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SCHWIMMEN Darwinismus im Wasser Sechs Athleten aus vier Nationen bereiten sich in Hamburg gemeinsam auf Olympia vor. Bislang war Sandra Völker der Star der Trainingsgruppe. Doch jetzt ist Unvorhergesehenes passiert: Die Schwedin Therese Alshammar ist zu schnell und zu schön.

Erst neulich brachte die einzige Frau in der vitalen Kommune wieder viermal Edel- metall nach Hause. Therese Alshammar, 22, hatte vorvergangene Woche bei der Schwimm-Europameisterschaft in Helsinki mächtig abgeräumt. Seither ist die Jüngste der Star in der WG. In ihrer Heimat zählt Alshammar schon länger zur Prominenz, was freilich vorran- gig an ihren anatomischen Qualitäten lag: 1998 wurde sie zur „erotischsten Frau Schwedens“ gekürt. Inzwischen weiß Therese Alshammar nicht nur als Beauty zu überzeugen, auch im Wasser hat sie internationale Klasse. Ebenso wie ihre Mitbewohner Nowakowski und die beiden Engländer , 30, und Neil Willey, 23, will sie im September in Sydney die olympische Konkurrenz auf- mischen. Die vier Wohngenossen gehören, zu- sammen mit der Hamburgerin Sandra Völ- ker, 26, und der für Neuseeland startenden Deutschen Vivienne Rignall, 26, zum Pro- fiteam des Honorartrainers Dirk Lange. Seit vergangenem September trainiert die Riege zusammen. Doch schon jetzt gilt die Gruppe vom Hamburger Dulsbergbad in der internationalen Schwimmszene als Dream-Team. Dabei wurde die bunte Truppe anfangs noch verlacht. Denn angeschlossen hatte sie sich einem Mann, der manchmal redet wie der Motivationskünstler Jürgen Höller („Erfolg kommt zu dem, der ihn wirklich will“) und dabei ein Gesicht macht wie amerikanische Fernsehprediger. Jahrelang galt der gelernte Bankkaufmann Dirk Lange deshalb in der Trainerzunft als Scharlatan. Seit der Kurzbahn-Weltmeisterschaft im vergangenen März genießt der ehemalige

L. PERENYI / SPORT PHOTO L. PERENYI / SPORT Leistungsschwimmer nun eher den Ruf ei- Schwimmerin Alshammar: Musterschülerin außer Kontrolle nes Wunderheilers. Beim ersten großen Auftritt räumten seine Schützlinge so vie- uf seine Wohngemeinschaft ist der nug Vorrat an Energiefutter der Sorte „Ei- le Medaillen ab, dass sie, wären sie als Na- gelernte Bankkaufmann Björn No- sen, Kräuter, Kraft“. Und jeden Tag gehen tionalteam angetreten, Platz zwei in der Awakowski, 26, richtig stolz. 80 Qua- die Kommunarden gemeinsam zum Sport. Länderwertung belegt hätten. dratmeter, vierter Stock in einem Back- Die Früchte des Trainings sind im Bade- Mit dem Aufbau seiner Mannschaft hat steinhaus in Hamburg-Wandsbek. Moderne zimmer zu besichtigen. Dort haben die sich Lange den Traum verwirklicht, frei Küche, nagelneue Auslegeware, 1500 Mark Mieter, gleich rechts neben dem Klosett, von lästigem Verbandshickhack und Funk- warm. „Da kann man nicht meckern.“ Nägel in die Wand gehauen und eine klei- tionärsgerede, ein Team auf Topniveau zu Zumal es ja auch mit den Mitbewohnern ne Auswahl errungener Goldmedaillen auf- hieven. Bezahlt wird er von den Sportlern prima klappt. Das Bad ist immer tipptopp gehängt. „Wir haben ja genug“, sagt No- monatlich. An Siegprämien und Sponso- geputzt. In der Speisekammer ist stets ge- wakowski. rengeldern ist er beteiligt.

200 der spiegel 29/2000 Wer die Anlagen dazu nicht mitbringt, wird vom Meister mental so lange „bearbeitet“, bis am Ende ein Sportler auf dem Start- block steht, „der sich gar nicht mehr vor- stellen kann, zu verlieren“. Psychospiele dieser Art sind nicht je- dermanns Sache. Der irische Spitzen- schwimmer Nick O’Hare verließ den Langeschen Motivationskreis schon nach kurzer Zeit. Der Schwimm-Guru weint O’Hare indes keine Träne nach: „Ich brau- che Extremisten und keine Hosen- scheißer.“ Insofern ist es nicht verwunderlich, dass

L. PERENYI / SPORT PHOTO L. PERENYI / SPORT sich Lange einer Probandin annahm, die

Weltmeisterin Völker (M.)*: „Ruhig mal gegenseitig zerstören“

Zuletzt erwies sich der Job als einträgli- oder Langstrecke, nur durch

ches Geschäft. Sandra Völker dominiert hartes Ausdauertraining mög- DPA seit Jahren die deutsche Schwimmszene. lich sind. Als Schüler ei- Trainer Lange, Athletin Völker: Lebenstraum verhagelt? Shootingstar Alshammar krault in der han- ner DDR-Sportschule musste seatischen Auswahl auf der Kurzbahn. Björn Nowakowski miterleben, was das zwischen einer Karriere als Model oder Dass sich mit dem Engländer Mark Foster heißt. Bis zu hundert Kilometer keulen die Schwimmsportlerin schwankte. Als die jener Athlet von Lange für die Olympi- Athleten der alten Trainergarde pro Woche Schwedin Therese Alshammar im Septem- schen Spiele in Sydney fit machen lässt, durchs Wasser: „Ein Alptraum.“ ber vergangenen Jahres von der Univer- der dem russischen Wunderschwimmer Da hat es der junge Mann heute besser. sität von Nebraska nach Hamburg wech- Alexander Popow gefährlich werden kann, Bei Lange kommt er mit einem Drittel des selte, galt das nachtaktive Geschöpf mit zeigt, wie weit sich die Philosophie des Pensums aus. Dafür stehen Nowakowski den blauen Augen als ein ziemlich ver- Glatzkopfes herumgesprochen hat. Lange und Kollegen länger im Kraftraum, um krachtes Talent. kann sich vor Anfragen deutscher Schwim- Muskulatur aufzubauen. Das Konzept, das Mittlerweile pendelt Alshammar ab- mer kaum mehr retten. dahinter steckt, klingt simpel. Lange: „Ein sturzfrei zwischen Freizeit und Training: Dass der Schwimmcoach in seiner Trai- 100-Meter-Sprinter läuft auch keinen Innerhalb von sechs Monaten verbesserte ningsmethodik mit herkömmlichen Lehr- Marathon.“ sie ihre Höchstleistungen um bis zu zwei meinungen bricht, scheint die Bewerber Dabei ist das Trainingscamp von Lange Sekunden. Derzeit hält Alshammar zwei eher anzuziehen als abzuschrecken. Vor beileibe kein Vergnügungspark. Wer in Weltrekorde auf der Kurzbahn, und in ih- allem Übungsleiter aus dem Osten schwö- dem elitären Zirkel bestehen will, braucht rer Heimat wird sie neuerdings nicht nur ren noch heute darauf, dass Spitzenleis- Nerven und ein ausgeprägtes Selbstbe- für ihre Maße vergöttert: Vergangene tungen im Schwimmen, egal ob auf Kurz- wusstsein. Der Chef ist nämlich Darwinist. Woche wurde Alshammar in ihrem Ge- „Ich will“, sagt Lange, „dass meine burtsort zur „Sportlerin des * Bei den Schwimm-Weltmeisterschaften 1998 in Perth. Athleten einen Killerinstinkt entwickeln.“ Jahres“ gekürt. Dass Lange das Starlet derart flott mach- Mehr Leistung durch den Wunderheiler te, versteht er als persönliches Meister- Wie sich die Arbeit von Dirk Lange auf die Entwicklung seiner Schwimmer-Riege auswirkte stück. Doch allmählich gerät die Erfolgs- kurve der Musterschülerin außer Kontrol- le. Mal ganz abgesehen davon, dass sich Alshammar neuerdings mit exzessiven Shopping-Ausflügen vergnügt, die wahl- weise im Kauf von schrägen Textilien oder pittoreskem Schuhwerk münden, droht die Hierarchie im Dream-Team aus den Fugen Therese Mark Foster Björn Sandra Völker Vivienne zu geraten. Alshammar Nowakowski Rignall Die Aufnahme Alshammars basierte ur- 100-m-Freistil 50-m-Freistil 100-m-Brust 100-m-Freistil 50-m-Freistil sprünglich auf Langes Plan, einen Spar- vor dem Training: vorher: vorher: vorher (1996): vorher: ringspartner für seine oft unterforderte 55,9 Sek. 22,9 Sek. 1:04,1 Min. 57,8 Sek. 27,2 Sek. Spitzenkraft Sandra Völker zu gewinnen. nach dem Training: nachher: nachher: nachher: nachher: Dummerweise hat die Pacemakerin nun 54,4 Sek. 22,8 Sek. 1:02,3 Min. 54,7 Sek. 25,8 Sek. aber das Original abgehängt. Bei der EM in Helsinki nahm Alshammar der Kolle-

der spiegel 29/2000 201 Sport gin Völker über 50 Meter Freistil eine Se- kunde ab. Seither ist das Hamburger Dulsbergbad TOUR DE FRANCE Schauplatz einer Dreiecksbeziehung, die heftigen emotionalen Schwankungen un- terliegt. Etwas holprig, aber im Kern zu- „Apokalyptischer Reiter“ treffend, titelte „Sport-Bild“: „Der Feind in meinem Becken.“ Wenn sich die Profis über die mächtigen Berge der Pyrenäen Alshammar versucht den pikanten Vor- gang kleinzureden: „Wenn ich die Wahl und der Alpen quälen, kommt die Zeit der Auslese. Niemand ist hätte, würde ich mich nur von Sandra dann so stark wie der US-Amerikaner Lance Armstrong. schlagen lassen.“ Die düpierte Vorzeige- schwimmerin indes schmollt: „Ich muss ur Demütigung des Deutschen reich- wenn sich vor den Fahrern die mäch- das momentan akzeptieren.“ ten die drei letzten Kilometer vor tigen Gebirge der Pyrenäen und der Al- Verschärft wird die Situation allerdings Zdem Ziel. pen auftürmen, kommt die Zeit der Aus- durch eine PR-Kampagne Alshammars, Stundenlang hatten sich Lance Arm- lese – und niemand ist so stark wie Arm- die mitunter an das Erbfolge-Gefecht strong und Jan Ullrich bei der zwölften strong, der unerbittlich seine Muskeln Feldbusch gegen Naddel erinnert. Mal Etappe der Tour de France belauert, und spielen lässt. entblößt die enthemmte Nixe für ein Foto plötzlich, auf der steilen Rampe hinauf zum Der Tour-Sieger des vergangenen Jahres ihre Rückenansicht, um Einblick auf ei- kahlen Gipfel des Mont Ventoux, erhob sich verspürt sogar eine Art Befriedigung beim nen über dem Gesäß eintätowierten der Mann im Gelben Trikot aus seinem Sat- sturen Kraftakt. „Ich mag Herausforde- Schriftzug zu gewähren („Diva“). Dann tel und spurtete der Verfolgergruppe davon. rungen wie diese“, sagt Armstrong, „viel- wieder lackiert sie sich die Fußnägel lila Ullrich resignierte – er kam seinem härtes- leicht brauche ich sie sogar.“ Für andere und posiert für ein Foto in silberfarbenen ten Konkurrenten nicht mehr hinterher. wird die Rundfahrt zur Qual – ganz im Sin- Hot Pants. „Bild“ hat sich schon entschie- den, auf welcher Seite des Beckens man steht: „Therese, mit dir würden wir gerne baden gehen.“ Schon fühlt sich Völker an die unseligen Zeiten erinnert, da ihr das Glamourgirl die Show stahl. Wieder so ein schrilles Girlie, wieder die alte Geschichte: Bei Völker klicken die Ka- meras nur, wenn sie einen neuen Rekord schwimmt. Bei Alshammar laufen schon die Auslöser heiß, wenn ihr nur der Träger des Badeanzugs verrutscht. Neulich ließen sich die Rivalinnen zu- sammen fotografieren. Auf dem Bild legen die beiden die Hände ineinander. Freundinnen? Nun ja, sagt Völker, Freundinnen sei vielleicht zu viel gesagt: „Wir respektieren einander und gehen freundschaftlich miteinander um.“ Nur: Wie soll man im Ernst mit jemandem be- freundet sein, der sich anschickt, einem den Lebenstraum vom Olympiagold zu verha-

geln? Längst gehört Alshammar, ebenso / BONGARTS M. KIENZLER wie die Holländerin , die im Nachzügler bei der Tour: Arbeitsteilung im „Autobus“ Athletenkreis wegen ihres schrankartigen Körperbaus „Ingo“ genannt wird, zum Wieder einmal hatte der US-Amerikaner ne ihres Erfinders Henri Desgranges: „eine Favoritenkreis. dem Star des Teams Telekom eine Lektion grausame Prüfung für Körper und Geist.“ Der Mann, der an allem schuld ist, gießt erteilt. Schon bei der ersten Bergetappe in Dass ein Sprinter wie Marcel Wüst, der derweil fleißig weiter Öl ins Feuer. Regel- den Pyrenäen Anfang letzter Woche hatte Berge „total Scheiße“ findet, etwa beim mäßig lässt Lange die beiden Kontrahen- Armstrong den erschöpften Mann aus Mer- Anstieg zum Col d’Aubisque auf den Te- tinnen im Training gegeneinander antre- dingen um mehr als drei Minuten ab- xaner pro Kilometer eine Minute verliert, ten. „Die sollen sich ruhig mal gegenseitig gehängt. liegt jedoch nicht an dessen Einstellung – zerstören.“ Dass bei der einen oder an- Das Peloton war schockiert. Der Klet- es ist vor allem eine Frage der körperli- deren am Ende „schon mal die Tränen terspezialist Richard Virenque aus Frank- chen Beschaffenheit. fließen“, gehöre zum Job: „So was macht reich mutmaßte, Armstrong sei an ihm „in Kletterer sind meist kleiner und vor al- nur härter.“ einem Flugzeug vorbeigedüst“. Und „Le lem leichter als Sprinter. Der idealtypische Tatsächlich versucht Lange mit der Reiz- Figaro“ beschrieb nach dem verwegenen Bergfahrer wiegt nur 69 Kilogramm, jedes taktik noch mal das Maximum aus seinen Auftritt gar Endzeitstimmung. „Wie ein zusätzliche Pfund kostet wertvolle Minu- Kandidatinnen rauszukitzeln. Denn in zwei apokalyptischer Reiter“ sei der Ami die ten. „Wer 80 Kilogramm schwer ist, hat Monaten kommt es zum Showdown in nebelverhangenen Serpentinen hochge- keine Chance, über einen Pass zu kommen Sydney. Und dort darf eines auf keinen prescht. und vorne dabei zu sein“, sagt Tour-Arzt Fall passieren: dass keine von beiden Jedes Jahr, wenn die Straßen steil Pascal Rivat. gewinnt. Dann hätte ja auch Lange ver- werden und die Luft dünn, belebt die Tour Nicht nur biologisch, auch physikalisch sagt. Gerhard Pfeil de France ihren Mythos aufs Neue. Denn ist ein schmächtiger Fahrer wie der Italie-

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