Deutschland Muscheln nuscheln Karrieren Robert Habeck, 47, will Spitzenkandidat der Grünen im Bundestagswahlkampf werden. Wofür er steht, lässt er oft lieber im Unklaren. Damit passt er zu seiner Partei.

n einem sonnigen Tag an der Kieler Hörnbrücke spricht Robert Habeck Avon damals. Nicht von seiner Ver - gangenheit, sondern von der einer Gruppe, die er die „alte Generation“ nennt: Jürgen Trittin, Reinhard Bütikofer, Bärbel Höhn. „Tief durchdrungen“ seien die, von Politik. Er denkt kurz nach und trommelt dabei mit seinen ausgestreckten Zeigefingern auf der Tischplatte im Café Blauer Engel. Tok. Tok. Tok. Er sagt, dass diese Grünen anders seien. Sie hätten vor ihrem Eintritt in die Partei schon ein politisches Leben gehabt, bei K-Gruppen zum Beispiel. Danach erst hät - ten sie zu den Grünen gefunden und die mit aufgebaut. Sie ertrügen es nicht, ein - mal über etwas anderes als Politik zu re - den. Die aus der alten Generation seien „zuallererst politische Menschen und erst an zweiter Stelle Grüne“. Robert Habeck bewirbt sich gerade darum, grüner Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2017 zu werden. Was er an diesem Tag am Wasser sagt, klingt so: Die alten Grünen sind passé. Sie sind Ahnen auf verblichenen Schwarz-Weiß- Bildern. Jetzt sind neue Grüne dran. Habeck verkörpert diese neuen Grünen perfekt. Sie müssen nicht mehr für die großen Themen kämpfen. Seit ihrer Grün - dung vor 37 Jahren hat die Partei viele Schlachten gewonnen. Der Atomausstieg kommt, es gibt mehr Gerechtigkeit für Frauen, die Energiewende ist Konsens. Die Partei hat viele ihrer alten Ziele erreicht. Nun tut sie sich schwer damit, neue zu finden. „Wir bleiben unbequem“, war das Motto des letzten Parteitags. Aber stimmt das auch? Auf dem Parteitag in Münster einigten sie sich zwar auf eine Vermögensteuer für Reiche. Doch die stellt so viele Bedingun - gen, dass sie aller Voraussicht nach nie Realität werden wird, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass die Wähler der Grü - nen andere geworden sind. Früher gewann die Partei bei Linken und Mittellosen, heu - te bei den gut gebildeten Bürgerlichen mit überdurchschnittlich hohem Einkommen.

Früher waren fast 80 Prozent derer, die F I A L

ihre Stimme den Grünen gaben, jünger als /

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35, heute sind es weniger als 10 Prozent. E B M A

Früher wollten die grünen Wähler Auf - L P

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stand, heute Anstand. A I T S I

An einem Donnerstag im Dezember R H C

steht Habeck auf einer Bühne im Stuttgar - S N A

ter Kursaal, einem alten Raum mit Kron - H leuchtern und hoher Decke. Die Grünen Grüner Habeck: „Wir müssen mal zur Ruhe kommen“

58 DER SPIEGEL . / /-.0 haben zum Urwahl-Forum geladen, hier zenpolitiker hat eine Habeck-Imitation stellen sich die Bewerber um die Spitzen - drauf. Er schaut lieblich und sagt: „Hallo, kandidatur vor. Habeck tritt gegen zwei ich bin der Robert, und ich bin voll cool, sehr unterschiedliche Männer an: Frak - und wenn ihr mich wählt, könnt ihr es tionschef ist ein linker auch sein.“ Grüner, Parteichef Cem Özdemir ist Realo. , 32, seit 2013 im Bun - Beide sind leidenschaftliche Flügelvertreter, destag, sitzt im Abgeordnetenrestaurant die nach dem alten Linke-Realo-Prinzip des Reichstags. Sie trägt ein T-Shirt der der Grünen funktionieren, beide sind seit Band „Ben Harper & The Innocent Crimi - Jahren Teil des Berliner Politikbetriebs. Ha - nals“, darüber einen schwarzen Blazer. beck, derzeit Umweltminister in Schleswig- Amtsberg kennt Habeck seit fast zehn Jah - Holstein, nicht. Er ist der Außenseiter. ren, sie hat mit ihm die Landtagsfraktion Er könnte sich an diesem Abend etwas in Schleswig-Holstein aufgebaut. trauen. Doch er sagt Dinge, die jemand wie Habeck habe zwar „einen beeindrucken - Trittin niemals sagen würde. Er sagt, dass den Weg bei den Grünen hingelegt“. Er er die Grünen zur „Gesellschaftspartei“ ma - sei impulsiv und „sicher nicht main - chen wolle. Er sagt, er wolle ein „grund - stream“. Sie sei sich aber nicht sicher, ob sätzliches Angebot machen“, für eine „ein das reiche für die Bundesebene, sagt Amts - bisschen andere, frische, frechere Politik, berg. Ihr fehle bei ihm dann doch des Öf - die viele, viele Menschen begeistern kann“. teren mal das Konkrete. Der Hauptstadt - Es ist eine Platte, die er häufig auflegt. betrieb sei härter als der im beschaulichen „Niemand ist verpflichtet, moralischer zu Schleswig-Holstein: „Berlin ist eine andere sein, als es die Gesetze verlangen“, sagt Bühne als Kiel. Es reicht nicht, auf Charis - er in Interviews. Ein Verbot von Verbren - ma und Begeisterungsfähigkeit zu bauen.“ nungsmotoren fordert er nur, wenn es ge - Ein paar Stunden vor dem Urwahl-Fo - nügend Elektrostrom gibt. Er sagt: „Wir rum in Stuttgart sitzt Habeck in einem müssen mal zur Ruhe kommen.“ Habeck Restaurant in der Innenstadt. An den Wän - versteht, wenn es seine Wähler auch be - den hängen Sprüche, die ihm gefallen dürf - quem haben wollen. ten: „Do what you love, love what you do.“ Es sind nur noch wenige Wochen bis Früher wollten zur Entscheidung: Die Urwahl-Unterlagen liegen schon bei den Grünen-Mitgliedern, die grünen Wähler Mitte Januar soll das Ergebnis verkündet Aufstand, werden. Man merkt Habeck an, dass er nervös heute Anstand. ist. Er fragt immer wieder, wie das, was er sagt, rüberkomme, als habe er selbst in - Bislang funktioniert das gut. Robert Ha - zwischen jedes Gefühl dafür verloren. Vor beck hat die Grünen in Schleswig-Holstein ein paar Monaten, als die Entscheidung als Spitzenkandidat im Wahlkampf in die noch nicht so nah war, war er mutiger. Ein - Regierung geführt. Als Umweltminister ist mal musste er eine Eröffnungsrede vor Ver - er angesehen. Es gibt keine Flügelkämpfe tretern der deutschen Fleischwirtschaft hal - in seinem Landesverband, er duzt sich mit ten, die Reihen waren gut gefüllt, in einer dem Vizepräsidenten des Bauernverbands, der ersten saß der Wurstfabrikant Clemens und er reist zu Bürgertreffen, um über Tönnies. Habeck sah ins Publikum und Windräder und Stromtrassen zu diskutie - sagte: „Das industrielle Halten und Töten ren, die dann auch gebaut werden. von Tieren, wie wir es praktizieren, ist An einem schönen Tag im Oktober be - ethisch nicht zu rechtfertigen.“ sucht er die Alte Mu in Kiel, ein Kultur - Inzwischen zelebriert er das Unkonkre - zentrum, wo sich Kreative Gedanken über te. Hofreiter wird viele aus dem linken La - Nachhaltigkeit machen. Habeck wird ein ger überzeugen, Özdemir die meisten Rea - Fahrrad vorgeführt, das so umgebaut wur - los. Wenn Habeck eine Chance haben will, de, dass man damit auch größere Lasten muss er beiden Stimmen abziehen. Das transportieren kann. An der Seite ist Platz hat er mit seiner Partei gemein. Wenn die für Werbeflächen. Ob es genug Leute Grünen wirklich eine Partei der Mitte wer - gebe, die darauf Werbung schalteten, fragt den wollen, wenn sie wirklich Wahlergeb - Habeck. Er streicht die Seitenwand der nisse wollen wie in Kiste vorn auf dem Fahrrad entlang: „Ein Baden-Württemberg, dann müssen sie für Foto von mir hier, das wär doch was.“ alle wählbar sein. Es gibt viele schöne Bilder von Habeck. Habeck ist 47 Jahre alt und hat für seine Sein Titelbild bei Facebook zeigt ihn beim Kandidatur viel aufs Spiel gesetzt. Wenn Stagediving auf dem Landesparteitag. Auf er nicht Spitzenkandidat wird, wird er dem Cover seines Buchs läuft er am Strand auch nicht für den Bundestag kandidieren. lächelnd mit weit offenen Armen auf die Im Frühjahr sind Wahlen in Schleswig-Hol - Kamera zu. stein, auch hier wird er nicht kandidieren, Bei den Grünen in Berlin lachen manche weil sich die Partei längst ohne ihn für den über Habecks Art, grün zu sein. Ein Spit - Wahlkampf aufgestellt hat. Hat er Angst?

DER SPIEGEL . / /-.0 59 Der Abend des Urwahl-Forums geht langsam zu Ende, als es doch noch span - nend wird. Seit Wochen streut das Realo- Lager um Özdemir ein Gerücht. Wenn Öz - demir Spitzenkandidat werden würde, könnte Habeck doch Parteichef werden, oder? Das klingt erst mal nett, doch in Wirklichkeit steckt dahinter ein Plan, der Habeck schadet. Die Botschaft von Özde - mirs Verbündeten: Habeck muss nicht un - bedingt Spitzenkandidat werden, um einen schönen Posten in Berlin zu bekommen. Bei der Schlussrunde auf der Bühne in

Stuttgart sollen sich Kandidaten gegen- D L I B

/ seitig Fragen stellen. „Lieber Robert“, be - H C I

ginnt Özdemir, „stell dir vor, du bist im R U E B November nächsten Jahres Bundesvorsit - O M I

zender von Bündnis 90/Die Grünen.“ Er T lässt eine kleine Pause, in der ersten Reihe Tatort im Berliner U-Bahnhof Schönleinstraße: Passanten konnten Schlimmeres verhindern wird laut gelacht. Habeck starrt auf die Tischplatte vor sich. „Was würdest du tun, damit die Partei enger zusammen - kommt?“, fragt Özdemir. Habeck windet Gefährliche Freunde sich ein wenig, dann fixiert er Özdemir: „Ich will den Job nicht, Cem.“ Gewalt Syrische Flüchtlinge erzählen, wie sich der Brandanschlag Ein paar Minuten später steht Habeck unten vor der Bühne und murmelt: „Jetzt auf einen Obdachlosen in Berlin abgespielt haben könnte. wissen wir ja, woher das Gerücht kommt.“ Er sieht zu Özdemir. Dann sagt er ein ls Emad K. am zweiten Weihnachts - nachtsnacht um zwei Uhr früh im U-Bahn - Wort, das so unfreundlich ist, dass er es tag nachmittags aus Langeweile hof Schönleinstraße die Kleidung eines nicht gedruckt lesen will. Asein Handy einschaltete, traute er dort auf einer Bank schlafenden 37-jähri - Früher war Robert Habeck Schriftsteller, seinen Augen nicht. Auf Fahndungsfotos gen Obdachlosen angezündet haben. er hat mit seiner Frau zusammen über ein der Berliner Polizei im Internet erkannte Durch schnelles Eingreifen von Passanten Dutzend Bücher veröffentlicht. Irgend - er seinen jüngsten Bruder. „Die Mütze, und eines Zugführers, der mit einem wann ging er aus Neugier zu den Grünen, die Nase, mir war klar, das ist Bashar.“ Feuer löscher half, konnte laut Polizei wurde Kreisvorsitzender, dann Landesvor - Emad K. erschrak. Die Polizei suche Schlimmeres verhindert werden. sitzender. Habeck hat vier Kinder, und sei - sieben junge Männer, las er, die in der Der Brandanschlag auf einen Schutz- ne Frau sagt, dass er ihr anfangs zu Hause U-Bahn einen Obdachlosen angezündet losen durch Menschen, die in Deutschland gefehlt habe und dass es eine neue Erfah - haben sollen. Sofort rief der syrische Schutz suchen und bekommen, heizt die rung gewesen sei, dass nun einer von bei - Flüchtling bei seinem 15-jährigen Bruder Debatte um Flüchtlingspolitik, innere Si - den ein regelmäßiges Einkommen habe. an. Der sei da schon voller Panik und Angst cherheit und den wehrhaften Staat in ei - Wenn man Habeck bittet, eines seiner gewesen. „Ich habe nichts gemacht“, soll ner freien Gesellschaft weiter an. alten Werke aus dieser Zeit laut vorzutra - er gesagt haben. Erst der Terroranschlag auf einen Weih - gen, tut er erst ein bisschen verschämt – Kurz darauf trafen sich beide am Ale - nachtsmarkt, dann der mutmaßliche An - und liest dann doch. Es beginnt so: xan derplatz. Emad K., so sagt er, habe griff auf einen Obdachlosen: Berlin steckt Bashar überzeugt, nicht abzuhauen. Er im Krisenmodus, Politik und Gesellschaft ganz ohr sein solle lieber zur Polizei gehen und sich suchen nach Antworten, Auswegen. Vor nicht sprechen stellen. Gemeinsam fuhren die Brüder mit allem die neu gewählte rot-rot-grüne querfeldein der S-Bahn zum Ostbahnhof und gingen Koalition gerät unter Druck – sie hatte sich ein radebrechen auf die Wache der Bundespolizei – so gerade erst auf eine weiche Sicherheits- erzählt es der Ältere. Die Beamten glaub - politik verständigt: keine Abschiebehaft, das licht atmet aus ten zunächst offenbar, frisch eingetroffene keine zusätzliche Videoüberwachung. muscheln nuscheln Flüchtlinge wollten einen Asylantrag Emad K. weiß nichts von Forderungen rauschender applaus stellen. Bis ihnen Emad K. erklärte, sein nach noch mehr jener Kameras, die in Ber - büsche tuscheln Bruder sei einer der Männer von den lin bereits dazu beigetragen haben, dass Fahndungsfotos und wolle aus sagen. Und die Zahl der Gewaltdelikte im Öffentlichen Er sagt, er habe das Gedicht vor vielen Emad wollte wissen: „Was passiert jetzt Nahverkehr gesunken ist (siehe Grafik) Jahren in einem Zelt auf den Hebriden ge - mit ihm?“ und Verbrechen aufgeklärt werden. Er schrieben, auf dem Boden eines Gasko - Mit Bashar passierte dasselbe wie mit weiß auch nichts von Kritikern, die eine chers. Wenn man fragt, was das eigentlich den anderen fünf Syrern, die ebenfalls strengere Abschiebepraxis verlangen. Er heißt, „Muscheln nuscheln“, dann sagt er, am Montag zur Polizei gingen, und dem kennt nur dieses Fahndungsfoto, auf dem das Gedicht handle vom Verschwinden 21-jährigen Libyer, der noch in der fol - er seinen kleinen Bruder erblickte. und dass das ein großes Glück sein könne. genden Nacht verhaftet wurde: Gegen die Am Dienstag nach Weihnachten sitzt Robert Habeck wirkt eigentlich nicht wie fünf Minderjährigen und zwei Erwach- Emad K. in einer Bäckerei in Berlin-Kreuz - jemand, der sein Verschwinden als Glück senen wurde am Dienstag Haftbefehl er - berg, mit weißem T-Shirt, Jeansjacke und betrachten würde. lassen. Der Vorwurf: versuchter gemein - nach oben gegelten Haaren. Den Tee vor Ann-Katrin Müller, Britta Stuff schaftlicher Mord. Sie sollen in der Weih - sich rührt er kaum an. Er macht sich Vor -

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