Basilius J. Groen Aufstieg, Kampf und Freiheit Studies on South East Europe

edited by Prof. Dr. Karl Kaser (Graz)

vol. 18

LIT Basilius J. Groen Aufstieg, Kampf und Freiheit Nikos Kazantzakis, seine Asketik: Die Retter Gottes und die griechisch-orthodoxe spirituelle und liturgische Tradition

LIT Umschlagbild: Pfad nach Exogi (Ithaka) von Drs. C. Wim Dubelaar, Uitgeest, Niederlande

Gedruckt mit Unterstützung der Karl-Franzens-Universität Graz

Layout: Ingrid Hable Institut für Liturgiewissenschaft, Christliche Kunst und Hymnologie Karl-Franzens-Universität Graz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-643-50697-9

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VORWORT

Als ich in den 1970er Jahren in Nijmegen und Amsterdam Theologie studierte, erfuhr ich wahrscheinlich zum ersten Mal vom Œuvre Kazantzakis’. Auf einem Flohmarkt konnte ich die niederländische Übersetzung seines Romans Christus wird wiederum gekreuzigt für umgerechnet zehn Cent kaufen. Ich las das Buch erst einige Jahre später, aber dann in einem Zug; ich war sehr berührt. Auch die einführenden Worte des für seine Romane über den Balkan bekannten nieder- ländischen Schriftstellers A. den Doolaard (1901-1994), dass dieser Roman nicht nur ein literarisches Meisterwerk, sondern auch eine tief-positive ‚Antwort auf die Atombombe‘ darstellt, beeindruckten mich.* Zudem lernte ich im Spät- sommer des Jahres 1981 einen langjährigen Freund von Kazantzakis, Kimon Friar (1911-1993), während eines langen Seminars über die neugriechische Kul- tur im griechischen Dorf Askri (Böotien) kennen. Mit ihm konnte ich über das Œuvre von Kazantzakis sprechen und mein Interesse daran wurde neu entfacht. In meinen Lehrveranstaltungen über byzantinische Spiritualität am Institut für Ostchristliche Studien (Instituut voor Oosters Christendom) der Katholieke Univer- siteit Nijmegen (nun: Radboud-Universiteit) beschäftigte ich die Studierenden auch mit Kazantzakis’ Programmschrift Asketik: Die Retter Gottes und behandelte Ähn- lichkeiten und Unterschiede dieser Schrift mit der traditionellen orthodoxen Spiritu- alität. Auch veranstaltete ich im März 1989 gemeinsam mit dem Filmzentrum Ma- riënburg in Nijmegen ein Festival zu den drei Filmen, die auf Romanen des kreti- schen Schriftstellers basieren. Am Vorabend dieses erfolgreichen Festivals hielten mein Kollege Hero Hokwerda (Rijksuniversiteit Groningen, seit 2002 Universiteit van Amsterdam) und ich Referate über das Gesamtwerk von Kazantzakis im All- gemeinen, wobei mir die Aufgabe zugefallen war, die Asketik zu behandeln. Die Lektüre dieser bildreichen, doch enigmatischen Schrift faszinierte mich und ich nahm mir vor, sie eines Tages in meine niederländische Muttersprache zu übertra- gen. Daraus wurde vorläufig nichts. Aber Mitte der 1990er Jahre erklärte sich das griechische Kulturministerium – dank der Initiative von Hero Hokwerda – dazu bereit, die niederländische Übersetzung zweier Schriften von Kazantzakis, des Symposiums und der Asketik, zu finanzieren. Mit meiner Übersetzung der Asketik wurde ein Großteil des Sommers und des Herbstes 1996 gefüllt. Dann war erst einmal wieder Pause. Doch verbrachte ich mehrmals den Somme- rurlaub auf Kreta und ließ mich dann auch immer wieder auf das literarische Erbe von Kazantzakis ein. Die Einladung der Österreichischen Gesellschaft für Literatur und der griechischen Botschaft in Wien, im Juni 2009 einen Vortrag über die Aske- tik von Kazantzakis zu halten, und die ermutigenden Worte von Georges Stassina- kis, dem Vorsitzenden der Société internationale des amis de Nikos Kazantzaki (In- ternationale Gesellschaft der Freunde von Nikos Kazantzakis), trugen dazu bei, mich abermals der Asketik sowie dem Gesamtwerk des hochbegabten kretischen Literaten zuzuwenden. Da ich inzwischen Ordinarius für Liturgiewissenschaft so- wie Leiter des Instituts für Liturgiewissenschaft, Christliche Kunst und Hymnologie an der Universität Graz geworden war (seit 2002), lag es auf der Hand, insbesonde- re die Rolle, die religiöse Rituale und Liturgie, Ikonographie und Kirchenmusik im Œuvre Kazantzakis’ spielen, zu untersuchen.

6 VORWORT

Das Ergebnis meiner Forschungen liegt jetzt auf dem Tisch. Etwa ein Drittel die- ses Buches wird mit dem gleichen Titel im 67. Jahrgang (2015) der Fachzeitschrift The Journal of Eastern Christian Studies publiziert. Einen Teil des Bandes habe ich auch als nicht-publizierte Festgabe zu einem Jubiläum eines Grazer Kollegen ver- wendet. Der Titel des letztgenannten Beitrages lautet Singend den Abgrund be- schwören: Nikos Kazantzakis, seine Asketik: Die Retter Gottes und die griechisch- orthodoxe Spiritualität, Liturgie und Kirchenmusik – Festgabe für Franz Karl Praßl zum 60. Geburtstag. Das Material für dieses Buch habe ich an vielen Orten gesammelt und studiert. Zu nennen sind: die Philologische Bibliothek der Freien Universität Berlin und die Bibliotheken des Instituts für Ostchristliche Studien in Nijmegen, der Geistes- wissenschaftlichen Fakultät der Universiteit van Amsterdam, des Fachbereichs für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien, der Katholisch-Theologischen Fakultät sowie des Fachbereichs Südosteuropäische Geschichte und Anthropologie der Karl-Franzens-Universität Graz, der Theologischen Fakultät (Divinity School) der Yale University in New Haven, Connecticut, der Saint John’s University in Collegeville, Minnesota, des Päpstlichen Ostkirchlichen Instituts (Pontificio Istituto Orientale) und des Pontificio Ateneo Sant’Anselmo in Rom. Zudem konnte ich im Sommer 2014 im Kazantzakis-Museum im kretischen Dorf Myrtia (südlich von Heraklion) und im Historischen Museum Kretas in Heraklion relevantes Material erforschen. Ingrid Hable, Johann Hausreither und Hero Hokwerda sahen den Text sorgfältig durch und trugen mit ihren Kommentaren dazu bei, ihn zu verbessern. Georges Stassinakis stellte mir nützliches Material zur Verfügung. Mit Peter Baumann, Peter Ebenbauer und Kees Kok konnte ich in Gesprächen einige Detailfragen klären. Selbstverständlich bin nur ich für eventuelle Fehler verantwortlich. Ingrid Hable war auch bei der Literatursuche behilflich und besorgte das Layout dieses Buches. Karl Kaser bot an, das Buch in der von ihm beim LIT-Verlag herausgegebenen Reihe Studies on South East Europe zu publizieren. Das Forschungsservice der Universität Graz finanzierte die Publikation. Ihnen allen danke ich sehr herzlich! Die deutschen Übersetzungen aus dem Griechischen und anderen Sprachen sind von mir selbst. Was das dornige Thema der Transliteration bzw. Transkription grie- chischer Eigennamen betrifft, bin ich nicht immer konsequent; ich habe versucht, eine jeweils gängige Form zu verwenden. Für die Bibelzitate verwende ich die Sep- tuaginta und die griechisch-orthodoxe Version des Neuen Testaments, weil diese die von Kazantzakis benutzten Texte der Heiligen Schrift waren. Das heißt in Be- zug auf das Psalterium, dass die Zählung der Psalmen oft eine andere als die in den Westkirchen heute übliche ist.

Graz 20. Juli 2015

* A. den Doolaard, ‚Niko Kazantzakis‘, in: Niko Kazantzakis, Christus wordt weer gekruisigd, Übers. André Noorbeek (Utrecht, 111957), 5-7, Zitat: 7. Wahrscheinlich verwendete Noor- beek die englische Übersetzung, nicht die griechische Originalversion. Vgl. ‚Επισκόπηση μεταφράσεων και μεταφραστών, Α': Ολλανδία (1945-1979)‘, Μαντατοφόρος 16 1980) 84-88, hier 85.

INHALT

Vorwort 5

1. Einführung 9

Die Entstehung der Asketik: Die Retter Gottes 11

2. Inhalt der Asketik 15

Übersetzungen 17 Zusammenhang der Asketik mit anderen Werken von Nikos Kazantzakis 20

3. Die Asketik beeinflussende Faktoren 23

Griechisch-orthodoxe Tradition 24 Klassische Kultur und griechische Natur 26 Friedrich Nietzsche, Charles Darwin, Henri Bergson und Ion Dragoumis 29 Kommunismus und Buddhismus 34

4. Kazantzakis’ Œuvre und das orthodoxe Christentum 37

Byzantinische Mystik 39 ‚Postchristentum‘ 42 Verwandlung 49 Glaubensbekenntnis 53 Brücken zur christlichen Theologie 55 Christlicher Titel der Asketik? 61 Stellungnahmen einiger griechisch-orthodoxer Theologen 64

5. Exkurs: Einige vergleichende Aspekte zur Einordnung Kazantzakis’ in die orthodoxe Kultur 69

a. Vergleich mit anderen 69 Alexandros Papadiamantis und Alexandros Moraïtidis 69 Lev Tolstoj 74

8 INHALT

Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Literaten und Intellektuellen 76 Franz König 77 Huub Oosterhuis 79 Kazantzakis’ eigene ‚Richtschnur‘: Dominikos Theotokopoulos () 84 Hermeneutische Zwischenbemerkung 87 Kreta 89

b. Die orthodoxe Liturgie und religiöse Volkskultur im Œuvre von Kazantzakis 90

c. Ost-West-‚Transfer‘ 94 Kazantzakis und die Sakralkunst 100

6. Nebeneinander von Kontemplation und Handeln sowie weitere Merkmale der Asketik 103

Politisches Engagement 104 Die griechische ‚Sprachenfrage‘ 108 Zorbas 110 Kampf und Gewalt 111 Martialische monastische Askese 114 Sinn der Gewalt und Stellenwert der Freiheit 117 Widersprüchliches 119 Nikos Kazantzakis als Asket 121 ‚Asketen-Krankheit‘ 123 Genderfrage 125

7. Nachwirkung der Asketik und negative Reaktionen 129

Kommunistische Reaktionen und verhinderter Literaturnobelpreis 130 Kirchliche Reaktionen 134

8. Epilog 141

Verwendete Literatur 143 Konsultierte Websites 160

Abstract 161 Über den Autor 162

1. EINFÜHRUNG

Das Œuvre des griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis ist nicht nur äu- ßerst umfangreich, sondern auch sehr religiös. In der modernen Weltliteratur gibt es nur wenige andere Literaten, die in ihrem Gesamtwerk so intensiv und konsequent von Gott sprechen wie er. Er wurde in der liturgischen und spiri- tuellen Tradition der griechisch-orthodoxen Kirche erzogen, aber später distan- zierte er sich von der Kirche seiner Jugend. Beispielsweise lehnte er die Einzig- artigkeit des Heils im Gottessohn Jesus Christus und ein Weiterleben nach dem Tod im Jenseits sowie Himmel und Hölle ab, er verneinte die Existenz eines persönlichen Gottes außerhalb des Menschen und Gott und Teufel/Dämonen waren für ihn eher nicht außer-, sondern innermenschliche Kategorien. Kazant- zakis suchte und fand zahllose andere Wege als die traditionell christlichen zum ‚höchsten Wesen‘. Trotzdem blieb er in vielerlei Hinsicht in der orthodoxen spi- rituellen und liturgischen Tradition verwurzelt. Er versuchte, von dieser Traditi- on das, was ihm für seine eigenen philosophisch-religiösen Auffassungen nütz- lich schien, zu bewahren und zu verwenden. Seine Beschäftigung mit dem Gottesmysterium ist nicht abstrakt – er ist kein sys- tematischer Theologe –, sondern spielt sich meistens narrativ, in Geschichten und Erzählungen, ab. In diesem Narrativ ist konkreter Spiritualität, Liturgie, Musik, Ikonographie und Sakralarchitektur eine wichtige Rolle vorbehalten. In Mythen, Riten, Sakralmusik, -kunst und -architektur wird Gottes Wirken sichtbar – und bleibt gleichzeitig unsichtbar. Bis heute stehen viele ostkirchliche orthodoxe Führungskräfte, Theologen und monastische Kreise Kazantzakis im Allgemeinen sehr ambivalent, oft ablehnend gegenüber. Es war wahrscheinlich unvermeidlich, dass die ‚Rechtgläubigen‘ sich über den ‚liberalen‘ und ‚freisinnigen‘ Kreter empören würden. Kazantzakis wurde und wird noch immer des Atheismus und der Ächtung der Religion – nicht nur der orthodoxen Kirche, sondern des Christentums überhaupt – beschuldigt. Katholische und evangelische Kreise äußerten sich ähnlich und Kazantzakis’ Roman über das Leben Jesu Christi Die letzte Versuchung landete sogar auf dem katholischen Index der verbotenen Bücher. Allerdings gibt es auch orthodoxe Theologen, Kleriker und viele andere Gläubige, die sich möglichst vorurteilslos mit dem Œuvre Kazantza- kis’ auseinandersetzen und sich von ihm positiv-spirituell anregen lassen. Das Ziel meines Beitrags ist keine bloße Untersuchung der Frage, ob der Atheis- mus-Vorwurf berechtigt ist oder nicht. Um die Intentionen von Kazantzakis besser verstehen zu können, werde ich zunächst seine philosophisch-mystische Programm- und Schlüsselschrift Asketik: Die Retter Gottes vorstellen. Im Zusammenhang da- mit werde ich untersuchen, welche Rolle die griechisch-orthodoxe Spiritualität, Li- turgie und Kirchenmusik im Werk Kazantzakis’ spielen. Es wird sich herausstellen, dass wie gesagt der kretische, orthodox erzogene Autor sich zwar von der Kirche seiner Jugend weit entfernt hat und viele andere Wege gegangen ist, um ‚seine See- le, Gott und die Welt zu retten‘, aber dass trotzdem die ostkirchlichen Traditionen sein Œuvre sehr beeinflusst haben. Zunächst schicke ich einige einführende Worte voraus. Daran anschließend wende ich mich der Entstehung und dem Inhalt der angekündigten Schlüsselschrift

10 EINFÜHRUNG sowie deren Übersetzungen und dem Zusammenhang mit anderen Werken Kazant- zakis’ zu und bespreche die sie beeinflussenden Faktoren. Danach werden die Be- ziehung des Autors zur griechischen Orthodoxie mehr im Detail und die Stellung- nahmen einiger orthodoxer Theologen untersucht. In einem Exkurs wird ein Ver- gleich zwischen Kazantzakis und einigen anderen Literaten angestellt und es werden die Rolle der orthodoxen Liturgie und der religiösen Volkskultur im Œuvre von Kazantzakis und das generelle Phänomen des liturgischen und kirchenmusika- lischen ‚Ost-West-Transfers‘ besprochen. In einem nächsten Schritt werden einige weitere Merkmale der Asketik-Programmschrift, insbesondere die Beziehung zwi- schen Handeln und Kontemplation und die Betonung des Kampfes, erörtert. Schließlich werden Nachwirkungen und kommunistische sowie kirchliche Reaktio- nen diskutiert; in diesem Zusammenhang wird auch die erfolglose Kandidatur unse- res Autors für den Literaturnobelpreis zur Sprache gebracht. Ich skizziere nur einige ‚Kraftlinien‘. Meine Darlegungen sind bloß einführend und keineswegs eine das umfassende Thema dieses Buches erschöpfende Darstel- lung. Die Studien, die bisher über Kazantzakis und seine spirituelle Weltanschau- ung erschienen sind, füllen bereits eine Bibliothek.1 Mein Beitrag ist in diesem Um- feld nur bescheiden. Nikolaos Michaïl (kurz: Nikos) Kazantzakis wurde vermutlich am 18. Februar 18832 in der kretischen Hauptstadt Heraklion / Iraklio geboren und verstarb am 26. Oktober 1957 im akademischen Krankenhaus des deutschen Freiburg im Breis- gau. Er war ein Schriftsteller mit einem äußerst umfangreichen und vielschichtigen Œuvre, das insbesondere aus Lyrik, Bühnenstücken, Reiseberichten und Romanen besteht. Unter den letztgenannten ragen Leben und Wandel des Alexis Zorbas (Titel der deutschen Version: Alexis Sorbas), Christus wird wiederum gekreuzigt (deutsch: Griechische Passion), Die letzte Versuchung sowie Kapitän Michalis: Freiheit oder Tod) hervor. Mit diesen Romanen rief der Autor weltweit große Be- geisterung hervor und erfreute sich eines enormen Publikums von Leserinnen und Lesern. Des Weiteren verfasste er Lyrik – insbesondere seine monumentale Odys- see –, eine spirituelle Autobiographie (Rechenschaft vor El Greco), zahllose Noti- zen und Briefe sowie Aufsätze und Studien. Letztere umfassen seine geplante Habi- litationsschrift über Friedrich Nietzsche in der Rechts- und Staatsphilosophie; eine Geschichte der russischen Literatur; viele Lemmata für Lexika und Beiträge für Schulbücher; sowie ein unvollendetes (nur A-K) und nicht-publiziertes französisch- griechisches Wörterbuch.3 Zudem fertigte er einige Filmdrehbücher, Kinderbücher und literarisch bedeutsame Übersetzungen an, letztere beispielsweise von sieben

1 Vgl. beispielsweise die ausgewählte Bibliographie in: Εισαγωγή στο έργο του Καζαντζάκη: Επιλογή κριτικών κειμένων, Hg. Roderick Beaton (Heraklion, 2011), 712-724. 2 Dieses Datum entspricht dem julianischen Kalender, der damals sowohl auf dem osmani- schen Kreta als auch im unabhängigen Griechenland noch üblich war. Im Jahr 1923 über- nahm Griechenland, wozu inzwischen auch Kreta gehörte, den gregorianischen Kalender. Laut Letzterem würde der Geburtstag Kazantzakis’ auf den 2. März fallen. Siehe über diesen Aspekt der Kalenderfrage meine Studie ‘How Long It Was and How Far’: A Catholic and Ecumenical View on the Arduous Way to a Common Easter Date, Allgemeine Wissenschaft- liche Reihe 35 (Graz, 2013), 16-28. 3 Es war vorgesehen, dass sein Kompagnon Pantelis Prevelakis die Buchstaben L-Z bearbeiten würde, aber dazu kam es nicht. Leider fand sogar ein Gerichtsverfahren zwischen Kazantza- kis und Prevelakis auf der einen und dem Verleger auf der anderen Seite statt.

EINFÜHRUNG 11

Dialogen Platons, Dantes Divina Commedia, Goethes Faust, spanischer Lyrik und Homers Ilias und Odyssee. Die Übersetzungen der Ilias und Odyssee geschahen in Kooperation mit dem griechischen Altphilologen Ioannis Kakridis (1901-1992); Kazantzakis’ Übertragungsbeitrag an Homers Odyssee war weit gediehen, aber blieb unvollendet. Das literarische Œuvre von Kazantzakis wiederum wurde in Dutzende andere Sprachen übersetzt.

DIE ENTSTEHUNG DER ASKETIK: DIE RETTER GOTTES

Weil Kazantzakis sein Œuvre aufgrund von tiefsinnigen Gedanken über das Ziel und die Bestimmung bzw. Berufung des Menschen und der Welt sowie über das Wesen und das Wirken Gottes erstellte, ist es wichtig, eine Schlüsselarbeit von Kazantzakis, in der er seine Sicht der Menschen, der Welt und der Gottheit ex- plizit darlegt, näher zu betrachten. Dieses Werk heißt Askêtikê (Ἀσκητική) und hat den lateinischen Untertitel Salvatores Dei. Da es im Latein keinen Artikel gibt, könnte man den Untertitel sowohl als Retter Gottes als auch als Die Retter Gottes übersetzen. Vielleicht ist in diesem Fall der unbestimmte Artikel besser als der bestimmte, weil er ‚offener‘ ist und laut Kazantzakis Gott auf vielerlei Weise gerettet werden kann bzw. soll. Wie dem auch sei, hier werde ich seine Schrift einfach Asketik nennen. Während eines Wienaufenthaltes vom 19. Mai bis Ende August 1922 erstellte der damals fast vierzigjährige Nikos Kazantzakis einen Entwurf für sein späteres Buch Asketik. Ihm schwebte allerdings schon seit ungefähr zehn Jahren vor, seine weltanschaulichen Ideen zusammenhängend zu formulieren und in irgendeine schriftliche Form zu gießen. Die Ideen wuchsen allmählich über die Jahre hinweg vor dem tatsächlichen Verfassen der Asketik-Schrift. Beispielsweise schrieb Ka- zantzakis bereits 1911, 1915 und 1917 in Briefen über die Entwicklung ‚überlege- ner‘ Menschen (‚Gottmenschen‘) zur Schöpfung Gottes bzw. über die Erlösung Herakles’ von der Materie und dessen Gottwerdung bzw. über die Verwandlung in Licht.4 Der Wiener Entwurf der Asketik fällt also nicht gleichsam vom Himmel. Im selben Zeitraum erforschte Kazantzakis buddhistische Schriften in Wien und war er damit beschäftigt, ein Theaterstück über das Leben Buddhas zu verfassen. Auch studierte er unter anderem das Werk von Sigmund Freud (1856-1939) und nahm am kulturellen Leben Wiens teil. Damit stellte er keine Ausnahme dar, weil Wien damals für viele griechische und andere Intellektuelle als eine sehr bedeuten- de europäische Kunst-, Musik- und Theaterstadt galt und zudem als Zentrum der neuen Psychoanalyse attraktiv war.5

4 Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Peter Bien (Princeton, 2012), 49, 64 (Briefe an Ioannis Zervos), 72 (Brief an Yannis Stavridakis). 5 Vgl. Maria A. Stassinopoulou, ‚Kipferl, Melange und Psychoanalyse: Das Bild Wiens in der neugriechischen Prosa seit dem Ersten Weltkrieg‘, in: Wien als Magnet? Schriftsteller aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa über die Stadt, Hg. Gertraud Marinelli-König und Nina

12 EINFÜHRUNG

Danach zog er weiter, nun nach Berlin, in eine Stadt, wo es wie in Wien nach dem verlorenen Krieg und dem Umsturz der Monarchie Hunger, Armut, Inflation gab, wo das gesellschaftliche Alltagsleben gärte, kommunistische Zellen tätig wa- ren und andere Weltanschauungen von sich reden machten. Kazantzakis war von all dem fasziniert. Berührt vom sozialen Elend schwärmte er insbesondere vom Kom- munismus und erwartete eine Revolution, die das Establishment vernichten und eine neue, diesmal gerechte Ordnung schaffen würde. Er wohnte vielen Tagungen bei, unter anderem der der sozialistischen Jugendbewegung über eine ‚Neue Päda- gogik‘, die soziales Engagement und Selbstbildung in einem internationalen Kon- text befürwortete.6 Das Kulturleben vernachlässigte er trotzdem nicht und wie in Wien besuchte er Museen, Konzerte und Theater. In den Briefen, die er aus den Hauptstädten Österreichs und Deutschlands seiner ersten Frau (Galatia Kazantzaki, geb. Alexiou, 1881-1962) und einem Freund, dem in den USA tätigen orthodoxen Priester Emmanuel (Manolis) Papastefanou (1883- 1955) schickte, erwähnte er, dass er dabei war, ein ‚deutlich theologisches‘ Werk zu skizzieren, ein ‚mystisches Buch‘ über die Methode der Erlösung der Seele und ih- res Aufstiegs zu schreiben.7 Als Titel schwebte ihm anfänglich Zyklen des Aufstiegs (Κύκλοι Ἀνάβασης) vor. In Berlin, wo er sich – abgesehen von einigen Ausflügen, unter anderem nach Naumburg, Dornburg (bei Jena) und an die Ostsee – bis zum 18. Januar 1924 aufhielt, verfasste er diese Schrift tatsächlich. Er begann damit En- de Dezember 1922, vollendete sie Ende März / Anfang April 1923 und nannte sie nun Salvatores Dei: ’Ασκητική (Die Retter Gottes: Asketik).8 Dieses Werk wurde erst vier Jahre später publiziert, und zwar in der vom marxistischen Schriftsteller Dimitris Glinos (1882-1943) herausgegebenen Athener Zeitschrift ’Αναγέννησις (Wiedergeburt);9 es gab auch ein Separatum.

Pavlova, Österreichische Akademie der Wissenschaften: Veröffentlichungen der Kommissi- on für Literaturwissenschaft 17 (Wien, 1996), 567-589 (auch über Kazantzakis). 6 Vgl. Antonis G. Chourdakis, ‚Ασκηταγωγική στον Ν. Καζαντζάκη‘, in: Μνήμη Παντελή Πρεβελάκη και Νίκου Καζαντζάκη: Πεπραγμένα των Ημερίδων της 22 Μαρτίου 1996 και της 28 Νοεμβρίου 1997, Hg. N.E. Papadogiannakis (Rethymno, 2000), 153-177. 7 Nikos Kazantzakis, Ἐπιστολὲς πρὸς τὴ Γαλάτεια, Einführ. und Komm. Elli Alexiou (Athen, 31993, Erstausgabe 1958), 133-134, 157-158, 230-231; The Selected Letters of Nikos Kazan- tzakis, Hg. Bien, 104, 136, 141, 147. 8 Vgl. Kazantzakis, Ἐπιστολὲς πρὸς τὴ Γαλάτεια, 17-232; The Selected Letters of Nikos Kazan- tzakis, Hg. Bien, 85-191; Peter Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I (Princeton, 22007, Erstausgabe 1989), 60-67; Eleni N. Kazantzaki, Νίκος Καζαντζάκης: Ὁ Ἀσυμβίβαστος, Hg. Patroklos Stavrou (Athen, 31975), 99-128; Antonios Koliadis, ‚Nikos Ka- zantzakis und Wien‘, Biblos 49, 1 (2000) 113-120; Pantelis Prevelakis, Καζαντζάκης: Ὁ ποιητής καὶ τὸ ποίημα τῆς Ὀδύσσειας (Athen, 1958), 23-24; Colette Janiaud-Lust, Nikos Ka- zantzaki: Sa vie, son œuvre, 1883-1957 (Paris, 1970), 183-226, 298; Ταξιδεύοντας με φως και με σκοτάδι, Hg. Istoriko Mousio Kritis (Heraklion, 2007), 30-35. Siehe auch die fiktional- isierte geistliche Autobiographie von Nikos Kazantzakis, Ἀναφορά στόν Γκρέκο (Athen, 2009, Erstausgabe 1962), 335-388. Galatia Kazantzaki publizierte fast dreißig Jahre nach der Ehescheidung einen autobiogra- phischen Roman über die Beziehung mit ihrem ehemaligen Gatten Nikos: Ἄνθρωποι καὶ Ὑπεράνθρωποι: Μυθιστόρημα (Athen, 1957). Die beiden Hauptfiguren sind Danaï und Ale- xandros, die für sie selbst bzw. Nikos stehen. In diesem Buch behandelt sie auch die Zeit in Wien und Berlin; vgl. ebd., 173-191. Statt von der Asketik spricht sie von Zyklen des Auf- stiegs (Κύκλοι Ἀνάβασης), dem Titel, der Kazantzakis mal vorschwebte. 9 Vgl. ’Αναγέννησις, Nr. 11-12 (Juli-August 1927), 599-631.

EINFÜHRUNG 13

Es folgten zunächst mehrere kleine Korrekturen. (Kazantzakis pflegte fast alle seine Werke immer wieder umzuschreiben.) Eine grundlegende Änderung erfolgte am 11. Juni 1928, als der Autor die Passage über das Schweigen am Ende der Aske- tik erweiterte und ein neues letztes Kapitel daraus machte (siehe unten).10 Auch da- nach überarbeitete er seinen Text noch mehrmals. Die Asketik hätte 1940 oder 1941 herauskommen sollen, aber der Autor forderte, dass es eine anständige Publikation sein müsse – gutes Papier, Format, richtiger Druck –, und die Sache zog sich hin.11 Endlich kam 1945, nach dem Ende der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg, die neue und mit Holzschnitten illustrierte Version in Buchform heraus. Sie war Pantelis Prevelakis (1909-1986) gewidmet: ein vielseitiger kretischer Schriftsteller und Kunsthistoriker sowie ein Freund, der Kazantzakis oft half und auch die Neu- ausgabe der Asketik finanzierte. Nun war aber der Titel umgedreht worden, nämlich ’Ασκητική: Salvatores Dei, und es fehlte die ‚metakommunistische‘ Präambel der Erstausgabe (siehe unten). Im Jahr 1962, fünf Jahre nach dem Tod des Autors, wur- de die revidierte Version von 1945 in Athen aufs Neue veröffentlicht.12 Seitdem gab es mehrere Neuauflagen.13 Es wäre wichtig, dass eine umfassende wissenschaftliche Ausgabe der Asketik erscheinen würde. In einer solchen Ausgabe sollten nicht nur die Entstehungsge- schichte, die unterschiedlichen Ausgaben, die zahlreichen Textvarianten und jene Übersetzungen, an denen Kazantzakis selbst beteiligt war, erörtert, sondern auch ein kritischer Kommentar erstellt werden.

10 Vgl. Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. Pantelis Prevelakis (Athen, 21984, Erstausgabe 1965), 74-77; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 311- 312, 314-315. 11 Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 529, 533-534, 548, 572 (Briefe an Stamos Diamantaras); siehe auch 595 (Brief an Emile Chourmouzios, Juli 1944). 12 Laut Argyris Sfoundouris (geb. 1940, Übersetzer der Asketik ins Deutsche und Überlebender des von der deutschen Wehrmacht 1944 im griechischen Dorf Distomo angerichteten Blut- bades) dauerte es jedoch bis zum Jahr 1971, bis in Griechenland die ‚endgültige‘ Version mit dem vom Autor modifizierten radikalen Glaubensbekenntnis ganz am Ende des Buches (sie- he unten) erschien: ‚Erst seit der fünften Ausgabe von 1971 galt das griechische Publikum als reif genug, um die radikale Schlussversion dieses Credos kennenzulernen.‘ Siehe seinen Aufsatz ‚En relisant Ascèse: Le credo postcommuniste de Nikos Kazantzaki à partir de 1923‘, Le Regard crétois: Revue de la Société Internationale des Amis de Nikos Kazantzaki, Nr. 6 (Dezember 1992), 32-39, hier 37, Anm. 6. Die Angabe von Sfoundouris ist jedoch un- präzise, weil ich die einschlägige Schlussversion bereits in der Ausgabe von 1962 fand. 13 Ich verwende die seit 1985 von Patroklos Stavrou in Athen mehrmals neu aufgelegte ‚end- gültige‘ Version der Asketik: Nikos Kazantzakis, ’Ασκητική: Salvatores Dei (Athen, 32009). In der 22. Drucklegung dieser Ausgabe aus dem Jahr 2009 befindet sich ein informativer Kommentar: Patroklos Stavrou, ‚Ἐπίμετρο: Πληροφορίες καὶ σχόλια‘, in: Kazantzakis, ’Ασκητική, 99-130. Im Jahr 2014 erschien eine ‚revidierte und zeitgemäße‘ Neuausgabe der Asketik mit u.a. einer Einführung des bereits 1993 verstorbenen Kimon Friar und einer redak- tionellen und philologischen Notiz von Nikos Mathioudakis.

2. INHALT DER ASKETIK

Die Asketik eröffnet mit einem Vorwort, in dem die zwei finsteren Abgründe und der sich zwischen ihnen befindende helle Raum, das Leben, geschildert werden. Es werden auch die beiden einander entgegengesetzten Lebensströ- mungen, eine aufsteigende und eine absteigende Strömung, präsentiert. Das ers- te Kapitel (‚Die Vorbereitung‘, Ἡ προετοιμασία) ist teilweise epistemologisch. Es skizziert die Pflicht des Verstandes, die chaotische Realität der Sinne zu ord- nen, und es schildert den Kampf zwischen dem rationalen Verstand und dem Herzen, das existentiell wissen möchte, was der Sinn unseres Daseins ist. Hier lesen wir auch die Aufforderung, in Freiheit, im Hier und Jetzt zu leben, ohne Hoffnung und ohne Furcht. Es stehen hier fast buchstäblich die Worte, welche sich auch am Grab des Nikos Kazantzakis auf den venezianischen Stadtmauern in Heraklion befinden und auch auf manchen in den kretischen Touristenzentren verkauften T-Shirts stehen: ‚Ich hoffe nichts, ich fürchte nichts, ich bin frei‘ (δὲν ἐλπίζω τίποτα, δὲ φοβούμαι τίποτα, εἶμαι λεύτερος).14 Das zweite Kapitel (‚Der Marsch‘, Ἡ πορεία) beschreibt den Aufgang des Men- schen, nachdem er/sie in sich selbst einen Hilfeschrei gehört hat. Über vier Stufen – oder anders gesagt, durch vier Zyklen hindurch – steigt der Mensch in seinem ‚mystischen‘ Marsch auf. Diese vier Stufen bzw. Zyklen sind die meines Selbst (ἐγώ), die des Geschlechtes oder der ‚Rasse‘ (ράτσα), die der ganzen Menschheit (ἀνθρωπότητα) und die der ganzen Erde (γῆς).15 In seinem Aufgang über diese Stu- fen entdeckt der Mensch, dass derjenige, der um Hilfe rief, alle vier Stufen über- steigt. Im dritten Kapitel (‚Die Vision‘, Tὸ ὅραμα) wird der unsichtbare, blutbefleckte Gott beschrieben. Gott entledigt sich der Materie und steigt auf, aber gleichzeitig schreit er um Hilfe und kämpft er. Im vierten Kapitel (‚Das Handeln‘, Ἡ πράξη) geht es um drei Beziehungen. Bezeichnend für die erste Beziehung, diejenige zwi- schen Gott und Mensch, ist, dass der Mensch, damit er nicht in sich selbst erstickt, sich dem Rhythmus Gottes und des Universums anpassen soll und dass dieser Mensch gleichzeitig Gott retten soll. Warum? Weil Gott in seinem Emporsteigen und seinem Kampf ernsthaft gefährdet ist. Gott, der nicht allmächtig ist, und der Mensch sollten sich gemeinsam für Freiheit einsetzen, gemeinsam kämpfen, um die Materie zu spiritualisieren, zu ‚vergeistlichen‘, zu verwandeln. In der zweiten Beziehung, der zwischen den Menschen untereinander, handelt es sich um die Liebe (ἔρωτας), die alle Menschen zusammenführt. Es geht hier auch darum, alle Besitztümer und Konventionen aufzugeben und anzuerkennen, dass

14 Kazantzakis, ’Ασκητική, 26. Unser Autor hatte schon geraume Zeit vor seinem Tod bestimmt, welche Worte auf seinem Grab stehen sollten. Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantza- kis, Hg. Bien, 656 (Brief an Börje Knös, Dezember 1947), 727 (Brief an die Familie Angela- kis). Seine Witwe (Eleni Kazantzaki, geb. Samiou, 1903/1904-2004) ruht in einem Grab in seiner unmittelbaren Nähe. Auf der venezianischen Martinengo-Bastion befinden sich nur diese beiden Gräber. 15 Ich folge der aparten Schreibweise des Autors.

16 INHALT DER ASKETIK heutzutage hungrige Arbeiter Gott vertreten. Gewaltanwendung ist notwendig, sonst kommt Erlösung nicht zustande. Verantwortung und Opferbereitschaft stellen hier die höchsten Tugenden dar. In der dritten Beziehung, der zwischen dem Men- schen und der Natur, werden Richtlinien für den richtigen Umgang mit der Natur gegeben. Das Schlusskapitel (‚Das Schweigen‘, Ἡ σιγή) schildert eine Vielfalt von Bil- dern: Flamme, Feuervogel, rote Blutlinie, Wirbel, Abgrund, Schweigen. Es werden wiederum drei Kernfragen gestellt: ‚Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn dieses Lebens?‘16 Derjenige Mensch, der sämtliche zuvor beschriebe- nen Stadien absolviert hat, versöhnt sich mit dem Abgrund. Das Kapitel endet mit einem Glaubensbekenntnis und einer dreimaligen, paradoxen Seligpreisung und dieser Text soll singend wie eine ‚magische Beschwörung‘ vorgetragen werden: ‚Sing im tiefen Schweigen aufrecht, furchtlos, Schmerzen leidend und spielend, un- aufhaltsam von Gipfel zu Gipfel aufsteigend und wissend, dass die Höhe kein Ende hat, diese magische, stolze Beschwörung, während Du über dem Abgrund hängst: Ich glaube an einen Gott, Grenzwächter, doppelter Herkunft,17 kämpfend, leidend, mit großer Macht, nicht allmächtig, Krieger an den äußersten Grenzen, General und Kaiser über alle hellen Kräfte, die sichtbaren und die unsichtbaren. Ich glaube an die zahllosen, flüchtigen Masken, die Gott im Lauf der Jahrhunderte aufgesetzt hat, und ich erkenne hinter seinem unaufhörlichen Strömen die unzerstörba- re Einheit. Ich glaube an seinen wachsamen und schweren Kampf, der die Materie zähmt und befruchtet – die lebenspendende Quelle18 von Pflanzen, Tieren und Menschen. Ich glaube an das Herz des Menschen, die irdene Dreschtenne, wo der Grenzwäch- ter Tag und Nacht mit dem Tod ringt. „Hilfe!“ schreist Du, Herr. „Hilfe!“, schreist Du, Herr, und ich höre zu. Meine Ahnen und Nachkömmlinge, alle Rassen in mir und die ganze Erde, wir hö- ren mit Zittern und mit Freude Deinen Schrei. Selig sind diejenigen, die zuhören und heranstürmen, um Dich zu erlösen, Herr, und sagen: „Nur ich und Du existieren.“ Selig sind diejenigen, die Dich erlöst haben, sich mit Dir vereinen, Herr, und sagen: „Ich und Du, wir sind eins.“ Und dreimal selig sind diejenigen, die, ohne sich zu biegen, auf ihren Schultern das große, erhabene und abschreckende Geheimnis mit sich tragen: Auch dieses Eins exis- tiert nicht!‘19

16 Kazantzakis, ’Ασκητική, 94. 17 Die Worte ‚Grenzwächter‘ (Ἀκρίτας) und ‚doppelter Herkunft‘ (Διγενής) weisen auch auf den Held Digenis Akritas (siehe unten). Διγενής bedeutet nicht nur ‚von doppelter (geographi- scher und familiärer) Herkunft‘ – der Vater des Helden war ein arabischer Emir, ein Musli- me, und seine Mutter eine griechisch-byzantinische Christin –, sondern hat hier in der Asketik auch die Konnotation ‚von sowohl materieller / menschlicher als auch geistlicher / göttlicher Herkunft‘. 18 In der orthodoxen Kirche ist dies auch ein Ehrentitel der Gottesmutter Maria. 19 Kazantzakis, ’Ασκητική, 98. Im Originaltext steht der Gesamttext des Glaubensbekenntnisses und der Seligpreisungen in Majuskeln.

INHALT DER ASKETIK 17

ÜBERSETZUNGEN

Es sind zahlreiche Übersetzungen der Asketik erschienen. Bereits im Novem- ber / Dezember 1923 kooperierte Kazantzakis in Leipzig mit dem Byzantinisten und Neogräzisten Karl Dieterich (1869-1935) für eine erste Übertragung seiner Schrift ins Deutsche.20 Der Autor schickte den deutschen Text in die Sowjet- union, wo eine kleine Gruppe begeistert reagierte und ihn zu Vorträgen einlud.21 Ursprünglich schwebte Kazantzakis vor, die Asketik ins Russische und – auf- grund seiner Bekanntschaft mit einem jüdisch-kommunistischen, teilweise pol- nischen Frauenkreis (siehe unten) und wegen seiner Bewunderung für ihre Idea- le und für das jüdische Volk – auch ins Hebräische und Polnische zu übersetzen, aber daraus wurde damals nichts.22 Für seinen französischen, in Japan und China spielenden Roman Le Jardin des Rochers (Der Felsengarten) aus dem Jahr 1936 übertrug Kazantzakis selbst den Großteil der Asketik ins Französische. Er hatte sowohl diese Sprache als auch Italie- nisch während seiner Gymnasialzeit in einer von Franziskanern betriebenen franzö- sischen Schule (École Commerciale Sainte Croix) auf der Insel Naxos (1897-1899) gelernt. Es dauerte jedoch noch über zwanzig Jahre, bis dieses Buch, in dem der Autor als die Ich-Figur selbst die Hauptrolle spielt, in einem französischen Verlag publiziert werden konnte.23 Kurz danach erschien die griechische Übersetzung, wo- bei für die Asketik-Teile natürlich keine Übertragung notwendig war; Prevelakis, der Übersetzer, nahm einfach die bestehende griechische Originalversion.24 Bereits 1939 war die niederländische Übertragung von Le Jardin des Rochers, einschließ- lich der Asketik-Teile, in Holland erschienen.25 Das bedeutet, dass diese Übertra- gung die Erstpublikation des Romans mit seinem wichtigen Asketik-Anteil darstellt. Elli Lambridi (1898-1970), eine Nikos Kazantzakis damals sehr nahestehende bedeutende griechische Philosophin,26 übersetzte den Text ins Englische und als unser Autor 1927 wiederum in die Sowjetunion fuhr, nahm er einige Kopien davon

20 Mir ist nicht bekannt, ob und wo diese erste deutsche Übersetzung publiziert worden ist. Vor der Arbeit von Dieterich hatte ein Angestellter der griechischen Botschaft in Berlin, namens Simos, schon mit der Übersetzung angefangen, aber ‚wegen Zeitmangels‘ damit aufgehört. Owens, Creative Destruction, 150-151 (Anm. 27) erwähnt, dass er das deutsche Manuskript im Kazantzakis-Archiv des Historischen Museums Kretas eingesehen hat. Es trägt die Initia- len von Kazantzakis und ist mit ‚Berlin 1923‘ datiert. Zudem hat Kazantzakis, vermutlich nach 1928, mit seinem weichen violetten Bleistift die revidierte Schlussfassung der Selig- preisungen der Asketik eingetragen und dabei das Wort ‚Eins‘ betont: ‚Auch dieses „Eins“ existiert nicht!‘ 21 Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 198. 22 In einem Brief an Galatia (26. Februar 1924) erwähnt Kazantzakis jedoch, dass die Asketik ins Russische übertragen wird, aber mir sind keine weiteren Einzelheiten bekannt. Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 201. 23 Vgl. Nikos Kazantzaki, Le Jardin des Rochers (Paris, 1959). 24 Vgl. Nikos Kazantzakis, Ὁ Βραχόκηπος, Einf. und Übers. Pantelis Prevelakis (Athen, 1960). Doch sollte man überprüfen, welche Version des griechischen Originals Prevelakis verwen- dete, weil Kazantzakis seine Asketik oft revidierte. 25 Vgl. Nikolai Kazantzaki, De Tuin der Rotsen (Le Jardin des Rochers), Übers. Rein Blijstra (Amsterdam, 1939). Kurz danach erschien auch eine spanische Übersetzung. 26 Vgl. Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 263 (Anm. 25).

18 INHALT DER ASKETIK mit.27 Der griechisch-amerikanische Schriftsteller und Freund von Kazantzakis, Kimon Friar (1911-1993), der im Dialog mit ihm dessen Odyssee ins Englische übertrug,28 besprach im September 1954 auch den ganzen Text der Asketik mit dem Autor persönlich zwecks seiner englischen Übersetzung. Eine relevante Frage ist, ob die beiden Männer dabei die von Lambridi angefertigte Übertragung verwendet haben. Eine definitive Antwort darauf habe ich nicht gefunden. Fakt ist: als Friar Kazantzakis um die von Lambridi erstellte Übersetzung bat, antwortete dieser ihm, dass sie für ihn nicht nützlich wäre, weil sie von einer Griechin (also von keiner Person mit englischer Muttersprache) verfasst worden war und außerdem noch auf der Erstausgabe basierte, die jedoch vom Autor völlig revidiert worden war.29 Je- denfalls erschien Friars Übersetzung 1960. Sie enthält eine bedeutende Einfüh- rung.30 Es erschienen ebenfalls zwei französische Übersetzungen, an denen jeweils ei- ne/r des Ehepaars Kazantzakis beteiligt war: eine, bei der zwei Drittel aus der frühe- ren Übersetzung von Nikos Kazantzakis selber bestehen, und eine neue. Was die erstgenannte Übertragung betrifft stand unser Autor, der sehr gut französisch konn- te, dem nicht von ihm selbst übersetzten Drittel kritisch gegenüber (‚kraftlose Milch statt vitalen Blutes‘). Auch kritisierte er das sehr langsame Tempo der Veröffentli- chungsarbeit.31 An der zweiten Übertragung war die Witwe von Kazantzakis, Eleni, beteiligt.32 Viel später erschien noch eine dritte französische Übersetzung.33 Es wurden auch zwei deutsche Übertragungen publiziert, wovon die erste nicht auf das griechische Original, sondern auf einer der beiden französischen Überset- zungen basiert.34 Ferner gibt es Übertragungen ins Armenische, Georgische, Ma- layalam, Persische, Vietnamesische, Koreanische, Chinesische, Arabische, Hebräi-

27 Vgl. Eleni Kazantzaki, Νίκος Καζαντζάκης: Ὁ Ἀσυμβίβαστος, 207-208; Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. Prevelakis, 75-76, 282, 334; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 261, 266, 268 (Briefe an Eleni Samiou), 312 (Brief an Pantelis Prevelakis), 407 (Brief an Elli Lambridi), 412, 428 (Briefe an Pantelis Prevelakis). Prevelakis bot diese englische Übertragung der französischen Zeitschrift Commerce zur Publikation an. Mir ist nicht bekannt, ob sie tatsächlich publiziert worden ist. Ich vermute, dass es nicht der Fall ist, weil ich keinen positiven Hinweis gefunden habe. Kazantzakis wollte den englischen Text auch verwenden, um seine Kandidatur für den Literaturnobelpreis zu untermauern. Vgl. ebd., 642 (Brief an Ioannis Kakridis, März 1947). 28 Vgl. Nikos Kazantzakis, The Odyssey: A Modern Sequel, translation in verses by Kimon Friar (New York und London, 1958). 29 Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 788-789 (Brief an Kimon Friar). 30 Vgl. Nikos Kazantzakis, The Saviors of God: Spiritual Exercises, translated, with an Intro- duction, by Kimon Friar (New York, 1960). 31 Vgl. Nikos Kazantzaki, Ascèse: Salvatores Dei, Übers. Octave Merlier (Athen, 1951; Aix-en- Provence, 1957). Was die Kritik von Kazantzakis betrifft, vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 627 (Brief an Eleni Kazantzaki); 674, 694 (Briefe an Pantelis Preve- lakis); 692, 702-703 (Briefe an Börje Knös); 699 (Brief an Ioannis Kakridis). Siehe auch die griechische Originalversion der Briefe an Prevelakis: Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. Prevelakis, 600, 623. Prevelakis spart jedoch einige Wutausbrüche von Kazantzakis über Merlier (‚Feind‘, ‚Lump‘, ‚wir durchschauen ihn‘) aus. 32 Vgl. Nikos Kazantzaki, Ascèse: Salvatores Dei, Übers. Aziz Izzet (Paris, 1959, 1968 und 1972; Cognac, 1988). Siehe auch die Einführung von Izzet, ‚Introduction‘, ebd., I-XII. 33 Vgl. Nikos Kazantzakis, Ascèse: Salvatores Dei, Übers. Jacqueline Rozgonnikoff (Paris, 2013). 34 Vgl. Nikos Kazantzakis, Rettet Gott!, Übers. [aus dem Französischen!] Karl August Horst (Wien und München, 1953); Nikos Kazantzakis, Askese: Salvatores Dei, Übers. Argyris Sfountouris (Zürich, 1973; München, 1987).

INHALT DER ASKETIK 19 sche, Türkische, Estnische, Litauische, Ungarische, Ukrainische, Bulgarische, Ser- bokroatische (und separat ins Serbische und ins Kroatische), Slavomakedonische, Albanesische, Polnische, Schwedische, Finnische, Rumänische, Spanische (und separat ins Katalanische), Portugiesische, Italienische und Esperanto.35 Die meisten Übersetzungen geschahen auf der Grundlage des griechischen Originals. Einige stellen jedoch Übertragungen anderer Übersetzungen dar; das gilt auch für mehrere Übersetzungen der Romane Kazantzakis’. Nachdem zunächst für die holländische Ausgabe von Le Jardin des Rochers auch die Asketik-Teile ins Niederländische übertragen worden waren (siehe oben), erschien in den 1960er Jahren eine eigenständige niederländische Übertragung der Asketik-Schrift selbst.36 Mitte der 1990er Jahre übersetzte ich selber – in Kooperati- on mit dem Neogräzisten Hero Hokwerda – die Asketik aufs Neue ins Niederländi- sche.37 Die Übersicht der zahlreichen Sprachen, in die die Asketik bereits übertragen worden ist, zeigt übrigens, dass diese Schrift auch in vielen ‚orthodoxen‘ Ländern verfügbar ist und von den dort lebenden ostkirchlichen Gläubigen, falls erwünscht, in ihrer eigenen Sprache gelesen werden kann. Aus den mir zugänglichen Quellen habe ich bisher nicht eruieren können, ob eine vollständige Übersetzung ins Russi- sche vorliegt. Falls es diese nicht gibt, hat das vielleicht damit zu tun, dass die ge- druckte Erstausgabe der Asketik und noch mehr die Zweitausgabe mit ihrer Kritik am Kommunismus in der damaligen Sowjetunion sehr lau, sogar ablehnend aufge- nommen worden ist. Soweit ich weiß, basiert die soeben erwähnte anfängliche rus- sische Begeisterung für die Asketik auf einer Abschrift, nicht auf der gedruckten Version mit ihrer einführenden expliziten Kommunismus-Kritik in der Überschrift (siehe dazu unten). Wenn Lenin die Asketik – in ihrer Druckform – gelesen hätte, hätte er vermutlich sehr negativ über sie geurteilt.

35 Übersichten, die jedoch nicht vollständig sind, findet man auf den Websites des Büros der Kazantzakis-Ausgaben in Athen, des kretischen Nikos-Kazantzakis-Museums in Myrtia (frü- her Varvari geheißen, südlich von Heraklion), des Historischen Museums Kretas in Herakli- on und der Societé Internationale des Amis de Nikos Kazantzaki in Genf (Zugriff am 31. März 2015): http://www.kazantzakispublications.org http://www.kazantzaki.gr http://www.historical-museum.gr/webapps/kazantzakis-pages http://amis-kazantzakis.blogspot.co.at. 36 Vgl. Nikos Kazantzakis, ‚Ascese: Salvatores Dei‘, Übers. Olivier Boelen, Randstad 6 (Ams- terdam, 1963), 8-58; auch als Buch erschienen: Kwintessens 18 (Amsterdam, 1973). 37 Vgl. Nikos Kazantzakis, Ascetica, De redders van God en Symposium, Übers. Bert Groen (Asketik) und Hero Hokwerda (Symposium), Grieks Proza Styx XII (Groningen, 1997), 15- 52. Auch den wertvollen Bemerkungen von Jan Veenstra (Mitherausgeber der Reihe) ver- danke ich viel. Die Publikation wurde vom griechischen Kulturministerium finanziert. Siehe auch die Einführung von Hokwerda und mir (ebd., 7-14). Eine vom belgischen Gräzisten Gunnar De Boel verfasste detaillierte Besprechung dieses Buches findet sich in Tetradio: Tijdschrift van het Griekenlandcentrum, Universiteit Gent 7 (1998) 177-179.

20 INHALT DER ASKETIK

ZUSAMMENHANG DER ASKETIK MIT ANDEREN WERKEN VON NIKOS KAZANTZAKIS

In mehreren seiner Briefe aus dem Jahr 1923, als also Kazantzakis die Asketik tatsächlich verfasste, kommen lange Passagen vor, die wortgleich mit Formulie- rungen der Asketik sind, interessanterweise am ausführlichsten in der Korres- pondenz mit seinem Priesterfreund Papastefanou (mehr über ihn unten).38 Auch als diese Korrespondenz 1954 nach langem Schweigen wieder aufgenommen wird, kommen die Themen der Asketik gleich zurück.39 Die in der Asketik enthaltenen Gedanken finden sich ebenfalls in zahlreichen an- deren Büchern von Kazantzakis. Ich möchte hier nur einige relevante Beispiele nennen. Der Großteil der Asketik wurde von Kazantzakis wortwörtlich in seinen bereits erwähnten Roman Le Jardin des Rochers übernommen. Symposium (eine nach Platons Dialog benannte Frühschrift über den Sinn des Lebens) und die beiden Theaterstücke Buddha und Nikiforos Fokas enthalten etliche Gedanken, die der As- ketik ähnlich sind, obwohl Letztere viel systematischer und tiefgründiger ist. Inte- ressanterweise gibt es auch Überarbeitungen des Asketik-Textes für das Theater. In Griechenland gab es schon mehrere Bühnenaufführungen, beispielsweise im Mai 2015 in Thessaloniki. Auch der großteils in der Sowjetunion spielende und wie Le Jardin des Rochers französisch verfasste Roman Toda Raba strotzt vor Ideen, die aus der Asketik stammen. Hier konzentrieren sie sich auf den russischen Kommunismus, meistens lobend und gelegentlich kritisch und skeptisch. Die den Roman abschließende eks- tatische Vision erinnert an die entrückte visionäre Sprache des Schlussteils der As- ketik.40 Die monumentale Dichtung Odyssee erzählt in aus je siebzehn Silben bestehen- den 33.333 Versen und 24 Oden die neuen Streifzüge und die spirituelle Suche des Odysseus (durch ästhetische, ethische und religiöse Phasen hindurch) nach seiner Rückkehr auf Ithaka.41 Sie ist von den in der Asketik geschilderten Ideen erfüllt. Man könnte sogar sagen, dass ‚die Odyssee die Asketik in der Form eines Epos ist‘

38 Vgl. Ὁ Καζαντζάκης μιλεῖ γιὰ Θεὸ, Hg. Kyriakos Mitsotakis (Athen, 1971), 72-78, 81-86, 94- 99, 106-110, 112-114; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 108-110, 119- 121, 141-144, 151-153, 159-161, 182-184. Siehe auch ebd., 131, 177, 186-187, 189 (Briefe an Galatia); 208-209, 214-215, 218 (Briefe an Eleni Samiou); 210 (Brief an Angelos Sikelia- nos); 320 (Brief an Pantelis Prevelakis); 435 (Brief an Lea Dunkelblum). Vgl. auch Eleni Kazantzaki, Νίκος Καζαντζάκης: Ὁ Ἀσυμβίβαστος, 29-31, 145-146, 150; Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. Prevelakis, 86. Eine englische Übersetzung der wichtigsten Briefe an Galatia und Papastefanou findet sich auch in: Nikos Kazantzakis, The Suffering God: Selected Letters to Galatea and to Papastephanou, Übers. Philip Ramp und Katerina Anghelaki Rooke (New Rochelle N.Y., 1979). 39 Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 757-758. 40 Vgl. Nikolai Kazantzaki, Toda Raba, Übers. Simon Koster (Amsterdam, 1933), 243-251. Die französische Originalversion erschien 1931 in der Zeitschrift La Revue des Vivants und da- nach in Buchform 1934; vgl. Renaud de Jouvenel, ‚Nίκος Καζαντζάκης‘, Übers. Tea Ane- mogianni, Νέα Ἑστία 72 (1962) 1570-1585, hier 1570-1574, 1578-1579, 1581. Kazantzakis nannte sein Buch ursprünglich Moscou a crié (‚Moskau stieß einen Schrei aus‘). Soweit ich weiß, stellt die niederländische Version die erste Übersetzung des Romans dar. 41 Vgl. Nikos Kazantzakis, Ὀδύσσεια (Athen, 1938, revidierte Zweitausgabe 21957).

INHALT DER ASKETIK 21

(Pantelis Prevelakis und Peter Bien). Laut Kazantzakis selbst war seine Odyssee, die er siebenmal umschrieb (1925-1938; er gab sich erst mit der achten Version zu- frieden), die Ausarbeitung der Asketik.42 Sehr vielen Asketik-Gedanken begegnet man auch in der fiktionalisierten geistli- chen Autobiographie Rechenschaft vor El Greco. Ferner beschreibt Kazantzakis im Vorwort des Jesusromans Die letzte Versuchung den Zusammenstoß zwischen Geist und Fleisch, zwischen den beiden entgegengesetzten Strömungen, den dunk- len und den hellen Kräften, ihren Kampf in der menschlichen Seele und den Sieg Christi in seinem eigenen Kampf.43 Der Kampf zwischen Geist und Materie sowie die enorme Bedeutung von Solidarität und Liebe sind auch Kernthemen im Roman Christus wird wiederum gekreuzigt. In diesem Buch sind die Protagonisten Mano- lios und der Priester Fotis diejenigen, die in der Vergeistlichung und Verwandlung der Materie voran gehen.44 Auch in seinem Buch Der arme Mann Gottes (deutsch: Mein Franz von Assisi) bläst Kazantzakis ins gleiche Horn. Hier ist der hl. Franzis- kus der Prototyp des kämpfenden Menschen, der die höchste Pflicht hat, die Mate- rie, welche Gott ihm anvertraut hat, in Geist zu verwandeln.45

42 Vgl. Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 279 (Anm. 9). Siehe z.B. auch The Se- lected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 587-590 (Brief an Emile Chourmouzios in Be- zug auf die Leitideen der Odyssee). Aus Beschränkungsgründen kann ich hier nicht näher auf die Odyssee eingehen. 43 Nikos Kazantzakis, Ὁ τελευταῖος πειρασμός (Athen, 2012, Erstausgabe 1955), 9-12. Dieser Text begegnet fast wortgleich im Kapitel ‚Wüste – Sinai‘ in Kazantzakis, Ἀναφορά στόν Γκρέκο, 286-289. Anstatt der Aussage, dass er Christus’ Leben und Passion nie mit so großer Rührung und Liebe verfolgt und erlebt habe wie beim Schreiben von Die Letzte Versuchung, steht hier ‚wie in meinen Tagen und Nächten in Jerusalem, am Toten Meer und in Galiläa‘ (287). Charitini Christodoulou, Dialogic Openness in Nikos Kazantzakis (Newcastle, 2012), 159- 179 beschreibt die große Rolle, die Bergsons élan vital in Der letzten Versuchung spielt und wie Christus schließlich Gott wird. 44 Siehe über die Beziehung zwischen der Asketik, den Romanen und der Odyssee auch: Peter Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. II (Princeton, 2007); ders., Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 191-239; ders., Nikos Kazantzakis Novelist (Bristol und New Rochelle, 1989); ders., Three Generations of Greek Writers: Cavavy, Kazantzakis, Ritsos (Athen, 1983), 80-90; Gunnar De Boel, ‚Kazantzakis’ Christusromans in het licht van zijn levensbe- schouwing‘, in: Tetradio 3 (1994) 9-35; Morton P. Levitt, The Cretan Glance: The World and Art of Nikos Kazantzakis (Columbus OH, 1980), 12-16; Tzad Chatem [Jad Hatem], Nίκος Καζαντζάκης: Μάσκα και Χάος (Athen, 1983). 45 Vgl. Nikos Kazantzakis, Ὁ Φτωχούλης τοῦ Θεοῦ (Athen, 1970, Erstausgabe 1956), 9.

3. DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN

Im Folgenden werden wir der Frage nach den tragenden Säulen der Asketik nachgehen, d.h., welche geistlichen, religiösen und nicht-religiösen Strömungen diese Schrift und deren Autor beeinflusst haben. Die Asketik ist eine philosophi- sche und religiöse/mystische Schrift, in der Kazantzakis seine Theorie – besser gesagt: seine Gesamtschau, Vision (θεωρία heißt ja ‚Schau‘) – über die Entste- hung und das Ziel der Welt und des Menschen, über die Rettung und das Heil des Menschen darlegen wollte.46 Er war davon überzeugt, dass die traditionelle christliche Glaubenslehre und Mo- ral früher einmal wichtig waren, aber jetzt die Frage nach dem Sinne unseres Da- seins nicht mehr auf befriedigende Weise beantworteten. Ihre Betonung des Jenseits und eines außerhalb des Menschen existierenden persönlichen Gottes, der beim Jüngsten Gericht am Ende der Zeiten die Menschen belohnt oder bestraft, schien Kazantzakis überholt. Gleichzeitig hielt er den Rationalismus, Materialismus und Neopositivismus, denen er in der westlichen Kultur begegnete, für ungenügend, um die großen Lebensfragen zu beantworten und die menschliche Existenz mit wahrer Bedeutung zu erfüllen. Daher suchte er sein Leben lang eine Ersatztheorie. Anders gesagt, der Literat wollte eine ‚Theologie ohne Theos‘ entwerfen, eine narrative und erneuerte Theologie ohne das traditionelle Bild eines allmächtigen Gottes, der au- ßerhalb der Menschheit und der Welt existiert. Gleichzeitig möchte er vermeiden, dass diese Theologie nur Anthropologie ist. Es ging ihm um eine Art ‚Anthropo- theologie‘. Kazantzakis war ein leidenschaftlicher ‚Jäger‘, der immer auf der Suche nach der absoluten Wahrheit und der endgültigen Erlösung war und sich dabei fast ständig mit der Gottesfrage beschäftigte. In seinem Entwurf einer solchen Theorie ließ er sich von vielen Strömungen und Philosophien beeinflussen. Ich erwähne hier bloß die für seine eklektische und polyvalente Synthese wichtigsten.

46 Vgl. Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 62-78, 129-143; Pantelis Prevelakis, Ὁ Καζαντζάκης: Σχεδίασμα ἐσωτερικῆς βιογραφίας, in: Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. ders., IX-LXXXVI; ders., Καζαντζάκης, 78-86, 128-129, 220-221; ders., ‚Καζαντζάκης, Nίκος‘, in: Εκπαιδευτική Ελληνική Εγκυκλοπαίδεια: Παγκόσμιο Βιογραφικό Λεξικό 4 (1991) 200-202; Lewis Owens, Creative Destruction: Nikos Kazantza- kis and the Literature of Responsibility (Macon GA, 2003), passim; Thodoros Grammatas, „Kρητική ματιά“: Σπουδή στο έργο του Νίκου Καζαντζάκη (Athen, 1992), 59-62, 103-140; Vrasidas Karalis, ‚Μερικές ερμηνείες της Ασκητικής‘, Διαβάζω Nr. 190 (27. April 1988), 89-98; Sfoundouris, ‚En relisant Ascèse‘; Michalis Patsis, Καζαντζάκης και Ρωσία: Οικοφοβία, διαλογικότητα, καρναβάλι – Πτυχές της ποιητικής και της ιδεολογίας του Νίκου Καζαντζάκη τη δεκαετία του 1920 (Athen, 2013), 171-218; Pavlos Tzermias, Kreta von Knos- sos bis Kazantzakis: Wanderung durch eine faszinierende Kultur, Sedones 6 (Mähringen, 2003), 114-135; Nikos A. Matsoukas, Ἡ ἑλληνικὴ παράδοση στὸ Νίκο Καζαντζάκη, Hg. Eleni Kampani (Thessaloniki, 21989), 23-24, 31, 33-39, 56-57; Katerina Anghelaki Rooke, ‚Intro- duction‘, in: Kazantzakis, The Suffering God, 3-22; Kimon Friar, ‚The Spiritual Odyssey of Nikos Kazantzakis: A Talk‘, Hg. Theofanis G. Stavrou (Minneapolis, 1979), 23-28; Olivier Boelen, ‚„De eerste schreeuw van een post-kommunistisch credo“: Kazantzakis’ Ascese‘, Randstad 6 (Amsterdam, 1963), 59-63.

24 DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN

GRIECHISCH-ORTHODOXE TRADITION

Biographisch-chronologisch müssen an erster Stelle die griechisch-orthodoxe Spiritualität, Liturgie und Kirchenmusik genannt werden. Diese werden in Stu- dien über den tiefgründigen kretischen Literaten oft als nur eine der vielen Säu- len erwähnt, sogar eine, die viel weniger wichtig ist als die Auffassungen von Nietzsche und Bergson (siehe unten). Gemeinsam mit dem griechischen Theo- logieprofessor Nikolaos Matsoukas (1934-2006)47 und der amerikanischen Lite- raturwissenschaftlerin Pamela Francis48 bin ich jedoch der Ansicht, dass damit ein einseitiges Bild entsteht. Auch der griechisch-kanadische Priester und Ge- lehrte Lambros Kamperidis betont die Notwendigkeit, die orthodoxen Themen der Asketik zu studieren, weil gerade jene sie zu einer einzigartigen spirituellen Schrift machen. Seiner Ansicht nach ist die Asketik ein höchst persönliches lite- rarisches Werk über die grundlegenden eschatologischen Fragen. Zum einen ist es keine explizit orthodoxe Schrift und entfernt es sich in mehrerer Hinsicht von der orthodoxen Theologie. Zum anderen sagt Kamperidis: ‚Für diejenigen, die mit der orthodoxen Liturgie, Terminologie und der Theologie der Kirchenväter vertraut sind, widerspiegelt das Werk – mehr unbewusst als beabsichtigt – The- men, die aus der orthodoxen Tradition entlehnt worden sind.‘49 Bekanntlich hat Kazantzakis sich vom Glauben und von der Kirche seiner Ju- gend weit entfernt. Die Basisprinzipien von Nietzsche, Bergson und einigen ande- ren haben ihn sehr beeinflusst. Denen ist er treu geblieben und im Grunde hat er das orthodoxe Erbe diesen Prinzipien angepasst. Mit meiner Hervorhebung des hohen Stellenwertes der orthodoxen liturgischen und spirituellen Tradition für das richtige Verständnis der Asketik möchte ich also keinesfalls den großen und ausschlagge- benden Einfluss von Bergson und Nietzsche auf den Studenten Kazantzakis und seine spätere Gedankenwelt schmälern; ich möchte also keinesfalls ein Bild von Kazantzakis als von einem, der ‚eigentlich orthodox‘ war, entwerfen. Aber, wie auch der kretische Philologe und Historiker Theocharis Detorakis dar- legt, sind das Kind Nikos Kazantzakis und dessen weitere Entwicklung von der or- thodoxen kirchlichen Tradition und der kretischen religiösen Volkskultur, der Spra- che der Bibel, den liturgischen Ritualen, den byzantinischen Gesängen und Ikonen tiefgründig geprägt worden.50 Der kleine Nikos sehnte sich nach Heiligkeit und ver-

47 Vgl. Matsoukas, Ἡ ἑλληνικὴ παράδοση στὸ Νίκο Καζαντζάκη. Obwohl ich der These Mat- soukas’ über die Verwurzelung von Kazantzakis in der griechisch-orthodoxen asketischen und liturgischen Tradition zustimme, skizziert Matsoukas m.E. ein zu idealistisches Bild der byzantinischen Kultur und ein einseitig negatives Bild der westlichen Kultur. 48 Vgl. Pamela J. Francis, ‚Reading Kazantzakis through Gregory of Nyssa: Some Common Anthropological Themes‘, in: Scandalizing Jesus? Kazantzakis’s The Last Temptation of Christ – Fifty Years On, Hg. Darren J.N. Middleton (New York und London, 2005), 61-71, hier 69. 49 Lambros Kamperidis, ‚The Orthodox Origins of The Saviors of God‘, in: God’s Struggler: Religion in the Writings of Nikos Kazantzakis, Hg. Darren J.N. Middleton und Peter Bien (Macon GA, 1996), 53-70, hier 62. 50 Vgl. Theocharis Detorakis, ‚Ὁ Καζαντζάκης καὶ τὸ Βυζάντιο‘, Παλίμψηστον 4 (1987) 183- 198. Im Jahr 1985 wurde Detorakis aufgrund seines wissenschaftlichen Œuvres mit dem Ni- kos-Kazantzakis-Preis ausgezeichnet.

DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN 25 schlang Heiligenbiographien (Synaxaria, die auch in der monastischen Stunden- liturgie verlesen werden), welche er in seinen späteren Romanen teilweise verarbei- tete. Als Kind achtete er genau darauf, ob die Nachbarn die strengen kirchlichen Fastenvorschriften nachlebten, und wenn sie dies nicht taten, drohte er ihnen mit Wehrufen. Der Direktor des Gymnasiums, das er in Heraklion besuchte, war Christos Androutsos (1869-1935, in Heraklion im Amt 1899-1901), der damals bereits Dok- tor sowohl der Philosophie als auch der Theologie war, später Theologieprofessor an der Athener Universität wurde und dort bedeutende Werke über die Dogmatik und Symbolik der orthodoxen Theologie sowie über die philosophische Ethik und die Psychologie verfasste. Zudem studierte Androutsos in Athen die Schriften von Tolstoj, Nietzsche, Bergson und Freud, die auch zur ‚Lieblingsliteratur‘ von Ka- zantzakis gehörten.51 Man kann wahrscheinlich davon ausgehen, dass der philoso- phisch und theologisch gut beschlagene Direktor dem jungen Nikos und seinen Mitschülern einiges, das ihnen für ihre intellektuelle Entwicklung sehr nützlich war, beigebracht hat. Wie viele andere Werke von Kazantzakis ist auch seine Asketik von der Heiligen Schrift und der orthodoxen mystischen und asketischen Theologie, Spiritualität und Liturgie sehr beeinflusst worden. Beispielsweise ließ der Autor sich von den alttes- tamentlichen Propheten, ihrer oft harten und zur Befreiung der Unterdrückten auf- rufenden Sprache, von den Klage- und Fluchpsalmen, vom Hohelied sowie von Hiob und Qohelet anregen. Oben sahen wir, dass Kazantzakis Gewalt propagiert, um diese heruntergekommene Welt positiv zu verwandeln. Aber nicht nur er tut das, auch der Prophet Jeremia zum Beispiel thematisiert ‚Gewalt und Vernichtung‘ (Jer. 20, 8) und Jesus von Nazareth erklärt, er sei nicht gekommen, um Frieden, sondern Feuer, Schwert und Spaltung zu bringen (Lk. 12, 49-53; Mt. 10, 34-36). Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament wird Gott ‚verzehrendes Feuer‘ ge- nannt (Dt. 4,24 und Hebr. 12,29). Allerdings sollte man differenzieren: Es geht Je- remia nämlich in erster Linie um eine Gerichtsansage (das kommende Strafgericht Babylons) und Jesus um eine Entscheidungssituation. Doch spielen diese Aspekte (Gericht und Entscheidung) auch für Kazantzakis eine wichtige Rolle, wenn er sie auch anders interpretiert. Lassen sich ferner die Schlussseiten der Asketik mit ihren Bildern von Flammen und Licht richtig verstehen, ohne das letzte Buch der Bibel heranzuziehen? Natür- lich spielen diese Bilder auch in anderen mystischen Traditionen eine bedeutende Rolle, zum Beispiel in der jüdischen chassidischen Mystik, die Kazantzakis auch bekannt war.52 Doch liegt es auf der Hand, dass die Lektüre der Apokalypse den sensiblen Schüler, Student und unermüdlichen Forscher beeindruckt hat. Die Apo- kalypse spielt übrigens in der byzantinischen Liturgie nur eine marginale Rolle, aber Kazantzakis kannte sie aufgrund seiner Bibelstudien. Er las im Allgemeinen sein Leben lang sehr viel und seine sich jetzt im Historischen Museum Kretas be-

51 Vgl. Panagiotis I. Bratsiotis, ‚Ἀνδροῦτσος, Χρῖστος‘, in: Θρησκευτικὴ καὶ Ἠθικὴ Ἐγκυκλοπαιδεία 2 (1963) 739-743; Yannis Spiteris, La teologia ortodossa neo-greca (Bo- logna, 1992), 136-159. 52 Vgl. Owens, Creative Destruction, 16-17.

26 DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN findliche Privatbibliothek zeugt von seinen vielseitigen literarischen, philosophi- schen, multikulturellen und multireligiösen Interessen.53 Zudem waren das öffentliche Wirken Jesu Christi – insbesondere dessen Berg- predigt (Mt. 5,1-7,29) bzw. Feldrede (Lk. 6,20-49) und die Gleichnisse – sowie sei- ne Passion und Selbsthingabe bis zum Tod, für Kazantzakis essentielle spirituelle Meilensteine, die ihn sehr inspirierten. Man denke hier auch an Aussagen von Pau- lus, wie zum Beispiel dass ‚wir treue Verwalter der Gottesmysterien sind‘ (1 Kor. 4,1-2), d.h. Menschen tragen für die Geheimnisse Gottes Verantwortung. Im Lauf dieser Studie werde ich noch weitere Beispiele anführen und im Kapitel 4 werden wir uns der Rolle, welche die kirchlichen Traditionen für Kazantzakis spielten, nä- her zuwenden. Wie gesagt ging Kazantzakis später zahllose andere Wege, um dem Gottesmys- terium und dem göttlichen Prozess der Verwandlung der Materie in Geist gerecht zu werden. Diese Wege müssen unbedingt erforscht werden, aber das darf nicht zur Unterschätzung des auf ihn ausgeübten Einflusses der griechisch-orthodoxen ‚Hei- mat‘ führen.

KLASSISCHE KULTUR UND GRIECHISCHE NATUR

Bevor wir jedoch tiefer auf die Rolle der griechisch-orthodoxen Tradition ein- gehen und auch noch bevor wir die Aufmerksamkeit auf andere Protagonisten des Geisteslebens, von denen Kazantzakis sich für seine Asketik anregen und beeinflussen ließ, lenken, ist es notwendig, einige andere Säulen, auf welche die Asketik sowie das Gesamtwerk von Kazantzakis sich stützen, anzusehen. Diese werden in Studien über Kazantzakis längst nicht immer erwähnt, vielleicht weil sie selbstverständlich scheinen. Beginnen wir mit der Kultur und Mythologie des minoischen Kretas und des klassischen Griechenlands. Knossos und die dortigen Fresken faszinierten den Jun- gen aus dem nahen Heraklion und inspirierten ihn sogar zu einem späteren Kernbe- griff, nämlich ‚dem kretischen Blick‘ (siehe unten). Die Gestalten von Theseus und vom Minotaurus, von Helena, Odysseus, Herakles, Prometheus und Alexander dem Großen (356-323 vor Chr.) inspirierten ihn zu selbständigen literarischen Erzeug- nissen; insbesondere Odysseus trug er immer wieder in sich herum. Die olympi- schen Götter Dionysos und Apollo und ihre jeweiligen ‚Charaktere‘ (ungehemmte Vitalität versus reflexiver Ordnungswille) beschäftigten Kazantzakis sein Leben hindurch. Die klassische Philosophie von Heraklit (c. 535-c. 475 vor Chr.), Platon (428/7-348/7 vor Chr.) und anderen sowie deren Gedanken über Gott und die Welt, die Liebe und den Tod waren ihm vertraut. Das gilt auch für die Geschichten über die Argonauten und das goldene Vlies, über Charon, den Fährmann für die Verstor- benen, die Bestrafung von Sisyphos in der Unterwelt usw.; für die Epen von Ho- mer, die Dichtung von Pindar (522 oder 518 bis nach 446 vor Chr.) und die Tragö-

53 Vgl. Η βιβλιοθήκη του Νίκου Καζαντζάκη στο Ιστορικό Μουσείο Κρήτης, Hg. Georgia Katsa- laki, Einf. Theocharis Detorakis (Heraklion, 1997).

DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN 27 dien von Aischylos (525-456 vor Chr.), Sophokles (497/6-406/5 vor Chr.) und Eu- ripides (485/4 oder 480-406 vor Chr.); und für die architektonisch perfekten antiken Tempel. Was die konkrete Rolle der alten griechischen Kultur und Mythologie in der Asketik selbst betrifft, werden die Odyssee und Ithaka, die Kentauren und die Sirenen explizit genannt.54 Kazantzakis beschäftigte sich ebenso mit dem Neoplatonismus, Plotin (ca. 205- 270) und dessen Auffassungen über den Aufgang der Seele und das ‚Eins‘ (τὸ ἕν) sowie mit dem späteren oströmischen, byzantinischen Zeitalter und dem Beginn des modernen griechischen Staates. Das führte zu eigenständigen Produktionen über die Kaiser Julian (als der ‚Apostat‘ bekannt, Alleinherrschaft: 361-363), Nikiforos Fo- kas (963-969), den letzten Kaiser Konstantinopels Konstantin XI. Palaiologos (1449-1453) und den ersten Präsidenten des unabhängigen griechischen Staates Ioannis Kapodistrias (1776-1831; im Amt: 1828 bis zu seiner Ermordung). Auch die mythische Gestalt des Digenis Akritis / Akritas faszinierte Kazantzakis immer wieder und fand, wie wir sahen, auch Eingang in das die Asketik abschlie- ßende Glaubensbekenntnis. Dabei handelt es sich um den Protagonisten des byzan- tinischen Epos Digenis Akritis, das wahrscheinlich Mitte des zwölften Jahrhunderts entstand.55 Die Originalversion ist zwar verlustig, aber es sind noch sechs wichtige Manuskripte bekannt, die die Abenteuer des Helden an der Grenze zwischen dem Byzantinischen Reich und den arabischen Gebieten besingen. Interessanterweise wird der Held in der ältesten dieser Handschriften ‚dreimal selig‘ (τρίσμακαρ) ge- nannt,56 ein auch schon in der homerischen Odyssee verwendetes Wort. Wir sahen bereits, dass auch Kazantzakis dieses Wort – wohl bewusst – in seiner letzten Se- ligpreisung benutzt. Der nun Digenis Akritas genannte Held lebte in zahlreichen Volksliedern weiter und Kazantzakis hat die kretischen Versionen bestimmt ge- kannt, wie ihm auch die Balladen und Erzählungen über tapfere Burschen (παλληκάρια) und ihre Bravourstücke vertraut waren. Ihm schwebte nach der Voll- endung seiner Odyssee lange Zeit das Kreieren eines weiteren langen Epos, Akritas, vor, in dem er die Lebensfreude des Helden skizzieren wollte. Dazu kam es jedoch nicht mehr. In seiner Schulzeit war der junge Nikos mit dieser minoischen, klassisch- griechischen und byzantinischen Kultur vertraut geworden und hat sie sich ange- eignet. Diese früheren Kulturphasen gehörten zur gesamten griechischen Zivilisati- on und als Kreter bzw. Grieche konnte er aus diesem Arsenal frei schöpfen. Bereits seit längerer Zeit gibt es eine oft emotional geführte Diskussion, ob die vermeintliche Kontinuität zwischen der klassisch-griechischen Kultur und dem heu- tigen Griechentum korrekt ist oder nicht. Einige unterstreichen sie, andere bestreiten jegliche Form der Kontinuität, wieder andere nehmen eine Mittelposition ein. Für uns ist es hier weder möglich noch notwendig, die diesbezügliche Diskussion zu

54 Vgl. Kazantzakis, ’Ασκητική, 45-47, 85. 55 Vgl. Digenis Akritis: The Grottaferrata and Escorial Versions, Hg. und Übers. Elizabeth Jeffreys, Cambridge Medieval Classics 7 (Cambridge, 1998); Digénis Akritas, le héros des frontières: Une épopée byzantine – version de Grottaferrata, Einf. und Übers. Corinne Jouanno (Turnhout, 1998); Pieter Borghart, Inleiding in de Nieuwgriekse literatuur van de 12de tot de 21ste eeuw (Gent und Groningen, 2012), 24-31. 56 Vgl. Digenis Akritis, Hg. Jeffreys, 2. Das einschlägige Manuskript Grottaferrata Z.α.XLIV (444) stammt aus dem Ende des 13. / Anfang des 14. Jahrhunderts.

28 DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN führen. Es genüge der Hinweis, dass der junge Kazantzakis, trotz seiner oft heftigen Kritik am geistigen und kulturellen ‚Zugrundegehen‘ des neugriechischen Volkes, sich als Nachfahre der kretischen und griechischen Kultur verstand. Für ihn lebte beispielsweise der olympische Meeresgott Poseidon im christlichen hl. Nikolaus, dem Beschützer der Seeleute, weiter und hatten die hl. Ärzte Kosmas und Damian die heilende Wirksamkeit der klassischen Dioskuren übernommen. Gott setzte ja ständig neue Masken auf. Eine andere Stützsäule der Asketik sowie des Gesamtwerkes von Kazantzakis sind die kretische und griechische Natur und Landschaft. Die Berge, Hügel, Schluchten und Felsen Kretas, insbesondere der Psiloritis, sozusagen der ‚Haus- berg‘ Heraklions, haben ihm nicht nur viel Romanstoff geliefert, sondern dienen auch als ein Erklärungsfaktor für die dominante Rolle von ‚Aufsteigen‘ und ‚Ab- steigen‘ in der Asketik. Das heißt, dass die Dialektik von Emporgehen und Herun- tergehen nicht nur in der griechisch-christlichen Mystik und der Philosophie Berg- sons, sondern auch in der kretischen Berglandschaft ihre Wurzeln hat. Dies zeigt auch den großen Einfluss, den die Natur der Gegend, aus der man stammt, auszu- üben vermag. Für mich als Flachland-Holländer, der ich den Großteil meiner Ju- gend auf Meeresniveau, manchmal sogar ein oder zwei Meter unter Meeresniveau verbracht habe, kämen eher andere Bilder in Betracht, um die Dialektik zwischen zwei gegensätzlichen Bewegungen zu veranschaulichen. Ich denke hier beispiels- weise an ‚vorwärts oder zurück radeln‘, ‚geradeaus gehen oder stillstehen‘, ‚mit viel oder wenig Wind‘ oder ‚mit Gegenwind oder Rückenwind‘, wobei ‚viel Wind‘ bzw. der Gegenwind für den schwierigeren, doch einzig richtigen und ‚wenig Wind‘ bzw. der Rückenwind für den scheinbar attraktiveren, doch bequemeren Le- bensweg steht. Auch das Meer, das Kreta auf allen Seiten umspült, ist für Kazantzakis wesent- lich. (Das kann ich als einer, der nahe der Nordsee geboren und großgeworden ist, leicht nachvollziehen. Allerdings übt das blaue Mittelmeer eine ganz andere Wir- kung aus als die eher dunkle Nordsee.) Die Seefahrt und ihre Abenteuer und Risi- ken waren dem Jungen aus der Hafenstadt Heraklion von klein auf vertraut und kommen in der Asketik, der Odyssee sowie in anderen Schriften wiederholt vor. Insgesamt fand er die Landschaft Griechenlands entzückend und bezaubernd. Er erlebte seine Aufenthalte in der griechischen Natur und an wichtigen hellenischen Kulturorten, beispielsweise Olympia, als eine ‚Wallfahrt‘. Die griechische Land- schaft war für ihn ‚voll Licht‘ und ‚voll Geist‘, ein Phänomen, das es seiner Mei- nung nach dem Griechentum ermöglichte, Ordnung in das Chaos zu bringen.57 Des Weiteren sind die Landwirtschaft, der Weinbau, die Getreideernte und Ele- mente der Hauswirtschaft wie das Weben und Spinnen zu nennen. Die vielen mit Trauben und dem Weinbau verbundenen Szenen zum Beispiel machen für Kazant- zakis die Vorgänge des Ausgepresst-Werdens und des Deliriums anschaulich. Schließlich sind hier die bildhaften Beschreibungen des gesamten Universums er- wähnenswert: die Erde, der Himmel, die Planeten und die Sterne. Der Mensch ist für Kazantzakis nur ein kleiner Teil des Ganzen, es geht um die Erlösung des ge- samten Universums.

57 Vgl. Isidora Rosenthal-Kamarinea, ‚Nachwort‘, in : Nikos Kazantzakis, Im Zauber der grie- chischen Landschaft, Hg. dieselbe (Berlin, Sonderausgabe 2007), 149-155.

DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN 29

Nun ist es Zeit, unsere Aufmerksamkeit auf einige andere große Säulen, auf de- nen die Asketik ruht, zu lenken.

FRIEDRICH NIETZSCHE, CHARLES DARWIN, HENRI BERGSON UND ION DRAGOUMIS

Zunächst sind die Überzeugungen von Friedrich Nietzsche (1844-1900) zu nen- nen. Unter anderem seine Auffassungen über die Ethik, die Moral, die Vernei- nung der Existenz eines persönlichen Gottes sowie das ‚Umdrehen aller Werte‘ spielen eine prominente Rolle in der Asketik. Auch die poetische Sprache von Nietzsche, im Besonderen in dessen Schrift Also sprach Zarathustra, die Ka- zantzakis ins Griechische übertrug, regte den jungen Kreter beim Verfassen der Asketik sehr an. Er fühlte sich in seiner damaligen Lebensphase mit dessen Per- sönlichkeit sehr verwandt. In der Schweiz besuchte er 1918 die mit Nietzsche verbundenen Orte und im Juni 1923 dessen frühere Wohnstätte im deutschen Naumburg. Auch übersetzte er Nietzsches Die Geburt der Tragödie. (Beide Übersetzungen von Nietzsche wurden vor der Asketik publiziert: 1912 und 1913.) Insgesamt ist festzuhalten, dass Nietzsche erheblich dazu beitrug, dass Kazantza- kis das intellektuelle und kirchlich-geistliche Establishment seiner Zeit kritisch be- fragen und dekonstruieren konnte. Dennoch existieren trotz der Tatsache, dass der kretische Autor Nietzsche für seinen großartigen Lehrer hielt, auch bedeutende Un- terschiede zwischen beiden Männern. Im Grunde ist Kazantzakis viel konstruktiver und religiöser als Nietzsche. Ersterer wurde in seiner ‚Ermordung‘ des traditionel- len Gottes zwar vom Letzteren angeregt, aber dieser würde sich in der Theorie der Verwandlung von Materie in Geist und des Kampfes Gottes nicht wiedererkennen. Eine weitere Person, die den jungen Kazantzakis bereits in seiner Schulzeit sehr beeinflusste, ist Charles Darwin (1809-1882) mit seiner Evolutionstheorie, die Ni- kos dazu führte, die damals gängige christliche Theorie über die Schöpfung der Welt und der Menschheit (in sieben Tagen; Adam und Eva) aufzugeben. Auch übertrug er Darwins On the Origin of Species ins Griechische. Wie so viele andere gebildete Gläubige erfuhr auch der junge Kreter Darwins Theorie als eine Revoluti- on des wissenschaftlichen Fortschritts, die das Erklärungsmodell seiner eigenen orthodoxen Kirche über die Entstehung des Universums und des Menschenge- schlechts als abstrus erscheinen ließ. Wie Nietzsche war auch Darwin unserem Autor bei der Dekonstruktion beste- hender traditioneller Denk- und Glaubensstrukturen äußerst behilflich. Erst nach diesem aus seiner Sicht notwendigen Zerstörungswerk konnte er eine neue Synthe- se entwerfen. In dieser Synthese spielte der französische Philosoph Henri Bergson (1859-1941) eine Hauptrolle. Für den ‚Wiederaufbau‘ konnte Kazantzakis auch jene Elemente seiner orthodoxen spirituellen Tradition verwenden, die ihm noch nützlich erschienen (siehe unten).

30 DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN

Kazantzakis hörte 1908 die Vorlesungen Bergsons in Paris und übersetzte da- nach dessen Werk Das Lachen.58 Bergson war ein sehr bedeutender Repräsentant des Vitalismus: Diese philosophische Strömung betont unter anderem das ‚lebendi- ge‘ Leben, die Evolution und die Entwicklung statt des Unbeweglich-Seins. Des Weiteren betont der Vitalismus die Intuition, die Erfahrung und die zweitrangige Rolle der Ratio statt des Primats der Vernunft. Laut Bergson gibt es zwei Sorten Bewegung: eine aufsteigende Bewegung, nämlich die des Lebens, und eine abstei- gende, nämlich die der Materie. Bergson ist der Meinung, dass die Materie durch den Schwung des Lebens, den Lebenselan (l’élan vital), beseelt und ‚vergeistlicht‘ wird. Bereits im Vorwort der Asketik wird deutlich, wie groß der Einfluss von Bergson auf Kazantzakis war. Der Lebenselan durchsprudelt den gesamten Asketik-Text. Nachdem unser Autor durch das Studium von Darwin und Nietzsche (siehe unten) den althergebrachten Glauben an einen persönlichen Gott, das Jenseits und die erlö- sende Wirkung der kirchlichen Sakramente verloren hatte, brauchte er ein positives Prinzip, eine Kraftquelle im Menschen selbst, die jenen über sich selbst hinaus he- ben würde. So ein Prinzip zu finden war Kazantzakis ein Lebensbedürfnis, weil er sich nicht damit abfinden konnte, dass der Mensch in sich selbst, in Materie, Ratio, Konsum ersticken würde. Bergson bot Kazantzakis diese Chance.59 Insgesamt sind sowohl Nietzsche als auch Bergson für Kazantzakis’ geistige Entwicklung sehr wichtig: Nietzsche für die Dekonstruktion von laut Kazantzakis nutzlos gewordenen intellektuellen und spirituellen Traditionen, und Bergson für den Wiederaufbau einer neuen Synthese. In der Tat war Bergson, was den Wieder- aufbau betrifft, für Kazantzakis erheblich wichtiger als Nietzsche, weil er der religi- ösen Seele des Kreters und seiner ‚Gralssuche‘ viel mehr zu bieten hatte als Nietz- sche.60 Ich wage zu behaupten, dass der Grund, warum Kazantzakis sich von Berg- son ‚bezaubern‘ ließ, nicht nur der hohe Stellenwert von Bergsons Lebenselan für ihn und der große Reiz von dessen Persönlichkeit und Lehre war, sondern auch dass der junge Kreter Bergsons Auffassungen ziemlich leicht in Einklang mit Elementen der griechisch-orthodoxen Mystik und liturgischen Theologie, die ihm damals schon bekannt waren, bringen konnte. Interessanterweise erlebt Bergson heutzutage ein Comeback in Westeuropa, in- dem seine Werke erneut studiert werden. Die Tatsache, dass viele Menschen in der gegenwärtigen westlichen Gesellschaft die sozialen Strukturen und Einrichtungen, wie zum Beispiel die Mitgliedschaft in Großkirchen, politischen Parteien und Ge- werkschaften, nicht länger als fix, sondern als sehr ‚relativ‘ und das Leben selbst als

58 Titel des französischen Originals: Le rire: Essai sur la signification du comique (Paris, 1900). 59 Vgl. Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 36-53; Daniel A. Dombrowski, Kazan- tzakis and God (New York, 1997), 9-18; Georgios Emm. Stefanakis, Ἀναφορά στόν Καζαντζάκη (Athen, 1997), 113-150; Owens, Creative Destruction, 29-64. 60 Vgl. Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 24-36; Dombrowski, Kazantzakis and God, 145-153; Owens, Creative Destruction, 67-105; Odysseus Makridis, ‚Introduction‘, in: Nikos Kazantzakis, Friedrich Nietzsche on the Philosophy of Right and the State, Übers., Einf. und Komm. Odysseus Makridis (Albany NY, 2006), IX-XVII. Siehe über die zunächst positiven, dann sehr negativen Auffassungen Nietzsches über das Christentum den Über- sichtsartikel: Jan Rohls, ‚Nietzsche und das Christentum‘, Kerygma und Dogma 60 (2014) 193-221.

DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN 31

‚fließend‘ empfinden und dem Rationalismus eher skeptisch gegenüberstehen, da- für die Rolle der Erfahrung und der Intuition betonen, trägt gewiss zur Renaissance von Bergson bei.61 Am Anfang der geistigen und spirituellen Entwicklung des kretischen Literaten sah es jedoch noch nicht danach aus, dass der Bergson in ihm den Nietzsche ‚über- holen‘ würde. Im Jahr 1908 hatte Kazantzakis eine Habilitationsschrift über die Be- deutung von Nietzsche für die Rechts- und Staatsphilosophie verfasst, die er an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität von Athen, in der Hoffnung auf einen Lehrstuhl, einreichen wollte. Aus heutiger Sicht würde man diese Schrift eher als eine Diplomarbeit bezeichnen, aber die Anforderungen an wissenschaftliche Arbeiten waren damals andere als heutzutage. Es lohnt sich, einen Blick in diese meistens wenig beachtete Schrift zu werfen. In Bezug auf die Religion legt Kazantzakis dar, dass Furcht, Schwäche und Trostbe- dürfnis des Menschen die eigentlichen Ursachen für die Entstehung der Religion und deren Rituale seien. Menschen mit einer starken Willenskraft bräuchten die Religion nicht. Insbesondere das Christentum betone Schwäche, Erbarmen, Geduld, Armut, Enthaltsamkeit und das Jenseits. Leider habe diese Religion auch den mo- dernen Staat mit seiner Fürsorge für die Schwachen, Propaganda für Solidarität und Erbarmen mit den Armen und dem Dogma der Gleichheit aller Menschen beein- flusst. Laut Kazantzakis mangle es heutzutage an Mut und herrsche Ängstlichkeit vor. Die Betonung des Mitleids und des Erbarmens sei katastrophal für eine gesun- de Menschheit. Das Christentum halte jedoch das Elend am Leben, obwohl auf- grund des Prozesses der natürlichen Selektion soziales Elend eigentlich verschwin- den müsste. Unter Berufung auf Nietzsche folgert der junge Kazantzakis, dass der Übermensch das Leben meistern wird, während die Schwachen untergehen wür- den.62 Es gibt keine Auskunft darüber, ob die Athener Universität diese Schrift ange- nommen oder abgelehnt hat oder ob Kazantzakis die Habilitationsschrift tatsächlich eingereicht hat oder nicht. Gerade weil solche Information fehlt, ist anzunehmen, dass das formelle Habilitationsverfahren nicht stattgefunden hat. Persönlich vermu- te ich, dass sein Athener Professor, der zuvor noch einen möglichen Nachfolger in ihm sah, vor dem antichristlichen, sogar inhumanen Ton der Schrift erschrocken ist und ihm nahegelegt hat, sein Produkt beiseite zu legen. Nach einigen Überarbeitun- gen veröffentlichte Kazantzakis die Schrift trotzdem (1909 in der Druckerei seines Schwiegervaters). Auf Kritik, die an seiner Schrift geübt wurde, reagierte er verletzt und wütend, auch wenn diese sachorientiert war. Es ist äußerst zweifelhaft, ob der Habilitand die Schriften Nietzsches in ihrer Originalversion lesen konnte, da seine Deutschkenntnisse damals noch sehr man- gelhaft waren. Nachweislich verdankte Kazantzakis seine damaligen Kenntnisse über ‚den Lehrer‘, wie er Nietzsche später zu nennen pflegte, einigen französischen Studien. Obwohl er diese in seiner Schrift reichlich verwendet und sie gelegentlich

61 Vgl. Hein van Dongen, Bergson (Amsterdam, 2014). 62 Vgl. Nikos Kazantzakis, Ὁ Φρειδερίκος Νίτσε ἐν τῇ φιλοσοφίᾳ τοῦ δικαίου καὶ τῆς πολιτείας, Habilitationsschrift, Hg. Patroklos Stavrou (Athen, 21998, Erstausgabe Heraklion, 1909), 86- 90, 100-104, 122. Siehe auch die englische Ausgabe: Kazantzakis, Friedrich Nietzsche on the Philosophy of Right and the State, Hg. Makridis.

32 DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN wörtlich zitiert, nennt er sie nirgendwo!63 Ob dieses Plagiat damals vom Betreuer- Professor entdeckt worden ist und so dazu beigetragen hat, dass Kazantzakis in Athen nicht mit wissenschaftlichen Lorbeeren bekränzt worden ist, ist unbekannt. Jedenfalls hat es seine späteren literarischen Verdienste nicht geschmälert. Allerdings ist der Nachweis von Quellen in seinem Œuvre insgesamt eher eine Schwachstelle geblieben. Das gilt auch für die Asketik. Wenn er beispielsweise im dortigen Vorwort schreibt, dass das ‚Ziel des Lebens der Tod ist‘, übernimmt er das von Sigmund Freud, ohne ihn namentlich zu nennen. Er sagt nur, dass ‚viele das verbreitet haben‘.64 Während wir also in der geplanten Habilitationsschrift ein leidenschaftliches Plädoyer für das Recht der Stärkeren und das darwinistische Selektionsprinzip wahrnehmen, wird Kazantzakis später – insbesondere in seinen großen nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen Romanen – für Solidarität, Brüderlichkeit, Gerech- tigkeit und Vergebung eintreten. Einen diesbezüglichen Höhepunkt stellt sein Ro- man Christus wird wiederum gekreuzigt dar. Wir finden das Plädoyer für Solidarität zwar auch schon in der Asketik, aber es ist dort nicht die Hauptmelodie. Allerdings hatte Kazantzakis auch privat ein lebenslanges Problem mit Schwä- che, Krankheit, Kräfteverfall und dem angeblich ‚schwachen‘ Geschlecht (Frauen). Er vermied kranke und sterbende Menschen; das Sterbebett seiner Verwandten und Freunde wollte er nicht sehen. Erst als er sich selbst im hohen Alter mehrmals im Krankenhaus aufhielt, musste er sich diesem Umstand anpassen. Auch kleine Kin- der und Tiere spielen in seinem Gesamtwerk keine große Rolle. Sein Orientie- rungspunkt waren die Starken, die Aufrechtstehenden, die Gesunden und das ver- meintlich ‚starke‘ Geschlecht (Männer). Mit der biblischen Mahnung, sich zunächst um ‚die Witwen und die Waisen‘, also um die gesellschaftlich Schwachen, zu kümmern, konnte Kazantzakis lange Zeit nichts anfangen. Im Gesamtwerk des Kreters gibt es einen klaren Gegensatz zwischen einer hohen Ethik und dem Istzustand; zwischen Sollen und Sein; zwischen dem Ideal der Ge- rechtigkeit und Solidarität und dem ‚Naturgesetz‘, dass die Starken gewinnen und die Schwachen den Kürzeren ziehen und dass dies gut ist; zwischen wahrer Huma- nität und brutalem Sozialdarwinismus; zwischen warmem Mitleid mit dem konkre- ten Elend vieler Menschen und kalter Gleichgültigkeit, wenn andere von grausamen Aggressoren überfallen werden.65 Es existieren wilde dionysische Kräfte in den

63 Vgl. Gunnar De Boel, ‚Kazantzakis: Trouwe lezer van de „Franse“ Nietzsche‘, Tetradio 17 (2008) 7-42. 64 Kazantzakis, ’Ασκητική, 9. Die Auffassungen von Sigmund Freud spielen nicht nur im Vor- wort, sondern auch anderswo in der Asketik eine wichtige Rolle. Kazantzakis studierte das Werk Freuds, als er sich in Wien aufhielt, d.h. zur selben Zeit, als er seine spätere Asketik entwarf. Vgl. Marinos Pourgouris, ‚Τοτέμ και Ταμπού: Ο Καζαντζάκης αναγνώστης του Freud‘, in: Ο Καζαντζάκης στον 21ο αιώνα: Πρακτικά του διεθνούς επιστημονικού συνεδρίου „Νίκος Καζαντζάκης 2007: πενήντα χρόνια μετά“ (Πανεπιστήμιο Κρήτης, Ηρακλείο & Ρέθυμνο, 18-21 Μαϊου 2007), Hg. Stamatis N. Filippidis (Heraklion, 2010), 377-402. 65 Warmes Mitleid sieht man bei Kazantzakis beispielsweise, als er während seines Aufenthal- tes in Wien und Berlin (1922-1923) – als er also die Asketik verfasste – das allgegenwärtige Sozialelend wahrnahm und als Griechenland zunächst grausam von den Achsenmächten (Nazideutschland, Italien und Bulgarien) besetzt war (April 1941 bis Oktober 1944) und dann vom Bürgerkrieg zerrissen wurde. Kalt wirkende Indifferenz sieht man bei ihm zum Beispiel in Bezug auf die Gräuel des Regimes in der Sowjetunion der eigenen Bevölkerung gegenüber und als Polen im September 1939 sowohl von der deutschen Wehrmacht als auch

DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN 33

Menschen und das Gute und das Böse koexistieren in ihnen. Deswegen sind ein gewisser ‚Apollinismus‘ der Vernunft und eine zur Solidarität aufrufende Herzens- stimme notwendig, um zu einem Gleichgewicht zu kommen. Der Gegensatz zwischen Sollen und Sein lässt sich auch in der Asketik finden und mit dem griechisch-schweizerischen Gelehrten Pavlos Tzermias (geb. 1925) bin ich der Meinung, dass Kazantzakis, trotz seines Strebens nach Synthese, diese Antinomie meistens nicht überwunden hat.66 Vielleicht ist das auch gar nicht mög- lich. Eine vierte für die geistige Entwicklung von Kazantzakis sehr bedeutsame Per- son war Ion Dragoumis (geb. 1878 und ermordet 1920), ein griechischer nationalis- tischer Politiker, Dichter und Denker. Obwohl Kazantzakis sich später von dessen Gedankengut distanzierte – mit Ausnahme seines ‚milden‘ Nationalismus bzw. Chauvinismus in Leben und Wandel des Alexis Zorbas – und viel mehr zu einem Kosmopoliten wurde, als Dragoumis es je sein wollte, machte er bei Dragoumis die Anleihe des Hervorhebens der griechischen ‚Rasse‘, einschließlich ihrer Kultur und Sprache.67 Die zweite Stufe des Emporgehens in der Asketik stellt ja die ‚Rasse‘ dar, aber sie ist eine Durchgangsphase. Gott verwendet sie als Stiege, aber geht weiter empor. Im Allgemeinen verwendet Kazantzakis das Wort ‚Rasse‘ (φυλή, ράτσα) oft, wie auch viele andere griechische und nicht-griechische Autoren und Wissenschaftler dies damals taten. Das heißt aber nicht, dass Kazantzakis mit der nazistischen Ras- sentheorie sympathisierte. Im Gegenteil: er war über die physiologischen Merkmale der jüdischen Rasse, die er seiner Meinung nach deutlich wahrnehmen konnte, be- geistert. Er ist also nicht dem griechischen Nationalismus verhaftet geblieben. Im Antlitz Gottes sind alle Menschen gleich, legt er dar. Es geht nicht darum, ob sie zum Bei- spiel Griechen oder Türken, Christen oder Muslime, Orthodoxe oder Katholiken sind, sondern ob sie unter General-Gott ihre Wehrpflicht für dessen Kampf ableis- ten oder nicht. Es ist wichtig zu betonen, dass Kazantzakis zu diesem ‚Universalis- mus‘ zu einer Zeit gelangte, als dieser alles andere als selbstverständlich war. Was die griechisch-türkischen Konflikte bzw. die Beziehung zwischen Christen und Muslimen betrifft, existierten auf beiden Seiten tiefsitzende Vorurteile und schmerzvolle Wunden, aber Kazantzakis schaffte es in einem langen innerlichen Kampf, sich davon zu befreien. Das gilt auch für das Judentum. In der griechisch- orthodoxen (sowie in der katholischen und der evangelischen) Tradition existierten hartnäckige Vorurteile Juden und Jüdinnen gegenüber. Dieses negative Voreinge- nommen-Sein wurde auch von der Liturgie, insbesondere von den antijüdischen

von der Roten Armee brutal angegriffen wurde. Er hielt den Aggressionskrieg gegen Polen für ein Märchen, das ihn nicht berührte. 66 Vgl. Pavlos Tzermias, Nikos Kazantzakis’ Odyssee: Unbekannte Aspekte des geistigen Weg- es eines berühmten Kreters, Sedones 11 (Mähringen, 2008), passim. Siehe auch Tzermias’ Darstellung des Œuvres von Kazantzakis in seinem Buch Die neugriechische Literatur: Eine Orientierung, Uni-Taschenbücher 1456 (Tübingen, 1987), 130-141. 67 Vgl. Pavlos Tzermias, Nikos Kazantzakis’ Odyssee, 37-55. Siehe auch ders., Der Kreter Do- minikos Theotokopoulos genannt El Greco: Ein unbekannter Berühmter, Sedones 17 (Mäh- ringen, 2012), 20-21.

34 DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN

Gesängen während der Karwoche, bestätigt und vertieft.68 Auch in dieser Hinsicht gelang es Kazantzakis, diese erheblichen und belastenden Engführungen zu über- winden und sich leidenschaftlich für die Einheit der gesamten Menschheit einzuset- zen.

KOMMUNISMUS UND BUDDHISMUS

Kazantzakis war auch von dem kommunistischen Aktivismus, der Oktoberrevo- lution (1917), dem ‚Heldentum‘ des russischen Volkes und der Persönlichkeit von Lenin (1870-1924) sehr beeindruckt. Er idealisierte Lenin als einen Mann der Aktion, als einen Held, bei dem richtiges Denken mit Handeln für die gute Sache einherging. Die Bilder von Feuer, Vernichtung und Hass in der Asketik erinnern nicht nur an das Buch der Apokalypse in der Bibel, sondern auch an die zu Hass und Gewalt aufrufenden Ansprachen Lenins und an die Zerstörungen der Oktoberrevolution und den russischen Bürgerkrieg zwischen den ‚Roten‘ und den ‚Weißen‘. In seiner Idealisierung Lenins ging Kazantzakis so weit, dass er anfänglich die zunehmende Unterdrückung Andersdenkender und die staatliche Anwendung tödli- cher Gewalt ihnen gegenüber durch die Sowjetbehörden völlig übersah. Das Ziel – das Zustandebringen einer neuen gerechten Gesellschaft und auf diese Weise die Schaffung und Rettung Gottes – heiligte die Mittel, einschließlich exzessiver Ge- waltanwendung. Es fällt auf, wie sehr Kazantzakis in dieser seiner Lebensphase brutalen und grausamen Vorfällen in der Sowjetunion gegenüber gleichgültig und amoralisch bleibt. Mit dem amerikanischen Philosophen James Lea bin ich der An- sicht, dass Kazantzakis in dieser Hinsicht nicht seinem eigenen Freiheitsideal ent- spricht, sondern dogmatisch und konformistisch agiert. Wie wir gleich sehen wer- den, hat er später seine Meinung über die Sowjetunion geändert. Der spätere Ka- zantzakis wird an erster Stelle Geistesfreiheit und zwischenmenschliche Solidarität als Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben hervorheben und unnötiger Gewalt kritisch gegenüberstehen.69 In der Asketik finden sich sowohl der Pol von Freiheit, die mit Verantwortung und Solidarität einhergeht, als auch ein Pol von harter Gewalt, ‚plündere und töte, wenn es sein muss‘ und Ähnlichem. In Berlin pflegte der Mann und Sinnsucher Kazantzakis intensive Kontakte zu einer polnischen jüdischen Kommunistin, Rahel Lipstein (1899-1978), und ihrer Gruppe von gleichgesinnten Frauen.70 Sie begeisterten ihn und die Asketik stellt höchstwahrscheinlich auch eine Reaktion auf die Gespräche mit diesen Frauen dar.

68 Siehe für eine einschlägige Übersicht und kritische Besprechung meinen Aufsatz ‚Anti- Judaism in the Present-Day Byzantine Liturgy‘, The Journal of Eastern Christian Studies 60 (2008) 369-387; auch publiziert in: Heretics and Heresies in the Ancient Church and in Eas- tern Christianity: Studies in Honour of Adelbert Davids, Hg. Joseph Verheyden und Herman Teule, Eastern Christian Studies 10 (Löwen, 2011), 369-387. 69 Vgl. James F. Lea, Kazantzakis: The Politics of Salvation, with a Foreword by Helen Ka- zantzakis (Tuscaloosa AL, 1979), 35-60. 70 Für ein Foto dieser ‚Feuerkreis‘ genannten Frauengruppe siehe: Νίκος Καζαντζάκης: Πορεία προς την αιωνιότητα, Hg. Giorgos Anemogiannis (Heraklion, o.J.), 32; Museum Nikos Ka-

DIE ASKETIK BEEINFLUSSENDE FAKTOREN 35

Gleichzeitig fühlte Kazantzakis sich jedoch vom vermeintlichen ‚Gegenteil‘ des aktiven und messianischen Kommunismus, nämlich von der buddhistischen Erge- benheit, der Betonung des ‚Nichts‘ und (paradoxerweise) der koordinierenden Rolle des menschlichen Verstandes angezogen. Er hielt sowohl den ‚aktiven‘ Kommu- nismus als auch den ‚passiven‘ Buddhismus für notwendig und versuchte, diese beiden Weltanschauungen miteinander zu versöhnen. Die vermeintlich ‚duldsame‘, ‚tatenlose‘ und in Bezug auf die konkrete Alltagswelt‚gleichgültige‘ Buddhagestalt hatte ihn sehr angeregt und spielte auch bei seinem Wiener- und Berlineraufenthalt eine maßgebliche Rolle. Ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre jedoch veränderte sich seine Meinung über den Kommunismus in dessen russischer Gestalt immer mehr von grenzenloser Begeisterung zu Distanz und Skepsis. Er prangerte den Sowjetkommunismus an, weil er meinte, dass er deterministisch, zu materialistisch, zu rationalistisch gewor- den war, und er plädierte für einen Metakommunismus. Bei der Publikation seiner Asketik im Jahr 1927 sprach er in einer Art Klarstellung (vor dem eigentlichen Text) von der ‚engen, überholten, materialistischen Auffassung der Kommunistischen Idee‘. In dieser Überschrift nannte er seine Asketik einen ‚lyrischen Versuch und Schrei eines metakommunistischen Credos‘.71 Vor allem aufgrund seiner zuneh- menden Kritik am russischen Kommunismus und auch weil sein Interesse für den Buddhismus sich vertiefte, erweiterte er 1928 in Bikovo / Bekovo (unweit von Moskau) die Passage über das Schweigen am Ende der Asketik erheblich und mach- te daraus ein Sonderkapitel. Doch spielen auch dort die christliche Askese und ihre Betonung des Schweigens wiederum eine wichtige Rolle.72 Die grundlegende Veränderung des Schlusses der Asketik, insbesondere der drei Seligpreisungen, wird umso deutlicher, wenn wir uns das ursprüngliche Ende an- schauen. Vor der Revision lauteten die Seligpreisungen wie folgt: ‚Selig sind diejenigen, die zuhören, denn sie werden kämpfend gerettet werden. Selig sind diejenigen, die gerettet werden, weil sie Gott schöpfend befreien. Selig sind diejenigen, die auf ihren Schultern die Höchste Verantwortung tragen.‘73 Das neue Ende ist ‚mystischer‘ und stellt eine Kombination von kataphatischen und apophatischen Einsichten in Bezug auf die Gott-Mensch-Beziehung dar. Unten werde ich auf diese Begriffe und die Seligpreisungen der Asketik zurückkommen.

zantzakis, Kazantzakis in den Sammlungen des Museums (Heraklion, o.J.), 49. Siehe über die ‚Feuerkreis‘-Gruppe auch Kazantzakis’ Beschreibungen in Toda Raba, 37-53 und Ἀναφορά στόν Γκρέκο, 353-388. 71 Ich konnte diesen Text im September 2014 im Kazantzakis-Museum studieren. Siehe auch Eleni Kazantzaki, Νίκος Καζαντζάκης: Ὁ Ἀσυμβίβαστος, 196; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 244-245. 72 Vgl. Matsoukas, Ἡ ἑλληνικὴ παράδοση στὸ Νίκο Καζαντζάκη, 56-57. 73 Der ursprüngliche Schlusstext der Asketik findet sich in: Prevelakis, Ὁ Καζαντζάκης: Σχεδίασμα ἐσωτερικῆς βιογραφίας, L-LI. Diesen Text findet man auch in einer am Beginn der 1950er Jahre vom Französischen Institut in Athen besorgten Ausgabe: Nikos Kazantza- kis, ’Ασκητική: Salvatores Dei, Vorw. Octave Merlier (Athen, z.J.), 112. Siehe auch Kimon Friar, ‚Introduction‘, in: Kazantzakis, The Saviors of God, 1-40, hier 31-39; Bien, Three Generations of Greek Writers, 64-79; ders., Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 132- 143.

4. KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM

Obwohl Kazantzakis sich von vielen Weltanschauungen und philosophischen Strömungen beeinflussen ließ, spielten wie gesagt für den orthodox getauften Kreter mehrere Elemente des spirituellen Erben seiner Kirche sein Leben lang eine Schlüsselrolle, auch wenn er einige kirchliche Hauptlehren ablehnte und die von ihm beibehaltenen Elemente teilweise mit einem neuen Inhalt füllte. Trotz seiner Abneigung gegen die gängige kirchliche Dogmatik und Moral inte- ressierte er sich sehr für die ursprünglichen geistlichen Quellen des Christen- tums. Das gilt auch für die Gnosis, den Manichäismus und die Theosophie. Ins- besondere der manichäische Kampf zwischen Licht und Finsternis faszinierte ihn.74 Kazantzakis kannte die Hl. Schrift gut und verwendete auch gerne ‚Topoi‘, wie zum Beispiel ‚Exodus‘, ‚die Zehn Gebote‘‚ ‚lebendiges Wasser‘, ‚Kreuzigung‘ und ‚Auferstehung‘, auch wenn er diese seiner eigenen Theorie anpasste. ‚Gebet‘ zum Beispiel ist in der Asketik ‚weder das Jammern eines Bettlers noch ein Liebesbe- kenntnis [oder: eine erotische Beichte], noch die unterwürfige Abrechnung eines Kaufmännleins: ich gab Dir etwas, gib Du mir etwas‘, sondern ‚der Bericht und die Verantwortung eines Soldaten dem General gegenüber‘ über den Kampfverlauf und seinen eigenen Einsatz in der Schlacht.75 Der kretische Schriftsteller geht also in seinem Œuvre frei mit Bibeltexten um. Beispielsweise nimmt er in seinem Bühnen- stück Sodom und Gomorra den Genesistext (Gen. 19) als Ausgangspunkt, füllt ihn aber mit seinen eigenen Ideen. Auch Ausdrücke der nachbiblischen Tradition wurden von Kazantzakis gerne benutzt, aber wiederum mit einer anderen Bedeutung. Beispielsweise verwendete er den Begriff ‚Großmärtyrer‘ – ein Ehrentitel im byzantinischen Ritus für bedeutende Märtyrer (z.B. der hl. Dimitrios) – für einige Zeitgenoss/inn/en (z.B. Nietzsche), die den Weg emporgehen. Die liturgische Hymnologie und Ikonenkunst sowie das Genre der Heiligenviten waren Kazantzakis sehr vertraut und er benutzte sie oft als Quellen in seinen Ro- manen. Beispielsweise erscheint der hl. Menas / Minas, der Schutzheilige von Her- aklion, in Zeiten höchster Gefahr für seine Stadt auf seinem Pferd, um sie zu retten. Kazantzakis zitierte oft Teile orthodoxer Hymnen und Gebete bzw. Stoßgebete und verwendete gerne Ehrentitel der Mutter Gottes,76 die er dann nicht selten mit einem anderen, nicht traditionell christlichen Inhalt füllte. Beispielsweise spricht er im Glaubensbekenntnis am Ende der Asketik von der Lebenspendenden Quelle (siehe oben): das ist eine beliebte Marienbezeichnung, aber für Kazantzakis geht es hier um Gottes Kampf zur Vergeistlichung des Universums.

74 Vgl. Angela Kastrinaki, ‚Ο Καζαντζάκης Γνωστικός‘, in: Ο Καζαντζάκης στον 21ο αιώνα, Hg. Filippidis, 33-76. 75 Kazantzakis, ’Ασκητική, 73. 76 Vgl. die Übersicht in Detorakis, ‚Ὁ Καζαντζάκης καὶ τὸ Βυζάντιο‘.

38 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM

Des Weiteren kannte er die althergebrachte dreistufige mystische Treppe von Reinigung, Erleuchtung und Eins-Werdung mit der Gottheit, ‚Vergöttlichung‘ (θέωσις). Ebenso war er vertraut mit der apophatischen Theologie und mit der Be- tonung der Wachsamkeit, des Durchsetzungsvermögens, des geistigen und geistli- chen Wach-Bleibens (‚Nüchternheit‘, νῆψις)77 sowie mit dem inneren Kampf um die Rettung der Seele, also mit dem Kampf, den jeder Christ und jede Christin (Mönch/Nonne oder nicht) im Inneren führen muss. Es betrifft hier Elemente, die in der Philokalia (siehe unten) einen hohen Stellenwert haben und die Kazantzakis auch durch seine Klosterbesuche und sein Studium der monastischen Traktate sehr vertraut waren. Gemeinsam mit einem Freund, dem Dichter Angelos Sikelianos (1884-1951), verbrachte er vierzig Tage im November bis Dezember 1914 in den Athosklöstern, die sie fast alle besuchten. Er war nochmals auf Athos im November bis Dezember 1915 und im März bis April 1916.78 Einerseits war er von den eindrucksvollen li- turgischen Ritualen und Gesängen, den berühmten Ikonen und der bezaubernden Landschaft und der Askese und Frömmigkeit einiger Einsiedler beeindruckt. Er erfuhr Gottesnähe, ein weit strahlendes Licht und anfänglich dachte er, dass er seine wahre Natur gefunden hätte. Andererseits fand er seine Erfahrungen mit den Mön- chen auf dem Hl. Berg Athos insgesamt enttäuschend. Statt Askese, Absage an die weltlichen Genüsse und liebevoller Gemeinschaft nahm er in vielen Klöstern vor- nehmlich Wollust, Zankerei und irdische Gesinnung wahr. Zudem fand er das tradi- tionelle monastische Leben mit Zölibat und Vermeidung des anderen Geschlechtes, mit Gehorsamsgelübde und Betonung von Gebet, Fasten, Einsamkeit und gelegent- licher Selbstkasteiung versteinert und überholt. Seiner Meinung nach sollte man nicht gegen fleischliche Begierden kämpfen, sondern sie inkorporieren. Der Genuss von Speisen, Tanz, Sex stellten keine Sünden, sondern das Leben selbst dar. Die echten Sünden sind Erschlaffung, Konformismus, Selbstzufriedenheit und -gefällig- keit und vor allem das Überhören des ‚Schreis‘ und sein Leben nicht in den Dienst Gottes und der Wandlung der Materie zu stellen. Schon damals auf Athos träumte er gemeinsam mit seinem Reisegefährten da- von, die asketische Lebensform zu reformieren, einen ‚neuen Dekalog‘ zu entwer- fen und eine neue Religion zu gründen. Später schwebte ihm vor, in einem aufge- lassenen alten Kloster am Fuß des Ymmitos-Berges nahe Athen eine ‚utopische‘

77 Vgl. Sergej Sergeevič Choružij, ‚Nüchternheit (orthodox)‘, in: Handwörterbuch Theologi- sche Anthropologie, Römisch-katholisch – Russisch-orthodox: Eine Gegenüberstellung, Hg. Bertram Stubenrauch und Erzpriester Andrej Lorgus (Freiburg im Breisgau, 2013), 457-463; Rudolf Prokschi, ‚Nüchternheit (katholisch)‘, in: ebd., 456-457. Siehe auch eine Studie über diesen wichtigen Begriff im Werk eines bedeutenden griechischen Kirchenvaters in der zwei- ten Hälfte des vierten und im Beginn des fünften Jahrhunderts: Maksimilijan Žitnik, ΝΗΨΙΣ: Christliche Nüchternheit nach Johannes Chrysostomus, Orientalia Christiana Analecta 290 (Rom, 2011). 78 Vgl. Kazantzakis, Ἀναφορά στόν Γκρέκο, 188-235; ders., Σκίτσα από το Άγιον Όρος, Übers. aus dem Französischen Elissabet I. Anemogianni (Varvari/Myrtia, 2001; in Messager d’Athènes erschienene Originalversion 1914-1915); Eleni Kazantzaki, Νίκος Καζαντζάκης: Ὁ Ἀσυμβίβαστος, 67-71; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 60-61 (Brief an Ioannis Zervos); Stefanakis, Ἀναφορά στόν Καζαντζάκη, 66-82. Siehe auch den mit Frag- menten von und Überlegungen zu Kazantzakis gespickten spirituellen Athos-Reisebericht ei- nes deutschen evangelischen Theologen: Ulrich Kadelbach, Mit Kazantzakis auf den Athos: Kretische Spuren, Sedones 8 (Mähringen, 2006).

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 39

Gemeinschaft, eine ‚spirituelle Werkstätte‘ zu gründen. Er konnte diesen Traum jedoch nicht verwirklichen. (Heutzutage ist dieses Kloster wieder aktiv und es lebt dort eine weibliche orthodoxe Kommunität.)79 Mit seinem Versuch der Gründung einer ‚utopischen Kommunität‘ stand der kretische Schriftsteller in der Weltliteratur übrigens nicht allein, weil auch andere Autoren dies versucht haben. Ich nenne hier bloß den amerikanischen Literaten Henry David Thoreau (1817-1862) und den nie- derländischen Frederik van Eeden (1860-1932), die beide mit ihrer ‚Walden‘-Kolo- nie experimentierten. Auch besuchte er viele andere Klöster, beispielsweise 1927 zwei Wochen das Katharinenkloster am Sinaiberg. In diesem Zusammenhang muss auch auf die Schulzeit des jungen Nikos Kazantzakis auf der Insel Naxos hingewiesen werden, als er in einem katholischen Internat wohnte und dort das Kommunitätsleben der Franziskaner-Patres beobachten konnte. Ich vermute, dass die katholische monasti- sche Disziplin, der straffe Rhythmus des Alltags und die Ordnung der Gottesdienste ihm am meisten beigeblieben sind und seine eigene spätere asketische und diszipli- nierte Lebensweise mitgeprägt haben. Anscheinend fühlte er sich damals vom Ka- tholizismus angezogen und überlegte sogar zu konvertieren, in Rom weiter zu stu- dieren und in der kirchlichen Hierarchie aufzusteigen (bis zum Papstamt!).80

BYZANTINISCHE MYSTIK

Außerdem studierte Kazantzakis die Apokryphen (vor allem die nicht-kanoni- schen Evangelien) sowie die Schriften und Traktate einiger großer byzantini- scher Mystiker, insbesondere die von Maximus dem Bekenner (ca. 580-662), Gregor von Nyssa (331/340 – ca. 395), Pseudo-Dionysius dem Areopagit (ca. 500), Symeon dem Neuen Theologen (949-1022) und dessen Lichtmystik sowie Nikolaos Kabasilas (1322-1392) und dessen Das Buch vom Leben in Christus. Die Beschreibung des Aufganges und des Marsches in der Asketik erinnert auch an die geistliche monastische Schrift Treppe zum Paradies des Johannes Klima- kos (ca. 600). Kazantzakis zitiert diese Kirchenväter mehrmals in seinen Wer- ken, meistens ohne sie namentlich zu nennen, sondern mit einführenden Worten wie ‚dieses Wort eines sehr geliebten byzantinischen Mystikers‘ (über Kaba- silas) oder ‚ein byzantinischer Mystiker sagte einmal‘. Des Weiteren rufen die Seufzer unseres Autors ‚ich passe nicht in diese Welt‘, ‚ich ersticke‘ und ,diese Entzückung/Ekstase kann nicht mit Worten beschrieben werden‘ Grunderfah- rungen der christlichen Mystik ins Gedächtnis, beispielsweise die der südnieder- ländischen Mystikerin Hadewijch (wahrscheinlich erste Hälfte des 13. Jh.) zu- geschriebene Verszeile ‚Alle dinghe sijn mi te inghe‘ (‚Alle Sachen sind mir zu

79 Vgl. Δίπτυχα τῆς Ἐκκλησίας τῆς Ἑλλάδος: Κανονάριον – ἐπετηρὶς 2012 (Athen, o.J.), 693. Das dem hl. Johannes dem Täufer gewidmete Kloster heißt im Volksmund ‚Johannes der Jä- ger‘ (κυνηγός). Sagte dieser Name dem ‚Gottesjäger‘ Kazantzakis zu? 80 Vgl. Elli Alexiou, Γιά νά γίνει μεγάλος: Βιογραφία τοῦ Νίκου Καζαντζάκη (Athen, 31981, Erstausgabe 1966), 86.

40 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM eng‘…‚mir ist so eng, so eng‘).81 Kazantzakis studierte nicht nur die byzantini- sche Mystik, sondern auch westkirchliche Mystiker und Theologen, wie z.B. Augustinus (354-430), Thérèse von Lisieux (1873-1897) und ihr L’histoire d’une âme, Jakob Böhme (1575-1624) und Paul Tillich (1886-1965). Bekanntlich betonen das griechisch-orthodoxe Mönchtum und seine Mystik ein Leben in Askese, Besinnung und Teilnahme an der gemeinschaftlichen Liturgie. Die Mönche und Nonnen beten darum, dass sie durch innere Reinigung und Phasen der Erleuchtung der ‚vergottenden‘ Gnade des Herrn Jesus Christus teilhaft werden. Im Hesychasmus – einer monastischen Form der Meditation und Mystik, um zur Reinigung, Erleuchtung und Einheit mit Gott zu gelangen; vom griechischen Wort ἡσυχία (Ruhe, Seelenfriede, hier sogar Gottversenkung) – konzentrieren sich jene, die diese Form üben, auf den Atem, das Herz und die ständige Wiederholung des ‚Herzensgebets‘, das auch ‚Jesusgebet‘ genannt wird. Eine vielerorts übliche For- mel dieses Gebets lautet: ‚Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner‘. In einigen Klöstern kann man beobachten, dass Mönche und Nonnen anhand einer Knotenschnur dieses Gebet auch während der Gottesdienste murmeln. Für sie för- dert es die Wachsamkeit, Selbsterkenntnis und Ausdauer sowie den ständigen Kampf mit den zahllosen störenden Gedanken und Leidenschaften. Wenn Gott es gewährt, wird die betende Person nicht länger von den Leidenschaften beherrscht (ἀπάθεια), muss sich nicht länger für vom Wesentlichen ablenkende Anliegen und Affekte einsetzen (ἀπροσπάθεια), sondern wird mit der Gottheit vereint, exempla- risch indem er/sie das nicht-geschaffene Taborlicht, das einst die Apostel sahen, sieht (vgl. Mt. 17, 1-8; Mk. 9,2-8; Lk. 9, 28-36). Er/sie wird ohne innere Verwir- rung (ἀταραξία) und furchtlos (ἀφοβία), in gewisser Weise jenseits des Guten und Bösen, leben.82

81 Vgl. die in Anm. 37 angeführte Buchbesprechung von De Boel, hier 178; Corona Bamberg, Askese: Faszination und Zumutung (St. Ottilien, 2008), 96-97. 82 Vgl. Tomáš Špidlík, La spiritualité de l’Orient chrétien, Bd. I-II, Orientalia Christiana Ana- lecta 206 und 230 (Rom, 1978 und 1988); Kallistos Ware, The Power of the Name: The Jesus Prayer in Orthodox Spirituality, Fairacres Publication 43 (Oxford, 21986); ders. und Emma- nuel Jungclaussen, Hinführung zum Herzensgebet (Freiburg im Breisgau, 2006, Erstausgabe 1982); Martin Tamcke, Achtsamkeit in jedem Atemzug: Einführung in die ostkirchliche Spiri- tualität, Topos Taschenbücher 616 (Kevelaer, 22015); Placide Deseille, La spiritualité ortho- doxe et la Philocalie (Paris, 1997); Antonius J. van der Aalst, ‚Het palamisme: Geschiedenis en methode‘, Het Christelijk Oosten 30 (1978) 175-196; 31 (1979) 20-41; ders., ‚Mystiek in het oosters christendom‘, in: Encyclopedie van de mystiek: Fundamenten, tradities en per- spectieven, Hg. Joris Baers, Gerrit Brinkman, Auke Jelsma und Otger Steggink (Kampen und Tielt, 2003), 539-584; Nikodimos Skrettas, Ἡ νοερὰ προσευχὴ: Ἔκφραση ἀληθοῦς λατρείας Θεοῦ μετὰ συναγωγῆς κειμένων παλαιῶν καὶ νέων Γερόντων, Κανονικὰ καὶ Λειτουργικὰ 2 (Thessaloniki, 2006); Grigorios Larentzakis, Die orthodoxe Kirche: Ihr Leben und ihr Glaube, orientalia-patristica-oecumenica 4 (Wien und Berlin, 32012), 41-52; Daniel Mun- teanu, Theologie der Koinonia: Ökumenische Einführung in die Orthodoxe Theologie und Spiritualität (Borsdorf, 2013), 177-200. Viele wichtige Beiträge finden sich auch in: Hand- wörterbuch Theologische Anthropologie, Hg. Stubenrauch und Lorgus. Siehe auch Michael Kunzler, ‚Der Beitrag der orthodoxen Theologie auf der Suche nach einem tragfähigen Sym- bolbegriff‘, in: Per ritus et preces: Sacramentalità della liturgia – Atti Congresso Internazi- onale di Liturgia, Roma, Pontificio Istituto Liturgico, 16-18 Maggio 2007, Hg. Pietro Angelo Muroni, Studia Anselmiana 150 – Analecta Liturgica 28 (Rom, 2010), 181-220, hier 194- 220. Über den wesentlichen Zusammenhang zwischen der Liturgie, dem geistlichen Leben und der Theologie in der orthodoxen Tradition siehe auch: Karl Christian Felmy, Einführung in die orthodoxe Theologie der Gegenwart, Lehr- und Studienbücher zur Theologie 5 (Ber- lin, 32014).

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 41

Wie in anderen Bereichen des byzantinischen Ritus spielt auch hier die trinitari- sche Dimension oft eine wichtige Rolle: Wie Gott Vater Erbarmen zeigt und die Menschheit in seinem Sohn durch den Heiligen Geist liebevoll besucht und an- nimmt, so kann jede/r mit einem für Erlösung aufgeschlossenen Herzen vom Hl. Geist ‚erleuchtet‘ werden, durch den Sohn ‚aufsteigen‘ und zum Vater ‚zurückkeh- ren‘. Die griechisch-byzantinische Theologie spricht hier nicht als eine autonome, bloß akademische Disziplin, sondern als eine in der Regel eng mit der asketischen Spiritualität und der Liturgie verbundene ‚geistliche Übung‘. Die echten Theo- log/inn/en streben nicht primär nach intellektueller Gotteserkenntnis, sondern sind im Gebet und in wahrer Kenntnis (γνῶσις), d.h. echter Gotteserfahrung, verwurzelt. Laut dem Palamismus – der von Gregor Palamas (1296-1359) entwickelten theo- logischen Lehre – und dessen Anhängern übersteigt das unfassbare Wesen von Gott Vater zwar jedes menschliche Begriffsniveau, aber Menschen, die den hesychasti- schen spirituellen Weg gehen und mit offenem Herzen an der Liturgie teilnehmen, können die göttlichen Energien erfahren. Gottes nicht-geschaffenes Wesen ist der Erkenntnis nicht zugänglich, aber jede/r Gläubige kann Gottes Energien erkennen, obwohl auch die nicht-geschaffen sind. Die Erfahrung des Taborlichtes, das vom Vater hervorgeht und den Sohn umhüllt, geschieht im Heiligen Geist, der in den Herzen der Gläubigen verweilt und sie in die volle Wahrheit hineinführt und sie durch Jesus Christ dem Vater ‚zurückgibt‘. Vom Hesychasmus angeregt gab der gelehrte Athosmönch Nikodimos (1749- 1809) gemeinsam mit Makarios von Korinth (1731-1805) eine Sammlung alter geistlicher Traktate über Gebet, Askese, geistige Wachsamkeit und ‚Nüchternheit‘ sowie Gotteserfahrung heraus. Diese Sammlung heißt Liebe der heiligen nüchter- nen Väter zur Schönheit und wird meistens in Kurzform Philokalia genannt.83 Sie wurde 1782 in Venedig publiziert und ist danach mehrmals revidiert worden. Das Werk der beiden später von ihrer Kirche Heiliggesprochenen ist in viele andere Sprachen übertragen worden, nicht nur ins Kirchenslawische – mit dem bekannten Kurztitel Dobrotoljublje (Добротолюбие, wiederum Liebe zur Schönheit oder auch Tugendliebe) –, sondern auch ins Russische, Englische, Deutsche, Französi- sche und andere moderne Sprachen.84 Zweifelsohne handelt es sich um das spiritu- elle Hauptwerk des griechischen, rumänischen und slawischen orthodoxen Mönch- tums. Die Übersetzungen der Philokalia sind nicht immer wörtlich. Die kirchenslawi- sche Version zum Beispiel lässt einige griechische Traktate aus, fügt andere hinzu und verändert die Reihenfolge der Texte der griechischen Ausgabe, dies des besse- ren Verständnisses der slawischen Leser/innen halber. Im Russland des neunzehn- ten Jahrhunderts, insbesondere in der Starzen-Bewegung, übte die Dobrotoljublje einen großen Einfluss aus. Starzen sind meistens ältere erfahrene Mönche, die als

83 Vgl. Φιλοκαλία τῶν ἱερῶν νηπτικῶν πατέρων (Athen, 1957-1963). Nikodimos verfasste auch eine eigene Schrift über den inneren Weg von Reinigung und Kontemplation: Συμβουλευτικὸν Ἐγχειρίδιον ἤτοι περὶ φυλακῆς τῶν πέντε αἰσθήσεων, τῆς φαντασίας καὶ τοῦ νοὸς καὶ τῆς καρδίας (Volos, 51983, Erstausgabe: Wien, 1801). 84 Vgl. Philokalia der heiligen Väter der Nüchternheit, Bd. 1-5 (Würzburg, 22007). Englische Übertragungen sind: The Philokalia: The Complete Text, Bd. 1-4, Hg. und Übers. G. E. H. Palmer, Philip Sherrard und Kallistos Ware (London, 1979, 1982, 1986, 1999; hoffentlich wird Bd. 5 noch kommen); The Philokalia, Bd. 1-2, Hg. und Übers. Constantine Cavarnos (Belmont MA, 2008 und 2009).

42 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM geistliche Väter für andere Mönche, für Nonnen und Besucher/innen agieren. Meh- rere prominente russische Schriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts wurden tief- gehend von ihnen beeinflusst. Fedor Dostojevski, zum Beispiel, wurde vom Starez Amvrosij Grenkov (1812-1891) im Optina-Pustyn’-Kloster geistlich betreut. Er ‚verewigte‘ ihn als den geistlichen Altvater Zosima in seinem Roman Die Brüder Karamazov.85 Der große Einfluss der Philokalia und der hesychastischen Bewe- gung in Russland kommt auch zum Ausdruck in einer in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts verfassten beliebten Geschichte über einen russischen Pilger und seine spirituellen Abenteuer, wobei das Herzensgebet und die Philokalia ihm immer wieder Halt geben.86 Wahrscheinlich gibt es Zusammenhänge zwischen dem christlichen Hesychas- mus – insbesondere dessen ostsyrischen Formen – und den meditativen Praktiken des Islams (Sufis) und Indiens. Auch heutzutage untersuchen Forscher/innen, um welche Zusammenhänge es sich dabei handeln und welche gegenseitigen Einflüsse es geben könnte. Vieles ist ‚im Fluss‘.

‚POSTCHRISTENTUM‘

Allerdings füllt Kazantzakis, wie wir bereits oben sahen, seinen mystischen Marsch und seine Askese mit einem anderen Inhalt. Wachsamkeit, Selbster- kenntnis, Durchhaltevermögen, Kampf, ‚Nüchternheit‘, längeres Schweigen und die Rettung der Seele sind zwar auch für ihn fundamentale Kategorien. Dem monastischen Widerstand gegen die ‚Lustlosigkeit‘ bzw. ‚Verzagtheit‘ (ἀκηδία) ist unser Autor, der sein Leben lang gegen Mattigkeit kämpft, sehr zugetan. Wie im traditionellen Christentum, laut welchem der Mensch frei ist, entweder den breiten einfachen Weg oder den schmalen schwierigen Weg, entweder das Gute oder das Böse zu wählen, sollten auch laut Kazantzakis die Menschen zwischen dem aufsteigenden und dem absteigenden Weg wählen und er ruft sie auf, em- porzusteigen.87 Doch bleiben ihm monastische Weltentsagung, Verleugnung des Fleisches, Erwartung des ewigen Lebens und des ‚Siegeskranzes‘ im Jenseits als Belohnung für die asketischen ‚Heldentaten‘ im irdischen Leben fremd. Das gilt auch für die Angst vor dem Jüngsten Gericht und den furchtbaren Höllen- strafen wegen der auf der Erde begangenen Sünden. Er ist davon überzeugt, dass der Tod das absolute Ende der menschlichen Existenz ist: ein grausames, trostloses, aber wahres Schicksal. Das Wesen Gottes ist Kampf. In der Asketik steht letzteres Wort sogar in Majus- keln (ΑΓΩΝΑΣ).88 Unsere Existenz besteht daraus, dass wir ständig Schlachten füh-

85 Vgl. Tomasz Iwandowski, Zosima als literarisches Beispiel eines Starez bei F.M. Dostojew- skij, Diplomarbeit Universität Wien (Wien, 2011). 86 Vgl. Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers: Die vollständige Ausgabe, Hg. Em- manuel Jungclaussen (Freiburg, 1993); The Pilgrim’s Tale, Hg. Aleksei Pentkovsky, Übers. T. Alan Smith, Vorwort Jaroslav Pelican, Classics of Western Spirituality 90 (Mahwah NJ, 1999). 87 Vgl. Lea, Kazantzakis, 123-136. 88 Kazantzakis, ’Ασκητική, 58.

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 43 ren müssen. Das würden auch viele Mönche und Nonnen so sehen. Der Unterschied zu ihnen liegt darin, dass laut Kazantzakis die endgültige Abrechnung nicht erst im Jenseits, sondern im Hier und Jetzt geschieht. Auch die tägliche Schriftlesung, Teil- nahme an der Stundenliturgie, Kommunionempfang und das häufige Küssen von Ikonen und Anzünden von Kerzen sowie das Herzensgebet spielen im Alltagsleben des erwachsenen Kazantzakis keine Rolle. Sünde, Buße, Tugendhaftigkeit, Kon- templation und der Kampf mit den Leidenschaften und schlechten Gedanken be- kommen von ihm einen anderen Inhalt. Religion darf nicht versklaven und die Gläubigen einem ‚Herrgott‘ unterwerfen, sondern soll sie freimachen und sie auf Augenhöhe mit der Gottheit umgehen lassen. Darum ist die kirchliche Hierarchie von Bischöfen und Priestern im Grunde überflüssig. Man braucht sie nicht, um ‚Gnade‘ zu vermitteln, weil jeder Mensch, der sich für die Verwandlung der Mate- rie in Geist einsetzt, einen hohepriesterlichen Dienst verrichtet. Anders als der vierzigjährige Kazantzakis in der Asketik noch darlegt (‚Der Mensch soll Gott retten‘), schreibt er interessanterweise als Einundsiebzigjähriger: ‚Ich bin durch drei große theologische Phasen gegangen: 1) O Gott, Du wirst mich retten. 2) O Gott, ich werde Dich retten. 3) O Gott, wenn wir zusammenarbeiten, werden wir beide gerettet werden.‘89 Diese Aussage zeigt einerseits eine gewisse Entwicklung im Gottesbild von Ka- zantzakis: vom traditionell-christlichen Gott, der den Menschen erlöst, über den verantwortungsvollen Menschen, der Gott erlöst, bis zur Kooperation der beiden im Erlösungsvorgang. Andererseits darf man eine solche Aussage nicht überbewerten, weil erstens der Schriftsteller kein systematischer Theologe ist und er zweitens auch später seiner allgemeinen ‚Rettet Gott!‘-Linie durchaus treu geblieben ist. Daher stellt die dritte Phase keinen Gegensatz zur zweiten, höchstens eine gewisse Ab- schwächung dar. Unser Autor vertritt also nicht nur einen Postkommunismus, sondern auch ein Postchristentum. Oder darf man nicht eher sagen: ein post-traditionelles Christen- tum, eine liberale Orthodoxie? Jedenfalls möchte Kazantzakis sowohl den ‚real existierenden Sozialismus‘ als auch das traditionelle christliche Mönchtum, das Christentum an sich hinter sich lassen. Letzteres betrifft nicht nur das ostkirchliche orthodoxe Christentum, sondern auch das römisch-katholische und das protestanti- sche Christentum; es gilt auch für den Islam, die jüdische Religion, den Hinduismus und andere Religionen. Auch wenn sie dem kretischen Schriftsteller teilweise noch lebendig und vital erschienen und einige ihrer Elemente nicht nur in seinem literari- schen Œuvre, sondern auch in seinem Privatleben eine bedeutende Rolle spielten, hielt er all diese Religionen für zwar notwendige, dennoch ‚nur‘ vorübergehende, flüchtige von Gott aufgesetzte Masken, um dem materiellen Sumpf seinen Stempel aufzudrücken, sein Angesicht darauf einzuprägen und danach weiterzuziehen. Kazantzakis war schon als junger Bursche sehr lernbegierig. Er las viel, auch moderne, nicht-griechische Literatur und Philosophie, hörte westliche Musik und diskutierte mit anderen Interessierten darüber. Dagegen waren viele orthodoxe Kle- riker und Religionslehrer, was Bildung betrifft, eher zurückgeblieben. Der bereits genannte Schuldirektor Christos Androutsos stellte wahrscheinlich eine Ausnahme

89 The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 757 (Brief an Emmanuel Papastefanou).

44 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM dar. Was konnte der junge Nikos von seiner Kirche, abgesehen von der Liturgie, religiösen Volkskultur und traditionellen Spiritualität und vielleicht vom Androu- tsos’ Unterricht, im Bereich der Bildung und Aufklärung über neue kulturelle und wissenschaftliche Entwicklungen erwarten?! Mir scheint es, dass auch dieser Gra- ben zur Distanzierung des lerneifrigen und für zeitgemäße Bildung aufgeschlosse- nen jungen Mannes von der Kirche seiner Jugend und zu seiner Meinung, dass die Kirche eine überholte Einrichtung ist, erheblich beigetragen hat. Allerdings hat Kazantzakis die positive Rolle, welche die etablierten Religions- gemeinschaften für viele Menschen spielen können, unterschätzt. Kirchen und an- dere Glaubensgemeinschaften dienen oft als soziales Fang- und Schutznetz und als ‚Leim‘, der Menschen miteinander verbindet (und sie gleichzeitig von anderen un- terscheidet). Das Brauchtum und die Gottesdienste unterschiedlicher Religions- gruppierungen vermitteln nicht nur Kenntnisse, Lebensorientierung und Transzen- denz, sondern auch Geborgenheit und Zusammengehörigkeit. Der Glaube an Gott als Heiland und Retter trägt nicht nur zum Schaffen hoher Kunst (Musik, Architek- tur, bildende Kunst usw.) bei, sondern vermittelt auch Schutz. Kazantzakis hat diese grundlegenden Funktionen von Religion zwar gespürt, aber er hat ihre Bedeutung für viele Menschen nicht ernst genug genommen. Er unterschätzte ihr Bedürfnis nach religiöser Zugehörigkeit und nach Ritualen – auch in Griechenland, wo Reli- giosität und das orthodoxe Christentum einen hohen Stellenwert haben. Seine Ent- täuschung und Bitterkeit darüber, dass viele traditionelle Gläubige ihn ablehnen, hat nicht nur mit ihrer angeblichen ‚Engstirnigkeit‘, sondern auch mit seiner eigenen Fehleinschätzung zu tun, nämlich mit seiner Unterschätzung des menschlichen Be- dürfnisses nach Geborgenheit und Gemeinsamkeit, dem die institutionalisierte Re- ligion entgegenkommt. Einerseits lehnte Kazantzakis traditionelle Dogmen und Lehren ab, andererseits setzte er sich sein Leben lang mit der Person von Jesus Christus auseinander und war von dessen Wirken tief gerührt und beeindruckt. In vielen seiner Schriften spielt Jesus eine wichtige oder sogar die Hauptrolle.90 Trotzdem ist er für ihn weder der eingeborene Sohn Gottes noch die zweite Person der Hl. Dreifaltigkeit, sondern der Held, der den emporgehenden Weg wählte, bis zum Äußersten mit Gott rang und sterben musste, um Gemeinschaft und Solidarität zu stiften. Laut Kazantzakis ist jeder Mensch, der sich für die Rettung der eigenen Seele und der Welt, also für die Rettung Gottes einsetzt, ein Menschensohn. Wie Kazantzakis betont auch das ‚traditionelle‘ Christentum den sehr hohen Stellenwert von Freiheit. Allerdings ist es im christlich-theologischen Sinne Jesus Christus, der freimacht. Durch die Nachfolge seiner Person und seiner Frohbot- schaft, durch den Glauben an ihn werden diejenigen, die auf ihn hören, sowohl von Sünde als auch von verinnerlichten Zwangsregulierungen befreit. Der Apostel Pau- lus erläutert wiederholt, insbesondere im Galaterbrief, wie radikal diese Freiheit ist. Doch ist der grundlegende Unterschied zu Kazantzakis, dass Letzterer die einzigar- tige Mittlerschaft Christi ablehnt. Menschen sind frei, wenn sie kämpfen und auf- steigen. Jesus kann sie dazu anregen, aber der Freiheitskampf ist ihre eigene Ver-

90 Vgl. Peter Bien, ‚Kazantzakis’s Long Apprenticeship to Christian Themes‘, in: God’s Strug- gler, Hg. Middleton und Bien, 113-131.

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 45 antwortung. Sie brauchen Jesus nicht unbedingt, obwohl er sehr nützlich ist; prinzi- piell können sie auch ohne ihn auskommen. Der Gott von Kazantzakis ist kein allmächtiger, allwissender, allgütiger und lie- bevoller Vater.91 Unser Schriftsteller ist der Meinung, dass das Dogma der Trinität Gottes einmal nützlich gewesen, aber heutzutage überholt ist. Laut dem Apostel Paulus basiert der Glaube an die Auferstehung der Toten auf der Auferstehung Christi (siehe z.B. 1 Kor. 15). Allerdings lehnt Kazantzakis wie gesagt diese grund- legende Überzeugung des Christentums sowie das Jüngste Gericht, das Jenseits und die Möglichkeit des ewigen Lebens für jede Person ab. Weder hofft er auf den Himmel noch fürchtet er die Hölle. Es geht um das Hier und Jetzt. Das Jüngste Ge- richt geschieht im heutigen Handeln der Menschen und nach dem Tod werden sie mit der Erde wiedervereinigt.92 Es gibt also kein Ende der Zeiten, keinen ‚Tag des Herrn‘, an dem die Toten aus den Gräbern auferstehen werden und der Herrgott alle richten wird. Alles geht immer weiter, idealiter ständig empor, im schlimmsten Fall hinunter (oder – ebenfalls eine schlechte Option – es bewegt sich gar nichts). Jede These ruft eine Antithese hervor. Es folgt die Synthese, aber diese ist bloß der Be- ginn einer neuen These, die wiederum eine Antithese und eine Synthese braucht und so weiter. Auch die Kreuzigung und die Auferstehung Christi sind nicht einma- lig, weil diese Ereignisse allen Menschen und Völkern passieren können. Ein Ende ist nur vorläufig, ein Neuanfang im Kampf ist immer wieder möglich. Das einzige vollkommene Ende ist der physische Tod des Einzelnen. Das Grab macht laut Ka- zantzakis alles zunichte. Die Dreierzahl stellte für unseren Autor den Inbegriff von Offenheit und neuen Horizonten dar. Sie war seine Lieblingszahl, die seiner Meinung nach immer wie- der einen Neuanfang ermöglichte. Auch in der Asketik spielt die Dreiheit eine wich- tige Rolle: am Beginn der Schrift gibt es drei Pflichten; das Handeln besteht aus drei Beziehungsgeflechten (Gott-Mensch, Mensch-Mensch und Mensch-Natur); und am Ende liest man drei Seligpreisungen. Dabei darf man wohl auch an den ho- hen Stellenwert denken, den diese Zahl in der christlichen Tradition einnimmt, ins- besondere in Bezug auf den ‚dritten Tag‘ der Auferstehung von Jesus Christus, das trinitarische Gottesbild der Hl. Dreifaltigkeit und einige wichtige Sätze aus Gebe- ten, Segnungen und Gesängen, die dreimal vorgetragen werden, bzw. mehrere be- deutsame dreimalige liturgische Symbolhandlungen. Im dritten Kapitel der Asketik (‚Die Vision‘) wird die ewig aufsteigende Spirale von Schmerz, Freude und Hoff- nung, nämlich der aus drei Personen bestehende Kampf (τρισυπόστατον ἀγώνα) er- wähnt.93 Kazantzakis benutzt hier einen wichtigen Begriff der christlichen Trinitäts- theologie, laut der das Wesen des einen Gottes aus drei ‚Personen‘ (ὑποστάσεις) besteht.94 Übrigens spielen im Christentum auch andere Zahlen eine wichtige Rolle, wie zum Beispiel vier, sieben und zwölf, während für unseren Autor drei das

91 Beispielsweise schrieb Kazantzakis seinem orthodoxen Priesterfreund Emmanuel Papaste- fanou, dass er dessen Gott ‚zu christlich, zu tugendhaft und liebenswert‘ fand. Siehe The Se- lected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 216. 92 Vgl. Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. II, 394-427, 570-573; Demetrios J. Constantelos, ‚Nikos Kazantzakis; Orthodox or Heterodox? A Greek Orthodox Apprecia- tion‘, in: God’s Struggler, Hg. Middleton und Bien, 37-52. 93 Kazantzakis, ’Ασκητική, 59. 94 Vgl. G.W.H. Lampe, A Patristic Greek Lexicon (Oxford, 1961), 1410.

46 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM

Summum war, wie dies auch in der Zahl der 33.333 Verse seiner Odyssee und in der gleichen Versanzahl seines geplanten, aber nicht realisierten Epos Digenis Akri- tas zum Ausdruck kommt. Zudem kritisierte Kazantzakis das kirchliche Establishment und den Klerus wie- derholt harsch. Beispielsweise wird in Christus wird wiederum gekreuzigt der Pfar- rer Grigoris als ein bemittelter Egozentriker dargestellt, der nur den eigenen Vorteil sucht, kein Erbarmen kennt und das Evangelium verrät. Allerdings gibt es in die- sem Roman auch Fotis, den charismatischen und asketischen Pfarrer der Flüchtlin- ge, der die Liebesbotschaft des Evangeliums existentiell lebt, und im Roman Brü- dermörder ist es der eindrucksvolle orthodoxe Priester, Vater Gianaros / Yanaros, der zu Solidarität, gegenseitiger Vergebung und zu seiner Selbsthingabe (wie Jesus bis zu seiner Ermordung) steht. Ferner zählte Kazantzakis auch mehrere orthodoxe Kleriker zu seinen Freunden. Ich erwähnte bereits den Priester Emmanuel Papastefanou, mit dem Kazantzakis die Grundideen der Asketik diskutierte. Leider sind die Briefe des Erstgenannten an den Letztgenannten nicht erhalten geblieben, sonst hätte man sich einen genaueren Eindruck über Papastefanous eigene Ideen machen können.95 (Dies gilt auch für die wichtige Korrespondenz zwischen Galatia und ihrem Mann, die wie diejenige zwi- schen Papastefanou und Kazantzakis für die Entstehung der Asketik sehr bedeutsam ist. Es gibt nur die Briefe von Nikos, nicht die von Galatia.) Doch ist aufgrund des Inhaltes der Briefe, die Kazantzakis in die USA schickte, anzunehmen, dass der Priester über vieles wenn nicht gleich, dann doch ähnlich wie Kazantzakis dachte. Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu erwähnen, dass Papastefanou ein Neffe des farbigen kretischen Kirchenführers Meletios Metaxakis (1871-1935) war. Dieser war ein progressiver Theologe und Hierarch, der zunächst Erzbischof von Athen war (1918-1920), ökumenische Dialoge mit mehreren evangelischen Kir- chen führte und die Gültigkeit der anglikanischen Weihen anerkannte. Damit mach- te er es möglich – zumindest für eine bestimmte Zeit –, dass griechisch-orthodoxe Gläubige die Sakramente aus den Händen anglikanischer Priester empfangen konn- ten. Das geschah nicht lange nachdem Papst Leo XIII. im Jahr 1896 in Rom pro- klamiert hatte, dass die anglikanischen Weihen ‚ungültig‘ wären. Meletios diente der orthodoxen Kirche auch als Erzbischof von Amerika (1921) und als Patriarch von Konstantinopel (November 1921 bis September 1923). Unter seiner Leitung fand Mai-Juni 1923 im Phanar (Verwaltungszentrum des Konstantinopler Patriar- chates) eine Konferenz statt, die sich zur Übernahme des revidierten gregoriani- schen Kalenders statt des ungenaueren und (verglichen mit dem gregorianischen) fast zwei Wochen zurückliegenden julianischen entschied.96 Dieser Beschluss wur- de 1924 von den orthodoxen Kirchen in Griechenland, Zypern und Konstantinopel (Athos jedoch nicht!) effektuiert. Einige andere Kirchen folgten später. Allerdings hielten einige große orthodoxe Kirchen (namentlich Russland, Serbien, Bulgarien und Jerusalem) am alten julianischen Kalender fest. Als Kompromiss wurde

95 Die Universitätsbibliothek der University of Texas besitzt ein Archiv mit Korrespondenz von Emmanuel Papastefanou, ‚friend of N. Kazantzakis‘, aus dem Jahr 1924. Dieses Archiv habe ich bisher nicht erforschen können. 96 Vgl. Anastasios Kallis, Auf dem Weg zu einem Heiligen und Großen Konzil: Ein Quellen- und Arbeitsbuch zur orthodoxen Ekklesiologie, Orthodoxe Perspektiven 10 (Münster, 2013), 93-97, 101-107; siehe auch 114-115; Groen, ‘How Long It Was and How Far’, 19-21.

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 47 schließlich vorgeschlagen, dass alle orthodoxen Kirchen weiterhin den Osterfest- kreis laut dem julianischen Kalender feiern würden. Nur die orthodoxe Kirche Finnlands feiert auch die beweglichen Feste in Übereinstimmung mit dem gregori- anischen Kalender. Bei den unbeweglichen Festen wie zum Beispiel Weihnachten gab es fortan jedoch einen Unterschied von fast zwei Wochen zwischen den ortho- doxen Kirchen, die diese Feste ‚gregorianisch‘ feierten, und denjenigen, die das ablehnten. Meletios Metaxakis starb als Patriarch von Alexandrien (dort im Amt 1925/26- 1935)!97 Ich habe sein Wirken ein wenig ausführlich geschildert, um klar zu ma- chen, aus welchem ‚Stall‘ Emmanuel Papastefanou kommt. Aufgrund der engen kretischen Familienbeziehungen und der großen Ausstrahlung von Metaxakis darf man wahrscheinlich annehmen, dass der Onkel mit seinen für die damalige Kirche ziemlich radikalen Ideen auch den Neffen beeinflusst hat. Es könnte sogar sein, dass Papastefanou, der 1920 in Athen die Priesterweihe empfangen hatte (von sei- nem Onkel?) und seit 1922 in den USA lebte, die Amerikareise und die dortige Seelsorge auf Einladung des Onkels, der ja 1921 als Erzbischof in Amerika tätig war, auf sich genommen hatte. Jedenfalls empfand Kazantzakis eine ihm viel be- deutende Geistesverwandtschaft mit Papastefanou. Kazantzakis pflegte auch mit einigen anderen aufgeschlossenen Klerikern, ein- schließlich Bischöfen, freundschaftliche Beziehungen. Beispielsweise nenne ich Erzbischof Germanos Strinopoulos von Thyateira (Großbritannien, 1872-1951), der ein ökumenisch gesinnter und führender Prälat des Patriarchates von Konstantino- pel war. Er schätzte Kazantzakis und setzte sich (vergebens) dafür ein, dass der Kreter den Literaturnobelpreis bekommen würde.98 Auch einige katholische Kleri- ker, beispielsweise der französische charismatische Priester Arthur Mugnier (1853- 1944), durften sich Kazantzakis’ Respektes und Sympathie erfreuen.99 Auch provozierte Nikos Kazantzakis in seinem eigenen Verhalten gerne: er ver- weigerte oft ein Kreuzzeichen zu machen oder zu fasten – wichtige Zeichen der orthodoxen Identität. Doch zeigte er sich in dieser Hinsicht auch widersprüchlich. Anfänglich lehnte er zum Beispiel die kirchliche Trauung ab, wahrscheinlich je- doch – in seinem eigenen Fall – auch aus Angst, dass sein Vater die Braut des Soh- nes ablehnen würde. Trotzdem waren seine beiden Eheschließungen kirchlich-litur- gisch. Als Kind und Jugendlicher hatte er häufig an den kirchlichen Liturgiefeiern teilgenommen, nicht nur in den Pfarrkirchen und der Kathedrale Heraklions und anderswo, sondern auch in Klöstern. Auch den erwachsenen Mann konnte man in

97 Vgl. Ioannis Ch. Konstantinidis, ‚Μελέτιος: Ὁ Μεταξάκης‘, in: Θρησκευτικὴ καὶ Ἠθικὴ Ἐγκυκλοπαιδεία 8 (1966) 965-969; Peter Plank, ‚Der Ökumenische Patriarch Meletios IV. (1921-1923) und die orthodoxe Diaspora‘, Orthodoxes Forum 21 (2007) 251-269. Siehe auch die positive Einschätzung seines Wirkens in Athanasios I. Delikostopoulos, Ἔξω ἀπό τά τείχη: Ἀθηναγόρας Αʹ ὁ Οἰκουμενικός Πατριάρχης (Athen, 21988), 36-38, 47-48. 98 Vgl. Grigorios Liantas, ‚Metropolitan Germanos of Thyatira‘, in: Orthodox Handbook on Ecumenism: Resources for Theological Education, Hg. Pantelis Kalaitzidis u.a. (Oxford, 2014), 216-218; A. Tillyrides, ‚Archbishop Germanos of Thyateira and Nikos Kazantzakis‘, in: Texts and Studies: A Review of the Foundation for Hellenism in Great Britain, II, Hg. Ar- chbishop Methodios of Thyateira and Great Britain (London, 1983), 277-281. 99 Vgl. seine Erinnerungen an Mugnier, die er mit seinen eigenen religiös-philosophischen Auf- fassungen geschmückt hat, in: Kazantzakis, Ἀναφορά στόν Γκρέκο, 148-154. Siehe auch ders., De Tuin der Rotsen, 35; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 724 (Brief an die Familie Angelakis); Alexiou, Γιά νά γίνει μεγάλος, 60-61, 277.

48 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM

Klöstern finden, zwar nicht oft, aber doch mehrmals, zum Beispiel als er 1940 an den eindrucksvollen Liturgiefeiern der Karwoche und zu Ostern im südkretischen Preveli-Kloster teilnahm. Zudem war er der Pate der Tochter von Freunden und nahm also die präbaptismale Ölsalbung bei deren Taufe vor. In seinem Zimmer befanden sich ein großes Kreuz und mehrere Ikonen; es gab dort übrigens auch Symbole anderer Religionen und Weltanschauungen. Als er und seine Frau Eleni ihre letzte Wohnung im südfranzösischen Antibes gekauft hatten, lud er den orthodoxen Priester von Nizza ein, die Wohnung zu segnen. Ferner schrieb er in seiner Korrespondenz das Wort ‚Gott‘ oft zwischen Anführungszei- chen, aber er schloss seine Briefe auch nicht selten mit traditionellen Formulierun- gen wie ‚Gott sei mit Dir‘ ab. Auch auf die Heiligenfeste gab er acht, indem er sei- nen Freunden und Verwandten zu ihren Namenstagen gratulierte. Noch zwei faszinierende Vorfälle sind diese: (1) Als sich bei seiner Begegnung mit dem georgischen Dichter Giorgi Leonidze (1897-1966) im November 1927 herausstellte, dass die beiden sprachlich sich zwar nicht verständigen konnten, aber wohl den zentralen orthodoxen Osterhymnus ‚Christus ist von den Toten erstanden …‘ (Χριστός ἀνέστη ἐκ νεκρῶν…)100 griechisch singen konnten, taten sie das ge- meinsam am Bahnhof von Tblisi.101 (2) Als er im Januar 1928 die schon kalte und dunkle orthodoxe Christus-Erlöser-Kathedrale Moskaus besuchte und aus einer Kapelle kommende Gesänge hörte, ging er dorthin und war von der Frömmigkeit der Teilnehmenden und der Pracht der Gewänder, Ikonen und der Liturgie tief be- rührt.102 Doch deutete er diese Erfahrung auch als ein emotionales Abschiednehmen von der alten Religion. Es sei in Russland ja eine neue Religion gekommen: der Atheismus, der seine eigenen Dogmen, Rituale, Schriften und Apostel habe.103 Des Weiteren war Kazantzakis immer wieder sehr von schönen alten Miniaturen, Fresken, Ikonen und Kirchen, auch im kommunistischen Moskau, gerührt. Als er im Dezember 1925 beim Direktor des Moskauer Ikonenmuseums zu Hause einge- laden war und dieser ihm seine Sammlung der von ihm restaurierten alten Ikonen von Maria, Engeln und Heiligen zeigte, war Kazantzakis von der Schönheit dieser Sakralbilder tief beeindruckt und fühlte sich gestärkt.104 Der Anblick der von Andrej Rublev (gest. 1430) gemalten Ikone der Hl. Dreifaltigkeit machte ihn sogar sprachlos; für ihn drückte sie die ‚ewige Seele des Menschen‘ aus.105 Auf seinen Reisen hatte er immer eine kleine Marienikone dabei: eine ‚ihr Kind festhaltende Gottesmutter‘ (Βρεφοκρατοῦσα), die ihm viel bedeutete. Auf der Rückseite einer Lieblingsikone seiner ersten Frau Galatia hatte er ‚Mitreisende‘ (Συνταξιδιώτισσα) geschrieben.

100 Vgl. Πεντηκοστάριον (Athen, 31984), 1. 101 Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 288 (Brief an Elli Lambridi). 102 Vgl. Alexiou, Γιά νά γίνει μεγάλος, 373-374; Janiaud-Lust, Nikos Kazantzaki, 274. 103 Vgl. Nikos Kazantzakis, Ταξιδεύοντας: Ρουσία (Athen, 21956), 120-133; siehe auch 213-214. 104 Vgl. Eleni Kazantzaki, Νίκος Καζαντζάκης: Ὁ Ἀσυμβίβαστος, 167-169; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 230-231. 105 Vgl. Kazantzakis, Ταξιδεύοντας: Ρουσία, 128-132; Janiaud-Lust, Nikos Kazantzaki, 274. Siehe auch meinen Aufsatz ‚„Glory to the Holy Trinity“‘, 230-238, 251 (dort auch Hinweise auf weitere Fachliteratur).

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 49

In seinem literarischen Werk finden sich wunderbare, andachtsvolle und lyrische Gebete zur Gottesmutter Maria.106 Einerseits kannte er die wissenschaftliche Arbeit des gelehrten orthodoxen Bischofs Sofronios Efstratiadis (1872-1947) über die ma- rianische Terminologie in der orthodoxen Hymnographie.107 Er hatte diesen Byzan- tinologen und Experten im Bereich der Hagiographie, Hymnologie und Paläogra- phie 1914 auf Athos kennengelernt. (Im Roman Leben und Wandel des Alexis Zor- bas porträtiert Kazantzakis ihn als einen weltfremden Stubengelehrten in einem von Wollust, Zankerei und Gier gekennzeichneten süddkretischen Kloster.)108 Anderer- seits entsprechen die Mariengebete der eigenen Spiritualität und Kreativität von Kazantzakis selbst.109 Schließlich war er dem Sterbesakrament der eucharistischen Wegzehrung zwar abgeneigt, aber er wurde, freiwillig oder nicht, mit dem orthodoxen Totenamt be- stattet. Auf seinem Grab steht ein großes Holzkreuz und es werden dort gelegent- lich orthodoxe Gedächtnisgottesdienste gefeiert. Allerdings weiß ich nicht, ob Ka- zantzakis sich das Kreuz auf seinem Grab gewünscht hat; mir ist ebenso wenig be- kannt, wer es dort hingestellt hat. Zudem steht es dort nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit (oder im Gegensatz zu) dem Grabestext: ‚Ich hoffe nichts [also auch nicht das Jenseits; BG], ich fürchte nichts [auch nicht das Jüngste Gericht], ich bin frei‘.

VERWANDLUNG

Trotz seiner Kritik am traditionellen Christentum und seines Antiklerikalismus war Kazantzakis ein Idealist und Theist. Er wurde von metaphysischer Agonie fortgetrieben (Pavlos Tzermias) und war im Grunde sehr religiös (Elli Alexiou und Kleopatra Prifti). In der Asketik kommt das Wort ‚Gott‘ 52mal vor.110 ‚Gott‘ ist für den kretischen Denker nicht nur Gott, sondern auch die kontinuier- liche Suche nach Gott sowie die Suche nach Freiheit. Es geht Kazantzakis um die Verwandlung des gesamten Universums in Geist, die Verklärung des Alls in Licht, ein göttliches Vorgehen, dass alles umfasst und dem wir Menschen uns unterwerfen sollen. Kazantzakis ist kein Pantheist, wie es vielleicht den Anschein hat, sondern er lässt sich eher als ein Panentheist bezeichnen. Die gesamte Welt ist zwar in Gott,

106 Vgl. examplarisch Nikos Kazantzakis, Συμπόσιο (Athen, 21971), 61-63; ders., Ὁ Χριστὸς ξανασταυρώνεται (Athen, 101974), 94. 107 Vgl. Sofronios Efstratiadis (ehem. Metropolit von Leontopolis), Ἡ Θεοτόκος ἐν τῇ Ὑμνογραφίᾳ, Ἁγιορειτικὴ Βιβλιοθήκη 6 (Paris und Chennevières-sur-Marne, 1930). 108 Vgl. Nikos Kazantzakis, Βίος καὶ πολιτεία τοῦ Ἀλέξη Ζορμπᾶ (Athen, 252010, Erstausgabe Athen, 1955), 228, 233-237. 109 Vgl. Detorakis, ‚Ὁ Καζαντζάκης καὶ τὸ Βυζάντιο‘. 110 Vgl. D.I. Koukoulommatis, ‚Νίκος Καζαντζάκης: ´Ενθεος, αντίθεος ή άθεος;‘, in: Μνήμη Παντελή Πρεβελάκη και Νίκου Καζαντζάκη, Hg. Papadogiannakis, 71-79, hier 73.

50 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM aber Gott ist nicht identisch mit ihr, sondern übersteigt sie teilweise.111 Der Gott von Kazantzakis ist sowohl immanent als auch transzendent, sowohl wahrnehmbar – zum Beispiel, wenn er um Hilfe schreit – als auch der total Andere. Dieser Gott ist wie gesagt kein persönlicher Gott, sondern eher eine anonyme Kraft, die sowohl zutiefst in allem anwesend ist als auch alles und alle übersteigt. Laut Kimon Friar ist Gott für Kazantzakis ‚identisch mit dem élan vital, die durch die ganze Schöpfung dahineilende Kraft, die eine klarere und mehr gereinigte Freiheit anstrebt‘.112 Und: ‚die unaufhörliche Lebenskreativität, die auf ihrem Weg nach mehr und mehr Be- freiung Individuen und Gattungen als Experimente empor- und über Bord wirft, ist das, was … Kazantzakis … mit Gott meinte.‘113 Der Begriff ‚verwandeln‘, den Kazantzakis sehr gerne verwendet (μετουσιώνω, μεταβάλλω u.Ä.), ist nicht nur ein Kernkonzept der Weltanschauung des kretischen Schriftstellers – laut dem amerikanischen Philosophen Daniel Dombrowski (geb. 1953) ist ‚Wandlung‘ bzw. ‚Vergeistlichung‘ sogar Kazantzakis’ Kernkonzept schlechthin114 –, sondern auch der orthodoxen (und katholischen) eucharistischen Theologie. Darum werden wir jetzt die Aufmerksamkeit einen Moment auf die Eu- charistiefeier lenken. In der byzantinisch-orthodoxen Tradition wird die Eucharistie als der Gottes- dienst par excellence bezeichnet; es ist üblich, sie schlechthin als ‚die Liturgie‘ oder ‚die göttliche Liturgie‘ zu bezeichnen. Laut der orthodoxen liturgischen Theologie ist diese Feier eine wirkmächtige Symbolfeier, eine eindrucksvolle rituelle Darstel- lung und Verkündigung des Lebens, der Passion und der Auferstehung des Gottes- sohnes sowie der Gabe des Hl. Geistes und der Erwartung der Wiederkunft Christi am Jüngsten Tag. Vergangenheit, Heute und Zukunft werden hier miteinander ver- schränkt. Christus ist in der eucharistischen Liturgie sowohl der Darbringende als auch der Dargebrachte: Er bringt sich selbst dar und in der Feier wird sein Opfer, seine Selbst-Hingabe vergegenwärtigt. Die Eucharistie stellt für die daran Teilneh- menden das sie verwandelnde Sakrament des ganzheitlichen Heils und die Verbin- dung zwischen Himmel und Erde dar. Das Feiern der ‚göttlichen Liturgie‘ ist eine profunde Kontemplation ihrer endgültigen Rettung, eine von der Hl. Dreifaltigkeit gegebene Möglichkeit zur Vergöttlichung (eins mit Gott werden) des heilsbedürfti- gen Menschen, ein reelles Abbild des himmlischen Urbildes.115

111 Siehe z.B. Mark Johnstone, Saving God: Religion after Idolatry (Princeton, 2009), 126-128. Der 1954 geborene amerikanische Philosoph versucht, Gott von allerlei Art ‚Anschwem- mungen‘ zu reinigen und so ‚Gott zu retten‘. 112 Kimon Friar, ‚Introduction‘, in: Kazantzakis, The Odyssey, IX-XXXVIII, hier XXI. 113 Ebd., XVII. 114 Vgl. Dombrowski, Kazantzakis and God, 27-63, 75-144. Siehe auch ders., ‚Kazantzakis, Chalcedonian Orthodoxy, and Monophysitism‘, in: Scandalizing Jesus?, Hg. Middleton, 47- 60; Darren J.N. Middleton, Novel Theology: Nikos Kazantzakis’ Encounter with Whiteheadi- an Process Theism (Macon GA, 2000), passim (u.a. 62-69). 115 Für einige einführende Übersichten siehe z.B.: Konrad Onasch, Kunst und Liturgie der Ostkirche in Stichworten unter Berücksichtigung der Alten Kirche (Wien u.a., 1981); Mi- chael Kunzler, Wir haben das wahre Licht gesehen: Einführung in Geist und Gestalt der byzantinischen Liturgie, Sophia 27 (Trier, 1991); ders., Christus ist unter uns: Einführung in Geist und Gestalt der byzantinischen Liturgie, Sophia 34 (Trier, 2006); Archimandrit Vasili- os, Introitus: Grundzüge liturgischen Erlebens des Mysteriums der Einheit in der Orthodox- en Kirche, Orthodoxe Perspektiven 4 (Münster, 2005); Job Getcha, Le Typikon décrypté: Manuel de liturgie byzantine (Paris, 2009); Alexander Rentel, ‚Byzantine and Slavic Ortho- doxy‘, in: The Oxford History of Christian Worship, Hg. Geoffrey Wainwright und Karen B.

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 51

Während des eucharistischen Hochgebetes, der Anaphora, verwandelt der Hl. Geist die Gaben von Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Doch geht es dabei auch um die Verwandlung der Gemeinde, in der Tat der ganzen Welt. Es sollte um die Transformation des gesamten Lebens einzelner Christen und Christinnen sowie ihrer Kirche und Gesellschaft gehen. Einige orthodoxe Theolog/inn/en merken je- doch kritisch an, dass diese Vision meistens nicht konkretisiert wird und nicht das ‚echte‘ Leben im Hier und Jetzt, einschließlich seiner sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bereiche, betrifft.116 Für unser Thema ist es relevant, dass die byzantinische Liturgie, insbesondere die Eucharistie, sich auch als Aufstieg zum Himmel betrachten lässt. Ritualmomen- te, in denen dies erfahrbar werden kann, sind der Eintritt in den kirchlichen Sakral- raum, die Gesänge und Gebete, der Kleine bzw. Große Einzug mit der Hl. Schrift bzw. den eucharistischen Gaben von Brot und Wein, die Schriftlesungen, die Ana- phora und die Kommunionsprozession. Es geht dabei um einen Aufstieg zu Gott sowie um die Einheit der Gläubigen mit der Gottheit und untereinander.117 Allerdings ist die griechisch-orthodoxe liturgisch-spirituelle Landschaft nicht nur ‚eucharistisch‘, sondern tatsächlich sehr pluriform. Es gibt einerseits zahlreiche gläubige und fromme Christ/inn/en, die an der kirchlichen Liturgie teilnehmen, oft beten und versuchen, ihr Leben nach den kirchlichen Regeln zu gestalten. Anderer- seits gibt es auch viele Getaufte, die ihre Religion in ihrem Alltags- und Privatleben nicht als wesentlich empfinden und keine bewusste persönliche Beziehung zu Gott, Jesus Christus, der Kirche und den Sakramenten haben. Abgesehen von Hochfes- ten, wie die der Karwoche und von Ostern, und Ritualen, um wichtige Übergänge im Leben zu meistern, wie Taufe, Trauung, Bestattung und Gedenkgottesdienste für die Verstorbenen, betreten sie kaum je eine Kirche. Der Sonntag ist für sie nicht der ‚erste Tag der Woche‘, geschweige der ‚Tag des Herrn‘, ‚Tag der Auferstehung‘, sondern einfach Teil des ‚Wochenendes‘, Zeit für Wochenend-Erholung, Sport, Familienbesuch oder fürs Weiterarbeiten. Zudem glauben längst nicht alle Ortho- doxen an die Auferstehung und das Jenseits. Nicht nur für Kazantzakis waren Fas- ten und fixierte Gebete Relikte der Vergangenheit, sondern sie sind es auch für vie- le andere orthodox Getaufte. Für manch einen Jugendlichen oder Intellektuellen sind westliche Musik, Wohlstand und ein modernes, kosmopolitisches Lebensge- fühl wichtiger als ihre eigene Kirche, die ihres Erachtens auf die historischen Tradi- tionen und das eigene Volk fixiert ist. Für viele von ihnen sind die orthodoxen Got- tesdienste und deren Spiritualität nicht ‚lebensnahe‘. Laut Kritikern besteht die li- turgische Erfahrung der meisten an den Gottesdiensten teilnehmenden Gläubigen

Westerfield Tucker (Oxford, 2006), 254-306; Basilius J. Groen, ‚Liturgie und Spiritualität in den orthodoxen Kirchen‘, in: Die orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition, Hg. Thomas Bremer, Hacik Rafi Gazer und Christian Lange (Darmstadt, 2013), 121-136; Bryan D. Spinks, Do This in Remembrance of Me: The Eucharist from the Early Church to the Pre- sent Day, SCM Studies in Worship and Liturgy (London, 2013), 121-140; Bert Groen‚„Glory to the Holy Trinity“: Trinitarian Theology of the Byzantine Liturgical and Spiritual Tradi- tion‘, The Journal of Eastern Christian Studies 64 (2012) 201-251. 116 Vgl. zum Beispiel Pantelis Kalaitzidis, Orthodoxy and Political Theology, Übersetz. Gregory Edwards (Genf, 2012), 9. 117 Vgl. Walter D. Ray, Tasting Heaven on Earth: Worship in Sixth-Century Constantinople (Grand Rapids, 2012), 19-27.

52 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM aus einer Mischung von Pietismus, Folklore und Nationalismus.118 Trotzdem ver- stehen fast alle Gläubigen sich irgendwie als Erben der byzantinischen Kultur und Ikonen stellen auch für sie meistens bedeutsame Sakralgegenstände dar. Im Werk Kazantzakis’ geht es weniger um die Verwandlung der eucharistischen Gaben, sondern primär um die Transsubstantiation der gesamten Welt. Doch kom- men in mehreren seiner Romane Kommunionsmetaphern in Bezug auf Essen und Trinken, Wein und Blut, Natur, Evolution, das eigene Leben, den gesamten Le- benskampf, Vitalität an sich reichlich vor. Kazantzakis verwendet also die Kom- munionsbilder nicht so sehr für das kirchliche Sakrament, sondern für das volle Le- ben. Damit stellt er sich übrigens unbewusst auf die Seite von orthodoxen Theolo- gen, die die Bilder der Eucharistie auf das gesamte Leben anwenden, aber natürlich ist sein Ausgangspunkt ein anderer als der der kirchlichen Theologie. Der mühevolle Prozess der Transsubstantiation der ganzen Welt verlangt laut dem bewusst nicht-kirchlichen Kazantzakis denjenigen, die sich darauf einlassen, vollen Einsatz ab. Nur so können sie mit Gott vereinigt werden und kann aus Fins- ternis Licht und aus Chaos Ordnung entstehen. Einige zugkräftige, von Kazantzakis gerne verwendete Naturbilder zur Veranschaulichung des Verwandlungsvorganges sind die Raupe, die in einen Schmetterling transformiert wird, und die Seidenraupe, deren Nahrung für die Eingeweide in Seide verwandelt wird. Er liebte auch das Bild der Delphine und der Schwalbenfische, die er auf den Fresken des Palastes in Knossos sah: wie sie aus dem Wasser hochsprangen und so versuchten, ihre Natur als Fische zu überwinden und zum Himmel empor zu gelangen. Doch ist dies alles ein risikovoller Prozess, der nur mit höchster Verantwortung und Opferbereitschaft und nur vorübergehend gelingen kann. Es kommt darauf an, mit vollem Einsatz die eigenen Lebensstrukturen über dem allgegenwärtigen Ab- grund zu errichten. In dem Sinne könnte man Kazantzakis als einen ‚heroischen Desperado‘ (Pavlos Tzermias) oder ‚heroischen Pessimisten‘ (Pantelis Prevelakis) bezeichnen. Bei diesem ‚Pessimismus‘ handelt es sich jedoch weder um Passivis- mus noch um Nihilismus. Kazantzakis ist kein verzweifelter Anarchist. Im Gegen- teil, der missionarische Schriftsteller will Ordnung schaffen, singend, sogar ‚opti- mistisch‘119 den Abgrund beschwören, gleichzeitig apollinischen und dionysischen Lebenssinn vermitteln, bevor der Abgrund sich öffnet und ihn und alle anderen Le- bewesen darin verschwinden lässt.

118 Vgl. die Beobachtungen in Georgios Basioudis, ‚Die Wiederentdeckung der Liturgischen Theologie: Erfahrung und Fragestellungen eines orthodoxen Gemeindepfarrers in Deutsch- land‘, Orthodoxes Forum 28 (2014) 123-126; Gerasimos Makris und Dimitrios Bekridakis, ‚The Greek Orthodox Church and the Economic Crisis since 2009‘, International Journal for the Study of the Christian Church 13 (2013) 111-132. Siehe auch die kritischen Bemerkun- gen in Anastasios Michalas und Albert Rapp, ‚Tendenzen im Leben der orthodoxen Kirche Griechenlands‘, Der Christliche Osten 37 (1982) 15-17, 20-27. 119 Kazantzakis selbst betont den positiven Aspekt seiner Lebensphilosophie: ‚So: tragischer Optimismus, nicht Pessimismus‘. Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 652 (Brief an Börje Knös, Oktober 1947).

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 53

GLAUBENSBEKENNTNIS

Das Glaubensbekenntnis und die Seligpreisungen, mit denen die Asketik endet, sind ein weiteres Beispiel der von Kazantzakis vorgenommenen Anpassung der traditionellen christlichen Glaubenspraxis. Wie das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (325 und 381)120 beginnt sein Credo mit den gleichen Worten (‚Ich glaube an einen Gott‘). Allerdings verwendet das erstgenannte Credo den Plural (‚Wir glauben …‘) und hebt so die Gemeinschaftsdimension hervor, während Kazantzakis sein Credo im Singular formuliert und auf diese Weise sowohl seine eigene Glaubensentscheidung klarmacht als auch impli- ziert, dass jeder Mensch für sich allein eine ähnliche Entscheidung zu treffen hat. Doch wird auch in der orthodoxen liturgischen Alltagspraxis seit Langem der Singular statt des Plurals verwendet.121 Bekanntlich verwendet auch die westkirch- liche gottesdienstliche Tradition häufig den Singular; das lateinische Wort Credo bedeutet ja ‚Ich glaube‘. In der Praxis existieren jedoch Unterschiede: in einigen katholischen Gemeinden zum Beispiel wird das Credo im Singular, in anderen im Plural vorgetragen. Im Gotteslob, dem katholischen Gebets- und Gesangbuch für Deutschland und Österreich, wird der Plural verwendet.122 Zudem wird in der grie- chisch-orthodoxen Kirche, insbesondere in Griechenland, das Glaubensbekenntnis meistens nicht von der ganzen Gemeinde, sondern stellvertretend für sie nur von einer Person, einem Lektor bzw. Sänger, gesprochen.123 In Russland und der Ukrai- ne dagegen wird das Credo meistens von der gesamten Gemeinde gesungen. Es kommt in Hellas auch vor, dass an hohen Festtagen, beispielsweise am Sonntag der Orthodoxie – das ist der erste Sonntag der vorösterlichen Großen Vierzigtagezeit, an dem insbesondere der Wiederherstellung der Ikonenverehrung im Jahr 843 ge- dacht wird – ein Würdenträger wie der Präsident der Republik das Glaubensbe- kenntnis stellvertretend für alle spricht. Daher ist der von Kazantzakis in seinem Credo verwendete Singular nichts Außergewöhnliches. Das Credo der Asketik ‚bekennt‘ das dynamische schöpferische Wirken Gottes, den Kampf Gottes mit der Materie und seinen Hilfeschrei. Es folgen die ‚Seligprei- sungen‘: Diejenigen, die Gott in seinem Ringen helfen, und darauffolgend die sich mit ihm vereinenden Mystiker/innen werden seliggepriesen. Dabei verwendet Ka- zantzakis das gleiche Wort (μακάριοι) wie im Matthäus- und Lukasevangelium (Mt. 5,3-11 und Lk. 6,20-22). Schließlich gibt es für diejenigen, die das Geheimnis ken-

120 Vgl. Conciliorum Oecumenicorum Generaliumque Decreta: Editio critica, I, The Oecumeni- cal Councils: From Nicaea I to Nicaea II (325–787), Hg. Giuseppe Alberigo u.a., Corpus Christianorum: Conciliorum Oecumenicorum Generaliumque Decreta 1 (Turnhout, 2006), 19, 57. 121 Vgl. das liturgische Buch für den Klerus mit den Texten und Rubriken für das Stundengebet und die Eucharistie: Ἱερατικόν (Athen, 72009), 130. Siehe auch Die Göttliche Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomos: Griechisch, Deutsch, Neugriechisch, Übers. und Kom- ment. Anastasios Kallis, Doxologie IX (Münster, 2004), 106-109. 122 Vgl. Gotteslob: Katholisches Gebet- und Gesangbuch – Ausgabe für die (Erz-)Diözesen Ös- terreichs (Stuttgart und Wien, 2013), Nr. 586. 123 Ἱερατικόν, 130 (Anm. 56) fordert dazu auf, dass das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser vom gesamten Volk, dazu vom Diakon oder vom Vorsänger angeregt, verkündet werden.

54 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM nen, dass es auch ‚dieses Eine‘ nicht gibt, eine dreimalige Seligpreisung. Letztere, die anscheinend jeglichen Gottesglauben verneint, ist kein Ende, sondern stellt jede Form der Gotteserkenntnis grundlegend in Frage. Dadurch ist immer wieder ein Neuanfang in der mühevollen Beziehung zwischen Gott einerseits und dem gesam- ten Universum andererseits möglich. Nicht lange nach der Asketik verfasste Kazantzakis nochmals ein Glaubensbe- kenntnis, das mit dem gleichen Titel (Ὁμολογία πίστεως) 1925 in einer kretischen Zeitung publiziert wurde und in dem der Verfasser die ‚habgierige Bourgeoisie‘ kritisierte und für mehr Gerechtigkeit, Verbesserung der Lebensumstände und Bil- dungsmöglichkeiten für das Volk (Arbeiter, Landwirte usw.) plädierte. Laut dem Autor war dieses Plädoyer nicht gegen Religion, Familie und Heimat gerichtet, sondern es ging um ihre Erhöhung.124 Man könnte diesen Text als eine politische Konkretisierung der Asketik betrachten. Bekanntlich hat das traditionelle christliche Glaubensbekenntnis liturgische Wurzeln und hat sich insbesondere aus der Taufliturgie heraus entwickelt. Es wird vorzugsweise gesungen. Wie wir bereits oben sahen, soll auch das Credo der Aske- tik singend vorgetragen werden und so den Abgrund beschwören. Sind nicht auch beliebte christliche Gesänge wie das gerade genannte ‚Christus ist von den Toten erstanden‘ oder Lieder in der Art von vere resurrexit! (Latein: ‚Er ist wahrhaft auf- erstanden!‘) und ‚Freu dich, erlöste Christenheit…‘125 auf irgendeine Weise Be- schwörungen? Natürlich zeugen sie vom christlichen Auferstehungsglauben, aber dienen sie nicht gleichzeitig dazu, die Angst vor dem Tod und dem Nichts wegzu- nehmen, zu beschwören? Der Glaube Kazantzakis’ trägt einen messianischen Charakter (Pantelis Prevela- kis) und ist eschatologisch geprägt (Peter Bien): der Kreter hegt eine großartige Vi- sion von Gerechtigkeit und Erbarmen für alle und von der endgültigen Realisierung dieser Vision (erst am Ende der Zeiten). Kazantzakis weiß ebenfalls, dass Glaube Mythen, Riten und Hymnen braucht. Daher finden sich so viele Geschichten, Ge- sänge und Beschreibungen von Ritualen in seinem Werk. Musik war für ihn ein ‚Stein der Weisen‘, um die Materie vergeistlichen zu können, zu deren Transsub- stantiation zu gelangen. Wenn man sich auf den religiösen Aspekt der Asketik konzentriert, ist die Asketik laut Bien ‚ein Evangelium (‚Frohbotschaft‘), das eine Theologie, eine Methode zur Initiation in die Gotteserkenntnis und einen Verhaltenskodex enthält. Mit anderen Worten: es enthält eine Lehre, ein Ritual und eine Ethik. Und wie auch andere Evangelien, geht es darum, es zu verbreiten.‘126 Die Asketik ist freilich nicht nur eine religiöse und philosophische, sondern auch eine politische Schrift. Diese As- pekte gehören untrennbar zusammen. Wie wir bereits mehrmals gesehen haben, verneint unser anscheinend ‚liberal- orthodoxer‘ Schriftsteller einige Hauptlehren der Kirche seiner Jugend. Andere

124 Vgl. Stefanakis, Ἀναφορά στόν Καζαντζάκη, 268-273; Alexiou, Γιά νά γίνει μεγάλος, 297- 301; Ὁ Καζαντζάκης μιλεῖ γιὰ Θεὸ, Hg. Mitsotakis, 118-124; Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 90-92. 125 Vgl. Gotteslob 2013, Nr. 337. 126 Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 69. Siehe auch: Darren J.N. Middleton und Peter Bien, ‚Introduction: Spiritual Levendiá – Kazantzakis’s Theology of Struggle‘, in: God’s Struggler, Hg. dieselben, 1-22.

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 55

Lehrsätze interpretiert er frei und ‚existentialistisch‘. Es ist ihm aber ein Anliegen, andere Menschen mit seinem ‚Evangelium‘ zu überzeugen, zu ‚konvertieren‘. Für die meisten Gläubigen waren Teile seiner Botschaft, vor allem die Romane, gewiss faszinierend. Allerdings ließen sich die meisten von dem, was Kazantzakis als seine Hauptschriften bezeichnete – die Odyssee und die Asketik –, nicht berühren. Wahr- scheinlich erfordert Religion für die Massen in erster Linie Rituale, Mythen, Helden und Heldinnen, Musik und Kunst. Die philosophisch-religiöse Gesamtschau von Kazantzakis ist für viele Gebildete in der westlichen Welt zwar attraktiv, aber für große Massen wenig gebildeter Gläubiger zu ‚elitär‘ und nicht wirksam. Allerdings ist für sehr viele Europäer/innen – einschließlich zahlreicher weniger Gebildeter – auch das traditionelle Christentum nicht mehr attraktiv. Der Glaube an einen per- sönlichen Gott und an das Jenseits ist für viele nicht länger akzeptabel. Einige su- chen ein liberales und ‚freisinniges‘ Christentum oder spirituelle Alternativen, ande- re geben sich einem (von Kazantzakis leidenschaftlich abgelehnten) Materialismus und Neo-Positivismus hin.

BRÜCKEN ZUR CHRISTLICHEN THEOLOGIE

Es gibt noch weitere Elemente der christlichen Theologie, die den anscheinend tiefen Graben zwischen ihr und Kazantzakis’ Asketik einigermaßen überbrü- cken. Ich kann das hier nur mit wenigen Worten umreißen.127 Zunächst erwähne ich die mystische apophatische Theologie. Sie lässt sich so- wohl in der ostkirchlichen als auch in der westkirchlichen Tradition finden. Manche orthodoxe Theologen sind der Meinung, dass es diese nur in der Ostkirche, nicht in der Westkirche gibt. Doch denke man beispielsweise an Die Wolke des Nichtwis- sens / The Cloud of Unknowing – ein anonymer englischer Text aus der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts – und an die schriftlich bezeugte Erfahrung des spanischen Theologen und Ordensmannes Johannes vom Kreuz (1542-1591) über ‚die dunkle Nacht der Seele‘. Im Gegensatz zu und in Ergänzung einer nur kataphatischen Theologie verneint die apophatische Theologie, dass wir Menschen in der Lage sind, über das Wesen Gottes etwas Sinnvolles und Endgültiges zu sagen. So wird beispielsweise gesagt, dass die Gottheit ‚völlig unbegreiflich‘ und ‚für die Sinne und den Verstand unzu- gänglich‘ ist und dass ‚niemand Gott sehen kann‘. Daneben gibt es jedoch notwen- digerweise auch kataphatische Aussagen und Erfahrungen. Ohne ‚Kataphase‘ gäbe es wahrscheinlich weder Lehre noch sich darauf beziehende Rituale. Beispiele kataphatischer Aussagen sind: ‚Gott ist Liebe‘, ‚Gott ist ein verständnisvoller Vater‘ oder ‚Jesus Christus ist der eingeborene Sohn Gottes, in dem die Fülle des Vaters sich offenbart‘. Natürlich sind solche Aussagen metaphorisch, Gott ist ja kein irdi- scher Vater.

127 Vgl. Darren J.N. Middleton, Broken Hallelujah: Nikos Kazantzakis and Christian Theology (Lanham MD, 2006), 11-56; Peter Bien, ‚Kazantzakis’ Religious Vision‘, Byzantine and Modern Greek Studies 20 (1996) 1-16.

56 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM

Theologie ist im Grunde ein Wechselspiel zwischen apophatischen und katapha- tischen Annäherungen an das Gottesmysterium.128 Die Asketik von Kazantzakis stellt keine Ausnahme dar. Beispielsweise ist Gott einerseits (apophatisch) ‚der Un- sichtbare‘, der alles, auch Genderkategorien (siehe unten), übersteigt, und man könnte ‚Gott‘ auch ‚Abgrund, Mysterium, Absolute Finsternis, Absolutes Licht, Materie, Geist, Letzte Hoffnung, Letzte Verzweiflung, Schweigen‘129 nennen. An- dererseits ist Gott (kataphatisch) ‚männlich‘, der große ‚Atem‘ und ‚voll Blut und Schlamm‘. Zudem ist der Name nicht gleichgültig: ‚Aber wir haben ihn Gott ge- nannt, weil nur dieser Name unsere Eingeweide in tiefe Verwirrung bringt.‘130 In seinen späteren Lebensjahren nannte unser Autor Gott auch gelegentlich ‚Prä- senz‘ (Παρουσία). Mit diesem eher kataphatischen Begriff adoptierte er gleichzeitig ein theologisch höchst bedeutsames Wort, weil damit auch die Wiederkunft des Herrn gemeint ist (vgl. Mt. 24,3 und 27). Es spielt auch in der orthodoxen liturgi- schen Theologie eine Rolle, denn die Anwesenheit Christi im Gottesdienst, insbe- sondere in der Eucharistiefeier, lässt sich auch mit diesem Wort bezeichnen. Doch sei, vielleicht zum Überfluss, wiederum bemerkt, dass der Kreter auch diesen Be- griff nicht im traditionellen christlichen Sinn, sondern für seinen eigenen spirituel- len Zweck (das Streben nach Freiheit) verwendet. In diesem Zusammenhang ist es relevant, nochmals den Blick auf das Ende der Asketik, vor allem auf die Worte der letzten Seligpreisung, zu lenken. Über diese Passage ist schon viel geschrieben worden. Nicht wenige Kritiker/innen sind der Meinung, dass hier der vermeintliche ‚Atheismus‘ des Autors überdeutlich wird. Doch halte ich dies für eine Fehleinschätzung. Gemeinsam mit mehreren Kazantza- kis-Experten scheint es mir, dass auch hier die tiefe Religiosität des Verfassers zu Tage tritt. Zunächst ist wiederum auf die christliche apophatische Theologie des ‚Nicht-Wissens‘ hinzuweisen. Die vorletzte Seligpreisung betrifft die kataphatische Phase der Mystik (‚Gott und ich sind eins‘). Die apophatische Glaubenserfahrung erfordert jedoch in ihrer letzten Konsequenz, dass die schöne und trostvolle kataphatische Erfahrung ‚annulliert‘ wird. Dazu kommt noch die buddhistische Be- tonung des ‚Nichts‘; wir sahen bereits, dass am Beginn der 1920er Jahre Kazantza- kis Buddha umarmt hatte. Es sind die christliche ‚Apophase‘ und das buddhistische ‚Nichts‘, die das Ende der Asketik, insbesondere die letzte Seligpreisung, erklären. Sie, nicht der angebliche Atheismus, erläutern die Tatsache, dass das letzte Kapitel, wie sein Autor meint, ‚wie eine Bombe die ganze Asketik sprengt‘. Kazantzakis bedauert allerdings, dass dadurch ‚die Herzen von nur wenigen Menschen ge- sprengt werden‘, d.h. nur wenige werden von dieser Schrift und ihrem ‚Schrei‘ be- rührt werden.131 Es ist erwähnenswert, dass die Verneinung des ‚Eins-Seins‘ von Gott und Mensch in der letzten Seligpreisung noch in einer anderen Hinsicht den Entwick- lungsgang des kretischen religiösen Denkers klarmacht. Als er jung war, benutzte

128 Siehe beispielsweise die Übersicht in: Edward G. Farrugia und Tomáš Špidlík, ‚Apophati- cism‘, in: Encyclopedic Dictionary of the Christian East, Hg. Edward G. Farrugia (Rom, 22015), 120-124. 129 Kazantzakis, ’Ασκητική, 65. 130 Kazantzakis, ’Ασκητική, 66. 131 Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. Prevelakis, 77; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 314.

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 57

Kazantzakis, der sich damals mehrmals nach dem ‚Hausberg‘ Heraklions (siehe oben) Petros Psiloritis nannte, auf seiner Korrespondenz einen Stempel mit den Worten ‚Alles ist eins‘ (ἕν τὸ πᾶν). Obwohl er von der grundsätzlichen Einheit des Universums überzeugt blieb, modifizierte er dies also, was die ‚Gott-Mensch-Ein- heit‘ betrifft. Nennen wir noch einige andere Bestandteile und Strömungen der christlichen Theologie, die den Abstand zur religiösen Weltanschauung von Kazantzakis ver- ringern dürften. Bereits der Jesuit und Paläontologe Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955), auch ein Schüler von Bergson, sprach von Entwicklung und dem ‚Punkt Omega‘. Seiner mystischen Vision nach wird die Materie allmählich Geist und die Men- schen sollen an der Schöpfung mitbauen. Gott ist in der ganzen Schöpfung präsent. Aufgrund seiner vermeintlich ‚ketzerischen‘ Auffassungen wurde Teilhard de Chardin jedoch von seinem Orden und von der römischen Kurie ständig mit Lehr- und Publikationsverboten gemaßregelt. Auch die moderne Prozess-Theologie, auf dem Werk von Alfred North White- head (1861-1947) aufbauend, betont das dynamische Werden Gottes, nicht dessen Unveränderlichkeit. Laut der Prozess-Theologie – es gibt jedoch viele unterschied- liche Strömungen – ist christlicher Glaube mit den Ergebnissen der naturwissen- schaftlichen Forschung vereinbar. Gott verändert sich selber und ist ‚entwicklungs- und leidensfähig‘. Von Menschen geleistete Hilfe erleichtert Gottes Wachstum.132 Im Allgemeinen zeugen viele heutige Theologen und Theologinnen von einer ‚anthropologischen Wende‘: die Menschen und ihre jeweiligen Kontexte, kein per- fekter und abstrakter Gott, stehen im Mittelpunkt. Im Gegensatz zur traditionellen ‚hohen‘ Christologie, die in Jesus Christus den eingeborenen Gottessohn, der vom Himmel gekommen ist, um die Menschheit zu retten, sieht, gehen diese Theo- log/inn/en von einer ‚niedrigen‘ und ‚kenotischen‘ Christologie aus: vom Menschen Jesus von Nazaret, der die Frohbotschaft verkündigt, solidarisch mit den anderen Menschen ist und sich als Konsequenz seiner radikalen Liebesbotschaft Gott Vater bis zum Tod hingibt. Des Weiteren betonen viele heutige Theolog/inn/en das Dies- seits statt des Jenseits und legen dar, dass Himmel und Hölle in erster Linie ‚Zu- stände‘ im Hier und Jetzt sind. Auch heben sie hervor, dass Gottes Zuwendung zur Schöpfung nur mittels der Geschöpfe selbst geschieht. Laut dem deutschen evange- lischen Theologen Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) ist Gott wehrlos und der menschlichen Hingabe bedürftig. (Im Sprechen von Gott stand für Bonhoeffer üb- rigens die Stille an erster Stelle; auch das sowie sein kompromissloser Widerstand gegen Unterdrückung verbinden ihn mit Kazantzakis.) Mit anderen Worten: Gottes Liebe gewinnt Gestalt durch Menschenhände. Die Menschen sollen sozusagen Gott ‚retten‘. Zumindest sind sie Ko-Schöpfer, unentbehrliche Partner/innen Gottes. Laut solchen Theolog/inn/en bringt Glaube nicht nur Gewissheit, sondern geht auch mit Unsicherheit einher. Notwendig in dieser chaotischen Welt sind nicht ge- schlossene theologische Systeme, sondern eine dynamische Soteriologie und Chris- tologie, welche die Brüchigkeit der Moderne berücksichtigt. Auch betonen diese ‚Gottgelehrten‘ die Entwicklung der Lehre, kirchliche Veränderungsprozesse und die Tatsache, dass Ethik und Moral im Lauf der Geschichte vielen Änderungen un-

132 Vgl. Middleton, Novel Theology; ders., Broken Hallelujah, 57-123.

58 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM terlagen. Des Weiteren stellt die ‚Theologie nach Auschwitz und dem Holocaust‘ – entsetzt reflektierend über die Frage, wie so ein Genozid möglich war – Gottes Allmacht und Vorsehung grundsätzlich in Frage und die Befreiungstheologie nimmt Gott par excellence in den Armen und Unterdrückten wahr. Der deutsche katholische Theologe Hermann Häring (geb. 1937) legt dar, dass Freiheit an sich und das Ringen um Freiheit zum Kern des Christentums gehören.133 In seinem Galaterbrief argumentiert der Apostel Paulus leidenschaftlich, dass Jesus Christus seine Jünger/innen befreit hat und dass diese sich nicht wiederum verskla- ven lassen sollen (vgl. beispielsweise Gal. 5,1). Allerdings haben stattdessen im Lauf der Kirchengeschichte in der Alltagspraxis oft Freiheitsangst, Bevormundung und Kadavergehorsam die Oberhand gewonnen. In Krisenzeiten und Perioden von Transformation – man könnte sagen: Wandlung – tritt jedoch laut Häring der Kampf gegen Unfreiheit und Versklavung wieder in den Vordergrund und beginnt jedes Mal ein neues Ringen um Befreiung. Allerdings ist Freiheit auch sehr fragil. Daher muss sie mit Verantwortung einhergehen. Gewahren wir hier nicht eine Ähn- lichkeit mit der poetischen ‚Freiheitslehre‘ von Kazantzakis? Nicht nur in der Theologie, sondern auch im Mönchtum ergaben sich während der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts erhebliche Veränderungen. Insbe- sondere im Zug des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) kam es in mehre- ren katholischen Orden zu einem weiteren Aufgeschlossen-Sein für die moderne Gesellschaft. Aber schon vor dem Konzil lebte beispielsweise der Trappistenpater Thomas Merton (1915-1968) nicht nur in einer Einsiedelei, sondern beschäftigte sich tiefgehend mit der gegenwärtigen Gesellschaft. Er äußerte sich kritisch über Rassismus, Armut und die atomare Rüstung und war aufgeschlossen für Literatur und bildende Kunst. Er untersuchte Spiritualität in anderen Religionen und führte Dialoge mit deren Vertretern, wobei der Zenbuddhismus ihn besonders interessier- te. Er korrespondierte mit vielen Schriftsteller/inne/n wie zum Beispiel Boris Pas- ternak (1890-1960). Obwohl er die spirituelle Autobiographie von Kazantzakis (englischer Titel: Report to Greco) nachweislich studierte,134 ist mir von einer Kor- respondenz mit Kazantzakis nichts bekannt. Eine solche Korrespondenz ist auch deswegen unwahrscheinlich, weil die englische Übersetzung wie auch die griechi- sche Originalversion erst nach dem Tod des Autors erschienen. Ehrlichkeitshalber muss gesagt werden, dass die meisten gerade skizzierten Ent- wicklungen sich in der westkirchlichen Theologie abspielen. Die orthodoxe Theo- logie bewegt sich zwar auch, ist jedoch im Großen und Ganzen erheblich ‚konser- vativer‘. Laut dem Direktor der Akademie für Theologische Studien in der griechi- schen Stadt Volos, Pantelis Kalaïtzidis (geb. 1961), nahm die orthodoxe Theologie an den wichtigsten theologischen Diskussionen des zwanzigsten Jahrhunderts im Grunde nicht teil. Sie war ‚introvertiert‘ und konnte neue theologische Strömungen, wie zum Beispiel die Politische Theologie, Befreiungstheologie und Feministische Theologie, nicht beeinflussen.135 Kalaïtzidis plädiert für eine umfassende politische

133 Vgl. Hermann Häring, ‚„So steht also fest!“: Freiheit als Maß allen Christseins‘, Münchener Theologische Zeitschrift 65 (2014) 178-196. 134 Vgl. http://merton.org/research/marginalia (Zugriff am 31. Januar 2015). 135 Vgl. Kalaitzidis, Orthodoxy and Political Theology, 76-77; ders., ‚From the „Return to the Fathers“ to the Need for a Modern Orthodox Theology‘, St Vladimir’s Theological Quarterly 54 (2010) 5-36, hier 18-19.

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 59

Befreiungstheologie, die das moderne Zeitalter berücksichtigt. Sie sollte einerseits wahrhaft orthodox, andererseits nicht engstirnig und nationalistisch, sondern escha- tologisch orientiert sein und das Heil der ganzen Kirche und Welt im Blick ha- ben.136 Allerdings heißt die von Kalaïtzidis geäußerte und ernst zu nehmende Kritik nicht, dass es im Bereich der orthodoxen Theologie gar keine Veränderungen gibt, die sie näher an Kazantzakis’ Werk heranführen. Wir werden gleich sehen, dass einige orthodoxe Theologen sich mit seinem Œuvre sehr wohl positiv auseinander- setzen. Was das orthodoxe Mönchtum betrifft, gibt es trotz großer Kontinuität zu frühe- ren Modellen des monastischen Lebens auch Evolution und Neues. Dazu gehört das seltene Phänomen einer Kommunität, die nicht nur aus Mönchen oder nur aus Non- nen, sondern aus beiden Geschlechtern besteht und der auch noch Eheleute und ei- nige Unverheiratete angehören. Das findet man in der amerikanischen Kommunität der New Skete im Bundesstaat New York.137 Zudem kommt es auch in der ortho- doxen monastischen Bewegung durchaus vor, dass Mönche und Nonnen soziale und politische Arbeit verrichten. Bereits im oströmischen Konstantinopel waren in mehreren orthodoxen Klöstern Askese, Liturgiefeier und Kranken- und Armenfür- sorge miteinander verknüpft. Nach dem Beispiel der vom Kirchenvater Basilius von Cäsarea (329/330-378) mit eigenem Geld eingerichteten Krankenanstalten ver- fügten beispielsweise auch die Hagia Sophia und das Pantokrator-Kloster in Kon- stantinopel über Einrichtungen für die Alten- und Krankenfürsorge. Auch andere unternahmen Initiativen, die auf Armutslinderung ausgerichtet waren.138 Was die jüngste Vergangenheit betrifft, ist die russisch-orthodoxe Nonne, Mutter Maria Skobtsova (geb. 1891 und 1945 im KZ-Lager umgekommen), ein faszinie- rendes Beispiel. Sie führte ein stürmisches Leben und war lange Zeit ihrer Kirche entfremdet. Ab 1932 war sie jedoch Klosterschwester, aber nicht im traditionellen Sinne. Einerseits hielt sie sich an ihre monastischen Gelübde, andererseits setzte sie sich in Paris sehr im sozialen und caritativen Bereich ein. ‚Die Welt ist mein Klos- ter‘, sagte sie. Gottesliebe bedeutete für sie Nächstenliebe, konkrete Unterstützung der Notleidenden. Ihrer Meinung nach sollte wahre Askese sich nicht auf die Ret- tung der eigenen Seele, auf Bußpraktiken und die Teilnahme an schönen Gottes- diensten konzentrieren, sondern den Kirchenraum und versteinerte liturgische Ritu- ale verlassen und sich für die große Welt und deren soziales Elend öffnen. Laut Mutter Maria entäußert solche Askese sich wie Christus (vgl. Phil. 2, 6-8). So wird die Asketin bzw. der Asket durch die rettende Liebe Christi verwandelt, ‚vergött- licht‘ (θέωσις). Die christliche Liebe ist sowohl zum Opfer bereit (wie der Sohn Gottes) als auch erbarmungsvoll und empathisch (wie die Gottesmutter).139 Bis zu ihrer Verhaftung durch die Gestapo strengte sie sich insbesondere für die Rettung von Juden und Jüdinnen aus den Händen der Nazis an. Auch setzte sie sich

136 Vgl. auch Pantelis Kalaitzidis, ‚Orthodoxy and Hellenism in Contemporary Greece‘, St Vla- dimir’s Theological Quarterly 54 (2010) 365-420. 137 Vgl. http://www.newskete.org (Zugriff am 13. Januar 2015). 138 Vgl. u.a. Demetrios J. Constantelos, Byzantine Philanthropy and Social Welfare (New Ro- chelle NY, 21992). 139 Vgl. Heleen Zorgdrager, ‚Reclaiming theosis: Orthodox Women Theologians on the Mystery of the Union with God‘, Internationale Kirchliche Zeitschrift 104 (2014) 220-245, hier insbes. 229-237.

60 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM intellektuell mit den Mächten des Bösen in ihrem eigenen Zeitalter auseinander und sie tat dies ökumenisch, d.h. in Dialog mit Angehörigen anderer Kirchen. Zudem war sie eine Intellektuelle, Literatin und Künstlerin, die Lyrik, Essays, Kurzge- schichten und Theaterstücke verfasste und Gemälde, Ikonen und Fresken malte.140 Sie war allerdings eine Outsiderin in ihrer eigenen Kirche und viele begegneten ihr mit Ablehnung. Trotzdem wurde sie von der Leitung der russisch-orthodoxen Kir- che 2004 heiliggesprochen; ihr Fest ist alljährlich am 20. Juli.141 Ich glaube nicht, dass Kazantzakis missbilligend über sie gesprochen hätte, sondern im Gegenteil von dieser unkonventionellen und kämpferischen Frau beeindruckt gewesen wäre und ihr vielleicht sogar ein canto gewidmet hätte. Kazantzakis war befreundet mit Albert Schweitzer (1875-1965), der nicht nur Arzt, sondern auch evangelischer Theologe und Kirchenmusiker war. Der Kreter hatte ihm seinen Roman über Franz von Assisi gewidmet, weil er ihn als den ‚hl. Franziskus unserer Zeit‘ betrachtete.142 Allerdings stellte Schweitzer eine Ausnah- me dar, denn es gehörten keine anderen berühmten Theologen zum Freundes- und Bekanntenkreis von Kazantzakis. Er hatte Kontakt zu Philosophen und Literaten, aber die Gottgelehrten fehlten. Obwohl er Klassiker sowohl der byzantinischen als auch der westkirchlichen mystischen Theologie studiert hatte, las er mit Ausnahme von Paul Tillich keine moderne Theologie. Die durchschnittliche orthodoxe Theo- logie zeit seines Lebens war ihm zu lebensfern. Zudem misstraute er der systemati- schen Theologie, als ob man Gott ‚systematisieren‘ könnte. Des Weiteren muss man in Bezug auf modernere, ‚fortschrittliche‘ und ‚aufgeschlossene‘ Theologie, die ihm wahrscheinlich einigermaßen zugesagt hätte, gemeinsam mit dem amerika- nischen Homiletiker und Kazantzakis-Fan Joseph Jeter bemerken, dass viel davon protestantisch und amerikanisch war. Kazantzakis hatte jedoch wenig Erfahrung mit dem Protestantismus und war nie in Amerika.143

140 Vgl. Paul Ladouceur, ‚The Saint as Artist: The Art of Saint Maria of Paris (Mother Maria Skobtsova) – The Making of a Poet-Artist‘, Sobornost incorporating Eastern Churches Re- view 36 (2014) 48-72. 141 Vgl. Michael Plekon, ‚Sister Maria Skobtsova‘, in: Orthodox Handbook on Ecumenism, Hg. Kalaitzidis u.a., 243-247; Nicholas Denysenko, ‚Retrieving a Theology of Belonging: Eucha- rist and Church in Postmodernity‘, Worship 88 (2014) 543-561; 89 (2015) 21-43, hier 22-26. Man könnte auch an die russische Großfürstin Elisaveta Feodorovna (geb. 1864 und ermor- det 1918) denken. Sie verrichtete im von ihr gegründeten Moskauer Martha-Marien-Stift, dem sie als Nonne und Äbtissin angehörte, bedeutende Sozialarbeit, insbesondere für die Kranken. Sie wurde 1992 von der russisch-orthodoxen Bischofssynode heiliggesprochen; ihr Festtag ist am 5. Juli. Vgl. Nikolaj Thon, ‚Das Martha-Marien-Stift in Moskau: Eine Kom- munität neuer Art in der Russischen Orthodoxen Kirche‘, in: Askese versus Konsumgesell- schaft: Aktualität und Spiritualität von Mönchtum und Ordensleben im 21. Jahrhundert, Hg. Jürgen Henkel und Nikolaus Wyrwoll, Deutsch-Rumänische Theologische Bibliothek 4 (Bonn und Hermannstadt, 2013), 432-446; Grant S. White, ‚Monastic and Ascetic Life, Tra- dition, and Interpretation: A Reflection‘, in: Askese und gemeinsames Leben: Vorträge der sechsten Finnisch-deutschen Theologentagung (Makarios-Symposium) in Turku, Finnland, 25.-28.9.2003, Hg. Hans-Olof Kvist, Studier i systematisk teologi viz Åbo Akademi 28 (Åbo, 2004), 109-116, hier 115. 142 Kazantzakis, Ὁ Φτωχούλης τοῦ Θεοῦ, 7. 143 Vgl. Joseph R. Jeter, Jr., ‚„Dwindling Down the Shore“: Christology in the Odyssey‘, in: God’s Struggler, Hg. Middleton und Bien, 133-152, hier 136-137.

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 61

CHRISTLICHER TITEL DER ASKETIK?

Auch der Haupttitel unseres Buches dürfte einen Hinweis auf die christliche Tradition enthalten. Die Asketik-Schrift ist die Lehre des spirituellen Trainie- rens, des Übens, der Disziplin und der richtigen Lebensweise – in der christli- chen monastischen Literatur bedeutet ἄσκησις / ἄσκηση nicht nur geistliche Übung und Disziplin, sondern auch die richtige Lebensweise –, um zu Gott auf- zusteigen, auf diese Weise Gott zu retten bzw. sich mit Gott zu vereinen (und auch wieder nicht!). Wir begegnen dem Begriff ‚Askese‘ in einer Vielfalt von Konnotationen und Kontexten bereits im prächristlichen griechischen Schrifttum sowie in der orthodo- xen mystischen Literatur. Asketische Praktiken und Gesinnungen kommen nicht nur im Christentum, sondern auch im Hinduismus, Buddhismus, Taoismus, Juden- tum, Islam und anderen Religionen vor.144 Daher ist der Asketik-Titel sicher nicht exklusiv christlich. Das würde den Absichten von Kazantzakis auch nicht entspre- chen. Ebenso wenig ist der Titel Asketik neu. Beispielsweise verfasste Basilius von Cä- sarea einige monastische Asketik-Schriften, die als Kleines Asketikon und Großes Asketikon bekannt blieben.145 Auch der von Kazantzakis bewunderte Maximus der Bekenner (siehe unten) verfasste ein Askesebuch laut Frage und Antwort (λόγος ἀσκητικὸς κατὰ πεῦσιν καὶ ἀπόκρισιν, Liber asceticus, vor 630).146 Der Titel von Kazantzakis’ Asketik erinnert uns auch an zwei bedeutsame Werke der westkirchli- chen Spiritualität: erstens an die Geistlichen Übungen der gelehrten Nonne und Mystikerin Gertrud von Helfta (1256-1301/02) und zweitens an die gleichnamigen ‚Exerzitien‘ des Gründers des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola (1491-1556),

144 Vgl. Henry George Liddell und Robert Scott, A Greek-English Lexicon … with a revised supplement (Oxford, 1996), 257; Lampe, A Patristic Greek Lexicon, 244; Georgios Babini- otis, Λεξικό της Νέας Ελληνικής Γλώσσας (Athen, 1998), 300. Auf die Vielfalt von Kontexten und Konnotationen des Askese-Begriffes kann ich hier nicht eingehen. Siehe die Fachlitera- tur, u.a.: Asceticism, Hg. Vincent L. Wimbush und Richard Valantasis (Oxford, 1998); Re- becca Krawiec, ‚Asceticism‘, in: The Oxford Handbook of Early Christian Studies, Hg. Susan Ashbrook Harvey und David G. Hunter (Oxford, 2008), 764-785; Von der Last und Lust der Askese, Berliner Theologische Zeitschrift 32 (2015) 5-180; Hannah Hunt, Clothed in the Body: Asceticism, the Body and the Spiritual in the Late Antique Era (Farnham, 2012). Siehe auch die Übersichten: J. de Guibert u.a., ‚Ascèse, ascétisme‘, sowie ders., ‚Ascétique (Théologie ascétique)‘, in: Dictionnaire de Spiritualité 1 (1937) 936-1010, 1010-1017; H. Strathmann, ‚Askese I (nichtchristlich)‘ sowie ders. und P. Keseling, ‚Askese II (christlich)‘, in: Reallexikon für Antike und Christentum 1 (1950) 749-758 und 758-795; Alice-Mary Tal- bot, ‚Asceticism‘, The Oxford Dictionary of Byzantium, Bd. I, Hg. Alexander P. Kazhdan u.a. (New York und Oxford, 1991), 203-204; Ugo Bianchi u.a., ‚Askese‘, Lexikon für Theo- logie und Kirche 1 (Sonderausgabe 32006), 1074-1083; Henriette Harich-Schwarzbauer u.a., ‚Askese‘, in: Religion in Geschichte und Gegenwart 1 (41998), 830-842; Jan Bergman u.a., ‚Askese‘, in: Theologische Realenzyklopädie 4 (1979) 195-259; Gerhard Schlatter, ‚Askese‘, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. II, Hg. Hubert Cancik u.a. (Stuttgart, 1990), 60-82. 145 Vgl. Anna M. Silvas, The Asketikon of St Basil the Great (Oxford, 2005). 146 Vgl. Maximi Confessoris Liber Asceticus, Hg. Peter Van Deun, Corpus Christianorum: Series Graeca 40 (Turnhout, 2000).

62 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM dessen Werk Kazantzakis kannte.147 Es ist erwähnenswert, dass auch Nikodimos, einer der beiden Herausgeber der Philokalia (siehe oben), die Geistlichen Übungen von Ignatius kannte und sogar eine Schrift des italienischen Jesuiten Giovanni Pie- tro Pinamonti (gest. 1703), Esercizi spirituali di s. Ignazio di Loyola (1689), über- tragen und überarbeitet hat.148 Es ist auch interessant, dass Kimon Friar in seiner englischen Übersetzung konsequent den Ausdruck Spiritual Exercises für Asketik verwendet.149 Der lateinische Untertitel des Buches, mit dem sich meine Studie befasst, Salva- tores Dei, zeigt Kazantzakis’ Grundüberzeugung, dass die Menschen nicht abwar- ten sollten, bis Gott sie retten wird – Gott vermag das gar nicht, denn so einen Gott gibt es nach Kazantzakis’ Meinung nicht –, sondern dass sie stattdessen selbst Gott, der in seinem Einsatz und Kampf gefährdet ist, retten sollten. Man könnte das Buch auch eine ‚Theologie des Handelns‘ nennen (Peter Bien). ‚Asketik‘ heißt auch eine Subdisziplin von patristischen Gelehrten, die die früh- christliche monastische Spiritualität erforschen.150 Der Name steht ebenso für eine Lehrveranstaltung an einigen theologischen Fakultäten. Manchmal werden diese Lehrveranstaltungen in Kombination mit denen über Spiritualität oder Moraltheo- logie abgehalten. Es überrascht daher nicht, dass es auch Handbücher mit diesem Titel gibt.151 Bis 1971 wurde in Paris eine wissenschaftliche Zeitschrift mit dem Titel Revue d’Ascétique et de Mystique herausgegeben. Der amerikanische katholische Liturgiewissenschaftler David Fagerberg (geb. 1952) plädiert in einer Studie Über liturgische Askese für die Verschränkung von Liturgie, Theologie und Askese.152 Ohne diese wesenhafte Verbindung riskieren Liturgie, Theologie und Askese seiner Ansicht nach, bloß Ritual bzw. eine akade- mische Disziplin und eine individuelle Leistung zu werden. Indem er sich vornehm- lich auf ältere und jüngere orthodoxe Schriften stützt, legt Fagerberg dar, dass wahrhafte Askese im Geiste Christi sowohl Mönche und Nonnen als auch andere Gläubige – nicht nur orthodoxe, sondern auch westkirchliche – betrifft. Askese ist der Lebensatem von Theologie, Kirche und ihrem Gottesdienst. Interessanterweise verwendet Fagerberg den populären Begriff ‚Spiritualität‘ kaum. Andere geistliche Schriftsteller/innen behaupten das Gleiche wie er, indem sie statt des Wortes ‚Aske-

147 Vgl. Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 254 (Anm. 12). Vgl. über die Unter- schiede zwischen der ignatianischen und der hesychastischen Spiritualität sowie deren Gemeinsamkeiten Tim Noble, ‚Ignatian and Hesychast Spirituality: Praying Together‘, St Vladimir’s Theological Quarterly 59 (2015) 43-53. 148 Vgl. Nikodimos Hagioritis, Γυμνάσματα πνευματικὰ (Thessaloniki, 41971, Erstausgabe: Ve- nedig, 1800). Siehe auch Marcel Viller, ‚Nicodème l’Hagiorite et ses imprunts à la littérature spirituelle occidentale‘, Revue d’Ascétique et de Mystique 5 (1924) 174-177, 416; Italo Citterio, L’orientamento ascetico-spirituale de Nicodemo Aghiorita, Doktorarbeit St.-Tho- mas-von-Aquin-Universität Rom (Alessandria, 1987), passim, insbes. 114-116, 121-124, 354-355; Spiteris, La teologia ortodossa neo-greca, 71-73. 149 Vgl. Friar, ‚Introduction‘. 150 Vgl. zum Beispiel Studia Patristica, 64, Papers Presented at the Sixteenth International Conference on Patristic Studies held in Oxford 2011, Hg. Markus Vinzent, 12: Ascetica, Liturgica, Critica et Philologica (Löwen, 2013), 1-74. 151 Vgl. Atanasije Jevtić (Bischof), Аскетнка (Beograd, 2002). 152 Vgl. David W. Fagerberg, On Liturgical Asceticism (Washington DC, 2013).

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 63 se‘ von ‚Spiritualität‘ reden.153 Doch ist letzteres Wort einer gewissen Inflation und Vagheit unterworfen und hat inzwischen mehrere Bedeutungen. ‚Askese‘ dagegen ist sowohl ein alter christlich-monastischer Begriff als auch ein Wort, das für ein modernes westliches Publikum einigermaßen ‚neu‘ und ‚frisch‘ wirken dürfte. Wie Fagerberg nennt auch der griechisch-orthodoxe Theologieprofessor Geor- gios Metallinos (geb. 1940) in seinem Handbuch Das theologische Zeugnis der kirchlichen Liturgie die Askese ein Grundmerkmal des christlichen Gottesdiens- tes.154 Die Liturgie ist der Zugang zum Leben in Christus, zur Vergöttlichung und Heiligung, aber dies kann nur mittels des asketischen Weges geschehen. Die Rein- heit des Herzens bewirkende Askese ist für alle Gläubigen gemeint, doch im Ge- gensatz zu Fagerberg ist Metallinos der Meinung, dass das Mönchtum den besseren und authentischeren Weg im Christentum darstellt. Indem die orthodoxe Liturgie im Lauf der Geschichte viele monastische Merkmale übernommen hat, können zwar auch andere als Mönche davon profitieren, aber der Gipfel der asketischen Liturgie findet sich laut Metallinos in den Klöstern, namentlich auf dem Berg Athos. Auch im nicht-wissenschaftlichen Bereich wird der Askese-Begriff verwendet. Der griechisch-orthodoxe Metropolit Emilianos Timiadis (1917-2008) nennt Aske- se ein Wesensmerkmal authentischer christlicher Spiritualität. Askese besteht seiner Ansicht nach aus Selbstdisziplin, Ausdauer und Kampf gegen Sünde, wie zum Bei- spiel Konsumismus und Hedonismus. Ihr Ziel ist nicht, die Sehnsüchte zu töten (denn das wäre auch für das geistliche Leben schädlich), sondern diese auf Gott hin zu reorientieren. Ebenso wenig setzt Askese einen Gegensatz zwischen Leib und Geist voraus, sondern es geht ihr um den Gegensatz zwischen Egozentrismus und Aufgeschlossen-Sein für Transzendenz. In einem kontinuierlichen Prozess von in- nerer Veränderung und Umkehr konzentriert Askese sich auf Liebe und Gemein- schaftsbildung.155 Laut der deutschen Benediktinerin Corona Bamberg (geb. 1921) gehört Askese zum Wesen des christlichen Glaubens. Die heutige maßlose Welt braucht Askese mehr als je zuvor. Die ‚Strukturelemente‘ der Askese sind Ordnung, Offenheit und Kampf, die alle jedoch mit Freude einhergehen. Der Ort authentischer Askese ist mitten im Humanen. Daher darf sie nicht mit Körperfeindlichkeit u.Ä. identifiziert werden. In Jesus von Nazaret findet die wahre Askese Gestalt.156 Ähnlich äußert sich auch der deutsche katholische Bischof und Benediktinerpater Gregor Maria Hanke (geb. 1954), der Askese nicht für Lebensverneinung, sondern im Gegenteil für Therapie hält: Askese befähigt den Menschen, das Leben zu ordnen, sowohl auf Konsumismus als auch auf Hektik und Aktionismus zu verzichten, die Gottesbezie- hung zu vertiefen, die Nächstenliebe zu fördern und das ganze Leben zu verwan-

153 Vgl. beispielsweise Liturgie und Spiritualität, Hg. Winfried Haunerland, Alexander Saber- schinsky und Hans-Gerd Wirtz (Trier, 2004); Olivier Quenardel, ‚Liturgie et vie spirituelle‘, La Maison-Dieu, Nr. 276 (Dezember 2013), 11-29. 154 Vgl. Georgios D. Metallinos (Erzpriester), Ἡ θεολογικὴ μαρτυρία τῆς ἐκκλησιαστικῆς λατρείας (Athen, 1995), 185-192. 155 Vgl. Emilianos Timiadis (Metropolit), Towards Authentic Christian Spirituality: Orthodox Pastoral Reflections, Hg. Markos Nickolas (Brookline MA, 1998), 73-100. 156 Vgl. Bamberg, Askese.

64 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM deln.157 Laut dem deutschen Karmeliterpater und Spiritualitätsexperten Michael Plattig (geb. 1960) ist das Ziel der Askese ‚das Wachstum des Menschen zu mehr Selbsterkenntnis und in eine größere Freiheit hinein, die ihn öffnet für die Erfah- rung Gottes‘. Ohne geistlichen Kampf und ohne zähes Ringen könne man jedoch nicht zur wahren Freiheit gelangen.158 Auch für den flämischen Jesuitenpater Roger Lenaers (geb. 1925), der die katholische Kirche und ihre Theologie radikal erneuern möchte, bleibt Askese unverzichtbar. Sie ist eine notwendige Anstrengung, um sich nicht von allerlei Impulsen beherrschen zu lassen, sondern auf dem Weg zu Gott zu bleiben. Sie stellt eine Einübung in die innere Freiheit dar.159 Des Weiteren ist mir zum Beispiel ein griechisches Buch mit dem Titel Die As- ketik der Liebe bekannt: eine Biographie über und die Aussagen der ‚geistlichen Mutter‘ (γερόντισσα) Gavrielia Papagianni (1897-1992), deren Leben laut vielen Zeitgenoss/inn/en durch Askese, Selbsthingabe und Liebe gekennzeichnet war.160 Ferner werden zurzeit in West- und Mitteleuropa vielerorts Kurse und Übungen über ‚Askese heute‘ angeboten, in denen Fasten, Fitnessübungen und Alltagsdiszip- lin angepriesen und eingeübt werden. Nicht selten handeln die Teilnehmenden aus Gesundheits- und Schönheitsmotiven. Obwohl in einer hektischen Konsumgesell- schaft die vermeintliche ‚Rückkehr‘ zur Mäßigung und zu einem ‚einfachen Leben‘ einen positiven Beiklang hat, dürfte ein Kritikpunkt sein, dass die Teilnehmer/innen in erster Linie sich selbst im Blick haben und dass es ihnen ausschließlich um Selbsterfahrung geht. (Es gibt jedoch auch Teilnehmer/innen, für die es in erster Linie um eine spirituelle, ‚ganzheitliche‘ Erfahrung geht.) Viele moderne ‚Asketen‘ und ‚Asketinnen‘ in der heutigen westlichen Welt kämpfen nicht für ihre Beziehung zu Gott, sondern ‚nur‘ für sich selbst.161

STELLUNGNAHMEN EINIGER GRIECHISCH-ORTHODOXER THEOLOGEN

Die Reaktionen griechisch-orthodoxer Theologen, Priester und Bischöfe auf Kazantzakis’ Theorie sind recht gemischt. Sie reichen von regelrechter Verur- teilung bis zu vorsichtiger Akzeptanz und sogar Begeisterung. Hier folgen eini- ge Beispiele jüngeren Datums und zwar nur von solchen, die sich mit dem Werk von Kazantzakis ernsthaft auseinandergesetzt haben. Es ist wohl kein Zufall, dass einige unter ihnen Kreter sind.

157 Vgl. Gregor Maria Hanke (Bischof von Eichstätt), ‚Askese als Förderer der Ordnung und Gesundheit im Leben des Menschen‘, in: Askese versus Konsumgesellschaft, Hg. Henkel und Wyrwoll, 64-70. 158 Vgl. Michael Plattig, ‚Theologie einer monastischen Spiritualität für das 21. Jahrhundert‘, in: Askese versus Konsumgesellschaft, Hg. Henkel und Wyrwoll, 172-190, hier 179-181 (Zitat: 181). 159 Vgl. Roger Lenaers, Der Traum des Königs Nebukadnezar oder das Ende einer mittelalterli- chen Kirche (Kleve, 22008), 229-230. 160 Vgl. Gavrielia (Nonne), Ἡ Ἀσκητική τῆς Ἀγάπης (Athen, 111999). 161 Vgl. Isabelle Jonveaux, ‚Die Ekstase erreichen: Fastentechniken als neue religiöse Erfahrun- gen‘, Disputatio philosophica 2014, 117-126; Schlatter, ‚Askese‘, 61, 70.

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 65

Der griechisch-amerikanische Universitätsprofessor und Priester Demetrios Constantelos (geb. 1927) stellt den enormen Einfluss orthodoxer Traditionen im Gesamtwerk des seiner Meinung nach sehr religiösen Kazantzakis fest.162 Für seine Evaluierung des spirituell-religiösen Charakters dessen Œuvres konzentriert er sich nicht auf die Asketik, da diese Schrift nach seiner Meinung noch eine Entwick- lungsphase im Leben von Kazantzakis darstellt, sondern auf Rechenschaft vor El Greco. Constantelos betrachtet dieses Werk, das Kazantzakis erst am Ende seines Lebens verfasste, als in höherem Maße repräsentativ für das religiöse Denken des Kreters. Er weist sowohl auf signifikante Ähnlichkeiten als auch grundlegende Un- terschiede zwischen Kazantzakis’ Erlösungslehre und der orthodoxen Theologie hin. Solche Ähnlichkeiten sind beispielsweise das auf Gott Ausgerichtet-Sein des suchenden Menschen, der Kampf zwischen Geist und Fleisch, das gottmenschliche Element in jeder Person und eine dynamische Pneumatologie. Unterschiede sind Kazantzakis’ Auffassung über ‚die Schöpfung ohne Schöpfer‘, das Fehlen der Möglichkeit des ewigen Lebens für die individuelle Person sowie das Fehlen der Gewissheit und Präsenz Gottes. Man darf Kazantzakis jedoch nicht mit theologischen Kriterien beurteilen, meint Constantelos, da jener kein Theologe, sondern ein Literat und religiöser Denker war. Auch sein Antiklerikalismus darf nicht als ein Zeichen seiner vermeintlichen ‚Orthodoxie-Feindlichkeit‘ betrachtet werden, da in der orthodoxen Tradition Kritik an Fehltritten des Klerus nichts Außergewöhnliches ist. Aufgrund der Dynamik und historischen Entwicklung, die sowohl die orthodoxe Theologie als auch den grie- chischen Geist charakterisiert, plädiert Constantelos dafür, Kazantzakis’ Theorie als theologoumena zu betrachten. Er weist dabei auch auf den Palamismus hin: die Auffassungen von Gregorios Palamas wären im ersten Jahrtausend theologoumena gewesen, bevor sie im vierzehnten Jahrhundert offizielle Theologie und Kirchen- lehre wurden. Insgesamt plädiert Constantelos dafür, das Œuvre von Kazantzakis umfassend zu studieren. Fast ins gleiche Horn bläst Lambros Kamperidis, dessen Namen schon genannt wurde, als es um die orthodoxe geistliche und gottesdienstliche Tradition als eine tragende Säule der Asketik ging. Was die Beziehung zwischen Materie und Geist und die Struktur und den Inhalt der Asketik betrifft, sieht Kamperidis einerseits auf- fallende Ähnlichkeiten, andererseits bedeutende Unterschiede zwischen der ortho- doxen kirchlichen Lehre und der von Kazantzakis in seiner Asketik entwickelten Theorie.163 Grundlegend für die christlich-orthodoxe Theologie ist die Koexistenz zwischen Geist und Materie, zwischen Gott und Mensch. Gott inkarnierte sich in Jesus Christus, damit der Mensch vergöttlicht werden konnte. Die Zusammenarbeit, sogar die Einheit zwischen Gott und Mensch spielt zwar auch im Œuvre von Ka- zantzakis eine Hauptrolle (obwohl diese am Ende der Asketik sozusagen ‚platzt‘). Allerdings erreicht der kretische Literat kein Gleichgewicht zwischen beiden Part- nern in gegenseitiger Liebe, weil er im Grunde die Inkarnation und deren ‚Heilspo- tential‘ nicht ernst genug nimmt und dadurch nicht zur wahren gottmenschlichen Versöhnung gelangt.164

162 Vgl. Constantelos, ‚Nikos Kazantzakis; Orthodox or Heterodox?‘ 163 Vgl. Kamperidis, ‚The Orthodox Origins of The Saviors of God‘. 164 Bezeichnend für die Vielfalt, die es auch unter Kazantzakis prinzipiell positiv gegenüberste- henden Theolog/inn/en gibt, ist die Ansicht der amerikanischen lutherischen Theologin Ann

66 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM

Laut Kamperidis ist die Asketik, ‚mit ihrem aufsteigenden, einer Klimax zustre- benden Ton, mit ihrer eschatologischen Vision, dem sehr persönlichen Glaubens- bekenntnis und den Seligpreisungen am Ende, den leicht geänderten Bibelpassagen klarerweise auf die orthodoxe Liturgie modelliert. Es stellt ein liturgisches Werk dar, in dem der zelebrierende Priester der Autor selber ist. Er bietet diese kosmische Liturgie im Namen der gesamten Schöpfung an…‘165 Die von Kazantzakis jedem Menschen angeordnete Pflicht, sich Gottes Rhythmus anzupassen, sich zu opfern und Verantwortung für das Universum zu übernehmen, erinnert Kamperidis an das eucharistische Hochgebet der orthodoxen Liturgie, die Anaphora, laut der das menschliche Opferhandeln bloß das Zurückgeben dessen ist, was Gott schon längst gehört. Das, was die Liturgen eucharistisch darbieten, ist nicht ihr Eigentum, son- dern es gehört schon immer nur Gott selbst: ‚Wir bringen Dir das Deine vom Dei- nigen dar, überall und für alles‘.166 Der griechisch-kanadische Gelehrte und Priester nennt noch einige konkrete Orte in der Asketik, um ihre partielle literarische Abhängigkeit von der orthodoxen Li- turgie und Mystik zu verdeutlichen. Erstens ist Gottes Ausruf im finalen Credo von Kazantzakis ‚„Hilfe!“ schreist Du, Herr. „Hilfe!“, schreist Du, Herr, und ich höre zu‘ als eine Umkehrung des Ausrufes des Menschen an Gott im bekannten Vesper- psalm zu sehen: ‚Herr, ich rufe zu dir … höre auf meine Stimme‘ (Ps. 140,1). Zwei- tens ist der Gang ins ‚mystische Brautgemach‘167 eine Anleihe beim alttestamentli- chen Hohelied und bei der späteren einschlägigen christlichen Mystik. Drittens ist Kazantzakis’ Aussage, dass die Welt ‚weder ein strahlendes Gewand, das den mys- tischen Leib Gottes umhüllt, noch die durchsichtige und dunkle Zwischenwand zwischen Mensch und Mysterium ist‘168, eine Anleihe bei einem beliebten Karwo- che-Gesang und bei einer neutestamentlichen Passage. Der einschlägige Gesang (Τὸν νυμφῶνά σου βλέπω…) handelt vom geschmückten Brautgemach, das die Gläubigen sehen. Sie haben jedoch kein strahlendes Gewand und können das Ge- mach nicht betreten. Darum bitten sie den Heiland, das Gewand ihrer Seele strahlen zu lassen und sie zu retten.169 Die Morgengottesdienste, in denen dieser Gesang vorkommt, heißen nach einem anderen charakteristischen Troparion ‚der Bräuti- gam‘ (ὁ Νυμφίος): Christus, der Bräutigam, kommt bei Nacht und Nebel, die Die- ner sollen nicht einschlafen, sondern nüchtern (!) bleiben und ihn andachtsvoll und singend erwarten.170 Schließlich bezieht sich die neutestamentliche Passage auf Eph. 2,14-16, laut welchem Text Christus ‚uns‘ vereint hat, die trennende Zwi- schenwand abgerissen und aus zwei ‚einen neuen Menschen‘ geschaffen hat. Laut dem Münsteraner Professor für orthodoxe Theologie, Anastasios Kallis (geb. 1934), ist Kazantzakis tief religiös, ein ständig Suchender, ein existentieller Denker und Vertreter einer mystischen Philosophie. Er ist zwar anti-klerikal, doch

M. Pederson, dass Kazantzakis die Inkarnation äußerst ernst nimmt. Vgl. ihren Aufsatz ‚Sav- iors of God: Soteriological Motifs in the Theologies of Kazantzakis and Luther‘, in: God’s Struggler, Hg. Middleton und Bien, 93-111, hier 96-97. 165 Kamperidis, ‚The Orthodox Origins of The Saviors of God‘, 64. 166 Ἱερατικόν, 132, 172. 167 Vgl. Kazantzakis, ’Ασκητική, 52. 168 Kazantzakis, ’Ασκητική, 86-87. 169 Vgl. Ἡ Ἁγία καὶ Μεγάλη Ἑβδομάς, Hg. Konstantinos Papagiannis (Athen, 91985), 75, 105- 106, 130, 159 (letztere am Morgenlob des Gründonnerstags). 170 Vgl. Ἡ Ἁγία καὶ Μεγάλη Ἑβδομάς, 67-68, 97, 123.

KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM 67 nicht anti-kirchlich, weil er nicht von der Hierarchie, sondern von der umfassenden Fülle der Kirche ausgeht. Im Geist der griechischen Patristik gründet Kazantzakis sich auf die apophatische Theologie und die Kooperation (συνεργία) zwischen Gott und Mensch.171 Uneingeschränkt begeistert über Kazantzakis’ tapfere Gottessuche ist auch der Erzbischof von Australien, Stylianos Harkianakis (geb. 1935), der übrigens kreti- scher Herkunft ist.172 Er wäre glücklich, wenn auch nur ein Bruchteil der Christ- gläubigen so spirituell und wachsam wie dieser tapfere und aufgeschlossene Asket wäre, und er plädiert für seine Rehabilitierung seitens der griechisch-orthodoxen Kirche. Ein weiterer Kreter, der Metropolit von Austria und Exarch von Ungarn, Arsenios Kardamakis (geb. 1973, im Amt seit Ende 2011), ist davon überzeugt, dass Kazantzakis ein Gottsucher war, der für die Freiheit kämpfte und Gott auch fand. Laut dem griechisch-österreichischen Metropoliten sollten die Menschen für ihre Rettung mit Gott kooperieren: durch die Zusammenarbeit zwischen ihrem Kampf und der Gnade Gottes werden sie gerettet. Die orthodoxe Kirche sollte sich mit der Theologie des kretischen Literaten beschäftigen und einschlägige wissen- schaftliche Arbeiten fördern.173 Wir stellten oben bereits fest, dass der Theologieprofessor Nikos Matsoukas der Ansicht ist, die Vision und Theorie Kazantzakis’ sei zutiefst in der orthodoxen The- ologie und Spiritualität verwurzelt. Der frühere Direktor der Orthodoxen Akademie Kretas, der Theologe Alexandros Papaderos (geb. 1933) hält Kazantzakis für einen unermüdlichen Gottessucher. Suchen, Begehren, Durst, Eros und Apophase sind wesentlich für den Glauben. Zudem entspricht der Wille Kazantzakis’, ständig ‚bergauf‘ statt ‚bergab‘ zu gehen, laut Papaderos dem Charakter Kretas. ‚Bergauf‘ ist ja der einzige menschenwürdige Weg.174 Papaderos fühlt sich mit seinem kreti- schen Landsmann sehr verbunden. Er hält dessen Œuvre, trotz einiger Widersprü- che, für großartig und sehr spirituell. Bereits im Jahr 1967, also in einer Zeit, als Kazantzakis in den kirchlichen und theologischen Kreisen Griechenlands heftig umstritten war und von vielen abgelehnt wurde (siehe unten), hatte Papaderos in

171 Vgl. Anastasios Kallis, ‚Der Aufstieg zu Gott: Der griechisch-orthodoxe Logos des Nikos Kazantzakis‘, in: Nikos Kazantzakis (1883-1957) und seine Zeit, Hg. Horst-Dieter Blume und Cay Lienau, Choregia: Münstersche Griechenland-Studien 6 (Münster, 2008), 109-118. Auch aus häufigen persönlichen Kontakten weiß ich, dass Kallis Kazantzakis’ Gottessuche und de- ren schriftlichen Niederschlag in der Asketik nuanciert-positiv gegenüber steht und in seinen Lehrveranstaltungen über die orthodoxe Theologie auch die Asketik behandelt hat. 172 Vgl. Archbishop Stylianos of Australia, ‚Prologue‘, in: God’s Struggler, Hg. Middleton und Bien, XI-XII. Das zum Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel gehörige Erzbistum Australien ist auch deswegen wichtig, weil Hunderttausende Griechen und Griechinnen dort- hin emigriert sind. Vgl. Ἡμερολόγιον τοῦ Οἰκουμενικοῦ Πατριαρχείου ἔτους 2013 (Thessalo- niki, o.J.), 832-848.Vom Beginn an (1980) bis 2002 war Erzbischof Stylianos auch der or- thodoxe Ko-Vorsitzende der internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwi- schen der orthodoxen Kirche und der römisch-katholischen Kirche und hat so die offiziellen ökumenischen Beziehungen zwischen den beiden Großkirchen lange Zeit mitgeprägt. 173 Vgl. Christian Rathner, Der Brunnen von Epanosifi: Wege zwischen Ost und West (Wien, Graz und Klagenfurt, 2015), 65, 108. Siehe auf S. 108 auch die positive Meinung anderer Mönche. Auch im Programm ‚Orientierung‘ – eine wöchentliche Sendung des österreichi- schen Fernsehens ORF über Religion – vom 1. März 2015 äußerte Metropolit Arsenios sich sehr positiv über den ‚Theologen‘ Kazantzakis. 174 Vgl. Alexandros K. Papaderos, ‚Einleitung‘, in: Kadelbach, Mit Kazantzakis auf den Athos, 9-16.

68 KAZANTZAKIS’ ŒUVRE UND DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM

Athen einen damals viel beachteten Vortrag gehalten, in dem er darlegte, wie der kretische Autor unermüdlich Gott suchte und dabei mit Recht gegen falsche Got- tesbilder kämpfte. In seiner Suche nach der ‚absoluten Wahrheit‘ übersah Kazan- tzkis jedoch (laut Papaderos), dass kein Mensch darin völlig erfolgreich sein kann, denn niemand könne Gott sehen ohne zu sterben (vgl. Ex. 33,20).175 Der ebenfalls aus Kreta stammende Athener Theologieprofessor Michael Makra- kis drückt zum einen großen Respekt vor der kontinuierlichen Suche des Kazantza- kis nach der absoluten Wahrheit aus, bedauert zum anderen, dass er die Göttlichkeit Christi nicht anerkennt und die Kirche nicht als dessen Leib akzeptiert. Für Makra- kis ist die Theorie von Kazantzakis eine ‚Erlösung ohne Erlöser‘.176 Er will ihn je- doch nicht verurteilen, wie viele andere in seiner Glaubensgemeinschaft es bereits taten, sondern für ihn beten: ‚Nimm, Herr, unser Gebet für Deinen Diener Nikolaos an und zeige Dein Wohlwol- len, zumindest aufgrund des Zeugnisses seines ganzen Lebens auf der Suche nach der erlö- senden Wahrheit, damit, falls die irdischen Verunreinigungen ihn befleckt haben, diese durch das Erbarmen Deiner Vergebung abgewischt werden.‘177

175 Vgl. Alexandros K. Papaderos, ‚Ἀπὸ τὴν ἀναστροφή μου μὲ τὸ ἔργο τοῦ Καζαντζάκη‘, in: Σκεῦος εἰς τιμήν: Festschrift für den Metropoliten von Austria Michael Staikos, Hg. Georgios Chr. Tsigaras (Athen, 2011), 659-667. 176 Vgl. Michaïl K. Makrakis, Ὁ Θεός τοῦ Καζαντζάκη καὶ ἡ ἀναζήτηση τῆς ἀπόλυτης ἀλήθειας (Athen, 2009). 177 Makrakis, Ὁ Θεός τοῦ Καζαντζάκη καὶ ἡ ἀναζήτηση τῆς ἀπόλυτης ἀλήθειας, 67-69.

5. EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKIS’ IN DIE ORTHODOXE KULTUR

In einem Exkurs werde ich drei Themenfelder ansprechen, die sich zwar nur indirekt auf das Thema dieses Buches beziehen, aber für sein besseres Ver- ständnis nützlich sind und als Hintergrundinformation dazu beitragen, die Ei- genheit Kazantzakis’ zu begreifen. Nacheinander werde ich Kazantzakis mit einigen anderen Literaten und mit weiteren Persönlichkeiten in Verbindung bringen: insbesondere mit den Schriftstellern Alexandros Papadiamantis, Ale- xandros Moraïtidis und Lev Tolstoj, mit Kardinal Franz König, dem liturgi- schen Dichter Huub Oosterhuis sowie mit dem kretischen Maler El Greco. Da- nach werde ich die orthodoxe Liturgie und die religiöse Volkskultur im Œuvre Kazantzakis’ besprechen. Schließlich werde ich auf das allgemeine Phänomen des liturgischen und kirchenmusikalischen ‚Ost-West-Transfers‘ eingehen.

A. VERGLEICH MIT ANDEREN

ALEXANDROS PAPADIAMANTIS UND ALEXANDROS MORAÏTIDIS

Wenn man Kazantzakis mit einem anderen berühmten religiösen griechischen Schriftsteller, Alexandros Papadiamantis (1851-1911), vergleicht, fällt auf, wie ähnlich und wie unterschiedlich die beiden sind. Beide waren geborene Erzäh- ler, die ihre neugriechische Sprache und Literatur sehr bereicherten. Sie waren sehr religiös und tief beeinflusst vom liturgischen, musikalischen und spirituel- len Erbe ihrer orthodoxen Kirche, das in ihrem Œuvre eine wichtige Rolle spiel- te.178 Beide arbeiteten hart und lebten asketisch, obwohl beide nicht arm waren. Zudem litten sie beide an seelischen Traumata; Papadiamantis war lange Zeit alkoholsüchtig. Der große Unterschied zwischen ihnen ist, dass Kazantzakis nur diejenigen Elemente der orthodoxen Tradition, die er für seine eigene Synthese brauchte, verwendete, während Papadiamantis sich ausschließlich auf die grie- chisch-orthodoxe Tradition und das byzantinische Erbe stützen wollte und aus-

178 Siehe zur Rolle der orthodoxen Liturgie sowie der religiösen Volkskultur im literarischen Werk von Papadiamantis und Moraïtidis: Anestis Keselopoulos, Ἡ Λειτουργικὴ Παράδοση στὸν Ἀλέξανδρο Παπαδιαμάντη (Thessaloniki, 1994); M.G. Varvounis und Nikoleta Souli- otaki, Ἡ παραδοσιακή θρησκευτική συμπεριφορά τῶν συγχρόνων του στό ἔργο τοῦ Ἀλεξάνδ- ρου Παπαδιαμάντη (Athen, 1998); Konstantinos I. Koutoubas, Ἡ Λειτουργικὴ Παράδοση στὸ ἔργο τοῦ Ἀλεξάνδρου Μωραϊτίδη (Athen, 2013); ders., ‚Λειτουργικὰ παράλληλα στὸν Ἀλ. Παπαδιαμάντη καὶ τὸν Ἀλ. Μωραϊτίδη‘, in: Ἑταιρεία Παπαδιαμαντικῶν Σπουδῶν, Πρακτικὰ γ΄ διεθνοῦς συνεδρίου γιὰ τὸν Ἀλέξανδρο Παπαδιαμάντη, Σκιάθος, 29 Σεπτεμβρίου – 2 Ὀκτωβρίου 2011, Bd. I (Athen, 2012), 259-272.

70 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ drücklich die Aufklärung und andere ‚westliche Erneuerungen‘ ablehnte. Der Priestersohn verbrachte einige Zeit auf Athos, diente sowohl in Athen als auch auf seiner Heimatinsel Skiathos als Kantor, nahm rege am Kirchenjahr und an den Gottesdiensten teil und verfasste auch liturgische Hymnen.179 Das gilt auch für einen anderen Literaten aus Skiathos: Alexandros Moraïtidis (1850-1929), Großneffe von Papadiamantis, ebenfalls ein hervorragender Literat, der zwar weniger bekannt ist, dessen literarisches Werk aber sehr geistlich und mit zahlreichen plastischen Beschreibungen von liturgischen Ritualen und Szenen der religiösen Volkskultur gespickt ist. Die beiden Großneffen fühlten sich mit den Kollyvaden und einigen ‚geistlichen Vätern‘ auf Athos eng verwandt.180 Bei den Kollyvaden, denen auch die bereits erwähnten Herausgeber der Philokalia, Niko- dimos und Makarios, angehörten, handelt es sich um eine monastische Bewegung auf Athos, dem nahen Skiathos und anderswo, die das orthodoxe liturgische und asketisch-spirituelle Leben im Sinne einer angestrebten Rückkehr zur ursprüngli- chen orthodoxen Tradition reformieren wollte. Diese Bewegung blühte insbesonde- re von der Mitte des achtzehnten bis zum Anfang des neunzehnten Jahrhunderts und war auch danach noch einflussreich. Wichtige konkrete Anliegen der Kollyva- den waren die Betonung des hohen Stellenwertes der Eucharistie und des Sonntags als ‚Tag der Auferstehung des Herrn‘, die Förderung der oftmaligen Kommunion (aber nur nach der richtigen Vorbereitung!), das laute Vortragen der priesterlichen Gebete während der Liturgie und das erneute Studium der Schriften der Kirchenvä- ter und der hesychastischen Bewegung.181 Auch anhand des Beispiels ihres Sterbebettes zeichnet sich der Unterschied zwi- schen Kazantzakis einerseits und Papadiamantis und Moraïtidis andererseits klar ab. Als Papadiamantis vor seinem Tod einen guten Monat lang bettlägrig war, feierte ein Pfarrer von Skiathos einen Bittgottesdienst für ihn, er nahm ihm die Beichte ab und las auf sein Verlangen das Große Vergebungsgebet. Während dieses Zeitrau- mes empfing Papadiamantis dreimal die Kommunion und feierte die Krankensal- bung. Er starb, vollständig versehen, mitternachts (2.-3. Januar 1911; laut dem juli- anischen Kalender), kurz nachdem man auf seine Bitte bei seinem Bett eine Kerze entzündet hatte und er selbst noch ein charakteristisches Troparion der nahen Vigil

179 Vgl. Hero Hokwerda, ‚Nawoord‘, in: Aléxandros Papadiamandis, De moordenares, Übers. Hero Hokwerda, Grieks Proza Styx VIII (Groningen, 1997), 81-88. 180 Siehe über die Beziehung zwischen den beiden Großneffen u.a. Georgios Printzipas, ‚Ὁ Ἀλέξανδρος Μωραϊτίδης γιὰ τὸν Παπαδιαμάντη‘, Θεολογία 84 (2013) 179-185. Insbesondere Papadiamantis lässt sich in vielerlei Hinsicht mutatis mutandis wohl mit Fedor Dostojevski vergleichen. Vgl. den englischen Titel der Studie von Anestis Keselopoulos, Greece’s Dostoevsky: The Theological Vision of Alexander Papadiamantis, transl. Herman A. Middle- ton (o.O., 2011). 181 Vgl. Nikodimos Skrettas, Ἡ θεία εὐχαριστία καὶ τὰ προνόμια τῆς Κυριακῆς κατὰ τὴ διδασκαλία τῶν Κολλυβάδων (Thessaloniki, 2004); Chrysostomos Nassis, ‚Μεταξὺ Κωνσταντινουπόλεως καὶ Θεσσαλονίκης: Παραλειπόμενα τοῦ Κολλυβαδικοῦ ζητήματος‘, in: Σκεῦος εἰς τιμήν, Hg. Tsigaras, 617-626; Ioannis Zelepos, Orthodoxe Eiferer im osmani- schen Südosteuropa: Die Kollyvadenbewegung (1750-1820) und ihr Beitrag zu den Ausein- andersetzungen um Tradition, Aufklärung und Identität, Balkanologische Veröffentlichungen 56 (Wiesbaden, 2012).

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 71 des Epiphaniefestes (‚Deine Hand [gemeint ist Johannes der Täufer; BG], die das unbefleckte Haupt des Herrschers berührt hat…‘)182 gesungen hatte.183 Moraïtidis wollte in seiner letzten Lebensphase keine ‚weltliche‘ Literatur mehr schreiben. Er verfasste nur noch Hymnen, Bittgottesdienste und andere Texte für Heiligenfeste.184 Wie Papadiamantis tat er das nur, wenn er dringend darum gebeten wurde. Achtzigjährig wurde er noch Mönch – mit dem Namen Andronikos –, er- krankte bald danach und bat vor seinem Tod um die Wegzehrung. Er empfing die Kommunion, flüsterte ein Gebet und sang den zur Kommunion passenden Vers ‚Den Kelch des Heils will ich empfangen und den Namen des Herrn anrufen‘ (Ps. 115, 4).185 Er verstarb am 25. Oktober 1929, genau vierzig Tage nach seiner Mönchsweihe. Übrigens war auch seine Gattin, Vasiliki Foulaki, als Nonne ver- storben. Das Paar hatte 1901 geheiratet und lebte in einer ‚keuschen‘, ‚geschwister- lichen‘ Ehe. Ihre Athener Wohnung war wie eine Kapelle eingerichtet. Vasiliki wurde 1914 in einem Kloster auf der Insel Tinos als Nonne mit dem Namen Atha- nasia eingekleidet und verstarb wenige Tage später. Für Kazantzakis hingegen waren solche Geschichten ein Überbleibsel aus ver- gangenen Zeiten. Als er sich im Freiburger akademischen Krankenhaus befand, bekam er Besuch von seinem Freund, dem berühmten Arzt, Theologen und Kir- chenmusiker Albert Schweitzer. Was damals niemand ahnte, war es der Tag vor dem Tod Kazantzakis’. Am Sterbetag (26. Oktober 1957) bekam er Besuch von zwei Geistlichen, einem katholischen Priester und einem anglikanischen Pfarrer. Sein Gesundheitszustand hatte sich jedoch dramatisch verschlechtert und er drehte ihnen gleich den Rücken zu. Darauf sagte seine Frau ihm, dies wäre nicht anständig von ihm, weil die beiden Geistlichen ihm an jenem Tag – es war das wichtige Fest des griechisch-orthodoxen hl. Dimitrios – einen Gefallen tun wollten. Er antwortete ihr nur, dass er Durst habe.186 Ich vermute jedoch, dass bei dieser Szene viele Fak- toren eine Rolle spielten. Der anglikanische Pfarrer hatte ihn schon mehrmals be- sucht und zwischen ihm und Kazantzakis gab es angenehme Gespräche. Nun war Kazantzakis jedoch akut-terminal, völlig erschöpft und wollte nur noch ein wenig Wasser trinken. Vermutlich duldete er ausschließlich noch sehr vertraute Menschen an seiner Seite. Doch spielten vielleicht auch wiederum sein Antiklerikalismus und seine generelle Abneigung gegen das ‚Frankentum‘ eine Rolle.

182 Es stammt aus dem Gottesdienst der Großen Horen (neunte Stunde). Vgl. Μηναίον τοῦ Ἰανουαρίου (Athen, 1979), 67. 183 Georgios Ath. Stamatas, Ὁ ἱερός μητροπολιτικός ναός Τριῶν Ἱεραρχῶν Σκιάθου (Skiathos, 1998), 61-64; Keselopoulos, Ἡ Λειτουργικὴ Παράδοση στὸν Ἀλέξανδρο Παπαδιαμάντη, 30- 31; Ioannis N. Frangkoulas, Ἡ πνευματική θεώρηση τῆς Σκιάθου (Volos, 1995), 9-19. 184 Vgl. beispielsweise Alexandros Moraïtidis, Ἀκολουθία πανηγυρικὴ τοῦ ἁγίου ἐνδόξου Προφήτου Ἐλισσαίου μετὰ Παρακλητικοῦ Κανόνος (Athen, 1925); ders., Ἀκολουθία τοῦ ὁσίου πατρὸς ἡμῶν Μιχαὴλ τοῦ Μαλεΐνου, Einf. und Komm. Archimandrit Ilias Mastrogiannopou- los (Tinos, 1968). 185 Dieser Kommunionsvers (κοινωνικόν) wird seit dem 12./13. Jahrhundert vor allem an Festen der Mutter Gottes und an Festen von Kirchen, die ihr gewidmet worden sind, verwendet. Vgl. Dimitri E. Conomos, The Late Byzantine and Slavonic Communion Cycle: Liturgy and Music, Dumbarton Oaks Studies 21 (Washington DC, 1985), 23-24, 48, 194. Der Vers wird auch bei der Trauungsliturgie – beim Ritual des gemeinsamen Kelches für das Brautpaar – gesungen. Vgl. dazu Mικρὸν Eὐχολόγιον ἤ Ἁγασματάριον (Athen, 81981), 110. Zudem wird der Vers während der Eucharistie – kurz vor dem Großen Einzug, wenn der Priester dem Diakon den Kelch überreicht – vom Priester gesprochen. Vgl. dazu Ἱερατικόν, 126. 186 Vgl. Eleni Kazantzaki, Νίκος Καζαντζάκης: Ὁ Ἀσυμβίβαστος, 647-655.

72 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ

Für eine von einem orthodoxen Priester gespendete Wegzehrung an seinem Ster- bebett gibt es jedenfalls keinen Nachweis.187 Dass Kazantzakis den liturgischen Versehgang ablehnte, entspricht der letzten Aussage seines Romanhelden und Idealbilds (alter ego) Zorbas: der Sterbende verordnet, dass, falls ein Priester kom- men würde, um ihm die Beichte abzunehmen und die Kommunion zu spenden, die- ser sofort ‚abhauen‘ soll.188 Papadiamantis und Moraïtidis waren überzeugte Traditionalisten. Bildung zum Beispiel bedeutete für sie an erster Stelle die Einübung in die liturgische und spiri- tuelle Tradition der Orthodoxie und das Festhalten an deren althergebrachter Frömmigkeit, weniger jedoch den Erwerb literarischer und akademischer Kenntnis- se. Sie lehnten das Studium gewiss nicht ab, aber es war zweitrangig.189 Zudem hat Papadiamantis, abgesehen von Besuchen am damals im osmanischen Reichsgebiet gelegenen Hl. Berg Athos, Griechenland nie verlassen und Moraïtidis beschränkte seine Auslandsbesuche auf Athos und die orthodoxen Pilgerorte in Konstantinopel, Smyrna, Jerusalem u.Ä. Kazantzakis dagegen plädierte für eine ‚neue Pädagogik‘, die auf radikale Veränderung des sozialen und kirchlichen Establishments hin ziel- te. Er öffnete sich sein Leben lang für andere geistliche und weltanschauliche Strö- mungen, war beinahe dauerhaft auf Reisen und kam um die halbe Welt. Er wollte ständig Neues lernen und auch auf diese Weise ‚Gott schaffen‘. Es ist nicht verwunderlich, dass auch noch heutzutage Papadiamantis und mit ihm Moraïtidis in der Orthodoxen Kirche Griechenlands von vielen verehrt werden. Vom Ersteren gibt es sogar ikonenähnliche Porträts und sein Schädel wird wie eine Reliquie in einer Kirche von Skiathos190 aufbewahrt. Kazantzakis dagegen war (und ist immer noch) in kirchlichen Kreisen sehr umstritten. Den Hintergrund bildet hier natürlich die kirchliche Identitätsfrage: Wofür steht die christliche Glaubensge- meinschaft? Sind die Kirchen für Erneuerung aufgeschlossen oder heben sie vor allem ihre jeweils ‚fixen‘ historischen Eigentraditionen hervor, dabei oft nostalgisch in die Vergangenheit zurückblickend? Sind sie vorwiegend geschlossene und tradi- tionalistische Gesellschaften oder nicht? Ist Tradition für sie an erster Stelle die

187 Kimon Friar erzählte mir 1981, dass ein orthodoxer Priester mit der Kommunion an das Ster- bebett von Kazantzakis gekommen war und dass Letzterer ihm den Rücken gedreht hatte. Mit Hinweis auf fehlende diesbezügliche Daten im Buch von Eleni Kazantzaki über ihren Mann sagte eine Mitarbeiterin des Kazantzakis-Museums mir im September 2014, dass Friar sich wahrscheinlich irrte. 188 Vgl. Kazantzakis, Βίος καὶ πολιτεία τοῦ Ἀλέξη Ζορμπᾶ, 314-315. Natürlich darf man die Auf- assungen des Romanhelden nicht mit denen des Schriftstellers gleichstellen; doch gibt es hier eine interessante Parallele. 189 Vgl. Anestis G. Keselopoulos, Προτάσεις Ποιμαντικῆς Θεολογίας (Thessaloniki, 2003), 149- 165. 190 Es handelt sich um die der Geburt der Gottesmutter gewidmete und auch Παναγία ἡ Λιμνιά genannte Kirche in Skiathos-Stadt: die Kirche, wo Papadiamantis als Kantor tätig war. Vgl. Dirk Schönrock, Skiathos, Skopelos, Alonissos, Skyros: Nördliche Sporaden (Erlangen, 52011), 74. Selber sah ich diese ‚Reliquie‘ und besuchte mehrere andere für die Papadiaman- tis- und Moraïtidis-Forschung wichtige Orte im Sommer 2010. Was Athen betrifft verrichte- ten Moraïtidis und Papadiamantis ihren Kantorendienst in der kleinen, dem hl. Propheten Elisha gewidmeten Kirche in der Plaka, wo der später heiliggesprochene Pfarrer Nikolaos Planas (1851-1932) den Gottesdiensten vorstand.

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Verehrung der verbrannten Asche oder das Weitergeben der Flamme?191 Der Ver- such, diese Fragen zu beantworten, übersteigt jedoch das Ziel dieses Buches.192 Im Gegensatz zu Papadiamantis und Moraïtidis war Kazantzakis keinesfalls ein traditioneller frommer orthodoxer Christ. Er war jedoch sein Leben lang ein Gott- sucher mit griechisch-orthodoxen Wurzeln und man wird ihm gar nicht gerecht, wenn er vornehmlich als ein ‚gottloser‘ Schriftsteller und ein Feind der Orthodoxie betrachtet wird. Er konnte gewiss sehr polemisch sein, auch der religiös-kirchlichen Tradition seiner eigenen kretischen und griechischen Heimat gegenüber. Für ihn stellte die griechische Orthodoxie wie das gesamte etablierte Christentum eine zwar wichtige, doch jetzt überholte historische Phase im spirituellen Aufstieg des Uni- versums dar. Er stellte den soteriologischen Exklusivismus der orthodoxen Kirche sowie jeder anderen Glaubensgemeinschaft – damit meine ich die Auffassung, dass nur die in einer bestimmten Kirche oder Religion gespendeten ‚Gnadenmittel‘ die menschliche Seele retten können193 – radikal in Frage und rief dadurch auch ihre Wut und ihre Ablehnung seines Werkes hervor. Kazantzakis ist vor allem ein ruhe- loser ‚Soldat‘ Gottes, im vollen Einsatz, um seinen ‚General‘ zu unterstützen und zu befreien. In diesem ‚Feldzug‘ werden auch behilfliche spirituelle, liturgische und kirchenmusikalische Elemente der griechischen Orthodoxie als ‚Waffen‘ eingesetzt. In Kürze möchte ich auf einige andere Vergleichsmöglichkeiten hinweisen und werde zunächst einen russischen Literaten nennen, der vor Kazantzakis wirkte und den er sehr bewunderte.

191 Ich paraphrasiere hier eine dem englischen Staatsmann und katholischen Heiligen Thomas More (1478-1535) zugeschriebene Maxime. 192 Was Griechenland betrifft siehe z.B. Orthodox Christianity in 21st Century Greece: The Role of Religion in Culture, Ethnicity and Politics, Hg. Victor Roudometof und Vasilios N. Ma- krides (Farnham, 2010); Angelos Giannakopoulos, Tradition und Moderne in Griechenland: Konfliktfelder in Religion, Politik und Kultur, Erfurter Studien zur Kulturgeschichte des or- thodoxen Christentums 3 (Frankfurt am Main, 2007), 15-124; Basilius J. Groen, ‚Homogene- ity and Otherness: The Greek Orthodox Church, the Greek People, and Heterogeneous Cul- tures and Religions‘, in: Griechische Dimensionen südosteuropäischer Kultur seit dem 18. Jahrhundert: Verortung, Bewegung, Grenzüberschreitung, Hg. Maria Oikonomou, Maria Stassinopoulou und Ioannis Zelepos, Studien zur Geschichte Südosteuropas 17 (Frankfurt am Main, 2011), 141-153. 193 Vgl. Wacław Hryniewicz, ‚Ecumenical Lessons from the Past: Soteriological Exclusivism at the Basis of Uniatism‘, in: Kirchen im Kontext unterschiedlicher Kulturen: Auf dem Weg ins dritte Jahrtausend, Hg. Karl Felmy (Göttingen, 1991), 521-533. Auch die im nordlibanesi- schen Balamand-Kloster von der internationalen Kommission für den katholisch-orthodoxen theologischen Dialog verabschiedete ‚Balamand-Erklärung‘ über den Uniatismus (1993) ar- gumentiert mit diesem Begriff. Siehe z.B. Wacław Hryniewicz, ‚Uniatismus: Einst und jetzt – Reflexionen zum Dokument von Balamand (1993)‘, Ostkirchliche Studien 43 (1994) 328- 339; Hermenegild Biedermann, ‚Orthodoxie und Unia: Das Dokument von Balamand (17.- 24.6.1993)‘, Ostkirchliche Studien 44 (1995) 11-32; Antonius J. van der Aalst, ‚De theologi- sche dialoog tussen de orthodoxe en de katholieke kerk: Achtste vergadering – Balamand, Libanon, 17-24 juni 1993‘, Het Christelijk Oosten 45 (1993) 242-257; Frans Bouwen, ‚Ba- lamand 1993: VIIe session de la Commission internationale pour le dialogue théologique ent- re l’Église catholique et l’Église orthodoxe‘, Proche-Orient Chrétien 43 (1993) 91-112.

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LEV TOLSTOJ

Trotz signifikanter Unterschiede im Lebenslauf ähnelt Kazantzakis in vielfacher Hinsicht dem russischen Schriftsteller Lev N. Tolstoj (1828-1910).194 Beide wa- ren brillante Literaten und beide verfassten zahllose Briefe. Kazantzakis kannte das literarische Werk Tolstojs gut, schätzte ihn sehr und widmete ihm ein Kapi- tel seiner Geschichte der russischen Literatur.195 Er war von Tolstojs spiritueller und religiöser Suche tief beeindruckt.196 Beide Autoren waren orthodox erzogen und inkorporierten viele Geschichten und Beschreibungen kirchlich-religiöser Rituale in ihre Schriften, und zwar in solchem Ausmaß, dass man fast von einer ‚narrativen Theologie‘ sprechen könnte. Beispielsweise erzählt Tolstoj folgende entzückende Geschichte: Ein orthodoxer Bischof, der einige weit entfernte Inseln seiner nordrussischen Diözese besuchen wollte, erfuhr an Bord des Schiffes, dass es auf einer anderen Insel drei heilige Einsiedler gab, die er nicht kannte. Er ordnete dem Kapitän an, jene Insel anzusteuern. Dort angekommen, begrüßte er die Mönche und fragte sie, wie ihr geistliches Leben aussah. Sie berichteten ihm unter anderem, mit welchen Worten sie täglich zu Gott beteten: ‚Lieber Gott, Du bist zu dritt, wir sind zu dritt, erbarme Dich unser.‘ Andere Gebete kannten sie nicht. Der Bischof war über sol- che ‚Ignoranz‘ schockiert und dachte, dass diese ungebildeten Einsiedler so heilig nicht sein konnten. Er entschied sich, sie zu unterrichten und lehrte sie den Text des Vater-Unsers. Nach einigen Stunden konnten die Mönche dieses Gebet endlich auswendig und der Bischof verabschiedete sich. Als das Schiff auf hoher See war, bemerkten die Passagiere entsetzt, dass sich drei Gestalten über das Wasser dem Schiff näherten. Es waren die drei Mönche! Der älteste der drei rief dem Bischof zu: ‚Exzellenz, Verzeihung, wir haben den Text vergessen, unterrichten Sie uns bit- te nochmals.‘ Nun sah der Bischof ein, dass nicht er ihr Lehrer war, sondern dass sie ihn in Heiligkeit weit übertrafen, und er sagte ihnen: ‚Lasst es sein, gehet hin in Frieden‘, und sie wanderten zu Fuß über das Meer zurück.197 Sowohl Kazantzakis als auch Tolstoj distanzierten sich jedoch radikal von ihrer Kirche und deren Klerus und wollten eine neue Religion gründen. Beide ließen sich von zahlreichen anderen nicht-christlichen religiösen und weltanschaulichen Strö- mungen beeinflussen, wobei Tolstoj sich jedoch – im Gegensatz zu Kazantzakis,

194 Vgl. Tolstoj als theologischer Denker und Kirchenkritiker, Hg. Martin George, Jens Herlth, Christian Münch und Ulrich Schmid (Göttingen, 2014); Ulrich Schmid, Lew Tolstoi, C.H. Beck Wissen (München, 2010); Makrakis, Ὁ Θεός τοῦ Καζαντζάκη καὶ ἡ ἀναζήτηση τῆς ἀπόλυτης ἀλήθειας, 55-69. 195 Vgl. Nikos Kazantzakis, Ἱστορία τῆς Ρωσικῆς Λογοτεχνίας (Athen, 21965, Erstausgabe 1930), 201-212. Siehe auch Kazantzakis, Ταξιδεύοντας: Ρουσία, 144-152. 196 Vgl. Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 248-249 (Anm. 11). 197 Ich stütze mich auf eine englische Übersetzung: Leo Tolstoy, Master and Man and Other Stories, translated with notes by Ronald Wilkes and Paul Foote, with an introduction by Hugh McLean, Penguin Classics (London, 2005), 206-213, 290-291. Ursprünglich publizier- te Tolstoj die Kurzgeschichte der drei heiligen Einsiedler im Jahr 1886. Siehe auch die Be- merkungen in seinem späteren kritischen Bericht: Count Lev N. Tolstóy, My Confession, Critique of Dogmatic Theology, translated from the original Russian and edited by Leo Wie- ner, The Complete Works of Count Tolstóy, Bd. XIII (Boston, 1904), 103.

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 75 der anfänglich von der Oktoberrevolution und dem Regime der Sowjetunion be- geistert war – nicht vom (bereits zu Lebzeiten Tolstojs bestehenden) russischen Kommunismus verführen ließ. Beide fühlten sich sowohl vom Orient (zum Beispiel vom Buddhismus sowie von China und Japan) als auch von Franz von Assisi ange- zogen. Ferner waren beide Autoren sehr sozial bewegt und an Bildungs- und Erzie- hungsfragen interessiert. Sie waren beide tief religiös, lebten asketisch, waren fast ständig auf der Suche nach der Erlösung der Menschheit und immer wieder intensiv mit der Frage der Gotteserkenntnis beschäftigt. Literarische Kunst, Ethik und Religion lassen sich in ihrem Œuvre nicht vonei- nander trennen. Beide Autoren verfassten und veröffentlichten ihre alternativen Glaubensbekenntnisse. Sie glaubten nicht an das Jenseits und hielten Jesus nicht für den eingeborenen Sohn Gottes, beschäftigten sich jedoch tiefgründig mit dessen Botschaft von Liebe, Gerechtigkeit und Versöhnung. Für Tolstoj war Gott mit Lie- be identisch und Liebe mit Gott.198 Im Gegensatz zu Kazantzakis trat er, dazu von der Bergpredigt Jesu angeregt, für Gewaltlosigkeit ein. Zudem strebte er eine Re- form des Christentums an sich an, während Kazantzakis das Christentum nur als eine von Gott zur Vergeistlichung der Materie gebrauchte historische Phase be- trachtete. Mehr als Kazantzakis lässt sich Tolstoj auch als Theologe betrachten, zwar nicht als ein traditionell-kirchlicher, sondern als ein revolutionärer Theologe. Trotz der Tatsache, dass beide sich von ihrer orthodoxen Kirche und von jedem institutionalisierten kirchlichen Christentum distanzierten und die sieben Sakramen- te und die Hierarchie der Amtskirche ablehnten, wurden sie doch von der asketi- schen und mystischen spirituellen Tradition ihrer ursprünglichen orthodoxen Glau- bensgemeinschaft tief beeinflusst. Wie Kazantzakis kannte auch Tolstoj die Philo- kalia und war mit der Starzen-Bewegung sehr vertraut. Trotz ihres Aufstandes gegen das kirchliche Establishment und trotz ihrer Ablehnung einiger Hauptlehren der orthodoxen Kirche finden sich im Œuvre beider Männer bedeutende Elemente der ostkirchlichen apophatischen und mystischen Tradition, die wie gesagt bei Ka- zantzakis freilich eine andere Bedeutung bekommen.199 Schließlich wurde Tolstoj aufgrund der heftig polemisch ausgetragenen dogmati- schen Differenzen von der russisch-orthodoxen Kirchenführung strengstens ver- warnt und augenscheinlich ‚exkommuniziert‘ (1901). Auch wenn er es nicht zugab, wurde Tolstoj davon tief verletzt. Er beantwortete das Schreiben der Hl. Synode ausführlich und selbstsicher.200 Im Fall Kazantzakisʼ gab es zwar seitens kirchlicher Behörden eine heftige Polemik gegen ihn und einer seiner Romane wurde von der katholischen Kirchenführung verboten, aber der Versuch der Hl. Synode der Ortho- doxen Kirche Griechenlands, ihn auch formell zu exkommunizieren, misslang (sie- he unten).

198 Vgl. Constantin Simon, ‚Religious Motives in Russian Literature‘, Studi sull’Oriente Cri- stiano 18 (2014) 75-107, hier 84-87. 199 Vgl. Pål Kolstø, ‚Orthodoxie‘, in: Tolstoj als theologischer Denker und Kirchenkritiker, Hg. George u.a., 528-540. 200 Vgl. Nicolas Weisbein, L’évolution religieuse de Tolstoï (Paris, 1960), 355-386, 422-426; Tolstoj als theologischer Denker und Kirchenkritiker, Hg. George u.a., 240-248; Georgij Orechanov, ‚Russische Orthodoxe Kirche‘, in: Tolstoj als theologischer Denker und Kir- chenkritiker, Hg. George u.a., 585-593.

76 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ

Auch in ihrer Haltung der Sterbe- und Totenliturgie ihrer Kirche gegenüber äh- neln sich die beiden, weil auch Tolstoj weder kirchliche Rituale an seinem Sterbe- bett noch ein christliches Begräbnis wollte. Trotzdem sprach ein junger orthodoxer Priester nach dem Verscheiden Tolstojs das kirchliche Totengebet. Übrigens war, als der weltberühmte Schriftsteller im Sterben lag, noch ein Vertreter der Hl. Syno- de mit der eucharistischen Wegzehrung zu Tolstojs letztem Aufenthaltsort ange- reist, um ihm die Kommunion zu spenden, falls er bloß ‚ich bereue‘ sagen würde. Er wurde von Tolstojs Umgebung jedoch nicht zum Literaten zugelassen. Schließlich gibt es Ähnlichkeiten, was die heutigen Reaktionen auf ihr Œuvre betrifft. Auf der einen Seite übersehen viele Literaturkritiker/innen den großen Ein- fluss der ostkirchlichen orthodoxen asketischen und mystischen Tradition im Œuvre der beiden Schriftsteller und gehen vornehmlich auf die nicht-christlichen Einfluss- faktoren ein. Auf der anderen Seite bleibt für viele kirchliche Beobachter/innen ihr Œuvre ‚atheistisch‘ oder ‚häretisch‘. Dabei übersehen auch sie den bedeutenden Einfluss der spirituellen orthodoxen Wurzeln bei den beiden Schriftstellern. Doch ist Kazantzakis meiner Ansicht nach universeller als Tolstoj. Letztgenann- ter hat seine Tätigkeiten auf Russland beschränkt, obwohl er aufgrund der Übertra- gungen seines Werkes in viele andere Sprachen auch in anderen Ländern sehr be- kannt ist. Kazantzakis reiste jedoch erheblich mehr, verfügte über viel mehr interna- tionale Erfahrung und beherrschte viel mehr Sprachen. Mehr als Tolstoj war er für andere Kulturen aufgeschlossen und – das ist der entscheidende Punkt – integrierte sie in sein Werk. Daher ist seine Anziehungskraft auf Menschen aus sehr unter- schiedlichen Kulturen vielleicht größer als die von Tolstoj.

VERGLEICHSMÖGLICHKEITEN MIT ANDEREN LITERATEN UND INTELLEKTUELLEN

Man könnte natürlich zahlreiche andere Literaten und Intellektuelle nennen, die sich für einen Vergleich mit Kazantzakis eignen. Zum Beispiel den russischen Schriftsteller Fedor Dostojevski (1821-1881),201 den dänischen Theologen Sø- ren Kierkegaard (1813-1855),202 den russischen Philosophen Lev I. Shestov (1866-1938), den irischen Schriftsteller James Joyce (1882-1941), der sich auch vom Odysseus anregen ließ und den 1922 erschienenen Roman Ulysses verfass- te, den französischen Literaten Albert Camus (1913-1960) und den französi- schen Literaten und Philosophen Jean-Paul Sartre (1905-1980).203

201 Vgl. Andreas Poulakidas, ‚Dostoevsky, Kazantzakis’ Unacknowledged Mentor‘, Comparati- ve Literature 21 (1969) 307-318. Siehe auch das, was der Kreter selbst über Dostojevski in seiner Geschichte der russischen Literatur schrieb: Kazantzakis, Ἱστορία τῆς Ρωσικῆς Λογοτεχνίας, 213-221. 202 Vgl. Jerry H. Gill, ‚Kazantzakis and Kierkegaard: Some Comparisons and Contrasts‘, in: God’s Struggler, Hg. Middleton und Bien, 168-188; Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 217-234, 279-280 (Anm. 15). 203 Tzermias, Nikos Kazantzakis’ Odyssee, 82-137 vergleicht Kazantzakis nacheinander mit dem Schweizer Religionsphilosophen Leonhard Ragaz (1868-1945), den griechischen Literaten Kostas Varnalis (1884-1974), Ilias Venezis (1904-1973) und Stratis Myrivilis (1890-1969),

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 77

Eine ebenfalls sehr interessante Vergleichsmöglichkeit bietet sich in der Persön- lichkeit und dem Œuvre des russischen Religionsphilosophen Nikolaj Berdjajev (1874-1948) an. Als dieser die Sowjetunion auf Anordnung Lenins verlassen muss- te, ließ er sich in Berlin nieder, wo er gemeinsam mit Lev Shestov die Religiös- Philosophische Akademie gründete. Dies geschah in der gleichen Zeit, als auch Ka- zantzakis in Berlin wohnte. Trotz seiner anfänglichen kommunistischen Sympa- thien kritisierte Berdjajev den Sowjetkommunismus heftig, weil dieser seiner Mei- nung nach die Spiritualität, Religion, Philosophie, Moral, Kunst und persönliche Freiheit zerstörte. Er plädierte für ein von Spiritualität und Freiheit der persönlichen Entwicklung geprägtes ‚neues Mittelalter‘. Dieses ‚Mittelalter‘, in dem für Russland eine Sonderrolle vorbehalten war, schloss seiner Ansicht nach auch die Nacht, Un- sicherheit und den Abgrund ein. Kazantzakis dürfte Berdjajev begegnet sein oder einen seiner Vorträge gehört haben; er hatte ja auch Shestov im gleichen Umfeld kennengelernt.204 Berdjajevs Ausführungen über den Abgrund dürften Kazantzakis sehr angesprochen haben und sich unter anderem in der Asketik widerspiegeln. Auch möchte ich hier zwei später lebende Personen aus dem katholischen Wes- ten nennen, die der viel ältere Kreter nicht gekannt hat, nämlich Franz Kardinal Kö- nig und Huub Oosterhuis. Auf den ersten Blick haben sie mit Kazantzakis nichts zu tun. Trotzdem weisen sie einige interessante Ähnlichkeiten zu ihm auf.

FRANZ KÖNIG

Eine erste Vergleichsmöglichkeit tut sich anlässlich der drei in der Asketik ge- stellten Kernfragen auf: ‚Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn dieses Lebens?‘ Der katholische Wiener Erzbischof und Kardinal Franz König (1905-2004) betrachtete genau diese Fragen, in der gleichen Formulie- rung, als die wichtigsten im Leben des Menschen.205 Einerseits könnte man sich fragen, ob Kardinal König die Asketik kannte und ob er vielleicht eine Anleihe der drei Fragen bei Kazantzakis gemacht hat. Andererseits könnten Königs drei Fragen auch aus dem Beginn der vom Zweiten Vatikanischen Konzil verab- schiedeten Erklärung über die nicht-christlichen Religionen Nostra Aetate stam-

den Dichtern Angelos Sikelianos und Konstantinos Kavafis sowie mit Pantelis Prevelakis. Auch ein Vergleich mit den klassischen griechischen Philosophen Platon und Aristoteles wä- re m.E. relevant. 204 Vgl. Owens, Creative Destruction, 111-123, 128-133. Er weist auf die Ähnlichkeiten zwi- schen Berdjajev und Kazantzakis hin und erwähnt vor allem die Übergangszeit, den Ab- grund, die Rolle Russlands und die persönliche Freiheit. 205 Siehe z.B. Franz (Kardinal) König, Gedanken für ein erfülltes Leben, Hg. Annemarie Fenzl und Heinz Nußbaumer (Wien, 2004), 44, 165, 190; Franz (Kardinal) König, Offen für Gott – offen für die Welt: Kirche im Dialog, Übers. und Hg. Christa Pongratz-Lippitt (Freiburg im Breisgau, 2006), 134, 155, siehe auch 128, 164-165; Franz Kardinal König, Woher komme ich? Wohin gehe ich?: Anregungen für einen Weg der Hoffnung, Hg. Annemarie Fenzl und Wolfgang Moser, Topos Taschenbücher 880 (Kevelaer und Innsbruck, 2014), 19, 23, 138, 140, 176-177, 252. Der einzige textliche Unterschied zwischen den sonst wortgleichen ‚Leit- sätzen‘ von König und Kazantzakis ist ‚Was ist der Sinn meines Lebens?‘ (König) und ‚Was ist der Sinn dieses Lebens?‘ (Kazantzakis).

78 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ men, wo ähnliche Fragen gestellt werden: ‚Was ist der Mensch? Was ist der Sinn und das Ziel unseres Lebens? ... Was ist der Weg, um zum wahren Glück zu gelangen? ... Was ist schließlich jenes letzte und unsagbare Mysterium unse- res Daseins, dem wir unsere Existenz verdanken und wohin wir unterwegs sind?‘206 König war maßgeblich am Zustandekommen dieser für die katholische Kirche bahnbrechenden Erklärung beteiligt. Eine weitere Möglichkeit ist, dass sowohl König als auch Kazantzakis sich von ähnlichen den Lebenssinn betref- fenden Fragen früherer Denker anregen ließen. Im Grunde jedoch sind die Fra- gen so allgemein, dass fast jede Person, die sich mit dem Lebenssinn beschäf- tigt, sie so formulieren könnte. Es gibt weitere Ähnlichkeiten zwischen beiden. Sie waren ständig mit der Got- tesfrage beschäftigt. Sie waren Kosmopoliten, oft unterwegs, ‚unbehaust‘ und sie interessierten sich sehr für Nietzsche. Beide betonten die primäre Rolle von Freiheit und laut beiden sollte diese mit Verantwortung einhergehen. Beide hoben die Ein- heit der gesamten Menschheit hervor und waren vor allem an deren ‚ewiger‘ Got- tessuche und Religiosität interessiert. Beide lehnten die Weltflucht von Religion bzw. Kirche ab und befürworteten wiederholt, dass Gott und Mensch mit dem Hier und Jetzt der jeweiligen konkreten Gesellschaft zu tun haben. Auch würde Kazant- zakis, der sich im Osten immer mehr zu Hause fühlte als im Westen, Königs Aus- sage, dass die orthodoxen Länder Ost- und Südosteuropas einen wesentlichen und positiven Beitrag zur Entwicklung des gesamten Europas lieferten, vermutlich nicht widersprechen. König setzte seine Aussage auch in Taten um, unter anderem durch seine zahlreichen Solidaritätsbesuche in Ost- und Südosteuropa, seine pastorale Be- teiligung an der vatikanischen ‚Ostpolitik‘ des Dialoges mit den kommunistischen Regimes in Ost- und Südosteuropa und durch die Gründung der Stiftung Pro Orien- te (1964) zur Förderung des Dialogs zwischen der römisch-katholischen Kirche einerseits und den orthodoxen und orientalisch-orthodoxen Kirchen sowie der As- syrischen Kirche des Ostens andererseits. Es gibt dennoch auch enorme Unterschiede: Kardinal König war ein hoher ka- tholischer Kleriker, für den Gott die Quelle aller Ordnung und Liebe darstellte und der von Formulierungen wie ‚Gott ist weder allgütig noch allmächtig‘ sowie von Kazantzakisʼ Verneinung des Jenseits und dessen andersartiger Interpretation von Kreuzigung und Auferstehung wahrscheinlich nicht begeistert sein würde. Kazant- zakis wurde während seiner Athener Studienzeit als Freimaurer initiiert (1907). König fände als Religionswissenschaftler die Logen-Rituale interessant und sein Vorsitz im vatikanischen Sekretariat für die Nichtglaubenden schloss den Dialog mit den Freimaurern ein.207 Als Theologe und Bischof wusste er jedoch um die gro- ße Distanz seiner Kirche der Freimaurerei gegenüber, er kannte die lange Geschich- te der kirchlichen Verurteilungen, die bis heute eine Mitgliedschaft ausschließen, und er war nie Logen-Mitglied. Obwohl König einen sehr großen Respekt vor an- deren Religionen hatte und auch Nichtglaubenden und Angehörigen andersartiger Weltanschauungen aufmerksam zuhörte statt sie ‚von oben herab‘ zu belehren, lief

206 Vgl. Conciliorum Oecumenicorum Generaliumque Decreta, III, The Oecumenical Councils of the Roman Catholic Church, From Trent to Vatican II (1545-1965), Hg. Klaus Ganzer u.a. (Turnhout, 2010), 434-435 (Nr. 1). Siehe auch König, Woher komme ich?, Hg. Fenzl und Moser, 176-177. 207 Vgl. König, Offen für Gott – offen für die Welt, Hg. Pongratz-Lippitt, 143-145.

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 79 für ihn der wahre Weg zu Gott nur über den Gottessohn Jesus Christus. Dialoge mit anderen christlichen Kirchen (Ökumene) hatten für ihn zwar höchste Priorität, aber die Verbundenheit mit Rom, dem Papst und dem kirchlichen Lehramt war ihm ein persönliches Hauptanliegen. Von der vatikanischen Kurie unter Druck gesetzt ent- zog er dem Theologen und Priester Adolf Holl (geb. 1930) aufgrund eines von Letzterem verfassten aufsehenerregenden Buches, in dem er unter anderem die uni- verselle Gottessohnschaft von Jesus Christus und dessen vermeintliche Einsetzung des kirchlichen Priesteramtes leugnete,208 1973 die theologische Lehrbefugnis. Im Jahr 1976 wurde Holl von König auch als Priester suspendiert. (Übrigens wäre auch ein Vergleich zwischen den ‚Freigeistern‘ Holl und Kazantzakis interessant.) Obgleich das Gottesmysterium für König hochheilig war, lag für ihn der Zugang dazu in der Auferstehung Jesu Christi. Er lebte im Gottesvertrauen und war von der Fürsorge eines liebevollen Vaters im Himmel überzeugt. Es ist daher nicht überra- schend, dass sein Sterbebett, anders als das von Kazantzakis, nicht nur von Hinga- be, sondern auch von Gebet, Liturgie und einigen letzten seelsorgerlichen Gesprä- chen und Besuchen – unter anderem vom mit ihm befreundeten griechisch- orthodoxen Metropoliten von Austria Michael Staikos (1946-2011) – gekennzeich- net war.209 Zudem war König ein Seelsorger. Er ging nicht nur in die Pfarrgemeinden seines Erzbistums, sondern besuchte auch die dortigen Krankenhäuser, Fabriken und Schulen. Er interessierte sich sehr für die Menschen und ihre konkreten Lebensum- stände und suchte auch das Gespräch mit der Politik und den Gewerkschaften. Er war ein Mann der Mitte, der Integration, des Dialogs und des Ausgleichs. Kazantz- akis dagegen war mehr ein ‚Outsider‘ und dazu anti-klerikal. Die Stiftung Pro Ori- ente und zwischenkirchliche Begegnungen im Allgemeinen würden ihn nicht be- sonders interessieren. Des Weiteren war seiner Überzeugung nach jeder Mensch, der sich dem Rhythmus Gottes anpasste, ein Sohn Gottes; Jesus von Nazaret hätte dies jedoch exemplarisch ‚geschafft‘. Auch neigte Kazantzakis dazu, Kompromisse radikal abzulehnen. Der Titel der von seiner Frau Eleni verfassten Biographie (‚Der Kompromisslose‘, Ὁ Ἀσυμβίβαστος) spricht Bände.

HUUB OOSTERHUIS

Eine andere, aktuellere Vergleichsmöglichkeit betrifft das literarische und litur- gische Werk des holländischen, international bekannten Dichters gottesdienstli- cher Gesänge und Gebete, Huub Oosterhuis (geb. 1933). Eine nähere Untersu- chung der Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Kazantzakis und Ooster-

208 Vgl. Adolf Holl, Jesus in schlechter Gesellschaft (Stuttgart, 1971). 209 Vgl. Thomas J. Nagy, König, Kaiser, Kardinal: Auf den Spuren von Kardinal Franz König (Wien, Graz und Klagenfurt, 2015), 246-257; König, Woher komme ich?, Hg. Fenzl und Mo- ser, 248-253; Helmut Krätzl, ‚Metropolit Michael in vielfacher Weise eng verbunden‘, in: Σκεῦος εἰς τιμήν, 465-472, hier 466-467. Über die theologischen und sozialpolitischen As- pekte des Wirkens von König siehe auch David Neuhold, Franz Kardinal König – Religion und Freiheit: Ein theologisches und politisches Profil, Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte 8 (Fribourg, 2008).

80 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ huis ergibt viel Interessantes. Oosterhuis betrachtet Liturgie und Diakonie, die die biblische Botschaft von Gerechtigkeit und Erbarmen zum Ausgangspunkt haben, als ‚geistliche Übungen‘ (geestelijke oefeningen).210 Damit reiht er sich, ein ehemaliger Jesuit, in eine lange, oben angedeutete und auch von Kazantza- kis vertretene Tradition ein – man denke hier wiederum an den Titel der engli- schen Übersetzung der Asketik, nämlich Spiritual Exercises. Allerdings füllen Oosterhuis und Kazantzakis den Begriff ‚geistliche Übungen‘ mit einem ande- ren Inhalt, als Ignatius es tut. Ferner steht auch Oosterhuis der traditionellen kirchlichen Lehre sehr kritisch gegenüber. Sein Ausgangspunkt ist das, was er ‚die jüdisch-christliche Schrift‘ nennt, nämlich die Bibel, die durch und durch in der jüdischen Tradition verwurzelt ist und die er von späteren dogmatisch-christlichen Übermalungen ‚reinigen‘ möch- te. Gott muss immer wieder aus religiösen Systemen, Dogmen und Moralvorschrif- ten ‚freigesungen‘ werden. Authentisch ‚jüdisch-christliche‘ Verkündigung und ihre Gottesdienste sollten auf der ursprünglichen befreienden Botschaft der Hl. Schrift basieren. So eine Liturgie klagt Unrecht und Chaos an, thematisiert die Er- fahrung der Befreiung durch Gott aus dem Sklavenhaus, aus Armut und Hunger und vermittelt die Vision von Freiheit, Nahrung und Unterkunft für alle, Leben in Frieden und Gesundheit, Zusammenleben in Solidarität, Versöhnung, Erbarmen und Treue, die Vision von einer neuen Welt und einem neuen Bund. Laut Ooster- huis ist wahre Liturgieerneuerung ohne tiefgehende biblisch-theologische Erneue- rung unmöglich. In diesem Kontext betont er den wesentlichen Zusammenhang zwischen drei unterschiedlichen Ebenen des Wortes Gottes: das im Gottesdienst gefeierte Wort, das im ‚Lehrhaus‘ gehörte und erklärte Schriftwort sowie das in der Diakonie und Caritas gelebte Wort sind untrennbar miteinander verbunden. Wenn sie getrennt werden, wird die Liturgie nur ‚dröhnendes Erz‘ (vgl. 1 Kor. 13,1).211 Die Hl. Schrift soll laut Oosterhuis immer wieder aktualisiert werden: Gott befreit auch durch im Hier und Jetzt lebende Menschen. Doch gibt der Amsterdamer Dich- ter der menschlichen Erfahrung der Ohnmacht Gottes viel Raum: Menschen suchen Gott und finden oft nur Finsternis vor, sie tasten und rufen verzweifelt. Des Weiteren plädiert Oosterhuis ausdrücklich für die Verwendung der Mutter- sprache im Gottesdienst und gegen die Benutzung einer unverständlichen Sakral- sprache wie Latein. Die Liturgiesprache soll poetisch sein: sie ist ‚die zweite Spra- che‘ (de tweede taal), die Sprache der Visionen, Bilder und Gleichnisse, die Spra- che des Betastens und der Rührung, die Sprache der Sehnsucht und des Verlangens,

210 Vgl. beispielsweise Marc van Dijk, De paus van Amsterdam: Biografie van Huub Oosterhuis (Amsterdam und Antwerpen, 2013), 13. 211 Vgl. Louis-Marie Chauvet, Du symbolique au symbole: Essai sur les sacrements, rites et symboles 9 (Paris, 1979), 81-122. Siehe auch Kees Kok, De kunst van de liturgie (Kampen, 2004), 17-18, 24-37; ders. ‚Das liturgische Dreieck‘, Protokolle zur Liturgie 3 (2009/10) 307-313. Siehe auch Das Huub Oosterhuis Lesebuch, Hg. Cornelis (Kees) Kok (Freiburg, 2013); ders., De vleugels van een lied: Over de liturgische poëzie van Huub Oosterhuis (Baarn, 1990); Alex Stock, Andacht: Zur poetischen Theologie von Huub Oosterhuis (St. Ottilien, 2011); ders., Hierhin, Atem: Zur poetischen Theologie von Huub Oosterhuis (Osnabrück und Amsterdam, 1994); Huub Oosterhuis, Licht dat aan blijft: 30 jaar liturgie- vernieuwing – Kees Kok in gesprek met Huub Oosterhuis (Kampen und Kapellen, 1990).

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 81 eine verletzbare Sprache, die wesentlich anders ist als ‚die erste Sprache‘, die Spra- che der Tatsachen, Begriffe, des genauen Beschreibens, der Wissenschaft.212 Der Dialog mit der Literatur, Kunst und Kultur ist für den Amsterdamer Lyriker ein Hauptschwerpunkt. Er förderte auch das Bekannt-Werden kritischer ausländi- scher Literaten beim niederländischen Publikum. Selbst schreibt er nicht nur liturgi- sche Poesie, sondern auch ‚freie‘, nicht-gottesdienstliche Dichtung. Zudem verfass- te er den Arthur-Roman, ein dichterisches Epos über den mythischen König, der als eine Art messianische Gestalt geschildert wird. Wie die Vision von Oosterhuis stützt sich auch die von Kazantzakis gehegte Vi- sion einer neuen Welt auf die biblische Vision von Schalom für alle Menschen, aber sie tut das nur teilweise. Während für Oosterhuis die befreiende Botschaft der Bibel das Alpha und Omega ist, ist sie für Kazantzakis nur eine der vielen Quellen, aus denen er schöpft. Doch würde er der Kritik von Oosterhuis an der ungerechten Ordnung des gesellschaftlichen und kirchlichen Establishments, dessen radikalem Reformstreben und seinem Engagement für die Verfolgten und die Armen gewiss zustimmen. Oosterhuis’ Betonung der ‚Ohnmacht Gottes‘ und der menschlichen Erfahrung von spiritueller Finsternis ist vom nicht-allmächtigen und um Hilfe schreienden Gott Kazantzakis’ nicht weit entfernt. Und in Bezug auf Jesus von Na- zareth hebt auch Oosterhuis an erster Stelle dessen Menschsein hervor. Allerdings ist trotz aller menschlicher Zweifel und Unsicherheit über Gottes Handeln in dieser Welt der Gottesglaube von Oosterhuis viel ‚jüdisch-christlicher‘ als die religiös- philosophische und ‚anthropotheologische‘ Synthese von Kazantzakis. Eine weitere Ähnlichkeit betrifft die Sprache. Sowohl Kazantzakis als auch Oos- terhuis sind in erster Linie Dichter, die in ihrer jeweiligen Volkssprache schreiben. Obwohl auch Oosterhuis der Meinung ist, dass gute liturgische Poesie mit gesell- schaftlichem Engagement zu tun haben muss, ist er in erster Linie ein Schriftsteller. Seine beste ‚Waffe‘ besteht aus der Sprache, dem Schreiben und den Ansprachen bzw. Predigten. Doch gibt es hier auch einen bedeutenden Unterschied zwischen den beiden. Obwohl die Gesänge und Gebete von Oosterhuis auch im deutschen und englischen Sprachgebiet beliebt sind und er selbst im multikulturellen Amster- dam wohnt, ist er in erster Linie ein durch und durch niederländischer Dichter. Ka- zantzakis aber war trotz seiner Verbundenheit zu Kreta und der griechischen Kultur gegenüber Oosterhuis ein Polyglott, Wanderer und Weltbürger. Heftige Konflikte und Ablehnung ihrer kreativen Arbeit waren bzw. sind beiden nicht fremd. Hatte Kazantzakis es mit dem heftigen Widerstand der Verfechter der ‚Reinsprache‘ und vieler Kirchenhierarchen (siehe unten) zu tun, so kämpft Ooster- huis gegen kirchliche Behörden, die den theologischen Stellenwert des liturgischen

212 Vgl. Huub Oosterhuis, In het voorbijgaan (Utrecht, 41968), 236-244. Deutsche Übersetzung: ders., Du bist der Atem und die Glut: Gesammelte Meditationen und Gebete (Freiburg i.Br., 1994), 242-254. Eine Überarbeitung des Textes über ‚die zweite Sprache‘ findet sich in: ders., In het voorbijgaan (Bilthoven, 51975), 151-158. Über liturgische Sprache als ‚zweite Sprache‘ siehe auch Herman Wiersinga, ‚De omgangstaal van Huub Oosterhuis‘, in Liedje dat ik niet kan laten: Verzamelde opstellen over de liederen van Huub Oosterhuis, doctor theologiae, Hg. Alex van Heusden, Kees Kok und Colette van der Ven (Kampen, 2002), 80- 89. Laut dem ehemaligen niederländischen Seelsorger der Wiener Ruprechtkirche Joop Roe- land (1931-2010) ist die Sprache des Betens und der Liturgie eng mit der leisen Sprache der Dichter verwandt. Vgl. sein Buch Wie die Worte das Fliegen lernten (Salzburg und Wien, 2006) 10, 73-74.

82 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ

Lateins und dessen wörtliche Übersetzungen in die Volkssprachen (mit dem realen Risiko des ‚verkleideten Lateins‘) befürworten. Jedenfalls ist der holländische Dichter einerseits zahlreichen Christen und Christinnen im In- und Ausland eine bedeutende geistliche Stütze; andererseits ruft er bei einigen katholischen Behörden großes Misstrauen hervor, namentlich bei der vatikanischen Kurie und der heutigen Niederländischen Bischofskonferenz. Zum einen erfreut Oosterhuis (wie Kazantza- kis) sein ‚Publikum‘ mit immer wieder neuen Schriften und Gesängen, zum ande- ren provoziert er (wiederum wie Kazantzakis) die offiziellen kirchlichen Vertreter gerne mit diversen Wortmeldungen und Aktionen. Während der Revision des katholischen Gebets- und Gesangbuches für Deutsch- land, Österreich und Bozen-Brixen,213 des Gotteslobs, versuchten einige kirchliche Kreise, die darin enthaltenen Gesänge des angeblich ‚häretischen‘ Oosterhuis zu entfernen. Doch setzten sich viele Liturgiker/innen, Ökumeniker/innen und andere sehr für ihren Erhalt im erneuerten Gebets- und Gesangbuch ein. Dieser Einsatz war teilweise von Erfolg gekrönt.214 Allerdings befinden sich einzelne Gesänge von Oosterhuis jetzt in Sektionen, die merkwürdigerweise als ‚nicht für die Liturgie ge- eignet‘ betrachtet werden.215 Dies stellt einen Kompromiss dar zwischen denjeni- gen, die die Entfernung sämtlicher Oosterhuis-Lieder aus katholischen Gesangbü- chern forderten, und denjenigen, die diese Gesänge beibehalten wollten. Ein wich- tiger Faktor im Hintergrund dieses Konfliktes ist die Bestimmung in der Instruktion der vatikanischen Liturgiekongregation Liturgiam Authenticam aus dem Jahr 2001, dass die Bischofskonferenzen der Kongregation eine Liste aller während der Messe gesungenen Gesänge schicken sollen, damit die Kongregation diese beurteilen (bil- ligen oder ablehnen) kann.216 Obwohl die Kongregation ihre Anordnung damit be- gründet, dass sie ‚Verwirrung unter den Gläubigen‘ vermeiden möchte, handelt es

213 Bozen-Brixen ist das katholische Bistum im großteils zweisprachigen (deutsch und italie- nisch) Alto Adige bzw. Südtirol (Norditalien). 214 Vgl. Gotteslob 2013, Nr. 414, 422, 425, 460 und 499 (fünf Gesänge von Oosterhuis aus den Jahren 1959-1965) und Nr. 557; der letztere Text ist die ‚Litanei von der Gegenwart Gottes‘. Ein zusätzliches Lied gibt es im Eigenteil der (Erz-)Diözesen Österreichs (Nr. 809). Die Erstausgabe von Gotteslob aus dem Jahr 1975 enthält im Stammteil nicht nur die fünf ge- nannten Lieder (Nr. 74, 183, 298, 300 und 621) und die ‚Litanei von der Gegenwart Gottes‘ (Nr. 764), sondern auch ein anderes Lied von Oosterhuis: ‚Nahe wollt der Herr uns sein … Mitten unter euch steht er, den ihr nicht kennt‘, aus dem Jahr 1964 (Nr. 617). Siehe bei- spielsweise Gotteslob: Katholisches Gebet- und Gesangbuch – Diözese Graz-Seckau (Stutt- gart und Graz, 1975). Zudem wird im Gotteslob 1975 nicht zwischen ‚liturgisch‘ und ‚nicht liturgisch‘ unterschieden. Diese Unterscheidung fehlt ebenso im schweizerischen Katholi- schen Gesangbuch, in dem sich sechs Lieder von Oosterhuis finden (Nr. 3, 202, 312, 544, 579 und 599; teilweise andere Lieder als die im Gotteslob) sowie die ‚Litanei von der Ge- genwart Gottes‘ (Nr. 804). Vgl. Katholisches Gesangbuch: Gesang- und Gebetbuch der deutschsprachigen Schweiz (Zug, 1998). 215 Auch bei Nr. 809 in Gotteslob 2013 findet sich die Hinzufügung ‚nicht Li‘. 216 Vgl. Peter Jeffery, Translating Tradition: A Chant Historian Reads Liturgicam Authenticam (Collegeville MN, 2005), 153 (Nr. 108); Markus Eham, , ‚Von „Gotteslob“ zu „Gotteslob“: Kontinuität und Innovation im neuen Gebet- und Gesangbuch‘, Singende Kirche 62 (2015) 1, S. 3-10, hier 9; Winfried Vogel, ‚Zum Lobe Gottes: Der Weg zu einem neuen Gotteslob‘, Li- turgisches Jahrbuch 64 (2014) 65-90, hier 88. Wichtig ist auch die Frage, wie das Gotteslob bezüglich Kanons 838 des vigierenden römisch-katholischen kanonischen Rechtes (über die Kompetenzen der Bischöfe und des Heiligen Stuhls in Bezug auf die liturgischen Bücher) in- terpretiert wird. Vgl. Codex des kanonischen Rechtes: Lateinisch-deutsche Ausgabe mit Sachverzeichnis (Kevelaer, 52001), 382-383.

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 83 sich laut Kritikern in Wirklichkeit um Kontrolle und die Chance, vermeintlich ‚un- angemessene‘ Lieder aus den katholischen Gesangbüchern zu entfernen. Indem einige Lieder Oosterhuis’ als ‚nicht Li‘ eingestuft wurden, konnte man die Klippe der einschlägigen Bestimmung von Liturgicam Authenticam umschiffen. Die Entscheidung, im Gotteslob von 2013 nur sich bereits im Gotteslob von 1975 befindende Lieder von Oosterhuis aufzunehmen, führt zu einer gewissen An- tiquiertheit des revidierten Gesangbuches, als ob der Dichter nicht nach 1975 noch zahlreiche andere, teilweise viel bessere Lieder geschrieben hätte. Im Zug der kir- chenpolitischen Auseinandersetzungen ging es jedoch wohl eher darum, das im Ge- sangbuch bereits Vorhandene zu retten und keine weiteren Risiken einzugehen. Laut dem deutschen Liturgiker Friedrich Lurz (geb. 1961) ist dies zwar der Pragma- tik geschuldet, doch bedauert er diesbezüglich den fehlenden Mut der für das neue Gotteslob Verantwortlichen.217 Das revidierte Gesangbuch der niederländischen Diözese Roermond, das den li- turgischen Experimenten in der niederländischen Kirchenprovinz nach dem Zwei- ten Vatikanischen Konzil ablehnend gegenüber steht und einen ‚neuen Weg‘ gehen möchte, hat alle Oosterhuis-Lieder ‚wegpurifiziert‘.218 Das einschlägige Gesang- buch wird auch in einigen anderen niederländischen Bistümern verwendet. Diese Praxis steht im schroffen Gegensatz zum zuvor geltenden Gesangbuch für die ka- tholische niederländische Kirchenprovinz, Gezangen voor Liturgie, in dem über hundert (!) liturgische Lieder von Oosterhuis sowie viele seiner Psalmenüberset- zungen und Gesänge für das Ordinarium der Eucharistie vorkommen.219 Offenbar fürchten diejenigen, die sich der Aufnahme der Lieder von Oosterhuis in kirchliche Gesangbücher widersetzen, dass sie damit auch dessen gesamter Theo- logie und Weltanschauung sowie seiner Kritik am kirchlichen Establishment zu- stimmen und so selbst riskieren, ‚häretisch‘ zu werden. Dies erinnert uns an frühere Zeiten, als die katholische Kirche keine Gesänge des ‚ketzerischen‘ Reformators Martin Luther (1483-1546) und die evangelische Kirche keine Lieder des ebenfalls ‚häretischen‘ radikalen Reformators Thomas Müntzer (1489-1525) singen wollten. Aber die Zeiten haben sich geändert und beispielsweise finden sich protestantische ‚Klassiker‘ heutzutage auch in vielen katholischen Gesangbüchern.220 Auch in gegenwärtigen deutschsprachigen protestantischen Gesangbüchern ist der Liedschatz des Amsterdamer Hymnographen vorhanden und im deutschen Evangelischen Gesangbuch finden sich drei Lieder.221 Zudem hat Oosterhuis am 19. November 2014 für sein Lebenswerk eine hochbedeutsame evangelische öku-

217 Vgl. Friedrich Lurz, Einführung in das neue Gotteslob (Kevelaer, 2015), 39-40. 218 Vgl. Laus Deo: Gebeden, vieringen, gezangen (Roermond, 2000). 219 Vgl. Gezangen voor Liturgie (Baarn, 1996, Erstausgabe 1983). Die meisten seiner Psalmen- übersetzungen sind eine Koproduktion mit anderen: Vijftig psalmen: Proeve van een nieuwe vertaling door Huub Oosterhuis en Michel van der Plas in samenwerking met Pius Drijvers en Han Renckens (Baarn, 1967). Die Lieder von Oosterhuis sind von unterschiedlichen Komponisten vertont worden. 220 Vgl. Stock, Andacht, 9-10. 221 Siehe z.B. Evangelisches Gesangbuch: Ausgabe für die Evangelische Landeskirche Anhalts […] die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (Leipzig und Berlin, 1995), Nr. 312, 382 und 427.

84 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ menische Auszeichnung im deutschen Sprachgebiet erhalten: den Deutschen Pre- digtpreis.222 Interessant ist auch die Entwicklung in den niederländischen reformatorischen Gesangbüchern. Während das ältere Liedboek voor de kerken aus dem Jahr 1973 ‚nur‘ fünfzehn Gesänge von Oosterhuis aufgenommen hatte, beinhaltete das spätere Ergänzungsbuch Tussentijds bereits über neunzig und das neue kirchliche Liedboek aus dem Jahr 2013 zählt ungefähr hundertdreißig (über neunzig Lieder und etwa vierzig andere Gesänge)!223 Merkwürdigerweise fehlt jedoch im letztgenannten Ge- sangbuch das Lied ‚Der Herr hat mich gesehen …‘,224 das viele Niederländer/innen als ein sehr schönes und spirituelles Lied erfahren. Vor der Veröffentlichung des neuen Gesangbuches führte eine einflussreiche feministische Gruppierung eine er- folgreiche Kampagne gegen die Aufnahme jenes Liedes ins neue Gesangbuch auf- grund dessen vermeintlich ‚sexistisch-männlichen‘ Formulierungen: ‚Er [d.h. Gott; BG] tut mit uns, Er geht uns hinein und hinaus … Du gibst es deinen Geliebten im Schlaf, Du säst deinen Namen in unsere tiefsten Träume‘. Vergeblich wiesen Ver- fechter/innen des Gesanges auf die biblische Grundlage des Gesanges hin (Jes. 62,4-5; Ps. 127,2; Lk. 1,46-55). Nachdem der Gesang aus der Auswahl entfernt worden war, sprach der niederländische Philosoph Ger Groot (geb. 1954) von ‚Kleinlichkeit‘, von einer Kampagne gegen erotische Mystik und Lyrik und von einer Koalition zwischen Bourgeois-Moralisten und irrenden Feministinnen.225 Wie im Fall Kazantzakis scheiden sich auch an Oosterhuis die Geister. Hier ist ein Hinweis auf die ‚Unterscheidung der Geister‘ angebracht. Diese ist ein wichti- ges Merkmal sowohl der ost- als auch der westkirchlichen asketischen Tradition. Bevor man jedoch ‚die Geister unterscheiden‘ kann, sollte man sich möglichst sachkundig und vorurteilsfrei mit ihnen auseinandersetzen.

KAZANTZAKIS’ EIGENE ‚RICHTSCHNUR‘: DOMINIKOS THEOTOKOPOULOS (EL GRECO)

Kazantzakis selbst verglich sich mit vielen, die ihm als Geistesverwandte er- schienen oder die er als seine Lehrer betrachtete und die dazu beitrugen, ‚aufzu- steigen‘, ‚emporzugehen‘, ‚auf der blutigen Linie der Spuren Gottes zu wan- deln‘ und so ‚Gott zu schaffen‘. Er orientierte sich insbesondere an Odysseus,

222 Vgl. http://www.predigtpreis.de/preisverleihung/2014.html und http://www.huuboosterhuis. de (Zugriff am 28. Januar 2015); Alex Stock, ‚„Und in den Funken sehe ich“: Huub Ooster- huis und seine Poesie in Deutschland‘, Herder Korrespondenz: Monatshefte für Gesellschaft und Religion 68 (2014) 466-470. 223 Vgl. Liedboek voor de kerken (Den Haag und Leeuwarden, 1973); Tussentijds: Aanvullend liedboek bij het Liedboek voor de Kerken (Kampen, 2005); Liedboek: Zingen en bidden in huis en kerk (Zoetermeer, Heerenveen und Utrecht, 2013). 224 Vgl. Huub Oosterhuis, Verzameld Liedboek: Liturgische gezangen op teksten van Huub Oosterhuis (Kampen, 2004), 175. 225 Vgl. Ger Groot, ‚De nieuwe benepenheid‘, Trouw [niederländische Tageszeitung]: Religie & filosofie – De Verdieping, 28. Mai 2013, 7.

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 85

Buddha, Jesus Christus, Franz von Assisi und Lenin; auch Zorbas (siehe unten) spielte eine wichtige Rolle für ihn. Eine Spezialgestalt für unseren Autor, seine ‚Richtschnur‘, war sein Mitkreter Dominikos Theotokopoulos (ca. 1541-1614), der international als ‚der Grieche‘, El Greco – eine Kombination des italienischen Il Greco und des spanischen El Grie- go –, bekannt ist. Nachdem dieser bereits in Candia (wie Heraklion damals hieß) gelernt hat, sowohl alla greca als auch alla latina zu malen, verließ er als ein ausge- lernter und berühmter Künstler 1567 Kreta Richtung Italien. In Venedig, wo er un- ter anderem im Atelier von Tizian (ca. 1489-1576) arbeitete, erhielt er neue Impulse und perfektionierte seine Fähigkeiten (1567-1570). In Rom wohnte er vom Novem- ber 1570 bis zum Sommer 1572 als Gast und Schützling von Kardinal Alessandro Farnese (1520-1589) in dessen Palast (Palazzo Farnese), wo die bildende Kunst sehr gefördert wurde und viele hervorragende Maler und andere Künstler tätig wa- ren. Allerdings musste der Kreter plötzlich auf Anordnung des Kardinals den Palast verlassen. Es ist unbekannt warum; hatte er sich mit seinem Schutzherrn überwor- fen? Er glaubte an den Fortschritt der Kunst; er verteidigte die zeitgenössische Ma- lerei und zog sie explizit der antiken vor. Hat das den zahlreichen Bewunderern der Antike nicht gepasst? Nach dem Rausschmiss wurde er zunächst Mitglied der römi- schen Malerzunft St. Lukas und suchte dann (über Venedig?) Zuflucht auf der ibe- rischen Halbinsel.226 In Spanien, wo er zunächst in Madrid und dann in Toledo ein neues Zuhause fand (1577-1614), verfolgte er seinen eigenen Weg. Dabei blieb in seinen spanischen Gemälden die Hand des Ikonenmalers sichtbar. Er veränderte mehrmals seinen Stil, blieb jedoch ein ‚Hagiographe‘ (ἁγιογράφος, das griechische Wort für Ikonenmaler). Trotz seines ‚Manierismus‘ blieb ‚der Grieche‘ ein ‚Byzan- tiner‘. Ohne seine ikonographische Ausbildung auf Kreta wäre ihm wahrscheinlich nicht der spätere Ruhm zuteilgeworden und hätte er nicht so viele spätere Maler (beispielsweise Edouard Manet, Pablo Picasso und Modigliani) beeinflussen kön- nen. In der Tat erkennt man im Expressionismus, Kubismus und Surrealismus auch den Einfluss der Gemälde El Grecos. Bis heute finden viele Menschen ‚den Grie- chen‘ faszinierend, vielleicht nicht nur aufgrund seiner künstlerischen Fähigkeiten, sondern auch weil seine Gemälde ‚spirituell‘ sind und auf Transzendenz hinweisen. Wie Nikos Kazantzakis war auch Dominikos Theotokopoulos als Orthodoxer geboren und erzogen worden. Im päpstlichen Rom konvertierte er jedoch zur katho- lischen Kirche (nach seiner Ankunft in Italien). In Toledo pflegte er enge Kontakte zur Inquisition und er starb als ein überzeugter Angehöriger der ‚heiligen Mutter- kirche Roms‘ (so sein Testament).227

226 Vgl. Panagiotis K. Ioannou, ‚The Maecenas Alessandro Farnese and the Question of His Patronage of El Greco‘, in: Ο Δ. Θεοτοκόπουλος μεταξύ Βενετίας και Ρώμης – D. Theotoko- poulos between Venice and Rome, Hg. Nicos Hadjinicolaou (Heraklion und Athen, 2014), 83-135; Nicos Hadjinicolaou, ‚A Disciple of Titian in the Palazzo Farnese 1570-1572‘, in: D. Theotokopoulos between Venice and Rome, 137-194. 227 Vgl. Nikolaos M. Panagiotakes, El Greco: The Cretan Years, Centre for Hellenic Studies King’s College London Publications 13 (Farnham, 2009); Tzermias, Der Kreter Dominikos Theotokopoulos genannt El Greco; ders., Kreta von Knossos bis Kazantzakis, 29-38; El Greco, Bearb. Sylvia Ferino-Pagden und Fernando Checa Cremades, Hg. Wilfried Seipel (Wien, 2001). Die Meinungen darüber, in welchem Ort der Maler geboren wurde, sind geteilt. Laut dem bedeutenden Kretaforscher Nikolaos Panagiotakis (1935-1997) wurde er in Heraklion gebo- ren. Wie ich selbst im September 2014 feststellen konnte, wird in Fodele (westlich von Her-

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Kazantzakis dagegen blieb immer auf Distanz zum katholischen Westen, auch wenn er als Jugendlicher die große nicht-griechische Welt und die westliche Kultur dank seiner franziskanischen Schulzeit entdecken konnte, der Katholizismus ihn damals anzog und er auch später meisterhafte Kunstwerke der katholischen Kultur und für ihn faszinierende Einzelgestalten wie Franz von Assisi und Teresa von Avila sehr bewunderte. Er misstraute dem ‚Frankentum‘ (ἡ Φραγκιὰ), dem Katholi- zismus und dem Protestantismus, dem Westen überhaupt. In seinem ‚Landsmann‘ El Greco erkannte er allerdings, trotz dessen Konversion, einen kretischen Schick- salsgefährten, der auf seine eigene Weise den emporgehenden Weg gefunden hatte. Seiner Meinung nach war auch El Greco authentisch und damit beschäftigt, die Ma- terie in Geist zu verwandeln, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Kazantzakis dachte oft über ihn nach, träumte sogar von ihm.228 Er war davon überzeugt, dass wie er selbst auch El Greco ‚arabisches Blut‘ in den Venen hatte und daher so gut nach Spanien passte. (Sowohl Kreta als auch Spanien waren eine Zeit lang in Hän- den arabischer Eroberer.) Er verfasste ein Lexikonlemma über ihn und widmete ihm ein aus Terzinen bestehendes canto.229 Die Begegnung mit den Gemälden sei- nes ‚Vorgängers‘ El Greco in Madrid und Toledo bewegte ihn tief.230 In seinem Spanienreisebuch beschreibt er ihn als einen Künstler, der die dunkle Materie in helles Licht verwandelte und sie so erlöste.231 Daher betrachtete er seine geistliche und romantisierte Autobiographie, die er in seinen letzten Lebensjahren verfasste, als eine ‚Beichte‘ und Verantwortung vor dem Senior, dem ‚Großvater‘ und ‚Ahn- herrn‘ El Greco, dem er wie ein Soldat dem General gegenüber berichtete, wie er in seinem Leben gekämpft hatte. Im Vorwort sowie im Nachwort der Rechenschaft vor El Greco spricht er den ‚Großvater‘ direkt an: er schildert seinen großen Res- pekt für dessen Lebensleistung und es gibt einen bildhaften Dialog über den Auf- trag des Menschen, die Seele, Licht und Feuer, Gott und Lucifer.232 Übrigens stellt diese Verantwortung dem Ahnherrn gegenüber meiner Ansicht nach nochmals sowohl eine Übernahme als auch eine Adaptierung der monasti-

aklion) und im dortigen El-Greco-Museum behauptet, er stamme aus Fodele. Er könnte auch aus Mires (Südkreta) oder einer anderen Ortschaft stammen. Laut Kazantzakis selber sei die ‚Fodele-Legende bedeutungslos‘. Vgl. Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, 177-178; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 371-372. Eine nuancierte Darstellung der unterschiedlichen Positionen in diesem Bereich sowie von ande- ren mit der kretischen Periode dieses Malers verbundenen Themen (z.B. in Bezug auf die ‚echten‘ Gemälde aus der kretischen Periode) und von der Beziehung zwischen ‚Manieris- mus‘ und ‚Byzantinismus‘ im Œuvre El Grecos findet sich in der soeben genannten Studie von Tzermias, Der Kreter Dominikos Theotokopoulos genannt El Greco. Siehe auch Rath- ner, Der Brunnen von Epanosifi, 51-59, 165-174, 179-181. 228 Siehe z.B. Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, 169-171, 184, 186 (Anm. 7), 286, 343; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 365-368, 377, 414, 433. 229 Vgl. Nikos Kazantzakis, Τερτσίνες (Athen, 1960), 123-129. 230 In dieser Hinsicht ähnelt Kazantzakis dem österreichischen Dichter Rainer Maria Rilke (1875-1926), mit dessen Lyrik er vertraut war. Rilke besuchte Ende 1912 Toledo, um El Grecos Werk zu sehen. 231 Vgl. Nikos Kazantzakis, Ταξιδεύοντας: Ἱσπανία (Athen, 1990, Erstausgabe Athen, 1937), 82- 95; siehe auch 155, 162-185, 202-215 (über Toledo während des Bürgerkrieges, die enormen Zerstörungen und Kazantzakis’ diesbezügliche positive Meinung). 232 Vgl. Kazantzakis, Ἀναφορά στόν Γκρέκο, 22-24, 488-506. Siehe auch Patroklos Stavrou, ‚Ἐπίμετρο: Ἐνημερωτικὸ σημείωμα‘, in: Kazantzakis, Ἀναφορά στόν Γκρέκο, 507-540; Ni- kos Kazantzakis, Verantwoording aan El Greco: autobiografische Roman, Übers. Jos Schoonen, Grieks Proza Styx XI (Groningen, 1997).

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 87 schen orthodoxen Praxis dar, nämlich dass jeder Mönch und jede Nonne dem Abt oder der Äbtissin bzw. einem geistlichen Vater oder einer geistlichen Mutter Ge- horsam und Verantwortung schuldet und ihm/ihr gegenüber das Herz öffnet. Auch Kazantzakis tut dies, aber er verantwortet sich keinem Abt oder ‚Altvater‘ (γέρων), sondern dem Vorvater El Greco gegenüber. Dabei geht es Kazantzakis nicht in ers- ter Linie um eine historisch akkurate Darstellung der Persönlichkeit El Grecos, son- dern er berichtet ihm – ‚seinem‘ Greco‘ – so, wie er ihn sah. Dies nehme ich zum Anlass zu einer mehr allgemeinen Bemerkung über die hermeneutische Perspek- tive.

HERMENEUTISCHE ZWISCHENBEMERKUNG

Wer einmal mit dem psychologischen Rorschachtest zu tun hatte, weiß, in wel- chem Ausmaß die eigenen Gedanken, Gefühle, Erwartungen, Ängste und ande- re Erfahrungen die Wahrnehmung beeinflussen. In den Tintenflecken sehen ei- nige gefährliche Drachen; andere erregte Genitalien; wieder andere hell schei- nende Sonnen und Sterne usw. Auch die Phänomenologie lehrt uns, dass die Geisteshaltung, die Art, wie die Sinne funktionieren und die Gefühle der Men- schen ihre Beobachtungen tief berühren. Des Weiteren wissen wir aus der Kunstgeschichte, dass viele Maler Ereignisse aus früheren Zeiten (Gebäude, Gewänder und Gegenstände) in ihre eigene Lebenszeit übertrugen. Beispiels- weise sieht man auf zahlreichen mittelalterlichen oder Renaissance-Gemälden von Mariä Verkündigung oder der Kreuzigung Christi, dass diese christlichen Heilsereignisse aus dem Beginn der Zeitrechnung sich in italienischen, nieder- ländischen oder anderen Landschaften abspielen. Was bedeutet dies für die vermeintliche ‚Objektivität‘ der Historiographie? Ist es Gelehrten unmöglich, die Geschichte der bildenden Kunst, Musik, Spiritualität und Liturgie so zu rekonstruieren, wie sie wirklich war, und sind diesbezügliche Studien mehr oder weniger das Ergebnis der eigenen Phantasie und Vorurteile? Lässt sich die geschichtliche Gestalt der religiösen Volkskultur und der Gottesdienste gar nicht so wahrnehmen, wie die orthodoxen Gläubigen des Oströmischen Reiches sie erlebten, also nicht Mit ihren eigenen Augen, wie der Titel der einschlägigen Studie eines führenden Liturgiehistorikers lautet?233 Leidet auch Kazantzakis an ‚wishful thinking‘, wenn er in der Asketik schreibt, dass ‚das Herz den Marsch der Mensch- heit möglichst viele Jahrhunderte hindurch überblicken sollte‘?234 Hier spielt die Hermeneutik eine unverzichtbare Rolle. Die Disziplin (tatsächlich eine ‚Kunst‘) der Hermeneutik interpretiert Personen und Ereignisse der Vergan- genheit und versucht, diese zu verstehen.235 Sie macht uns klar, dass wir alle Vor-

233 Vgl. Robert F. Taft, Through Their Own Eyes: Liturgy as the Byzantines Saw It (Berkeley CA, 2006). 234 Vgl. Kazantzakis, ’Ασκητική, 44. 235 Vgl. zum Beispiel meinen Aufsatz ‚„Just like in the Early Church“: Hermeneutics of the Use of Early Liturgical Practice for Modern Liturgical Reform‘, in: Liturgies in East and West: Ecumenical Relevance of Early Liturgical Development – Acts of the International Symposi-

88 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ verständnisse, ja Vorurteile haben. Wir leben in soziokulturellen Traditionen und unter bestimmten sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, in vorgegebenen his- torischen, geographischen, weltanschaulichen und eventuell religiös-kirchlichen Kontexten. Zudem sind wir fast alle keine abstrakten genderlosen Menschen, son- dern Frauen oder Männer mit spezifischen Charakteristika.236 Nur wenn man sich dieser Vorgaben, dieser Vorverständnisse bewusst wird und sich große Mühe gibt, den Verstehenshorizont des untersuchten geschichtlichen Zeitalters und der damals lebenden Menschen zu interpretieren, kann man den Anforderungen an eine präzise Geschichtsschreibung einigermaßen gerecht werden. Doch ist Kazantzakis kein Historiker, sondern ein Dichter und Romancier, der sich vorzugsweise mit Themen der Antike, der byzantinischen Periode und der Neuzeit befasst. Bekanntlich bietet das Schreiben von historischen Romanen der Phantasie einen viel größeren Spielraum als die wissenschaftliche Historiographie. Zudem bringen viele Romanciers ihre eigenen expliziten Absichten und Leitvorstel- lungen mit und ‚projizieren‘ diese in ihre Protagonisten hinein, wie dies auch Ka- zantzakis macht. Doch kann man sich auch dieses Vorganges bewusst sein, wie es beispielsweise im Titel der deutschen Übersetzung des von Kazantzakis über den hl. Franziskus geschriebenen Buches geschieht: nicht ‚Franz von Assisi‘ oder Ähn- liches, sondern Mein Franz von Assisi: Roman.237 Ferner sind einige Autoren und Autorinnen von historischen Romanen in der La- ge, den hermeneutischen Vorgang genauestens zu beschreiben. Exemplarisch ist hier der griechische Schriftsteller Yannis Kiourtsakis (geb. 1941) zu nennen. In sei- nem autobiographischen Roman Wie ein Roman: Das Eigene und das Andere be- schreibt er minutiös, wie fließend die Grenzen zwischen der Ich-Person – er selbst – und seinem Bruder sind, zwischen den Brüdern und deren Eltern, zwischen unter- schiedlichen Lebensphasen ein und derselben Person sowie zwischen Vergangen- heit, Gegenwart und Zukunft – also zwischen dem ‚Eigenen‘ und dem ‚Anderen‘ –, und wie die echte Wahrheit sich nur in der Gestalt eines Romans finden lässt.238 Laut Kiourtsakis gibt es keine angeblich ‚objektive‘ Wahrheit, wenn man über sich selbst und die Verwandtschaft nachdenkt. Es existiert bloß eine interpersonelle und ‚romanhafte‘ Wahrheit. Diese lässt sich jedoch akkurat und für andere nachvoll- ziehbar beschreiben und entspricht daher meiner Meinung nach einigen wichtigen Kriterien der wissenschaftlichen Forschung.

um Vindobonense I, Vienna, November 17-20, 2007, Hg. Hans-Jürgen Feulner, Österreichi- sche Studien zur Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie / Austrian Studies of Li- turgy and Sacramental Theology 6 (Berlin und Münster, 2013), 187-207, hier 187-189 (dort auch Fachliteratur). 236 Vgl. Teresa Berger, Gender Differences and the Making of Liturgical History: Lifting a Veil on Liturgy’s Past (Farnham, 2011); Anne Jensen, ‚Hermeneutik, V, Feministisch-theolo- gisch‘, in: Lexikon für Theologie und Kirche 5 (Sonderausgabe 32006), 8-9. 237 Vgl. Nikos Kazantzakis, Mein Franz von Assisi: Roman, Übers. Helmut von den Steinen (Würzburg, 2015, Sonderausgabe; Erstausgabe Hamburg, 1956). 238 Vgl. Yannis Kiourtsakis, Σάν Μυθιστόρημα: Τό ἴδιο καί τό ἄλλο (Athen, 1995). Übrigens gleichen die vom Autor in seiner Jugend verfassten Dichtungen in mehreren Hinsichten Ka- zantzakis: es geht dem jungen Kiourtsakis um Verklärung (μεταμόρφωσις) der Materie in Licht; es ist die Aufgabe des Dichters, diesen Prozess zustande zu bringen; und am Ende steht das Schweigen. Vgl. ebd., 428-429, 439, 444-445, 477.

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 89

KRETA

Trotz seines Kosmopolit-Seins ist Kreta für Kazantzakis ein äußerst wichtiger Bezugspunkt geblieben. Es fällt auf, dass er sich einerseits von allem Bestehen- den frei machen wollte und andererseits Kreta sein Leben lang idealisierte, an- ders gesagt: Kreta fast als eine Art archimedischer Punkt betrachtete und viel- leicht auch so brauchte. Wenn alles in einem ständigen ‚Emanzipationsverfah- ren‘ in Bewegung ist, ist es vielleicht notwendig, noch einen bestimmten Fixpunkt zu haben. Wie dem auch sei, Kazantzakis fühlte sich zutiefst mit sei- ner Heimatinsel verbunden und liebte es sehr, und die Kreter/innen liebten ihn, wie sie auch bei den Diffamierungen seiner Person in der griechischen Haupt- stadt und bei seiner Bestattung wieder klar machten. Während seiner Reisen pflegte unser Schriftsteller einen Klumpen kretischer Erde mitzunehmen und ihn bei ernsten Problemen in die Hand zu nehmen. Kreta war nicht nur die Wie- ge Europas, sondern stellte für ihn auch die Verbindung zwischen Europa, Asi- en und Afrika dar. Kreta war die Synthese zwischen dem ‚ordnenden Geist‘ Griechenlands und den ‚wüsten Trieben‘ Asiens. Im Allgemeinen fühlte Ka- zantzakis sich den Kulturen Asiens und Afrikas eng verwandt, mehr als der westlichen Kultur. Dies ist ein paradoxes Phänomen: zum einen macht unser Autor was einige wesentliche Einsichten betrifft eine Anleihe bei der westlichen Geistesgeschichte (bei Bergson, Nietzsche, Darwin und anderen) und auch seine Überzeugung, dass der Mensch autonom und anstatt Gottes selbst Schöpfer ist, passt eher zur westlichen als zur östlichen Kulturgeschichte, aber zum anderen steht der Kreter dem Westen gegenüber skeptisch und eher ablehnend. Über die nordamerikanische Kultur, ihren ‚Materialismus und Konsumentismus‘ hatte er lange Zeit eine negative Meinung. Trotz seiner ungeheuren Reisetätigkeit be- suchte er die USA und Kanada nie. Doch war dies auch eine Art Zufall, denn ein Plan der griechischen Regierung, ihn nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA zu schicken, um dort über den Wiederaufbau der schwer heimgesuchten Heimat vorzusprechen, wurde nicht realisiert. Zudem bekam er für seinen Plan, 1948 ein halbes Jahr in New York zu verbringen, um dort gemeinsam mit der amerikanischen Schriftstellerin Rae Dalven (1905-1992) seine Odyssee ins Eng- lische zu übertragen, von der damals rechtsgerichteten griechischen Regierung nicht das notwendige Visum. Im Jahr 1954 gab er zu, dass Amerika ihm eine ‚erstaunliche Welt‘ schien. Eine Einladung, für Vortragstätigkeit in die USA zu reisen, lehnte er jedoch ab. Vage spätere Plane für eine Amerikareise konnten aufgrund des vorzeitigen Todes von Kazantzakis – auf dem Höhepunkt seiner schöpferischen Geisteskraft – nicht mehr realisiert werden. Doch fand er Ame- rika insgesamt ‚modernistisch‘ und er wollte nicht wirklich dorthin reisen. Es stellt ein paradoxes Phänomen dar, dass gerade in Nordamerika sein Œuvre immens beliebt wurde. Es gab dort sehr viele Übersetzungen ins Englische, ho- he Verkaufszahlen und zahlreiche Studiengruppen; eminente amerikanische Ge- lehrte (Peter Bien und andere) erforschen das Œuvre des Kreters. Einer seiner Lieblingsausdrücke seit den 1940er Jahren – in der Asketik findet sich dieser Ausdruck noch nicht – war der ‚kretische Blick‘ (κρητική ματιά), der für ihn den Inbegriff reifer Spiritualität und Gottessuche sowie des ganzheitlichen Ein- satzes zur Rettung der Seele, der Welt und der Gottheit darstellte. Mit dem ‚kreti-

90 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ schen Blick‘ steht man ohne Angst und Hoffnung am Rande des Abgrunds und schaut dem Tod unerschrocken ins Auge. Wahrhafte ‚Asketen‘ sind alle, die sich aktiv und furchtlos für die Zukunft der Menschheit einsetzen. Der ‚kretische Blick‘ wird denen, die nach dem Inhalt des Schlusskapitels der Asketik leben, zuteil. Das ist jedoch Männern vorbehalten – und dann nur in ihren besten Momenten! –, weil Kazantzakis davon überzeugt war, dass Frauen aufgrund ihrer irdischen und materi- ellen Ausrichtung zu solcher Freiheit nicht in der Lage sind. (Ich werde später auf diesen die Genderfrage betreffenden Punkt zurückkommen.) Kazantzakis erzählt in seiner Rechenschaft vor El Greco, dass er den Begriff des ‚kretischen Blickes‘ erfand, als er über das Fresko der Stiertänzer im minoischen Knossos-Palast, nahe Heraklion, nachdachte. Die Figuren, die mit dem Stier spielen und tanzen, haben ihre anfängliche Angst vor dem Schreckenstier in Freude und Tapferkeit verwandelt. Dazu ist intensives Training erforderlich. Dass sie nicht in Panik geraten, sondern der Angst selbst unerschrocken ins Auge blicken, stellt laut Kazantzakis den ‚kretischen Blick‘ dar.239

B. DIE ORTHODOXE LITURGIE UND RELIGIÖSE VOLKSKULTUR IM ŒUVRE VON KAZANTZAKIS

Aufgrund des bisher Dargelegten ist es klar, dass die byzantinisch-orthodoxen Traditionen für Kazantzakis sein Leben lang eine Hauptrolle spielten, auch wenn er sich bis weit über ihre Grenzen hinaus wagte, sich oft schroff von ihnen distanzierte oder sie sehr eigenwillig auslegte. Das gilt nicht nur für die Asketik, sondern für sein ganzes Œuvre. Bekanntlich stellen Liturgie, Kirchenmusik und monastische Spiritualität be- stimmende Elemente der ostkirchlichen Orthodoxie dar. Was Kirchenmusik betrifft, sei – vielleicht zu allem Überfluss – daran erinnert, dass die griechisch-byzantini- sche Tradition eine eigene Neumennotation besitzt und nur vokal und monopho- nisch ist, aber dennoch von reichen Melismen gekennzeichnet ist. Im Prinzip hat das Wort den Primat. Instrumentalmusik und Polyphonie werden abgelehnt; die bekannten Ausnahmen bestätigen die Regel. Auch die Schriftlesungen, Fürbitten und Teile der Priestergebete, einschließlich der Anaphora, werden meistens gesun- gen bzw. kantilliert oder rezitiert. Im Lauf der Geschichte kamen allerdings grund- legende Entwicklungen und Reformen vor; neben einer gewissen historischen Kon- tinuität gibt es bedeutende Diskontinuitäten.240

239 Vgl. Kazantzakis, Ἀναφορά στόν Γκρέκο, 481-482. Soweit ich weiß, kommt der Ausdruck ‚kretischer Blick‘ zuerst in Briefen aus dem Jahr 1943 vor. Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 569, 571, 584-585, 588-589 (Briefe an Emile Chourmouzios), 576, 582 (Briefe an Stamos Diamantaras) und 580-581 (Brief an Yorgos Theotokas). 240 Vgl. diese Einführungen: Dimitri E. Conomos, Byzantine Hymnography and Byzantine Chant (Brookline MA, 1984); Dimitri Giannelos, La musique byzantine: le chant ecclési- astique, sa notation et sa pratique actuelle (Paris, 1996); Konstantinos Nikolakopoulos, Or- thodoxe Hymnographie: Lexikon der orthodoxen hymnologisch-musikalischen Terminologie (Klimmeck, 1999); Kenneth Levy und Christian Troelsgård, ‚Byzantine Chant‘, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians 4 (2001), 734-756; Spyridon St. Antoniou,

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 91

Was die prominente Rolle der orthodoxen Kirchenmusik, Liturgie und Ikonogra- phie sowie des Klosterlebens in mehreren Werken von Kazantzakis betrifft, denke man zum Beispiel an die bildhaft beschriebenen liturgischen Szenen von Taufe, Hochzeit, Bestattung, Eucharistie und von Kirchenfesten. Es werden auch andere Rituale, wie z.B. Wasserweihen, Krankensalbung und Wegzehrung genannt und zahllose Formen der Ikonenverehrung geschildert. Immer wieder wird dabei gebetet und gesungen. Ich beschränke mich hier auf zwei ziemlich willkürlich gewählte Beispiele. Zunächst die ausführliche plastische Beschreibung der ‚Grundsteinlegung‘ eines neuen Dorfes (auf einem kahlen Berg!) mit Wasserweihe und Gesängen im Roman Christus wird wiederum gekreuzigt:241 Der Flüchtlingspfarrer Fotis, dessen Auftre- ten im Roman mit Bewunderung beschrieben wird – dies im Gegensatz zum ge- schmähten Pfarrer Grigoris –, singt das bekannte Troparion ‚Rette, Herr, Dein Volk und segne Dein Erbe‘ (Σῶσον, Κύριε, τὸν λαόν σου …). Dieses Troparion ist ein fester Bestandteil des Rituals der Kleinen Wasserweihe.242 Danach erzählt Pfarrer Fotis den Dorfleuten von einer nächtlichen Erscheinung des hl. Georgs, er legt die Stola um, bastelt sich einen Weihwasserwedel, grenzt inmitten der Felsen und des Gebüsches das Gebiet der neuen Siedlung ab und besprengt es mit Weihwasser. Symbolisch errichtet er an jeder der vier Windrichtungen eine Pforte, zunächst eine für Christus, dann eine für die Mutter Gottes und danach eine für den hl. Georg, und bei jeder dieser drei ‚Pforten‘ spricht der Priester ein längeres, lyrisches und an- dächtiges Gebet. Die vierte Pforte wird dem letzten byzantinischen Kaiser, Kon- stantinos Paleologos (gefallen 1453), gewidmet, in der Erwartung, dass er Konstan- tinopel wieder einnehmen wird. Schließlich werden die Gebeine der Ahnen, welche die Exilanten die ganze Zeit mittrugen, in einem neuen Grab beigesetzt. Die Dorf- bewohner/innen nehmen rege und andachtsvoll am Ritual teil. Es gibt Dialoge und

Mορφολογία τῆς βυζαντινῆς ἐκκλησιαστικῆς μουσικῆς (Thessaloniki, 2008); Christian Han- nick, ‚Das Schöne und das Erhabene in der byzantinischen Musik‘, in: Der eine Gott und die Vielfalt der Klänge: Sakrale Musik der drei monotheistischen Religionen, Hg. Michael Gassmann, Schriftenreihe der internationalen Bachakademie Stuttgart (Kassel, 2013), 133- 155; ders., ‚Byzantinische Musik‘, in: Geschichte der Kirchenmusik, I, Von den Anfängen bis zum Reformationsjahrhundert, Hg. Wolfgang Hochstein und Christoph Krummacher (Laa- ber, 2001), 70-85; Irenäus Totzke, Dir singen wir: Musik der Ostkirche – Gesammelte Schrif- ten, Bd. I (St. Ottilien, 1992); ders., ‚Musik der Ostkirchen‘, in: Geschichte der Kirchenmu- sik, IV, Die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts und die Herausforderungen der Ge- genwart, Hg. Hochstein und Krummacher (Laaber, 2014), 144-198. 241 Vgl. Nikos Kazantzakis, Ὁ Χριστὸς ξανασταυρώνεται, 90-97. Johann Groß, Das Christusbild in Film und Literatur: Einige liturgische Aspekte, Diplomarbeit Karl-Franzens-Universität Graz (Graz, 2013), 15-75 bespricht sowohl dieses Buch als auch Die letzte Versuchung und die Verfilmungen beider Romane. Siehe auch Thanasis Agathos, ‚Festivals and Feasts in the Novels of Nikos Kazantzakis‘, Mediterranean Chronicle 4 (2014) 219-232. 242 Vgl. Mικρὸν Eὐχολόγιον, 16. Siehe auch meine zwei Kleinstudien: ‚Curative Holy Water and the Small Water Blessing in the Orthodox Church of Greece‘, in: Rites and Rituals of the Christian East: Selected Papers of the Fourth International Congress of the Society of Orien- tal Liturgy, Lebanon, July 10-15, 2012, Hg. Bert Groen, Daniel Galadza, Nina Glibetic und Gabriel Radle, Eastern Christian Studies 22 (Löwen, 2014), 387-404; ‚„Wash your sins, not only your face“: Therapeutic Water and the Evolution of the Small Water Blessing in the Greek-Byzantine Tradition‘, in: Σύναξις καθολική: Beiträge zu Gottesdienst und Geschichte der fünf altkirchlichen Patriarchate für Heinzgerd Brakmann zum 70. Geburtstag, Hg. Dilia- na Atanassova und Tinatin Chronz, orientalia – patristica – oecumenica 6,1 (Münster, Berlin und Wien, 2014), 249-268.

92 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ einige Knaben singen den Grundton, das ison, ein wichtiges Element der grie- chisch-byzantinischen Hymnodie. Die zweite Szene stammt aus Rechenschaft vor El Greco und spielt sich in einem oberhalb des Libyschen Meeres gelegenen südkretischen Kloster ab.243 Bei Tages- anbruch nimmt der Autor am Morgenlob (ὄρθρος) in der Klosterkirche teil. Er hört gerne die typischen Gesänge, wie zum Beispiel ‚Gott, mein Gott, morgens früh komme ich zu Dir. Meine Seele dürstet nach Dir, und noch viel mehr nach Dir mein Körper, in einem einsamen und unzugänglichen Land ohne Wasser‘ (Ὁ Θεός, Ὁ Θεός μου, πρὸς σὲ ὀρθρίζω…, Ps. 62,2). Das ist keine Phantasievorstellung des Au- tors, sondern tatsächlich gehört Psalm 62 zu den ‚Sechs Psalmen‘ (Ἑξάψαλμος), die im ersten Teil des Morgenlobes vorgetragen werden.244 Kazantzakis steht in einem Chorstuhl und sieht den Mönch, der seine Runde mit dem Simandron gemacht hat; bei Letzterem handelt es sich um ein Holzbrett, auf das rhythmisch geschlagen wird, um die Mönche bzw. Nonnen aufzufordern, zur Teilnahme am Gottesdienst in die Klosterkirche zu kommen. Dann erscheint eine junge Mutter mit ihrem Baby in der Türöffnung, mit dem Ziel, dass der Abt ein Gebet über das Kind spricht, da- mit es nicht vom ‚bösen Blick‘ (τὸ μάτι) getroffen wird. Alle Blicke wenden sich ihr zu und es scheint, dass die Kirche ab jetzt nach Muttermilch und dem Lorbeeröl in den Haaren der Frau riecht. Die Mönche und Kazantzakis selber warten ungedul- dig, bis der Gottesdienst vorüber ist. Der Mönch, der das Simandron geläutet hat, flüstert der Frau ins Ohr, sich in einen Chorstuhl bei der Tür zu setzen. Es wird das für das Morgenlob charakteristische Troparion ‚Gott ist Herr und ist uns erschie- nen…‘ gesungen (Θεός Κύριος καὶ ἐπέφανεν ἡμῖν…, Ps. 117,27a).245 Nach der Doxologie, die das Morgenlob abschließt, legt der Abt sich die Stola um, nimmt den Weihwasserwedel, geht auf die Frau zu und beginnt das Gebet zu lesen. Ka- zantzakis erwähnt nicht, um welches Gebet es sich handelt, aber es dürfte das ‚Ge- bet beim Vom-bösen-Blick-betroffen-Sein‘ (Εὐχὴ ἐπὶ βασκανίαν) aus dem Eucho- logion sein.246 Wenn der junge Kreter die besorgten Augen der Mutter sieht, denkt er an die berühmte Portaïtissa-Ikone im Ivironkloster auf dem Berg Athos. Dann fängt das Kind an zu weinen und mit den Beinchen zu treten. Um es zu beruhigen, entblößt die Frau ihre Brust und das Baby trinkt. Der Abt zögert einen Moment, dann (wie Kazantzakis schreibt) ‚gewinnt Gott in ihm‘ und er liest das Gebet zu Ende. Dies sind angemessene Beispiele dafür, dass das Studium des Werkes Kazantza- kis’ für die Erforschung der Geschichte der byzantinisch-orthodoxen religiösen Volkskultur, Liturgie und Kirchenmusik nützlich ist. Namentlich in seinen Roma- nen findet man zahllose Hinweise auf diese Bereiche und auf die Art und Weise, wie Liturgie tatsächlich gefeiert wurde. Ähnliches gilt beispielsweise für die Prosa der bereits genannten Literaten Papadiamantis, Moraïtidis und Tolstoj sowie für die Poesie des griechischen Dichters Konstantinos Kavafis (1863-1933) und für das

243 Vgl. Kazantzakis, Ἀναφορά στόν Γκρέκο, 304-307. Vielleicht handelt es sich um das Preveli- Kloster, das Kazantzakis gut bekannt war. 244 Vgl. Ὡρολόγιον τὸ Μέγα (Athen, 71977), 50-56, hier 52. 245 Vgl. Ὡρολόγιον τὸ Μέγα, 56. 246 Vgl. Mικρὸν Eὐχολόγιον, 276-277.

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Œuvre einiger anderer, russischer, rumänischer usw. Schriftsteller/innen.247 Natür- lich ist Vorsicht angesagt, weil die Romanciers und Poeten sich frei fühlen, die em- pirische Realität nach ihren literarischen Vorstellungen und ihrer Fantasie umzuge- stalten und zu verwandeln. Auch Kazantzakis tut das. Allerdings verlässt er sich nicht völlig auf sein Gedächtnis und seine Fantasie, sondern er bereitete das Schrei- ben seiner ‚liturgischen Szenen‘ auch vor, indem er sich über Rituale, wie zum Bei- spiel die Priesterweihe und das monastische Tonsurieren, informieren ließ. Er sammelte auch Beschwörungen, Exorzismen und andere Sprüche.248 Einer solchen detaillierten Vorbereitung unterwarf er sich also nicht nur für seine Beschreibungen der Natur, von unterschiedlichen Berufen und Tätigkeiten, sondern auch für die von religiösen Ritualen. Auch darum sollte man aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive diese literari- schen Quellen nicht außer Acht lassen. Um ein mehr oder weniger realistisches Bild der tatsächlichen Liturgiepraxis und der Bedeutung, welche die Teilnehmenden ihr beimessen, zu bekommen, genügt es jedenfalls nicht, nur die liturgischen Manu- skripte und die ‚offiziellen‘ Bücher sowie die Rolle der kirchlichen Hierarchie zu erforschen. Man sollte auch die vielfältigen sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Kontexte sowie andere Quellen, wie zum Beispiel die Architektur der Kirchen, die Bekleidung, Autobiographien, Romane und Poesie, Informationen über die Rolle des Volkes und über die religiöse Volkskultur studieren. Obwohl Kazantzakis für seine Beschreibungen liturgischer Rituale meistens gut recherchierte, war ihre genaue Darstellung jedoch nicht sein Hauptanliegen. Er verwendete sie bloß als ‚Illustration‘ seiner Ideen. Ich möchte dies anhand der zwei oben geschilderten Beispiele anschaulich machen. Bei der ‚Grundsteinlegung‘ des neuen Dorfes geht es um den Neuanfang nach der Vertreibung und um den Mut, nach einer Zerstörung immer wieder neu zu beginnen, obwohl auch danach wieder Zwangsabreise und Neubeginn unvermeidlich sind. Hier begegnen wir dem Grund- schema unseres Autors: ‚These – Antithese – Synthese, neue These – neue Antithe- se – neue Synthese …‘, ‚Aufbau – Abbruch – neuer Aufbau …‘ oder ‚Leben – Kreuzigung – Auferstehung …‘ und so weiter. In der zweiten Szene spielen gleich mehrere Hauptthemen des kretischen Autors eine Rolle: erstens die ästhetische Er- fahrung – nicht: die traditionell-christliche Glaubenserfahrung – der Liturgie (Ge- sang, Simandron, Ikone), zweitens die Schönheit der Natur und drittens die Kon- frontation zwischen sinnlichen Frauen und pflichtbewussten Männern. Letzteres wird anhand des Duftes der Frau und ihrer entblößten Brust sowie seitens des Abtes anhand der Wiederaufnahme seiner Aufgabe, nach seinem anfänglichen Zögern, plastisch geschildert. Kazantzakis benutzt also die (mehr oder weniger genaue) Schilderung liturgischer Elemente, um so seine Theorie über den Sinn und Unsinn des Lebens zu veranschaulichen. Eine andere positive Nebenwirkung von Kazantzakis’ Beschreibungen von grie- chisch-orthodoxen liturgischen und kirchenmusikalischen Elementen ist, dass sie es nicht-orthodoxen Lesenden ermöglichen, ihre einschlägigen Kenntnisse zu vergrö-

247 Vgl. zum Beispiel Simon, ‚Religious Motives in Russian Literature‘. Ein hervorragendes Beispiel einer Studie, die die Relevanz von Autobiographien für die westliche Liturgiege- schichte aufzeigt, ist: Friedrich Lurz, Erlebte Liturgie: Autobiografische Schriften als litur- giewissenschaftliche Quellen, Ästhetik – Theologie – Liturgik 28 (Münster, 2003). 248 Vgl. Alexiou, Γιά νά γίνει μεγάλος, 337.

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ßern. Der kretische Autor wurde ja nicht nur im griechischen Sprachgebiet, sondern weit darüber hinaus intensiv gelesen. Die sehr hohe Zahl der Übersetzungen seiner Romane ins Deutsche, Englische, Französische, Niederländische und in viele ande- re Sprachen zeugt davon und international betrachtet existieren noch immer zahlrei- che Studiengruppen, die sich mit dem Œuvre von Kazantzakis beschäftigen. Die Tatsache, dass Großteile seines literarischen Werkes dem westlichen Publi- kum einen Einblick in die damalige griechische rituell-liturgische religiöse Volks- kultur bieten, auch wenn dieser teilweise fiktionalisiert ist, gibt Anlass, weiter über die Einwirkung ostkirchlicher rituell-liturgischer Elemente auf die religiöse ‚Land- schaft‘249 des Westens und über den ‚Ost-West-Transfer‘ im Allgemeinen nachzu- denken.

C. OST-WEST-‚TRANSFER‘

Die Bereicherung und Kenntniserweiterung hinsichtlich des byzantinischen Ri- tus gelten auch für die westkirchliche (katholische, anglikanische, lutherische, reformierte usw.) Beschäftigung mit den vielfältigen Traditionen des christli- chen Ostens im Allgemeinen. Historisch betrachtet, schenkte die byzantinische Ostkirche der lateinischen Westkirche vieles aus ihrer reichen gottesdienstlichen und spirituellen Schatzkammer, zum Beispiel die Feste der Geburt der Mutter Gottes (8. September), der Verkündigung Mariens / Verkündigung des Herrn (25. März), der Darstellung des Herrn im Tempel (2. Februar), des Heimgangs Mariens (15. August) und der Kreuzerhöhung (14. September). Man denke auch an Teile der Eucharistiefeier (beispielsweise das Kyrie eleison, Gloria in excel- sis Deo und Agnus Dei), den Hymnos Akathistos, die Improperien der Karwo- che (‚Mein Volk, was tat ich Dir…?‘), ikonographische Themen und Regeln für das monastische Leben (insbesondere von Pachomius und Basilius). Ein interessantes Sonderbeispiel ist das Trishagion (Τρισάγιον, ‚Heiliger Gott, heiliger Starker, Heiliger Unsterblicher, erbarme Dich unser‘),250 das in fast allen

249 Der niederländische Experte im Bereich der Liturgiewissenschaft, Ritual- und Kulturstudien, Paul Post (geb. 1953), verwendet diesen Ausdruck häufig in seinen Veröffentlichungen. 250 Vgl. Dimitri E. Conomos, Byzantine Trisagia and Cheroubika of the Fourteenth and Fifte- enth Centuries: A Story of Late Byzantine Liturgical Chant (Thessaloniki, 1974), 25-31, 53- 120, 295-300, 334-367; Sebastià Janeras, ‚Le Trisagion: une formule brève en liturgie com- parée‘, in: Acts of the International Congress ‚Comparative Liturgy Fifty Years After Anton Baumstark (1872-1948)‘, Rome, 25-29 September 1998, Hg. Robert F. Taft und Gabriele Winkler, Orientalia Christiana Analecta 265 (Rom, 2001), 495-562; Robert F. Taft, Beyond East and West: Problems in Liturgical Understanding (Rom, 22001), 198-199, 208, 214-216; Hugh Wybrew, The Orthodox Liturgy: The Development of the Eucharistic Liturgy in the Byzantine Rite (Crestwood NY, 1990), 77-79; Gabriele Winkler, ‚Das Gloria in excelsis und Trishagion und die dem Yovhannēs Ōjnec‘i zugeschriebene Konziliengeschichte‘, in: Εὐλόγημα: Studies in Honor of Robert Taft, S.J., Hg. Ephrem Carr u.a., Studia Anselmiana 110 – Analecta Liturgica 17 (Rom, 1993), 537-569; Pier Giorgio Gianazza, Temi di teologia orientale, Bd. I, Nuovi Saggi Teologici 81 (Bologna, 2010), 220-223. Zur Bedeutung des Trishagions in den orientalisch-orthodoxen Traditionen siehe Sebastian Brock, ‚The Thrice-Holy Hymn in Liturgy‘, Sobornost/Eastern Churches Quarterly 7 (1985) 24-34; Baby Varghese, West Syrian Liturgical Theology, Liturgy, Worship and Society (Al-

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 95 byzantinischen Gottesdienstformen vorkommt und das uns im römischen Ritus in der Karfreitagsliturgie begegnet, wenn dieser dreigliedrige Vers sowohl griechisch als auch lateinisch bzw. in der jeweiligen Volkssprache vorgetragen wird.251 In der bedeutsamen monastischen Bose-Kommunität (Norditalien) wird das Trishagion in allen sieben Gottesdiensten am Karfreitag und Karsamstag sowie im Abendlob des Ostersonntags gesungen.252 Ferner wird es in der römischen Tradition auch Gläubi- gen, die gegen die ‚Mächte der Finsternis‘ kämpfen, als ein privates Stoßgebet emp- fohlen.253 In den ‚vorkonziliaren‘ liturgischen Büchern des römischen Ritus – also in den Büchern, die vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) sowie noch kurz danach in der katholischen Kirche allgemein gültig waren254 – kommt das Trishagion auch in anderen Gebeten und in einer Prozession vor.255 Seine Exis- tenz im römischen Ritus ist jedoch nicht dem unmittelbaren Einfluss der griechi- schen Praxis zu verdanken, sondern geschah auf dem Umweg der gallisch-fränki- schen Liturgie.256 Das Trishagion hat auch in den Gottesdienst mehrerer evangelischer Kirchen Eingang gefunden. Beispielsweise bietet das Evangelische Gesangbuch die Mög- lichkeit, dass die Gemeinde statt des Heilig, heilig, heilig (Sanctus) griechisch oder deutsch das Trishagion singt. Des Weiteren enthält das bekannte Lied Mitten wir im Leben sind in allen drei Strophen eine freie Übersetzung des Trishagions.257 Übri-

dershot, 2004), 69; Andreas Heinz, Licht aus dem Osten: Die Eucharistiefeier der Thomas- Christen, der Assyrer und der Chaldäer mit der Anaphora von Addai und Mari, Sophia 35 (Trier, 2008), 148-149; Joseph Roby Alencherry, ‚The Rite of Trisagion in the Syro-Malabar Liturgy‘, Christian Orient 32 (2011) 137-152. 251 Vgl. Missale Romanum ex decreto sacrosancti œcumenici concilii vaticani II instauratum auctoritate Pauli pp. VI promulgatum Ioannis Pauli pp. II cura recognitum, editio typica ter- tia (Vatikanstadt, 32002), 325-326; Gotteslob 2013, Nr. 300. Siehe auch Paul Turner, Glory in the Cross: Holy Week in the Third Edition of The Roman Missal (Collegeville MN, 2011), 101. 252 Vgl. La Pasqua del Signore: Liturgie del cammino pasquale (Magnano, 22011), 41, 47, 61- 63, 66, 72, 79, 83, 123. In der Ostervigil dieses ökumenisch gesinnten Doppelklosters, dem sowohl Frauen als auch Männer angehören, kommen auch andere byzantinisch-orthodoxe Gesänge vor, zum Beispiel das zentrale Ostertroparion ‚Christus ist von den Toten erstanden …‘ und der Vespergesang ‚Heiteres Licht…‘ (Φῶς ἱλαρὸν); vgl. ebd., 90-108. Das genannte Ostertroparion wird auch während des Morgen- und des Abendlobes am Ostersonntag ge- sungen; vgl. ebd., 115, 127. 253 Vgl. Rituale Romanum ex decreto sacrosancti oecumenici concilii Vaticani II instauratum auctoritate Ioannis Pauli PP. promulgatum: De exorcismis et supplicationibus quibusdam (Vatikanstadt, 22004), 79-80, wo das Trishagion zu den Anrufungen der Hl. Dreifaltigkeit gehört. 254 Im Motuproprio Summorum Pontificum (7. Juli 2007) von Papst Benedikt XVI. ist die Rede von der ‚außergewöhnlichen Form‘ des römischen Ritus. Vgl. Benedictus XVI, ‚Motu proprio: De usu extraordinario antiquae formae Ritus Romani – Summorum Pontificum‘, Acta Apostolicae Sedis 99 (2007) 777-781. 255 Vgl. Missale Romanum ex decreto sacrosancti concilii tridentini restitutum S. Pii V pontificis maximi jussu editum aliorumque pontificum cura recognitum a Pio X reformatum et ssmi d.n. Benedicti XV auctoritate vulgatum, Editio VII juxta typicam vaticanam (Regensburg, 1923), 204-205; 296 (Crucem tuam adoramus, Domine). Siehe auch die Karfreitagsliturgie, ein- schließlich der Stundenliturgie, in Liber Usualis Missae et Officii pro dominicis et festis cum cantu gregoriano (Paris, Turnhout und Rom, 1953), 705-706; 708-709 (Crucem tuam ado- ramus, Domine). 256 Vgl. Jeffery, Translating Tradition, 26-29. 257 Vgl. Evangelisches Gesangbuch 1995, Nr. 185.4 und 518. Siehe auch Werner Horn, ‚Grie- chische Spuren im Evangelischen Gesangbuch‘, in: Σκεῦος εἰς τιμήν, Hg. Tsigaras, 315-329.

96 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ gens handelt es sich beim letztgenannten Lied um eine Übertragung der lateinischen Antiphon Media vita in morte sumus; sie ist wahrscheinlich Mitte des achten Jahr- hunderts verfasst worden. Auch im katholischen Gotteslob findet man diesen be- liebten Gesang.258 Ferner ist der Text von mehreren berühmten Komponisten, wie z.B. Orlando di Lasso (1532-1594), Johann Sebastian Bach (1685-1750) und Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), vertont worden. So geben diese Gesänge davon Zeugnis, wie sie und viele andere wichtige litur- gisch-spirituelle Texte die konfessionellen Grenzen überschreiten. Dank der mo- dernen Ökumenischen Bewegung, an der die meisten Ost- und Westkirchen teil- nehmen, hat sich die transkonfessionelle ‚Liedwanderung‘ noch beschleunigt. Zweifelsohne trägt das gemeinsame Singen nicht nur zur zwischenkirchlichen, son- dern auch zur interkulturellen und interreligiösen Verständigung erheblich bei. Noch ein anderes Sonderbeispiel des ‚Ost-West-Transfers‘ stellt die Orgel dar. Die Wasser- bzw. Balgorgel wurde im Römischen Reich von der gesellschaftlichen Oberschicht für vornehmlich profane musikalische Zwecke benutzt. Nach dem Un- tergang des Weströmischen Reiches (476) wurde die Orgel im Westen mehr oder weniger vergessen. Im christianisierten Oströmischen Reich wurde sie jedoch wei- terhin verwendet, vor allem am Kaiserhof sowie bei Volksfesten und Ähnlichem. Sie erfüllte in Konstantinopel allerdings keine kirchlich-liturgische Funktion, son- dern hatte ein zeremonielles Ziel und diente meistens dazu, die kaiserliche Herr- schaft zu betonen, insbesondere während der Akklamationen für den Kaiser oder die Kaiserin. Auch in den Fürstenhöfen des orthodoxen Russlands (vor allem Kiew und Moskau) sowie in der dortigen Volkskultur fand die Orgel rege Verwendung. Ins Frankenreich kam die Orgel als Geschenk des oströmischen Kaiserhofs: Kai- ser Konstantin V (herrschte 741-775) schenkte König Pippin dem Jüngeren (714- 768) im Jahr 757 eine Orgel, um ihn nach seinem Sieg über die Langobarden zu ehren. Dann bespielten die byzantinischen Gesandten im Jahr 812 eine von ihnen mitgebrachte Orgel, um Karl den Großen (herrschte 768-814) mit oströmischem Hofzeremoniell feierlich zu begrüßen. Danach nahmen sie das kostbare Instrument jedoch mit sich zum Bosporus zurück. Im Jahr 826 ließ der Frankenkaiser Ludwig der Fromme (herrschte 814-840 über das Gesamtreich) eine Orgel von einem Pries- ter namens Georg aus Venedig auf griechische Weise (more graecorum) herstellen. Allmählich verbreiteten sich Orgeln im Westen immer mehr, sie zogen auch in die Kirchen ein und entwickelten sich dort zu den liturgischen Instrumenten par excellence.259 Insgesamt gab es erheblich mehr liturgischen ‚Export‘ von Konstantinopel nach Rom als umgekehrt. (Ein Beispiel des umgekehrten ‚West-Ost-Transfers‘ ist die zahlenmäßige Festlegung der Sakramente auf sieben.) Obendrein sei erwähnt, dass

258 Vgl. Gotteslob 1975, Nr. 654; Gotteslob 2013, Nr. 503. 259 Vgl. Nikos Maliaras, Die Orgel im byzantinischen Hofzeremoniell des 9. und des 10. Jahr- hunderts: Eine Quellenuntersuchung, Miscellanea Byzantina Monacensia 33 (München, 1991); Dietrich Schuberth, ‚Aurea Roma tonat: Sozial- und ideologiegeschichtliche Beobach- tungen zur Orgel der europäischen Frühzeit‘, in: Orgel und Ideologie: Bericht über das fünfte Colloquium der Walcker-Stiftung für orgelwissenschaftliche Forschung, 5.-7. Mai 1983 in Göttweig, Hg. Hans Eggebrecht (Murrhardt, 1984), 70-77; Hermann Fischler, ‚Antike‘, in: Lexikon der Orgel, Hg. Hermann J. Busch und Matthias Geuting (Laaber, 32011), 55-57; Hermann Fischler, ‚Mittelalter‘, in: Lexikon der Orgel, 480-483; Alexander Fiseisky, ‚Ruß- land‘, in: Lexikon der Orgel, 677-681.

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 97 die ersten sieben ökumenischen Konzilien, mit ihren christologischen, trinitarischen und mariologischen Dogmen, im griechisch-byzantinischen Osten, nicht im lateini- schen Westen stattfanden und dass die einschlägigen Dogmen die Gebets- und Ge- sangsinhalte der gesamtchristlichen Liturgie, nicht nur der ostkirchlichen, stark be- einflusst haben. Auch während des zweiten Jahrtausends interessierten einige westkirchliche Ge- lehrte und Gemeinschaften sich für das gottesdienstliche Erbe der Ostkirche, das sie oft als fast identisch mit der Frühkirche betrachteten und das deswegen einen hohen Stellenwert für sie hatte. Mehr oder weniger systematisch – unter dem Einfluss der liturgischen, ökumenischen und patristischen Bewegungen – fand während der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eine Übernahme ostkirchlicher Ele- mente in westkirchliche Gottesdienste statt.260 Beispielsweise übernahmen damals die römisch-katholische Kirche und einige andere Westkirchen für ihre postbaptis- male Salbung bzw. für die Firmung die byzantinische Formel ‚Siegel der Gabe des Heiligen Geistes‘ (σφραγὶς δωρεᾶς Πνεύματος Ἁγίου). Auch übernahmen sie die ägyptische Version der Basiliusanaphora als eine Wahlmöglichkeit während der Eucharistiefeier. Diese Texte wurden jedoch teilweise modifiziert, um sie dem neu- en westkirchlichen Kontext anzupassen. Des Weiteren wurde in der katholischen Kirche das Stundengebet bzw. die Tagzeitenliturgie als Gottesdienst der gesamten Gemeinde (nicht nur des Klerus) wiederentdeckt, es wurde das österliche Pa- schamysterium erneut hervorgehoben und vieles mehr. Auch heutzutage sind mehrere katholische, anglikanische und evangelische Kir- chenmusiker/innen, Kunsthistoriker/innen und Liturgiewissenschaftler/innen an den spirituellen, liturgischen, ikonographischen und musikalischen Traditionen des by- zantinischen Ritus sehr interessiert und versuchen diese in ihre eigene kirchliche Tradition und ihr eigenes Wirken zu integrieren. Im nun Folgenden konzentriere ich mich auf einige kirchenmusikalische Aspekte. Der Grazer Gregorianik-Experte Franz Karl Praßl (geb. 1954) zum Beispiel er- forscht die byzantinischen Quellen mehrerer bekannter lateinischer Marienhymnen. Er legt exemplarisch dar, wie Sub tuum praesidium und Nativitas tua sowie zahllo- se Gesänge, die mit Ave, Salve, Gaude oder Vale beginnen, griechischen Vorbildern mit dem Anfangswort Χαῖρε entlehnt worden sind.261 Praßl ist zum einen fest in der lateinischen Tradition des römischen Ritus verwurzelt. Zum anderen ist er an der spirituellen, liturgischen und musikalischen Tradition des byzantinischen Ritus sehr interessiert und versucht, diese in sein eigenes Wirken zu integrieren. Vor Praßl hatte bereits der österreichisch-britische Musikwissenschaftler und Komponist Egon Wellesz (1885-1974) in zahlreichen Veröffentlichungen die viel-

260 Vgl. ausführlicher dazu Albert Gerhards, ‚Die Bedeutung der Erforschung ostkirchlicher Liturgien für die Liturgieentwicklung in der westlichen Ökumene‘, in: Σύναξις καθολική, Hg. Atanassova und Chronz, 229-238; Balthasar Fischer, ‚Östliches Erbe in der jüngsten Litur- giereform des Westens‘, Liturgisches Jahrbuch 27 (1977) 92-106; Anne McGowan, ‚Eastern Christian Insights and Western Christian Reforms: Travelers, Texts, and Liturgical Luggage‘, in: Liturgy in Migration: From the Upper Room to Cyberspace, Hg. Teresa Berger (Col- legeville MN, 2012), 179-208. Siehe auch McGowans Buch Eucharistic Epicleses, Ancient and Modern: Speaking of the Spirit in Eucharistic Prayer (London, 2014). 261 Vgl. Franz Prassl, ‚Die lateinischen Marienhymnen des Mittelalters und ihr Bezug zu byzan- tinischen Quellen‘, in: Auf der Suche nach der Seele Europas: Marienfrömmigkeit in Ost und West, Hg. Peter Leander Hofrichter, Pro Oriente 30 (Innsbruck, 2007), 101-131.

98 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ fältigen literarischen und musikalischen Einflüsse auf die westliche Sakralmusik nachgewiesen.262 Der belgische Dominikanerpater Gilles Gérard Meersseman hatte die Rezeption des Hymnos Akathistos und der damit verwandten griechischen litur- gischen Poesie im mittelalterlichen Abendland tiefgründig erforscht.263 Weitere (ziemlich willkürliche) Beispiele sind Oliver Strunk (1901-1980), der den griechi- schen Ursprung einiger lateinischer Epiphanie-Hymnen untersuchte, und Rosemary Dubowchik, die die griechisch-byzantinische Herkunft (in diesem Fall Jerusalem) des Gesanges Crucem tuam adoramus domine nachwies.264 Praßl und einige andere Kirchenmusiker/innen setzen sich auch für die Aufnah- me byzantinischer Hymnen in gegenwärtige katholische Gesangbücher ein, wie z.B. bei der Neuausgabe des katholischen Gebets- und Gesangbuches Gotteslob (2013).265 Diese Initiative kann meines Erachtens für die gesamte Ökumene nicht genügend gewürdigt werden. Wie gesagt erfährt und feiert die Gemeinde gerade im Singen die Gemeinsamkeiten mit den Gläubigen anderer Konfessionen.266 Lieder sind äußerst wichtig, sowohl um den Glauben auszudrücken als auch um ihn zu ver- innerlichen. Mehr als das gesprochene Wort ruft das Singen Gefühle hervor und forciert Verbundenheit. Obwohl in der Liturgie der Text den Primat haben soll, un- terstützt eine gute Melodie den Text, sie interpretiert ihn und verleiht ihm Flügel. Mehr als gesprochene Texte sind es gesungene, Lieder, die Menschen bewegen.267 Trotz meiner sehr positiven Grundhaltung gegenüber den Versuchen, byzantini- sche Hymnen in katholische und evangelische Gesangbücher aufzunehmen, bin ich aber auch der Meinung, dass eine Diskussion über die Kriterien für solche Über- nahmen notwendig wäre. Ich nenne hier exemplarisch das im erneuerten Gotteslob aufgenommene byzantinische Troparion des Hl. Kreuzes (Nr. 824), das den meiner Ansicht nach heute problematischen Passus ‚Verleihe den rechtgläubigen Christen den Sieg über den bösen Feind …‘ enthält. Auch wenn diese Passage aus texthisto- rischer Perspektive richtig ist,268 ist die Frage berechtigt, wie ein anderes ‚Publi- kum‘ als das griechisch-orthodoxe auf diese Worte reagiert. Was haben sich die Verantwortlichen für die Herausgabe des Gotteslobs also gedacht bei der Frage, wer heutzutage ‚die rechtgläubigen Christen‘ und ‚der böse Feind‘ für eine durch- schnittliche katholische Pfarrgemeinde sind?

262 Vgl. beispielsweise Egon Wellesz, Eastern Elements in Western Chant: Studies in the Early History of Ecclesiastical Music, Monumenta Musicae Byzantinae, Subs. II (Kopenhagen, 1967, Erstausgabe Oxford und Boston, 1947). Scharfe Kritik an einigen Thesen von Wellesz findet sich in: Totzke, ‚Musik der Ostkirchen‘, 162-163. 263 Vgl. Gilles Gérard Meersseman, Der Hymnos Akathistos im Abendland, Bd. I-II, Spicilegium Friburgense 2-3 (Fribourg, 1958 und 1960). 264 Vgl. Oliver Strunk, ‚The Latin Antiphons for the Octave of the Epiphany‘, in: ders., Essays on Music in the Byzantine World (New York, 1977), 208-219 (Nachdruck eines Artikels aus 1964); Rosemary Dubowchik, A Chant for Feasts of the Holy Cross in Jerusalem, Byzanti- um, and Medieval Europe, Doktorarbeit Princeton University (Ann Arbor MI, University Microfilms International, 1993). 265 Siehe z.B. Gotteslob 2013, Nr. 822, 824, 827 und 988.3; diese Gesänge befinden sich im Eigenteil der (Erz-) Diözesen Österreichs. 266 Vgl. Lurz, Einführung in das neue Gotteslob, 74-75. 267 Vgl. Oosterhuis, Licht dat aan blijft, passim. Vgl. den Titel des von Kok verfassten Buches: De vleugels van een lied. 268 Vgl. meine geplante Studie Therapeutic Water and the Small Water Blessing in the Greek Orthodox Tradition: A Case Study and Several Observations on Liturgy and Pastoral Care (voraussichtlich 2016), in der ich u.a. diesen Punkt untersuche.

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 99

Des Weiteren sind die liturgiehistorischen Quellenangaben ostkirchlicher Gesän- ge im erneuerten katholischen Gotteslob oft vage und ungenau (wie z.B. ‚ostkirch- lich‘ und ‚aus der Ukraine‘), dies im Gegensatz zu den meistens sehr genauen Her- kunftsangaben westkirchlicher Lieder.269 Ähnliches gilt für das schweizerische Ka- tholisches Gesangbuch 1998.270 Auch das deutsche Evangelisches Gesangbuch 1995 entkommt dieser Ungenauigkeit nicht, obwohl neben der Qualifizierung ‚or- thodox‘ auch das Herkunftsland erwähnt wird, beispielsweise ‚orthodoxe Liturgie aus Griechenland‘ bzw. ‚…aus der Ukraine‘.271 Interessanterweise enthält das niederländische reformatorische Liedboek voor de kerken 1973 für die Osterzeit zwei Gesänge, die aus vom Dichter und Historiker Jan Willem Schulte Nordholt (1920-1995) angefertigten Übersetzungen einiger Oden des orthodoxen Osterkanons bestehen. Dieser berühmte Text, der Johannes von Damaskus (650 bis vor 754) zugeschrieben wird, wird auch noch heute im or- thodoxen nächtlichen Auferstehungsgottesdienst gesungen. Die zur Übersetzung gehörigen Melodien sind freilich neu und von zeitgenössischen niederländischen Komponisten verfasst. Was die Erwähnung der Quellenlage betrifft, werden zwar die griechischen Anfangsworte sowie der Name von Johannes von Damaskus er- wähnt, aber nicht die Tatsache, dass es sich um einen sehr bedeutsamen orthodoxen liturgischen Gesang handelt.272 Auch die neueren Gesangbücher sowie das heutige Gottesdienstbuch der Protestantischen Kirche in den Niederlanden enthalten einige frühchristliche Texte (beispielsweise den Abendhymnus ‚Heiteres Licht‘, Φῶς ἱλαρὸν) und mehrere ostkirchliche Melodien – letztere wiederum mit der vagen Be- zeichnung ‚orthodox‘.273 Eine weitere ‚Unregelmäßigkeit‘ ist, dass in den genannten Gesangbüchern das große Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel durchgängig die filioque- Hinzufügung im Artikel über den Heiligen Geist enthält – dies ohne Kommentar und mit der Überschrift, dass es sich um das konziliare Credo handelt, wodurch der falsche Eindruck entsteht, dies sei die komplette Originalversion. Der Tatsache, dass der ursprüngliche Konzilstext ohne das filioque formuliert worden ist und dass diese spätere westkirchliche Hinzufügung bekanntlich erhebliche theologische Ost- West-Auseinandersetzungen verursacht hat, wird also nicht Rechnung getragen. Trotz dieser kritischen Bemerkungen ist festzuhalten, dass fast alle diese Initiati- ven dazu beitragen, dass das Erbe des byzantinischen Ostens desgleichen durch die

269 Vgl. Gotteslob 2013, Nr. 174.2, 488, 561, 567, 619.6, 794 und 988.1. Siehe auch ebd., Nr. 7 (‚aus dem byzantinischen Stundengebet‘). 270 Vgl. Katholisches Gesangbuch, Nr. 70, 90 und 214. Siehe die einschlägige Kritik in Hans- Jürg Stefan, ‚Gesänge aus ostkirchlichen Traditionen in deutschsprachigen Gesangbüchern westlicher Kirchen‘, I.A.H. Bulletin: Publikation der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie 30-31 (2002-2003) 97-126, hier 101-102. 271 Evangelisches Gesangbuch 1995, Nr. 185.4; vgl. 178.9, 181.4 und 307. 272 Vgl. Liedboek voor de kerken, Nr. 201 (mit dem griechischen Titel im lateinischen Alphabet: Anastaseoos hèmera; Melodie von Jan Boeke, 1921-1993) und Nr. 206 (erwähnter griechi- scher Titel: Deute poma piomen kainon; Melodie von Jaap Geraedts, 1924-2003). Der erst- genannte Gesang betrifft den Heirmos/Irmos und die beiden Troparien der ersten Ode des Osterkanons, der zweite Gesang die einschlägigen Texte der dritten Ode. Vgl. Πεντη- κοστάριον, 2. 273 Vgl. Tussentijds 2005, Nr. 123; Liedboek 2013, Nr. 198, 301a; Dienstboek: Een proeve – Schrift, Maaltijd, Gebed (Zoetermeer, 22001), in der Sektion Liturgische Gezangen: Nr. 18, 53, 81, 118, 124, 140, 144; vgl. S. 972-973.

100 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ

Westkirchen klingt. Im Liedgut Oosterhuis’ lassen sich übrigens keine explizit ost- kirchlichen Einflüsse erkennen.

KAZANTZAKIS UND DIE SAKRALKUNST

Ich möchte diesen Exkurs mit einer Bemerkung über die Beziehung von Ka- zantzakis zur Sakralkunst abschließen. Im Allgemeinen war er an bildender Kunst und Architektur sehr interessiert. Berühmte zentralasiatische Moscheen, japanische Tempel, afrikanische Masken usw. faszinierten ihn. Das galt auch für alte byzantinische Ikonen und Kirchen, deren Schönheit er bewunderte und die ihn an seine geographische und kulturelle Herkunft erinnerten. Oben er- wähnte ich bereits mehrere Beispiele, unter anderem die Tatsache, dass er auf seinen Reisen immer eine kleine Marienikone dabei hatte. Die Verwestlichung, die ab dem siebzehnten bis zum Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in der europäischen ostkirchlichen Ikonographie stattfand – zunächst in der ukrainischen und russischen Ikonographie, dann auch in der griechischen –, wurde von Kazantzakis abgelehnt. Bei seinem Aufenthalt auf Athos missbilligte er die ‚süßlichen‘ Ikonen von rotbackigen und äußerst gesunden statt asketischen Hei- ligen, und er hoffte auf die Wiedergeburt der wahren griechischen Sakralkunst.274 Auch während seiner Russlandreisen fielen ihm die rotbackigen, blondhaarigen und nicht-asketischen Darstellungen von Christus und den Heiligen negativ auf. Nicht nur unser Schriftsteller, sondern auch einige andere griechische Künst- ler/innen kritisierten die vermeintliche ‚Kriegsgefangenschaft‘ der orthodoxen Iko- nographie und Theologie in Bezug auf die westliche Sakralkunst und Theologie. Beispielsweise strebte der Maler, Ikonograph und Schriftsteller Fotios Kontoglou (1895-1965) nach einer Neubesinnung, einem Sich-Zurückbesinnen auf die Wur- zeln der authentischen orthodoxen Ikonographie und Theologie. Insbesondere nach seinem ersten Aufenthalt auf dem Hl. Berg Athos (1922 und/oder 1923) – zur sel- ben Zeit, als Kazantzakis in Wien und Berlin an seiner Asketik arbeitete – gelangte Kontoglou immer mehr zur Überzeugung, dass die Wurzeln der orthodoxen Tradi- tion vor allem in der ‚echten‘ byzantinischen Kunst und im patristischen Denken zu finden wären. In Wirklichkeit stützte Kontoglou sich jedoch weniger auf die vor dem Fall von Konstantinopel übliche Ikonenkunst, sondern auf die post- byzantinische, zum Beispiel auf das Werk von Theophanes dem Kreter (gest. 1559), der unter anderem in einigen Athos- und Meteoraklöstern künstlerisch tätig war. Laut Kontoglou konnte die ‚kriegsgefangene‘ orthodoxe Ikonographie nur durch die ‚Rebyzantinisierung‘ zu ihrer wahren Identität zurückfinden. Er war maßgeblich an der Restaurierung der byzantischen Kirchen in Mystras (Pelopon- nes) sowie anderer alter Kirchen beteiligt, entwarf das ikonographische Programm neuer Kirchen, hob den liturgischen Charakter der Ikonenkunst hervor, schrieb ein

274 Vgl. Kazantzakis, Ἀναφορά στόν Γκρέκο, 212-214; ders., Σκίτσα από το Άγιον Όρος, 36-37.

EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ 101 bedeutendes Handbuch275 und fand viele Nachfolger/innen. Dadurch ermöglichte er die ‚Rückkehr‘ der griechischen Orthodoxie zum alten Malstil. Trotzdem hat dieses an sich willkommene ressourcement später in der Praxis oft nur zu veredelter Ko- pierarbeit geführt. In vielen Fällen entbehrt die heutige ‚Neobyzantik‘ die ebenfalls notwendige Kreativität. Wahre Sakralkunst heißt nicht nur Kopieren. Traditio ist nicht identisch mit traditum, sondern umfasst auch Erneuerung.276 Anfänglich sondierte Kazantzakis die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit Kontoglou, insbesondere in Bezug auf Übersetzungen.277 Er war von dessen Schaf- fen beeindruckt, in seinem Arbeitszimmer befanden sich einige von Kontoglou ge- malte Ikonen und auch später empfahl unser Autor ihn herzlich, obwohl er ihn ge- legentlich als einen ‚undankbaren Bauern‘ empfand.278 Die Differenzen scheinen jedoch von grundlegender Natur zu sein: Obwohl die Abkehr vom ‚dekadenten Westen‘ beide Männer verband, ließ Kazantzakis sich gleichzeitig von einigen füh- renden Vertretern der westlichen Kultur (Nietzsche, Darwin, Bergson, Lenin) tief- gehend beeinflussen, während Kontoglou sogar die Renaissance und die Aufklä- rung ablehnte. Der weltanschauliche Unterschied zwischen den beiden Künstlern war also wohl zu groß. Kontoglou ähnelt viel mehr den traditionell-orthodoxen Li- teraten Papadiamantis und Moraïtidis als dem freisinnigen Gottessucher Kazantza- kis. Kontoglou sowie viele andere Gläubige betrachteten Ikonen als Zeichen der vollkommenen himmlischen Welt, die kundtaten, dass Jesus, der Abglanz der Herr- lichkeit Gottes, der Menschheit seinen vollkommenen Vater offenbart und ihre Ret- tung bewirkt hatte, dass Maria und die anderen Heiligen Fürsprache für die Gläubi- gen bei Gott einlegten und dass die Engel ihre Schutzaufgabe wahrnahmen und dass dies alles noch immer geschah. Für Kazantzakis dagegen waren Ikonen zwar bedeutende Sakralgegenstände, die ihn auch mit seiner Heimat verbanden, aber im Grunde waren sie ‚nur‘ vorübergehende Masken des Gottes, der auch diese Masken wieder abwerfen würde, um weiter emporzusteigen. Dann würden auch sie, wie die alten Kathedralen, nur noch eine schöne ‚Hülle‘ sein, die einst den Geist einer au- thentischen Glaubenserfahrung enthielt. Seiner Meinung nach verlor die traditionel- le Ikonenkunst mit dem weiteren Emporsteigen Gottes und dessen neuen Aus- drucksformen allmählich ihre Seele. Allerdings behielt sie ihre berührende Attrakti- vität, wie eine schöne Muschel, aus der das Leben gewichen ist. Das galt laut Kazantzakis auch für die anderen liturgischen Gegenstände und Rituale. Die Be- gegnung mit Sakralkunst, -architektur und -musik war für ihn in erster Linie eine ästhetische, keine traditionell-christliche Erfahrung. Kontoglou ging später auf große Distanz zu Kazantzakis und beschuldigte ihn sogar der ‚Irreligiosität‘ und der ‚Blasphemie‘. Damit steht er exemplarisch für den

275 Vgl. Fotios Kontoglou, Ἔκφρασις τῆς Ὀρθοδόξου Εἰκονογραφίας, Bd. I-II (Athen, 31993, Erstausgabe Athen 1960). Siehe auch Hero Hokwerda, ‚Fotis Kóndoglou en de Byzantijnse schilderkunst‘, Meander, Nr. 10 (April 1996), 1-3. 276 Siehe beispielsweise die Kritik in Georgios Kordis, ‚The Return to Byzantine Painting Tradi- tion: Fotis Kontoglou and the Aesthetical Problem of Twentieth-Century Orthodox Icono- graphy‘, in: Devotional Cultures of European Christianity 1790-1960, Hg. Henning Laugerud und Salvador Ryan (Dublin, 2012), 122-130. 277 Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 122-123 (Brief an Galatia Kazant- zaki). 278 The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 728 (Brief an Börje Knös).

102 EXKURS: EINIGE VERGLEICHENDE ASPEKTE ZUR EINORDNUNG KAZANTZAKISʼ

Konflikt zwischen dem Kreter und dem ‚Kader‘ der griechisch-orthodoxen Kirche, auf den ich später konkreter eingehen werde.

6. NEBENEINANDER VON KONTEMPLATION UND HANDELN SOWIE WEITERE MERKMALE DER ASKETIK

Obwohl laut Kazantzakis der Lebenselan alles Materielle verwandeln möchte, können Materie und Geist nicht voneinander getrennt werden. Auch Kontem- plation und Handeln gehören für ihn untrennbar zusammen. Die Asketik ist so- wohl ein philosophischer und religiöser als auch ein politischer Traktat. Zudem stellt sie ein literarisches Kunstwerk dar. Diese Aspekte lassen sich nicht vonei- nander trennen. Der kretische Schriftsteller ist also nicht nur ein Literat und Künstler. Man kann sein Werk nicht richtig verstehen, wenn man die von ihm betriebene Politik nicht in Betracht zieht. Diese Politik bezieht sich jedoch letzt- endlich nicht auf die Materie, sondern auf den Geist. Kazantzakis ist gleichzei- tig politisch und metapolitisch.279 Auch wenn unser Autor davon überzeugt war, dass das innere Schauen und die äußeren Tätigkeiten essentiell zusammengehören, erfuhr er jedoch selbst sein gan- zes Leben hindurch eine große Spannung zwischen den beiden Polen. Einerseits legt er in der Asketik dar: ,Die letzte, die heiligste Form des Schauens (θεωρία) ist das Handeln… Das Handeln ist die breiteste Tür zur Erlösung. Nur dies kann den Fragen des Herzens eine Antwort geben. In den kurvigen Verwicklungen des Geistes findet es den kürzesten Weg. Nicht findet; es bahnt einen Weg, links und rechts den Widerstand der Ratio und der Materie wegschlagend.‘280 Andererseits war – trotz seines riesigen Zeitaufwandes für das Schreiben und das ‚Ordnen der 24 Buchstaben des Alphabets‘ und trotz seiner gelegentlichen politi- schen Tätigkeiten – seine Einstellung mehr kontemplativ als aktiv. Karl Marx (1818-1883) hatte 1845 in seinen Thesen über Feuerbach verkündigt: ‚Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber da- rauf an, sie zu verändern‘.281 Marx lehnte das theoretische, subjektive Schauen ab, obwohl er selbst außer seiner politischen Tätigkeit vor allem in Bibliotheken stu- dierte und schrieb. Sein Ziel war die revolutionäre Praxis. Kazantzakis jedoch ver- lagert den Schwerpunkt. Auch wenn er während der 1920er Jahre – unter anderem in der Asketik und in seiner damaligen Korrespondenz – von Revolution, Brand und radikaler praktischer Veränderung schwärmte, ging es ihm insgesamt (über sein ganzes Leben betrachtet) weniger darum, die Welt konkret zu verändern als die In- terpretation des Weltgeschehens, die Weltsicht zu verändern. Dies alles heißt nicht, dass Kazantzakis nicht an weltweiter Gerechtigkeit interes- siert war. Das war er sehr wohl. Doch ging es ihm primär darum, dass jeder Mensch

279 Vgl. Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 4-5; Agathi Markati, ‚Reflexions sur Ascèse‘, Le Regard crétois, Nr. 23 (Juli 2001), 19-27, hier 23-24. 280 Kazantzakis, ’Ασκητική, 63. 281 Karl Marx, ‚Thesen über Feuerbach‘, in: Karl Marx Friedrich Engels Werke, Hg. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 3 (Berlin, 1969), 533-535; vgl. 5-7 und 547 (Anm. 1).

104 MERKMALE DER ASKETIK den ‚Schrei‘ in seinem eigenen Leben hören und versuchen sollte, Gott auf je eige- ne Weise zu ‚erlösen‘. Gleichzeitig darf man seine ‚Rettung der Seele‘ nicht gegen seine ‚Rettung der Welt‘ ausspielen. Beide tragen zur ‚Rettung Gottes‘ bei.

POLITISCHES ENGAGEMENT

In den Jahren 1919-1920 war Kazantzakis als Generaldirektor des griechischen Wohlfahrtsministeriums damit beschäftigt, die Abertausende im Kaukasus an- sässigen Griechen und Griechinnen zu ‚repatriieren‘, d.h. in den jungen helleni- schen Staat zu bringen. Sie waren dort von den bolschewistischen ‚Roten‘ in der jungen Sowjetunion in arge Bedrängnis gebracht worden, nachdem der griechi- sche Staat 1917 Truppen zur Unterstützung des bürgerlichen und adeligen La- gers der ‚Weißen‘ und zum Schutz der im Süden Russlands lebenden griechi- schen Bevölkerung geschickt hatte. Zur Erläuterung des politischen und geistigen Klimas im damaligen Griechen- land gehe ich kurz auf die Begriffe ‚Repatriierung‘ und ‚Große Idee‘ (Mεγάλη Ἰδέα) ein. Im Fall der sich im Kaukasus befindenden Griech/inn/en ist ‚Repatriierung‘ natürlich ein ideologischer Begriff, weil sie dort schon jahrhundertlang wohnten. Das Wort ‚Repatriierung‘ verrät, wie sehr die Große Idee damals noch wirkte. Gleichzeitig mit dem kretischen Kampf für Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich und für Beitritt zum griechischen Staat war das Königreich Griechenland nämlich bestrebt, alle Gebiete, wo von jeher Griechisch gesprochen wurde und die griechische Kultur vorherrschend war, in einem Staat zu vereinigen. Konkret hieß dies, dass diese Gebiete dem bereits existierenden griechischen Staat hinzugefügt werden sollten – falls notwendig mittels Militäraktionen. Im Grunde wollte man das Byzantinische, Oströmische Reich in einer erneuerten Form wiederbeleben. Kon- stantinopel würde dann auch wiederum als Hauptstadt und die Orthodoxie natürlich weiterhin als Staatsreligion dienen. Die Große Idee wurde damals nicht nur von Politikern und Bischöfen, sondern von fast allen Griechen begeistert unterstützt.282 Die ersten Ergebnisse der Großen Idee schienen verheißungsvoll, weil der grie- chische Staat enorme Gebiete dazugewann. Der Balkankrieg von 1912/13 zum Bei- spiel brachte große Teile von Epirus, Thrakien und Mazedonien, einschließlich des ‚großen Loses‘, Thessaloniki, ein. Im Jahr 1922/23 erlitt die Große Idee jedoch dramatischen Schiffbruch aufgrund der Niederlage beim (anfänglich erfolgreichen) Feldzug der griechischen Armee in Kleinasien und des darauf folgenden Zwangs- austausches der Bevölkerungen. Nachdem die griechische Armee im Mai 1919 die große Handelsstadt Smyrna (heute Izmir) und Umgebung besetzt hatte, wollte sie weitere militärische Erfolge davontragen und zog Richtung Ankara. Sie erlitt in

282 Vgl. Richard Clogg, A Concise History of Greece (Cambridge, 22002), 47-143; Ines Kallis, Griechenlands Weg nach Europa: Das Ringen um demokratische Strukturen im 20. Jahr- hundert (Münster, 1999), 81-104. Im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts war die Welt übri- gens auch Zeuge des ‚Blühens‘ und des Schiffbruches der Großbulgarischen Idee sowie der Großserbischen Idee, geschweige denn der Großdeutschen Idee. Einigen schwebt noch die Großrussische bzw. Großosmanische und Großalbanische Idee vor.

MERKMALE DER ASKETIK 105

Anatolien jedoch eine herbe Niederlage und zog sich auf chaotische Weise nach Griechenland zurück. Wie in Kappadokien und im Pontus (Schwarzmeergebiet) wurden auch in Kleinasien (Ionien, Westküste der heutigen Türkei) griechische und armenische Ortschaften von den kemalistischen Truppen gebrandschatzt. Es wurde geplündert, Frauen wurden vergewaltigt, zahlreiche Menschen wurden ermordet. Abertausende starben in ‚Todesmärschen‘ an den Entbehrungen. Andere wurden zwangsislamisiert. Das Ziel, das man mit den Gewaltverbrechen erreichen wollte, war die Vertreibung der ostkirchlich-christlichen Bevölkerung oder deren physische Vernichtung. Diese Verbrechen wurden auch gegen die christlichen Syrer und As- syrer sowie gegen Jesiden, muslimische Kurden und Araber und (in Palästina) ge- gen Juden begangen. So wollte man statt eines multiethnischen und multireligiösen Reiches eine monoethnische und islamische ‚Türkei der Türken‘ kreieren. Im September 1922 zog die türkische Armee in das vom griechischen Heer fluchtartig verlassene Smyrna ein. Der Großteil der armenischen und griechischen Viertel von Smyrna ging in Rauch und Flammen auf. Ungefähr dreißigtausend griechische und armenische Bürger/innen wurden getötet, wobei die in der Stadt präsenten Truppen der Entente nicht eingriffen. Das grausame Schicksal traf also auch die armenische Bevölkerung von Smyrna, die dem Genozid von 1894-1896 und 1915-1916 noch entkommen war. Unter den Ermordeten befanden sich einige orthodoxe Bischöfe; der griechische Metropolit Chrysostomus von Smyrna zum Beispiel wurde vom türkischen Pöbel gefoltert und getötet.283 Im danach stattfindenden erzwungenen ‚Austausch der Bevölkerungen‘ mussten die meisten in Kleinasien wohnenden Griechen nach Hellas abreisen. Dies bedeute- te das Ende der etwa 2.500 Jahre dauernden griechischen Präsenz in Kleinasien. Umgekehrt mussten die meisten Türken, die auf den griechischen Inseln, zum Bei- spiel auf Kreta, und auf dem griechischen Festland wohnten (oft schon seit langem), die Ägäis überqueren und sich in der Türkei niederlassen. Die Religion diente als Kriterium dieses ‚Austausches‘: die Griechisch-Ortho- doxen mussten die Türkei verlassen und die Muslime Griechenland. Auch die vie- len Kreter, die im Lauf der Zeit zum Islam konvertiert hatten, deren Muttersprache aber noch immer Griechisch war, mussten also ihre Heimat verlassen und sich in einem ihnen unbekannten Land niederlassen. Zahllose Orthodoxe hatten immer in Kleinasien gewohnt, nicht nur in den Küstengegenden, sondern auch in Kappado- kien und im Pontus (am Schwarzen Meer) und für viele von ihnen war Türkisch die Erstsprache. Auch für sie war die Integration in den griechischen Staat jenseits der Ägäis sehr schwierig. Griechenland schien ihnen eher wie ein fremdes Ausland und sie sehnten sich weiterhin nach ihrer verlorenen Heimat. Ihre Besitztümer hatten die Flüchtlinge zurück lassen müssen und oft hatten sie nur ihre wichtigsten Ikonen und die Reliquien ihrer Schutzheiligen mitgebracht. Um ihnen Ackerland geben zu können, beschlagnahmte der griechische Staat unter anderem Großgrundbesitz der Athosklöster. Der Zustrom so vieler Flüchtlinge verursachte ein überbordendes Wachstum von Athen und Thessaloniki. Es entstanden neue Stadtviertel, Ortschaf- ten und Bistümer, deren Namen noch immer auf ihren geographischen Ursprung

283 Siehe auch Smyrna 1922: Das Tagebuch des Garabed Hatscherian, Hg. Dora Sakayan (Kla- genfurt, 2006); Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Christen im Osmanischen Reich 1912-1922, Hg. Tessa Hofmann, Studien zur Orientalischen Kirchengeschichte 32 (Münster, 2004).

106 MERKMALE DER ASKETIK hinweisen (beispielsweise Neu-Smyrna und Neu-Philadelphia in Athen). Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die systematische Vernachlässigung und sogar Zerstörung türkischer Moscheen und anderer Denkmäler des osmanischen Zeital- ters in Athen, Thessaloniki und vielen anderen Orten. Wie der türkische Staat den byzantinisch-griechischen, armenischen und syrisch-orthodoxen Monumenten meistens keine Aufmerksamkeit schenkte und passiv zuschaute, wie diese verfielen, bzw. aktiv zu deren Zerstörung beitrug, so war das auch umgekehrt der Fall. Trotz aller Unterschiede teilten die Neuankömmlinge und die von jeher Einge- sessenen die orthodoxe Liturgie sowie viele Merkmale der religiösen Volkskultur miteinander und so konnten diese das Zusammenleben und die Integration in Grie- chenland auf positive Weise fördern. Die Massenbewegung betraf über eine Million Griechisch-Orthodoxe und ungefähr eine halbe Million Muslime und Muslimas. Ein paar Ausnahmen, nämlich die Griechen in Istanbul (etwa hunderttausend) und auf den Inseln Imbros und Tenedos (bei den Dardanellen) sowie die Muslime in Westthrakien, durften an ihren Wohnorten bleiben, aber nach Diskriminierungen und Krawallen in den 1950er und 1960er Jahren zogen die meisten Griechen aus Konstantinopel nach Griechenland. Andere politische Tätigkeiten von Kazantzakis während der 1910er und 1920er Jahre in Heraklion, Athen und im Ausland waren sein Einsatz für den führenden Politiker und Staatsmann Eleftherios Venizelos (1864-1936), ebenfalls ein Kreter; seine Aktivität als stellvertretender Generalkonsul in Zürich (1918); und einige öf- fentliche Ansprachen, in denen er den Sowjetkommunismus lobte und mit denen er sich Ärger mit den Behörden einhandelte. Später, nunmehr offiziell, wurde er ge- meinsam mit drei anderen beauftragt, die von der deutschen Besatzungsmacht auf Kreta verübten Gräuel zu dokumentieren, und so verbrachte er ex officio ungefähr sechs traurige Wochen auf seiner Heimatinsel (29. Juni bis 6. August 1945).284 Auch erhielt er einen Sitz als Minister ohne Portefeuille in der griechischen Regie- rung von Ministerpräsident Themistoklis Sophoulis, legte jedoch sein Amt bald nieder (26. November 1945 bis 11. Januar 1946). Im Jahr 1945 versuchte er auch auf andere Weise in der griechischen Parteienlandschaft tätig zu sein, indem er die ‚Sozialistische Arbeiterunion‘ gründete, ohne viel Erfolg. Ein Hauptgrund für Kazantzakis, sich wiederum in der griechischen Politik zu engagieren, war sein Wunsch, einen Beitrag zum Wiederaufbau seines Landes zu leisten. Über den Sieg der griechischen Armee über den italienischen Aggressor im Winter 1940/41 und über den Widerstand gegen die deutschen Besatzer auf Kreta und anderswo in Hellas war er begeistert. Die ungeheuren Entbehrungen der grie- chischen Bevölkerung während der Okkupationszeit – im Winter 1941/42 starben in den Großstädten, vor allem in Athen, Abertausende vor Hunger – gingen ihm sehr zu Herzen. Nach einer langen Periode von Desillusionierungen über die Politik seines Landes war unser Autor wiederum stolz auf das Griechentum und er wollte sich erneut dafür einsetzen.

284 Merkwürdigerweise verschwand der von dieser Kommission erstellte Bericht in einer Athe- ner ‚Schublade‘; eine Kopie wurde jedoch 1983 von der Stadt Heraklion veröffentlicht. Siehe über die unzähligen von den deutschen Truppen auf Kreta verübten Gräuel (Massenerschie- ßungen der Zivilbevölkerung, Zerstörung von Ortschaften, Plünderungen usw.) u.a. Ulrich Kadelbach, Schatten ohne Mann: Die deutsche Besetzung Kretas 1941-1945, Sedones 5 (Mähringen, 2002).

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Doch verschlug es ihn schon bald wieder ins Ausland. In England und Frank- reich setzte er sich 1946 dafür ein, Schriftsteller, Künstler und Gelehrte der ganzen Welt in einer ‚Internationale des Geistes‘ zu vereinen, eine Initiative, der nur mäßi- ger Erfolg beschert war. Schließlich leitete er bei der UNESCO in Paris elf Monate lang eine Abteilung für die Übersetzung der Weltklassiker – nicht nur im Bereich der Literatur, sondern auch der Philosophie und anderer Wissenschaften –, um so interkulturelle Brücken, insbesondere zwischen Ost und West, zu schlagen (1947- 1948). Inzwischen waren in Griechenland die bereits während der Besatzung durch die Achsenländer wütenden Kampfhandlungen zwischen dem vorherrschenden ‚lin- ken‘ Widerstand und ‚rechten‘ Widerständlern wieder aufgeflammt und in einen harten Bürgerkrieg zwischen ‚Royalisten‘ und ‚Kommunisten‘ gemündet (1946- 1949). Vor allem dank amerikanischer Hilfe gewannen schließlich die ‚Royalisten‘. Übrigens spielten orthodoxe Kleriker und Gläubige in beiden Lagern eine bedeut- same Rolle. Die ‚kommunistische‘ Seite umfasste auch Dorfpriester sowie einige Bischöfe und plädierte für eine Gehaltserhöhung der schlecht bezahlten Dorfgeist- lichkeit. Auf beiden Seiten ließen Zahllose ihr Leben in Kampfhandlungen und Re- pressalien. Hunderttausende waren auf der Flucht. Kazantzakis litt sehr unter dieser Wunde seiner Heimat und widmete ihr seinen Roman Die Brüdermörder. Darin versucht Gianaros, (wiederum) ein orthodoxer Priester, heroisch, die Materie in Geist zu verwandeln und wird am Ende ermordet.285 Alle jeweiligen politisch-sozialen Tätigkeiten von Kazantzakis dauerten jedoch ziemlich kurz. Seine Berufung lag anderswo: am Schreibtisch. Er war ein Schrift- steller, weder ein Organisator noch ein Aktionist. Im Grunde war er an Werten, nicht an Organisationen und Strukturen interessiert. Wenn er allerlei Formen von Materialismus und De-Spiritualisierung anprangerte, war seine wirksamste Waffe seine geschliffene Feder.286 Dabei standen für ihn das Individuum und dessen persönliche Verantwortung für die Rettung der Welt bzw. der Seele bzw. Gottes an erster Stelle. Kazantzakis kon- zentrierte sich weniger auf die Gemeinschaft als auf die individuelle Person. Seine hauptsächliche Konzentration auf die Person führt jedoch dazu, dass der Gemein- schaftssinn, die soziale Dimension und die Interaktion mit anderen unterbeleuchtet bleiben. Das mag weniger für Romane wie Christus wird wiederum gekreuzigt zu- treffen, ist aber für seine Hauptwerke Asketik, Odyssee und Rechenschaft vor El Greco bestimmt der Fall.287 Die Gesellschaft und Gemeinschaftsverbände erfuhr er oft als enttäuschend, äußerst dumm und selbstzerstörerisch. Über die rechtsgerichte- ten Regierungen Griechenlands und deren Kampagnen gegen die ‚Linken‘ während der 1950er Jahre empfand er Wut, Schmerz und Ekel. Die zahllosen kriegerischen Konflikte und – nach dem Zweiten Weltkrieg – der Besitz der Atombombe ließen in ihm auch den Gedanken reifen, dass die Menschheit heutzutage in einer Art Zwi- schenzeit, einem ‚Mittelalter‘ lebte, dass die alte Kultur vernichtet werden müsste und eine neue kommen würde. Solche gedanklichen Ansätze, die sich bereits in der Asketik finden, ziehen sich – bald mehr, bald weniger – durch Kazantzakis’ gesam-

285 Vgl. Nikos Kazantzakis, Οἱ Ἀδερφοφάδες (-Θέλει, λέει, νά ’ναι λεύτερος. Σκοτῶστε τον!) (Athen, 1963), 319. 286 Vgl. Lea, Kazantzakis, 43. 287 Vgl. Gill, ‚Kazantzakis and Kierkegaard‘, 186-187.

108 MERKMALE DER ASKETIK tes Leben hindurch. Die Bildlichkeit seiner Aussagen erinnert wie gesagt oft an die biblische Apokalyptik, insbesondere an die Offenbarung des Johannes.

DIE GRIECHISCHE ‚SPRACHENFRAGE‘

Ein weiteres Beispiel seines aktiven Engagements, wofür er seine eigene Arena, d.h. seinen Schreibtisch, nicht verlassen musste, ist seine Position in der grie- chischen ‚Sprachenfrage‘.288 Wie die meisten anderen Werke von Kazantzakis ist auch seine Asketik in der Volkssprache (δημοτική) verfasst worden. Diese für Nicht-Griechen vielleicht merkwürdige und überflüssige Bemerkung (‚In wel- cher Sprache denn sonst?!‘) ist nicht so selbstverständlich, wie sie sich lesen lässt. Bis 1976 war nämlich nicht die Volkssprache, sondern die sogenannte ‚Reinsprache‘ (καθαρεύουα) die offizielle Landessprache Griechenlands. Die ‚Reinsprache‘ ist eine archaisierende und künstliche Sprachform, die versuchte, ohne die historisch gewachsenen ‚Verballhornungen‘ hinsichtlich des Altgrie- chischen (jedenfalls der koinè) und ohne die anderen Sprachen entnommenen Fremdwörter auszukommen. Der bekannte griechische Intellektuelle Adaman- tios Koraïs (1748-1833) spielte eine Hauptrolle in der Schaffung dieser Sprach- gestalt. Im Gegensatz zur Volkssprache, die man zu Hause als Muttersprache ‚automatisch‘ lernte, musste man die ‚Reinsprache‘ in der Schule lernen. Aller- dings verwendeten bereits am Ende des neunzehnten und Beginn des zwanzigs- ten Jahrhunderts viele Schriftsteller, insbesondere die Dichter, die Volksspra- che. Auch Kazantzakis tat dies fast immer. Er tat es jedoch nicht in seiner ge- planten, in der ‚Reinsprache‘ verfassten Habilitationsschrift; ihm blieb wohl keine andere Wahl, wenn er sich an der Universität Athen habilitieren wollte. Ferner gab sein französisch-griechisches Wörterbuch (wie gesagt, nur die Buch- staben A-K) die Übersetzungen für das Französische sowohl in der ‚Reinspra- che‘ als auch in der Volkssprache an, wobei die Definitionen in der ‚Reinspra- che‘ waren. Diese Diglossie vergrößerte die Benutzungsmöglichkeiten des Wör- terbuches erheblich. Im Gerichtswesen, bei der Polizei und in der Armee, im Parlament und in der Verwaltung sowie in der orthodoxen Kirche wurde ja da- mals weiterhin nur die ‚Reinsprache‘ benutzt. Was das Schulwesen betrifft durf- te zwar in der Grundschule die Volkssprache, aber in der Sekundarstufe und an der Universität nur die ‚Reinsprache‘ verwendet werden. Unter der Regierung von Georgios Papandreou (Mitte der 1960er Jahre) wurde die Volkssprache auch in der Sekundarstufe eingeführt, aber das Obristenregime (1967-1974) machte diese Entscheidung rückgängig. Namentlich an der Philosophischen Fa- kultät der Universität Thessaloniki wurde die Volkssprache propagiert, während die einschlägige Fakultät der Universität Athen konservativ an der ‚Reinspra- che‘ festhielt.

288 Vgl. Stefanakis, Ἀναφορά στόν Καζαντζάκη, 317-356; Peter Bien, Kazantzakis and the Lingu- istic Revolution in Greek Literature (Princeton, 1972); ders., ‚The Demoticism of Kazantza- kis‘, in: Modern Greek Writers, Hg. Edmund Keeley und Peter Bien (Princeton, 1972), 145- 169.

MERKMALE DER ASKETIK 109

Ein Einsatz zugunsten der Volkssprache bekam auch eine politische Dimension. Befürworter der Volkssprache galten oft als ‚Linke‘ und ‚Gegner der althergebrach- ten Triade von Religion, Vaterland und Familie‘ und mussten mit ernsten Karriere- benachteiligungen rechnen. Beispielsweise wurde Kazantzakis im Juni 1945 nicht zur Akademie von Athen zugelassen. Umgekehrt war für die ‚Demotizisten‘ (die Befürworter der allgemeinen Verwendung der Volkssprache) die Sprachenfrage nicht etwas bloß Linguistisches, sondern sie hatte mit der Zukunft der ganzen Ge- sellschaft und mit der Frage von ‚Fortschritt oder Rückständigkeit‘ zu tun. Beide ‚Lager‘ verbanden ihre Position mit der griechischen Nationalidentität.289 Im Alltagsleben führte die Diglossie natürlich zu erheblichen Kommunikations- problemen. Kazantzakis hielt die ‚Reinsprache‘ für eine ‚Katastrophe für die Volksbildung und griechische Kultur‘ und setzte sich leidenschaftlich in Artikeln und auf Tagungen für die Abschaffung dieser ‚Horrorsprache‘ und die Förderung der von ihm die wahre ‚Heimat‘ (πατρίδα) genannten Volkssprache ein. Er positio- nierte sich noch mehr in diesem Bereich, indem er oft auf Spiritus und Akzente ver- zichtete – er behielt nur den Akut bei – und eine einfachere Rechtschreibung propa- gierte (zum Beispiel άλη statt ἂλλη, ‚eine andere‘, oder statt einer omega eine omik- ron).290 Doch wurden um der Lesbarkeit willen seine Werke meistens in der konventionellen Rechtschreibung publiziert. Dieses Schicksal erlitt auch die Aske- tik. Ihr Autor schrieb sie ohne Spiritus, benutzte nur den Akut (und nur dort, wo er dies für notwendig hielt) und verwendete eine vereinfachte Rechtschreibung. Diese Schreibweise wurde jedoch bereits bei der Erstausgeabe im Jahr 1928 sowie in spä- teren Ausgaben vom jeweiligen Herausgeber ‚korrigiert‘ und den damals gängigen offiziellen Sprachregeln angepasst. Nur die Ausgaben von 1945 und 2014 halten sich ziemlich konsequent an die Vorgaben von Kazantzakis selbst.291 Zudem verwendete unser Autor in der Asketik, wie er es auch gerne in seinen anderen Werken tat, viele Wörter unterschiedlicher griechischer Dialekte, gelegent- lich auch der kretischen Mundart. Er hielt es nämlich für wichtig, in seinem Œuvre seltene volkssprachliche und mundartliche Worte zu benutzen, damit sie nicht ver- lustig gehen würden. Gelegentlich dachte er sich auch neue Wörter aus. Die Spra- che und das Schreiben stellten nicht nur ‚die Liebe seines Lebens‘, sondern auch den Bereich seiner größten Fähigkeit dar.

289 Vgl. Nikos Papadakis, ‚‚Νίκος Καζαντζάκης και Εκπαιδευτικός Δημοτικισμός: Οι επισκέψιμες όψεις μιας αδιερεύνητης σχέσης‘, in: Μνήμη Παντελή Πρεβελάκη και Νίκου Καζαντζάκη, Hg. Papadogiannakis, 81-112; Kiourtsakis, Σάν Μυθιστόρημα, 147-156. Siehe für eine allgemeine Darstellung der Sprachfrage: Peter Mackridge, Language and National Identity in Greece, 1766-1976 (Oxford, 2009); Giannakopoulos, Tradition und Moderne in Griechenland, 125-161; Geoffrey Horrocks, Greek: A History of the Language and its Spea- kers (London, 1997), 332-365; Margaret Alexiou, After Antiquity: Greek Language, Myth, and Metaphor (Ithaca NY, 2002), 31-42. 290 Erst 1982 wurde diese Schreibweise seitens des griechischen Staates offiziell eingeführt. 291 Vgl. Nikos Mathioudakis, ‚Γλωσσολογικές παρατηρήσεις: Υπόθεση «Ασκητική»‘, in: Nikos Kazantzakis, Ασκητική: Salvatores Dei, Νέα Αναθεωρημένη Σύγχρονη Έκδοση, Hg. Nikos Mathioudakis (Athen, 2014), 119-141.

110 MERKMALE DER ASKETIK

ZORBAS

Mit seiner eher kontemplativen Einstellung tat Kazantzakis sich emotional oft sehr schwer und er bewunderte Menschen, die vor allem handelten, ohne zuvor viel darüber nachzudenken. Er hatte großen Respekt vor Menschen, wie z.B. vor dem Mazedonier Georgis Zorbas (1867-1942), die in vollen Zügen, eini- germaßen ‚verrückt‘ lebten und primär, instinktiv reagierten, ohne sich zunächst zu überlegen, welche Folgen ihr Handeln haben würde. Kazantzakis lernte Zor- bas Ende 1916 auf Athos kennen, betrieb gemeinsam mit ihm ein Braunkohle- bergwerk in der Mani (Südpeloponnes) und nahm ihn bei seiner Kaukasusexpe- dition mit. Zorbas war für ihn ein ‚Guru‘ oder ein ‚Altvater‘ wie in der monasti- schen Tradition; für viele traditionell-orthodoxe Zeitgenossen war die Anwen- dung des kirchlich-spirituellen Titels ‚Altvater‘ auf den fröhlichen ‚Leichtfuß‘ eine Provokation. Tanzend, singend und Santuri spielend am Rande des Ab- grunds verkörperte er für den Autor einen heroischen und fröhlichen Pessimis- mus. Kazantzakis verewigte ihn in seinem Roman mit dem fast gleichen Na- men, wobei er selber eher die reflexive, bedachtsame und nach Ordnung und Logik strebende Ich-Person (‚den Chef‘) personifizierte. So stellt der Roman eine Dialektik zwischen dem dionysischen Zorbas-Typ und dem apollinischen Chef dar.292 Es ist erwähnenswert, dass Kazantzakis seinen Roman ursprünglich Das Heiligenleben von Zorbas (Τὸ συναξάρι τοῦ Ζορμπᾶ) nennen wollte. Das einschlägige griechische Wort bedeutet einerseits eine Sammlung von Heiligen- biographien, wie sie auch der junge Nikos gerne las. Andererseits ist Synaxari- on ein liturgisches Buch, in dem die Lebensläufe der im Lauf des Kirchenjahres bedachten Heiligen aufgezeichnet sind, die in Klöstern während des nächtlichen Morgenlobes verlesen werden. Auch der endgültige Titel des Romans zeigt Kontinuität mit der griechisch-orthodoxen Tradition, weil ‚Leben und Wandel des/der hl.…‘ einen üblichen Titel von Heiligenviten darstellt. Dies alles zeigt wiederum, wie Kazantzakis sich Elemente der kirchlichen Tradition aneignet, ihnen jedoch gleichzeitig eine andere Bedeutung verleiht. Allerdings besetzte der Film Zorba the Greek (1964) des zypriotischen Regis- seurs Michael Cacoyannis (1922-2011) – mit Musik von Mikis Theodorakis (geb. 1925) – die nachdenkliche Ich-Person des Romans mit einem Engländer (Alan Ba- tes) und auch die Zorbas-Rolle wurde von einem Ausländer (Anthony Quinn) ge- spielt. Es scheint mir, dass die lebensfrohe und ekstatische Art, wie die Zorbas- Rolle im Film vertreten wird, als vermeintlich ‚typisch griechisch‘ wahrgenommen wird (nur im Ausland oder auch in Griechenland?).293 Dies ist für die griechische Tourismusbranche und die griechische Gastwirtschaft im Ausland gewiss vorteil- haft, wird aber dem Roman und dem Charakter des Kazantzakis-Chefs selbst nicht

292 Mehr dazu in: Hero Hokwerda, ‚Nawoord van de vertaler‘, in: Nikos Kazantzakis, Leven en wandel van Zorbás de Griek, Übers. Hero Hokwerda (Amsterdam, 2015), 351-366. 293 Auch der bekannte Film Nie am Sonntag (Ποτέ τήν Κυριακή, 1960) von Jules Dassin, in dem Melina Merkouri (1920-1994), die später Kulturministerin wurde, die Hauptrolle spielte – in Celui qui doit mourir stellte sie die Witwe dar –, vermittelt ein angeblich ‚typisch griechi- sches‘ und sehr frohes Bild des griechischen Alltagslebens. Vgl. Robert D. Kaplan, Balkan Ghosts: A Journey Through History (New York, 32005), 249-255.

MERKMALE DER ASKETIK 111 gerecht. Vielleicht freut die Tourismusbranche sich aber weniger über das Bild, das Cacoyannis in seinem Film bewusst von der griechischen Bevölkerung vermittelt: düstere Charaktere, zurückgebliebene Mentalität und Sitten, dunkle Landschaften. Davon ist im Roman von Kazantzakis selbst viel weniger die Rede: Abgesehen von der wenig schmeichelhaften Beschreibung des Männerklosters und von der scho- ckierenden Rolle der Dorfleute bei der Ermordung der Witwe und bei der Plünde- rung des Hauses von Madame Hortense werden insbesondere viele Alltagsszenen sowie die kretische Landschaft warmherzig und idealisierend beschrieben. Dagegen ähnelt der vom amerikanischen Cineasten Jules Dassin (1911-2008) gedrehte Film Celui qui doit mourir (1957) dem Original Christus wird wiederum gekreuzigt viel mehr. Dassin konsultierte Kazantzakis mehrmals für das Drehbuch. (In Bezug auf das Libretto und die Musik der auf dem Roman basierenden Oper Griechische Passion gab es sogar eine enge Zusammenarbeit zwischen Kazantzakis und dem tschechischen Komponisten Bohuslav Martinů (1890-1959).294) Aller- dings entspricht, was den Film betrifft, die Schlussszene, in der die verbarrikadier- ten Flüchtlinge kämpfen und mit Gewehren auf die Dorfbewohner schießen, über- haupt nicht dem Roman, weil im Letzteren die Füchtlinge ostwärts fortziehen.295 Übrigens war unser Autor vom Filmmedium fasziniert, weil seiner Meinung nach die filmische Kunst sehr nah am Leben selbst ist.296

KAMPF UND GEWALT

Stil und Inhalt der Asketik hängen eng zusammen. Die zwar höchst interessante, aber sehr komprimierte und daher schwierige Schrift ist ein poetisches Manifest in einem leidenschaftlichen und barocken Stil. Der Autor bevorzugt Aphoris- men und Paradoxe, weil diese seinen ‚Schrei‘ und seine Ausrufe am besten zum Ausdruck bringen können. Die diffizile und nuancierte Sprache eines Traktates eignet sich dafür nicht. Fußnoten mit Quellenerwähnung und erläuternden Kommentaren fehlen; sonst hätte der Verfasser viele andere zitieren müssen. Stattdessen gibt es unzählige sinnliche Bilder in diesem Kaleidoskop. Es erklin- gen Lieder und Schreie. Licht und Dunkel wechseln sich ab. Dieses musische Manifest enthält auch zahlreiche glühende Aufforderungen, von denen viele mit dem Kampf und der Armee zu tun haben. Vom Pazifismus hielt

294 Vgl. Το χρονικό μιας δημιουργίας: Ανέκδοτη αλληλογραφία Καζαντζάκη – Μαρτινού, Hg. Giorgos Anemogiannis (Varvari [Myrtia], 1986). Neben der Oper gab es auch ein erfolgrei- ches Bühnenstück, das auf dem Roman basierte. 295 Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 802-803 (Brief an Börje Knös); Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. Prevelakis, 538; Peter Bien, ‚Ni- kos Kazantzakis’s Novels on Film‘, Journal of Modern Greek Studies 18 (2000) 161-169. Laut ebd., 162-163 gab es keine Kooperation von Kazantzakis in Bezug auf das Drehbuch, doch scheint es diese sehr wohl gegeben zu haben. Zudem besuchte Eleni Kazantzaki die Dreharbeiten auf Kreta und gemeinsam mit ihrem Mann war sie bei der Aufführung im Rahmen des Filmfestivals von Cannes anwesend. 296 Vgl. Timothy W. Taylor, ‚Kazantzakis and the Cinema‘, Byzantine and Modern Greek Stud- ies 6 (1980) 157-168.

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Kazantzakis wenig bis nichts. Außer den gewöhnlichen Begriffen (‚Kampf‘, ‚kämpfen‘, ‚ringen‘ u.Ä.) lesen wir auch wiederholt Wörter wie zum Beispiel ‚Mo- bilmachung‘, ‚Belagerung‘, ‚Hinterhalt‘, ‚Fahnen‘, ‚Genossen‘, ‚General‘, ‚töten‘ und ‚fallen‘. Zudem erfordern die Anstrengungen viel Schweiß und viele Tränen und es fließen Ströme von Blut. Für moderne europäische Leser/innen dürften der gelegentlich sehr intensive Ton der Befehle und die Flüsse von Blut wohl störend wirken. Man sollte sich dennoch auch darüber im Klaren sein, dass Kazantzakis in einem von einem militanten Nationalismus und enormen bewaffneten Konflikten gekennzeichneten Zeitraum lebte. Er stammte aus Kreta, wo Männer eine ausge- prägte Waffenliebe hegten und wo in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhun- derts wiederum schwere Aufstände gegen die Osmanenherrschaft ausgebrochen waren (1866-1869, 1878, 1889, 1896, 1897). Es verdient Erwähnung, dass auch zahlreiche Priester und Mönche mit Waffengewalt an diesen Aufständen sowie spä- ter am Widerstand gegen die deutsche Besatzung teilnahmen. Beispielsweise nenne ich hier das ‚Arkadi-Opfer‘. Weil es den Stellenwert der Legitimität und Normalität von Waffengewalt in den Augen des Autors der Asketik gut verdeutlicht, werde ich nun ausführlicher auf diesen tragischen Vorfall eingehen.297 Im Jahr 1866 brach auf Kreta aufs Neue ein Aufstand gegen die Türkenherr- schaft aus. Eines der wichtigsten Zentren des Widerstandes war das Arkadikloster, das in einer gebirgigen Gegend südlich der Stadt Rethymno liegt. Der Abt, Gavriïl (Gabriël) Marinakis, leitete eines der revolutionären Komitees. Verhandlungen zwi- schen der osmanischen Armee und den Revolutionären über das Ende des Aufstan- des führten zu keinem Ergebnis. Am 8. November 1866 gab der türkische Befehls- haber, Mustafa Pascha, das Kommando, das Kloster, worin auch sehr viele Frauen und Kinder Zuflucht gesucht hatten, zu stürmen. Der erste Angriff wurde abge- wehrt. Nachts feierten die Eingeschlossenen die Eucharistie. Ihre Kommunion wür- de gleichzeitig ihre Wegzehrung – also das orthodoxe Sterbesakrament – sein. Im großen Sturmangriff am 9. November zerschossen die Türken den Haupteingang, der Abt fiel im Kampf. Laut der von der griechischen Historiographie bevorzugten Überlieferung – die genauen Vorgänge sind sehr schwer zu rekonstruieren – zogen die übrigen Aufständischen sich zurück ins Munitionsdepot, wo sich bereits die Frauen und Kinder aufhielten. Dort fragte der Pulvermeister, Kostis Giamboudakis, ob man zum Tode bereit wäre, um nicht in türkische Gefangenschaft gehen zu müs-

297 Vgl. Wolfgang Elz, Die europäischen Grossmächte und der kretische Aufstand 1866-1867, Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 28 (Stuttgart, 1988), 78-80; Theo- charis E. Detorakis, Ἱστορία τῆς Κρήτης (Heraklion, 21990), 367-369. Pandélis Prévélakis, Crète infortunée: Chronique du Soulèvement Crétois de 1866-1869, Übers. Pierre Coavoux (Paris, 1976), 69-100, stellt eine Mischung von Erforschung der historischen Quellen (Archi- ve) und Benutzung volkstümlicher mündlicher Überlieferungen (Lieder, Balladen u.Ä.) dar. Siehe auch die popularisierten Werke: Theocharis M. Provatakis, Τό Ἀρκάδι: Ἱστορία, τέχνη, παράδοση (Athen, 1986); Matthias Rasch und Michael Dahlhaus, Kreta: Reisehandbuch (Dormagen, 22002/2003), 531-533. Über die damalige bewegte Geschichte Kretas siehe auch Pınar Şenışık, The Transformation of Ottoman : Revolts, Politics and Identity in the Late Nineteenth Century (London und New York, 2011); David Brewer, Greece, the Hidden Centuries: Turkish Rule from the Fall of Constantinople to Greek Independence (London, 2010), 119-135, 139-146. Für ein interessantes in der Stadt Rethymno spielendes Zeitbild (beispielsweise in Bezug auf die Präsenz der türkischen Zivilbevölkerung und die christliche Sakralkunst) siehe Pandelis Prevelakis, Die Chronik einer Stadt, Übers. Gisela von der Trenck (Frankfurt am Main, 1981).

MERKMALE DER ASKETIK 113 sen. Die Quellen schweigen auch darüber, wie viele in Todesangst statt Heldenmu- tes schwebten. Jedenfalls richtete der Pulvermeister – wiederum: nach der griechi- schen Überlieferung – seine Pistole auf den Munitionsvorrat und sprengte alles. In den gewaltigen Explosionen starben nicht nur zahlreiche Griech/inn/en, sondern auch Dutzende Soldaten der osmanischen Armee.298 Diese ‚Nationaltragödie‘ wurde später von griechischen Politikern und orthodo- xen Kirchenführern verherrlicht. Das ‚Arkadi-Opfer‘, dieses kretische Masada, wurde und wird immer noch oft in den Himmel gehoben und mit einem selbstlosen Aufgeben des eigenen Lebens zugunsten der Freiheit identifiziert. Vergleiche mit dem Tod und der Auferstehung des Gottessohnes selber liegen auf der Hand. All- jährlich pilgern zahlreiche Kreter/innen und andere Griech/inn/en zwischen dem 7. und 9. November nach Arkadi. In einigen griechischen Städten (beispielsweise in Rethymno) stehen Statuen der Protagonisten von Arkadi. Die Zeiten haben sich jedoch geändert. Als ich selber im Frühling 2003 in Arka- di war, sah ich, dass es in der Cafeteria neben dem Kloster nur Espresso, also kei- nen griechischen bzw. türkischen Kaffee gab und dass die Klosterkirche auf Kosten der Europäischen Union restauriert wurde. Als ich im Sommer 2014 wiederum dort war, umfasste das Angebot der Imbissstube nun auch griechischen Kaffee; die Res- taurierung des Klosterkomplexes wurde noch immer von der Europäischen Union finanziert. Zudem befürwortet die griechische Regierung im Allgemeinen den Zu- tritt der Türkei zur EU und die weitere Verbesserung der Beziehungen mit der Tür- kei gehört momentan durchgängig zu den Schwerpunkten der jeweiligen griechi- schen Regierung. Die Arkadigeschichte zeigt klar die unterschiedlichen Perspektiven der beiden Kriegsparteien. Für den Abt und die Mönche von Arkadi sowie für viele andere Kreter/innen schien der Aufstand gegen die Osmanenherrschaft ein Gebot Gottes selbst. Während der Karwoche konnten die Griechisch-Orthodoxen sich mit den Foltern Jesu identifizieren. Nicht nur Jesus, sondern auch ihr Kreta wurde gekreu- zigt. Die römischen Soldaten und den jüdischen Hohen Rat konnten die Kre- ter/innen mit den türkischen ‚Tyrannen‘ gleichsetzen. Am Osterfest konnten sie nach ihrer eigenen Befreiung trachten, ‚auferstehen‘.299 ‚Freiheit oder Tod‘ (ἐλευθερία ἤ θάνατος) war eine Kernlosung, die sich auch im Titel eines wichtigen Romans von Kazantzakis findet.300 In diesem Roman verewigte der Schriftsteller nicht nur seinen Vater (Michalis Kazantzakis, 1856-1932), sondern auch das Stre- ben nach Freiheit auf Kreta während der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhun- derts. Wie war aber die Perspektive für die osmanischen Behörden? Für sie war der Aufstand ein Verstoß, der nicht gegen ihre Herrschaft, sondern auch gegen Gottes Ordnung gerichtet war. Gott verwaltete sein Reich, in dem der Islam natürlich die vorherrschende Religion war und Christen sowie Juden als ‚Religionen des Buches‘ toleriert wurden, zwar oft als zweitrangige Bürger/innen, aber immerhin mit klaren Rechten. Auch darum wurde der gefallene Abt Gavriïl von der osmanischen Armee

298 Vgl. Şenışık, The Transformation of Ottoman Crete, 282 (Anm. 88 und 89). 299 Vgl. Rathner, Der Brunnen von Epanosifi, 119-123 über die politische Bedeutung einiger Ikonen in Bezug auf die Befreiung Kretas. 300 Vgl. Nikos Kazantzakis, Ὁ Καπετὰν Μιχάλης (Ἐλευτερία ἢ Θάνατος) (Athen, 31974).

114 MERKMALE DER ASKETIK nachträglich enthauptet und sein Kopf wurde, wie der eines subversiven Aufrüh- rers, triumphierend gezeigt. Es liegt auf der Hand, dass der junge Nikos Kazantzakis mit solchen Geschichten groß geworden ist. Damit war aber noch längst nicht genug, denn es folgten die aus griechischer Sicht sehr erfolgreichen Balkankriege von 1912 und 1913. Insgesamt muss man, was Griechenland betrifft, das zweite und das dritte Jahrzehnt des zwan- zigsten Jahrhunderts als eine sehr tumultuöse, von großen politischen Unruhen ge- kennzeichnete Periode betrachten. Die zwei wichtigsten politischen Lager – die tra- ditionell-gesinnten Royalisten und die liberalen, nach dem Staatsmann Eleftherios Venizelos (1864-1936) genannten Venizelisten – standen sich jahrelang unversöhn- lich gegenüber und versuchten, wenn sie an der Macht waren, die Staatsverwaltung von den Anhängern des jeweils anderen Lagers zu ‚säubern‘.301 Zur Zeit des ‚Natio- nalen Schismas‘ (1915-1917) gab es zeitweise sogar zwei Regierungen: sowohl eine royalistische in Athen als auch eine von Venizelos geführte provisorische Re- gierung in Thessaloniki. Während des Ersten Weltkrieges und im Versuch, Grie- chenland dazu zu zwingen, auf ihrer Seite am Krieg teilzunehmen, landeten im De- zember 1916 englische und französische Truppen in Piräus und Athen, besetzten strategisch wichtige Punkte und es kam zu militärischen Konfrontationen mit grie- chischen Truppen. Auch in Thessaloniki war die Entente präsent. Im Jahr 1917 leg- te ein katastrophaler Großbrand die damalige Altstadt weitgehend in Schutt und Asche. Es gab in Griechenland damals mehrere Putschversuche, diktatorische Re- gime und Ermordungen einiger wichtiger Persönlichkeiten; auch der von Kazantza- kis lange als Held verehrte Politiker Ion Dragoumis erlitt 1920 dieses Schicksal. Einige weitere Beispiele sind: Im Jahr 1922 kam es nach der Niederlage der grie- chischen Armee gegen die türkischen Truppen in Anatolien zur oben bereits er- wähnten und mit enormen Zerstörungen einhergehenden ‚kleinasiatischen Kata- strophe‘. Zuvor war der Großteil der griechisch-orthodoxen Bevölkerung Ostthraki- ens, Kappadokiens und des Pontus schon entweder vertrieben oder ermordet worden. In Wien und Berlin war Kazantzakis Zeuge der elenden und auch bewaff- neten Nachwehen des Ersten Weltkrieges. Die russische Oktoberrevolution beein- druckte ihn sehr. In Spanien war er Zeuge der großen Zerstörungen während des dortigen Bürgerkrieges, und in Griechenland erlebte er die grausame deutsche Be- satzung, welcher der Bürgerkrieg folgte.

MARTIALISCHE MONASTISCHE ASKESE

Allerdings reicht dieser Rückblick in die jüngste Vergangenheit zur Erklärung der großen Rolle, die Kampf und Gewalt bei Kazantzakis einnehmen, nicht aus. Die Wurzeln reichen weiter zurück. Hier werde ich mich auf die Geschichte der monastischen Spiritualität und der Märtyrerzeit des Frühchristentums konzen- trieren. Unser Autor kannte diese Geschichte gut und sie inspirierte ihn. In der

301 Vgl. u.a. Kallis, Griechenlands Weg nach Europa, 71-81; Clogg, A Concise History of Gree- ce, 85-95.

MERKMALE DER ASKETIK 115 alten, sich auf die Wüstenväter beziehenden Literatur, die Nikos Kazantzakis bereits als Junge verschlungen hatte, spielen Kampf, martialische Askese, Waf- fengerassel und Widerstand gegen die bösen Mächte eine primäre Rolle. Im Leben des Antonius beschreibt der Autor – Athanasius, Erzbischof von Ale- xandrien (ca. 295-373) – die auffällige Askese seines Helden, des Mönchsvaters Antonius (ca. 250- 356).302 Letzterer ist ein Musterbeispiel der Askese, des Kamp- fes gegen das Böse und des kraftvollen Ausharrens. Sehr bildhaft, in kriegsartigen Szenen, wird der Kampf gegen den den Antonius belagernden Teufel und seine Gehilfen, die (real existierenden) Dämonen, beschrieben. Die Gnade Gottes verhilft Antonius, der kontinuierlich fastet, inbrünstig betet und andere asketische Übungen verrichtet, zum Sieg. Dazu sind ständige Wachsamkeit und ‚Nüchternheit‘ unerläss- lich. Allerdings kommt es nicht nur auf solche Heldentaten an, sondern auch ‚nor- male‘ Tugenden, wie Freundlichkeit, Milde, Frömmigkeit, Freude, innere Ruhe, Demut, das Teilen der Besitztümer mit allen, insbesondere mit den Armen, sowie gewöhnliche Alltagspraktiken, wie ein Kreuzzeichen machen und Psalmenverse sprechen, tragen zum Sieg über den Teufel bei. Laut Athanasius lebt der in der Hl. Schrift und der Askese verwurzelte Antonius das Evangelium und ist daher trotz Versuchungen und Anfechtungen unantastbar für die bösen Mächte. Aufgrund seines Sieges über den Teufel und die Dämonen war Antonius laut Athanasius in der Lage, andere in ihrem Glauben zu bestärken, Kranke und von Dämonen Besessene zu heilen, Visionen zu haben und in die Zukunft zu sehen. Al- lerdings ist es nicht nur für Antonius, sondern für jeden asketisch lebenden Men- schen, der sein Leben nach der Ordnung Gottes führt und einen tiefen Gottesglau- ben hat, dank der Gnade Gottes möglich, dass er oder sie die Krone des ewigen Le- bens erwirbt und die Dämonen ausschaltet. Im Grunde geht es darum, fromm, enthaltsam und asketisch zu leben und Gott immer und überall dienstbar zu sein.303 Die Frage, ob die Persönlichkeit von Antonius, wie Athanasius sie schildert, his- torisch korrekt ist, ist nicht mit Sicherheit zu beantworten, weil es außer jenem Buch kaum andere Quellen über Antonius gibt. Natürlich skizziert Athanasius eine Person, die seinen eigenen Wunschvorstellungen entspricht; er beschreibt seinen eigenen Antonius. Das wird besonders klar, wenn Erzbischof Athanasius darlegt, wie viel Respekt der einfache und angeblich ungebildete Mönch Antonius für Bi- schöfe, Priester und Diakone hegt, wie er sich für die kirchliche Hierarchie ernied- rigt, und auch wenn der Autor wiederholt sagt, wie sehr Antonius die Ketzereien der Arianer und der Meletianer verabscheut – genau jene Ketzereien, mit denen Athanasius sich selbst so schwer tat und die er heftig bekämpfte.

302 Vgl. Athanase d’Alexandrie, Vie d’Antoine, Einf., Übers., krit. Ed. und Komm. Gerhardus J.M. Bartelink, Sources Chrétiennes 400 (Paris, 1994); Tomas Hägg, ‚The Life of St Antony between Biography and Hagiography‘, in: The Ashgate Research Companion to Byzantine Hagiography, Bd. I, Periods and Places, Hg. Stephanos Efthymiadis (Farnham, 2011), 17- 34; Michaela Puzicha, ‚Antonius der Einsiedler‘, in: Lexikon der antiken christlichen Litera- tur, Hg. Siegmar Döpp und Wilhem Geerlings (Freiburg, 32002), 43-44; Gerhardus J.M. Bar- telink, ‚Antonios‘, Lexikon für Theologie und Kirche 1 (Sonderausgabe 32006) 786-788 ; Uta Heil, ‚Athanasius von Alexandrien‘, in: Lexikon der antiken christlichen Literatur, Hg. Döpp und Geerlings, 69-76. 303 Vgl. Vincent Hunink, ‚Nawoord‘, in: Athanasius van Alexandrië, Verleidingen in de woestijn: Het leven van de heilige Antonius, Übers. und Komm. Vincent Hunink (Amster- dam, 2002), 95-109.

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Das Leben des Antonius, das kurz nach dem Tod des famosen Einsiedlers ver- fasst und bald ins Latein und in andere Sprachen übertragen wurde, erfreute sich einer sehr großen Popularität und wurde zum Modell für zahlreiche spätere Heili- genbiographien. Es hat die Spiritualität und bildende Kunst sowohl des ostkirchli- chen als auch des westkirchlichen Christentums sehr beeinflusst. Kazantzakis hat es sicher gekannt und gelesen; wie ich vermute, hat es ihn tief beeindruckt. Auch wenn er die Begriffe von Askese, Gott und Teufel mit einem anderen Inhalt füllte, ist die Betonung von Kampf, Einsatz, Verfügbarkeit Gott gegenüber und Opferbe- reitschaft ihm immer geblieben. Ein weiteres Beispiel – allerdings erheblich späteren Datums als das Leben des Antonius – einer einflussreichen monastischen Schrift, in der Kampf, Wachsamkeit, Entsagung der weltlichen Vergnügen und Mönchtum als ‚Soldatendienst für Gott‘ kontinuierlich hervorgehoben werden, ist die Geistliche Weide (Λειμωνάριον oder Λειμὼν Πνευματικός bzw. Pratum Spirituale). Das ist eine Sammlung von Ge- schichten und Anekdoten über das spätantike monastische Leben in Ägypten, Syri- en, Palästina usw., die vom Mönch Johannes Moschos (geb. Mitte des sechsten Jahrhunderts, gest. 619 oder 634) verfasst worden ist.304 Doch können wir noch weiter zurückgehen als zur Geistlichen Weide und zum Leben des Antonius. Letzteres stammt ja erst aus der Mitte des vierten Jahrhunderts, aus einer Zeit also, als das Christentum bereits eine erlaubte, sogar privilegierte Re- ligion war. Wir können nämlich auch die Märtyrerakten, die aus Zeiten der früheren Christenverfolgungen stammen, hervorheben. Es handelt sich dabei um Gerichts- akten, Briefe, Erzählungen und Eindrücke von Augenzeugen in Bezug auf zum Tod verurteilte Christen und Christinnen.305 Diese Texte, die der Gemeinde zum Ge- dächtnis des Hinscheidens jener Märtyrer/innen, zur Feier ihres ‚Geburtstages‘ (dies natalis), nämlich des Tages, an dem sie ins ewige Leben hinein geboren wurden, und zur Erbauung der Gemeindemitglieder dienten, wurden im Gottesdienst, insbe- sondere am alljährlichen Festtag, verlesen. Der Einsatz, das Ausharren, der innere Kampf der Märtyrer/innen und ihre Hinrichtung werden in diesen Texten bald kon- zise und nüchtern, bald detailliert, bildhaft und grauenhaft geschildert. Meine An- nahme, dass Kazantzakis diese Geschichten kannte, wird auch dadurch bekräftigt, dass es in vielen orthodoxen Kirchen Fresken mit den Geschichten der Passion und

304 Vgl. Kristoffel Demoen, ‚Een tuin in de woestijn: Johannes Moschos en zijn Weide‘, in: Johannes Moschos, De Weide: Een verhalenboek over het laatantieke monnikenleven, Hg. und Übers. Michiel Op de Coul und Vincent Hunink, Grieks Proza XXII (Groningen, 2010), V-XVII. Bezeichnend sind zum Beispiel die Aussagen von Abba Thalassios und von Abba Irineos. Vgl. Patrologia: Series Graeca, Bd. 87, 3, Hg. Jacques-Paul Migne (Paris, 1860), 2993-2996 (Nr. 130); Elpidio Mioni, ‚Il Pratum Spirituale di Giovanni Mosco: Gli episodi inediti del Cod. Marciano greco II,21‘, Orientalia Christiana Periodica 17 (1951) 61-94, hier 91-92 (Nr. IX). Die populäre Geistliche Weide ließ im schottischen Gelehrten William Dalrymple (geb. 1965) am Ende des zweiten Jahrtausends die Idee reifen, eine lange, abenteuerliche Reise in den Fußspuren von Johannes Moschos und dessen Gefährten Sophronios von Jerusalem (geb. 560, gest. 638?; im Amt als Patriarch von Jerusalem 634 bis zu seinem Tod) zu unternehmen. Sein fiktionalisierter Reisebericht wurde ein internationaler Bestseller. Vgl. sein From the Holy Mountain: A Journey in the Shadow of Byzantium (London, 2005; Erstausgabe 1997). 305 Vgl. Barbara Henze, ‚Martyrer, Martyrium, II: Literarisch‘, Lexikon für Theologie und Kir- che 6 (Sonderausgabe 32006), 1437-1439; Monika Scala, ‚Passio Perpetuae – „Non facio ... Christiana sum“‘, Protokolle zur Liturgie 2 (2008) 178-208.

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Hinrichtungen der Märtyrer/innen gibt. Mit seiner Vorliebe für die byzantinische Ikonographie wird Kazantzakis diese Bilder und die Geschichten, die sie darstellen, gekannt haben. Natürlich könnte man noch weiter zurückgehen: zur Passion und zum inneren Kampf Christi selbst, von welchem Thema bereits die Rede war und das Kazantza- kis immer wieder tief bewegte. Im neutestamentlichen Brief an die Epheser wird plastisch zum geistlichen Kampf aufgerufen und dazu, die ‚Rüstung Gottes‘ anzu- ziehen (Eph. 6,10-20). Zudem gibt es in der Bibel die Martyriumsgeschichten des Buches Daniel und der Bücher der Makkabäer, die in der orthodoxen Kirche zum Kanon gehören und die Kazantzakis wohl von klein auf bekannt waren. Und noch weiter zurück lässt sich denken, an die Philosophie von Heraklit, laut dem ‚der Krieg der Vater von allem‘ ist (πόλεμος πατὴρ πάντων). Aus Konflikten wird alles geboren.

SINN DER GEWALT UND STELLENWERT DER FREIHEIT

Es ging Kazantzakis nicht um Gewalt und Krieg an sich. Sie dienten nur dazu, um zu einer neuen besseren Welt zu gelangen, und zwar immer wieder, von ei- ner ‚Kreuzigung‘ bzw. ‚Auferstehung‘ zur nächsten. Kriege waren nur notwen- dig, um die alte verknöcherte Ordnung zu beseitigen, das Voranschreiten Gottes zu ermöglichen und die Materie weiter zu verwandeln. Zerstörung muss sein, aber ist nicht das Endziel. Das Ziel ist immer wieder eine neue Schöpfung; dazu sind immer wieder Gewalt und Krieg notwendig. Aus heutiger Sicht – nach Hunderten Millionen Kriegstoten der beiden Weltkriege des zwanzigsten Jahr- hunderts, einschließlich der Ermordung des Großteils des europäischen Juden- tums – vermisst man jedoch bei Kazantzakis eine kritische Auseinandersetzung mit der ‚Kriegsideologie‘. Wie so viele andere Intellektuelle war auch unser Autor davon überzeugt, dass die Menschen seiner Epoche in einer Übergangszeit lebten, einer Zeit von Synthese, Verfall und neuer Synthese, von Chaos und Krieg, Ordnung und Friede, wiederum Chaos und Krieg und nochmals Ordnung und Friede und so weiter. So existiert eine ständige Dialektik zwischen Vernichtung und Schöpfung, ein kontinuierlicher Pro- zess ‚kreativer Zerstörung‘ (Lewis Owens). Der Abgrund ist nicht nur das Ende, sondern auch die Gebärmutter des jeweils Neuen. Fazit ist, dass Kazantzakis den Kampf – sowohl denjenigen im Inneren des Men- schen als auch den in der Außenwelt, einschließlich des Krieges – als notwendig betrachtete, um zur Freiheit zu gelangen, um den Sinn unserer Existenz zu finden und eine neue Welt schaffen zu können. Oder besser gesagt: im Kampf selbst of- fenbaren sich laut Kazantzakis die Freiheit, der Sinn unseres Daseins und die neue Welt. Laut dem griechischen Literaturspezialisten Thodoros Grammatas (geb. 1951) ist ‚der Freiheitsbegriff ... die zentrale thematische Achse, um die sich das Denken und das Œuvre von Kazantzakis dreht.‘306 Der amerikanische politische

306 Grammatas, „Kρητική ματιά“, 105.

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Philosoph James Lea teilt diese Ansicht, wenn er schreibt: ‚Das nachhaltigste Merkmal des Lebens, der Kunst und der politischen Theorie von Kazantzakis war der Kampf um Freiheit‘ und ‚Man würde Kazantzakis’ Sorge um Freiheit nicht übertreiben, wenn man sagt, dass dies das vorherrschende Thema … aller seiner Werke ist.‘307 Allerdings äußert sich die griechische Literaturforscherin Kleopatra Leontaritou kritisch: ‚Letzter entscheidender Faktor in der allgemeinen sozialpoliti- schen Orientierung Kazantzakis’ war die „Ideologie“ der extremen Ergebenheit an die absolute Freiheit, eine Ideologie, die ihre Verwirklichung nur in der Form der „inneren Freiheit“ findet.‘308 Damit kritisiert diese Autorin, dass Kazantzakis sich nicht an erster Stelle für gesellschaftliche und politische Veränderungen einsetzt, sondern seine Energie auf die eigene Schreibtätigkeit konzentriert. Ihrer Meinung nach ist er ein Neoromantiker, der eine Art ‚Sturm und Drang‘ vertritt. Er bleibt ein Theoretiker und befasst sich nur mit sich selbst. Die kontinuierlichen Aufforderungen, sich auf dem Weg zu machen, zu kämp- fen, fortzufahren bis zum ‚Geht-nicht-mehr‘ und auch dann noch weiterzumachen, rufen in mir und wahrscheinlich auch in manchen anderen Lesern und Leserinnen eine gewisse Ambivalenz hervor. Einerseits sind solche Aufforderungen sehr anre- gend. Sie weisen auf die Notwendigkeit hin, sich nicht mit dem bequemen, doch oft ungerechten Establishment abzufinden, sich für eine bessere Welt einzusetzen, mit Gott zu ringen und gleichzeitig Gott zu unterstützen und so zu versuchen, sowohl die eigene Seele als auch die Welt zu erlösen. Andererseits dürften die ständigen Aufforderungen auch ermüdend wirken. Wir können nicht ständig kämpfen und unterwegs sein. Menschen brauchen auch Ruhe, eine Oase und Proviant für unter- wegs.309 Es scheint mir, dass hier ein Hinweis auf zwei Pole, die für menschliches Glück und gesunde Spiritualität notwendig sind, hilfreich sein dürfte. Man braucht einerseits Geborgenheit, Sicherheit und Schutz, andererseits Herausforderung und ‚Sich-auf-den-Weg-machen‘ (comfort and challenge). Es scheint mir, dass Kazant- zakis – in seiner Abwehr des Konventionellen, der selbstgenügsamen Bequemlich- keit und des von ihm bei vielen anderen wahrgenommenen Wunsches, in der eige- nen Oase zu bleiben – sich dermaßen auf das Marschieren in der Wüste kon- zentriert, dass die Gefahr der Erschöpfung und des Verdurstens droht. Er war sich dieser Gefahr bewusst, wie seine Losung am Beginn und am Ende der Rechenschaft vor El Greco beweist. Jeder Mensch soll wählen aus drei Mög- lichkeiten, wobei der kretische Schriftsteller klarerweise die dritte bevorzugt, mit dem dazugehörigen Risiko. Die Losung bzw. das Gebet lautet: ‚Drei Seelen, drei Gebete: a) Ich bin ein Bogen in deinen Händen, Herr. Spanne mich, sonst werde ich verfaulen. b) Überspann mich nicht, Herr. Ich werde brechen. c) Überspann mich, Herr, auch wenn ich brechen werde! Wähle!‘310

307 Lea, Kazantzakis, 138, 139. 308 Kleopatra Leontaritou, Ἡ νεορομαντική βιοθεωρία τοῦ Καζαντζάκη: Ἡ ποίηση τῆς ζωῆς (Athen, 1981), 297. 309 Eine ähnliche Stimme in: Jeter, ‚Dwindling Down the Shore‘, 151-152. 310 Kazantzakis, Ἀναφορά στόν Γκρέκο, 7, 505 (die Aufforderung ‚Wähle‘ findet sich noch nicht am Beginn des Buches).

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Die genannte Zweipoligkeit von Sicherheit und Herausforderung gilt meiner Meinung nach auch für die Liturgie. Wenn die Gemeinde nur Geborgenheit und ihr eigenes Wohlsein hervorhebt, fehlt die essentielle biblische Dimension des Auszugs (Exodus) und der Unterstützung derjenigen, die dringend Hilfe brauchen. Wenn jedoch nur der Einsatz für eine bessere Welt betont wird, droht die Gefahr des spiri- tuellen Verdurstens. Angemessene liturgische Sprache appelliert nicht nur an das menschliche Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz, sondern fordert die am Gottes- dienst Teilnehmenden auch heraus und setzt sie in Bewegung. Solche Sprache schreitet vom einen Pol zum anderen, bezieht beide Pole ein. Sie ‚meistert‘ ihre Aufgaben in allerlei Arten des Sprechens: in der Klage genauso wie im Lobpreis, im tastenden Zweifel wie im festen Wissen, flehend oder verkündigend, verzweifelt anrufend oder segnend.311

WIDERSPRÜCHLICHES

Doch bleibt manches fremd im Œuvre und Leben von Kazantzakis. Er redet in der Asketik über das Elend der arbeitenden Klasse, aber ging selbst nicht in die Fabriken und Armutsviertel. Er tritt für die kleinen Unterprivilegierten ein und plädiert für den Sturz des Establishments, aber ging selbst am liebsten mit den Mächtigen und Großen der Erde um. Ferner befürwortet er Kriege und Vernichtung (anscheinend ohne Mitleid zu zei- gen), aber selbst war er ein friedfertiger und sehr schüchterner Mensch. Der Kampf, über den er fast ständig schreibt, spielte sich vor allem in seinem eigenen Herzen ab. Insbesondere kämpfte er gegen den Tod und die Verwesung und wollte er sich nicht vom Hades besiegen lassen. Wie so viele vor ihm strebte auch er Unsterblich- keit und Ewigkeit an. Gleichzeitig war es ihm klar, dass sein und unser aller Le- bensboot auf das Sterben hin steuert. Die beste Lösung schien ihm, wenn der große ‚Todfeind‘ sich nicht besiegen ließe, diesem Schicksal unerschrocken, furchtlos in die Augen zu blicken. Fühlte der Mann mit dem ‚kretischen Blick‘ sich selbst als ein Übermensch, der alles – im geistlichen, emotionalen und körperlichen Bereich – im Griff hat, auch wenn er behauptet, dass er gar nichts im Griff hat, weil das die Essenz seiner Weltanschauung ist? Schaute er deswegen viele Jahre verachtungs- voll auf angeblich ‚unfreie‘ und ‚konventionelle‘ Menschen herab? Wie zahllose seiner Briefe offenbaren – auch in dieser Hinsicht war er sehr auf- richtig; er hasste ‚Fassade‘ –, wurde Nikos Kazantzakis von oft heftigen inneren Konflikten heimgesucht. Er wurde häufig hin und her gerissen zwischen Todes- sehnsucht und Ausbrüchen von Lebenslust und kreativer Vitalität; zwischen tiefer Einsamkeit und Kontaktfreudigkeit; zwischen Rückzug aus der Gesellschaft und dem Verlangen nach Publizität und weltweiter Anerkennung; zwischen seinem (nicht realisierten) Wunsch, Universitätsprofessor zu werden – er versuchte es nicht nur in Athen, sondern auch in Madrid, Oxford und anderswo vergeblich – und sei-

311 Vgl. meinen Aufsatz ‚Die Volkssprache in der Liturgie: Chancen und Probleme‘, Jaarboek voor Liturgie-onderzoek 21 (2005) 105-128, hier 126-127.

120 MERKMALE DER ASKETIK ner Verachtung für eben Hochschullehrer (‚trockene Stubengelehrte‘); zwischen der Erfahrung der Nichtswürdigkeit und dem Gefühl, fast allen anderen Menschen überlegen zu sein. Er litt an Traumata, die unter anderem mit seiner Jugend in der damals geschlossenen kretischen Gesellschaft, mit den harten Erziehungsmethoden in den Familien und in der Schule und mit seinem dominanten Vater zu tun hat- ten.312 Gegenüber seinen Eltern hegte er eine heilige Scheu. Seinem schroffen Vater stand er sehr ehrfurchtsvoll, sogar ängstlich gegenüber. Seine Mutter betrachtete er als zärtlich, als eine ‚Heilige‘. Zu Griechenland hatte er eine sehr ambivalente Hass- Liebe-Beziehung. Er schwankte zwischen Ekel, dem ‚heruntergekommenen‘ grie- chischen Volk anzugehören (obwohl er in anderen Lebensphasen strotzend vor Selbstbewusstsein verkündete, dass das ‚edle‘ Griechentum mit seiner großartigen Kulturgeschichte vorrangig in der Vergeistlichung der Materie war), und Stolz, ein Kreter, in dem seiner Überzeugung nach ‚arabisches und afrikanisches Blut fließt‘, zu sein. Ehrlichkeitshalber muss man hinzufügen, dass negative und herablassende Kommentare in der Athener Presse über ihn seine Beziehung zur Heimat sehr trüb- ten. Zudem schwankten damals auch viele andere Griechen zwischen Überlegen- heits- und Minderwertigkeitsgefühlen (das ist auch heute noch der Fall): einerseits verherrlichten sie Griechenland und sahen sie auf ‚Europa‘ herab (‚wir Griechen haben den Europäern das Licht der Weisheit und Kenntnis gegeben, während sie sich noch in Höhlen aufhielten‘ u.Ä.), andererseits war die westliche Gesellschaft ihrer Meinung nach der griechischen weit überlegen und befand ihr Land sich auf- grund seines vermeintlichen ‚miesen‘ Charakters in einem deplorablen Zustand (‚Europäer sind viel klüger, während Griechen zurückgeblieben sind‘ u.Ä.).313 Sowohl ‚links‘ als auch ‚rechts‘ wurde auch Kazantzakis’ Gottessuche und sein Anliegen, die eigene Seele, den Menschen und die Welt zu retten, wiederholt kriti- siert. Beispielsweise war seine erste Gattin Galatia, selbst eine bedeutende sozialis- tische Schriftstellerin, der Meinung, dass er ein Fantast war und sich nicht um die Anliegen und Sorgen konkreter Menschen kümmerte, sondern ständig vom abstrak- ten Menschen und von nicht-existierenden Göttern handelnde ‚Sandburgen‘ bau- te.314 Ihre Schwester Elli Alexiou (1894-1988) geht in ihrer Biographie, die sowohl von Bewunderung und Sympathie für ihren ehemaligen Schwager als auch von sehr kritischen Beobachtungen über seinen Charakter gekennzeichnet ist, längst nicht so weit wie Galatia. Doch bemerkt sie, dass er immer der Beste sein und die höchsten Gipfeln besteigen wollte. Daher übersah er oft, dass andere Menschen nicht mit sei- nem Tempo mithalten konnten. Ihrer Meinung nach war er einerseits ein Superindi-

312 Negativ über den ihrer Meinung nach ‚seelisch kranken‘ Kazantzakis äußert sich: Lili Zogra- fou, Ν. Καζαντζάκης: Ἕνας τραγικός (Athen, 51989, Erstausgabe Athen, 1959). Siehe auch den wenig schmeichelhaften Roman: Galatia Kazantzaki, Ἄνθρωποι καὶ Ὑπεράνθρωποι. Da- gegen ist beispielsweise der amerikanische Kazantzakis-Experte Jeter der Meinung, dass die Heimsuchungen, an denen Kazantzakis litt, mit denen der Propheten und Heiligen vergleich- bar sind und nicht dadurch verursacht wurden, dass er angeblich ‚psychisch nicht in Ord- nung‘ oder ‚seelisch krank‘ war. Vgl. seinen Aufsatz ‚„Dwindling Down the Shore“‘, 134 (Anm. 5). 313 So beispielsweise die Hauptperson Charis im Kiourtsakis’ Roman Σάν Μυθιστόρημα. 314 Vgl. Galatia Kazantzaki, Ἄνθρωποι καὶ Ὑπεράνθρωποι. Peter Bien hält ihr Buch für ‚äußerst negativ und bösartig‘, vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 833. Siehe auch meine Anm. 8.

MERKMALE DER ASKETIK 121 vidualist und Egozentriker, andererseits konnte er nur so sein enormes Talent ent- falten und es schaffen, in den kleinen Kreis der weltweit wirklich großartigen Lite- raten aufzusteigen.315

NIKOS KAZANTZAKIS ALS ASKET

Nikos Kazantzakis war selbst ein Asket und er bezeichnete sich auch so. Seinen Schreibtisch und andere Orte, wo er arbeitete, nannte er seine ‚Zelle‘. Wie ein Anachoret oder Einsiedler suchte er oft die Einsamkeit und in einigen Lebens- phasen lebte und arbeitete er von der Außenwelt völlig zurückgezogen. Im All- gemeinen lebte er auch was Ernährung, Zimmertemperatur und Schlafbedürfnis betrifft äußerst asketisch. Er war ein ‚harter Knochen‘ für sich selbst, verfügte zwar über eine schier grenzenlose Energie, aber ging auch bis an seine Grenzen und war häufig erschöpft. Auch in dieser Hinsicht ähnelt er den monastischen Altvätern und –müttern in der Wüste, für die kontinuierliches Gebet und Psal- menrezitation sowie lange Vigilien, bis zur Erschöpfung, ebenso einen hohen Stellenwert einnahmen. Wie sie kämpfte auch Kazantzakis, auch wenn er sein Ringen mit einem anderen Inhalt füllte. Auf seine eigene Weise war er also selber eine Art Mönch. Jedenfalls war er ein Einzelgänger und ein Outsider, der trotz seiner gelegentlichen Versuche, an der an- geblich ‚normalen‘ Welt teilzunehmen, im Grunde außerhalb ihrer stand. Wie die christlichen Anachoret/inn/en wählte er eine radikale Lebensweise. Er suchte nur das Absolute, sein Hauptinteresse galt der ‚echten und reinen Wahrheit‘. Man könn- te sagen, dass sein Œuvre sowohl eine asketische als auch eine autobiographische Wahrheitssuche darstellt. Sein Gesamtwerk lässt sich wie ein Reisebericht, eine ‚Beichte‘, eine Rechenschaft lesen. Oder noch anders gesagt: als eine Odyssee, ein Nach-Ithaka-unterwegs-Sein – Kazantzakis hatte Kavafis in Alexandrien kennenge- lernt und er kannte auch dessen berühmtes Gedicht Ithaka316– und ein Wieder-von- Ithaka-in-blaue-Fernen-Ziehen.317 Trotz seiner asketischen Orientierung war Kazantzakis jedoch kein Lebensver- neiner. Er war ein lebensfroher Asket (keine contradictio in terminis!), der sich selbst nicht nur einem enormen Arbeitspensum unterwarf, sondern auch die Natur und das Leben sehr genoss. Er lachte viel und erzählte gerne Anekdoten und Witze. Auch wenn er nicht viel aß, genoss er Obst und leckere Speisen. Er rauchte in seiner Pfeife gerne Tabak und auch Haschisch war er nicht abgeneigt. Er schwamm sehr gerne im Meer, hatte eine Vorliebe für Museen, Ausstellungen, Konzerte und exoti- sche bildende Kunst und genoss es, hübsche Frauen zu sehen. Interessanterweise war auch der Kirchenvater Maximus der Bekenner, den Ka- zantzakis mochte und dessen Schriften er studierte, ein Outsider. Er war ein griechi- scher Theologe, der einen Großteil seines Lebens im lateinischen Nordafrika und

315 Vgl. Alexiou, Γιά νά γίνει μεγάλος. 316 Vgl. Konstantinos P. Kavafis, Ποιήματα (Athen, 31984), 60-61. 317 Vgl. Leontaritou, Ἡ νεορομαντική βιοθεωρία τοῦ Καζαντζάκη, 69-99.

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Rom lebte. In einer Zeit heftiger dogmatischer Auseinandersetzungen und Span- nungen zwischen Konstantinopel und dem Westen schlug er sich nicht auf die Seite seiner ‚eigenen‘ griechischen Kirche, sondern hegte großen Respekt für die Kirche Roms. Er ist sowohl ein lateinischer als auch ein griechischer Kirchenvater und stellt damit eine Ausnahme in der patristischen Landschaft dar. Zum einen lebte er am Rande des kirchlichen und gesellschaftlichen Establishments, zum anderen war er in seiner Lehre wahrlich orthodox. Für sein Durchhaltevermögen und seine rechtgläubige Standhaftigkeit wurde er ins Exil nach Thrakien geschickt, in Kon- stantinopel verurteilt, gefoltert – ihm wurde die Zunge, mit der er sprach, ausgeris- sen und die rechte Hand, mit der er schrieb, abgehackt – und schließlich ins Exil ans Schwarze Meer gesandt; dort verstarb er an den Folgen seiner Tortur bald.318 Oben sahen wir bereits, dass die Auffassungen Maximus’ über die Vergöttlichung des Menschen in Christus die Asketik beeinflusst haben. Vermutlich kannte Kazantzakis aufgrund seiner Lektüre der Heiligenbiographien die Wechselfälle des konkreten Lebens von Maximus und dessen Martyrium. Ich vermute, dass er, wenn er sich noch mehr mit dem tapferen Mönch und Theologen und dessen Outsider-Sein be- schäftigt hätte, ihm ein Theaterstück oder ein canto gewidmet hätte, in welchem er ihn als einen ‚Befreier Gottes‘ dargestellt und gezeigt hätte, wie Gott in Maximus die Materie verwandelt. Obwohl Kazantzakis eine Synthese anstrebt, gibt es ständig Streit und Spannung – auch in der Asketik – aufgrund des Dualismus zwischen Aufgang und Nieder- gang, zwischen Geist und Fleisch bzw. Materie, zwischen dem männlichen und dem weiblichen Element (siehe auch unten). Einerseits plädiert Kazantzakis wie- derholt für die Symbiose von Geist und Fleisch und dafür, dass ‚fleischlicher Ge- nuss‘ ins Alltagsleben inkorporiert wird. Andererseits betont er die Aufgabe jedes Menschen, nicht im ‚Alltagssumpf‘ stecken zu bleiben, sondern Gottes Ruf zu hö- ren und sich geistig auf den Weg zu machen und emporzugehen. Wie die Wüstenväter und –mütter kämpfte Kazantzakis mit Dämonen; er sprach mehrmals vom ‚Dämon in ihm selber‘, der ihn zum Schreiben und zum Reisen zwang. Unter anderem rang er mit Fragen der Erotik und Sexualität. Die Meinun- gen der Kazantzakis-Experten, die sich über diesen delikaten Punkt äußern, sind allerdings geteilt. Während einige entweder explizit oder hinter vorgehaltener Hand von der vermeintlichen Impotenz Kazantzakis’ sprechen,319 ist Grigorios Stamatiou folgender Ansicht: ‚Nikos Kazantzakis war ein physiologisch perfekter Mann, der wie wenige dazu fähig war, eine Frau körperlich und seelisch zu erobern‘.320 Beide Positionen scheinen zu verkennen, wie sehr Kazantzakis durch die Askese der (Wüsten-)Väter geprägt worden war; dies sei wie folgt veranschaulicht.

318 Vgl. Jaroslav Pelikan, ‚Introduction‘, in: Maximus Confessor: Selected Writings, Übers. und Komm. George C. Berthold (New York und Mahwah NJ, 1985), 1-13; Andrew Louth, Ma- ximus the Confessor (London, 1996), 3-18; Assaad Elias Kattan, Verleiblichung und Syner- gie: Grundzüge der Bibelhermeneutik bei Maximus Confessor, Supplements to Vigiliae Christianae 63 (Leiden, 2003), XXIII-XXX. 319 Explizit ist z.B. Thanasis Papathanasopoulos, Γύρω στόν Καζαντζάκη: Μελετήματα, Bd. II (Athen, 2012), 12-89. 320 Grigorios P. Stamatiou, Ἡ γυναῖκα στὴ ζωὴ καὶ στὸ ἔργο τοῦ Νίκου Καζαντζάκη (Athen, 21997), 12.

MERKMALE DER ASKETIK 123

‚ASKETEN-KRANKHEIT‘

In diesem Zusammenhang ist die ‚Asketen-Krankheit‘ (oder ‚Heiligen-Krank- heit‘) der Wüstenväter erwähnenswert: das Phänomen, dass, wenn ein strenger Asket von sexueller Lust überwältigt wird und unbedingt mit einer Frau schla- fen will, er Ausschlag und Geschwüre bekommt und deswegen entstellt aus- sieht. Erst wenn deswegen das Rendezvous nicht zu Stande kommt, verschwin- den die Symptome. Diese Affektion wird in der alten monastischen Literatur mehrmals beschrieben. Beispielsweise lesen wir in der Geistlichen Weide, dass ein geiler Mönch Aussatz bekommt. Die Affektion greift nicht nur das Gesicht an, sondern ist ganzkörperlich (ἐλεπρώθη ὅλως).321 Allerdings ist ein Ekzem nicht die einzige Reaktionsmöglichkeit bei sexuellen Anfechtungen. Es gibt in der Geistlichen Weide auch eine Geschichte, in der ein sexuell aufgeregter Mönch einen üblen Gestank von verwesenden Leichen – es betrifft die Reste eines Mannes und einer Frau – wahrnimmt, der so heftig ist, dass er mithilfe eines Greises versteht, dass der körperliche Liebesakt sich nicht lohnt, und er kommt wieder zu sich. Außerdem kommen Geschichten vor, in denen dank des klugen Auftretens der Frau sowohl sie als auch der Mönch vor Sünde bewahrt werden.322 Und wenn es die Frau selbst ist, die von Wollust beherrscht wird, gibt es andere ‚Lösungen‘: Eine Witwe, die gerne wieder mit einem Mann schlafen möchte, betet darum, dass Gott sie heimsucht und erniedrigt, damit ihre sexuelle Sehnsucht gelöscht wird, und prompt bekommt sie hohes Fieber. Eine andere Möglichkeit ist diese: Ein Dämon ergreift Besitz von einer Nymphoma- nin – es betrifft eine Klosterschwester! –, die viele Männer, einschließlich Pries- ter, im Badehaus verführt hat, und sie verstümmelt sich selbst.323 Klarerweise gibt es also, zumindest laut der Geistlichen Weide, eine Verbindung zwischen ‚Unzucht‘, Sünde, plötzlich auftretender Krankheit bzw. dämonischer Besessenheit, Buße und Therapie. Auch die bekannten Apophthegmata der Wüs- tenväter und -mütter thematisieren diese Beziehungen mehrmals.324 Beispielsweise hält ein Mönch, der gerne mit einer schönen Frau schlafen möchte, sich vor Augen, wie sie stinkt, und ein anderer Mönch, der gegen seine erotische Begierde kämpft, verstümmelt sich selbst.325 Für heutige Leser und Leserinnen wirkt dies oft exo- tisch, abstrus und irreal. Offenbar unterdrücken die Mönche und Frauen, von denen die Rede ist, ihre normalen sexuellen Antriebe und schreiben diese Dämonen zu, und wenn sie ihren Antrieben folgen, werden sie dafür hart bestraft! So hat es je- denfalls den Anschein. Auch wenn diese Geschichten vielen von uns als überholt

321 Vgl. Patrologia: Series Graeca, Bd. 87, 3, 2861 (Nr. 14). 322 Vgl. Patrologia: Series Graeca, Bd. 87, 3, 2865-2868 (Nr. 19), 3093-3097 (Nr. 204-205). Den Text verglich ich jeweils mit den Übersetzungen und Kommentaren in: Giovanni Mosco, Il Prato, Einf., Übers. und Komm. Riccardo Maisano, Storie e Testi 1 (Neapel, 1982); Johannes Moschos, De Weide, Hg. und Übers. Op de Coul und Hunink. 323 Vgl. Mioni, ‚Il Pratum Spirituale di Giovanni Mosco‘, 86-87 (Nr. V), 92-93 (Nr. XI). 324 Vgl. Apophthegmata Patrum, Bd. I-II, Übers. und Komm. Erich Schweitzer, Weisungen der Väter 14-15 (Beuron, 2011 und 2012). 325 Vgl. Apophthegmata Patrum, Bd. II, 93-94, 104-105 (Nr. 1172-1173, 1189); The Anonymous Sayings of the Desert Fathers: A Select Edition and Complete English Translation, Hg. und Übers. John Wortley (Cambridge, 2013), 114-117, 132-135 (Nr. 172-173, 189).

124 MERKMALE DER ASKETIK und unzeitgemäß erscheinen mögen, gibt es vielleicht doch einen Schlüssel, um diese Erzählungen zu verstehen: die Freiheitssuche und das Anliegen, sich nicht von Leidenschaften überwältigen zu lassen.326 An dieser ‚Asketen-Krankheit‘ litt augenscheinlich auch der Mann Kazantzakis. In den Wiener Briefen an seine Gattin Galatia vergleicht Kazantzakis sein Leiden mit den Stigmata des hl. Franziskus und redet von ‚Neu-Askese‘. Er beschreibt aus- führlich die Symptome seiner Erkrankung sowie seine Gefühlslage, aber den mög- lichen erotischen Grund verrät er seiner Frau nicht.327 Die Diagnose ‚Heiligen/ Asketen-Krankheit‘ als ‚Maske der Sexualität‘ wurde übrigens vom bekannten Wiener Psychoanalytiker Wilhelm Stekel (1868-1940) gestellt, der Kazantzakis damals behandelte. Literarische Widerspiegelungen dieses Ereignisses sind erstens ein in Rechen- schaft vor El Greco erzählter autobiographischer Vorfall im Sommer des Jahres 1922,328 als Kazantzakis sich in Wien aufhielt. Dort studierte er nicht nur das Leben Buddhas und war bereits mit dem Entwurf der Asketik beschäftigt, sondern er lud auch eine Frau ein, die Nacht mit ihm zu verbringen. Und zweitens eine Episode in Christus wird wiederum gekreuzigt, in der Manolios von seiner Begierde nach der attraktiven Witwe Katerina zerrissen wird und die Erkrankung schließlich als Got- tes Erlösung von seiner Leidenschaft gedeutet wird.329 Schließlich erwähnt Kazant- zakis die Geschichte nochmals in einem Brief vom 12. Februar 1957 an seinen Freund und Kollegen Pantelis Prevelakis sowie in einem Gespräch (Anfang 1957) mit seinem französischen Freund Renaud de Jouvenel (1907-1982).330 Kazantzakis-Experten sind sich jedoch nicht einig, ob das Ekzem durch die inne- re Ablehnung der eigenen sexuellen Begierde verursacht wurde oder ob der Kreter seiner physischen Krankheit eine andere, ihm mehr ‚passende‘ und ‚spirituelle‘ Deutung – dazu vom Psychiater Stekel angeregt – gegeben hat. Peter Bien, der das Œuvre und Leben von Kazantzakis intensiv studiert hat, ist skeptisch, ob die in Re- chenschaft vor El Greco beschriebene Begegnung mit der Frau in Wien je wirklich stattfand. Er scheint zu denken, es handle sich dabei um einen literarischen To- pos.331 Aber laut Kimon Friar, der einige Jahre eng mit Kazantzakis an dessen Schreibtisch im südfranzösischen Antibes zusammenarbeitete, handelt es sich um eine Tatsache, die so stattfand.332 Der griechisch-amerikanische Psychiater Peter

326 Laut den deutschen evangelischen Theologieprofessoren Günter Schulz und Jürgen Ziemer ist das Ziel einer zeitgemäßen Askese (für heutige protestantische Leser/innen und vermut- lich auch andere) der Freiheitsgewinn. Siehe ihre Studie Mit Wüstenvätern und Wüstenmüt- tern im Gespräch: Zugänge zur Welt des frühen Christentums in Ägypten (Göttingen, 2010), 178-193. 327 Vgl. Kazantzakis, Ἐπιστολὲς πρὸς τὴ Γαλάτεια, 33a, 23-29, 43, 49-50, 53, 55-56, 60-61, 69- 71; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 88-105, 115. 328 Vgl. Kap. 24 (‚Wien – die Erkrankung‘) in: Kazantzakis, Ἀναφορά στόν Γκρέκο, 335-352. Siehe auch Friar, ‚Introduction‘, 3-11; Janiaud-Lust, Nikos Kazantzaki, 183-186; Pour- goumis, ‚Τοτέμ και Ταμπού: Ο Καζαντζάκης αναγνώστης του Freud‘, 379-387. 329 Vgl. Kazantzakis, Ὁ Χριστὸς ξανασταυρώνεται, 116-125, 132-135, 144-145, 158-166, 173- 174, 178-192. 330 Vgl. Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. Prevelakis, 714-716; Jou- venel, ‚Νίκος Καζαντζάκης‘, 1580-1581. 331 Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 100. 332 Vgl. Friar, ‚Introduction‘, 3-11. Er erzählte es mir auch während unserer Begegnung im Herbst 1981.

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Hartocollis ist der Meinung, dass die Krankheit des Kreters sich nicht nur als eine ‚allergische Neurodermitis‘, sondern auch als Ausdruck seiner unterdrückten Ag- gressivität und Sexualität sowie seines Ödipuskomplexes deuten lässt.333 Im Jahr 1938, am Ende der 1940er und am Beginn der 1950er Jahre kehrte der Gesichtsausschlag von Kazantzakis wiederholt zurück, augenscheinlich ohne eroti- schen Anlass.334 Es folgten längere ärztliche Untersuchungen und Krankenhausauf- enthalte in Antibes, Paris und Utrecht (im dortigen Diaconessenziekenhuis)335 mit teilweise fehlerhaften Diagnosen. Im Jahr 1953 erblindete unser Autor sogar am rechten Auge. Schließlich (1954) stellte der Hämatologe Ludwig Heilmeyer (1899- 1960) im Akademischen Krankenhaus in Freiburg eine gutartige chronische lym- phatische Leukämie fest und behandelte den Patienten mit dieser langsamen Ver- laufsform der damals unheilbaren Leukämieerkrankung. Die Krankheit erschöpfte Kazantzakis jedoch und einige weitere Komplikationen führten zu seinem Tod. Wahrscheinlich spielte dieses Leiden auch bei Kazantzakis’ ‚Asketen-Krankheit‘ eine Rolle. Vielleicht war es sogar die echte Ursache.

GENDERFRAGE

Die Genderfrage stellt in den Werken von Kazantzakis im Allgemeinen eine große ‚Baustelle‘ dar. Der männliche Teil der Menschheit wird von ihm sehr hervorgehoben. Er identifizierte die männliche Dimension mit der emporstei- genden Strömung, mit dem Lebensschwung, und die weibliche mit der abstei- genden Strömung, mit der Materie, die dem Prozess der Spiritualisierung im Wege steht. Während der männliche Aspekt für Härte, Strenge und einen star- ken Willen steht, ist der weibliche Aspekt zart, wollüstig und verführerisch. Der ideale Mann will trotz aller Versuchung aufsteigen, während die Frau ihn an die Erde binden möchte. Bestenfalls sind Frauen tapfere Gefährtinnen, die mutigen Männern bei deren Aufgang folgen und sie unterstützen. Diese Eigenschaft schätzte Kazantzakis sehr in seiner ‚Genossin‘ und zweiten Gattin Eleni.336 Au- ßerdem ist es seiner Ansicht nach sehr verdienstvoll, wenn Frauen Söhne gebä- ren und so weitere mögliche ‚Aufsteiger‘ liefern. Der Romanteil von Le Jardin des Rochers, dem Buch, in das der Autor den Großteil seiner Asketik inkorporiert hat, strotzt von Urteilen über Frauen als in erster

333 Vgl. Peter Hartocollis, ‚Mysticism and Violence: The Case of Nikos Kazantzakis‘, The In- ternational Journal of Psychoanalysis 55 (1974) 205-210. 334 Vgl. Michael und Renate Hertl, Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Nikos Kazantzakis: Lebens-Leidens-Jahre mit Leukämie (Würzburg, 2004), 7-9, 93-126. Es handelt sich hier um einen nützlichen, mit großer Sympathie geschriebenen, doch teilweise fehlerhaften Beitrag und leider gehen die beiden auf den früheren Vorfall in Wien 1922 nicht ein. 335 Das Ehepaar Kazantzakis befand sich im November-Dezember 1952 in den Niederlanden. Siehe z.B. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 738-742 (Briefe an Tea Anemoyannis und Pantelis Prevelakis). Eleni war über den Utrechter Arzt sehr enttäuscht. Vgl. ihre Biographie Νίκος Καζαντζάκης: Ὁ Ἀσυμβίβαστος, 597-600, 603-605; Hertl, Rilke, Hesse, Kazantzakis, 113. 336 Eleni war selbst eine talentierte Literatin, stellte aber ihre eigene schriftstellerische Tätigkeit meistens zurück, um ihrem Mann als Sekretärin und Typistin seiner Manuskripte zu helfen.

126 MERKMALE DER ASKETIK

Linie ‚sinnlich‘, ‚kokett‘ und ‚schwach‘. Sie sollten dem Mann ergeben und gehor- sam sein. Trotz ihres Frauseins ist es ihnen jedoch auch manchmal möglich, stark zu sein und den Weg empor zu gehen. Des Weiteren sind mit Ausnahme von Me- lissa die Personen, die im Titel der Werke von Kazantzakis vorkommen, Männer (Leben und Wandel des Alexis Zorbas, Kapitän Michalis, Der Arme Mann Gottes, Buddha, die Christusromane, das Odysseusepos und so weiter). Frauen spielen im- mer eine sekundäre Rolle, die jedoch für heroische Männer oft verführerisch ist und daher gefährlich wird, weil sie dadurch in ihrem Aufstieg bedroht werden. Vor al- lem schöne Frauen werden nicht nur als attraktiv dargestellt, sondern auch mit Ge- walt bedroht. Die Aggression ihnen gegenüber führt gelegentlich sogar zu ihrer Ermordung. Beispielsweise werden die Witwe Sourmelina, Eminé und Katerina in Leben und Wandel des Alexis Zorbas bzw. Kapitän Michalis und Christus wird wiederum gekreuzigt grausam getötet. Die hübsche Sourmelina wird sogar am Os- terfest auf dem Kirchplatz wie ein Osterlamm abgeschlachtet. Doch lässt sich bei Kazantzakis auch im Bereich der Genderfrage Paradoxales beobachten. Zum einen dienen Frauen in seinen Romanen in der Tat oft dazu, die Sexuallust von Männern zu befriedigen, ohne auf gleicher Ebene mit ihnen Um- gang haben zu können. Zum anderen jedoch bewunderte Kazantzakis selbständige Feministinnen und hatte gerne mit ihnen Umgang. Oben war bereits die Rede vom Berliner ‚Feuerkreis‘, der die Asketik mit beeinflusst hat, und von der Philosophin Elli Lambridi. Zum einen treten einige Heldinnen seines Lebens, wie zum Beispiel Rahel Lip- stein, auch in seinem literarischen Œuvre auf. Zum anderen geschieht dies – im Ge- gensatz zu den männlichen Helden seines Lebens (vor allem Zorbas) – nie als Hauptfiguren. Ferner hebt Kazantzakis auf der einen Seite die Aufgabe hervor, Kinder, vor allem Jungen, zu bekommen. Auf der anderen Seite ist er selbst kinder- los geblieben und scheint nicht darunter gelitten zu haben. Im Gegenteil, seine Kin- derlosigkeit trug zu seiner Freiheit bei, fand er. Des Weiteren ist Gott laut der Asketik einerseits ‚Mann und Frau, sterblich und unsterblich, Mist und Geist … sowohl Liebe als auch Tod‘. Andererseits ist in der Asketik klar die Rede von einem ‚männlichen Gott‘.337 Dieser Gott hat viele ‚männ- liche‘ Eigenschaften: mutig und unerschrocken, grausam (wenn es sein muss), im- mer kämpfend, weder zärtlich, liebenswürdig, noch irdisch. Es ringen laut der Asketik in den Eingeweiden zwei Stimmen miteinander: ein Mann und eine Frau. Der emporsteigende Mann will den Tod besiegen, die sitzen- bleibende Frau ist in den Gräbern verwurzelt. Interessanterweise fügte unser Autor in der späteren Überarbeitung seiner Schrift hinzu, dass die beiden Stimmen von ihm selbst sind und dass er keine verneint.338 Für den so sehr zwischen den beiden Geschlechtern unterscheidenden Kazantza- kis war auch die Flüssigkeit von Genderunterschieden kaum denkbar. Präzise Ge- schlechterdifferenzen zwischen ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ lassen sich jedoch weder systematisieren noch fein säuberlich trennen – heute weniger denn je. Sowohl die gesellschaftliche als auch die wissenschaftliche Realität verbietet es zunehmend. Sogar die biologischen Geschlechtsmerkmale sind keine unumstößlichen und un-

337 Kazantzakis, ’Ασκητική, 68 und 91. 338 Vgl. Kazantzakis, ’Ασκητική, 23-24; Kastrinaki, ‚Ο Καζαντζάκης Γνωστικός‘, 48-49.

MERKMALE DER ASKETIK 127 veränderlichen Parameter mehr für eine Fixierung männlicher und weiblicher Iden- tität. Geschlechtliche Identitäten sind keine unveränderlichen Konstanten, sondern sie sind im Fluss.339 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kazantzakis für umfassende Gerechtig- keit und die Gleichwertigkeit aller Völker und aller Menschen eintritt, aber dass er das für das weibliche Geschlecht nicht konsequent durchzieht. In dieser Hinsicht hat er, trotz seiner großartigen Vision und seiner ständigen Anstrengungen, sich vom Bestehenden zu befreien, sich weder von den Ideen über den Stellenwert der Frau, die während seiner Jugend auf Kreta und in Griechenland vorherrschten, noch von den patriarchalen Strukturen seiner Kirche, ihrer asketischen monastischen Tradition und ihrer Theologie lösen können.340 Ähnliches gilt für einige andere brillante männliche Intellektuelle und Schriftstel- ler der damaligen Zeit. Beispielsweise war der österreichische Literat Karl Kraus (1874-1936) ein hervorragender Satiriker und kompromissloser Denker, aber gleichzeitig waren Frauen für ihn in erster Linie aufgrund ihrer Sexualität und Sinn- lichkeit wichtig und sollten vor allem dem ‚geistvollen Mann‘ dienen. Mit Frauen- emanzipation hatte Kraus nichts ‚am Hut‘.341 Doch reicht es nicht aus, nur die damalige (und oft auch noch heutige) gesell- schaftliche und kirchliche Männerherrschaft und die männerdominierten Ge- schlechterbeziehungen als Erklärungsfaktor zu nennen,342 denn man müsste auch die eigenartige Persönlichkeit des kretischen Autors selbst in Betracht ziehen. Ob man Kazantzakis’ Haltung dem weiblichen Geschlecht gegenüber nun auf seine Beziehung zu den Eltern zurückführen möchte oder nicht, ihm einen Ödipuskom- plex zuschreiben möchte oder nicht, Fakt ist, dass im Œuvre von Kazantzakis – trotz seiner wiederholt bezeugten Wertschätzung des anderen Geschlechtes – die

339 Vgl. Basilius J. Groen und Peter Ebenbauer, ‚Männerliturgie – Frauenliturgie – und dann? Beobachtungen und Impulse auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Liturgie‘, in: „…männlich und weiblich schuf er sie…“ (Gen 1,27): Zur Brisanz der Geschlechterfrage in Religion und Gesellschaft, Hg. Sigrid Eder und Irmtraud Fischer, Theologie im kulturellen Dialog 16 (Innsbruck und Wien, 2008), 217-256, hier 255-256. 340 Vgl. Athina Blazoudaki-Stavroulaki, ‚La femme dans la vie et l’œuvre de Kazantzaki‘, Le Regard crétois, Nr. 7 (Juli 1993), 19-35; Georgos Emm. Stefanakis, ‚O Nίκος Καζαντζάκης και οι γυναίκες‘, in: Για τον Νίκο Καζαντζάκη: Είκοσι χρόνια από το θάνατό του, Hg. Elli Alexiou und Georgos Emm. Stefanakis (Athen, 1977), 73-83; Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. II, 547-549; Mariëtta Ioannidou, ‚Nikos Kazantzakis: Verachter of bezinger van de vrouw?‘, Tetradio 16 (2007) 149-180; Prevelakis, Καζαντζάκης, 58-59. Allerdings lässt der bereits genannte Georgios Stamatiou die negative Kritik nicht gelten: seiner Mei- nung nach ächtete Kazantzakis Frauen gar nicht, sondern hegte den allergrößten Respekt vor ihnen. Vgl. sein Buch Ἡ γυναῖκα στὴ ζωὴ καὶ στὸ ἔργο τοῦ Νίκου Καζαντζάκη, 12. 341 Vgl. Hilde Schmölzer, ‚Welches Frauenbild hatte Karl Kraus?‘, Der Standard [österreichi- sche Tageszeitung], 21. März 2015, A3. 342 Vgl. für eine einschlägige Übersicht in Bezug auf Südosteuropa und den Mittleren Osten Karl Kaser, ‚Familien- und Geschlechterbeziehungen in der Türkei und auf dem Balkan‘, in: Der Balkan: Religion, Gesellschaft und Kultur, Hg. Basilius J. Groen und Saskia Löser, The- ologie im kulturellen Dialog 21 (Innsbruck, 2011), 77-96; Karl Kaser, Balkan und Naher Os- ten: Einführung in eine gemeinsame Geschichte, Zur Kunde Südosteuropas II/40 (Wien, 2011), 337-358. Siehe auch ders., Freundschaft und Feindschaft auf dem Balkan: Euro- balkanische Herausforderungen (Klagenfurt, 2001), 91-116; Aris Anagnostopoulos, ‚Writing the Cretan Woman: Gender and Society in Two Ethographies of Fin-de-Siècle Crete‘, Jour- nal of Modern Greek Studies 32 (2014) 81-109.

128 MERKMALE DER ASKETIK

Ungleichheit von Frauen sowie Gewalt und Aggression ihnen gegenüber ein roter Faden ist. Die beiden griechisch-amerikanischen Psychiater Peter Hartocollis und Petros Sakellaropoulos sowie die griechische Philologin Athina Blazoudaki-Stavroulaki, die diese Causa untersucht haben, stellen jedoch fest, dass Kazantzakis seine Ag- gression und seinen Sadismus nur literarisch, nicht in seinem eigenen Leben äußert. Ihrer Meinung nach schmälert dies nicht die hohe Qualität seines literarischen Wer- kes. Er hat psychopathologische Phänomene, vor allem seine großen Ängste, in Kreativität verwandelt. Aus seelischer Finsternis wurde literarisches Licht.343 Doch ließ er dabei den Großteil der Menschheit (Frauen) im Schatten zurück.

343 Hartocollis, ‚Mysticism and Violence‘; Petros Sakellaropoulos, ‚A Discussion on the Paper by Peter Hartocollis on „Mysticism and Violence: The Case of Nikos Kazantzakis“‘, The In- ternational Journal of Psychoanalysis 55 (1974) 211-213; Blazoudaki-Stavroulaki, ‚La femme dans la vie et l’œuvre de Kazantzaki‘, 33-35.

7. NACHWIRKUNG DER ASKETIK UND NEGATIVE REAKTIONEN

Bis zu seinem Lebensende betrachtete Kazantzakis die Asketik und die Odyssee als seine beiden wichtigsten Schriften. Die Asketik, seinen ‚blutbefleckten Schrei‘,344 hielt er für sein endgültiges ‚Credo‘, für den Schlüssel zum guten und richtigen Verständnis seines gesamten literarischen Œuvre. Beispielsweise schrieb er im Mai 1946 über die Asketik: ‚…dieses Werk ist der Kern meines gesamten Lebens und der intellektuelle, geistliche und physische Schlüssel dazu. Nichts Anderes erläutert mein Dasein mit größerer Ge- nauigkeit und Leidenschaft. Mein ganzes Œuvre stellt schlechthin die Anwendung und Analyse dieses wesentlichen Schreies dar.‘345 Und 1951 schrieb er über seine Schrift: ‚…sie ist meine innere Biographie, der innere Kampf, den ich aufnahm, um mich von Göttern und Teufeln zu befreien und ein freier Mensch zu werden. Die Asketik ist der Schlüssel zu meiner Seele.‘346 Doch ist die Asketik, trotz ihres hohen Stellenwertes und trotz der Tatsache, dass der Autor sie mehrmals revidiert hat und sie erst im Jahr 1944 als vollendet betrach- tete, ‚nur‘ eine äußerst wichtige Entwicklungsphase im Gesamtwerk. Beispielswei- se kommt die Betonung der zwischenmenschlichen Solidarität und Gerechtigkeit in den späteren Romanen viel expliziter zum Ausdruck als in der Asketik. Die Schlüsselposition der Asketik wird von einigen führenden Kazantzakis-Ex- perten bestätigt. So schreibt beispielsweise der amerikanische Literaturprofessor Peter Bien (geb. 1930): ‚Die Wichtigkeit dieses Werkes in Bezug auf Kazantzakis’ Lebenslauf kann nicht übertrieben werden.‘347 Und: ‚Jeder seiner Romane war ein Versuch, die Askitikí, Salvatores Dei mittels Szenario und Charakterisierung umzu- schreiben…‘348 Der griechisch-amerikanische Literat Kimon Friar sagt über diese Schrift: ‚Es ist der Schlüssel zu seinem Gesamtwerk….‘349 Der englisch-amerikani- sche Literatur- und Theologieprofessor Darren Middleton (geb. 1966) meint: ‚Zweifelsohne dient The Saviors of God als das intellektuelle Rückgrat von Kazant-

344 The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 512 (Brief an Minas Dimakis aus dem Jahr 1938). 345 The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 612 (Brief an Emile Chourmouzios). Doch schreibt Kazantzakis Ähnliches über seine Odyssee: ‚Aus den Perspektiven der dichte- rischen Gestalt und des philosophischen Inhaltes ist die Odyssee der höchste Gipfel, den ich erreichen konnte, nachdem ich mich ein ganzes Leben lang dafür eingesetzt habe, dem Geist zu dienen.‘ Ebd., 646 (Brief an Börje Knös, Juni 1947), siehe auch ebd., 769 (Brief an Börje Knös). Für den kretischen Autor gehören die beiden Werke eigentlich zusammen: In der Odyssee kommt das Credo der Asketik zum Ausdruck, vgl. ebd., 717 (Brief an Kimon Friar). 346 The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 722 (Brief an Kimon Friar). Siehe über die enorme Bedeutung, die Kazantzakis der Asketik sowie der Odyssee beimisst, auch ebd., 774 (Brief an Apostolos Sachinis) und 777, 792 (Briefe an Börje Knös). 347 Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 67. 348 Bien, Nikos Kazantzakis Novelist, 10. 349 Friar, ‚The Spiritual Odyssey of Nikos Kazantzakis‘, 17.

130 NACHWIRKUNG DER ASKETIK zakis’ Werk‘.350 Auch könnte man den griechischen Kazantzakis-Experten Geor- gios Stefanakis zitieren: ‚Die Asketik … war die Wurzel seines schriftstellerischen Gesamtwerkes …‘.351 Als aber die Asketik in Griechenland erschien, gab es nur wenige Kritiker/innen und Leser/innen, die davon positiv beeindruckt waren. Kazantzakis war sowohl über diese Lauheit als auch über die vielen negativen Urteile enttäuscht und nannte seine Landsleute ‚debile Sardinenseelen‘, die einen ‚Schwertfisch‘ wie ihn nicht verstehen konnten.352 Er sah jedoch ein, dass die Asketik schwierige Lektüre war und dass nur sehr wenige Leute sie verstehen konnten. Die Lektüre dieses ‚furcht- baren, blutrünstigen Schreis‘ erfordere ‚furchtbare Übung‘, hohe Spiritualität und Intellektualität.353 Insbesondere bedauerte der Autor, dass viele Leser/innen sich auf die literarische, poetische Form, nicht auf den Protestschrei und das künftige Antlitz Gottes konzentrierten.354 Damit der Asketik-Schrei gehört werden könnte, setzte der Autor sich sehr dafür ein, dass seine Schrift von möglichst vielen gelesen werden konnte. Beispielsweise wurde die revidierte Ausgabe von 1945 zahlreichen griechi- schen Tageszeitungen und Zeitschriften sowie einer Reihe von Kritikern ge- schickt.355 Umso mehr freute Kazantzakis sich über die positiven Reaktionen einiger be- kannter Intellektueller im Ausland. Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (1881-1942) zum Beispiel schrieb ihm 1930, dass er von der Asketik begeistert war und dass dieses Werk nicht Kazantzakis, sondern der Welt gehörte. Kazantzakis war jedoch auch enttäuscht darüber, dass Zweig zwar seine Hilfe für die Publikati- on anbot – wahrscheinlich handelt es sich dabei um die deutsche Übersetzung –, aber dieses Angebot nicht in die Tat umsetzte.356

KOMMUNISTISCHE REAKTIONEN UND VERHINDERTER LITERATURNOBELPREIS

Einigen Kritikern in Griechenland entging die mystische Ebene; sie fanden ins- besondere die 1928 modifizierten Schlussseiten ‚nihilistisch‘ im schlechten Sin-

350 Middleton, Broken Hallelujah, 42 (Anm. 2). 351 Stefanakis, Ἀναφορά στόν Καζαντζάκη, 20-21. 352 Eleni Kazantzaki, Νίκος Καζαντζάκης: Ὁ Ἀσυμβίβαστος, 209; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 267, 272 (Briefe an Eleni Samiou). 353 Eleni Kazantzaki, Νίκος Καζαντζάκης: Ὁ Ἀσυμβίβαστος, 214; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 277, 279 (Briefe an Eleni Samiou). 354 Siehe auch Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, 44. Dies erinnert mich an das bittere Bedauern des bedeutsamen niederländischen Autors Multatuli (Pseudonym von Eduard Douwes Dekker, 1820-1887) in Bezug auf die Kritiken nach dem Erscheinen seines meisterhaften sozial-politischen Romans Max Havelaar of de koffiveilingen der Nederland- sche Handel-Maatschappy (1860), in dem er die niederländische Kolonialherrschaft in Indo- nesien (damals: ‚Nederlands Oost-Indië‘) an den Pranger stellt und sein eigenes dortiges Handeln rechtfertigt. Laut Multatuli konzentrierten die Kritiker sich nur auf die literarische Form, nicht auf den explosiven Inhalt seines Buches. 355 Vgl. die Liste in Alexiou, Γιά νά γίνει μεγάλος, 236-237. 356 Vgl. Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. Prevelakis, 187.

NACHWIRKUNG DER ASKETIK 131 ne des Wortes. Andere, namentlich aus kommunistischen Kreisen, fanden die Schrift nicht nützlich genug für eine radikale Gesellschaftsreform: zu ‚mystisch‘ und zu ‚theoretisch‘, sogar ‚reaktionär‘. Bis zu seinem Lebensende wurde Ka- zantzakis von den griechischen Kommunisten abgelehnt und denunziert. (Oben nannte ich schon die negativ-kritischen Beobachtungen seiner mit dem Kom- munismus sympathisierenden ersten Gattin Galatia.) Auch wenn er 1956 den Friedenspreis des kommunistischen Ostblocks erhielt – der Preis wurde ihm aufgrund ‚des Einsatzes für den Frieden und die Menschenwürde in seinem Œuvre‘ am 28. Juni desselben Jahres in Wien verliehen – und er das chinesische Modell des Kommunismus attraktiv fand, war er in der Tat kein Kommunist, auch weil er sich keinem ‚Lager‘ zuordnen ließ.357 Auch als er Anfang der 1920er Jahre, also etwa zu der Zeit, als er die Asketik verfasste, vom Kommu- nismus und von Russland schwärmte, betrachtete er die kommunistische Um- wälzung vornehmlich als eine Übergangsphase und als ein Mittel Gottes zur Verwandlung dieser Welt, nicht als ein Endziel. Diese ‚Kreuzigung‘, einschließ- lich aller Gräuel, war seiner Meinung nach unverzichtbar, um zur ‚Auferste- hung‘ zu gelangen. Doch war er wie gesagt später vom russischen Kommunis- mus weniger begeistert. Seine wichtigsten Bedenken gegen ihn waren der Rati- onalismus und der Materialismus, die seiner Meinung nach Erzeugnisse der westlichen Mentalität waren. Im Grunde war der Dichter ‚kein Sozialrevolutionär, sondern ein Sozialethi- ker‘.358 Während er für das ‚bürgerliche‘ Lager seines Landes ein unerwünschter ‚Aufwiegler‘ und ‚Revolutionär‘ war, blieb er für die griechischen Kommunisten ein ‚reaktionärer Gottesschwärmer‘ und ein suspekter ‚Bourgeois‘.359 Beispielswei- se definierte der marxistische Historiker Giannis Kordatos (1891-1961) ihn als ei- nen oberflächlichen, nicht fortschrittlichen, sondern eher reaktionären Idealisten, Mystiker und Utopisten, einen widersprüchlichen und unaufrichtigen ‚Weltverbes- serer‘, der sich nicht für die aktuellen Probleme der Gesellschaft interessierte. Laut Kordatos ist Kazantzakis ein international sehr überschätzter Autor, der in Europa und Amerika zwar begeistert rezipiert wird, aber nur weil die dortigen Gesellschaf- ten ‚bürgerlich‘ und empfänglich für die Sentimentalität des Kreters sind.360 Die Verleumdungskampagnen, die in Griechenland namentlich von einigen nati- onalistischen und rechten sowie von traditionalistischen kirchlichen Kreisen gegen den angeblich ‚kommunistischen‘, ‚häretischen‘ und ‚atheistischen‘ Kazantzakis geführt wurden und die auch in einigen anderen Ländern einen Nährboden fanden, erklären wahrscheinlich die Tatsache, dass der berühmte kretische Schriftsteller nie den Literaturnobelpreis erhielt. Bereits in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre war er gemeinsam mit einem anderen griechischen Literaten, dem Dichter und alten Freund Angelos Sikelianos, für diesen Preis nominiert worden. Doch wurde die gemeinsame Nominierung eher als ein Nachteil betrachtet. Zudem existierte eine gewisse Konkurrenz zwischen den beiden. Kazantzakis war der Meinung, dass er

357 Siehe z.B. Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. Prevelakis, 464-465; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 499. 358 Tzermias, Die neugriechische Literatur, 139. 359 Vgl. Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 167-184. 360 Vgl. Gianis Kordatos, Ἱστορία τῆς Νεοελληνικῆς Λογοτεχνίας (Ἀπὸ τὸ 1453 ὡς τὸ 1961) (Athen, 1962), 468-480.

132 NACHWIRKUNG DER ASKETIK sich selbst sehr für seinen alten Freund Angelos einsetzte, aber dass dies umgekehrt nicht der Fall war. Er hielt Sikelianos für einen selbstgenügsamen ‚Pfau‘, der es nicht ertragen konnte, neben einem ‚Goldadler‘ zu stehen.361 Des Weiteren schien Kazantzakis Mitte der 1950er Jahre mehrmals der wichtigste Kandidat für den No- belpreis zu sein. Trotzdem entging ihm diese Auszeichnung knapp. Die Denunzie- rungen seiner Person und seines Werkes durch griechische Regierungskreise und andere verfehlten ihre Wirkung nicht.362 Einerseits war Kazantzakis sehr ehrgeizig und hielt den Nobelpreis für die angemessene weltweite Anerkennung seines Œuv- res. Andererseits verhielt er sich nicht verbittert, als 1956 der spanische Dichter Juan Ramón Jiménez (1881-1958) und 1957 der französische Schriftsteller Albert Camus diese Auszeichnung bekamen, und er schickte ihnen ein Glückwunschtele- gramm. Camus erklärte später, dass Kazantzakis den Nobelpreis ‚hundertmal mehr‘ als er selbst verdient hätte. Der deutsche Literat Thomas Mann (1875-1955) hatte bereits erklärt, dass Kazantzakis einer der ganz Großen war. Das mag kein Ruhmesblatt für das norwegische, den Nobelpreis verleihende Komitee sein. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass in jener Periode das ‚Ge- spenst‘ der Angst vor dem Kommunismus durch die westliche Welt schweifte – man denke auch an den Umfang der antikommunistischen Treibjagd des amerikani- schen republikanischen Senators Joseph McCarthy (1908-1957) – und dass dadurch viele Künstler/innen denunziert und ernsthaft in ihrer Karriere geschädigt worden sind.363 In Griechenland selbst wurden nach dem Bürgerkrieg und der endgültigen Niederlage der kommunistischen Truppen (1949) Kommunist/inn/en bis zur Mitte der 1970er Jahre in die Illegalität gedrängt und mussten mit ernsthaften Benachtei- ligungen im Alltagsleben, einschließlich Internierung, rechnen. Im Jahr 1963 erhielt jedoch ein anderer Grieche, Georgos Seferis (1900-1871) den weltweit wichtigsten Literaturpreis, und zwar aufgrund ‚seiner großartigen Ly- rik, die von seinem tiefen Empfinden der hellenischen Kultur‘ angeregt wurde. In seinem Œuvre spielen Themen des klassischen griechischen Altertums in der Tat eine wichtige Rolle. In seiner späteren Dichtung kommen auch christliche Themen vor, allerdings in erster Linie als Teil der griechischen Kultur. Im Jahr 1979 ging der Literaturnobelpreis abermals nach Hellas und es bekam ihn der Kreter Odysseas Elytis (1911 wie Nikos Kazantzakis in Heraklion geboren, gest. 1996). Wie Kazantzakis inkorporiert auch Elytis viele christliche Begriffe in seiner Dichtung, insbesondere in seinem bekanntesten Werk Das ‚Würdig ist es‘ (Τὸ Ἄξιον ἐστι).364 Mit diesem Titel macht der Dichter eine Anspielung sowohl auf eine berühmte Marienikone auf dem Berg Athos als auch auf mit diesen Worten beginnende liturgische Gesänge, insbesondere auf das bekannte Marienlied (μεγαλυνάριον), das während der eucharistischen Anaphora zu Ehren der Gottes-

361 Vgl. Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. II, 261-263. Siehe jedoch Alexiou, Γιά νά γίνει μεγάλος, 362-364, die der Meinung ist, Kazantzakis hätte Sikelianos in diesem Fall nicht unterstützt, sondern gegen ihn agiert. 362 Siehe auch Patroklos Stavrou, ‚Οταν δεν τους περίμεναν‘, in: Το Βήμα [griechische Tages- zeitung]: Το Αλλο Βήμα, 15. Oktober 2000, 6-8. 363 Vgl. Geert Mak, Reizen zonder John: Op zoek naar Amerika (Amsterdam, 2012), 89-92. 364 Vgl. Odysseas Elytis, Τὸ Ἄξιον ἐστι (Athen, 131980, Erstausgabe 1959). Mikis Theodorakis vertonte Teile zu einem ‚Volksoratorium‘; einige Lieder davon wurden beliebt und vielge- sungen.

NACHWIRKUNG DER ASKETIK 133 mutter gesungen wird,365 und auf zwei Troparien zu Ehren Christi, des Lebenspen- ders und Schöpfers, die während der Prozession mit seinem Grabestuch (ἐπιτάφιος) am Karfreitagabend gesungen werden.366 In der gesamten lyrischen Schrift macht der Dichter nicht nur Anleihen bei der altgriechischen Literatur (bei Homer und vielen anderen), bei der Volkspoesie und neugriechischen Dichtern, sondern auch bei der Bibel und der orthodoxen liturgischen Tradition. Auf der einen Seite kannte Elytis mehrere orthodoxe gottesdienstliche Texte und Rituale aus seiner Jugend; auf der anderen Seite konsultierte er beim Schreiben seiner Poesie ein Synekdimos.367 Die Kapitel von Das ‚Würdig ist es‘ heißen beispielsweise ‚Genesis‘, ‚die Passion‘ und ‚Propheticum‘ und es kommen ‚Lesungen‘, ‚Oden‘ und ‚Psalmen‘ vor. Auch im Schlusskapitel (Τὸ Δοξαστικὸν) wird mit dessen Titel und den häufig vorkom- menden Ausdrücken ‚Würdig ist es‘ und ‚Sei gegrüßt‘ (Χαῖρε) wiederum eine An- leihe bei der orthodoxen Liturgie gemacht. Wie Kazantzakis füllt auch Elytis diese christlich-orthodoxen Begriffe mit einem anderen Inhalt als dem traditionell-kirchlichen. Er benutzt die biblischen und kirch- lichen Metaphern zwar oft wörtlich, stellt sie aber in den Kontext seiner Verbun- denheit mit Griechenland, der griechischen Sprache, Natur, Sonne, dem Meer, der Liebe, der Sinne und der Zeitgeschichte, vor allem der Geschichte der schmerzvol- len 1940er Jahre. Auch wenn der griechisch-orthodoxen liturgischen und spirituel- len Tradition Hinweise auf die Natur und die Kulturgeschichte nicht fremd sind, positioniert Elytis die dieser Tradition eigenen Begriffe in einem anderen Zusam- menhang. Dabei verschwinden traditionell christliche Lehrstücke wie der Glaube an einem persönlichen Gott, das Heilswirken von Jesus Christus sowie dessen Kreu- zestod und Auferstehung, der Glaube an die Gottesmutter Maria – trotz des Titels der Lyrikschrift – und an ein Jenseits hinter dem Horizont. Einerseits sieht Das ‚Würdig ist es‘ auf den ersten Blick sehr orthodox-liturgisch und -spirituell aus, an- dererseits geht es im Grunde andere Wege.368 Die von Elytis vorgenommene termi- nologische Aneignung der orthodoxen Tradition dient einem großartigen Loblied, das ganz Hellas betrifft, einschließlich seiner Sprache und Natur. Die Orthodoxie gehört auch dazu, aber sie ist nur ein Teil davon und der Dichter-Schöpfer unter- wirft sie seiner Schaffenskraft und modifiziert sie. Die Tatsache, dass sowohl Seferis als auch Elytis den Literaturnobelpreis beka- men, hat natürlich an erster Stelle damit zu tun, dass beide hervorragende Dichter sind. Weltweit gibt es jedoch viele bedeutende Lyriker/innen. Vielleicht darf man

365 Vgl. Die Göttliche Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomos, Hg. Kallis, 124-125. 366 Vgl. Ἡ Ἁγία καὶ Μεγάλη Ἑβδομάς, Red. Papagiannis, 302, 308. 367 Ein Synekdimos ist eine Art gottesdienstliches Vademecum, d.h. ein liturgisches Buch für die Gläubigen mit den Texten der Stundenliturgie, Eucharistie, Lesungen und Gebeten der wich- tigsten Feste im Lauf des Jahres, Bittgottesdienste, Hymnos Akathistos, anderer beliebter Gottesdienste usw. Vgl. zum Beispiel Mέγας καὶ ἱερός Συνέκδημος ὀρθοδόξου χριστιανοῦ (Athen, 1972). 368 Vgl. Anthony Hirst, God and the Poetic Ego: The Appropriation of Biblical and Liturgical Language in the Poetry of Palamas, Sikelianos and Elytis, Byzantine and Neohellenic Stud- ies 1 (Bern u.a., 2004), 281-377, 384-386. Positiver in Bezug auf den orthodoxen Inhalt von Elytis’ Dichtung ist: Evangelia Galani, Die lebendige Tradition der byzantinischen liturgi- schen Dichtung in der neugriechischen Lyrik am Beispiel des ‚Axion Esti‘ von Odysseas Ely- tis (Amsterdam, 1988). Siehe auch Andriëtte M. Stathi-Schoorel, ‚Nawoord‘, in: Odysséas Elýtis, Lof zij [TO ÁΞIΟΝ EΣΤÍ], Übers. dies. und Hero Hokwerda, Tweede Ronde Reeks 6 (Amsterdam, 1991), 157-164.

134 NACHWIRKUNG DER ASKETIK auf noch einen Faktor hinweisen, nämlich auf die Möglichkeit, dass die Kandidatur von Kazantzakis und seine literarischen Erfolge die ‚Augen der Welt‘ für die Viel- gestaltigkeit und das hohe Niveau der modernen griechischen Literatur geöffnet haben und dass so der Einsatz des Kreters in diesem Bereich nicht völlig fruchtlos geblieben ist.

KIRCHLICHE REAKTIONEN

In Griechenland drohten 1930 ein orthodoxer Bischof (Metropolit Athanasios von Syros, Tinos und Andros) und der Athener Staatsanwalt Giorgos Kiourtsa- kis (1885-1955) unserem Autor aufgrund des vermeintlichen Atheismus in sei- nem Buch ein Gerichtsverfahren an.369 Obwohl dieser Prozess letztendlich nicht stattfand, verfolgte die Atheismus-Klage Kazantzakis sein ganzes Leben hinweg und zahllose griechische Zeitungen und kirchliche Publikationen veröffentlich- ten heftige Polemiken gegen ihn. Er wurde also sowohl von kommunistischer als auch von kirchlicher Seite denunziert. Die Heilige Synode der Orthodoxen Kirche Griechenlands unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Athen klagte Kazantzakis 1953-1954 wegen einiger angeblich ‚immoralischer, irreligiöser und unpatriotischer‘ Passagen aus Kapitän Michalis und seinem ‚blasphemischen‘ Roman Die letzte Versuchung an.370 Die Synode empfahl den Gläubigen nachdrücklich, diese beiden ‚giftigen‘ Bücher ungelesen zu lassen, und sie bat die staatlichen Behörden, diese Werke sowie Christus wird wie- derum gekreuzigt zu verbieten. Die griechische Originalversion von Die letzte Ver- suchung war jedoch damals noch immer nicht in Griechenland erschienen und irr- tümlich ersuchte die Hl. Synode den Staat, die griechische Übersetzung des ‚deut- schen Originals‘ (sic!) zu untersagen. Der Autor selbst sollte von der zuständigen kirchlichen Behörde bestraft werden – als Kreter fiel Kazantzakis nicht in den Be- reich der Athener Synode –, aber ‚Athen‘ möchte ihn trotzdem maßregeln. Der Anklagetext der Hl. Synode entfachte in der griechischen öffentlichen Mei- nung eine heftige Diskussion pro et contra die Religiosität Kazantzakis’. Die Ange- legenheit wurde 1955 sogar viermal im griechischen Parlament besprochen. Die Stadt Heraklion beschloss am 1. März 1955 einen Antrag, in dem man heftig gegen die kirchliche Verfolgung des berühmten Stadtgenossen protestierte und alle Be-

369 Vgl. Papadakis, ‚Νίκος Καζαντζάκης και Εκπαιδευτικός Δημοτικισμός‘, 103-104; Bien, Ka- zantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, 274 (Anm. 14); The Selected Letters of Nikos Kazantz- akis, Hg. Bien, 390-391 (Brief an Ioannis Angelakis); Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. Prevelakis, 192, 194 (Anm. 1). Yannis Kiourtsakis (geb. 1941), Sohn des damaligen Staatsanwaltes, beschreibt in seinem meisterhaften Roman die Gestalt seines Vaters und erwähnt, dass der damals strenge und konservative Staatsanwalt (den der kleine Yannis nur als einen zärtlichen Vater kannte) im Februar 1928 ein Strafverfahren gegen Kazantzakis und einige andere eingeleitet hat – dies aufgrund ihres Anteils an einigen in Athen geschehenen Vorfällen von ‚kommunistischer Hetzerei‘ und ‚Revolutionsversuchen‘. Die Anklage im Zusammenhang mit der Asketik wird im Roman nicht genannt. Vgl. Kiourtsakis, Σάν Μυθιστόρημα, 90-92, 132-134, 247-248. 370 Vgl. die Verlautbarung der Hl. Synode vom 30. Juni 1954: Iera Synodos, ‚Περὶ τοῦ ζητήματος Ν. Καζαντζάκη‘, Ἐκκλησία 31 (1954) 221-222.

NACHWIRKUNG DER ASKETIK 135 hörden dringend darum bat, auf ‚mittelalterliche jesuitische (sic!) Methoden‘ zu verzichten.371 Andere Städte, beispielsweise Chania, Rethymno und Thessaloniki, folgten mit ähnlichen Anträgen. Allmählich flaute die Diskussion ab. Erst Ende 1955 konnte Die letzte Versuchung in Hellas auf den Markt gebracht werden, also erst drei Jahre nach dem Erscheinen der deutschen Übersetzung. Inzwischen hatte auch die Leitung der griechisch-orthodoxen Kirche in Amerika den Autor verurteilt. Dabei bezog sie sich übrigens auf eine sehr negative Besprechung in der griechi- schen Zeitung Estia (Ἑστία, Herd); das Buch selbst hatte man nicht gelesen!372 Allerdings lehnte Patriarch Athenagoras von Konstantinopel (im Amt 1948- 1972), zu dessen Jurisdiktion auch die Insel Kreta gehörte, das Ersuchen der Athe- ner Hl. Synode, kirchliche Sanktionen gegen Kazantzakis zu verhängen und ihn zu exkommunizieren, ab. Es gab also kein formelles Exkommunikationsverfahren und auch eine 2003 durchgeführte Suche im Archiv des Konstantinopler Patriarchates in Istanbul ergab, dass sich dort keine einschlägigen Dokumente befinden.373 Patriarch Athenagoras hielt unseren Autor für sehr religiös und sagte, als er 1963 Kreta be- suchte, öffentlich, dass ‚Kazantzakis ein Großer ist und dass seine Bücher die Pa- triarchalbibliothek schmücken.‘374 Auch einige andere fortschrittliche orthodoxe Hierarchen und Kleriker wie Erzpriester Georgios Pyrounakis (1910-1988) hatten sich für den kretischen Autor eingesetzt.375 Wichtig scheint ebenfalls die eigenwil- lige griechische Königin Friederike (1917-1981, im Amt 1947-1964) gewesen zu sein. Anscheinend hat sie ihren großen Einfluss zu Gunsten von Kazantzakis ange- wandt.376

371 Dimos Herakliou Kritis, Ἀναμνηστικό Λεύκωμα Νίκου Καζαντζάκη (Athen, 1961), 83-85. 372 Vgl. Michael Antonakes, ‚Christ, Kazantzakis, and Controversy in Greece‘, in: God’s Strug- gler, Hg. Middleton und Bien, 23-35; Stefanakis, Ἀναφορά στόν Καζαντζάκη, 229-262; Patroklos Stavrou, ‚Ἐπίμετρο: Ἐνημερωτικὸ σημείωμα‘, in: Kazantzakis, Ὁ τελευταῖος πειρασμός, 509-545; vgl. die Dokumentation der Parlamentsdebatte, 547-583. Siehe auch das Stimmungsbild in Georgios I. Panagiotakis, Νίκος Καζαντζάκης: Η μορφή και το έργο του (Heraklion, 2001), 268-281; The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 771, 776, 790 (Briefe an Agnis Rousopoulou), 775 (Brief an Petros Charis), 776-777 (Brief an Börje Knös); Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. Prevelakis, 684, 689. 373 Vgl. Kleopatra Prifti, Ο ένθεος και κατατρεγμένος Καζαντζάκης (Athen, 22005), 81-82. 374 Synthesis (Informationsbulletin der ‚Société internationale des amis de Nikos Kazantzaki‘), Nr. 3 (Dezember 2003), 1-2 : ‚Ὁ Καζαντζάκης εἶναι μέγας καὶ τὰ βιβλία του κοσμοῦν τὴν πατριαρχικὴ βιβλιοθήκη‘. Siehe auch die Aussage dieses Patriarchen über Kazantzakis aus dem Jahr 1971 in: Prifti, Ο ένθεος και κατατρεγμένος Καζαντζάκης, 79: ‚Ich liebe ihn sehr‘ (‚Τον αγαπώ πολύ‘). Der heutige Patriarch von Konstantinopel, Bartholomeos (im Amt seit 1991), erklärte 1995 jedoch, dass ‚Nikos Kazantzakis zwar ein großer Denker und Schrift- steller, aber leider oft dem manichäistischen Dualismus des westeuropäischen Denken ver- haftet war und so einen Gegensatz zu unserer orientalischen orthodoxen Tradition bildete.‘ Siehe ebd., 80. 375 Siehe auch Georgios Pyrounakis, ‚Ο ένθεος Καζαντζάκης‘, in: Prifti, Ο ένθεος και κατατρεγμένος Καζαντζάκης, 29-42. Ich besuchte Pyrounakis am 6. Juli 1984 in seiner Athe- ner Wohnung und sprach mit ihm über seine Seelsorge, insbesondere seine pastorale Arbeit für Jugendliche, Arbeiter/innen und Obdachlose. Vgl. auch Fotini Ikonomou, π. Γεώργιος Πυρουνάκης: Η θεολογία και το έργο ενός ελεύθερου ανθρώπου (Athen, 2014). 376 Vgl. Eleni Kazantzaki, Νίκος Καζαντζάκης: Ὁ Ἀσυμβίβαστος, 621; Jeanne Favret-Saada, ‚Blasphème en toute piété: L’affaire Kazantzaki 1953-1955‘, Le Regard crétois, Nr. 16 (De- zember 1997), 31-35. Erwähnenswert ist auch die Unterstützung durch Marie Bonaparte (1882-1962), eine Psycho- analytikerin und Schriftstellerin und ehemalige Gattin des griechischen Prinzen Georgios (1869-1957). Kazantzakis widmete ihr Die letzte Versuchung.

136 NACHWIRKUNG DER ASKETIK

Auch nach dem Tod unseres Autors wurde die heftige Polemik gegen ihn seitens der Orthodoxen Kirche Griechenlands fortgesetzt. Beispielsweise erschien Mitte der 1960er Jahre ein Lemma in der bedeutsamen Religiöse und Ethische Enzyklo- pädie, in dem behauptet wird, dass es Kazantzakis’ Anliegen ist, die Werte des christlichen Glaubens zu vernichten. Er ist zwar ein hervorragender Literat und Kenner des Neugriechischen, aber sein Ziel ist, die Kirche und das Heilige zu besu- deln. Er ist übermütig und nimmt es mit Gott auf. Sein theologisches Credo ist ‚tie- risch und einfältig‘. Obwohl ausnahmsweise sein Buch über den hl. Franziskus er- baulich ist, stürzt sein Œuvre die Leser/innen in den Abgrund.377 Für eine Kirchenführung, die sich sowohl als die Hüterin der althergebrachten re- ligiösen Tradition als auch als Garantin der Moral und nationaler Werte verstand, mussten die Auffassungen von Kazantzakis wohl als ein Affront erscheinen. Für die meisten orthodoxen Hierarchen – sowie für viele Politiker/innen und andere grie- chische Bürger/innen – waren religiöse und weltanschauliche Multiformität und Multikulturalität unerwünscht, auch weil diese Phänomene neu für sie waren und sie an deren Konzepte nicht gewöhnt waren. Die Kirchenführung befürchtete ‚Iden- titätsverlust‘ und Machtverlust und wollte ihre Gläubigen vor Pluralismus und der damit einhergehenden ‚Verwirrung‘ ‚schützen‘. Daher wies sie gerne darauf hin, dass ‚ihre Leute‘ homogen und ‚rein‘ waren, sowohl in ethnischer als auch in reli- giöser Hinsicht, und sie prangerte den ‚synkretistischen Universalismus‘ an. Ka- zantzakis war mit seinem eklektizistischen weltanschaulichen Amalgam und mit seiner systematischen Unterschätzung des kirchlichen Schutznetzes und des Be- dürfnisses vieler Menschen nach religiöser Ritualität selbstverständlich ein ‚rotes Tuch‘ für die Kirchenführung. Nichtsdestotrotz gab es auch Ausnahmen, wie den visionären und vergleichswei- se sehr progressiven Patriarchen Athenagoras und den aufgeschlossenen, in Eng- land ansässigen Erzbischof Germanos. Kazantzakis’ guter Freund und Unterstützer, Pantelis Prevelakis, trug einen ihm vom Patriarchat von Konstantinopel verliehenen Ehrentitel (‚Vornehmer Herr‘, Ἄρχων). Oben erwähnte ich bereits, dass der Theolo- ge Alexandros Papaderos in der aufgeheizten Atmosphäre in Athen einen öffentli- chen Vortrag hielt, in dem er die literarische und spirituelle Gottessuche des kreti- schen Schriftstellers positiv darstellte (21. Februar 1967). Bei diesem Vortrag wa- ren auch kretische Bischöfe, die Kazantzakis nicht negativ gegenüber standen, anwesend, beispielsweise der sozial engagierte und beim Volk beliebte Irineos Ga- lanakis (1911-2013).378 Des Weiteren gibt es heutzutage, wie wir oben sahen, einige orthodoxe Bischöfe und Theologieprofessoren, die die Gottessuche von Kazantza- kis ausdrücklich positiv beurteilen und dafür eintreten, sich mit seinem Œuvre zu beschäftigen. Außerdem strengten in den 1950er Jahren amerikanische Protestanten in Kali- fornien und anderswo sich an, Die letzte Versuchung aus den öffentlichen Biblio- theken zu entfernen; dadurch wurde es ein Bestseller. Die Leitung der römisch- katholischen Kirche stellte diesen Roman auf den katholischen Index der verbote- nen Bücher: Das Hl. Offizium (Vorgänger der heutigen Glaubenskongregation)

377 Vgl. Vasilios Moustakis, ‚Καζαντζάκης, Νίκος‘, Θρησκευτικὴ καὶ Ἠθικὴ Ἐγκυκλοπαιδεία 7 (1965) 149-151. 378 Vgl. Papaderos, ‚Ἀπὸ τὴν ἀναστροφή μου μὲ τὸ ἔργο τοῦ Καζαντζάκη‘, 661-663.

NACHWIRKUNG DER ASKETIK 137 entschied sich am 16. Dezember 1953, das Buch zu verbieten, am 1. Januar 1954 ratifizierte Papst Pius XII. diese Entscheidung und am 12. Januar desselben Jahres wurde das einschlägige Dekret veröffentlicht. Es wurde nicht nur die griechische Originalversion, sondern auch die deutsche Übersetzung verurteilt.379 Die Buchver- käufer rieben sich wiederum die Hände. Die Tatsache, dass Kazantzakis einem der größten Heiligen der katholischen Kirche, Franziskus von Assisi (1181/82-1226), einen eigenen Roman, Der arme Mann Gottes, widmete, konnte an der kurialen und päpstlichen Verurteilung seines Christusromans nichts ändern. Kazantzakis bewunderte den hl. Franz sehr und be- trachtete sich als dessen Schüler. Ich erwähnte schon, dass er diesen Heiligen für einen Prototyp des kämpfenden und die Materie in Geist verwandelnden Menschen hielt. Unser Autor besuchte Assisi dreimal (1924, 1926 und 1952; das erste Mal wohnte er sogar drei Monate dort) und übersetzte auch die Franziskus-Biographie des Dänen Johannes Jørgensen (1866-1956) ins Griechische, wobei er allerdings von deren französischer Übertragung ausging. Er schätzte auch eine andere katholi- sche Heilige, Teresa von Avila (1515-1582), hoch und verfasste ein canto und meh- rere Seiten seines Spanienreisebuches über sie.380 Er sah in dieser vitalen und muti- gen Klosterreformerin ein Musterbeispiel der göttlichen Verwandlung der Materie in Geist. Der die Menschen weit übersteigende Geist drückt sich laut Kazantzakis in jedem Zeitalter und jeder Kultur aufs Neue aus und transformiert die Materie im- mer wieder in Licht. Das geschah auch im Leben der hl. Teresa, in ihrem Kampf, ihrer Ausdauer und ihrem Humor. Unser Schriftsteller ist davon überzeugt, dass so auch der hohe und positive Stellenwert des Glaubens klar wird, auch wenn dieser immer wieder neue Formen annehmen muss, um lebendig und ‚glaubhaft‘ zu blei- ben. Ein weiterer Nachweis, dass die orthodoxe Welt Kazantzakis längst nicht überall negativ gegenüber stand (und steht), ist Kreta selbst. Nach seinem Tod wurde der Leichnam von Kazantzakis in der orthodoxen, dem hl. Minas gewidmeten Kathe- drale von Heraklion aufgebahrt. Bei einer Zwischenstation in Athen auf dem Weg von Freiburg nach Kreta durfte der verstorbene Autor auf Anordnung der Leitung der Orthodoxen Kirche Griechenlands nicht in einer Athener Kirche aufgebahrt werden. In Heraklion gab es jedoch eine Ehrenwache an seinem Sarg, auch wäh-

379 Vgl. Suprema Sacra Congregatio S. Officii, ‚Decretum: Proscriptio libri‘, Acta Apostolicae Sedis 46 (1954) 223. Die letzte Ausgabe des Index librorum prohibitorum erschien 1948. Danach erschienen mehrmals Beilageblätter mit neuen verbotenen Büchern. Der Index wurde 1965/66 offiziell abgeschafft. Vgl. Hubert Wolf, INDEX: Der Vatikan und die verbotenen Bücher (München, 2006), 239-249. Siehe für die selbstsicheren doch friedfertigen Telegramme, die Kazantzakis den kirchlichen Behörden in Rom und Athen schickte, Τετρακόσια γράμματα τοῦ Καζαντζάκη στὸν Πρεβελάκη, Hg. Prevelakis, 667-669. Vgl. Νίκος Καζαντζάκης, Hg. Anemogiannis, 62; Friar, ‚Introduction‘, 140-141 (Anm. 16); Bien, Kazantzakis: Politics of the Spirit, Bd. I, XXV. Siehe auch den Text, in dem Kazantzakis sein Erstaunen und seine Enttäuschung über die ‚Engstirnigkeit‘ des Papstes ausdrückt, während sein eigenes Christusbuch so ‚religiös und liebevoll‘ ist: Giorgos Anemogiannis, Νίκος Καζαντζάκης: 1883-1957, Εικονογραφημένη βιογραφία (Athen, 22001), 104. Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 758-759, 763-764 (Briefe an Börje Knös), 764-765 (Thrasos Kastanakis), 765 (Ioannis Kon- stantarakis). 380 Vgl. Kazantzakis, Τερτσίνες, 139-145; ders., Ταξιδεύοντας: Ἱσπανία, 49-57. Siehe auch Dombrowski, Kazantzakis and God, 55-56.

138 NACHWIRKUNG DER ASKETIK rend der ganzen Nacht, und Abertausende zogen daran vorbei. Am 5. November 1957 wurde in der Kathedrale die orthodoxe Bestattungsliturgie gefeiert, während auf dem Sarg die Ikone der Auferstehung Christi stand. Erzbischof Evgenios Psali- dakis von Kreta, ein Teil des Klerus (siebzehn Priester), der bekannte Politiker Ge- orgios Papandreou (1888-1968), der griechische Bildungs- und Religionsminister und andere Behörden nahmen am Totenamt teil. Ein Militärseelsorger begleitete den Sarg entlang den Menschenmassen bis zum Ehrengrab (wofür er am nächsten Tag von seinem Militärobersten bestraft wurde). Doch waren viele kretische Diöze- sanbischöfe und Theologen mit diesem Ehrenerweis für den ‚Häretiker‘ nicht ein- verstanden. Ferner wurde auf Bestellung von Verwandten und Freunden mehrmals ein kirchlicher Gedächtnisgottesdienst (μνημόσυνον) bei seinem Grab gefeiert; die Stadt Heraklion beteiligte sich an den Kosten. Auch einige (hohe) Kleriker feierten gelegentlich ein Gedächtnis-Trishagion beim Grab; beispielsweise geschah dies am 27. Oktober 2007 anlässlich des fünfzigsten Todestages des Autors. Bis heute ist Kazantzakis’ Name ein Magnet auf Kreta: nicht nur der internatio- nale Flughafen von Heraklion, sondern auch zahlreiche Literaturveranstaltungen sind nach ihm benannt worden und als ich im März 2014 am Päpstlichen Ostkirch- lichen Institut in Rom (Pontificio Istituto Orientale) byzantinische Liturgie unter- richtete, erzählte mir ein kretischer Student, ein orthodoxer Priester, von seiner Be- geisterung für Kazantzakis. Allerdings bewirkte die Verfilmung des Romans Die letzte Versuchung (The Last Temptation of Christ) durch Martin Scorsese (1988) weltweit aufs Neue hefti- ge Auseinandersetzungen und Diskussionen über die Religiosität und den vermeint- lichen Atheismus von Kazantzakis. In einigen Ländern wurde der Film sogar verbo- ten. In einigen anderen Ländern kam es bei der Kinovorführung zu gewalttätigen Zwischenfällen. Beispielsweise hatte in Griechenland die Hl. Synode die Staatsbe- hörden gebeten, den ‚blasphemischen‘ Film zu verbieten. Als dies ohne Erfolg blieb, protestierten im Oktober 1988 Hunderte Gläubige, einschließlich einiger Priester, in Athen mit Losungen, Gebeten, liturgischen Gesängen, Kreuzen und Ikonen gegen die Vorführung des Films und zerstörten zwei Kinosäle.381 Insbesondere Gläubige – nicht nur orthodoxe, sondern auch katholische, evange- lische und reborn Christians –, die den Film nie gesehen hatten, waren über dessen Inhalt empört. Steine des Anstoßes waren insbesondere die Zweifel Jesu über seine Berufung, sein explizites Sexualleben und die positive Rolle von Judas. Zudem ver- standen längst nicht alle Kritiker/innen, dass das letzte Ereignis am Kreuz Jesu ‚bloß‘ eine Versuchung darstellte.382

381 Vgl. die Reportagen in zwei griechischen Tageszeitungen: Τα Νέα, 14. Oktober 1988, 1, 16- 17; Ἡ Βραδυνή, 14. Oktober 1988, 1, 6-7. 382 Vgl. die vielseitigen Positionen und Darstellungen in: Scandalizing Jesus?, Hg. Middleton; Bien, ‚Nikos Kazantzakis’s Novels on Film‘. Siehe auch Jac Heijer, ‚Giftige visuele theolo- gie‘, NRC Handelsblad: Cultureel supplement, 2. September 1988, 1. Interessant ist Kazant- zakis’ Seufzer: ‚Aber woher können Theologen das alles wissen?‘ Vgl. The Selected Letters of Nikos Kazantzakis, Hg. Bien, 739 (Brief an Tea Anemoyanni). Oben wies ich jedoch be- reits darauf hin, dass Kazantzakis die moderne, ‚aufgeschlossenere‘ Theologie kaum oder nicht kannte.

NACHWIRKUNG DER ASKETIK 139

Die Tatsache, dass das Menschsein Jesu im Film so deutlich dargestellt wird und dass so viele orthodoxe Christen und Christinnen darüber schockiert waren,383 weist auch auf ein Defizit in der traditionellen christlichen Theologie und Verkündigung hin. Obwohl laut dem Konzil von Chalzedon (451) Jesus Christus nicht nur eine göttliche, sondern auch eine menschliche ‚Natur‘ (φύσις) hat,384 hebt der main stream der orthodoxen Theologie Jesus’ göttliche Natur stärker hervor als seine menschliche. Die orthodoxe Theologie verneint Jesus’ menschliche Natur sicher nicht, aber sie tut sich mit seinen in den Evangelien bezeugten gelegentlichen Ver- suchungen und Zweifeln oft schwer und betont die kaiserliche Hoheit und Erha- benheit des allmächtigen, allwissenden und allgütigen Pantokrators. Im Hintergrund stehen hier die theologischen Auseinandersetzungen und Traktate des vierten und fünften Jahrhunderts über die Person Christi, die Trinität und Maria. Laut den kon- ziliaren Dogmen ist der ehemalige Rabbi aus Nazaret der mit Gottvater und dem Heiligen Geist wesensgleiche Sohn Gottes und der Pantokrator, und Maria ist die Ewigjungfrau Mutter Gottes (θεοτόκος), die bald als machtvolle Kaiserin (δέσποινα) dargestellt worden ist. Auch die sich im Lauf des vierten und fünften Jahrhunderts verändernde homiletische und liturgische Terminologie spielt hier eine wichtige Rolle: Prediger bezeichneten Jesus Christus immer öfter mit Titeln wie ‚Allerhöchster‘ (ὕψιστος), ‚Meister‘ oder ‚absoluter Fürst‘ (δεσπότης) und ‚allmäch- tiger Herrscher‘ bzw. ‚Allbeherrscher’ (παντοκράτωρ). Noch bedeutsamer als dieser theologische Faktor ist wahrscheinlich das Bedürfnis des ‚einfachen‘ Kirchenvol- kes, einen mächtigen Beschützer im schwierigen und risikoreichen Alltagsleben zu haben. Man suchte sich einen Tröster bzw. eine Trösterin, bei dem/der man sich sicher fühlen konnte, einen gerechten und erbarmungsvollen Vermittler bzw. eine mächtige und sorgsame Vermittlerin, dem/der man die eigenen Sorgen anvertrauen konnte. Des Weiteren ähnelte die offizielle Liturgie immer mehr einer Reihe feierli- cher und glanzvoller Riten, in denen die Heilsmysterien rituell repräsentiert wurden und der Sohn Gottes angebetet und verherrlicht wurde. Auch führte der überall spürbare Kaiserhof in Konstantinopel und die Teilnahme der kaiserlichen Familie am Gottesdienst dazu, dass viele Hofrituale in die Liturgie aufgenommen wurden, was zur weiteren Prachtentfaltung führte. Noch ein weiterer Faktor hat mit der asketischen Spiritualität zu tun. Obgleich die Inkarnation Christi die Annahme der menschlichen Existenz und des menschli- chen Körpers voraussetzt, gibt es in der christlichen monastischen Askese oft einen Kampf gegen den Körper, die Sexualität und die Lust. Der Körper wird oft als ‚ge- fallen‘, als der Feind, den es zu überwinden gilt, und nicht als ‚an der Auferstehung teilhabend‘ betrachtet und behandelt.385 Trotz der Tatsache, dass auch in den Sakra-

383 Es gibt natürlich auch nicht schockierte orthodoxe Christ/inn/en, die darlegen, dass Jesus Christus (vollkommen Mensch und vollkommen Gott) mit allerlei Art menschlichen Schwä- chen und Verführungen kämpfte und sie schließlich besiegte. Vgl. beispielsweise die grie- chisch-orthodoxe Literatin Kleopatra Prifti, Ο ένθεος και κατατρεγμένος Καζαντζάκης, 14-27, 69. 384 Vgl. Antonius J. van der Aalst, ‚Het oosterse Christusbeeld: De byzantijnse kerk‘, Tijdschrift voor Theologie 15 (1975) 237-254; ders., ‚Het oosterse Christusbeeld: Nabeschouwing‘, Tijdschrift voor Theologie 16 (1976) 121-137, hier 124-126; Hugh Wybrew, Orthodox Feasts of Jesus Christ & the Virgin Mary: Liturgical Texts with Commentary (Crestwood NY, 2000), 7-14. 385 Vgl. Hunt, Clothed in the Body, passim; Krawiec, ‚Asceticism‘; Schlatter, ‚Askese‘, 73-76.

140 NACHWIRKUNG DER ASKETIK menten und anderen Ritualen materielle Elemente wie Wasser und Öl – zum Bei- spiel bei der Taufe, Krankensalbung und Wasserweihe – als Träger und ‚Kanäle‘ des Heils dienen und dass dies auch in der Ikonographie, wo Farben und Zeichnun- gen die Rettung der Menschheit versinnbildlichen, der Fall ist, fehlt oft ein Gleich- gewicht zwischen dem Spirituellen und dem Materiellen. Wenn dann ein bestimm- tes Buch oder ein neuer Film einige sehr menschliche Aspekte des fleischgeworde- nen Gottessohnes explizit zeigt, entsteht bei vielen Gläubigen Verwirrung und Wut. Die Theologie und Verkündigung haben es lange versäumt, das Gleichgewicht zwi- schen Materie und Geist konkret zu durchdenken und zu verlautbaren. ‚Verwand- lung‘ der Materie in Geist setzt jedoch das Ernstnehmen der gesamten Materie vor- aus.

8. EPILOG

Die griechisch-orthodoxe Spiritualität, Liturgie und Sakralmusik sind für den hervorragenden kretischen Autor immer wichtig geblieben, auch wenn er alter- native und seines Erachtens bessere und zeitgemäßere Wege gegangen ist, um zu seinem Gott zu gelangen. Die spirituelle Gesamtschau von Kazantzakis ver- mag auch heute noch zahlreiche Menschen über den Sinn ihres Lebens, ihre ei- gene Spiritualitäts- bzw. Gottessuche und ihren spezifischen Beitrag für die Ge- sellschaft und die Linderung derer Nöte nachdenklich zu machen.386 Dies be- trifft auch zahllose Christinnen und Christen, nicht nur ostkirchliche, sondern auch westkirchliche Gläubige; nicht nur ‚Kerngläubige‘, sondern auch soge- nannte ‚Randgläubige‘ und ‚Fernstehende‘. Man muss nicht mit allen Punkten und Überzeugungen von Kazantzakis einverstanden sein. Wie er auch selber sagt: jede/r soll seinen/ihren eigenen Weg gehen und auf eigene Weise Materie in Geist verwandeln. Insbesondere in Europa, wo ‚Multikulti‘ omnipräsent scheint und viele Men- schen das Leben als ‚fließend‘ erfahren und neue Spiritualitätsformen außerhalb der etablierten kirchlichen Institutionen suchen, dürfte die von Kazantzakis vorge- nommene Gottessuche attraktiv sein. Moderne und postmoderne Christen und Christinnen, die mit dem klassischen und statischen Bild eines allmächtigen, allwis- senden und allgütigen Gottes ringen, nicht länger am althergebrachten Bild des Jen- seits und an einer Belohnung bzw. Bestrafung am Ende der Zeiten glauben können und sich in prämodernen und traditionalistischen Formen ihrer Religion nicht zu Hause fühlen, dürften in Kazantzakis einen ‚Verbündeten‘, der ihnen in ihren Zwei- feln und ihrer Suche nach neuen Wegen beisteht, finden. Sie dürften sich in vielen Überlegungen und Erzählungen Kazantzakis’ wiedererkennen, exemplarisch in sei- ner Betonung der Notwendigkeit, dass Menschen ihr Bestes geben, um sowohl ihre Seele als auch die Erde zu retten; in seiner Schilderung der bedrückenden Erfahrung der Machtlosigkeit Gottes; in seiner Überzeugung, dass die Schöpfung unfertig ist, dass die Menschen für diese Welt, das darin existierende Elend und Unrecht Mit- verantwortung tragen; und im Willen, Opferbereitschaft zu zeigen und sich für et- was, das größer ist als sie selbst, einzusetzen. Kazantzakis ist kein Dekonstruktivist, der alles relativiert. Auch wenn er ge- schlossenen Denksystemen sehr kritisch gegenübersteht und meines Erachtens den Fehler macht, das menschliche Bedürfnis nach einem sozialen – kirchlichen bzw. nicht-kirchlichen – Schutznetz zu unterschätzen (siehe oben), bietet er eine faszinie- rende Vision über den Sinn (und Unsinn) des Lebens. Diese Vision ist in der Tat oft fragmentarisch und hat sich zeit seines Lebens in allerlei unterschiedlichen literari- schen, politischen und anderen Formen ausgedrückt, aber sie ist klar erkennbar und war bis heute für zahllose seine Werke lesende Menschen sehr anregend.387

386 Vgl. das Sonderheft Why Read Kazantzakis in the Twenty-first Century?, Hg. Peter Bien und Katherine Fleming, Journal of Modern Greek Studies 28 (2010) 1, Supplement, S. 1-281. 387 Vgl. Middleton, Broken Hallelujah, 125-143; Gill, ‚Kazantzakis and Kierkegaard‘, 187-188.

142 EPILOG

Aber auch ‚traditionelle‘ Gläubige dürften in Kazantzakis einen Gottsucher er- kennen, einen, der zutiefst vom Christusmysterium sowie von den spirituellen und liturgischen Quellen des Christentums bewegt wurde, und einen, der jeden und jede zum ständigen Abenteuer des Kämpfens mit Gott auffordert. Zumindest sollten ‚traditionelle‘ Gläubige einsehen, dass Kazantzakis kein ‚Atheist‘ oder ‚Gottleug- ner‘ war, sondern sein Leben lang leidenschaftlich mit dem Gottesmysterium rang. Musikalisch-kinetisch gesagt: seine Gesamtschau könnte die Leser und Leserin- nen anregen, wie mancher Protagonist der Romane von Kazantzakis am Rand des Abgrundes vital und unerschrocken aus voller Brust zu singen, so den Abgrund quasi ‚exorzistisch‘ zu beschwören und sich für die jeweilige ‚Gralssuche‘ in Be- wegung zu setzen. Wir werden hier nicht nur an das Credo der Asketik (‚sing … unaufhaltsam von Gipfel zu Gipfel aufsteigend und wissend, dass die Höhe kein Ende hat, diese … Beschwörung‘), sondern auch an die Schlusssätze zweier großer, sich mit dem christlichen Erbe befassender Romane von Kazantzakis erinnert. In Christus wird wiederum gekreuzigt scheint nach der misslungenen Integration der Flüchtlinge in die Dorfgemeinschaft und der Ermordung des christusähnlichen Manolios alles ver- loren. Dann fordert der charismatische Priester Fotis jedoch die Exilanten auf, wei- terzuziehen. ‚Und sie machten sich wiederum auf den Weg, Richtung Osten.‘388 In Die letzte Versuchung schreit Jesus triumphal, dass es vollbracht ist. Der Schluss- satz lautet: ‚Und es war, als ob er sagte: Alles fängt an.‘389 Es gibt also keinen Ab- schluss, alles geht weiter. Vom Westen geht es zum Osten, die Sonne geht immer wieder auf. Das Ende ist gleichzeitig der Neuanfang.

388 Kazantzakis, Ὁ Χριστὸς ξανασταυρώνεται, 467. 389 Kazantzakis , Ὁ τελευταῖος πειρασμός, 507.

VERWENDETE LITERATUR

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ABSTRACT

Ascent, Struggle and Freedom: Nikos Kazantzakis’ Asceticism: The Saviours of God and the Greek Orthodox Spiritual and Liturgical Tradition

This book discusses Nikos Kazantzakis’ key writing Asceticism [Spiritual Exer- cises]: The Saviours of God. I investigate its philosophical and religious sources as well as the ‘atheism’ charge brought against its author. Furthermore, the book concentrates on the role which Greek Orthodox spirituality, liturgy and sacred music play in Kazantzakis’ œuvre. It concludes that the Cretan writer, who was raised as an Orthodox, dissociated himself from the Church of his youth and went many other ways to save both his own soul and the world. Nevertheless, the Eastern Orthodox spiritual and liturgical traditions have considerably influ- enced his work. After an introduction, the book describes the genesis and contents of Asceticism, its translations and connections with Kazantzakis’ other writings, as well as factors and thinkers that had a great impact on it. Subsequently, the author’s relation to Greek Orthodoxy and the positions taken by some contemporary Orthodox theo- logians regarding his work are examined. In an excursus, Kazantzakis is compared with several other writers and artists, and the role of the Orthodox liturgy and reli- gious popular culture in Kazantzakis’ œuvre, as well as the general phenomenon of liturgical ‘East-West-transfer’, are discussed. Then, some stylistic and other charac- teristics of Asceticism, especially violence and freedom, are outlined. Finally, I bring up its aftereffect, as well as various ecclesial and other reactions.

ÜBER DEN AUTOR

Basilius Jacobus (Bert) Groen wurde 1953 im niederländischen De Rijp in der Provinz Noord-Holland geboren. Nach seinem Gymnasialabitur am Maurick- College in Vught wohnte er ein Jahr als ausländischer Austauschschüler in den USA, wo er 1972 an der Jamestown High School, North Dakota graduierte. Da- nach studierte er Theologie in Nijmegen und Amsterdam und Neugriechisch in Nijmegen, Bonn und Thessaloniki. In Trier spezialisierte er sich als Stipendiat der Alexander-von-Humboldt- Stiftung in der Liturgiewissenschaft und als Stipendiat des griechischen Staates an der Aristoteles-Universität Thessaloniki in der orthodoxen Liturgie und byzantini- schen Kunst. Zudem führte er in Griechenland Feldforschung über liturgische Ritu- ale im Fall von Krankheit durch (1981-1984). Danach wurde er Gründungsdirektor des Instituts für Ostchristliche Studien an der Katholischen Universität Nijmegen (nun: Radboud-Universität). 1997/98 war er Gastprofessor für Ökumene und Ostkirche an der Westfälischen Wilhelms-Univer- sität Münster und führte dort, wiederum als Stipendiat der Humboldt-Stiftung, ein Forschungsprojekt über Nationalismus in der südosteuropäischen Orthodoxie durch. Seit 2002 ist er Ordinarius für Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie sowie Vorstand des Instituts für Liturgiewissenschaft, Christliche Kunst und Hym- nologie an der Karl-Franzens-Universität Graz, und seit 2007 ist er auch UNESCO- Professor für den interkulturellen und interreligiösen Dialog in Südosteuropa. Das Studienjahr 2011/12 verbrachte er als Senior Research Fellow und Gastprofessor an der amerikanischen Yale University (Institute of Sacred Music). Im Studienjahr 2013/14 hatte er den ‚Sir Daniel and Countess Bernardine Murphy Donohue Chair in Eastern Catholic Theology at the Pontifical Oriental Institute‘ in Rom inne. Er ist in zahlreichen internationalen ökumenischen und liturgiewissenschaft- lichen Verbänden tätig. Unter anderem war er Präsident der internationalen wissen- schaftlichen Society of Oriental Liturgy (2012-2014). Er ist verheiratet, hat eine Tochter, einen Schwiegersohn und zwei Enkelkinder.