LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

NIEDERLANDE DR. PETER R. WEILEMANN

5. August 2010 Mitte-Rechts Regierung von www.kas.de Geert Wilders Gnaden? www.kas.de/bruessel

Mit der Benennung von Ivo Opstelten als zenden fest entschlossen seien, die Ver- neuem „Informateur“ durch Königin Beatrix handlungen zum Erfolg zu führen. von den Niederlanden am Nachmittag des 4. August 2010, scheint der Weg frei für eine In der Tat sind in den Feldern Haushaltspoli- Minderheitsregierung von Liberalen (VVD) tik, Innere Sicherheit und Migration die und Christdemokraten (CDA) mit Duldung Schnittmengen der Parteien untereinander der populistischen PVV. Am Mittag hatte das größer als bei anderen Konstellationen. Li- Abgeordnetenhaus, die Tweede Kamer, über berale und Christdemokraten wollen bis den vom früheren christdemokratischen Mi- 2015 wieder einen ausgeglichenen Haushalt nisterpräsidenten Ruud Lubbers der Königin und deshalb rund € 18 Mrd. über die nächs- offiziell unterbreiteten Vorschlag debattiert. ten Jahre einsparen. Das soll vor allem in Und bereits am Abend fand unter der Lei- Bereichen wie Kultur und Entwicklungszu- tung von Ivo Opstelten, dem Vorsitzenden sammenarbeit geschehen, aber auch in der der Liberalen Partei VVD und früheren Bür- Gesundheits- und Sozialpolitik. Auf diesen germeister von , die erste Ge- letzteren Feldern hatte Wilders allerdings sprächsrunde der als Unterhändler beauf- stark von VVD und CDA abweichende Positi- tragten Fraktionsvorsitzenden - , onen im Wahlkampf vertreten. Überrein- Spitzenkandidat der Liberalen und wahr- stimmung gibt es auch bei Fragen der Inne- scheinlicher künftiger Ministerpräsident, ren Sicherheit, wo sich alle drei Parteien für , von den Christdemokra- schärfere Anwendung der Gesetze und hö- ten, sowie Geert Wilders von der PVV - here Haftstrafen einsetzen. Auch was die statt. Immigrationspolitik betrifft, lassen sich ge- meinsame Vorhaben wie höhere Einwande- Die Wahlen am 9. Juni 2010 hatten keine rungshürden für ungelernte Arbeitskräfte eindeutigen Mehrheiten für eine neue Regie- oder schnellere Abschiebung von abgelehn- rung gebracht. Mehr als ein halbes Dutzend ten Asylbewerbern definieren. In einem Koalitionsvarianten wurden theoretisch dis- Duldungsvertrag soll nun der PVV zugesi- kutiert. Aber weder eine große Koalition der chert werden, was sie in Fragen Asyl, Im- beiden Wahlgewinner – Liberale und Sozial- migration, Integration und Altersversorgung demokraten – unter Einschluss des CDA, erwarten kann. Im Gegenzug will Wilders noch ein so genanntes „lila plus Bündnis“, seine Zustimmung zu den Haushaltskürzun- eine Koalition von VVD und PvdA zusammen gen geben. Diese Vereinbarung wird von mit Grünen und Linksliberalen, ließen sich allen drei Seiten unterzeichnet werden. realisieren. Lubbers war bereits der vierte Daneben ist eine zweite Koalitionsvereinba- Informateur, der mit der Suche nach einem rung zwischen Liberalen und Christdemok- Ausweg aus dieser verzwickten Lage beauf- raten geplant, für deren politische Umset- tragt worden war. Nach intensiven Gesprä- zung sich die künftige Minderheitsregierung chen mit allen Betroffenen begründete er ihre Mehrheiten jeweils suchen muss. Die seinen Vorschlag damit, dass keine andere Vereinbarung soll gleichzeitig die Bereiche Option möglich sei und er den Eindruck ge- abstecken in denen erwartet wird, dass Wil- wonnen habe, dass die drei Fraktionsvorsit- ders keinen Mißtrauensantrag stellt.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Das Projekt, das bei ausländischen Beob- spräche für gut geheißen und auch in der achtern ein gewisses Erstaunen auslöst, ist gestrigen Kammerdebatte Unterstützung NIEDERLANDE auch in den Niederlanden heftig umstritten signalisiert. Der amtierende Parteivorsitzen- DR. PETER R. WEILEMANN und nicht ohne Risiko für die handelnden de betonte, dass die Differen- Akteure. Selbst unter Einschluss der PVV zen für eine Koalition mit der PVV zu groß 5. August 2010 würde die Mitte-Rechts- Koalition keine sat- seien. Als Bürger eines toleranten Landes te Mehrheit haben. Zusammen erreichen die habe man aber auch in der Vergangenheit www.kas.de drei Parteien 76 Stimmen, eine mehr als mit allen unterschiedlichen Kabinetten zu- www.kas.de/bruessel erforderliche absolute Mehrheit. Eine Min- sammengearbeitet. Das letzte Wort habe derheitsregierung ist für die niederländische sowieso die Partei auf einem „Formations- Politik ein Novum. Und die künftige Opposi- Parteitag“. tion wirft Lubbers vor, dass er seinen Auf- trag, eine Mehrheitsregierung zu bilden, Man lässt sich also auf eine schwierige Reise nicht erfüllt habe. ein. Optimisten mögen sich erinnern, dass Anfang des vergangenen Jahrzehnts Peter Problematisch sind auch die politischen Balkenende den Einstieg in acht erfolgreiche Konsequenzen. Die PVV ist eine rechtspopu- Regierungsjahre über eine Koalition mit Pim listische Partei mit erheblichen innerparteili- Fortuyns Partei fand, die bald darauf nicht chen Defiziten. Ihr Vorsitzender Wilders hat mehr existierte. Realisten gehen davon aus, sich vor allem mit scharfen Attacken auf dass Geschichte sich nicht wiederholen den Islam als politischer Ideologie und For- muss. derungen nach Kopftuch- oder Koranverbot einen Namen gemacht. Wirtschaftspolitisch hat der ehemalige Sprecher der Liberalen im Wahlkampf eine Linkswende gemacht. Gleichwohl scheint Mark Rutte wenig Schwierigkeiten zu haben die Unterstützung seiner Partei für das Vorhaben zu gewinnen. Opstelten, der Parteivorsitzende, wirft Wil- ders „gebildeten Umgang mit falschen Ideen“ vor. Etwas schwieriger stellt sich die Lage für den Fraktionsvorsitzenden des CDA, Maxime Verhagen, dar. Die Pfeile der Kritik aus Opposition und Öffentlichkeit an der geplanten Regierung sind vor allem auf die Christdemokraten gerichtet. Auch par- teiintern gibt es Unmut. Bei den Wahlen hatte der CDA fast die Hälfte der Sitze ver- loren und insbesondere im katholischen Sü- den des Landes Stimmen an Wilders abge- geben. Vor allem Christliche Demokraten der alten Garde, darunter ehemalige Minis- ter wie Bert de Vries, oder Hans van den Broek, der auch Mitglied der Europäischen Kommission war, ebenso wie Frans Andriessen, kritisieren mit mehr oder weniger deutlichen Worten den Kurs des Fraktionsvorsitzenden. Dieser aber zeigt sich zuversichtlich, dass er die Mehrheit der Partei hinter sich habe. Laut einer Umfrage vom 01. August sprechen sich 78 Prozent der CDA-Anhänger für das neue Bündnis aus. Die Fraktion hatte Ende Juli schon die Aufnahme vorbereitender informeller Ge-