18 21. GAILDORFER BLUESFST 19

Blue Notes

■ Sollte es mal so etwas wie ein „Gaildorfer Bluesfest-Museum“ ge- ben, darf sie natürlich nicht fehlen: Siggi Karchers Blue(s)jeans-Jacke – die ärmellose, von vielen Bluesfes-

Stimmgewaltig: Dareell Nulisch von der „Severn Soul & Revue“. Siegfried „Siggi“ Karcher und sein betagtes Blue(s)jeans-Jäckle.

ten gezeichnet, mehrfach geflickt. Wann der (vermutlich) dienstäl- teste Bluesfest-Ansager Deutsch- Explosives Gitarrenspiel und kräftige beseelte Stimme: Coco Montoya und Band. lands dieses gute Stück erstmals ge- tragen hat? Er vermutet „Mitte der 80er Jahre“.

Shakura S’Aida ■ An der Seitenwand im Zelt – Eckpfeiler hängt eine Karte. In der Karte ste- der kanadischen cken Nadeln, die zeigen, wo die Blues-, Jazz- Bluesfestbesucher herkommen: und Soulszene aus ganz Deutschland und aus den

Einer der profiliertesten weißen Bluesgi- Donna Grantis – „Frauenpo- tarristen: Alex Schultz. Untere Reihe wer“ an der Gitarre. von links: Felton Crews, Tad Robinson.

Short Cuts Weitgereist: Bluesfest-Fan Nancy Mythen, Stars, Legenden und der Hunger auf den Blues Dunn aus Durham/North Carolina. ■ Es ist mittlerweile ausgespro- benachbarten Ländern. Mittler- chen schwierig, beim Bluesfest In- Von Zydeco bis Soul: Acht Bands beim 21. Bluesfest auf der Kocherwiese – Publikum feiert Newcomer, alte Hasen, neue Stars und vier grandiose Veteranen aus Chicago weile sollte man aber vielleicht bes- terviews zu ergattern. Vor der ser eine Weltkarte aufhängen. Show tut man es nicht, und nach Nancy Dunn beispielsweise kam der Show werden Devotionalien s lässt sich, was sich am Frei- Das ist nicht respektlos gemeint. lich eine kleine Promo-Einlage für mer!“ Danach darf Burks, darf die m späten Samstagnachmit- nicht gewalttätig sondern etwas seine Augen – und fliegt. Der Gitar- gesprochen individualistisch die aus North Carolina. In den Neunzi- signiert. Die RUNDSCHAU-Abtei- tagabend kurz nach 19 Uhr Aber wo Schofield und seine Band die „Blues Caravane 2010“, bringt Gitarre singen, der Geist von Sha- tag, nach dem großen „klei- konsterniert, als er gefragt wird, wa- rist aus Santa Monica und seine kon- Einsätze handhabende Gitarrist, gern hat sie einige Zeit in Schwä- lung für dumme Fragen hat trotz- Eim Zelt auf der Kocherwiese ihre Musik zelebrieren, setzt die ka- das Zelt zum Kochen. Und Bern- kura ist gebannt. Anen Bluesfest“ mit „Me & The rum sein Akkordeon nicht klingt genial interagierende Band bereiten Sänger und Offbeat-Streuner Lurrie bisch Hall gelebt und auch damals dem einige O-Töne ergattert. abspielt, in einem Wort beschrei- nadische Sängerin Shakura S’Aida hard Stangl, Stammgast – „31 Jahre Zuletzt wagt die Kulturschmiede Devil“ und der „K.D. Bluesband“ wie ein Akkordeon. „Ich will“, sagt dem Publikum ein Fest in Sinn und Bell. Mit ihnen erscheinen die Geis- das Bluesfest besucht. Und wenn’s Von Martina Kreil alias Meena ben: Hunger. Hungrig – und jung – auf Inszenierung. Das ist bisweilen Bluesfest, das prägt“ – aus Weiden den Schnitt. Die „Severn Soul & am Alten Schloss, wo alles begann, er dann, „dass es klingt wie ein Form und werden an diesem Abend ter und die Geschichten von Sonny nach ihr geht, war das heuer auch Cryle etwa, die als Gast bei Shakura die Matt Schofield Band, die das 21. die reine und – etwa wenn sie sich in der Oberpfalz, ist völlig von der Blues Revue“ featured zwei Soul- hat Bernhard Stangl ein Bedürfnis: Mann, der mit dir spricht.“ zum Maßstab für Ausdruck und Boy Williamson dem älteren und nicht das letzte Mal. S’Aida in Erscheinung getreten ist. Gaildorfer Bluesfest eröffnet; hung- um ihre Gitarristin Donna Grantis Rolle. Einen solchen Auftakt habe er blues-Vokalisten, die auch als Harp- „Wenn du mich schon dauernd zi- Es folgt der Mann, der mit dir Phantasie: Montoya verlässt das dem jüngeren, von Big Bill Broonzy, Die stimmgewaltige Sängerin aus rig – und größtenteils nicht mehr schlängelt – sehenswerte Show, noch nie erlebt, brüllt er. spieler glänzen: Tad Robinson und tierst“, sagt er, „dann schreib auch, singt. Der Gitarrist Coco Montoya, Bluesfest als Klassiker. , Mel London, Hud- ■ Dass es beim Bluesfest schon Österreich wurde vor kurzem für ganz so jung – die Meute, die sich so- dient aber auch der Enthüllung kon- Das haut hin. Denn Shakura Darrell Nulisch. Die verhältnismä- dass die Kulturschmiede seit 30 Jah- der als Schlagzeuger von Albert Col- Und abermals ist die Kultur- son Whittaker, und wie mal etwas lauter werden kann, die „Blues Caravane“ nominiert gleich vor der Bühne sammelt, um zeptioneller Essenzen. Denn Sha- S’Aida wagt zur Zugabe einen uner- ßig große Besetzung, zu der auch ren phantastische Arbeit leistet.“ lins begann, zerrt das Publikum schmiede für ihren Sinn für Drama- sie alle heißen – die vermeintliche weiß man in Gaildorf aus Erfah- und ist sichtlich stolz darauf. Am in Musik zu baden. Wenn es so et- kura S’Aidas Stimme, tiefes Gur- hörten Schnitt und bringt eine Bal- zwei Bläser gehören, lässt zwar solis- Es ist schweißtreibend schwül im durch ein Wechselbad der Gefühle. turgie zu loben. Mit dem ein wenig Geschichtsstunde wird zu einem Donnerstag hat sie sich mit Coco was wie einen Mythos des Bluesfes- geln, reine Höhen, erzählt Bluesge- lade, allein begleitet von der brillan- tisch Freiräume, steckt aber auch in Zelt, und es wird nicht kühler, denn nach musikhistorischem Seminar der lebendigsten Konzerte in der Ge- Montoya und Shakura zu einem tes gibt, dann kommt er an diesem schichten, die umso wahrhaftiger ten Donna Grantis. Vorn schweigt einem relativ engen Korsett von „Dwayne Dopsie & The Zydeco Hell- klingenden Promotion-Programm schichte des Bluesfestes. „Foto Shooting“ in Hessental ge- Freitag in aller Pracht zum Leben: werden, je mehr sie sich ausliefert. das Zelt ergriffen, hinten grum- Komposition und Arrangement. raisers“ mögen’s laut, schnell und Die Blues-Lektion: „Chicago Blues – A Living History“ Bernard Allison indes, der mit si- troffen und mittlerweile, sagt sie Es ist ein Fest, auf das man zwei „Schaurig guad“, sagt sie, die auch melt’s ignorant, und wer dazwi- Und eigentlich sind es drei Kon- grell. „Speed-Zydeco“ freuen sich „Schließ’ deine frönt der Verein seiner mehr oder ner Band das 21. Bluesfest be- entschuldigend, habe sie auch ver- Jahre lang gewartet hat und das schwyzerdütsch – odr? – be- schen steht, ärgert sich darüber – zerte: Ein animierendes Soulkon- die Einen, „Punk-Zydeco“ grinsen Augen und spiel’“ weniger heimlichen Leidenschaft schließt, polarisiert sein Publikum. standen, dass Gaildorf nicht im All- man geradezu atemlos genießt. herrscht, als sie fühlt, dass alle füh- bis nach kurzer Pause Michael „Iron zert mit Tad Robinson, ein stimulie- Andere, „Gwalttätig“, meint ein Sen- für den Blues aus Chicago. Das Auf- Allison hat einige macht- und gäu liegt. Die Band des englischen Gitarris- len, was sie fühlt. Mike“ Burks brachial eingreift. rendes Soulblueskonzert mit Dar- sibelchen und geht vors Zelt, wäh- gebot an Frontleuten ist grandios, prachtvolle Stücke im Gepäck, ver- Tad Robinson und die Severn Soul ten Matt Schofield zum Auftakt auf Der Kontrast ist immens: Die ers- rell Nulisch und ein faszinierendes rend Shelton Sonniers Gitarre mit ei- Stilistisch ist er kaum zu greifen: die Besetzung der Begleitband uner- hehlt aber auch nicht sein Unterhal- & Blues Revue haben, Gaildorf ein- die Bühne zu schicken, war aller- ten rockigen Stücke des „Pavarotti Überkonzert für Alex Schultz, der nem hinterhältigen Lick den in der Montoya zitiert seinen Mentor, ver- hört und die Präsentation durch tungskalkül: Wie schon bei seinem geschlossen, nur zwei Auftritte in dings schon ein programmatischer Promo-Einlage mit des Blues“ (Bluesfest-Ansager Siggi schon vor 20 Jahren auf dem Blues- Tat gewalttätigen Klassiker „Hey weist auf die Bluesbreakers und Matthew Skoller so informativ und Auftritt beim 17. Bluesfest legt es . . . und wem das alles zu laut war, Deutschland. Demnächst, sagt er, Coup. Schofield ließ sich nicht als Gästen für die Karcher) wirken im Vergleich gera- fest zu hören war. Joe“ einleitet. spielt den Blues und seine Subgen- effektiv wie möglich und nötig. der Sohn der Bluesfest-Legende Lu- der konnte sich hier bedienen. Einheizer verheizen, sondern setzte „Blues Caravane“ dezu steril, bis Burks ein Bottleneck Denn der Gitarrist und langjäh- Die Dominanten der „Zydeco res querbeet und dazu abgründige Dass eine Spielart und nicht ein ther Allison auf maximale (und laut- in einem selbstbewussten Konzert auf den Finger steckt und sich an- rige Freund von Tad Robinson ist Hellraisers“ sind ein phänomenaler Balladen von geradezu unverschäm- Individuum des Blues im Zentrum starke) Begeisterung an, lässt sich rung. Der hoffnungsvolle Nach- hohe Standards. Es ist die reine schickt, das Publikum in Trance zu die eigentliche Dominante: Ein Ge- Alex McDonald am Waschbrett, die ter Schönheit. des Bluesfestes steht, ist neu. Es er- und seine Band in langen Soli feiern wuchs hat daraus offenbar eine Ge- Lehre des Blues, die mit ihm übers Zumal nach Etta James’ „I’d rat- versetzen. Mehrstimmige Slides, stalter, Antreiber und Saitensänger Sonnenbrille auf der Nase von Saxo- „Hör auf zu denken, schließ’ scheinen, der Reihe nach, der gelas- und randaliert im Zitatesteinbruch. schäftsidee entwickelt und anschei- Volk kommt: Eigenes und Klassiker, her go blind“, das Shakura im Duett ein saugender Groove, der sich aus vor dem Herrn, der dermaßen be- phonist Carl Landry und Dwayne deine Augen und spiel’“ – so hat sene Harpspieler Billy Boy Arnold, Vor dem Zelt ruft einer „Aufhö- nend auch recht gute Umsätze ge- souveräne Grooves, heftig kommu- mit Meena Cryle singt, die zusam- einer einfachen Figur entwickelt – freit, unermüdlich und unerschöpf- Dopsies giftig bellendes Akkordeon. Montoya in einem Interview die Lek- der abgeklärt hitzige Gitarrist John ren!“ Und daneben sitzt ein anderer macht. Die Zahl der Besucher, die nizierende Soli, Interaktion ohne men mit Coco Montoya auf die dieses Stück, das nie hätte enden lich aufspielt, dass die Vermutung Dopsie beruft sich auf seinen Vater tion beschrieben, die ihm Collins er- Primer, der in Gaildorf bestens be- und sagt: „Als Allison das Stück für ihre Ohren verstöpselt hatten, war Selbstzweck. Danach hilft nur noch Bühne gekommen ist. Das Sängerin- dürfen, ist ein Phänomen in Phon nahe liegt, er sei sterbenshungrig Weitaus mehr als der Festival- Rockin’ Dopsie, er sagt, er spiele teilt hat. Er hat sie verinnerlicht: Auf kannte Harpspieler und Oberton- seinen Vater gespielt hat, hätte ich deutlich größer als beim letzten gehe es aufs Festival „Cognac Blues Theater. nen-Duell mit Gastgitarrist, eigent- und Stangl flippt völlig aus: „Ham- nach Gaildorf gekommen. „Einheizer“: Matt Schofield. „Original-Zydeco“, und er guckt der Kocherwiese schließt Montoya dompteur Billy Branch und der aus- heulen können.“ RICHARD FÄRBER Bluesfest. Passions“, wo auch B.B. King zu hö- ren sein wird. „Gaildorf“, sagt Ro- binson, „feiert das Alte und lässt das Neue zu“. Felton Crews, der Bassist von „Chi- cago Blues – A Living History“ ist ein Schrank von einem Mann und die Gelassenheit in Person. Vor vier Jahren hat er gleich zwei Konzerte in Gaildorf gegeben, mit James Armstrong und Tutu Jones, außer- Auch das gab es beim 21. Bluesfest: dem hat er schon mit Miles Davis Blues-Schach statt Blitz-Schach. gespielt. „I’m eager to work“, gibt sich Crews als Schwabe im Geist zu ■ Man muss natürlich nicht zum erkennen, „ich schaffe gern“, und Musikhören aufs Bluesfest kom- außerdem sei er ein Allrounder – Der legendäre Billy Branch – in Gaildorf „Soul & Blues Revue“-Bläser Frank Mit- men, es soll nur helfen. Immer wie- „Not to say I’m perfect.“ stets ein gern gesehener Gast. chel und David Finell (von links) der konnte man beobachten, wie Kevin „Beady Eyes“ Smith, der Mit den „Zydeco Hellraisers“ auf der Gaildorfer Bluesfest- inmitten des Getümmels konzen- Schlagzeuger von „Chicago bühne: Dwayne Dopsie. Rechts: „Living Historie“ Lurrie Bell. triert ein Schachbrett bebrütet Blues“, müsste eigentlich eine Vor- wurde. Nach ausgiebiger Beobach- stellung von Gaildorf haben: Sein tung der bedröppelten Verlierer Vater Willi „Big Eyes“ Smith hat entstand so etwas wie eine Vermu- 1993 auf dem Bluesfest gespielt. tung, was, abgesehen vom sportli- Das ist aber offenbar nichts Beson- chen Aspekt, Sinn und Zweck die- deres: Egal wo ich hinkomme, sagt ser Schach-Partien gewesen sein „Beady Eyes“, sein Vater sei immer könnte: Der Verlierer gewinnt – er schon da gewesen. Die RUND- kriegt den Blues. kmo/rif SCHAU setzt nach: Eigentlich woll- ten wir hören, dass Gaildorf bei der Familie Smith das Gesprächsthema RUNDSCHAU-Fotos: Nummer Eins ist. Klaus Michael Oßwald, Smith: „Gaildorf?“ Burks-Drummer Chuck „Popcorn“ Lou- Bernd Budich, Karl-Heinz den. Rechts: Allison-Musiker Jose Rückert, Richard Färber Voller Leidenschaft: Michael „Iron Man“ Burks. James und Jassen Wilber (von links). In Gaildorf auf den Spuren von Daddy Luther: Bernard Allison.