75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges: Der letzte „Abwehrerfolg" – Das Ende der Ostfront am Tharandter Wald

Diese Dokumentation mit Erinnerungen von Gerhard Steinecke (geb. Ritter), damals wohnhaft in Kurort Hartha, Rittersteig 39 (gegenüber Talmühle), vom 12.05.2012 wurde dem Verkehrs- und Verschönerungsverein „Tharandter Wald“ e.V. für die Ortschronik Kurort Hartha zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.

Zu einer Zeit, da es noch niemand für möglich hielt, dass die Ostfront ner vorsprachen, der uns seine Parteiuniform übergab, was ich fas- einmal Mittelsachsen erreichen würde, bereitete man sich höheren sungslos registrierte. Als ich dies den anderen zum Ausdruck brachte, Orts bereits auf eine solche Möglichkeit vor. So befahl der General- fanden sie das sogar in Ordnung. Wie ich aus den späteren histori- stabschef des Heeres, der Panzergeneral Guderian, am 1. Dezember schen Studien erfuhr, gab es tatsächlich keinen Grund zur Aufre- 1944 die Errichtung des Verteidigungsabschnittes unter Ge- gung, denn es war ausdrücklich dazu aufgerufen worden, auch ent- neralmajor Friedrich-Wilhelm Liegmann. Damit stellte sich die Wehr- behrliche Uniformen der Spinnstoffsammlung zur Verfügung zu stel- machtsführung auf eine Situation des Endkampfes ein, die sich nach len. der am 12. Januar 1945 begonnenen sowjetischen Weichseloffensive Als die am 12. Januar 1945 eröffnete sowjetische Weichseloffensive mit dem Stoß auf Mitteldeutschland tatsächlich abzeichnete. Dem- innerhalb weniger Tage in Schlesien einbrach, wurde die verschärfte gemäß veranlasste der Befehlshaber des Wehrkreises IV, der Sachsen Kriegslage allgemein spürbarer. umfasste, General der Infanterie Reinhard, am 2. Februar 1945 die Es muss Ende Januar 1945 gewesen sein, als irgendjemand aus unse- unmittelbare Vorbereitung auf eine Verteidigung und erfolgte ab rer Nachbarschaft das Gerücht verbreitet hatte, die Russen hätten be- dem 22. Februar der Aufbau einer Elbeverteidigung. Selbstverständ- reits Görlitz erreicht. Meine Mutter und die Wiener Tante waren da- lich musste in dieser Planung dem westlich der Elbeverteidigung ge- durch in solch belle Aufregung geraten, dass sie Fluchtgedanken er- legenen Hinterland, darunter dem Tharandter Wald, die Sicher- und wogen. Allein ich wies auf den Wehrmachtsbericht hin, wonach die Bereitstellung rückwärtiger Dienste zufallen. Russen im Raume Breslau standen. Zwar wurde dem nicht viel Glaub- Die abseitig-beschauliche Lage erschien schon längere Zeit der Wehr- würdigkeit zugestanden, doch schließlich konnte ich die Gemüter macht geeignet, wo sie im Kurhaus von Kurort Hartha eine Dolmet- beruhigen und stellte sich das Gerücht als Ausdruck einer Angstpsy- scherschule bzw. Einsatzstelle für Stabshelferinnen (Dolmetscherin- chose heraus. Mit den Terrorangriffen auf Dresden berührte der To- nen) untergebracht hatte, dafür noch im großen Saal des Erbgerichts deshauch des Krieges erstmals die bis dahin noch friedliche Idylle. Es eine Bekleidungskammer der Heeresverwaltung für die Nachrichten- war weniger das Dröhnen der Bomberverbände, an das man sich zu- helferinnen. Nach den Erinnerungen einer Wehrmachtshelferin, die mindest schon seit dem 24. August 1944 gewöhnt hatte, als u. a. im Januar 1944 einberufen worden war, wurden hier beispielsweise das Ziel von Bombenabwürfen war. Das Furchtbare war der 60 Frauen im Alter von 20 bis 60 Jahren zu Russischdolmetscherinnen Feuerschein am nächtlichen Himmel über Dresden und der nachfol- ausgebildet, die als Russlanddeutsche bzw. Baltinnen Russischkennt- gende Sturm, der, vom Feuer entfacht, im rötlichen Dunkel der Nacht nisse besaßen oder als Reichsdeutsche Slawistik studiert bzw. sich auf an den Bäumen rüttelte. Ab dem Vormittag des 14. Februar kamen andere Art Russisch angeeignet hatten. Zum Ausbildungsprogramm dann die ersten „Bombenflüchtlinge, die schließlich im Laufe des der in Privatquartieren untergebrachten Frauen gehörten Überset- Nachmittags in einem ununterbrochenen Elendszug von zungen politischer und militärischer Texte sowie das Auswendigler- her die Talmühlenstraße aufwärts ins Dorf zogen. Die zur Betreuung nen von Waffengattungen und Diensträngen der Roten Armee. Der aufgebotenen NS-Organisationen, darunter Hitlerjugend und Jung- Einsatz erfolgte dann sowohl im Reichsgebiet als auch in den besetz- volk, empfingen sie am Dorfeingang und sorgten zugleich für Unter- ten Gebieten, u. a. bei den deutscherseits gebildeten russischen (Ko- bringung und Verpflegung, was allerdings das durchlebte Grauen, saken-)Verbänden. die Verluste und Zukunftsängste nicht zu mildern vermochte. Für die Indes hatte die Kriegsbegeisterung schon merklich nachgelassen. Kinder brach aber damit eine hochinteressante, bewegte Zeit an, zu- Während einerseits die Spendenfreudigkeit zum Winterhilfswerk mal der Schulunterricht provisorisch in ein Bauerngehöft hinter der verhalten war, griff die Spinnstoffsammlung die letzten Rücklagen Schmiede verlegt werden musste, da die damalige Schule von einer an. Ich war Anfang Januar 1945 als Jungvolk-Pimpf in meinem Wohn- Wehrmachtseinheit belegt wurde. Erinnerungen besagen, dass es bereich an der Talmühle dazu verpflichtet worden, mit der WHW- sich dabei um eine Nachrichteneinheit gehandelt habe, nach ande- Büchse um Spenden zu bitten. Mir missfiel dies zwar, zumal ich kei- ren Quellen soll das Panzergrenadier-Ausbildungsbataillon 413 in nen Begleiter hatte und winterliche Verhältnisse herrschten, doch Kurort Hartha Quartier bezogen haben. Zugleich nahm der in Dres- bemühte ich mich mit der mir eigenen Gewissenhaftigkeit um die Er- den ausgebombte Gauleiter und Reichsstatthalter von Sachsen, Mar- füllung des Auftrags. Aber so sehr ich die Talmühlenstraße auch auf tin Mutschmann, ab dem 15. Februar seinen Wohnsitz in Grillenburg, und ab ging, von den wenigen Fußgängern waren nur wenige bereit, was somit zum Dienstsitz der sächsischen Regierung wurde. Mögli- mich zu beachten, einmal wurde mir sogar der Hitlergruß nicht erwi- cherweise steht damit im Zusammenhang das Gerücht, dass vom dert. Ausgefroren und enttäuscht kehrte ich schließlich nach wohl 2 Schloss Tharandt der Werwolf-Sender seit dem 1. April seine Sendun- Stunden in die häusliche Geborgenheit zurück. Eine Wiener Tante, gen zur Propagierung einer Widerstandbewegung im Rücken der die wegen der Luftangriffe bei uns Aufnahme gefunden hatte, trös - Siegertruppen ausstrahlte. Des Weiteren fanden im „Forsthaus" von tete mich mit einem Geldschein. Trotzdem aber wurde ich als der Kurort Hartha ein Entbindungsheim mit Säuglingsstation und in Dr. schlechteste Sammler angeprangert, was mich noch mehr enttäusch- Streits Kinderheim das Landratsamt Unterkommen, im Tharandter te. Wenig später wurde ich mit zur Spinnstoffsammlung herangezo- Stadtbad-Hotel ab dem 20. März ein Reservelazarett. gen, die in der Zeit vom 7. bis 28. Januar 1945 erfolgte und als „Deut- Zu den interessanten und aufregenden Begebenheiten jener Tage sches Volksopfer" nur Wehrmacht und Volkssturm bezeichnet wur- gehörte ein Luftkampf, der sich am 21. März in Richtung Meißen ab- de. Ich entsinne mich nur noch, dass wir beim Ortsbauernführer Häh- spielte, wo ein deutscher Jäger einen US-Bomber abschoss, aber da-

75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges: Der letzte „Abwehrerfolg" - Das Ende der Ostfront am Tharandter Wald 1 bei von dem explodierenden Flugzeugteilen selbst betroffen wurde und abstürzte. Dieses Ereignis war durch Schussfolgen und Detona- tionen laut hörbar sowie beim Absturz einer der Maschinen auch sichtbar zu verfolgen. Noch verlief das Alltagsleben aber in gewohnten Bahnen, wurden die Osterfeiertage am 1./2. April bei herrlichem Frühlingswetter, al- lerdings unter Wegfall der Osterferien, nach üblicher Sitte began- gen. Zugleich weckten die näher rückenden Fronten unter dem Ein- fluss der NS-Propaganda seltsame Hoffnungen, die selbst die Kinder ergriffen. Als ich am Freitag, dem 13. April, morgens auf dem Weg zum Schul- unterricht in Höhe des Spritzenhauses war, kam aufgeregt hüpfend „Flohfix" die Dorfstraße heruntergerannt. Er hatte mit seinen ausge- bombten Eltern aus Dresden hier Unterkommen gefunden und hieß eigentlich Felix, doch seine vernachlässigte Körperpflege hatte ihm sogleich den wenig schmeichelhaften Spitznamen eingebracht. Zu- dem galt er als etwas dümmlich, weshalb er gern gehänselt wurde. Deshalb wunderte ich mich umso mehr, als er lauthals und geradezu jubelnd im Rennen verkündete „Roosevelt ist tot! Roosevelt ist tot!" Offenbar hatten sich die Eltern an Goebbels orientiert und aus dem plötzlichen Ableben des US-Präsidenten Hoffnungen auf ein rasches und annehmbares Kriegsende gemacht. Eine andere Hoffnung kam ab diesem Tag mit dem gewitterähnli- chen Grollen im Westen auf, das von der Artillerie der US-Truppen herrührte, die am 14. April den westlichen Stadtrand von Chemnitz erreicht hatten. Doch die tägliche Hoffnung auf die „Amis" und so- mit eine Bewahrung vor sowjetischen Gräueltaten blieb unerfüllt; keiner konnte wissen, dass ein „Haltebefehl" die US-Verbände in Grabanlage Friedhof Tharandt Sachsen zugunsten des Vorstoßes nach Süddeutschland zum Still- stand zwang. Dessen ungeachtet aber blieb die US-Luftwaffe weiter- hin aktiv, wovon am 17. April, gegen 9.30 Uhr, der Tharandter Wald bzw. ein im Grillenburger Schloss einquartiertes Armee-Oberkom- mando betroffen wurde. Ebenfalls in diesen Tagen, während der Mittagszeit, waren die Gleisanlagen am Eisenbahntunnel von Edle Krone das Angriffsziel von drei Jagdbombern, wobei die Brücke an der Westeinfahrt getroffen wurde; ein von Tharandt nach Freiberg befindlicher Munitionszug konnte dem Angriff glücklicherweise zunächst im Schutze des Tunnels und schließlich durch Rückfahrt nach Tharandt entgehen. Nach der am 16. April an der Oder und Neiße eröffneten sowjeti- schen Großoffensive, die rasch zur Elbe und auf Dresden vorstieß, zeichnete sich jedoch ab, dass sich die Ostfront in unsere Heimat zurückzog. Eine erste Ernüchterung vermittelte am 19. April ein Elendszug von Häftlingen französischer Staatsbürger des Bu- chenwald-Außenlagers Neu-Staßfurt, der sich von - Tha- randt kommend über den Buchenweg dahinquälte. Meine Tante Gerti (Gertrud), die in Dresden ausgebombt worden war und bei uns wohnte, hatte davon gehört und war auf die Höhe geeilt, um am Folgengut Augenzeugin des Geschehens zu sein. In ih- rer impulsiven Art und sicher auch in Erinnerung an die umgekom- mene jüdische Verwandtschaft - sie selbst war halbjüdischer Ab- kunft, jedoch von Geburt an katholisch - erregte sie sich entsetzt über das Geschehen, worauf ihr ein Wachmann in rüder Art und Wei- se die Einreihung in die Kolonne angedroht habe. Völlig entnervt kehrte sie darauf zurück und berichtete uns erschüttert von dieser Begebenheit. Die geschilderte Brutalität führte dazu, dass vier der Gefangenen am Folgengut zu Tode kamen und am 20. April auf dem Friedhof von Fördergersdorf beigesetzt wurden, von wo später ihre Umbettung in einen Ehrenhain des Tharandter Stadtparks, 1952 auf den dortigen Friedhof erfolgte. Grab auf dem Friedhof Naundorf

2 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges: Der letzte „Abwehrerfolg" - Das Ende der Ostfront am Tharandter Wald Die Schrecken kennzeichneten den Elendszug auch auf seinem Wei- dung einer „Kampfgruppe Erzgebirge” unter Generaloberst Hoth termarsch über Grillenburg und Klingenberg, wo am 21. April ein mit Stabssitz in Kriegern/Sudetenland (jetzt Kryry/Tschechien) vorbe- weiterer KZ-Häftling - ein später nach Frankreich überführter franzö- reitet worden war und am 2. Mai mit der Aufstellung eines Divisions- sischer Offizier - erschossen wurde. Bereits kurz vorher, am 15. April, stabes zum Befehlshaber Erzgebirge unter Generalmajor Marlow ak- war aus einer Leipziger Evakuierungskolonne von 800 KZ-Häftlingen tiviert wurde. Auf Befehl Schörners ordnete sich ab dem 5. Mai auch auf dem Marsch in Richtung Frauenstein nahe der Funkenmühle zwi- der bisherige Verteidigungsbereich Dresden als nunmehriges Armee- schen Naundorf und Niederbobritzsch der französische Widerstands- korps Gilsa in die Rückzugsbewegung ein. Die gleichzeitig im front- kämpfer Charles Schmidt erschossen worden. nahen Gebiet von Meißen und Großenhain angeordneten Evaku- ierungen machten das bisherige Hinterland mit dem Tharandter Andere Transporte von den Buchenwald-Außenlagern Colditz und Wald zum hoffnungsvollen Ziel auf der Suche nach Schutz vor den Jena bzw. dem Flossenbürg-Außenlager Nossen hinterließen in jenen Schrecknissen des Krieges. Tagen allein in Niederbobritzsch 5 oder 6, in Oberbobritzsch 9 oder 10 Tote. Schon am 6. Mai eröffnete die Rote Armee mit den in Berlin freige- In diesen Tagen bezog eine leichte Flakeinheit auf der Buche, neben wordenen Kräften aus dem Raum südlich Oschatz — Riesa ihre letzte Pauls Gut, Stellung, offenbar zum Schutz der im Ort und im Wald un- Offensive in Richtung Erzgebirge - Prag und erreichte bis zum Abend tergebrachten Einheiten. die Autobahn. Bestürzung und Angst erfassten nun auch das bisheri- Für uns Kinder war das eine interessante Waffenschau, die wir uns ge Hinterland. Gauleiter und Reichsstatthalter Martin Mutschmann gern erklären ließen, wobei mich und „Küchenklecks" (Heinz ließ in Grillenburg - die Russen waren angeblich nur noch 6 km ent- Küchenmeister, der Nachbarsjunge) besonders die Ferngläser faszi- fernt, also bereits am Rande des Tharandter Waldes - sofort sein Ei- nierten. In einem unbemerkten Augenblick ließ ich mich dazu hin- gentum auf Lastwagen verladen und nach dem Sporthotel Oberwie- reißen, ein Nachtglas zu entwenden, als plötzlich Alarm ausgelöst senthal verbringen, wohin er noch am 6. Mai seinen Adjutanten wurde, weil offenbar ein Aufklärungsflugzeug am Himmel erschie- Schramm, Bürogehilfen Grabs, die Schreibhilfen Frl. Fleischer und Frl. nen war. Da das Fehlen des Fernglases jetzt bemerkt werden musste, Handrick, Prof. Baumeister Hammitzsch sowie mutmaßlich auch sei- machten wir uns flugs damit von dannen. Zu Hause angekommen, ne Ehefrau vorausgeschickt hatte, während er selbst eiligst aus Gril- zeigte ich stolz die Beute meiner Mutter, die jedoch erschrak, mir lenburg in die Ausweichstelle der Gauleitung im Lockwitzgrund vorhielt, dass ich strengstens bestraft werden könnte und mich auf- flüchtete. Die zu seiner Sicherheit Gaujägerhof Grillenburg eingela- forderte, das Fernglas unverzüglich wieder dorthin zu schaffen, wo gerten rund 70 Panzerfäuste fanden somit keine Verwendung, viel- ich es weg genommen hatte. Schweren Herzens kam ich der Auffor- mehr rückte gegen 20 Uhr auch das Militär kampflos aus Grillenburg derung nach und es gelang mir die Wiederablage, ohne den Flaksol- ab, worauf bereits gegen 22 Uhr ein sowjetischer Spähwagen bei daten deswegen aufzufallen. Vielleicht war dies aber auch absicht- Nestlers bemerkt wurde. Trotz strömenden Regens setzte daraufhin lich übersehen worden, denn die bei uns einquartierten Flak-Solda- auf Betreiben von Bürgermeister Hübel eine überstürzte Flucht von ten machten keinen sehr kriegsbegeisterten Eindruck. So nahm ich mindestens 4/5 der Dorfbewohner in Richtung Amerikaner ein; nur entsetzt wahr, dass sie an unserem Radio „Feindsender" abhörten rund 20 Einwohner blieben im Ort bzw. in Waldscheunen zurück. und die Nachricht vom Tode Adolf Hitlers sehr gelassen hinnahmen, Auch Bürgermeister Hübel flüchtete mit 2 Autos und 2 Motorrädern, mir schien sogar, dass sie dazu lässige Bemerkungen machten. angeblich, um die Flüchtlinge zum Amerikaner zu führen. Am Mor- Eine Vorbereitung auf den „Endkampf" zeichnete sich zugleich in gen folgten dann noch die Flüchtlinge aus Kurort Hartha und der hastigen Aushebung von Schützengräben und Anlage von Pan- Spechtshausen. zersperren ab. Obwohl dies unter Anleitung von Wehrmachtsan- gehörigen geschehen sein soll, musste man sich nach dem Sinn man- Indes war noch am Abend des 6. Mai der Stab und Gefechtsstand der cher Anlagen fragen. So wurde zum Beispiel die Talmühlenstraße aus Division Lüdecke, die bisher im Meißner Raum operiert hatte, an den Richtung Tharandt kurz vor der Talmühle durch eine Panzersperre Südrand des Tharandter Waldes bei Edle Krone verlegt worden, um abgeriegelt, die auf den Wiesenflächen daneben umgangen werden von hier aus eine die sowjetischen Truppen hinhaltende Verteidi- konnte. gung zu organisieren; damit einher gingen noch am Abend des 6. Mai Einquartierungen deutscher Soldaten, wie bei Frau Büttner in Inzwischen hatte die Ostfront die Heimat erreicht, indem sowjetische Spechtshausen, wo 3 Wehrmachtsangehörige Unterkunft bezogen. Kräfte am 26. April von Norden her westlich Meißen bis Deut- Zudem bezog am 7. Mai gegen 4.30 Uhr auch eine Kampfgruppe der schenbora vorgestoßen waren und gegen 21.30 Uhr die Sprengung 10. SS-Panzerdivision „Frundsberg" mit 37 Panzern in Wilsdruff Ab- der Autobahnbrücken bei Wilsdruff sowie Hühndorf erfolgte. Der wehrstellung. Die so von Dresden aus organisierte hinhaltende somit nur noch 15 km von Kurort Hartha entfernte Gegner konnte je- Deckung des Rückzugs über das Osterzgebirge diente zugleich als doch durch einen Gegenangriff der Wehrmacht ab dem 29. April Auffangstellung für die durch den sowjetischen Einbruch westlich noch einmal zurückgeworfen werden, was das Ende aber lediglich davon abgedrängten oder versprengten Wehrmachtseinheiten, was verzögerte. Allerdings wurde diese Frontnähe kaum bewusst und beispielsweise 2 Sturmgeschütze und Infanteristen betraf, die sich verlief das Alltagsleben unverändert, blieb es bei einem regelmäßi- am 7. Mai gegen 10 Uhr kampflos aus Hetzdorf nach Osten zurückzo- gen Schulunterricht und wurde sogar noch in der Lokalpresse vom gen. 30. April zu Waldspaziergängen während der Waldbesuchszeit an Werktagen von 6 bis 19 Uhr bzw. bis 21 Uhr an Sonn- und gesetzli- In der Nacht vom Sonntag, dem 6. Mai, zum Montag, dem 7. Mai, chen Feiertagen ermuntert. Doch nach dem Selbstmord Hitlers am regnete es in Strömen, als im Morgengrauen die einquartierten 30. April und dem Fall Berlins am 2. Mai war das Ende absehbar ge- Flaksoldaten plötzlich alarmiert wurden und eiligst aufbrachen. Ihrer worden. Die Wehrmachtführung entsprach dieser neuen Situation Aufregung war zu entnehmen, dass der Russe durchgebrochen sei insofern, indem sie ab dem 3. Mai einen Rückzug auf den Erzgebirgs- und sie zum Amerikaner wollten. Wie sich später herausstellte, als kamm als neue Verteidigungslinie vornahm, die bereits durch Bil- wir einen von ihnen im Mai/Juni 1945 bei der Wiederinstandsetzung

75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges: Der letzte „Abwehrerfolg" - Das Ende der Ostfront am Tharandter Wald 3 der Dresdner Augustusbrücke trafen, schafften sie dies nicht mehr Dagegen waren Pohrsdorf sowie Spechtshausen bereits gegen 7 Uhr und gerieten so im Sudetenland in sowjetische Gefangenschaft. durch einen Vorstoß sowjetischer Panzer vom Nordwesten her nach Obwohl nun absehbar war, dass uns die Front erreicht hatte, beharr- kurzem Kampf in Besitz genommen worden, worauf sich westlich te ich darauf, in die Schule gehen zu wollen, was jedoch meine Mut- und nordwestlich von Fördergersdorf heftige Kämpfe entwickelten, ter energisch verhinderte. Auch eine Aufforderung des NS-Beauf- in denen infanteristische Waffen-SS dem sowjetischen Angreifer eine tragten Lippmann gegen 7 und 8 Uhr zur Flucht wies sie entschieden Besetzung des Dorfes verwehrte. Nördlich Fördergersdorf in Stellung zurück, wogegen andere - wie wir später erfuhren - doch noch auf- gegangene deutsche Pakgeschütze eröffneten das Abwehrfeuer und brachen, aber dann im Tharandter Wald das Kriegsende abwarten vernichteten am Galgenberg hinter Pohrsdorf einen sowjetischen mussten. Panzer.

Der am Morgen des 7. Mai wieder aufgenommene Angriff der so- wjetischen Verbände aus der längs der Autobahn südlich Meißen be- zogenen Stellung trug den Rückzugsplänen der Wehrmacht Rech- nung, indem sie westlich des Tharandter Waldes zum Erzgebirgs- kamm vorstieß, den sie bereits gegen 7 Uhr bei Schönfeld hart west- lich der Rückzugsstraße nach Zinnwald erreichte, die sie nunmehr be- drohte. Damit war zugleich der Tharandter Wald in die Frontnähe gerückt, wo gegen 8 Uhr in Schuberts Busch bei Niederschöna ein Munitionslager gesprengt wurde. Indes umfassten die sowjetischen Truppen den Tharandter Wald, indem sie gegen 9 Uhr Mohorn und Colmnitz einnahmen und in Edle Krone den Stab sowie Gefechts- stand des Verbandes Lüdecke überrollten, wobei Generalleutnant Lüdecke, von Tharandt kommend, am Südrand des Tharandter Wal- des in die vom Westen vorstoßenden sowjetischen Panzer geriet, so dass er ab 4 Uhr seinen Verband vom Stab der 2. SS-Panzerdivision „Das Reich" im Raum aus führen musste. Ebenso überrascht wurden 60 bewaffnete Männer des Reichsarbeitsdienstes (RAD), die mit dem Zug 8 Uhr von Frauenstein zum Kampfeinsatz ab- gefahren waren, jedoch als der Zug am Tharandter Wald stehenblei- ben musste und der Trupp am Colmnitzer Pfarrbusch unter Beschuss geriet, versprengt wurden. Dennoch konnte in der zweiten Tages- hälfte ein Vorstoß von Wehrmachtskräften mit Panzern und Artille- rie aus dem Tharandter Wald in Richtung Freiberg, die offenbar zum Amerikaner durchbrechen wollten, kurzzeitig die Flanke der zum Panzerdenkmal Pohrsdorf. Erzgebirge vorgestoßenen 4. sowjetischen Gardepanzerarmee des Generalobersten Leljuschenko bedrohen. Im weiteren Verlauf des Dabei fand gegen 8 Uhr der Waldarbeiter Ernst Ewald Mittasch in Tages verbesserten jedoch die sowjetischen Einheiten ihre Positionen Pohrsdorf durch sowjetische Panzer den Tod. Ein weiterer sowjeti- am Waldhindernis, besetzten gegen 11 Uhr auch Herzogswalde, wo scher Panzer wurde von deutschen Pakgeschützen am Ortsausgang 6 deutsche Soldaten fielen, Hetzdorf sowie Niederbobritzsch und nach Grumbach vernichtet, wobei zwei Panzersoldaten fielen, stießen gegen 16.30 Uhr mit einer Vorhut von Colmnitz bzw. vorn während an der Straße von Spechtshausen nach Fördergersdorf ein Auermanns Kreuz her bis Grillenburg, begleitet von zurückgehenden unbekannter deutscher Soldat den Tod fand. Nachdem ein deutsches Einwohnern aus Kurort Hartha und Spechtshausen, die in Klingen- Pakgeschütz kampfunfähig geworden war, zogen sich die übrigen berg auf sowjetische Verbände gestoßen waren und nun in Grillen- aus ihrer Stellung nördlich Fördergersdorf bereits gegen 10 Uhr in burg Nachtquartier bezogen. Richtung Tharandt zurück. Ein gegen 9 Uhr einsetzender Beschuss Ein nördlich des Tharandter Waldes gleichzeitig von Einheiten der 3. Fördergersdorfs hielt den ganzen Tag bis gegen 20 Uhr an; die ersten Gardearmee Gordows mit der 3. Gardepanzerarmee Rybalkos ange- und letzten Geschosse trafen den Kirchturm, wo offenbar eine strebter Durchbruch auf Dresden stieß jedoch auf erbitterten Wider- B-Stelle vermutet wurde, ansonsten wurde jedoch kein größerer stand, der die Rückzugsbewegungen decken sollte und auch Kurort Schaden verursacht. Hartha einbezog. Während die 51. und 53. Gardepanzerbrigade um Als südlichster Eckpfeiler der von Wilsdruff reichenden Abwehrlinie Wilsdruff über den ganzen Tag heftige Kämpfe führte, bei denen ei- geriet schließlich auch Kurort Hartha in das Kampfgeschehen. Inzwi- ne Kampfgruppe der 10. SS-Panzerdivision „Frundsberg" 5 sowjeti- schen waren starke sowjetische Panzerkräfte in den ersten Vormit- sche Panzer des Typs T 34 vernichtete, deutscherseits auf der Hühn- tagsstunden auch vom Landberg aus über Spechtshausen auf Kurort dorfer Höhe am Nordrand Wilsdruffs eine gepanzerte Selbstfahrla- Hartha vorgestoßen, wobei am Landberg zwei Wehrmachtsan- fette 11 „Wespe in Brand geschossen wurde und im Wilsdruffer gehörige den Tod fanden und in Spechtshausen deutsche Panzerjä- Stadtgebiet 17 Wehrmachtsangehörige den Tod fanden, erfasste das ger am Mühlweg durch ihr Abwehrfeuer ein Eckhaus mit Kaufladen Kampfgeschehen auch die Orte südlich davon. In Grumbach, von wo in Mitleidenschaft zogen. Aus den daraufhin auf die Felder auswei- aus deutsche Artillerie in die Kämpfe eingriff, gelang es zwar am chenden T 34 konnte ein 1200 m entfernt bei Fördergersdorf in Stel- frühen Vormittag sowjetischen Soldaten, in das Niederdorf einzu- lung gegangenes 8,8-cm-Geschütz einen der Panzer mit einem dringen, jedoch fielen sie einem deutschen Gegenangriff zum Opfer; Schuss in die Flanke außer Gefecht setzen, während zwischen andererseits fanden 13 Einwohner durch den Bombenwurf eines so- Spechtshausen und Kuron Hartha ein sowjetischer Mannschaftstrans- wjetischen Fliegers den Tod, der offenbar einem Panzer der SS galt. portwagen der deutschen Gegenwehr zum Opfer fielen.

4 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges: Der letzte „Abwehrerfolg" - Das Ende der Ostfront am Tharandter Wald lm Laufe des Vormittags beobachtete ich vom Küchenfenster aus, wie auf den gegenüberliegenden Feldern ein deutsches Geschütz in Stellung ging. Den ganzen Tag über hörte man Schießerei. Am Nach- mittag kamen laufend Wehrmachtssoldaten ins Haus, darunter war auch ein kleinerer Trupp. Sie baten um einen Trunk und wollten wis- sen, wo der Amerikaner stehe. Ich sagte: „Bei Freiberg." „Dorthin können wir nicht war, da ist schon der Russe", meinte der Führer des abgekämpften und müden Trupps. Wie gehetztes Wild verließen sie wieder das Haus. In und um Kurort Hartha hatten Teile des Panzerregiments „Groß- deutschland" die Verteidigung übernommen, dessen Stab sich im „Lindenhof” einquartiert haben soll, gedeckt von Kräften der 20. Pan- zerdivision, die bei Tharandt 200 m über dem Tal Position bezogen hatten und von dort aus das Gelände weithin einsehen und unter Be- schuss nehmen konnten. Gegen 9.30 Uhr begannen im Oberdorf die Kämpfe, die sich vor allem am Kurhaus und Hartheberg zutrugen, wobei die sowjetischen Angreifer auch bis zum Lindenhof vorge- drungen sein sollen, aber zurückgeworfen wurden. Einem der hier eingesetzten Königstiger gelang es dabei, aus einer Position hinter der Hecke vor Café Eger mit einem Schuss durch die nahe Telefonzel- le einen sowjetischen Panzer des Typs T 34 - 76 in Brand zu schießen, dessen Besatzung dabei ums Leben kam. Nach einer anderen Darstel- lung soll ihn ein Flakhelfer von der Hausecke des Kurhauses aus mit einer Panzerfaust getroffen haben, was vielleicht auf zwei gleichzei- tige Handlungen schließen lässt. Einen zweiten Sowjetpanzer dieses Typs traf eine Panzerfaust aus einem Haus, den 2 sowjetische Solda- ten noch zu verlassen vermochten, von denen einer ärztlich behan- delt werden konnte. Beide sollen aber noch umgekommen, insge- samt im Ortskampf 5 sowjetische Soldaten gefallen, andererseits deutsche Wehrmachtsangehörige nach Gefangennahme erschossen worden sein. Das könnte den auf dem Friedhof zu Fördergersdorf beigesetzten Obergefreiten Wilhelm Jünemann, geb. am 30.11.1908 in Rotenburg, betroffen haben, der als Angehöriger der Stabs- kompanie „Kommandeur Panzer-Division Nachschub Truppe 92“ (1) am 7. Mai im Tharandter Wald in der Nähe des Zigeunerplatzes den Soldatentod fand, ebenso den Schützen Max Berger, einen Flei- scher aus Neiße, geb. am 25.02.1922 in Groß-Döbern, Kreis Oppeln (Schlesien), zuletzt 1943 registriert beim Panzer-Grenadier-Ersatz- und Ausbildungsbataillon 13 in Neiße sowie einen Unbekannten, der am 8. Mai ums Leben kam, beide ebenfalls in Fördergersdorf beige- setzt

Soldatengräber Jagdweg und Gärten Landberg Soldatengräber Friedhof Fördergersdorf

75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges: Der letzte „Abwehrerfolg" - Das Ende der Ostfront am Tharandter Wald 5 Als auf dem Grundstück Buchenweg 48 b weiße Wäsche aufgehängt worden war, erblickten die Verteidiger darin ein Zeichen der Kriegs- müdigkeit und richteten sie gegen 18.30 Uhr ihr Feuer dorthin. Dabei starben der sechsjährige Günter Bernd Frenzel, geb. 22.07.1938, und seine 44-jährige Mutter Marie Martha Frenzel, geb. 14. 04. 1901, durch Granatsplitter. Ungefähr zur gleichen Zeit, in den Abendstun- den des 7. Mai, fanden gegenüber von Siedlung Nr. 40, nahe der Waldhäuser, durch einen sowjetischen Scharfschützen, nach anderen Angaben durch einen Volltreffer 6 Hitlerjungen den Tod: Horst Ster- zel, geb. 15.01.1929 aus Borna b. Leipzig, Angerstraße 3; Wolfgang Hänel, geb. 10.05.1929 aus Großerkmannsdorf Nr. 3d über Radeberg; Klaus-Dieter Adam, geb. 22.05.1929 aus Dresden-Bühlau Weißer Hirsch, Luboldstraße 2; Heinz Bodeil, geb. 25.05.1929 aus Liegau-Au- gustusbad, Langebrücker Straße 11; Gunther Burkhardt, geb. 28. 06. 1929 aus Dresden-Loschwitz, Robert-Dietz-Straße 2b und Rudi Mel- zer, geb. 19.07.1929 aus Liegau-Augustusbad, Fasanenweg 5. Sehr wahrscheinlich handelte es sich um Schüler der Dresdner Napola oder Teilnehmer einer HJ-Führerschule bzw. eines Wehrertüchtigungsla- Soldatengräber zwischen Mohorn und Herzogswalde gers, die hier als Artilleriebeobachter eingesetzt waren und mögli- cherweise bei Erkundungen aus den Baumwipfeln dem Gegner auf- Die am 7. Mai geführten Verteidigungskämpfe auf der Linie Wils- gefallen waren. Sie wurden hier, an der Stätte ihres Todes, in einem druff - Kurort Hartha scheinen am Abend die Aufgabe, den Rückzug gemeinsamen Grab beigesetzt, gekennzeichnet - durch ein mit den über das östliche Erzgebirge zu sichern, zwar im Wesentlichen erfüllt Namen versehenes Grabkreuz, einer Ruhebank sowie einer Tafel mit zu haben, doch bedrohten zunehmend sowjetische Angriffe östlich der Aufschrift: „Wenn du zu kurzer Rast verweilst an diesem stillen Wilsdruff auf Unkersdorf und Roitzsch die Verteidiger im Rücken, wo Ort und liest, wie junge 6 Menschen hier ihr blühend Leben sinnlos ein Geschütz zwischen Pennrich und Zöllmen das sowjetische Vor- mussten lassen, dann kämpf mit mir gegen Krieg und Völkerhass da- dringen nur mühsam abwehrte. Die Zeit war somit gekommen, die mit nicht auch Dein Junge muss so früh verblassen." Kampfgruppen vom Feind zu lösen und den Rückzug antreten zu las- sen. In Kurort Hartha begann der Abmarsch in der Abenddämme- rung, in dem vom Oberdorf her vermutliche Trossverbände mit Pfer- dewagen auf der Talmühlenstraße nach Tharandt preschten. Den- noch sollen die Gefechtshandlungen im Oberdorf bis gegen 22.30 Uhr angehalten haben, worauf dann im Schutze der Nacht auch der Abzug der Panzer über die Talmühlenstraße in Richtung Tharandt er- folgte. In der Abenddämmerung kam es ebenfalls zum Abzug der Waffen-SS in Trupps von je ca. 10 Mann aus Fördergersdorf. Von Wils- druff zog sich die SS-Kampfgruppe während der Nacht in Richtung Tharandt - Höckendorf Dippoldiswalde zurück, was bis zum Morgen- grauen durch heftiges Maschinengewehrfeuer zwischen Grumbach und Tharandt gekennzeichnet war. Jedoch gelang es nicht allen, sich der Rückzugsbewegung anzuschließen; so blieb die Besatzung eines defekten Panzerkampfwagens IV der 7. Kompanie des SS-Panzerregi- ments 10 der 10. SS-Panzerdivision „Frundsberg mit Angehörigen ei- ner Luftwaffeneinheit in Schmieders Graben zwischen Mohorn und dem Landberg versteckt liegen, wo sie erst am 9. Mai von einer so- wjetischen Offizierspatrouille gefangen genommen wurden. Die Absetzbewegung wurde auch in diesen letzten Stunden des Krie- ges nach bisherigem Schema durchgeführt, so dass am Morgen des 8. Mai noch ein Lebensmittelschuppen am Tharandter Güterbahnhof und zwischen Tharandt und Hainsberg von einem Unteroffizier oder Feldwebel der Wehrmacht die Pastritzmühle in Brand gesteckt wur- den, wobei in letzterer außer den Gebäuden und Maschinen im Wer- te von 85.125 RM viel ausgelagertes Gut (Wagen bzw. Abschlepp- fahrzeuge im Werte von 25 000, Möbel von 6000 RM), 15 t Hafer und ca. 10 t Brotgetreide sinnlos vernichtet wurden. Zugleich blieb man weiterhin darauf bedacht, den Rückzug abzusichern und nahm ein Sturmgeschütz von Somsdorf aus die von Hainsberg nach Rabenau Soldatengrab Siedlung Kurort Hartha vorrückenden sowjetischen Truppen unter Beschuss; wie verloren diese Position gewesen sein muss, bezeugte ein deutsches Soldaten- Eine ähnliche Tragödie ereignete sich an diesem Tage in Mohorn, wo grab nahe der Stillen Liebe, das einem Offizier zugeschrieben wurde, 6 Hitlerjungen des gleichen Jahrgangs in Höhe des Kleinbahn-Halte- der in einer dortigen WaIdarbeiterhütte als Selbstmordopfer aufge- punktes den Tod fanden. funden worden war

6 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges: Der letzte „Abwehrerfolg" - Das Ende der Ostfront am Tharandter Wald terbrochene nächtliche Panzerbewegungen durch Grillenburg und die Einquartierung eines Obersten mit 10 Offizieren im Ort, der mor- gens einem Heerlager geglichen haben soll, besagen. (2)

Am Morgen war plötzlich alles ruhig. Die Sonne lachte, es war ein herrlicher Frühlingsmorgen... Gegen 10 Uhr rollte der erste russische Lkw, aus Richtung Tharandt kommend, vor der Talmühle vor, wo er kurz hielt. Dann fuhr er weiter ins Dorf. In kurzen Abständen folgten andere Lkws, die alle in Richtung Oberdorf durchfuhren. Als wieder friedensmäßige Ruhe aufgekommen war und mit dem Durchrollen der russischen Lkw alles beendet schien, traten die Erwachsenen schnell mit Klappers in der Talmühle in Verbindung. Frau Klapper er- zählte, dass die Russen sehr anständig gewesen seien und nur um Wasser gebeten hätten. Das beruhigte unsere Nerven sehr. Trotzdem waren wir alle wieder aufgeregt, als kurze Zeit später der erste Russe den Hang heraufkam, an der Haustür pochte und in die Stube trat, um Uhren und Schmuck zu fordern. Er verschwand sogleich wieder, aber ihm folgten in Abständen andere Russen, einzeln oder in Grüppchen. Im Verlaufe des frühen Nachmittags durcheilte das Dorf die Kunde, dass das Oberdorf wegen der hartnäckigen Verteidigung niederge- brannt werden solle. Ein an Schimmis „Erbgericht" aufgestellter Schlagbaum markierte die Grenze des angedrohten Racheaktes, worauf die betroffenen Bewohner ihren Auszug begannen. Nur das mutige Auftreten der Mitbesitzerin des Gasthofes „Zum Erbgericht", Dorle Schubert, einer Halbjüdin, bewegte den verantwortlichen rus- sischen Offizier zur Zurücknahme seines Befehls

Gedenktafel Vereinshaus Erbgericht

Allerdings blieb die bei der Sowjetarmee übliche Freigabe des er- oberten Ortes zur dreitägigen Plünderung und Vergewaltigung nicht erspart, wovon manche Frau schrecklich betroffen wurde und auch ein Haus - der Familie Vörtler - abbrannte. Soldatengräber Unbekannter Soldat und Emil Eilitz bei Somsdorf Am Spätnachmittag wurde auch unser Ortsteil zum Massenbiwak russischer Soldaten. Alles war bald gedrängt voll von „Sowjetniks" Die aufgegebenen Positionen konnten jedenfalls in den frühen Mor- und Pferden; selbst unsere Wiese glich einem Heerlager. In unserem genstunden von sowjetischen Verbänden kampflos eingenommen Haus quartierte sich ein Offizier mit rund 25 Soldaten ein. Ängstlich werden, so gegen 5 Uhr Wilsdruff, das sogar der als Stadtkornman- ließen wir in der Küche das turbulente, ungewöhnlich fremde Leben dant eingesetzte Bauunternehmer Adolf Kuhr und der Sozialdemo- um uns herum abspielen.... In diesem Zustand registrierten wir, wie krat Max Zschoke mit weißer Fahne förmlich übergaben, sowie ein Russe sich um unseren Weinessig, den er für Wein hielt, bemühte, Grumbach und Tharandt, gegen 8 Uhr von Pohrsdorf und Spechts- und wie ein anderer vergeblich versuchte, eine — flache - Taschen- hausen her mit Panzerspähwagen und berittenen Aufklärern auch lampenbatterie zu verzehren, die er für ein Stück Schokolade hielt. Fördergersdorf. Andererseits hatten bereits im Laufe der Nacht sow- Schließlich zogen wir uns auf die große Stube zurück... Nachdem der jetische Panzer den Schutz des Tharandter Waldes zur Bereitstellung Abend heraufgedämmert war, wurden wir zu den Russen in die für weitere Angriffsoperationen genutzt, wie Aussagen über unun- Küche gerufen. Ein Offizier fragte nach der Naziprominenz des Or-

75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges: Der letzte „Abwehrerfolg" - Das Ende der Ostfront am Tharandter Wald 7 tes, und Muni gab Auskunft, so gut sie konnte, hatte sie doch als empfinden. Der Mehrheit wurde das erlebte Kriegsende so erst als Halbjüdin allen Grund, das Ende des NS-Systems zu begrüßen. geschichtspropagandistischer Wertungsbegriff bewusst, wogegen Ein Glück, dass den Siegern das Gesicht des Gauleiters Martin Mutsch- das persönliche Erlebnis des Kriegsendes oft genug von grausamen mann verborgen blieb, der sich vom 12. bis 15. Mai im Tharandter Ausschreitungen der Sieger geprägt worden war. Doch dieser Be- Wald aufhielt, bevor er weiter in Richtung Oberwiesenthal flüchtete. wusstseinswandel ist ein anderes Kapitel. Vielleicht wäre sonst die hartnäckige Verteidigung mit ihm in Zusam- menhang gebracht und die Bevölkerung als sein Beschützer verdäch- (1) Nach einem Schreiben des Bruders Bernhard Jünemann aus Bahren/Post tigt und die Strafaktion doch noch durchgeführt worden... Golzern vom 07.08.1952 an den Rat der Gemeinde Fördergersdorf soll Wil- helm Jünemann am 11.09.1908 in Leipzig geboren und seit der Schlacht von Gegen Mitternacht erschreckte Schusslärm, der befürchten ließ, dass Stalingrad vermisst sein, weshalb er um eine klärende Auskunft bat. Das ein deutscher Gegenangriff erneutes Unheil verursachen würde. Es Schreiben hatte folgenden Wortlaut: „Seit der Schlacht um Stalingrad wird war jedoch das Zeichen des Kriegsendes, das in jener Stunde mit der mein Bruder Wilhelm Jünemann, geb. am 11.9.1908 in Leipzig, vermisst. Nun Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation in Berlin-Karls- habe ich durch einen Bekannten erfahren, daß auf dem Friedhof in Förder- horst besiegelt und von den sowjetischen Soldaten mit Salutschüssen gersdorf ein Soldatengrab sei, dessen Namen und Geburtsjahr mit dem meines aus allen Waffen begrüßt wurde. Bruders übereinstimmen würde. Ich wäre lhnen dankbar, wenn Sie mir einmal Näheres über dieses Grab berichten könnten. Etwa für Sie daraus entstehende Wenn in diesen Stunden von uns Deutschen im Allgemeinen das Unkosten werde ich Ihnen sofort überweisen." Kriegsende begrüßt wurde, so belastete doch zugleich die Depres- sion eines verlorenen Krieges und der gnadenlosen Auslieferung an (2) (Tagebuch-)Aufzeichnungen von lrmgard Hartmann/Grillenburg, Dorfhai- den Sieger die Freude über den ersehnten Frieden. Eine Befreiung, ner Straße 5 vom 07.05.1955 bei Margarethe Poche/Grillenburg, die diese am wie sie später hineingedeutet und geschichts-wissenschaftlich zur 25.09.1959 noch durch mündliche Auskünfte ergänzte. Gehring gebracht wurde, konnte in dieser Situation jedoch kaum je- mand empfinden. Ein solches Gefühl kam nur jenen zu, die sich dem Zum Autor: Gerhard Steinecke (geb. Ritter, 1933 - 2013) wurde in System entgegengestellt oder verweigert hatten, wie Hans Ullrich Dresden geboren und verbrachte seine Kindheit in Kurort Hartha. Er aus Edle Krone, der sich aus christlichem Selbstverständnis geweigert studierte 1958 - 1962 Pädagogik in Leipzig und 1965 - 1970 hatte, einen Eid auf Adolf Hitler zu leisten. Das nach den Luftangrif- Geschichte in Berlin. Nach kurzer Lehrtätigkeit war er 1974 - 1977 als fen auf Dresden in der U-Haftanstalt George-Bähr-Straße 5 entstan- Museumsdirektor in Liebstadt auf Schloss Kuckuckstein und 1977 - dene Chaos ausnutzend, war ihm am 15. Februar 1945 die Flucht 1984 im Museum Nossen tätig. Nach politischer Aburteilung 1984 nach Edle Krone gelungen. Nach Wochen in den verschiedensten durfte er von 1985 - 1990 nur noch Hilfsarbeiter sein. Nach der Verstecken - in einer Felsenhöhe im Wald, bei einem Onkel in Wende wurde er Ortschronist der Stadt Meißen bzw. betätigte sich Höckendorf und zuletzt inmitten verängstigter Dorfnachbarn in ei- als Sachbuchautor. (Wikipedia) nem nahen Bergwerkstollen - konnte er das Eintreffen von Sowjet- soldaten am Morgen des 8. Mai in Edle Krone als echte Befreiung 11 Fotos der Kriegsgräber und Denkmalanlagen von André Kaiser

8 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges: Der letzte „Abwehrerfolg" - Das Ende der Ostfront am Tharandter Wald