Stadtentwicklung Perspektiven für Kleinstädte in Mecklenburg-Vorpommern

Robert Erdmann Perspektiven für Kleinstädte in Mecklenburg-Vorpommern

Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern kann, ohne den Vorwurf einseitiger Betrachtung gelten zu lassen, als ländlicher Raum bezeichnet werden. Bei einer Landesfl äche von 23.189 km² und einer Gesamtbevölkerung von 1,651 Mio. liegt die Einwohnerdichte bei 71 Personen/km². Damit weist Mecklenburg-Vorpommern die niedrigste Einwohnerdichte aller Bundesländer auf. Aus dieser Situation – auf nationaler Ebene eine periphere Lage zwischen den Metropolen Hamburg und Ber- lin, bezogen auf die dynamische Wachstumsregion Ostsee, jedoch eine strategisch prädestinierte Lage entlang der bedeutenden europäischen Entwicklungsachsen Nord-Süd und Ost-West – ergibt sich eine besondere Gemengelage an Problemen und individuellen Chancen.

Der Vollständigkeit halber muss bei der Fokussierung auf Gemeinden geworden und können so weiterhin Verwaltungs- die ländliche Prägung Mecklenburg-Vorpommerns auch auf dienstleistungen in der Region aufrechterhalten. So hat die die größten Städte des Landes verwiesen werden, die Lan- Kleinstadt Penzlin (3.829 Einwohner zum 31.12.2009) mitt- deshauptstadt Schwerin (rund 95.000 Einwohner) und die lerweile die benachbarte, drittgrößte (Einwohneranzahl) Stadt Hansestadt (rund 200.000 Einwohnern) mit ihren des Landes Neubrandenburg in der Flächengröße überholt. Agglomerationsräumen, die selbstverständlich höhere Bevöl- Diese kurios anmutenden Rekorde sind allerdings aus der Not kerungsdichten aufweisen. Darüber hinaus prägt das städ- geboren und stellen einen Versuch dar, Verwaltung und öf- tebauliche Erbe der Hanse, u.a. mit den Städten Wismar, fentliche Infrastruktur funktionsfähig zu gestalten. Was diese Stralsund und Greifswald, zum Teil „geadelt“ mit dem Welt- Entwicklung zu größeren Verwaltungseinheiten für die mobili- erbestatus, die Siedlungsstruktur des Landes. Neben den bei- tätseingeschränkten Jüngsten und Alten bedeutet, muss noch den „Kapitalen“ und den Hansestädten sowie der drittgröß- beantwortet werden. ten Stadt des Landes, Neubrandenburg, bilden vor allem die Investitionen in die behutsame Klein- und Mittelstädte ein wesentliches Rückgrat der ländlich geprägten Struktur Mecklenburg-Vorpommerns. Stadterneuerung Die EGS betreut als Sanierungsträgerin eine große Anzahl von In den 82 Orten mit 3.000 bis 20.000 Einwohnern leben rund Klein- und Mittelstädten im ländlichen Raum, bei denen deut- 518.000 Menschen, etwas weniger als ein Drittel der Bevöl- lich wird, dass, trotz der vergleichbaren Rahmenbindungen kerung des Landes. Diese Klein- und Mittelstädte stehen vor in Ostdeutschland, ganz differenzierte Profi le und Antworten besonderen Herausforderungen in demografi scher und wirt- auf die Frage der Ortsentwicklung und Daseinsvorsorge ge- schaftlicher Hinsicht. In diesen Orten hinterlassen die hohe Ab- funden worden und auch zukünftig notwendig sind. wanderung der letzten Jahre mobiler Bevölkerungsschichten sowie die Veränderung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen Zweifellos war die Stadterneuerung unter Einsatz der Städte- häufi g frühere und deutlichere Spuren als in größeren Städ- bauförderungsprogramme in den letzten 20 Jahren von ho- ten. Geburtendefi zit, Fernwanderung und Suburbanisierung her Bedeutung, um städtebauliche Strukturen zu festigen und prägten die Entwicklung der letzten Jahre. Trotz aller klischee- baukulturelles Erbe zu erhalten. Die bauliche Investition und behafteten Vorurteile bleiben sie jedoch die Identifi kationsorte der wiederentdeckte öffentliche Raum stärkten das Selbstbe- für die jeweilige ländliche Region, da hier die Arbeitgeber an- wusstsein der Bevölkerung, wirkten wirtschaftsfördernd und gesiedelt sind, die gewerblichen und sozialen Dienstleistungen stimulierten bürgerschaftliches Engagement. Das Erreichte ist abgerufen werden, die Bildungsinstitutionen und kulturellen jedoch fragil, wenn die Impulse nicht anhalten. So sind ins- Einrichtungen vorhanden sind und nicht zuletzt Möglichkeiten besondere die kleinen Städte wegen des geringen Budgets der Sport- und Freizeitgestaltung angeboten werden. Insbe- von Kürzungen der Städtebauförderungsprogramme stärker sondere der fi nanzielle Druck, Verwaltungen funktionsfähig betroffen als größere Städte, was die deutschlandweit disku- zu halten, führte zu vermehrten Gemeindefusionen. Klein- tierte Frage nach gleichwertigen Lebensverhältnissen und den städte, häufi g ehemalige Kreisstädte, sind nun Amt führende Abbau von Disparitäten neu aufwirft.

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Verweisen möchte ich auf einige exemplarische Beispiele aus Mecklenburg-Vorpommern, die Mut machen sollen, individu- elle Lösungsansätze mit lokalen Akteuren und spezifi schen Potenzialen in den Städten zu identifi zieren und aktiv weiter- zuverfolgen.

Das Sternberger Modell Die ehemalige Kreisstadt Sternberg, landesgeschichtlich be- deutend im Zusammenhang mit Einführung der Reformation und Austragungsort der Landtage, verfügt über zahlreiche Attribute einer typischen mecklenburgischen Kleinstadt mit historischem Stadtgrundriss, einer Fülle das Stadtbild prägen- den Bürgerhäusern und Resten einer mittelalterlichen Stadt- befestigung. Die Bevölkerungszahl von ehemals 5.266 im Jahr Abb. 1: Mittelalterlicher Stadtgrundriss von Sternberg (Foto: Falcon Crest) 1989 reduzierte sich auf 4.427 (Stand: 31.12.2009). Trotz des Immobiliengesellschaft. Ziel war es, die Sanierung, Verwal- Rückgangs an Arbeitsplätzen, Funktionen und Bevölkerung tung und Vermietung der bauhistorisch wichtigen, aber vom ist Sternberg – gelegen in einer reizvollen und seereichen Na- „Markt“ nicht nachgefragten Gebäude zu realisieren. Die turlandschaft in der Nähe der Landeshauptstadt Schwerin – Stadt Sternberg brachte in die Gesellschaft 16 Grundstücke Dienstleistungs- und Behördenzentrum für die Region und das als Sacheinlage ein und Norbert Rethmann eine Bareinlage in Amt „Sternberger Seenlandschaft“. Höhe von 500.000 Euro. Interessant ist der Anstoßeffekt, der In dem 2002 unter Beteiligung der EGS erarbeiteten Stadt- erzielt werden konnte. Seit dieser Zeit sind 23 Gebäude im entwicklungskonzept (ISEK) ist die Reduzierung von Woh- Rahmen dieser öffentlich-privaten Partnerschaft saniert wor- nungsüberhängen vor allem im Plattenbau und die Stärkung den. Sämtliche der zum Teil altengerechten Wohnungen sind der Altstadt beschlossen worden – insoweit nichts Außer- saniert und es gibt mittlerweile eine „Warteliste“. Interessant gewöhnliches. Prekär wurde die Lage der Stadt durch einen sind diese Wohnungen insbesondere für ältere Bewohner aus hohen Bestand an desolaten, leer stehenden Gebäuden im dem dörfl ichen Umfeld Sternbergs, für die eine intakte Infra- Treuhandvermögen der Stadt. Für diese in der Regel unter struktur von Bedeutung ist. Im Idealfall können somit dörf- Denkmalschutz stehenden Fachwerkgebäude war kein Markt liche Plattenbauten frei gezogen und abgebrochen werden. Der Altstadtkern Sternbergs hat sich in den letzten Jahren als vorhanden, trotz der in Aussicht gestellten Fördermittel war es Wohnstandort gefestigt und ein neues Profi l in der Region ent- unerlässlich, privates Kapital zu mobilisieren. Erstaunlicherwei- wickelt. Wichtiger Aspekt ist, dass die Sternberger Immobili- se konnte dieses anspruchsvolle Ziel mit Hilfe eines wichtigen engesellschaft von Anfang an offen für weitere Beteiligungen, regionalen Akteurs erreicht werden. insbesondere für regionale Anleger gewesen ist. Leider ist die- 2003 gründete die Stadt Sternberg mit dem Unternehmer ses Ziel, über den Anstoß gebenden privaten Partner hinaus Norbert Rethmann von der Rethmann AG die Sternberger weitere Gesellschafter zu fi nden, noch nicht erreicht worden.

Malchow baut einen Hafen Die Stadt liegt in der Müritzregion, die neben der Ostseeküste die wichtigste tou- ristische Region des Landes darstellt. Die Stadt Malchow (8.532 Einwohner 1990) verfügt als Inselstadt über zahlreiche Attribute eines Tourismusor- tes, wobei der Magnet und das touristische Zentrum der Region die Kreisstadt Waren darstellt.

Malchow hat nach dem Rückzug Abb. 2: Grafi k Sternberger Modell zahlreicher Gewerbebetriebe aus

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DDR-Zeiten ebenfalls einen Einwohnerverlust (auf 6.866 Ein- merschen Provinz“, die lokales Engagement und örtliche Kom- wohner zum 31.12.2009) zu verzeichnen. Neben den Bemü- petenz mobilisiert. „Das Motto – We mokken dat tosammen hungen um Gewerbeansiedlung und der Aufrechterhaltung – steht daher auch für die Übernahme von Verantwortung als von Bildungs- und Sozialinfrastruktur liegt ein Schwerpunkt gesellschaftliches Fundament, als organisatorische Basis des in Malchow auf einer eigenständigen Entwicklung des tou- zukünftigen Infrastrukturbetriebes und auch als Stachel und ristischen Profi ls mit hoher städtebaulicher und architekto- Ansporn für die Verwaltung. Gut möglich, dass mit nischer Qualität. Die Ansiedlung touristischer Einrichtungen diesem Projekt einen unschätzbaren Vorsprung erzielt, weil es ist dabei nicht nur ein den Arbeitsmarkt belebender Faktor, mit der Aktivierung der Bürger eine Ressource erschließt, die sondern entwickelt entsprechenden „Sanierungsdruck“ auf langfristig nachhaltiger wirken kann als fi nanzielle Schlüssel- öffentliche Räume und Gebäude. So hatten die Stadtverant- zuweisungen“ (Auszug aus Stadtpilot 03 Nationale Stadtent- wortlichen den Mut, eine zentral gelegene Brache zu einem wicklungspolitik). Stadthafen umzugestalten. Der Entwurf des Büros Steidle und Da, wo Investoren und privates Geld fehlen, kann ernst ge- Partner, hervorgegangen aus einem Wettbewerb aus dem nommenes bürgerschaftliches Potenzial andere Qualitäten Jahr 2000, ist mit erheblicher Anstrengung der kommunal- entwickeln. Aus der Einbeziehung und Aktivierung lokaler politischen Akteure als öffentlich-privates Partnerschaftmodell Akteure werden vor allem kleine sozial-kulturelle Projekte in- 2009 umgesetzt worden. Diese Investition in die touristische itiiert, die den Zusammenhalt in der Kommune stärken. Mitt- Infrastruktur bewirkt, dass Immobilien in Malchow stärker lerweile hat die Stadt Gnoien, unterstützt von der EGS, die nachgefragt werden und ehemalige Industrieareale, am Was- Initiative übernommen, das Städtenetz „Warbel-Recknitztal“ ser gelegen, das Interesse von Investoren wecken. neu zu beleben, um von dem neu aufgelegten Programm „Kleine Städte im ländlichen Raum“ zu partizipieren.

Ländliche Kleinstädte als Identifi kationsorte der Region Neben den drei genannten Beispielen, Aktivierung privaten Kapitals, Einbindung der Bevölkerung in den städtebaulichen Entwicklungsprozess und Investition in öffentliche und tou- ristische Infrastruktur, gibt es in Mecklenburg-Vorpommern zahlreiche Kleinstädte, die diese Möglichkeiten nicht haben oder nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft vorhandene Po- tenziale umzusetzen und Defi zite zu beseitigen – Städte, die weder ein attraktives Umfeld vorweisen noch über wirtschaft- Abb. 3: Malchow: Erfolgreiche Umsetzung des Projektes Stadthafen liche Kraft oder ein starkes bürgerschaftliches Engagement (Foto: Steindorf-Sabbat, Waren) verfügen. In diesen Städten ist die Frage nach der Aufrechter- haltung der Daseinsvorsorge eine tägliche Herausforderung. Gnoien – „We mokken dat tosammen“ Bei fortschreitender Schrumpfung der Bevölkerung in den Die Ausgangslage in Gnoien ist problematischer als die in Dörfern der Region muss ihnen jedoch vielleicht eine stärkere Sternberg und Malchow, da die Entfernung zu einem der gro- Bedeutung als ländlicher „Ankerpunkt“ beigemessen werden ßen Oberzentren des Landes größer ist und das touristische als bisher. Potenzial im Verhältnis zu vergleichbaren Städten für Meck- So bleibt allen Kleinstädten in Mecklenburg-Vorpommern ihre lenburg-Vorpommern eher nicht so hoch eingeschätzt werden Identifi kationsrolle in der Region und somit ein wesentlich kann. Auch hier ist die Situation durch eine weniger und älter prägender Faktor für den ländlichen Raum. werdende Bevölkerung und den Rückgang von Arbeitsplätzen geprägt. Auch hier lautete die Fragestellung, was passiert mit Robert Erdmann der Gebäudesubstanz der Kleinstadt. Grundlegendere Frage war jedoch, wie die Daseinsvorsorge insbesondere für ganz Geschäftsführer EGS Entwicklungsgesellschaft mbH, junge oder ältere Menschen in der Stadt aufrechterhalten Schwerin werden kann, die also viel stärker auf „ihre“ Kleinstadt ange- wiesen sind. Quellen:

Gnoien ist mit dem Konzept „We mokken dat tosammen“ als Statistisches Landesamt Mecklenburg-Vorpommern kleinste Stadt in die Initiative Nationale Stadtentwicklungspo- Stadt Sternberg für: Stadt bauen. Stadt leben litik aufgenommen worden. Letztlich handelt es sich dabei um Stadt: pilot 03, Magazin zu den Pilotprojekten der Nationalen Stadtentwicklung, eine „Experimentierwerkstatt“ in der „Mecklenburg-Vorpom- Ausgabe 3, Juni 2010

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