebe auffand und bei Carena auch nicht eine Spur nachzuweisen vermochte. Oestlich von Dubino bei Cercino ist der Kalkzug wieder der Abtragung verfallen, die Mulde zeigt nur noch den grünen Verrucano-Schiefer. Weiter in Ost legt sich der Kalkzug wieder an (Theobald, 1866, Seite 347, Nachträge). Dies fällt schon auf Karte XX. Theobald, Südöstl. Graubünden 1866, Seite 262 und 347 erörtert den Zug des Triaskalks der Nordseite des unteren Veltlins und gibt unter NI'. 12 ein Profil der Kalk-Mulde von Dubino. Ich bin im Allgemeinen damit einverstanden, nur kann ich der Abglieder­ ung derselben in eine ganze Reihe besonderer Stufen der Trias nicht beipflichten. Ich kann nur die Reihenfolge Gneis, Hornblendegneis, Glimmerschiefer, grüner Schiefer des Verrucano, Kalk und Dolomit der Trias hier erkennen. Der Verrucano-Schiefer besteht stellenweise aus Quarz, einem grünen, dem Agalmatolith ähnlichen Mineral (das jeden­ falls kein Talk ist) und ein wenig weissen Glimmer. Vielleicht ist dieses Gestein als Agalmatolith-Schiefer zu bezeichnen. Von organischen Resten ist auch im Triaskalk keine Spur mehr zu bemerken, geschweige denn im grünen Schiefer. Es bleibt nun noch übrig, den Granit zu berühren, der im Val Codera und zu beiden Seiten des Lago di Mezzola in Gneis aufsetzt. Er bildet einen im Streichen (SW. in NO.) verlaufenden gangartigen Zug, von dem sich zunächst mit Bestimmtheit sagen lässt, dass in seinem Auftreten nichts ist, was an eine Massivbildung auch nur entfernt erinnern könnte. Die Anzeichen eruptiver Entstehung beschränken sich auf das Vorkommen zahlreicher Schollen älterer Gesteine, die stellenweise dicht gedrängt im Granit liegen. Sie bestehen bei der Capelle San Fedele an der Westseite des Sees aus schwarzem Hornblendefels. Zwischen Riva und N ovate zeigen sich dafür Einschlüsse eines Gesteins von grüner Hornblende (Strahlstein) und hellgrauem Feldspath, welches ich an­ stehend nicht kenne. Zwischen Novate und San Giorgio erscheinen Schollen von Gneis in demselben Granit. Die östlichere Gegend an der Codera hat ein so furchtbar steiles und wüates Felsengebirge, dass sowohl Theobald' s als meine eigene 'geologische Aufn~hme hier unbefriedigend geblieben sind. Theobald's 24

Profile durch die Codel'a (NI'. 4 und 14) genügen mir noch nicht. Ich vermag nichts daraus zu lernen. Aber ich möchte die Entwerfung anderer Profile noch weniger hier verantworten. Weiter gegen Osten scheint der eruptive Granit unmerklich in undeutlich geschichteten Granit-Gneis zu verlaufen. Die Einschlüsse älterer Gesteine fehlen schon vom Dorfe Codera an. Hier bedürfte es noch besserer Karten­ grundlage und ausführlicherer Aufnahme. Aber auch diese würde kaum zu einer scharfen Scheidung von Granit und granitischem Gneis führen. Was die eruptive Entstehung des Granits von San Fedele, Riva, Novate u. s. w. betrifft, so beschränken sich die Merkmale, wie schon erwähnt wurde, lediglich auf die Einschlüsse fremder Gesteine. Es liegt also eine Gangbildung vor, dies ist mindestens sicher. Die erup­ tiye Entstehung ist also zwar nicht erwiesen, aber doch wahrscheinlich.

Das Seegebh·ge*). Prof. Stlldc'l' unterschied 1851 als eigene Gebirgsmasse das Seegebirge oder das westöstlich streichende Gebiet krystallinischer Schiefer im Süden von Bernina, dem Adula-Gebirg und den Tessiner Alpen. In mein Arbeitsfeld fällt davon nur ein kleiner Thei! und ich kann mich daher darüber kurz fassen. Ich nehme als Grenzlinie den mehrfach unterbrochenen Zug der Triaskalkmulden von Carena, Gravedona und dem unteren Veltlin. Was südlich davon liegt, kann ein eigenes Massiv sein. Das Gebil'g in Süden vom unteren Veltlin pflegt man hin und wieder als Orobisches Gebirg (le prealpi Orobie) zu bezeichnen. Von Traona und Cosio an über Delebio bis Colico traf ich nur Glimmer­ schiefer und zwar theils ächten Glimmerschiefer mit Granat und Staurolith (Rio Perlino bei Colico) theils phyllitischen Schiefer (Casannaschiefer) theils gneisartige Lager. Bei Fuentes traf ich Rutil. Das Streichen ist vorwiegend westöstlich. Aber die Lager fallen auf der Nordseite der Adda in Nord unter die Triasmulde von Dubino, an del' Südseite des Thales in Süd. Das breite Addathal scheint also

*) E. De WJ 1'. Gebirgsbau 1865, Centralmasse der vier Seen. Seite 28. 25 im unteren VeltliIi einer alJgetragenen Sattelwölbung des Glimmerschie­ fers zu folgen. Die südlichere Gegend kenne ich nur aus der wenig specificirten Stoppani'schen Karte (Blatt 24). Auf der Westseite des Comer Sees ist im Val di Gravedona und im Val di Dongo das Verhältniss dasselbe bis zum Jorio-Pass. Die anticlinale Linie des unteren Veltlin glaubte ich auch im Val di Dongo bei Garzeno wiederzufinden. Damit in Einklal!g steht das Auftreten eines westöstlich streichenden Kalklagers im Glimmerschiefer von Dongo. Die Stoppani'sche Karte bezeichnet es als weissen lVIarmor. So viel ich davon gesehen, glaube ich einen dem Triaskalk von Grave­ dona parallel laufenden zweiten lVIuldenzug der Trias annehmen zu dürfen. Bemerkenswerth ist noch ein anf acht Kilometer Länge von Do­ maso bis Garzeno zu verfolgender Zug VOll schwarzem Hornblende­ schiefer, der im Glimmerschiefer SW. in NO. verläuft und in NW. fällt. Während er bei Domaso kaum ein Kilometer von der Grenze des Horn­ blendegneises abliegt, erscheint er bei Garzeno etwa vier Kilometer davon entfernt. Es zeigt dies, welche unerwartete Unregelmässigkeiten in einem scheinbar in regelmässiger Folge gelagerten krystallinischen Schiefergebirg das glückliche Verfolgen eines einzelnen Lagers heraus­ stellt. Ich kann dies nur aus zahlreichen gedrängten lVIuldell- und Sattelbiegullgen in Glimmerschiefer zwischen Garzeno und der Grenze des Hornblendegneises erklären, sie entgehen für sich der Aufnahme.

Reihenfolge und Lagerung (leI' Formationen. Eine getreue Darstellung der Formationen und Lagerullgsver­ hältnisse des Gebiets der Clävener Alpen und des umliegenden Gebirgs lässt sich bei der Schwierigkeit des Gegenstandes und der Unvollstän• digkeit einer auch noch so gewissenhaften Aufnahme kaum geben, ohne auch den subjectiven Standpunkt zusammenhängend darzulegen. Vor allem betrachte ich Gneis und Glimmerschiefer als sedimen­ täre, nachfolgend stark umgewandelte Ablagerungen. Ihre Schieferung ist concordant mit dem Streichen ulld Fallen untergeordneter Lager 26

-wie z. B. denen des Hornblendeschiefers. Die Umwandlung ist nicht allenthalben in gleichem Grade erfolgt. Manche Gneislager sind gra­ nitartig geworden. Der Glimmerschiefer bleibt sich ebenso wenig gleich. Manche Lager sind ächter Glimmerschiefer mit Granat und Staurolith. Andere Lager sind phyllitisch geblieben (Glimmerfiysch, Casanna-Schiefer, Thonglimmerschiefer) ohne dass man sie immer als einen jüngeren Glimmerschiefer abzutrennen vermöchte. Andere Lager schwanken zwischen Gneis und Glimmerschiefer. Am Pizzo Tambo erscheint so­ gar ein zwischen Gneis und Glimmer-Phyllit schwankendes in granit­ artige Blöcke zerklüftendes Gestein und zwar, wie es mir scheint, in der Oberregion des Glimmerschiefers. Andere und zwar meist phylli­ tische Glimmerschiefer erscheinen so enge mit der Basis des Triaskalks verbunden, dass man vermuthen muss, ein Verrucano-Aequivalent vor sich zu haben, ohne im Stande zu sein, es nach petrographischen Cha­ racteren von seinen Liegenden abzugliedern. Die Metamorphose sedimentärer Gesteine ist überhaupt so ungleich vorgeschritten, dass man selbst in Bündner Schiefer (Lias) noch wohl­ characterisirte Lager von ächtem Glimmerschiefer und ächtem Gneis antrifft. Das ganze Gebiet betrachte ich als ein vielfach zusammenge­ setztes Faltungsgebirge unter mannigfacher Abwechslung einer Faltung in der Alpenrichtung oder Longitudinalfaltung (West in Ost oder WSW. in ONO.) mit einer Faltung in einer zum Streichen der Alpen fast senk­ rechten Richtung (Transversalfaltung oder Adula-Stl'eichen.) Das Letz­ tere macht sich an vielen Stellen und mitunter auf grosse Ausdehnung geltend, ist aber gleichwohl nur eine örtliche Erscheinung im Verhält• niss zum grossen Ganzen der Alpen und scheint nur eine gewaltsam bewirkte Compensation örtlicher Stauungen zu sein, die der Longitu­ dinalfaltung des Systems in den Weg traten. Man könnte hier statt von einer Faltung fast eher von einer Zerknitterung der Gebirgs­ lager reden. Seit der Gebirgsfaltung hat eine mächtige Degradation der Ge­ birgsoberfiäche stattgefunden, die Sattelungsscheitel sind abgetragen und wo die Faltung, wie dies meist der Fall war, mit schiefer Me­ diane erfolgte, folgen die zurückgebliebenen Züge des gefalteten Ge­ birgs einander in scheinbar gleichartiger Aufiagerung, in der nur hin 27 und wieder die Einschaltung eines specificirten Lagerungsglieds einen Anhalt zur Erfassung der wahren Lagerungsfolge gewährt. Dass überhaupt im krystallinischen Schiefergebirge grossartige, wenngleich fast unkennbar gewordene Abwechslungen von Mulden und Sätteln vorliegen, erweisen mir in der longitudinal gefalteten Gegend von Grono (Val Mesocco) die beiden Kalksteinzüge, der von Val Tra­ versegna und Lumina und der von Pedemonte. Sie fallen nach einem Abstand von drei Kilometer einander entgegen. In dem Gebiet des meridianen Streichens oder der Transversalfaltung zeigt das Val Calanca ein ähnliches Verhalten. Oestlich von Augio und Rossa streicht ein Kalklager im Gneis von SO. in NW. und ihm correspondirt auf der Westseite von Calanca ein anderes Kalklager im Gebirg hoch über Landarenca, welches ich, da es noch im Schnee lag, nicht zu erreichen vermochte. Ich wage sogar die Vermuthung, dass alle diese vier Kalk­ lager nur die durch Faltung und Degradation von einander getrennten Stücke eines und desselben ursprünglich zusammenhängenden Kalklagers sind. Den vollen Erweis könnte nur eine weit specificirtere Auf­ nahme bringen, als sie mir in der Kürze des alpinen Sommers möglich war. Einen anderen Beweis für die Faltung des krystallinischen Schie= fergebirgs liefern die darin eingemnldeten Kalklager der Trias. Die Mulde VOll Dubino hat Theobald dargestellt und von der Thalebene der Adda-Mündung aus ist deutlich zu seheu, dass der Kalk in der Höhe des Gebirgs eine Mulde bildet, die nicht zur Thalebene herab­ reicht, an deren Rand aber der grüne Verrucano-Schiefer ansteht und beiderseits von steil fallenden Schichten von Glimmerschiefer (Casanlla­ Schiefer) eingefasst wird. So klaren Aufschluss erhält man freilich selten und die Kalkmulde von Dubino wird in West so ungleichfiügelig von den älteren Gesteinen eingefasst, dass man den Muldenbau eben nur noch errathen kann. Die Basallinie der Mulde hebt und senkt sich auch so sehr im Fortstreichen, dass die Mulde selbst bald abge­ tragen ist, bald wieder sich anlegt, wo die Gebirgsdegradation etwas von ihr übrig gelassen hat. Aber die Muldenconstruction ist immerhin für einen Theil des Zuges völlig sicher und es ist auch offenbar, dass das krystallinische Schiefergebirg von derselben Faltung mit betroffen wurde und die Falt­ ung auch hier maneller Unregelmässigkeit verfallen sein mag. 28

Die Massive oder Einheiten des Gebirgsbaues betrachte ich als mehl' oder minder zusammengesetzte Aufwölbungen mit degradirter Oberfläche, die bald parallele Faltungen enthalten, bald in zwei nahezu senkrecht gegen einander verlaufenden Richtungen aufgefaltet sind. Ihre Begrenzung bilden Schichtenzüge jüngerer Gesteine, die bald das Massiv im Zusammenhang umziehen, bald in Folge von steigendem oder sinkendem Zug der Basallinie nur noch lückenhaft zu erkennen sind und dann in den nächst älteren Gesteinen z. R im Glimmerschiefer ihren Verb'eter finden oder wenn auch dieser abgetragen ist, im tieferen Gesteine des Massives selbst. Die Massive sind darnach von sehr un­ gleich ausgeprägter Abgrenzung, die Grenzen lassen sich oft nur in Gedanken fortziehen. Oder es erscheinen auch stellenweise statt einer sogar zwei parallele Begrenzungs-Falten, wie dies z. B. bei den bei den parallelen Kalkzügen von Gravedona und Dongo der Fall ist. Die ab­ grenzendE'n Zonen jüngerer Gesteine sind stellenweise deutliche Mulden, wie dies namentlich für den Kalkzug von Dubino und Gravedona gilt. Aber häufig ist die Einmuldung zufolge örtlicher Unregelmässigkeit oder bei mangelhaftem Aufschluss nur auf Grund analoger Vorkommen zu errathen. So ist es im BergelI, wo ich nur nach Theobald' s Vorgang Triaskalkmulden annehme, ohne sie genauer erweisen zu können. So ist es am Passo della FOl'cola, wo ein Lager Kalkstein im Casannaschiefer auftritt, bei welchem ich sehr im Zweifel bin, ob ich ein dem Glimmerschiefer wirldich eillgelagertes Kalklager oder den in denselben hereinreichenden Basaltheil eines Zuges von Bündner Kalk­ stein annehmen soll. Weit häufiger als aus Mulden scheinen aber die um die Massive' herum ziehenden Zonen jüngerer Gesteine nur auf Ueberschiebungen zu beruhen. So ist auf der ganzen Strecke von Splügen über den Ber­ nardin und den Forcola-Pass bis über Chiavenna und vielleicht Casta­ segna hinaus das Liro-Massiv über jüngere Schichten hinausgeschoben oder gleichsam übergequollen, ohne dass es möglich wird, in Quer­ schnitten einen Muldenbau nachzuweisen. Dies ist eine sehr hervortretende Erscheinung und von Splügen um das Liro-Massiv bis Chiavenna auf nicht weniger als vierzig Kilo­ meter Länge zu verfolgen. . Nur zwischen dem nördlichen Bergeller Gebirg (Pizzo Stella und Pizzo Gallegione) und dem Avers dacht das Liro-Massiv mit rechtsinnig 29 auf einander folgender Schichtenreihe - Gneis, Glimmerschiefer, Vorru­ cano-Aequivalent, Triaskalk und Bündner Schiefer - von Süd in Nord ab. Regelmässige Lagerung erscheint hier als unerwartete örtliche Ausnahme. Die Einschaltungen jüngerer Gesteine zwischen die Massive erscheinen auch in Form von Buchtenausfüllungen. So reichen bei Olivone, Ct. Tessin, jüngere Gesteine zwischen die Adula-Gruppe und die Tessiner Gruppe. Ich kenne dies Vorkommen aber noch nicht aus eigener Anschauung. Eine ähnliche Muldenausfültung mit Triaskalk legt sich bei Splügen zwischen die Suretta - Gruppe und die Tambo - Gruppe des Liro-Massivs mit meridianstreichenden und in Ost fallenden Schichten. Diese Mulde setzt nach Unterbrechung durch den Splügenpass - oder wenn ich so sagen darf mit einer Luftbasale - zu einer südlicheren meridianen Mulde von Triaskalk fort, welche auf italieni­ schem Gebiet das Kalkplateau der Andossi bildet und bis gegen Pia­ nazzo anhält. Aber weiter in Süd ist keine Andeutung von einer Fortsetzung der Mulde, denn jenseits Pianazzo endet die meridiane Gebirgsfaltung und von Prestone hinab bis Chiavenna u. s. w. herrscht wieder longi­ tudinale Faltung und westöstliches Streichen. Die Halbirung des Liro-Massivs durch die Mulde der Splügen• Strasse ist also nicht vollständig und man kann höchstens dieses Massiv als in zwei Gruppen zerfallend betrachten. Das herrschende Gestein der Massive in der Landschaft Chiavenna und der umliegenden Gegend ist Gneis und zwar vorwiegend braun­ glimmeriger plattenförmiger Gneis, der wenige untergeordnete Lager von körnigem Kalk (Urkalk) Hornblendeschiefer und Serpentin führt. In der Codera und am Mezzola-See erscheint darin das oben er­ örterte Granit-Lager, das durch reichliche Einschlüsse von anderen Ge­ steinen den Anschein eruptiver Entstehung bietet. Sonst fehlt jede Spur von eruptiven Gesteinen und es liegt mir auch kein Grund vor, deren hier als Ursache und Moment der Massiv­ bildung in der Tiefe vorhanden anzunehmen. Auf den Gneis folgt in der Linie von Carena und Livo in Ost bis zum unteren Veltlin der Hornblendegneis als mächtiges Lager in Nord oder widersinnig unter den Gneis einfallend. Ich nehme ihn als nächst jüngeres Glied, er muss weiter in Süd aus dem Glimmerschiefer 30 wieder hervorsteigen. Ich bin aber ausseI' Stand, dies zu erweisen, da ich die südlichere Gegend nur aus der Stoppani'schen Karte (NI'. 24) kenne. Auf den Hornblendegneis, aber wieder als scheinbares Liegendes folgend - erscheint in Süd Glimmerschiefer und setzt weit in Süd auf das Gebiet der Karte 24 (Stoppani) fort. Glimmerschiefer umzieht auch als schmale Zone den Gneis des Liro-Massivs gegen Süden im Bergell, dann als breitere Zone in West breit und ausgedehnt auf der Nordseite - und zwar auf der Südseite in Nord unter dem Gneis, dagegen auf der Nordseite vom Gneise ab­ fallend, jedenfalls aber als dessen wahres Hangendes.- Viele Lager dieses Glimmerschiefers sind Phyllite mit grauem feinfilzig verwebtem Glimmer oder Casanna-Schiefer (Thonglimmerschiefer). Ich bin aber ausseI' Stand, eine durchgreifende Casanna-Zone festzu­ halten. Ein Theil dieser Gesteine mag ein Aequivalent der Steinkohlen­ formation sein. Ein anderer Theil, der Kalksteinlager führt und an der Grenze gegen Triaskalk auftritt, dürfte eher auf Verrucano zu be­ ziehen sein, wiewohl auch hierüber wenig mehr als blose Muthmass­ ungen beigebracht werden können. Problematischen Alters sind die Forcola-Zone zwischen Forcola­ Pass und Gordona und die Lavez-Zone von Chiavenna und Castasegna. Sie lagern im Rohprofil, wie schon erörtert wurde, auf Gneis und fallen unter Glimmerschiefer, der wieder unter einen dem Liegenden identischen Gneis einfällt. Sie sind also jünger als der Gneis. Aber mehr lässt sich auch zur Zeit kaum noch sagen. Die Forcola-Zone nehme ich als jünger wie Glimmerschiefer. Die Lavez-Zone von Chiavenna setzt Theobald (1866 Seite 26 und 27. Malenco-Schiefer und Lavezstein) vermuthungsweise ins paläozoische System. Ich getraue mir nicht, ein näheres Urtheil darüber auszusprechen. Vielleicht fällt diese Zone zwischen Hornblendegneis und Glimmerschiefer. Die Entscheidung muss noch ganz dahingestellt bleiben. Verrucano-Aequivalente erkenne ich in zwei Gegenden. Erstlich gehört dahin der grüne Schiefer (Agalmatolith-Schiefer?) des unteren Veltlin (von Cercino über Dubino bis zur Kirche San Quirico an der Adda-Mündung. Er liegt auf Glimmerschiefer oder Casanna-Schiefer und trägt eine eingemuldete Masse von Triaskalk. 31

Weiter zähle ich zum Verrucano als hochkrystallinisch umgewan­ .deltes Aequivalent den grünen Gneis (Rofla-Gneis, Rofla-Porphyr, Chlo­ ritgneis u. s. w.) von Splügen, der Suretta und dem Averser Rhein­ thai bei Ferrera. Er nimmt dieselbe Stelle im Schichtensystem ein wie der grüne Schiefer im unteren Veltlin. Ich vermuthe seine Iden­ tität mit dem sogenannten Talkgneis und Talkquarzit des Vorderrheins und des Calanda bei Chur. (Helvetan-Gneis Simmler's). Dann folgen eine Reihe mehr oder minder krystallinischer kör• niger Kalksteine und Dolomit vom stattlichsten Carrara-Marmor an bis zum schwarzgrauen dichten Kalk, in dem man auf jedem Schritt Petrefacten finden zu müssen vermeint. Ich nehme diese Kalksteine und Dolomite nach Theobald' s Vorgang als Aequivalente von Muschelkalk und Keuper, oder auch wohl noch vom unteren Lias. Dahin zähle ich sowohl die grossen Kalkstöcke des Avers und der Schams, wie namentlich den Fianell, sondern auch fast alle im krystallinischen Schiefergebirge strichweise und muldenförmig eingelagerten körnigen Kalke und Dolomite, z. B. den Zug von Gravedona und Dubino. Wenn ich mit Theobald in diesen krystallinisch umgewandelten Kalksedimenten metamorphosirten Triaskalk erkenne, so möchte ich doch gleichwohl nicht die weitere Abgliederung derselben in eine An­ zahl besonderer Horizonte, wie sie Theobald vielfach versucht hat, meinerseits verantworten. Dies um so weniger als jede Spur von Pe­ trefacten verschwunden ist, mindestens soweit ich diese Lager kennen gelernt habe. Hie und da lassen sich wohl petrographisch verschiedene Lager erkennen, aber ich möchte doch nicht versuchen, daraufhin eine Reihe von Formationsgliedern zu unterscheiden. Auf die mächtigen Massen des Triaskalks folgen die grauen und grünen Bündner Schiefer, die nach Prof. Studer's Untersuchungen mit den .Belemnitenschiefern des Lukmanier und der Nufenen identisch, nach Prof. Theobald' s Vorgang beiläufig als Lias zu veranschlagen sind. Auf Mitteljura deutet Theobald (1860) die Kalk- und Dolomit­ massen nördlich von Splügen bis zum Piz Beverin (Blatt XIV). Ich habe dieses Gebiet nicht betreten und nehme daher vorläufig Theo­ bald' s Ansicht als wahrscheinlich an. Die Zwischenbildungen, welche. die Massive des krystallinischen Schiefergebirges scheiden, sind Gesteine verschiedenen Alters. 32

Vom Splügen und vom BergeIl in Süd bis zum unteren Veltlin und zur oberen Val Morobbia sind Triaskalke und Dolomite das jüngste Formationsglied. Der Bündner Schiefer ist hier offenbar abgetragen. Er erscheint aber im Hangenden des Triaskalks im Avers, im Hangenden von Glimmerschiefer in Val Mesocco. Die zwischen den Massiven in Mulden und Ueberkippungen ein­ geklemmten Reste triasischer oder liasischer Sedimente nehme ich als letzte bis dahin noch der Erosion entgangene Spuren einer ehedem weit allgemeiner verbreiteten Sediment-Decke. Ich nehme also namentlich an, dass das Kalklager, das bei Du­ bino im unteren Veltlin durch grünen Schiefer (Verrucano-Zone) von grauem phyllitischem Glimmerschiefer (Casanlla-Zone) getrennt wird und das westlichere Stück desselben' Zuges, welches an der' Westseite des Corner Sees von Cinque Case bis zum Sass Pell bei Pellio verläuft, dessgleichen das weiter in West auf Tessiner Gebiet vereinzelt auftre­ tende Kalklager von Carena, nichts anderes ist als ein durch Faltung des Gebirgs und lang dauernde Degradation der Gebirgsoberfläche abge­ trenntes Stück dersei ben Kalkformation, die weiter in Süd den Corner See (Blatt XXIV. Stoppani) überquert und weiter in Nord bei Splügen und im A. vers wieder mächtig hervortritt. Vor Faltung der Alpen überdeckte der Triaskalk nebst jüngeren Formationen die ganze Breite des Gebirgs vom Corner See zum Hinter­ rhein-Thale. Eine lang anhaltende Meeresbedeckung der krystallinischen Schiefer ist jedenfalls anzunehmen. Aber ob sie über die Liasepoche hinausging, ist kaum noch zu enträthseln. Nimmt man mit Theobald das hohe Kalk- und Dolomit-Gebirge nördlich über Splügen als Mittel­ jura (oder Hochgebirgskalk), so wäre die ehemalige Meeresbedeckung noch um eine Stufe weiter hinaus zu rücken. Sie kann aber auch noch länger gedauert haben. Die Faltung der Alpen, die jedenfalls nach Ablagerung der grauen Bündner Schiefer oder Belemnitenschiefer (Nufenen-Schiefer) und viel­ leicht später - vielleicht erst nach der Jura-Epoche stattgefunden haben mag, trennte den Zusammenhang der jüngeren Lager. Seitdem haben langdauernde grossartigeA.bnagungen das Gebirg erniedrigt und von der ehemaligen Decke von Triaskalk u. s. w. nur· hie und da - wie im Veltlin und im Bergell - noch im Schoosse der Mulden oder der Gebirgsumkippungen kleinere eingefaltete Stücke übrig gelassen. 33

Diese haben inzwischen unter Einfluss des in der Tiefe der Ge­ birge vor sich gehenden Stoffwechsels weitgehende Umwandlungen er­ litten und stellen nunmehr meist krystallinisch-körnige Kalksteine oder Dolomite dar, in denen, so weit mir bekannt ist, keine Spur von or­ ganischen Resten mehr aufgefunden wird. Auch hat schon Prof. Studer*) für die Graubündner Alpen eine ehedem zusammenhängende Meeresbe­ deckung angenommen und sich dahin geäussert, dass die Kalk- und Dolomit-Partien derselben die nördliche und die südliche Nebenzone des Alpensystems mit einander in Verbindung bringen und für diese und die östlichere Gegend eine ehemalige über die Mittelzone der Alpen hinausgehende Decke von Kalksteinen wahrscheinlich machen. Ich gehe einen Schritt weiter, ich bin der Meinung, dasselbe könne nach d"n zer­ streuten kleineren Resten sedimentärer Kalk-Einlagerungen auch wohl für die westlichere Gegend angenommen werden. Aber noch bleibt ein gewichtiger, wenn auch schwer darzulegender Umstand zu erwägen. Bis zur Triaskalkmulde an der Südseite des SplÜgen (Alp Andossi) und der auf der Graubündner Nordseite (Häu• sernbach-Thal) ist eine Triasdecke strichweise zu verfolgen und auch den Kalk von Carena ziehe ich noch zur Trias. Aber westlich von SplÜgen, am Bernardino und im Mesocco-Thal erkenne ich keine Trias­ ablagerungen mehr. BÜndner Schiefer mit untergeordneten Kalklagern ruht hier unmittelbar auf Glimmerschiefer. Ich gelange damit zur Annahme einer der Alpenfaltung voraus­ gegangenen Fes t I an d heb u n g westlich von der Linie Splügen - Bernardino - Mesocco - vor Ablagerung der Triassedimente und zu einer nachmaligen Senkung dieses westlicheren Gebietes vor Ablagerung der Bündner Schiefer (Lias.) Aber mehr als diese Meinung anzudeuten, würde zur Zeit noch voreilig sein. Ich beschliesse diesen Gegenstand mit einer Hinweisung auf P. Ohoffat. Die Paläontologie. Basel 1878. (Seite 26) und F. von Hauer. Geologischer Durchschnitt der Alpen von Passau bis Duino Wien 1857 (Seite 96, 346.) Noch ist zu vergleichen E. Deso1·. Ge­ birgsbau der Alpen. Wiesbaden 1865, S. 89. Das Problem ist jeden­ falls noch weit davon entfernt, spruchreif zu werden; Wenn ich, wie schon erörtert, im Bündner Schiefer (Lias) oder

*) B. Stude1·. Geologie der Schweiz. B. 11. 1853. Seite 24. Rolle, Chiavenna. 3 34

auch wohl in dem nach Theobald darüber folgenden Hochgebirgskalk und Dolomit (Mitteljura) das jüngste in dem mir zugefallenen Arbeits­ feld von der Alpenfaltung betroffene Gebirgsglied erkenne - und von jüngeren Formationen absehe - so kann ich auch noch nachträglich andeuten, dass ich das in demselben Gebiet zu Tage getretene älteste Gestein in Prof. Studer's «Tessiner Gneis», der durch die Verwendung zu Weingärten-Pfeilern ausgezeichnet ist, zu erkennen glaube. Ich kenne ihn bis jetzt nur von der Linie Biasca-Claro in der Tessiner Riviera und gehe daher nicht näher auf diesen Gegenstand ein. Noch bleibt mir die Erörterung eines sehr misslichen Umstandes. Meine Darstellung der Massive in den Clävener Alpen und den umliegenden Gebirgen weicht in tief eingreifender Weise von der Darstellung der Mas­ sive ab, welche mein Vorgänger Prof. Theobald 1866 auf Blatt XX und zwar namentlich in der oberen Codera, in Val Masino und im unteren Veltlin gegeben hat. Entweder ist Theobald's Auffassung ver­ fehlt oder mich wird derselbe Vorwurf treffen. Obschon ich die Ostgrenze des Gebiets von Dnfour-Atlas Blatt XIX nur wenig überschritten und an manchen Stellen die West grenze des Blatts XX gar nicht erreicht habe, kann ich doch nicht umhin, wenigstens die wesentlichen Züge der Differenz darzulegen, da sie die Frage nach dem Wesen des Massivs innig berührt. Die Nordseite des unteren Veltlin mit dem Monte deZ Fen in . Nord von Cercino und dem Monte Bassetta bildet einen streichenden Zug, der sich in West vom Corner See weiter fortzieht, in Nord vom Jorio­ Pass nach Graubünden (Val Traversegna) übersetzt und bei Carena und Velano noch die Nordseite von Val Morobbia bildet. Ich habe Anlass, hier auf diesen streichenden Zug, den ich oben schon wiederholt be­ rührte, noch näher einzugehen. Wenn das ungenügende Karten-Material, das meiner geologischen Aufnahme zu Grunde liegt, es gestattet und die Kürze der Zeit, welche in einem hohen, schroffen und sehr ungastlichen Gebirge der geologischen Special-Arbeit eine frühe Grenze steckt, mich nicht abgehalten hätte, .. wäre zwischen dem uuteren Veltlin (Traona, Cercino) und dem nördlich vorliegenden Val dei Ratti eine gute Gelegenheit gewesen, über eine aus Theobald's Darstellung erwachsende wichtige Aufgabe, nämlich das Verhalten eines Massivs zu einer streichenden Zone, ins Klare zu lwmmen. Ich bin leider nur :m einem grellen Gegensatz meiner Auf- 35

nahme gegenüber der meines Vorgängers, des verstorbenen Professors G. Theohald gelangt, ohne die daraus erwachsende Aufgabe endgiltig lösim zu können. Auf dem geologisch colorirten Blatt XX des Dufour-Atlases (Son­ drio, Bormio) gibt Theohald das Bild eines vom granit ischen Massiv des Monte della Disgrazia in WSW. schmaler ausstreichenden granitischen Ausläufers. Eine Granitzone, die man sich offenbar als eruptive Masse:;:) vorstellen muss, geht nach Theobald' s Kartirung vom Monte Spluga (~850 Meter Meereshöhe) in WSW. übel' den Monte Bassetta und endet als schmaler Streifen am Abfall gegen das tiefe ThaI des Mezzola-Sees und des Comer Sees (190 Met.) Diese langgezogene Granit-Eintreibung wird nach Theobald' s . Darstellung von symmetrischen Zonen von Hornblendegneis und Glim­ merschiefer seitlich eingefasst. Man muss also ein symmetrisch gebautcs langgestrecktes Massiv hier annehmen. Auf Granit, der aus der Tiefe hervol'getrieben ist und als erup­ tive Bildung gedacht werden muss, folgt beiderseits Hornblendegneis und auf diesen beiderseits Glimmerschiefer. Der Granit müsste darnach im Aufsteigen ein Dach von geschichteten Gesteinen mit sich cmporge­ schoben haben. So ist man veranlasst, Theobald' s Kartenzeichnung sich auszu­ legen, während er selbst in seiner geologischen Beschreibung des Ge­ biets von Blatt XX**) kurz darüber hinweggeht, ohne die Folgerungen, die man aus seiner Karte zu ziehen Grund hat, hier zu berühren. Indessen ist nach meiner Aufnahme der westlicheren Gegend (Blatt XIX) Theobald' s Aufnahme in petrographischer Hinsicht zu einem guten Theile verfehlt und dessen Construction des granitischen Massiv­ Ausläufers am Monte Bassetta vollständig falsch. Theobald hat auch vermieden, diesen Theil seiner Arbeit in ein Profil zu fassen. Das einzige hierher gehörige Profil No. 14 (Val dei Ratti) spricht eine für

*) Für eruptive Natur der Granite und anderer massiger Gesteine des Bernina-Gebirgs spricht sich T7~eobald aus, (die südöstlichen Gebirge von Grau­ bünden 1866, Seite 166) und setzt ihre Erhebung jedenfalls jünger als die Liasformation (Ebenda, Seite 228). Derselben Ansicht ist Tlicobald für das Disgrazia-Gebirg. (Ebenda, Seite 275.) **) G. Theobald loc. cit. 1866. Vergl. Monte Splugil_ S. 254. West­ seite S. 262. 3* 36 mich ganz unverständliche Sprache. Es lässt sich daraus über den Bau des Gebirgs überhaupt nichts näheres entnehmen, und der darin angegebene Glimmerschiefer, S. von Val dei Ratti, ist gar nicht vor­ handen. Hier ist in der Wirklichkeit nur Gneis entwickelt und damit fällt die Idealconstruction schon in sich selbst zusammen. Die Höhe und Steilheit und die unwirthliche Beschaffenheit der Gebirge in Nord vom unteren Veltlin erklären zur Genüge die Dürftigkeit der geolo­ gischen Aufnahme. Doch wäre im Texte eJne Unterscheidung von sicher construirter Lagerung und unsicher idealisirtem Gebiet am Platze gewesen. Ich habe im Sommer 1876 zweimal den Bergkamm zwischen dem unteren Veltlin und dem Val dei Ratti erstiegen. Erst beging ich denselben von Cino aus bis zur Alp aHa Piazza, das andere Mal überquerte ich ihn aus Val dei Ratti (Alp della Nave) über die Bassetta .. Ich traf den Bau ganz anders, als man ihn nach Theobald' s Aufnahme sich vorstellen müsste. Im oberen Val dei Ratti zeichnet Theobald auf mehr als 2 1j2 Kilometer Breite eine Zone von Glimmerschiefer, die, wenn sie vorhanden wäre, dem Glimmerschiefer-Zug des unteren Veltlins, der wirklich vorhanden ist, entsprechen würde. Eine Zone von Glimmerschiefer ist aber im Val dei Ratti gar nicht vorzufinden. Das Gestein ist ächter Gneis mit Einlagerung von granitischen Bänken (Lager-Granit) und ohne irgend eine Spur von Glimmerschiefer. Der Querschnitt durch die Schichtenfolge am Mez­ zola-See westlich von da - Theobald's Profil No. 14 - lässt auch darüber gar keinen Zweifel. Das Profil' ist theils unklar gegeben, theils unrichtig, namentlich steht in Süd von der Mündung des Val dei Ratti kein Glimmerschiefer am Mezzola-See an, sondern ächter Gneis mit granitischen Lagern. Ebenso wenig ist auf der Bassetta im Hornblendegneis ein gra­ nitischer Centralzug vorhanden. Ich habe hier nur Hornblendegneis überquert, der stellenweise etwas massig ist, aber lwineswegs eine erup­ tive (!entral-Axe ergibt. Das hohe Felsengebirg in Süd von der Alp della Nave mit dem Monte deI Fen (am westlichen Rand von Blatt XX) habe ich leider nicht Zeit gehabt, überqueren zu können, ver­ muthe aber, dass es von der Bassetta nicht wesentlich abweicht. Ein symmetrisch gebautes langgestrecktes Granit-Massiv mit cor­ respondirenden Flügeln von Bornblendegneis, auf die noch beiderseits der Glimmerschiefer folgen wurde - ist also an der Bassetta gar nicht 37 vorhanden. Die Bassetta besteht vielmehr aus einem einfachen strei­ chenden Schichtenzug. Glimmerschiefer, dem bei Dubino eine zusam­ mengeklappte Mulde von Triaskalk mit schief gestellter Mediane einge­ lagert ist, fällt vom Adda-Thale aus steil in Nord ein und unterteuft einen ebenfalls steil aufgerichteten und stellenweise einen steil stehenden Fächer bildenden Schichtenzug von Hornblendegneis. Dieser bildet den Gebirgskamm zwischen Veltlin und Val .dei Ratti, über welchen nörd• lich von Cino der unter dem Namen Bassetta bekannte Wegübergang führt. In Nord folgt dann eine mächtige Schichtenreihe . von Gneis, welche viele Bänke von Lagergranit einschliesst und im Val dei Ratti meist steil in Süd oder S. S. O. einfällt. Dieser Gneis ist offenbar das eigentliche Grundgebirge, welchem ursprünglich Hornblendegneis, dann Glimmerschiefer, dann Triaskalk aufgelagert waren, bevor die ganze Schichtenfolge der Faltung verfiel. Das Profil ist darnach so einfach und klar, wie es im krystalli­ nischen Schiefergebirg überhaupt erwartet werden kann. Nur mag die fächerförmige Stellung des Hornblendegneises an der Bassetta der Deu­ tung Schwierigkeiten machen und könnte in Ermangelung anderweiter Erklärung auf Rechnung eines in Osten vorliegenden granitischen Mas­ sivs gesetzt werden, was noch weiterer Feststellung bedarf. Ich sehe im Hornblendegneis der Bassetta nur den nördlichen widersinnig ein­ fallenden Flügel einer grösseren Mulde, deren südlicher Flügel weiter in Süd in der Lombardei unter jüngeren Gebilden verdeckt liegen wird, vielleicht auch an der Pioverna zu Tag tritt. Was die FächersteIlung der Schichten an der Bassetta betrifft, so bin ich der Ansicht, dass sie auf partieller Faltung oder Zickzackbiegung beruht und vielleicht durch eine Construction erklärt werden kann. Denselben Zug westöstlich streichender und steil aufgerichteter Lager, wie er am Monte Bassetta sich darstellt und ihn der Querschnitt, der V'on Splügen und Chiavenna nach Lecco und Corno ziehenden Land­ strasse am Mezzola-See biossiegt, habe ich in West vom Corner See über den Passo di San J orio - unter steilem nördlichem Einfallen - bis auf Graubündner und Tessiner Gebiet verfolgt. Ich fand Gesteine und Lagerung auf dieser vom Pas so d'Adda in Ost bis über Carena hinaus mehr als 25 Kilometer betragenden Strecke fast genau so, wie sie zwischen dem unteren VeltÜn und dem Val dei Ratti sich heraus­ stellen, nur dass in der westlichen Gegend keine Spur von fächerartigem 38

Ban mehr vorliegt. Es ist hier eine einfache streichende Zone, und der Hornblendegneis erscheint durchweg zwischen Gneis und Glimmer­ schiefer eingelagert. Die ganze Schichtenfolge aber ist vom Comer See (Passo d'Adda und Domaso) an bis über den Jorio-Pass hinaus zufolge von Faltung mit schiefer Medianebene in scheinbar überstürzter Lager­ ung. Die Schichten fallen hier durchweg widersinnig unter die nörd• lichet·e Hauptmasse der Alpen ein, der Glimmerschiefer unter den Horn­ blendegneis und dieser unter Gneis mit eingelagerten Granitbänken. Dieses Ergebniss meiner geologischen Aufnahme vom Monte Bas­ setta in West bis zum Passo di Jorio hätte mich einladen müssen, die in Osten vorliegende brennende Frage zu lösen, wie sich der streichende Zug von Gne~s, Hornblendegneis und Glimmerschiefer zu dem von Theobald projectit·ten seiner Kartenzeichnung nach als eruptiv zu deu­ tenden Granit-Massiv des Monte Spluga verhält. Indessen genügte dazu weder die kurz zugemessene Zeit, noch war die dürftige Karten­ Grundlage geeignet, auf einer hohen felsig zerissenen und ganz unwirth­ samen Gebil'gsfirste von beiläufig 2000 Meter Thalhöhe zu lohnenden Ergebnissen zu führen. Ich bin daher nur dahin gelangt, aussprechen zu können, dass Theobald's Aufnahme hier zum Thei! mangelhaft ist und sich auf dieselbe keine sicheren theoretischen Folgerungen bauen lassen. Meine eigene geologische Aufnahme im ungastlichen Hochge­ birge wird an anderen Orten meinem Nachfolger andere oder vielleicht ähnliche Lücken und Blösen ergeben. Ich habe also trotz der Wichtigkeit der hier vorliegenden Auf­ gabe meine Arbeit auf das in Osten vorliegende von meinem Vorgänger Theobald geologisch colorirte Gebiet nicht ausgedehnt, vermuthe aber nach Theobald' s fehlerhafter Bearbeitung des Gebirgsrückens zwischen dem unteren Veltlin und dem Val dei Ratti, dass auch seine Darstellung des Massivs des Monte Spluga und der östlicheren Gegend nicht stich­ haltig ist und sich auf seine Annahme eines granitischen Centralkernes mit symmetrischem Mantel von Hornblendegneis nicht bauen lässt. Um so weniger erachte ich seine Construction der Massive zur Zeit für geeignet, eine Grundlage für allgemeinere Erfassung des Baues dieses Theils der Alpen abgeben zu können. Hier ist entweder Theobald's Darstellung des Massiv-Baues verfehlt oder derselbe Vorwurf wird meine Aufnahme treffen. 39

Jüngere Gebilde. Vom Bündner Schiefer (Splügen und Avers) an stöst man auf eine bedeutende Lücke in der Formationsreihe. Von jüngren Gebilden kenne ich im Clävener Gebirg nur einen vorglacialen Kalkschutt-Sand­ stein (an der Cantoniera di Teggiate auf der Südseite des Splügen), dann hie und da mächtige Moränen aus der diluvialen oder pleistocänen Gletscher-Epoche (namentlich am Piano della casa und auf der Alp Andossi an der Südseite des Splügen), dann einen nachglacialen Kalk­ tuff zu Isola im Liro-ThaI, endlich eine Menge grossartiger theils ältrer theils jüngrer Schuttkegel an der Ausmündung der seitlichen Gebirgs­ thäler, Gletscherschutt und Felsblock-Moränen erscheinen besonders im oberen Liro-Thal, im Val Loga und im Val Madesimo in grosser Aus­ dehnung und scheinen vom Rückzug des Suretta-Gletschers und der seitlich ihm zutretenden Gletscherzüge herzurühren. Auf der breiten Fläche des Kalkgebirgs der Alp Andossi in Ost von den Cantonieren Stuetta und Teggiate ist dieses Gebilde sehr ausgezeichnet entwickelt. Gewaltige Massen grosser Blöcke von Suretta-Gneis liegen hic!' über Glimmerschiefer und Kalkstein ausgebreitet. Das Kalkplateau der Andossi ist bald mit vereinzelten Blöcken, bald mit ganzen Blockfeldern bedeckt, so dass man auf grössren Strecken auf Gneisgebiet zu sein glauben würde, wenn nicht einzelne Marmor-Ausbisse und Dolinen den wahren Untergrund anzeigten. Eine ausgezeichnete Quermoräne aus grossen Gneisblöcken bestehend legt sich im Süden vor das breite Thalbecken der Dogana oder des Piano della casa (1904 M.) und bildet einen 10-12 M. hohen und höheren Blockwall, der vermuthlich eine längerc Pause im Rückzug des Suretta-Gletschers andeutet, während welcher derselbe noch den Piano erfüllte.' Vom Gletschergang abgefegte FeIsfiächen trifft man von minde­ stens 2400 M. Meereshöhe an bis zum Liro- und Mairathai hinab. Namentlich zeigen die Lavez-Massen bei Chiavenna noch ausgezeichnet schöne Abfegungen. Mehrere hochgelegene Sättel sind offenbar vom Glet­ schergans überschritten worden. So der Passo di Lei, 2400 M. zwischen Liro-Thal und Val di Lei. Die Alp Motala, in Ost von diesem wenig tiefer gelegen, ist eine breite Gehängestufe mit abgefegten FeIsfiächen von Glimmerschiefer. Hervorragende ab geglättete Quarzknöpfchea be­ zeichnen auch noch an bereits angewitterten Felsoberfiächen die Ab- 40 schleifung durch den ehemaligen Gletschergallg. -- Passa di Made­ sima, 2280 M. zwischen Madesimo-Thal und Emet-Thal, ist eine breite Platte voll flachwölbiger Felsbuckel (Roches moutonnees), die an man­ chen Stellen wirklich das Bild einer Heerde lagernder Hämmel gewähren. Dazwischen liegen hie und da kleine seeartige Felsbecken.

Gebirgs- uud ThalbUdung. Was den rein orographischen Bau der Gebirge von Cläven be­ trifft, so tritt, wie ein Blick auf die Landkarte zeigt, der Gegensatz von nordsüdlichen und westöstlichen Kämmen in den Vordergrund. Indessen stehen vorzugsweise nur die westöstlich oder WSW in ONO verlaufenden Kämme einigermassen mit der geologischen Zusam­ mensetzung des Bodens und der Lagerung der Schichten in Zusammen­ hang, wie dies namentlich im Bergell und im Veltlin der Fall ist, wo die Maira und die Adda Längenthäler durchfliessen. Die meridianen Kämme dagegen überqueren meist die geologischen Zonen und nur in Nordosten (oberes Liro-Thal, Val di Lei, Madris) ist auch das Streichen der Schichten stellenweise, aber nicht durchgehend, meridian mit öst• lichem Einfallen. Gesteine und Lagerungsverhältnisse sind offenbar zu einem ge­ wissen Grade massgebend für die Gestaltung der Haupt-Bergkämme gewesen, erscheinen aber keineswegs als das alleinige Moment der Aus­ bildung der heutigen Gebirgsconfiguration. Weit mehr hat die spätere Eintiefung der Wasserabflüsse auf diese eingewirkt. Während die Entwicklung von Massiven in einem Theile des Ge­ biets als Grundlage des geologischen Baus und weiterhin auch von Einfluss auf die spätere Gestaltung von Gebirgskämmen und Thälern erscheint, in einem andern Theile mehr der Zusammenhang von Ge­ birgskämmen mit streichenden Zonen in den Vordergrund tritt, ergibt die Betrachtung der Thalbildung durch das ganze Gebiet tiefer ein­ greifende Momente der Landesconfiguration. Sie ist offenbar vom Ver­ lauf der viel älteren Massive und streichenden Schichtenziige zunächst abhängig, bricht sich aber auch quer durch diese ihre eigene Bahn und erscheint iiberhaupt als das letzte und ausgeprägteste Moment in der Ausbildung der heutigen Oberflächengestaltung. 41

Ich brauche kaum zu erwähnen, dass Prof. Rütimeyer's *) treff­ liche Untersuchungen über Thal- und Seebildung mich bei dieser Auf­ fassung wesentlich geleitet haben. Ich gehe, so viel mir bewusst ist, auch nur bei Beurtheilung der kleinen Hochgebirgs-See'n von Riiti­ meyer's Schema wesentlich ab. Gehen wir von der Thalbildung aus, so treten uns vor allem grossartige nordsüdliche Thalzüge in Verbindung mit einmündenden zum Theil ebenso lang und breit entwickelten westöstlich oder WSW. und ONO. verlaufenden Thalbildungen in die Augen. Vor allem macht sich der lange meridiane Thalzug des Lira, der Maira und des Corner See's bemerkbar. Ihm fallen von Ost die Maira im BergeIl und die Adda im Veltlin zu, aber auch in West münden aus höherem Niveau namhafte Thäler ein, wie namentlich das Val Bodengo. Beherrscht werden diese Thalzüge minder von der Massiv-Bildung, mehr schon vom Verlauf streichender Schichtenzonen und im Ganzen genommen erweisen sie sich als ein zwar jüngeres aber viel grossartiger eingreifendes Moment in der Bildung der heutigen Oberflächengestaltung als die entlegneren Vorgänge der Massivbildung und Schichtenfaltung des Bodens. Wir haben hier vor Allem ins Auge zu fassen: A. In Norden das Hinterrheinthai auf Schweizer Gebiet. E. In NO. die Meridianthäler der Madriser und A verser Gegend auf Schweizer Gebiet mit dem italienischen Val di Lei. C. Vom Splügenpass an in Süd hinab das Lira-ThaI, dessen me­ ridiane Richtung von Chiavenna an das Mairathai mit dem lHezzola-See und dem Corner See fortsetzt. D. Das aus O:NO. zutretende obere Maira-Thal oder das BergelI, das bei Castasegna auf italienisches Gebiet tritt. E. Das am Corner See aus O. und ONO. zutretende italienische Veltlin (la Valtellina) oder obre Adda-ThaI. Alle diese Thäler nebst vielen kleineren Seitenthälern haben im obren Ursprung terassenförmig übel' einander aufsteigende Hoc h b öde n oder Ci r k e n und im tieferen Verlauf mehr oder minder deutlich ausgebildete Parallelterassen oder Gehängestufen, die von

*) L. Riltimeyer. Ueber Thal- und See bildung. Basel 1869. 42 der allmähligen Ausbildung der heutigen Oberflächenconfiguration Zeug­ niss ablegen. A. Das Hinterrheinthai oder Rheinwaldthal. - Vom Fusse des Rheinwaldhorns an (Thalboden unter der Zapport-Alp 1850 M. Meereshöhe) über Splügen und Suvers in ONO. verlaufend ist dasselbe in Bezug auf den Gesammtbau der Alpen allerdings ein Längenthai, dnrchsetzt aber bei Hinterrhein auch streichende Züge und stösst dann an die Gneis-Massen des Suretta-Stocks. Es wird von diesem nur wenig abgelenkt, vertieft sich vielmehr rasch und mit starkem Gefälle in Gneis zu einer engen steilwandig eingefassten Schlucht und wendet sich bald in Nord zum meridianen Thalboden von Andeer (979 M.) oder dem Schamser ThaI. Oestlich uud südöstlich von der Suretta-Masse verlaufen eine An­ zahl von bedeutenden Thälern in mehr oder weniger ausgesprochenem meridianem Verlauf, die alle in Nord hinab dem meridianen Hinter­ rhein zufallen. Sie durchsetzen die ganze Schichtenfolge vom Gneis bis zum Ründner Schiefer (Lias) und gehen eins nach dem andern im Averser Rheinthal zusammen. Dieses zieht dann als tief ausgenagte Felsschlucht durch den Gneis der Suretta-Masse und erreicht in der Rofla den meridianen Unterlauf des Hinterrheins, der von da an eigentlich mehr als Fortsetzung der A verser Thäler erscheint. Diese Gruppe von Meridianthälern stellt streckenweise Längs• thäler dar, die meridian streichenden Schichtenzügen folgen. In andern Strecken aber überqueren sie ohne sonderliche Aenderung ihres Laufes auch westöstlich streichende Lagerfolgen, wie das Aversthal namentlich von Canicul an bis Ausser-Fel'l'era in meridianem Lauf Gneislager durchsetzt, die westöstlich streichen und in Nord fallen. Ein und das­ selbe Meridianthai ist hier im obren Verlaufe Längsthai, im untren Verlauf Querthal, ohne in seiner Richtung sich zu verändern. Von den Ursprüngen des Averser Rheins fällt nur das westlichste oder das Val di Lei, das Seen-ThaI, der einzige italienische Theil des Flussgebietes des Rheins, in das Bereich des uns vorgezeichneten engeren Rahmens. Es hat an 15 Kilometer Länge. Es ist im topographischen Atlas der Schweiz (1: 50000) auf Blatt 506 und 510 dargestellt. Val di Lei durchsetzt nur Glimmerschiefer und zwar in ausgezeichnet me­ ridianem Verlauf. Die Schichten streichen im obren Theile westöstlich und fallen in Nord. In der untern Thaistrecke streicht aber der Glim- 43 merschiefer meridian und fällt in Ost. Val di Lei ist also im obren Verlauf ein Querthai, im untren ein LängsthaI. Breit und durch Schutt und Gerölle ausgeebnet ist Val di Lei von Corbia di sopra an über Santa Anna bis unterhalb Alp deI Palü, von 1860 bis 1800 Meter Meereshöhe. Diese Strecke hat eine Länge von 6 1/2 Kilometer, also nur 9 Meter Gefälle auf 1000 Meter. Von der Alp deI Palü an tieft sich der Lei-Bach rasch in eine enge steil­ wandig gefasste und weiter thalabzu vollkommen unwegsame Fels­ schlucht ein und erreicht 4 1/2 Kilometer nördlich von da das fast ebenso steilwandig gefasste und nur mit grosser Mühe in wegsamem Zustande zu erhaltende ThaI des Averser Rheins in etwa 1560 M. Meereshöhe. Es hat also in der untern tief ausgenagten Strecke 53,3 Meter pro mille Gefälle. Die obre Thaistrecke VOll 9 pro mille Gefälle ist darnach offenbar eine viel ältere Bodenaustiefung als der untere rasch fallende und tiefer ausgenagte Theil desselben ThaIs. Es fehlt in Val di Lei nicht an hochgelegnen Stufen einer noch ältren Bodenconfiguration. Der Passo di Lei führt von Campodolcino über Alp Angeluga in 2400 M. Meereshöhe in Ost über in das obre Val di Lei. Der breite Gebirgsübergang ist bedeckt von rauhen klippig vortretenden Felsen von festem Glimmerschiefer mit vielen Spuren von Gletscherabfegung. Dazwischen liegen eine grosse Anzahl von kleinen felsig eingefassten Seen. An der Ostseite weniges unterhalb des Passo di Lei verläuft die breite ebene Stufe der. Alp Motala mit ebenfalls ab gefegten Felsflächen. Dies ist in etwa 2325 M. Meereshöhe und in steiler Höhe über dem Thalboden der Corbia di sopra (1860 M.). Weiter in Nord sah ich von Alp Crot aus in West über mir am Fusse des Pizzo di Crot bei­ läufig in der Höhe der Alp Motala den Rand einer ebenen Gehäng• stufe, welche derselben älteren ThalfIäche wie Alp Motala angehören dürfte. Im Gedränge der geologischen Arbeit fehlte es mir an Zeit, diese alte Thalstufe genauer zu verfolgen. Es ist aber sicher, dass demselben alten Thalweg wie Alp Motala und der Fuss des Pizzo di Grot noch eine Hochterasse im Avers entspricht, die ich am Plan dil Bov (2128 M. nordwestlich von Ganicul) in ausgezeichneter Weise ent­ wickelt fand. Von Alp Motala bis Plan dil Bov ist dem Thalverlauf nach ein Abstand von etwa 15 Kilometer mit 197 M. oder 13 pro mille Gefälle. Diese alte Thalsohle fällt also nur um weniges rascher 44 als die heute noch den Thalweg bildende flaehe Thaistrecke des Val di Lei von Corbia di sopra bis Alp deI Palü. Eine tiefere Gehängeterasse verläuft an der Westseite des Val di Lei bei der Alp Crot in 1959 M. Meereshöhe. Sie ist auf grosse Strecken noch gut erhalten. Der obere Pfad von Alp deI Palü nach Canicul folgt ihr und an der Ostseite des ThaIs ist sie auch noch stellenweise zu erkennen. Diese tiefere Terasse ist auch im Avers ent­ wickelt und bei Hg Plan (1884), Bleis (1761), Sex (1620), St. Martin (1541) u. a. o. bei Canicul deutlich. Auch gehört der lang gezogene breite Thalboden des Emet-Thales (Alp Emet 1888) demselben Horizont an. Darnach würde Val di Lei vier ungleich alte Thalbildungen bieten, zuoberst die Stufe von Alp Motala, etwa 350 M. tiefer die von Alp Crot, etwa 100 1\f. tiefer die heutige breite Thalfläche von Santa Anna und viertens die thalabwärts gelegne tief ausgenagte Schlucht des Lei­ Bachs, deren Bildung der jüngsten Zeit angehört. Für eine noch ge­ nauerc Ermittelung uer Terassenfolgen ist übrigens selbst die hypso­ metrische Schweizer Karte (1: 50000) nicht ganz genügend, was na­ mentlich im italienischen Val di Lei gilt. B. Das Li I' 0 - T hai oder Val Sant Giacomo. Es verläuft vom Splügenpass (2117 M. = 6510 Par. Fuss) in Süd bis Chiavenna (317 odel· 332 M.) - erst als breiter Hochboden (Piano deBa casa), weiterhin als tiefe unwegsame Felsschlucht (Cardinel), dann als breitere durch Gebirgsschutt und abgestürzte Blöcke vielfach eingeengte Thal­ ebene. Zur BeUl·theilung der älteren Configuration fehlt es leider an den erforderlichen Höhenangaben. Man ist fast nur der Splügenstrasse und der Schweizer Grenze entlang einigermassen im Stande, die zerstreuten Hochböden und Gehängeterassen in zusammenhängende Horizonte zu ordnen. Uebersieht man den auf der Dufour-Karte Blatt XIX reichlich mit Höhenangaben ausgestatteten Zug der Berggipfel und Pässe der beiden Meridianketten, welche das obere Lirothal einfassen, so weit sie auf die Landesgrenze fallen, so drängt sich uns die Ueberzeugung auf, dass sie nur die Reste eines alten, gegen Süd flach abdachenden Hoch­ plateaus sind, in welchem im Verlaufe zahlreicher Jahrtausende das fiiessende Wasser, unterstützt von der Annagung der Felsmassen durch die Atmosphärilien, tiefe Thäler ausgefurcht hat. Es ist hier von einem hohen Plateau in Folge der Erosion nur noch ein scelettartiger Rest übrig geblieben. Die der Annagung noch kräftig trotzenden Kämme 45 und Gipfel spannen über dem ausgefurchten Gebiet gleichsam einen Rahmen in den Lüften aus, der die ehemalige Höhe der Gebirgs­ oberfläche noch beiläufig andeutet und man ahnt, dass auch sie in ferner Zukunft dem nagenden Zahn der Atmosphärilien und des fliesen­ den Wassers noch verfallen werden. In die Augen fallend ist die nahezu gleiche Meereshöhe der Bergspitzen in beiden Meridianketten, welche in Ost und West das Lirothal einfassen. So erheben sich in West: in Ost: Pizzo Tambo 3276 m Suretta - Horn 3025 m CimadeBaidisci03038 " PizzodiVaiSterla3025 " Pizzo deI Quadro 3025 " Pizzo SteUa 3406 u. 3129" u. s. w. Noch eine Menge von Gipfeln halten sich vom Splügenpass an bis zur Breite von Chiavenna in beiläufig demselben Rahmen. Drei dieser Gipfel, Pizzo Suretta, Pizzo deI Quadro und Pizzo di Val Sterla reichen sogar in dieselbe Höhe von 3025 Meter. Man lmnn dieser Erscheinung nur die Erklärung unterlegen, dass jene Gipfel, die vermöge festerer Gesteinsbeschaffenheit der.A btragung entgangenen Reste einer ehemaligen Hochfläche sind, die vielleicht nur wenig ge­ gewellt war. Eine andere Erklärung ist kaum zu versuchen. Auch die Pässe beider Meridianketten liegen in auffallend gleichen Meereshöhen. So trifft man in West: in Ost: Passo di Baldiscio 2358 m Passo di Madesimo 2280 m Passo Bardan 2588" Passo die Lei 2400" Passo dellaForcola2217 " u. s. w. Die Einnagung der Pässe hält also in beiden Meridianketten in West und in Ost fast gleichen Schritt mit den Gipfelhöhen. Die Pässe liegen meist 500-600 Meter unter den nächsten Hochgipfeln. Nur das Splügen-Joch (2117) ist nach der lockeren Beschaffenheit seines Gesteins (feinschuppiger Glimmerschiefer, Casanna - Zone) beträchtlich tiefer eingenagt, als die rechts und links hervorstehenden Gipfel Suretta­ Horn und Tambo-Horn. Südlich von Chiavenna stehen für die Ostseite des ThaIs bis zum Monte Legnone in Osten über dem Comer See (2612 Meter) keine Höhenallgaben zur Verfügung. An der Westseite erheben sich an der Graubündner Grenze die Gipfel hier noch etwas über 2600 Meter und 46 sinken weiter in Süd bis in die Gegend des Jorio-Passes allmählig auf 2500 und 2300 Meter (Gardinello am Jorio-Pass 2317 Meter). Vom Splügenpass bis zum Comer See und dem Jorio ist eine Länge von etwa 40 Kilometer *) und die Gipfelhöhen senken sich mit dieser Strecke nur um durchschnittlich 600 bis 900 Meter oder 15 bis 22 pro Mille. Die Abdachung des daraus zu erschliessenden ehemaligen Gebirgs­ plateaus mag also ein mässiges Gefälle gegen Süden gehabt haben und dann rascher zur Lombardischen Niederung abgestürzt sein. Jedenfalls erweisen zahlreiche und zum Theil in deutlichen Treppen über einander folgende Hochböden oder Cirken des Liro-Thals und ausgezeichnete Gehängeterassen, dass die jetzige Configuration von Gebh'g und ThaI hauptsächlich die Folge allmählig fortschreitender Abtragung durch Atmosphärilien und thalabzu fliessendes Wasser ist und dass die ältesten Thäler, von denen jetzt nur die hintersten Bruch­ stücke noch übrig sind, in grosseI' Meereshöhe die Erosion eröffneten. Der Hauptursprung des Liro-Thals**) ist das aus West herab­ kommende breite und fast ebensöhlige Val Loga, welches in den breiten Hochboden des italienischen Zollhauses, . Dogana deI Monte Spluga, einmündet. Diese breite grasige Ebene, der Piano della casa genannt, liegt in 1904 Meter Meereshöhe und ist durch Gerölle ausgeebnet. Der Liro fliesst hier ruhig in einem flachen Bett und führt hier noch den Namen Vo, der vermuthlich den Romanischen aua, das Wasser, ent­ spricht. An der Colmanetta-Brücke stürzt er sich in eine enge, in Glimmerschiefer eingenagte Felsschlucht, die sich weiterhin immer tiefer und steiler einnagt, im Thalweg ungangbar ist und das Cardinel heisst (il Cardinello). Durch diese führte bis zum Jahre 1822 der alte mühsame und gefährliche Saumpfad von Piano della casa nach Isola (1277 Met.) hinab. Jetzt ist er stellenweise verschüttet und vom Verkehr verlassen. In SO. vom breiten ebenen Becken des Piano della Casa legt sich ein mächtiger Damm von Gneisblöcken in den Weg. Es ist eine

*) Der Poststrasse nach vom Spliigenjoch bis Chiavenna 30 und von da bis Colico 27; zusammen 57 Kilometer. **) A. Eschm' und B. Studer, Geologische Beschreibung von Mittel­ bünden. R. 25. 47 alte Quermoräne des ehedem von der Suretta aus N. und NO. und des vom Val Loga aus West herabkommenden Gletschers, die ehedem im Becken zusammen stiessen und unterhalb desselben längere Zeit still­ standen, bevor sie wegschmolzen. In der hohen Thalfiäche zwischen dem Piano della casa und der Cantoniera della Stuetta hat der Damm etwa 10-12 Meter Höhe. Aber in Ost darüber auf dem breiten Kalk­ plateau der Alp Andossi breiten sich noch andere ausgedehntere Block­ felder desselben ehemaligen Gletschers aus. Das breite seeähnliche Becken des Piano della casa mit seiner Ausebnung durch jüngere Geröllelagen, zeigt keine erratischen Gneis­ blöcke und war also wohl während des langen Stillstandes des Suretta­ Gletschers, dem die Aufhäufung der Quermoräne an der Stuetta ange­ hört, von Eis erfüllt und nach dem weiteren Rückzug des Gletschers vielleicht vorübergehend ein breiter seichter See, den bald nachher die Gerölle des Liro ausebneten. Wo der Felsboden des Beckens noch hervorschaut, erscheint er durch den Gletschergang glatt abgefegt. Nach der oberflächlichen Unterbrechung durch die alte Suretta­ Gletscher-Moräne setzt sich der hohe Thalboden des Val Loga und des Piano della casa weiter in SO. gegen die Cantoniera della Stuetta (1870 Met.) fort, dann weiter in S.W. über die Alp Buffalora. Da­ runter in West durchbraust der Liro die Thalenge des Cardinel, bis er das breite von Gerölle ausgeebnete Becken von Isola (1277) erreicht. Die Gehängeterasse der Stuetta und der Alp Buffalora in bei­ läufig 500-600 Meter Höhe über dem heutigen Thalweg des Liro - oder dem Cardinel - ist mehrere hundert Schritt breit und beherbergt noch ein breites flaches Thälchen, das Palü oder Val deI Palude, wel­ ches sich in W.S.W. sanft abdacht und dann unterhalb von Alp Buffa­ lora jäh ins Cardinel abstürzt. Das Val deI Palude mag noch ein ziemlich getreues Abbild des oberen Liro - ThaIs in einer sehr ent­ legenen Epoche sein. In N.W. begrenzt es eine etwas höhere und sanft ansteigende Firste, die dann jäh zum Cardinel abstürzt. Ob dieses letztere aber seinen Verlauf durch ein Parallel-Thälchen des Palü vor­ gezeichnet erhielt und also durch einfache Erosion entstand, oder ob es das Ergebniss einer Aufspaltung ist, scheint auf den ersten An­ blick schwer zu beurtheilen. Wahrscheinlich liegt auch hier eine ein­ fache, aber sehr schroffe Erosion vor. Wenigstens erscheint im Aus­ gang des Cardinel noch eine eigene Terasse, auf der das Dörfchen ai 48

Torni gegen 30 Meter hoch über der breiten Niederung von Isola liegt. Diese Terasse stellt einen älteren Thalboden des Cardinel dar, der Liro unterteuft diesen jetzt mit raschem Gefälle in einer tieferen Felsgasse. Das Cardinel ist darnach also auch wohl ein Erosions-ThaI, wenn auch von ungewöhnlich schroffem Bau. Mit dem alten Thalzug von Val Loga, dem Piano della casa und dem Val deI Palude vielleicht gleich alte Hochthäler sind das· Madesimo-Thal in Ost und das Val Febbrara in West. Ich schätze sie zu etwa 1600 bis 1700 bis 1800 Meter Meereshöhe. Ersteres von der Stuetta und dem Val deI Palude durch das breite Kalkstein-Plateau der Alp Andossi getrennt, ist ein auf 2 1/ 2 Kilo- . meter Länge breit ausgeebnetes Meridianthai, das in Süd bis zum Dorf und der Kirche von Madesimo (beiläufig 1600 oder 1700 Meter J\L-H.) reicht und sich dann in die tiefe rasch abstürzende und also viel jüngere Felsschlucht Scalcoggia umsetzt. Val Febbrara auf der Westseite des Beckens von Isola kommt aus SW. herab und ist ebenfalls in seinem mittleren Lauf ein breites ausgeebnetes Hochthai ganz ähnlich wie Val Madesimo. Es stürzt dann bei Stabio Sotto in Ost gegen das tiefe Liro-Thal rasch ab und erreicht dasselbe als enge Schlucht. In Süd vom Hochthai der Dogana und der Stuetta legt sich an der Ostseite des Liro wieder eine ausgezeichnete Gehängeterasse an, welche das Dorf Pianazzo (1400 Met.) trägt. Sie gehört offenbar einer jüngeren Epoche als obiges Hochthai an und mag einem etwa 400 Meter tieferen Niveau entsprecheu. Hier mündet der Madesimo­ Bach aus der engen Felsschlucht Scalcoggia und stürzt sich nach einem ebenen Lauf von ein paar Dutzend Schritten über eine fast senkrechte Glimmerschiefer-Wand in das tiefe Liro-Thal hinab. Dies ist der statt­ liche mit Recht berühmt gewordene Madesimo-Fall dicht neben der Splügen-Strasse, den eine am Rande des Felsgehängs vorgebaute ge­ mauerte Kanzel trefflich übersehen lässt. Der ganze Madesimo-Sturz vom Plateau von Pianazzo herab zum Thalweg des Liro mag beilänfig 170 Meter oder 523 Par. Fuss betragen. Unterhalb von Isola zwängt sich der Liro wieder durch eine enge Felsschlucht und erreicht dann das breit ausgeebnete Thalbecken VOll CamlJodo!cino (1183 Met.) welches seine Ausebnullg durch Schutt und Gerölle einer Stauung des Liro durch die weiter unten aus den Seiten gräben vorgeschobenen mächtigen Schuttkegel verdankt. Auf der Strecke von Campodolcino bis Chiavenna (317 oder 332 Met. Meeresh.) münden noch eine Anzahl von Seitenthälern mit tiefen felsigen Schluchten, welche weiter aufzu breite flach abfallende Hochthäler in beträchtlicher Höhe über dem heutigen Liro darstellen. Der vollständige Mangel an Höhenangaben macht es leider unmöglich, diese seitlichen Hochthäler in sichre Relation zu den entsprechendel;l Gehängeterassen andrer Gebiete desselben Thalsystems zu bringen. Ausgezeichnet ist unter ihnen namentlich das breite von Gerölle und Schutt ausgeebnete Val dei Drogo in N.W. von Sant Giacomo. Zu diesem stürzt an der N.W. Seite das ThaI der Truzzo-Seüll mit einer mindestens 200 Meter hohen jähen Gneis-Wand ab. Das Truzzo­ ThaI ist ein breites von Nord herab kommendes Hochthai, fast ohne Schuttausfüllung, mit einem felsigen und vom Gletschergang abgefegten Thalgrund. Leider fehlen auch hier die Höhenangaben. Das Truzzo­ Thai mag aber nach beiläufiger Abschätzung sehr wohl in den Horizont des Piano della casa (1904) und der Stuetta (1870) fallen. Dann müsste das Drogo-Thal etwa der Terasse von Pianazzo (1400) ent­ sprechen. Aber noch höhere Thalböden liegen hier vor. An der Ostseite des Pizzo Truzzo überschritt ich von der ausgezeichneten Gehänge• terasse der Alp Servizio di sopra an (die etwa dem Horizont der Stuetta angehören mag) noch drei treppenförmig über einander aufsteigende Hochböden oder Cirken. Aber auch die beste über diese Gegend vor­ liegende Karte - die Lombardische in 1/86400 - gibt keine An­ deutung von dieser Gebirgsconfiguration und hat mich überhaupt fast überall im Hochgebirge auf trostlose Art im Stiche gelassen. C. Das untere Bergell. - Bei Chiavenna mündet zum Liro­ Thai aus O. und O.N.O. das breite Mairathai oder Bergell, . Die Italiener erklären seinen Namen von Praegallia (V order­ gallien). Wahrscheinlich bedeutet er aber Bruchthai oder Sturzthai (frangere, brechen, fracasso, Zertrümmerung). Hier unterstützen uns wieder Schweizerische Höhenbestimmungen. Castasegna, der westlichste Ort im Schweizerischen Bergell, hat 720 Meter Meereshöhe. In N.O. darüber liegt SO.Qlio, 1088 Meter Rolle, Chia venllfl. 4 50

(3350 Par. Fuss *) auf einer breiten gegen das MairathaI schroff ab­ stürzenden Gehängeterasse. Diese setzt jenseits von dem die Landes­ grenze bildenden tief eingerissenen Val Lovero auf italienischem Ge­ biet weiter in W.S.W. fort und bildet hier die Sommasassa nördlich über Villa, die den Horizont der Soglio - Terasse unter schwachem Gefällo fortführt. Diesem Horizont scheint auch auf der Nordseite der Maira das breite ebene HochthaI von Alp Cantone oberhalb von Savogno an­ zugehören. Auf der Südseite des Bergell verlaufen auf italienischem Gebiet ähnliche Hochterassen, auf welche aber bei der dürftigen Ausführung der Lombardischen Karte und dem Mangel der Höhenangaben sich nicht einzugehen verlohnt. - In Süd darüber folgen auch hier hoch­ gelegene treppenförmig über einander aufsteigende Cirken. - 1875 den 3. August - mit gebrochenem Schlüsselbein und gelähmtem Arm - vom Fusse des Monte Droso mühsam hinabsteigend über• schritt ich mindestens drei übereinander folgende durch steile Abstürze von einander getrennte halbkesselförmig ausgeebnete Thalböden, die denen zwischen der obren Alp Servizio und dem Pizzo Truzzo (West­ seite des Liro-Thals) ganz gleichkommen. Sie mögen gegen 2500 Met. Meereshöhe aufsteigen. Eine ausgezeichnete Hochterasse - tieferen Rangs. - erscheint ferner auf der Nordseite des Bergell in NO. über Santa Croce. Sie trägt einen ausgedehnten Castanienwald und heisst Prigalun. Ich schätze ihre Höhe über der Maira auf etwa 70 Meter, was einer Meereshöhe von etwa 590 Meter entsprechen mag. Sie verläuft also in beträchtlich tieferem Niveau als die Soglio-Terasse. Der merkwürdige Ursprung des Bergell vor der dem Ober­ engadin angehörenden Fläche der Maloja fällt auf das östliche Blatt XX (Theobald) Sudöstl. Graubünden 1866, Seite 210, in 1811 Met. Meereshöhe). Ich kann aber nicht umhin, darauf aufmerksam zu machen, dass schon die Herrn A. Escher und B. Studer (Mittelbünden 1839, Seite 24) das den heutigen obersten Ursprung der Maira bildende

*) Soglio nach B. Stude1' 3360 Par. Fnss = 1091,4. Meter. Savogno, 3109 oder 3027 Wr. Fuss, etwa 970 Met. 51

Marozzo - Thai «eine unvollkommene Fortsetzung der Maloja - Fläche» nennen. Allem Anschein nach hat das obere Marozzo in ältrer Zeit den Ursprung des Engadin gebildet und ist erst im Verlaufe der thal­ einzu vorrückenden Erosion des obren Bergell in dessen Gebiet herein­ gezogen werden. Der Inn entsprang damals am Pizzo della Dualla, der jetzt dem Flussgebiet der Maira angehört. Wahrscheinlkh hat die rascher vorgehende Erosion der Ordleglla diesem Stande der Dinge ein Ende gemacht. Welche gewaltige Abtragungen der Gehänge im Bergell noch nach Ausbildung der heutigen Thalsohle statt gehabt haben, erweist namentlich die mächtige Block-Terasse von Aurogo oder Dre- Voeug südlich der Maira bei Santa Croce) com. di Piuro. Sie bildet eine verhältnissmässigo breite Ebene, welche ein stattlicher Castanienwald bedeckt. In Ost 6 bis 10 Meter die Maira überragend erhält sie gegen West im Verlauf des rasch wach­ senden Flussgefälles eine Thalhöhe von etwa 30 Meter und wird auf dieser untren Strecke von der Maira mit einer schmal eingeengten heftig brausen­ den Stromschnelle durchbrochen. Sie besteht nur aus grossen Blöcken von festem meist granitartigem Gneis, wie er die obersten Kämme der Gebirge zu beiden Thalseiten hier bildet. Ich habe lange mein Urtheil über die Entstehung dieser aus groben Gneisblöcken aufgehäuften Thalterasse zurückgehalten. Ihre erste Grundlage kann vielleicht eine Quermoräne des alten Maira-Gletschers gegeben haben. Einen groRsen Antheil an ihrer Bildnng nahmen aber jedenfalls die im Laufe der Jahrtausende von den im Hintergrund hoch hervorsteigenden Gneisbergen herabgebrochenen Blöcke. An der Nordseite des ThaIs ist die Anhäufung der herabgebrochenen Gneis­ blöcke noch bedeutender und an dem mässig steilen Hang in Nord über der Kirche VOll Santa Croce liegt noch eine Reihe von 2 bis 5 Meter gros sen Gneisblöcken hinter einander, wie im Lanf aus N. in S. eingehalten. Hier ist der Sturz vom nördlichen Gehänge offen­ bar. Schwieriger ist die Entscheidung über die ausgeebnete Block­ Terasse an der Südseite des ThaIs. Ich habe dieses Vorkommen aus­ führlicher erörtert, um die Aufmerksamkeit andrer Geologen auf die­ selbe zu lenken, namentlich in Bezug auf die Frage, ob hier eine alte Quermoräne vorliegt, seither von herabgestürzten Felsblöcken über• deckt, - oder ob die ganze Blockmasse von tausendjährigen Fels­ stürzen herzuleiten ist. Unter den Gesteinen der Aurogo-Terasse ist

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mir nichts zu Gesicht gekommen, was auf Transport aus grössrer Ferne deuten würde. Ein anderes Zeugniss für die bedeutende Abtragung der Gehänge des Bergell in geschichtlicher Zeit liefert der vielgenannte aber viel­ fach unrichtig beschriebene BeI' g s t u I' i von Plürs oder Piut·o. Die heutige Gemeinde PittrO mit dem Hauptort Santa Groce hegreift mehrere Ortschaften beiderseits der Maira. In diesem Gebiete auf der Südseite der Maira unter einem schroffen Berggehänge von Hornblendeschiefer lag einst der schöne und reiche handeltreibende Flecken Plürs, wahrscheinlich so benannt nach den zahlreichen vom Steilhang herabstürzenden Bächen und Flössern (plorare, weinen, piovere, regnen, piorno, regnerisch.) Ein Bergsturz begrub Plürs den 4. September 1618. Der Berg Conto soll über das Ort hereingebrochen sein. Eine Gedächtniss-Capelle steht zwischen San MicheIe und Borgo Nuovo am Pfad von der Land­ strasse zur Mairabrücke, welche nach dem Dörfchen Scilano überführt. Sie trägt die Aufschriften «coelo tonante, ruente monte Plurium decessit» und «Precate pei defunti di Piuro sommers il' anno 1618». Ein Bild stellt zugleich den Untergang des Fleckens Piuro mit zwei Kirchen dar, Felsblöcke stürzen vom Berg herab und eine Wasserfluth €rgiesst sich durch eine Schlucht ins ThaI. Letzteres bezieht sich auf die Sage vom Ausbruch eines Bergsees, der bei der Verschüttung von Plürs sich betheiligt haben soll. Ich habe die Stelle der Verschüttung von Plürs - etwa drei Kilometer östlich von Chiavenna - so gut es die Bepflanzung mit Weinreben gestattet und ebenso das hohe in Süd darüber gelegene Berggehänge von Monte Moscone näher untersucht, auch die gleich­ zeitigen Aufzeichnungen von Sprecher zu Rathe gezogen und komme gegenüber den Angaben von Zschokke, Theobald, Nöggerath und Andern zu folgenden Ergebnissen. 1. Der Bergsturz von Plürs war nur eine Sc hut t ver r u ts c h u n g. Ein Niedergang von anstehendem festem Fels ist wenig oder gar nicht anzunehmen. 2. Die Angabe, der Bergsturz sei durch langjährige Topfstein­ Gewinnung veranlasst, scheint mir unbegründet. Diese Erklärung gibt übrigens schon Sp1'echer. 3. Der oftgenannte Monte Conto, der Plürs überschüttet haben 53 soll. wal' vermuthlich !{ein höherer f81sigcr Berggipfel, soudern nur eine flache, aus Schutt und losen mücken bestehende Gehänge-Terasse mit einem Maiensäss oder Mont. 4. Der Ausbruch eines Bergsees als Anlass der Verschüttung von Plürs gehört nur der Volkssage an. Diese Angabe findet sich noch nicht in Sprecher' s Bericht, wohl aber hat sie Theoba,ld wiederholt. 5. Die Angabe, der Schutt von Plürs erreiche an 30 Meter Mächtigkeit, trifft bei df'm Orte Scilano, der heute in den Weingärten des überschütteten Gebiets zerstreut liegt, nicht zu, sondern bezieht sich auf den viel bedeutenderen und viel älteren Felsblock-Damm, der bei Am'ogo 1/2 Kilometer in Ost von Scilano. die Thalebene der Maira unterbricht und verengt. 6. Die Hauptschuttmassen von Scilano (Piuro) überragen etwa 6 - 8-10 Meter die breite Fläche der Weingärten, liegen etwa 200 Schritt vom Fusse der südlichen Bergschroffe entfernt und müssen von einem freien Schuss der von der Höhe herabbrechenden und zu unge­ heurer Geschwindigkeit gelangten Schuttmassen el'idärt werden. Doch ist mir auch in diesen Stücken nicht alles gleich klar ge­ worden, um so mehl' als die Kartirung des Schauplatzes äusserst dürftig ist und die Uebersicht nur wenig fördert. Die Stätte der Verschüttung \'on Plürs ist eine theils ebene, theils mit Schutthügeln bedeckte Fläche, die ein paar Meter übel' dem Mairaspiegel liegt und grösstentheils mit Weingärten bepflanzt ist. Die Schutthügel überragen die Fläche um höchstens 8-10 oder 12 Meter. Bei weitem der meiste Schutt ist ein Gemisch von Geröllen und Ge­ schieben, hie und da liegen gros se Blöcke von Gneis, Glimmerschiefer und Lavez. Sie sind meist stark abgerundet, waren längst abgerundet als der Bergschlüpf von 1618 vor sich ging und rühren nicht \'on einem Felsbruch her, sondern mögen als uralte Rollblöc]{e oder erra­ tische Blöcke auf dem Gehängeschutt bei Monte Moscone gelegen haben, mit welchem sie zusammen ins ThaI niedergingen. Einzelne dieser ge­ rundeten Blöcke haben 4 bis 7 Meter Länge und manche auf der Firste der hervorragenden Schutthügel sind nahezu kuglig gerundet. Aehnliche Massen von Schutt, Gerölle und grossen Gneisblöcken liegen noch jetzt auf den steilen Hängen in Süd, 100 bis 200 Meter hoch über der Verschüttung und neue Ladungen von Schutt und Blöcken 54 könnten bei anhaltend nasser Wittcl'llllg noch jetzt in jähem Schuss über dieselbe Stelle herab brechen. Sprecher wal' Zeitgenosse der Verschüttung von Plürs und hielt sich damals zu Chiavenna auf. Er berichtet namentlich, den 25. August 1618 begann der Regen und hielt 5 Tage lang an. Ein paar Tage darnach begannen südlich der Maira vom Berg Conti, wo Lavez-Steine gebrochen wurden und schon seit Jahren Risse und Spalten sich zeig-; ten, Rüfen und Schlüpfe herunterzubrechen. Diese verschütteten einige Weinberge. Man blieb aber in Plürs noch sicher, da solche Abrut­ schungen auch früher schon vorgekommen waren. In der Abenddäm• mel'ung den 4. September stürzte dann der Berg Conti in einem ein­ zigen Augenblick herunter. Ip. Cläven tönte es wie ein Donner. Das Dorf Schilano mit 78 Häusern und der Flecken Plürs mit 125 Häu• sern und 930 Personen wurden verschüttet. Ein Theil des Schutts wurde auf die andre oder nördliche Seite des Flusses geworfen. Zwei Stunden lang blieb in Cläven die Maira aus. Sie bildete einen See von einer Viertelstunde Länge, der aber dann ohne weiteres Unglück anzurit- hten, seine Verdämmung durchbrach. Der Bergsturz war eine halbe Stunde lang, an Breite unbedeutend, die Höhe des Schutts abm' ungewiss. c~us dem Sturze rettete sich niemand, doch wurden mehrerc Leichen ausgegraben, auch Lebende noch aus der Verschüttung befreit. - Dies ist der wesentlichste Inhalt von Sprecher's Bericht. *) Nöggerath' s Erzählungen**) von der Verschüttnng von Plürs ver­ dienen verglichen zu werden, bestehen aber aus einer hie und da ver­ worrenen Compilation. Die Stelle, wo früher die Stadt Plürs stand, soll ein schöner Castanienwald bezeichnen, der auf den vom Conto herabgekommenen Felsbrocken aufgewachsen sei. Hier scheint einc Verwechslung mit der Gneisblock-Terasse von Aurogo vorzuliegen, die eibell Castanienwald trägt. Die Stätte von Plürs ist Wingert. Auch nimmt Nöggerath den Einsturz einer zerklüfteten Felsmasse an, was unbegründet ist. Er scheint nicht an Ort und Stelle gewesen zu sein.

* Sprecher, Geschichte der Bündnerischen Kriege und Unruhen. Heraus­ gegeben von C. v. Mohr. Chur 1856. **) ,T. Nöggerath. Der Topfstein. In Westermann's Jahrbuch der illustrirten deutschen Mouatshefte. Band 3. 1858. Seite 508. Die Stadt Plurs bei Chiavellna. Band 7. 1860. Seite 79. 55

Theobald*) hat die Stätte von PlUrs besucht, gibt aber von der Ver­ schüttung nur dürftige Nachricht und mengt die Volkssage vom Aus­ bruch eines Bergsees ein. D. Das untere Maira-Thal und der Corner See. - Von Chiavenna an zieht das ThaI der Maira in der meridianen Rich­ tung des Liro-Thals breit und eben in S. und SSO. hinab, hält von 1 da an bis zum Mezzola-See eine Breite von 1 / 2 bis 3 Kilometer ein und geht mit dieser Breite in den Corner See über. Dies ist der Piano di Chiavenna oder die Clävener Ebene, die vielleicht eine Zeitlang den Anfang des Corner Sees bildete, bevor sie durch die Schuttführung der Maira und des Liro aufgefüllt wurde. Beiderseits ist sie von steil ansteigenden Bergwänden eingefasst, aus denen zahlreiche gegen vorn tief einreissende Nebenthäler hervortreten und starke zeitweise gewaltig anschwellende Gebirgsbäche ausmünden. Frisch ins ThaI vorgeschobene Schuttkegel verkünden hier wie im obren Liro-ThaI den raschen Fortgang der Degradation des Gebirgs. N a­ mentlich bilden an der Ostseite die Gehänge auf grössre Strecke hin eine schroffe fast kahle Felsmauer, die von Strecke zu Strecke nur von schmalen steil wandig ein genagten Thalausgängen unterbrochen wird. Das Gebil'g in Ost darüber - vom BergeB in Süd bis zur Co­ dera und von dieser zum Val dei Ratti und zum untren Veltlin - ist äusserst felsig und zerrissen, auch auf grosse Strecken fast unbewohnt undpfadlos. Es besteht fast ganz aus festem Gneis mit braunem Glim­ mer, an d~r Codera setzt darin ein bedeutender Granitzug auf. Sonst ist wenig von dieser abschreckenden Gebirgseinöde bekannt. Die Herren Escher und Studer haben dieselbe zwischen Sommaggia und Codera überquert. Theobald und ich haben wenig mehr als Val Codera ge­ sehen und die Kenntniss dieses schwel' zu begehenden, auf den Karten mangelhaft behandelten und an geologischer Ausbeute sehr unergiebigen Gebirgsstrichs ist daher noch immer sehr ärmlich geblieben. Am schlimmsten erging es mir an der Nordseite dieses Gebirgs, wo mir 1875 den 3. August, als ich in der furchtbar wüsten Felsregion unter dem Monte Droso aus dem Ursprung von Val Brosina in den des Val Verdüra überstieg, ein von einer Geis herabgeworfener Stein das linke Schlüsselbein zerschlug und der Bereisung des Hochgebirgs für mehrere Wochen ein Ende machte. *) G. Theobald. Südöstl. Graubünden. 1866. Seite 267. 56

Gewaltige hoch ansteigende Schuttkegel, die am Rande der schroffen Thalwände steil abfallen und deren vorderster Fuss von der lVfaira ab­ getragen zu sein scheint, dürften der Zeit nach dem Rücl{zug der grossen Gletscher und vor der Auffüllung der Maira-Ebel1e angehören, als diese vielleicht noch dem Corner See angehörte. Die bedeutendsten Schuttkegel sind der von Stova bei Prata an der Ostseite und der von Coloredo, Menarola und Gordona an der Westseite der Maira. Der letztere erreicht die l\/feereshöhe von Menarola (3188 Wiener Fuss, 1006 Meter). Er mag also um etwa 600-700 Meter die heutige Maira-Ebene überragen. Er besteht aus Gerölle, das zum Thei! zu einem Conglomerat erhärtet ist und mag viellpicht zum Theil auf Rechnung von altem Gletscherschutt kommen - -- worüber ich nicht. ganz ins Klare gekommen bin, da ich bei meinem einzigen Be­ suche des Passo della Forcola durch Nebel behindert war und keine Zeit .'lU wiederholtem Besuche hatte. Im Maira-Thal zwischen Chiavenna und dem Mezzola-See fehlt es zu beiden Seiten nicht an hochgelegnen alten Thalböden, namentlich gehört dahin an der Ostseite das lange in seinem obren Verlaufe breit ausgeschnittene und ausgeebnete Val Bo­ dengo, an der Westseite das ähnlich gebaute Val Codera. Aber leider fehlen hier wieder die Höhenbestimmungen. Val Bodengo kommt von WSW. herab und hat auf etwa 5 Kilo­ meter Länge einen breit ausgeebneten Thalboden, in welchem das Dorf Bodengo steht. Die Meereshöhe desselben schätze ich beiläufig gleich der von Soglio im BergeIl (1088 Meter) oder der vom nahen Menal;ola (1006 Meter). Unterhalb vom Dorfe Bodengo tieft sich der Bodengo­ Bach oder Boggia-Torrente bald tiefer in den Gneis ein, während noch alte Gehänge-Terassell den älteren und höheren Thalverlauf andeuten und stürzt dann in einer jähen unwegsamen Felsschlucht rasch und mit hohen Wasserfällen zur Maira-Ebne herab. Die breite hochgelegne Strecke von Val Codera zieht aus ONO. (Dufoul'-Atlas Blatt 20, geologisch colorirt von G. Theobald) in WSW. und SW. gegen Dorf Codera. Weiter unten folgt wieder eine rasch abstürzende steilwandig gefasste Felsschlucht, die bei Novate die neUCl'e Thalbildung der lVfaira erreicht und hier auf Rechnung des Mezzola­ Sees die breit vorgeschobene Schuttebene von Novate vor sich her abgelagert hat. Meereshöhen sind keine bekannt. Die von Dorf Codera mag etwas unter die von Bodengo und Soglio fallen. 57

Zehn Kilometer in Süd von Chiavenlla geht der Piano di Chia­ venna aus einer sumpfigen Grasebene unmerklich in den Mezzola-See über, welcher ein kleiner durch flachen Alluvialbodell abgeschnürter obrer Theil des Comer Sees ist und drei Meter über dem Spiegel des letzteren liegt. Am Mezzola-See (193 Meter) bleiben die einfassenden Bergabhänge noch steil und felsig, wie sie es von Chiavenna bis dahin sind. Dabei verengt sich bei Novate das SeethaI auf ein Kilometer Breite, um sich bei Verceja auf zwei Kilometer wieder auszubreiten. Ueberhaupt setzt sich die Configuration des Maira- ThaIs ununterbrochen über den Mezzola­ See fort, der offenbar gleich wie der Comer See nur ein zum See aufgestauter Theil des Maira-Thals ist. Auch liegen noch beiderseits Gehänge-Terassen übel' dem Mezzola­ See genau wie die im obren Mail'a- und im Liro-Thal, nur in tiefrem Niveau. Namentlich ist im Westen eine ausgezeichnete Tel'asse. Die ganze Westseite hat jäh ansteigende Felswände von Gneis, die meist unmittelbar aus dem See steil hervortauchen. Etwas höher oben ver­ läuft ein flacher Gehänge-Absatz, der das Dorf Albonico trägt und in SSW. von da ein breites HochthaI darstellt. Es mag das etwa in 100 Meter Höhe übel' dem See sein. Nur die Ostseite des Mezzola-Sees gehört noch zum Mandamento di ChiavennR, welches hier in Süd an das VeltIin grenzt, der Westen gehört zur Provinz Como. Es ist aber für unsern Zweck erforderlich, auch noch das untere Veltlin und die Oberregion des Comer Sees in das Bereich der geologischen Betrachtung zu ziehen In SO. unterhalb vom Mezzola-See mündet die breite Ebene des Veltlin oder des Adda-ThaIs ins Maira-ThaI ein und die Fortsetzung derselben in Nordwest scheidet auf 3-4 Kilometer Abstand den Mezzola­ See vom obren Ende des Comer Sees, der drei Meter tiefer liegen soll. Diese niedere Flussebene - Piano di Spagna und nach ihren yerderb­ lichen Fieber-Miasmen auch Pianura ilJfama genannt - hat lockren feinen Sandboden und beherbergt ausgedehnte Sümpfe, die von An­ schwellungen der Adda und der Maira jährlich wieder neue Nahrung­ erhalten. Die Gradlegung des untren Adda-Lanfs der Nordseite des Felshügels der Ruine Fuentes entlang (um das Jahr 1857) hat dessen Gefälle etwas yermehrt und dem Missstand einigermaasscn abgeholfen, 58 die Sümpfe und das Fieber-Miasma sind übrigens immer noch llicht ganz geschwunden. In ältrer Zeit hing offenbar der Lago di Mezzola mit dem Lago di Como unmittelbar zusammen und dieser See mag eine Zeit lang auch in Ost in das untl'e Veltlin und weit g~gen Chiavenna thaleinzu gereicht haben. Erst die Schuttablagerung, welche die Adda im Laufe der Jahrtausende an ihrer Einmündung in das ThaI der Seen vor sich aufhäufte, füllte nach und nach diesen Theil des Sees aus und trennte den Mezzola-See auf vier Kilometer Abstand vom Corner See ab, so dass nur an der NW.-Seite für den Ablauf der Maira in den Comer See ein schmaler Canal frei blieb. Uebrigens ist auch dieser in geologischer Hinsicht sehr jugendliche Vorgang doch nach dem geschichtlichen Maasse bereits sehr alt und Jahrtausende hindurch haben hier zuletzt noch Bodenerhöhungen *) von feinem lockrem thonigem Sand stattgefunden, wie er auch im Veltlin bis oberhalb von Delebio und an der Maira oberhalb vom Mezzola-See bis gegen Sommaggia und Samolaco die Thalfiäche noch zusammensetzt. In einer grössren Tiefe mögen wohl Schuttkegel von gröbrem Material verdeckt liegen. E. Das u n t r e Ve 1 t I i n. - Das Veltlin, la Valtellina oder das Adda-Thal mündet mit weit geöffneter Thalfiäche 2, dann bis 3 Kilometer breit oberhalb Colico in die Ebne des Mezzola-Sees und des Comel' Sees. Der Boden der Thalfläche ist lockrer grauer thonigel' Sand wie der des ::'Iiaira-Thals oberhalb vom Mezzola-See. Der Fels­ grund im ThaI mag aber mehrere hundert Meter hoch mit Schutt und Geröllen aufgefüllt sein. Das untre Veltlin ist weit breiter als das untre Bergell, das ihm gleichläuft, aber die Gehänge sind ähnlich gebaut. An der Nordseite des untren Veltlin traf ich an der Alp aBa Piazza nördlich übel' Monastero eine Plateau-Bildung. Die Alp liegt in einem breiten flachen von O. in W. ziehenden HochthaI, das in Süd jäh gegen das heutige tiefe Adda-Thal abfällt. Es ist anscheinend ein uralter Thalboden der Adda. Ich schätze die Höhe der Alp alla Piazza

*) In ein Meter Tiefe unter deI' heutigen Bodenfläche soll man auf das Pflaster einer römischen Militärstrasse stossen. Guida aHa Valtellina. Milano 1873. p. 91. 59 auf 650 Meter übel' dem Corner See (190) oder zu beiläufig 840 M. Meereshöhe. Eine andere ausgezeichnete Hochterasse verläuft in tieferem Niveau an der Nordseite des untren Veltlin und trägt die Dörfer Cercino und Cino (Grenze von Weingärten gegen Castanienwälder). Sie setzt breit vor dem hohen schroffen Gebirgskamm der Bassetta auf und fällt ihrer­ seits schroff gegen die heutige Thalebene der Adda ab. Die Meeres­ höhe ist nicht bekannt. Ich schätze die Terasse von Cercino und Cino zu etwa 105 Meter über dem Adda ThaI oder zu ungefähr 355 Meter Meereshöhe. Sie dürfte der ebenfalls an der Grenze der Weingärten und der Castanienwälder verlaufenden Terasse von Prigalun bei Santa Croce im Bergell entsprechen, deren Meereshöhe ich auf etwa 590 M. abschätzte. Ebendahin mag die Terasse von Albonico an der Westseite des Mezzola-Sees gehören. Es würden darnach im untren BergeU und im untren Veltlill je zwei parallele Terassen verlaufen, eine etwa 500 Meter unter der andern und die untre etwa 70-100 Meter übel' dem heutigen Thal­ boden. Unterhalb von der Ausmündung des Veltlin setzt sich das Maira­ 1 Thai in SW. ununterbrochen mit 2 / 2 bis 3 Kilometer Breite in den Corner See fort. Die Configuration des Gehängs bleibt dabei unver­ ändert, besonders an der NW.-Seite des Sees, wo das Gebirge steil und fast in ununterbrochener Linie zum See abdacht und nur bei Do­ maso und Gravedona vorgeschobene Schuttmassen der Gebirgsbäche gegen den See als Neubildung vortreten und gegen den letztren im Vorrücken sind. Auch da.s heutige langgezogene Thalbecken des Corner Sees ist offenbar nur eine alte Erosion durch den Wasserabfiuss aus dem Maira­ und dem Adda-Thal, welche über sich noch ältere höhere Thalböden erkennen lässt, die der Seebildung weit vorausgegangen sind. Bedeu­ tende H ochterassen und zurückliegende alte Hochthäler erscheinen be­ sonders an der NW.-Seite des Sees. Ausgezeichnet ist die breite Hoch­ ebene bei Pellio und Livo in NW. über Gravedona. Ich schätze sie au!ß40_Meter Meereshöhe (oder 650 Meter Höhe über dem Corner See) wie 'die von der Alp aUa Piazza im untren Veltlin. Ich komme nach allem diesem zum Schluss, dass die Terasse von Soglio im Bergell (1088 Meter oder 3350 Par, Fuss) dasselbe alte 60

Thalniveall ist, dem in Wüst vom Mail'a-Thal das Val Bodengo, in Ost das Val Codera angehören und beziehe auf denselben Thalverlauf weiter in Süd das Plateau der Alp aUa Piazz'a im untren Veltlin (etwa 840 M.) und das breite Plateau von Pellio und Livo an der Westseite des Co­ mer Sees. Es ist schwierig dasselbe alte Thalniveau in das ob re Liro-Thal hinauf zu projectiren. Vielleicht ist es auf das Plateau von Pianazzo an der Splügenstrasse (1400 Metel' Meereshöhe) zurückzuführen. Ist dies richtig getroffen, so würde sich für den alten Thalvel'lauf von Pianazzo bis aUa Piazza und Pellio auf 30 Kilometer Entfernung ein 1 GefäiIe von etwa 18 / 2 pro mille ergeben. Noch misslicher ist es, die Pl'ojection des Anfangs der tieferen Te1'­ asse des Bergell (Prigalun), des Mezzola-Seebeckens (Albonico) und des unteren Veltlin (Cercino, Cino) ins obere Lirothal zurückzuleiten. Vielleicht ist sie bei Lirone an der Splügenstrasse (857 Met. Meeres­ höhe) zu suchen. Die Erörterung der Berg- und Thal- Configuration im Liro·, Maira- und Adda-Gebiet legt zunächst Zeugniss ab von dem grossen Gegensatz der geologischen Arbeit auf Schweizer Gebiet, wo zahlreiche Höhenmessungen und hypsometrische Projectionen zu Hülfe kommen und der trostlosen Lage, in die man sich in dieser Hinsicht versetzt sieht, sobald man auf das italienische vormals österreichische Gebiet gelangt, in welchem man fast ganz auf annähernde Höhenabschätzung allgewiesen ist und nUl' wenige Höhenmessungen vorliegen. Da indessen auf lange Zeit hin für das italienische Gebiet keine Besserung zu erwarten steht, so mögen die nur locker zusammenllängenden Bruchstücke, zu denen man zn gelangen im Stande ist, wenigstens die Aufgabe· vorzeichnen, die noch für günstiger gestellte Geologen zu lösen bleibt. Diese Aufgabe ist vielumfasselld. Allein schon die Ermittelung der obersten Cirken, in denen die ältesten nachweisbaren Hochthälel' anheben und ihre hypsometrische Kartirung wäre eine schwierige aber gewiss zu wertln'ollen Ergebnissen führende Arbeit, die namentlich über die Gestaltung der Gebirgsmasse in damaliger Zeit und die Meereshöhe, in der die ältesten noch nachweisbaren Thäler die Erosion eröffneten, noch manches Licht verbreiten könnte. Eine andere mit besseren Hülfsmitteln - namentlich mit besser ;msgestattetem l{artenmaterial und einer genügenden Menge zuverlässiger 61

Höhenbestimmungen - zu lösende Aufgabe müsste es sein, zu ermitteln, ob die durch Hochflächen und Gebängeterassen vom Splügen bis zum Comer-See zu verfolgenden älteren Thalzüge noch in ungestörtem Ver­ laufe geblieben sind - und die successive' Hebung der Südalpen nur am Abfall zur lombardischen Ebene unter Bruchbildung vor sich ging - oder ob die alten Thalzüge hin und wieder ebenfalls durch quel' übergehende Hebungen gebrochen wurden. Diese Aufgabe ist auf ita­ lienischem Gebiet zur Zeit noch ganz unlösbar.

Die Seebildung. In mehl' oder minder engem Anschluss an die Thalbildung er­ scheinen in dem hier erörterten nebiet ausseI' dem Comer See und dem Mezzola-See noch eine grosse Anzahl von kleineren Gebirgs-Seen, meist in den oberen Thalursprüngen und auf den Gebirgssätteln. Von ihnen sind der Lago di Acqua Fraggia im BergeIl nördlich über Savogno in einer Meereshöhe von vielleicht 2000 Meter und der Lago die Truzzo auf der Westseite des Liro-Thals NW. von Chiavenna in etwa derselben Meereshöhe die bedeutendsten und an sie reiht sich noch eine Menge von kleineren Bergseen, die an Grösse bis zu geringen nur zeitweise mit Wasser erfüllten flachen Felsbecken abnehmen. Die Dufour-Karte Blatt XIX giebt deren auf italienischem Gebiet über 20 an, die Lom­ bardische Karte auf demselben Gebiet gegen 30. Bemerkenswerth ist, dass die grosse Mehrzahl derselben in der nördlichen Hälfte der Clä• vener Landschaft liegen, beiderseits des Liro-Thals und nördlich vom Bergen, was auf Beziehung der Seebildung zur alten Gletscher-Bildung gedeutet werden kann, jedenfalls aber eine bestimmte Ursache haben muss. Die meisten der kleinen Gebirgsseen zeigen reichliehe Gletscher­ Abfegungen an den hervorstehenden Felsflächen und namentlich an der Abflusseite flach vortretende Riegel von festem Fels, welche an ihrer Stossseite abgefegt erscheinen. Sie entleeren sich oft durch schmale Eintiefungen, welche den sperrenden Querriegel durchsetzen. Die Er­ klärung dieser Beckenbildung ist sehr misslich, ich neige aber nach aufmerksamer Untersuchung mehrerer solcher Hochgebirgsseen zur An­ sicht, dass sie der ungleichen Ausschleifung des Thalgrundes durch die darüber hingleitenden Massen der alten Gletscher ihre Entstehung ver· danken. Es scheint, dass diese gerade in den obersten Thalursprüngen 62

am reichlichsten Blöcke und Felsschutt eingestreut enthIelten und hier am mächtigsten auf den Thalboden ausnagend wirkten*). Ueber dem See sind oft tiefere Felsschluchten vorhanden, die der letzten Erosion vor der Gletscher-Epoche zuzuschreiben sind. Die Querriegel an der abwärtigen Seite der Gebirgsseen sind durch­ weg Felsmassen von grösserer Festigl,eit, die sowohl der Erosion als der Ausschleifung kräftigen Widerstand leisteten, oft auch das Vorder­ ende von Hochtbälern bilden und von diesem aus jäh gegen die tiefere jüngere Thalerosion abstürzen. Der bedeutendste der Clävener Gebirgsseen ist der Lago di Truzzo in einem hochgelegenen breiten Seitenthai des Val deI Drogo in NW. von Chiavenna. Er hat über ein Kilometer Länge NW. in SO. Die Meereshöhe ist nicht bekannt, mag aber wie die des Lago di Acqua Fraggia im Bergell gegen 2000 Meter betragen. Val deI Drogo ist bei San Antonio auf etwa ein Kilometer Länge f!in breites aus WNW. in OSO. flach abdachendes Hochthai mit fast ebener Scbuttausfüllung. Am oberen Ende dieser breiten Thaistrecke stürzt aus NW. über eine hohe felsige Bergwand yon mindestens 200 Meter Höhe in zahlreichen Stufen und Wasserfällen der Truzzo-Bach herab. Mühsam erklettert man diese steile Höhe. In treppen weisem Ansteigen wechseln ebene Stufen, die glattabgefegte Felsflächen zeigen, mit schroffen Abstürzen. Darüber erreicht man den Ausgang des breit ausgeschnittenen von hohen schroffen Berggehängen eingefassten Truzzo- ,ThaIs, das yon NNW. herabkommt, also ein zweites Hochthai, viel höher und viel älter als das tiefere Hochtbal Val dei Drogo. Am Ausgang dicht über dem jähen Abfall zum Drogo-Thal liegt der grosse Truzzo-See von NW. in SO. und Süd über ein Kilometer lang ausgezogen, allem Anscheine nach ein seichtes Becken. Er ist zum grössten Theile eine alte ThaI-Erosion in dem etwa 20 Meter höheren noch älteren Tbalboden des Truzzo-Thals. Dieses hat also hier zwei Thalsohlen neben und über einander, eine breite höhere und ältere Feisterasse und eine jüngere tiefere Erosionsschlucht, die den ersten Anlass zur Seebildung gab. Die höhere Terasse bildet eine unebene Felsfläche bedeckt VOll gedrängten flachwölbigen Höckern (Roches mou-

*) Man vergleiche über die Wirkung (leI' Gletsehrr auf Thalbettl'Jl. Lyell. Alter des Mensehengeschlrchts. lRß-l. Srite 240 -- 2M;. lk~())". Gebirgshau H\65. SE'He lHi. 63

tonnees) und höheren klüftigen Felspartien. Diese höhere und ältere Stufe des Truzzo-Thals stürzt steil auf 15-20 Meter Höhe zum See­ spiegel ab. Der grösste Theil des Seerands ist unter den Felsabfällen ungangbar, das Südost-Ende aber flacher begrenzt und gut zugänglich. Hier legt sich zwischen das Seebecken und den jähen Bergabsturz, über den der Bach in's Drogothal ein paar hundert Meter hoch herabstürzt, ein flacher Querriegel von festem Gneis vor. Es ist eine streichende Gneisfirste, die an der NW. Seite oder der Stossseite flachwölbig abge­ fegt ist, in SO. jäh und zerrissen zum Drogo-Thal abfällt. Der See­ Abfluss durchbricht den Querriegel an einer flacheren Stelle, die noch von der Gletscherabfegung berührt wird und hat diese seither nur we­ niges tiefer ausgenagt. Im Ganzen bin ich zum Ergebnisse gelangt, dass 'das Truzzo­ ThaI am See noch einen 20 Meter höheren felsigen Thalboden zeigt, der der eigentliche alte Thalverlauf ist und der Seebildung weit \'01'- -,,"usgeht. Der See selbst in der grösseren hinteren Strecke ist eine ThaI-Erosion, welche einer jüngeren Epoche angehört. Die unterste Strecke aber wurde während der Gletscher-Abfegung ausgehobelt und der Seeriegel zwischen diesem Becken und dem Absturz gegen das tie­ fere Drogo-Thal ist vermöge der grösseren Festigkeit eines streichenden Gneislagers bei der Ausschleifung des Felsbeckens zurückgeblieben. Auch ragt mitten in diesem von Rundhöckern abgedämmten SO. TheHe des Sees eine nackte Gneis-Insel an 20 Schritt lang gegen ein Meter hoch über dem Seespiegel hervor. Auch diese kleine Felsinsel im See ist ein deutlich .abgefegter Roche moutonnee, noch ganz wie frisch erst abgehobelt. Wahrscheilllich ist also der Grund des ganzen vorderen Seebeckens vom Truzzo-Gletscher aus geglättet. Ich gelange in Bezug auf die Aufeinanderfolge der Vorgänge zu folgenden Schlüssen. 1. Das Hochthai, an dessen Vorderrand der See liegt, ist viel älter als das heutige Val deI Drogo, welches das erstel'e um etwa 200 Meter unterteuft und dessen weiteren Thalverlauf abgetragen hat. Die Ausbildung des Truzzo-Thales mag etwa gleichzeitig sein mit der des Val Loga, welches über den Piano deHa casa an der Splügenstrasse hinausgeht. Val deI Drogo ist viel jünger, 2. Nach Unterteufung des Truzzo-Thales durch das viel tiefere, jüngere Val deI Drogo fand in ersterem noch eine Erosion statt, welche 64

demselben einen zweiten tieferen Thalboden ertheilt~. Dieser untere Thalbodell bildet jetzt den hinteren Theil des Sees. 3. Beim Beginn der Gletscher-Epoche hatte das Truzzo-Thal bereits eine an 20 Meter höhere Feisterasse, welche eine Erosiollsschlucht durchzog. Der Bach stürzte aus dieser, ähnlich wie noch jetzt, über den' steilen Felshang hinab ins Val deI Drogo. Während der Gletscher­ Epoche wurde der vordere Theil des Erosionsbettes tiefer ausgeschliffen, als die bisherige Sohle der Erosion niederging, der Rand des steilen Felshangs vor dem ausgeschlifl:'enen Becken aber nur flach abgeglättet. Er blieb als Querriegel zurück. Der Boden der oberen Erosionsschlucht mag vom Gletschergang etwas mehr ausgetieft worden sein. 4. Nach dem Abschmelzen des Truzzo-Gletschers füllte sich die vordere Beckenausschleifung zum See und dieser trat auch in die da­ hinter gelegene ältere Erosionsschlucht ein. Der See besteht also aus einem vorderen seichten der Glacial­ epoche angehörenden Ausschleifungsbecken und einer dahinter gelegenen etwas älteren Erosions-Schlucht. Vor dem Ausschleifungsbecken blieb als wasserstauender Damm der Querriegel von fester Gneismasse, der die stützende Vorderwand des Truzzo-Hochthals gegen das tiefere Val deI Drogo bildet und erst durch diese Gletscher-Annagullg die Gestalt eines Querriegels erhielt. Ich gehe in dieser Auffassung der Seebildung im Hochgebirge wesentlich von Prof. Rütimeyer's Ansichten über Seebildung ab. Glet­ scher können, indem sie Jahrtausende hindurch über eine Thalsohle hinausgleiten, an Stellen wo Felslager von ungleicher Härte quer über das ThaI streichen, seichte Seebecken ausschleifen. Eine Beckenbild­ ung in einer Thalsohle durch einen Wasserfall und grosse in Drehung gesetzte Gerölle ist zwar theoretisch auch zulässig, dürfte aber in Wirk­ lichkeit nur selten vorgekommen sein. Von den vielen kleinen Gebirgsseen des Clävener Gebiets ist nur ein einziger, der Zeichen einer anderen Entstehungsweise trägt. Dies ist der kleine Lago di Ani in Ost von der Cantoniera della Stuetta (2a Cantoniera der Dufour-Karte, 1870 Met.) auf dem breiten gegen 100 Meter höheren Kalkstein-Plateau der Alp Andossi, das zwischen Val deI Palude und Val Madesimo verläuft. Der Abfluss, den die Karten ihm in Nord zuweisen, ist in der Wirklichkeit nicht vorhanden. Der Lago di Ani ist ein flacher von niederen grasigen Anhöhen eillge- 65 fasster D 0 li n e n - See etwa 170 Schritte lang, der in der· heissen Jah­ reszeit ohne Abfluss ist. Gegen Süd steht er durch eine felsige Rinne mit einer zweiten trocken liegenden Doline, welche sich in Kalkstein rinsenkt, in Verbindung. Der Lago di Ani ist also durch Unterwasch­ ung und Einsturz entstanden. Trockene Dolinen sind auf demselben Kalksteingebiet zahlreich vorhanden. Anderer Entstehung als die kleinen Seen des Hochgebirgs ist das langgezogene Thalbecken des Corner Sees mit Einschluss des Mez­ zola-Sees. Es setzt vollständig die Configuration des Mairathals von Chia­ venna an in Süd und Südwest fort und ist sicher eine alte ThaI-Ero­ sion, die im Verhältniss zu der vom Loga-Thal, vom Truzzo-Thd und anderen ähnlichen hoch gelegenen Gebirgsthälrrn zwar sehr jung ist, aber doch immer noch vor die Glacial-Epoche fällt. Weiter in Süd muss eine Bodenerhebung die ehemalige Thalausmündung gesperrt und den unteren Flusslauf zum See aufgestaut haben. Diese südlichere Ge­ gend liegt aussel'halb meines Aufnahmsgebiets (auf Dufour-AtIas Blatt XXIV, bearbeitet von Prof. Stoppani.) Die Aufdämmung des Corner Sees mag wohl beiläufig zur Zeit der Erhebung und Trockenlegung des pliocänen Meerbusens der lom­ bardischen Ebene stattgefunden haben, jedenfalls fällt Rie vor Eintritt der Glacial~Epoche. Vielleicht liegt entlang dem Südrande der Alpen vor den grossen Seen eine Bruchlinie , an welcher nach Ablagerung der marinen Subapeninen - Schichten gleichzeitig eine Hebung der Lombal'llischell Niederung und eine Senkung des alpinen Gebiets statt hatte, in Folge deren die Thalausmündungen verdämmmt und die untern Flussläufe zu Seen aufgestaut wurden. Die Ausnagung der untren Thaistrecken, die jetzt zum Theil 8een, zum Theil bereits durch Schutt aufgefüllte Flächen sind, würde dann während der gewiss einen langen Zeitraum einnehmenden Pliocän• Periode anzunehmen sein. Während der Glacialepoche aber waren die Seebecken von Eis erfüllt und der Gletschergang mit seinem Moränenschutt verlief über sie hinweg, ohne viel an ihrer Configuration zu ändern. Der über den Corner See hinausgehende Adda- und l\faira­ Gletscher endigte gegen Süd bei Pravolta am Monte San Primo Roltt!, ChiUYClllUl. 5 66

oberhalb Bellagio, 700 i\f et. überm See, wie aus einem hier auf­ tretenden Lager von erratischem Schutt und Blöcken hervorgeht (Th. Zollikojer, Geologie der Lombardei, 1856). Ein durch tiefe Gebirgsaufspaltung eröffnetes Seebecken ist weder am Lago di Mezzola noch am obren Lago di Corno zu erkennen. Die Schichten des krystallinischen Schiefergebirgs setzen in wesentlich un­ gestörtem Zug quer über, wie in jedem andern erodirten QuerthaI, und hochgelegne Seitenterassen sprechen füt' eine während einer ganzen Reihe von Epochen vor sich gegangene stufenweise tiefer einschneidende Erosion. Am obren Ende des Corner Sees zeigt zwar der Zug der Triaskalk­ Mulde, der von Dubino quer über den See gegen Domaso verläuft, Verwerfungen, namentlich bei Caino in N. von Domaso. Aber diese Schichtenstörung steht ausseI' Verhältniss zur breiten und tiefen Thal­ aushöhlung der Seen und dürfte höchstens beiläufig bei deren Bildung mitgewirkt haben. Der Spiegel des Corner Sees hat 190 Meter Meereshöhe (Dufour­ Atlas Blatt XIX) oder nach einer andern Angabe 213 Meter (Dufour­ Atlas matt XXIV). Die Tiefe soll 604 Meter betragen, der Seeboden also beiläufig 400 Meter unter den Spiegel des Adriatischen Meeres hinabgehen. Diese grosse Tiefe des Corner Sees muss zwar auf den ersten Eindruck befremden, steht aber gleichwohl im Verhältniss zu den Gipfel­ höhen der westlich vorliegenden Meridiankette. Westlich von Chiavenna am Passo della FOt'cola halten die Gipfel eine Meereshöhe von durchschnittlich 2590 Meter ein, westlich von Gravedona am Passo di Jorio beträgt sie nur noch im Mittel 2280 Meter, ist also um 300 Meter gesunken. Von Chiavenna (317 oder 332 Meter) zum tiefsten Punkte des Corner Sees ist ein Höhenabstand von etwa 730 ME'ter, der für das Gefälle eines alten jetzt verschütteten Erosions­ thais von mindestE'ns 25 Kilometer Länge nichts auffallendes sein dürfte und etwa den ues Liro-Thals zwischen Isola (1277) und Lirone (857) gleichkommt. Die Stelle, wo heute Chiavenna liegt, mag also zur Zeit der Erosion des Comer-Seethals etwa 730 Meter Meereshöhe gehabt haben. Seither aber erlitt sie eine Senkung um etwa 400 Meter, wäh• rend welcher die Lombardische Ebene gehoben wurde, vor dem Corner Sec um etwa 200 Meter, 67

Ueber die Meereshöhe, bis zu welcher die marinen Pliocän-Schichten südlich vom Corner See erhoben wurden, gehen mir genauere Nach­ richten ab. Nach den Einzeichnungen auf der Stoppani'schen Karte Blatt XXIV möchte ich sie auf 200 bis 250 Meter veranschlagen. Jedenfalls dürfte hier ihre Erhebung über den heutigen Corner Seespiegel hinausgegangen sein. Und dieser Spiegel mag eine Zeit lang überm heutigen Niveau gestanden haben, dann durch Erosion der Ausmündung gesunken sein. Nehmen wir von dem Betrag der Hebung des südlich von Como gelegnen Theils der Lombardischen Niederung etwa 200 M. als zur Aufdämmung bis zum heutigen Spiegel des Comer Sees erforder­ lich an, so bleiben immer noch 400 Meter Unterschied zwischen dem Boden des Corner Sees und dem Meeresspiegel. Man lmnn diese noch zur Erklärung der ganzen Tiefe des Corner Sees erforderlichen 400 M. dann auf Rechnung einer gleichzeitigen Senkung des in Nord angren­ zenden Alpengebiets setzen. Nach dieser Annahme lag die Stelle, wo heute der Corner See bei Corno ausmündet, während der Pliocän-Zeit beiläufig im Spiegel des pliocänen Meeres, das den Lombardischen Busen ausfüllte, und hier mündete das ThaI des Liro, der Maira und der Adda zu demselben. Mit Ab­ schluss der pliocänen Meeresbedeckung wurde sie zu etwas mehr als 200 Meter Meereshöhe emporgehoben, und gleichzeitig fand entlang der Bruchlinie eine Senkung des nördlich angrenzenden Alpengebiets um 400 Meter statt, aus welchen beiden Beträgen die heutige Tiefe des Corner Sees mit 600 oder 604 Meter hervorging. Unsere Rechnungselemente sind nur annähernd. Der Spiegel des Comer Sees wird zu 190 und zu 213 Meter Meereshöhe angegeben. Die Tiefe· des Comer Sees setzt wohl noch eine grössere Tiefe des festen Felsgrunds im alten Thalweg der Adda und Maira voraus. Auch liegen keine genügenden Höhenangaben über die Erhebung pliocäner Meereschichten südlich von Corno mir vor. Obige Berechnung kann daher auch nur eine ganz beiläufige sein. Nimmt man die Elemente der Rechnung für den Comer See im Uebrigen als richtig und überträgt dieselbe -- mit Umgehung der ldeineren Seen,. deren Boden stärker aufgefüllt sein mag - noch auf den Lago Maggiore in West, den Lago di Garda in Ost, so gelangt man zu einer Abstufung des Betrags, um weIchen der Seeboden unterm Meeresspiegel liegt - um welchen also das nürdlichpre Alpellgpbipt 5* 68 gesenkt sein dül'fte - und zwar geht diese abnehmend von West in Ost, (Lago Maggiore 657 - Lago di Corno 391 oder 414, im Mittel 400 - Lago di Garda 219). Darllach müsste man die Senkung des nördlicheren Alpengebiets bei Hebung des lombardischen Meeres­ bodens in Westen grösser, in Osten geringer als bei Corno annehmen, was nichts widersinniges an sich hat. Fiu' bessere Belehrung wei'de ich selbst dankbar sein, Horn bur g vor der Höhe, im März 1878.