Eugen Bolz Zwischen Pflicht und Widerstand

Frank Raberg

DRW-Verlag Eine demokratische Identifikationsfigur

»Timor Domini initium sapientiae. Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit.« Psalm 110, 10. Leitspruch von Eugen Bolz

Das Andenken nur weniger Politikerpersönlichkeiten seiner Generation wird in Baden-Württemberg so in Ehren gehalten wie jenes des Zentrumsabgeordneten, Ministers und Staatsprä- sidenten Eugen Bolz. Zahlreiche Straßen, Plätze, Schulen und andere öffentliche Gebäude sind nach ihm benannt, ein Saal im Stuttgarter Landtagsgebäude trägt ebenso seinen Namen wie eine Studienstiftung und eine Stiftung, die einen nach ihm be- nannten Preis verleiht. Im Herzen der Landeshauptstadt, in der nach ihm benannten Straße, gemahnt eine Bildplastik an das Wirken und Ende des bedeutenden katholischen Politikers, der am Ende des Zweiten Weltkriegs dem Terror des nationalsozia- listischen Unrechtsstaats zum Opfer fiel. Das demokratische Vermächtnis keines anderen Politikers ist nach dem Zweiten Weltkrieg im deutschen Südwesten so beschworen worden wie das von Eugen Bolz, der zum identi- tätsstiftenden »Gründungsfundus« der Nachkriegsdemokratie in Baden-Württemberg gehört. Sowohl die Vertreter der unter Besatzungsbedingungen ihre Arbeit aufnehmenden provi- sorischen Landesregierungen als auch die Gründer der inter- konfessionellen Volkspartei CDU – die am Anfang den Namen »Christlich-Soziale Volkspartei« führte – erinnerten an Eugen 8 Eine demokratische Identifikationsfigur

Bolz, seine staatsmännischen Leistungen und seinen Wider- stand gegen Hitler. Der politische Neuanfang im deutschen Südwesten ist mit Eugen Bolz eng verknüpft. Das Protokoll der ersten Sitzung des Staatsministeriums des Landes Württemberg-Baden in der US-amerikanischen Besatzungszone vom 19. September 1945 hält fest: »Vor Eintritt in die Tagesordnung widmet der Herr Ministerpräsident [] dem Andenken des Herrn Staatspräsidenten Dr. Eugen Bolz ehrende Erinnerungsworte. Er gibt bekannt, dass die früher begonnene Reihe von Staats- präsidenten-Bildern durch ein Porträt Bolz, ausgeführt durch Kunstmaler Rupprecht, ergänzt werden soll. Sobald die jetzige Regierung öffentlich eingesetzt ist, wird der Herr Ministerpräsi- dent der Frau Staatspräsident Bolz einen offiziellen Kondolenz- besuch abstatten.« Als Ministerpräsident Reinhold Maier wenige Tage später über Radio zur Bevölkerung sprach, schloss er seine Erklärung mit geradezu herzlichen Worten der Erinnerung an Eugen Bolz, in denen Hochachtung und Verehrung zum Ausdruck kamen. In der ersten Parlamentssitzung, die auf deutschem Boden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stattfand, nannte am 16. Januar 1946 in der Vorläufigen Volksvertretung von Würt- temberg-Baden der sozialdemokratische Politiker Wilhelm Keil Eugen Bolz stellvertretend für die Millionen Menschen, die als Deutsche in Deutschland von Deutschen ermordet worden wa- ren. Die politische Arbeit von Bolz, vor allem aber seine Ermor- dung infolge der Widerstandstätigkeit des einstigen Regierung- schefs dienten dem sich nach 1945 formierenden politischen Neubeginn im deutschen Südwesten als wiederholt beschwo- rener Bezugspunkt und spielte als identitätsstiftender Impuls Eine demokratische Identifikationsfigur 9 sowohl für die Legitimation der südwestdeutschen Nachkriegs- staatlichkeit als auch für die neue interkonfessionelle Volkspar- tei CDU eine wesentliche Rolle. Einer der wichtigsten Mitgrün- der des Bundeslandes Baden-Württemberg, Gebhard Müller (CDU), betrachtete Bolz als sein Vorbild. Müller formulierte auch einen vielzitierten Kernsatz zu Bolz: »Die eigentliche Tra- gik dieses Mannes lag darin, dass er vom ersten Tag an das Un- heil kommen sah und doch nicht helfen konnte.« Wer war Eugen Bolz? Der württembergische Staatspräsident Eugen Bolz war eine prägende Persönlichkeit in der Geschichte des deutschen Süd- westens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Weniger bekannt ist, dass der Zentrumspolitiker auch auf Reichsebene eine führende Rolle spielte. Innerparteilich galt er in Land und Reich als unverzichtbar, was nicht zuletzt darin zum Ausdruck kam, dass ihm als einzigem Politiker seiner Partei die Wahrneh- mung parlamentarischer Mandate im Landtag und zugleich im Reichstag gestattet war. In der Frage der Reichsreform war Bolz einer der profiliertesten Akteure. Als Bolz, ein Mann strenger Rechtlichkeit und womöglich noch strengerer persönlicher Grundsätze, das Aufkommen des Nationalsozialismus beobachtet, und 1932 die Frage einer Regierungskoalition mit der NSDAP auf Reichsebene erörtert wird, leiten Bolz bei seinem Eintreten für eine Beteiligung der Nationalsozialisten rein politische Erwägungen. Obwohl er im Innersten Zielen, Geist und Stil der NSDAP sehr fernstand, wies er darauf hin, die Partei sei in ihre parlamentarische Po- sition gewählt worden und daher nüchtern mit ihr umzugehen. 1933 wird er zum – zu spät – mahnenden Rufer, der die eigene Macht an die Nationalsozialisten verliert, drangsaliert, verhaftet 10 Eine demokratische Identifikationsfigur und bespitzelt wird. Während des Zweiten Weltkriegs führt ihn seine zunehmende Verzweiflung in Widerstandskreise. Nach dem Attentat Claus Schenk Graf von Stauffenbergs fliegen die- se Kontakte im Sommer 1944 auf. , der Bolz spätes- tens seit Anfang 1933, als beide im heftigen Schlagabtausch des Reichstagswahlkampfs wiederholt die Klingen kreuzten, als per- sönlichen Gegner betrachtet, lässt Bolz vom »Volksgerichtshof«, der Justizmarionette des Unrechtsregimes, zum Tode verurtei- len. Knapp vier Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird Bolz in -Plötzensee hingerichtet. Seine persönliche und christlich bestimmte Haltung unter schwierigsten Um- ständen, das Eintreten gegen das Unrecht des NS-Staates, sei- ne Erfolge als Minister und Regierungschef wie als Parlamen- tarier gleichermaßen führten dazu, dass Bolz seit der frühen Nachkriegszeit als ein Vorbild gesehen wurde, eine charakter- lich gefestigte Persönlichkeit und ein Staatsmann, der für seine Überzeugungen als Märtyrer starb. Die Gestalter des demokra- tischen Neubeginns im besetzten und zerstörten Deutschland nach 1945 beriefen sich bewusst auf Persönlichkeiten wie Eugen Bolz, die durch ihr Vorbild den Beleg für ein »anderes Deutsch- land« geliefert hatten.