Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015

Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort...... 6

I. Verfassungsfeindliche Zielsetzungen...... 8 1. Rechtsextremismus...... 8 2. Linksextremismus...... 10 3. Islamismus und Ausländerextremismus...... 11

II. Extremismus im Freistaat Sachsen...... 13 1. Rechtsextremismus...... 13 1.1 Personenpotenzial...... 13 1.2 Im Fokus – Aktivitäten von Rechtsextremisten in der aktuellen Asyldebatte und ihre Folgen – Beobachtungen des Verfassungsschutzes in Sachsen...... 16 1.3 „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD)...... 33 1.4 „Junge Nationaldemokraten“ (JN)...... 51 1.5 „DIE RECHTE“, Landesverband Sachsen...... 65 1.6 „Der Dritte Weg“ (III. Weg) ...... 73 1.7 Neonationalsozialisten ...... 79 1.8 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten...... 89 1.9 Rechtsextremistische Musikszene und Konzerte...... 91 1.9.1. Rechtsextremistische Musikgruppen bzw. Bandprojekte und Liedermacher...... 91 1.9.2 Rechtsextremistische Konzerte...... 100 1.10 Rechtsextremistische Vertriebsszene ...... 106 1.11 Wege rechtsextremistischer Agitation ...... 112 1.12 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen...... 117 1.12.1 Landkreis Bautzen...... 117 1.12.2 Chemnitz (Stadt)...... 122 1.12.3 Dresden (Stadt)...... 126 1.12.4 Erzgebirgskreis...... 135 1.12.5 Landkreis Görlitz...... 139 1.12.6 Landkreis Leipzig...... 142 1.12.7 Leipzig (Stadt)...... 148 1.12.8 Landkreis Meißen...... 155 1.12.9 Landkreis Mittelsachsen...... 159 1.12.10 Landkreis Nordsachsen...... 164 1.12.11 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge...... 168 1.12.12 Vogtlandkreis...... 174 1.12.13 Landkreis Zwickau...... 179 1.13 Ausblick Rechtsextremismus ...... 183

Inhaltsverzeichnis | 3 2. Linksextremismus...... 186 2.1 Personenpotenzial ...... 186 2.2 Im Fokus – Instrumentalisierung der Asylthematik durch Linksextremisten...... 189 2.3 „Autonome“...... 198 2.3.1 „Autonome“ in Leipzig...... 214 2.3.2 „Autonome“ in Dresden...... 227 2.3.3 „Autonome“ außerhalb der Städte Leipzig und Dresden...... 237 2.4 Anarchistische Gruppierungen...... 244

2.5 „Rote Hilfe e. V.“ (RH) ...... 250 2.6 Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen ...... 255 2.7 Wege linksextremistischer Agitation ...... 257 2.8 Ausblick zum Linksextremismus...... 260 3. Islamismus und Ausländerextremismus ...... 265 3.1 Personenpotenzial...... 265 3.2 Islamismus – „Salafistische Bestrebungen“ in Deutschland und in Sachsen...... 267 3.3 Wege salafistischer und jihadistischer Agitation...... 274 3.4 „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK)...... 277 4 Politisch motivierte Kriminalität – Straftaten mit extremistischem Hintergrund...284 4.1 Politisch motivierte Kriminalität „rechts“ – Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund...... 284 4.2 Politisch motivierte Kriminalität „links“ – Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund...... 288 4.3 Politisch motivierte Ausländerkriminalität – Straftaten mit ausländerextremistischem Hintergrund ...... 290

III. Spionage in Politik und Wirtschaft...... 291 1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten ...... 291 2. Akteure, Aufklärungsschwerpunkte und Methoden...... 292 2.1 Akteure und Aufklärungsschwerpunkte...... 292 2.1.1 Russische Föderation ...... 292 2.1.2 Volksrepublik China...... 293 2.1.3 Arabische, nordafrikanische und weitere asiatische Nachrichtendienste...... 294 2.1.4 Westliche Dienste...... 295 2.2 Methoden und Arbeitsweisen der ausländischen Nachrichtendienste...... 295 2.2.1 Beschaffung offener Informationen...... 295 2.2.2 Beschaffung nicht öffentlich zugänglicher Informationen...... 296 3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheits­partnerschaft...... 298

4 | Inhaltsverzeichnis IV. Geheim- und Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben...... 301 1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz) und Sabotageschutzüberprüfungen­ ...... 301 1.1 Sicherheitsüberprüfungen...... 301 1.2 Sabotageschutzüberprüfungen...... 302 2. Materieller Geheimschutz...... 303 3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagens- oder Ausschlussgründen...... 303

V. Verfassungsschutz...... 305 1. Verfassungsschutz auf einen Blick...... 305 2. Glossar der Verfassungsschutzbehörden...... 312 3. Gesetze...... 323

VI. Verzeichnis der extremistischen Organisationen...... 358

VII. Stichwortverzeichnis...... 361

VIII. Verzeichnis der Orte, Landkreise, Regionen, Länder...... 366

IX. Abkürzungsverzeichnis...... 370

Inhaltsverzeichnis | 5 Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser, sowohl aktuelle Ereignisse als auch jene des vergangenen Jahres zeigen uns, dass der Ver- fassungsschutz eine Daueraufgabe bleibt.

Eine starke Antriebskraft für rechts- und linksextremistische Bestrebungen im Freistaat Sachsen war im Berichtsjahr die Asyldebatte. Im Zusammenhang hiermit stieg das Gewalt- potenzial von Rechtsextremisten außeror- dentlich stark an. Ihr massives Vorgehen gegenüber Asylbewerbern – von sprachlicher Einschüchterung bis hin zu massiver körper- licher Gewalt – beobachten wir mit wach- sender Sorge. Rechtsextremisten sind nicht Markus Ulbig an Lösungen interessiert, sondern an der Sächsischer Staatsminister des Innern Vereinnahmung von Menschen für ihre ext- remistische Ideologie. In der Folge überneh- men zum Teil auch Nichtextremisten deren werden, die ihrem Unmut, ihrem Ärger oder Parolen in der Asyldebatte, machen sie somit ihren Sorgen und Ängsten in Bezug auf die gewollt oder ungewollt „hoffähig“. Menschen, Asylpolitik freien Lauf lassen. Genaues Hin- die von berechtigten Fragen umgetrieben schauen und Differenzierung sind auch in die- werden, müssen darauf achtgeben, nicht zum sem Zusammenhang sehr wichtig. „Lautsprecher“ dieser Extremisten zu werden. Deshalb der Appell: Hinterfragen statt Hinter- Politik muss den Dialog mit jenen Menschen herlaufen! suchen, die gesprächsbereit sind, gewalt- frei agieren und tatsächlich nach Antwor- Umgekehrt dürfen Rechtsextremisten nicht ten suchen. Dankbar bin ich für die bereits zum „Anwalt“ und Sprachrohr jener Menschen bestehenden vielfältigen Gesprächsangebote.

6 | Vorwort Es sind diese, die von den Bürgern genutzt lebenden Ausländer aus. Dennoch gilt: Der werden sollten, um Rechtsextremisten die Islamismus – insbesondere der dschihadisti- Bühne zu nehmen. Politik, Vereine, Verbände, sche Islamismus – stellt weiterhin eine enorme Stiftungen und Kirchen haben nicht nur eine Herausforderung für die internationalen, nati- „Bringpflicht“ in Bezug auf Dialogangebote für onalen und sächsischen Sicherheitsbehörden gesprächsbereite Bürger, diese Angebote müs- dar. Der sächsische Verfassungsschutz ist auch sen auch angenommen werden. hier ein wichtiges Frühwarnsystem und koope- riert mit Behörden innerhalb und außerhalb Auf der anderen Seite agiert eine zunehmend Sachsens. Eine erfolgreiche Integration der gewaltbereite linksextremistische Szene unter hier lebenden bleibeberechtigten Ausländer in dem Deckmantel von Antifaschismus und unsere Gesellschaft ist der beste Anti-Terror- Antirassismus. Leipzig als Schwerpunktregion Schutz. Die Bildung von Parallelgesellschaften der sächsischen autonomen Szene entwickelte müssen wir verhindern. sich im Jahr 2015 auch bundesweit zu einem Schwerpunkt linksextremistischer Gewalt. Die Zum Schluss möchte ich ausdrücklich fest- Autonomen mit ihrem menschenverachtenden halten: Extremisten aller Art haben in unserer Weltbild schrecken in wachsendem Maße auch Gesellschaft keinen Platz. In jeder Hinsicht ist nicht vor Gewalthandlungen gegen Menschen der Staat gehalten, entschieden durchzugrei- zurück. Neben dem politischen Gegner stehen fen, Täter zu ermitteln und zu bestrafen. Je insbesondere Polizeibeamte im Fokus politisch stärker der Rechtsstaat auftritt, umso besser aufgeladener Aggression. Dabei geben sich können Extremisten abgeschreckt werden. Linksextremisten häufig vordergründig als „Kämpfer für eine gute Sache“ aus – als Anti- Ein Schritt in die richtige Richtung ist hier die Asylgegner, als Anti-Rassismuskämpfer und als Schaffung von 1.000 neuen Stellen für unsere Gegner einer sogenannten „staatlichen Repres- Sicherheitsbehörden, vor allem bei der Polizei, sion“. Auf diese Weise wollen sie um Akzeptanz aber auch beim Verfassungsschutz. Weiterhin werben. Wer aber Pflastersteine auf Polizisten wichtig bleiben jedoch auch ein reges bürger- wirft oder den politischen Gegner gewaltsam schaftliches Engagement sowie ein umsichti- angreift, steht weder für eine gute Sache noch ges und konstruktives Zusammenwirken von ist er akzeptiert. Derartige linksextremistische informierten Bürgern, Behörden, gesellschaft- Aktionen sind keineswegs ein Ausdruck politi- lichen Institutionen und der Medien. Dies ist scher Meinung auf dem Boden der Demokratie. und bleibt eine anspruchsvolle Aufgabe für uns Hier entlädt sich lediglich pure Gewalt gegen alle. den Rechtsstaat.

Im Freistaat Sachsen bewegt sich das islamis- tische und sonstige ausländerextremistische Personenpotenzial im Bundesvergleich seit Jahren auf niedrigem Niveau. Die hier lebenden 450 Extremisten aus dem islamistisch- und ausländerextremistischen Milieu machen einen Markus Ulbig Anteil von weniger als einem Prozent der hier Sächsischer Staatsminister des Innern

Vorwort | 7 I. Verfassungsfeindliche Zielsetzungen

1. Rechtsextremismus

Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche werden. Es wird gerade vor dem Hinter- demokratische Grundordnung ab. Auch wenn grund der aktuellen hohen Asylbewerber- es innerhalb des Rechtsextremismus verschie- zahlen behauptet, dass die „Rasse des deut- dene ideologische Strömungen und Erschei- schen Volkes“ infolge einer „Durchmischung nungsformen gibt, die nicht selten sogar im mit fremdem Blut“ untergehen würde. Widerspruch zueinander stehen, stimmen Begriffe wie „Umvolkung“ oder „der große Rechtsextremisten in folgenden Themenfel- Austausch“ werden von Rechtsextremisten dern grundsätzlich überein: verschwörungstheoretisch verwendet, um zu belegen, dass „das deutsche Volk in Form ❙❙ Rassisch definierte „Volksgemeinschaft“ eines Völkermordes vernichtet werden soll“. als Souverän zu Lasten der Freiheits- rechte des Einzelnen Die Ausgrenzung jener Menschen, die nicht Der Staat soll organisatorischer Aus- diesem völkischen „Ideal“ entsprechen, druck einer ethnisch-rassisch homogenen widerspricht dem Grundsatz der Gleichheit „Volksgemeinschaft“ sein. Der vermeint- aller Menschen vor dem Gesetz, welcher in lich einheitliche Wille des Volkes soll dabei unserer Verfassung garantiert ist. Die Würde von staatlichen Führern verkörpert und des Menschen, die bedingungs- und voraus- in reale Politik umgesetzt werden („völki- setzungslos jedem Menschen eigen ist, wäre scher Kollektivismus“). In einem durch den von der biologisch-genetischen Teilhabe an homogenen „Volkswillen“ legitimierten der Volksgemeinschaft abhängig. Staat würden damit wesentliche Kontroll- Antisemitismus ist ein Kennzeichen fast aller elemente der freiheitlichen demokratischen rechtsextremistischen Strömungen. Er tritt Grundordnung, wie das Recht des Volkes, in unterschiedlichen Varianten religiöser, die Staatsgewalt durch Wahlen auszuüben, kultureller sowie rassistischer Ausprägung oder das Recht auf Bildung und Ausübung auf. Häufig werden dabei Theorien, wie die einer Opposition, fehlen. Behauptung einer „jüdischen Weltverschwö- rung“ oder einer jüdisch dominierten Welt- ❙❙ Fremdenfeindlichkeit, auch in Form von wirtschaft, verbreitet. Diese Ausprägung Rassismus und Antisemitismus des Antisemitismus wird vor allem vor dem Nach der Vorstellung von Rechtsextremis- Hintergrund der weltweiten Finanzkrisen ten soll das deutsche Volk vor der Integra- seit 2008 stärker hervorgehoben. Rechts- tion „rassisch minderwertiger Ausländer“ extremisten suchen dadurch Anschluss und vor einer „Völkervermischung“ bewahrt

8 | I. Verfassungsfeindliche Zielsetzungen insbesondere an israelkritische Positionen im Revisionistische Positionen bilden ein wich- Rahmen des Nahostkonfliktes. tiges Bindeglied zwischen den verschiede- In den zurückliegenden Jahren – spätestens nen rechtsextremistischen Strömungen. seit dem Wahlkampf anlässlich der Bundes- tagswahl im Jahr 2013 – haben sich Rechts- ❙❙ Verherrlichung des historischen Natio- extremisten weiterer Ausgrenzungskriterien nalsozialismus bedient. Hintergrund waren die Migrations- Durch ihre Äußerungen zeigen Rechtsex- ströme insbesondere aus Asien und dem ara- tremisten häufig – zumindest mittelbar – bischen Raum/Afrika, die Europa und dabei eine wohlwollende Haltung gegenüber dem vor allem die Bundesrepublik Deutschland Nationalsozialismus. Vermeintlich positiv zum Ziel hatten. Aufgrund ihrer Religionszu- zu bewertende Handlungen der histori- gehörigkeit wurden Muslimen verfassungs- schen Nationalsozialisten werden überbe- mäßig verbürgte Freiheits- und Gleichheits- tont oder beschönigt. Widerstandskämpfer rechte abgesprochen. Diese Strategie der gegen das NS-Regime werden diffamiert. Ausgrenzung und Ungleichbehandlung sollte Nationalsozialistische Funktionsträger aus so als „Kulturkritik“ verbrämt werden. jener Zeit, z. B. Rudolf Heß, der ehemalige Stellvertreter Adolf Hitlers, werden hinge- ❙❙ Revisionismus und Holocaustleugnung gen glorifiziert. Darüber hinaus lehnen sich Unter rechtsextremistischem Geschichts- Rechtsextremisten zum Teil eng an Sprache revisionismus versteht man die Leugnung und Programmatik dieser Zeit an. oder Verharmlosung der nationalsozialisti- schen Verbrechen und der deutschen Ver- ❙❙ Verächtlichmachen von Verantwortungs- antwortung für den Ausbruch des Zweiten trägern und Institutionen des demokrati- Weltkriegs. Auch wird versucht, den Holo- schen Verfassungsstaates caust und andere Verbrechen der National- Unter Rechtsextremisten kommt es vielfach sozialisten, insbesondere durch eine Gleich- zu einer Verunglimpfung des demokratischen setzung mit Handlungen der Siegermächte Verfassungsstaats und seiner Repräsentan- des Zweiten Weltkriegs, zu relativieren. ten. Deutsche Politiker werden dabei als kor- Die Leugnung des an den europäischen rupte Handlanger ausländischer, insbesondere Juden begangenen Völkermords erfüllt den US-amerikanischer Interessen diffamiert, und Straftatbestand der Volksverhetzung. es wird ihnen die Fähigkeit abgesprochen, Von extremistisch motiviertem Gebietsre- die Probleme des Landes lösen zu können. visionismus ist die Rede, wenn Rechtsext- Rechtsextremisten wollen sich so als alleinige remisten die Anerkennung der deutschen Wahrer der Interessen des deutschen Volkes Gebietsverluste als Folge der Weltkriege darstellen und den politischen Gegner als Ver- ablehnen oder sogar weitere Gebiete – ent- räter diskreditieren. gegen den vertraglichen Verpflichtungen, die Deutschland seit 1918 beziehungsweise ❙❙ Rechtsextremistischer Antiamerikanismus seit 1945 eingegangen ist – für Deutschland In der antiliberalen und antipluralistischen beanspruchen. Weltsicht der Rechtsextremisten verkör- pern die USA in besonderem Maße ein Feindbild. Insbesondere der „amerikanische

I. Verfassungsfeindliche Zielsetzungen | 9 Schmelztiegel“, der viele Volksgruppen in Konzept einer homogenen „rassisch“ defi- einer Nation umfasst, steht für Rechtsex- nierten Volksgemeinschaft, die das Zusam- tremisten in offenem Widerspruch zum menleben in einem Staat prägen soll.

2. Linksextremismus

Linksextremisten streben die Beseitigung Linksextremisten bringen sich in gesellschaft- der parlamentarischen Demokratie und die liche Proteste ein und versuchen, diese für ihre Außerkraftsetzung der freiheitlichen demo- extremistischen Ziele zu instrumentalisieren. kratischen Grundordnung an. An deren Stelle Bei Aktivitäten von Nichtextremisten, an denen wollen sie eine sozialistische bzw. kommunisti- sich Linksextremisten beteiligen, besteht daher sche Gesellschaft oder eine „herrschaftsfreie“ immer die Gefahr, dass solche Aktionen außer anarchistische Gesellschaft etablieren. Ihr poli- Kontrolle geraten und Linksextremisten dabei tisches Handeln richten sie dementsprechend ihre gewaltbereite Strategie umsetzen. an revolutionär-marxistischen oder anarchisti- schen Vorstellungen aus. Gewalt ist in Teilen der linksextremistischen Damit treten sie entweder für eine Diktatur Szene – vor allem bei den Autonomen – all- ein, die auch mit einer Entrechtung Anders- gemein akzeptierter Grundkonsens. Die eigene denkender einhergehen würde, oder für eine Militanz wird dabei im Wesentlichen mit zwei herrschafts- und gesetzlose Ordnung. Die von Begründungen legitimiert: Zum einen handele Linksextremisten häufig verwendeten Begriffe es sich um Gegengewalt, mit der man sich „Gleichheit“, „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“ gegen die ungerechtfertigte Gewaltausübung stellen sich bei genauerem Hinsehen als Syn- des Staates wehre, welcher über Institutio- onyme für die Abschaffung demokratischer nen und Machtverhältnisse eine „strukturelle“ Errungenschaften (z. B. der Gewaltenteilung), Gewalt auf seine Bürger ausübe. Zum ande- aber auch für die Einschränkung persönlicher ren gebe es politische Anliegen, die den Ein- Freiheitsrechte dar. Letzteres betrifft z. B. die satz von Gewalt rechtfertigten. Diese Gewalt Beseitigung des Rechts auf Eigentum. Auch richtet sich gegen Sachen, kann aber auch wenn das Grundziel – die Abschaffung der Personen, wie tatsächliche oder vermeintliche Demokratie – alle linksextremistischen Spekt- Rechtsextremisten, Polizeibeamte und andere ren eint, bestehen hinsichtlich der Vorstellun- Repräsentanten staatlicher Einrichtungen, gen zur angestrebten Ordnung, des dorthin sowie demokratische Parteien zum Ziel haben. führenden Wegs und der anzuwendenden Mit- tel erhebliche Differenzen.

10 | I. Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 3. Islamismus und Ausländerextremismus

Gruppierungen von Ausländern werden als Islamistische Organisationen zielen darauf, extremistisch beurteilt, wenn sich ihre Ziele die westlichen, freiheitlichen demokratischen gegen die freiheitliche demokratische Grund- Gesellschaftsordnungen durch ein auf Koran ordnung richten. Die Verfassungsfeindlichkeit und Scharia (islamisches Rechts- und Werte- dieser Ziele kann sich auch daraus ergeben, system) basierendes Gesellschaftssystem zu dass sich diese gegen den Gedanken der Völ- ersetzen. Nach ihren Vorstellungen regelt der kerverständigung oder auf die Anwendung von Islam alle Lebensbereiche einer Gesellschaft. Gewalt bzw. darauf hinzielende Vorbereitungs- Insofern könne auch alle staatliche Herrschaft handlungen richten. nicht dem menschlichen Willen entspringen, sondern gehe einzig von Gott (Allah) aus. Eine Wesentliche gemeinsame Merkmale ausländer- Trennung von Staat und Religion widerspricht extremistischer Bestrebungen sind daher ihrer Auffassung von einer Staats- und ❙❙ das Ziel, die in den jeweiligen Herkunfts- Gesellschaftsordnung und wird als unislamisch ländern herrschende Gesellschaftsordnung, verurteilt. Innerhalb des Islamismus gibt es zur zunehmend aber auch jene in Deutschland, Errichtung der angestrebten „islamischen“ abzuschaffen und sie durch eine Ordnung Herrschaft unterschiedliche Strategien. Dabei zu ersetzen, die der Ideologie der jeweiligen sind Organisationen aktiv, die entweder terro- extremistischen Organisation entspricht, ristische Taten begehen oder solche, die zwar ❙❙ die Gefährdung auswärtiger Belange der Gewalttaten befürworten, jedoch aus unter- Bundesrepublik Deutschland durch Anwen- schiedlichen Gründen selber keine Gewalt zur dung von Gewalt oder darauf gerichtete Erreichung ihres Ziels einsetzen, und schließ- Vorbereitungshandlungen1, lich Organisationen, die sowohl Terror als auch ❙❙ Äußerungen und Aktivitäten, die sich gegen Gewalteinsatz verurteilen. Letztere setzen mit den Gedanken der Völkerverständigung, ihren ideologischen Vorstellungen auf eine insbesondere das friedliche Zusammenle- allmähliche Durchdringung der Gesellschaft. ben der Völker richten. Auch sie streben die Abschaffung der grund- legenden Prinzipien der freiheitlichen demo- Im Einzelnen lassen sich ausländerextremisti- kratischen Grundordnung an. Dazu gehört z. B. sche Bestrebungen untergliedern in die Abschaffung der Volkssouveränität, des ❙❙ islamisch-extremistische (d. h. islamistische), Mehrparteienprinzips und des Rechts auf Bil- ❙❙ linksextremistisch-separatistische, dung und Ausübung einer parlamentarischen ❙❙ extrem nationalistische. Opposition.

1 Von einer Gefährdung der auswärtigen Belange spricht man, wenn durch die Bestrebungen das friedliche Zusammenle- ben der Völker oder die Beziehungen zu anderen Regierungen beeinträchtigt werden. Ausländerextremistische Organisa- 1 tionen verbinden mit ihrer Propaganda u. a. die Verunglimpfung der jeweiligen Heimatregierung.

I. Verfassungsfeindliche Zielsetzungen | 11 Linksextremistisch-separatistische Aus- Die meisten der linksextremistisch-separatis- ländergruppierungen streben nach der tischen bzw. extrem nationalistischen Auslän- revolutionären Beseitigung der jeweiligen derorganisationen nutzen die Bundesrepublik Staatsordnung in ihren Herkunftsländern die Deutschland, um von hier aus gewaltsame Errichtung eines sozialistischen bzw. kommu- Aktionen in ihrem jeweiligen Heimatstaat nistischen Systems an. Einige dieser Gruppie- vorzubereiten, etwa durch Aufrufe zu Gewalt rungen verfolgen dabei ethnisch motivierte oder durch die Beschaffung finanzieller oder Unabhängigkeitsbestrebungen. sonstiger Mittel. Solche Bestrebungen gefähr- den durch die Anwendung von Gewalt oder Extrem nationalistische Ausländerorgani- hierauf gerichtete Vorbereitungshandlungen sationen vertreten ein übersteigertes Natio- die auswärtigen Belange der Bundesrepublik nalbewusstsein, das anderen Nationen oder Deutschland. Sie richten sich zudem gegen den Personen anderer Nationalität die Gleichwer- Gedanken der Völkerverständigung. tigkeit abspricht.

12 | I. Verfassungsfeindliche Zielsetzungen II. Extremismus im Freistaat Sachsen

1. Rechtsextremismus

1.1 Personenpotenzial

Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Einen erheblichen Verlust in der Anhänger- Sachsen ist im Jahr 2015 angestiegen. Nach- schaft haben hingegen die sächsischen Neo- dem es in den letzten Jahren rückläufig gewe- nationalsozialisten zu verzeichnen (2015: 340; sen war oder – wie von 2012 bis 2014 – bei 2014: 860 Personen). Mehr als die Hälfte von 2.500 Personen stagniert hatte, so gehörten ihnen wanderte im Jahr 2015 in andere Berei- den Bestrebungen im Berichtsjahr 2.700 Per- che der rechtsextremistischen Szene in Sach- sonen an. sen ab. Einige engagieren sich in den Parteien Grund hierfür ist in erster Linie eine deutliche „DIE RECHTE“ oder „Der Dritte Weg“ (III. Weg), Zunahme der Anzahl von Personen, die zwar andere schlossen sich bereits im Jahr 2014 weitestgehend keiner festen Struktur angehö- den Jungen Nationaldemokraten (JN) an. Der ren, sich aber rechtsextremistisch betätigen. weitaus größere Teil war aufgrund fehlender Diese Personen werden zu den subkulturell Zugehörigkeit dieser Personen zu einer festen geprägten Rechtsextremisten gezählt. Ursäch- neonationalsozialistischen Struktur oder man- lich für die Zunahme dieses Personenkreises gels selbst organisierter politischer Aktionen sind die vor allem in Reaktion auf die Asylthe- den subkulturell geprägten Rechtsextremisten matik entstandenen Politisierungsprozesse zuzuordnen. Der seit 2012 zu beobachtende unter unorganisierten Rechtsextremisten. kontinuierliche Rückgang der Anzahl der Neo- Für einen weiteren Anstieg sorgte auch die nationalsozialisten hat sich damit im Jahr 2015 Zunahme von rechtsextremistischen Strafta- erheblich beschleunigt. Hierbei ist hervorzu- ten, deren Täter, falls keine andere Zuordnung heben, dass mit dem nominellen Rückgang möglich ist, gleichfalls bei der subkulturell der neonationalsozialistischen Szene vor allem geprägten rechtsextremistischen Szene erfasst eine Verschiebung in den Kategorien erfolgt werden. Dies alles führte im Jahr 2015 zu ist. Die betroffenen Personen sind Rechtsext- einem massiven Anstieg an Personen, die der remisten geblieben, haben sich jedoch vor dem subkulturell geprägten rechtsextremistischen Hintergrund exekutiver Maßnahmen seit 2012 Szene zuzuordnen waren. Diese Szene hat von den althergebrachten Strukturen gelöst das ihr zugerechnete Personenpotenzial mit und versuchen nun in anderer Form im Sinne 1.600 Personen im Vergleich zum Jahr 2014 ihrer rechtsextremistischen Ideologie zu wir- fast verdoppelt. (2014: 880). ken. Zahlreiche Neonationalsozialisten waren in den vergangenen Jahren in den parteige- bundenen Rechtsextremismus gewechselt.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 13 Diese Dynamik war im Jahr 2015 so nicht mehr Die Großstädte Dresden und Leipzig waren zu beobachten. weiterhin regionale Schwerpunkte des rechts- extremistischen Personenpotenzials, wobei sich Die NPD konnte sich auf dem Vorjahresniveau in Dresden mit 350 bis 400 Rechtsextremisten stabilisieren (2015: 600; 2014: 610 Personen), eine Steigerung zum Vorjahr abzeichnete. In den die JN jedoch nicht weiter vom Rückgang des Landkreisen Bautzen und Vogtlandkreis stieg die Potenzials bei den Neonationalsozialisten pro- Anzahl der Rechtsextremisten leicht an. Bis auf fitieren (2015 wie 2014: 110 Personen). den Landkreis Meißen wiesen die übrigen Land- kreise und die Stadt Chemnitz ein durchschnitt- Die sich im Aufbau befindende Partei „DIE liches rechtsextremistisches Personenpoten- RECHTE“ hat im Jahr 2015 mit ca. 30 Mitglie- tial zwischen 150 und 250 Personen auf. Wie dern einen – wenn auch geringen – Mitglieder- bereits in den Vorjahren war auch im Jahr 2015 zuwachs (2014: 10) aufzuweisen. Ein gleicher im Landkreis Meißen mit etwa 50–100 Personen Trend ist bei der Partei III. Weg zu beobachten, landesweit das geringste rechtsextremistische deren Mitgliederbestand im Jahr 2015 auf ca. Personenpotenzial festzustellen. 40 Personen anwuchs (2014: 20). Insbesondere diese beiden Parteien sind fast ausschließ- Anzahl der Rechtsextremisten im Freistaat lich von ehemaligen Neonationalsozialisten Sachsen 2015: ca. 2.700, 2014: 2.500 geprägt. Dies führt dazu, dass beide ein ein- (bundesweit 2014: 21.000)3 deutig neonationalsozialistisches Profil auf- weisen. Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen

Das gewaltorientierte rechtsextremistische 4.000 Personenpotenzial2 im Freistaat Sachsen wird 3.000 2.700 2.700 für das Jahr 2015 auf ca. 1.300 Personen 2.670 2.600 2.500 2.500 2.500 geschätzt (2014: 1.000 Personen). Die zuneh- 2.000 mende Gewaltbereitschaft der rechtsextremis- tischen Szene schlägt sich auch in der Zunahme 1.000 der Gewaltdelikte im Jahr 2015 nieder. Dieser Personenkreis setzt sich vor allem aus Ange- 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 hörigen der subkulturellen Szene aber auch aus Personen der neonationalsozialistischen Szene und der rechtsextremistischen Parteien zusammen.

2 Hierzu zählen Tatverdächtige rechtsextremistischer Gewaltstraftaten und Personen, bei denen Anhaltspunkte für eine Gewaltbereitschaft vorliegen 3 Die angegebenen Werte sind teilweise geschätzt und gerundet. Den Verfassungsschutzbehörden liegen nicht zu allen in

2 den Hierzu zählen Tatverdächtige rechtsextremistischerZahlenangaben Gewaltstraftaten und Personen, bei denen Anhaltspunkte für eine Gewaltbereitschaft vorliegenerfassten Personen Einzelerkenntnisse vor.3 Die GesamtzahlDie angegebenen Werte sind teilweise geschätztergibt und gerundet. Den Verfassungsschutzbehörden sich liegen nichtrechnerisch zu allen in den Zahlenangaben erfassten Personen Einzelerkenntnisse vor.unter Die Gesamtzahl ergibt sich rechnerisch Abzug unter Abzug von hier bekannten Doppelmitgliedschaften.von hier bekannten Doppelmitgliedschaften.

14 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Rechtsextremistische Neonational- Subkulturell geprägte Parteien sozialisten Rechtsextremisten 2015: ca. 7404 2015: ca. 340 2015: 1.600 2014: ca. 710 2014: ca. 860 2014: 880 „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) 2015: ca. 600 2014: ca. 610 „Junge National- demokraten” (JN) 2014: 110 5 2013: 110 6 „DIE RECHTE“ (Landesverband Sachsen) 2015: ca. 30 2014: ca. 10 „Der Dritte Weg“, Stützpunkte Vogtland und Mittelland 2015: ca. 40 2014: ca. 20

4 5 6

4 Die Gesamtzahl ergibt sich Gesamtzahlrechnerisch unter Abzug von Doppelmitgliedschaften. ergibt sich rechnerisch unter Abzug von Doppelmitgliedschaften.

5 Einschließlich Doppelmitgliedschaften in der NPD (geschätzt) 5 Einschließlich Doppelmitgliedschaften in der NPD (geschätzt) 6 Einschließlich Doppelmitgliedschaften in der NPD (geschätzt) 6 Einschließlich Doppelmitgliedschaften in der NPD (geschätzt)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 15 1.2 Im Fokus – Aktivitäten von Rechtsextremisten in der aktuellen Asyldebatte und ihre Folgen – Beobachtungen des Verfassungsschutzes in Sachsen

Das Themenfeld „Anti-Asyl“ stellt seit einigen Asylkritisch bezeichnet eine nichtext- Jahren das zentrale Betätigungsfeld von Rechts- remistische, asylbezogene Veranstaltung extremisten in Sachsen dar. Bereits im Jahr 2014 oder sonstige Aktivität. Eine Veranstaltung entwickelte sich die asylfeindliche Agitation zu bleibt auch dann asylkritisch, wenn Rechts- dem Themenschwerpunkt der rechtsextremisti- extremisten daran teilnehmen, aber weder schen Szene im Freistaat. Im Berichtsjahr haben Organisation noch der Gesamtcharakter der die Aktivitäten sächsischer Rechtsextremisten Veranstaltung als rechtsextremistisch ein- zuschätzen sind. an Quantität und Intensität nochmals erheblich zugenommen. Die Spannweite reicht von der Asylfeindlich sind hingegen Veranstal- Forderung nach „Ausweisung von Ausländern“ tungen oder Aktivitäten mit Asylbezug, die bis hin zu schweren Gewaltstraftaten (Brandan- direkt oder indirekt, ausschließlich oder mit schläge, Sprengstoffanschläge). überwiegender Beteiligung von Rechtsext- remisten durchgeführt werden. Begriffsverwendung: Zur Abgrenzung von extremistischen und nicht- extremistischen Veranstaltungen und Aktivitä- ten mit Asylbezug verwendet das LfV Sachsen die folgenden Begriffe in diesem Jahrbuch: Asylbezogene Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsext- remistischen Bezügen In die Berichterstattung des LfV Sachsen zur Asylthematik fließen aufgrund der gesetzli- chen Zuständigkeit nur Veranstaltungen ein, bei denen es Bezüge zu rechtsextremistischen Bestrebungen gibt. Hierbei werden auch asylkri- tische Veranstaltungen statistisch erfasst, sofern diese erkennbare und relevante rechtsextremis- tische Bezüge aufweisen. Dabei handelt es sich um solche Veranstaltungen, die zwar nicht von Rechtsextremisten organisiert oder bestimmt werden, auf denen Rechtsextremisten jedoch in relevantem Maße in Erscheinung treten. Dies kann etwa durch einen rechtsextremistischen Redner oder auch eine Mitwirkung von einzel- nen Rechtsextremisten an der Durchführung der Veranstaltung geschehen.

16 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Zahlenmäßiger Überblick Anzahl der Veranstaltungen vervierfachte sich nahezu, gleichzeitig nahmen die Teilnehmer- Im Jahr 2015 fanden in Sachsen insgesamt zahlen im Vergleich zum Vorjahr sogar in noch 177 asylbezogene Veranstaltungen mit erkenn- stärkerem Maße zu. Dies bedeutet, dass die baren und relevanten rechtsextremistischen rechtsextremistische Szene in Sachsen durch Bezügen statt, an denen sich insgesamt etwa den Missbrauch des Asylthemas Einfluss auf 35.400 Personen7 beteiligten.8 Im Vorjahr wur- ein Personenpotenzial nehmen kann, das das den lediglich 47 derartige Veranstaltungen eigene szeneinterne Mobilisierungspotenzial in mit knapp 7.500 Teilnehmern registriert. Die ganz erheblichem Umfang übersteigt.

7 In der Zahl sind Mehrfachteilnahmen enthalten.

Entwicklung8 Die GIDA-Veranstaltungen in Sachsender werden in ihrer Gesamtheit nicht alsAnti-Asyl-Veranstaltungen extremistische Bestrebung bewertet und wurden somit hier nicht berücksichtigt. mit erkennbaren und relevanten rechtsextre- mistischen Bezügen in Sachsen im Jahr 2015

Anzahl der Veranstaltungen

35

30

25

20 Anzahl der Veranstaltungen 15

10

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0 Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15

Nachdem die Veranstaltungszahlen im ers- erreichte im Oktober mit 31 Veranstaltungen ten Quartal 2015 deutlich zugenommen und ihren Höchstwert. Im November und Dezem- sich verdoppelt hatten, gingen sie im zweiten ber waren die Veranstaltungszahlen rückläufig, Quartal zunächst zurück. In der zweiten Jah- was nicht zuletzt auf die Advents- und Weih- reshälfte stieg die Zahl der asylbezogenen Ver- nachtszeit zurückzuführen war, die sich auch anstaltungen mit erkennbaren und relevanten auf das Aktionsniveau der sächsischen Rechts- rechtsextremistischen Bezügen erneut an und extremisten auswirkte.

7 In der Zahl sind Mehrfachteilnahmen enthalten. 8 Die GIDA-Veranstaltungen in Sachsen werden in ihrer Gesamtheit nicht als extremistische Bestrebung bewertet und wurden somit hier nicht berücksichtigt.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 17 Entwicklung der Teilnehmerzahlen bei Anti-Asyl-Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen in Sachsen im Jahr 2015

Veranstaltungsteilnehmer

9.000

8.000

7.000

6.000

5.000

4.000 Veranstaltungsteilnehmer

3.000

2.000

1.000

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Die Teilnehmerzahlen waren im ersten Quar- Teilnehmerzahlen im Vergleich zum Vormonat tal weitgehend stabil und gingen dann nahezu und erreichten mit knapp 8.500 Perso- deutlich zurück. Ab August war ein sprung- nen einen neuen Höchstwert, bevor sie gegen hafter Anstieg bei den Teilnehmerzahlen zu Ende des Jahres zurückgingen. verzeichnen. Im Oktober verdreifachten sich die

Regionale Verteilung der Anti-Asyl-Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen in Sachsen im Jahr 2015

60 9.000 8.000 50 7.000 40 6.000 5.000 30 4.000 20 3.000 2.000 10 1.000 0 0

Görlitz Bautzen Dresden Meißen Chemnitz Zwickau Lkr. Leipzig Nordsachsen Erzgebirgskreis Leipzig (Stadt) Mittelsachsen Vogtlandkreis

Sächsische Schweiz-OE

Anzahl der Veranstaltungen Teilnehmer

18 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Regionale Schwerpunkte der asylbezogenen Rechtsextremistische Akteure und deren Veranstaltungen mit erkennbaren und relevan- Strategien ten rechtsextremistischen Bezügen bildeten im Jahr 2015 insbesondere die Landkreise Bautzen Grundsätzlich war bei Demonstrationen der NPD und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Hier zu beobachten, dass sich hieran häufig bekannte waren mehr als die Hälfte (rund 55 %) aller Führungspersonen der Partei beteiligten und rechtsextremistischen asylfeindlichen Veran- so auch zum Mobilisierungserfolg derartiger staltungen in Sachsen zu verorten. Nur sehr Veranstaltungen beitrugen. Dies erklärt den wenige Protestveranstaltungen waren hinge- Mobilisierungserfolg im Landkreis Sächsische gen im Landkreis Görlitz (drei) und in Leipzig Schweiz-Osterzgebirge, im Erzgebirgskreis und (vier) zu verzeichnen. im Landkreis Meißen. Hier wirkten mit Thomas Hervorzuheben sind Veranstaltungen größe- SATTELBERG, Hartmut GLIEMANN, Stefan HAR- ren Umfangs ab Oktober 2015, u. a. in Görlitz, TUNG und Peter SCHREIBER jeweils zugkräftige Schneeberg und Aue. An diesen Protestak- NPD-Protagonisten, die regional vernetzt sind tionen beteiligten sich zwischen 850 und und daher über eine größere Mobilisierungskraft 1.000 Menschen. Ohnehin verdeutlicht die verfügen. Teilweise gelang es der NPD so, das oben stehende Grafik, dass sich insbesondere asylbezogene Veranstaltungsgeschehen zumin- im Erzgebirgskreis und im Landkreis Görlitz dest örtlich begrenzt asylfeindlich zu prägen. an den wenigen Demonstrationen verhältnis- Exemplarisch zeigte sich dies im Landkreis mäßig viele Personen beteiligten. Die deutlich Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Hier war über das rechtsextremistische Mobilisierungs- die NPD sowohl unter eigenem Namen als auch potenzial hinausgehenden Teilnehmerzahlen im Rahmen der Organisation „Demokratischer dokumentieren die Anschlussfähigkeit des Aufbruch Sächsische Schweiz“ (DASS) sowie Asyl-Themas bis weit in das nichtextremisti- mit den Facebook-Seiten „Heidenau hört zu“ sche Lager hinein. und „Nein zum Heim Sächsische Schweiz- Die Teilnehmerzahlen der einzelnen Demons- Osterzgebirge“ aktiv. In deren Namen wurde trationen spiegelten dabei häufig das jeweils die große Mehrheit der asylbezogenen Veran- regional unterschiedliche Mobilisierungspo- staltungen im gesamten Landkreis angemeldet tenzial der Rechtsextremisten wider. Während und durchgeführt. Die NPD dominierte damit die Veranstaltungen rund um Dresden – ins- dort das Asylthema und versuchte, ihre extre- besondere im Landkreis Sächsische Schweiz- mistischen Ziele in weiten Bevölkerungskrei- Osterzgebirge – regelmäßig Personen im drei- sen zu verbreiten. Ähnliche Initiativen waren stelligen Bereich anzogen, brachten die NPD in geringerem Umfang im Erzgebirgskreis oder andere rechtsextremistische Gruppierun- unter dem Begriff „Freigeist“ (Leitung Stefan gen in anderen Regionen Sachsens deutlich HARTUNG) oder auch unter der Bezeichnung weniger Menschen auf die Straße. „Plauen wehrt sich“ im Vogtlandkreis aktiv. Im Vogtlandkreis ergriff ausschließlich der Landesverband der NPD die Initiative und ver- suchte, eine örtliche asylfeindliche Bewegung zu initiieren, die jedoch weitgehend ohne nach- haltige Resonanz blieb. Im Erzgebirgskreis war mit Stefan HARTUNG jedoch ein lokaler Akteur

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 19 aktiv, dem es darüber hinaus auch gelang, sich andererseits am Fehlen eines aktivierungs- mit nichtextremistischen asylkritischen Initia- fähigen Mobilisierungspotenzials. Aus die- tiven im Erzgebirgskreis zu vernetzen. sem Grunde trat außerhalb der Sächsischen Diese Strategie versuchte die NPD auch in Schweiz und des Erzgebirgskreises vielfach der anderen Landkreisen umzusetzen, was ihr Landesverband als Organisator von asylfeindli- jedoch nur bedingt gelang. Einerseits lag das chen Veranstaltungen in Erscheinung. an der Schwäche der dortigen Kreisverbände,

Anteil der NPD-Veranstaltungen an allen asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen

90

80

70

60

50 Prozentualer Anteil der Demonstrationen der 40 NPD und ihrer Unter- gliederungen bzw. ihr 30 zuzurechnenden 20 Organisationen

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Auf diese Weise deckte die NPD im zweiten regelmäßig Redner und Mitorganisatoren der Halbjahr 2015 sachsenweit einen Großteil Veranstaltungen. der asylfeindlichen Aktivitäten der gesamten Auf der anderen Seite zeigte sich hier ein rechtsextremistischen Szene ab. Ihr Anteil neues Phänomen: das des NPD-Aktiven, der an allen asylbezogenen Veranstaltungen mit jedoch nicht mehr in Abstimmung mit seinen erkennbaren und relevanten rechtsextremisti- Parteigremien handelt. Die Ursache hierfür schen Bezügen lag im Jahr 2015 sachsenweit dürfte der Wunsch einzelner Funktionäre der bei knapp 47 %, allerdings mit erheblichen Partei sein, deutlicher und aggressiver gegen monatlichen Schwankungen. Insbesondere Asylbewerber und deren Einrichtungen zu agi- der Landesvorstand um den kommissarischen tieren. Beispiele hierfür waren etwa der NPD- Vorsitzenden Jens BAUR täuschte so auch an Funktionär Dirk ABRAHAM, der sich in Freital Orten, in denen es kaum noch aktive NPD- bei den dortigen Asylprotesten im Sommer Strukturen gab, eine landesweit aktive Par- 2015 engagierte, obwohl sich die NPD selbst teistruktur vor. Die NPD wollte von der aktu- nicht offiziell an diesen Protesten beteiligte. ellen Asyldiskussion profitieren und sich als Ähnlich, aber weniger wahrnehmbar, agierte Sprachrohr der Asylkritiker darstellen. Neben der Dresdner NPD-Stadtrat Hartmut KRIEN. BAUR waren die ehemaligen Landtagsabge- Letztlich kann man auch den ehemaligen ordneten Arne SCHIMMER und Jürgen GANSEL NPD-Stadtrat von Radeberg, Simon RICHTER, dieser Kategorie zurechnen. RICHTER hat sich

20 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen allerdings fast vollständig von der NPD abge- Neben der NPD traten im Jahr 2015 auch die wandt. Die Asylthematik gibt zahlreichen indi- rechtsextremistischen Parteien „DIE RECHTE“ viduellen Akteuren die Möglichkeit, politische und „Der Dritte Weg“ (III. Weg) verstärkt mit Bedeutung an den Parteistrukturen vorbei zu eigenen Aktionen in Erscheinung. Neben asyl- erlangen. Dies könnte auch der Grund für den feindlichen Veranstaltungen in verschiedenen Parteiaustritt des Heidenauer NPD-Stadtrates Teilen des Freistaates Sachsen setzten beide Rico RENTZSCH Ende November 2015 sein9. Gruppierungen jeweils eigene Akzente: Im Zusammenhang mit den von der NPD ange- meldeten Demonstrationen kam es wiederholt zu Am 7. Januar 2015 veröffentlichte die Partei Ausschreitungen. Dies betraf beispielsweise eine „Der Dritte Weg“ auf ihrer Homepage einen Demonstration vor einer Dresdner Asylbewerbe- Leitfaden mit dem Titel „Kein Asylantenheim runterkunft am 24. Juli 2015 sowie eine Demons- in meiner Nachbarschaft!“10 Die Partei rief in tration in Heidenau am 21. August 2015. Insbe- diesem Leitfaden dazu auf, rechtliche Mittel sondere die Ausschreitungen in Heidenau waren zur Verhinderung der Einrichtung oder zur der Höhepunkt einer regelrechten Demonstrati- Behinderung des Betriebes von Asylbewerber- onsserie gegen eine Asylbewerberunterkunft in einrichtungen einzusetzen. Der rund 20-seitige Heidenau. Bei und im Vorfeld dieser Demonstra- Leitfaden stellt eine umfassende Handreichung tionen heizten die örtlichen Akteure der NPD die für die rechtsextremistische Szene dar und Stimmung an und trugen so zu den wachsenden ist darüber hinaus wegen seiner vermeintlich Teilnehmerzahlen an den Veranstaltungen bei. unideologischen Aufmachung geeignet, auch Auch wenn die NPD vehement bestritt, für die Personen im nichtextremistischen Spektrum gewaltsamen Ausschreitungen verantwortlich anzusprechen. Ziel ist die Verhinderung eines gewesen zu sein, so muss sie sich diese doch geordneten Asylbearbeitungs- und Aufnah- zurechnen lassen, zumal deren Jugendorga- meprozesses, die dann eine propagandistische nisation, die Jungen Nationaldemokraten, die Grundlage für die Behauptung staatlichen Ver- Ausschreitungen im Nachgang als „erfolgreichen sagens darstellen soll. Für Aufsehen sorgte die Widerstand“ glorifizierte. Partei „Der Dritte Weg“ am 12. Februar 2015 in Plauen. Vier Parteianhänger begleiteten nach Für die Jungen Nationaldemokraten (JN) einer kommunalen Ausschusssitzung einen wurde das Themenfeld Anti-Asyl erst im NPD-Stadtrat bei dem Besuch einer Asylun- zweiten Halbjahr 2015 zum Schwerpunkt. Die terkunft und fotografierten dort auf provozie- Jugendorganisation unterstützte ihre Mutter- rende Art und Weise. partei bei zahlreichen Veranstaltungen und führte auch eigene Veranstaltungen durch. Die Partei „DIE RECHTE“ gehörte zu den In Nordsachsen meldete beispielsweise der Hauptinitiatoren von asylfeindlichen Protesten JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK als im Landkreis Bautzen. Zum Ende des Jahres „Privatperson“ regelmäßig asylfeindliche Ver- 2015 versuchte die Partei mit geringem Erfolg, anstaltungen an. den Protest in Limbach-Oberfrohna (Landkreis

9 Vgl. die jeweiligen Unterkapitel im Beitrag „Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen“ zu Landkreis Bautzen, Dresden (Stadt), Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Landkreis Zwickau 910 www.der-dritte-weg.info Vgl. die jeweiligen Unterkapitel im Beitrag „Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen“ (Stand: zu Landkreis Bautzen, Dresden (Stadt), Sächsische 9. Januar Schweiz-Osterzgebirge und Landkreis Zwickau 2015) 10 www.der-dritte-weg.info (Stand: 9. Januar 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 21 Zwickau) zu organisieren. Die aktivsten Kader die neonationalsozialistische und subkulturell der Partei waren im Berichtsjahr Daniela geprägte rechtsextremistischen Szene zurück- STAMM in Bautzen und Alexander KURTH in greifen. Insofern beteiligten sich diese auch an Leipzig. Beide waren überregional aktiv und parteilich organisierten, asylfeindlichen Pro- unterhielten Beziehungen bis in die sachsen- testen sowie auch umgekehrt. anhaltische und die Thüringer rechtsextremis- An dieser Stelle wird deutlich, dass einer der tische Szene. Bemerkenswerterweise zeigte wesentlichen Effekte des gemeinsamen asyl- sich im zweiten Halbjahr 2015 eine themati- feindlichen Agierens der rechtsextremistischen sche Verschiebung bei den Veranstaltungen. Szene die Schaffung neuer Gemeinsamkeiten Zwar blieb die Asylthematik immer noch der und die Etablierung oder auch Verfestigung grundsätzliche Beweggrund der Veranstal- von szeneinternen Kennverhältnissen war. So tungen. Allerdings drehten sich die Veranstal- fanden sich bei den Veranstaltungen verschie- tungsthemen nun vermehrt um die angeblich dener rechtsextremistischer Organisatoren zu erkämpfende Souveränität Deutschlands immer wieder Personen aus allen Bereichen oder des deutschen Volkes. Damit einher ging der rechtsextremistischen Szene. Manche Ein- die Propagierung einer vorgeblich notwendigen zelpersonen waren auch überregional auf ver- Revolution gegen die Demokratie. Hier zeigte schiedensten asylbezogenen Veranstaltungen sich zum einen der neonationalsozialistische anzutreffen. Charakter der Partei, zum anderen wurde deut- lich, dass die gegenwärtige Asylthematik für So wirkten auf einer asylfeindlichen Veranstal- Rechtsextremisten nur Mittel zum Zweck ist, tung in Bautzen am 30. Januar 2016 vier maß- um mit ihrem Ausländerhass letztlich die frei- gebliche rechtsextremistische Akteure zusam- heitliche demokratische Grundordnung an sich men: Silvio RÖSLER, einen im Berichtszeitraum zu bekämpfen. eng mit Rechtsextremisten kooperierenden Die Agitation gegen Asylbewerber und deren Mitorganisator der Offensive für Deutschland, Aufnahmeeinrichtungen wirkte wie eine eini- Alexander KURTH von der Partei „DIE RECHTE“, gende Klammer zwischen den rechtsextremis- der ostsächsische asylfeindliche Aktivist Jens tischen Parteien und der parteiungebundenen KIRSTEN sowie der ehemalige NPD-Stadtrat Szene. Gleiches galt unter den rechtsextre- von Radeberg und Neonationalsozialist Simon mistischen Parteien, was ein Vorkommnis am RICHTER. 31. Oktober 2015 in Mittweida (Landkreis Mittelsachsen) exemplarisch zeigte. Nach Durch diese Entwicklungen wurde nicht nur ein der Absage der asylkritischen Veranstaltung verbindendes Gemeinschaftsgefühl geschaf- einer nichtextremistischen Partei meldeten fen. Auch können gruppenbildende Prozesse die NPD, die Partei „Der Dritte Weg“ und die entstehen. Diese sind geeignet, in Zukunft zur JN eine Spontandemonstration zum Thema Bildung neuer rechtsextremistischer Struktu- an. Hier wurde eine die organisatorische ren zu führen, und sie dürften außerdem auch Konkurrenz überdeckende weltanschauliche über die Befassung mit dem Asylthema hinaus Verbundenheit dieser Parteistrukturen offen- Bestand haben. bar. Bei diesen Veranstaltungen konnten die Dieselbe Entwicklung betraf auch die sub- rechtsextremistischen Parteien, insbesondere kulturell geprägte rechtsextremistische die NPD, auf eine starke Unterstützung durch Szene. Diese beteiligte sich an zahlreichen

22 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Quelle: www.facebook.com, Profil Jens KIRSTEN (Stand: 31. Januar 2016) asylkritischen und asylfeindlichen Veranstal- Einzelfällen auch Neonationalsozialisten, die tungen. Durch die fortdauernde Aufnahme Asylproteste für die eigenen Ziele zu nutzen und von Asylbewerbern in Deutschland kam es zu instrumentalisieren. Ein bemerkenswertes in dieser Szene zu einem anhaltenden Poli- Beispiel hierfür ist der ehemalige Radeberger tisierungsprozess. Dieser führte in der sonst NPD-Stadtrat und Neonationalsozialist Simon eher strukturarmen subkulturell geprägten RICHTER. Im Landkreis Bautzen gelang es rechtsextremistischen Szene zu diversen ihm, sich als gefragter Redner auf zahlreichen Gruppenbildungen, aus denen in Einzelfällen asylkritischen Veranstaltungen zu etablieren. auch neue neonationalsozialistische Gruppie- Er stellte so auch Kontakte zwischen nicht- rungen entstanden. Ein Beispiel hierfür ist die extremistischen Organisatoren und Rechts- „Freie Kameradschaft Dresden“, auch bekannt extremisten her. Seine regelmäßigen und sich als „Freie Aktivisten Dresden“. Eine sich ähn- inhaltlich wiederholenden Redeauftritte unter lich, jedoch nicht so dynamisch entwickelnde anderem in Ottendorf-Okrilla, Großröhrsdorf, Gruppe ist die subkulturell geprägte rechtsext- Haselbachtal, Kamenz und Hoyerswerda, aber remistische Szene in Dresden-Leuben.11 auch in Wilsdruff oder Dippoldiswalde (beide Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) Neben den Aktivitäten der rechtsextremisti- nutzte er, um seine von rechtsextremistischen schen Parteien und der subkulturell gepräg- und antisemitischen Denkmustern geprägten ten rechtsextremistischen Szene gelang es in Inhalte zu verbreiten.12

11 Vgl. hierzu die Beiträge „Subkulturell geprägte Rechtsextremisten“ und „Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen“, „Dresden (Stadt)“

11 Vgl. hierzu die Beiträge „Subkulturell geprägte Rechtsextremisten“ und „Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen“, „Dresden (Stadt)“ 12 Vgl. Beitrag „Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen“, „Landkreis Bautzen“ 12 Vgl. Beitrag „Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen“, „Landkreis Bautzen“

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 23 Eine weitere, jedoch nur vereinzelt wahrzuneh- Insbesondere diese rechtsextremistische Szene mende asylfeindliche Aktivität an der Schnitt- neigte im Zeitverlauf immer offener zu Gewalt stelle zwischen neonationalsozialistischer und gegen Asylbewerber sowie deren Aufnahme- subkulturell geprägter rechtsextremistischer einrichtungen. Gründe waren die ausgeprägte Szene waren die Auftritte rechtsextremisti- Gewaltneigung der Szene und die zunehmenden scher Bands und Liedermacher. So kam es im Begegnungen mit Asylbewerbern im Alltag. Diese Sommer 2015 zu verschiedenen Auftritten der beiden Aspekte – die geringe Hemmschwelle und rechtsextremistischen Musikgruppe „A3stus“ die sich häufiger ergebende Gelegenheit zur Aus- aus Berlin bei Veranstaltungen im Landkreis übung von Gewalt – stellen eine nicht zu unter- Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und in schätzende Gefahr dar. Dresden. Außerdem war die Gruppe schon im Diesbezüglich gab es innerhalb der rechtsex- März und April 2015 in Leipzig und im Land- tremistischen Szene immer wieder Überle- kreis Bautzen aufgetreten. gungen, eigene gewalttätige Aktionen gegen Die Band „A3stus“ ist im Berlin-Brandenburger Asylbewerber und deren Einrichtungen durch- Raum im Umfeld rechtsextremistischer Struk- zuführen. Hier ist exemplarisch die subkulturell turen entstanden. Sie bediente antisemitische geprägte „Oldschool Society“ (OSS) zu nennen. Stereotype, die sich auch in den gefälschten Mit ihr bildete sich seit der rechtsextremis- „Protokollen der Weisen von Zion“ finden und tischen Terrorzelle „Nationalsozialistischer engagierte sich seit 2014 verstärkt im Rahmen Untergrund“ (NSU) der erste Personenzusam- von asylbezogenen Veranstaltungen. Dement- menschluss, der tatsächliche Anhaltspunkte sprechend thematisierte die Band in ihren Lie- für den Verdacht einer entstehenden rechts- dern eine angeblich „drohende Überfremdung terroristischen Gruppierung aufwies. der Gesellschaft“ und rief zu einem gewaltsamen Die OSS formierte sich Mitte 2014 zunächst Kampf gegen die freiheitliche demokratische deutschlandweit als virtuelle rechtsextremisti- Grundordnung auf. Die Lieder beinhalten eine sche Gruppe im Internet und mit Beteiligung Vielzahl rassistischer und fremdenfeindlicher sächsischer Rechtsextremisten. Einem ersten Ressentiments. Immer wieder wurden Opfer des Treffen der OSS im November 2014 in Borna Holocausts verunglimpft. Einer der Frontmänner (Landkreis Leipzig) sollte ein zweites Treffen der Band, der bekennende Neonationalsozialist Mitte Mai 2015 folgen. Mit dessen Planung Patrick KILLAT, war verantwortlich für die jährlich trat die OSS schließlich auch in eine zielgerich- durchgeführte Aktion „Schwarze Kreuze“13 . tete Vorbereitung von Anschlägen auf Asylbe- werber sowie den politischen Gegner ein. Im Rechtsextremistische Gewalt mit Asylbezug Vorfeld des Treffens wurde bekannt, dass dort gemeinsam mehrere „Aktionen“ durchgeführt Die subkulturell geprägte rechtsextremistische werden sollten, die sich gegen „Asylanten- Szene war auch wesentlich für die starke Zunahme heime“, „Antifa-Quartiere“ oder „Ölaugen“14 der asylbezogenen Straftaten verantwortlich. richten sollten.

13 Bei der Aktion „Schwarze Kreuze Deutschland“ handelt es sich um eine „Gedenkveranstaltung“ für Mordopfer von Tätern mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Dafür werden jeweils am 13. Juli in vielen deutschen Orten Schwarze Kreuze (meist an Ortseingangsschildern) aufgestellt oder aufgemalt und die davon gefertigten Bilder anschließend ins Internet gestellt. 14 „Ölauge“ ist ein diffamierender Ausdruck für Menschen mit Migrationshintergrund aus einem Land, in dem die Menschen 13 Bei der Aktion „Schwarze Kreuze Deutschland“ handelt es sich um eine „Gedenkveranstaltung“ für Mordopfer von Tätern mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Dafür werden jeweils am 13. Juli in vielen deutschen Orten Schwarze Kreuze (meist an Ortseingangsschildern) aufgestellt oder aufgemalt und die davon gefertigten Bilder häufiganschließend ins Internet gestellt. braune oder schwarze, „wie Erdöl glänzende“ Augen haben.14 Ölauge“ ist ein diffamierender Ausdruck für Menschen mit Migrationshintergrund aus einem Land, in dem die Menschen häufig braune oder schwarze, „wie Erdöl glänzende“ Augen haben.

24 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Asylbewerber und deren Einrichtungen, aber auch gegen Asylbefürworter, entschließen. Solche Gefahren werden durch den alarmie- renden Tonfall, der sich vor allem in Inter- netverlautbarungen immer wieder findet, noch verschärft. Eine zentrale Rolle für die , Verbreitung rechtsextremistischer menschen- Logo der „Oldschool Society“ (OSS) verachtender Stereotype und für die Mobi- Quelle: www.facebook.com Facebook OSS lisierung zu asylbezogenen Veranstaltungen (Stand: 9. Dezember 2014) spielte im Berichtsjahr vor allem das Internet. Insbesondere mithilfe von sozialen Netzwer- Aufgrund der durch die Verfassungsschutzbe- ken, wie Facebook oder dem Kurznachrichten- hörden gewonnenen Erkenntnislage, die sich dienst Twitter, gelang es Rechtsextremisten, seit Anfang des Jahres zu einem Verdacht auf ein vergleichsweise breites Publikum für ihre rechtsterroristische Aktivitäten konkretisierte, Botschaften zu erreichen und sich szene- und leitete der Generalbundesanwalt Mitte Feb- regionenübergreifend zu vernetzen. ruar 2015 ein Ermittlungsverfahren wegen des Die Zahl der Facebook-Seiten mit erkennbaren Verdachts der Bildung einer terroristischen und relevanten rechtsextremistischen Bezü- Vereinigung ein. Im Rahmen der folgenden gen nahm im Laufe des Berichtsjahres konti- Exekutivmaßnahmen wurden die vier Hauptbe- nuierlich zu. Gleichzeitig war im Internet eine schuldigten (zwei davon aus Sachsen) Anfang wachsende Verbalradikalität zu beobachten. Mai 2015 festgenommen. Es wurden Woh- So traten Rechtsextremisten als provokative nungsdurchsuchungen durchgeführt, wobei Stichwortgeber auf, denen mitunter strafbare, neben Schreckschuss- und Gaswaffen u. a. auch zum Teil Gewalt verherrlichende Äußerungen Teleskopschläger, Schwerter und in Deutschland einzelner Internetnutzer folgten. Nur exempla- nicht zugelassene pyrotechnische Gegenstände risch hier folgende Beispiele: mit großer Sprengkraft gefunden wurden. Das Beispiel der OSS zeigt, dass sich aus dem „Verdammte Saubrut! Dieser Saubande würde zahlenmäßig großen Reservoir des gewaltori- ich persönlich den Gashahn erklären und entierten Rechtsextremismus Personenzusam- dann ‚duschen‘ lassen. Dieses Gefecke bedarf menschlüsse bilden können, die rechtsterroris- der ‚Endlösung‘ und es wäre garantiert kein tische Zielsetzungen verfolgen. Aufgrund der Verlust!“ 15 relativ einfachen Umsetzung von insbesondere gegen Asylbewerbereinrichtungen gerichte- „Die müsste man aufhängen die Schweine“16 ten Aktionen, wie Sachbeschädigungen und Brandstiftungen, ist es in der aktuellen Lage „Kann nicht jemand auf den Tank vom Bus nicht auszuschließen, dass sich weitere rechts- schießen?“17 extremistische Personenkreise auch kurzfris- tig zu gewaltorientierten Aktivitäten gegen

15 Facebook-Seite „Dresden-Klotzsche sagt nein zum Heim“ (Stand: 25. März 2015) 15 Facebook-Seite „Dresden-Klotzsche sagt nein zum Heim“ (Stand: 25. März 2015) 16 Facebook-Seite „Sachsen wehrt sich” (Stand: 29. April 2015) 16 Facebook-Seite „Sachsen wehrt sich“ (Stand: 29. April 2015) 17 Facebook-Gruppe „Freital wehrt sich-Nein zum Hotelheim” (Stand:17 22. JuniFacebook-Gruppe 2015) „Freital wehrt sich-Nein zum Hotelheim“ (Stand: 22. Juni 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 25 Die ausgeprägte Dynamik, die hochgradige Spon- Im Jahr 2015 registrierten die Behörden ins- taneität und die vermeintliche Anonymität des gesamt 784 rechtsextremistische Straftaten Internets begünstigen eine solche Entwicklung. mit fremdenfeindlichem Hintergrund, darunter Zusätzlich ermöglicht das Internet Rechtsextre- Propagandadelikte und Sachbeschädigungen, misten, auf nichtextremistischen Seiten und in aber auch Körperverletzungen und Brandstif- nichtextremistischen Foren durch Hasskommen- tungen. Damit verdreifachten sich die fremden- tare die Stimmung gegen Flüchtlinge und Asyl- feindlichen Straftaten im Vergleich zum Vorjahr bewerber anzuheizen und auf die Radikalisierung (2014: 235 Straftaten). Die Straftaten verteilten nichtextremistischer Bürgerinitiativen hinzuwir- sich über den gesamten Freistaat Sachsen und ken.18 Außerdem bietet es Rechtsextremisten die belegten die auch unterhalb terroristischer Möglichkeit, einander in ihrer Ablehnung und Bestrebungen existierende Gewaltbereitschaft Verachtung von Flüchtlingen und Asylbewerbern gegen Asylbewerber und deren Einrichtungen. aufzuschaukeln und sich in ihrer ideologischen Bei aller grundsätzlichen Gewaltbereitschaft lag Menschenfeindlichkeit zu bestärken. der Schwerpunkt jedoch in der – meist verbalradi- Unter Rechtsextremisten kursierten regel- kalen – Äußerung von asylfeindlichen Positionen. rechte Bürgerkriegsszenarien, die von einem Zusammenbruch der herrschenden Ordnung Das Verhältnis von Rechtsextremisten zu in Deutschland als Folge der aktuellen Zuwan- asylkritischem Protest am Beispiel der derung ausgingen. In diesem Zusammenhang „GIDA-Bewegung“ wurde durch einzelne Protagonisten auch für das Anlegen von Vorräten aber auch das vor- Rechtsextremisten suchten im Berichtsjahr sorgliche Beschaffen von Waffen geworben. Anschluss an nichtextremistische Gruppierungen Basierend auf dieser Grundhaltung ist der und Initiativen und stellten sich äußerlich als seri- Rückgriff auf Verhaltensweisen, die, wie bei der öse Aktionspartner dar. So wollten sie Anschluss OSS, als terroristisch qualifiziert werden kön- an bürgerliche Kreise gewinnen und auf diesem nen, nicht gänzlich unwahrscheinlich. Weg ihre extremistischen Haltungen auch in Die Gewalt gegen Asylbewerber und deren Ein- nichtextremistische Kreise der Gesellschaft tra- richtungen erreichte im Jahr 2015 ein immer gen. Ihr Ziel war es, durch ausländerfeindliche größeres Ausmaß. Sachbeschädigungs- und Propaganda einen asylfeindlichen Konsens in der Körperverletzungsdelikte in Verbindung mit Gesellschaft mehrheitsfähig zu machen. Dieser asylfeindlichem rechtsextremistischem Gedan- angestrebte „Konsens“ müsste dann auch – so kengut ließen sich immer häufiger feststellen. das rechtsextremistische Kalkül – die Bereitschaft Dabei legten die Täter ein teilweise deutliches mit einschließen, gewaltsam gegen Asylbewerber Zeugnis ihrer eigenen politischen Haltung und vorzugehen. Um die dafür nötige Anschluss- ihres Zerstörungswillens ab. So kamen bei fähigkeit zu erreichen, war die Szene zeitweilig Angriffen auf Asylbewerberheime nicht nur bereit, eigene Positionen taktisch motiviert hint- Schreckschusswaffen, sondern auch abgefeu- anzustellen. Dies lässt sich exemplarisch an der erte Stahlkugeln, ausgeklügelte Brandsätze sich wandelnden Positionierung gegenüber den und vergleichbare Tatmittel zum Einsatz. verschiedenen GIDA-Bewegungen darstellen:

18 Vgl. den Beitrag „Wege rechtsextremistischer Agitation“ 18 Vgl. den Beitrag „Wege rechtsextremistischer Agitation“

26 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Das Verhältnis der rechtsextremistischen Szene Deutsche und wollen es auch bleiben!“ Und zu den GIDA-Strukturen im Freistaat Sachsen war weiter: „Die deutsche nationalistische Bewegung im gesamten Berichtszeitraum sehr dynamisch. kann nun nur mitlaufen, unterstützen und darauf Schon 2014 war es kontinuierlicher Veränderung warten, dass sich beim Bürger ein Lerneffekt unterworfen und bewegte sich von anfänglicher einstellt…“20 Missachtung hin zur konstanten Teilnahme an den GIDA-Veranstaltungen. Insbesondere die Sozialwissenschaftlichen Studien zufolge ist Ereignisse bei den GIDA-Bewegungen selbst der NPD die Werbung für sich und ihre Auffas- führten dazu, dass die rechtsextremistische sungen unter den Demonstrationsteilnehmern Szene ihr Verhältnis zu den GIDA-Bewegungen von nur in geringem Ausmaß gelungen. immer wieder neu bestimmte. So erreichte die Partei bei den Veranstaltungs- teilnehmern von PEGIDA einen Zustimmungs- Zu Beginn des Jahres 2015 äußerte sich wert von stets unter zehn Prozent.21 zunächst der damalige NPD-Landesvorsit- zende Holger SZYMANSKI in einem Artikel in Das sich stets wandelnde Verhältnis von sächsi- der NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“ grund- schen Rechtsextremisten zu PEGIDA und deren sätzlich. So sei es richtig, „daß Montag für Ablegern ließ sich auch im Internet beobach- Montag auch viele Nationaldemokraten an den ten. So wurden erst seit Ende November 2014 Demonstrationen teilnehmen. Eine ,Unterwan- überhaupt relevante, offen zur Unterstüt- derung‘ oder gar Übernahme von PEGIDA durch zung von GIDA-Veranstaltungen aufrufende die NPD wird dagegen nicht angestrebt, was Mobilisierungspostings auf szenerelevanten nicht heißt, dass man nicht auch eigene Positi- Facebook-Seiten festgestellt. Diese nahmen onen in der Vor- und Nachbetrachtung sowie in dann stetig zu und erreichten im Januar und vielen persönlichen Gesprächen mit Demonst- Februar 2015 die höchsten Werte. Danach war ranten deutlich macht. Das Erfolgsgeheimnis ein kontinuierlicher Rückgang feststellbar. Dies von Pegida ist gerade die strikte Überparteilich- dürfte einerseits mit der zunehmenden Selbst- keit. Dabei sollte es auch bleiben.“19 verständlichkeit der Teilnahme an den Veran- staltungen der GIDA-Bewegung innerhalb der Ähnlich äußerte sich der JN-Bundesvorstand rechtsextremistischen Szene zu tun haben. Anfang 2015: „Es heißt nun als deutsche Andererseits drückt sich darin jedoch auch Jugendbewegung diesen noch kleinen Aufstand ein sich schon im Frühjahr 2015 wandelndes zu unterstützen. Es muss nun egal sein, ob die Verhältnis der rechtsextremistischen Szene zur Akteure nun „Rechte“ oder „Linke“ sind. Dort, auf GIDA-Bewegung aus. den Demonstrationen in Dresden und anderswo in Deutschland, muss die Devise lauten: „Wir So entstand mit dem Ausfall der GIDA-Veran- sind nicht rechts! Wir sind nicht links! Wir sind staltungen am 19. Januar 2015 ein Vakuum, das

19 Holger Szymanski: NPD und PEGIDA. Unterstützen, unterwandern – oder was?, Dt. Stimme 02/15, S. 11 (Schreibweise wie im Original) 20 „Ungewohnte Klarheit: Merkel diffamiert Bürgerprotest der PEGIDA – eine Kriegserklärung“, Beitrag der JN vom 2. Januar

2015, veröffentlicht auf alt.jn-buvo.de 20 „Ungewohnte Klarheit: Merkel diffamiert Bürgerprotest der PEGIDA – eine Kriegserklärung“, Beitrag der JN vom 2. Januar 2015, veröffentlicht auf alt.jn-buvo.de 21 Technische Universität Dresden: Drei Monate nach dem großen21 Knall: WasTechnische Universitätwurde Dresden: Drei ausMonate PEGIDA?,nach dem großen PressemeldungKnall: Was wurde aus PEGIDA?, Pressemeldungvom vom 19 21. Mai 2015,Holger Szymanski: NPD undwww.tu-dresden.de PEGIDA. Unterstützen, unterwandern – oder was?, Dt. Stimme 02/15, S. 11 (Schreibweise wie im Original) 21. Mai 2015, www.tu-dresden.de.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 27 durch die NPD und ihr nahe stehende Personen Gebetshäuser“ bevorzuge. Gerade letzteres sofort für erste Versuche genutzt wurde, mit zeigte bereits eine deutliche antisemitische eigenen Veranstaltungen das Thema Anti-Asyl Ausrichtung des sächsischen Landesverbandes wieder selbst zu besetzen. In diesem Zusam- der Partei „DIE RECHTE“. menhang kam es an diesem Tag zu Ersatzver- anstaltungen durch oder unter Beteiligung von Ähnliche Verwerfungen wurden auch im Hinblick Rechtsextremisten in Zittau, Löbau, Sebnitz auf PEGIDA Chemnitz-Erzgebirge offenbar. und Pirna. Somit zeichnete sich bereits zu die- Hier lieferte sich der Vorsitzende des NPD- sem Zeitpunkt ab, dass die rechtsextremisti- Kreisverbandes Erzgebirge Stefan HARTUNG sche Szene nicht auf Dauer gewillt sein würde, Mitte Mai 2015 ein regelrechtes Wortgefecht im Schatten von PEGIDA zu stehen. mit den Organisatoren der Chemnitzer GIDA- Veranstaltungen.24 Dabei warf er ihnen vor allem Zunächst nutzte die NPD die Spaltung der vor, dass sie nicht mit ihm zusammen arbeiten PEGIDA-Bewegung noch zu demonstrativen wollten. Dass der Einfluss von Rechtsextremis- Solidaritätsbekundungen an die „originale“ ten auf den Chemnitzer GIDA-Ableger dennoch PEGIDA-Führung.22 Die hier abermals versuchte nicht ohne Wirkung blieb, zeigte sich in der zum Anlehnung an PEGIDA und seine Ableger war Jahreswechsel 2015/2016 vollzogenen Spal- jedoch nicht von langer Dauer. tung in einen nichtextremistischen und einen Den Anfang bildete Ende März 2015 der Leip- vereinzelt auch mit Rechtsextremisten zusam- ziger GIDA-Ableger LEGIDA. Die LEGIDA-Ver- menarbeitenden Ableger „Heimat und Tradition anstaltungen wurden bis dahin vor allem von Chemnitz-Erzgebirge“. regionalen Gliederungen der NPD, der JN und auch vom sächsischen Landesverband der Par- In Dresden entwickelte sich das Verhältnis hin- tei „DIE RECHTE“ unterstützt. Letzterer aller- gegen auch unter den Rechtsextremisten sehr dings war mit dem Verlauf der vorhergehenden uneinheitlich. Für den sächsischen Landesver- LEGIDA-Veranstaltungen nach eigenem Bekun- band der Partei „DIE RECHTE“ war insbeson- den sehr unzufrieden. Insbesondere die ideolo- dere die PEGIDA-Veranstaltung am 13. April gische Ausrichtung bei LEGIDA lief dem sächsi- 2015 das Ende der ausschließlich strategischen schen Landesverband der Partei „DIE RECHTE“ Unterstützung. Hier kam es zu deutlichen anti- zuwider. So hieß es in einem Kommentar23: „Ein semitischen Ausfällen und Distanzierungen großes Problem der verschiedenen Gidas ist, von PEGIDA.25 daß man zwar einige Probleme richtig erkannt hat, es sich aber bei diesen Problemen nur um Nebenkriegsschauplätze handelt.“ Dazu zählten die Autoren auch die Tatsache, dass „der Hauptfeind alle[r] freien Völker“ nicht in Moscheen zu finden sei, sondern „andere

22 Facebook-Profil NPD Sachsen (Stand: 29. Januar 2015) 23 Facebook-Profil „DIE RECHTE“ – Sachsen (Stand: 31. März 2015), Schreibweise wie im Original 24 Facebook-Profil Pegida Chemnitz-Erzgebirge (Stand: 12. und 13. Mai 2015) 25 22 Vgl. hierzuFacebook-Profil auch NPD Sachsen (Stand: 29. Januardie 2015) Meldung auf der Webseite des LfV Sachsen24 „OffenerFacebook-Profil Antisemitismus Pegida Chemnitz-Erzgebirge (Stand: 12. und 13. Mai 2015) bei der Partei „DIE RECHTE“ 23 (Stand: 7. MaiFacebook-Profil „DIE RECHTE“ 2015), – Sachsen (Stand: 31. März 2015), Schreibweisewww.verfassungsschutz.sachsen.de wie im Original 25 Vgl. hierzu auch die Meldung auf der Webseite des LfV Sachsen „Offener Antisemitismus bei der Partei „DIE RECHTE” (Stand: 7. Mai 2015), www.verfassungsschutz.sachsen.de

28 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen „gleichzeitig melden die Nationaldemokraten in einigen Punkten aber auch Kritik an der Bewegung an“. Die Punkte, mit denen die NPD nach diesem Beitrag nicht übereinstimmt, sind die Veranstaltung mit Geert Wilders30 am 13. April 2015, die Forderung nach dezentra- ler Unterbringung von Asylbewerbern und die Forderung nach sexueller Selbstbestimmung. Alle drei Punkte zeigen in erkennbarer Deut- lichkeit erneut den extremistischen Kern der NPD, der sich gegen die Unterstützung Israels durch Geert Wilders, gegen die Aufnahme von Asylbewerbern und gegen die Gleichheit der Geschlechter richtet.

Wie ein Abgesang wirkte da noch die vom säch- sischen Landesverband der Partei „DIE RECHTE“ geteilte Äußerung des Münchener Rechtsextre- misten und NPD-Mitgliedes Karl RICHTER31: Vertreter der NPD waren zwar auf der Veran- staltung von PEGIDA anwesend.26 Allerdings ließ sich kurz darauf beobachten, dass das Verhältnis eher distanziert war. Zwar erklärte die NPD am 20. April 2015, zur Bürgermeis- terwahl in Dresden am 7. Juni 2015 auf einen eigenen Kandidaten zugunsten der von PEGIDA aufgestellten Kandidatin verzichten zu wollen.27 PEGIDA reagierte auf diese Unterstützung mit heftigen Abwehrreaktionen. Die NPD publi- zierte daraufhin am 28. Mai 2015 einen Beitrag Seither ist es zwar bei der regelmäßigen Teil- von „DS-TV“28 des Deutsche Stimme-Verlages.29 nahme von Rechtsextremisten an GIDA-Ver- Darin wurde zwar noch einmal die Unterstüt- anstaltungen geblieben, aber eine erfolgreiche zung zur Bürgermeisterwahl hervorgehoben, Einflussnahme von Rechtsextremisten auf

26 Facebook-Profil der NPD Sachsen (Stand: 14. April 2015) 27 Dem patriotischen Protest in Dresden eine Stimme geben!, npd-sachsen.de (Stand: 20. April 2015) 28 Bei „DS-TV” handelt es sich um eine vom Deutsche Stimme-Verlag herausgegebene regelmäßige Nachrichtensendung zu aktuellen Themen. Die Beiträge bestehen aus kurzen Filmen, die im Internet veröffentlicht werden. 29 DS-TV 10-15: NPD empfiehlt PEGIDA, youtube.com 30 Bei Geert Wilders handelt es sich um einen rechtsgerichteten niederländischen Politiker und Vorsitzenden der „Partij voor de Vrijheid“ (PVV). 26 Facebook-Profil der NPD Sachsen (Stand: 14. April 2015) 31 27 Zu Karl RICHTERDem patriotischen Protest in Dresden eine Stimme geben!,vgl. npd-sachsen.de (Stand:Verfassungsschutzbericht 20. April 2015) des Freistaates Bayern 2014, S. 91 (Pressefassung), Der Post wurde

28 vom sächsischenBei “DS-TV” handelt es sich um eine vom Deutsche Landesverband Stimme-Verlag herausgegebene regelmäßige Nachrichtensendung zu aktuellen Themen. Die Beiträgeder bestehen aus kurzenPartei Filmen, die im Internet veröffentlicht „DIE werden. RECHTE“ („DIE30 RECHTE“ –Bei Geert WildersSachsen“) handelt es sich um einen rechtsgerichteten niederländischen Politiker aufund Vorsitzenden der „Partij Facebookvoor de Vrijheid“ (PVV). am 9. Juni 2015 um 29 19:22 Uhr DS-TV geteilt. 10-15: NPD empfiehlt PEGIDA, youtube.com 31 Zu Karl RICHTER vgl. Verfassungsschutzbericht des Freistaates Bayern 2014, S. 91 (Pressefassung), Der Post wurde vom sächsischen Landesverband der Partei „DIE RECHTE“ („DIE RECHTE“ – Sachsen“) auf Facebook am 9. Juni 2015 um 19:22 Uhr geteilt.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 29 GIDA-Veranstaltungen konnte nicht festge- anfänglich hohen Teilnehmerzahlen im Januar stellt werden. Spätestens mit Ende des Som- 2015 verlor HOYGIDA zunehmend an Mobi- mers 2015 konnten alle rechtsextremistischen lisierungskraft und büßte diese bis Sommer Einflussnahmeversuche auf GIDA-Bewegungen 2015 gänzlich ein. Schon bei den HOYGIDA- als gescheitert betrachtet werden. Veranstaltungen wurden immer wieder ein- Danach beschränkten sich Rechtsextremisten zelne Rechtsextremisten als Teilnehmer und auf die Teilnahme an GIDA-Veranstaltungen als Redner festgestellt. Eine Veranstaltung am und versuchten, diese in ihrem Sinne zu nut- 29. August 2015 sowie eine auch von Gewalt- zen, indem sie sich den anderen Veranstal- straftaten begleitete Spontandemonstration tungsteilnehmern darstellten und für ihre am 18. September 2015 in Bischofswerda Positionen warben. Dies führte jedoch nicht (Landkreis Bautzen) bestätigten den Abschluss zu wahrnehmbaren Rekrutierungs- oder Pro- der Entwicklung von HOYGIDA zu dem von den pagandaerfolgen, die über die Selbstdarstel- Nationalen Sozialisten Hoyerswerda (NS-HOY) lung auf Facebook-Seiten hinausgingen. Ein bestimmten Widerstand Hoyerswerda. Beispiel hierfür ist die Teilnahme der Freien Kameradschaft Dresden bzw. der Freien Akti- Zusammenfassung visten Dresden an den GIDA-Veranstaltungen in Dresden: Rechtsextremisten versuchten, asylkritische Proteste und Diskussionen für ihre verfas- sungsfeindliche Zielsetzung zu instrumen- talisieren. Sie praktizierten dies durch die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen mit Asylbezug, wie auch mit der Durchfüh- rung eigener Veranstaltungen. Insbesondere die „Wortergreifung“ auf nichtextremistischen Veranstaltungen wird durch die zahlreichen teils sehr heftigen Diskussionen über die Asyl- politik erleichtert. Dies ermöglicht es Rechts- extremisten, eigene Positionen darzustellen, Quelle: Facebook-Profil der Freien Kameradschaft ohne ihre rechtsextremistische Gesinnung Dresden (Stand: 22. September 2015) offenlegen zu müssen. Asylkritische Veranstaltungen wurden von Dies führte in der zweiten Jahreshälfte zu einer Rechtsextremisten dazu genutzt, mit nicht- anderen Entwicklung: Es kam zu einer deut- extremistischen Teilnehmern in Kontakt zu licher werdenden Herausbildung radikalerer treten und unter diesen für ihre verfassungs- Kreise aus dem Umfeld der GIDA-Bewegun- feindlichen Positionen zu werben. Außerdem gen in eigene, rechtsextremistische oder mit nutzte die rechtsextremistische Szene diese rechtsextremistischen Gruppierungen koope- Veranstaltungen im Jahr 2015 intensiv, um sich rierende Organisationen. untereinander zu vernetzen. Das regelmäßige Als Beispiel kann hier der Widerstand Hoy- gemeinsame Agieren im Rahmen von asyl- erswerda genannt werden. Er entstand aus feindlichen und asylkritischen Veranstaltungen der ehemaligen HOYGIDA-Bewegung. Nach hat außerdem zur Etablierung neuer Kontakte,

30 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Kennverhältnisse und Personennetzwerke durch die NPD fand nicht statt. Die JN glori- geführt. Aus diesen regelmäßigen Kontakten fizierten sogar gewaltsame Ausschreitungen. heraus bildeten sich mittlerweile neue Grup- Infolge einer zunehmenden Emotionalisierung penstrukturen. Diese sind stark asylfeindlich suchten gewaltbereite Rechtsextremisten eingestellt und verfügen über ein Binnenklima, im Umfeld asylbezogener Veranstaltungen das geeignet ist, Radikalisierungsprozesse zu verstärkt die Auseinandersetzung mit Poli- befördern und zu beschleunigen. Es waren zeikräften und dem politischen Gegner. Hier diese ausgebauten persönlichen Kontakte, die hat gegenüber den Verhältnissen im Vorjahr die Aktionsfähigkeit der rechtsextremistischen eine Verschärfung des Vorgehens von Teilen Szene erhöhten und die voraussehbar auch der rechtsextremistischen Szene hin zu einer Bestand haben dürften, wenn die Asylthematik höheren Gewaltbereitschaft insbesondere wieder in den Hintergrund tritt. gegenüber der Polizei stattgefunden. Im Rahmen der Reaktionen der rechtsextremis- Lokale Verantwortliche müssen daher bei tischen Szene auf die laufende Asyldiskussion öffentlichen Diskussionen und Auseinanderset- verschwammen zunehmend die Grenzen zwi- zungen damit rechnen, dass externe gewaltbe- schen den Szenebereichen. Erlebnisorientierte reite Rechtsextremisten anreisen. Diese suchen subkulturell geprägte Rechtsextremisten wurden eine Gelegenheit für Ausschreitungen und politisch aktiv. Ehemalige Neonationalsozialisten Gewalttaten im Schutz von größeren Men- nutzen die Struktur der Jungen Nationaldemo- schenansammlungen. kraten und arbeiteten zusammen mit Teilen der Die aktuellen asylbezogenen Diskussionen und NPD. Trotz aller weiterhin bestehenden wechsel- Auseinandersetzungen wurden von Rechtsext- seitigen Vorbehalte boten gemeinsam besuchte remisten zudem als Ausdruck einer ausländer- Veranstaltungen mit Asylbezug den Rahmen, feindlichen Haltung der Mehrheit der Bevölke- in dem unterschiedlichste rechtsextremistische rung gedeutet. Dieses Interpretationsschema bot Szeneakteure gemeinsam auf eine Eskalation Rechtsextremisten mit zunehmender politischer laufender Asyldiskussionen hinwirken können. Schärfe der Diskussionen die Möglichkeit, sich Auch innerhalb der sonst auf ein „Sauber- als „Speerspitze“ eines „wahren Volkswillens“ zu mannimage“ bedachten NPD verschwammen sehen. Sie leiteten daraus für sich eine Rechtferti- die Grenzen. Trotz aller Distanzierungen ist seit gung von Gewalt gegen Asylbewerber, Polizeibe- dem Sommer 2015 deutlich geworden, dass amte, politische Gegner und öffentliche Amtsträ- es auch in der NPD Kräfte gab, die sich eine ger ab. Dies ist die Logik, die Rechtsextremisten weitere Eskalation von asylbezogenen Veran- immer wieder auf asylbezogene Einwohnerver- staltungen wünschen. Teilweise agierten so sammlungen und asylkritische Veranstaltungen einzelne NPD-Kader neben der Partei, um ihre zu tragen versuchen. persönlichen, oft radikaleren Politikvorstellun- gen umzusetzen. Die NPD selbst tolerierte dies Ausblick und versuchte, mit einer Vielzahl an asylfeind- lichen Veranstaltungen ihrerseits eine eigene Die hier beschriebenen Entwicklungslinien wer- Vorreiterrolle in der Asyldiskussion durchzu- den sich fortsetzen und vor allem in Abhän- setzen. Auch gewaltbereite Teilnehmer aus der gigkeit der Entwicklung der Asylthematik auch rechtsextremistischen Szene wurden von der weiter verschärfen können. Unabhängig davon NPD geduldet. Eine glaubhafte Abgrenzung werden die innerhalb der rechtsextremistischen

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 31 Szene neu entstandenen Gruppierungen ihre PEGIDA Dresden stellte im Berichtsjahr kein Politisierungs- und Radikalisierungsprozesse Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Ver- fortsetzen. Auch unterhalb des Niveaus ver- fassungsschutz oder des Landesamtes für Ver- festigter rechtsterroristischer Bestrebungen fassungsschutz Sachsen dar, da in der Gesamt- ist daher fortgesetzt mit einer hohen Gewalt- schau noch keine hinreichenden tatsächlichen bereitschaft gegen Asylbewerber und deren Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Einrichtungen zu rechnen. Bestrebung vorlagen. Asylkritische Veranstaltungen werden von Die bereits zu beobachtenden Fälle von Zusam- Rechtsextremisten auch weiter ideologisch und menarbeit zwischen Rechtsextremisten und organisatorisch instrumentalisiert werden. Zum nichtextremistischen asylkritischen Gruppen einen, um sich wechselseitig zu Aktionen zu und Initiativen stellten in sich auch eine Gefahr motivieren und sich weiter zu vernetzen, sowie für die freiheitliche demokratische Grundord- andererseits als Basis für mögliche Kooperatio- nung insgesamt dar. Durch diese Kooperati- nen mit nichtextremistischen Akteuren. onsmöglichkeiten bekommen Rechtsextremis- Hier sind Organisatoren asylkritischer Veran- ten die Chance, den demokratischen Konsens staltungen in der Verantwortung, klare Grenzen gegen Rechtsextremismus in Teilen erodieren zu Verfassungsfeinden zu ziehen. Insbesondere zu lassen. Rechtsextremisten würden sich dann darf deren Vokabular nicht Teil des asylkriti- wieder als akzeptierten politischen Partner schen Protests werden. Sowohl Intention als für nichtextremistische Kräfte darstellen und auch Rhetorik von PEGIDA boten beispiels- so eine Basis für ihre demokratiefeindlichen weise grundsätzlich ideologische Anknüp- Bestrebungen aufbauen. fungspunkte für Rechtsextremisten: So offen- Aus einzelnen laufenden asylkritischen Veran- barten ressentimentbehaftete Redebeiträge staltungsreihen heraus haben sich daher im oder Sprechchöre auf PEGIDA-Kundgebungen Jahr 2015 auch radikalere Strukturen gebildet, mitunter nicht nur fremden- und islamfeind- die die Grenze zum Rechtsextremismus über- liche Tendenzen. Sie zeigten bei einem Teil der schritten haben. Positiv ist, dass sich darin das Sympathisanten auch eine grundlegende Poli- bisherige Scheitern von Rechtsextremisten tikverdrossenheit und ein Misstrauen bis hin zeigt, asylkritischen Protest flächendeckend in zur Feindschaft gegenüber etablierten Parteien asylfeindliche Aktivitäten umzuwandeln. Bisher und Politikern („Volksverräter“), Journalisten führten politische Radikalisierungsprozesse und Medien („Lügenpresse“) sowie gegenüber vor allem zur Aufspaltung von asylkritischen Flüchtlingen („Rapefugees“). Dementspre- Organisatorengruppen. Dies spricht dafür, dass chend nahmen regelmäßig Rechtsextremisten die Abgrenzung zwischen bürgerlichem und an PEGIDA-Veranstaltungen teil. offen extremistischem asylbezogenen Protest Daher analysieren die VS-Behörden sorgfältig, nach wie vor überwiegend besteht. ob – und inwieweit – es hinsichtlich PEGIDA Diese Abgrenzung ist eine permanente Heraus- Dresden wie auch hinsichtlich der sehr hete- forderung für die demokratische Zivilgesell- rogenen und bundesweiten GIDA-Protestbe- schaft. wegung Steuerungs- oder Einflussnahme- versuche durch nationale und internationale Rechtsextremisten gibt.

32 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 1.3 „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD)

Extremismusbereich: Rechtsextremismus die damalige DDR geknüpft und bei Leipziger Montagsdemonstrationen Flugblätter verteilt Gründung: 1964 hatten, gründeten Anhänger am 24. März Sitz: Berlin 1990 in der Messestadt einen Vorläufer der sächsischen NPD unter der Bezeichnung Mit- Mitglieder 2015 in ca. 600 teldeutsche Nationaldemokraten (MND). Am Sachsen: 2. September 1990 gründeten die Mitglieder Mitglieder 2014 in ca. 610 der MND den sächsischen Landesverband der Sachsen: NPD. In Erfurt ( Thüringen) fand am 7. Oktober Mitglieder 2014 ca. 5.200 1990 ein Vereinigungsparteitag statt, auf dem bundesweit: sich die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR neu gegründeten NPD-Strukturen mit den Lan- Vorsitz Bund: FRANZ, Frank desverbänden der alten Bundesländer zu einer Vorsitz Freistaat SZYMANSKI, Holger Gesamtpartei zusammenschlossen. Sachsen: (bis 3. Juli 2015) BAUR, Jens (kom- Strukturentwicklung und Mitgliederzahlen der missarisch ab 4. Juli NPD im Freistaat Sachsen unterlagen seit der 2015) Gründung erheblichen Schwankungen. Hatte Teil-, Nebenorganisa- „Junge Nationalde- die NPD anfangs noch über 400 Mitglieder, die tionen: mokraten“ (JN), in rund 16 Kreisverbänden (bei damals noch „Ring Nationaler über 40 Landkreisen) organisiert waren, sank Frauen“ (RNF), die Mitgliederzahl bis 1994 auf unter 100 Per- Kommunalpolitische sonen. Erst nach einer im Jahr 1995 erfolgten Vereinigung (KPV) organisatorischen Straffung auf sieben Kreis- Publikation: Deutsche Stimme verbände und durch intensive Werbung im Kennzeichen: Rahmen von sogenannten „Freundeskreisver- anstaltungen“ stieg die Anzahl der Mitglieder wieder an. Hierzu trug auch eine strategische Orientierung auf öffentliche Aktivitäten, wie beispielsweise Großdemonstrationen, bei. Den Historie und Strukturen Zenit dieser Entwicklung überschritt der säch- sische NPD-Landesverband im Jahr 1998 mit Die 1964 gegründete NPD ist aus der ehema- ca. 1.400 Mitgliedern und 20 Kreisverbänden. ligen Deutschen Reichspartei hervorgegangen. Trotz der Gründung zweier weiterer Kreisver- Die NPD-Jugendorganisation „Junge National- bände im Jahr 1999 sank die Mitgliederzahl demokraten“ (JN) wurde 1969 gegründet. stark auf schließlich ca. 1.000 Personen. Der Rückgang war u. a. auf zwei Faktoren zurückzu- Nachdem Mitglieder der NPD aus den alten führen. Aus wahltaktischen Gründen hatte die Bundesländern im Jahr 1989 erste Kontakte in NPD auf öffentliche Aktivitäten verzichtet, um

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 33 potenzielle Wähler nicht mit dem martialischen Mitglieder. Das gesteigerte Engagement der Erscheinungsbild von Demonstrationsteilneh- sächsischen NPD im Zusammenhang mit Pro- mern zu verprellen. Intern hatten in der NPD testen gegen die Asylpolitik im Jahr 2015 führte zudem Diskussionen über einen politischen nicht wie gehofft zu einer Trendwende. Infolge- Kurswechsel zum Sozialismus eingesetzt. Die dessen sank die Mitgliederzahl des sächsischen Partei hatte Ideologieelemente des Sozialismus Landesverbandes im Jahr 2015 weiter. Der Partei und der Volksgemeinschaft zu einer These ver- gehörten etwa 600 Personen an. bunden, die sie als „volksbezogenen deutschen Sozialismus” beschrieben hatte. Seit dem Jahr 2008 verfügte die NPD – nach einer Reduzierung der Anzahl der Kreisver- Erst nach dem Einzug der NPD in den Sächsi- bände entsprechend der damaligen Kreis- schen Landtag im Jahr 2004 erholte sich der gebietsreform – über 13 Kreisverbände. Der Mitgliederbestand wieder etwas. Die Mitglie- andauernde Mitgliederschwund führte im derzahl stagnierte jedoch danach und sank in Jahr 2015 erstmals zu einer strukturellen Ände- den letzten Jahren kontinuierlich. Nach dem rung. Der Kreisverband Leipzig schloss sich mit verpassten Einzug in den Sächsischen Landtag dem Kreisverband Landkreis Leipzig zu einer im Jahr 2014 und Austritten im Rahmen einer Struktur zusammen. Die NPD verfügt somit im hiermit verbundenen Parteikrise verfügte die Jahr 2015 über 12 Kreisverbände und verein- NPD in Sachsen Ende 2014 nur noch über 610 zelte Ortsgruppen.

Mitgliederzahl und Anzahl der Kreisverbände der NPD im Freistaat Sachsen

1.200 50

40 900 850 850 800 800 760 700 670 30 Mitglieder 610 600 600 20 20 300 Anzahl 13 13 13 13 13 13 13 12 10 der Kreis- verbände 0 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

34 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen NPD-Strukturen im Freistaat Sachsen

Einzelne Mitglieder der NPD sind im Freistaat den Warenversand an einen NPD-Funktionär Sachsen darüber hinaus in der NPD-Frauenor- in Thüringen. Auch der Buchversand wurde ganisation „Ring Nationaler Frauen“ (RNF) sowie ausgelagert. Übrig blieb letztendlich die Her- in der Kommunalpolitischen Vereinigung (KPV) ausgabe des NPD-Organs „Deutsche Stimme“. organisiert. Der RNF war im Freistaat Sachsen im In einem Brief an alle Mitglieder des Lan- Berichtsjahr 2015 eine weitgehend inaktive Struk- desverbandes über die Zukunft des Objektes tur ohne politische Bedeutung. Die Internetseite führte der Landesvorstand aus, dass nach der des Landesverbandes ist nicht mehr erreichbar Auslagerung des Versandes die Halle nun leer und der letzte Eintrag im Facebook-Auftritt dieser stehe. Ein kleiner Teil werde von einem neuen Struktur stammt aus dem Monat Mai 2013. Medienprojekt mit der Bezeichnung „DS-TV“32 genutzt. Nachdem ein Antrag des Landesvor- Die KPV ist eine bundesweit agierende Organi- standes auf die Erhebung eines Sonderbei- sation mit der Aufgabe, kommunale Mandats- trages zur Erhaltung des Standortes auf dem träger der NPD zu schulen. letzten Landesparteitag im März 2015 schei- terte, bat der Vorstand die Mitglieder in dem Die Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH oben genannten Schreiben um eine freiwillige mit Sitz in Riesa (Landkreis Meißen) hat nach Abgabe. Ansonsten müsse das Objekt verkauft finanziellen Problemen in den letzten Jah- werden. ren immer mehr an Bedeutung verloren. Im Jahr 2015 übergaben die Betreiber des Verlages

32 Unter dem Label „DS-TV“ produziert die NPD seit Frühjahr 2015 regelmäßig Reportagen und Propagandavideos und stellt

diese im Internet ein. Dazu richteten die Rechtsextremisten im32 Verlagsgebäude Unter dem Label „DS-TV“ produziert ein die NPD seit Frühjahr Aufnahmestudio 2015 regelmäßig Reportagen und Propagandavideos und stellt diese im Internet ein. Dazu richteten die Rechtsextremistenein. im Verlagsgebäude ein Aufnahmestudio ein.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 35 Offenbar versuchen die Betreiber die Finan- Ideologie/Politische Zielsetzung zierung des Objektes mit Veranstaltungen abzusichern. Während eines „Sommerfestes“ Die NPD strebt die Abschaffung der freiheit- am 22. August 2015 weihten die Rechtsextre- lichen demokratischen Grundordnung an. misten einen Teil des Gebäudetraktes als „Haus An ihrer Stelle will die Partei einen autoritär Wieland“ ein, welcher als Veranstaltungssaal geführten Staat etablieren, in dem sich der Ein- mit Schlafplätzen als „nationales Begegnungs- zelne der Gemeinschaft unterzuordnen hat. Er zentrum“ für Seminare, Schulungen und andere soll seine individuelle Freiheit in diesem Staat Veranstaltungen genutzt werden soll. nur so weit ausleben können, wie sie der völ- kischen Gemeinschaft Nutzen bringt. In einer solchen Gesellschaft kommt eine Person nur dann in den Genuss des Schutzes der Gemein- schaft, wenn sie durch ihre Abstammung qualifiziert ist, Bestandteil der Gemeinschaft zu sein. Im Gegensatz zum Grundgesetz, welches die Würde des Menschen als obers- tes und unveräußerliches Prinzip schützt und das für alle Menschen gültig ist, spricht die NPD die Menschenwürde nur den Mitgliedern einer „Volksgemeinschaft“ zu. Alle Menschen, welche nach Ansicht der Rechtsextremisten nicht Bestandteil dieser „Volksgemeinschaft“ sind, werden als Bedrohung der „deutschen Volkssubstanz“ angesehen, solange sie sich in Deutschland aufhalten. Die NPD will ihnen Grundrechte verweigern und weist ihnen in ihrer Programmatik einen niedrigeren Rechts- status zu. Diese Positionen weisen Parallelen zum historischen Nationalsozialismus auf. Die Partei versuchte zwar, sich der Bevölkerung als harmloser „Kümmerer und Schutzmacht“ zu präsentieren, indem sie z. B. am Rande von Informationsständen kostenlos Lebensmittel verteilte. Allerdings offenbarte die Argumen- Quelle: www.facebook.com/npd.Sachsen tation der Partei bei asylbezogenen Protesten (Stand: 23. September 2015) den zutiefst rassistisch geprägten Hintergrund der NPD-Ideologie. Aktivitäten des NPD-nahen Vereins „Bildungs- werk für Heimat und Nationale Identität e. V.“ waren im Jahr 2015 nicht feststellbar. Die Homepage des Vereins ist nicht mehr erreichbar.

36 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Schaffung einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft in der Globalisierungsära Volksgemeinschaft die einzig denkbare Schutz- und Solidarge- meinschaft ist; nur sie verbürgt durch emoti- Die NPD strebt die Schaffung einer nach onal unterfütterte Zusammengehörigkeitsge- „immerwirkenden Naturgesetzen“ bestimmten fühle soziale Teilhabe und Sicherheit.“34 „neuen Ordnung“ in Form einer „Volksgemein- schaft“ an. Die rassistisch definierte Volksgemeinschaft ist das Kernelement der Weltanschauung der NPD. Aus ihr leitet sich ein völkisches Menschen- bild in Gestalt des Vorrangs der Gemeinschaft gegenüber dem Individuum ab. Nur wenn ein Mensch nach diesem Verständnis Bestandteil der „Volksgemeinschaft“ ist, wird ihm seine Freiheit garantiert. Dies allerdings nur inso- weit, als er der Gemeinschaft nützt.

Quelle: www.facebook.com/Npdmittelsachsen „Erst die Volksgemeinschaft garantiert die (Stand: 24. April 2014) persönliche Freiheit; diese endet dort, wo die Gemeinschaft Schaden nimmt.“ 35 „Die NPD bekennt sich zur Volksgemeinschaft und zum Selbstbestimmungsrecht der Völker. „An allen Stellen, an denen Einzelinteressen mit Die Volksgemeinschaft ist die Voraussetzung Gemeinschaftsinteressen kollidieren, haben für die Solidargemeinschaft und damit für den diese zugunsten des Erhaltes der Gemeinschaft sozialen Staat, der auch im Grundgesetz gefor- zurückzutreten.“ 36 dert wird. Das nationale Selbstbestimmungs- recht wiederum ist die Voraussetzung für einen Hier zeigt sich eine Parallele zum Programm der demokratischen Staat.“ 33 NSDAP, wonach gemäß Punkt 10 die „Tätigkeit des einzelnen […] nicht gegen die Interessen Diese Volksgemeinschaft sieht die Partei als der Allgemeinheit verstoßen (darf), sondern „Schutz- und Solidargemeinschaft“. Nur in ihr (…) im Rahmen des Gesamten zum Nutzen aller gebe es Sicherheit, Teilhabe und Zusammenge- erfolgen (müsse).“37 hörigkeit: Die NPD verwendet den Begriff „Volksgemein- „Entscheidend ist die glaubwürdige Positio- schaft“ im Sinne der nationalsozialistischen nierung der NPD als Schutzmacht der ‚kleinen Ideologie. Die historischen Nationalsozialisten Leute’. Dieser potentiell nationalrevolutionären definierten sie als „die auf blutmäßiger Verbun- Mehrheit im Volk muß klar werden, dass die denheit, auf gemeinsamem Schicksal und auf

33 am 11. Juli 2008, Sächsischer Landtag, Plenarprotokoll 4/115, S. 9453 34 Jürgen GANSEL, „Weckruf an die ,kleinen Leute’ im Volk“, www.npd-sachsen.de (Stand: 3. Februar 2011) 34 35 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 6 35 Jürgen GANSEL, „Weckruf an die ‚kleinen Leute’ im Volk“, www.npd-sachsen.de (Stand: 3. Februar 2011) 36 Wahlprogramm der NPD zur Bundestagswahl 2002, S. 77 36 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 6 3337 Programm Holger APFELder am 11. Juli 2008, Sächsischer NSDAP Landtag, Plenarprotokoll 4/115, S. 9453 vom 13. April 1920, Schreibweise wie im37 Original Wahlprogramm der NPD zur Bundestagswahl 2002, S. 77

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 37 gemeinsamem politischem Glauben beruhende Rassistische fremdenfeindliche Ideologie Lebensgemeinschaft eines Volkes, der Klassen- und Standesgegensätze wesensfremd sind“. Nach Vorstellung der NPD bestimmt sich der Die NPD versteht diese Volksgemeinschaft als Wert eines Menschen nach der Zugehörigkeit eine annähernd „ethnisch homogene“ Gruppe zu einer Ethnie bzw. Rasse. Hieraus resultieren von Menschen, die aufgrund „gemeinsamer eine rassistisch gefärbte Fremdenfeindlich- Sprache, Geschichte, Kultur, Schicksal, etc.“38 keit und der übersteigerte Nationalismus der entstehe. Partei. Die Rechtsextremisten grenzen die in ihren Augen „Nicht-Deutschen“ nicht nur aus, „Deutscher ist, wer deutscher Herkunft ist und sondern sie diffamieren sie als minderwertige damit in die ethnisch-kulturelle Gemeinschaft „Sozialschmarotzer“ und stellen sich selbst als des deutschen Volkes hineingeboren wurde. Elite dar. (...) Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verlei- „Die Grundlagen unserer ethnischen Exklusivi- hung bedruckten Papiers (des BRD-Passes) ja tät, unseres geistig-kulturellen Erbes, aber auch nicht die biologischen Erbanlagen verändert, unserer wissenschaftlich-technischen und die für die Ausprägung körperlicher, geistiger damit wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind und seelischer Merkmale von Einzelmenschen in Gefahr (…) Die Leistungsgesellschaft braucht und Völkern verantwortlich sind. (...) Angehö- Leistungsträger. Leistungsträger finden sich rige anderer Rassen bleiben deshalb körperlich, aber vermehrt in den zentraleuropäischen Völ- geistig und seelisch immer Fremdkörper, egal, kern, nicht bei den afrikanischen Hottentotten. wie lange sie in Deutschland leben. Sie mutie- Begabungen und Intelligenz sind nun einmal ren durch die Verleihung eines Passes ja nicht ungleich verteilt – und das deutsche Volk ist zu Deutschen.39 eines der begabtesten Völker in der Welt. Für unsere Begabungen haben wir uns auch nicht Diese Ausführungen in den Argumentations- zu schämen! Im Gegenteil! Deshalb darf es hilfen zeigen sehr eindrücklich, dass die NPD keine Zuwanderung von Dummen und Primiti- den Begriff der Volksgemeinschaft im Sinne ven in unser Land geben (…).“ 40 der rassistischen und ausgrenzenden national- sozialistischen Ideologie interpretiert. Deutlich „So geht deutsche Intelligenz zunehmend ist ein Bezug auf das Programm der NSDAP zu ins Ausland, während ausländische Dumm- erkennen, wo es im Punkt 4 hieß: „Staatsbürger heit mit sozialschmarotzerischen Neigungen kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksge- ungebremst ins Land kommt. Die deutsche nosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist ...“ Volkssubstanz wird neben der Auswanderung guter Köpfe durch den andauernden Gebur- tenboykott der vielen beruflich ‚Gestrandeten’ geschwächt.“41

38 www.npd-sachsen.de, Beitrag „National-revolutionäre Gesundheitspolitik“ (Stand: 11. September 2003) 39 Broschüre WORTGEWANDT, Argumente für Mandats- und Funktionsträger, 2012, S. 18 f. 3840 www.npd-fraktion-sachsen.de Programm der NSDAP vom 13. April 1920, Schreibweise wie im Original (Stand: 8. Mai 2012) 40 Broschüre WORTGEWANDT, Argumente für Mandats- und Funktionsträger, 2012, S. 18 f. 39 www.npd-sachsen.de, Beitrag „National-revolutionäre Gesundheitspolitik“ (Stand: 11. September 2003) 41 www.npd-fraktion-sachsen.de (Stand: 8. Mai 2012) 41 www.npd-sachsen.de, Artikel „Der Globalisierungstod des Bürgertums“ (Stand: 2. Januar 2007)

38 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Der Fremde – und in den Augen der NPD Nicht- Seit einigen Jahren – infolge der verstärk- Deutsche – wird pauschal als kriminell, dumm ten Entwicklung des islamistischen Terrors in und angetrieben von einer „schmarotzerischen“ der Welt – baut deshalb die NPD bewusst das Neigung dargestellt. Seine Aufnahme in die Feindbild Islam auf, um ihre fremdenfeindlichen „Volksgemeinschaft“ würde den Bestand der Argumentationen in das sicherheitsempfindli- „deutschen Volkssubstanz“ gefährden. Die im che Bewusstsein der Bevölkerung zu tragen und Jahr 2015 einsetzende verstärkte Zuwande- Ängste zu schüren. Dabei setzt die NPD Muslime rung von Asylbewerbern deutet die NPD als und Islamisten gleich, wenn sie behauptet, dass Durchführung eines Planes zur Vernichtung des die Islamisten das wahre Gesicht des Islams Deutschen Volkes. Der NPD-Funktionär Arne zeigten. Dabei wird ihnen sogar die Rolle von SCHIMMER bezeichnete diesen Vorgang in einer Krankheitserregern zugeschrieben: Rede als „schleichenden Staatsstreich“. Durch den „massenhaften Asylmißbrauch“ habe sich „Islamisten sind dabei nicht etwa nur als beson- „ein Schlupfloch für illegale Zuwanderung größ- ders extreme Vertreter ihres Glaubens anzuse- ten Ausmaßes geöffnet“. So werde „am Ende die hen, sondern sie verkörpern den Islam vielmehr in Zusammensetzung des Staatsvolks geändert (…), seiner unverfälschten Form, mit der die Mehrzahl ohne daß die Deutschen in einer Volksabstim- der in Deutschland lebenden Muslime gänzlich mung vorher darüber befragt worden seien.“42 oder zumindest in weiten Teilen konform geht.“ 44

Islamfeindlichkeit als Türöffner für „Für die sächsische NPD steht außer Frage, daß Fremdenfeindlichkeit Zuwanderungskritik heutzutage immer auch Islamisierungskritik sein muß, ist doch gerade Bereits im Jahr 2010 gab es strategische Über- die Zuwanderung aus islamischen Ländern legungen der NPD, wonach die sogenannte besonders konfliktbeladen. Muslime stellen „Moslemfrage“ propagandistisch als Türöffner nicht nur quantitativ die Hauptgruppe der für die Vermittlung ihrer ausländerfeindlichen Überfremder dar, sondern sie sind aufgrund Positionen genutzt werden sollte: ihres – mit der deutschen Mehrheitsgesell- schaft unvereinbaren – religiösen und kulturel- „Die nationale Opposition ist also wahltaktisch len Hintergrundes auch die mit Abstand proble- gut beraten, die Ausländerfrage auf die Mos- matischsten. (…) lemfrage zuzuspitzen (ohne sie freilich darauf Wegen der rasant steigenden Verausländerung zu beschränken) und die Moslems als Projek- im allgemeinen und der massiven Ausbreitung tionsfläche für all das anzubieten, was den islamistischer Strukturen im besonderen ist Leip- Durchschnittsdeutschen an Ausländern stört. zig für die Sachsen-NPD ein Schauplatz, an dem Die populäre Moslemkritik kann so zum Türöff- sich zeigen wird, wie intakt noch das ethnisch- ner für die viel weitergehende Ausländerkritik kulturelle Immunsystem der Sachsen gegen die der nationalen Opposition werden.“ 43 Landnahme aus dem Morgenland ist.“ 45

42 npd-sachsen.de (Stand: 17. August 2015), Schreibweise wie im Original 43 www.kompakt-nachrichten.de (Stand: 14. Oktober 2010) 4244 Ebenda 44 npd-sachsen.de (Stand: 17. August 2015), Schreibweise wie im Original 43 www.npd-sachsen.de, Artikel „Der Globalisierungstod des Bürgertums“ (Stand: 2. Januar 2007) 45 www.kompakt-nachrichten.de (Stand: 14. Oktober 2010) 45 www.npd-sachsen.de (Stand: 12. August 2013), Schreibweise wie im Original

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 39 Menschenwürde und Ausschluss von „Ausländer sind aus dem deutschen Sozialversi- Grundrechten cherungswesen auszugliedern und einer gesonder- ten Ausländersozialgesetzgebung zuzuordnen.“50 Den zentralen Aussagen des Grundgesetzes zu Menschenwürde und Gleichheitsrechten setzt die Diese Forderungen verdeutlichen, dass die Partei mit ihrem Verlangen nach „Reinhaltung der NPD Menschen, welche nicht in ihrem Sinne Rasse“ zum Schutze der „deutschen Volkssubs- Bestandteil der rassistisch definierten Volks- tanz“ rassistisch geprägte Forderungen entge- gemeinschaft sind, systematisch einen niedri- gen, die wiederum eine Anlehnung an die Zeit des geren Rechtsstatus zuordnet und ihnen Grund- Nationalsozialismus erkennen lassen. rechte verweigern will.

Zwar bekennt sich die Partei in ihrem Partei- Der sächsische NPD-Funktionär Jürgen KÖTZING programm formal zur Menschenwürde und zur (Vorsitzender des Kreisverbandes Bautzen) ging Gleichheit vor dem Gesetz, allerdings konter- sogar soweit, eine Deportation der Asylsuchen- kariert sie diese Aussage mit Forderungen zur den, wie zur NS-Zeit zu fordern. Im August 2015 unterschiedlichen Behandlung von Deutschen wurde er von der „Frankfurter Zeitung“ befragt, und Nichtdeutschen, indem sie die Wahrung wie mit straffälligen Asylbewerbern umzugehen der Menschenwürde nur auf die eigene Ethnie sei. Darauf antwortete KÖTZING: „Nee, Gleis 17, beschränkt: Waggon 1, rein und ab.“ Diese Aussage von KÖT- ZING ist eine Anspielung auf das Gleis 17 im „Die Würde des Menschen als soziales Bahnhof Berlin-Grunewald, welches die Depor- Wesen verwirklicht sich vor allem in der tation Berliner Juden ins Vernichtungslager Volksgemeinschaft.“46 Auschwitz-Birkenau symbolisiert. In demselben Beitrag sprach KÖTZING von einer „Umvolkung“ „… das ‚Begrüßungsgeld‘ für Neugeborene, das und führte aus: ‚Müttergehalt‘ und das von der NPD geforderte „Ich sage jetzt bewusst: Die deutsche Rasse soll Familiendarlehen haben ausschließlich deut- durch solche Dinge aufgemischt werden.“ 51 sche Familien zu fördern.“ 47 Wer nach der Definition der NPD nicht „Der Staat hat jedem Deutschen zu ermögli- Bestandteil der Volksgemeinschaft ist, wird chen, durch Arbeit seinen und den Lebensunter- als „krank machender Fremdkörper“ betrach- halt seiner Familie aus eigener Kraft bestreiten tet. Diese Menschen will die NPD ausgrenzen, zu können.“ 48 benachteiligen und ausschließen. Sie sind in den Augen der Rechtsextremisten minderwer- „Eigentum an deutschem Grund und Boden tig und sollen Deutschland verlassen. Vor die- kann nur von Deutschen erworben werden.“49 sem ideologischen Hintergrund sind besonders

46 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 6 47 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 7 48 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 8

46 Ebenda 49 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 9 47 www.npd-sachsen.de (Stand: 12. August 2013), Schreibweise wie im Original 50 48 Parteiprogramm Parteiprogramm der NPD 2010, S. 6 der NPD 2010, S. 11 50

4951 www.sz-online.de/nachrichten/ (Stand: 21. August 2015) 51 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 7

40 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen die ausländer- und islamfeindlichen Kampag- durch einen anderen nichts gewonnen ist, son- nen der NPD zu sehen. dern nur ein radikaler, also an die Wurzel des Übels gehender Politikwechsel. (...) So wie das Streben nach Abschaffung der System von unten nach oben fault, muss die parlamentarischen Demokratie NPD von unten nach oben politische Gegen- macht aufbauen. In den Städten, Gemeinden Die NPD positioniert sich offen als Alternative und Landkreisen haben wir uns als Stachel im zur parlamentarischen Demokratie. Sie will Fleisch der Volksbetrüger und als Schutzmacht den Staat weder reformieren, noch an seiner der ‚kleinen Leute’ unseres Volkes festzusetzen – Gestaltung im Rahmen des parlamentarischen parlamentarisch wie außerparlamentarisch.“ 54 Prozesses mitwirken. Die gegenwärtige demo- kratische Gesellschaft soll vielmehr abge- Im Zusammenhang mit den zunehmenden Pro- schafft werden. Deshalb greift die Partei den testveranstaltungen gegen die Asylpolitik im Staat in diffamierender Art und Weise an und Jahr 2015 sah der sächsische NPD-Funktionär bringt so ihren Willen zur Überwindung des Peter SCHREIBER den Anfang einer Revolution: Systems zum Ausdruck. „Es war eine geradezu vor-revolutionäre Stim- „Die NPD stellt die Systemfrage, sie will den mung. Friedlich, aber entschlossen. Gewaltfrei, sozialen, demokratischen und nationalen aber konsequent. (…) Unsere deutschen Lands- Volksstaat schaffen und stellt dieses Ideal der leute sind, wenigstens hier in unseren Breiten, etablierten ‚Demokratie-Karikatur’ namens endlich soweit (…) Der Widerstandswille ist BRD entgegen.“ 52 erwacht – und er wird nicht wieder so schnell schwinden. Es ist soweit: Die nationale Wende „In der Tat wollen wir das liberalkapitalistische kann beginnen.“ 55 System der BRD überwinden und die Fehler die- ser repräsentativen Demokratie beseitigen (…)“ 53 Absage an das Mehrparteienprinzip – Parlamentarismus ist nur Mittel zum Zweck Der maßgebliche Parteiideologe Jürgen GAN- SEL verdeutlichte in einem Artikel, dass die Anstelle der repräsentativen Demokratie strebt Partei kein Interesse an der Mitgestaltung des die Partei einen Staat mit plebiszitärem Präsi- demokratischen Willensbildungsprozesses hat, dialsystem an, in dem es kein demokratisches sondern daran arbeiten will, eine den „Partei- Mehrparteiensystem mehr geben soll: enpluralismus erstickende Gegenmacht“ auf- zubauen: „Demokratie heißt Volksherrschaft, während Liberalismus die Herrschaft von Parteien und „Das alles ist systemimmanenter Volksbetrug! Interessengruppen meint, deren Bühne und Hier hilft kein bloßer Politikerwechsel, weil Exekutionsorgan volksabgehobene Parlamente durch den Austausch eines Volksbetrügers sind. Im Liberalismus reißen sich Parteien und

52 Broschüre „Heimat bewahren. Freiheit erkämpfen“, S. 15 53 Der damalige NPD-Parteivorsitzende VOIGT in der Deutschen Stimme, April 2011, S. 16 54

52 Artikel „DieParteiprogramm Systemkrise der NPD 2010, S. 8 beginnt im kommunalen Unterbau“, Internetseite54 Parteiprogrammder der NPD 2010,NPD S. 11 (Stand: 24. Februar 2010) 55 53 www.npd-riesa-großenhain.de Parteiprogramm der NPD 2010, S. 9 (Stand: 2. Oktober 2015) 55 www.sz-online.de/nachrichten/ (Stand: 21. August 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 41 Interessengruppen den Staat unter den Nagel zum Zweck. Die NPD beteiligte sich nicht an und machen ihn zum Schacher- und Kompro- parlamentarischer Arbeit, um zur Ausgestal- mißobjekt. (…) Wir wollen das gemeinwohl- tung der Demokratie beizutragen, sondern um schädigende Parteienregime eindämmen und sich finanzielle und informationelle Ressour- ein neues Gemeinwesen mit einem volksge- cen zu erschließen und für ihre Zwecke aus- wählten Präsidenten und Volksabstimmungen zunutzen. Der ehemalige Bundesvorsitzende in allen Lebensfragen der Nation schaffen. Ein Holger APFEL führte aus: solches plebiszitäres Präsidialsystem würde die deutsche Politik aus dem Würgegriff „Ein Parlament ist Mittel zum Zweck, nicht mehr der Blockparteien und der eigensüchtigen und nicht weniger. (…) Und so nutzen wir die Interessengruppen befreien. (…) Demokratisch Landtagsbühne als Politikwerkstatt, als Plattform sind wir nicht nur deshalb, weil wir eine wahre zur Entwicklung politischer Visionen; um uns mit Volksherrschaft an die Stelle der liberalistischen Herrschaftswissen und geistigem Rüstzeug im Parteien- und Interessengruppen-Herrschaft Kampf gegen die Feinde unseres Landes auszu- setzen wollen, sondern auch, weil wir entschie- statten. Und natürlich um unsere Gegner mit ihren den für eine deutsche Volksherrschaft anstelle eigenen Waffen zu schlagen und ihnen jeden Tag einer multikulturellen Bevölkerungsherrschaft aufs Neue die Maske vom Gesicht zu reißen.“ 58 eintreten.“56 Historischer Nationalsozialismus als Ideal Der so angestrebte Staat trägt autoritäre Züge der NPD und steht im Kontrast zum pluralistischen Weltbild des Grundgesetzes. Auch im Partei- Die NPD empfahl ihren Funktionsträgern zwar, programm verdeutlichte die NPD ihre ableh- „sich mit dem Hinweis auf Gegenwartsaufga- nende Haltung zum Mehrparteiensystem: ben“ nicht auf die Themenkomplexe Holocaust, Kriegsschuldfrage 1939 und Nationalsozia- „Zentrale Eckpunkte einer politischen Neu- lismus „festnageln“ zu lassen. Jedoch zeigen ordnung sind: die Festschreibung einklagbarer die beschriebenen Parallelen zwischen der sozialer Grundrechte und der Grundpflichten, NPD und der NSDAP-Programmatik sowie die die Direktwahl des mit mehr Machtbefugnis- positive Bezugnahme auf die Zeit der natio- sen ausgestatteten Präsidenten der Deutschen nalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und durch das Volk und die Stärkung der Gesetzge- 1945, dass sich die Partei am „Dritten Reich“ bung durch Volksentscheide auf allen Ebenen. orientiert. Dadurch wird die gemeinwohlschädigende Dominanz der Parteien zurückgedrängt und das „Nur weil es etwas schon im Dritten Reich gab, Volk in seinen Rechten gestärkt.“ 57 muß es nicht automatisch schlecht sein. Wir sind keine Partei, die etwas nur deshalb ablehnt, Die Beteiligung am parlamentarischen Willens- weil es das auch schon zwischen 1933 und 1945 bildungsprozess ist für die Partei nur Mittel gegeben hat, z. B. echt fortschrittliche Gesetze

56 Broschüre WORTGEWANDT Argumente für Mandats- und Funktionsträger, 2012, S. 51 5657 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 8 5758 www.npd-sachsen.de Broschüre „Heimat bewahren. Freiheit erkämpfen“, S. 15 (Stand: 6. März 2009) 58 Der damalige NPD-Parteivorsitzende VOIGT in der Deutschen Stimme, April 2011, S. 16

42 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen auf dem Gebiet der Sozial- und Familienpolitik, rechtfertigen. So leugnet sie die Schuld der des Tier- und des Naturschutzes (…). Die Forde- Nationalsozialisten am Ausbruch des Zweiten rung ‚Gemeinnutz geht vor Eigennutz’ ist doch Weltkrieges. Der Angriff auf Polen habe „auf nicht falsch, nur weil sie von Nationalsozialis- jeden Fall der Abwehr einer deutlich angezeig- ten erhoben wurde.“59 ten militärischen Bedrohung gegen das Reich“63 gedient. Die erwähnte „Forderung“ ist im Programm der NSDAP zu finden. Offensichtlich hat diese Par- Hinsichtlich des millionenfachen Massenmor- tei für die NPD nicht nur in Bezug auf ihre Ideo- des an den europäischen Juden spricht die logie, sondern auch in strategisch-taktischen NPD in ihrem Zentralorgan verharmlosend von Fragen eine Vorbildfunktion. Dies untermau- „Fehlentwicklungen“ im „Dritten Reich“64. erte der damalige stellvertretende Bundesvor- sitzende Karl Richter in einem Thesenpapier zur Auch im Sprachgebrauch der NPD ist eine künftigen Positionierung der NPD: Anlehnung an die Zeit des Nationalsozialismus zu finden. Die NPD in Mittelsachsen führte zum „Im Gegensatz zu uns war die NSDAP in Stil, Beispiel im Jahr 2014 sogenannte „Tage der Auftreten und Methoden eine ultramoderne Volksgemeinschaft“ durch und erläuterte dazu: Massenpartei, die es damit konkurrenzlos erfolgreich in die Mitte des Volkes schaffte. „Wie schon im letzten Monat sammelten Akti- Dort müssen wir auch hin!“ 60 visten Geld zur Unterstützung der AWO und der Volksgenossen. (…) Die Not ist in der ganzen Nach dem Vorbild des historischen Nationalso- Welt groß, aber auch in unserem Volk und als zialismus strebt die NPD die Wiederherstellung Nationalisten, die den sozialistischen Weg der des deutschen Reiches als „Schutz- und Trutz- Volksgemeinschaft gehen, ist jetzt erst unser bündnis des Deutschen Volkes“61 an. Volk dran.“ 65

„Die Hauptaufgabe der deutschen Nationalde- Aktivitäten mokratie besteht deshalb in der Wiederherstel- lung der vollen Handlungsfähigkeit des Deut- Die sächsische NPD bot im Berichtsjahr kein schen Reiches.“ 62 homogenes Bild. Ein Teil der NPD-Strukturen zeigte im Berichtjahr kaum Aktivitäten. Nach Das von der NPD angestrebte „Reich“ orientiert Mitgliederaustritten in den Landkreisen Görlitz sich deutlich am „Dritten Reich“. Die Partei und in Bautzen waren beide NPD-Strukturen versucht dabei, Geschehnisse aus der Zeit des überwiegend nicht in der Lage, politische Akti- Nationalsozialismus zu verharmlosen bzw. zu vitäten zu entfalten. Auch der Kreisverband

59 WORTGEWANDT Argumente für Mandats- und Funktionsträger, 2012, S. 53 60 Thesenpapier „Raus aus dem Vergangenheitsghetto – Gegenwart gestalten“ von Karl RICHTER, Juni 2011 61 www.npd.de, Meldung über den „Präsidiumsbeschluß zur V-Mann-Hysterie – Jetzt erst recht!“ (Stand: 17. Juli 2002) 62 Europawahlprogramm der NPD 2003, S. 6 59 63 Deutsche Stimme, Artikel „Imperialistischer Raubzug oder nationaler Notwehrakt?“, August 2003, S. 20 60 Artikel „Die Systemkrise beginnt im kommunalen Unterbau“, Internetseite der NPD (Stand: 24. Februar 2010) 63 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 8 64 61 Deutsche www.npd-riesa-großenhain.deStimme, (Stand: 2. Oktober 2015) Artikel „Die BRD feiert die Niederlage Deutschlands“64 vonwww.npd-sachsen.de Jürgen (Stand: 6. März 2009) GANSEL, Juli 2004, S. 4 6265 www.facebook.com/pages/NPD- Broschüre WORTGEWANDT Argumente für Mandats- und Funktionsträger, 2012, S. 51 Mittelsachsen (Stand: 21. März65 2014)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 43 Chemnitz war weitgehend inaktiv. Schwach politische Bühne. Sie sah sich danach zusätz- ausgeprägt war das Parteileben in den Regi- lich mit der Tatsache konfrontiert, dass andere onen Nordsachsen, Zwickau und auch im Protestinitiativen zunehmend ein politisches Vogtland. Selbst der bei zurückliegenden Feld besetzten, welches ursprünglich die NPD Wahlkampfzeiten sehr agile Kreisverband Leip- für sich exklusiv beansprucht hatte: der Protest zig verlor im Berichtsjahr an Bedeutung. Die gegen die Aufnahme und Unterbringung von Unzufriedenheit der Mitglieder über das Schei- Asylbewerbern. Besonders die Veranstaltungen tern der NPD-Fraktion bei der Sächsischen der GIDA-Bewegung erreichten Dimensionen, Landtagswahl 2014 und die ausbleibenden per- die von NPD-Funktionären nie erzielt wurden. sonellen Konsequenzen an der Führungsspitze Um nicht gänzlich aus dem Fokus der öffentli- führten zu Frustration und Parteiaustritten. chen Wahrnehmung zu geraten, nahmen Par- Hinzu kamen im Berichtsjahr noch personelle teimitglieder immer wieder an asylkritischen Schwierigkeiten in der Führungsspitze, nach- Demonstrationen und Kundgebungen teil und dem der Landesvorsitzende SZYMANSKI hatte initiierten eigenen Protest auf der Straße. zurücktreten müssen. Dabei verfolgte die Partei regional unter- schiedliche Strategien. Das Spektrum reichte Die wesentlichen Aktivitäten gingen vom von der Organisation von offen erkennbaren Landesverband sowie von einzelnen Kreisver- NPD-Veranstaltungen bis hin zu verschleierten bänden wie in der Sächsischen Schweiz, Dres- Pseudo-Bürgerinitiativen. Auffallend war, dass den, Meißen sowie im Erzgebirge aus. Wenige die Partei oft bemüht war, einen offenen Par- NPD-Strukturen organisierten im Berichtsjahr teibezug zu vermeiden, um bürgerliches Teil- eine Vielzahl von Veranstaltungen. Insgesamt nehmerpotenzial nicht zu verschrecken. 105 der 146 bekannt gewordenen öffentlichen Aktivitäten von Rechtsextremisten in Sachsen, Die Partei war im Berichtsjahr bestrebt, die wie Demonstrationen, Kundgebungen oder in der Bevölkerung vorhandenen Ängste im Informationsstände, wurden im Berichtsjahr Zusammenhang mit dem Anstieg der Asylbe- durch die NPD und ihre Jugendorganisation werberzahlen weiter zu schüren, um den daraus organisiert bzw. organisatorisch unterstützt. entstandenen Protest für sich zu nutzen und Davon hatten 76 einen zentralen asylfeindli- zu verschärfen. Intensiv bediente sie sich dabei chen Bezug. Sozialer Medien, wie z. B. Facebook. Sie initi- Damit war die Partei in Sachsen trotz der oben ierte dort – oft ohne unter dem Parteinamen beschriebenen Inhomogenität die aktivste in Erscheinung zu treten – Diskussionsgruppen Kraft innerhalb der rechtsextremistischen und befeuerte diese mit fremdenfeindlicher Szene und auch die maßgebliche Triebkraft bei Agitation. Über diese Medien mobilisierten der rechtsextremistischen Anti-Asyl-Agitation. Rechtsextremisten zu Demonstrationen und Kundgebungen. Regional suchte die Partei In anderen Landesteilen stellte sich die Situ- Kontakte zu Organisatoren anderer Protestini- ation der Partei anders dar: Ein Teil der säch- tiativen und versuchte diese zu vereinen. sischen NPD-Strukturen zeigte im Berichtsjahr kaum Aktivitäten. Die Demonstrationen der Partei zogen auch Mit dem Ende der NPD-Fraktion im Sächsischen gewaltbereite Rechtsextremisten an. Diese Landtag 2014 verlor die Partei ihre wichtigste nutzten die Gelegenheit, um auf der von der

44 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen NPD bereiteten politischen Bühne ein Zei- Die Anzahl seiner Stellvertreter reduzierte sich chen zu setzen. Auch wenn sich die Partei von auf zwei Personen. Mario LÖFFLER schied aus den Gewaltausschreitungen distanzierte und dem Vorstand aus und wurde von Arne SCHIM- immer wieder betonte, dass diese zeitlich erst MER ersetzt. Jens BAUR bestätigten die Dele- nach den NPD-Veranstaltungen stattfanden, gierten im Amt des stellvertretenden Vorsit- so muss sie sich doch die Tatsache zurechnen zenden. Der ehemalige dritte stellvertretende lassen, dass ihr Agieren für die Ausschreitun- Vorsitzende Maik SCHEFFLER wurde nicht gen den Rahmen und den Boden bereitet hatte. ersetzt. Er war 2014 von seinem Amt zurückge- treten, weil die Partei keine Konsequenzen aus Landesparteitag der NPD in Altenberg dem Scheitern bei der Landtagswahl gezogen hatte. Am 28. März 2015 versammelten sich Delegierte des sächsischen NPD-Landesverbandes, um tur- Rücktritt des Parteivorsitzenden Holger nusmäßig einen neuen Landesvorstand zu wählen. SZMYANSKI Sowohl NPD-Mitglieder, als auch aus der Partei ausgetretene Kritiker der amtierenden Parteifüh- Die Zusammensetzung des erst Ende März rung maßen der Veranstaltung im Vorfeld eine 2015 neu gewählten sächsische NPD-Landes- große Bedeutung bei. Erwartet wurden Konse- vorstandes hatte allerdings nur bis Anfang quenzen der Delegierten und der verantwortlichen Juli 2015 Bestand. Der zwischenzeitlich zum Funktionäre aus dem Scheitern bei der Landtags- Bundesgeschäftsführer aufgestiegene Landes- wahl in Sachsen sowie eine daraus resultierende vorsitzende Holger SZYMANSKI trat am 3. Juli Kurskorrektur. Das Ergebnis dürfte für Kritiker 2015 „aus persönlichen Gründen“ überra- ernüchternd gewesen sein: Wesentliche Änderun- schend von seinen Ämtern zurück. Einer Pres- gen an der Führungsspitze gab es nicht. semeldung zufolge seien es Gründe aus seinem Privatleben gewesen, welche im Zusammen- hang mit einem Ermittlungsverfahren gegen mehrere Personen der JN und der NPD bekannt geworden seien. Kurze Zeit später verkündete die sächsische NPD, dass auf einer turnusmäßi- gen Vorstandssitzung der hauptamtliche Lan- desgeschäftsführer Jens BAUR (Dresden) den Landesvorsitz kommissarisch übernommen habe. „Streitigkeiten und Turbulenzen nach dem vorläufigen Ausscheiden aus dem Sächsischen Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen Landtag mit einem denkbar knappen Ergebnis (Stand: 30. März 2015) im August letzten Jahres“ seien im Rahmen der Sitzung „geklärt und beigelegt“ worden. Der Mit ca. 80 Prozent bestätigten die Delegierten Landesverband präsentierte sich somit angeb- den Landesvorsitzenden Holger SZYMANSKI in lich als „gut geordnet und kampagnenfähig.“66 seinem Amt.

66 www.npd-sachsen.de (Stand: 6. Juli 2015) 66 WORTGEWANDT Argumente für Mandats- und Funktionsträger, 2012, S. 53

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 45 Verhältnis der NPD zu PEGIDA und zu auch eigene Positionen in der Vor- und Nachbe- asylkritischen Initiativen trachtung sowie in vielen persönlichen Gesprä- chen mit Demonstranten deutlich macht. Das Anfang des Jahres hielt sich der Bundesvor- Erfolgsgeheimnis von Pegida ist gerade die sitzende Frank FRANZ in Dresden auf und strikte Überparteilichkeit. Dabei sollte es auch steckte auf einer Vortragsveranstaltung die bleiben. (…) Die Vereinnahmung durch eine Wegstrecke der NPD für das Jahr unter dem Partei würde mittelfristig zu einer Schwächung Slogan „Wir dürfen der Lügenpresse nicht die der Bewegung führen, was nicht das Ziel sein Deutungshoheit überlassen“ ab. Er empfahl kann. Wichtig für den Ausbau von PEGIDA zu den Mitgliedern „verstärkt in der Öffentlich- einer noch bereiteren Volksbewegung in ganz keit Gesicht zu zeigen, sich an den Protesten Deutschland ist seitens der NPD weiterhin die von Pegida und Legida zu beteiligen, aber auch aktive Teilnahme und das stetige Bemühen um regelmäßig eigene Aktionen wie Infostände, ein kritischkonstruktives Verhältnis.“ 68 Kundgebungen und Informationsveranstaltun- gen durchzuführen.“ 67 In seinen weiteren Ausführungen beschrieb SZYMANSKI das Verhältnis zu regionalen klei- Für die Rechtsextremisten stellte sich somit die nen Bürgerinitiativen und bestätigte mit seinen Frage, welche Rolle sie in diesem Gefüge der Aussagen die enge Zusammenarbeit und logis- entstehenden Protestbewegungen einnehmen tische Unterstützung dieser Gruppierungen sollten. durch die NPD:

Der damalige Landesvorsitzende Holger SZY- „Was für PEGIDA gilt, trifft mehr oder weniger MANSKI beschrieb im Februar das weitere tak- auch für viele andere lokale Initiativen gegen tische Vorgehen der Partei: die Überfremdung unserer Heimat zu. Hier gilt es taktisch klug vorzugehen und sich an die „Richtig ist die Unterstützung des Grundan- jeweiligen örtlichen Gegebenheiten anzupas- liegens, also der Kritik an der Islamisierung, sen. Während sich die Spitzen von PEGIDA noch die PEGIDA ja schon im Namen trägt, aber vor nicht trauen, Kontakt mit der NPD zu pflegen, allem an der seit Jahrzehnten falschen Aus- sieht das andernorts schon ganz anders aus. länder- und Asylpolitik in diesem Land. Pegida Der Verfasser hat z. B. vor einigen Monaten an hat erfreulich schnell klargestellt, daß es ihr einer Bürgerdemonstration in einer Gemeinde nicht nur um das Thema Islamisierung geht, in der Nähe von Dresden teilgenommen, bei das letztendlich nur ein Teilaspekt der Über- der die als Redner auftretenden Vertreter der fremdungspolitik ist. (…) Richtig ist daran, daß NPD großen Beifall erhielten, und zwar sowohl Montag für Montag auch viele Nationaldemo- für die logistische Unterstützung der bisher kraten an den Demonstrationen teilnehmen. unerfahrenen Bürgerinitiative als auch für die Eine „Unterwanderung“ oder gar Übernahme inhaltlichen Aussagen in ihren Ansprachen. von PEGIDA durch die NPD wird dagegen nicht Immer wieder erleben wir das Phänomen, daß angestrebt, was nicht heißt, daß man nicht die Bürger Positionen vertreten, die mit denen

67 www.npd-sachsen.de (Stand: 30. Januar 2015), Schreibweise wie im Original 67 Thesenpapier „Raus aus dem Vergangenheitsghetto – Gegenwart gestalten“ von Karl RICHTER, Juni 2011 68 www.npd.de, Meldung über den „Präsidiumsbeschluß zur V-Mann-Hysterie – Jetzt erst recht!“ (Stand: 17. Juli 2002) 68 www.facebook.com/npd.zwickau (Stand: 23. Januar 2015)

46 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen der NPD übereinstimmen, diese Menschen aber realistisches Ziel sei der Wiedereinzug der NPD bisher gar keine Kenntnis davon haben, was die in den Sächsischen Landtag 2019.“ 70 eigentlich vertritt. Durch die aktive Teilnahme und Unterstützung können hier Berührungs- Die NPD und ihre Proteste gegen die ängste abgebaut und von der „Lügenpresse“ Asylpolitik fabrizierten Klischees entgegengewirkt werden. Dazu bedarf es selbstverständlich eines seriö- Im Raum Sächsische Schweiz nutzte die NPD sen Auftretens, aber auch einer allgemeinver- sehr intensiv die oben beschriebene Strategie. ständlichen Sprache ohne „Szenebegriffe“, die Die NPD organisierte seit Ende 2014/Anfang die breite Masse nicht versteht.“ 69 2015 in mehreren Städten des Landkreises Demonstrationen gegen Asylbewerberunter- SZYMANSKI beschrieb hier das subtile und künfte. unterstützende Vorgehen der NPD, wie es im Berichtsjahr in verschiedenen Landkreisen mehr oder weniger stark ausgeprägt prakti- ziert wurde. Im Einklang mit diesen strategi- schen Vorgaben formulierten die Delegierten des NPD-Landesparteitages am 29. März 2015 die Aufgaben und das Ziel der NPD in Sachsen:

„Mit 100 Gemeinde-, Stadtrats- und Kreis- tagsmandaten könne die NPD durch lokale Veranstaltung am 15. Juli 2015 in Glashütte Parlamentsarbeit, massive Präsenz in den Quelle: www.facebook.com/pages/Nein-zum-Heim sozialen Medien und eigene Kundgebungen – (Stand: 14. August 2015) unterstützt durch lokale Initiativen – genügend Druck aufbauen, um ihre Themen in die Öffent- Dabei trat die Partei selbst in Erscheinung lichkeit zu tragen. (…) Auch seit dem Landtags- oder sie agierte als „Initiative Nein zum Heim Aus habe die sächsische NPD mit zahlreichen Sächsische Schweiz und Osterzgebirge“. Der Kundgebungen an der Seite besorgter Bürger NPD-Funktionär Arne SCHIMMER berichtete Flagge gezeigt und sich damit im Gegensatz am 27. März 2015 über eine von der „NPD- zur Scheinalternative „AfD“ als wirkliche Oppo- nahen Initiative ‚Nein zum Heim‘“ veranstaltete sitionskraft von rechts gezeigt. Die sächsische Demonstration in Pirna: NPD werde aber auch in Zukunft keine Ein-The- men-Partei sein, sondern neben der Überfrem- „Deutschland ist mittlerweile der Staat auf der dungs- und Islamisierungskritik weiterhin die Welt, der die meisten Asylbewerber aufnimmt. Ablehnung des Euros und der Zahlmeisterrolle Dies hat massive Auswirkungen auch auf den Deutschlands sowie den Kampf gegen soziale Freistaat Sachsen. Egal ob in Meißen, in Häslich Ungerechtigkeiten und Familienfeindlichkeit im Landkreis Bautzen oder in Dresden-Löbtau: Es in den Mittelpunkt rücken. Klares und auch vergeht kaum ein Tag, an dem auch in Sachsen

69 www.facebook.com/npd.zwickau (Stand: 23. Januar 2015), Schreibweise wie im Original 69 Europawahlprogramm der NPD 2003, S. 6 70 Deutsche Stimme, Artikel „Imperialistischer Raubzug oder nationaler Notwehrakt?“, August 2003, S. 20 70 www.npd-sachsen.de (Stand: 29. März 2015), Schreibweise wie im Original

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 47 nicht ein neues Asylbewerberheim eröffnet wird. Berichtsjahr als Organisatoren und Redner bei Deshalb setzt auch die NPD-nahe Initiative „Nein Kundgebungen in Sebnitz und in Neustadt auf. zum Heim“ ihre Bürgerproteste gegen Asylmiß- brauch schwerpunktmäßig im Gebiet Sächsische Schweiz – Osterzgebirge fort.“ 71

Neben NPD-Funktionären des Kreisverbandes nahm besonders der mittlerweile aus der NPD ausgetretene damalige Heidenauer NPD-Stadt- rat Rico RENTZSCH eine Schlüsselposition bei der Organisation von Protestveranstaltungen gegen Asylbewerberunterkünfte ein. RENTZSCH Quelle: www.facebook.com (Stand: 1. Oktober 2015) wurde in einer Meldung über die Gründung der NPD-Ortsgruppe Heidenau als „einer der Auch in Dresden mobilisierten die Rechts- führenden Aktivisten der asylmißbrauchskriti- extremisten gegen die Unterbringung von schen und überparteilichen Initiative ‚Nein zum Asylbewerbern. Als die Stadt im Juli auf einem Heim‘“ bezeichnet, welche „in den vergangenen Gelände Zelte aufbaute, um Asylbewerber Wochen und Monaten zahlreiche Kundgebun- unterzubringen, mobilisierte die Partei sofort gen und Demonstrationen gegen Asylmißbrauch zu einer Kundgebung am 24. Juli 2015 direkt auf dem Gebiet des Landkreises Osterzgebirge – am Standort. Rund 200 Menschen, darunter Sächsische Schweiz durchgeführt hat.“72 auch eine gewaltbereite Gruppe, folgten dem Aufruf. Im Anschluss an die Veranstaltung kam Als im Monat August 2015 bekannt wurde, dass es auch hier zu gewaltsamen Ausschreitungen in Heidenau in einem ehemaligen Baumarkt von Teilnehmern der Veranstaltung. Asylbewerber untergebracht werden sollten, organisierte RENTZSCH mehrere Aufzüge. Der Dresdner Stadtrat Hartmut KRIEN organi- Am 21. August 2015 fand eine Demonstra- sierte – ohne einen Parteibezug erkennen zu tion in Heidenau statt, an welcher sich rund lassen – im Herbst in Dresden Kundgebungen 1.100 Personen beteiligten. Im Anschluss an gegen Asylbewerberunterkünfte und mobili- die Versammlung kam es zu Ausschreitungen. sierte dazu über Facebook. Am 9. September (siehe dazu auch Kapitel „Regionale Beschrei- 2015 meldete er zum Beispiel für eine soge- bung rechtsextremistischer Bestrebungen“, nannte Initiative „Nein zum Heim – Leuben“ eine „Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge“) Kundgebung an. Parallel zur Versammlungsan- meldung wurde eine Facebook-Seite mit der In der Region Sebnitz/Neustadt engagierte sich gleichen Bezeichnung eingerichtet. die NPD maßgeblich in einer sogenannten Bür- gerinitiative „Demokratischer Aufbruch Sächsi- Ebenso beteiligte sich die NPD im Landkreis sche Schweiz“ (DASS). Parteimitglieder traten im Meißen aktiv am Protestgeschehen gegen die Asylpolitik. Insgesamt sieben Demonstrationen

71 71 www.npd-sachsen.de Deutsche Stimme, Artikel „Die BRD feiert die Niederlage Deutschlands“ von Jürgen(Stand: GANSEL, Juli 2004, S. 4 27. März 2015), Schreibweise wie im Original

72 www.npd-sachsen.de www.facebook.com/pages/NPD-Mittelsachsen (Stand: 21. März 2014) (Stand: 10. April 2015), Schreibweise wie im Original

48 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen bzw. Kundgebungen organisierten die Rechts- extremisten in Meißen, Riesa, Strehla, Großen- hain und Gröditz. Die größte Demonstration fand am 29. September 2015 in Großenhain mit rund 550 Teilnehmern statt. Darüber hinaus waren NPD-Mitglieder an Protestdemonstrati- onen beteiligt, welche von einer asylkritischen Meißener Organisation veranstaltet worden waren. Quelle: www.facebook.com/pages/NPD-Erzgebirge (Stand: 7. Dezember 2015)

Unter der Bezeichnung „Freigeist“ mobilisierte der NPD-Funktionär im Erzgebirge zu Demons- trationen am 10. Oktober 2015 in Schneeberg (850 Teilnehmer), am 24. Oktober 2015 in Aue (400 Teilnehmer), am 7. November 2015 in Schwarzenberg (1.500 Teilnehmer) sowie am NPD-Funktionär Jürgen GANSEL 21. November 2015 in Schneeberg (400 Teil- Quelle: www.facebook.com/npd.meissen nehmer). (Stand: 28. August 2015) HARTUNG versuchte, in der Region Erzgebirge verschiedene Protestgruppen zu vereinen, Im Erzgebirgskreis führte der NPD-Kreis- um eine noch größere Wirkung zu erzie- vorsitzende Stefan HARTUNG im Berichtsjahr len. In Stollberg fand am 27. November 2015 seine Demonstrationsserie fort und erzielte ein – hier nicht von HARTUNG angemeldeter – dabei Teilnehmerzahlen, welche über das übli- „Sternmarsch“ statt. Drei Aufzüge vereinigten che Mobilisierungsniveau der Rechtsextremis- sich zur Abschlusskundgebung auf dem Markt ten hinausgingen. Bereits im Winter 2013/2014 in Stollberg mit ca. 3.000 Personen. Die NPD organisierte HARTUNG in Schneeberg asyl- stellte einen der Aufzüge. Ihre Teilnahme stieß feindliche sogenannte „Lichtelläufe“ mit bis zu bei den Organisatoren des „Sternmarsches“ 1.800 Personen. nicht auf Ablehnung. Die seinerzeit sehr hohen Teilnehmerzahlen sind dadurch erklärbar, dass die NPD ihre Urhe- Ähnlich wie der Kreisverband im Landkreis berschaft zunächst verschleierte. Seit Herbst Sächsische Schweiz – Osterzgebirge agiert der 2015 zeigen die wieder auf selben Niveau NPD-Landesverband auch im Vogtland. Die einsetzenden Demonstrationen, dass die nun- Partei erfand hier eine eigene „Initiative“ und mehr kaum verschleierte NPD-Urheberschaft organisierte unter deren Namen asylfeindliche auch nachhaltige Mobilisierung außerhalb des Proteste. rechtsextremistischen Milieus ermöglicht. Diese Initiative „Plauen wehrt sich“ führte am 18. September 2015 eine Kundge- bung durch, auf welcher der Greizer NPD- Stadtrat David KÖCKERT, der sächsische

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 49 NPD-Landesvorsitzende Jens BAUR sowie der zu schüren74 . Eine Einordnung der Aktivitäten NPD-Funktionär Arne SCHIMMER auftraten. der NPD geschieht im Beitrag „Im Fokus – Das Engagement von Rechtsextremisten in der aktuellen Asyldebatte und seine Folgen“.

Zusammenfassung und Ausblick

Die NPD hat sich im Jahr 2015 trotz vieler Rückschläge zu einem wesentlichen Motor der fremdenfeindlichen Agitation im Freistaat Sachsen entwickelt. Es gelang ihr, mit ihrer subtilen Taktik in verschiedenen Regionen mit- unter Zustimmung und Anschluss im regiona- Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen len bürgerlichen Lager zu finden. (Stand: 21. September 2015) Bislang zeichnet sich nicht ab, dass sich die Auf Facebook mobilisierte im Vorfeld eine gestiegenen Aktivitäten der Partei positiv auf Gruppe mit der Bezeichnung „Plauen wehrt die Struktur der sächsischen NPD auswirken sich“ für diese Veranstaltung und verwandte werden. Weder gelang es der Partei, inaktive dabei den gleichen Text wie die NPD. Gliederungen zu mobilisieren, noch konnte der Abwärtstrend der Mitgliederentwicklung An der vom kommissarischen NPD-Landesvor- gestoppt werden. sitzenden Jens BAUR angemeldeten Veranstal- tung beteiligten sich in Plauen rund 400 Per- Die Partei verfolgt das Ziel, zur nächsten Land- sonen. In einer Internetmeldung berichtete die tagswahl wieder in den sächsischen Landtag ein- NPD nach dem Ereignis: zuziehen. Deshalb ist es für sie essenziell wichtig, immer wieder in den Fokus der Medien zu gelan- „Mehr als 500 Bürger gingen gleich bei der ers- gen und potenzielle Wähler zu gewinnen. ten Veranstaltung von „Plauen wehrt sich“ auf die Straße und lauschten Reden des NPD-Lan- Die sächsische NPD wird auch im folgenden desvorsitzenden Jens BAUR, des vogtländischen Jahr jede Gelegenheit nutzen, um ihre frem- NPD-Kreistagsabgeordneten Arne Schimmer, denfeindlichen Positionen in der Öffentlichkeit des Greizer NPD-Stadtrat David KÖCKERT und zu artikulieren, um damit persönlichen Druck der Meißner NPD-Kreisrat Jürgen GANSEL. Das auf Amtsträger auszuüben und demokrati- war der absolute Wahnsinn heute!“ 73 sche Prozesse so zu beeinträchtigen. Es ist zu erwarten, dass sich die von der NPD initiierten, Diese Beispiele verdeutlichen, wie die NPD im fremdenfeindlich geprägten Kampagnen und Freistaat Sachsen versucht, eine asylfeindli- Demonstrationsserien fortsetzen werden. che und damit fremdenfeindliche Stimmung

73 www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 21. September 2015)

73 www.npd-sachsen.de (Stand: 6. Juli 2015) 74 www.npd-sachsen.de (Stand: 30. Januar 2015), Schreibweise wie im Original 74 Weitere Ausführungen dazu im Beitrag „Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen“

50 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 1.4 „Junge Nationaldemokraten“ (JN)

Extremismusbereich: Rechtsextremismus Erste Aktivitäten der JN im Freistaat Sachsen wurden im Jahr 1995 festgestellt. 1997 grün- Gründung: 1969 dete sich in Dresden der erste sächsische JN- Sitz: Lübtheen (Mecklen- Stützpunkt. Im darauffolgenden Jahr entstand burg-Vorpommern) neben weiteren Stützpunkten in Kamenz und Bischofswerda (jeweils Landkreis Bautzen) Mitglieder 2015 in ca. 110 erstmals ein sächsischer JN-Landesverband, Sachsen: welcher jedoch bereits 1999 nach Zerwürfnis- Mitglieder 2014 in ca. 110 sen mit dem Bundesvorstand wieder aufgelöst Sachsen: wurde. Die anschließenden Versuche, einen Mitglieder 2014 ca. 350 neuen Landesverband zu gründen, blieben bundesweit: zunächst erfolglos. Die vereinzelten Stütz- punkte in den Regionen Zittau (Landkreis Gör- Vorsitz Bund: Sebastian RICHTER Vorsitz Freistaat Paul RZEHACZEK litz) und Sächsische Schweiz waren kaum aktiv. Sachsen: Ab 2004 waren abermals Bemühungen zu Publikation: DER AKTIVIST 75 beobachten, JN-Strukturen aufzubauen. Im Kennzeichen: Mai 2005 wurde in Sachsen erneut ein JN- Landesverband gegründet. In den folgenden Jahren entstanden mehrere Stützpunkte, deren Aktivitäten unterschiedlich stark ausgeprägt waren. Während von einigen über einen län-

Historie und Struktur75 geren Zeitraum hinweg Aktivitäten ausgingen, waren andere Stützpunkte kaum aktiv oder Die JN, die Jugendorganisation der National- wurden offenbar wieder aufgelöst. demokratischen Partei Deutschlands, verste- hen sich laut Satzung ihrer Mutterpartei als Ende 2012 haben die JN in Sachsen erneut damit deren „integraler Bestandteil“. Sie bezeichnen begonnen, ihre Strukturen auszubauen. In Dres- sich selbst als „Kaderorganisation einer nati- den, Geithain (Landkreis Leipzig) und Werdau onalistischen Partei“. Die JN gliedern sich in (Landkreis Zwickau) gründeten Rechtsextremis- den Bundesverband, Landesverbände und in ten neue Stützpunkte. In der ersten Jahreshälfte einigen Bundesländern in regional und lokal 2013 kamen weitere in Limbach-Oberfrohna agierende sogenannte Stützpunkte. Den Stütz- (Landkreis Zwickau) und in Mittelsachsen hinzu. punkten gehören in der Regel fünf bis zwanzig Der Stützpunkt Mittelsachsen rekrutierte ehe- Mitglieder an. malige Mitglieder der neonationalsozialistischen Gruppierung „Nationale Sozialisten Döbeln“,

75 75 Im Berichtsjahr erschien keine Ausgabe dieser Publikation.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 51 welche im Februar 2013 durch den sächsischen und in den drei kreisfreien Städten vertreten. Staatsminister des Innern verboten worden war. Während einzelne dieser Stützpunkte, wie in Dresden oder Borna (Landkreis Leipzig), im Im Jahr 2014 bildeten sich JN-Strukturen in Berichtsjahr eine Vielzahl auch öffentlicher Ostsachsen und Borna (Landkreis Leipzig). Aktivitäten entfalteten, blieb der Stützpunkt Nachdem die Nationalen Sozialisten Chemnitz Elbland (Landkreis Meißen) völlig inaktiv. (NSC) im März 2014 verboten worden waren, flüchteten auch hier einige ehemalige Mitglie- Im Erzgebirgskreis sowie im Vogtlandkreis gibt der unter das Dach der JN, um so auch unter es nach wie vor keine Stützpunkte der JN. Auf- den Schutz des Parteienprivilegs76 zu fallen. In grund ihrer mehrjährigen engen Verbindung der Folge war auch eine Annäherung der Freien zur rechtsextremistischen Szene in Bayern Kräfte Dresden an JN-Strukturen erkennbar. schlossen sich führende Neonationalsozialisten Mit dem Eintritt des führenden Dresdner Neo- im Vogtlandkreis bereits 2014 der Partei „Der nationalsozialisten Maik MÜLLER und einiger Dritte Weg“ an.77 Ein JN-Stützpunkt Vogtland seiner Anhänger in die JN nahm die Über- trat lediglich im ersten Halbjahr 2015 mit einem schneidung von JN mit der neonationalsozia- eigenen Facebook-Profil in Erscheinung, zeigte listischen Szene im Freistaat Sachsen weiter zu. jedoch darüber hinaus keine eigenen Aktivitä- ten. Das Profil wurde schließlich auch nach eini- Im Jahr 2015 waren die JN mit 13 Stützpunk- gen Monaten ersatzlos gelöscht. ten in fast allen sächsischen Landkreisen

76 Das Verbot einer Partei unterliegt hohen rechtlichen Hürden 77 Siehe Beitrag zur Partei „Der Dritte Weg” Stützpunkte der JN im Freistaat Sachsen

76 Das Verbot einer Partei unterliegt hohen rechtlichen Hürden 77 Siehe Beitrag zur Partei „Der Dritte Weg”

52 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen (von links: Paul RZEHACZEK, Stefan TRAUTMANN, Jan HÄNTZSCHEL) Quelle: www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 21. März 2015)

Der Personalwechsel beim sächsischen JN- rechtsextremistische Liedermacher Piattmar – Landesvorstand im Oktober 2012 führte zu stammt aus dem engen Umfeld des stellvertre- deutlichen Veränderungen im Auftreten der JN. tenden JN-Landesvorsitzenden Stefan TRAUT- So hatte sie der bis dahin amtierende Landes- MANN. vorsitzende Tommy NAUMANN noch als elitäre Vereinigung verstanden wissen wollen. Dem- Die Kontinuität der neonationalsozialistischen entsprechend wurden für eine Aufnahme von Aktivitäten unter der Flagge der JN wird auch Neumitgliedern hohe Anforderungen gestellt, durch die nunmehr als Landesgeschäftsstelle was zudem mit einem langwierigen Aufnah- genutzten Räumlichkeiten in der Markers- meverfahren verbunden war. Indes wurde mit dorfer Straße 40 in Chemnitz deutlich. Diese der Wahl von Paul RZEHACZEK – er stammt stehen der rechtsextremistischen Szene bereits aus den Reihen der Neonationalsozialisten – seit der Eröffnung im November 2011 für Ver- ein Strategiewechsel eingeleitet. Spätestens anstaltungen zur Verfügung. Insbesondere der Eintritt von Stefan TRAUTMANN in die JN die am 28. März 2014 durch den Sächsischen und dessen Wahl zum Stellvertreter RZEHA- Staatsminister des Innern verbotenen Nationa- CZEKs im Dezember 2013 ließen erkennen, dass len Sozialisten Chemnitz hatten das Objekt für sich die NPD-Jugendorganisation deutlich für Veranstaltungen und interne Treffen genutzt. neonationalsozialistische Strukturen geöffnet hatte. Auch TRAUTMANN gehörte dem neo- Letztlich konnten die JN durch den Strate- nationalsozialistischen Spektrum an. Er war giewechsel seit 2013 einen erheblichen Mit- Mitglied der im Februar 2013 vom sächsischen gliederzuwachs von über 50 % verbuchen. So Staatsminister des Innern verbotenen Nationa- steigerte sich ihr Mitgliederpotenzial seit 2013 len Sozialisten Döbeln. auf 110 Personen im Jahr 2014. Im Berichtsjahr waren die JN bestrebt, ihre Dieser Kurs setzte sich im Berichtsjahr mit der Stützpunkte weiter aufzubauen, Mitglieder Wahl von Jan HÄNTZSCHEL in den sächsischen zu gewinnen, zu schulen und durch verschie- Landesvorstand beim JN-Landeskongress am denste gemeinsame Aktivitäten an sich zu 21. März 2015 in Chemnitz und der Verlegung binden. Dennoch konnten sie ihr Potenzial der JN-Landesgeschäftsstelle nach Chem- nicht weiter ausbauen. Auch vom deutlichen nitz fort. HÄNTZSCHEL – auch bekannt als der Rückgang des Personenpotenzials bei den

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 53 Neonationalsozialisten konnten die JN nicht „Ein Volk ist eine organisch gewachsene profitieren (siehe auch Beitrag „Neonational- Gemeinschaft gleichen BLUTES, gleicher sozialisten“). GESCHICHTE, mit gleichem LEBENSRAUM/ BODEN und gleicher KULTUR. Mitglieder der JN im Freistaat Sachsen Sollte eines dieser Merkmale zerstört werden, kann das Volk langfristig nicht mehr bestehen.

120 110 110 Momentan versuchen die BRD-Demokraten, 90 unser Volk auf allen vier Ebenen, also alle vier 80 70 70 Merkmale, zu zersetzen. 50 50 50 50 BLUT: Zersetzung durch massenhafte Zuwan- 40 derung. BODEN: Verkauf von Grundstücken an Nicht-

0 Deutsche und der völkerrechtswidrige Gebiets- verlust nach den beiden Weltkriegen. GESCHICHTE: Verfälschung deutscher Geschichte und damit einhergehenden Büßertum. KULTUR: Ideologie/Politische Zielsetzung Entartung der deutschen Sprache. Amerikanisie- rung in allen Lebensbereichen.“ 79 Das Ziel der Jugendorganisation der NPD ist die Errichtung einer „nationalistischen Kurz nach den gewalttätigen Ausschreitungen Volksgemeinschaft“. Gemeint ist eine „ras- in Heidenau80 (Landkreis Sächsische Schweiz- sisch“ definierte Gesinnungsgemeinschaft Osterzgebirge) im August 2015 veröffentlichte basierend auf dem Gedanken der „Volksge- der JN-Bundesvorstand auf seiner Homepage meinschaft“ des Nationalsozialismus. Die JN den Beitrag „Germania, quo vadis? – Johannes bekennen sich zum „deutsch-europäischen Scharf über das Asylchaos“, in dem gegen „Land- Abstammungsprinzip“78. Die Zugehörigkeit zu nehmer-Ströme“, „Bevölkerungsaustausch“ und einem Volk ist demnach nicht vom rechtlichen die angebliche „Rassenmischung“ agitiert wird. Status der Staatsbürgerschaft, sondern von der Dort heißt es: ethnisch-biologischen Abstammung abhängig.

Die ungebrochene zentrale Stellung des natio- nalsozialistischen Konzepts der „Volksgemein- schaft“ spiegelt auch folgender Facebook-Ein- trag bei den JN Mittelsachsen wider:

78 Aus „Unsere Grundsätze“, Internetseite der JN, www.aktion-widerstand.de/ziele-der-jn (Stand: 10. Juni 2014) 79 www.facebook.com/mittelsachsenjn (Stand: 25. Dezember 2014), Schreibweise wie im Original 80 Im Nachgang einer NPD-Demonstration kam es am 21. August 2015 in Heidenau zu gewaltsamen Protesten gegen die Nutzung eines ehemaligen Baumarktes als Unterkunft für Asylbewerber.79 www.facebook.com/mittelsachenjnNäheres (Stand: 25. Dezember dazu 2014), Schreibweise wie im Originalim Kapitel „Regionale Beschrei-

80 Im Nachgang einer NPD-Demonstration kam es am 21. August 2015 in Heidenau zu gewaltsamen Protesten gegen die Nutzung eines ehemaligen Baumarktes als Unterkunft für Asylbewerber. Näheres dazu im Kapitel „Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen“, 78 bungen rechtsextremistischerAus „Unsere Grundsätze“, Internetseite der JN, www.aktion-widerstand.de/ziele-der-jn (Stand: 10. Juni 2014) Bestrebungen“, „Landkreis Sächsische„Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge“ Schweiz-Osterzgebirge“

54 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Auch die JN Sachsen nahmen auf ihrem Face- book-Profil Bezug auf die Ausschreitungen in Heidenau und wurden dabei noch deutlicher, indem sie Heidenau als Vorbild darstellten. Anders als die NPD, die um eine strategische Distanzierung von der in Heidenau ausgeübten Gewalt bemüht war, glorifizierten die JN die Gewalt sogar als „erfolgreichen Widerstand“.

Ein zunehmend offensiv-aggressives Auftre- ten ist Teil der JN-Strategie. Durch Störungen oder sogar tätliche Auseinandersetzungen bei Veranstaltungen des politischen Gegners, wie am 1. Mai 2015 in Weimar, erzielten die JN auch medial kurzfristig Aufmerksamkeit. Dabei wird auch die Begehung von Straftaten in Kauf genommen.82

JN-Bundesverband

Beim JN-Bundeskongress am 13. Dezember 2014 in Thüringen wurde Sebastian RICHTER zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Der in Hoyerswerda (Sachsen) geborene und in Mecklenburg-Vorpommern wohnhafte RICH- TER war bislang Beisitzer im JN-Bundesvor- stand. In der Folge verlegten die JN ihre Bun- desgeschäftsstelle von Riesa (Sachsen) nach Lübtheen (Mecklenburg-Vorpommern). Neuer Bundesorganisationsleiter wurde der sächsi- sche JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK. Quelle: www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 26. August. 2015) Der neue Bundesvorsitzende formulierte nach seiner Wahl über das Leitbild einer rassischen „Doch es gibt Widerstand! Erstmals haben wir neonationalsozialistischen Elite: das Gefühl, dass sich breite Ablehnung gegen- über dem Ausverkauf des Abendlandes in der „Was kann denn heute radikaler sein als der Bevölkerung messen lässt. Die Wut der betroge- Wille, dem heutigen Zeitgeist zu entsagen? nen Bürger bricht sich bereits vereinzelt Bahn!“ 81 Wenn die BRD-Gesellschaft kleine Jungs zu

81 alt.jn-buvo.de (Stand: 29. August 2015)

81 alt.jn-buvo.de (Stand: 29. August 2015) 82 Siehe Abschnitt JN-Kampagnen und weitere ausgewählte Aktivitäten 82 Siehe Abschnitt JN-Kampagnen und weitere ausgewählte Aktivitäten

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 55 Mädchen machen will, Müttern ihren Wert zufolge nahmen bis zu 200 Personen teil. Im nimmt und sie zum Quotenobjekt degradiert Rahmen der „Europakonferenz“, als deren Ziel oder aber sexuelle Selbstbestimmung über sitt- die JN im Vorfeld die „Vernetzung und Errich- liche Werte der Gemeinschaft stellt, muß doch tung der nationalistischen Bewegungen im unser Weg der wahrhaft revolutionäre sein. ganzen Okzident“86 bezeichnete, traten Ver- Wir sind keine völkischen Träumer oder gesell- treter von mindestens neun rechtsextremisti- schaftliche Totalaussteiger! Wir wollen die JN schen Organisationen aus sechs europäischen zu dem machen, was sie immer sein wollte: Ländern auf und stellten in Redebeiträgen ihre Kaderorganisation einer nationalistischen politische Arbeit vor.87 Seitens der JN trat neben Partei. Will heißen, dass wir nach innen bedin- dem Bundesvorsitzenden Sebastian RICHTER, gungslos ein Leitbild verfolgen, welches sich der laut Eigenbekundung eine „feurige Rede an Geschichte, Genetik und Schicksal unseres über den Kampf um die Existenz der europäi- Volkes ausrichtet.“ 83 schen Völker“88 hielt, auch dessen Stellvertreter Pierre DORNBRACH als Redner auf. Für die NPD In einem im März 2015 veröffentlichten Inter- sprachen darüber hinaus der Parteivorsitzende view84 betonte RICHTER, dass es für den neuen Frank FRANZ sowie der NPD-Europaabgeord- Vorstand zunächst gelte, Versäumnisse der nete . Nach den Redebeiträgen der früheren JN-Bundesführung aufzuarbeiten Konferenzteilnehmer, die auch durch musi- und sich insbesondere in den Bereichen Inter- kalische Einlagen des rechtsextremistischen essentenanfragen und Mitgliederbetreuung zu Liedermachers Piattmar unterbrochen wurden, verbessern. fand am Abend des zweiten Veranstaltungsta- ges ein Konzert rechtsextremistischer Musik- Die neue JN-Bundesführung versuchte – gruppen, u. a. mit „Kraftschlag“ und „Heiliges ebenso wie bereits die frühere Bundes- Reich“, statt. spitze – die internationale Einbindung der Jugendorganisation voranzutreiben. Am 9. JN als Kaderschmiede und 10. Oktober 2015 führten die JN unter dem Motto „Reconquista Europa“ in Riesa eine Mit Sebastian RICHTER hat im Dezember 2014 sogenannte „Europakonferenz“ durch. Als Ver- ein erfahrener, neonationalsozialistisch gepräg- anstaltungsort nutzten sie das Gelände und ter Funktionär die Führung der JN übernom- Verlagsgebäude des NPD-eigenen Deutschen men. Der neue Vorsitzende will – das zeigen die Stimme-Verlags, der zudem als „Schirmherr“85 Aktivitäten und Veröffentlichungen des neuen der Zusammenkunft auftrat. Polizeiangaben Bundesvorstandes – das Selbstverständnis der

83 www.facebook.com/junge.nationalisten/?fref=ts (Stand: 14. Dezember 2014) 84 „Dem Wunsch nach Gemeinschaft Rechnung tragen!“, Interview mit Sebastian RICHTER, in Deutsche Stimme Nr. 3/2015, S. 3 f. 85 www.facebook.com/ff.frankfranz (Stand: 2. Oktober 2015) 86 alt.jn-buvo.de (Stand: 2. März 2015) 87 Aus der Berichterstattung der Jugendorganisation ist bislang die Teilnahme folgender Organisationen belegt: Comu-

83 nita Militantewww.facebook.com/junge.nationalisten/?fref=ts Zenit (Stand: 14. Dezember (Italien), 2014) Blocco Studentesco (Jugendorganisation der Partei Casa Pound, Italien), Lotta Studente- 84 sca (Studentenbewegung„Dem Wunsch nach Gemeinschaft Rechnung der tragen!“, ForzaInterview mitNuova, Sebastian RICHTER, Italien), in Deutsche NationalistischeStimme Studentenvereinigung (Belgien), Delnicka mladez Nr. 3/2015, S. 3 f. (Tschechien), Democracia Nacional (Spanien), Hogar Social Madrid86 (Spanien),alt.jn-buvo.de (Stand: 2. März 2015)Serbische Aktion (Serbien) und Suomen 85 www.facebook.com/ff.frankfranz (Stand: 87 Aus der Berichterstattung der Jugendorganisation ist bislang die Teilnahme folgender Organisationen belegt: Comunita Militante Zenit (Italien), Blocco Studentesco (Jugendorganisation der Partei Casa Pound, Italien), Lotta Studentesca (Studentenbewegung der Forza Nuova, Italien), Vastarintaliike (Finnland) Nationalistische Studentenvereinigung (Belgien), Delnicka mladez (Tschechien), Democracia Nacional (Spanien), Hogar Social Madrid (Spanien), Serbische Aktion (Serbien) und Suomen Vastarintaliike (Finnland) 88 www.facebook.com/junge.nationalisten2. Oktober 2015) (Stand: 12. Oktober 2015)88 www.facebook.com/junge.nationalisten (Stand: 12. Oktober 2015)

56 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Quellen: www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 11. März 2015) www.facebook.com/pages/PC-Records/1417419778480559?fref=ts (Stand: 8. September 2015)

JN als „Kaderschmiede“ stärken und die ideolo- die einzelnen Bereichsleiter ihre Bereiche Bil- gischen Positionen festigen. Die JN betonen: dung, Gemeinschaft und Aktivismus.

„Wissen, erkennen und begreifen heißt verstehen. Die Grundlagen des politischen Handelns stehen auf dem Fundament der Erkenntnis zur Notwen- digkeit einer Veränderung der allgegenwärtigen Zustände. Jegliche Form unkontrollierten Aktivis- mus, deren Motivation und Methode nicht im Ein- klang mit unserem großen Ziel stattfindet, ist ver- schwendeter Aktivismus. (…) Das Ausstatten mit Quelle: www.facebook.com/jungenationalistenleipzig geistigem Rüstzeug ist die Voraussetzung organi- (Stand: 13. April 2015) satorischen Handelns. Die JN-Schulungsabteilung ist seit Frühjahr 2011 der Nationale Bildungskreis Aus Sachsen beteiligten sich neben dem Lan- (NBK), der die geistige, vorpolitische Raumnahme desvorsitzenden Paul RZEHACZEK und dem in Form der Schaffung eines allgemeinen natio- stellvertretenen Landesvorsitzenden Stefan nalen Gedankens begleitet.“ 89 TRAUTMANN weitere der neonationalsozialis- tischen Szene entstammende JN-Mitglieder. Ihr erstes Funktionsträgertreffen unter dem neuen Bundesvorstand führten die JN am Weitere Seminare zur Schulung der JN-Mitglie- 11. April 2015 in Eisenach/Thüringen durch. Nach der folgten im Berichtsjahr. einer einleitenden Vorstellung der Arbeit der JN und deren Bundesführung durch den Bundes- In einem Facebook-Eintrag der JN Dresden hieß vorsitzenden präsentierten nach JN-Angaben es in diesem Zusammenhang:

89 www.facebook.com/junge.nationalisten?fref=ts (Stand: 19. Juni 2015) 89 www.facebook.com/junge.nationalisten?fref=ts (Stand: 19. Juni 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 57 Quellen: www.facebook.com/jugenddresden?fref=ts (Stand: 17. August 2015); www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 15. August 2015); www.facebook.com/junge.nationalisten?fref=ts (Stand: 19. Oktober 2015)

„Wir befinden uns in einem ideologischen und Möglichkeiten, sich potenziellem Nachwuchs psychologischen Kampf. Wenn Du – anders als vordergründig unpolitisch und attraktiv zu prä- die verblödete Masse – nicht tatenlos dabei sentieren. Die Forderung nach dem „Kampf als zuschauen willst, dass sie Dir Deine Zukunft Vater aller Dinge“ fungiert dabei aber in Anleh- rauben, dann komm in die Gemeinschaft der nung an den Nationalsozialismus als ideologi- Widerspenstigen! Treibe Sport, bilde Dich scher Überbau. mit anderen weiter und werde ein Teil einer Jugendbewegung, die sich wieder ihrer selbst JN-Kampagnen und ausgewählte weitere bewusst ist! Gemeinsam sind wir stark und Aktivitäten bestehen jeden Kampf. JN – jung, gebildet, widerspenstig!“ 90 Die JN bzw. einzelne ihrer Mitglieder93 organi- sierten im Berichtsjahr 20 Versammlungen94 im Sportliche Freizeitaktivitäten dienen der Rekru- Freistaat Sachsen (2014: 12, 2013: 9, 2012:0). Neu tierung neuer Mitglieder und der ideologischen ist hierbei, dass sie diese mehrheitlich nicht unter und körperlichen Festigung der „politischen ihrem eigenen Namen, sondern unter Kampa- Soldaten“91. Eine solche Aktivität war z. B. das gnenbezeichnungen oder explizit durch Einzel- sogenannte „1. Ostsächsische Volksfußball- personen angemeldet haben. Ein Beispiel war die fest“ am 25. Juli 2015 im Landkreis Bautzen92. Veranstaltung am 12. Dezember 2015 in Borna Zwar bieten Veranstaltungen dieser Art auch (Landkreis Leipzig). Eine dortige Kundgebung

90 www.facebook.com/jugenddresden (Stand: 9. April 2015) 91 Matthias GÄRTNER und Michael SCHÄFER: „Die organisierte Volksfront. Die JN im Kampf um den vorpolitischen Raum“, Der Aktivist, Ausgabe 1/2009, S. 8 ff. 92 Siehe Beitrag „Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen“, „Landkreis Bautzen“ 93 Die Demonstrationen „für eine angemessene Asylpolitik“ in Eilenburg meldete der JN-Landesvorsitzende Paul RZEHA- CZEK als Einzelperson an. Weitere Anmeldungen durch eine Einzelperson erfolgten in Grimma. 90 www.facebook.com/jugenddresden (Stand: 9. April 2015) 93 Die Demonstrationen „für eine angemessene Asylpolitik“ in Eilenburg meldete der JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK als Einzelperson an. Weitere Anmeldungen durch eine Einzelperson erfolgten in Grimma. 94 91 Dazu zählenMatthias GÄRTNER und MichaelDemonstrationen, SCHÄFER: „Die organisierte Volksfront. Die JN im Kampf um den vorpolitischen Raum“, Der Aktivist, AusgabeKundgebungen 1/2009, S. 8 ff. aber auch unangemeldete94 Dazu zählenMahnwachen Demonstrationen, Kundgebungen aberund auch dieunangemeldete Blockadeaktion Mahnwachen und die Blockadeaktion amam 92 18. Oktober Siehe Beitrag „Regionale2015 Beschreibungen rechtsextremistischer in LeipzigBestrebungen“, „Landkreis Bautzen“ 18. Oktober 2015 in Leipzig

58 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Quelle: www.facebook.com/jugenddresden?fref=ts (Stand: 16. Februar 2015) wurde von einem JN-Mitglied für eine Initiative Mit diesen Aktionen versuchten die JN gemäß „Wir sind Borna“ angemeldet. Diese Kundgebung einem der vier „Merkmale“ aus ihrem „Volks- steht beispielhaft für das für die JN im Jahresver- gemeinschaftskonzept“ zu handeln. Sie wollen lauf zentrale Thema „Anti-Asyl“. damit der angeblichen „Verfälschung deut- scher Geschichte und damit einhergehendem Am Jahresanfang bestimmten aber noch Aktio- Büßertum“ ihre eigene verzerrte Geschichts- nen im Zusammenhang mit der „Aktionswoche auslegung entgegenstellen. 13. Februar“ das Handeln der JN. Die Antikapitalismus-Kampagne der JN „Aktionswoche 13. Februar“ Die JN bedienten im Jahresverlauf im Rahmen Die Federführung hinsichtlich der sogenannten ihrer Antikapitalismus-Kampagne ein weiteres „Aktionswoche 13. Februar“ war im Juni 2014 Merkmal ihres „Volksgemeinschaftskonzeptes“. öffentlichkeitswirksam vom Dresdner „Akti- Kapitalismus ist für sie ein wesentlicher Teil onsbündnis gegen das Vergessen“ (AgdV) an der angeblich drohenden „Amerikanisierung in die JN Sachsen übergeben worden.95 Erstmals allen Lebensbereichen“. Dabei versuchen sie, zeichnete damit neben dem der neonationalso- antisemitische Stereotype zu verbreiten. zialistischen Szene in Dresden zuzurechnenden AgdV die JN Sachsen für einen erheblichen Mit Blick auf das Gipfeltreffen der Finanzmi- Teil der Aktivitäten anlässlich des Jahrestages nister und Notenbankgouverneure der sieben der Zerstörung der Stadt Dresden im Zweiten führenden Industrienationen (G7) vom 27. bis Weltkrieg verantwortlich. Die JN organisier- 29. Mai 2015 in Dresden kündigte der Bundes- ten insbesondere die zeitgleich am Abend des vorsitzende Sebastian RICHTER beim Landes- 13. Februar 2015 dezentral in mehreren säch- kongress der JN Sachsen am 21. März 2015 eine sischen Städten durchgeführten Mahnwachen. bundesweite Antikapitalismus-Kampagne an. Ab dem 14. April 2015 bewarben die JN diese

95 95 Siehe SächsischerSiehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2014, S.Verfassungsschutzbericht 117 2014, S. 117

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 59 Kampagne auf ihrer Internetseite alt.jn-buvo. Die Teilnehmerzahlen bei den einzelnen Akti- de sowie auf verschiedenen Facebook-Profilen. onen dürften aus Sicht der JN enttäuschend Die JN propagierten in ihren Veröffentlichun- gewesen sein. Und auch die NPD konnte trotz gen einen „Volkstreuen Sozialismus“. Unterstützung durch die JN nur 45 Teilneh- mer zu ihrer Kundgebung mobilisieren. Vor diesem Hintergrund ist die Berichterstat- tung der Rechtsextremisten im Internet stark übertrieben. Da sie nicht immer unmittelbare Öffentlichkeitswirksamkeit mit ihren Aktionen erzielen konnten, versuchten sie dies mit zum Teil martialischen Darstellungen im Internet zu kompensieren.

Quelle: www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 30. Mai 2015) Quelle: www.facebook.com/junge.nationalisten/?fref=ts (Stand: 14. April 2015) Der eigentliche Start der Antikapitalismus- kampagne erfolgte schon am 1. Mai 2015 Zeitgleich zum G7-Treffen in Dresden führten in Weimar (Thüringen). Anlässlich des Tages die JN ein sogenanntes „Aktionslager“ vom der Arbeit hatten rund 40 Rechtsextremisten 27. bis 29. Mai 2015 in Pirna durch. Bereits im überwiegend aus Brandenburg, Sachsen und Vorfeld war davon auszugehen, dass die JN Thüringen – darunter etliche Protagonisten weniger ein klassisches „Lager“ als vielmehr der sächsischen JN – eine Veranstaltung des verschiedene Aktionen zum Thema Antikapita- DGB gestört. Sie versuchten dabei, die Veran- lismus planten. JN-Mitglieder verteilten Flyer, staltung mittels einer provokativen „Worter- klebten Plakate und führten in den späten greifung“ agitatorisch zu vereinnahmen. Nach Abendstunden des 27. Mai eine Transparen- Polizeiangaben wurde einem DGB-Redner das taktion durch. Am 28. Mai beteiligten sich die Mikrofon entrissen. Einer weiteren Person soll JN an einer Kundgebung der NPD unter dem ein Holzstiel in den Magen gestoßen und mit Motto „Frieden, Freiheit, Souveränität“ auf der Faust ins Gesicht geschlagen worden sein. dem Dresdner Postplatz.

60 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Quelle: www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 27. Mai 2015)

Polizeibeamte nahmen 27 Störer vorläufig fest, Leipzig am 25. März 2015 acht Durchsuchungs- darunter den stellvertretenden JN-Bundes- beschlüsse vollstreckt. Betroffene der Durch- vorsitzenden Christian GÜNTHER (Thüringen), suchungen waren insbesondere der damalige den stellvertretenden Landesvorsitzenden der Landesvorsitzende der NPD Sachsen Holger JN Hessen Thassilo HANTUSCH und Paul RZE- SZYMANSKI sowie der JN-Landesvorsitzende HACZEK, Beisitzer im JN-Bundesvorstand und Paul RZEHACZEK. Die Exekutivmaßnahmen rich- Landesvorsitzender der JN Sachsen. Der JN- teten sich somit sowohl gegen Angehörige der Bundesvorsitzende Sebastian RICHTER stellte JN als auch gegen die NPD. zwei Tage später unter der Überschrift „Solidari- tät ist eine Waffe!“ klar, „geschlossen hinter den Bereits am Morgen des 25. März 2015 berich- JN-Aktivisten“ zu stehen, „welche in Weimar für teten die JN auf ihrer Internetseite sowie ihr Recht auf die Straße gegangen sind“.96 verschiedenen Facebook-Profilen über die Durchsuchungen. Über das Facebook-Profil der JN führen „Platzhirsch-Kampagne“ JN-Kampagne „Sag was du denkst!“ wurde ein halbherzig fort neues Video des „Platzhirsches“ mit Bezug zu den laufenden Hausdurchsuchungen verbrei- Die JN griff ihre „Platzhirsch-Kampagne“ aus tet. Zum Verhalten bei Hausdurchsuchungen dem Vorjahr97 nur noch vereinzelt auf. Im Rah- veröffentlichten die JN zudem umgehend eine men von Ermittlungsverfahren der Staatsan- Checkliste. waltschaft Chemnitz wegen des Verdachts des Hausfriedensbruchs98 gemäß § 123 StGB wurden Auch die der Dresdner rechtsextremistischen durch das Operative Abwehrzentrum der PD Szene zuzurechnende Internetseite KRYPTONIT

96 „Solidarität ist eine Waffe!“, veröffentlicht auf www.facebook.com/junge.nationalisten (Stand: 3. Mai 2015) 97 Im Jahr 2014 verteilten die JN im Rahmen der Kampagne „Weg mit dem Drogendreck“ in bzw. an verschiedenen sächsi- schen Schulen eine Schülerzeitung mit dem Titel „Platzhirsch“ und traten dabei auch mit einem „Platzhirsch“ als Mas- kottchen auf. Mit der Wahl des „Platzhirsches“ als Maskottchen und der gleichlautenden Schülerzeitung wollten die 96 „Solidarität ist eine Waffe!“, veröffentlicht auf www.facebook.com/junge.nationalisten (Stand: 3. Mai 2015) Rechtsextremisten suggerieren, dass bestimmte Themen vorrangig von ihnen öffentlich zur Sprache gebracht würden. 97 Im Jahr 2014 verteilten die JN im Rahmen der Kampagne „Weg mit dem Drogendreck“ in bzw. an verschiedenen sächsischen Schulen eine Schülerzeitung mit dem Titel „Platzhirsch“ und traten dabei auch mit einem „Platzhirsch“ als Maskottchen auf. Mit der Wahl des „Platzhirsches“ als Maskottchen und der gleichlautenden Schülerzeitung wollten die Rechtsextremisten suggerieren, dass bestimmte Themen vorrangig von ihnen öffentlich zur Sprache gebracht würden. 98 98 Weiteres dazuWeiteres dazu im Sächsischen imVerfassungsschutzbericht Sächsischen 2014, Seite 56 f. Verfassungsschutzbericht 2014, Seite 56 f.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 61 Quelle: www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 25. März 2015) veröffentlichte noch am selben Tag ein Inter- view mit dem JN-Landesvorsitzenden. Befragt, ob die Durchsuchung das Verhältnis zwischen NPD und Jugendorganisation verschlechtern könnte, antwortete RZEHACZEK:

„Unser Verhältnis zur Mutterpartei war bzw. ist nicht so schlecht, wie es außerhalb unserer Strukturen oft hingestellt wird. Wir arbeiten vor allem hier in Sachsen sehr gut zusam- Quelle: www.facebook.com/jugenddresden?fref=ts men. Diese Aktion wird uns eher noch weiter (Stand: 28. August 2015) zusammenschweißen.“ 99 Kernbotschaft dieser „Platzhirsch“-Aktion ist Zugleich kündigte RZEHACZEK weitere Aktio- das grafisch hervorgehobene „AUSLÄNDER nen des „Platzhirsches“ an: UND ASYLANTEN RAUS“.

Am 28. August 2015 demonstrierten die JN Anti-Asyl-Agitation der JN erneut mit dem „Platzhirsch“ vor dem Dresd- ner Hauptbahnhof unter dem Motto „Drogen- Die steigende Zuwanderung und die damit ver- sumpf austrocknen! – kriminelle Ausländer bundene Unterbringung von Asylsuchenden in raus! – Mehr Sicherheit für unsere Stadt!“. sächsischen Gemeinden bildete in der zweiten Sie versuchten mit dieser Veranstaltung, den Jahreshälfte das vorherrschende Thema der JN, Bogen zwischen ihrer bisherigen Anti-Drogen- auch in ihren Einträgen in den sozialen Medien. Kampagne und der aktuellen Asyldiskussion zu schlagen. Sie fanden mit der vor allem in der eigenen Szene beworbenen Kundgebung jedoch nur eine geringe Resonanz.

99 „Der Platzhirsch„Der Platzhirsch im Fadenkreuz der Justiz“, imwww.kryptonit.cc /politik/766/Fadenkreuz (Stand: 25. März 2015) der Justiz“, www.kryptonit.cc/politik/766/ (Stand: 25. März 2015)

62 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen an zahlreichen Veranstaltungen der NPD oder nutzten Kundgebungen nicht extremistischer Initiativen zur Verbreitung ihrer Ansichten (siehe hierzu auch Kapitel „Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen“). In Leipzig blockierten JN-Anhänger am 18. Oktober 2015 kurzzeitig die Fahrbahn vor einer Erstaufnahme- einrichtung. Die Teilnehmer skandierten nach Poli- zeiangaben volksverhetzende Parolen. Die Einsatz- beamten führten 27 Identitätsfeststellungen durch und erstatteten Anzeige wegen Volksverhetzung und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Die JN Leipzig stellten dazu fest: „Wir schauen nicht kampflos zu, wie unsere Heimat immer mehr überflutet wird.“ und „DAS IST UNSER LAND – UND WIR WERDEN ES VOR ASYL­SCHMAROTZERN ZU SCHÜTZEN WISSEN!!!“100.

Quellen: www.facebook.com/junge.nationalisten/?fref=ts (Stand: 19. November 2015); www.facebook.com/JnSach- sen (Stand: 14. August 2015)

Zentraler Inhalt des o. a. „Konzeptes der Volks- gemeinschaft“ ist die „Blut und Boden“-Ideolo- gie. Innerhalb ihres Konzeptes wird die aktuelle Zuwanderung als „Zersetzung des rassisch definierten Volkskörpers“ diffamiert. Quelle: www.facebook.com/junge.nationalisten/?fref=ts Die JN sowie einzelne ihrer Mitglieder meldeten zu (Stand: 14. November 2015) dieser Thematik mehrere eigene Veranstaltungen in verschiedenen Städten im Freistaat Sachsen an. Durch die Terroranschläge am 13. Novem- Zudem beteiligten sich JN-Mitglieder sachsenweit ber 2015 in Paris sahen sich die JN in ihrer

100 www.facebook.com/jungenationalistenleipzig (Stand: 18. Oktober 2015), Schreibweise wie im Original 100 www.facebook.com/jungenationalistenleipzig (Stand: 18. Oktober 2015), Schreibweise wie im Original

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 63 grundsätzlichen Kritik an der Asylpolitik der Bun- von ehemaligen parteiunabhängigen Neona- desregierung bestätigt. Die JN Sachsen posteten tionalsozialisten geleitet werden, sind wei- auf ihrem Facebook-Profil: „Wir erleben unsere tere, z. T. zwischen den Stützpunkten abge- Zukunft gerade in Paris: Die Folgen islamischer stimmte öffentlichkeitswirksame Aktivitäten Massenzuwanderung“.101 Die Bundesführung der zu erwarten. So kündigten die JN für 2016 die JN forderte wortgleich mit der NPD: „Die Sicher- erneute Durchführung einer „Aktionswoche heit unseres Volkes muss jetzt an oberster Stelle 13. Februar“103 an. stehen. Die Zeit der offenen Grenzen muss vorbei sein. Die Herrschenden müssen begreifen, dass Seit dem 28. März 2015 war der JN-Landes- Kriegsexporte zu Terrorimporten führen. Die Opfer vorsitzende Paul RZEHACZEK zudem wieder von Paris mahnen zur Vernunft und Einsicht!“102 im Landesvorstand der NPD vertreten.104 Die Delegierten des NPD-Landesparteitages wähl- Ausblick ten ihn und den ebenfalls im Vorstand der JN Sachsen vertretenen Jan HÄNTZSCHEL zum Die JN sind nicht nur ein Auffangbecken für Beisitzer im NPD-Vorstand. Damit ist eine wei- neonationalsozialistisch orientierte Kräfte. Sie tere Verzahnung der Arbeit von NPD und JN in werden weiterhin eine Brückenfunktion zwi- Sachsen verbunden. Bei zahlreichen Veranstal- schen Neonationalsozialisten und der NPD tungen unterstützte die Jugendorganisation innehaben. Im Freistaat Sachsen ist es den JN in der Folge wieder ihre Mutterpartei. Weitere bereits gelungen, zahlreiche ehemals führende gemeinsame Veranstaltungen vor allem zur Neonationalsozialisten in ihre Strukturen zu dominierenden Thematik Anti-Asyl werden integrieren. Gerade von JN-Stützpunkten, die daher mutmaßlich im Jahr 2016 folgen.

103 Siehe hierzu Beitrag „Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen“, „Dresden (Stadt)“ 101 www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 14. November 2015)

104 Die nach der Niederlage bei der Sächsischen Landtagswahl am 31. August 2014 öffentlich geführten Auseinandersetzungen in der NPD wirkten sich auch auf die Jugendorganisation der NPD aus. Der 102 www.facebook.com/junge.nationalisten/?fref=ts (Stand: 14. November 2015) JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK legte sein Amt im NPD-Landesvorstand nieder und distanzierte sich damit deutlich von der Führung der sächsischen NPD (siehe dazu Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2014, S. 51).

101 www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 14. November 2015) 102 www.facebook.com/junge.nationalisten/?fref=ts (Stand: 14. November 2015) 103 Siehe hierzu Beitrag „Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen“, „Dresden (Stadt)“ 104 Die nach der Niederlage bei der Sächsischen Landtagswahl am 31. August 2014 öffentlich geführten Auseinandersetzun- gen in der NPD wirkten sich auch auf die Jugendorganisation der NPD aus. Der JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK legte sein Amt im NPD-Landesvorstand nieder und distanzierte sich damit deutlich von der Führung der sächsischen NPD (siehe dazu Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2014, S. 51).

64 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 1.5 „DIE RECHTE“, Landesverband Sachsen

Extremismusbereich: Rechtsextremismus Internetseite des Verbandes und das Facebook- Profil wurden offline gestellt. Gründung: 26. Oktober 2013 Neugründung 1. August 2015 Am 20. November 2014 wurde jedoch auf einer Sitz: Leipzig Facebook-Seite die Reaktivierung des sächsi- schen Landesverbandes bekanntgegeben. Sie Mitglieder 2014: ca. 10 stand in engem Zusammenhang mit der inner- Mitglieder 2015: ca. 30 parteilichen Krise in der sächsischen NPD, die mit dem Rücktritt des stellvertretenden NPD- Mitglieder 2014 bundesweit: 500 Landesvorsitzenden Maik SCHEFFLER Ende Oktober 2014 und dem damit verbundenen Vorsitz Bund: Rückzug anderer sächsischer NPD-Funktionäre Vorsitz Freistaat und weiterer Mitglieder aus der Partei ihren Sachsen: Alexander KURTH deutlichen Ausdruck gefunden hatte. Teil-, Nebenorganisa- – tionen: Die tatsächliche Neugründung des sächsischen Publikation: keine Landesverbandes erfolgte erst am 1. August 2015 in Hagenwerder (Landkreis Görlitz). Der Kennzeichen: ehemalige NPD-Funktionär Alexander KURTH wurde zum Landesvorsitzenden gewählt. Stell- vertreterin wurde Daniela STAMM. Mit dem Übertritt der Bautzener Stadträtin Daniela STAMM von der NPD zu „DIE RECHTE“ erlangte Historie und Strukturentwicklung die Partei zudem das erste und bislang einzige kommunale Mandat in Sachsen. Am 26. Oktober 2013 wurde der sächsische Lan- desverband der Partei „DIE RECHTE“ gegrün- Unterhalb des Landesverbandes gründete die det. Der etwa zehn Personen umfassende Partei in der Region Bautzen den Kreisverband Landesverband war in der Folgezeit allerdings Ostsachsen. Vorsitzende des Kreisverbandes weder in der Lage, handlungsfähige Strukturen ist ebenfalls Daniela STAMM. Darüber hinaus im Freistaat aufzubauen, noch wahrnehmbare lassen Internetauftritte auf sich entwickelnde Aktivitäten zu entfalten. Auf ihrem Facebook- Strukturen in Chemnitz, Leipzig sowie im Vogt- Profil verkündeten die Rechtsextremisten am landkreis schließen. 18. März 2014 aufgrund von „Meinungsver- schiedenheiten“ schließlich die offizielle Auf- Der Aufbau der Partei wurde zwar von Funkti- lösung des Landesverbandes: „Ohne Mitglie- onären in Ostsachsen, Leipzig und im Vogtland der besteht auch kein Landesverband.“105 Die vorangetrieben, verlief allerdings schleppend.

105 www.facebook.de/rechtesachsen www.facebook.de/rechtesachsen (Stand: 22. März 2014) (Stand: 22. März 2014)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 65 Im Zusammenhang mit dem Wechsel der Baut- Antisemitismus zener Stadträtin Daniela STAMM von der NPD zur Partei „DIE RECHTE“ äußerten die Verant- wortlichen zumindest das Bestreben, mit wei- teren Mandatsträgern in Ostsachsen zusam- menarbeiten zu wollen. Ob damit allerdings eine ernstgemeinte Beteiligung am politischen Prozess angestrebt wurde, ist zweifelhaft. Angesichts der niedrigen Mitgliederzahlen war „DIE RECHTE“ wohl eher bemüht, überhaupt neue Anhänger zu gewinnen. Enttäuschte oder frustrierte Mandatsträger der NPD könnten auf diese Weise bei „DIE RECHTE“ eine neue rechtsextremistische Heimat finden. Bislang konnte die Partei jedoch lediglich ein gerin- ges Mitgliederpotenzial vornehmlich aus der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Quelle: www.facebookcom/rechtesachsen Szene ansprechen. Ein zahlenmäßig relevanter (Stand: 13. April 2015) Zulauf von unzufriedenen NPD-Mitgliedern oder interessierten Personen aus dem neonati- Insbesondere der ausgeprägte Antisemitismus onalsozialistischen Spektrum konnte dagegen zeigt deutlich den Bezug der Partei „DIE RECHTE“ bislang nicht festgestellt werden. (Landesverband Sachsen) zum Nationalsozialis- mus. Als auf einer PEGIDA-Demonstration in Ideologie/Politische Zielsetzung Dresden Geert Wilders als Redner israelfreundli- che Positionen bezog, postete die Partei in Face- Das Parteiprogramm ist weitgehend von book mit Verweis auf den Redner den Slogan : der im Jahr 2011 in der NPD aufgegangenen „Wir wollen keine Zionistenschweine.“106 rechtsextremistischen Deutschen Volksunion (DVU) übernommen worden. Die Äußerungen In einem Eintrag zu einem Artikel über den des sächsischen Landesverbandes im Internet Beschuss Israels durch eine IS-nahe Gruppe lassen demgegenüber auf eine aggressive neo- kommentierte die Partei: „Ohne eine grundle- nationalsozialistische Orientierung schließen. gende Lösung der Zionistenfrage wird es keinen Frieden im Nahen Osten geben.“107

Der der Partei innewohnende Antisemitismus trat auch im Zusammenhang mit einer Bewer- tung der GIDA-Bewegungen zutage. In dem Zusammenhang kommentierte sie Ende März 2015 wie folgt108:

106 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 13. April 2015) 106 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 13. April 2015) 107 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 5. Oktober 2015) 107 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 5. Oktober 2015)

108 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 31. März 2015), Schreibweise wie im Original 108 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 31. März 2015), Schreibweise wie im Original

66 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen „Ein großes Problem der verschiedenen Gidas Verständnis für Flüchtlinge forderte, veröffent- ist, daß man zwar einige Probleme richtig lichte die Partei auf ihrer Facebook-Seite einen erkannt hat, es sich aber bei diesen Problemen Eintrag, in dem nicht nur der höchste Reprä- nur um Nebenkriegsschauplätze handelt.“ sentant des Staates verunglimpft, sondern Dazu zähle auch die Tatsache, dass „der Haupt- sogar seine Tötung gefordert wird: feind alle[r] freien Völker“ nicht in Moscheen zu finden sei, sondern „andere Gebetshäuser“ „Vom Bundesgauckler der Bunten Repub- bevorzuge. lik Deutschland sind wir ja bereits einiges gewohnt. (…) Volksverrätern wie Gauck sollte Abschaffung der Demokratie man endlich die Medizin zuteil werden lassen, die sie verdient haben. Wir erinnern in dieser Das Ziel der Partei ist nicht der Meinungsstreit Hinsicht an ein altes deutsches Freiheitslied : innerhalb der Verfassungsordnung, sondern Es wird geschehen, es es wird geschehen, die die Abschaffung der freiheitlichen demokrati- Zeit ist nicht mehr fern, da werden all die hohen schen Grundordnung. Offen verkündeten die Herrn gehangen an die Laternen.“111 Rechtsextremisten über das Medium Internet, dass sie für den „Sturz dieses Schandregimes, In einem anderen Beitrag fordert ein Nutzer welches keinerlei Existenzberechtigung hat“109, „gauck und konsorten“ auf, „offen für eine 9mm „auf der Straße stehen“ würden. kugel zu sein weil die wird kommen wegen lan- des-volks und hochverrat“. Daraufhin wurde In einem Aufruf vom 17. September 2015 hieß auf dem Facebook-Profil „DIE RECHTE“ Sach- es unter der Überschrift „Wacht auf“: sen“ entgegnet: „Zu kurz und schmerzlos. Für Hochverräter gab es in alten Zeiten immer den „Es ist längst überfällig das wir gemeinsam ein obligatorischen Strick um den Hals.“112 System entsorgen, welches die Interessen des eigenen Volkes verrät und verkauft. Wir als die Im Oktober 2015 forderte die Partei auf Face- Partei „DIE RECHTE“ sind nicht angetreten um book eine „Revolution nach 89er-Vorbild“ und ein paar Reformen zu erzielen, denn dieses Sys- die Einrichtung eines „Volksgerichtshofes“. tem ist nicht reformierbar. Wir sind angetreten, Wieder wird hier die enge Anlehnung an die weil dieser menschenfeindliche Staat entsorgt Zeit des „Dritten Reiches“ deutlich. Nach Vor- gehört.“110 stellungen der Rechtsextremisten soll dieser „Volksgerichtshof“ genauso verfahren wie in Demokratische Politiker werden in den Äuße- jener Zeit: rungen der Partei verunglimpft. Die Rechtsex- tremisten schrecken nicht davor zurück, dabei „Es wird Zeit, dass so schnell wie möglich eine den Tod dieser Menschen zu fordern. Als der Revolution nach 89er-Vorbild dieser Dikta- Bundespräsident Joachim Gauck in einer Rede tur ein Ende setzt, bevor die Deutschen als

109 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 30. Januar 2015) 110 www.rechte-sachsen.com (Stand: 17. September 2015), Schreibweise wie im Original 111 109www.facebook.com/rechtesachsen www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 30. Januar 2015) (Stand: 22. Juni 2015), Schreibweise111 wiewww.facebook.com/rechtesachsen im Original (Stand: 22. Juni 2015), Schreibweise wie im Original

110 www.rechte-sachsen.com (Stand: 17. September 2015), Schreibweise wie im Original 112 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 22. Juni 2015), Schreibweise wie im Original 112 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 22. Juni 2015), Schreibweise wie im Original

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 67 Minderheit im eigenen Land keine mehrheits- mit diesem System! Am 14.3.2015 gemeinsam fähige, deutsche Regierung überhaupt mehr für Familie, Volk und Vaterland!“115 wählen können. Ein neu eingerichteter Volks- gerichtshof muss dann so schnell wie möglich Unter dem Motto „Damals wie Heute – Nati- die gerechten Urteile über die Volks- und Lan- onale Revolution jetzt!“ mobilisierte die Par- desverräter aus der Merkelschen Volkstodjunta tei im Internet für eine Demonstration am verhängen! Seht ihr schon die Stricke im Winde 7. November 2015 in Bautzen. Im Aufruf dazu schwingen?“113 hieß es:

Im Januar 2015 forderte der spätere sächsische „Bei der friedlichen Revolution im Jahr 1989 Landesvorsitzende Alexander KURTH auf sei- tauschte man lediglich die Unterdrücker des nem Facebookprofil: Volkes aus, zu einer wirklichen Wende ist es nie gekommen. Ausbeutung, Unterdrückung und „Klärt Eure Freunde und Nachbarn über die fehlende Souveränität, begleiten unser Volk seit Zustände auf und bringt sie mit zu den Mon- dem 8. Mai 1945. Es ist schon längst nicht mehr tagsdemonstrationen in Eurer Stadt. Ein Zitat Fünf vor Zwölf sondern 5:45 Uhr und wir wissen sagt: ‚Die Revolution ist das Notwehrrecht alle was da passiert! Holen wir uns gemeinsam eines Volkes, welches in seinen Grundrechten unsere Freiheit zurück. Am 7.11.2015 auf nach eingeschränkt wird!‘ Machen wir gemeinsam Bautzen. Nationale Revolution jetzt!!!“116 von diesem Notwehrrecht gebrauch und holen uns unser Land zurück!“114 (Anmerkung: Die Uhrzeit 5:45 Uhr bezog sich auf die Rede Adolf Hitlers zum Beginn des Im Aufruf für die Demonstration am 14. März Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939. 2015 in Bautzen forderte der sächsische Lan- Auch die Zäsur 8. Mai 1945 belegt, dass die desverband der Partei „DIE RECHTE“: Partei das „Dritte Reich“ wiedererrichten will.)

„Jene kapitalistisch versifften Volksfeinde, die Aktivitäten die Interessen des eigenen Volkes mit Füßen treten und als willfähige Handlanger einiger Die Partei „DIE RECHTE“ verstärkte im Auserwählter agieren. Wenn uns Land und Volk Jahr 2015 ihre öffentlichen Aktivitäten im noch eine Zukunft haben soll, dann müssen wir Freistaat Sachsen, blieb mit insgesamt elf endlich gemeinsam von den Knien zum Angriff Demonstrationen/Kundgebungen hinsichtlich übergehen. Kein lamentieren am Stammtisch, der Veranstaltungszahlen und des erreichten kein Protest der alle paar Jahre auf dem Stimm- Teilnehmerpotenzials jedoch deutlich hinter der zettel kundgetan wird und kein warten auf faule NPD zurück. Die bisherigen Aktivitäten gingen Reformen bringen Veränderung. Der berech- im Wesentlichen von zwei ehemaligen NPD- tigte Volkszorn muß auf die Straße getragen Mitgliedern aus Leipzig und Bautzen aus, die werden! Kein Dialog und keine Kompromisse in Bautzen regelmäßig Demonstrationen mit

113 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 12. Oktober 2015) 114 www.facebook.com/pages/Alexander-Kurth/1564933707071270?fref=ts (Stand: 13. Januar 2015), Schreibweise wie im Original 115 113 www.facebook.com/events/396163947227658/ www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 12. Oktober 2015) (Stand: 13. März115 2015), Schreibweisewww.facebook.com/pages/Alexander-Kurth/1564933707071270?fref=ts wie (Stand: 13. Januar 2015),im Schreibweise wieOriginal im Original

116114 www.rechte-sachsen.com (Stand: 10. September 2015) 116 www.facebook.com/events/396163947227658/ (Stand: 13. März 2015), Schreibweise wie im Original

68 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Flyer zur Anti-Asyl-Kundgebung am 10. Januar 2015 in Bautzen Quelle: www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 3. Januar 2015) bis zu 450 Teilnehmern organisierten. Darüber in die Partei „DIE RECHTE“ eingetreten. Sie hinaus nahmen sie wiederholt an bundeswei- verfügte über ein stabiles Mobilisierungs- ten Aktivitäten anderer Rechtsextremisten u. a. potenzial, das sie im Rahmen asylfeindlicher in Dortmund (Nordrhein-Westfalen), Bitterfeld Protestveranstaltungen regelmäßig abzurufen (Sachsen-Anhalt) und Bayern teil. vermochte.

Die erste große öffentliche Veranstaltung des Für den 28. Februar 2015 meldete sie eine sächsischen Landesverbandes der Partei „DIE Demonstration in Hoyerswerda unter dem RECHTE“ fand am 10. Januar 2015 in Bautzen Motto „Schützt unsere Kinder – Asylflut stop- unter dem Motto „Damals wie heute, Wir sind pen“ an. Doch statt der erwarteten 500 bis das Volk“ statt. Vor den rund 450 Teilnehmern 700 Teilnehmer versammelten sich lediglich sprach neben der Anmelderin Daniela STAMM 40 Personen zur Demonstration. Während man der ehemalige Leipziger NPD-Funktionär Ale- sich auf der Facebook-Seite von „DIE RECHTE“ xander KURTH (zwischenzeitlich Landesvorsit- Bautzen“ zufrieden über die Mobilisierung zender der Partei „DIE RECHTE“ in Sachsen). zeigte, wurde auf der Facebook-Seite des Lan- desverbandes das Ergebnis negativ betrachtet. Daniela STAMM war bereits im vergange- nen Jahr durch die Organisation zahlreicher Die dritte Demonstration der Partei unter Demonstrationen gegen die Asylbewerberun- dem Motto „Volk steh auf – erkämpfe deine terkunft in Bautzen in Erscheinung getreten. Rechte“ fand am 14. März 2015 wiederum in Im Zuge der Reaktivierung des sächsischen Bautzen statt. Trotz überregionaler Mobilisie- Landesverbandes der Partei „DIE RECHTE“ Ende rung nahmen nur rund 280 Personen teil. Dem November 2014 war sie aus der NPD aus- und entsprechend zeigte sich der Landesverband

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 69 Quelle: www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 19. Oktober 2015) unzufrieden – konnte man doch nicht an die Nachdem „DIE RECHTE“ am 17. April 2015 in Bad Teilnehmerzahl der ersten Demonstration Elster eine Mahnwache gegen die Asylpolitik anknüpfen. Schützenhilfe erhielt die Partei für mit 21 Teilnehmern durchgeführt hatte, fand diese Veranstaltung von Vertretern der Partei am 5. September 2015 eine weitere öffentliche aus München. Aus diesem Kreis stellte sich Veranstaltung im Vogtlandkreis statt. Die von Phillip HASSELBACH (Vorsitzender des Landes- den Landesverbänden Baden-Württemberg verbandes Bayern der Partei „DIE RECHTE“) als und Nordrhein-Westfalen organisierte Veran- Redner zur Verfügung. staltung in Zobes auf dem Grundstück einer NPD-Stadträtin stand unter dem Motto „Her- Es folgten weitere Aufzüge in Bautzen. So fand aus zum Tag der deutschen Zukunft 2016 — am 27. Juni 2015 eine weitere Demonstration Freiheit für “. 637 Rechtsextre- des Landesverbandes Sachsen mit nur etwa misten hörten die Beiträge mehrerer Redner 110 Teilnehmern statt. Das Motto lautete „Sou- sowie die Auftritte der Bands „Sachsonia“ veränität = Freiheit, Freiheit = Souveränität“. (Sachsen), „Die Lunikoff-Verschwörung“ (Ber- Als Redner traten u. a. erneut Alexander KURTH lin), „Tätervolk“ (Mecklenburg-Vorpommern), und Daniela STAMM auf. Uwocaust (Brandenburg) und „Überzeugungs- täter Vogtland“ (Sachsen). Die Veranstaltung Der nächste Aufzug der Partei in Bautzen in Zobes war damit die für Sachsen teilneh- wurde am 7. November 2015 durchgeführt. merstärkste Versammlung der Partei „DIE Unter dem Motto „Damals wie Heute-Natio- RECHTE“ im gesamten Berichtsjahr. Die hohe nale Revolution jetzt!“ mobilisierte die Partei Teilnehmerzahl war jedoch weniger auf die im Internet für die Veranstaltung. Letztendlich politischen Redner, sondern vielmehr auf die folgten 210 Personen dem Aufruf. Zugkraft der einzelnen Bands zurückzuführen.

70 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Eine gleichgelagerte Veranstaltung fand an Partei ließ deutlich erkennen, dass der politi- gleicher Stelle bereits im Jahr 2014 statt. sche Gegner in Leipzig gezielt provoziert wer- den sollte. Zeitgleich wurden zwei weitere Ver- Öffentlich agierte die Partei ab Oktober 2015 anstaltungen vom Organisator der Aufzüge der auch in Limbach-Oberfrohna (Landkreis Offensive für Deutschland und einer weiteren Zwickau). Am 11. Oktober 2015 organisierte Einzelperson angemeldet. Für diese Veranstal- die Partei hier einen Aufzug mit rund 200 tung wurde auch durch Thüringer Rechtsext- Teilnehmern. Ein zweiter Aufzug sollte am remisten um den Greizer NPD-Stadtrat David 15. November 2015 stattfinden. Wegen des KÖCKERT und durch die rechtsextremistische Volkstrauertages durfte jedoch nur eine Brigade Halle (Saale) geworben. Kundgebung durchgeführt werden, an welcher sich lediglich 75 Personen beteiligten. Bei der folgenden Demonstration am 6. Dezember 2015 sank die Teilnehmerzahl weiter auf nur 20 Personen.

Im gesamten Berichtsjahr berichtete die Par- tei wiederholt über ihre Teilnahme an GIDA- Demonstrationen in Dresden, Chemnitz und Quelle: www.facebook.com/Die-Rechte- Leipzig. Es überwog letztlich jedoch die ideolo- Landesverband-Thüringen (Stand: 9. Dezember 2015) gische Distanz zu diesen Bewegungen, so dass im zweiten Halbjahr 2015 nur noch vereinzelt Aufgrund der Gefahrenprognose legte die zur Teilnahme an GIDA-Veranstaltungen auf- zuständige Versammlungsbehörde die geplan- gerufen wurde. Die Partei versuchte sich neben ten Demonstrationen zu einem gemeinsamen den GIDA-Veranstaltungen auch in die lokalen Aufzug zusammen. An diesem Aufzug betei- Asylproteste mit einzubringen, war aber auf- ligten sich etwa 200 Personen, damit deut- grund der vorhandenen strukturellen Schwä- lich weniger als die zunächst angemeldeten che nicht in der Lage, das Aktionsniveau der 1.200 Personen. Zu den Rednern während der NPD zu erreichen. Demonstration gehörten u. a. der sächsische Landesvorsitzende Alexander KURTH sowie In Leipzig war die Partei an einer Vernetzung Michael FISCHER vom Landesverband „DIE von anderen rechtsextremistischen Initiativen RECHTE“ – Thüringen. Vor, während und nach beteiligt. dem Versammlungsgeschehen kam es durch Gegner der Demonstration zum massiven Bau Am 12. Dezember 2015 plante die „DIE RECHTE“ von Barrikaden, welche teilweise auch in Brand im Leipziger Stadtteil Connewitz die Durchfüh- gesetzt wurden.117 rung einer Demonstration unter dem Motto „DIE RECHTE“ – Für Recht und Ordnung in unserer Heimat – Für Frieden und Völkerfreundschaft“. Die Mobilisierung für die Veranstaltung der

117 Zum gewalttätigen Verlauf der Gegenproteste vgl. Beitrag „Autonome“117 in www.rechte-sachsen.comLeipzig“ (Stand: 10. September 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 71 Fazit und Ausblick Veranstaltungen. Insbesondere in Ostsachsen gelang es der Partei, bei eigenen Kundgebun- Nach der Reaktivierung des sächsischen Lan- gen ein vergleichsweise hohes Teilnehmerpo- desverbandes im November 2014 und der tenzial zu mobilisieren. Dies genügte jedoch Verantwortungsübernahme durch Alexander nicht für einen Ausbau der Strukturen in KURTH und Daniela STAMM stieg das Akti- Sachsen. Mit lediglich einem öffentlich wahr- onsniveau spürbar an. Ideologisch orientierte nehmbaren Kreisverband und landesweit etwa man sich eindeutig am Nationalsozialismus 30 Mitgliedern ist „DIE RECHTE“ in Sachsen und benutzte die Asylthematik als Mittel zur von einem stabilen Organisationsgrad noch Mobilisierung für die verfassungsfeindlichen weit entfernt. Mit dem Versuch des Aufbaus Ziele der Partei. von Organisationsstrukturen und ihres Mit- Die Partei führte in verschiedenen Regionen gliederbestandes wird die Partei „DIE RECHTE“ des Freistaates mehrere Demonstrationen oder beabsichtigen, sich zukünftig als relevanter Informationsveranstaltungen durch und betei- Akteur im rechtsextremistischen Spektrum im ligte sich an anderen rechtsextremistischen Freistaat Sachsen zu etablieren.

72 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 1.6 „Der Dritte Weg“ (III. Weg)

Extremismusbereich: Rechtsextremismus Historie und Strukturentwicklung

Gründung: September 2013 Die Partei „Der Dritte Weg“ (III. Weg) wurde Sitz: Weidenthal am 28. September 2013 in Heidelberg (Baden- (Rheinland-Pfalz) Württemberg) gegründet. Parteivorsitzender ist Klaus ARMSTROFF, ein Rechtsextremist Mitglieder 2015 in ca. 40 aus Rheinland-Pfalz und langjähriger NPD- Sachsen: Funktionär. Mitglieder 2014 in ca. 20 Sachsen: Gemäß ihrer Satzung verfolgt die Partei Mitglieder 2014 ca. 200 das Ziel, bundesweit Gebietsverbände (Süd, bundesweit: West, Nord und Mitte) aufzubauen. Der erste Gebietsverband „Mitte“ – er schließt die Regi- Vorsitz Bund: Klaus ARMSTROFF onen Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin, Stützpunktleiter Thüringen und Sachsen ein – wurde im März Vogtland: Rico DÖHLER 2015 in Thüringen vorgestellt.118 Stützpunktleiter Mit- telland/Erzgebirge: Maik ARNOLD Die Partei befindet sich weiterhin im Stadium Teil-, Nebenorgani- Gebietsverband des Aufbaues, bislang wurden 19 sogenannte sationen: Mitte „Stützpunkte“ in Deutschland gegründet. Stützpunkt Vogtland Stützpunkt Mittel- Im Januar 2014 bildete sich der bayerische sachsen/Erzgebirge Ableger der Partei III. Weg unter dem Stütz- Stützpunkt Mittel- land punktleiter Tony GENTSCH, einem Führungs- kader des verbotenen bayerischen Kamerad- Publikation: „Der III. Weg” schaftsnetzwerkes „Freies Netz Süd“ (FNS). (Rundbrief) Innerhalb des FNS führte er die Freien Nati- Kennzeichen: onalisten Hof an, die unter seiner Führung in den Stützpunkt Hof/Saale der Partei III. Weg überführt wurden.

Im April 2014 schlossen sich Mitglieder der neonationalsozialistischen Revolutionären Nati- onalen Jugend (RNJ) Vogtland der Partei an. Es wurde der bayerisch-sächsische Stützpunkt Hochfranken/Vogtland119 der Partei gegründet.

118 www.der-dritte.weg.info (Stand: 17. März 2015) 118 www.der-dritte.weg.info (Stand: 17. März 2015) 119 Der Stützpunkt Hochfranken ist heute Teil des Stützpunktes Oberfranken. 119 Der Stützpunkt Hochfranken ist heute Teil des Stützpunktes Oberfranken.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 73 Diese länderübergreifende Struktur resultierte Zu dieser Zeit spaltete sich der Stützpunkt aus der langjährigen engen Vernetzung der Hochfranken/Vogtland in die Stützpunkte neonationalsozialistischen Szene in Nordbayern Hochfranken und Vogtland. Seit Oktober 2014 und der RNJ im sächsischen Vogtland. ist Rico DÖHLER Nachfolger von Tony GENTSCH in der Funktion des Stützpunktleiters. Die Organisation der Neonationalsozialisten als eine rechtsextremistische Partei ist vor allem Im Freistaat Sachsen ist es der Kleinstpartei taktisch motiviert. Sowohl das FNS als auch bereits gelungen, von den bundesweit gegrün- Mitglieder der RNJ unterlagen in den vergan- deten 19 Stützpunkten drei zum Teil länder- genen Jahren staatlichen Exekutivmaßnahmen. übergreifende Stützpunkte mit sächsischen Nur drei Tage nach den „Verboten“ der neona- Mitgliedern zu etablieren. Es konnten ehemals tionalsozialistischen Gruppierungen „Natio- führende Neonationalsozialisten in ihre Struk- naler Widerstand Dortmund“, „Kameradschaft turen integriert werden. Hamm“ und „Kameradschaft Aachener Land“ am 23. August 2012 in Nordrhein-Westfalen Im April 2015 wurde der länderübergreifende gab die RNJ auf ihrem Facebook-Profil aus Stützpunkt „Mittelland“ gegründet, der die Furcht vor vereinsrechtlichen Maßnahmen ihre Städte Leipzig, Halle, Merseburg und das Auflösung bekannt, trat jedoch im Jahr 2013 Umland umfasst.120 wieder unter diesem Namen in Erscheinung. Mitgliedsgruppierungen des FNS wurden im Einen weiteren Stützpunkt „Mittelsachsen/ Juli 2013 im Rahmen eines vereinsrechtlichen Erzgebirge“ gründeten Rechtsextremisten am Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts 5. Dezember in Chemnitz. Nach eigenen Anga- der Fortführung der im Jahr 2004 verbotenen ben vereint dieser Stützpunkt als Aktionsraum Fränkischen Aktionsfront durchsucht. Im Juli die Gebiete Mittelsachsen und das Erzgebirge 2014 wurde das FNS als Dachorganisation vom sowie die Regionen um die Städte Zwickau und Bayerischen Innenminister verboten. Chemnitz.121 Unmittelbar nach dem Verbot des FNS verzo- gen Tony GENTSCH und ein weiteres ehemali- Ideologie/Politische Zielsetzung ges Mitglied vom Freistaat Bayern nach Plauen (Vogtlandkreis). Ziel der Partei ist offiziell die „Schaffung eines Deutschen Sozialismus, fernab von ausbeute- Mit dem Zuzug dieser seit Jahren aktiven rischem Kapitalismus, wie gleichmacherischem neonationalsozialistischen Führungspersonen Kommunismus“.122 nach Sachsen lagen erste Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Schwerpunkt der Parteiaktivi- Ideologisch orientiert sich die Partei dabei am täten des Stützpunktes Hochfranken/Vogtland Nationalsozialismus. Die Forderung nach „Schaf- zukünftig von Bayern nach Sachsen verlagern fung eines Deutschen Sozialismus“ legt eine könnte. Im Februar 2015 wurde im Vogtland- Ideenverbindung zur völkisch-nationalistischen kreis der Stützpunkt Vogtland gegründet.

120 www.der-dritte-weg.info (Stand: 10. April 2015) 120 www.der-dritte-weg.info (Stand: 10. April 2015) 121 www.der-dritte-weg.info (Stand: 17. Dezember 2015) 121 www.der-dritte-weg.info (Stand: 17. Dezember 2015) 122 www.der-dritte.weg.info (Stand: 11. Juni 2014) 122 www.der-dritte.weg.info (Stand: 11. Juni 2014)

74 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Parteiprogramm: www.der-dritte-weg.info (Stand: 27. April 2014)

Weltanschauung des 25-Punkte Programms der und der Arbeiter im Kampf für den Sozialis- NSDAP nahe. mus verdeutlichen. Das Symbol des Zahnrads war unter den Nationalsozialisten Symbol der Beide Parteiprogramme eint eine biologische NS-Gewerkschaft „Deutsche Arbeiterfront“. Es Sicht auf den Volksbegriff, der bei der NSDAP wird seit Jahren auch im Bereich der neonati- im Punkt 4 ihres Programmes Ausdruck fand. onalsozialistischen Kameradschaften genutzt. Dort hieß es, dass nur derjenige „Volksgenosse“ sein kann, der „deutschen Blutes“ ist. Entspre- Die Partei bezeichnet sich selbst als „national“, chend fordert die Partei III. Weg in Punkt 7 „revolutionär“ und „sozialistisch“. Sie nimmt ihres Programms „die Erhaltung und Entwick- dabei in ihren Äußerungen immer wieder Bezug lung der biologischen Substanz des Volkes“ auf den Nationalsozialismus. Dies gilt selbst und in Punkt 4 die „Beibehaltung der nationa- dann, wenn sich offenkundig auch auf andere len Identität des deutschen Volkes“, die es vor Epochen der deutschen Geschichte bezogen Überfremdung zu schützen gelte. wird. Dies lässt sich an einem Flyer der Partei III. Weg illustrieren: Auch in der Symbolik wird die beabsichtigte Nähe zum Nationalsozialismus deutlich. Schwert und Hammer wurden bereits als Sym- bol in der Hitlerjugend, aber auch in der NSDAP genutzt. Es soll die Verbundenheit der Soldaten

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 75 Quelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 22. Okto- Quelle: www.facebook.com/asylproblematik (Stand: ber 2015) 10. Dezember 2015)

Die Worte Theodor Körners wurden hier ganz Ebenfalls wurden auf diesen Seiten sogenannte bewusst verwendet. Das Zitat nutzte der nati- „Leitfäden“ für die Leser bereitgestellt. So wer- onalsozialistische Propagandaminister Joseph den z. B. im Leitfaden „Kein Asylantenheim in Goebbels in leicht abgewandelten Worten meiner Nachbarschaft!“ unter der Überschrift („Nun Volk, steh auf, und Sturm brich los!“) am „Wie be- bzw. verhindere ich die Errichtung 18. Februar 1943 in der sogenannten „Berliner eines Asylantenheims in meiner Nachbar- Sportpalastrede“, in der er den „Totalen Krieg“ schaft“ entsprechende Hinweise gegeben.123 Der ausrief. Leitfaden hat bundesweite Verbreitung gefun- den. Die Partei will dazu animieren, rechtliche Aktivitäten Mittel zur Verhinderung der Einrichtung oder Behinderung des Betriebes von Asylbewerber- Die Partei führte im Jahr 2015 eine Vielzahl von einrichtungen einzusetzen. Veranstaltungen durch. Ziel dieser öffentlichen Aktionen war es, gegen Asylbewerber und Bei den folgenden überregionalen Aktivitäten deren Einrichtungen zu polemisieren und so der Partei III. Weg waren sächsische Kader weitere neue Mitglieder zu gewinnen. maßgeblich beteiligt:

Dabei setzte die Partei ihre häufige Anti-Asyl- Die Partei berichtete auf ihrer Internetseite Agitation auch in Form von Flugblattvertei- über das erste durchgeführte „Gebietstreffen- lungen unter dem Motto „Asylflut stoppen!“ Mitte“, welches mit über 50 Teilnehmern Anfang fort, oft in Kombination mit der provokativen März unweit von Erfurt (Thüringen) stattfand. Teilnahme an Bürgerinformationsveranstaltun- Als Redner traten u. a. Tony GENTSCH und Rico gen. Über die durchgeführten Aktionen wurde DÖHLER aus Sachsen auf. regelmäßig in den Online-Präsenzen der Partei berichtet.

123 www.der-dritte-weg.info (Stand: 2. Februar 2015) 123 www.der-dritte-weg.info (Stand: 2. Februar 2015)

76 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Veranstalter der Demonstration war das soge- nannte „Nationale und soziale Aktionsbündnis 1. Mai“125 . Allerdings wurde die Veranstaltung von Protagonisten der Partei III. Weg domi- niert. Das zeigte sich u. a. darin, dass die Veran- staltung vom Bundesparteivorsitzenden Klaus ARMSTROFF angemeldet worden war und der Leiter des Stützpunktes Vogtland, Rico DÖH- LER, als Versammlungsleiter fungierte. Auch viele der mitgeführten Fahnen verwiesen auf Quelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 17. März 2015) die Partei. Zudem übernahmen Parteimitglie- der die Organisation und Koordinierung der Danach suchten die sächsischen Protagonisten Demonstration. der Partei III. Weg verstärkt die grenzüber- schreitende Kooperation. Sächsische Mitglieder der Partei beteiligten sich im Berichtsjahr außerdem bundesweit an Die Demonstration des „Nationalen sozialen weiteren rechtsextremistischen Veranstaltun- Aktionsbündnis 1. Mai“ in Saalfeld (Thüringen) gen, so unter anderem an der Kundgebung bot hierfür die erste größere Gelegenheit. Dort „Ausländerstopp – für die Zukunft deutscher fand unter dem typisch neonationalsozialisti- Familien!“ am 28. März in Wittstock (Branden- schen Motto „Arbeit – Zukunft – Heimat/Über- burg) oder am 18. April in Gotha (Thüringen) fremdung stoppen! Kapitalismus zerschlagen! unter dem Motto „Überfremdung und Asylmiß- Volkstod abwenden“ eine Demonstration statt, brauch stoppen“. an der sich nach Polizeiangaben ca. 600 Per- sonen beteiligten. Aus dem Vogtland nahmen An einer sogenannten „Heldengedenkdemons- nach Szeneangaben „über 40 Deutsche die es tration“ am 14. November 2015 in Wunsiedel noch sein wollen“ teil.124 (Bayern) unter dem Motto „Tot sind nur jene, die vergessen werden!“ beteiligten sich auch Rechtsextremisten aus Sachsen. Insgesamt ca. 250 Personen nahmen an der von der Partei ini- tiierten Veranstaltung teil. Als stellvertretender Versammlungsleiter fungierte wie im Vorjahr Rico DÖHLER. Tony GENTSCH hielt während der Demonstration einen Redebeitrag. Der Ort Wunsiedel wurde nicht zufällig gewählt. Jahrelang war die Stadt als Veranstaltungsort rechtsextremistischer Rudolf-Hess-Gedenk- Quelle: www.recherche-nord.com (Stand: 22. Mai 2015) märsche missbraucht worden. Mit der Ver- bindung dieser beiden für Rechtsextremisten

124 www.facebook.com/Asylproblematik, Schreibweise wie im Original (Stand: 19. Mai 2015) 125 124war bereits 2014 Organisatorwww.facebook.com/Asylproblematik, Schreibweise der wie im Original (Stand:1. Mai-Demonstration 19. Mai 2015) in Plauen125 war bereits 2014 Organisator der 1. Mai-Demonstration in Plauen

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 77 zentralen Kampagnenthemen wird deutlich, Es ist zu erwarten, dass sie – vor allem, um dass die Partei III. Weg bewusst geschichtsre- gegen Asylbewerber zu agitieren – eine Viel- visionistische Anknüpfungspunkte zum „Drit- zahl öffentlicher Aktionen durchführen wird. ten Reich“ sucht. Auf diese Weise wird sie eine Erhöhung ihres Bekanntheitsgrads anstreben. Dabei wird die Kleinstpartei auch weiterhin als Auffangbe- cken für Neonationalsozialisten dienen.

Anti-Asyl-Aktivitäten werden im Jahr 2016 weiterhin den Schwerpunkt der Arbeit der sächsischen Parteistrukturen bilden. Die Demonstration am 1. Mai 2016 unter dem Motto „Kapitalismus zerschlagen für einen Tony GENTSCH (Bildmitte) als Redner am 14. Novem- Deutschen Sozialismus!“ soll wieder in Plauen126 ber in Wunsiedel (Bayern) stattfinden. Eine Anmeldung des Stützpunkt- Quelle: www.der-dritte.weg.info leiters Vogtland Rico DÖHLER liegt vor.

Informationen über die lokalen Aktivitäten Insbesondere die Akteure der Partei im Vogt- der einzelnen Stützpunkte finden sich in den land werden weiterhin auch außerhalb Sach- Beiträgen zum „Vogtlandkreis“, „Landkreis sens eine große Rolle bei den kommenden Par- Leipzig“ und „Landkreis Mittelsachsen“ im teiaktionen spielen. Die Funktionäre GENTSCH Kapitel „Regionale Beschreibung rechtsextre- und DÖHLER sind auch überregional maß- mistischer Bestrebungen“. gebliche Akteure beim weiteren Aufbau der Partei. Es ist davon auszugehen, dass im Zuge Ausblick der fortgesetzten Anti-Asyl-Agitation weitere Gelegenheiten zur Bildung neuer Stützpunkte Die Partei wird versuchen, ihren Strukturaus- im Freistaat Sachsen genutzt werden. bau auch im Jahr 2016 weiter voranzutreiben. Die bisherige aggressive rassistische Agitation wird sich vermutlich noch weiter verschärfen.

126 Die Demonstration fand bereits 2014 in Plauen, danach 2015 in Saalfeld (Thüringen) statt.

126 Die Demonstration fand bereits 2014 in Plauen, danach 2015 in Saalfeld (Thüringen) statt.

78 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 1.7 Neonationalsozialisten

Strukturen und Personenpotenzial – Nachdem im Frühjahr 2013 mit den „Nationa- Entwicklungen im Freistaat Sachsen len Sozialisten Döbeln”130 eine neonationalso- zialistische Gruppierung im Freistaat Sachsen Die neonationalsozialistische Szene im Frei- verboten worden war, begannen sächsische staat Sachsen befindet sich seit dem Jahr 2012 Neonationalsozialisten zunehmend die Öffent- im Umbruch. Unter dem Druck zahlreicher lichkeit zu meiden. Zwar kam es nach wie vor Verbote von neonationalsozialistischen Grup- zu öffentlichen Aktivitäten, jedoch wurde aus pierungen im Jahr 2012 bundesweit127, in den taktischen Gründen auf das Führen von Grup- Jahren 2013128 und 2014 129 im Freistaat Sachsen penbezeichnungen verzichtet. und im Jahr 2014 im Freistaat Bayern kam es zu Verschiebungen zwischen den rechtsextremis- Es waren zweierlei Ausweichbewegungen tischen Spektren. Vor allem Führungspersonen feststellbar. Neben dem Agieren unter Kam- schlossen sich rechtsextremistischen Parteien, pagnenbezeichnungen wie „Tag der deutschen wie der NPD, „Der Dritte Weg“ (III. Weg) oder Zukunft“ durch die „Freien Kräfte Dresden” und „DIE RECHTE“ an. Die Verbliebenen wandten „Raus in die Zukunft“ durch die „Nationalen sich der subkulturell geprägten rechtsextre- Sozialisten Chemnitz” fand ein Teil der Neona- mistischen Szene zu. tionalsozialisten Unterschlupf bei den „Jungen Nationaldemokraten” (JN; Jugendorganisation Wirkung entfalteten in Sachsen die Verbote der der „Nationaldemokratischen Partei Deutsch- Widerstandsbewegung in Südbrandenburg am lands” – NPD). Damit unterfielen sie dem 19. Juni 2012 – diese hatte für einen Großteil Schutz des Parteienprivilegs131. So stieg Stefan der sächsischen Szene stets Unterstützer- TRAUTMANN, ehemaliges Mitglied der verbo- funktion – sowie der Gruppierungen „Natio- tenen „Nationalen Sozialisten Döbeln”, bereits naler Widerstand Dortmund“, „Kameradschaft Ende 2013 zum stellvertretenden Landesvor- Hamm“ und „Kameradschaft Aachener Land“ sitzenden der Jungen Nationaldemokraten auf. am 23. August 2012 in Nordrhein-Westfalen. So gab die „Revolutionäre Nationale Jugend Das Verbot der „Nationalen Sozialisten Chem- Vogtland“ (RNJ) nur drei Tage nach den Ver- nitz” (NSC) im März 2014 führte zu einer boten in Nordrhein-Westfalen am 26. August weiteren Verunsicherung innerhalb der neo- 2012 auf Facebook ihre Selbstauflösung nationalsozialistischen Szene im Freistaat bekannt. Sachsen. Die NSC hatten die Aktivitäten der

127 Aktionsbündnis Mittelrhein, Widerstandsbewegung in Südbrandenburg, „Nationaler Widerstand Dortmund“, „Kamerad- schaft Hamm“, „Kameradschaft Aachener Land“ etc. 128 „Nationale Sozialisten Döbeln“, Verbot am 18. Februar 2013 129 „Nationale Sozialisten Chemnitz”, Verbot am 28. März 2014 130 Am 12. November 2015 hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen die Klage von ehemaligen Mit- gliedern gegen das Verbot des Vereins abgewiesen. Die Kläger hatten behauptet, bei der Gruppierung habe es sich nicht um einen Strukturen aufweisenden Verein, sondern um einen losen Kreis national gesinnter Personen gehandelt. Eine 127 Aktionsbündnis Mittelrhein, Widerstandsbewegung in Südbrandenburg, „Nationaler Widerstand Dortmund“, „Kameradschaft Hamm“, „Kameradschaft Aachener Land“ etc.

Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde vom OVG130 nicht zugelassen. Am 12. November 2015 hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen die Klage von ehemaligen Mitgliedern gegen das Verbot des Vereins abgewiesen. Die Kläger hatten behauptet, bei der Gruppierung habe es sich nicht um 128 „Nationale Sozialisten Döbeln“, Verbot am 18. Februar 2013 einen Strukturen aufweisenden Verein, sondern um einen losen Kreis national gesinnter Personen gehandelt. Eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde vom OVG nicht zugelassen. 131 129Das Verbot einer ParteiNationale unterliegt Sozialisten Chemnitz, Verbot am 28. März 2014 hohen rechtlichen Hürden. 131 Das Verbot einer Partei unterliegt hohen rechtlichen Hürden.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 79 rechtsextremistischen Szene in und um Chem- Dresden”, vollzogen den Wechsel in einen JN- nitz in den vorangegangenen Jahren maß- „Stützpunkt“. Nach den Aktivitäten zum 13. Feb- geblich geprägt. Das Verbot der NSC bewirkte ruar 2015 132 waren die vormaligen neonational- hier eine Zersplitterung der Gruppierung. Eine sozialistischen Strukturen im Gegensatz zu der ehemalige Führungsperson engagierte sich bei daraus hervorgegangenen lokalen JN-Struktur den JN, ein zweites ehemals führendes NSC- nicht mehr öffentlich wahrnehmbar. Mitglied wurde im Dezember 2015 Leiter des neu gegründeten sogenannten „Stützpunktes“ Im Vogtlandkreis hat sich die rechtsextremis- Mittelsachsen/Erzgebirge der Partei III. Weg. tische Partei III. Weg als Auffangbecken für Weitere ehemalige NSC-Mitglieder und Sympa- die neonationalsozialistische Szene erwiesen. thisanten gingen in die subkulturell geprägte Die Akteure der ehemaligen Revolutionären rechtsextremistische Szene. Nationalen Jugend (RNJ) sind mittlerweile aus- schließlich in dieser Partei aktiv. Auch die neonationalsozialistische Szene im

Raum Dresden, vor allem die „Freien Kräfte 132 Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg

Neonationalsozialistische Strukturen im Freistaat Sachsen

Personenpotenzial geht deutlich zurück Dagegen war im Jahr 2013 bereits ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Im Jahr 2014 ging Die Anzahl der Neonationalsozialisten im Frei- das neonationalsozialistische Personenpoten- staat Sachsen stieg bis zum Jahr 2011 stetig zial um 120 Personen und damit um über 12 % an und stagnierte 2012 auf hohem Niveau. zurück.

132 Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg

80 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Im Berichtsjahr verzeichneten die sächsischen ehemalige Führungspersonen, engagieren sich Neonationalsozialisten einen erheblichen Ver- zwischenzeitlich bei den JN, in der Partei „DIE lust ihrer Anhängerschaft. In der Folge kam RECHTE“ oder in der Partei III. Weg. Der weitaus es zu massiven Verschiebungen innerhalb der größere Teil ist nun der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Spektren. Mehr als die rechtsextremistischen Szene zuzurechnen. Hälfte der Neonationalsozialisten wanderte Ihnen fehlen nunmehr feste neonationalsozia- 2015 in andere Bereiche der rechtsextremis- listische Strukturen und die Fähigkeit zu selbst tischen Szene in Sachsen ab. Einige, darunter organisierter politischer Arbeit.

Anzahl der Neonationalsozialisten im Freistaat Sachsen

1500

950 970 1000 1000 980 1000 910 860 720 550 500 340 270

0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Die in Parteistrukturen ausgewichenen Neo- Die neonationalsozialistischen Gruppierungen, nationalsozialisten werden zahlenmäßig nun die sich nicht Parteistrukturen zugewendet bei den entsprechenden Parteien erfasst. Sie haben, zogen sich weitgehend aus dem öffent- sind nach wie vor ideologisch stark gefestigt lichen Raum zurück. Lediglich vereinzelte und nicht bereit, ihre neonationalsozialistische Gruppierungen trugen Erkennungszeichen Ideologie aufzugeben und sich aus der Szene oder traten unter eigenem Namen auf: zurückzuziehen. Sie bringen dabei nicht nur ihre deutlich am historischen Nationalsozialismus 1. In Dresden anstelle der ehemaligen Freien orientierten Vorstellungen, sondern auch ihre Kräfte Dresden die „Freie Kameradschaft Erfahrung, ihren Aktionismus und vor allem ihre Dresden“ bzw. „Freie Aktivisten Dresden“133 überregionale Vernetzung in die Parteiarbeit 2. Die sächsische Sektion der „Weißen Wölfe ein. Die von den Neonationalsozialisten ausge- Terrorcrew” (WWT), die im Berichtsjahr in henden Gefahren bestehen daher unvermindert Sachsen nicht öffentlich in Erscheinung fort, zumal es nicht unwahrscheinlich erscheint, trat. Mitglieder der Sektion beteiligten dass sich aus der subkulturell geprägten sächsi- sich jedoch an überregionalen Treffen und schen rechtsextremistischen Szene heraus neo- rechtsextremistischen Demonstrationen nationalsozialistische Strukturen bilden werden. in anderen Bundesländern. Bei den WWT Erste Anhaltspunkte dafür zeichneten sich im handelt es sich um eine neonationalsozi- Berichtsjahr bereits ab (siehe Kapitel „Subkultu- alistisch geprägte Gruppierung mit bun- rell geprägte Rechtsextremisten“). desweiter Vernetzung und überregionalem

133 Siehe dazu Beitrag „Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen“, „Dresden (Stadt)“ 133 Siehe dazu Beitrag „Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen“, „Dresden (Stadt)“

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 81 Aktionsradius. Am 16. März 2016 wurde Tragen dieser T-Shirts jedoch nicht zwingend sie durch den Bundesminister des Innern erforderlich. Mit den T-Shirts soll vielmehr bei bundesweit verboten. Es kam zu Exeku- öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen die tivmaßnahmen in zehn Bundesländern. Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen Szene Dabei wurde insbesondere umfangreiches demonstriert werden, auch wenn es sich nicht rechtsextremistisches Propagandamaterial um Angehörige des neonationalsozialistischen sichergestellt. In Sachsen war der Sektions- Spektrums handelt. Neonationalsozialisten leiter von den Maßnahmen betroffen. hingegen wollen sich nach den bisherigen Ver- boten nicht mehr als Mitglieder einer bestimm- Seit Sommer 2014 trugen Rechtsextremisten bei ten Gruppierung exponieren. Ihr Ziel ist die überregionalen rechtextremistischen Demons- Vermeidung von exekutiven Maßnahmen durch trationen T-Shirts mit den Aufdrucken „Division die Verschleierung der konkreten Gruppenzu- Sachsen“, „Division Thüringen“, Division Sachsen- gehörigkeit bei öffentlichen Auftritten. Anhalt“ und „Division Brandenburg“. Im ersten Beispielweise posten Rechtsextremisten auf Halbjahr 2015 verstärkte sich dieser Trend. Bei Facebook-Profilen „Selfies“ mit dem T-Shirt rechtsextremistischen Demonstrationen am „Division Sachsen“. Diese lassen sich teilweise 11. April 2015 in Halberstadt (ST), am 18. April Gruppierungen zuordnen (u. a. den „Freien 2015 in Gotha (TH) und am 1. Mai 2015 in Saal- Kräften Hoyerswerda”), die – jedenfalls abseits feld (TH) konnten derartige T-Shirts festgestellt der Öffentlichkeit – auch weiterhin unter eige- werden. Beim „7. Tag der deutschen Zukunft“ am nem Namen aktiv werden. 6. Juni 2015 in Neuruppin (Brandenburg) trug eine ganze Personengruppe T-Shirts mit dem Aktivitäten Aufdruck „Division Sachsen“. Personen aus die- sem Umfeld trugen die T-Shirts ebenfalls bei der Da sich die in den Jahren 2013/2014 aktivsten NPD-Demonstration am 17. Juni 2015 in Dresden. Führungspersonen der neonationalsozialisti- Entsprechende T-Shirts werden von einem Ver- schen Szene zwischenzeitlich Parteistrukturen trieb in Thüringen mit den Namen aller deutschen im Freistaat Sachsen angeschlossen haben, Bundesländer sowie u. a. für Schlesien, Helvetia, sank das Aktionsniveau der übrigen parteiun- Ostmark, Pommern und Deutschland angeboten. abhängig agierenden Neonationalsozialisten im Vergleich zum Vorjahr weiter.

Öffentliche Aktivitäten führten Neonational- sozialisten im Berichtsjahr anlässlich des Jah- restages der Zerstörung der Stadt Dresden im Zweiten Weltkrieg am 13. Februar 1945 durch. Diese Veranstaltung zog in früheren Jahren bis zu 6.500 Teilnehmer an. Im Jahr 2015 betei- ligten sich lediglich 500 Personen daran: Seit Quelle: www.recherche-nord.com (Stand: 6. Juni 2015) dem Jahr 2007 hatte das der neonationalso- zialistischen Szene in Dresden zuzurechnende Die Mitgliedschaft in einer bestimmten rechts- Aktionsbündnis gegen das Vergessen (AgdV) extremistischen Gruppierung ist für das die Federführung für die Aktivitäten von

82 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Rechtsextremisten anlässlich des 13. Februar Kräfte” im Raum Bautzen führten im Jahr 2015 übernommen. Im Berichtsjahr zeichnete erst- eine Gedenkveranstaltung mit ca. 80 Teilnehmern mals – neben dem AgdV – die JN Sachsen für für die an diesem Ort am 22. April 1945 getöteten einen erheblichen Teil der Aktivitäten verant- deutschen Soldaten durch. An der Gedenktafel wortlich. Die Veranstaltungen im Rahmen der zum Andenken an die Soldaten legten die Teilneh- „Aktionswoche 13. Februar“ blieben nicht auf mer einen Kranz mit der Aufschrift „Freie Kräfte die Stadt Dresden begrenzt, sondern betrafen Bautzen“ – Gegen das Vergessen“ ab. zahlreiche Orte in Sachsen und in anderen Mit derartigen Aktionen betonen Rechtsex- Bundesländern sowie im europäischen Aus- tremisten regelmäßig und ausschließlich die land. Zentrale Veranstaltung war, wie in jedem „alliierten Kriegs- und Nachkriegsverbrechen“ Jahr, die o. g. Demonstration in Dresden. Diese und blenden gleichzeitig die Verbrechen des war auf den 12. Februar vorgezogen worden. nationalsozialistischen Regimes aus. Sie rücken den Trauergedanken ausschließlich für die deutschen Opfer in den Vordergrund und beanspruchen damit für sich die geschicht- liche Deutungshoheit über die Ereignisse. Die Gedenkveranstaltung ist neben den Aktivitäten um den 13. Februar ein fester Termin im Kalen- der der neonationalsozialistischen Szene und dient vor allem dem inneren Zusammenhalt.

Eine weitere Gedenkveranstaltung der Freien Kräfte fand zum Volkstrauertag in Göda bei Baut- zen mit ca. 100 Teilnehmern statt. Rechtextremis- ten instrumentalisieren diesen Tag im revisionis- tischen Sinne als „Heldengedenktag“. Wenngleich die Bedeutung des Themas für die rechtsextremis- tische Szene seit dem Wegfall der zentralen Veran- staltung in Halbe (Brandenburg) massiv abgenom- men hat, werden jedes Jahr weiterhin öffentliche Kundgebungen und Kranzniederlegungen zum „Heldengedenken“ durchgeführt.

Quelle: www.gedenkmarsch.de Die oben angeführten Veranstaltungen waren (Stand: 20. November 2014) die einzigen größeren Veranstaltungen der neo- nationalsozialistischen Szene im Freistaat Sach- Zu den sogenannten Trauermärschen der rechts- sen im Jahre 2015. Darüber hinaus beteiligten extremistischen Szene zählte ebenfalls ein „Fackel- sich Neonationalsozialisten an zahlreichen Anti- marsch“ in Niederkaina bei Bautzen. Die „Freien Asyl-Demonstrationen im Freistaat Sachsen.134

134 Siehe dazu Beiträge „Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen“ sowie „Im Fokus – Aktivitäten von

134 Siehe dazu Beiträge „Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen“ sowie „Im Fokus – Aktivitäten von Rechtsextremisten in der aktuellen Asyldebatte und ihre Folgen – Beobachtungen des Rechtsextremisten in der aktuellen Asyldebatte und ihre Folgen –Verfassungsschutzes Beobachtungen in Sachsen“ des Verfassungsschutzes in Sachsen“

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 83 Ideologie/Politische Zielsetzung der das Problem ‚Volkstod’ für sie gelöst, solange Neonationalsozialisten nur Zuwanderer kommen und die möglichst viele Kinder haben.“135 Neonationalsozialisten unterscheiden sich vom Potenzial der subkulturell geprägten Rechtsex- Die „Volkstod“-Kampagne malt das Schre- tremisten durch ihren Organisationsgrad, ihre ckensbild vom Aussterben des deutschen Vol- Organisationsfähigkeit sowie das Bestreben, kes. Neonationalsozialisten glauben an einen ihre Ideologie kontinuierlich zu verbreiten. Masterplan zur Ausrottung desselben. Sie Im Vordergrund stehen politische Aktivitäten definieren das deutsche Volk auf rassistischer sowie die Organisation von rechtsextremisti- Grundlage, nämlich als biologisch höherwertige schen Demonstrationen oder Propagandaakti- „Rassegemeinschaft“, die es mit allen Mitteln onen, aber auch die interne ideologische Schu- zu retten gelte. Dem deutschen Volk gehöre lung der eigenen Mitglieder. hiernach an, wer zur sogenannten „arischen Rasse“ zähle. Der Begriff „Volkstod“, wie auch Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf der oft verwendete Begriff der „Volksgemein- die Weltanschauung des „Dritten Reiches“ und schaft“, ist mit einem biologistischen Weltbild macht diese zur Grundlage seiner politischen verbunden, das fremde Kulturen und damit Zielvorstellungen. Deren Kern ist der Wunsch auch Menschen mit Migrationshintergrund als nach der Wiedererrichtung des „Dritten Rei- minderwertig darstellt und ausschließt.. ches“. Dabei beziehen sich Neonationalsozi- alisten in unterschiedlicher Ausprägung auf „Überfremdung“ und „Volkstod“ waren auch im ideologische Elemente des Nationalismus, Berichtsjahr die Themen der maßgeblich durch Antisemitismus, Antipluralismus, Sozialdarwi- Neonationalsozialisten organisierten Veran- nismus und Rassismus als Teil der vor allem von staltung „Tag der Deutschen Zukunft“ (TddZ).136 den Nationalsozialisten vertretenen völkischen In einem Mobilisierungsflyer hieß es dazu: Ideologie, die einen ethnisch homogenen Staat anstrebt und jeglichen Pluralismus als exis- „Jeder der sich für deutsche, für unsere Interessen tenzbedrohend verachtet. einsetzt, wird mit der Nazikeule versucht mundtot zu machen. Vor etwa einem Jahr demonstrierten Dementsprechend heißt es bei den Neonatio- wir noch durch ihre schöne Stadt, um auf die The- nalsozialisten: matik des Volkstodes aufmerksam zu machen & nun bewahrheitet sich, was wir vorausgesagt „Die Machthaber in der BRD versuchen den haben: An den Klingelschildern in Ihrem unmit- Begriff ‚Volk’ bewusst umzudeuten. Denn wenn telbaren Umfeld häufen sich die Namen, die sie man nämlich durch die Staatsangehörigkeit kaum aussprechen können. Unser Volk wird sys- auch automatisch Volksangehöriger wird, ist tematisch ausgetauscht …“137

135 „Die Demokraten und der ‚Volksbegriff’!“, www.pinselstriche.org (Stand: 19. September 2012) 136 Der TddZ zählt zu den letzten bereits seit Jahren regelmäßig stattfindenden Terminen im rechtsextremistischen Demons- trationskalender und zeichnet sich durch eine spektren- und organisationsübergreifende Mobilisierung aus. Bei der diesjährigen Veranstaltung am 6. Juni 2015 in Neuruppin (Brandenburg)135 führten Blockaden von Gegendemonstranten erstmals zu einem vorzeitigen Abbruch der TddZ-Abschlusskundgebung.136 137 www.facebook.com/TddZ-2015 (Stand: 25. März 2015), Schreibweise137 wie im Original. „Die Demokraten und der ‚Volksbegriff’!“, www.pinselstriche.org (Stand: 19. September 2012)

84 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Auch sächsische Neonationalsozialisten nutz- Bundesrepublik eine immer deutlicher hervor- ten das Thema „Volkstod“ für eigene Aktionen, tretende Ritualisierung. Ganz gleich ob zivile agitierten in den Sozialen Medien gegen Asyl- Opfer, Opfer von Vertreibungen oder ehemalige bewerber und riefen zum „Widerstand“ auf. Frontsoldaten. Nahezu undifferenziert deklas- siert man diese Menschen posthum zu Indivi- duen zweiter Klasse.“138

Gleichzeitig ehren Neonationalsozialisten Kriegs- verbrecher des „Dritten Reiches“ in Deutschland. Auch die Organisatoren eines alljährlich in Bad Nenndorf139 (Niedersachsen) stattfindenden Auf- zuges verbanden ihren „Trauermarsch“ mit der Ehrung des zwischenzeitlich verstorbenen SS- Quelle: www.facebook.com/FreieAktivistenDresden Führers Erich PRIEBKE, eines Verantwortlichen (Stand: 9. November 2015) für ein Kriegsverbrechen in Italien140 .

Neonationalsozialisten sind überdies häu- fig Revisionisten, die durch eine Umdeutung der Geschichtsschreibung die Verbrechen des NS-Regimes zu relativieren versuchen. So glorifizieren Rechtsextremisten mit dem alljährlichen „Heldengedenken“ verstorbene Nationalsozialisten. Im Krieg getötete deut- sche Soldaten werden für ideologische Phrasen instrumentalisiert, mit denen der Zweite Welt- krieg entsprechend umgedeutet wird. Neonati- onalsozialisten organisieren ferner sogenannte „Trauermärsche“, mit denen sie unter Ausblen- dung der Verantwortung Deutschlands für den Kriegsausbruch an die Zerstörung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg erinnern und in diesem Zusammenhang beklagen:

„Die Verhöhnung und Abwertung deutscher Aufschrift auf Transparent: „Die Totenehre ist des Kriegsopfer, insbesondere aus der Epoche des Volkes Ehre – Die deutsche Jugend“ Zweiten Weltkrieges, erfährt durch die sich Quelle: www.facebook.com/671033832932346/ politisch korrekt definierenden Kreise in der photos/pb. (Stand: 11. Oktober 2015)

138 logr.org/kryptonit (Stand: 14. März 2015), Schreibweise wie im Original 139 Organisiert werden die alljährlichen Aufzüge von dem neonationalsozialistischen „Gedenkbündnis Bad Nenndorf“. In Bad

138 Der TddZ zählt zu den letzten bereits seit Jahren regelmäßig stattfindenden Terminen im rechtsextremistischen Demonstrationskalender und zeichnet sich durch eine spektren- und organisationsübergreifende Nenndorf befand sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein InternierungslagerMobilisierung aus. Bei der diesjährigen Veranstaltung am 6. Junider 2015 in Neuruppin (Brandenburg)britischen führten Blockaden von Gegendemonstranten erstmals Armee. zu einem vorzeitigen Abbruch der TddZ-Abschlusskundgebung. 140 Erich Priebke war 1944 als SS-Offizier in Italien an der Erschießung139 von 335 Zivilisten beteiligt.www.facebook.com/TddZ-2015 (Stand: 25. März Er 2015), Schreibweise wurde wie im Original. dort 1998 wegen der Beteiligung an dem Massaker in den Ardeatinischen Höhlen140 bei Rom zu einer lebenslangenlogr.org/kryptonit (Stand: 14. März 2015), Schreibweise Haftstrafe wie im Original verurteilt.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 85 Militanz – Gewaltbereitschaft

Angehörige der neonationalsozialistischen Szene haben häufig eine starke Affinität zu Waffen und Sprengstoffen. Bei Hausdurch- suchungen, die die Polizei im Rahmen von Ermittlungsverfahren bei Neonationalsozialis- ten durchführte, wurden immer wieder Waffen gefunden. Durch die Anlehnung an die aggres- sive NS-Ideologie finden sich in ihrem Welt- bild Einstellungsmuster, die eine Neigung zur Quelle: www.facebook.com/Aktio/ns/block Muldental Gewaltanwendung und -befürwortung belegen. (Stand: 21. Juli 2015 und 28. Dezember 2015)

„Die Geburt, mit der das Leben beginnt, und Auch in zahlreichen Einträgen in den Sozia- der Tod, der es endet, sind Kampf, wie auch das len Medien wird der „Kampf“ als wesentlicher Leben, dass zwischen ihnen liegt, nur ein einziges Bestandteil des Wirkens der neonationalso- Ringen des Menschen mit sich und der Umwelt zialistischen Szene glorifiziert. Entsprechend ist. Diesen Kampf führt der Mensch nicht für sich populär ist Kampfsport in der neonational- alleine, sondern auch für seine Familie, seine sozialistischen Szene. Neonationalsozialisten Sippe und sein Volk, um diese zu schützen und trainieren diesen Sport und beteiligen sich an zu erhalten. Für den nordischen Mann wird der Kampfsportturnieren sowohl als Zuschauer Kampf so zur Pflicht und zur Ehre.“141 als auch als Sportler. In der Eröffnungsrede zu einem Kampfsportturnier im Jahr 2010 hieß es:

„Der Kampf, den wir führen, der uns prägt, der unser Leben schon seit Jahren bestimmt und bis ans Ende bestimmen wird, ist kein Kampf gegen einzelne Personen. Kein Kampf gegen einzelne Missstände, kein Kampf für Anpassungen oder Reformen. Es ist der Kampf um das Ganze, der Kampf gegen Willkür und gegen Unterdrückung. Der Kampf gegen Heuchelei, Materialismus und Dekadenz. Es ist der Kampf des Idealismus gegen den Materialismus. Der Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung, der Kampf um unsere Zukunft. Der Kampf um die Existenz eines Volkes. Was sich heute noch abstrakt anhören mag, wird in nicht allzu ferner Zukunft ein Gesicht bekommen.“142

141 „Leben heißt auch kämpfen!“, www.pinselstriche.org (Stand: 20. August 2012) 142 Ursprünglich veröffentlicht auf der Internetseite Spreelichter, Beitrag: „Leben heißt Kampf“ – „Audiomitschnitt der

141 Eröffnung Organisiert des werden die diesjährigen alljährlichen Aufzüge von dem neonationalsozialistischen „GedenkbündnisKampfsportturniers Bad Nenndorf“. In Bad Nenndorf befand sich nach dem Zweiten Weltkrieg des ein Internierungslager Widerstandes“ der britischen 142 am 27. November 2010Erich Priebke war 1944 alsim SS-Offizier in ItalienGroßraum an der Erschießung von 335 Zivilisten beteiligt. Er wurde dortDresden; 1998 wegen der Beteiligung an dem Massaker in den ArdeatinischenErneut Höhlen bei Rom zu einer Armee. lebenslangen Haftstrafe verurteilt. veröffentlicht auf www.pinselstriche.org als Einleitung zum Beitrag „Leben heißt auch kämpfen!“ (Stand: 20. August 2012)

86 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Dieses Zitat verdeutlicht, dass es den Neona- Hingabe und die Begeisterung für „ihren“ Sport tionalsozialisten um mehr geht, als nur um eint und welche sich nicht unter das Joch des Körperertüchtigung und gegenseitiges Kräfte- vorherrschenden Mainstreams stellen wollen. messen. Vielmehr soll Einigkeit im Kampf um eine neue Gesellschaftsordnung, die in der Während bei den meisten „Fight Nights“ im sogenannten „Volksgemeinschaft“ besteht, bundesweiten Raum die Teilnahme des jewei- demonstriert werden und zur Durchsetzung ligen Sportlers allzu oft mit dem abverlang- ideologischer Ziele auch persönlicher Einsatz ten Bekenntnis zur freien demokratischen erfolgen. In der Volksgemeinschaft haben Grundordnung steht oder fällt, will der Kampf Schwäche und Krankheit keinen Platz. Viel- der Nibelungen den Sport nicht als Teil eines mehr spielen die Förderung und Erhaltung faulenden politischen Systems verstehen, son- von Gesundheit und Leistungsfähigkeit eine dern diesen als fundamentales Element einer tragende Rolle für das Ideal des politisierten Alternative zu eben jenem etablieren und in die Soldaten nach dem Vorbild der Waffen-SS. Breite tragen. (…)

Wie sind der Überzeugung, dass unsere Lei- denschaft zum Sport fest zusammenstehende Gemeinschaften formt, welche in der Tiefe ihrer Bindung in der von Materialismus und gren- zenloser, individueller Selbstverwirklichung bestimmten demokratischen Gesellschaften selten zu finden sind.

Der Kampf der Nibelungen will daher allen Sportlern und Sport-Anhängern, die sich nach einer Alternative zum vorherrschenden ehr- und wertelosen Zeitgeist sehnen, eine Bühne bieten. Beteiligt euch, besucht unsere Veran- staltungen oder tretet selber aktiv an, kommt Quelle: www.facebook.com/StreamBZ-Fotografie mit anderen Sportlern in Kontakt und animiert (Stand: 1. Januar 2016) über euer Vorbild andere dazu, dem System der Versager, der Heuchler und der Schwächlinge Die Organisatoren eines am 17. Oktober 2015 in den Rücken zu kehren.“143 Nordrhein-Westfalen durchgeführten Kampf­ sportturniers „Ring der Nibelungen“ betonen Szeneinterne Betreuung von inhaftierten auf ihrer Internetseite: Rechtsextremisten

„Der Kampf der Nibelungen ist eine Kampfsport- Nach dem Verbot der „Hilfsorganisation für veranstaltung unter der Organisation und nationale und politische Gefangene und deren Beteiligung von jungen Deutschen, welche die Angehörige e. V.” (HNG) im Jahr 2011 trat ab

143 „Leben heißt auch kämpfen!“, www.pinselstriche.org (Stand: 20. August 2012) 143 www.kampf-der-nibelungen.com (Stand: 13. November 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 87 dem Jahr 2012 die „GefangenenHilfe“ (GH) als mit Informationsständen bei szeneinternen Organisation für die Betreuung inhaftierter (Groß-)Veranstaltungen präsent, um die Orga- Rechtsextremisten in Erscheinung. Die GH ist nisation und die verschiedenen Möglichkeiten ein in Schweden eingetragener Verein, dessen der Betreuung bzw. Unterstützung Inhaftierter Hauptanliegen unter dem Motto „Gemeinschaft vorzustellen und den Aufbau regionaler Struk- statt Isolation“ in der finanziellen Unterstüt- turen zu fördern. Darüber hinaus vermittelt die zung der Inhaftierten und ihrer Familien liegt. GH Rechtsanwälte und unterstützt die inhaf- Postfach und Bankverbindung der Organisa- tierten Straftäter durch Besuche und Briefkon- tion sind ebenfalls in Schweden angesiedelt, takte. Die GH nutzt – anders als vormals die um staatlichen Maßnahmen in Deutschland HNG – das Internet intensiv als Kommunika- zu entgehen. Initiator der GH war jedoch ein in tions- und Informationsplattform. Sachsen wohnhafter Rechtsextremist. Unterstützt wird die „GefangenenHilfe“ von rechtsextremistischen Liedermachern und Ver- trieben. So initiierten die rechtsextremistische Vertriebe OPOS RECORDS (Sachsen) und „OLD- SCHOOL RECORDS“ (Bayern) Ende 2014/Anfang 2015 eine Spendenaktion für die GH.

Ausblick

Das neonationalsozialistische Personenpoten- zial hat sich im Berichtsjahr mit erheblichen Verschiebungen weiter ausdifferenziert. Das wirkt sich auf den parteigebundenen Rechtsex- tremismus in Sachsen und auch auf die subkul- turell geprägte rechtsextremistische Szene aus. Beide Bereiche profitierten hinsichtlich ihrer Quelle: www.„GefangenenHilfe“.info (Stand: 16. Juli Personenpotenziale teilweise in erheblichem 2015) Maße. Insbesondere die Stärkung der subkul- turell geprägten rechtsextremistischen Szene Erklärtes Ziel des Vereins ist neben der finan- wird aller Voraussicht nach nicht von Dauer ziellen Unterstützung Inhaftierter und ihrer sein. Denn in dieser Szene finden vor dem Hin- Familien, die von der Organisation als „Opfer tergrund der Asyl-Thematik Politisierungs- und staatlicher Gewalt und Willkür“144 bezeichnet Vernetzungsprozesse statt. Diese befördern die werden, die „Wiedereingliederung der ehe- Herausbildung neuer neonationalsozialistischer maligen Häftlinge in unsere Gemeinschaft“145 . Strukturen. Sollten sich diese verfestigen, ist Die „GefangenenHilfe“ veranstaltet deutsch- erneut mit einem Anstieg des neonationalsozia- landweit Informationsveranstaltungen und ist listischen Personenpotenzials zu rechnen.

144 www.„GefangenenHilfe“.info/2012/12/267/ (Stand: 26. Dezember 2012) 144 Ursprünglich veröffentlicht auf der InternetseiteSpreelichter, Beitrag: „Leben heißt Kampf“ – „Audiomitschnitt der Eröffnung des diesjährigen Kampfsportturniers des Widerstandes“ am 27. November 2010 im Großraum Dresden; Erneut veröffentlicht auf www.pinselstriche.org als Einleitung zum Beitrag „Leben heißt auch kämpfen!“ (Stand: 20. August 2012) 145 145www.„GefangenenHilfe“.info/2012/04/02/wir-uber-uns/ www.kampf-der-nibelungen.com (Stand: 13. November 2015) (Stand: 2. April 2012)

88 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Mit der Verschiebung innerhalb der rechtsextre- mit größerem Aktionismus und einem stärker mistischen Spektren fließt neonationalsozialis- geplanten Vorgehen zu rechnen sein. In der sub- tische Ideologie noch stärker in die rechtsextre- kulturell geprägten rechtsextremistischen Szene mistischen Parteien und auch in die subkulturell vereint sich dies mit der sehr hohen Gewaltbe- geprägte Szene ein. Damit dürften gerade vor reitschaft, was zu einem Anstieg der entspre- dem Hintergrund der andauernden Asylthematik chenden Straf- und Gewalttaten führen könnte.

1.8 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten

Subkulturell geprägte Rechtsextremisten zählen Personenpotenzial der subkulturell gepräg- zur parteiungebundenen rechtsextremistischen ten rechtsextremistischen Szene im Frei- Szene. Überwiegend agieren sie nicht in festen staat Sachsen dauerhaften Strukturen. Ihr Weltbild ist von 2.000 Fremdenhass und Rassismus geprägt, ohne dass ihre Aktivitäten von gezielter politischer Arbeit 1.600 bestimmt sind. Subkulturell geprägte Rechtsex- 1.500 tremisten sind seit jeher gekennzeichnet durch einen geringeren Organisationsgrad. Sie orga- 1.000 890 850 850 880 800 nisieren sich mittels persönlicher Beziehungen sowie gemeinsamen Erlebens. Sie sind in hohem 500 Maße gewaltbereit und für einen erheblichen Teil der rechtsextremistischen Straf- und Gewalt- 0 taten verantwortlich. Die Gewalttaten werden 2010 2011 2012 2013 2014 2015 in der Regel i„MPU“lsiv und bei sich bietenden Gelegenheiten begangen. Beispiele dafür sind Hinter dieser Entwicklung steht auf der einen das Aufeinandertreffen mit (vermeintlichen) Seite die seit einigen Jahren anhaltende Abwan- politischen Gegnern oder Personen, die den derung von führenden Neonationalsozialisten verschiedenen Feindbildern der rechtsextremis- in den parteigebundenen Rechtsextremismus. tischen Szene wie Asylbewerbern, Menschen In Sachsen profitierten von dieser Bewegung mit Migrationshintergrund oder Obdachlosen neben den Parteien „Der Dritte Weg“ und „DIE zugeordnet werden können. RECHTE“ insbesondere die NPD-Jugendorga- nisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN). Die Das Personenpotenzial der subkulturell somit verursachte Auflösung oder zunehmende geprägten rechtsextremistischen Szene stieg Inaktivität neonationalsozialistischer Strukturen im Jahr 2015 auf ca. 1.600 (2014: ca. 880) Per- hat dazu geführt, dass ein Großteil des ehemals sonen an. Die starke Zunahme ist eine Folge neonationalsozialistischen Personenpotenzials von Strukturauflösungen im neonationalso- von der subkulturell geprägten rechtsextremis- zialistischen Spektrum und des Anstiegs der tischen Szene aufgesogen wurde. Straf- und Gewalttaten im Jahr 2015.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 89 Auf der anderen Seite hat die anhaltende auf der Straße aus. Ebenso waren die Unter- Zuwanderung von Asylbewerbern der subkul- künfte von Asylbewerbern oder Menschen, die turell geprägten rechtsextremistischen Szene sich für sie einsetzen, Ziele von Angriffen. Durch Zulauf verschafft, denn sie bedient die Feind- den Anstieg solcher Konfrontationsgelegenhei- bilder der Szene. ten stiegen die in diesem Zusammenhang ste- So wird der im eigenen Wohnort sichtbare henden Gewalttaten erheblich an. Zuzug von Asylbewerbern von Szeneangehö- rigen bereits an sich als existenzielles Problem Gleichzeitig ließen sich im Jahr 2015 Angehö- empfunden. „Massen“ von vorgeblich „rassisch rige der subkulturell geprägten rechtsextremis- minderwertigen“ Flüchtlingen würden demnach tischen Szene auch häufiger als Teilnehmer von Deutschland „überrennen“ und wären Ausdruck asylkritischen oder -feindlichen Demonstratio- einer bevorstehenden „Umvolkung“ zur Ver- nen im gesamten Freistaat Sachsen beobachten. drängung der hier lebenden Menschen. Wenn es im Anschluss solcher Demonstrationen zu Ausschreitungen kam, waren auch immer wieder Angehörige dieser Szene beteiligt. Hier bestehen auch fließende Übergänge zur Hooli- ganszene, die nur zum Teil rechtsextremistisch ausgerichtet ist. Gleichwohl ist festzuhalten, dass diverse subkulturell geprägte Rechtsextre- misten in der Hooliganszene – insbesondere in Chemnitz, Dresden und Leipzig – aktiv sind und diese Kontakte auch zur Mobilisierung nutzen. Quelle: picture alliance/U. Baumgarten Subkulturell geprägte rechtsextremistische Seitdem sieht sich die gesamte rechtsextremis- Szenen existieren gleichmäßig auf den Frei- tische Szene einem Handlungsdruck ausgesetzt. staat Sachsen verteilt. Die wenigen festen Dieser hat auch die sonst eher in ihren eige- Strukturen sind dagegen nur in Ostsachsen nen Kreisen verharrende subkulturell geprägte und Leipzig feststellbar. Dazu zählen der rechtsextremistische Szene politisiert und zu „Nationale Jugendblock e. V.” (NJB) in Zittau verstärkten Aktivitäten im öffentlichen Raum und die „Brigade 8“, die mittlerweile in Leip- veranlasst. zig und Weißwasser (Landkreis Görlitz) und Während dieser Handlungsdruck im parteige- darüber hinaus auch in mehreren Bundeslän- bundenen Rechtsextremismus, wie auch in der dern vertreten ist. Mit der „Oldschool Society“ verbliebenen neonationalsozialistischen Szene, (OSS) existierte mit Schwerpunkt im Landkreis vor allem zu öffentlichen politischen Aktionen Leipzig eine bundesweite subkulturell geprägte wie Demonstrationen und anderen propagan- rechtsextremistische Gruppierung, bei der distisch ausgerichteten Agitationen geführt Anhaltspunkte für den Verdacht der Bildung hat, reagierte die subkulturell geprägte Szene einer terroristischen Vereinigung bestehen. mit erhöhter situativ bestimmter Gewalt. Diese Das Verfahren gegen die Mitglieder ist seit Mai brach z. B. bei der Begegnung mit Asylbewerbern 2015 beim Generalbundesanwalt anhängig.146

146 Siehe auch im Kapitel „Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer146 Bestrebungen“, www.„GefangenenHilfe“.info/2012/12/267/ „Landkreis (Stand: 26. Dezember 2012) Leipzig“

90 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Ein weiterer wichtiger Teil der Aktivitäten der Jahr 2015 ein Bedürfnis nach festeren Struk- subkulturell geprägten rechtsextremistischen turen und zielgerichteter politischer Arbeit Szene zeigt sich im Besuch von rechtsextremis- jenseits des parteigebundenen Rechtsextre- tischen Konzerten und dem Konsum rechtsext- mismus. Insbesondere die sich verfestigenden remistischer Musik. Im Freistaat Sachsen gibt es Gruppierungen wiesen schon im Jahr 2015 mit „Front Records“, „PC-Records“ und „OPOS- zunehmend Merkmale neonationalsozialis- Records“ drei der bundesweit bedeutendsten tischer Vereinigungen auf, ohne dass diese rechtsextremistischen Vertriebe. Zudem ist hier bereits so stark ausgeprägt gewesen wären, eine Vielzahl rechtsextremistischer Bands ansäs- dass aufgrund dessen eine Zuordnung zur sig. Die Anzahl der rechtsextremistischen Kon- neonationalsozialistischen Szene möglich war. zerte ist 2015 in Sachsen zwar leicht von 14 auf Da die diese Situation befördernde Asyldiskus- 17 angestiegen, sie liegt aber weiterhin deutlich sion im Jahr 2016 vermutlich andauern wird, unter dem langjährigen Durchschnitt. dürften auch die Gelegenheiten zur weiteren Politisierung und Strukturverfestigung weiter- Ob auch in Zukunft über die Hälfte der säch- hin gegeben sein. sischen Rechtsextremisten dem subkulturellen Davon unabhängig bleibt die extrem hohe Spektrum angehören wird, ist eher unwahr- Gewaltbereitschaft das prägendste Merkmal scheinlich. Vielmehr zeigte sich bereits im dieser Szene.

1.9 Rechtsextremistische Musikszene und Konzerte

Im Gegensatz zu den Vorjahren hat die rechtsex- Zudem veröffentlichten die Bands mehr Tonträ- tremistische Musikszene im Jahr 2015 ihre Akti- ger und beteiligten sich stärker an Samplern als vitäten in Sachsen gesteigert. So stieg nicht nur im Jahr zuvor. Die Entwicklung im Berichtsjahr die Anzahl der durchgeführten rechtsextremis- lässt darauf schließen, dass die rechtsextremis- tischen Konzerte leicht an. Deutlich erhöht hat tische Musikszene wieder an Zulauf und Bedeu- sich auch die durchschnittliche Teilnehmerzahl, tung gewinnt und es ihr so gelingt, ihre rechts- die einen langjährigen Höchststand erreichte. extremistische Ideologie verstärkt zu verbreiten.

1.9.1. Rechtsextremistische Musikgruppen bzw. Bandprojekte und Liedermacher

Im Jahr 2015 waren 22147 sächsische rechtsextre- Diese traten bei rechtsextremistischen Musikver- mistische Musikgruppen und Bandprojekte sowie anstaltungen auf und/oder publizierten auf eige- vier rechtsextremistische Liedermacher aktiv. nen Tonträgern oder beteiligten sich an Samplern.

147 www.„GefangenenHilfe“.info/2012/04/02/wir-uber-uns/ (Stand: 2. April 2012) 147 einschließlich länderübergreifender Mischbands

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 91 Die Anzahl der aktiven rechtsextremistischen für jugendgefährdende Medien (BpjM) im Bands/Bandprojekte lag bei langfristiger Jahr 2014 als jugendgefährdend eingestuft Betrachtung geringfügig unter dem Durch- und deshalb indiziert wurden. Betroffen davon schnitt von knapp 24 Bands und blieb gegen- war der Sampler „Tag der deutschen Zukunft“ über 2014 stabil. Allerdings war diese Szene mit den Titeln „Bürgerkrieg“ und „Rettet die im Berichtsjahr aktiver als im Vorjahr. Sie gab Wale“. So heißt es z. B.: „Fremde Sprachen hal- zwölf Tonträger heraus (2014: fünf) und betei- len durch unsere Städte, jeden Tag kannst du sie ligte sich an fünf Samplern (2014: einer). Zu den deutlich hören. Finanziert ruhig weiter den Bau im Berichtsjahr aktiven rechtsextremistischen der Minarette, den dummen Michel, soll’s nicht Musikgruppen zählten auch die Bands „Heiliges stören (…) Bürgerkrieg, Bürgerkrieg, es herrscht Reich“ (Raum Chemnitz/Flöha) und „Verboten“ Bürgerkrieg“148 oder „Rettet unser Volk, rettet (Erzgebirgskreis). Diese haben u. a. Liedtexte unser Volk (…) verjagt die Besatzer, zerstört ihr in typisch rechtsextremistischer Diktion ver- Gold, (…) rettet das deutsche Volk“.149 öffentlicht, die von der Bundesprüfstelle 148 Siehe auch im Kapitel „Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen“, „Landkreis Leipzig“ 149 einschließlich länderübergreifender Mischbands

Rechtsextremistische Musikgruppen bzw. Bandprojekte und Liedermacher im Freistaat Sachsen

Bei den Bands „Killuminati“, „Stahlfront“ und Bei den Bands „Heiliger Krieg“ und „Manson“ „Trendkiller“ handelt es sich um Bands, denen war eine konkrete regionale Zuordnung nicht Mitglieder aus mehreren Bundesländern, dabei möglich. auch aus Sachsen, angehören.

148 Auszug aus dem Titel „Bürgerkrieg“ von der Band „Heiliges Reich“ 149 Auszug aus dem Titel „Rettet die Wale“ von der Band „Verboten“

92 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Anzahl der rechtsextremistischen Bands bzw. Bandprojekte im Freistaat Sachsen

40

30 30 29 29 30

22 22 20 19 19 20 16

10

0 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Bands bzw. Bandprojekte in der „Blutzeugen“ Einzelübersicht150 Typ: Band

„Blitzkrieg“ Extremismusbereich: Rechtsextremismus

Typ: Band Sitz bzw. Herkunft: Dresden

Extremismusbereich: Rechtsextremismus aktiv seit: 2011

Sitz bzw. Herkunft: Chemnitz Veröffentlichungen keine in 2015: aktiv seit: 2000 Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, Veröffentlichungen keine etwa am 3. Oktober in 2015 2015 in Torgau OT Staupitz Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, etwa am 2. Mai 2015 in Torgau OT Staupitz

150 Musikgruppen mit offenAuszug aus demverwertbaren Titel „Bürgerkrieg“ von der Band „Heiliges Reich“ Erkenntnissen zu Aktivitäten im Jahr 2015

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 93 „Brainwash“ „Heiliger Krieg“

Typ: Band Typ: Band

Extremismusbereich: Rechtsextremismus Extremismusbereich: Rechtsextremismus

Sitz bzw. Herkunft: Dresden Sitz bzw. Herkunft: Sachsen, ursprüng- lich Baden-Würt- aktiv seit: 2001 temberg

Veröffentlichungen zwei Tonträger bei aktiv seit: 2000, seit 2014 in in 2015: „OPOS-Records“: Sachsen EP „Save our kind defend Europe” Veröffentlichungen Mitwirkung am CD “Hate is our in 2015: Sampler „One Family Justice 2” Part III”, erschienen bei „OPOS-Records“ Bemerkungen: Live-Auftritte 2015 im europäischen Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, Ausland etwa am 17. Januar 2015 in Kirchheim (Thüringen) „Endless Struggle“ „Heiliges Reich“ Typ: Band Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Dresden Sitz bzw. Herkunft: Raum aktiv seit: 2001 Chemnitz/Flöha Veröffentlichungen CD „Where Life aktiv seit: 2013 in 2015: Ends”, erschienen bei „OPOS-Records“ Veröffentlichungen CD „Honor Imperii“, in 2015: erschienen bei Bemerkungen: keine „OPOS-Records“

Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, etwa am 10. Oktober 2015 in Riesa

94 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen „Hope for the Weak“ „Manson“

Typ: Band Typ: Band

Extremismusbereich: Rechtsextremismus Extremismusbereich: Rechtsextremismus

Sitz bzw. Herkunft: Dresden Sitz bzw. Herkunft: Sachsen

aktiv seit: 2005 aktiv seit: mindestens seit 2012

Veröffentlichungen Split-CD „Vereint” Veröffentlichungen CD „Tod der verfaul- in 2015: mit der Band in 2015: ten Welt”, erschienen „Selbststeller“, bei „OPOS-Records“ erschienen bei „OPOS-Records“ Bemerkungen: keine

Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, „paranoid“ etwa am 7. Februar 2015 im Großraum Dresden Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus

„Killuminati“ Sitz bzw. Herkunft: Erzgebirge (Schnee- berg)

Typ: Band aktiv seit: 2009

Extremismusbereich: Rechtsextremismus Veröffentlichungen CD „Gender mich in 2015: nicht voll“, erschie- Sitz bzw. Herkunft: Sachsen/Thüringen/ nen bei „OPOS- Baden-Württemberg Records“ aktiv seit: 2014 Ferner beteiligte sich die Band an einem Veröffentlichungen keine im Internet verbrei- in 2015: teten Medley.

Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, Bemerkungen: keine etwa am 23. Mai 2015 in Hildburg- hausen (Thüringen)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 95 „Pionier“ 151 „Sachsenblut“

Typ: Bandprojekt Typ: Band

Extremismusbereich: Rechtsextremismus Extremismusbereich: Rechtsextremismus

Sitz bzw. Herkunft: Chemnitz Sitz bzw. Herkunft: Freiberg

aktiv seit: ca. 2009 aktiv seit: 2010

Veröffentlichungen CD „Rattenfänger“, Veröffentlichungen keine in 2015: erschienen bei „PC- in 2015: Records“ Das Bandprojekt Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, beteiligte sich auch etwa im Frühjahr 2015 am sogenannten in Thüringen „TddZ151-Sampler“ sowie am Sampler „Sachsonia“ „Glühweindespera- dos“, die von „PC- Records“ produziert Typ: Band wurden. Extremismusbereich: Rechtsextremismus

Bemerkungen: keine Sitz bzw. Herkunft: Dresden

aktiv seit: 1999

„Rac‘n‘Roll“-Teufel 152 Veröffentlichungen keine in 2015: Typ: Bandprojekt Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, Extremismusbereich: Rechtsextremismus etwa am 5. Sep- Sitz bzw. Herkunft: Landkreis Zwickau tember 2015 in Neuensalz OT Zobes aktiv seit: ca. 2009

Veröffentlichungen Das Bandprojekt in 2015: beteiligte sich am sogenannten „TddZ152-Sampler“ sowie am Sampler „Glühweindespera- dos“. Beide Tonträger erschienen bei „PC-Records“.

Bemerkungen: keine

151 151 Tag der deutschen Zukunft 152 Tag der deutschen Zukunft

96 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen „Selbststeller“ „Stahlfront“

Typ: Band Typ: Band

Extremismusbereich: Rechtsextremismus Extremismusbereich: Rechtsextremismus

Sitz bzw. Herkunft: Riesa Sitz bzw. Herkunft: Sachsen/Thüringen

aktiv seit: 2000 aktiv seit: 2013

Veröffentlichungen CD „Die rote Pille“, Veröffentlichungen CD „I.Z.D.R.“, in 2015: erschienen bei in 2015: erschienen bei Ham- „PC-Records“ sowie merbund (NSBM- Split-CD „Vereint” Vertrieb) mit „Hope for the Weak“, erschienen Bemerkungen: keine bei „OPOS-Records“

Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, „Thematik 25“ etwa am 29. August 2015 in Torgau OT Typ: Band Staupitz Extremismusbereich: Rechtsextremismus

„Sista Bataljen“ Sitz bzw. Herkunft: Leipzig aktiv seit: 2008 Typ: Band Veröffentlichungen Mitwirkung am Extremismusbereich: Rechtsextremismus in 2015: Sampler „One Family Part III”, erschienen Sitz bzw. Herkunft: Erzgebirge bei „OPOS-Records“ aktiv seit: mindestens 2014 Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, Veröffentlichungen keine etwa am 7. Februar in 2015: 2015 in Torgau OT Staupitz Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, etwa am 14. Novem- ber 2015 in Torgau OT Staupitz

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 97 „Trendkiller“ „Verboten“

Typ: Bandprojekt Typ: Band

Extremismusbereich: Rechtsextremismus Extremismusbereich: Rechtsextremismus

Sitz bzw. Herkunft: Sachsen/Thüringen/ Sitz bzw. Herkunft: Erzgebirgskreis USA aktiv seit: 2011 aktiv seit: 2015 Veröffentlichungen CD „Deutsches Veröffentlichungen Mitwirkung am in 2015: Herz“, erschienen bei in 2015: Sampler „One Family „OPOS-Records“ Part III”, erschienen bei „OPOS-Records“ Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, etwa am 2. Mai Bemerkungen: keine 2015 in Torgau OT Staupitz

„Überzeugungstäter Vogtland“ „Volksnah“ Typ: Band Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Vogtland Sitz bzw. Herkunft: Leipzig aktiv seit: 2010 aktiv seit: 2012 Veröffentlichungen CD „Epoche der in 2015: Angst“, erschienen Veröffentlichungen Demo-CD „Wir bei „PC-Records“ in 2015: steh‘n bereit“

Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, Bemerkungen: Postings im Internet etwa am 5. Sep- lassen den Schluss tember 2015 in zu, dass die Band Neuensalz OT Zobes am 11. Juli 2015 gemeinsam mit der Band „Thematik 25“ bei einem Konzert aufgetreten ist.

98 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Liedermacher in der Einzelübersicht FreilichFrei 153

Barny Typ: Liedermacher Extremismusbereich: Rechtsextremismus Typ: Liedermacher Sitz bzw. Herkunft: Zwickau Extremismusbereich: Rechtsextremismus aktiv seit: 2014 Sitz bzw. Herkunft: Chemnitz Veröffentlichungen keine aktiv seit: 2005 in 2015:

Veröffentlichungen keine Bemerkungen: Live-Auftritte 2015. in 2015: Am 16. April 2015 Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, vollstreckte die Polizei der Liedermacher im Rahmen eines wirkt überdies bei Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft verschiedenen Band- 153 projekten mit. So Zwickau insgesamt trat er beispielsweise 25 Durchsuchungsbe- mit „Sista Bataljen“ schlüsse des Amtsge- beim rechtsextremis- richts Zwickau. tischen Konzert am In einem Lied auf der 2. Mai 2015 in Torgau im Vorjahr erschiene- OT Staupitz auf. nen Debüt-CD „Ehrba- rer Kämpfe – mein Volk hasst unsere Freiheit“ von FreilichFrei wurde die Zwickauer Oberbürgermeisterin verunglimpft und die mutmaßlichen Mitglie- der der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) glo- rifiziert. Im Zuge der Maßnahmen wurden über 400 Exemplare der CDs beschlag- nahmt. Gegen den Liederma- cher wurde wegen Belohnung und Billi- gung von Straftaten gemäß § 140 StGB ein Straf- befehl beantragt.

153 Az. 120 Js 4820/15 153

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 99 Handschu154 Piattmar

Typ: Liedermacher Typ: Liedermacher

Extremismusbereich: Rechtsextremismus Extremismusbereich: Rechtsextremismus

Sitz bzw. Herkunft: Weißwasser (ehem. Sitz bzw. Herkunft: Döbeln Cottbus) aktiv seit: 2013 aktiv seit: ca. 2013 Veröffentlichungen keine Veröffentlichungen Mitwirkung auf der in 2015: in 2015: Split-CD „Rebellen- lieder“ Bemerkungen: Live-Auftritte 2015, etwa am 10. Oktober Bemerkungen: Live-Auftritte, 2015 in Riesa etwa am 5. Sep- tember 2015 in Weißwasser

154 Schreibweise wie im Original

1.9.2 Rechtsextremistische Konzerte

Leichter Anstieg der rechtsextremistischen die Anzahl der Konzertveranstaltungen in den Konzerte in Sachsen Jahren 2012 und 2013 im jeweiligen Vorjahres- vergleich stark zurückgegangen war, bewegte Die Anzahl der rechtsextremistischen Konzerte sie sich seitdem in einem mittleren Bereich im Freistaat Sachsen ist im Jahr 2015 leicht zwischen vierzehn und zwanzig Konzerten angestiegen (2015: 17; 2014: 14). Nachdem jährlich.

154 Schreibweise wie im Original

100 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Durchgeführte rechtsextremistische Konzerte in Sachsen

50 43 45 42 42 40 41 40 36 35

30 26 25

20 17 15 14 15

10

5

0 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Auffällig ist der deutliche Anstieg der Besu- Anstieg ist auch auf eine Großveranstaltung cherzahlen im Berichtszeitraum. So nahmen am 5. September 2015 im Neuensalzer Ortsteil an den Konzerten durchschnittlich rund 265 Zobes (Vogtlandkreis) mit rund 650 Teilneh- Personen teil. Angesichts von durchschnittlich mern zurückzuführen. Aber auch ohne dieses etwa 210 Teilnehmern im Jahr 2014 stellt dies Konzert betrüge die durchschnittliche Teilneh- eine erhebliche Steigerung und zugleich den merzahl rund 235 Personen und läge damit Höchststand im Zehnjahresvergleich dar. Der über dem langjährigen Durchschnitt.

Durchschnittliche Teilnehmerzahl je Konzert 300 265

250 220 210 200 185 190 160 140 150 150 150 130

100

50

0 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Für die Durchführung rechtsextremisti- Veranstaltungsgeschehen auch 2015 auf das scher Konzerte spielt der Zugang zu siche- seit 2008 einschlägig genutzte Lokal in Tor- ren Objekten eine entscheidende Rolle. Wie gau, Ortsteil Staupitz (Landkreis Nordsachsen). bereits in den Vorjahren konzentrierte sich das

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 101 Allein zehn der 17 durchgeführten Konzerte fanden in diesem Szene-Objekt statt. Dort sind aufgrund behördlicher Beschrän- kungen maximal zehn Veranstaltungen pro Jahr zulässig, die die Szene seit Jahren stets ausnutzt. Bei den hier agierenden Konzert- veranstaltern handelt es sich in der Regel um langjährige Szene-Protagonisten, meist mit Bezügen in die rechtsextremistische Ver- triebsszene. Die auftretenden Bands sind vor- wiegend überregional bekannt. Die bewährte Objekt in Torgau OT Staupitz (Quelle: LfV Sachsen) Organisation und der fortbestehende Bedarf an Konzertveranstaltungen spiegelten sich in Die größte rechtsextremistische Musikveran- den Teilnehmerzahlen wider: Die zehn Konzerte staltung im Berichtszeitraum in Sachsen fand in Torgau, Ortsteil Staupitz, wurden durch- am 5. September abermals in Neuensalz, Orts- schnittlich von rund 234 Personen besucht. teil Zobes (Vogtlandkreis), statt. Bereits seit Auch hier ist im Vergleich zu den Vorjahren 2013 werden dort die jährlich jeweils größten eine Steigerung feststellbar, was für eine Konzerte in Sachsen durchgeführt. In den Jah- wachsende Akzeptanz dieser Veranstaltungen ren 2014/2015 wurden diese von nordrhein- spricht. Die Konzerte in Staupitz bilden somit westfälischen Protagonisten der rechtsextre- den „Grundstock“ der rechtsextremistischen mistischen Partei „DIE RECHTE“ angemeldet. Musikveranstaltungen in Sachsen. Im Berichtsjahr nahmen rund 700 Personen an Der Vorverkauf von Eintrittskarten zeigt gleich- dem Konzert teil. zeitig die zunehmende Professionalisierung bei der Organisation. Für die Veranstalter werden Am 10. Oktober 2015 fand im Objekt der dadurch die Teilnehmerzahlen planbarer und Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft in Riesa wirtschaftliche Risiken minimiert. (Landkreis Meißen) eine weitere Musikveran- staltung statt. Diese wurde offen im Internet beworben, sie war Teil der vom JN-Bundesvor- stand organisierten „Konferenz der europäi- schen Jugend“.

Die übrigen vier Konzerte wurden konspirativ organisiert und durchgeführt, darunter zwei Veranstaltungen im Großraum Dresden sowie jeweils eine weitere in Ost- und Westsachsen. Solche Konzerte weisen im Regelfall eine nied- rigere Beteiligung auf, da zeitlich und regional nur begrenzt dafür geworben wird.

102 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Regionale Verteilung rechtsextremistischer Konzerte in Sachsen

Konzert- aufgetretene oder geplante Nr. Datum Ort Besucher (ca.) Musikgruppen

1 07.02.2015 Großraum Dresden 100 „Selbststeller“ (SN) „Hope for the Weak“ (SN)

2 07.02.2015 Torgau OT Staupitz 250 „Thematik 25“ (SN), Gasthof Staupitz „KDF” (BB), Lkr. Nordsachsen „Skalinger“ (MV), „Frontalkraft“ (MV)

3 14.03.2015 Torgau OT Staupitz 230 „Exzess“ (BB), Gasthof Staupitz „Carpe Diem“ (BW), Lkr. Nordsachsen „Prora“ (ST), „Bronson“ (IT)

4 21.03.2015 Raum Leipzig n. b. „Abtrimo“ (HH) „Kraft durch Froide“ (BR)

5 05.04.2015 Torgau OT Staupitz 220 „Hate machine“ (USA) Gasthof Staupitz „Hausmannskost“ (BB) Lkr. Nordsachsen „Thrima“ (MV) „Deutsch Stolz Treu“ (BR)

6 02.05.2015 Torgau OT Staupitz 275 „Blitzkrieg“ (SN) Gasthof Staupitz „Path of Resistance“ (MV) Lkr. Nordsachsen „Verboten“ (SN) „Sista Bataljen“ (SN)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 103 Konzert- aufgetretene oder geplante Nr. Datum Ort Besucher (ca.) Musikgruppen

7 08.08.2015 Torgau OT Staupitz 230 „Frontalkraft“ (MV) Gasthof Staupitz „Confident of Victory“ (BB) Lkr. Nordsachsen „Kommando Skin“ (BW)

8 29.08.2015 Torgau OT Staupitz 230 „Mistreat“ (FIN) Gasthof Staupitz „Abtrimo“ (HH) Lkr. Nordsachsen „Selbststeller“ (SN) „Verboten“ (SN)

9 Ende August Großraum Dresden 200 „Selbststeller“ (SN) 2015

10 05.09.2015 Neuensalz OT Zobes 700 „Sachsonia“ (SN) Vogtlandkreis „Tätervolk“ (MV) „Uwocaust” (BB) „Die Lunikoff Verschwörung” (BR) „Überzeugungstäter Vogtland“ (SN)

11 Herbst 2015 Westsachsen

12 03.10.2015 Torgau OT Staupitz 230 „Blutzeugen“ (SN) Gasthof Staupitz „Deutsch Stolz Treu“ (BR) Lkr. Nordsachsen „Legion of Thor“ (BR) „Fight Tonight“ (ST) „2nd Class Citizen“ (BR)

13 10.10.2015 Riesa, 200 „Heiliges Reich“ (SN) Objekt des DS-Verla- „Kraftschlag“ (SH) ges, „Haus Wieland“ „Krátky Proces“ (Kurzer Prozess – Lkr. Meißen SK)

14 30.10.2015 Torgau OT Staupitz „Bound for Glory“ (USA) Gasthof Staupitz „Radikahl“ (TH) Lkr. Nordsachsen „Sista Bataljen“ (SN)

15 14.11.2015 Torgau OT Staupitz 240 „Sleipnir“ (NRW) Gasthof Staupitz „MPU“ (BY) Lkr. Nordsachsen “Wåfflor Waffen” (S) „Sista Bataljen“ (SN)

16 05.12.2015 Torgau OT Staupitz 200 „Frontalkraft“ (BB) Gasthof Staupitz „Division Germania“ (NRW) Lkr. Nordsachsen „Deutsch Stolz Treu“ (BR) „Deathfeud“ (BB) „Verszerzödes” (HU)

17 Winter 2015 Ostsachsen

104 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Bei derartigen Veranstaltungen treten typi- scherweise einzelne Liedermacher zumeist mit Gitarre auf. Bei den vorgetragenen Liedern handelt es sich überwiegend um Balladen mit rechtsextremistischen Botschaften, wobei Wert auf verständliche Texte gelegt wird. Zu den Zuhörern zählen vorwiegend Mitglieder rechtsextremistischer Parteien und Anhänger der neonationalsozialistischen Szene. Die Lie- derabende finden im Vergleich mit Konzerten zumeist vor kleinerem Publikum statt.

Drei der sechs Liederabende hat der bekannte Berliner Rechtsextremist Michael REGENER, der unter dem Pseudonym Lunikoff auftritt, bestritten. REGENER ist eine der bekann- testen Personen der rechtsextremistischen Mobilisierungsflyer Musikszene in Deutschland. Er war führendes Quelle: www.facebook.com/pages/PC- Mitglied der 2001 vom Bundesgerichtshof als Records/1417419778480559?fref=ts kriminelle Vereinigung verurteilten Szene-Band (Stand: 6. August 2015) „Landser“. Inzwischen tritt er mit der Band „Die Lunikoff-Verschwörung“ bei rechtsextremis- Im Jahr 2015 wurde die Durchführung von tischen Konzerten sowie als Solist bei Lieder- sechs rechtsextremistischen Liederabenden abenden auf. öffentlich bekannt.

Konzert-Besu- Musikgruppen (mit Auftritt oder Nr. Datum Ort cher (ca.) geplantem Auftritt) 1 03.02.2015 Borna OT Neuwitznitz 150 Lunikoff (BR) Lkr. Leipzig 06.02.2015 Pirna, „Haus Montag“ 70 Piattmar (Lkr. Sächsische Jugendgedanken (NI) Schweiz/Osterzgebirge) 28.02.2015 Werdau 15 „Diggi und Klampfe“ (TH) „Freidenker“ (ST) „Brenner“ (nicht bekannt) 2 09.03.2015 Chemnitz, Markers- 50 Lunikoff (BR) dorfer Straße 40 3 04.07.2015 Pirna, „Haus Montag“ 45 FreilichFrei (Lkr. Sächsische Schweiz- Osterzgebirge) 4 22.12.2015 Oberlungwitz 120 Lunikoff (BR) (Landkreis Zwickau)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 105 1.10 Rechtsextremistische Vertriebsszene

Im Jahr 2015 ist die Anzahl der rechtsextremisti- schen Vertriebsunternehmen im Freistaat Sach- sen zurückgegangen. Während im Vorjahr noch 14 derartige Unternehmen aktiv waren, existier- ten 2015 nur noch zwölf. Damit setzte sich der schon länger anhaltende Abwärtstrend fort. Der Rückgang gegenüber 2014 ist auf die Beendi- gung der Tätigkeit von zwei und die Übernahme eines Unternehmens zurückzuführen. Es war aber auch eine Neugründung zu verzeichnen.

Von dieser Entwicklung profitierten die zwei führenden rechtsextremistischen Vertriebs- unternehmen in Sachsen. Mit „PC-Records“ (Chemnitz) und „OPOS-Records“ (Dresden) befinden sich hier weiterhin die bedeutendsten rechtsextremistischen Vertriebsunternehmen der Bundesrepublik Deutschland. Diese Unter- nehmen verfügen über ein hohes Ansehen in der rechtsextremistischen Szene im In- und Ausland. Ihr Umsatz wird auf mehrere hunderttausend Euro jährlich geschätzt. Die Gewinne ermögli- chen den Geschäftsinhabern das Bestreiten des Lebensunterhaltes wie auch die Finanzierung und Förderung von Szeneaktivitäten.

Das Sortiment der Vertriebsunternehmen war im Berichtsjahr hauptsächlich auf die subkul- turell geprägte rechtsextremistische Szene ausgerichtet. So wurden Textilien mit szenety- pischen Aufdrucken, Tonträger rechtsextremis- tischer Bands oder Liedermacher sowie andere szenerelevante Utensilien, wie z. B. Anstecker, Fahnen, Aufkleber und Plakate angeboten.

106 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen155 im Freistaat Sachsen156

155 Der Oberbegriff „Vertriebsstrukturen“ umfasst Online-Versände, Läden und Label. Solche Strukturen können einzeln oder

in unterschiedlicher Kombination bestehen.

156 Stand: 31. Dezember 2015 Gesamtsituation und Aktivitäten Nordsachsen-Versand (Eilenburg, Landkreis Nordsachsen) wurde von dem Vertrieb „Nationa- Die rechtsextremistische Vertriebsszene des Frei- les Versandhaus“ in Gohrisch (Landkreis Sächsi- staates Sachsen hat im Jahr 2015 einen nomina- sche Schweiz-Osterzgebirge) übernommen. Mit len Rückgang hinnehmen müssen. Der Deutsche dem „Hermannsland“-Versand (Leipzig) etablierte Stimme-Verlag der NPD in Riesa (Landkreis Meißen) sich dagegen ein neuer Online-Versand im Frei- wird – aufgrund des Verkaufes seines Online-Ver- staat Sachsen. Er hatte seinen Sitz ursprünglich sandes und der Schließung des Ladengeschäftes – in Berlin/Brandenburg. Er vertrieb hauptsächlich durch das LfV Sachsen nur noch als Verlag und rechtsextremistische Tonträger, u. a. von dem nicht mehr als Vertriebsunternehmen bewertet. Das rechtsextremistischen Liedermacher Lunikoff Unternehmen, welches in der Vergangenheit eines und seiner Band „Die Lunikoff Verschwörung”. der wichtigsten Anbieter von rechtsextremistischen „PC-Records“ übernahm im Jahr 2015 den Devotionalien für die subkulturell geprägte rechts- „NMV-Versand“ (Eberswalde, Brandenburg) und extremistische Szene war, beschränkt sich nunmehr baute damit seine Marktmacht weiter aus. Diese auf seine Verlagstätigkeit. Entwicklung in der sächsischen rechtsextremis- tischen Vertriebsszene hat einerseits eine wei- Der Online-Versand „Der Clou“ in Oelsnitz tere Oligopolisierung (durch Übernahme) und (Vogtlandkreis) hat seine Tätigkeit eingestellt. andererseits eine Regression (durch Aufgabe) im Seine Homepage ist nicht mehr erreichbar. Der Berichtsjahr zur Folge.

155 Der Oberbegriff „Vertriebsstrukturen“ umfasst Online-Versände, Läden und Label. Solche Strukturen können einzeln oder in unterschiedlicher Kombination bestehen. 156 Stand: 31. Dezember 2015

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 107 In der folgenden Übersicht werden Neugrün- handeln. Außerdem veranstalteten die großen dungen und Auflösungen von sächsischen Ver- Unternehmen (z. B. „OPOS-Records“) über ihre triebsunternehmen von 2005 bis 2015 gegen- Facebook-Seiten Gewinnspiele für ihre Kund- übergestellt: schaft. Dabei konnten Geld- bzw. Sachpreise

4

3

2

1

Neugründungen

0 Auflösungen 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Das Diagramm verdeutlicht die rückläufige gewonnen werden. „PC-Records“ war 2015 wie- Dynamik in der rechtsextremistischen Ver- der an der Organisation von rechtsextremisti- triebsszene im Freistaat. Seit 2005 haben schen Konzerten bzw. Veranstaltungen beteiligt. 19 Unternehmen ihre Betriebstätigkeit beendet, In den letzten Jahren haben bekannte Protago- demgegenüber stehen nur elf Neugründungen. nisten der rechtsextremistischen Szene neben Trotz dieser Entwicklung ist Sachsen im Bun- den Vertrieben Ladengeschäfte ohne jeglichen desvergleich weiterhin einer der wichtigen politischen Bezug in Sachsen eröffnet. Diese Standorte für die rechtsextremistische Ver- Personen waren zuvor nicht in der Vertriebs- triebsszene. szene aktiv gewesen. Bei den Gewerben han- delte es sich vorwiegend um Einzelunterneh- Der wirtschaftliche Erfolg für die Unternehmen men (z. B. Tattoo-Studios, Textil-Label). Für ist auch stark vom Wohlwollen der rechtsextre- Außenstehende sind meistens keine rechtsext- mistischen Szene abhängig. Aus diesem Grund remistischen Bezüge erkennbar, da die Inhaber unterstützen sie diese logistisch und finanziell. nicht als Rechtsextremisten erkannt werden. So veröffentlichte „Front Records“ im Jahr 2015 Insofern besteht die Gefahr, dass nicht rechts- den Sampler „Support “. Es soll sich extremistisch eingestellte Personen durch um eine Unterstützungs-CD für die der rechts- Käufe in diesen Geschäften die Szene unge- extremistischen Szene zugehörige griechische wollt unterstützen. Partei „Chrysi Avgi“ (Goldene Morgenröte)

108 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Im Jahr 2015 produzierten drei sächsische die von „PC-Records“ produzierte CD mit dem Vertriebe Tonträger mit rechtsextremistischer Titel „Demo“ der rechtsextremistischen Band Musik. Die derzeit aktiven sächsischen Labels „Dolchstoss“ (Bayern). Die Indizierung erfolgte haben seit ihrer Gründung mehr als 440 Ton- u. a., weil in Liedtexten offensichtlich der Nati- träger zumeist einschlägiger rechtsextremisti- onalsozialismus verherrlicht und Anreize zur scher Bands und Liedermacher herausgebracht. Gewalttätigkeit gegeben wurden. Die Auflagenhöhe der Produktionen bewegte Gemäß § 21 Abs. 2 und 4 des Jugendschutz- sich im Durchschnitt bei mehreren hundert gesetzes (JuSchG) können Indizierungen bei Stück. Zusätzlich wurden Sonderausgaben für der dafür zuständigen BPjM u. a. von Behörden Sammler herausgegeben. bzw. anderen öffentlichen Stellen beantragt bzw. angeregt werden. Einzelpersonen müssen Um den kommerziellen Erfolg ihrer Tonträ- sich gegebenenfalls mit entsprechenden Hin- ger nicht zu gefährden, sind die Produzen- weisen z. B. an Polizeibehörden, Ordnungsäm- ten bestrebt, bei den Liedtexten und der ter oder freie Träger der Jugendhilfe wenden, CD-Gestaltung nicht gegen gesetzliche Vor- welche dann die BPjM beteiligen können (§ 21 schriften, insbesondere die des Straf- und Abs. 4 JuSchG). Jugendschutzrechtes, zu verstoßen. So lassen Produzenten Tonträger vor der Veröffentli- Auch 2015 gerieten rechtsextremistische Ver- chung von Rechtsanwälten prüfen und ent- triebe aus Sachsen in den Fokus der Strafver- sprechende Gutachten erstellen. Jedoch ent- folgungsbehörden: schied der Bundesgerichtshof am 3. April 2008 So führte die Staatsanwaltschaft Zwickau am im Falle eines damals bedeutenden Produzen- 16. April 2015 im Rahmen eines Ermittlungs- ten rechtsextremistischer Musik, dass von sze- verfahrens gegen den Liedermacher Maik KRÜ- nenahen Anwälten erstellte „Gefälligkeitsgut- GER (FreilichFrei) Durchsuchungen bei „PC- achten“ keinen Freibrief darstellen und nicht Records“, „OPOS-Records“ und dem Nationalen vor strafrechtlicher Verfolgung schützen157. Versandhaus durch. Den Betroffenen wurde vorgeworfen, gemäß § 140 StGB Straftaten im Fast 100 von den derzeit aktiven sächsischen Zusammenhang mit der 2014 unter dem Titel Produzenten herausgebrachte Tonträger wur- „Ehrbarer Kämpfe – Mein Volk hasst unsere den bislang indiziert. Die Indizierung einer Freiheit“ erschienenen CD zu billigen. CD erfolgt dann, wenn ihr Inhalt oder ihre Gestaltung Jugendliche in ihrer Entwicklung In einem weiteren Fall leitete die Staatsanwalt- beeinträchtigen könnten. Die Entscheidung schaft Chemnitz ein Ermittlungsverfahren gegen hierüber wird von der Bundesprüfstelle für „PC Records“ und den ehemaligen Inhaber des jugendgefährdende Medien (BPjM) getroffen. Vertriebes ein. Grund war das Verbreiten diverser Eine indizierte CD darf Kindern und Jugendli- Tonträger mit strafbaren Textinhalten (Verdacht chen nicht verkauft oder zugänglich gemacht der Volksverhetzung nach § 130 StGB). werden. Ebenso gilt ein Werbeverbot. Im Jahr 2015 hat die BPjM sechs Tonträger der aktiven sächsischen Labels indiziert. Dazu zählt

157 157Az.: BGH 3 StR 394/07Az.: BGH 3 StR 394/07

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 109 Ausgewählte rechtsextremistische Vertriebs- „Hermannsland“-Versand strukturen im Freistaat Sachsen sind:

„DRYVE BY SUIZHYDE“

Typ: Gewerblicher Internet-Versand

Extremismusbereich: Rechtsextremismus

Sitz bzw. Herkunft: Leipzig Typ: Gewerbliches Textil- Label mit Internet- aktiv seit: 2015 Versand Sortiment: Tonträger, bedruckte Extremismusbereich: Rechtsextremismus Textilien sowie wei- tere szenetypische Sitz bzw. Herkunft: Dresden Materialien aktiv seit: 2009, seit 2013 im Freistaat Sachsen „Nationales Versandhaus“ (sowie weitere Sortiment: Textilien angegliederte Unternehmen)

„Front Records“

Typ: Gewerbliches Ver- triebsunternehmen mit Ladengeschäft und Internet- Typ: Gewerbliches Versand, Tonträger- Vertriebsunterneh- Label men mit Internet- Versand, Tonträger- Extremismusbereich: Rechtsextremismus Label, Textildruckerei Sitz bzw. Herkunft: Gohrisch (Landkreis Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sächsische Schweiz- Osterzgebirge) Sitz bzw. Herkunft: Wurzen/Falkenhain (Landkreis Leipzig) aktiv seit: 2009

Inhaber: Henry BEHR Sortiment: Tonträger, bedruckte Textilien sowie wei- aktiv seit: 2001 tere szenetypische Sortiment: Tonträger, bedruckte Materialien Textilien sowie wei- tere szenetypische Materialien

110 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen „OPOS-Records“ „PC-Records“

Typ: Gewerbliches Ver- Typ: Gewerbliches Ver- triebsunternehmen triebsunternehmen mit Ladengeschäft, mit Ladengeschäft, Internet-Versand Internet-Versand und Tonträger-Label und Tonträger-Label Extremismusbereich: Rechtsextremismus Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Chemnitz Sitz bzw. Herkunft: Dresden Inhaber: Steve GEBURTIG Inhaber: Sebastian RAACK aktiv seit: 2000 aktiv seit: 2007 Sortiment: Tonträger, bedruckte Sortiment: Tonträger, bedruckte Textilien sowie wei- Textilien sowie wei- tere szenetypische tere szenetypische Materialien Materialien REpro-Medien

Typ: Gewerblicher Internet-Versand

Extremismusbereich: Rechtsextremismus

Sitz bzw. Herkunft: Radeberg (Landkreis Bautzen)

aktiv seit: 2009

Sortiment: Aufkleber, Plakate, Broschüren und anderes Propagan- damaterial

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 111 1.11 Wege rechtsextremistischer Agitation

Moderne Kommunikationsmittel sind auch für Niedergang herkömmlicher Mediennutzung Rechtsextremisten die entscheidende Grund- durch Rechtsextremisten lage für die Organisation von Aktivitäten und die Verbreitung der eigenen ideologischen Die Nutzung von Printmedien verliert auch Ansichten. Ähnlich den gesamtgesellschaftli- innerhalb der rechtsextremistischen Szene an chen Entwicklungen hat innerhalb der rechts- Bedeutung. Zeitungen oder ähnliches werden extremistischen Szene in Bezug auf die Nut- von Parteien kaum noch herausgegeben. Ein zung von Medien in den vergangenen Jahren Grund sind fehlende Finanzmittel infolge der eine Vervielfachung der Kommunikationswege Niederlage der NPD in der Wahl zum Sächsi- stattgefunden. schen Landtag 2014. Wurden solche Zeitungen Der Gebrauch von Medien ist von Ziel und und Zeitschriften früher zur Festigung ideolo- Zweck abhängig: Für Propagandaaktionen gischer Standpunkte und zur innerparteilichen greift die Szene nach wie vor auch auf ana- Auseinandersetzung genutzt, wird diese Auf- loge Medien zurück. Wenn es hingegen um den gabe nun mittels Profilen in Sozialen Medien Aufbau und die Pflege von Gruppenstrukturen oder Blogs wahrgenommen. So erfolgte die oder die Planung von Aktionen geht, werden Auseinandersetzung der NPD über den Umgang virtuelle Medien genutzt. mit der GIDA-Bewegung primär über Facebook. Erst mit wochenlanger Verspätung kamen noch Grundsatzartikel, z. B. in der NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“, heraus. Für die politische Auseinandersetzung und Entwicklung hatte dies keinerlei Bedeutung mehr. Auch außerhalb des parteigebundenen Rechts- extremismus ließ sich diese Entwicklung beobachten. Für den Gruppenzusammenhalt sind Zeitungen, Zeitschriften und dergleichen mittlerweile kaum noch von Bedeutung. Das weitgehende Verschwinden der Fanzines in den letzten Jahren illustriert dies. In Sachsen kam zuletzt im Jahr 2014 das Fanzine „Für immer und ewig“ heraus. Eine weitere Ausgabe ist nach Angaben der Verfasser noch geplant. Alle anderen sächsischen Fanzines sind seit 2012 nicht mehr erschienen. Hingegen fanden Flugblätter, Demo-Flyer und Wurfsendungen zu aktuellen Themen noch Verwendung. Diese werden seitens rechtsext- remistischer Parteien vor allem im Wahlkampf verwendet. Die parteiungebundene Szene

112 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen nutzt Flugblätter und Aufkleber insbesondere für Propagandaaktionen. Deren Einsatz erfolgt in der Regel spontan. Inhaltlich sind sie auf konkrete Themen beschränkt. So wurden im Jahr 2015 vor allem bei rechtsextremistischen Anti-Asyl-Kampagnen immer wieder Flyer ein- gesetzt. Als Vorlagen für die Flyer, die vor allem aus Slogans bestehen, dienen häufig Profilbil- der und Seitenhintergründe aus Profilen in Sozialen Medien.

Rechtsextremisten nutzen verstärkt Soziale Auch die parteiungebundene Szene nutzte die Medien statischen Bereiche des Internet nicht mehr. Bereits im Jahr 2014 gab die neonationalso- Ebenso wie die Printmedien ging die Nutzung zialistische Szene diverse statische Nachrich- statischer Webseiten stark zurück. Sie werden tenportale auf. Prominentes Beispiel ist das zwar vor allem im parteigebundenen Rechtsex- ehemalige netzwerkmitte.com, das jedoch tremismus noch betrieben, können aber mit der durch die Seite KRYPTONIT ersetzt worden ist. Aktualität der Sozialen Medien nicht mithalten. Andere Portale wurden ersatzlos geschlossen. Die Mehrzahl aller rechtsextremistischen stati- So stellte etwa das „Infoportal Schwaben“ Ende schen Webseiten wird von Parteien betrieben. August 2014 den Betrieb ein. Auch hier erfolgte Dies dient der Demonstration von Präsenz und eine Verlagerung in die Sozialen Medien (z. B. der Dokumentation eigener Aktivitäten. Die der „Nationale Beobachter“, der sich auf den Mobilisierungen für Veranstaltungen oder die Raum Leipzig fokussiert). Diskussion der Parteimitglieder untereinander Die veränderte Mediennutzung parteiungebun- haben sich hingegen in verschiedene Soziale dener Rechtsextremisten ist auch ein Ergebnis Medien verlagert. Eine bemerkenswerte Misch- des Wandlungsprozesses dieser Szene. Durch form hierzu ist DS-TV (Deutsche Stimme-TV). den weitgehenden Wegfall fester Strukturen in Unter dem Label „DS-TV“ produziert die NPD den letzten Jahren besteht kein Bedarf mehr für seit Anfang 2015 regelmäßig Reportagen und strukturverbindende Informationsportale. Auch Propagandavideos und stellt diese im Internet die Rolle der Versorgung mit aktuellen Nach- ein. Die Publikation erfolgte über Facebook und richten oder Aufrufen wird durch die Sozialen YouTube. Medien schneller und direkter wahrgenommen. Die NPD vermittelte ihrer Klientel die von ihr Statt über Kameradschaftstreffen bindet man vertretene Weltsicht in Form einer Nachrich- sich entsprechend der bestehenden Kennver- tensendung. hältnisse in die Kommunikationsprozesse der jeweils relevanten Personenkreise ein.

Rechtsextremisten gelingt es aber keines- wegs, in Sozialen Medien tagesaktuell präsent zu sein. Vielmehr ist die Führung verdeckter Kommunikation bei gleichzeitiger Aktion in

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 113 weltweit offenen Bereichen der für die rechts- versuchten. Vereinzelt gelang es so, bürgerli- extremistische Szene wertvollste Nutzen Sozi- chen Protest in Richtung der Aktivitäten der aler Medien. Sie ermöglicht es bislang szene- rechtsextremistischen Szene umzulenken. fernen Personen, nahezu unbeobachtet vor den Augen der Welt mit Rechtsextremisten in Die Ereignisse in Heidenau im August 2015 Kontakt zu treten. waren Beleg für das taktische Vorgehen der Im Berichtsjahr ließen sich mehrere Vorfälle rechtsextremistischen Szene. So wurde aus beobachten, die nahelegten, dass die eigene Kreisen der NPD frühzeitig die eigene Face- Aktivität in den Sozialen Medien häufig über- book-Präsenz „Heidenau hört zu“ gegrün- trieben dargestellt wird und damit Mobilisie- det. Über diese Präsenz wurden die Aufrufe rungserfolge suggeriert werden, die es in der zum Protest gegen die Unterbringung von realen Welt so nicht gab. Insbesondere die Asylbewerbern in Heidenau verbreitet. Die Aktivitäten der JN im Sommer des Jahres 2015 Anti-Asyl-Demonstrationen meldete Rico fielen hier durch übertriebene Darstellung bei RENTZSCH – zum damaligen Zeitpunkt noch letztlich geringer realer Resonanz auf. NPD-Stadtrat – darüber hinaus als „Privatper- Vor allem die aktuelle gesamtgesellschaftliche son“ an, um über den Parteibezug der Demons- Asyldiskussion bot der rechtsextremistischen trationen hinwegzutäuschen. Erst nach den Szene viele Möglichkeiten zur Verbreitung ihrer von Ausschreitungen begleiteten Demonstra- Ansichten. So wurden propagandistische Kom- tionen ab dem 21. August 2015 äußerte sich mentare oder Bilder auf den Seiten von asylkri- der NPD-Landesvorstand offen auf „Heidenau tischen Bürgerinitiativen gepostet. Rechtsext- hört zu“. remisten versuchten so, die Diskussion in ihrem Zu diesem Typus von Facebook-Präsenz gehör- Sinne zu beeinflussen und bisher nicht mit ten im Jahr 2015 folgende Facebook-Gruppen, der rechtsextremistischen Szene verbundene die der rechtsextremistischen Szene zuzuord- Bürger für sich zu interessieren. Mäßigende nen sind: Stimmen müssen damit rechnen, sich Perso- nen gegenüber zu sehen, die kein Interesse an 1. Asylproblematik im Vogtland (Gemein- einem sachlichen Diskurs haben, sondern eine schaft) Radikalisierung der Diskussion und damit auch 2. Bürgerinitiative „Wir sind Borna“ der Teilnehmer anstreben. (Gemeinschaft) 3. Bürgerkomitee Rödertal – Radeberg & Rechtsextremisten versuchen, ein Thema im Großröhrsdorf (Politische Organisation) Internet möglichst noch vor nicht extremisti- 4. Bürgerwehr 360/FTL (Gemeinschaft) schen bürgerlichen Strukturen und Diskussio- 5. Das Vogtland wehrt sich 2.0 (Gemein- nen zu besetzen. Dies geschieht beispielsweise schaft) durch die Eröffnung einer eigenen „Nein zum 6. DASS – Demokratischer Aufbruch Heim“- oder „Mein Ort wehrt sich“-Seite, auf Sächsische Schweiz (Gemeinschaft) ehe- der man vorgibt, Fürsprecher der vor Ort vor- mals DAS – Demokratischer Aufbruch handenen asylkritischen Meinungen zu sein. Sebnitz Tatsächlich verbargen sich hinter solchen Sei- 7. Deutschland gegen Asylmissbrauch! ten im Jahr 2015 oft Rechtsextremisten, die (öffentliche Gruppe) hier eine virtuelle „Wortergreifungsstrategie“ 8. Freigeist (Gemeinschaft)

114 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 9. Frohburg wehrt sich (Gemeinschaft) nahtlos in eine WhatsApp-Gruppe übergegan- 10. Görlitz sagt Nein zum Heim (geschlos- gen, von dort in einen Threema-Chat158 und sene Gruppe) wieder zurück gewechselt werden. Hier zeigt 11. Heidenau – Hört zu (Gemeinschaft) sich eine zunehmende Selbstverständlichkeit in 12. Initiative – Unser Eilenburg (Gemein- der parallelen Nutzung verschiedener Medien schaft) je nach Bedarf. Dies verdeutlicht, dass auch in 13. Nein zum Heim – Sächsische Schweiz- der rechtsextremistischen Szene der Anteil an Osterzgebirge (Gemeinschaft) sogenannten „digital natives“159 immer weiter 14. Nein zum Heim in Lunzenau (geschlos- steigt. sene Gruppe) Bemerkenswerterweise scheint auch die szen- 15. Schneeberg wehrt sich! (öffentliche einterne Gruppen- und Hierarchiebildung sich Gruppe) teilweise entlang der Zuweisung von Rollen 16. Widerstand Freital (Gemeinschaft) und Aufgaben innerhalb eigener Internet- 17. Widerstand Heidenau (Gemeinschaft) gruppen zu entwickeln. Anführer sind oft die Administratoren, die weitere Mitglieder in ihren Es wurden noch weitere derartige Gruppen Wirkkreis aufnehmen. Die jeweiligen Zirkel in bekannt, die jedoch einer hohen Fluktuation einem Personenzusammenschluss organisieren unterlagen. sich mitunter wiederum in eigenen Untergrup- pen, z. B. in einer geschlossenen Kommunikati- Zunehmende Nutzung von geschlossenen onsgruppe in einem Sozialen Netzwerk. Bereichen des Internets Weiterer Grund für die Verlagerung von sze- nebezogener Kommunikation in geschlossene Das Internet bietet nicht nur die Möglichkeit Bereiche ist die Tatsache, dass die strafrechtli- zur öffentlichen Propaganda, sondern ermög- che Verfolgung im Hinblick auf virtuelle Propa- licht auch Möglichkeiten zur konspirativen ganda- und Volksverhetzungsdelikte einfacher Kommunikation. Ohne dass entsprechendes möglich ist und zunehmend genutzt wird. Expertenwissen notwendig wäre, können Auch wird die Szene bei offener Kommunika- Szeneangehörige mittlerweile verschlüsselte tion empfindlich gestört durch Löschungen Kommunikation in geschlossenen Gruppen von Postings und Mitteilungen durch Nicht- betreiben. Innerhalb der Szene haben öffent- Szeneangehörige. Entsprechend kommt es ver- liche Debatten über Internetüberwachung zu stärkt zur Bildung klandestiner Zirkel. einer stärkeren Sensibilisierung im Hinblick auf Abschottung und Absicherung erfahren. Entsprechende Anleitungen zur Verschleierung eigener Aktivitäten im Internet werden szene- intern verstärkt berücksichtigt. Gleichzeitig ist der Wechsel zwischen den Kommunikationsarten leichter möglich gewor- den. Aus einem Telefongespräch heraus kann

158 Instant-Messaging-Dienst mit einer Ende-zu-Ende Nachrichten-Verschlüsselung 158 Instant-Messaging-Dienst mit einer Ende-zu-Ende Nachrichten-Verschlüsselung. 159 Personen, die Mittel und Technik des digitalen Zeitalters von159 klein auf als integralen Personen,Bestandteil die Mittel und Technik des digitalenihres Zeitalters von Lebensklein auf als integralen ansehenBestandteil ihres Lebens ansehen und nutzen und nutzen.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 115 Rechtsextremistische Publikationen Blickpunkt Dresden (Auswahl) Extremismusbereich: Rechtsextremismus

Deutsche Stimme Herausgeber/Verant- NPD/ Medienverbund wortlicher: Blickpunkt Sachsen Extremismusbereich: Rechtsextremismus Erscheinungsturnus: unregelmäßig Herausgeber/Verant- „Nationaldemo- wortlicher: kratische Partei Auflage: 100.000 Deutschlands“ (NPD) Verbreitung: regional Erscheinungsturnus: monatlich

Auflage: 25.000

Verbreitung: bundesweit

Wichtigste Publikation der NPD ist ihr monatlich Im Frühjahr 2012 entstand unter dem Label erscheinendes Parteiorgan Deutsche Stimme. „ Blickpunkt Sachsen“ eine Medienpräsenz der Durch die Veröffentlichung soll die eigene NPD. Unter diesem Namen fasste die Partei Anhängerschaft für die Auseinandersetzung mit Regionalausgaben einer Publikation zusam- dem demokratischen Rechtsstaat argumentativ men, welche im Internet abrufbar waren und gestärkt werden. Dominierend sind hierbei die als Druckausgabe durch Parteimitglieder in NPD-typischen Ideologiefragmente „völkischer Sachsen verteilt wurden. Von diesem Medi- Nationalismus und Volksgemeinschaft“, „Anti- enprojekt wurde im Berichtsjahr nur noch die pluralismus“ und „Antiindividualismus“, ein Publikation Blickpunkt Dresden bekannt. Im begriffl ich aggressiver Antiamerikanismus, die September 2015 stellte die NPD die Herausgabe Gegnerschaft zur Europäischen Union und für der Ausgabe 01/2015 in Aussicht. Rechtsextremisten typische pauschale Schuld- zuweisungen an das demokratische „System“ und seine Politiker. Breiten Raum nahmen im Berichtsjahr zudem fremdendfeindliche Argu- mentationen der Rechtsextremisten ein.

116 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 1.12 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen

1.12.1 Landkreis Bautzen

Im Landkreis Bautzen waren der rechtsextre- mistischen Szene im Jahr 2015 zwischen 200 und 250 Personen zuzurechnen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg das Personenpotenzial etwas an und lag im sachsenweiten Vergleich im mittleren Bereich.

Neonationalsozialisten Quelle: Facebook-Profil von Widerstand Hoyers- Die neonationalsozialistische Szene im Land- werda (Stand: 29. August 2015) kreis Bautzen verfügte über Strukturen in Hoyerswerda, Bautzen und in der Region Die Neonationalsozialisten im Raum Bautzen Radeberg. Dazu gehören z. B. die „Freien Kräfte führten auch im Jahr 2015 eine Gedenkveran- Hoyerswerda”.­ staltung in Niederkaina bei Bautzen für die an diesem Ort am 22. April 1945 getöteten Sol- Die Neonationalsozialisten im Raum Hoyers- daten durch. Diese Veranstaltung ist ein fester werda traten im Jahr 2015 mehrfach als Teilneh- Termin im politischen Kalender der neonatio- mer bei Demonstrationen gegen die Asylpolitik nalsozialistischen Szene und dient der Glorifi- auf, so bei der Veranstaltung von „HOYGIDA“ zierung nationalsozialistischer Angriffskriege, am 7. März 2015, bei einer Demonstration des aber auch dem Szenezusammenhalt. Der sogenannten „Widerstandes Hoyerswerda“ am Fackelzug mit ca. 80 Teilnehmern und überregi- 29. August 2015 oder bei Demonstrationen der onaler Beteiligung reihte sich in die sogenann- Partei „DIE RECHTE“ im November 2015 in Hoy- ten Trauermärsche der rechtsextremistischen erswerda und in Bischofswerda. Die Zusam- Szene ein. Diese stellen – unter Ausblendung menarbeit mit der Partei „DIE RECHTE“ zeigte der Verbrechen des nationalsozialistischen sich auch darin, dass ein Mitglied der Partei am Regimes – ausschließlich die “alliierten Kriegs- 4. Dezember 2015 in Hoyerswerda als Redner und Nachkriegsverbrechen“ in den Mittelpunkt bei einer asylfeindlichen Demonstration der ihres Gedenkens. neonationalsozialistischen Szene auftrat. Eine weitere Gedenkveranstaltung der Neo- nationalsozialsten fand zum Volkstrauertag in Göda bei Bautzen mit ca. 100 Teilnehmern statt. Rechtsextremisten instrumentalisieren den Volkstrauertag im revisionistischen Sinne als „Heldengedenktag“.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 117 Wilsdruff und in Dippoldiswalde. Die Reden, die RICHTER dort jeweils hielt, waren von rechtsext- remistischen und antisemitischen Denkmustern geprägt. So kritisierte er in seinem Redebeitrag am 18. Juni 2015 in Dippoldiswalde das jetzige Finanzsystem, welches seiner Meinung nach auf jüdische Gründer zurückzuführen sei und die Welt durch Währungen beherrschen wolle. Dabei zitierte er einen bei antisemitischen Ver- schwörungstheoretikern beliebten jüdischen Quelle: www.ottendorf-demo.de/aktuelles Bankier aus dem 19. Jahrhundert.

Im Landkreis Bautzen fanden im Jahr 2015 zahl- „Nationaldemokratische Partei reiche Demonstrationen gegen die Asylpolitik Deutschlands“ (NPD) und „Junge statt, an denen sich Rechtsextremisten betei- Nationaldemokraten“ (JN) ligten oder die von diesen organisiert worden waren, so vom Neonationalsozialisten Simon Die NPD hat im Landkreis Bautzen einen Kreis- RICHTER. Dieser war im Jahr 2009 für die NPD verband, welcher nach Austritten von Mit- im Stadtrat von Radeberg vertreten und unter- gliedern im Berichtsjahr deutlich geschwächt hielt überregionale Kontakte zu rechtsextremis- wurde. Einer Pressemeldung zufolge hat der tischen Gruppierungen. Seit dem Verlust seines damalige Kreisvorsitzende geäußert, dass Mandates im Jahr 2014 konzentrierte er seine diese NPD-Struktur nur noch aus drei Personen Aktivitäten auf asylkritische Proteste. Im Land- bestehe. Man sei „eigentlich gar nicht mehr kreis Bautzen fiel er als Anmelder von Demonst- arbeitsfähig“160 . Auch die NPD-Kreistagsfrak- rationen auf. RICHTER wird auch das Facebook- tion musste nach Austritten von drei der fünf Profil „Bürgerkomitee Rödertal – Radeberg & Kreisräte aufgelöst werden. Der Kreisverband Großröhrsdorf“ zugerechnet, auf dem für war im Berichtsjahr kaum aktiv. Demonstrationen und Bürgerbegehren gegen die Asylpolitik mobilisiert wurde. Im Laufe der Die organisatorische und strukturelle Schwä- Zeit etablierte er sich – trotz seiner bekannten che der NPD im Landkreis Bautzen zeigte sich rechtsextremistischen Vita – als Redner auf auch an der Passivität der Partei in dieser asylkritischen Veranstaltungen von verschie- Region im Zusammenhang mit dem Demons- denen Organisatoren. Damit war er Bindeglied trationsgeschehen zum Thema Asyl. Die Partei zwischen verschiedenen, teils nichtextremisti- organisierte im Landkreis nur zwei öffentliche schen Veranstaltern der Proteste. Seine Auftritte Versammlungen. Am 16. Oktober 2015 führte verteilten sich auf Veranstaltungen im Landkreis die NPD eine Kundgebung in Bautzen durch, Bautzen in Ottendorf-Okrilla, Großröhrsdorf, welche vom kommissarischen Landesvorsit- Haselbachtal, Kamenz, Bautzen, Bischofs- zenden Jens BAUR angemeldet worden war. werda, Hoyerswerda, Radeberg sowie auch im Dem Aufruf folgten nur 50 Teilnehmer. An der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge in

160 Sächsische Zeitung vom 13. April 2015 160 Sächsische Zeitung vom 13. April 2015

118 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen zweiten Demonstration am 24. November 2015 Netzwerken von JN-Stützpunkten sachsenweit in Kamenz beteiligten sich rund 100 Personen. beworben.

Lediglich der NPD-Kreisrat Jürgen KÖTZING, welcher im November 2015 zum Vorsitzenden des Kreisverbandes gewählt wurde, beteiligte sich als Einzelperson oft an asylkritischen und asylfeindlichen Demonstrationen in der Region und arbeitete dabei mit Neonationalsozialisten, wie Simon RICHTER, zusammen.

Quelle: Facebook-Profil „1. Ostsächsische Volksfuß- ballfest“ (Stand: 7. Mai 2015)

Simon RICHTER und Jürgen KÖTZING Wie veröffentlichte Bilder vom Fußballturnier Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: zeigen, trugen die Teilnehmer zum überwie- 3. September 2015) genden Teil T-Shirts mit Aufdrucken, die Kam- pagnen der JN zugerechnet werden. Seit April 2014 besteht in den Landkreisen Bautzen und Görlitz ein „JN-Stützpunkt Ost- In der rechtsextremistischen Szene nehmen sachsen“. Von diesem gingen jedoch, wie im sportliche Aktivitäten eine wesentliche Rolle Vorjahr, nur wenige öffentliche Aktivitäten bei den Rekrutierungsbemühungen ein. Dabei aus. Gemeinsam mit den JN Dresden führten tritt die rechtsextremistische Zielsetzung sie eine gemeinsame Sommersonnenwendfeier zunächst in den Hintergrund. Veranstaltungen durch. Die enge Verbindung zum JN-Stützpunkt dieser Art bieten die Möglichkeit, sich poten- in Dresden zeigte sich auch an der Teilnahme ziellem Nachwuchs vordergründig unpolitisch an einer Demonstration der JN am 28. August und attraktiv zu präsentieren. Auch bei dem 2015 in Dresden. „1. Ostsächsischen Volksfußballfest“ wurde auf dessen Facebook-Profil der Zusammenhang Im Landkreis Bautzen veranstalteten die JN mit den JN nicht erkennbar. Darüber hinaus am 25. Juli 2015 ein überregionales Fußball- wird ein solches Turnier mit dem Ziel der Stär- turnier. Für das sogenannte „1. Ostsächsische kung des Zusammenhaltes der rechtsextremis- Volksfußballfest“ wurde ein eigenes Facebook- tischen Szene veranstaltet und ist deshalb in Profil eingerichtet. Im Vorfeld der Veranstal- der Szene beliebt. tung wurde das Fußballturnier in den sozialen

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 119 „DIE RECHTE“

Der Kreisverband Ostsachsen (anfangs auf Facebook als Kreisverband Bautzen bezeich- net) wurde am 24. April 2015 gegründet. Kreisvorsitzende wurde die ehemalige NPD- Funktionärin und Bautzener Stadträtin Daniela STAMM. Mit deren Übertritt von der NPD zu „DIE RECHTE“ erlangte die Partei das erste und bislang einzige kommunale Mandat in Sach- sen. Bei der Neugründung des sächsischen Landesverbandes der Partei „DIE RECHTE“ am 1. August 2015 wählten die Mitglieder Daniela STAMM auch zur stellvertretenden Landesvor- sitzenden.

Durch deren kontinuierliche Tätigkeit gelang es, im Landkreis Bautzen mehrere Demonstra- tionen mit bis zu 450 Teilnehmern zu organi- sieren. Die erste große öffentlichkeitswirksame Veranstaltung mit 450 Teilnehmern fand am 10. Januar 2015 in Bautzen unter dem Motto Quelle: Facebookprofil „DIE RECHTE“ (Stand: 6. März „Damals wie heute, Wir sind das Volk“ statt. 2015) Weitere Versammlungen folgten am 28. Feb- ruar 2015 in Hoyerswerda unter dem Motto Ein weiterer Aufzug der Partei fand am „Schützt unsere Kinder – Asylflut stoppen“ mit 7. November 2015 in Bautzen statt. Unter dem lediglich 40 Teilnehmern, am 14. März 2015 Motto „Damals wie Heute – Nationale Revolu- unter dem Motto „Volk steh auf – erkämpfe tion jetzt!“ mobilisierte die Partei im Internet deine Rechte“ in Bautzen mit rund 280 Perso- für die Veranstaltung. Letztendlich folgten nen und ebenfalls in Bautzen am 27. Juni 2015 210 Personen dem Ruf der Partei. In Ostsach- unter dem Motto „Souveränität = Freiheit, Frei- sen verfügt die rechtsextremistische Szene um heit = Souveränität“ mit etwa 110 Teilnehmern. Daniela STAMM mittlerweile über ein stabiles Personenpotenzial, das sie im Rahmen asyl- feindlicher Protestveranstaltungen regelmäßig mobilisieren kann.

Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene

Neben den Neonationalsozialisten und partei- gebundenen Rechtsextremisten existiert eine subkulturell geprägte rechtsextremistische

120 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Szene im Landkreis Bautzen. Dieser Szene rechtsextremistischen asylfeindlichen Veran- gehören insbesondere Personen mit rechtsex- staltungen teil. tremistischer Einstellung an, die vornehmlich durch Straf- und Gewalttaten gegen Asylbe- Rechtsextremistische Musikszene/ werber und deren Unterkünfte auffallen. So rechtsextremistische Vertriebe wurde z. B. am 11. August 2015 in Hoyerswerda ein albanischer Asylbewerber im Rahmen Im Landkreis Bautzen sind keine Strukturen der einer Auseinandersetzung von einer deutsch rechtsextremistischen Musikszene ansässig. sprechenden Person mit der Faust gegen den Seit Jahren ist dort kein rechtsextremistisches Oberkörper geschlagen. Ziel der Angriffe der Konzert bekannt geworden. Ebenso gab es subkulturell geprägten rechtsextremistischen bislang keine Hinweise auf die Existenz einer Szene waren aber auch Menschen, die sich rechtsextremistischen Band. für Asylbewerber engagieren. So wurden drei Frauen am 24. April 2015 in Bautzen von zehn REpro-Medien Radeberg vermummten Männern verfolgt, beleidigt und bedroht. Die Frauen hatten sich mehrfach Seit September 2009 ist in Radeberg der gegen rechtsextremistische Veranstaltungen rechtsextremistische Vertrieb REpro-Medien eingesetzt. ansässig. Der Name „Repro“ steht dabei für „Revolutionäre Propaganda“. Der Versand rich- Mit der Zunahme der rechtsextremistischen tet sich an die neonationalsozialistische Szene. Agitation gegen Asylbewerber häuften sich im Dementsprechend wurden Aufkleber, Plakate Jahr 2015 abermals die Straftaten gegen Asyl- und Broschüren sowie Propagandamaterialien bewerber und deren Aufnahmeeinrichtungen. angeboten, die szenetypisch ausländerfeindli- Außerdem nahmen Angehörige dieser Szene che, antiisraelische und antiamerikanische verstärkt an bürgerlichen asylkritischen oder Aussagen treffen. Betreiber von REpro-Medien ist Simon RICHTER.

Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 1.635 1.710 2.234 67 83 201

Landkreis Bautzen 123 157 165 4 11 8

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 121 1.12.2 Chemnitz (Stadt)

In der Stadt Chemnitz gehörten der rechtsex- Im Nachgang zum Verbot der NSC war eine Ver- tremistischen Szene wie im Vorjahr zwischen unsicherung der rechtsextremistischen Szene 150 und 200 Personen an. Im sachsenweiten spürbar. Es waren zunächst keine Bemühungen Vergleich liegt das rechtsextremistische Perso- seitens der Mitglieder zu erkennen, ihre rechts- nenpotenzial im mittleren Bereich. extremistischen Aktivitäten fortzusetzen.

Neonationalsozialisten Auch der jährlich um den 5. März durchge- führte Trauerzug der Neonationalsozialisten Zu Beginn des Jahres 2014 wurden die „Nati- anlässlich des Jahrestages der Bombardierung onalen Sozialisten Chemnitz” (NSC), eine der von Chemnitz im Zweiten Weltkrieg fand im aktivsten neonationalsozialistischen Grup- Jahr 2015 nicht statt. Im Nachgang wurden pierungen im Freistaat Sachsen, verboten. Bei lediglich Fotos von Kranzniederlegungen an den NSC handelte es sich um eine neonatio- Erinnerungsstellen in Chemnitz auf der Face- nalsozialistisch ausgerichtete Organisation, die book-Seite der JN Chemnitz veröffentlicht. seit mehreren Jahren die rechtsextremistische Szene in und um Chemnitz prägte. Ehemalige NSC-Mitglieder und andere Rechts- extremisten versuchten auch, asylbezogene Das Verbot der NSC bewirkte hier offensichtlich Demonstrationen in Chemnitz für ihre extre- eine Zersplitterung der Gruppierung; führende mistischen Zwecke zu instrumentalisieren. Sie Protagonisten der NSC schlugen verschiedene organisierten Proteste gegen die Erstaufnah- Wege ein. Einerseits wurde die Möglichkeit meeinrichtung in Ebersdorf. Ein ehemaliges genutzt, sich politisch im Schutz einer rechtsex- Mitglied der NSC trat zudem zu Beginn der tremistischen Partei zu engagieren. Anderseits asylkritischen Veranstaltungen in Einsiedel als ging der größere Teil der NSC-Mitglieder und Anmelder auf. Sympathisanten zunächst in der subkulturellen Szene auf. Neue Gruppierungen mit eigenem „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ Namen wurden in 2015 nicht öffentlich aktiv. (NPD) und „Junge Nationaldemokraten“ (JN)

Die Mitglieder, die sich einer rechtsextremis- Der NPD-Kreisverband Chemnitz zählt zu den tischen Partei zuwandten, wählten sowohl die schwächsten NPD-Strukturen im Freistaat Jungen Nationaldemokraten (JN; Jugendor- Sachsen. Bis auf eine Mahnwache am 5. März ganisation der NPD) als auch die Partei „Der 2015 anlässlich des Jahrestages der Bombar- Dritte Weg” als neues Wirkungsfeld. dierung von Chemnitz mit ca. 40 Teilnehmern wurde keine vom Kreisverband organisierte So wurde im Dezember 2015 der Stützpunkt öffentlichkeitswirksame Aktivität bekannt. Mittelsachsen/Erzgebirge der Partei „Der Dritte Weg” gegründet. Als Leiter agiert mit Maik Auch die seit Mitte 2014 bestehenden JN Chem- ARNOLD ein ehemaliges Führungsmitglied der nitz entwickelten im Vergleich zu anderen Stütz- NSC. punkten der NPD-Jugendorganisation kaum

122 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen eigene Aktivitäten. Das Objekt der JN in Chem- nitz ist bezeichnenderweise der ehemalige Sze- netreff der verbotenen NSC in der Markersdorfer Straße 40. Im ersten Quartal des Berichtsjahres wurde es erstmals offiziell als Anschrift des Landesstützpunktes der JN Sachsen angegeben. Die Räumlichkeiten wurden für eine Vielzahl von JN-Veranstaltungen genutzt. Die Veranstaltun- gen wurden vor allem von den JN Sachsen, aber auch von den JN Chemnitz, initiiert. Quelle: www.aktion-widerstand.de (Stand: 4. Dezember 2015)

Die JN Chemnitz führten kaum eigene öffentli- che Veranstaltungen durch und beteiligten sich nur selten an anderen rechtsextremistischen Veranstaltungen. Sie nahmen zwar an dem Gedenkmarsch am 15. Februar 2015 in Dresden teil. Im Übrigen beschränkten sie sich aber auf kleinere Aktionen anlässlich der Jahrestage der Bombenangriffe auf die Städte Dresden und Quelle: www.aktion-widerstand.de Chemnitz im Zweiten Weltkrieg, über die sie (Stand: 22. März 2015) auf Facebook berichteten.

Dabei war festzustellen, dass die Veranstal- tungen eher von den JN Sachsen als von den JN Chemnitz initiiert wurden. So wurden der JN-Landeskongress am 21. März 2015, das 15. Selbstverteidigungsseminar“ der JN- Bundesführung am 24. Oktober 2015 sowie das „Seminar für Politik und Zeitgeschichte“ am 28./29. November 2015 im Objekt der JN Chemnitz durchgeführt. Quelle: www.facebook.com/JNChemnitz (Stand: 18. Februar 2015)

Quelle: www.aktion-widerstand.de (Stand: 28. Oktober 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 123 Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene

In Chemnitz existierte im Berichtsjahr eine nicht unerhebliche subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene, deren Mitglieder sich vor allem an Aktivitäten, wie rechtsext- Quelle: www.facebook.com/JNChemnitz remistischen Konzerten sowie szeneinternen (Stand: 11. November 2014) Fußball- bzw. Volleyballveranstaltungen, betei- ligen. Insbesondere die rechtsextremistische Des Weiteren beteiligten sich die JN Chemnitz an Fußballfangruppierung „New Society“ (NS- verschiedenen Aktionen der Bundes-JN gegen Boys) aus dem Fan-Umfeld des Chemnitzer FC das Treffen der Finanzminister der sogenannten zählten dazu. Bis zum Verbot der NSC hatte es G7-Staaten in Dresden vom 27. bis 29. Mai 2015 zwischen diesen und den NS-Boys personelle sowie an der Demonstration der Partei „DIE Überschneidungen sowie gemeinsame Aktivi- RECHTE“ in Hamm am 3. Oktober 2015. täten gegeben.

Die räumliche Nähe des JN-Objektes beför- Darüber hinaus nahmen Angehörige der sub- derte die Beteiligung der JN Chemnitz an den kulturell geprägten rechtsextremistischen Protesten gegen die geplanten Erstaufnahme- Szene im Jahr 2015 auch als Teilnehmer von einrichtungen im Stadtteil Markersdorf sowie bürgerlichen asylkritischen oder rechtsextre- in Einsiedel. Weitere Aktionen der JN Chemnitz mistischen asylfeindlichen Veranstaltungen gab es zur Asylthematik nicht. teil. Auch in Chemnitz kam es neben der Bege- hung von Propagandadelikten zu einer nicht „DIE RECHTE“ unerheblichen Anzahl von Straft- und Gewalt- taten gegen Asylbewerber und deren Aufnah- meeinrichtungen. So wurde z. B. ein tunesi- scher Asylbewerber am 16. Februar 2016 von vier bis sechs Männern, die laut „Ausländer, Ausländer“ gerufen haben sollen, verfolgt und mit einem Messer am Oberschenkel verletzt. Ziel der Angriffe waren aber auch Menschen, die sich für Asylbewerber engagieren. Am Quelle: www.facebook.com/die.rechte.chemnitz 12. Oktober 2015 schlug bzw. trat ein Teilneh- (Stand: 9. Dezember 2015) mer einer „PEGIDA Chemnitz“-Veranstaltung zwei Gegendemonstranten ins Gesicht sowie Die Partei bemüht sich, in Chemnitz Struktu- den Bauchbereich. ren aufzubauen. Seit 10. Juli 2015 besteht ein Facebook-Profil. Öffentliche Aktivitäten führte die Partei im Stadtgebiet bislang nicht durch.

124 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 1.635 1.710 2.234 67 83 201

Chemnitz 106 127 144 5 7 8

Rechtsextremistische Musikszene/rechtsex- Samplerbeiträge. Neben seinen Solo-Auftritten tremistische Vertriebe wirkte er auch bei rechtsextremistischen Bands und Bandprojekten161, etwa „Sista Bataljen“ mit. Neben Dresden (mit fünf entsprechenden Struk- Dieses trat beispielsweise während der rechtsex- turen) konzentrierten sich im Berichtsjahr in der tremistischen Konzerte am 2. Mai 2015 sowie am Stadt Chemnitz weitere Akteure der rechtsext- 30. Oktober 2015 in Torgau, Ortsteil Staupitz auf. remistischen Musikszene in Sachsen. Hier sind die Bands „Blitzkrieg“ und „Pionier“ sowie der Die Band „Pionier“ veröffentlichte im Berichts- Liedermacher Barny ansässig. Im Raum Chem- zeitraum unter dem Titel „Rattenfänger“ ihre nitz wohnen ferner einzelne Mitglieder der erste eigene CD, produziert von „PC-Records“. überregionalen Band „Heiliges Reich“. Überdies beteiligte sie sich mit Liedbeiträgen am sogenannten „TddZ162-Sampler“ sowie einem Die seit rund 15 Jahren aktive Musikgruppe weiteren Sampler. „Blitzkrieg“ zählt bundesweit zu den bekann- testen Bands der rechtsextremistischen Szene. Am 9. März 2015 fand in Chemnitz ein Lieder- Die Band hat drei Tonträger, eine Split-CD sowie abend mit dem in der Szene bekannten Sänger eine Vielzahl von Samplerbeiträgen veröffent- Lunikoff (Berlin) statt. licht. Hinzu kommen viele Live-Auftritte bei rechtsextremistischen Musikveranstaltungen. Mit „PC-Records“ ist in Chemnitz einer der Unter anderem trat die Band während eines bedeutendsten rechtsextremistischen Vertriebe rechtsextremistischen Konzertes am 2. Mai in der Bundesrepublik Deutschland ansäs- 2015 in Torgau, Ortsteil Staupitz auf. sig. Der Umsatz des Unternehmens betrug im Berichtsjahr mehrere Hunderttausend Euro. Das Der in Chemnitz wohnhafte rechtsextremistische Unternehmen verfügt über ein hohes Kunden- Liedermacher Barny ist seit etwa zehn Jahren aktiv potenzial in Deutschland, dem europäischen und publizierte bislang mehrere Tonträger und Ausland sowie in Übersee.

161 Bandprojekte sind keine eigenständigen Musikgruppen. Es handelt sich um – in der Regel temporäre – Aktivitäten rechts- extremistischer Musiker und Bands, die unter anderen Namen Tonträger veröffentlichen. 161 Musikgruppen mit offen verwertbaren Erkenntnissen zu Aktivitäten im Jahr 2015 162 Tag der deutschen Zukunft 162 Tag der deutschen Zukunft

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 125 Das Unternehmen besteht aus einem Laden- Bei dem Label erschienen bis Ende 2015 über geschäft, einem Internet-Versand und einem 240 Tonträger. Bisher wurden 67 Tonträ- Tonträger-Label. Das Sortiment umfasst Ton- ger wegen jugendgefährdender Inhalte von träger, Textilien sowie weiteres szenerelevan- der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende tes Material. Der „NMV-Versand“ (Eberswalde, Medien (BPjM) indiziert. Brandenburg) wurde in diesem Jahr durch „PC- Records“ übernommen. „PC-Records“ tritt als Es gibt in Chemnitz noch ein weiteres Laden- Unterstützer von Aktivitäten und Initiativen geschäft, welches mit seinem Sortiment die der rechtsextremistischen Szene auf und bietet subkulturell geprägte rechtsextremistische entsprechendes Material an. Szene bedient.

1.12.3 Dresden (Stadt)

In der Stadt Dresden gehörten im Berichtsjahr etwa 350 bis 400 Personen der rechtsextre- mistischen Szene an. Damit stieg das Perso- nenpotenzial im Vergleich zu den Vorjahren erneut an und liegt im sachsenweiten Vergleich nach wie vor im oberen Bereich.

Neonationalsozialisten

Die sogenannte „Aktionswoche 13. Februar“ Quelle: www.gedenkmarsch.de mit einer Vielzahl von Aktivitäten sowie die (Stand: 16. Februar 2016) Demonstration am 15. Februar 2015 mit ca. 500 Teilnehmern anlässlich des 70. Jahresta- ges der Bombardierung der Stadt Dresden im Zweiten Weltkrieg stellten erneut den jährli- chen Höhepunkt der öffentlichen Aktivitäten von Rechtsextremisten in und um Dresden dar. Bemerkenswert war, dass sich die Aktivitäten im Rahmen der „Aktionswoche“ nicht auf die Stadt Dresden beschränkten, sondern sach- senweit sowie in mehreren Bundesländern und sogar im europäischen Ausland stattfanden. Quelle: www.gedenkmarsch.de (Stand: 13. Februar 2016)

126 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Das Aktionsbündnis gegen das Vergessen wahrnehmbare Mobilisierung, zumindest im (AgdV) übernahm 2007 die Verantwortung für Rahmen der „Aktionswoche“, vor möglichen die Aktivitäten von Rechtsextremisten anläss- Gegenaktivitäten zu schützen. lich des 13. Februar. Das AgdV ist der neona- Es ist daher davon auszugehen, dass die Szene tionalsozialistischen Szene in Dresden („Freie das Zusammenwirken als Erfolg bewertet und Kräfte Dresden“) zuzurechnen. in den Folgejahren ähnlich agieren wird. Im Jahre 2015 waren neben dem AgdV erstmals auch die JN Sachsen für einen erheblichen Teil Nach den Aktivitäten zum 13. Februar 2015 der Aktivitäten verantwortlich. Die Federfüh- waren die vormaligen neonationalsozialisti- rung hinsichtlich der sogenannten „Aktions- schen Freien Kräfte Dresden im Gegensatz woche“ war im Juni 2014 öffentlichkeitswirk- zu den daraus hervorgegangenen lokalen JN- sam vom AgdV an die JN übergeben worden. Strukturen (vgl. dazu Ausführungen im folgen- Diese Übertragung der Verantwortlichkeit den Kapitel) unter diesem Namen nicht mehr für die Aktionswoche auf die JN beinhaltete öffentlich wahrnehmbar. jedoch keine Veränderung des dahinter ste- henden Personenkreises, sondern lediglich Die Entwicklung der neonationalsozialistischen eine Änderung der öffentlich wahrnehmbaren Szene im Berichtsjahr gestaltete sich sehr Organisationsbezeichnung. Die Flucht unter dynamisch. Dies war auch äußeren Einflüs- den Schutzmantel der JN und damit unter sen geschuldet, wie der szenebeherrschenden den besonderen gesetzlichen Schutz von Asylfeindlichkeit im Zuge der Asyldebatte, Parteien (das sogenannte Parteienprivileg163) in deren Folge es zu einem quantitativen dürfte auch in Dresden überwiegend taktische Zuwachs der Szene kam. Während die vormals Gründe gehabt haben. als „Freie Kräfte Dresden“ aktiven Strukturen, Die JN, die sich in Dresden aus dem vormaligen wie beschrieben, im Wesentlichen im JN- Potenzial der neonationalsozialistischen Szene Stützpunkt Dresden aufgegangen sind, wurde speisten, zeichneten augenscheinlich für die die öffentliche Wahrnehmbarkeit von Struktu- Mehrzahl der Aktivitäten in den verschiedenen ren mit teils subkultureller, teils neonational- sächsischen Städten verantwortlich. Hierbei sozialistischer Ausrichtung geprägt, die mit bildeten die zeitgleich am 13. Februar 2015 Facebook-Profilen wie „Freie Kameradschaft überregional durchgeführten Mahnwachen Dresden“ und „Freie Aktivisten Dresden“ an den Schwerpunkt. die Öffentlichkeit drängten. Über diese auf Das AgdV und die JN berichteten über die Facebook verwendeten Bezeichnungen hinaus einzelnen Aktivitäten parallel im Internet. Das wurde jedoch auf die Verwendung von Grup- arbeitsteilige Zusammenwirken beider Orga- pennamen verzichtet. Die Strukturen verfügen nisationen bildete die Basis der Aktionswoche zudem über Verbindungen in die subkulturell in ihrer dezentral akzentuierten Ausprägung. geprägte rechtsextremistische Szene, ein- Die intensive Berichterstattung im Nachgang schließlich zu Hooligans. Die Grenzen verlaufen ermöglichte der Szene eine nachhaltige Öffent- dabei fließend bzw. verwischen zunehmend. lichkeitswirkung und gleichzeitig verstand man es, sich durch den Verzicht auf öffentlich

163 Das Verbot von Parteien unterliegt hohen rechtlichen Hürden. 163 Das Verbot von Parteien unterliegt hohen rechtlichen Hürden.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 127 Die Angehörigen der neonationalsozialistischen Szene beteiligten sich rege und auch überre- gional an rechtsextremistischen Demonstra- tionen, ohne selbst dabei die Verantwortung einer Veranstaltungsleitung/-organisation zu übernehmen.

Neben der bloßen Teilnahme an asylfeindli- chen Kundgebungen und Demonstrationen des parteigebundenen rechtsextremistischen Spektrums, z. B. der NPD-Kundgebung am 24. Juli 2015 vor der sogenannten Zeltstadt auf der Bremer Straße in Dresden, fielen die Angehörigen der zuvor beschriebenen partei- ungebundenen Strukturen, insbesondere mit der Beteiligung an den Ausschreitungen im Anschluss an die Kundgebung auf. Dies belegte deren erhebliches Gewaltpotenzial. Quelle: www.facebook.com/FreieAktivistenDresden (Stand: 9. November 2015) Einen erheblichen Anteil der Szeneaktivitäten machten die Darstellungen eigener plakativer Aktivitäten und Postings aus, hauptsächlich im Kontext der Asyldebatte und offenkundig neonationalsozialistischen Inhalts auf den ein- gangs erwähnten Facebook-Profilen.

Quelle: www.facebook.com/FreieAktivistenDresden (Stand: 17. November 2015)

Um ihre Asylgegnerschaft öffentlichkeitswirksam Quelle: www.facebook.com/FreieAktivistenDresden zum Ausdruck zu bringen, nahmen die Neonatio- (Stand: 30. Oktober 2015) nalsozialisten mehrfach an PEGIDA-Veranstaltun- gen teil, wie beispielsweise am 19. Oktober 2015. Dabei achteten sie vor allem darauf, als eigenstän- dige Gruppe wahrgenommen zu werden.

128 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen bekannte Transparent „Dresden macht sich grade für Deutschland“ gezeigt wurde.166

„Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) und „Junge Nationaldemokraten“ (JN)

Quelle: www.facebook.com/pages/Freie-Kamerad- Der NPD-Kreisverband Dresden zählte im schaft-Dresden (Stand: 21. Oktober 2015) Berichtsjahr zu den aktiven Strukturen der Partei in Sachsen. Vorsitzender des Kreisverbandes ist Bei der Berichterstattung zu besagter Ver- Jens BAUR. BAUR, der nach dem Rücktritt des anstaltung wurden sowohl das Facebook- NPD-Landesvorsitzenden Holger SZYMANSKI Profilbild der „Freien Kameradschaft Dresden” den Landesvorsitz kommissarisch übernommen als auch jenes der „Freien Aktivisten Dresden” hatte, ist eine treibende Kraft der NPD-Aktivi- verwendet. Außerdem war eine Erklärung täten im Freistaat Sachsen. Der Kreisverband beigefügt, wonach „sich (…) die Freie Kame- Dresden trat im Berichtsjahr insbesondere mit radschaft Dresden und die Freien Aktivis- öffentlichen Aktivitäten wie dem Verteilen von ten Dresden in einem Bündnis zusammen“ Flugblättern, der Organisation von Informations- geschlossen haben.164 Hierdurch war erstmals ständen oder mit Kundgebungen in Erscheinung. öffentlich wahrnehmbar, dass sich die neo- Thematischer Schwerpunkt bei diesen Aktivitäten nationalsozialistische Szene in Bezug auf das waren die fremdenfeindlichen Proteste gegen zentrale Thema „Anti-Asyl“ einig sieht. Bereits die Asylpolitik der Bundesregierung, dem Haupt- in der szeneeigenen Berichterstattung zu der thema der rechtsextremistischen Szene. Teilnahme an einer weiteren PEGIDA-Veran- staltung am 7. September 2015 auf dem Face- book-Profil der Freien Kameradschaft Dresden wurde diese Zielrichtung explizit erklärt: „Man einigte sich gemeinschaftlich darauf, PEGIDA einmal als geschlossene Gruppe einen Besuch abzustatten.“165

Die neonationalsozialistische Szene stellte ihre Asylfeindlichkeit sowohl auf einschlägi- Quelle: www.facebook.com/dresden.npd gen rechtsextremistischen Veranstaltungen (Stand: 17. Juni 2015) als auch wiederholt anlässlich asylkritischer Proteste zur Schau. Dies geschah zum Beispiel Zwischen dem NPD-Kreisverband Dresden und anlässlich des Protests gegen eine geplante den Dresdner Neonationalsozialisten bestand Asylunterkunft in Dresden-Laubegast am in der Vergangenheit eine enge Zusammen- 30. Oktober 2015, als hierzu das bereits arbeit in Form von gemeinsamen Treffen oder

164 www.facebook.com/pages/Freie-Kameradschaft-Dresden/1701421860086089 (Stand: 21. Oktober 2015) 165 164www.facebook.com/pages/Freie-Kameradschaft- www.facebook.com/pages/Freie-Kameradschaft-Dresden/1701421860086089 (Stand: 21. Oktober 2015) Dresden/1701421860086089 (Stand: 11. September 2015) 166165 www.facebook.com/pages/Freie-Kameradschaft- www.facebook.com/pages/Freie-Kameradschaft-Dresden/1701421860086089 (Stand: 11. September 2015) Dresden/1701421860086089166 (Stand: 31. Oktoberwww.facebook.com/pages/Freie-Kameradschaft-Dresden/1701421860086089 2015) (Stand: 31. Oktober 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 129 Quelle: picture alliance/dpa

Absprachen zu geplanten Aktivitäten sowie NPD am 17. Juni 2015 eine Veranstaltung in Dres- gemeinsamer Teilnahme an und die Organisa- den durch. Das Motto lautete „Damals wie heute: tion von Veranstaltungen. Besonders zu den Frieden, Freiheit, Souveränität!“. Es wurden ver- Aktivitäten im Zusammenhang mit dem jährli- schiedene Vorträge gehalten, u. a. von Jens BAUR chen Gedenken an die Bombardierung Dresdens und Arne SCHIMMER. Die Teilnehmeranzahl stieg am 13. Februar 1945 und zu den Demonstrati- im Vergleich zum Vorjahr mit 120 Teilnehmern onen der Rechtsextremisten zur Erinnerung an (2014: 100) leicht an. Dieser Anstieg dürfte auf den 17. Juni 1953 kooperierten beide Szenen die vielfache Beteiligung von Angehörigen der in Dresden. Allerdings war das Verhältnis zwi- neonationalsozialistischen Szene, die im Vorjahr schen der NPD und den Freien Kräften Dresden ausgeblieben war, zurückzuführen sein. keineswegs immer harmonisch. Phasen der Annäherung wechselten sich mit Phasen grö- ßerer Distanz ab. Die Distanz der letzten beiden Jahre ist nach gegenwärtiger Einschätzung vor dem Hintergrund gemeinsamen Agierens in der Asylfeindlichkeit einer grundsätzlichen Koope- rationswilligkeit „im Sinne der gemeinsamen Sache“ gewichen.

Im Rahmen der jährlichen Aktionen zum Jahres- Quelle: www.facebook.com/dresden.npd tag des Arbeiteraufstands in der DDR führte die (Stand: 17. Juni 2015)

130 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Quelle: picture alliance/dpa/R. Halkasch

Großen Zuspruch erhielt die NPD mit ihrer Die Veranstaltung am 24. Juli 2015 illustriert, sehr kurzfristig angemeldeten Versammlung dass die Agitation gegen Asylbewerber und am 24. Juli 2015 in Dresden, die sich gegen deren Aufnahmeeinrichtungen die wichtigste die Errichtung der sogenannten „Zeltstadt“ für verbindende Klammer zwischen der NPD und 1.100 Asylbewerber in Dresden-Friedrichstadt der neonationalsozialistischen Szene darstellt. richtete. Im Verlauf der Veranstaltung wurde deutlich, Diese Veranstaltung stellte einen der Höhe- dass die Thematik auch gewaltbereite Rechts- punkte der diesbezüglichen NPD-Aktivitäten extremisten mit oftmals subkultureller Prä- in der Stadt Dresden dar. Hier konnten die gung, welche insbesondere die Auseinander- Rechtsextremisten etwa 200 Menschen mobi- setzung mit dem politischen Gegner suchen, lisieren. Neben zahlreichen Protagonisten anzog. Im Anschluss an die Demonstration kam der sächsischen NPD, wie Jens BAUR, Arne es zu gewaltsamen Ausschreitungen, als Teil- SCHIMMER und dem Leipziger NPD-Kreisver- nehmer der NPD-Kundgebung zu den Gegen- bandsvorsitzenden Enrico BÖHM, trat mit Maik demonstranten zu gelangen versuchten und MÜLLER auch ein ehemaliger Kopf der neona- Flaschen, Pyrotechnik und eine Verkehrswarn- tionalsozialistischen Szene in Dresden als Red- bake in Richtung der Gegendemonstranten ner auf. Maik MÜLLER ist mittlerweile Mitglied warfen. Drei Personen wurden dabei verletzt. der JN, jedoch wurde er bei der Veranstaltung als Vertreter der Freien Kräfte vorgestellt. Der JN-Stützpunkt Dresden, der seit Dezem- ber 2012 besteht, trat im Jahr 2015 vielfach

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 131 öffentlich in Erscheinung. Nach eigener Dar- überregionalen Organisation, also als wichtiger stellung führten die JN Dresden gemeinsam Bestandteil des Landes- und Bundesverbandes, mit ostsächsischen Rechtsextremisten eine darzustellen. Hierzu werden auf dem Facebook- Sommersonnenwendfeier durch. Die Bericht- Profil immer wieder Aufrufe/Mobilisierungen erstattung hierfür wurde erkennbar für Eigen- und Berichte zu überregionalen Ereignissen werbung genutzt: „Komm zu uns und werde ein und Aktivitäten der JN platziert, insbesondere Teil unserer Gemeinschaft!“167 Ab der zweiten dann, wenn Szeneangehörige aus der Region Jahreshälfte 2015 traten auch die JN Dresden an der Veranstaltung beteiligt waren. Beispiele vermehrt mit dem zentralen Thema der rechts- sind die Berichte zum sogenannten Aktions- extremistischen Szene im Jahr 2015 „Anti- lager anlässlich des G 7-Finanzministergipfels Asyl“ in Erscheinung. Ende Mai 2015 in Dresden oder die Aufforde- rung „JNler heraus zum TAG DER DEUTSCHEN Gleichzeitig sympathisierten und kooperierten ZUKUNFT“ am 6. Juni 2015 in Neuruppin170 , die die JN Dresden mit den oben beschriebenen im Thematisierung des sogenannten Antikap- Jahr 2015 neu entstandenen lokalen neonati- Seminars am 19. September oder die Werbung onalsozialistischen Strukturen. So forderten für die sogenannte Europakonferenz Anfang die JN Dresden in einer Veröffentlichung auf Oktober.171 dem Facebook-Profil der „Freien Kamerad- schaft Dresden”: „Kameradschaft ist mehr als Der JN-Stützpunkt agitierte wie die gesamte ein Wort“ öffentlich zum Dialog und Schulter- rechtsextremistische Szene im Jahr 2015 schluss auf: „Wenn dem so ist, dann sollte man auch gegen Asylbewerber. Dabei versuchte sich auch für eine gemeinsame Arbeit in Dres- man durch die Unterstützung asylkritischen den stark machen. Zum Beispiel diesen Freitag Protests Sympathien außerhalb des rechts- beim offenen Treff.“168 Analog dazu war der Auf- extremistischen Spektrums zu gewinnen. Die ruf auf dem Facebook-Profil der JN Dresden Blockaden an einer geplanten Asylbewerbe- veröffentlicht worden, wo für das Facebook- runterkunft in Dresden-Übigau wurden wie Profil der Freien Aktivisten Dresden mit dem folgt kommentiert: „Dresden-Übigau zeigt Hinweis „hier könnt ihr aber getrost mal ein wie‘s geht! seit Tagen blockieren Anwohner ein ‘Gefällt mir‘ dalassen“ geworben wurde.169 geplantes Asylheim. Wer kann, bitte hin und helfen!“172 Neben dieser demonstrativen Darstellung des Zusammenhalts der lokalen Szene ohne Am 28. August 2015 führten die JN mit ca. Unterscheidung des parteigebundenen und 70 Teilnehmern am Dresdner Hauptbahnhof parteiungebundenen Szenepotenzials sind eine Kundgebung unter dem Motto: „Drogen- die JN Dresden bemüht, sich als aktiver und sumpf austrocknen! – Kriminelle Ausländer zentraler Bestandteil einer gut vernetzten raus! – Mehr Sicherheit für unsere Stadt!“

167 www.facebook.com/jugenddresden (Stand: 29. Juni 2015) 168 www.facebook.com/pages/Freie-Kameradschaft-Dresden/1701421860086089 (Stand: 12. August 2015) 169 www.facebook.com/jugenddresden (Stand: 23. November 2015) 170 www.facebook.com/jugenddresden (Stand: 4. Juni 2015)

167 www.facebook.com/jugenddresden (Stand: 29. Juni 2015) 170 www.facebook.com/jugenddresden (Stand: 4. Juni 2015) 171 Detailliertere Ausführungen hierzu im Beitrag „Junge Nationaldemokraten“ (JN) 168 www.facebook.com/pages/Freie-Kameradschaft-Dresden/1701421860086089 (Stand: 12. August 2015) 171 Detailliertere Ausführungen hierzu im Beitrag „Junge Nationaldemokraten“ (JN)“ 172 169www.facebook.com/jugenddresden www.facebook.com/jugenddresden (Stand: 23. November 2015) (Stand: 6. Oktober 2015); 172Schreibweise wie im Originalwww.facebook.com/jugenddresden (Stand: 6. Oktober 2015); Schreibweise wie im Original

132 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen durch. Nach szeneeigenen Angaben trat dabei Subkulturell geprägte rechtsextremistische u. a. der führende Szeneaktivist Maik MÜLLER Szene als Redner auf. Obwohl die Veranstaltung im Vorfeld nicht öffentlich, z. B. in sozialen Netz- Auch im Berichtsjahr 2015 bestand die subkul- werken, beworbenen wurde, beteiligten sich turell geprägte rechtsextremistische Szene fort, vergleichsweise viele Szeneangehörige daran. der zahlreiche politisch motivierte Propagan- dadelikte im Stadtgebiet zugeordnet wurden. Der dabei eingesetzte „Platzhirsch“ sollte nach Zudem wurde gewalttätig gegen Asylbewerber Eigenaussagen der Szene, wie die weiße Maske und deren Unterkünfte vorgegangen. Ziel der der „Unsterblichen“, zum Symbol mit Wiederer- Angriffe waren aber auch Menschen, die sich kennungswert, aber auch zum Symbol der Hei- für Asylbewerber engagieren. So wurde z. B. ein matverbundenheit werden: „Niemals werden wir marokkanischer Asylbewerber am 27. Septem- unsere Heimat kampflos aufgeben, niemals unse- ber 2015 in Dresden-Leuben durch eine Gruppe ren Feinden unser geliebtes Land freiwillig opfern.“ von fünf männlichen Personen angegriffen und mittels eines Schlagstocks auf den Kopf und auf den linken Oberarm geschlagen.

Die Szene verfügte mehrheitlich über keine kla- ren Strukturen. Sie war allerdings – abhängig vom Engagement der Führungspersonen der parteigebundenen Rechtsextremisten oder der Neonationalsozialisten – für Spontanaktionen, Demonstrationen oder sonstige Veranstaltun- gen, insbesondere im asylfeindlichen Kontext mobilisierbar. Quelle: www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 31. August 2015) Insgesamt kann die Entwicklung im Jahre 2015 als Politisierungsprozess von subkulturellen Das Thema Drogenmissbrauch („Weg mit dem Gruppen in Richtung einer Neuausbildung neo- Crystal-Dreck“) war seinerzeit Teil des Land- nationalsozialistischer Gruppierungen gesehen tagswahlkampfes der NPD. Insofern lag es werden. nahe, dass auch die JN als Jugendorganisation der NPD dieses Thema „jugendgerecht“ auf- Eine Vielzahl von rechtsextremistischen Straf- griffen. taten deutet auf die Existenz einer subkulturell geprägten Gruppierung im Stadtteil Leuben Der erneute Aufgriff des „Anti-Drogen“- hin, allerdings sind hier die Grenzen zur neo- Themas in Verbindung mit der Forderung nationalsozialistischen Szene fließend, so dass „kriminelle Ausländer raus“ ermöglichte den zunehmend von einer Mischszene ausgegan- JN dabei, ihrer ideologischen Ausrichtung gen werden muss. Ausdruck zu verleihen und die allgegenwärtige Asyldiskussion für eigene Propagandazwecke Die rechtsextremistische Fußballfanvereini- zu instrumentalisieren. gung „Faust des Ostens“ trat nicht mehr mit

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 133 Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 1.635 1.710 2.234 67 83 201

Dresden 267 260 407 23 27 56

eigenen Aktivitäten in der Öffentlichkeit in „Brainwash“, „Endless Struggle“ sowie „Hope Erscheinung. Gleichwohl standen die rechtsex- for the Weak“ brachten eigene Tonträger bezie- tremistischen Hooligans weiterhin als Mobili- hungsweise Split-CDs heraus, die stets bei sierungspotenzial für andere rechtsextremisti- dem rechtsextremistischen Vertrieb „OPOS- sche Aktivitäten zur Verfügung. Records“ erschienen.

Rechtsextremistische Musikszene/ Im Jahr 2015 fanden im Großraum Dresden rechtsextremistische Vertriebe zudem zwei rechtsextremistische Konzertver- anstaltungen statt. In der Stadt Dresden waren die Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene auch im Auch bei einer asylkritischen Veranstaltung am Berichtsjahr weiterhin stark ausgeprägt. Hier 2. August 2015 auf dem Dresdner Altmarkt trat waren mit „Sachsonia“, „Blutzeugen“, „Brain- mit „A3stus“ eine rechtsextremistische Band auf.173 wash“, „Endless Struggle“ und „Hope for the Weak“ sachsenweit die meisten aktiven rechts- Seit 2007 ist in Dresden das rechtsextremis- extremistischen Bands ansässig. tische Vertriebsunternehmen „OPOS-Records“ Die meisten dieser Dresdner Bands traten im ansässig, das aus einem Szeneladen, einem Berichtsjahr bei rechtsextremistischen Konzer- Internet-Versand sowie einem Tonträger- ten auf, teilweise sogar im europäischen Aus- Label besteht. Zu seinem Sortiment gehören land. So liegen Hinweise vor, dass „Brainwash“ Tonträger, bedruckte Textilien sowie weitere bei einschlägigen Musikveranstaltungen in szenetypische Materialien. „OPOS-Records“ Italien, Polen und Schweden auftreten sollten trat als Unterstützer von Aktivitäten und Ini- bzw. aufgetreten sind. tiativen der rechtsextremistischen Szene auf und bot entsprechendes Material an. Bislang erschienen bei dem Label über 110 CDs, von

173 Siehe hierzu auch Beitrag „Im Fokus – Aktivitäten von Rechtsextremisten in der aktuellen Asyldebatte und seine Folgen –

Beobachtungen des Verfassungsschutzes in Sachsen“ 173 Siehe hierzu auch Beitrag „Im Fokus – Aktivitäten von Rechtsextremisten in der aktuellen Asyldebatte und seine Folgen – Beobachtungen des Verfassungsschutzes in Sachsen“

134 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen denen 15 wegen jugendgefährdender Inhalte Das Textil-Label „DRYVE BY SUIZHYDE“ und durch die Bundesprüfstelle für jugendgefähr- das dazugehörige Design-Studio „Mudhater“ dende Medien (BPjM) indiziert wurden. Der sind seit Januar 2013 in Dresden ansässig. Das Hauptverantwortliche des Labels bemühte sich Sortiment des Labels wird über den eigenen in der jüngsten Vergangenheit auch um den Versand im Internet und weitere Vertriebe in Erwerb einer Immobilie im Großraum Dresden. Sachsen verkauft. Vermutlich soll diese Immobilie künftig auch der Durchführung von rechtsextremistischen Musikveranstaltungen dienen.

1.12.4 Erzgebirgskreis

Im Erzgebirgskreis waren der rechtsextremisti- dem Motto „Tradition statt Invasion“ in Schnee- schen Szene zwischen 200 und 250 Personen berg, Aue und Schwarzenberg (siehe unten). zuzurechnen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das rechtsextremistische Personenpotenzial somit Anders als in anderen Regionen sind Neonatio- konstant geblieben und lag im sachsenweiten nalsozialisten im Erzgebirgskreis nicht in einem Vergleich im mittleren Bereich. Stützpunkt der Jungen Nationaldemokraten (JN) organisiert. Jedoch gründeten sie einen Neonationalsozialisten sogenannten „Stützpunkt“ Mittelsachsen/Erz- gebirge der Partei „Der Dritte Weg“174 , um unter Im Erzgebirgskreis waren im Jahr 2015, wie auch den Schutz des Parteienprivilegs zu fallen175 . im Vorjahr, keine festen neonationalsozialisti- Als Leiter agierte dabei Maik Arnold176 , ein ehe- schen Strukturen festzustellen. Die Freien Kräfte maliges Mitglied der verbotenen Gruppierung im Erzgebirgskreis verzichteten in der Öffentlich- „Nationale Sozialisten Chemnitz” (NSC).177 keit auf das Führen von Gruppenbezeichnungen. Auch fanden keine öffentlichen Veranstaltungen „Nationaldemokratische Partei von Neonationalsozialisten statt. Deutschlands“ (NPD) und „Junge Nationaldemokraten“ (JN) Im Berichtsjahr griffen Neonationalsozialis- ten im Erzgebirgskreis umfassend die Themen Die NPD ist im Erzgebirgskreis mit einem akti- „Asylbewerber“ und „Ausländerkriminalität“ auf. ven Kreisverband vertreten, der im Jahr 2007 In diesem Zusammenhang beteiligten sie sich aus der Fusion der ehemaligen NPD-Kreisver- aktiv an Demonstrationen gegen Asylbewerber- bände Annaberg, Aue-Schwarzenberg, Stoll- unterbringungen, z. B. Demonstrationen unter berg und Mittlerer Erzgebirgskreis hervorging.

174 Siehe auch Kapitel „Der Dritte Weg” 175 Das Verbot einer Partei unterliegt hohen rechtlichen Hürden. 174 Siehe auch Kapitel „Der Dritte Weg”

175 Das Verbot einer Partei unterliegt hohen rechtlichen Hürden. 176 www.facebook.com/Nationaler-Widerstand-MittelOstsachsen 176 www.facebook.com/Nationaler-Widerstand-MittelOstsachsen 177 Eine der aktivsten neonationalsozialistischen Gruppierungen 177im Freistaat Sachsen, die Eineam der aktivsten neonationalsozialistischen28. März Gruppierungen im Freistaat Sachsen, 2014 die am 28. März 2014 verboten verboten wurde wurde

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 135 Quelle: www.facebook.com/Freigeist2015 (Stand: 1. Dezember 2015)

In den vergangenen zwei Jahren trat für den Am 3. September 2015 formulierte HARTUNG Kreisverband insbesondere der Kreisvorsit- im Internet seine Vorstellungen von der wei- zende Stefan HARTUNG mit der Organisation teren politischen Entwicklung, wonach es von Demonstrationen gegen die Asylpoli- Ziel sei, dass die Protestbewegungen in einen tik im Erzgebirgskreis in Erscheinung. Dabei Volksaufstand münden müssten: vermieden die Initiatoren jeden NPD-Bezug. HARTUNG initiierte eine Facebook-Gruppe mit „Es wird eindeutig Zeit, dass wir wieder auf der Bezeichnung „Schneeberg wehrt sich“ und die Straße gehen. Diesmal wird es aber ein führte im Winter 2013/14 sogenannte „Schnee- regelrechter Volksaufstand mit dem Ziel eines berger Lichtelläufe“ durch, an denen sich bis zu friedlichen und demokratischen Austauschs der 1.800 Personen beteiligten. verantwortlichen Politiker werden müssen – mit einfachen Demos erreichen wir schließlich Im Berichtsjahr setzte HARTUNG seine frem- nichts mehr. Ansonsten gibt es auch bei uns im denfeindlichen Aktivitäten fort und prägte Erzgebirge bald kein Volk mehr. Denn auch wir wesentlich das Demonstrationsgeschehen im drohen in einer multiethnischen Verelendung Landkreis. Wieder erzielten die Rechtsextre- krepieren zu müssen, wie sie in zahlreichen misten dabei Mobilisierungszahlen, die weit westdeutschen Metropolregionen vorgezeich- über das übliche Maß von NPD-Demonstra- net ist. Oder?“178 tionen hinausgingen. Auch im Jahr 2015 war die die NPD auf Facebook aktiv, dort unter dem Nach dieser Erklärung organisierten die Rechts- Deckmantel der Bezeichnung „Freigeist“. extremisten insgesamt vier Demonstrationen unter dem Motto „Tradition statt Invasion“ in

178 www.facebook.com/groups/initiative.schneeberg (Stand: 9. August 2015) 178 www.facebook.com/groups/initiative.schneeberg (Stand: 9. August 2015)

136 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Schneeberg, Aue und Schwarzenberg. Erneut „Auf der Kundgebung der Freigeist-Demons- wurde ein offener NPD-Bezug vermieden. tration vom 21.11. in Schneeberg: MUT ZUR EINHEIT ALLER PATRIOTEN über Parteigrenzen Am 10. Oktober 2015 fand in Schneeberg eine hinweg ohne Distanzierungsgehabe“179 Demonstration mit 850 Teilnehmern statt. Als Redner trat unter anderem Stefan HARTUNG auf. In einem zweiten Interneteintrag des Kreisver- bandes zur Veranstaltung wurde eine gemein- Eine weitere von „Freigeist“ organisierte Ver- same Veranstaltung angekündigt: anstaltung fand am 24. Oktober 2015 mit 940 Teilnehmern in Aue statt. Auf der Veran- „Drei erzgebirgische Protestgruppen – Stoll- staltung sprach u. a. HARTUNG als Organisator. berg, Beierfeld und „Freigeist“ – stehen zusam- men; hinzu werden sich weitere aus unserer Die zahlenmäßig größte von „Freigeist“ orga- Region gesellen. So weit, so gut. Deshalb sehen nisierte Demonstration im Jahr 2015 fand am uns gemeinsam am kommenden Freitag, 27.11., 7. November 2015 mit ca. 1.500 Teilnehmern in um 18:00 in Stollberg wieder!“180 Schwarzenberg statt. Die angekündigte Veranstaltung in Stollberg fand am 27. November 2015 als „Sternmarsch“ statt. Dieser endete mit einer Abschlusskund- gebung auf dem Markt in Stollberg, an der sich ca. 3.000 Personen beteiligten. Im Unterschied zu den vorangegangenen Veranstaltungen von „Freigeist“ wurde diese nicht vom Kreisvorsit- zenden der NPD angemeldet. Allerdings hat sich das Personenpotenzial um Stefan HAR- TUNG an der Veranstaltung mit beteiligt. Der Stefan HARTUNG am 21. November 2015 NPD-Kreisverband Erzgebirge knüpfte an die Quelle: www.facbook.com/pages/NPD-Erzgebirge Veranstaltung die folgende Erwartung: (Stand: 7. Dezember 2015) „Und natürlich sind auch wir mit dabei. (…) Von Um eine höhere Breitenwirkung zu erzielen den vielen patriotischen Teilnehmern erwarten versuchte HARTUNG, in der Region Erzgebirge wir, dass sie sich über das Demonstrieren und verschiedene Protestgruppen zu vereinen. Am Reden zuhören hinausgehend wenigstens in 21. November 2015 fand eine weitere Demons- die politische Arbeit einbringen oder besser tration in Schneeberg mit ca. 400 Teilnehmern sich sogar als Mitglied bei uns anschließen. Das statt. In einer Internetmeldung des NPD- ist doch auf Dauer nicht zuviel verlangt, oder? Kreisverbandes Erzgebirge hieß es zu diesem Denn nur so kann man wirklich selber Einfluss Ereignis: aufs Geschehen ausüben.“181

179 www.facebook.com/pages/NPD-Erzgebirge (Stand: 23. November179 2015) www.facebook.com/pages/NPD-Erzgebirge (Stand: 23. November 2015)

180 www.facebook.com/pages/NPD-Erzgebirge (Stand: 23. November 2015), Schreibweise wie im Original 180 www.facebook.com/pages/NPD-Erzgebirge (Stand: 23. November 2015), Schreibweise wie im Original 181 www.facebook.com/pages/NPD-Erzgebirge (Stand: 1. Dezember 2015) 181 www.facebook.com/pages/NPD-Erzgebirge (Stand: 1. Dezember 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 137 war die Szene vornehmlich durch Straftaten wahrnehmbar. Neben Propagandadelikten ver- übte sie insbesondere Straf- und Gewalttaten gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte. So wurde z. B. ein eritreischer Asylbewerber am 29. August 2015 in Schwarzenberg aus einer Personengruppe heraus vom Fahrrad gestoßen und danach am Boden liegend von mindestens einem Täter getreten bzw. geschlagen. Außer- Quelle: www.facebook.com/pages/NPD-Erzgebirge dem traten Angehörige der subkulturell gepräg- (Stand: 7. Dezember 2015 ten rechtsextremistischen Szene immer wieder als Teilnehmer von bürgerlichen asylkritischen Aktivitäten der JN im Erzgebirgskreis wurden oder rechtsextremistischen asylfeindlichen Ver- im Berichtsjahr nicht bekannt. anstaltungen auf.

Subkulturell geprägte rechtsextremistische Rechtsextremistische Musikszene/ Szene rechtsextremistische Vertriebe

Im Erzgebirgskreis gab es auch im Berichtsjahr Im Erzgebirgskreis bestehen Strukturen der eine subkulturell geprägte rechtsextremistische rechtsextremistischen Musikszene. Hier sind Szene, deren Mitglieder sich zum einen an Akti- die Band „Verboten“ sowie das Bandprojekt vitäten, wie rechtsextremistischen Konzerten „paranoid“ ansässig. und szeneinternen Sportveranstaltungen, z. B. Fußball oder Kampfsport, beteiligten. Diese Während sich „paranoid“ mit der bei „OPOS- Sportarten sind, insbesondere bei Jugendlichen, Records“ (Dresden) erschienenen CD „Gender populär und bieten deshalb rechtsextremis- mich nicht voll“ sowie der Beteiligung an einem tischen Gruppierungen die Möglichkeit, sich im Internet publizierten Medley ausschließ- potenziellem Nachwuchs attraktiv zu präsentie- lich auf Publikationen beschränkte, trat die ren und diesen ggf. zu rekrutieren. Zum anderen Band „Verboten“ auch bei rechtsextremistischen

Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat 1.635 1.710 2.234 67 83 201 Sachsen

Erzgebirgskreis 94 143 139 1 3 9

138 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Konzerten, etwa im Torgauer Ortsteil Staupitz Im Landkreis durchgeführte Musikveranstal- (Landkreis Nordsachsen) am 2. Mai sowie am tungen der rechtsextremistischen Szene wur- 29. August 2015 auf. „Verboten“ veröffentlichte den im Berichtszeitraum nicht bekannt. außerdem einen Tonträger mit dem Titel „Deut- sches Herz“, welcher ebenfalls von „OPOS- In Annaberg ist ein Ladengeschäft ansässig, Records“ (Dresden) produziert wurde. dessen Sortiment auf die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene ausgerichtet ist.

1.12.5 Landkreis Görlitz

Im Landkreis Görlitz gehörten der rechtsextre- NPD-Struktur entwickelt. In einer Meldung zu mistischen Szene im Berichtsjahr zwischen 150 einer Landesvorstandssitzung hieß es im Juli und 200 Personen an. Das rechtsextremistische 2015 zwar, dass „in den Landkreisen Bautzen Personenpotenzial blieb somit konstant und lag und Görlitz, wo es nach der Landtagswahl im sachsenweiten Vergleich im mittleren Bereich. Parteiaustritte gab, die Verbandsstrukturen neu geordnet und Neumitglieder in die aktive Neonationalsozialisten Parteiarbeit eingebunden werden konnten (…)“ 182 Allerdings waren Aktivitäten der Partei Die neonationalsozialistische Szene im Landkreis in dieser Region kaum feststellbar. Über die Görlitz verfügte über Strukturen ohne eigene Facebook-Seite dieses NPD-Kreisverbandes Organisationsbezeichnungen im Raum Görlitz und versuchten die Rechtsextremisten, ein aktives im Raum Zittau. Sie traten jedoch im Jahr 2015 mit Parteileben zu suggerieren. Zu finden waren eigenen Aktivitäten öffentlich kaum in Erschei- allerdings neben fremdenfeindlichen Texten nung. Sie beteiligten sich an den Gedenkveranstal- und Bildern überwiegend nur Berichte zu Akti- tungen der Neonationalsozialisten im Landkreis vitäten von anderen NPD-Strukturen. Bautzen und führten nach eigenen Angaben selbst nur eine Gedenkveranstaltung anlässlich des Die ausgetretenen Parteimitglieder des NPD- Volkstrauertages durch. Diesen Tag instrumenta- Kreisverbandes Görlitz gründeten einen Verein lisieren Rechtsextremisten seit jeher im revisionis- und übten ihre Stadtrats- sowie Kreistagsman- tischen Sinne als „Heldengedenktag“. date, die sie ursprünglich für die NPD innehat- ten, über diesen Verein weiter aus. „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) und „Junge Der „Stützpunkt“ der JN Ostsachsen besteht Nationaldemokraten“ (JN) seit April 2014 und umfasst die Landkreise Bautzen und Görlitz. Von diesem gingen im Nach einer Austrittswelle Ende 2014 hat Landkreis Görlitz jedoch nur geringe öffentli- sich die NPD im Landkreis Görlitz zu einer che Aktivitäten aus. So führte er am 13. Feb- weitgehend bedeutungslosen und kleinen ruar 2015 eine Mahnwache in Löbau anlässlich

182 www.npd-sachsen.de (Stand: 6. Juli 2015) 182 www.npd-sachsen.de (Stand: 6. Juli 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 139 Quelle: www.facebook.com/pages/Zeitnah/ (Stand: 6. September 2015) des 70. Jahrestages der Bombardierung Dres- dens durch.

Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene

Neben den Neonationalsozialisten und par- Quelle: Auszug aus Flyer für die Clubhauseröffnung teigebundenen Rechtsextremisten existiert im am 28. März 2015 Landkreis Görlitz eine wesentlich aktivere sub- kulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Hierbei handelt es sich um eine bundesweit Dieser gehören insbesondere Personen mit aktive, subkulturell geprägte rechtsextre- rechtsextremistischer Einstellung an, die vor- mistische Gruppierung mit neonationalso- nehmlich durch Straftaten, wie Propaganda- zialistischen Bezügen, die in Hierarchie und delikte – so z. B. mit dem Sprühen von Haken- ihrem Auftreten mit einheitlichen Lederkutten kreuzen –, auffallen und rechtsextremistische Rockergruppierungen ähnelt. Die „Brigade 8“ Konzerte besuchen. Im Jahr 2015 beteiligte sich ist bundesweit organisiert und unterhielt im auch diese Szene an asylkritischen oder rechts- Jahr 2015 in Sachsen jeweils ein „Chapter“ extremistischen, asylfeindlichen Veranstaltun- in Weißwasser und in Leipzig. Das „Chapter“ gen. Zudem wurde gewalttätig gegen Asylbe- Weißwasser, das sich auch „Chapter Ost- werber und deren Unterkünfte vorgegangen. deutschland“ bzw. „Chapter Eastside“ nennt, Ziel der Angriffe waren aber auch Menschen, nutzte für seine Veranstaltungen eine ehema- die sich für Asylbewerber engagieren. lige Gaststätte in Weißwasser.

Zur subkulturell geprägten rechtsextremis- Am 5. September 2015 führte die „Brigade tischen Szene im Landkreis Görlitz zählt u. a. 8“ ein Treffen in Weißwasser durch, bei dem auch die sogenannte „Brigade 8“ Weißwasser. mehrere rechtsextremistische Liedermacher auftraten. Die im Vorfeld als Clubhausfeier angekündigte Veranstaltung der „Brigade 8“ Weißwasser stellte sich im Nachhinein als

140 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen überregionales Treffen dar. So waren auch Mit- Bedeutung für die regionale Szene hat in den glieder aus Niedersachsen und Brandenburg zurückliegenden Jahren kontinuierlich abgenom- sowie Mitglieder der rechtsextremistischen men. Bestrebungen, überregional als extremis- Gruppierung Brigade Halle/Saale (Sachsen- tischer Personenzusammenschluss aufzutreten, Anhalt) anwesend. waren nicht erkennbar. Gleichwohl bestanden Kontakte zu rechtsextremistischen Strukturen im Mitglieder der „Brigade 8“ Weißwasser nahmen regionalen Umfeld. Der NJB verfügt seit mehre- am 6. Dezember 2015 mit einem eigenen Trans- ren Jahren über ein Vereinshaus in Zittau, das für parent an einer asylfeindlichen Demonstration Treffen und Veranstaltungen genutzt wird. in Weißwasser teil. Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe

Bis zur Schließung des Lokals „Zur Deutschen Eiche“ in Rothenburg OT Geheege im April 2012 stellte der Landkreis Görlitz einen Schwerpunkt hinsichtlich der Aktivitäten der rechtsextre- mistischen Musikszene in Sachsen dar. Die Gaststätte war jahrelang eines der wichtigsten Veranstaltungsobjekte der Szene.

Quelle: www.facebook.com/pages/Weißwasser-steht- Zwar gab es im Jahr 2015 keine Hinweise auf (Stand: 7. Dezember 2015) auf die Existenz einer rechtsextremistischen Musikgruppe im Landkreis. Jedoch ließ sich der Ebenfalls zur subkulturell geprägten rechtsex- aus Brandenburg stammende Liedermacher tremistischen Szene im Landkreis Görlitz zählt Handschu183 in Weißwasser nieder. Dieser betei- der Verein „Nationaler Jugendblock e. V.” (NJB). ligte sich im Berichtszeitraum an einer Split-CD Der NJB existiert seit Dezember 1991. Seine mehrerer rechtsextremistischer Liedermacher

Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 1.635 1.710 2.234 67 83 201

Landkreis Görlitz 131 132 119 0 2 0

183 Schreibweise wie im Original 183 Schreibweise wie im Original

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 141 und trat bei der rechtsextremistischen, sub- Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen sind kulturell geprägten Organisation „Brigade 8“ in im Jahr 2015 im Landkreis Görlitz nicht bekannt Weißwasser auf. geworden.

1.12.6 Landkreis Leipzig

Im Landkreis Leipzig waren der rechtsextremis- Weitere Beteiligungen von einzelnen Neonati- tischen Szene im Berichtsjahr, wie im Vorjahr, onalsozialisten erfolgten bei den rechtsextre- zwischen 150 und 200 Personen zuzurech- mistischen Demonstrationen am 1. November nen. Das Personenpotenzial lag im Vergleich und am 12. Dezember 2015 in Borna unter zu anderen Regionen im Freistaat Sachsen im dem Motto „Wer immer schweigt, verliert seine mittleren Bereich. Stimme. Unsere Heimat unser Recht“.

Neonationalsozialisten

Die neonationalsozialistische Szene im Land- kreis Leipzig befand sich 2015 im Umbruch. So begannen die Neonationalsozialisten in der Öffentlichkeit, auf das Führen von Gruppen- bezeichnungen zu verzichten. Aus taktischem Kalkül schlossen sich Neonationalsozialisten Parteistrukturen, wie der JN und der Partei III. Weg an, um den Schutz des Parteienprivi- Quelle: www.facebook.com Facebook JN Borna (Stand: legs184 für sich auszunutzen. Insgesamt können 14. Dezember 2015) damit nur noch sehr wenige Einzelpersonen der parteiungebundenen neonationalsozialistischen Seit 9. April 2015 existiert bei Facebook eine Szene zugerechnet werden. Seite namens „Aktionsblock Muldental“. Auf dieser werden Informationen zu rechtsext- Die Verbleibenden beteiligten sich vor allem an remistischen Veranstaltungen und Demons- asylfeindlichen Demonstrationen und Veran- trationen in regionaler Nähe veröffentlicht, staltungen anderer rechtsextremistischer Spek- „welchen man gemeinsam beiwohnen“ könne185 . tren. So nahmen sie beispielsweise am 18. Juli, Aber auch überregionale Ereignisse wer- am 2. und am 16. August bei den in Grimma den thematisiert, wie der sogenannte „Tag durchgeführten rechtsextremistischen Anti- der deutschen Zukunft“ (TddZ) am 6. Juni Asyl-Demonstrationen unter dem Motto „Wir 2015 in Neuruppin (Brandenburg) sowie die sagen nein zum geplanten Asylantenheim – Demonstration der Partei „DIE RECHTE“ am Solidarität mit den Bürgern von Bahren“ teil. 20. Juni 2015 in Merseburg (Sachsen-Anhalt).

184 Das Verbot von Parteien unterliegt hohen rechtlichen Hürden. 184 Das Verbot von Parteien unterliegt hohen rechtlichen Hürden. 185 Facebookseite Aktio/ns/block Muldental (Stand: 16. April 2015) 185 Facebookseite Aktio/ns/block Muldental (Stand: 16. April 2015)

142 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Quelle: www.facebook.com Facebook Aktio/ns/block Muldental (Stand: 16. April 2015)

Weiterhin heißt es auf der Facebook-Seite des „Aktionsblocks Muldental“: „Ihr wollt Verände- rung? Dann schreit nicht nur danach, sondern werdet aktiv, um besagte Veränderung einzulei- ten! –REVOLUTION!“186

„Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) und „Junge Nationaldemokraten“ (JN)

Aus „organisatorischen und strukturellen Quelle: www.facebook.com/npd.leipzig Gründen“ schlossen sich die Mitglieder der (Stand: 29. Juni 2015) Kreisverbände Leipzig sowie des Landkreises Leipzig am 15. Mai 2015 zu einem „Kreisver- Am 26. Juni 2015 gaben sich die Rechtsextre- band Leipzig Stadt & Land“ zusammen. Seit- misten vordergründig sozial. Unter dem Motto dem führte die NPD im Landkreis vereinzelte „Volksgemeinschaft leben – Deutsche helfen Informationsstände und Kundgebungen mit Deutschen“ fand in Böhlen eine Kundgebung niedrigen Teilnehmerzahlen durch und die mit einem Informationsstand statt. Zum Ereig- Mitglieder beteiligten sich an Veranstaltungen nis hieß es nach der Veranstaltung: der „Jungen Nationaldemokraten” (JN), der Jugendorganisation der NPD. „Nicht nur in Böhlen dachte man heute an seine Volksgenossen, sondern auch in Borna und Kitzscher. Hier waren es junge Aktivisten der JN-Borna, die Infomaterial und kostenlose Lebensmittelbeutel verteilten. (…) Wir sind, wozu wir stehen. Menschen der Tat, die dort handeln, wo andere quatschen! Ab sofort wird es regel- mäßige Aktionen geben, bis auch der letzte weiß, daß Volksgemeinschaft gelebte nationale Solidarität bedeutet. Auch in Böhlen war die

186 ebenda ebenda

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 143 Aktion „Deutsche helfen Deutschen“ mehr als zwei Informationsstände in Borna und Kitzscher erfolgreich. (…) Kraftvolle Reden und klangvolle unter dem Motto „Volksgemeinschaft leben – Balladen rundeten die gute Laune ab.“187 Deutsche helfen Deutschen“ durch und ver- teilte Lebensmittel an Bedürftige. Kommentiert Die JN verfügten im Berichtsjahr im Landkreis wurde diese Aktion mit den Worten „(…) daß Leipzig über drei „Stützpunkte“. Volksgemeinschaft gelebte nationale Solidarität bedeutet.“188 Durch die JN Borna wurden auch Sehr aktiv erwies sich der erst im Vorjahr gegrün- die rechtsextremistischen Demonstrationen am dete JN-Stützpunkt Borna. Ein sogenannter 1. November 2015 und am 12. Dezember 2015 „Freundeskreis JN Borna“ trat auch im Berichts- unter dem Motto „Wer immer schweigt, verliert jahr erneut am 13. Februar 2015 bei einer Mahn- seine Stimme. Unsere Heimat unser Recht“ in wache in Borna im Rahmen der „Aktionswoche“ Borna maßgeblich unterstützt. anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Dresden im Zweiten Weltkrieg am 13. Februar 1945 mit eigenem Transparent in Erscheinung. Auch an dem Gedenkmarsch am 15. Februar 2015 in Dresden beteiligten sich Mit- glieder des „Freundeskreises JN Borna“.

Quelle: www.facebook.com Facebook Arne Schim- mer (Stand: 2. November 2015)

Die JN Borna verfügten im Jahr 2015 über Quelle: www.facebook.com Facebook JN Borna (Stand: sehr gute überregionale Kontakte zu rechts- 16. Februar 2015) extremistischen Gruppierungen in Sachsen. So beteiligten sie sich auch an der Anti-Drogen- Das Thema Anti-Asyl stellte das zentrale Thema Demonstration am 28. August 2015 in Dresden der Aktionen der JN Borna im Berichtsjahr dar. sowie an der Demonstration am 27. September So wurden verschiedene Flyer-Verteilaktionen 2015 in Döbeln. Unter dem Motto: „(…) der sowie Plakatierungsaktionen durchgeführt. Kampf für Deutschland endet nicht an der Maßgeblicher Akteur der JN Borna war Stefan Landesgrenze!“189 beteiligten sich die JN Borna Frank SCHUBINSKI. auch außerhalb Sachsens an der rechtsext- Im Rahmen der Aktion „Deutsche helfen Deut- remistischen Anti-Asyl-Demonstration am schen“ führte die JN Borna am 26. Juni 2015 5. Dezember 2015 in Altenburg (Thüringen).

187 www.facebook.com/npd.leipzig (Stand: 29. Juni 2015), Schreibweise wie im Original 188 Facebook-Seite der JN Borna (Stand: 29. Juni 2015), Schreibweise188 wie im Original Facebook-Seite der JN Borna (Stand: 29. Juni 2015), Schreibweise wie im Original 187 www.facebook.com/npd.leipzig (Stand: 29. Juni 2015), Schreibweise wie im Original 189 Facebook-Seite der JN Borna (Stand: 7. Dezember.2015) 189 Facebook-Seite der JN Borna (Stand: 7. Dezember 2015)

144 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen in Hamm (Nordrhein-Westfalen) beteiligten sich Vertreter der JN Muldental. Außer an den überregionalen Großereignissen nahmen sie im Sommer 2015 zudem an in Grimma durchge- führten rechtsextremistischen Veranstaltun- gen teil, so an den von einem Rechtsextre- misten aus dem Umfeld der JN organisierten Quelle: www.facebook.com Facebook Muldental „Bürgerprotest gegen das geplante Asylheim in (Stand: 17. August 2015) Grimma!“191

Eine weitere JN-Struktur im Landkreis Leipzig In Geithain befindet sich ein dritter, jedoch ist der JN-Stützpunkt Muldental. Im Vergleich weniger aktiver JN-Stützpunkt im Landkreis mit den anderen JN-Stützpunkten im Land- Leipzig, welcher von Manuel TRIPP geleitet kreis Leipzig beteiligten sich die JN Muldental wird. Wie bereits in den vergangenen Jah- insbesondere an zahlreichen überregionalen ren veranstalteten die JN Geithain auch im Veranstaltungen außerhalb von Sachsen. Jahr 2015 wieder ihre sogenannten Winter-, So berichteten die JN Muldental auf ihrer Sommer- und Herbstlager. Diese dienen der Facebook-Seite über die Teilnahme u. a. an der Vernetzung innerhalb der rechtsextremisti- Demonstration der Partei „Der Dritte Weg“ schen Szene. Gemeinsam wird in Anlehnung am 1. Mai 2015 in Saalfeld190 (Thüringen) und an militärische Marschübungen eine insbeson- an Veranstaltungen zum „Tag der deutschen dere für jüngere Rechtsextremisten attraktive Zukunft“ (6. Juni 2015) in Neuruppin (Branden- „Kampf- und Kameradschaftsromantik“ insze- burg), einem jährlichen Großereignis der bun- niert. Damit soll der innere Zusammenhalt desweiten neonationalsozialistischen Szene. gestärkt, die ideologische Verankerung im insbesondere gewaltbejahenden nationalso- zialistischen Gedankengut gefestigt und die Werbung neuer Mitglieder angestrebt werden.

Quelle: www.facebook.com Facebook Muldental (Stand: 8. Juni 2015)

Auch an den Demonstrationen der Partei Quelle: jn-geithain.tumblr.com JN Geithain (Stand: „DIE RECHTE“ am 20. Juni 2015 in Merseburg 3. November 2015) (Sachsen-Anhalt) sowie am 3. Oktober 2015

190 Siehe hierzu auch die weiteren Angaben im Beitrag „Junge Nationaldemokraten”

190 Siehe hierzu auch die weiteren Angaben im Beitrag „Junge Nationaldemokraten” 191 Facebook-Seite der JN Muldental (Stand: 20. Juli 2015) 191 Facebook-Seite der JN Muldental (Stand: 20. Juli 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 145 Zur Teilnahme an regionalen Veranstaltungen die Scheiben einer Asylbewerberunterkunft mobilisierten die JN Geithain ebenso, beispiels- in Böhlen. Eine der Kugeln durchschlug die weise für die Demonstration am 18. Juli 2015 äußere Fensterscheibe, wobei keine der drei unter dem Motto „Schluss mit dem Wahnsinn – Personen im Zimmer verletzt wurde. Grimma wehrt sich!“, bei welcher Manuel TRIPP auch als Redner auftrat. Auch für die Demons- Auch die Organisation von Freizeitveranstal- tration am 12. Dezember 2015 in Borna mobi- tungen – wie z. B. dem sogenannten „Mul- lisierte die JN Geithain über Twitter: „(…) auf dentaler Kameradschaftslauf“ – zählte im nach Borna – schließt euch an! Steht auf gegen Berichtsjahr zum Betätigungsfeld der subkul- den Wahnsinn!“192 turell orientierten Rechtsextremisten. Bei dem im September durchgeführten „Muldentaler Die Partei „Der Dritte Weg“ Kameradschaftslauf“ handelte es sich weniger um eine Sportveranstaltung im engeren Sinne Im April 2015 wurde der länderübergreifende als vielmehr um eine Freizeitveranstaltung zur „Stützpunkt“ Mittelland der Partei „Der Dritte Stärkung des Szenezusammenhalts. Insgesamt Weg” gegründet. Dieser umfasst die Städte nahmen ca. 180 Personen vorwiegend aus Leipzig, Halle, Merseburg und das Umland. der Region Leipzig an der Veranstaltung teil. Seit der Gründung sind keine öffentlichkeits- Durchgeführt wurde diese Veranstaltung in wirksamen Aktionen dieses „Stützpunkts“ im einem Steinbruch in Grimma (Ortsteil Roda). Berichtsjahr im Freistaat Sachsen bekannt geworden. „Oldschool Society“

Subkulturell geprägte rechtsextremistische Die anhaltende Asyldiskussion hat auch in Szene dieser subkulturell geprägten rechtsextremis- tischen Szene zu einer stärkeren Politisierung Im Landkreis Leipzig existierte im Berichtsjahr und Strukturierung geführt. In einem Fall eine subkulturell geprägte rechtsextremisti- führte dies zu einer Radikalisierungsdynamik sche Szene. Abhängig vom Charakter der jewei- in Richtung des Verdachts rechtsterroristischer ligen Veranstaltung war diese Szene vor allem Aktivitäten. zu Großereignissen mobilisierbar. Ihr sind zum einen insbesondere Personen zuzurechnen, die an rechtsextremistischen Konzerten teilneh- men. Zum anderen sind Vertreter dieser Szene vornehmlich durch Straftaten in Erscheinung getreten. Neben zahlreichen Propagandadelik- ten kam es insbesondere zu Straf- und Gewalt- taten gegen Asylbewerber und deren Unter- künfte. So schossen unbekannte Täter z. B. am Quelle: www.facebook.com Facebook OSS 10. Juli 2015 offenbar mit einer Zwille – einer (Stand: 09.12.2014) Art Schleuder – mehrere Stahlkugeln gegen

192 Twitter der JN GeithainTwitter der(Stand: JN Geithain (Stand: 8. Dezember.2015) 8. Dezember 2015)

146 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Mitte des Jahres 2014 bildete sich zunächst nicht zugelassene pyrotechnische Gegenstände als virtuelle rechtsextremistische Gruppe im mit großer Sprengkraft gefunden wurden. Internet bundesweit und auch unter Betei- Mit der OSS bildete sich seit der mutmaß- ligung sächsischer Rechtsextremisten die lichen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Gruppe „Oldschool Society“ (OSS). Einem Untergrund (NSU) der erste Personenzusam- ersten Treffen der OSS im November 2014 menschluss, der tatsächliche Anhaltspunkte in Borna sollte ein zweites Treffen Mitte Mai für den Verdacht einer entstehenden rechts- 2015 folgen. Mit dessen Planung trat die OSS terroristischen Gruppierung aufwies. Die Bun- schließlich auch in eine zielgerichtete Vorberei- desanwaltschaft erhob am 23. Dezember 2015 tung von Anschlägen auf Asylbewerber sowie Anklage vor dem Staatsschutzsenat des Ober- den politischen Gegner ein. Es sollten meh- landesgerichts München. rere „Aktionen“ durchgeführt werden, die sich gegen „Asylantenheime“, „Antifa-Quartiere“ Rechtsextremistische Musikszene/ oder „Ölaugen“ richten. rechtsextremistische Vertriebe Auf Grund der zunächst bei den Verfassungs- schutzbehörden vorliegenden Erkenntnislage, Im Landkreis Leipzig waren im Jahr 2015 die sich seit Anfang des Berichtsjahres zu einem keine Strukturen der rechtsextremistischen Verdacht auf rechtsterroristische Aktivitäten Musikszene aktiv. Zu der aus den Vorjahren konkretisierte, leitete der Generalbundesanwalt bekannten Band „Sarin“ – benannt nach einem Mitte Februar 2015 ein Ermittlungsverfahren in Deutschland in den 1930er Jahren entwi- wegen des Verdachts der Bildung einer terro- ckelten Giftgas – fielen keine Hinweise auf ristischen Vereinigung ein. Im Rahmen der fol- Auftritte bzw. Veröffentlichungen an. genden Exekutivmaßnahmen wurden die vier Hauptbeschuldigten (zwei davon aus Sachsen) Am 3. Februar 2015 fand in Borna ein rechtsex- Anfang Mai 2015 festgenommen. Bei zehn tremistischer Liederabend statt, an dem etwa Rechtsextremisten wurden Wohnungsdurchsu- 150 Personen teilnahmen. Eine ähnliche Ver- chungen durchgeführt, wobei neben Schreck- anstaltung wurde bereits Ende Dezember 2014 schuss- und Gaswaffen u. a. auch Teleskop- durchgeführt. Weitere rechtsextremistische Schlagstöcke, Schwerter und in Deutschland Musikveranstaltungen wurden nicht bekannt.

Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 1.635 1.710 2.234 67 83 201

Landkreis Leipzig 90 59 95 6 2 16

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 147 „Front Records“ stehen technische Möglichkeiten zum Textil- druck zur Verfügung. Das zugehörige Tonträ- „Front Records“ mit Sitz in Falkenhain ist ger-Label brachte bislang über 90 Tonträger deutschlandweit einer der wichtigsten rechtsex- einschlägiger rechtsextremistischer Bands und tremistischen Vertriebe. Das Unternehmen bietet Liedermacher auf den Markt. Zwanzig Produk- insbesondere bedruckte Textilien und Tonträger tionen wurden bislang wegen jugendgefähr- sowie weitere szenetypische Materialien an. dender Inhalte von der Bundesprüfstelle für Der Vertrieb besteht aus einem Internet-Ver- jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert. sand und einem Tonträger-Label. Außerdem

1.12.7 Leipzig (Stadt)

In der Stadt Leipzig wurden der rechtsextremis- wegen Körperverletzung inhaftierten Vorsitzen- tischen Szene im Berichtsjahr 300 bis 350 Per- den dieses NPD-Kreisverbandes, Enrico BÖHM. sonen zugerechnet. Das Personenpotenzial blieb Dabei zeigten sie ein Transparent und verteilten damit im Vergleich zum Vorjahr konstant und lag Flugblätter an Bürger. Diese gemeinsame Aktivi- im sachsenweiten Vergleich im oberen Bereich. tät verdeutlicht die enge Zusammenarbeit dieser rechtsextremistischen Strukturen. Neonationalsozialisten „Nationaldemokratische Partei Mit den „Freien Kräften Leipzig” verfügt die Deutschlands“ (NPD) und „Junge neonationalsozialistische Szene in Leipzig über Nationaldemokraten“ (JN) eine aktive Struktur, welche – im Gegensatz zu den Vorjahren – jedoch im Berichtsjahr kaum Der NPD-Kreisverband Leipzig gehört zu den öffentlich in Erscheinung trat. Sie unterhielt mitgliederstarken NPD-Strukturen im Freistaat enge Kontakte zur NPD und den Jungen Natio- Sachsen. Am 15. Mai 2015 fusionierten aus naldemokraten (JN), der Jugendorganisation der „strukturellen und organisatorischen Gründen“ NPD. So protestierten am 9. August 2015 Ange- die Kreisverbände Leipzig und Landkreis Leip- hörige der Freien Kräfte Leipzig gemeinsam mit zig zum „Kreisverband Leipzig Stadt & Land“. Mitgliedern der JN und des NPD-Kreisverbandes Die Bedeutung des Kreisverbandes Leipzig in Leipzig Stadt & Land für die Freilassung des der sächsischen NPD war davor kontinuierlich

Quelle: www.facebookcom/JnSachsen (Stand: 10. August 2015)

148 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen zurückgegangen, nachdem das vormalige Tref- einzelne Informationsstände im Stadtgebiet fobjekt in der Odermannstraße nicht mehr zur durchgeführt. Am 28. Oktober 2015 führten Mit- Verfügung stand. glieder des Kreisverbandes eine Aktion vor einer Sitzung des Leipziger Stadtrates durch. Drei Per- Im Unterschied zu den Wahlkampfzeiten im sonen hielten ein Transparent mit der Aufschrift Jahr 2014 war die NPD im Leipziger Stadtgebiet „Geld für unsere Kinder statt für eure Asylanten“. im Jahr 2015 kaum wahrnehmbar. Im Berichts- jahr verlagerte der Kreisverband seinen Akti- onsbereich mehr in den Landkreis – allerdings auch dort auf niedrigem Niveau. Lediglich der Kreisvorsitzende Enrico BÖHM sorgte für Schlagzeilen. BÖHM wurde im Mai 2015 wegen Körperverletzung zu acht Mona- ten Gefängnis verurteilt. Ihm wurde vorge- worfen, eine Frau getreten und beleidigt zu haben. Noch vor Haftantritt beging BÖHM eine weitere Körperverletzung und wurde daraufhin Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen unmittelbar in Untersuchungshaft genommen. (Stand: 29. Oktober 2015) Nachdem er gegen das oben genannte Urteil Rechtsmittel eingelegt hatte, wurde er in einer Der „Stützpunkt“ der JN in Leipzig zählt hingegen Berufungsverhandlung zu sechs Monaten Haft zu den aktivsten JN-Stützpunkten in Sachsen. Im wegen Körperverletzung – ausgesetzt zur Jahr 2015 trat er mit vielfältigen Aktionen öffent- Bewährung – verurteilt. lich in Erscheinung und behielt damit sein bereits im Vorjahr gestiegenes Aktionsniveau bei.

Enrico BÖHM Quelle: www.facebook.com (Stand: 31. August 2015)

Vereinzelt beteiligten sich Mitglieder des Kreis- Quelle: www.facebook.com/jungenationalistenleip- verbandes in Leipzig an asylkritischen Demons- zig (Stand: 20. Januar 2015) trationen in Leipzig. Darüber hinaus wurden

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 149 „Zusammen mit der JN Leipzig, zahlreichen parteifreien Aktivisten und Brandiser Bürger formierte sich eine etwa 50 Mann starke Kundgebung, auf der kritische Redebeiträge zur Asylproblematik zu hören waren und Infomaterial an Passanten verteilt wurde“193,

so berichtete der NPD-Kreisverband Leipzig Stadt & Land über die Veranstaltung. Am 11. und 18. Juli 2015 führte die NPD zwei Anti- Asyl-Kundgebungen in Brandis und Grimma durch, an denen sich die JN Leipzig beteiligten. Die JN Leipzig nahmen auch an weiteren Anti- Asylkundgebungen, so am 2. und 16. August Quelle: www.facebook.com/jungenationalistenleip- 2015 in Grimma sowie am 17. November 2015 zig (Stand: 13. Januar 2015) in Zwenkau, teil.

Höhepunkt der Anti-Asyl-Aktivitäten der JN Leipzig war die Teilnahme an einer Blocka- deaktion bei einer Erstaufnahmeeinrichtung durch JN-Anhänger am 18. Oktober 2015 in Leipzig. Die Teilnehmer zeigten dabei ein Pla- Quelle: www.jungenationalistenleipzig (Stand: kat mit der Aufschrift „Geld für unsere Kinder, 21. Januar 2015) statt für eure Asylanten“ und skandierten entsprechende Parolen. Die Einsatzbeamten Das Themenfeld Anti-Asyl bildete den Schwer- führten 27 Identitätsfeststellungen durch und punkt der Aktivitäten der JN Leipzig im erstatteten Anzeige wegen des Verdachts der Jahr 2015. Mitglieder führten dabei – meist Volksverhetzung und des Verstoßes gegen das in Zusammenarbeit mit der NPD – verschie- Versammlungsgesetz. Die JN Leipzig kommen- dene Aktivitäten wie Informationsstände und tierten die Aktion auf ihrem Facebook-Profil Verteilaktionen durch. So veranstalteten sie mit den Worten „Wir schauen nicht kampflos zusammen mit dem NPD-Kreisverband Leipzig zu, wie unsere Heimat immer mehr überflu- Stadt & Land am 17. Mai 2015 eine Verteilaktion tet wird. Für das Erste muss der Asylantenbus des Flugblattes „Asylflut stoppen“ in Leipzig und umdrehen (…)“194 im Leipziger Umland. Unter dem Motto „Keine Asylbewerber als Nachbarn“ fand am 21. Mai 2015 in Brandis eine Protestveranstaltung des NPD-Kreisverbandes Leipzig Stadt & Land statt.

193 www.facebookcom/npd.leipzig, Schreibweise wie im Original 193 www.facebookcom/npd.leipzig, Schreibweise wie im Original 194 www.facebook.com/jungenationalistenleipzig (Stand: 19. Oktober194 2015) www.facebook.com/jungenationalistenleipzig (Stand: 19. Oktober 2015)

150 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Leipzig. So protestierten sie mit einer Transpa- rent-Aktion gegen angebliche Tierquälerei im Zirkus. In einem entsprechenden Beitrag auf ihrem Facebook-Profil wurde„ein Verbot von Wildtieren in deutschen Zirkussen“ gefordert. Damit bedienten die JN ein auch im bürgerlichen Spektrum anschlussfähiges Thema und hofften auf Zustimmung außerhalb ihrer Klientel. Quelle: www.jungenationalistenleipzig (Stand: 19. Oktober 2015)

Zudem beteiligten sich die JN Leipzig im Zusammenhang mit dem Thema Asyl an Ver- anstaltungen der nichtextremistischen Verei- nigung „Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (LEGIDA) in Leipzig. Quelle: www.facebook/com/jungenationalistenleip- Angehörige der JN Leipzig beteiligten sich fer- zig (Stand: 30. Januar 2015) ner regelmäßig an regionalen und überregio- nalen rechtsextremistischen Veranstaltungen. „DIE RECHTE“ Entsprechende Mobilisierungen wurden auf der Facebook-Seite der JN Leipzig veröffent- Bei der Neugründung des sächsischen Lan- licht. Mitglieder der JN Leipzig nahmen unter desverbandes am 1. August 2015 wählten die anderem an Demonstrationen der Partei „DIE Mitglieder den ehemaligen Leipziger NPD- RECHTE“ am 20. Juni 2015 in Merseburg (Sach- Funktionär Alexander KURTH zum Landesvor- sen-Anhalt) und am 3. Oktober 2015 in Hamm sitzenden. Kontaktadresse des sächsischen (Nordrhein-Westfalen) teil. Zudem beteiligten Landesverbandes ist ein Postfach in Leipzig. sich die JN Leipzig am 16. Januar 2015 an Bereits im Februar 2015 hatte die Partei über einem sogenannten Trauermarsch von Rechts- Facebook die Gründung eines Kreisverbandes extremisten in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) in Leipzig angekündigt: anlässlich des Jahrestages des Bombenangriffs auf die Stadt 1945 sowie an der Demonstration „In den nächsten Wochen soll auch in der Mes- zum „Tag der deutschen Zukunft“ am 6. Juni sestadt Leipzig die Kreisverbandsgründung 2015 in Neuruppin (Brandenburg). Diese Akti- vollzogen werden. Hierzu suchen wir noch vitäten verdeutlichten die guten Kontakte der aktive Mitstreiter. Suchst Du eine Alternative JN Leipzig zu anderen rechtsextremistischen zum BRD-Volksverräterparteienkartell? (…) Gruppierungen. Dann werde auch Du Mitglied der nationalen und sozialistischen Fundamentalopposition! Wie im Vorjahr bildete das Thema Tierschutz Kämpfen wir gemeinsam für ein freies, natio- einen weiteren Themenschwerpunkt der JN nales und soziales Leipzig.“ 195

195 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 25. Februar 2015) 195 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 25. Februar 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 151 Eine Gründungsveranstaltung fand trotz dieser Wollt Ihr unser Land wirklich diesen antideutsch Ankündigung im Berichtsjahr jedoch nicht statt. versifften Kampftruppen überlassen? Geht end- lich von den Knien zum Angriff über und über- Die Partei versuchte, sich im Jahr 2015 in die gebt die Samthandschuhe der Kleiderspende!“197 laufenden Anti-Asyl-Proteste einzubringen. Sie war jedoch aufgrund der noch vorhande- In den folgenden Monaten zeigten sich jedoch nen strukturellen Schwäche nicht in der Lage, die ideologischen Differenzen zur GIDA-Bewe- hinsichtlich eigener Veranstaltungen ein mit gung. So hieß es Ende März in einem Kom- der NPD vergleichbares Organisationsniveau mentar des sächsischen Landesverbandes der zu erreichen. In Leipzig ist „DIE RECHTE“ jedoch Partei „DIE RECHTE“: über ihren Landesvorsitzenden an einer Ver- netzung von rechtsextremistischen Anti-Asyl- „Ein großes Problem der verschiedenen Gidas Initiativen beteiligt. ist, daß man zwar einige Probleme richtig erkannt hat, es sich aber bei diesen Problemen Bereits zu Jahresbeginn rief die Partei davon nur um Nebenkriegsschauplätze handelt.“198 abgesehen wiederholt auch zur Teilnahme an den LEGIDA-Demonstrationen auf. In einem Dazu zählte der Autor des Kommentars auch Facebook-Eintrag im Januar 2015 hieß es in die Tatsache, dass „der Hauptfeind alle[r] freien diesem Zusammenhang: Völker“ nicht in Moscheen zu finden sei, son- dern „andere Gebetshäuser“ bevorzuge. Gerade „Zeigen wir Jung, Nagel, Kasek und den ganz letzteres zeigte bereits die deutliche antise- anderen antideutsch versifften Paladinen der mitische Ausrichtung des sächsischen Lan- BRD-GMBH wo der Hammer hängt. Wir sind desverbandes der Partei „DIE RECHTE“. Nach das Volk das Volk steht auf!“196 dieser Äußerung wurde nur noch vereinzelt über LEGIDA-Veranstaltungen berichtet. Eine Der spätere Landesvorsitzende Alexander KURTH Mobilisierung fand nicht mehr statt. äußerte im Nachgang: Die Partei hatte für den 12. Dezember 2015 ihre erste eigene Demonstration in der Stadt „Die dritte Legida Veranstaltung in Leipzig Leipzig geplant. Diese sollte im Leipziger betrachte ich persönlich als Rückschritt zu den Stadtteil Connewitz unter dem Motto „DIE vorherigen Veranstaltungen. Das gewalttätige RECHTE – Für Recht und Ordnung in unserer agieren von Nagels und Jungs antideutschen Heimat – Für Frieden und Völkerfreundschaft“ Krawallkreaturen zeigt Wirkung. Der feige Bun- stattfinden. Schon die Mobilisierung für desmichel bleibt auf dem Sofa hocken. Seinen die Veranstaltung ließ erkennen, dass die Unmut über die Zustände in dieser Republik der Rechtsextremisten den politischen Gegner in Schande kann er ja über das Internet zum Aus- Leipzig gezielt provozieren wollten. Aufgrund druck bringen … der Gefahrenprognose legte die zuständige Versammlungsbehörde die geplanten Demons- trationen zu einem gemeinsamen Aufzug

196 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 21. Januar 2015), Schreibweise wie im Original 197 www.facebook.com/Alexander-Kurth-15649337070712070/?fref=ts197 (Stand: 31. Januar 2015),www.facebook.com/Alexander-Kurth-15649337070712070/?fref=ts Schreibweise (Stand: 31. Januar 2015), Schreibweise wie imwie Original im Original

198 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 31.März 2015), Schreibweise wie im Original 196198 www.facebook.com/rechtesachsen www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 21. Januar 2015), Schreibweise wie im Original (Stand: 31. März 2015), Schreibweise wie im Original

152 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen zusammen. An diesem Aufzug beteiligten sich So wurden z. B. am 20. Oktober 2015 rückkeh- etwa 200 Personen. Damit wurde die zunächst rende PEGIDA-Gegner am Leipziger Bahnhof angemeldete Teilnehmerzahl von 1.200 Perso- tätlich angegriffen. nen deutlich unterschritten. Bei der Demons- tration zeigte sich eine Zusammenarbeit mit Eine dieser Szene zuzurechnende Gruppierung sachsen-anhaltischen und thüringischen ist die sogenannte „Brigade 8“, die im Berichts- Rechtsextremisten. Neben dem sächsischen jahr in Leipzig und in Weißwasser (Landkreis Landesvorsitzenden gehörte auch ein Vertre- Görlitz) jeweils ein „Chapter“ unterhielt. Die ter des Thüringer Landesverbandes der Partei „Brigade 8“ ist eine bundesweit aktive rechts- „DIE RECHTE“ sowie ein Vertreter der „Brigade extremistische Gruppierung mit neonational- Bitterfeld“ (Sachsen-Anhalt) zu den Rednern sozialistischen Bezügen, die in ihrer Hierar- während der Demonstration. Im Nachgang chie und in ihrem Auftreten mit einheitlichen bedankte sich der sächsische Landesverband Lederkutten Rockergruppierungen ähnelt. im Internet für die Unterstützung während der Zur Szene zählen aber auch Hooligans, z. B von Demonstration, insbesondere bei der Partei der früheren rechtsextremistischen Gruppie- „DIE RECHTE“ aus Thüringen, bei der „Brigade rung „Scenario Lok“, die im Oktober 2014 ihre Halle“, der „Brigade Bitterfeld“ (beide Sachsen- Auflösung bekanntgegeben hatte. So wurden Anhalt) und bei Thügida (Thüringen). sechs ehemalige Mitglieder der Gruppe als Tatverdächtige im Zusammenhang mit gewalt- tätigen Ausschreitungen am 11. Januar 2016 im Leipziger Stadtteil Connewitz bekannt. Neben zahlreichen Propagandadelikten verüb- ten subkulturell geprägte Rechtsextremisten insbesondere auch Straftaten gegen Asylbe- werber bzw. deren Unterkünfte. So führten z. B. am 29. September 2015 unbekannte Täter in unmittelbarer Nähe des Protestcamps vor der als Erstaufnahmeeinrichtung genutzten Quelle: picture alliance/CITYPRESS 24/Speier Messehalle 4 mittels einer sogenannten Kugel- bombe eine Explosion herbei. Verletzt wurde Subkulturell geprägte rechtsextremistische hierbei niemand. Szene Außerdem traten Angehörige der Szene immer wieder als Teilnehmer von bürgerlichen asylkri- Neben den Neonationalsozialisten und der NPD tischen oder rechtsextremistischen asylfeindli- existiert in Leipzig eine subkulturell geprägte chen Veranstaltungen auf. rechtsextremistische Szene. Dieser Szene Zudem besuchte dieser Personenkreis rechts- gehören insbesondere politisch wenig aktive extremistische Konzerte und war zu Großereig- Rechtsextremisten an, die mit Straf-, ein- nissen mobilisierbar. schließlich Gewalttaten, auffallen.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 153 Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 1.635 1.710 2.234 67 83 201

Leipzig (Stadt) 183 182 224 9 11 18

Am 11. Januar 2015 beteiligten sich Rechts- extremisten an einer Vielzahl von Straftaten im Leipziger Stadtteil Connewitz. Die Täter stammten sowohl aus dem neonationalsozi- alistischen, parteigebundenen als auch dem subkulturell geprägten Spektrum und kamen insbesondere aus Leipzig, Dresden sowie aus anderen Bundesländern.

Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe

In der Stadt Leipzig bestehen Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene. Hierbei handelt es sich um die beiden Bands „Thematik Quelle: opos-records.com 25“ sowie „Volksnah“ 2.0. „Thematik 25“ trat im (Stand: 17. Dezember 2015) Berichtszeitraum mehrfach bei einschlägigen Musikveranstaltungen der rechtsextremisti- schen Szene auf und wirkte an dem Sampler „One Family Part III“ mit.

Quelle: www.facebook.co./volksnah-20 (Stand: 17. Dezember 2015) Quelle: www.facebook.com/T25 (Stand: 17. Dezember 2015) Bei „Volksnah“ 2.0 handelt es sich offenbar um die Fortsetzung der 2014 inaktiven Leipziger Musikgruppe „Volksnah“.

154 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Diese Band veröffentlichte Ende 2015 eine „Hermannsland“-Versand CD. Internetpostings lassen den Schluss zu, dass sie Anfang Juli 2015 bei einem kleineren Mit dem „Hermannsland“-Versand hat sich 2015 Konzert mit „Thematik 25“ mitwirkte. Dessen ein neuer rechtsextremistischer Online-Ver- Veranstaltungsort wurde nicht bekannt. sand im Freistaat Sachsen angesiedelt. Dieser Bereits 2014 war ein Rückgang der Musikver- stammt ursprünglich aus Berlin/Brandenburg. anstaltungen in Leipzig zu verzeichnen. Dies Sein Sortiment ist ausschließlich auf die sub- resultierte nicht nur aus dem im Spätsommer kulturell geprägte rechtsextremistische Szene aufgegebenen Szene-Objekt in der Odermann- ausgerichtet. straße. Im Berichtszeitraum wurden in Leipzig keine Musikveranstaltungen mehr bekannt.

1.12.8 Landkreis Meißen

Im Landkreis Meißen waren der rechtsextre- „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ mistischen Szene im Berichtsjahr zwischen 50 (NPD) und „Junge Nationaldemokraten“ (JN) und 100 Personen zuzurechnen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das Personenpotenzial damit Der mittelgroße NPD-Kreisverband Meißen auf niedrigem Niveau konstant geblieben. Der zählte im Berichtsjahr zu den aktiveren NPD- Landkreis Meißen liegt somit im sachsenweiten Strukturen im Freistaat Sachsen. Die Schwer- Vergleich weiterhin im unteren Bereich. punkte der Aktivitäten des Kreisverbandes lagen in Meißen, Riesa und Großenhain. Neonationalsozialisten In Riesa verfügt die NPD mit der Liegenschaft Im Landkreis Meißen waren im Jahr 2015, wie des Deutsche Stimme-Verlages über ein Treff- auch im Vorjahr, keinerlei neonationalsozialis- objekt, welches sich in ihrem Eigentum befin- tische Strukturen festzustellen. Auch fanden det. Nach finanziellen Problemen des Verlages keine öffentlichen Veranstaltungen von Neo- in den letzten Jahren übergaben die Betreiber nationalsozialisten statt. Es ist jedoch nach des Verlages den Warenversand an einen NPD- wie vor davon auszugehen, dass sich der Akti- Funktionär in Thüringen. Auch der Buchversand onsradius der neonationalsozialistischen Szene wurde ausgelagert. Übrig blieb letztendlich die Dresden auch auf den benachbarten Landkreis Herausgabe der „Deutschen Stimme“. Meißen erstreckt. In einem Brief an alle Mitglieder über die Zukunft des Objektes teilte der Landesvor- stand mit, dass nach der Auslagerung des Ver- sandes die Halle nun leer steht. Ein kleiner Teil wird von einem neuen Medienprojekt mit der Bezeichnung „DS-TV“199 genutzt.

199 Unter dem Label „DS-TV“ produziert die NPD seit Frühjahr 2015 regelmäßig Reportagen und Propagandavideos und stellt

diese im Internet ein. Dazu richteten die Rechtsextremisten im199 Verlagsgebäude ein AufnahmestudioUnter dem Label „DS-TV“ produziert die NPD seit Frühjahr 2015 regelmäßig Reportagen und Propagandavideos ein. und stellt diese im Internet ein. Dazu richteten die Rechtsextremisten im Verlagsgebäude ein Aufnahmestudio ein.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 155 Offenbar versuchten die Betreiber die Finan- von Asylbewerbern und verfolgte dabei die zierung des Objektes mit Veranstaltungen Strategie, Bürgerproteste zu nutzen, um sich abzusichern. Während eines „Sommerfestes“ selbst als „Kümmerer“ vor Ort zu präsentieren. am 22. August 2015 weihten die Rechtsextre- misten einen Teil des Gebäudetraktes als „Haus Im Februar verkündete er auf seiner Facebook- Wieland“ ein, welcher als Veranstaltungssaal Seite eine Intensivierung der Aktivitäten: mit Schlafplätzen als „nationales Begegnungs- zentrum“ für Seminare, Schulungen und andere „250 Asyl-Schnorrer werden in Meißener Mehr- Veranstaltungen genutzt werden soll. zweckhalle einquartiert (…) Nicht nur die PEGIDA-Demonstrationen haben gezeigt, daß sich die Sachsen ihre schöne Hei- mat nicht widerstandslos durch Massenein- wanderung zerstören lassen. Gerade in Sachsen gilt: Wer Überfremdung sät, wird politischen Widerstand ernten! Der NPD-Kreisverband Meißen wird umgehend das Gespräch mit asyl- und überfremdungs- kritischen Initiativen im Landkreis suchen und geeignete Protestformen mit breiter Bürgerbe- teiligung finden (…)“ 200

Neben der Organisation von eigenen Veran- staltungen, beteiligten sich Mitglieder und Funktionäre im Jahr 2015 oft an Demonstra- tionen, die von einer asylkritischen Gruppe aus Meißen organisiert wurden. Daneben fanden in Meißen, Strehla, Riesa, Großenhain und Gröditz insgesamt sieben Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen statt, welche sich gegen die Aufnahme von Asylbewerbern richteten. Diese wurden überwiegend vom kommissarischen NPD-Landesvorsitzenden Jens BAUR angemeldet.

Quelle: www.facebook.com/npd.Sachsen (Stand: 23. September 2015)

Der Kreisverband instrumentalisierte in der Vergangenheit wiederholt die Unterbringung

200 www.facebook.com/npd.meissen (Stand: 6. März 2015), Schreibweise200 wie im Original www.facebook.com/npd.meissen (Stand: 6. März 2015), Schreibweise wie im Original

156 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen im Jahr 2014 verlor die Partei zwei ihrer fünf Mandate. Auch bei der Stadt und Gemeinde- ratswahl 2014 musste die NPD einen Rückgang der kommunalen Präsenz im Landkreis Meißen hinnehmen. In Gröditz, Meißen, Weinböhla und Coswig verlor die Partei je ein Mandat. Sie ver- fügt jetzt nur noch in Strehla (1), Riesa (2) und Radebeul (1) über Sitze im Stadtrat. Rechtsextremisten bei einer Demonstration am 5. August 2015 in Meißen Die NPD-Jugendorganisation „Junge National- Quelle: www.facebook.com/npd.meißen demokraten“ (JN) war zwar im Berichtsjahr im (Stand: 28. August 2015) Landkreis Meißen in der Region Riesa noch mit einem sogenannten „Stützpunkt“ JN-Elbland Die größte Demonstration fand mit rund vertreten. Von diesem Stützpunkt gingen 550 Teilnehmern am 29. September 2015 in jedoch erneut keine bedeutsamen öffentlichen Großenhain statt. Aktivitäten aus. Die öffentlichen Aktivitäten der JN im Jahr 2015 im Landkreis Meißen hatten überre- gionalen Charakter bzw. waren in einen über- regionalen Kontext einzuordnen. Sie gingen nicht von lokalen Strukturen aus. So fand eine Vielzahl von JN-Aktivitäten in und um Dres- den im Zusammenhang mit der sogenannten „Aktionswoche“ anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Dresden am 13. Feb- ruar 1945 statt, darunter eine Mahnwache in Meißen.

Außerdem wurde am 9. und 10. Oktober 2015 die „Konferenz der europäischen Jugend“ in Riesa ausgerichtet. Dort traten mit Sebastian RICHTER, Dr. Tomislav SUNIC, Frank FRANZ, Udo VOIGT, Pierre DORNBRACH und Maik MÜLLER szene-prominente Redner und mit Piattmar, „Kraftschlag“, „Heiliges Reich“ sze- Großenhain, 29. September 2015 nebekannte Musiker/Musikgruppen auf. Jedoch Quelle: www.facebook.com/npd.sn fehlte auch hier eine nennenswerte organisa- (Stand: 2. Oktober 2015) torische Beteiligung lokaler Strukturen.

Seit den Kommunalwahlen 2008 war die NPD mit fünf Mandatsträgern im Kreistag des Land- kreises Meißen vertreten. Zur Kreistagswahl

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 157 vornehmlich durch Straftaten, insbesondere Propagandadelikte, auf. Wie im landesweiten Trend wurde zudem gewalttätig gegen Asyl- bewerber und deren Unterkünfte vorgegangen. So wurde z. B. am 12. Februar 2015 in Riesa ein tunesischer Asylbewerber von drei männ- lichen deutschen Personen angegriffen und mit einem Faustschlag ins Gesicht verletzt, so dass er eine Augenhöhlenbodenfraktur erlitt. Sonstige Aktivitäten waren insbesondere die Teilnahme an bürgerlichen asylkritischen oder rechtsextremistischen asylfeindlichen Veran- staltungen.

Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe

Im Landkreis bestehen Strukturen der rechtsext- remistischen Musikszene. Diese sind zwar quan- titativ unterdurchschnittlich ausgeprägt, jedoch Quelle: www.facebook.com/jugenddresden/ ist mit der rechtsextremistischen Band „Selbst- steller“ eine langjährig aktive und überregional Subkulturell geprägte rechtsextremistische bekannte Szene-Band in Riesa ansässig. Neben Szene mehreren Auftritten bei rechtsextremistischen Musikveranstaltungen, so etwa am 29. August Im Landkreis Meißen existierte im Jahr 2015 2015 in Torgau, Ortsteil Staupitz, erschien im eine subkulturell geprägte rechtsextremis- Berichtszeitraum bei dem Szene-Label „PC- tische Szene. Sie verfügte im Vergleich zu Records“ (Chemnitz) ein neuer Tonträger der anderen Landkreisen über ein eher unter- Band. Ferner beteiligte sie sich gemeinsam mit durchschnittliches Personenpotenzial und fiel der rechtsextremistischen Dresdner Band „Hope

Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 1635 1.710 2.234 67 83 201

Landkreis Meißen 82 54 108 0 2 4

158 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen for the Weak“ an einer bei „OPOS-Records“ rechtsextremistisches Konzert statt. An diesem (Dresden) erschienenen Split-CD. nahmen rund 200 Personen teil. Am 10. Oktober 2015 fand im Rahmen der sogenannten „Konferenz der europäi- Mit „Libergraphix“ in Gröditz und „Nation & schen Jugend“ auf dem Gelände der Deut- Wissen“ in Riesa waren im Jahr 2015 zwei wei- sche Stimme Verlagsgesellschaft mbH ein tere Verlage bzw. Vertriebe mit rechtsextremis- tischen Bezügen im Landkreis Meißen ansässig.

1.12.9 Landkreis Mittelsachsen

Im Landkreis Mittelsachsen gehörten der worden waren. Auch ehemalige Mitglieder der rechtsextremistischen Szene, wie im Vorjahr, verbotenen Gruppierung „Nationale Sozialisten 200 bis 250 Personen an. Im sachsenweiten Döbeln“ betätigten sich seit der Neugründung Vergleich liegt das entsprechende Personenpo- des Stützpunktes dort extremistisch. tenzial dort somit im mittleren Bereich. Im Übrigen pflegten Führungspersonen der neo- nationalsozialistischen Szene des Landkreises Neonationalsozialisten ihre starke, auch überregionale Vernetzung mit Verbindungen in die Regionen Leipzig, Dresden, Die neonationalsozialistische Szene in Mittel- Chemnitz, aber auch nach Brandenburg. sachsen befindet sich bereits seit dem Verbot der „Nationalen Sozialisten Döbeln” (NS- „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ Döbeln) im Frühjahr 2013 im Umbruch. Seit- (NPD) „Junge Nationaldemokraten“ (JN) dem sucht sie nach Möglichkeiten, ihren inne- ren Zusammenhalt zu erhalten und gleichzeitig Der NPD-Kreisverband Mittelsachsen entstand weiterhin öffentlich aufzutreten. Aus takti- im März 2008 durch die Fusion der ehemaligen schen Gründen trat die Szene bei öffentlichen Kreisverbände Döbeln, Mittweida und Freiberg. Aktivitäten jedoch nicht mehr unter konkreten Gruppenbezeichnungen auf. Es sollten mögli- Obwohl der Kreisverband hinsichtlich der che staatliche Maßnahmen erschwert werden. Mitgliederzahl im mittleren Bereich lag, war er im Vergleich zu anderen sächsischen NPD- Die im Landkreis ansässigen Neonationalsozia- Strukturen nur vereinzelt aktiv. Dies ging über- listen, u. a. aus den Regionen Döbeln, Burgstädt, wiegend auf den Döbelner NPD-Stadtrat und Freiberg, Lunzenau und Leisnig initiierten keine JN-Funktionär Stefan TRAUTMANN zurück. eigenen Aktionen. Die noch verbliebene Szene im Landkreis beteiligte sich im Jahr 2015 fast Neben den Aktivitäten der regionalen NPD- ausschließlich an Aktivitäten, die von dem im Struktur war auch der Landesverband im Februar 2013 neugegründeten Stützpunkt der Landkreis mit asylfeindlichen Demonstrationen Jungen Nationaldemokraten Mittelsachsen aktiv. Auch in dieser Region wird deutlich, wie (JN) – dieser hatte im Berichtsjahr ein hohes die NPD versucht, den extremistischen Cha- Aktionsniveau – initiiert oder unterstützt rakter eigener asylfeindlicher Veranstaltungen

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 159 gegenüber der Öffentlichkeit zu verschleiern. So organisierte der damalige stellvertretende Landesvorsitzende Jens BAUR für den 18. März 2015 in Frankenberg eine Kundgebung, hin- ter der – unverfänglich klingend – ein „loser Zusammenschluss von Bürgern aus Franken- berg und Umgebung“201 stehen sollte. Für die Veranstaltung mit 300 Teilnehmern wurde in der rechtsextremistischen Szene auch im Rahmen von Facebook-Gruppen mit der auf Quelle: www.facebook.com/Npdmittelsachsen den ersten Blick nicht der NPD zurechenbaren (Stand: 9. November 2015) Bezeichnung „Frankenberg gegen Asylmiss- brauch“ mobilisiert. Unter den Rednern befan- NPD- und JN-Mitglieder beteiligten sich den sich NPD- und JN-Funktionäre. zusammen mit Mitgliedern der Partei III. Weg an einer öffentlichen asylkritischen Versamm- lung am 31. Oktober 2015 in Mittweida. Als bekannt geworden war, dass die ursprünglich im Anschluss geplante Demonstration nicht mehr stattfinden sollte, meldete die NPD spon- tan eine Demonstration an und führte sie mit 130 Teilnehmern durch. In einer Internetmel- dung hieß es dazu:

„Da nun das komplette Demonstrationsgesche- Quelle: www.facebook.com/mittelsachsenjn hen dadurch drohte zum erliegen zu kommen, (Stand: 19. März 2015) fassten Vertreter des III. Weg, welche ebenfalls vor Ort waren, genauso wie Vertreter der NPD Am 6. November 2015 organisierte der Lan- und JN, gemeinsam den Entschluß, eine Spon- desverband in Freiberg einen Aufzug unter tanversammlung anzumelden, um unseren dem Motto „Freiberg wehrt sich – Schluss mit Volksgenossen aus Mittweida ihren Spazier- Asylmissbrauch und Politikversagen“. Rund gang doch noch zu ermöglichen. (…) 100 Personen folgten dem Aufruf. Wir haben an diesem Tag auf jeden Fall einmal mehr bewiesen, daß wenn uns die Verantwor- tung ruft, wir Seite an Seite unseres deutschen Volkes stehen und wir dieses nicht im Stich las- sen werden, was wir tagtäglich nicht nur durch Worte, sondern eben durch Taten unter Beweis stellen.“ 202

201 Versammlungsanmeldung vom 13. Mai 2015 202201 www.facebook.com/npd.sachsen Versammlungsanmeldung vom 13. Mai 2015 (Stand: 4. November 2015), 202Schreibweise wie im Originalwww.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 4. November 2015), Schreibweise wie im Original

160 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Unmittelbar nach dem Verbot der NS-Döbeln im Februar 2013 wurde der JN-„Stützpunkt“ Mit- telsachsen gegründet. Er setzte sich aus ein- zelnen ehemaligen Mitgliedern der NS-Döbeln zusammen. Diese brachten ihre neonationalso- zialistische Ideologie in die Argumentation und Agitation des neuen JN-Stützpunktes ein.203 Einzelne ehemalige Mitglieder der NS-Döbeln engagierten sich bei den JN, um dort unter dem Mantel des besonderen gesetzlichen Schutzes Quelle: www.facebook.com/mittelsachsenjn von Parteien (sogenanntes Parteienprivileg204) (Stand: 31. Mai 2015) vor künftigen Verbotsverfügungen und deren Konsequenzen geschützt zu sein. Damit gelang In ihrem Facebook-Profil äußerten die Mitglie- es den JN in der Region, Mitglieder einer ver- der folgende Vorstellung: botenen neonationalsozialistischen Struktur bei sich zu integrieren. „Wir fordern eine Volksgemeinschaft, eine Gruppe von Menschen, die an ein gemeinsames Stützpunktleiter ist seit der Gründung Stefan Schicksal gebunden sind, die gemeinsame Her- TRAUTMANN, der aus der verbotenen Grup- kunft, Kultur und Ziele verfolgen, eine Gemein- pierung NS-Döbeln stammt. TRAUTMANN schaft, in der jeder Volksgenosse mit seinen ist seit Dezember 2013 stellvertretender JN- persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen sich Landesvorsitzender. Das „Referat Bildung“ selbst zur Erhaltung und zur Erhaltung eines innerhalb des Landesverbandes wurde im März großen ganzen dient: Dem Volk!“ 205 2015 von Jan HÄNTZSCHEL übernommen. HÄNTZSCHEL – auch bekannt als Liedermacher Im Februar 2015 beteiligten sich die JN Mit- Piattmar – stammt aus dem engen Umfeld telsachsen an der sogenannten sachsenweiten des Stefan TRAUTMANN. Dem JN-Stützpunkt „Aktionswoche“ anlässlich der Bombardierung Mittelsachsen wurden im Berichtsjahr, wie im der Stadt Dresden am 13. Februar 1945. Sie Jahr 2014, etwa 20 Mitglieder zugerechnet. mobilisierten im Vorfeld mit einer Vielzahl von Aktivitäten rund um Döbeln und nahmen am 15. Februar 2015 an der rechtsextremistischen Demonstration in Dresden teil.206

Mitglieder des Stützpunktes Mittelsachsen nah- men u. a. an vom Landes- bzw. vom Bundesver- band organisierten Aktivitäten, wie am JN-Funkti- onärstreffen im April in Eisenach (Thüringen), am „JN-Aktionslager“ gegen den G7-Gipfel in Dresden

203 Zur Ideologie: siehe auch Beitrag zu den „Jungen Nationaldemokraten (JN)“ 204 Das Verbot einer Partei unterliegt hohen rechtlichen Hürden. 205 www.facebook.com/mittelsachsenjn (Stand: 14. Dezember 2015), Schreibweise wie im Original 203 Zur Ideologie: siehe auch Beitrag zu den „Jungen Nationaldemokraten (JN)“ 205 www.facebook.com/mittelsachsenjn (Stand: 14. Dezember 2015), Schreibweise wie im Original 206 204 Weiteres dazu im BeitragDas Verbot einer Partei unterliegt „Regionale hohen rechtlichen Hürden. Beschreibungen rechtsextremistischer206 Bestrebungen –Weiteres dazu im Beitrag „Regionale BeschreibungenDresden rechtsextremistischer Bestrebungen – Dresden(Stadt)“ (Stadt)“

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 161 im Mai und auch am sogenannten „7. Tag der Am 18. Oktober 2015 wurden durch die Teil- Deutschen Zukunft“ im Juni in Neuruppin, teil.207 nehmer Transparente mit den Parolen „Nein zum Heim in Leisnig“, „JUNG-FRECH-RADIKAL ANTIKAPITALISTISCHER WIDERSTAND“, „Es ist Zeit zum Rebellieren“ mitgeführt.208

Quelle: www.facebook.com/mittelsachenjn (Stand: 9. Dezember 2015)

Auf der Homepage stellten die JN Mittelsach- sen diesen Aufruf ein: Quelle: www.facebook.com JN-Mittelsachsen „Schöne Zukunft? Nicht in diesem System (Stand: 9. September 2015) Werde aktiv! Kämpfe für ein freies und gerech- tes Deutschland.“ Neben diesen Veranstaltungen fand im Berichtsjahr eine Vielzahl von Flyer-Verteilak- Mit diesem demokratiefeindlichen Ziel eines zu tionen in der Region Döbeln statt, mit denen erkämpfenden Systemwechsels trat der Stütz- weitere junge Menschen für ihre Ideologie und punkt bei einer Vielzahl von öffentlichen Akti- auch zukünftige rechtsextremistische Aktio- onen 2015 in Erscheinung. nen gewonnen werden sollten.

Asylfeindliche Veranstaltungen organisierten der NPD-Kreisverband Mittelsachsen und die JN Mittelsachsen unter dem Motto „Gesetze anwenden – Asylschmarotzer abschieben!“. So fanden am 27. September 2015 eine Kundgebung mit ca. 40 Teilnehmern, am 18. Oktober und am 27. Dezember 2015 Demonstrationen mit ca. 350 bzw. mit ca. 250 Teilnehmern in Döbeln statt. Als Organisatoren bzw. Redner traten Stefan SCHUBINSKI, Stefan TRAUTMANN, Jan HÄNTZ- SCHEL als Funktionäre des JN-Landesverban- des sowie Arne SCHIMMER und Jürgen GANSEL Quelle: www.facebook.com JN-Mittelsachsen als Funktionäre des NPD-Landesverbandes auf. (Stand: 20. Juli 2015)

207 Weiteres dazu im Beitrag „Junge Nationaldemokraten” 208207 www.facebook.com/Npdmittelsachsen Weiteres dazu im Beitrag „Junge Nationaldemokraten” (Stand: 20. Oktober 2015)208 www.facebook.com/Npdmittelsachsen (Stand: 20. Oktober 2015)

162 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Partei „Der Dritte Weg“ (III. Weg) nahmen am 5. Oktober 2015 im Rahmen einer Bürgerversammlung in Oederan zum Thema Am 5. Dezember 2015 wurde der sogenannte „Asylunterkünfte“ ca. 10 Parteimitglieder „Stützpunkt“ Mittelsachsen/Erzgebirge der teil und verteilten vor dem Versammlungsort Partei „Der Dritte Weg“ in Chemnitz gegrün- fremdenfeindliche Flugblätter. det. An der Veranstaltung sollen 30 Mitglieder und Interessenten teilgenommen haben. Neuer Für den 15. Oktober 2015 meldete Tony Stützpunktleiter ist Maik ARNOLD, ein ehe- GENTSCH eine Kundgebung unter dem Motto maliges Mitglied der verbotenen Gruppierung „Asylflut stoppen“ in Oederan an, an der ca. „Nationale Sozialisten Chemnitz” (NSC)209. 250 Personen teilnahmen. Dabei wurde ange- kündigt, dass fortan eine monatliche Veran- staltung in Oederan durchgeführt werden solle. An einer weiteren Veranstaltung am 17. November in Oederan nahmen erneut ca. 250 Personen teil. Als Redner traten Führungs- personen der Partei auf, so Tony GENTSCH und Matthias FISCHER (aus Brandenburg).

Subkulturell geprägte Rechtsextremisten Stützpunktleiter Maik ARNOLD (links) mit Tony GENTSCH Im Landkreis Mittelsachsen gab es im Berichts- Quelle: www.der-dritte-weg.info jahr eine subkulturell geprägte rechtsextremisti- (Stand: 17. Dezember 2015) sche Szene, deren Mitglieder an rechtextremisti- schen Konzerten teilnahmen, insbesondere aber Vor der Gründungsveranstaltung dieses Stütz- durch rechtsextremistisch motivierte Straf- und punktes fanden bereits öffentliche Aktivitäten Gewalttaten gegen Asylbewerber und deren der Partei im Landkreis Mittelsachsen statt. So Unterkünfte auffielen. Ziel der Angriffe waren

Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2013 2015

Freistaat Sachsen 1.635 1.710 2.234 67 83 201

Landkreis 133 156 177 1 5 24 Mittelsachsen

209 Die Gruppierung wurdeDie Gruppierung am wurde am 28. März28. März 2014 verboten. 2014 verboten.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 163 aber auch Menschen, die sich für Asylbewerber Musikszene. Auch stammt ein Mitglied der über- engagieren. So griffen z. B. etwa zehn Teilneh- regionalen Band „Killuminati“ aus der Region. mer einer NPD-Kundgebung am 13. Februar Die Musikgruppen traten im Berichtszeitraum 2015 in Döbeln eine Gruppe von Gegendemons- bei Veranstaltungen der rechtsextremistischen tranten an und verletzten eine Frau mit einer Szene auf. Die Band „Heiliges Reich“ veröf- Eisenstange am Arm. Außerdem nahmen die fentlichte außerdem eine CD namens „Honor Angehörigen dieser Szene oft an bürgerlichen Imperii“, die bei dem rechtsextremistischen asylkritischen oder rechtsextremistischen asyl- Vertrieb „OPOS-Records“ (Dresden), einem der feindlichen Veranstaltungen teil. wichtigsten Produzenten rechtsextremisti- scher Musik, erschien. Rechtsextremistische Musikszene/ Der in Döbeln wohnhafte JN-Landesfunktionär rechtsextremistische Vertriebe Jan HÄNTZSCHEL trat auch im Berichtsjahr unter dem Namen Piattmar bei rechtsextre- Im Berichtszeitraum fanden keine rechts- mistischen Veranstaltungen auf. So wurde u. a. extremistischen Musikveranstaltungen im ein Auftritt beim „Europakongress“ der Jungen Landkreis Mittelsachsen statt. Mit den beiden Nationaldemokraten (JN) am 10. Oktober 2015 Bands „Sachsenblut“ (Freiberg) und „Heiliges in Riesa bekannt. Reich“ (Raum Chemnitz/Flöha) existieren hier Seit Jahren existieren im Landkreis keine rechts- jedoch Strukturen der rechtsextremistischen extremistischen Vertriebsstrukturen mehr.

1.12.10 Landkreis Nordsachsen

Im Landkreis Nordsachsen wurden der rechts- Nationaldemokraten (JN, Jugendorganisation extremistischen Szene wie im Vorjahr zwischen der NPD), an, um den Schutz des Parteienpri- 150 und 200 Personen zugerechnet. Im sach- vilegs210 für sich auszunutzen. Zum anderen senweiten Vergleich lag das rechtsextremisti- profitierte die subkulturell geprägte rechtsext- sche Personenpotential dort somit im mittle- remistische Szene von der Auflösung neonati- ren Bereich. onalsozialistischer Strukturen.

Neonationalsozialisten Die neonationalsozialistische Szene im Raum Eilenburg weist personelle Überschneidungen Die neonationalsozialistische Szene im Land- zum örtlichen „Stützpunkt“ der Jungen Natio- kreis Nordsachsen befand sich im Jahr 2015 naldemokraten Nordsachsen auf. So beteiligten im Umbruch. Die Neonationalsozialisten sich Szeneangehörige gemeinsam mit den JN begannen, in der Öffentlichkeit auf das Füh- Leipzig an einer Mahnwache in Leipzig im Rah- ren von Gruppenbezeichnungen zu verzichten. men der „Aktionswoche“ anlässlich des Jahres- Aus taktischen Gründen schlossen sie sich tages der Bombardierung der Stadt Dresden im zum einen Parteistrukturen, wie den Jungen Zweiten Weltkrieg am 13. Februar 1945.

210 Das Verbot von Parteien unterliegt hohen rechtlichen Hürden.210 Das Verbot von Parteien unterliegt hohen rechtlichen Hürden.

164 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen wurden organisiert. Wesentlich mehr Aktivitä- ten gingen in dieser Region von den JN aus. Die einzige größere Veranstaltung der NPD war eine Demonstration am 12. Oktober 2015 in Oschatz mit ca. 400 Teilnehmern. Unter dem Motto „‘Oschatz zeigt Gesicht‘ – 1. Kundge- bung für eine angemessene Asylpolitik“ mel- dete der kommissarische Landesvorsitzende Jens BAUR die Veranstaltung an.

Quelle: de-de.facebook.com/jungenationalistenleip- Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen zig (Stand: 9. März 2015) (Stand: 14. Oktober 2015)

„Nationaldemokratische Partei Im Landkreis Nordsachsen besteht seit Juni Deutschlands“ (NPD) und „Junge 2011 der JN-„Stützpunkt“ Nordsachsen. Akteur Nationaldemokraten“ (JN) dieses Stützpunktes ist der Landesvorsitzende der JN Sachsen, Paul RZEHACZEK. Im Landkreis Nordsachsen existierte im Berichtsjahr ein kleiner, wenig aktiver NPD- Das Thema Anti-Asyl stand auch bei den JN Kreisverband. Mitte Februar 2015 wählten des- Nordsachsen im Mittelpunkt der Aktivitäten. sen Mitglieder den Gemeinde- und Kreisrat Jens Sie unterstützten die sogenannten „Spazier- GATTER aus Liebschützberg zum Vorsitzenden. gänge“ in Eilenburg. Im Berichtsjahr fanden Man wolle – so hieß es in einer Veröffentli- vier solcher „Spaziergänge für eine angemes- chung – im Frühjahr „wieder mit Info-Ständen, sene Asylpolitik“ statt. Sie wurden von Paul Flugblatt-Aktionen, origineller Facebook-Arbeit RZEHACZEK organisiert. Dieser führte auch und planvoller Mitgliederwerbung an die Öffent- in Delitzsch am 13. Dezember 2015 eine Ver- lichkeit treten und die NPD als einzige wirkliche anstaltung unter dem Motto „Asylmissbrauch Oppositionskraft in Nordsachsen profilieren.“ 211 stoppen“ durch, bei welcher auch Rechtsextre- misten als Redner in Erscheinung traten. Davon war allerdings im Jahr 2015 wenig zu Das Thema Anti-Asyl war auch Schwerpunkt spüren. Nur vereinzelte Informationsstände des von den JN Nordsachsen durchgeführten

211 www.npd-sachsen.de (Stand: 3. März 2015) 211 www.npd-sachsen.de (Stand: 3. März 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 165 Straßentheaters am 18. September 2015 in wollen starke Beine haben. Unter diesem Leit- Eilenburg. So liefen Mitglieder der JN Nord- spruch begingen die JN Brandenburg (…) ihren sachsen „Mit Burkas, Schildern und Flugblät- diesjährigen Lausitzmarsch.“ 214 tern ausgestattet“ durch die Straßen von Eilenburg. Man wolle nicht zulassen, „(…) dass sich in Deutschland und Europa fremdkulturelle Parallelwelten bilden. (…) WIR oder Scharia! (…) Wehrt euch (…)“ 212

Quelle: www.facebook.com JN Nordsachsen (Stand: 20. Februar 2015)

Im Februar 2015 initiierten die JN Nordsachsen verschiedene Aktionen im Zusammenhang mit der „Aktionswoche“ anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Dresden im Zwei- ten Weltkrieg am 13. Februar 1945. So wurden u. a. eine Plakatierungsaktion in Eilenburg sowie eine Mahnwache in Taucha durchgeführt.

Quelle: www.facebook.com JN Nordsachsen (Stand: 21. September 2015)

Anfang des Jahres 2015 beteiligten sich Mit- glieder der JN Nordsachsen an einem von den JN Brandenburg organisierten sogenannten „Lausitzmarsch“. So kommentierten die JN Quelle: www.facebook.com JN Nordsachsen Nordsachsen diese Aktion als „ca. 40 Kilome- (Stand: 16. Februar 2015) ter Kameradschaft, Gedankenaustausch und Natur“.213 Weiter hieß es „Auf einfache Wege Auch an anderen überregionalen Ereignis- schickt man nur die Schwachen, gute Tage sen beteiligten sich die JN Nordsachsen und

212 Facebook-Seite JN Nordsachsen (Stand: 21. September 2015) 213 212Facebook-Seite JN NordsachsenFacebook-Seite JN Nordsachsen (Stand: 21. September 2015) (Stand: 12. Januar 2015) 214213 Facebook-Seite JN NordsachsenFacebook-Seite JN Nordsachsen (Stand: 12. Januar 2015) (Stand: 20. Januar 2015) 214 Facebook-Seite JN Nordsachsen (Stand: 20. Januar 2015)

166 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen unterstützten diese. So nahmen sie mit einem Erscheinung. So verübten unbekannte Täter eigenen Transparent an der Demonstration am z. B. am 27. September 2015 einen Brandan- 17. Juni 2015 in Dresden teil. Auch beteiligten schlag auf ein von Asylbewerbern bewohn- sie sich an einer Demonstration von Rechtsex- tes Mehrfamilienhaus in Mügeln. Personen tremisten am 17. November 2015 in Prag. kamen dabei nicht zu schaden. Außerdem traten Angehörige der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene wiederholt als Teilnehmer von bürgerlichen asylkritischen oder rechtsextremistischen asylfeindlichen Veranstaltungen auf.

Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe

Der Landkreis Nordsachsen ist bereits seit einigen Jahren die Schwerpunktregion rechts- Quelle: www.facebook.com Facebook NPD Sachsen extremistischer Musikveranstaltungen im (Stand: 18. Juni 2015) Freistaat Sachsen. Hier verfügte die rechtsex- tremistische Szene stets über entsprechende Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene-Objekte, die zur Durchführung von Kon- Szene zerten geeignet waren. So stand in den Jah- ren 2005 bis 2008 der sogenannte „Klub der Im Landkreis Nordsachsen besteht eine sub- Schildauer Jungs“ für Konzertveranstaltungen kulturell geprägte rechtsextremistische Szene. zur Verfügung. Danach entwickelte sich der Angehörige dieser Szene beteiligten sich u. a. vormalige Gasthof Staupitz in Torgau, Ortsteil an rechtsextremistischen Konzerten und tra- Staupitz zum bedeutendsten Konzertobjekt in ten neben Propagandadelikten insbesondere Sachsen. durch Straf- und Gewalttaten gegen Asylbe- werber und deren Aufnahmeeinrichtungen in

Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 1.672 1.710 2.234 74 83 201

Landkreis Nord- 88 103 118 6 4 5 sachsen

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 167 Die Konzerte im ehemaligen Gasthof Staupitz wurden von langjährigen Protagonisten der rechtsextremistischen Musikszene organisiert. Die auftretenden Bands sind zumeist szene- bekannt. Die regelmäßige Organisation der Veranstaltungen, einhergehend mit einer fort- bestehenden Nachfrage an Konzerten, hatte konstant hohe Teilnehmerzahlen zur Folge. Die zehn Konzerte des Jahres 2015 in Staupitz wie- sen durchschnittlich über 230 Besucher auf. Quelle: LfV Sachsen

Auf diesen konzentrierte sich auch 2015 wieder das rechtsextremistische Konzertgeschehen im Freistaat. Wie in den Vorjahren fanden in dem ehemaligen Gasthof zehn rechtsextremistische Konzerte statt. Aufgrund von behördlichen Beschränkungen darf diese Zahl nicht über- schritten werden. Quelle: racskins.wordpress.com (Stand: 17. Dezember 2015) Angesichts der 15 im Berichtszeitraum insge- samt in Sachsen durchgeführten Konzertver- Der Landkreis Nordsachsen stellte im Berichts- anstaltungen wird die Bedeutung dieses Lokals jahr hinsichtlich rechtsextremistischer Musik- für die subkulturell geprägte rechtsextremis- veranstaltungen zwar den sachsenweiten tische Szene deutlich. Mit bislang insgesamt Schwerpunkt dar, dennoch existierten hier 56 rechtsextremistischen Konzerten seit 2008 keine Strukturen der rechtsextremistischen ist das Anwesen das von Rechtsextremisten Musikszene. Im Berichtszeitraum gab es dort meistgenutzte Konzertobjekt im Freistaat keine aktiven rechtsextremistischen Bands Sachsen. oder Liedermacher.

1.12.11 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge

Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Neonationalsozialisten Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gehörten, wie im Vorjahr, zwischen 200 und 250 Perso- Die Akteure der neonationalsozialistischen nen an. Das rechtsextremistische Personen- Szene im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterz- potenzial liegt im sachsenweiten Vergleich im gebirge bezeichneten sich u. a. selbst als „Freie mittleren Bereich. Kräfte“ Sächsische Schweiz Osterzgebirge, Widerstand Freital oder Widerstand Heidenau. Sie instrumentalisierten die „Asyldiskussion“,

168 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen um ihre extremistische Ideologie zu verbreiten. Simon RICHTER über die „Schattendiktatur der Sie nahmen auch an zahlreichen Anti-Asyl- Reichen und Mächtigen“. Veranstaltungen der NPD teil. Nach Bekanntwerden der Nutzung eines ehe- Neonationalsozialisten aus dem Landkreis maligen Hotels in Freital als Erstaufnahmeein- beteiligten sich am 7. November 2015 aber richtung für Asylbewerber kam es Ende Juni auch an einer Demonstration der rechtsextre- 2015 in Freital zu massiven Anti-Asyl-Protes- mistischen Partei „DIE RECHTE“. ten, an denen sich auch „Freie Kräfte“ aus der Region beteiligten. Von Seiten der Demonstrationsteilnehmer kam es mehrfach zu Straftaten, zu Provokationen des politischen Gegners und zu asylfeindli- chen Äußerungen. Hierzu trug auch die Band „A3stus“ mit ihrem rechtsextremistischen Liedgut bei.

Darüber hinaus machten die „Freien Kräfte” Mitgeführtes Transparent bei der Demonstration am im Landkreis mit verschiedenen Plakat- und 7. November 2015 Sprühaktionen auf sich aufmerksam. Zu einer Quelle: www.facebook.com/pages/Die-Rechte- Aktion im September 2015 in Freital hieß es: Kreisverband-Ostsachsen (Stand: 13. November 2015)

Die „Freien Kräfte” der Region nutzten die Möglichkeit, sich auf Veranstaltungen und der Facebook-Seite des ehemaligen Ablegers der GIDA-Bewegung in Dippoldiswalde (Bürgerbe- wegung Kreis Dippoldiswalde Pegida, nunmehr nur noch Bürgerbewegung Dippoldiswalde), Quelle: www.facebook.com/widerstand-freital darzustellen und ihre Ansichten zu verbreiten. (Stand: 7. September 2015) Bei einer Veranstaltung der Bürgerbewegung, die im Berichtsjahr kein Beobachtungsobjekt „Wir freuen uns sehr, dass wir Leute dazu des Landesamtes für Verfassungsschutz war, bewegt haben, sich dem Widerstand anzu- trat am 18. Juni 2015 die berlin-brandenburgi- schließen. (…) Wir alle gemeinsam zeigen, dass sche rechtsextremistische Band „A3stus“ auf. der Kampf gegen Antideutsche und Parasiten Hauptakteur dieser Band ist der Berliner Neo- immer weitergeführt wird.“ 215 nationalsozialist Patrick KILLAT. Zudem sprach bei der Veranstaltung auch der Neonationalso- Infolge der Ereignisse verbündeten sich in zialist und ehemalige Radeberger NPD-Stadtrat Freital Neonationalsozialisten als sogenannte „Vertreter der 3 patriotischen Bewegungen

215 www.facebook.com/widerstand-freital (Stand: 7. September 2015)215 www.facebook.com/widerstand-freital (Stand: 7. September 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 169 Freitals. Bürgerwehr, Frigida und Widerstand und Sebnitz/Neustadt. Im April wurde die Orts- Freital“ unter dem Motto „Gemeinsam für Frei- gruppe Heidenau gegründet. tal, gemeinsam für Deutschland!“, um einander zu unterstützen.216 Die NPD verfügt in Pirna über das sogenannte „Haus Montag“. Im Berichtsjahr nutzte sie es regelmäßig für Mitgliederversammlungen und Vorträge. Das Haus war hierdurch die zent- rale Anlaufstelle der im Landkreis ansässigen Rechtsextremisten.

Quelle: www.facebook.com/widerstand-freital (Stand: 7. September 2015)

An diesem Beispiel wird deutlich, wie gemein- same Anti-Asyl-Aktionen von Rechtsextremis- Quelle: LfV Sachsen ten zu neuen strukturellen Vernetzungen in der Szene führen können. Die NPD agitierte im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge im Berichtsjahr inten- Gegen mehrere Tatverdächtige, darunter auch siv gegen den Zuzug von Asylbewerbern. Der mutmaßliche Mitglieder der sogenannten „Bür- Kreisverband ist in dieser Hinsicht die aktivste gerwehr Freital“ erfolgten am 5. November NPD-Struktur im Freistaat Sachsen. Von den 2015 Exekutivmaßnahmen der Polizei. Sie wer- rund 90 Demonstrationen bzw. Kundgebungen den verdächtigt, am 1. November 2015 an einer der Partei 2015 in Sachsen fand ca. die Hälfte dezentralen Asylunterkunft in Freital mit nicht im Landkreis Sächsische Schweiz statt. zugelassenen pyrotechnischen Erzeugnissen eine Sprengstoffexplosion herbeigeführt zu haben. Die Partei selbst organisierte asylfeindliche Protestveranstaltungen, auf denen Partei- „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ funktionäre offen als Teilnehmer, Redner oder (NPD) und „Junge Nationaldemokraten“ (JN) Organisator in Erscheinung traten. Beispielsweise organisierte der Vorsitzende Der NPD-Kreisverband Sächsische Schweiz- des NPD-Kreisverbandes Sächsische Schweiz- Osterzgebirge gehört zu den größten und Osterzgebirge, Thomas SATTELBERG, am aktivsten NPD-Strukturen in Sachsen. Seine 8. Januar 2015 in Bad Schandau einen „Spa- Mitglieder sind in mehreren Untergliederungen ziergang gegen die Ignoranz der Herrschen- organisiert. Bekannt sind die Ortsgruppen Frei- den“, an dem sich etwa 180 Personen, darunter tal, Dippoldiswalde, Reinhardtsdorf-Schöna zahlreiche Rechtsextremisten, beteiligten.

216 www.facebook.com/widerstand-freital www.facebook.com/widerstand-freital (Stand: 7. September 2015) (Stand: 7. September 2015)

170 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Ähnlichen Zulauf verzeichnete die NPD- Seite wurden fortwährend fremdenfeindli- Demonstration am 15. Juli 2015 in Glashütte. che Inhalte verbreitet. Auch wurde gezielt zu An der Veranstaltung unter dem Motto Aktionen gegen bekannt gewordene Asylun- „Gesetze anwenden, Asylbetrüger abschieben“ terkünfte mobilisiert. Dabei meldeten NPD- beteiligten sich ca. 190 Personen, darunter Aktive Veranstaltungen als Privatpersonen an war auch der ehemalige NPD-Landtagsabge- und traten dann unter der Initiative „Nein zum ordnete Arne SCHIMMER. Als Redner traten Heim Sächsische Schweiz und Osterzgebirge“ Thomas SATTELBERG und der kommissarische in Erscheinung. NPD-Landesvorsitzende Jens BAUR auf. Eine Schlüsselfigur war der Heidenauer Rico RENTZSCH, welcher seit der Kommunalwahl 2014 für die NPD im Stadtrat von Heidenau saß. Er war Initiator und Anmelder von Demonstra- tionen in Heidenau, Neustadt und Schmiede- berg. Außerdem war er mitverantwortlich für die Facebook-Seite „Heidenau-Hört zu“, auf welcher für die asylfeindlichen Aktivitäten der NPD in Heidenau mobilisiert wurde. RENTZSCH Quelle: Facebook-Seite „Nein zum Heim –Sächsische zählte darüber hinaus zu den maßgeblichen Schweiz und Osterzgebirge“ (Stand: 16. Juli 2015) Vertretern der Facebook-Initiative „Nein zum Heim Sächsische Schweiz und Osterzgebirge“. Im Raum Sebnitz/Neustadt agierte die NPD Allerdings gab RENTZSCH im November 2015 subtiler. Dort arbeiteten regionale Mitglieder überraschend seinen Parteiaustritt bekannt der Ortsgruppe, wie der Sebnitzer NPD-Stadt- und distanzierte sich von „Heidenau-Hört zu“. rat Hartmut GLIEMANN, zusammen mit der Damit verlor die Partei Ende des Jahres eine sogenannten Bürgerinitiative „Demokratischer treibende Kraft für ihre fremdenfeindlichen Aufbruch Sächsische Schweiz“ (DASS). Sie nah- Aktivitäten in dieser Region. men an Veranstaltungen dieser Initiative teil, Den Höhepunkt der von der NPD vorangetrie- stellten Redner oder meldeten die Veranstal- benen Anti-Asylaktivitäten in der Region bilde- tungen auch selber an. Ein offen erkennbarer ten die Ereignisse in Heidenau im August 2015, Parteibezug wurde dabei vermieden. welche für bundesweite Schlagzeilen sorgten. Wie sich schon im Zusammenhang mit der Ein ähnlich starkes Engagement der NPD bei Kundgebung der NPD in Dresden vom 24. Juli den o. a. Protesten gegen eine Asylbewerbe- 2015 andeutete (siehe Beitrag zu Dresden runterkunft in Freital konnte im Berichtsjahr (Stadt)) zogen die asylfeindlichen Veranstal- nicht festgestellt werden. Dort unterstützte tungen der Partei auch gewaltbereites Protest- das Freitaler NPD-Stadtratsmitglied Dirk potenzial an. Dies zeigte sich in Heidenau noch ABRAHAM die Organisatoren. deutlicher:

Darüber hinaus agierte die NPD versteckt Als im August 2015 bekannt wurde, dass in hinter der sogenannten Facebook-Initiative Heidenau ein ehemaliger Baumarkt als Unter- „Nein zum Heim Sächsische Schweiz und kunft für Asylbewerber eingerichtet werden Osterzgebirge“ gegen Asylbewerber. Auf der sollte, griffen die Protagonisten der NPD das

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 171 Thema auf der Facebook-Seite „Heidenau-Hört Asylgegnern und der Polizei zu gewaltsamen zu“ sofort auf und mobilisierten zu Protes- Auseinandersetzungen, bei denen seitens der ten gegen diese Unterkunft. Rico RENTZSCH Störer Steine, Flaschen und pyrotechnische meldete für den 19. und 20. August je eine Erzeugnisse eingesetzt wurden. Erklärtes Ziel Kundgebung unter dem Motto „Nein zur dieser gewaltbereiten Kräfte war es offenbar, Erstaufnahme“ an. An der Veranstaltung am mit allen Mitteln die Anreise der Asylbewerber 19. August 2015 versammelten sich 350 Per- zu verhindern. sonen. Am darauf folgenden Tag folgten schon 600 Teilnehmer dem Ruf der Organisatoren. Nach Aufrufen in sozialen Netzwerken setzten sich jedoch am Abend des 22. August 2015 die Nachdem die Akteure der regionalen NPD mit gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen zwei Kundgebungen immer mehr Personen zu gewalttätigen Rechtsextremisten und der Poli- Protesten gegen die Asylbewerberunterkunft zei fort. Diese attackierten die Polizei mit Fla- mobilisiert hatten, fand am 21. August 2015 schen, Steinen und Feuerwerkskörpern. eine Demonstration in Heidenau statt, an der sich rund 1.100 Personen beteiligten. Die NPD hatte es eilig, nach diesen gewaltsa- men Auseinandersetzungen ihre Unschuld zu beteuern. In einer Erklärung des Landesvorsit- zenden Jens BAUR wurde darauf hingewiesen, dass diese Ereignisse nichts mit der Demonst- ration zu tun gehabt hätten.

„Die NPD lehnt jedwede Form von Gewaltan- wendung in der politischen Auseinanderset- zung ab. (…) Es ist ganz offensichtlich, daß hier mit doppelten Standards gemessen wird. Quelle: picture alliance/dpa/M. Förster Die NPD wird sich auch weiterhin ihr Recht auf die Durchführung von Kundgebungen und Dieser Aufzug bildete den Ausgangspunkt für Demonstrationen nicht nehmen lassen.“217 gewaltsame Ausschreitungen in Heidenau am Veranstaltungstag und den darauf folgenden Auch auf der Facebook-Seite „Heidenau-Hört Tagen. zu“ distanzierten sich die Akteure – auch im Innerhalb des Aufzugs wurden durch bisher Namen des NPD-Landesverbandes Sachsen – nicht bekannte Personen Zettel mit der Infor- von dem Potenzial, welches sie selbst über mation verteilt, sich eine halbe Stunde nach mehrere Tage indirekt mobilisiert hatten. Versammlungsende in Kleingruppen in Rich- tung Erstaufnahmeeinrichtung zu begeben, um eine Blockade durchzuführen. Nach der Auflö- sung dieser Sitzblockade mit ca. 30 Personen kam es zwischen etwa 150 gewaltbereiten

217 www.npd-sachsen.de (Stand: 24. August 2015), Schreibweise 217wie im Original) www.npd-sachsen.de (Stand: 24. August 2015), Schreibweise wie im Original)

172 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Quelle: www.facebook.com/Heidenau-hört-zu (Stand: 22. August 2015)

Anders als die NPD glorifizierten die JN die Gewalt hingegen als „erfolgreichen Wider- stand“. Die JN Sachsen nahmen auf ihrem Quelle: www.facebook.com/Heidenau-hört-zu Facebook-Profil Bezug auf die Ausschreitungen (Stand: 9. Dezember 2015) in Heidenau und wurden dabei noch deutlicher, indem sie Heidenau als Vorbild darstellten. Auch auf der Facebook-Seite „Heidenau-Hört zu“ wurden Bilder dieser Aktion mit dem Hin- Die JN verfügen im Landkreis Sächsische weis eingestellt, dass „einige Aktivisten im Schweiz-Osterzgebirge über einen „Stützpunkt“, Raum Pirna unterwegs [waren] und ein deut- der sich im Herbst 2015 neu konstituierte. liches Zeichen gesetzt“ hätten.220 Am 19. November 2015 fand in Pirna eine Demonstration unter dem Motto „Nein zur Subkulturell geprägte rechtsextremistische Unterbringung von Flüchtlingen im BSZ218 Szene Pirna“ statt, an der sich auch JN-Mitglieder beteiligten. Im Anschluss an die Veranstaltung Der subkulturellen rechtsextremistischen Szene kam es im unmittelbaren Umfeld des BSZ durch werden Personen zugerechnet, die sich ins- Versammlungsteilnehmer zu Störungen. Sie besondere an den oben genannten Anti-Asyl- zündeten Knallkörper und skandierten Parolen Aktivitäten beteiligten. wie „Jung, Sozial und National“ und „Nationa- ler Widerstand“. Vornehmlich fällt diese Szene durch die Bege- hung politisch motivierter Straf- und Gewalt- Am 6. Dezember 2015 kam es in Pirna, Strup- taten, insbesondere gegen Asylbewerber und pen und Königstein zu einer weiteren Anti- deren Unterkünfte, auf. Ziel der Angriffe waren Asyl-Aktion. Auf der Facebook-Seite der JN aber auch Menschen, die sich für Asylbewerber Sachsen hieß es dazu: engagieren oder hierüber berichten. So atta- „Wir haben die Lügengeschichten über die trau- ckierte z. B. am 21. August 2015 in Heidenau matisierten Facharbeiter satt!“ 219 eine Frau aus einer Gruppe von Asylgegnern heraus einen Pressefotografen und warf eine Wasserflasche nach diesem, ohne ihn jedoch zu treffen.

218 Berufsschulzentrum

219 Berufsschulzentrum 218www.facebook.com/JN-Sachsen (Stand: 8. Dezember 2015)

219 www.facebook.com/JN-Sachsen (Stand: 8. Dezember 2015) 220 www.facebook.com/Heidenau-hört-zu (Stand: 9. Dezember 2015) 220 www.facebook.com/Heidenau-hört-zu (Stand: 9. Dezember 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 173 Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 1635 1.710 2.234 67 83 201

Landkreis Säch- sische Schweiz – 128 114 281 6 3 37 Osterzgebirge

Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistischen Musikgruppe „A3stus“ rechtsextremistische Vertriebe aus Berlin. Mit „The Store” (Pirna) und dem „Nationalen Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzge- Versandhaus” (Gohrisch, Bad Schandau – birge existieren keine Strukturen der rechtsex- Ladengeschäft) sind in dem Landkreis gleich tremistischen Musikszene. zwei rechtsextremistische Vertriebsunterneh- Am 4. Juli 2015 trat im Rahmen einer von den men ansässig. Beide sind seit Jahren Bestand- JN organisierten Vortragsveranstaltung in teil der rechtsextremistischen Vertriebsszene Pirna der Zwickauer Liedermacher FreilichFrei in Sachsen. Das Nationale Versandhaus hat auf. Außerdem kam es während Anti-Asyl- Anfang 2015 den Nordsachsen-Versand, Veranstaltungen in verschiedenen Kommunen ursprünglicher Sitz in Eilenburg, übernommen. des Landkreises mehrfach zu Auftritten der

1.12.12 Vogtlandkreis

Im Vogtlandkreis wurden der rechtsextremis- Neonationalsozialisten tischen Szene im Berichtsjahr zwischen 100 und 150 Personen zugerechnet. Im sachsen- Die neonationalsozialistische Szene wurde bis weiten Vergleich lag das rechtsextremistische April 2014 von der ehemaligen „Revolutionären Personenpotenzial somit im unteren Bereich. Nationalen Jugend” (RNJ) Vogtland geprägt. Dennoch entfalteten die Rechtsextremisten in Im Februar 2015 wurde die Gründung des soge- der Region eine Vielzahl von Aktivitäten. Diese nannten Stützpunktes Vogtland der Partei Der wurden oft vor dem Hintergrund der Asylthe- III. Weg bekanntgegeben. Die ehemalige Füh- matik initiiert. rungsperson der RNJ, Rico DÖHLER aus dem Vogtland, übernahm die Leitung dieses Able- gers, welcher über ca. 30 Mitglieder verfügte.

174 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Quelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 20. Februar 2015)

Die Partei hat sich im Vogtlandkreis als Auf- auf und war überregional vernetzt. Es gab insbe- fangbecken für die Neonationalsozialisten sondere Verbindungen nach Bayern, Thüringen, erwiesen. Entsprechende Strukturen, wie die Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Bereits seit RNJ im Vogtland, konnten in die Parteistruktur der Gründung des sogenannten Stützpunktes überführt werden. Vogtland liegt der Schwerpunkt der Parteiarbeit auf der Anti-Asyl-Agitation. Dies wurde auch im Auf der Homepage der Bundespartei wird Berichtszeitraum fortgesetzt. ausführlich und aktuell über Aktionen und Veranstaltungen des Stützpunktes Vogtland Rico DÖHLER hat am 10. Januar 2015 in Greiz berichtet. Um eine möglichst weitreichende (Thüringen) ein „Neujahrstreffen“ durchge- Aufmerksamkeit zu erzielen, werden diese führt, an dem sich „gut 40 deutsche Männer Beiträge auch auf der Facebook-Seite „Asyl- und Frauen“223 beteiligt haben sollen. In seiner problematik im Vogtland“221 eingestellt. Diese Rede thematisierte DÖHLER den „Asyl-Wahn- Gruppenseite wurde Mitte Dezember 2014 von sinn“ und kündigte an, „auch im neuen Jahr mit Tony GENTSCH222 gegründet. Sie wird ideologisch etlichen Aktionen gegen diese deutschfeindli- stark von der Partei „Der Dritte Weg” beeinflusst. che Politik“ 224 vorgehen zu wollen. Trotz ihrer geringen Größe wies die neonational- Anlässlich des 70. Jahrestages der Zerstö- sozialistische Szene im Vogtlandkreis – die 2015 rung Dresdens im Zweiten Weltkrieg führte im Wesentlichen von der Partei „Der Dritte Weg“ die Partei am 14. Februar 2015 in Wunsiedel getragen wurde – ein sehr hohes Aktionsniveau (Bayern) einen Trauermarsch durch. An der

221 www.facebook.com/asylproblematik (Stand: 16. Januar 2015) 222 Führungsperson, maßgeblich beim Aufbau der Partei im Vogtland aktiv 223 221www.der-dritte-weg.info www.facebook.com/asylproblematik (Stand: (Stand: 16. Januar 2015) 23. Januar 2015) 223 www.der-dritte-weg.info (Stand: 23. Januar 2015) 224222 www.der-dritte-weg.info Führungsperson, maßgeblich (Stand: beim Aufbau der Partei im Vogtland aktiv 23. Januar 2015) 224 www.der-dritte-weg.info (Stand: 23. Januar 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 175 Veranstaltung unter dem Motto „Ein Licht für Im Juni gab die Partei auf ihrer Homepage Dresden“ beteiligten sich etwa 80 Personen. bekannt, ein „Nationaler Stadtrat von Plauen Unter den Teilnehmern waren auch zahlrei- wird Mitglied vom III. Weg.“ 227 Die Meldung che Mitglieder des sogenannten Stützpunktes bezog sich auf Thomas LAUTER, der im Mai Vogtland. Der Leiter des sogenannten Stütz- 2014 für die NPD ein Mandat im Stadtrat von punktes Vogtland, Rico DÖHLER, trat als Red- Plauen errungen hatte. ner auf.225

Die Partei Der III. Weg suchte mit ihrer Kundge- bung in Wunsiedel den symbolischen Schulter- schluss mit den Rechtsextremisten in Dresden, die die Aktionswoche und den Trauermarsch in Dresden alljährlich organisieren, um die Bom- benopfer für ihre ideologischen Zwecke zu ins- trumentalisieren. Quelle: www.facebool.com/asylproblematik (Stand: 10. Dezember 2015) Für Aufsehen sorgten Mitglieder der Partei am 12. Februar 2015 in Plauen. Im Rahmen einer Öffentliche Aktionen dieses sogenannten öffentlichen Sitzung des Sozialausschusses Stützpunktes fanden insbesondere im Rahmen berichtete die Ausländerbeauftragte des Vogt- der Kampagne „Asylflut stoppen“ statt. landkreises über die Wohnbedingungen für Asylbewerber im örtlichen Asylbewerberheim. So führte die Partei III. Weg am 26. Septem- Beim anschließenden Besuch der Unterkunft ber 2015 in Plauen eine Demonstration unter verschafften sich vier Mitglieder der Partei dem Motto „Asylflut stoppen – Ein Licht gegen mithilfe des einzigen NPD-Stadtrates Thomas Deutschlandfeindlichkeit“ mit ca. 120 Teilneh- LAUTER Zutritt und machten in provokativer mern durch. Rico DÖHLER und Tony GENTSCH Weise Fotos von den Bewohnern. lieferten Redebeiträge. Ähnlich verliefen gleichartige Veranstaltungen am 2. Oktober, Am 1. Mai 2015 fand unter dem Motto „Arbeit – am 31. Oktober sowie am 7. November 2015 Zukunft – Heimat/Überfremdung stoppen! mit jeweils ca. 100 Teilnehmern. Bei der Ver- Kapitalismus zerschlagen! Volkstod abwenden“ anstaltung am 7. November traten u. a. Tony in Saalfeld (Thüringen) eine Demonstration GENTSCH und Matthias FISCHER, Führungs- statt, an der sich nach Polizeiangaben ca. person der Partei aus Brandenburg, als Redner 600 Personen beteiligten. Aus dem Vogtland auf. nahmen nach Szeneangaben „über 40 Deut- Anderer Art war eine Kundgebung am 8. Dezem- sche die es noch sein wollen“ teil.”226 ber 2015 in Plauen. Diese fand aus Anlass eines angeblichen Körperverletzungsdeliktes durch

225 www.der-dritte-weg.info (Stand: 20. Februar 2015)

225 www.der-dritte-weg.info (Stand: 20. Februar 2015) 226 www.facebook.com/Asylproblematik (Stand: 19. Mai 2015), Schreibweise wie im Original 226 www.facebook.com/Asylproblematik (Stand: 19. Mai 2015), Schreibweise wie im Original 227 www.der-dritte-weg.info (Stand: 30. Juni 2015) 227 www.der-dritte-weg.info (Stand: 30. Juni 2015)

176 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Asylbewerber statt. Insgesamt konnten ca. NPD-Landesvorsitzende Jens BAUR sowie der 50 Teilnehmer mobilisiert werden. NPD-Funktionär Arne SCHIMMER auftreten.

Diese Aktionen in Plauen wurden maßgeblich von Protagonisten der Partei organisiert. Als Anmelder, wie auch Versammlungsleiter, fun- gierten Rico DÖHLER und sein Stellvertreter Tony GENTSCH.

Ziel der Vielzahl öffentlicher Aktionen war es, die Asylthematik fremdenfeindlich und rassistisch zu besetzen, weitere Mitglieder zu gewinnen und als wichtigster rechtsextremis- tischer Akteur in der Region wahrgenommen Jens BAUR als Redner in Plauen zu werden. Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 21. September 2015) „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD)/„Junge Nationaldemokraten“(JN) Eine Gruppe mit der Bezeichnung „Plauen wehrt sich“ mobilisierte auf Facebook für diese Im Vogtlandkreis existiert eine kleine, wenig Veranstaltung und verwendete dabei den Text aktive NPD-Struktur. Im Juni trat die NPD- der NPD. Dies lässt den Schluss zu, dass sich Kreisrätin Beatrix RINK in der Gemeinde Neu- hinter dieser sogenannten „Initiative“ in Wahr- ensalz als Bürgermeisterkandidatin an. Sie heit die Partei verbarg. Die Demonstration in scheiterte zwar, erzielte aber mit einem Stim- Plauen wurde vom Landesvorsitzenden Jens menanteil von 16,9 % ein hohes Ergebnis. BAUR selbst angemeldet. Er fungierte als Ver- sammlungsleiter, als sein Stellvertreter wurde Im Zusammenhang mit den Protesten gegen der NPD-Funktionär Arne SCHIMMER benannt. die Asylpolitik trat die NPD im Vogtlandkreis Es versammelten sich insgesamt 400 Personen nur zweimal in Erscheinung. Unter dem Deck- in Plauen. Nach der Veranstaltung berichtete mantel parteiunabhängig anmutender „Initiati- die Partei: ven“ organisierte sie asylkritische Proteste. „Mehr als 500 Bürger gingen gleich bei der ers- Am 8. September 2015 verkündete der NPD- ten Veranstaltung von „Plauen wehrt sich“ auf Landesverband Sachsen im Internet, dass die Straße und lauschten Reden des NPD-Lan- auch in der „fünftgrößten sächsischen Stadt“ desvorsitzenden Jens Baur, des vogtländischen demonstriert werde. Eine Initiative „Plauen NPD-Kreistagsabgeordneten Arne Schimmer, wehrt sich“ plane demnach eine Kundgebung des Greizer NPD-Stadtrats David KÖCKERT und am 18. September 2015. Bei der Veranstal- des Meißner NPD-Kreisrats Jürgen Gansel. Das tung sollten der Greizer NPD-Stadtrat David war wirklich der absolute Wahnsinn heute!“ 228 KÖCKERT, der sächsische kommissarische

228 www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 21. September 2015)228 www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 21. September 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 177 Die sogenannte Initiative „Plauen wehrt sich“ Mahnwache gegen die Asylpolitik durchge- plante für den 21. Oktober 2015 ein „Event“, führt hatte, fand am 5. September 2015 eine welches in Treuen stattfinden sollte. Der NPD- weitere öffentliche Veranstaltung der Partei Landesfunktionär Arne SCHIMMER verkündete im Vogtlandkreis statt. Die von den Landesver- als Pressesprecher des NPD-Kreisverbandes bänden Baden-Württemberg und Nordrhein- Vogtland auf der sogenannten Event-Seite: Westfalen organisierte Veranstaltung in Zobes auf dem Grundstück der NPD-Stadträtin Beat- „In der kleinen vogtländischen Ortschaft Eich, rix RINK stand unter dem Motto „Heraus zum die zur Stadt Treuen gehört, sind nun die Ängste Tag der deutschen Zukunft 2016 — Freiheit für und Sorgen wegen der Asylkrise geradezu Horst Mahler“230. Circa 650 Rechtsextremisten explodiert. Grund dafür sind die Pläne der Dia- hörten mehrere Redner und verfolgten die konie, im dem nur 600 Einwohner zählenden Auftritte der Bands „Sachsonia“ (Sachsen), „Die Ortsteil ein Heim für minderjährige unbeglei- Lunikoff-Verschwörung“ (Berlin), „Tätervolk“ tete Flüchtlinge zu errichten.“ 229 (Mecklenburg-Vorpommern), Uwocaust (Bran- denburg) und „Überzeugungstäter Vogtland“ Auch diese Veranstaltung wurde von Jens (Sachsen). Die Veranstaltung in Zobes war BAUR angemeldet. Als Organisatoren und Red- damit die in Sachsen teilnehmerstärkste Ver- ner traten auf der Kundgebung, an der sich sammlung der Partei „DIE RECHTE“ im gesam- rund 300 Personen beteiligten, NPD-Mitglieder ten Berichtsjahr. Die hohe Teilnehmerzahl war und Funktionäre auf. weniger auf die politischen Redner zurück zu führen, als vielmehr auf die szeneinterne Zug- Die Jungen Nationaldemokraten (JN) im Vogt- kraft der einzelnen Bands. landkreis traten im ersten Halbjahr 2015 mit einem eigenen Facebook-Profil in Erscheinung. Subkulturell geprägte rechtsextremistische Jedoch initiierten die Rechtsextremisten darü- Szene ber hinaus keine öffentlichen Aktivitäten. Das Profil wurde nach einigen Monaten ersatzlos Im Vogtlandkreis existiert eine subkulturell gelöscht. geprägte Szene, die im Berichtsjahr allerdings nur wenig in Erscheinung trat. Sie war aber Die Partei „DIE RECHTE“ grundsätzlich für szenetypische Veranstaltun- gen wie rechtsextremistische Konzerte mobili- Rechtsextremisten aus Ostsachsen, Leipzig und sierbar. Aus ihrer Mitte wurden neben rechts- dem Vogtlandkreis bemühten sich, Strukturen extremistisch motivierten Propagandadelikten der Partei in Sachsen zu etablieren. In Adorf insbesondere Straf- und Gewalttaten verübt, fand dazu am 8. Februar 2015 eine Informati- die sich schwerpunktmäßig gegen Asylbewer- onsveranstaltung für potentielle Interessenten ber und deren Aufnahmeeinrichtungen rich- der Partei statt. teten. So wurden z. B. am 6. September 2015 Nachdem die Partei „DIE RECHTE“ mit 21 Teil- in Plauen drei Ausländer von zwei deutschen nehmern am 17. April 2015 in Bad Elster eine Personen zunächst angepöbelt, beleidigt und

229 www.facebook.com/events (Stand: 15. Oktober 2015), Schreibweise wie im Original 230 Der bekannte rechtsextremistische Szene-Anwalt befindet sich seit 2009 u. a. wegen Volksverhetzung in Haft. Im 229Berichtsjahr forderten www.facebook.com/eventsRechtsextremisten (Stand: 15. Oktober 2015), Schreibweise wie im Original seine Entlassung. 230 Der bekannte rechtsextremistische Szene-Anwalt befindet sich seit 2009 u. a. wegen Volksverhetzung in Haft. Im Berichtsjahr forderten Rechtsextremisten seine Entlassung.

178 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 1.635 1.710 2.234 67 83 201

Vogtlandkreis 67 86 101 0 2 4

schließlich mit einer Axt bedroht. Szeneange- Ferner erschien im Juni 2015 mit der CD „Epo- hörige nahmen darüber hinaus im Berichtsjahr che der Angst“ eine weitere Veröffentlichung an asylkritischen oder rechtsextremistischen der Band. asylfeindlichen Veranstaltungen teil. Seit 2013 findet in Neuensalz, Ortsteil Zobes Rechtsextremistische Musikszene/ einmal jährlich eine rechtextremistische rechtsextremistische Vertriebe Musikveranstaltung statt. Hierbei handelte es sich stets um die sachsenweit größten Szene- Im Vogtlandkreis existieren mit der seit 2010 Konzerte. Am 5. September 2015 beteiligten aktiven Band „Überzeugungstäter Vogt- sich ca. 650 Personen an der Veranstaltung. land“ außerdem Strukturen der rechtsextre- Diese war, wie im Vorjahr, von einem Anhänger mistischen Musikszene. Die Gruppe trat im der Partei „DIE RECHTE“ aus Nordrhein-West- Jahr 2015 mehrfach bei rechtsextremistischen falen angemeldet worden (siehe oben). Konzerten auf, etwa am 23. Mai in Hildburg- hausen (Thüringen) sowie am 5. September in Der rechtsextremistische Online-Versand „Der Neuensalz, Ortsteil Zobes. Clou“ in Oelsnitz hat seine Tätigkeit zwischen- zeitlich eingestellt.

1.12.13 Landkreis Zwickau

Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Neonationalsozialisten Zwickau wurden, wie im Vorjahr, zwischen 200 und 250 Personen zugerechnet. Im sachsen- Die „Freien Kräfte” im Landkreis Zwickau weiten Vergleich lag das rechtsextremistische beschäftigten sich auch im Jahr 2015 schwer- Personenpotenzial hier somit im mittleren punktmäßig mit dem Thema „Asyl“. Insbeson- Bereich. dere die Szene in Limbach-Oberfrohna, die auch unter dem Namen „Legion 84“ auftrat,

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 179 beteiligte sich an verschiedenen Anti-Asyl- Kreisvorsitzende Patrick GENTSCH im Herbst/ Aktivitäten, u. a. an der rechtsextremistischen Winter 2015 offenbar bei verschiedenen asyl- Demonstration unter dem Motto „Erhaltung kritischen Initiativen Einfluss zu gewinnen. der Heimat“ der Partei „DIE RECHTE“ am So beteiligte er sich an einer asylkritischen 11. Oktober 2015 in Limbach-Oberfrohna. Sie Demonstration am 4. Oktober 2015 in Meerane unterhält enge Kontakte zu den JN Chemnitz. und sprach sich dort gegen die geplante Erst- aufnahmeeinrichtung in Meerane aus. Als am 18. Oktober 2015 ein Sonderzug mit 680 Asylbewerbern in Glauchau eintraf, wie- gelte der vor Ort eintreffende Stadt- und Kreisrat GENTSCH die umstehenden Personen auf, welche sich am Bahnhof zu dieser Ankunft versammelt hatten.

Die Situation eskalierte am 1. November 2015 in Meerane, als ein Sonderzug mit Asylsuchen- Quelle: LfV Sachsen den eintraf. Vor Ort befanden sich 83 Perso- nen. Nachdem diese der Aufforderung nicht Die sächsische Sektion der „Weißen Wölfe Ter- nachkamen, den Platz zu verlassen, mussten rorcrew” (WWT)231, der auch Rechtsextremisten sie durch die Polizei abgedrängt werden. Dabei aus der Zwickauer Region angehörten, ist im wurden mehrfach Böller geworfen und Rake- Jahr 2015 nicht öffentlich in Erscheinung getre- ten in Richtung der Polizei abgefeuert. ten. Am 16. März 2016 wurde die Vereinigung GENTSCH soll diese Vorfälle im Rahmen einer durch den Bundesminister des Innern bundes- Rede bei einer Demonstration gegen die Asyl- weit verboten. Es kam zu Exekutivmaßnahmen in politik am 8. November 2015 in Meerane her- zehn Bundesländern. Dabei wurde insbesondere untergespielt haben. umfangreiches rechtsextremistisches Propagan- damaterial sichergestellt. In Sachsen war der „Viele Meeraner hätten sich rein ‚zufällig‘ am Sektionsleiter von den Maßnahmen betroffen. Bahnhof getroffen, sagte Gentsch. Dort seien lediglich ‚zwei Eier‘ und ein paar Knallkörper „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ geworfen worden. Schuld an der Eskalation sei (NPD) und „Junge Nationaldemokraten“ (JN) die Polizei gewesen, wiederholte er. Die Zuhörer spendeten dieser Verharmlosung der Gescheh- Die NPD ist im Landkreis Zwickau mit dem nisse Beifall. Äußerungen von Bürgermeister Kreisverband Zwickau-Westsachsen vertreten […], der den Gewaltausbruch scharf verurteilt und verfügt über Ortsgruppen in Oberlung- hatte, bezeichnete Gentsch als ‚eine Frechheit‘. witz und Werdau. Der Kreisverband trat im Er werde ‚unbequem‘ bleiben, bis die Gerechtig- Berichtsjahr nur selten öffentlichkeitswirk- keit wieder in diesem Land einziehe […].“ 232 sam in Erscheinung. Allerdings versuchte der

231 Siehe „Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2014“, S. 159 232231 www.freiepresse.de Siehe „Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2014“, S. 159 (Stand: 3. Dezember 2015) 232 www.facebook.com/npd.zwickau (Stand: 26. Februar 2015)

180 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen „DIE RECHTE“

Die Partei „DIE RECHTE“ entfaltete ab Oktober 2015 in Limbach-Oberfrohna öffentlichkeits- wirksame Aktivitäten. Am 11. Oktober 2015 organisierte die Partei hier einen Aufzug mit rund 200 Teilnehmern. Ein zweiter Aufzug sollte am 15. November 2015 stattfinden. Quelle: www.facebook.com/pages/Nein-zum-Heim- Wegen des Volkstrauertages durfte jedoch nur Sächsische Schweiz und Osterzgebirge/ eine Kundgebung durchgeführt werden, an der (Stand: 9. November 2015) sich schließlich nur 75 Personen beteiligten.

Die JN verfügten im Landkreis Zwickau über Bei der folgenden Demonstration am 6. Dezem- zwei Stützpunkte in Zwickau und Limbach- ber 2015 sank die Teilnehmerzahl weiter. An der Oberfrohna. Ihre Mitglieder nahmen an mehreren Versammlung unter dem Motto „Ein Volk hilft rechtsextremistischen Demonstrationen teil. sich selbst – Gemeinsam für unser Sachsen“ beteiligten sich lediglich noch 20 Teilnehmer. Am 13. Februar 2015 organisierte der Leiter der JN Limbach-Oberfrohna eine Mahnwache unter dem Motto „Ein Licht für Dresden“ auf dem örtlichen Marktplatz wobei er „(…)auch die Mitglieder der Mutterpartei aus der Region einlud.“ 233

Quelle: www.facebook.com/nationalistenzwickau (Stand: 19. Mai 2015)

Die Partei „DIE RECHTE“ verfügt weiterhin über keine Strukturen im Landkreis.

Subkulturell geprägte rechtsextremistische Quelle: www.facebook.com/pages/JN-Limbach- Szene Oberfrohna (Stand: 25. Februar 2015) Neben den „Freien Kräften” existierte im Land- Über die Facebook-Profile beider Stützpunkte kreis Zwickau eine unstrukturierte subkulturell erfolgten Mobilisierungsaufrufe für rechts- geprägte rechtsextremistische Szene. Die Ver- extremistische Veranstaltungen in Sachsen bindungen der Szeneangehörigen in dem Land- und anderen Bundesländern. Beide Internet- kreis waren meist lose und gingen selten über auftritte wurden jedoch im Laufe des Jahres die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Subkul- eingestellt. turell geprägte Rechtsextremisten beteiligten

233 www.facebook.com/npd.zwickau (Stand: 26. Februar 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 181 Straftaten

rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 1.635 1.710 2.234 67 83 201

Landkreis Zwickau 143 137 156 6 4 12

sich an rechtsextremistischen Konzerten und Veranstaltungen in Sachsen und anderen Bun- szeneinternen Veranstaltungen. Sie fielen im desländern auf. Ein Lied auf seiner im Herbst Landkreis Zwickau zudem häufig durch die 2014 erschienenen Debüt-CD verunglimpfte Begehung von Straf- und Gewalttaten, insbe- die Zwickauer Oberbürgermeisterin und glo- sondere gegen Asylbewerber und deren Unter- rifizierte die mutmaßlichen Mitglieder der künfte, auf. So attackierten z. B. drei Männer rechtsterroristischen Gruppierung „National- und eine Frau am 27. August 2015 in Werdau sozialistischer Untergrund” (NSU). Aus diesem einen Asylbewerber und schlugen auf ihn ein, Grund leitete die Staatsanwaltschaft Zwickau235 wodurch dieser Risswunden an der Hand erlitt. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Billigung von Straftaten gemäß § 140 StGB Rechtsextremistische Musikszene/ ein. In diesem Rahmen erließ das Amtsgericht rechtsextremistische Vertriebe Zwickau 25 Durchsuchungsbeschlüsse, die am 16. April 2015 in acht Bundesländern voll- Im Landkreis Zwickau sind die Strukturen der streckt wurden. Mehr als 400 der CDs konnten rechtsextremistischen Musikszene nur unter- dabei beschlagnahmt werden. durchschnittlich ausgeprägt. Hier waren im Berichtszeitraum der rechtsextremistische Lie- Am 22. Dezember 2015 fand in einem Lokal in dermacher FreilichFrei sowie das Bandprojekt Oberlungwitz ein Liederabend mit dem über- „Rac´n´Roll-Teufel” ansässig. regional bekannten Szeneinterpreten Lunikoff (Berlin) statt, an dem etwa 120 Personen teil- Während „Rac´n´Roll-Teufel” im Jahr 2015 Lied- nahmen. beiträge auf dem sogenannten „TddZ234-Samp- ler“ und dem Sampler „Glühweindesperados“ In Zwickau ist im Berichtsjahr ein rechtsextre- veröffentlichte, trat FreilichFrei 2015 mehr- mistischer Szeneladen ansässig gewesen. fach auf verschiedenen rechtsextremistischen

234 Seit 2009 veranstalten Neonationalsozialisten jährlich den „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ). Dabei handelt es sich um eine bundesweit etablierte, neonationalsozialistische Kampagne, in deren Rahmen Rechtsextremisten verschiedene Aktionen durchführen. Dazu zählen unter anderem Informationsveranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen.

234 Seit 2009 veranstalten Neonationalsozialisten jährlich den „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ). Dabei handelt es sich um eine bundesweit etablierte, neonationalsozialistische Kampagne, in deren Rahmen Rechtsextremisten verschiedene 235 Az.Aktionen durchführen. Dazu120 zählen unter anderem Informationsveranstaltungen,Js 4820/15 Kundgebungen und Demonstrationen. 235 Az. 120 Js 4820/15

182 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 1.13 Ausblick Rechtsextremismus

Die rechtsextremistische Szene konnte unter und ein Misstrauen bis hin zur Feindschaft Ausnutzung des Asylthemas ihre öffentlichen gegenüber etablierten Parteien und Politikern Aktivitäten im Jahr 2015 deutlich erhöhen. („Volksverräter“), Journalisten und Medien Teilweise wurden Bereiche der Szene wieder („Lügenpresse“) sowie gegenüber Flüchtlingen aktiv, die zuvor lange nicht mehr in Erschei- („Rapefugees“236). Dementsprechend nehmen nung getreten waren. Es ist zu erwarten, dass Rechtsextremisten regelmäßig an PEGIDA- die rechtsextremistische Szene ihr diesbezüg- Veranstaltungen teil. Die Verfassungsschutz- liches Aktionsniveau stabilisieren und je nach behörden analysieren daher sorgfältig, ob und Kontext ausbauen wird. ggf. inwieweit es hinsichtlich PEGIDA Dresden, Dieses Agieren hat der rechtsextremistischen wie auch hinsichtlich der sehr heterogenen und Szene im Jahr 2015 zahlreiche Kontakt- und bundesweiten GIDA-Protestbewegung, Steu- Einwirkungsmöglichkeiten im Hinblick auf erungs- oder Einflussnahmeversuche durch nichtextremistische asylkritische Initiativen nationale und internationale Rechtsextremis- ermöglicht. Vor allem mit nach außen als ten gibt. PEGIDA Dresden war im Jahr 2015 nicht offen rechtsextremistisch wahrnehm- kein Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für baren asylbezogenen Veranstaltungen ist es Verfassungsschutz oder des Landesamtes für rechtsextremistischen Akteuren gelungen, Verfassungsschutz Sachsen, da in der Gesamt- ihre verfassungsfeindlichen Positionen auch schau noch keine hinreichenden tatsächlichen vor zahlreichen nichtextremistischen Ver- Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche sammlungsteilnehmern darzustellen und Bestrebung vorlagen. rechtsextremistische Ideologiefragmente und Dies hat regional begrenzt dazu geführt, dass Begriffe unter dem Deckmantel der Asylkri- sich rechtsextremistische Akteure in mehreren tik zu verbreiten. Insbesondere die hohen Fällen als Kooperationspartner von asylkriti- Teilnehmerzahlen an asylbezogenen Veran- schen Initiativen darstellen konnten. Je nach staltungen mit erkennbaren und relevanten Reaktion der betroffenen Initiativen kann dies rechtsextremistischen Bezügen ermöglichten dazu führen, dass die Abgrenzung zwischen der rechtsextremistischen Szene die Einfluss- nichtextremistischen Akteuren und Rechtsex- nahme auf ein beträchtliches nichtextremisti- tremisten erodiert und letztere dadurch eine sches Personenpotenzial. Grundsätzlich bieten zusätzliche Basis für ihre Bestrebungen gegen sowohl Intention als auch Rhetorik von PEGIDA die freiheitliche demokratische Grundordnung Dresden ideologische Anknüpfungspunkte für erhalten. Rechtsextremisten: So offenbaren ressenti- Zu erwarten ist, dass losgelöst von konkreten mentbehaftete Redebeiträge oder Sprechchöre regionalen Konfliktsituationen bei aktions- auf PEGIDA-Kundgebungen mitunter nicht orientierten Rechtsextremisten eine erste nur fremden- und islamfeindliche Tendenzen. Unzufriedenheit mit dem mittlerweile routi- Sie zeigen bei einem Teil der Sympathisanten niert ablaufenden asylbezogenen Veranstal- auch eine grundlegende Politikverdrossenheit tungsgeschehen auftritt. Auch dies könnte

236 Begriff bestehend aus den Worten „rape“ (engl.; Vergewaltigung) und refugees (engl.; Flüchtlinge) 236 Begriff bestehend aus den Worten „rape“ (engl.; Vergewaltigung) und refugees (engl.; Flüchtlinge)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 183 dazu führen, dass in der rechtsextremistischen Offen ist, wie sich die subkulturell geprägte Szene verstärkt Überlegungen zu massiven rechtsextremistische Szene vor diesem Hinter- Gewalttaten gegen Asylbewerber und deren grund zahlenmäßig entwickeln wird. Auch bei Aufnahmeeinrichtungen sowie Unterstützer gleichbleibend hohem asylbezogenen Veran- verfolgt werden. Vor diesem Hintergrund ist staltungs- und Straftatengeschehen ist nicht vorerst nicht mit einem Rückgang des hohen zu erwarten, dass sich ein ebenso signifikan- asylbezogenen Straftatenaufkommens zu ter Anstieg des Personenpotenzials, wie im rechnen. Jahr 2015, ergeben wird. Stattdessen dürfte sich der Trend verlangsamen. Teile dieses Spek- Bereits jetzt zeichnet sich eine weitere Politi- trums werden in den Bereich der Neonational- sierung der subkulturell geprägten rechts- sozialisten abwandern. extremistischen Szene ab. Bei einigen Personen wird es nicht bei der Etablierung Damit ist auch eine neue Dynamik im Bereich von Gruppenstrukturen und der körperlichen der Neonationalsozialisten zu erwarten. Auseinandersetzung im Rahmen von asylbezo- Nach der Abwanderung wesentlicher Teile des genen Veranstaltungen bleiben. Nicht unwahr- Führungs- und Personenpotenzials hin zum scheinlich ist, dass Gruppierungen einander parteigebundenen Rechtsextremismus ist mit weiter zur direkten Anwendung von Gewalt einer Stabilisierung dieser Szene und mit der gegen Asylbewerber, deren Unterstützer und vereinzelten Herausbildung neuer Führungs- den politischen Gegner antreiben. persönlichkeiten und Strukturen zu rechnen. Vor allem aufgrund der zahlreichen Gelegen- Da die Asylthematik derzeit viele gerade für heiten für mögliche Konfrontationen dürfte im Neonationalsozialisten wichtige Themen (Revi- Jahr 2016 auch bei sinkenden Veranstaltungs- sionismus etc.) überlagert, dürfte dieser Trend zahlen mit zunehmenden Gewaltstraftaten 2016 jedoch keine erhebliche Steigerung des im Asylkontext zu rechnen sein. Ebenso sind Personenpotenzials bewirken. weitere Radikalisierungsprozesse, wie bei der mutmaßlich rechtsterroristisch ausgerichteten Im parteigebundenen Rechtsextremismus „Oldschool Society“237, nicht unwahrscheinlich. werden die NPD, die Partei „DIE RECHTE“ und Neben diesen Entwicklungen hat das Agieren die Partei „Der Dritte Weg“ (III. Weg) weiterhin der rechtsextremistischen Szene innerhalb des versuchen, auf Grundlage des asylbezogenen asylbezogenen Veranstaltungsgeschehens zur Veranstaltungsgeschehens Mitglieder zu wer- Etablierung neuer bzw. Vertiefung bis dahin ben. Die Parteien „DIE RECHTE“ und III. Weg nur oberflächlich bestehender Kennverhält- werden zudem parallel versuchen, ihre Struk- nisse innerhalb der Szene geführt. Die Bildung turen auszubauen. Die Mitgliederwerbung neuer Formen der Zusammenarbeit zwischen dürfte jedoch überschaubar bleiben, und es bisher unverbundenen Personenkreisen und ist auch nur in Einzelfällen mit der Etablierung damit auch die vereinzelte Bildung neuer neuer Stützpunkte zu rechnen. Gruppierungen und Strukturen innerhalb der rechtsextremistischen Szene werden sich im Dennoch ist zu erwarten, dass die NPD wei- Jahr 2016 voraussichtlich fortsetzen. terhin für die überwiegende Anzahl der

237 s. Beitrag s. Beitrag„Landkreis „Landkreis Leipzig“ Leipzig“

184 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Anti-Asyl-Veranstaltungen der rechtsextre- Die Rückgänge im Bereich der rechtsextre- mistischen Szene verantwortlich sein wird. Sie mistischen Vertriebe und Verlage werden wird, wie bisher, versuchen, die Asylthematik sich auch im Jahr 2016 fortsetzen. Hier dürfte für sich auszunutzen und sich als eine flächen- vor allem der Internethandel weitere Konzen- deckend präsente und aktive Parteistruktur zu trationsprozesse bewirken. Es ist allerdings geben und dabei ihre kommunale Verankerung nicht damit zu rechnen, dass dies den rechts- zu nutzen. Ähnlich wie im Jahr 2015 dürfte dies extremistischen Vertrieb als solchen schwä- jedoch nicht zu einem spürbaren Mitglieder- chen wird, da mit der Konzentration auch zuwachs führen. Die „Jungen Nationaldemo- eine Erhöhung der Umsätze der bestehenden kraten” (JN, NPD-Jugendorganisation) werden größeren rechtsextremistischen Vertriebe zu weiterhin das Bindeglied zwischen der NPD und erwarten ist. Die rechtsextremistische Szene der neonationalsozialistischen Szene darstel- wird bei entsprechenden Vertrieben daher wei- len. In Bezug auf die Mitglieder ist eine weitere terhin verlässliche Partner in der Versorgung Dynamik vorerst nicht zu erwarten. Möglich mit Szeneartikeln und vor allem in der Bereit- ist neben dem dominant bleibenden asylbe- stellung von Räumlichkeiten und Finanzmitteln zogenen Veranstaltungsgeschehen auch eine für Szeneaktivitäten haben. Vor allem die in verstärkte Ausrichtung von Veranstaltungen Sachsen ansässigen, bundesweit aktiven Groß- mit genuin neonationalsozialistischem Bezug vertriebe werden ihre Marktstellung unter den („Heldengedenken“, „Trauermärsche“ etc.). gegebenen Voraussetzungen halten können.

Bei den Parteien „DIE RECHTE“ und III. Weg Im Berichtsjahr waren die Bestrebungen der wird die weitere Entwicklung davon abhängen, rechtsextremistischen Szene zum Erwerb bzw. ob es ihnen gelingt, weitere regional entschei- zur Gewinnung von Zugriff auf Räumlichkeiten dende Akteure der parteiungebundenen Szene und Immobilien überwiegend erfolglos. Daher für sich zu gewinnen. Grundsätzlich haben es wird sie diese Bestrebungen sachsenweit fort- die beiden Parteien hier leichter als die NPD, da setzen und daneben die vorhandenen Objekte sie von parteiungebundenen Rechtsextremis- möglichst intensiv nutzen. ten nicht als „Systemparteien“ wahrgenommen werden. Allerdings hat sich das in Frage kom- Im Bereich der rechtsextremistischen Musik mende Potenzial bis zu Beginn des Jahres 2016 ist davon auszugehen, dass sich der leichte weitgehend abschließend orientiert, so dass Anstieg bei den Konzerten auch im Jahr 2016 vorerst keine größeren Bewegungen zu erwar- fortsetzen wird. Einen ähnlich starken Anstieg ten sind. Dies dürfte erst dann wieder möglich in den Besucherzahlen dieser Konzerte wird es sein, wenn sich die politisierten subkulturell dagegen voraussichtlich nicht geben, wiewohl geprägten Rechtsextremisten in neonational- für solche Entwicklungen nur wenige große sozialistischen Strukturen etabliert haben und Konzerte erforderlich wären. Demgegenüber ihrerseits nach „Schutzräumen“ gegen staatli- ist mit einer Zunahme von kleineren Veranstal- ches Vorgehen suchen. tungen mit Beteiligung von rechtsextremisti- schen Liedermachern und Bands zu rechnen.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 185 2. Linksextremismus

2.1 Personenpotenzial

Anzahl der Linksextremisten gegenüber dem Dabei blieb die Mitgliederzahl im Bereich der Vorjahr auf konstantem Niveau anarchistischen Gruppierungen mit ca. 45 Per- sonen konstant. Im Jahr 2015 wurden im Freistaat Sachsen ca. Bei den Mitgliedern des „Rote Hilfe e. V.“ (RH) 780 Personen linksextremistischen Bestre- handelt es sich nach wie vor vielfach um Mehr- bungen zugerechnet. Damit stieg diese Zahl fachmitgliedschaften. Im Berichtsjahr konnte die gegenüber dem Vorjahr (ca. 770) leicht an. RH ihre Mitgliederzahl deutlich ausbauen und Über die vergangenen Jahre hinweg ist das erreichte mit ca. 280 Personen238 (2014: ca. 200) für Personenpotenzial relativ stabil geblieben und Sachsen einen neuen Höchststand. Der Anstieg unterlag nur geringen Schwankungen. der Mitgliederzahlen der RH wirkt sich allerdings nicht auf die Gesamtzahl der sächsischen Linksex- Linksextremisten im Freistaat Sachsen tremisten aus, da von Mehrfachmitgliedschaften

1.200 der neu hinzugekommenen Personen ausgegan- gen wird. Die signifikante Steigerung könnte mit

780 der hohen Anzahl von demonstrativen Ereignissen 750 730 750 770 800 mit linksextremistischen Bezügen – insbeson- dere in Leipzig – im Berichts- und im Vorjahr im 400 Zusammenhang stehen. Teilnehmer solcher Akti- onen waren häufig von polizeilichen Maßnahmen betroffen und könnten anschließend Kontakt zur 0 2011 2012 2013 2014 2015 RH gesucht haben. Auch bundesweit konnte die RH Mitglieder gewinnen. Die „Autonomen” stellen mit ca. 370 Perso- nen unverändert die größte Gruppe innerhalb Die Mitgliederzahl der orthodoxen linksextre- der linksextremistischen Bestrebungen im mistischen Parteien und Organisationen lag Freistaat Sachsen dar. Deren Potenzial nahm im Jahr 2015 unverändert bei ca. 250 Perso- gegenüber dem Vorjahr (ca. 360) leicht zu, was nen. Nach wie vor ist die „Kommunistische auf einen Zuwachs bei der autonomen Szene Plattform der Partei DIE LINKE“ (KPF) mit ca. Leipzigs zurückzuführen ist. 160 Mitgliedern die zahlenmäßig stärkste Gruppierung in diesem Bereich. Die den „Anarchisten“ und sonstigen linksex- tremistischen Gruppierungen zuzurechnende Anhängerschaft veränderte sich nicht und liegt nach wie vor bei ca. 160 Personen.

238 Die Mitgliederzahl der RH für das Jahr 2015 ist geschätzt. Die Mitgliederzahl der RH für das Jahr 2015 ist geschätzt.

186 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Anzahl der Linksextremisten im Freistaat Sachsen 239 240 241 242 (insgesamt: ca. 780 [2014: ca. 770/bundesweit 2014: ca. 27.200])

Orthodoxe links- Gewaltorientierte „Anarchisten” und sonstige extremistische Parteien Linksextremisten/ linksextremistische und Organisationen „Autonome“ Gruppierungen 239 2015: ca. 250 2015: ca. 370 2015: ca. 160 240 2014: ca. 250 2014: ca. 360 2014: ca. 160

davon u. a.: davon u. a.

„Kommunistische Partei „Anarchisten“ Deutschlands“ (KPD-Ost) 2015: ca. 45 2015: ca. 15 2014: ca. 45 2014: ca. 15

„Deutsche Kommunistische „Rote Hilfe e. V.“ (RH) 241 Partei“ (DKP) 2015: ca. 280 242 2015: ca. 35 2014: ca. 200 2014: ca. 35

„Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE“ (KPF) 2015: ca. 160 2014: ca. 160

„Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD) 2015: ca. 35 2014: ca. 35

239 Ohne Mehrfachmitgliedschaften 240 Ohne Mehrfachmitgliedschaften 241 239Die Mitgliederzahl der RH für das Jahr 2015 ist geschätzt, mit Mehrfachmitgliedschaften. Der Anstieg wirkt sich nicht 240auf die Gesamtzahl der Linksextremisten aus, da von Mehrfachmitgliedschaften der neu hinzugekommenen Personen 241 ausgegangen wird. 242 Die Mitgliederzahl für das Jahr 2014 beruht auf Eigenangaben der RH, mit Mehrfachmitgliedschaften.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 187 In den Großstädten Leipzig und Dresden sind nach wie vor die weitaus meisten Linksextremisten ansässig.

Regionale Verteilung der Linksextremisten im Freistaat Sachsen – absolut

Regionale Verteilung der Linksextremisten im Freistaat Sachsen – je 10.000 Einwohner

188 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 2.2 Im Fokus – Instrumentalisierung der Asylthematik durch Linksextremisten

Die Flüchtlingssituation sowie Fragen zur Asyl- Dieses Thema bot Linksextremisten nicht nur politik stellten im Berichtszeitraum auch für Anlass für öffentliche Aktionen; sie hatten so die sächsische linksextremistische Szene ein die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit im eigenen Thema von herausragender Bedeutung dar. Interesse zu agitieren. Welche Aktionsformen sie im Verlauf des Jahres 2015 dafür nutzten Dies zeigte sich daran, dass im Jahr 2015 ca. bzw. ob und in welcher Form sie die Asylthema- 80 % der Aktionen zum Thema „Antirassis- tik für ihre Zwecke instrumentalisierten, sind die mus“/Asyl durchgeführt wurden.243 zentralen Fragen des Beitrages.

Demonstrationen/Aufzüge/Gegenproteste Die Schwankungen im Jahresverlauf stehen von oder mit Beteiligung von Linksextre- einerseits im Zusammenhang mit den GIDA- misten im Freistaat Sachsen im Jahr 2015 Demonstrationen in Dresden, Leipzig und Chem- nitz und den entsprechenden Gegenprotesten 400 gesamt davon „Asyl“ der linksextremistischen Szene. Das zeigte sich 300 deutlich im März, als dort wöchentlich Demons- trationen stattfanden, zu denen Linksextremis- 200 182 146 ten Gegenaktionen initiierten. Anderseits waren es auch die Asylpolitik der Bundesregierung 100 und die praktische Umsetzung im Freistaat

0 Sachsen, die Linksextremisten zu Aktivitäten 2015 veranlassten. Dies spiegelt sich in einem deutli- chen Anstieg der Aktionen zwischen August und

243 Hinsichtlich der Themenfelder ist zu beachten, dass die Summe der einzelnen Themenfelder nicht der Gesamtzahl der Aktionen entspricht, da eine Aktion mit mehreren Themenfeldern belegt sein kann. November 2015 wider.

243 Hinsichtlich der Themenfelder ist zu beachten, dass die Summe der einzelnen Themenfelder nicht der Gesamtzahl der Aktionen entspricht, da eine Aktion mit mehreren Themenfeldern belegt sein kann.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 189 Anzahl der Demonstrationen/Aufzüge/Gegenproteste von oder mit Beteiligung von Linksextremisten mit Bezug zum Thema „Antirassismus“/ Asyl im Freistaat Sachsen im Jahr 2015 – monatliche Verteilung 30

23

20 19 15 14 14 13 11 10 9 9 6 6 7

0 Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Aktionsformen Schutzgut der Meinungs- und Versammlungs- freiheit in Frage gestellt. Die Aktivitäten zum Thema Asyl zeigten sich in Das zeigte sich sehr deutlich in den Aufrufen: zweierlei Gestalt: ❙❙ Bereits Ende Dezember 2014, und somit 1. Proteste gegen die GIDA-Demonstrationen/ weit vor dem Veranstaltungstermin der ers- Gegenaktionen zum Thema Asyl sowie ten LEGIDA-Demonstration am 12. Januar 2. Aktionen, die der eigenen Position zum 2015, wurde im Internet zur Gegenaktionen Thema Asyl folgten. aufgerufen. Demzufolge bestand das Ziel des Protestes darin, „deutschnationale und Proteste gegen die GIDA-Demonstrationen/ rassistische Räume zu verunmöglichen und Gegenaktionen zum Thema Asyl Rassist*innen in ihre Schranken zu weisen“. Der Aufruf endete mit „Denn ob völkisch Zentrales Thema der GIDA-Demonstrationen oder national, Deutschland ist uns scheiß waren im Jahr 2015 die Asylpolitik der Bun- egal. Wer Deutschland liebt, den/die können desregierung sowie die Unterbringung der wir nur hassen!“ 244 Asylbewerber. Insofern richteten sich die Zu diesem Ereignis mobilisierten Linksext- Gegenproteste der Linksextremisten gegen remisten auch mit einem Video. Darin wur- die Positionen, die die GIDA-Akteure öffent- den Gegenstände und Erkennungszeichen lich artikulierten. Die linksextremistischen des politischen Gegners symbolisch ver- Proteste waren typische Gegenaktionen, die brannt. Abschließend wurde aufgefordert: konfrontativ ausgerichtet waren. Das Ziel „Am 12. Januar Legida & sonstige Rassisten bestand in einer Be- oder Verhinderung der angreifen! Leipzig bleibt rot.“ GIDA-Demonstrationen. Hierdurch wurde das Vor allem das Video zeigt deutlich, dass es für eine freiheitliche Demokratie elementare den Akteuren in Leipzig nicht darum ging, den LEGIDA-Aufzug zu blockieren oder gar

244 rassismus-toetet-leipzig.org (Stand: 29. Dezember 2014) 244 rassismus-toetet-leipzig.org (Stand: 29. Dezember 2014)

190 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen eigene Positionen zum Thema Asyl zu for- Personen verletzt. Außerdem stürmten acht mulieren, sondern direkt körperliche Gewalt Personen in eine Gaststätte und beschimpf- auszuüben. ten und schlugen einen bekannten rechts- ❙❙ Der Aufruf „Militanz statt Happening – extremistischen LEGIDA-Anhänger sowie Legida und (k)ein Ende ins Sicht“ vom dessen Frau. 20. März 2015 forderte ebenfalls zur Kon- ❙❙ Am 9. März 2015 beteiligten sich Links- frontation auf. Das Ziel müsse in einer Be- extremisten an den Protesten gegen eine bzw. Verhinderung der LEGIDA-Aufzüge LEGIDA-Demonstration. Neben mehreren bestehen. Erreicht werden könne dies nur Blockadeversuchen wurde Buttersäure am durch die Anwendung des „dezentralen Veranstaltungsort der LEGIDA-Demons- Konzepts“, denn dadurch „(…) können Bul- tration verteilt und dadurch eine starke len ihre Pläne nicht umsetzen und eine Geruchsbelästigung hervorgerufen. Absicherung des Aufmarsches kann nicht ❙❙ Am 20. April 2015 versuchten Gegende- gewährleistet werden“. Darüber hinaus sol- monstranten, die Aufzugsstrecke zu blo- len Sitzblockaden einbezogen werden, denn ckieren und warfen Steine und Knallkörper „(…) die Kombination beider Konzepte ergibt auf Polizisten und LEGIDA-Demonstranten. neue Möglichkeiten.“ 245 ❙❙ Am 23. August 2015 vermummten und ❙❙ In einem Aufruf für eine Demonstration am bewaffneten sich ca. 200 Personen auf dem 23. August 2015 in Heidenau hieß es: „Nazis Weg zu einer Kundgebung in Heidenau mit jagen!“ 246 Stöcken und Latten. Sie griffen ein Polizeiauto an und beschädigten dieses. Später wurden Die Forderungen, die in den Aufrufen und drei Personen angegriffen und verletzt. Grundsatzpapieren erhoben wurden, spiegel- ten sich in den Aktionen der Linksextremisten Darüber hinaus führten Linksextremisten eine wider. Sie richteten sich gegen den politischen Reihe klandestiner Aktionen durch, die sich Gegner sowie gegen die Polizei, die die Ver- gegen Institutionen richteten, die in die Asyl- sammlungen absichert. Exemplarisch stehen praxis der sächsischen Landesregierung einge- dafür folgende Aktivitäten: bunden sind, oder gegen Parteien, die der Asyl- ❙❙ Am 2. März 2015 beteiligten sich Linksex- politik kritisch gegenüberstehen. Exemplarisch tremisten an den Gegenaktionen anläss- dafür sind zu nennen: lich der LEGIDA-Demonstration in Leipzig. ❙❙ Am 24. April 2015 zerstörten unbekannte Die Polizei musste LEGIDA-Anhänger und Täter in Leipzig zahlreiche Fenster- und Gegendemonstranten konsequent trennen, Türscheiben am Technischen Rathaus, um Gewalttätigkeiten zu verhindern. Den- in dem sich auch die Ausländerbehörde noch kam es am Rande des Versammlungs- befindet. Außerdem beschmutzten sie an geschehens zu Straftaten. Etwa 15 – 20 mehreren Stellen die Fassade mit einer vermummte Personen griffen an einer Stra- zähflüssigen Substanz und brachten den ßenbahnhaltestelle eine Gruppe von zehn Schriftzug „#STOPASYLLAW“ an der Fas- LEGIDA-Anhängern an, dabei wurden fünf sade an. Bereits wenige Stunden nach dem

245 245linksunten. indymedia.orglinksunten.indymedia.org (Stand: (Stand: 23. März 2015) 23. März 2015)

246 facebook.com/pages/Antifaschistisches-Nachrichtenportal-Sachsen facebook.com/pages/Antifaschistisches-Nachrichtenportal-Sachsen (Stand: 24. August 2015) (Stand: 24. August 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 191 Anschlag wurde ein Bekennerschreiben mit ziehen und um ihren wirtschaftlichen Rück- dem Titel „[LE] Ausländerbehörde entglast“ zugsraum zu sabotieren.“ 248 veröffentlicht. Dem Schreiben zufolge ❙❙ Am 11. November 2015 verübten unbe- wurde die Ausländerbehörde angegriffen, kannte Täter einen Anschlag auf die Lan- weil sie verantwortliche Behörde in der von desdirektion Sachsen, Dienststelle Leipzig. den Verfassern kritisierten Asylpolitik der Sie beschädigten den Eingangsbereich und Bundesrepublik Deutschland sei. Allerdings warfen Behältnisse mit einer braunen Sub- wird im Schreiben weiter ausgeführt, dass stanz gegen die Glasscheiben des Gebäu- nicht nur die Asylpolitik abgelehnt werde, des. Zu dem Angriff wurde unter dem Titel sondern dass die Verfasser wollen, „(…) „Leipziger Landesdirektion angegriffen“ dass sowohl Deutschland als auch die EU zu ein Bekennerschreiben veröffentlicht. Dem Grunde gehen. (…) No border – no nation.“ 247 Schreiben zufolge steht der Angriff auf die ❙❙ Am 6. August 2015 erfolgte in Leipzig Leipziger Landesdirektion stellvertretend ein Angriff auf eine Chemiefirma, deren für „alle Landesdirektionen, alle Politi- damalige Geschäftsführerin die Bundes- ker_innen, die uns erklären wollen, dass es vorsitzende der nichtextremistischen Partei zu viele Geflüchtete in Deutschland gebe Alternative für Deutschland (AfD) Frau Dr. (…)“. Insbesondere der Leipziger Dienst- Frauke Petry war. Die Täter verwüsteten die stelle der Landesdirektion wird vorgewor- Firmenräume, zerstörten Fensterscheiben fen, hinsichtlich der Asylthematik „zutiefst und verschütteten Buttersäure. menschenverachtende Äußerungen“ getä- Unter der Überschrift „[LE] Angriff auf tigt zu haben. Weiter stellen die Verfasser Unternehmen von Frauke Petry (AfD)“ fest: „Wir brauchen keine Regierung, die uns bekannte sich ein „Auftragskommando erzählt wer zu viel ist, keine Verwaltung, die Bernd Lucke oder besser – einige „Auto- Menschen wegsortiert und keine Bullen, die nome“ zu dieser Aktion. Als Grund für den die Unterdrückung ausführen – machen wir Anschlag gaben die Verfasser an, man wolle es kurz: Wir brauchen keinen Staat und wir auf die sich „drastisch zuspitzende rassisti- brauchen keine Bullen.“ 249 sche Stimmung in Deutschland aufmerksam machen“. Verantwortlich dafür seien unter Die Aufrufe und Aktionen im Zusammenhang anderem die AfD und besonders Frauke mit dem Thema Asyl entsprechen dem Selbst- Petry, da „mit der Wahl Petrys und dem verständnis der autonomen Szene, welches von Verschwinden Luckes (…) mit einer weiteren einer destruktiven Anti-Haltung geprägt ist. Verschärfung der rassistischen Stimmungs- Somit ist es erklärlich, dass sich bei Gegenak- mache innerhalb der Partei zu rechnen [sei].“ tionen und den damit in Verbindung stehenden Die Räumlichkeiten des Unternehmens von Aufrufen oder Positionspapieren kein „positives“ Frauke Petry habe man bewusst ausgewählt, Ziel im Sinne eines Gegenmodells zur aktuellen um „sie ganz direkt zur Verantwortung zu Asylpolitik ausmachen lässt. Eine Instrumen- talisierung der Asylpolitik lässt sich bei dieser

247 linksunten.indymedia.org (Stand: 27. April 2015) 248 linksunten.indymedia.org (Stand: 7. August 2015), Schreibweise248 wie im Original linksunten.indymedia.org (Stand: 7. August 2015), Schreibweise wie im Original

247249 linksunten. indymedia.orglinksunten.indymedia.org (Stand: (Stand: 27. April 2015) 12. November 2015) 249 linksunten.indymedia.org (Stand: 12. November 2015)

192 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Aktionsform nur dahingehend feststellen, dass von Juli bis Ende August 2015. Diese standen sie – ähnlich wie beim Themenfeld Antifaschis- in Zusammenhang mit der Unterbringung mus – lediglich als „Vehikel“ dient, gegen tat- von Asylbewerbern in Freital, Heidenau und sächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten Dresden. Die Linksextremisten erhoben den oder Personen und Einrichtungen des demokra- Anspruch, die Unterkünfte vor Rechtsextre- tischen Rechtsstaates vorzugehen. misten und Rassisten „schützen“ zu müssen, da staatliche Stellen hierzu nicht willens und Aktionen, die der eigenen Position zum in der Lage seien. Aus dieser Selbstermächti- Thema Asyl folgten gung heraus suchten sie situationsabhängig die Konfrontation mit gewaltbereiten Asylgeg- Aktionen, die in diesem Zusammenhang stan- nern. Gleichzeitig versuchten sie, die aktuelle den, setzten vor allem in der zweiten Jah- Asyl-Problematik propagandistisch zu nutzen, reshälfte 2015 ein. Einerseits waren sie eine um staatliches Handeln in Frage zu stellen und Reaktion auf die politische Entscheidung der anzuklagen und so das Vertrauen in den demo- Bundesregierung zur Wiedereinführung der kratischen Rechtsstaat zu schwächen. Grenzkontrollen zu Österreich. Andererseits standen sie im Zusammenhang mit der Unter- Für diese Tendenz sind exemplarisch folgende bringung von Asylbewerbern im Umland von Aktionen zu nennen: Dresden. ❙❙ Am 24. Juli 2015 riefen u. a. die linksextre- mistischen „Undogmatische Radikale Antifa Bei diesen Aktionen ist eine deutliche Instru- Dresden“ („URA Dresden”) und das Bündnis mentalisierung erkennbar. Diese weist gegen- Nazifrei – Dresden stellt sich quer, in dem wärtig folgende Tendenzen auf: auch Linksextremisten aktiv sind, zu einer ❙❙ Linksextremisten nutzen das Thema Asyl, Kundgebung vor einer Unterkunft in Dres- um gegen den demokratischen Rechtsstaat den auf. Die „URA Dresden” bezeichnete zu agitieren und das staatliche Gewaltmo- später „Bullen und Politik“ als „Teil des nopol in Frage zu stellen. Problems“ und bekräftigte die andauernde ❙❙ Linksextremisten versuchen, Asylbewerber Notwendigkeit „linke(r) Intervention“. Wei- in ihre Aktionen oder in linksextremistische ter heißt es: „Der Mob fühlt sich legitimiert Strukturen einzubinden. durch eine hasserfüllte Stimmung, die u. a. ❙❙ Durch Schleusungsaktionen sollen politi- durch Positionen der CDU/CSU aber auch sche Entscheidungen des demokratischen durch PEGIDA-Demonstrationen und soge- Rechtsstaates zum Flüchtlingsthema unter- nannten ,Bürgerbewegungen‘ erzeugt und laufen werden. befeuert wird.“ 250 ❙❙ Das Thema Asyl wird mit umfassender ❙❙ Sächsische Linksextremisten mobilisierten Gesellschaftskritik und Ablehnung des u. a. mit Beiträgen auf von Linksextremisten demokratischen Rechtsstaats verbunden. genutzten Internetportalen für eine Aktion am 22. August 2015 in Heidenau. Dabei Das Vorgehen gegen den demokratischen beanspruchten sie vordergründig, sich für Rechtsstaat zeigte sich besonders bei Aktionen den Schutz der Asylbewerber einzusetzen.

250 uradresden.noblogs.org (Stand: 27. Juli 2015), Schreibweise wie im Original 250 uradresden.noblogs.org (Stand: 27. Juli 2015), Schreibweise wie im Original

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 193 Gekoppelt wurde dies aber mit der Konfron- Landesregierung hämmern wollen“ sowie tation mit tatsächlichen oder vermeintli- „Nazis angreifen, ob auf der Straße oder in chen Rechtsextremisten. Ziel war es, sich den Behörden“.252 „dem Rassistenmob entgegenzustellen und die Asylsuchenden zu schützen“ 251, da davon Eine weitere Form der Instrumentalisierung ausgegangen wurde, dass Asylgegner auch waren Versuche, Asylbewerber für Aktionen an diesem Tag dort Aktionen durchfüh- zu mobilisieren oder in eigene Strukturen zu ren würden. Zahlreiche Linksextremisten integrieren. Das zeigte sich bei Aktivitäten in beteiligten sich schließlich an einer nicht- Dresden und Leipzig. extremistischen spontanen Pro-Asyl-Kund- ❙❙ In Dresden versuchten Linksextremisten, gebung vor der Asylbewerberunterkunft die Stimmungslage nach dem gewaltsamen mit insgesamt ca. 250 Teilnehmern. Da Tod eines Asylbewerbers aus Eritrea am die Konfrontation an die Schutzfunktion 12. Januar 2015 in Dresden zu nutzen und gebunden wurde, war eine Auseinanderset- riefen zur Teilnahme an der „antirassisti- zung mit Rechtsextremisten eher defensiv schen“ Demonstration einer nichtextremis- anzusehen. Dass für Linksextremisten die tischen Pro-Asyl-Initiative am 28. Februar Verhinderung einer rechtsextremistischen 2015 in Dresden auf. Die „URA Dresden” Demonstration mit Gewalt verbunden ist, machte mit einem Aufruf ihre damit ver- zeigte sich in ihrer Agitation. So führten sie bundene Interessenlage deutlich und gab ein Transparent mit dem Symbol der „Anti- eine Einschätzung zu Stand und Perspektive faschistischen Aktion“ sowie der Aufschrift ihrer auf die Beseitigung der freiheitlichen „Nazis stoppen bleibt Handarbeit!“ mit. demokratischen Grundordnung gerichteten ❙❙ Herausragende Bedeutung besaß die Bestrebungen: Demonstration am 29. August 2015 in „Der direkte Diskurs mit den Herrschenden Dresden unter dem Motto „Es reicht! Schutz ist gescheitert. (…) die radikale Linke muss für Geflüchtete statt Verständnis für Ras- sich an den partikularen emanzipatorischen sisten!“. Dies zeigte sich an einer hohen Teil- Kämpfen beteiligen, diese vorantreiben nehmerzahl von insgesamt ca. 5.000 Per- und Brüche mit der herrschenden Ideologie sonen, darunter ca. 500 Linksextremisten erzeugen.“ 253 aus Sachsen und anderen Bundesländern. Eine den Asylbewerbern, Migranten und Bei der Mobilisierung im Vorfeld hatte es in ihren Unterstützern zugedachte Rolle einem Beitrag auf einem von Linksextremis- sieht sie in der Beispielwirkung von deren ten genutzten Internetportal gewaltbefür- „Selbstorganisation“ im „Kampf für gleiche wortende Aussagen gegeben. Die linksext- Rechte“. Diese trage die Chance zum Auf- remistische „Radikale Linke Berlin“ schrieb bau „solidarischer Basisstrukturen“ in sich, dort unter der Überschrift „Die Zeit der die „zu mehr als symbolischem Protest“ Sitzblockaden ist vorbei“: „Wir fahren nach fähig seien. Darüber hinaus zeigt sich auch Dresden, weil wir an den Türen der faschis- die Absicht, Asylsuchenden linksextremis- tischen Schreibtischtäter der sächsischen tische Vorstellungen zu vermitteln, sie in

251 linksunten.indymedia.org (Stand: 24. August 2015)

252 linksunten.indymedia.org (Stand: 28. August 2015), Schreibweise wie im Original 252 linksunten.indymedia.org (Stand: 28. August 2015), Schreibweise wie im Original 251 linksunten.indymedia.org (Stand: 24. August 2015) 253 uradresden.noblogs.org (Stand: 20. Februar 2015) 253 uradresden.noblogs.org (Stand: 20. Februar 2015)

194 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen linksextremistische Strukturen zu integ- rieren oder sie als neue Bündnispartner zu gewinnen. So fahren die Verfasser in ihrer Argumentation fort: Sehr klare Vorstellungen, inwieweit Asylbe- „Für die radikale Linke gilt es, diese Selbstor- werber in eine linksextremistische Struktur ganisation zu stützen und auszuweiten, hin integriert werden könnten, besitzt die anar- zu einer echten Alternative zur bestehenden chosyndikalistische „Freie Arbeiterinnen- und Konkurrenzlogik. Diese Auseinanderset- Arbeiter-Union” (FAU). So veröffentlichte die zungen mit unterschiedlichen Formen von FAU-Dresden am 1. August 2015 unter dem Herrschaft tragen unsere Hoffnung auf eine Titel „Arbeitskämpfe, Erwerbslosigkeit, Bera- befreite Gesellschaft in sich. Der Kampf der tung, Bildung und Kultur in der FAU Dresden“ Refugees ist ein bemerkenswertes Beispiel einen Beitrag, in dem eine Strategie für die solch einer Selbstorganisation.“ 254 Einbindung von Asylbewerbern in die Organi- ❙❙ Eine Einbindung von Asylbewerbern in Akti- sation der FAU skizziert wird. onen der linksextremistischen Szene zeigte Diese basiert im Wesentlichen auf zwei Säulen: sich auch in Leipzig. 1. Unterstützung von Arbeitsmigranten bei Am 24. August 2015 verhinderten etwa Lohnkämpfen mit perspektivischer Einbin- 500 Personen, darunter Linksextremisten, dung in die FAU sowie mit einer Blockadeaktion die Verlegung 2. Abbau von Sprachbarrieren verbunden mit von Asylsuchenden aus der Sporthalle der einer wöchentlichen Beratung durch Mit- Hochschule für Technik, Wirtschaft und glieder der FAU. Kultur (HTWK) in Leipzig-Connewitz nach Heidenau. Sie folgten damit einem kurz Die beabsichtigte Unterstützung von Asylbe- zuvor veröffentlichten Aufruf255, in dem über werbern in Dresden durch die FAU beruhte auf die geplante Verlegung informiert und dazu einer Einschätzung ihrer Lage. So stellen die aufgerufen wurde, vor Ort zu erscheinen Verfasser fest, „(…) dass in der rassistischen und dies zu verhindern. Die Aktion wurde Pogrom-Stimmung ein Kampf um die Straßen- im Nachgang als Erfolg bewertet, und es präsenz aktuell nicht zu gewinnen ist.“ Daraus wurde aufgerufen, am Folgetag erneut vor leiteten sie sowohl kurz- als auch längerfristige der Unterkunft die weiteren Verhandlungen Maßnahmen ab. Kurzfristig war beabsichtigt, kritisch zu begleiten und die Asylsuchenden „(…) die Lebenssituation der Flüchtlinge nach zu unterstützen.256 Schließlich versammelten Möglichkeit zu verbessern und den Schutz vor sich am 25. August 2015 etwa 1.000 Perso- Faschist_innen und Rassist_innen zu leisten, nen, darunter auch Asylsuchende, vor der den die sächsische Polizei den Betroffenen HTWK-Halle und demonstrierten friedlich verwehrt.“ Darüber hinaus wurde die Meinung unter dem Motto „Schutz für Geflüchtete vertreten „(…) dass es eine grundsätzliche Dar- statt Verständnis für Rassist*innen!“. stellung sozialer und systemischer Alternativen und eine antirassistische wie antikapitalistische

254 uradresden.noblogs.org (Stand: 20. Februar 2015)

254 uradresden.noblogs.org (Stand: 20. Februar 2015) 255 linksunten.indymedia.org/de (Stand: 25. August 2015) 255 linksunten.indymedia.org/de (Stand: 25. August 2015) 256 256linksunten. indymedia.org/delinksunten.indymedia.org/de (Stand: 25. August(Stand: 2015) 25. August 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 195 Grundbildung an den Schulen, in den Betrieben, politischen Entscheidung der Bundesregierung Nachbarschaften und Erwerbsloseninitiativen ging, zeigte sich in einer Presseveröffentlichung braucht, um langfristig aus dem Rechtsschwenk von „PRISMA”259. Dieser Erklärung zufolge sei der der Gesellschaft heraus zu kommen.“ Deshalb – Konvoi „Teil einer Gegenbewegung zu dieser Poli- so die Schlussfolgerung – wollte man versu- tik der Abschottung“, außerdem kündigte man chen, „Bildungsarbeit (…) wo immer möglich zu an, dass man Wege finden werde, die„kalther - leisten.“ Perspektivisch zielte man darauf ab, zige Abschottungspolitik zu unterlaufen“. Asylbewerber in öffentliche Aktionen der FAU einzubinden. So hieß es dazu: „Gleichzeitig wollen wir mit gemeinsamen Kämpfen von deut- schen, ausländischen und migrantischen Kol- leg_innen in der Praxis Ressentiments auflösen und ein greifbares Solidaritätsgefühl wecken.“ 257 Als eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft setzt sie ihren inhaltlichen Akzent vorrangig auf den Arbeitskampf, wobei Debatten über Lohnpolitik sowie über Mindestlohn und Tarife den Schwerpunkt bilden. Das Ansinnen der Quelle: www.facebook.com/ (Stand: 23. September FAU-Protagonisten, Asylbewerber perspekti- 2015) visch in die Gewerkschaftsarbeit einzubinden, ist als eine strategische Option anzusehen. Vor Für Linksextremisten stellen die Grenzkontrol- allem mit der angestrebten Integration von len einen Akt „staatlicher Repression“ dar, der Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt dürften bekämpft werden muss, so dass die Flucht- diese für eine anarchosyndikalistisch aus- hilfe als eine „legale Aktion“ angesehen und gerichtete Gewerkschaft eine wichtige Ziel- außerhalb der eigenen Klientel auch so ver- gruppe darstellen. Der veröffentlichte Artikel mittelt wird. Die „Asylthematik“ wird dabei mit weist deutlich in diese Richtung. dem Themenfeld „Antirepression“ verknüpft. Dadurch lassen sich diese Straftaten nicht nur Auf die Wiedereinführung der Grenzkontrollen begründen, sondern auch legitimieren, zumal zu Österreich reagierte die Leipziger linksextre- dies in der Öffentlichkeit als „Solidarität mit mistische Gruppe „PRISMA – Interventionisti- Flüchtlingen“ propagiert wird. sche Linke Leipzig”. Unter dem Motto „Refugee Convoy Leipzig – Ungarn – Wien“258 organisierte Die Absicht der Linksextremisten, das Thema diese Gruppierung für den 14./15. September Asyl mit einer umfassenden Gesellschaftskritik 2015 einen Autokonvoi in Richtung ungarisch- zu verbinden und die Ablehnung des demokra- österreichische Grenze, um Asylbewerbern bei tischen Rechtsstaates zu begründen, zeigt sich der Einreise zu helfen. Dass es den Akteuren deutlich in einem Aufruf für eine Demonstra- bei dieser Aktion um das Unterlaufen einer tion am 24. Oktober 2015 in Leipzig.

257 linksunten.indymedia.org/de (Stand: 3. August 2015)

257 linksunten.indymedia.org/de (Stand: 3. August 2015) 258 linksunten.indymedia.org/de (Stand: 14. September 2015) 258 linksunten.indymedia.org/de (Stand: 14. September 2015) 259 prisma.blogsport.de (Stand: 16. September 2015) 259 prisma.blogsport.de (Stand: 16. September 2015)

196 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Der Anlass für die Demonstration war der Verhältnissen, da – so argumentieren die fünfte Jahrestag des ausländerfeindlich moti- Autoren – die Morde „lediglich ein Spiegelbild vierten Mordes an Kamal K. in Leipzig. Der gesellschaftlicher Zustände [seien], jener also, gebürtige Iraker war am 24. Oktober 2010 in die solche Morde erst möglich machen.“ Das Leipzig ermordet worden. Seitdem nehmen sehen sie als eine Konstante an, die schließ- Linksextremisten dieses Ereignis zum Anlass, lich unter der Überschrift „SACHSEN TÖTET! um in der Öffentlichkeit gegen den demokra- DEUTSCHLAND AUCH!“ fortgesetzt wird.260 tischen Rechtsstaat zu agitieren, wobei den In ihre Argumentation bezogen die Verfasser Behörden bei der Aufklärung des Tötungsdelik- auch die aktuellen Debatten um die Asylpoli- tes Versagen vorgeworfen wird. tik der Bundesregierung mit ein. Dabei gingen sie deutlich auf Distanz zu jenen bürgerli- chen Kräften, die um eine Entschärfung des Konflikts und um Dialog mit asylkritischen Demonstranten bemüht sind. So hieß es: „Fast täglich finden sich alleine in Sachsen tausende Rassist_innen an vielen Orten zusammen, um ihr so genanntes ‚deutsches Abendland‘ völ- kisch weiß und ‚ausländerfrei‘ zu halten. Ver- ständnis und Unterstützung für ihre Forderun- gen erhalten sie dabei von Politik, Kultur, Kirche Demonstration am 24. Oktober 2015 in Leipzig und Medien.“ Die Schlussfolgerung die daraus Quelle: linksunten.indymedia.org gezogen wurde: „TOLERANZ TÖTET!“. (Stand: 27. Oktober 2015) Zu jenen, die durch ihre Toleranz ein „Töten“ ermöglichen, gehören aus Sicht der Autoren Im Aufruf zu dieser Demonstration wurde eine aber auch linke Kräfte. Denn, so hieß es weiter: umfassende Gesellschaftskritik aus linksex- „Dazu gehört aber auch eine linke oder antiras- tremistischer Perspektive publiziert. Unter sistische Szene/Bewegung, die all die Widersprü- der Überschrift „LEIPZIG TÖTET!“ wurden alle che in dieser Gesellschaft aushält und erträgt.“ Tötungsdelikte explizit aufgeführt, die zwi- Dieser wird unterstellt, dass es ihnen nicht um schen 1990 und 2015 in Leipzig begangen Solidarität mit Flüchtlingen gehe, sondern nur wurden, und bei denen die Verfasser davon um das Ansehen einer Stadt oder des Landes, ausgehen, dass die Betroffenen einerseits da sie „(…) zusammen mit Rassist_innen und ausnahmslos Opfer „rechter“ Gewalt seien. Politiker_innen aller Parteien‚ Willkommens- Andererseits stellten sie aber fest: „Dass jedoch feste‘ feiere, um am Image des ‚freundlichen‘ und hinter einer rechten Gewalttat bzw. rechts- ‚weltoffenen Deutschland‘ zu basteln (…).“ 261 motivierten Mord nicht per se organisierte Zusammengefasst besitzt das Thema Asyl für Neonazis oder Menschen mit neonazistischen Linksextremisten somit folgende Funktionen: Einstellungen stehen müssen (…).“ Die Ursa- ❙❙ Es ermöglicht Linksextremisten, sowohl che dafür sehen sie in den gesellschaftlichen gegen tatsächliche oder vermeintliche

260 www.rassismus-toetet-leipzig.org (Stand: 29. Oktober 2015) 260 http:/www.rassismus-toetet-leipzig.org (Stand: 29. Oktober 2015) 261 Ebenda 261

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 197 Rechtsextremisten (Asylgegner) als auch ❙❙ Es ermöglicht Linksextremisten, Koalitionen gegen Personen und Institutionen des mit zivilgesellschaftlichen Akteuren einzu- politischen Systems vorzugehen, die in die gehen. Insofern besitzt es eine Brücken- Asylpolitik involviert oder mit der Unter- funktion. Die Bündnisse zwischen diesen bringung von Asylbewerbern betraut sind. beiden Lagern können dazu führen, dass ❙❙ Es ermöglicht Linksextremisten, mit eigenen linksextremistische Positionen zu diesem Positionen zum Thema Asyl den demokra- Thema zunehmend gesellschaftliche Akzep- tischen Rechtsstaat zu delegitimieren und tanz finden. ihn als „rassistisch“ und faschistisch“ zu diffamieren.

2.3 „Autonome“

Entstehung und Strukturentwicklung unabhängigen antikapitalistischen Kampf der Fabrikarbeiter propagiert, indem sie den auto- Die Ursprünge der „Autonomen” resultieren aus nomen Arbeiter als revolutionäres Objekt in dem Zerfall der 1968er-Protestbewegung und dem den Mittelpunkt des Konfliktes zwischen Kapi- allmählichen Niedergang der daraus gewachsenen tal und Arbeit stellte. Eine Leitung oder Orga- kommunistischen Splittergruppen. Sie gingen aus nisation durch Parteien oder Gewerkschaften einem Teil der politischen Alternativkultur, der mili- sollte nicht stattfinden. tanten Hausbesetzerszene, insbesondere jedoch Die Ideen der Autonomia Operaia, der Einsatz aus der sogenannten „Sponti-Bewegung“ hervor. von Gewalt zur Durchsetzung der politischen Diese stand für Unabhängigkeit, Selbstorganisa- Ziele, die Ablehnung von festen Organisations- tion und Spontaneität bei politischen Aktionen. formen und der Kampf für die eigenen Interes- Sie war stark von anarchistischen, hierarchie- und sen wurden von den „Autonomen” als „Politik organisationsfeindlichen Einstellungen sowie einer der ersten Person“ auch für andere Aktionsfel- Verweigerungshaltung gegenüber bürgerlichen der als den Fabrikkampf übernommen. Normen geprägt.

Der Begriff „Autonome“ setzte sich als Selbst- bezeichnung der Szene Anfang der 1980er Jahre durch. Er nimmt Bezug auf die Bewegung der „Arbeiterautonomie“ (Autonomia Operaia), die sich in den 1960er Jahren in den industri- ellen Zentren Norditaliens gebildet hatte und dort für militante Auseinandersetzungen und Fabrikkämpfe in den 1960er und 1970er Jahren 5. Juni 2015 Leipzig verantwortlich gewesen war. Diese Bewegung Quelle: linksunten.indymedia.org hatte den von Gewerkschaften und Parteien (Stand: 8. Juni 2015)

198 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen In den 1980er Jahren entstanden in zahlreichen Linke“, der mit „Prisma Leipzig” – auch als „IL Städten in der Bundesrepublik Deutschland Leipzig” bezeichnet – eine linksextremistische Gruppen, die sich selbst als „autonom“ definier- Gruppierung aus Sachsen angehört. ten. Sie versuchten, mit gewalttätigen Aktionen neue „Freiräume“ zu erkämpfen, um dadurch Im Freistaat Sachsen festigte sich 1989/1990 zugleich eine eigene Handlungsfähigkeit in eine autonome Szene. Diese Szene orientierte verschiedenen auch von friedlichen Nichtextre- ihren Kampf damals an Themen, wie der Stasi- misten geführten Konflikten (Startbahn-West in Aufarbeitung und der „Kolonisierung durch das Frankfurt am Main [Hessen], Hausbesetzungen System der Bundesrepublik“. Die Agitations- und etc.) zu etablieren. Um „Freiräume“ zu erkämp- Aktionsfelder der „Autonomen” glichen sich seit fen, beteiligten sich „Autonome“ vor allem an den 1990er Jahren in den neuen Bundesländern zahlreichen Hausbesetzungen als politisches denen der Altbundesländer an. Zentrale Agita- Mittel im Kampf gegen den Staat. Gleichzeitig tionsthemen für „Autonome“ in Ost und West suchten sie gewalttätig die offene Auseinander- sind der sogenannte „Antifaschismuskampf“ setzung mit dem „staatlichen Gewaltapparat“. bzw. das Themenfeld „Antirassismus“/Asyl. Welche Aktionsfelder aber aufgegriffen und Strukturell ist die autonome Szene zumeist thematisiert werden und schließlich zu öffent- stark zersplittert und in örtlichen Szenen und lichen Aktionen führen, ist von den jeweiligen Kleingruppen organisiert. Den verschiedenen politischen Rahmenbedingungen und aktuel- Versuchen der Bildung einer überregionalen len politischen Debatten abhängig. Vor allem Organisation oder zumindest einer dauerhaf- die anhaltende Diskussion über die Asylpolitik ten Vernetzung untereinander standen bislang veranlasste die sächsische autonome Szene im die den „Autonomen” eigene Organisations- Berichtsjahr zu Aktionen. Da die Asylpolitik der feindlichkeit, ihr aktionsorientiertes Vorgehen Bundesregierung sowie die Aufnahmepraxis in sowie ideologische Differenzen entgegen. Sachsen als „repressiv“ interpretiert werden, Allerdings zeichnet sich in den letzten Jahren waren es im Berichtsjahr hauptsächlich die Akti- sowohl bundesweit als auch in Sachsen innerhalb onsfelder „Antirepression“ und „Antirassismus“/ der autonomen Szene eine deutliche Tendenz Asyl, die thematisiert und in der öffentlichen ab. Neben den undogmatischen und militanten Agitation miteinander verknüpft wurden. Linksextremisten – den „klassischen Autono- men” – etablieren sich sogenannte „Postauto- Die autonome Szene dominiert den Linksext- nome“. Im Gegensatz zu „Autonomen” herkömm- remismus im Freistaat Sachsen deutlich. Ihr licher Prägung präsentieren sie sich ziviler und gehören ca. 370 Personen an, die einen Anteil moderater und streben eine Zusammenarbeit von ca. 47 % aller linksextremistischen Bestre- in überregionalen Bündnissen an, denen auch bungen in Sachsen (ca. 780) ausmachen. Wie andere linksextremistische Organisationen, aber die numerische Entwicklung zeigt (siehe Gra- auch Nichtextremisten angehören. Diese Bünd- fik), hat sich in den zurückliegenden Jahren – nisse sprechen sich für die Beibehaltung militan- von kleinen Schwankungen abgesehen – ein ter Konzepte aus, legen allerdings Wert auf deren relativ konstanter Personenkreis von durch- Vermittelbarkeit außerhalb der eigenen Klientel. schnittlich ca. 350 Personen herausgebildet, Ein Beispiel eines solchen bundesweiten postau- der diese Strömung des Linksextremismus tonomen Netzwerks ist die „Interventionistische repräsentiert.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 199 Entwicklung der Anzahl „Autonomer” im Freistaat Sachsen

500

400 360 370 370 360 370 340 340 340 300 300 280

200

100

0 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Regionaler Schwerpunkt der sächsischen auto- anlassbezogen im Verhältnis zu ihrer Größe nomen Szene ist die Stadt Leipzig. Mehr als die vergleichsweise aktiv. Hälfte der sächsischen „Autonomen” gehört der Leipziger Szene an, so dass sich dort das Kleinere autonome Szenen finden sich im Land- stärkste gewaltbereite Potenzial konzentriert. kreis Mittelsachsen, im Vogtlandkreis sowie im In Dresden – zweiter Schwerpunkt sächsischer Landkreis Görlitz. In Klein- und Mittelstädten „Autonomer” – ist die örtliche Szene wesent- bestehen einzelne autonome Gruppen, die lich kleiner, ihr Stellenwert hat in den letzten sich an Demonstrationen beteiligen und auch Jahren weiter abgenommen. eigene Aktionen durchführen. Die autonome Szene in Chemnitz ist nochmals deutlich kleiner und kaum strukturiert, aber

200 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Autonome Szenen in Sachsen

Selbstverständnis und linksextremistische Fundamentalopposition und Basisbewegung. Ideologie Das Weltbild der „Autonomen” und deren Weltanschauung resultieren aus ihrem Selbst- Die autonome Szene ist eine Strömung inner- verständnis, welches von einer destruktiven halb des Linksextremismus, die keiner Orga- Anti-Haltung (antistaatlich, antirepressiv, anti- nisation mit klaren Strukturen angehört. faschistisch) geprägt ist. Deshalb tragen auch Sie unterscheidet sich deutlich von anderen deren Aktionen einen destruktiven Charakter. Gruppierungen, vor allem hinsichtlich ihres Jenseits von Forderungen nach „Selbstbestim- Selbstverständnisses, Weltbildes und Organi- mung“ und „herrschaftsfreien Verhältnissen“ sationsgrades. gibt es kein einigendes ideologisches Band Zwar gibt es gemeinsame Grundpositionen unter „Autonomen”. aller linksextremistischen Strömungen, die sich in einer erklärten Gegnerschaft zum freiheit- „Autonome“ wollen eine herrschaftsfreie, lichen demokratischen Rechtsstaat und damit „antikapitalistische“ Gesellschaft zur Bundesrepublik Deutschland zusammen- finden. Darüber hinaus besteht ein grundsätz- Ihrem Selbstverständnis liches Bekenntnis zu „revolutionärer Gewalt“. entsprechend orientieren Im Gegensatz zu anderen linksextremistischen sie sich an anarchisti- Gruppierungen – etwa zu orthodoxen Kom- schen Ideologiefragmen- munisten – lehnen „Autonome“ aber einen ten und wenden sich von Staat sowie politische Parteien kategorisch ab. diesem Ansatz ausge- Weltanschaulich-politisch verfolgen sie keine hend gegen jegliche dogmatische Linie, sondern verstehen sich als Form von Herrschaft,

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 201 Organisation und Hierarchie. Demzufolge leh- Gegners. Insofern sehen sie ihre eigene nen sie die Gewaltenteilung ab, in denen eine Gewaltausübung als legitim an. Zum anderen demokratisch legitimierte Mehrheit eine kont- gibt es aus ihrer Sicht bestimmte politische rollierte Macht ausübt und Minderheitenrechte Anliegen, die den Einsatz von Gewalt generell zu achten hat. Angestrebt wird somit die rechtfertigen. Abschaffung der Demokratie. Der Weg dorthin ist zwar nicht klar definiert, Gewaltanwendung Dabei orientieren sich „Autonome“ stark am wird aber als „legitim“ betrachtet. Philosophen und Sozialwissenschaftler Her- „Autonome“ bekämpfen auch die von ihnen als bert Marcuse, der mit seinen Ideen maßgeblich „kapitalistisch“ bezeichnete Gesellschaftsord- die 1968er Bewegung beeinflusste. Er sah die nung. Ihnen geht es dabei nicht um eine legi- Ursachen für Gewalt in den „kapitalistischen time Kapitalismuskritik, sondern vielmehr um Produktionsverhältnissen“. Diese seien die Basis die Abschaffung unserer Gesellschaftsordnung für gesellschaftliche Strukturen sowie für Insti- durch eine soziale Revolution und die Errich- tutionen und Machtverhältnisse, die schließlich tung einer „herrschaftsfreien“ Gesellschaft. eine „strukturelle“ Gewalt auf ihre Bürger aus- übe. Daraus leiten „Autonome“ ein Naturrecht Rolle der Gewalt auf Widerstand ab und rechtfertigen damit den Einsatz von Gewalt. Vor allem in Anlehnung an Marcuses Prinzip der Gegenwehr prägte die autonome Szene den Begriff „Antirepression“. Er versteht sich ausschließlich als Reaktion auf vermeintliche Gewalt des Staates, um die herr- schende Gewalt aufzubrechen und gesellschaft- liche Veränderungen herbeizuführen.

Auf Grund dieser Orientierung herrscht in der Für „Autonome“ ist Gewaltausübung sowohl sächsischen autonomen Szene Konsens darü- zur Durchsetzung politischer Ziele als auch ber, Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik als Symbolhandeln maßgeblich. Gewaltbereit- anzusehen. schaft ist ein identitätsstiftender und prägen- So positionierten sich beispielsweise Akteure der Bestandteil der autonomen Szene. Sie fin- der Leipziger Szene in der Erklärung „[LE] Äuße- det Ausdruck in schwersten Straftaten, die in rungen zu den Krawallen am 5. Juni“262: Strategiepapieren und Diskussionen gerecht- fertigt und in Symbolik verherrlicht werden. „Natürlich braucht es zur Veränderung der Durch ihre Gewaltbereitschaft unterscheiden Gesellschaft Militanz (…).“ „Wir glauben, dass sich die „Autonomen” von legalistischen Links- gezielte und klandestine Angriffe wie das (tech- extremisten. nische) Lahmlegen der Ausländerbehörde oder das (massenhafte) Sabotieren wichtiger Infra- „Autonome“ sehen sich als Opfer sowohl strukturen zielführender ist.“ staatlicher Gewalt als auch der des politischen

262 linksunten.indymedia.org (Stand: 18. Juni 2015) 262 Ebenda

202 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Auch die Dresdner linksextremistische „Kam- linksextremistischer Gewalt. Der Umfang der pagne 129ev”263, welche sich nach Ermittlungs- Ziele zeigt, dass sich der Aufruf gegen den maßnahmen gegen Angehörige der Dresdner demokratischen Rechtsstaat und gegen aus- autonomen Szene im April 2011 gebildet hatte, gewählte Unternehmen der Privatwirtschaft rechtfertigte militante Aktionen als „Gegenge- richtete. walt“ gegen die Bedrohung autonomer Frei- Initialzündung für diese Entwicklung war der räume: Aufruf unter dem Motto „Leipzig: Ein Aufruf zu Gewalt – gegen jene, die diese gewalttätige „Durch intensives Räumen besetzter Häuser Welt wollen“266 vom 17. Dezember 2014, in dem und Wagenplätze werden experimentelle Frei- diese Ziele formuliert und zur Gewalt aufge- räume, die eine Alternative zur kapitalistischen rufen wurde (weitere Angaben siehe Beitrag Verwertungslogik darstellen, nach und nach „Autonome“ in Leipzig“). zerstört. (…) Planmäßig wird die Möglichkeit Ein Novum war im Berichtsjahr, dass die eines herrschaftsfreien Lebens mit jedem Tag Akteure diese Aktionen zunehmend „theore- ein Stück mehr bekämpft und viele Aspekte des tisch“ reflektierten und sich mit der Rolle von Widerstandes ‚provokativ’ verunmöglicht.“ 264 Gewalt und Militanz als Instrumente politi- schen Agierens auseinandersetzten. So wur- Militanz ist für sie außerdem „in ihrer unter- den diese Aktionen von einer ganzen Reihe schiedlichsten Form (ein) notwendiges und legi- von Bekennerschreiben und Positionspapieren times Mittel emanzipatorischer Politik.“ 265 flankiert. Diese dienten einerseits dem Ver- such, die Gewalt öffentlich zu rechtfertigen, Eine neue Tendenz zeigte sich im Berichts- andererseits aber auch der szeneinternen Dis- zeitraum in der Zielrichtung der Gewalt. Bis- kussion über Taktiken der Gewaltanwendung. her richteten sich Gewalttaten hauptsächlich Allen gemeinsam ist die einheitliche Auffas- gegen den politischen Gegner, der tatsächliche sung, dass Gewalt und Militanz als geeignete oder vermeintliche Rechtsextremisten sowie Mittel praktischer Politik angesehen werden. Polizisten umfasst. Im Jahr 2015 gerieten zunehmend Instituti- onen, die nach Auffassung der gewaltberei- ten „Autonomen” dem „Repressionsapparat“ zugerechnet werden (Parteien wie CDU, SPD und GRÜNE, Justizbehörden) bzw. in „repres- sive Abläufe“ eingebundene Unternehmen (Banken, Sicherheitsfirmen) in den Fokus

263 Mit der Verwendung der Zahlenformel 129 bzw. 129a verdeutlichen Linksextremisten ihren Protest gegen – aus ihrer Sicht diskriminierende und ungerechtfertigte – Ermittlungsverfahren gegen linksextremistische Zusammenschlüsse wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 des Strafgesetzbuchs – StGB) bzw. Bildung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB). Entsprechende Maßnahmen von Polizei und Justiz werden als „Repressionsmaßnahmen“ diffamiert und in der Öffentlichkeit angegriffen. 264 Internetseite der „Kampagne 129ev”, Beitrag „Repression auf mehreren Ebenen“ vom 23. Juni 2011 (Stand: 22. September 2015) 265 Szenezeitschrift „Underdog“, Ausgabe 42 vom 1. August 2013, auch abrufbar auf der Internetseite der „Kampagne 129ev” 263 264(Stand: 15. September 2015) 265266 linksunten. indymedia.org (Stand: 18. Dezember 2014) 266

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 203 Gewalttätige Aktionen

Der Stellenwert der Gewalt für die sächsische autonome Szene zeigt sich auch in deren poli- tischem Handeln, das von einem anhaltend hohen Aggressionsniveau geprägt ist. Neben Polizisten stehen vor allem tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten im Fokus linksextremistischer Gewalt. Darüber hinaus weist die Intensität der Körperverletzungen darauf hin, dass „Autonome“ ihren Gegnern Quelle: linksunten.indymedia.org (Stand: 18. Dezem- zunehmend bewusst körperliche Schäden ber 2014) zufügen zu wollen.

Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund im Freistaat Sachsen, die gegen den politischen Gegner bzw. die Polizei gerichtet waren 300 2012 2013 2014 2015 250 207 200 138 150 104 82 100 79 71 45 50 36

0 gegen „rechts“ gegen Polizei

Charakteristisch ist das besonders gewalttä- hinterließen eine Spur der Verwüstung. Sie tige Vorgehen gegen die Polizei. Polizeibeamte bewarfen Polizeibeamte und Polizeifahr- verkörpern das staatliche Gewaltmonopol und zeuge mit Steinen, zündeten Pyrotechnik gelten „Autonomen” als Vertreter des verhass- und beschädigten Fahrzeuge und Ver- ten Staates. Im Berichtsjahr richteten sich die kehrszeichen. Außerdem beschmierten sie Aktionen auch gegen Institutionen des demo- öffentliche Gebäude und warfen am Amts- kratischen Rechtsstaates, welche „Autonome“ gericht 40 Fensterscheiben ein. dem „Repressionsapparat“ zurechnen. Exemp- ❙❙ Am 24. April 2015 beschädigten zehn ver- larisch dafür stehen folgende Aktionen: mummte Personen die Verglasung der Aus- ❙❙ Am 15. Januar 2015 zogen unangemel- länderbehörde in Leipzig. det etwa 600 bis 800 Personen, die teil- ❙❙ Am 5. Juni 2015 zogen etwa 70 bis 100 ver- weise schwarz gekleidet und vermummt mummte Personen randalierend durch die waren, durch die Leipziger Innenstadt. Sie

204 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Innenstadt Leipzigs und zerstörten u. a. die können dabei verstärkend auf linksextremistische Fenster des Bundesverwaltungsgerichts. Straf- und Gewalttäter wirken. ❙❙ Am 12. Dezember 2015 eskalierte in Leipzig So griffen Unbekannte am 12. Dezember 2015 im Zusammenhang mit einer Demonstra- zielgerichtet den Anmelder einer am selben tion von Rechtsextremisten die Gewalt, als Tag stattfindenden rechtsextremistischen es zu massiven Ausschreitungen von Links- Demonstration in Leipzig an. Die Täter drangen extremisten kam. in die Wohnung des Geschädigten ein und zer- störten die Einrichtung. Mit dieser Gewalt verfolgten sie das Ziel, poli- Ebenfalls im Zusammenhang mit der Veran- tische Entscheidungen zu beeinflussen. Das staltung griffen bereits am 9. Dezember 2015 zeigte sich deutlich bei einem Angriff auf den unbekannte Täter den stellvertretenden Kreis- neuen Polizeiposten in Leipzig-Connewitz am vorsitzenden der NPD in seinem Ladengeschäft 7. Januar 2015, durch den sich „Autonome“ in in Leipzig tätlich an. Dem Geschädigten wurde ihrem Szeneviertel Connewitz in ihrem „selbst- eine Kopfverletzung zugefügt. bestimmten Freiraum“ beeinträchtigt sahen: Zu dem Angriff wurden unter dem Titel „[LE] ❙❙ Etwa 50 vermummte Personen griffen den Action speaks louder than words“ 268 noch am Polizeiposten in Connewitz mit Steinen, Fla- selben Tag ein Selbstbezichtigungsschreiben schen, Feuerwerkskörpern und Farbbeuteln sowie Bilder veröffentlicht, die die Täter bei an. Dabei wurden Fensterscheiben und die dem Angriff fertigten. Fassade erheblich beschädigt. Außerdem setzten sie einen Funkstreifenwagen in Brand. Vor ihrer Flucht legten die Angreifer auf der Straße sogenannte „Krähenfüße“ aus. In einem anschließend auf einem von Linksext- remisten genutzten Internetportal veröffent- lichten Bekennerschreiben hieß es u. a.: „Bulle dein Duldungsstatus ist aufgehoben (…).“ 267

Maßgeblich für die Mobilisierung und das Ver- Quelle: linksunten.indymedia.org/de/ halten von gewaltorientierten Linksextremisten (Stand: 10. Dezember 2015) sind die Bedeutung des Anlasses, die aufrufen- den Gruppierungen sowie die zur Mobilisierung In der Nacht vom 12. zum 13. März 2015 kam genutzten Medien. Gesellschaftlich relevante es in Dresden erneut zu einem Brandanschlag Themen, die den Kernbereich der linksextremis- auf ein Fahrzeug der Deutschen Bahn AG. tischen Grundsätze treffen, wie die Beteiligung Die unbekannten Verfasser eines Selbstbe- von Rechtsextremisten an Wahlen oder als Initia- zichtigungsschreibens269 begründeten die Tat toren von Veranstaltungen sowie die Asyldebatte, mit dem „menschenunwürdigen Verhalten“ der Deutschen Bahn und deren Personal

267 linksunten.indymedia.org, Beitrag „[LE] Angriff auf Polizeiposten“ (Stand: 8. Januar 2015) 268 linksunten.indymedia.org/de (Stand:10. Dezember 2015). Am 30. Dezember 2015 trat der Geschädigte von seinem Amt als stellvertretender Kreisvorsitzender der NPD in Leipzig zurück, außerdem268 gab er seinen Austritt aus der NPD bekannt.

269 Mit der Verwendung der Zahlenformel 129 bzw. 129a verdeutlichen Linksextremisten ihren Protest gegen – aus ihrer Sicht diskriminierende und ungerechtfertigte – Ermittlungsverfahren gegen linksextremisti- 267 linksunten.indymedia.org (Stand: 18. Juni 2015) sche Zusammenschlüsse wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 des Strafgesetzbuchs – StGB) bzw. Bildung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB). Entsprechende Maßnahmen von Polizei und Justiz werden als „Repressionsmaßnahmen“ diffamiert und in der Öffentlichkeit angegriffen. 269 linksunten.indymedia.org, Beitrag „Dresden: DB-Auto den Flammen übergeben“ (Stand: 16. März 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 205 gegenüber „Menschen, welche sich kein Ticket führte beispielsweise die anhaltende öffentli- leisten können, oder die jährlich erhöhten che Diskussion über die Asylpolitik zu einem Preise nicht bezahlen wollen“, und gegenüber Anstieg von Aktionen der autonomen Szene Obdachlosen, die von Bahnhöfen vertrieben zu den Themenfeldern „Antirassismus“/Asyl. würden. Denselben Vorwurf erhoben sie auch Seit geraumer Zeit verzahnen sie mehrere The- gegenüber angeblich „rassistische(n) Kontrol- menfelder miteinander wie „Antifaschismus- len“. Die Tatbegehung in Verbindung mit dem kampf“ mit „Antirassismus“ oder „Kampf um Anschlagsziel und dem Tatbekenntnis lässt auf Freiräume“ mit „Antirepression“. einen anzunehmenden linksextremistischen Im Vergleich dazu haben die Themen „Antika- Hintergrund schließen. Bereits am 31. Mai 2014 pitalismus“ bzw. „Antiglobalisierung“, „Antimi- kam es in Dresden zu einem Brandanschlag auf litarismuskampf“ und „Anti-Atom-Proteste“ in fünf Fahrzeuge der Deutschen Bahn. der sächsischen autonomen Szene nur geringe Bedeutung.

„Antifaschismuskampf“

„Autonome“ gehen davon aus, dass Faschismus und Kapitalismus in einem kausalen Zusam- menhang stehen. Das ökonomische System – also Demokratie und Soziale Marktwirtschaft – bilde demnach die Ursache für den Faschismus als politische Ordnung. Aus Sicht „Autonomer” Quelle: linksunten.indymedia.org (Stand: 16. März bedeutet der Kampf gegen den Faschismus 2015) damit gleichzeitig Kampf gegen den demokra- tischen Rechtsstaat. Aktionsfelder der „Autonomen” Dies zeigte sich exemplarisch an den Positio- „Autonome“ greifen entsprechend der politi- nen der „Antifaschistischen Offensive Leipzig” schen Lage und des politischen Diskurses ver- (AOL), auf deren Internetseite es hieß: schiedene Themenfelder auf und positionieren sich dazu in der Öffentlichkeit. „Faschismus und Rassismus finden ihren Zu den derzeit wichtigsten Aktionsfeldern Ursprung im kapitalistischen System, diesem sächsischer „Autonomer” gehören neben gilt es, sich entschlossen entgegen zu stellen.“ 270 dem „Antifaschismuskampf“ Themen wie „Antirassismus“/Asyl sowie „Antirepression“ Obwohl es aus Sicht der und „Freiräume“. Welche der Aktionsfelder in „Autonomen” legitim und der Öffentlichkeit thematisiert werden und erforderlich ist, Rechtsex- inwieweit „Autonome“ in der Lage sind, dies- tremisten auf allen Ebenen bezüglich tätig zu werden, hängt von den und mit allen Mitteln zu bekämpfen, grenzen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. So sie sich von staatlichen Maßnahmen gegen

270 aole.blogsport.de, Beitrag „Antifaschistische Demonstration in270 Gotha“ vom 1. März 2014 (Stand: 22. September 2015). Die Gruppierung gab Ende 2014 im Internet ihre Auflösung bekannt.

206 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Rechtsextremismus ab. Deren Unterstützung „(…) für viele Menschen, die nicht unbedingt würde ihrem Kampf gegen das „System“ zuwi- dem klassisch linken Spektrum zuzuordnen derlaufen. sind, sind Blockaden so erst zum persönlichen Protest- und Widerstandshandeln geworden.“ 272 Dementsprechend wurde in einer Flugschrift anlässlich des 80. Jahrestages der „Antifa- „Autonome“ missbrauchen friedliche zivilge- schistischen Aktion“ festgestellt, die Doppel- sellschaftliche Aktivitäten und Demonstratio- fahnen seien nen bewusst. Sie nutzen diese nichtextremis- tischen Versammlungen als Rückzugsort, um „zu einem Emblem gewor- in der Menge der friedlichen Demonstranten den, das szeneübergrei- unterzutauchen und diese als sogenannte fend Verwendung findet, „Deckungsmasse“ zu missbrauchen. Diese sich vom staatstragenden Strategie wurde im Zusammenhang mit einer Antifaschismus abgrenzt Demonstration von Rechtsextremisten am und für eine militante 12. Dezember 2015 deutlich. Linksextremisten Politik steht.“271 beteiligten sich nicht am bürgerlichen Protest, sondern agierten in Kleingruppen. Mit dem Themenfeld des Antifaschismus ist es den sächsischen „Autonomen” in den letzten Das im Hinblick auf die Umsetzung der Bünd- Jahren gelungen, Akzeptanz über ihre eigene nisstrategie beispielhafte Bündnis Nazifrei- Klientel hinaus zu finden. Rechtsextremismus Dresden stellt sich quer legte im Berichtsjahr wird von der breiten Öffentlichkeit abgelehnt. seine Verknüpfungen zur linksextremistischen Dadurch gelingt es „Autonomen” teilweise, autonomen Szene deutlich offen. So schrieb Bündnisse mit zivilgesellschaftlichen Kräften es in einem Kommentar auf seiner Facebook- einzugehen, um gemeinsam mit diesen gegen Seite: rechtsextremistische Aktivitäten zu demonst- rieren. Mittels dieser Bündnisstrategie wollen „(…) wir sind das, was ihr den ‚schwarzen Block´ sie extremistischen Positionen Normalität ver- nennt. Er ist Teil von uns, er ist bei uns im Bünd- leihen und die Akzeptanz ihrer politischen Ziele nis. Und ohne ihn, würde es weder dieses Bünd- fördern. Dies führt z. B. dazu, dass sich in Ein- nis geben, noch hätten wir je einen Nazi-Groß- zelfällen auch bürgerliche Teilnehmer verleitet aufmarsch blockiert. Dresden Nazifrei ohne die sehen, die Rechte anderer Personen, beispiels- radikale Antifa wird es nicht geben! Und das ist weise die Demonstrationsfreiheit, zu verletzen. auch gut so.“ 273 Dass damit eine Debatte über Blockaden als legales politisches Mittel angestoßen wird, Die sächsische autonome Antifa legt den bewertet die autonome Szene positiv. Deutlich Begriff des „Faschismus“ bei ihrer Argumenta- äußerte sich dazu ein Aktivist der linksextre- tion zunehmend weit aus. Alle Positionen, die mistischen „Kampagne 129ev”: nicht ihren Wertvorstellungen entsprechen,

271 Flugschrift „80 Jahre Antifaschistische Aktion“, 1. Auflage vom Juni 2012, Göttingen (Niedersachsen) 272 Szenezeitschrift „Underdog“, Ausgabe 42 vom 1. August 2013, auch abrufbar auf der Internetseite der Kampagne 129 ev 272 Szenezeitschrift „Underdog“, Ausgabe 42 vom 1. August 2013, auch abrufbar auf der Internetseite der Kampagne 129 ev (Stand: 15. September 2015) (Stand: 15. September 2015) 271 Internetseite der Kampagne 129 ev, Beitrag „Repression auf mehreren Ebenen“ vom 23. Juni 2011 (Stand: 22. September 2015) 273 273 www.facebook.com/dresden.stellt.sich.quer (Stand: 28. August 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 207 werden als „nazistisch“ oder „reaktionär“ abge- „Antirepression“ bzw. „Kampf um lehnt. Im Zuge dessen werden sowohl tatsäch- Freiräume“ liche Rechtsextremisten, aber auch andere Per- sonen als „Faschisten“ oder „Nazis“ bezeichnet, Der „Kampf gegen staatliche Repression“ ist ein wenn sie nicht die Positionen der Autonomen typisches Aktionsfeld von „Autonomen”, mit vertreten. So sollen Angriffe auf Personen, die dem der demokratische Rechtsstaat delegiti- nicht in das eigene Weltbild passen, legitimiert miert werden soll. Er wird als ein gerechtfer- werden. tigtes Mittel verstanden, um die herrschende „Gewalt des Systems“ aufzubrechen. „Antirassismus“/Asyl Seit 2011 hat dieses Thema unter sächsischen „Autonomen” zunehmend an Bedeutung gewonnen. Auslöser hierfür waren Durchsu- chungsmaßnahmen der sächsischen Polizei im April 2011, die wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung durch- Quelle: linksunten.indymedia.org geführt worden waren. In der Folge entstand die gewaltbefürwortende linksextremistische Autonomer „Antirassismus“ steht in einem „Kampagne 129ev”, die im Wesentlichen durch engen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Öffentlichkeitsarbeit um Unterstützung für die Themenfeld „Antifaschismus“. Mit antirassisti- Beschuldigten warb. Sie arbeitete u. a. mit der schen Positionen „Autonomer” verbindet sich Dresdner Ortsgruppe des Vereins „Rote Hilfe stets auch Kritik am demokratischen Rechts- e. V.“ (RH) eng zusammen. staat und dessen Institutionen. Staatlichen Akteuren wird ein „institutioneller Rassismus“, Das Themenfeld „Anti- unterstellt, der systemimmanent sei, so bei der repression“ wird von als „rassistisch“ abgelehnten deutschen Asyl- „Autonomen” häufig politik. Da diese als „faschistisch“ und „repres- mit dem Kampf um siv“ angesehen wird, verknüpfen „Autonome“ „Selbstbestimmte Frei- zunehmend die Themenfelder „Antirassismus“/ räume“ verknüpft. In Asyl sowie „Antirepression“ miteinander. Vor „Freiräumen“, wie etwa allem auf Grund der öffentlichen Debatten besetzte Häuser oder über die Asylthematik eröffnet sich für Links- Jugendzentren, die dem staatlichen Zugriff extremisten ein Konsens mit zivilgesellschaft- entzogen sind und „selbstverwaltet“ werden, lichen Akteuren. wollen sie ihre Vorstellungen von einem „bes- Sächsische „Autonome“ agierten im Berichts- seren“ Leben umsetzen. Dort wird die für die jahr vorrangig in diesem Aktionsfeld. Mit die- politische Arbeit unerlässliche Infrastruktur sen Aktivitäten befasst sich der Beitrag „Im bereitgestellt und der Informationsaustausch Fokus – Instrumentalisierung der Asylthematik innerhalb der Szene unterstützt. durch Linksextremisten“ in diesem Bericht. Solche „Freiräume“ – wie z. B. der von „Autonomen” so verstandene „Freiraum“

208 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Leipzig-Connewitz – stellen für „Autonome“ Im Rahmen des „Freiraumkampfes“ gewinnt einen ersten Schritt zur Etablierung der von auch das Thema „Gentrifizierung“ in der Szene ihnen angestrebten „herrschaftsfreien“ Gesell- weiter an Bedeutung. Als „Gentrifizierung“ gilt schaft dar. Insofern werten sie dessen Ein- die soziale Umstrukturierung von Wohnge- schränkung immer als einen Angriff, der sich genden durch Sanierungsmaßnahmen – diese gegen die Verwirklichung ihrer Zielsetzungen verbunden mit Mieterhöhungen und Zwangs- richtet. räumungen – wodurch die betroffenen Gebiete häufig ihren Charakter als „Kiez“ verlieren. Vor „Autonome“ beanspruchen eine Hegemonie in allem in Ballungsräumen nutzen Linksextre- „ihrem“ Viertel, welche häufig in einer Ausgren- misten dieses Thema, um die kritische Stim- zung anderer mündet. Personen, deren Wertvor- mung in Teilen der Bevölkerung für ihre Zwe- stellungen nicht mit den ihren übereinstimmen, cke zu nutzen. Sie betrachten den Widerstand werden deshalb als „konservativ und reaktionär“ gegen die Gentrifizierung ebenfalls als „Kampf abgelehnt. So wurde in der Dresdner Neustadt gegen das System“. Ende 2015 ein Flyer verteilt, in dem eine nament- lich genannte Person im Rollstuhl als „Faschistin“ „Antikapitalismuskampf“ denunziert wurde. Verbunden mit der Aufforde- rung „Wir dulden keine Faschos in unseren Vier- Auch sächsische Linksextremisten agierten teln!“ wurde dazu aufgerufen, „(…) ihr das Leben im Zusammenhang mit den im Berichtsjahr so unangenehm wie möglich“ zu machen. bundesweit im Fokus stehenden Ereignissen in diesem Themenfeld: „Autonome“ reagieren in aller Regel zeitnah ❙❙ Eröffnung der Europäischen Zentralbank und aggressiv auf behördliche Maßnahmen, (EZB) am 18. März 2015 in Frankfurt am die sich gegen ihre sogenannten „Freiräume“ Main (Hessen) sowie richten. Beispielsweise werden kommunale ❙❙ G7-Gipfel am 7. und 8. Juni 2015 auf Baumaßnahmen mit Bezug zu den „Freiräu- Schloss Elmau (Bayern) und die in diesem men“ als Angriff und somit als „staatliche Zusammenhang stehenden Ereignisse. Repression“ gewertet. Nicht selten kämpft die Szene gewalttätig gegen den tatsächlich oder Mit einer Spontandemonstration am 26. März vermeintlich drohenden Verlust solcher Räume. 2015 solidarisierten sich etwa 40 vermummte Leipziger Linksextremisten mit einem bei den Die Bedeutung dieses Themenfeldes spiegelte sich Ausschreitungen anlässlich der Eröffnung der auch in der Art der diesbezüglichen Aktionen wider. Europäischen Zentralbank (EZB) am 18. März So zielten im Berichtsjahr vor allem in Leipzig eine 2015 in Frankfurt am Main Festgenomme- ganze Reihe von Gewalttaten auf Behörden des nen. Sie zogen zur Staatsanwaltschaft Leipzig „Repressionsapparates“, wie Ausländerbehörde, und beschmierten deren Fassade, zündeten Amtsgericht, Polizei oder in „repressive“ Abläufe Pyrotechnik und warfen Steine. In dem von eingebundene Unternehmen, wie Banken, ab (siehe Linksextremisten genutzten Internetportal Beitrag „Autonome“ in Leipzig“). „linksunten.indymedia.org“ wurde über die Aktion berichtet274 . Dort hieß es, man werde

274 linksunten.indymedia.org/, Beitrag „[Le] #free fede – 40 Menschen ziehen vor die Staatsanwaltschaft“ (Stand: 27. März 2015) 274 linksunten.indymedia.org (Stand: 18. Dezember 2014)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 209 auch weiterhin den „Staat und die anderen gegen Vollzugsbeamte und Verstoßes gegen Stützen des Kapitalismus angreifen“. Der Auf- das Versammlungsgesetz. ruf endete mit „Feuer und Flamme für die Ins- titutionen der deutschen Hegemonie!“

Ein wesentliches bundesweites Agitationsfeld von Linksextremisten sind die mit dem The- menfeld „Antikapitalismus“ verbundenen glo- balisierungskritischen Protestaktivitäten. Im Mittelpunkt der Kampagnenarbeit deutscher linksextremistischer Globalisierungskritiker stehen vorwiegend die Treffen der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industriena- Demonstration am 26. Mai 2015 in Dresden tionen (G7/G8). Diese werden als Symbol eines Quelle: mopo24/S. Ulmen (Stand: 27. Mai 2015) unterstellten globalen Herrschaftsanspruchs angesehen. Die G7-Staaten werden verant- Im Zusammenhang mit dem G6-Treffen der wortlich gemacht für „neoliberale Wirtschafts- Innenminister vom 1. bis 2. Juni 2015 in politik, Krieg und Militarisierung, Ausbeutung, Moritzburg/Radebeul (Landkreis Meißen) kam Armut und Hunger, Umweltzerstörung sowie es zu zwei kleinen Protestaktionen mit Betei- Abschottung gegenüber Flüchtenden“275. Diese ligung von Linksextremisten. In einem Fall Auffassung dominiert wesentliche Aktions- und ermittelt die Polizei wegen Verstoßes gegen Handlungsfelder linksextremistischer Agitation. das Versammlungsgesetz, da der Aktionsort anlässlich des G6-Treffens zur Sicherheitszone Im Jahr 2015 richtete sich der Fokus vor allem mit Versammlungsverbot gehörte. auf den G7-Gipfel am 7. und 8. Juni auf Schloss Elmau (Bayern) und die in diesem Zusammen- Vor allem Leipziger „Autonome“ befassen sich hang stehenden Ereignisse. Am Abend des seit geraumer Zeit mit dem Themenfeld „Anti- 26. Mai 2015 und damit im unmittelbaren kapitalismus“. Dies trifft vor allem auf die in Vorfeld des G7-Treffens der Finanzminister und Leipzig ansässigen zwei maßgeblichen links- Notenbankgouverneure vom 27. bis 29. Mai extremistischen Gruppen „Prisma” und „the 2015 in Dresden protestierten etwa 50 zum future is unwritten” (tfiu) zu, die beide stark Teil vermummte Personen im Rahmen einer antikapitalistisch ausgerichtet sind.276 unangemeldeten Demonstration. Sie liefen in der Dresdner Neustadt hinter einem Front- transparent mit der Aufschrift „STOPG7“ und zündeten Feuerwerkskörper. Die Polizei nahm sieben Personen in Gewahrsam und ermittelte wegen Landfriedensbruchs, Widerstandes

275 Aufruf des “Stop G7”-Bündnisses anlässlich des G7-Gipfels am 7. und 8. Juni 2015 auf Schloss Elmau (Bayern)

275276 Weitere Angaben siehe Beitrag „Autonome“ in Leipzig“ im vorliegenden276 Bericht linksunten.indymedia.org, Beitrag „[LE] Angriff auf Polizeiposten“ (Stand: 8. Januar 2015)

210 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen „Antimilitarismus“ Dies geschah beispielsweise anlässlich einer angemeldeten Demonstration gegen einen Aufzug von „GIDA Regional“ am 29. Juni 2015 in Borna (Landkreis Leipzig). Unter den etwa 120 Teilnehmern waren auch Linksextremisten. Während des GIDA-Aufzuges versuchten Teil- „Autonome“ sehen in der Bundeswehr eine nehmer der „No-Legida-Demonstration“, deren Organisation zur Durchsetzung kapitalistischer Tribünenwagen zu stürmen. Im Anschluss an Interessen im Ausland, die zur Erreichung ihrer die Demonstration erfolgte in Leipzig ein tätli- Ziele vor Mord nicht zurückschrecke. cher Angriff von mindestens drei vermummten Personen auf zwei GIDA-Teilnehmer, die den Dementsprechend wird die Anwendung von Tribünenanhänger zur Verleih-Firma zurück- zielgerichteter Gewalt als legitim angesehen. brachten. Jedoch wurde das Themenfeld „Antimilita- rismus“ im Berichtsjahr von der sächsischen autonomen Szene nicht thematisiert.

Weitere Aktionsformen

Um ihre Ideologie und politischen Positionen zu vermitteln, nutzen „Autonome“ neben der Gewaltanwendung ein vielfältiges Aktions- spektrum. Demonstrationen sowie Recherche- tätigkeit und „Outing“-Aktivitäten zählen zu den weiteren wesentlichen Aktionsformen.

Demonstrationen

Bei dieser Aktionsform ist zwischen angemel- deten und unangemeldeten Demonstrationen zu unterscheiden.

Große und angemeldete Demonstrationen werden in der Regel in strategischen Bünd- nissen mit bürgerlichen Kräften geplant und durchgeführt. Meist ordnen sich „Autonome“ Gewalttätige Aktionen werden nicht in direk- in diesen Aufzügen weitgehend in das fried- tem Zusammenhang mit Demonstrationen liche Demonstrationsverhalten zivilgesell- begangen, um zu vermeiden, dass sich Maß- schaftlicher Akteure ein. Straftaten begehen nahmen der Sicherheitsbehörden gegen die „Autonome“ dann im zeitlichen und räumli- Demonstration richten und sich die friedlichen chen Umfeld der Demonstrationen. Teilnehmer entsprechend distanzieren. Ob es im Rahmen angemeldeter Demonstrationen

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 211 zu Ausschreitungen kommt und wie groß der der privaten oder beruflichen Umgebung der Spielraum dafür für Linksextremisten ist, hängt Betroffenen verteilt werden, oder – mittlerweile einerseits vom Kräfteverhältnis zur Polizei, sehr ausgeprägt – über entsprechende Verbrei- andererseits aber auch von der Distanz oder tung in Internetportalen. So will die Antifa die Toleranz des bürgerlichen Spektrums gegen- von ihr als „Nazis“ bezeichneten Personen in über der Anwendung von Gewalt ab. der Öffentlichkeit bloßstellen, um diese gesell- schaftlich zu ächten und ihre berufliche Lauf- Im Gegensatz dazu entwickeln unangemeldete bahn zu beeinträchtigen. Andererseits legt die Demonstrationen eine hohe Eigendynamik, autonome Antifa mit ihren Veröffentlichungen die häufig zu gewalttätigen Ausschreitungen die Grundlagen für „antifaschistische Selbst- führt. Vor allem solche Demonstrationen ent- hilfe“, also für zielgerichtete Aktionen gegen die sprechen dem Selbstverständnis „Autonomer” betroffenen Personen. Elementare Persönlich- und werden häufig als Reaktion auf „repres- keitsrechte werden diesen bereits aufgrund der sive“ staatliche Maßnahmen durchgeführt. ihnen unterstellten Gesinnung abgesprochen. Ein Beispiel hierfür war die erwähnte Spontan- Dabei werden Straftaten – auch Gewalttaten – demonstration am 26. März 2015, mit der sich zumindest in Kauf genommen. Leipziger Linksextremisten mit einem bei den Ausschreitungen anlässlich der Eröffnung der Leipziger „Autonome“ widmeten sich im Europäischen Zentralbank (EZB) am 18. März Berichtsjahr der Recherchetätigkeit und dem 2015 in Frankfurt am Main (Hessen) festgenom- „Nazi-Outing“. Sie veröffentlichten auf dem menen italienischen Staatsbürger solidarisierten von Linksextremisten genutzten Internetpor- und in deren Verlauf es zu Straftaten kam. tal „linksunten.indymedia.org“277 Handy-Daten, die sie vermutlich bei einem Überfall auf einen Recherchetätigkeit und „Outing“- Rechtsextremisten und dessen Frau im März Aktivitäten 2015 in Leipzig erbeutet hatten. Sie machten auch mit dieser Aktion ihre herausgehobene Die Recherche und das „Nazi-Outing“ sind eine Stellung innerhalb der sächsischen autonomen Strategie, welche die autonome Antifa bereits Szene deutlich. seit Jahren anwendet. Bei der Recherche wer- den Informationen über tatsächliche oder Im Mai 2015 wurden in Dresden Flyer festge- vermeintliche Rechtsextremisten gesammelt stellt, mit denen Linksextremisten gezielt zum und ausgewertet. Beim anschließenden „Nazi- „Outing von Polizeibeamten“ aufriefen. Die im Outing“ publizieren Mitglieder der Antifa pri- Format A6 gestalteten Flyer „GANZ DRESDEN vate und personenbezogene Informationen der HASST DIE POLIZEI“ enthielten neben linksex- betroffenen Personen, wie Name, Foto, Adresse, tremistischer Symbolik und Texten zwei Bilder Autokennzeichen, Arbeitgeber oder Account- und Beschreibungen von Personen, bei denen Daten zu sozialen Netzwerken. Die politi- es sich um Polizeibeamte handeln soll, deren schen Überzeugungen oder Handlungen jener Gesichter erkennbar waren. Mit „Zivibullen Personen werden öffentlich publiziert. Dies enttarnen! Repression beantworten!“ wird geschieht entweder mittels Flugblättern, die in die linksextremistische Intention der Autoren

277 linksunten.indymedia.org/, Beitrag „[LE] 161Boxing presents: Alexander Kurth“ (Stand: 11. Mai 2015) sowie ebenda, Bei-

277 linksunten.indymedia.org/de (Stand:10. Dezember 2015). Am 30. Dezember 2015 trat der Geschädigte von seinem Amt als stellvertretender Kreisvorsitzender der NPD in Leipzig zurück, außerdem gab er seinen trag „[LE] 161Boxing presents: Eine typisch sächsische Allianz“ (Stand:Austritt aus der NPD bekannt. 18. Mai 2015)

212 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen hervorgehoben. Bereits am 20. November entfalten. In den anderen Regionen sind zwar 2014 war auf dem Internetportal „linksunten. vereinzelte Gruppen aktiv. Jedoch ist deren indymedia.org“ ein Artikel mit ähnlichem Inhalt Eigenständigkeit von der Stärke und Präsenz unter dem Titel „[Dresden] Staatsschutz und der autonomen Szene in den beiden Großstäd- Zivibullen enttarnen“ veröffentlicht worden. ten und deren Vermögen abhängig, auf das Im Gegensatz zum sogenannten „Nazi-Outing“ Umland auszustrahlen und Gruppen aus dem gehörte das „Outing von Polizeibeamten“ bis- ländlichen Raum in ihre Aktionen zu integrie- her kaum zum Repertoire sächsischer Linkext- ren. Deshalb weisen die Aktionen hinsichtlich remisten. Dies belegt die zunehmende Bedeu- ihrer Quantität und Qualität in den einzelnen tung des Feindbildes Polizei. Orten beträchtliche Unterschiede auf, was wiederum Rückschlüsse auf die Beschaffenheit „Autonome“ in den Regionen der örtlichen Szenen zulässt. Worin die Ursa- chen für diese Unterschiede bestehen und was Der Linksextremismus im Freistaat Sachsen diese Unterschiede ausmacht, soll im Folgen- wird von der autonomen Szene dominiert. Sie den näher erörtert werden. stellt die größte Gruppe innerhalb der linksex- tremistischen Bestrebungen dar. Der nachfol- Die Beteiligung an bzw. die Durchführung gende Beitrag konzentriert sich deshalb aus- von Demonstrationen, Aufzügen und Gegen- schließlich auf die Darstellung der regionalen protesten ist für die autonome Szene beson- autonomen Szenen. ders wichtig. Im Berichtsjahr konnte sie ihr Angaben zu regionalen Strukturen und Aktivi- öffentliches Aktivitätsniveau weiter deutlich täten anarchistischer Gruppierungen wie der erhöhen. Mit 182 solcher Aktionen stieg diese anarchosyndikalistischen „Freien Arbeiterinnen- Zahl gegenüber dem Vorjahr (102) um 78 % an. und Arbeiter-Union – Internationale Arbeiter Damit wurde ein neuer Höchststand erreicht. Assoziation” (FAU-IAA) erfolgten bereits im Der abermalige hohe Anstieg im Berichtsjahr Beitrag „Anarchistische Gruppierungen“278. Eine weist auf die Bedeutung hin, die diese Aktions- nähere Betrachtung der Parteien und Grup- form für die „Autonomen” besitzt. pierungen aus dem orthodoxen Bereich unter- bleibt, da diese im Freistaat Sachsen ausschließ- Demonstrationen/Aufzüge/Gegenproteste lich marginale Bedeutung besitzen und nur in von oder mit Beteiligung von Linksextre- kleinen Ortsgruppen strukturiert sind. misten im Freistaat Sachsen

250 Die autonome Szene stellt zwar die größte Strömung innerhalb des sächsischen Links- 200 182 extremismus dar, weist allerdings hinsichtlich 150 Qualität, Aktionsniveau und Mobilisierungsfä- 102 100 higkeit deutliche regionale Unterschiede auf. 52 40 Die „Autonomen” konzentrieren sich vorrangig 50 in den Großstädten Leipzig und Dresden, wo 0 sie dementsprechend die meisten Aktivitäten 2012 2013 2014 2015

278 linksunten.indymedia.org, Beitrag „Dresden: DB-Auto den Flammen übergeben“ (Stand: 16. März 2015) 278 Vgl. Beitrag „Anarchistische Gruppierungen“ im vorliegenden Bericht

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 213 2.3.1 „Autonome“ in Leipzig

Linksextremisten den Titel „Randalemeister 2015“. 279. Unter Verweis auf die „kontinuierlich“ verübten Straf- und Gewalttaten der „GenossIn- nen“ hätten Leipziger Linksextremisten das Ran- king vor Frankfurt, Bremen, Hamburg und Berlin „gewonnen“. Die Entscheidung des „Komitees“ basierte auf den im Zeitraum Januar bis Novem- ber 2015 verübten Anschlägen in Leipzig, die in einer Liste aufgeführt waren.

Die Entwicklung in Leipzig wurde im Berichts- jahr durch drei wesentliche Faktoren geprägt, die jeweils in engem Zusammenhang standen: ❙❙ durch einen deutlichen Anstieg des Aktions- niveaus, ❙❙ durch eine große Anzahl klandestiner (konspirativ vorbereiteter) Aktionen und die Änderung der Taktik bei Beteiligung an öffentlichen Protestaktionen, ❙❙ durch eine Welle militanter Anschläge auch Quelle: linksunten.indymedia.org/de (Stand: 3. Dezem- unabhängig vom Demonstrationsgesche- ber 2015) hen in Leipzig.

In Sachsen ist Leipzig die Schwerpunktregion Aktionsniveau der autonomen Szene. Sie ist gegenwärtig auch der Brennpunkt linksextremistischer Gewalt. Das im Berichtsjahr starke Aktionsniveau der Mit ca. 190 Personen gehörte im Berichtsjahr Leipziger „Autonomen” war auf deren hohe über die Hälfte der sächsischen „Autonomen” personelle Stärke zurückzuführen. Dieses (in Sachsen gesamt: ca. 370 Personen) der Aktionsniveau spiegelte sich in der Anzahl der Leipziger Szene an. Aktionen, an denen sich „Autonome“ beteilig- ten, wider. Nachdem diese Zahl bereits in den Leipzig entwickelte sich im Berichtsjahr zudem – Vorjahren deutlich angestiegen war, setzte mit quantitativem und qualitativem Abstand – sich dieser deutliche Trend im Jahr 2015 ver- neben Berlin und Hamburg zu einem weiteren stärkt fort. Mit 58 Aktionen ist gegenüber dem Schwerpunkt linksextremistischer Gewalt in Vorjahr (36) eine Steigerung um ca. 61 % zu Deutschland. Im Dezember verlieh ein „Komi- verzeichnen. tee der 1. Liga für „Autonome” den Leipziger

279 aole.blogsport.de, Beitrag „Antifaschistische Demonstration in Gotha“ vom 1. März 2014 (Stand: 22. September 2015). Die Gruppierung gab Ende 2014 im Internet ihre Auflösung bekannt. 279 linksunten.indymedia.org (Stand: 3. Dezember 2015)

214 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Demonstrationen/Aufzüge/Gegenproteste Gegensatz zu den Vorjahren griff die gewalt- von bzw. mit Beteiligung von „Autonomen” bereite linksextremistische Szene im Jahr 2015 in Leipzig verstärkt auf diese Aktionsform zurück. So 80 fanden neben den 58 öffentlichen Aktionen in Leipzig weitere 22 klandestine Aktionen280 statt. 58 60 Somit setzten die Akteure im Berichtsjahr tak- tisch vorrangig auf das Überraschungsmoment 36 40 sowie auf die Verschleierung ihrer Identität. 25 Zunehmend führten sie militante Anschläge 20 9 durch, um extremistische Akzente in der

0 Öffentlichkeit zu setzen. Zwar kam es auch in 2012 2013 2014 2015 Regionen außerhalb Leipzigs zu solchen klan- destinen Aktionen. Diese waren aber sowohl Grund für diese Entwicklung ist die Beteiligung in Anzahl als auch in ihrer Intensität nicht mit „Autonomer” an Protesten gegen Veranstaltun- jenen in Leipzig vergleichbar. gen der „Leipziger Europäer gegen die Islami- sierung des Abendlandes“ (LEGIDA) sowie der Art der öffentlichen Veranstaltungen in Leipzig „Offensive für Deutschland“ (OfD) ab Januar 80 2015. Über den gesamten Berichtszeitraum hin- angemeldet unangemeldet weg hatte zudem das Thema „Antirassismus”/ 60 49 Asyl einen hohen Stellenwert für die linksext- remistische Szene. In diesem Zusammenhang 40 sahen sich Leipziger Linksextremisten zu zahl- 20 20 14 16 reichen Aktionen gegen die als „repressiv“ ver- 11 9 4 5 standene Asylpolitik der Bundesrepublik veran- 0 lasst. Hier zeigte sich besonders, dass sie in der 2012 2013 2014 2015 Lage waren, umgehend und flexibel auf aktuelle Entwicklungen und Ereignisse zu reagieren. Anzahl klandestiner (konspirativ vorberei- teter) Aktionen im Jahr 2015281 Unangemeldete und klandestine (konspirativ 30 vorbereitete) Aktionen 22

20 Unangemeldete bzw. klandestine Aktionen haben eine hohe Bedeutung für die autonome Szene. Vor allem letztere können als wesentli- 10 7 5 cher Indikator dafür angesehen werden, inwie- weit die Akteure in der Lage sind, kurzfristig 0 für militante Aktionen zu mobilisieren. Im Leipzig Dresden andere Regionen

280 Bei diesen Aktionen handelt es sich um Vorfälle außerhalb vom engeren Veranstaltungsgeschehen. In dieser Zahl sind bedeutende Aktionen enthalten, bei denen es entweder zum Einsatz von Gewalt kam bzw. es sich um herausgehobene Zielobjekte handelte. 281 Siehe voranstehende Fußnote, Beispiele für Aktionen in Dresden280 bzw. anderen Regionen des Freistaates Sachsen siehe Beiträge „Autonome“ in Dresden“ sowie „Autonome“ außerhalb281 der Städte Leipzig und Dresden“ im vorliegenden Bericht.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 215 Die Entwicklung der Gewaltaktionen Die Wirkung, die dieser Aufruf auf die Richtung der Gewalt in Leipzig hatte, zeigte sich daran, Die Entwicklung der Gewaltaktionen war im dass zwischen Januar und Dezember 2015 Jahr 2015 durch zwei Aktionsformen geprägt: allein 27 Aktionen gegen Institutionen und Ein- 1. klandestine Aktionen unabhängig vom richtungen des demokratischen Rechtsstaats Demonstrationsgeschehen durchgeführt wurden, die im Zusammenhang Diese werden von einem kleinen, aber mit diesem Gewaltaufruf standen. festen Personenkreis mit hohem Kons- pirationsgrad durchgeführt. Die Akteure Exemplarisch dafür standen folgende Aktionen: sind überzeugt, dass dadurch politische ❙❙ Am 7. Januar 2015 war der Polizeiposten im Aufmerksamkeit erreicht sowie politischer Stadtteil Connewitz direktes Ziel von etwa Einfluss ausgeübt werden kann. 50 vermummten und schwarz gekleide- 2. Gewaltaktionen im Zusammenhang mit ten Personen. Sie warfen Steine, Flaschen, Protestaktionen gegen LEGIDA und die OfD. Feuerwerkskörper und Farbbeutel gegen den Frontbereich des Gebäudes. Dabei wur- Als eine entscheidende Zäsur für die Zunahme den alle Fensterscheiben und die Fassade gewalttätiger Aktionen unabhängig vom erheblich beschädigt. Zeitgleich erfolgte Demonstrationsgeschehen gilt der Aufruf „Leip- ein Angriff an der Rückseite der Dienst- zig: Ein Aufruf zur Gewalt – gegen jene, die diese stelle. Nachdem die Angreifer den Zaun mit gewalttätige Welt wollen“ 282 vom 17. Dezember Steighilfen überwunden hatten, warfen sie 2014. Die wesentliche Wirkung dieses Aufrufs eine Scheibe an einem auf dem Hinterhof bestand darin, dass sich die Zielrichtungen der abgestellten Funkstreifenwagen ein und Gewalttaten auffächerten. Die darin formulier- setzten das Innere des Fahrzeugs in Brand. ten Angriffsziele umfassten Unternehmen, Par- Außerdem wurden auch hier Fensterschei- teien und Einrichtungen der Exekutive. Darunter ben des Polizeipostens beschädigt. Vor ihrer befanden sich Büros der Parteien von BÜNDNIS Flucht legten die Angreifer auf der Straße 90/DIE GRÜNEN, SPD und CDU, Arbeitsäm- sogenannte „Krähenfüße“ aus. Dadurch ter, Banken, Versicherungen, Polizeireviere, wurden die Reifen anrückender Einsatzfahr- Gerichtsvollzieher, das Amtsgericht, Städtebau- zeuge der Feuerwehr und Polizei zerstört. und Immobilienfirmen sowie weitere Unterneh- ❙❙ Am 15. Januar 2015 demonstrierten in men. Der Umfang der Ziele zeigt, dass sich der der Leipziger Innenstadt unangemeldet Aufruf gegen den demokratischen Rechtsstaat etwa 600 bis 800 Personen, die teilweise als solchen richtete. Auch natürliche Personen schwarz gekleidet und vermummt waren. wurden als Angriffsziele aufgelistet. Zwar gab Die Demonstranten hinterließen in der es auch innerhalb der Szene Kritik an diesem Stadt eine Spur der Verwüstung. Sie grif- Positionspapier. Diese richtete sich jedoch ledig- fen Polizeibeamte und Polizeifahrzeuge lich gegen die Veröffentlichung der Angriffs- mit Steinwürfen an, zündeten Pyrotechnik, ziele und war somit rein taktischer Natur. Über beschädigten Verkehrszeichen und Fahr- die Anwendung der Gewalt als Mittel der Politik zeuge. Außerdem brachten sie Graffiti an herrschte dagegen Konsens.

282 Flugschrift „80 Jahre Antifaschistische Aktion“, 1. Auflage vom Juni 2012, Göttingen (Niedersachsen) 282 linksunten.indymedia.org (Stand: 18. Dezember 2014)

216 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen öffentlichen Gebäuden an und warfen am ❙❙ In der Nacht zum 6. August 2015 verüb- Amtsgericht 40 Fensterscheiben ein. ten Linksextremisten in Leipzig mehrere ❙❙ Am 24. April 2015 beschädigten zehn ver- Straftaten. Der erste Angriff richtete sich mummte Personen die Verglasung der Aus- gegen eine Chemiefirma, deren damalige länderbehörde in Leipzig. Geschäftsführerin die Bundesvorsitzende ❙❙ Am 5. Juni 2015 zogen fast 100 teilweise ver- der nichtextremistischen Partei Alterna- mummte Personen randalierend durch das tive für Deutschland (AfD) war. Die Täter Stadtgebiet Leipzig. Sie errichteten und ent- verwüsteten die Firmenräume, zerstörten zündeten Barrikaden aus Autoreifen, zündeten Fensterscheiben und verschütteten Butter- Pyrotechnik, warfen Nebelbomben, Farbbeu- säure. Dieser Anschlag ist in engem Zusam- tel und über 200 Pflastersteine. Außerdem menhang mit der Asylpolitik der AfD und streuten sie sogenannte „Krähenfüße“ auf die dem Themenfeld „Antirassismus“ zu sehen. Straße, was zu Schäden an Polizeifahrzeugen Außerdem wurden an einem in unmittelbarer und unbeteiligten Kfz führte. Eintreffende Nähe geparkten Firmenwagen einer privaten Polizeibeamte wurden mit Wurfgeschossen Sicherheitsfirma Scheiben eingeschlagen angegriffen. Am Gebäude des Bundesverwal- und der Innenraum mit Buttersäure verun- tungsgerichts warfen sie mehrere Scheiben ein. reinigt. Das Fahrzeug wurde gezielt gewählt, In den abgesperrten Sicherheitsbereich des US- da dieser Dienstleister die Aufgabe hatte, amerikanischen Konsulats warfen die Personen „Gentrifizierungsmaßnahmen“ in Stadtvier- Farbbomben in Richtung des Wachpersonals. teln abzusichern. Insofern zählte er für die Die Personen führten ein Transparent mit der Antifa zu jenen Firmen, die in „repressive Aufschrift: „TROIKA, G7, FRONTEX, LEIPZIG, Abläufe“ eingebunden sind. Die Sicherheits- DEUTSCHLAND; ES KOTZT UNS AN! DER AUF- firma war bereits am 21. Dezember 2014 Ziel STAND WIRD KOMMEN!“ mit sich. eines Angriffs gewesen. Ein weiterer Angriff erfolgte ebenfalls in der Nacht zum 6. August 2015 und stand im Zusammenhang mit dem Themenfeld „Antirepression“. Unbekannte Täter warfen Steine gegen die Eingangstür des Polizei- postens in der Eisenbahnstraße. Außerdem zerstörten sie sämtliche Scheiben eines gegenüber geparkten Funkwagens und setzten das Fahrzeug in Brand. Das Fahr- zeug brannte vollständig aus. ❙❙ Im Dezember 2015 fanden massive Aktio- nen gegen den politischen Gegner statt. So griffen unbekannte Täter am 9. Dezember den stellvertretenden Kreisvorsitzenden der rechtsextremistischen NPD in seinem Ladengeschäft in Leipzig tätlich an. Dem Geschädigten wurde eine Kopfverletzung Quelle: linksunten.indymedia.org (Stand: 8. Juni 2015) zugefügt. Zu dem Angriff wurden unter

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 217 dem Titel „[LE] Action speaks louder than Solche Aktionen brauchen – so die Autoren der words“283 noch am selben Tag ein Selbst- Erklärung „[LE] Äußerungen zu den Krawallen bezichtigungsschreiben sowie Bilder ver- am 5. Juni“ öffentlicht, die die Täter bei dem Angriff fertigten. „(…) eine nachvollziehbare Politisierung um eine Bei einem weiteren Angriff am 12. Dezem- positive Wahrnehmung der Aktion zu begüns- ber 2015 gegen einen anderen politischen tigen. Solange dies nicht geschieht, macht es Gegner, der für den gleichen Tag eine für Außenstehende keinen Unterschied, ob Demonstration in Leipzig angemeldet hatte, sich Menschen aufgrund einer Niederlage des drangen Unbekannte in die Wohnung des eigenen Fußballteams oder für die Lebensbe- Geschädigten ein und zerstörten die Ein- dingungen von Hartz IV Empfänger_innen mit richtung. der Polizei prügeln“ 284.

Die Vermittlung und Erklärung gewaltsamer Aktionen besitzt auch eine strategische Funk- tion. Es sollen Bündnispartner gewonnen und für Akzeptanz durch Unterstützer außerhalb der eigenen Klientel geworben werden, um so eine Radikalisierung der Gesellschaft zu errei- chen. So heißt es dazu an anderer Stelle: „Natürlich braucht es zur Veränderung der Quelle: linksunten.indymedia.org/de (Stand: 10. Dezem- Gesellschaft Militanz, doch diese muss gesell- ber 2015) schaftliche Unterstützung erfahren.“ 285

Bekennerschreiben und Positionspapiere zu Den Angriff auf das Polizeirevier am 7. Januar den Gewaltaktionen 2015 begründeten die Protagonisten in einem Bekennerschreiben unter dem Titel „[LE] Angriff Die militanten und klandestinen Aktionen wur- auf Polizeiposten“ mit dem Todestag des Asyl- den von einer ganzen Reihe Bekennerschreiben bewerbers Oury Jalloh, der in Sachsen-Anhalt und Positionspapieren flankiert. Darin werden in einem Dessauer Polizeirevier zu Tode kam. die Gründe für Anschläge auf Institutionen Im Tatbekenntnis wurden auch Angriffe auf des demokratischen Rechtsstaates erklärt. Es Polizisten gebilligt, wenn diese nicht im Dienst geht dabei vor allem um eine Vermittlung nach seien. Dort hieß es: außen, um auch außerhalb der Kernszene wei- terhin Akzeptanz zu finden.

283 linksunten.indymedia.org/de (Stand: 10. Dezember 2015). Am 30. Dezember 2015 trat der Geschädigte von seinem Amt als stellvertretender Kreisvorsitzender der NPD in Leipzig zurück, außerdem gab er seinen Austritt aus der NPD bekannt. 284 linksunten.indymedia.org (Stand: 18. Juni 2015), Schreibweise284 wie im Original www.facebook.com/dresden.stellt.sich.quer (Stand: 28. August 2015) 285 283Ebenda Szenezeitschrift „Underdog“, Ausgabe 42 vom 1. August 2013, auch abrufbar auf der Internetseite der Kampagne 129 ev (Stand: 15. September 2015) 285 linksunten.indymedia.org/, Beitrag „[Le] #free fede – 40 Menschen ziehen vor die Staatsanwaltschaft“ (Stand: 27. März 2015)

218 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen „Auch wenn du deine Uniform ablegst, so am Aufbau mehrere(r) Naziorganisationen bleibst du immer noch das gleiche Schwein von beteiligt“288 gewesen seien, Mensch und wirst weiterhin Ziel unserer Inter- ❙❙ die Scheiben einer Bank aufgrund ihrer ventionen sein wann immer wir wollen.“286 Investitionen u. a. in „Knäste“ und verschie- dene militärische Objekte (Drohnen, Kampf- Diese Art der Diffamierung der Polizei zeigt, panzer) zerstört wurden, dass sich die Autoren in ihrer Begründung sehr ❙❙ das Amtsgericht als „Zeichen militanter stark an der Argumentation der terroristischen Solidarität“ angegriffen worden sei, da „(…) „Roten Armee Fraktion“ (RAF) orientierten. Im nach Aktionen gegen Nazis, ob friedlich konkreten Fall wurde auf ein Zitat von Ulrike (mit Sitzblockaden) oder militant“, von die- Meinhof, einem Gründungsmitglied und Füh- sem Ort Repressionen ausgingen, rungsperson der RAF, zurückgegriffen, die ❙❙ ein Friseursalon angegriffen worden sei, da geäußert hatte: der Inhaber Mitglied der nichtextremisti- schen Partei AfD sei. „(…) wir sagen, natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in der Uniform ist Zu der Aktion am 5. Juni 2015 wurden mehrere ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben Positionspapiere bzw. Stellungnahmen in dem wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Das von Linksextremisten genutzten Internetportal heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es „linksunten.indymedia.org“ veröffentlicht. So ist falsch überhaupt mit diesen Leuten zu reden, stellten Linksextremisten unter dem Titel „[LE] und natürlich kann geschossen werden.“ 287 Krawalle im Stadtzentrum“ ein Bekennerschrei- ben ein. Darin wird die Aktion ideologisch mit Auch in einem Bekennerschreiben unter dem dem „antikapitalistischen/antiimperialistischen“ Titel „[LE] der Weg der Gewalt“ zur Spontan- Widerstand begründet. Es hieß: demonstration am 15. Januar 2015 wurde deutlich, dass der Tod eines Asylbewerbers in „Solange die bestehende Ordnung auf Aus- Dresden lediglich als Vorwand für eine Aktion beutung und Konkurrenz basiert, sich die dienen sollte und nicht das Thema Asyl, son- konkurrierenden Zwangskollektive militärisch dern das Themenfeld „Antirepression“ themati- nach außen abschirmen und mittels nationa- siert wurde. Das spiegelte sich auch deutlich in listischer Agitation nach innen konsolidieren, den Handlungen wider, die sich u. a. gegen das braucht es keinen Anlass, die Verhältnisse in Amtsgericht und die Polizei richteten. Es wurde Frage zu stellen.“ 289 argumentiert, dass ❙❙ „Bullen ein legitimes Ziel“ sind, da sie u. a. Bemerkenswert ist hier die wiederholte Ver- für den Tod mehrerer Asylbewerber ver- wendung von typischen Termini und Argumen- antwortlich gewesen seien, Flüchtlinge an tationsmustern der linksterroristischen „Roten der Einreise nach Europa hindern würden Armee Fraktion“ (RAF). So wird festgestellt: und „auch in Form des Geheimdienstes (…)

286 linksunten.indymedia.org (Stand: 8. Januar 2015), Schreibweise wie im Original 287 Der Spiegel Nr. 25, 1970, S.74, Artikel „Natürlich kann geschossen werden.“, Schreibwiese wie im Original

286288 linksunten. indymedia.org (Stand: 19. Januar 2015) 288 Aufruf des “Stop G7”-Bündnisses anlässlich des G7-Gipfels am 7. und 8. Juni 2015 auf Schloss Elmau (Bayern) 287 289 289 linksunten.indymedia.org (Stand: 12. Juni 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 219 „Mehrere Schweine wurden verletzt, 3 ihrer machen“. Verantwortlich dafür seien unter Fahrzeuge zerstört.“ anderem die AfD und besonders Frauke Petry gewesen, da „mit der Wahl Petrys und dem Ein weiteres Strategiepapier wurde unter dem Verschwinden Luckes (…) mit einer weiteren Titel „[LE] Äußerungen zu den Krawallen am Verschärfung der rassistischen Stimmungsma- 5. Juni“ veröffentlicht. Diesem ist ein grund- che innerhalb der Partei zu rechnen [ist].“ Die sätzlicher Konsens mit dem Bekennerschreiben Räumlichkeiten des Unternehmens von Frauke und anderen Positionspapieren zu entnehmen; Petry habe man bewusst ausgewählt, um „sie es ging aber über diese deutlich hinaus. So ganz direkt zur Verantwortung zu ziehen und zielten die Verfasser in der Erklärung nunmehr um ihren wirtschaftlichen Rückzugsraum zu darauf ab, das Funktionieren von Teilen des sabotieren“.292 Staates zu beeinträchtigen. Deshalb äußern die Autoren: Sowohl die Aktionen als auch die Beken- nerschreiben und Positionspapiere zeigten „Wir glauben, dass gezielte und klandestine einmal mehr, dass für die autonome Szene Angriffe wie das (technische) Lahmlegen der in Leipzig die Gewalt ein legitimes Mittel der Ausländerbehörde oder das (massenhafte) politischen Auseinandersetzung darstellt. Zwar Sabotieren wichtiger Infrastrukturen zielfüh- werden einige Aktionen innerhalb der Szene render ist.“ 290 zum Teil kontrovers diskutiert. Es zeigte sich jedoch, dass die Aktionen allenfalls aus stra- Vor allem mit Beeinträchtigung einzelner Teile tegischen Gesichtspunkten abgelehnt wurden, des Staates, griff man inhaltlich auf das Kon- die Anwendung von Gewalt aber keinesfalls in zept der „Stadtguerilla“ zurück, wie es durch Frage gestellt wird, sondern darüber Konsens Ulrike Meinhof in den 1970er Jahren formu- herrscht. Vor allem die Einigkeit in dieser Frage, liert worden war. In der Kampfschrift „Konzept weist auf eine zunehmende Radikalisierung der Stadtguerilla“ der RAF hatte es u. a. geheißen: Leipziger Antifa hin.

„Stadtguerilla zielt darauf ab, den staatlichen Angemeldete Aktionen gegen Herrschaftsapparat an einzelnen Punkten zu des- Demonstrationen von LEGIDA und der OfD truieren, stellenweise außer Kraft zu setzen, (…).“ 291 Angemeldete Aktionen setzen eine personelle Zum oben erwähnten Anschlag auf die Che- Stärke und ein hohes Mobilisierungspotenzial der miefirma, bekannte sich unter der Überschrift linksextremistischen Szene in Leipzig voraus. „[LE] Angrif auf Unternehmen von Frauke Petry (AfD)“ ein „Auftragskommando Bernd Lucke Durch einen Wechsel der Taktik lassen sich oder besser – einige „Autonome”. Man wolle zwei Zeitabschnitte ausmachen. auf die sich „drastisch zuspitzende rassisti- sche Stimmung in Deutschland aufmerksam

290 linksunten.indymedia.org (Stand: 18. Juni 2015) 291 290www.socialhistoryportal.org/sites/default/files/raf/0019710501_7.pdf, Weitere Angaben siehe Beitrag „Autonome“ in Leipzig“ im vorliegenden Bericht ohne Seitenangabe

291 linksunten.indymedia.org/, Beitrag „[LE] 161Boxing presents: Alexander Kurth“ (Stand: 11. Mai 2015) sowie ebenda, Beitrag „[LE] 161Boxing presents: Eine typisch sächsische Allianz“ (Stand: 18. Mai 2015) 292 Vgl. Beitrag „Anarchistische Gruppierungen“ im vorliegenden Bericht 292 linksunten.indymedia.org (Stand: 6. August 2015), Schreibweise wie im Original

220 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 1. Abschnitt: 12. bis 21. Januar 2015 strategische Schlussfolgerung wurde erkenn- bar, dass die Autoren Protestformen jenseits Bei den Gegenprotesten am 12. Januar 2015 des legalen gesetzlichen Rahmens favorisier- bestand das strategische Konzept darin, sich ten. Dies wurde in folgenden Grundaussagen an den Demonstrationen des zivilgesellschaft- deutlich: lichen Spektrums zu beteiligen. Hiervon aus- ❙❙ Handlungsspielräume, die Protest benöti- gehend sollte der Aufzug von LEGIDA blockiert gen, müssen erkämpft werden und und angegriffen werden. So mobilisierte die ❙❙ politischer Widerstand muss sich außerhalb linksextremistische Szene insbesondere zur Teil- versammlungsrechtlicher Bahnen bewegen. nahme an der Demonstration „Refugees Wel- come! Gegen jeden Rassismus!“ des nichtextre- 2. Abschnitt: Ende Januar bis Dezember 2015 mistischen Bündnisses Rassismus tötet! Leipzig. Dass das Ziel der Linksextremisten darin Dieser Abschnitt war von einer konsequenten bestand, die LEGIDA-Demonstranten anzugrei- Anwendung des dezentralen Konzeptes und fen, zeigte sich in einem Mobilisierungsvideo. der Kleingruppentaktik geprägt. Darin wurden symbolisch Gegenstände und Devotionalien des politischen Gegners ver- Das zeigte sich bereits am 21. und 30. Januar brannt. Abschließend wurde dazu aufgerufen: 2015. Schon im Vorfeld waren Brandanschläge „Am 12. Januar Legida & sonstige Rassisten auf Bahnstrecken offenbar mit dem Ziel angreifen! Leipzig bleibt rot.“ erfolgt, die Anreise von LEGIDA-Demonstran- An strategisch wichtigen Stellen führten ten zu verhindern. In der gesamten Innenstadt etwa 100 „Autonome“ Sitzblockaden durch, kam es zu Landfriedensbrüchen und Sachbe- errichteten Barrikaden und entzündeten diese. schädigungen. Linksextremisten versuchten Der LEGIDA-Aufzug konnte allerdings nicht mehrfach, in Kleingruppentaktik die Absper- gestoppt werden. Die Ursache dafür sahen rungen zum LEGIDA-Aufzug zu durchbrechen. Linksextremisten in der großen Teilnehmer- Sie bewarfen LEGIDA-Demonstranten und zahl der bürgerlichen Gegendemonstranten. Polizisten u. a. mit Flaschen und Böllern und Dadurch sei die Antifa zu unbeweglich und blockierten die Aufzugsstrecke. Teilweise agier- damit nicht flexibel genug gewesen. Deshalb ten die LEGIDA-Gegner auch aggressiv gegen wolle man sich künftig nicht mehr an den zivil- Polizisten. So warfen etwa 300 Gegendemons- gesellschaftlichen Demonstrationen beteiligen, tranten Farbbeutel auf die Einsatzbeamten und sondern unabhängig von diesen agieren. auf Polizeifahrzeuge und versuchten, Polizei- absperrungen zu überwinden. Andere Gegen- Unter diesem Gesichtspunkt erfolgte schließ- demonstranten störten LEGIDA-Redner mit lich ein Strategiewechsel. Dabei wurde deutlich, Laser-Pointern, konnten jedoch die Durchfüh- dass die Gewalt als „legales Mittel autonomer rung der LEGIDA-Veranstaltungen aufgrund Politik“ durch Militanz ersetzt werden sollte. der hohen Polizeipräsenz nicht verhindern. Denn hieraus leitet die Szene ihre strategische Grundposition ab („Lieber militante Experi- Es kam hier insofern eine neue Taktik zum Ausdruck mente als rassistische Katastrophen.“ 293). Als als auf Gewalt im gesamten Innenstadtbereich

293 linksunten.indymedia.org (Stand: 3. Dezember 2015) 293 linksunten.indymedia.org/de (Stand: 26. Januar 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 221 gesetzt, die Stadt Leipzig als Gegner angesehen allerlei Handlungsspielraum und Schaffung und deutlicher als zuvor die Polizei als Gegner neuer Beziehungen.“ Der Aufruf endet mit „Sich genannt wurde. So hieß es beispielsweise im Vor- finden – Organisieren – Krawall.“ 295 feld der Gegenaktionen zum LEGIDA-Aufzug am 20. April 2015 unter der Überschrift „Leipzig: ES Bereits zu Beginn der OfD-Demonstration RICHTIG KRACHEN LASSEN!“: zeigte sich, dass die Akteure versuchten, die strategischen Hinweise der Positionspapiere „Es ist an der Zeit, zurück zu schlagen! (…) Gebt umzusetzen und sie bemüht waren, den Aufzug der Stadt und den Cops die Quittung für die letz- zu verhindern. So behinderten sie schon den ten Wochen. LASST ES KRACHEN UND KNALLEN! Zugang der OfD-Demonstranten zum Treff- (…) Gehen wir die Cops an! Machen wir die City punkt mit einer Sitzblockade. Während des Auf- platt!“ 294 (Hervorhebung im Original). zuges agierten die Gegendemonstranten sehr aggressiv, fortlaufend kam es zu zahlreichen Die Akteure versuchten, die im Aufruf for- Stein- und Flaschenwürfen auf den Demonstra- mulierten Ziele umzusetzen. Sie versuchten, tionszug und auf die Polizeibeamten. die Aufzugsstrecke zu blockieren und griffen LEGIDA-Demonstranten und Polizisten mit Als Reaktion auf die Ausschreitungen verfassten Steinen und Böllern an. Angehörige der Szene im Nachgang zwei Positi- onspapiere, in denen ein Resümee gezogen und Diese Kleingruppentaktik wurde von Leipziger Schlussfolgerungen abgeleitet wurden. Linksextremisten auch am 26. September 2015 In dem Positionspapier „[LE] Anmerkungen bei Protesten gegen einen Aufzug der OfD zu einem halbschönen 26.09. und autoritäre angewendet. So veröffentlichten sie bereits im Linke/Couragierte“296 stellten die Autoren fest, Vorfeld Positionspapiere, in denen strategische dass zwar Steine, Flaschen und Böller in Rich- Empfehlungen gegeben wurden, deren Ziel tung der Polizei flogen und „auch ein paar Bul- darin bestand, den Aufzug zu verhindern. Eines len einige Steine fressen“ mussten, es aber nur der Papiere regte die Durchführung dezentra- ein „kurzer Spaß“ gewesen sei. Hauptsächlicher ler Aktionen an. Diese Aktionen sollten unab- Kritikpunkt der Verfasser war aber die „massive hängig von den Gegendemonstrationen der Entsolidarisierung aus dem vermeintlich eige- nichtextremistischen Bündnisse durchgeführt nen Lager“. Die Autoren thematisierten eine werden. So hieß es dazu: offensichtlich sich verstärkende Distanzierung des bürgerlichen Lagers gegenüber der gewalt- „Der Verlass auf andere darf nicht zu untätigen bereiten Antifa. Auf Grundlage ihrer Lagebe- Warten auf Momente des Aufbegehrens einla- wertung zogen die Verfasser die Schlussfol- den, sondern muss vielmehr I„MPU“ls zu eige- gerung, dass über die Wahl der Mittel gegen ner Aktivität sein.“ Deshalb – so die Schluss- weitere „faschistische Aufmärsche“ in Leipzig folgerung: „Wohlweislich vollführtes Chaos jeder selbst entscheiden müsse, wobei alle lässt Bullenstrategien durchkreuzen, sorgt für Aktionsformen erlaubt seien.

294 linksunten.indymedia.org (Stand: 20. April 2015)

295 linksunten.indymedia.org/de (Stand: 14. September 20015), Schreibweise295 wie im OriginalSiehe voranstehende Fußnote, Beispiele für Aktionen in Dresden bzw. anderen Regionen des Freistaates Sachsen siehe Beiträge „Autonome“ in Dresden“ sowie „Autonome“ außerhalb der Städte Leipzig und Dresden“ im vorliegenden Bericht 294 Bei diesen Aktionen handelt es sich um Vorfälle außerhalb vom engeren Veranstaltungsgeschehen. In dieser Zahl sind bedeutende Aktionen enthalten, bei denen es entweder zum Einsatz von Gewalt kam bzw. es sich um herausgehobene Zielobjekte handelte. 296 linksunten.indymedia.org (Stand: 18. Dezember 2014) 296 linksunten.indymedia.org/de (Stand: 28. September 2015)

222 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen In einem Kommentar wird in diesem Zusam- Dass dies nicht nur eine taktische Option war, son- menhang eine noch stärkere Militanz gefor- dern auch umgesetzt wurde, zeigte sich besonders dert. So wird festgestellt: am 12. Dezember 2015, als es im Zusammenhang mit einer Demonstration von Rechtsextremisten „Wären mehr Steine in den letzten Monaten zu massiven Ausschreitungen von Linksextremis- geflogen, mehr von Legida im Krankenhaus, ten kam, an denen sich auch Linksextremisten aus würde Angst die Fahrt bei den Faschos beglei- dem Bundesgebiet beteiligten. ten wenn sie in den Raum Leipzig fahren, dann Bereits im Vorfeld des Aufzugs verübten mut- wären wir wieder einen Schritt weiter.“ 297 maßlich Linksextremisten einen Anschlag. So wurden am frühen Vormittag – offenbar mit dem Ziel, die Anreise des politischen Gegners zu behindern – S-Bahn-Kabelschächte nahe der Haltepunkte Connewitz und Plagwitz in Brand gesetzt. Beim Verlauf der Aktionen muss zwischen den offiziell angemeldeten Demonstrationen und den Aktivitäten des militanten autonomen Klein- gruppenspektrums differenziert werden. Denn Ziel und Verlauf der Aktivitäten unterschieden 26. September 2015 Leipzig sich gravierend voneinander. Abgesehen von Quelle: picture alliance/dpa/J. Woitas einer Blockadeaktion von etwa 30 Personen auf der Aufzugsstrecke, brachte die Mehrheit „Autonome“ setzen taktisch auf die der Demonstranten ihren Protest friedlich zum Verursachung eines hohen Sachschadens Ausdruck. Aus den zahlreichen angemeldeten Gegendemonstrationen heraus wurden keine Zunehmend wurde taktisch die Verursachung Gewalttaten verübt. Das Ziel bestand darin, eines hohen Sachschadens zur Diskussion deutlich gegen Rechtsextremisten vorzugehen. gestellt. Mit dieser Variante sollten die Leip- Allerdings nutzten Gewalttäter diese Veran- ziger Behörden zum Handeln gezwungen und staltungen, um immer wieder in der Menge der ein Veranstaltungsverbot erreicht werden, um friedlichen Protestteilnehmer unterzutauchen. die LEGIDA-Aufmärsche zu verhindern. So hieß So nahmen zahlreiche Linksextremisten die es in dem Positionspapier „[LE] Anmerkungen konsequente Trennung der gegnerischen Lager zu einem halbschönen 26.09. und autoritäre offenbar zum Anlass, gewalttätig gegen Poli- Linke/Couragierte“: zei, Banken und die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) zu agieren. So erfolgten die massiven „Treiben wir den Sachschaden in der Stadt hoch! Ausschreitungen weitab des Aufzugs der 250.000 pro Legida Demo und die Märsche sind Rechtsextremisten. Den Akteuren ging es nicht in drei Wochen Geschichte, versprochen.“ 298 um Protest gegen Rechtsextremismus. Das

297 297linksunten.indymedia.org/de linksunten.indymedia.org/de (Stand: 10. Dezember(Stand: 2015). Am 30. Dezember 2015 trat der28. Geschädigte von seinemSeptember Amt als stellvertretender Kreisvorsitzender der NPD in Leipzig 2015),zurück, außerdem gab er Kommentar des Beitrages, Schreibweise wie im Original seinen Austritt aus der NPD bekannt. 298 298Ebenda; damit wird auflinksunten. eineindymedia.org (Stand: 18. JuniTaktik 2015), Schreibweise wie im Original zurückgegriffen, die bereits bei den Aktionen gegen die Demonstrationen des Rechts- extremisten Christian Worch in den Jahren 2001 und 2002 in Leipzig angewendet wurde

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 223 Ziel bestand in der Verursachung eines hohen „Ich bin derart begeistert wie lange nicht. (…) Sachschadens, in der Absicht, dass deswegen Dennoch habe ich das Gefühl, dass auf direkte künftig Demonstrationen des politischen Geg- Konfrontation mit dem Bullenvolk (…) zurück- ners verboten werden würden. Dies zeigte sich haltend und zögerlich reagiert wird. Wieso? (…) daran, dass das Kleingruppenspektrum weitab Lasst uns sämtliche Naziaufmärsche richtig der rechtsextremistischen Demonstration verdammt scheiße-teuer machen!!! (…) Lasst agierte. Etwa 1.000 vermummte Personen ver- uns die Schweine einfach nur platt machen!!!“ 299 sammelten sich im Bereich der Innenstadt und bewarfen Polizeibeamte und -fahrzeuge mit Mit diesem Vorgehen verfolgten die Linksex- Steinen. Diese schwarz gekleideten und ver- tremisten zwei Absichten: Zum einen richten mummten Personen bewegten sich anschlie- sich die Aktionen gegen die Polizei als Institu- ßend in größeren Gruppen, zum Teil aber auch tion des demokratischen Rechtsstaates, zum in Kleingruppen, weiter stadtauswärts und anderen wurden dem politischen Gegner das hinterließen eine Schneise der Verwüstung. Recht auf freie Meinungsäußerung und das Auf dem Weg wurden Mülltonnen auf der Demonstrationsrecht abgesprochen. Straße entzündet, Haltestellen und Fenster von Bei der Aktion am 12. Dezember 2015 wurde Geschäften und Kreditinstituten eingeworfen die von den Linksextremisten verfolgte Stra- sowie Fahrzeuge beschädigt. Im Bereich des tegie deutlich. Man beteiligte sich nicht am Connewitzer Kreuzes zerschlugen etwa 100 bis bürgerlichen Protest, sondern agierte in Klein- 130 Linksextremisten zahlreiche Schaufenster- gruppen. Allerdings nutzten Linksextremisten scheiben verschiedener Geschäfte. Besonders diese nichtextremistischen Versammlungen als betroffen waren Gebäude von Kreditinstituten. Rückzugsort, um in der Menge der friedlichen Demonstranten unterzutauchen und diese als sogenannte „Deckungsmasse“ zu missbrauchen.

Aktionen zur Thematik „Flüchtlinge und Asyl“

Darüber hinaus war das Themenfeld „Flücht- linge/Asyl“ ein Schwerpunkt linksextremisti- scher Aktivitäten in Leipzig.

Neue Tendenz in der strukturellen Quelle: LfV Sachsen Entwicklung der linksextremistischen Szene in Leipzig Dass die Verursachung eines hohen Sachscha- dens ein wesentlicher Bestandteil ihrer Taktik Im Berichtszeitraum konturierten sich die Struk- ist, zeigte sich auch in einer Nachbetrachtung turen der Leipziger linksextremistischen Szene der Ereignisse unter dem Titel „Leipzig: Neona- stärker als in den vorangegangenen Jahren. Neben ziaufmarsch in Connewitz bleibt Illusion“. So dem militanten Kleingruppenspektrum traten im äußerte sich ein Kommentator wie folgt: Jahr 2015 weitere Gruppen öffentlich auf.

299 linksunten.indymedia.org/de (Stand: 14. Dezember 2015), Schreibweise299 wie im Original Ebenda

224 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Nachbetrachtung zu den Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz am 11. Januar 2016 heißt es:

„Auf das Treiben der Staatsapparate ist kein Verlass. Gegen den rechten Straßenterror hilft nur ein gesellschaftlicher Antifaschismus – Von der Kerze über die Sitzblockade bis zum militan- ten Selbstschutz.“ 301

Die Gruppe „the future is unwritten” ist in dem bundesweiten Netzwerk „… ums Ganze Bünd- nis“ involviert. Diese Gruppe trat erstmals im Zusammenhang mit dem 12. Dezember 2015 eigenständig in der Öffentlichkeit auf. So Die Gruppe „PRISMA” gehört der „Interven- mobilisierte sie, wie andere linksextremistische tionistischen Linken“ (IL) an. Die IL ist ein Gruppierungen, zur Teilnahme an den Protes- bundesweites Netzwerk, dem auch linksextre- ten gegen eine Demonstration von Rechtsext- mistische Gruppierungen angehören. Sie fun- remisten, bei denen es zu massiven Ausschrei- giert als Scharnier zu nicht gewaltorientierten tungen von Linksextremisten kam. Linksextremisten und in Einzelfällen auch zu nichtextremistischen Gruppen und Initiativen. Neben diesen beiden Gruppierungen positio- Die Einstellung zur Gewalt ist bei der IL taktisch nierte sich im Jahr 2015 erstmals die trotzkis- geprägt. Gewalt wird nicht grundsätzlich abge- tische Gruppe „REVOLUTION Leipzig”302 in der lehnt. Das Ziel der Gruppe „PRISMA” besteht in Öffentlichkeit. Sie veröffentlichte unter dem einer Titel „Antifaschistischer Widerstand – Notwen- dig und legitim! Aber wie? Kritik und Perspekti- „(…) radikalen Linken, die auf den revolutionä- ven des Kampfes in Leipzig“303 ein Positionspa- ren Bruch mit dem nationalen und dem glo- pier. Die Autoren bezogen sich in ihrem Papier balen Kapitalismus, mit der Macht des bürger- zwar auf den Anschlag auf die Chemiefirma am lichen Staates (…) orientiert. Kurz: Wir wollen 6. August 2015, allerdings wird deutlich, dass sie eine neue, radikale gesellschaftliche Linke, die diesen nur zum Anlass nehmen, um ihre grund- um politische Hegemonie ringt und Gegen- sätzlichen Auffassungen zum Widerstand zu macht organisiert.“ 300 erläutern. Dieses Positionspapier stellte im Vergleich zu Darüber hinaus stellt die Gruppe auch den den vorangegangenen Papieren eine neue Qua- demokratischen Rechtsstaat in Frage. In einer lität dar. Diese lag darin, dass die bisherigen

300 prisma.blogsport.de (Stand: 20. Januar 2016) 301 Ebenda (Stand: 20. Januar 2016) 302 „REVOLUTION Leipzig” ist – wie andere „Revolutionsgruppen“ in anderen Städten die Jugendorganisation der trotzkisti- schen Gruppierung „Gruppe Arbeitermacht” (GAM). Diese Gruppierung301 sowie deren Jugendorganisationen sind Bestand-

teile der überregionalen linksextremistischen Organisation „Neue302 antifaschistische Organisation”Der Spiegel Nr. 25, 1970, S.74, Artikel „Natürlich kann geschossen werden.“, Schreibwiese (NaO) wie im Original 300303 www.onesolutionrevolution.de linksunten.indymedia.org (Stand: 8. Januar 2015), Schreibweise (Stand: wie im Original 25. August 2015) 303

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 225 Papiere aus der autonomen Szene heraus, das antiimperialistische Gruppe aktiv, die zur Schreiben der Gruppe „REVOLUTION Leipzig” Anwendung von Gewalt bereit war. Dies könnte hingegen von Angehörigen einer festen trotz- zu Differenzen in der Szene führen, da ein Teil kistisch-antiimperialistischen Struktur verfasst der hiesigen Szene „antideutsch“ ausgerichtet wurde. Deshalb besitzt dieses Schreiben einen ist und auf dem Existenzrecht Israels besteht. absolut parteipolitischen Duktus, der von trotz- Die „antiimperialistische“ Gruppe „REVOLUTION kistisch/antikapitalistischen Positionen und Leipzig” lehnt ein solches hingegen ab. Inwie- Termini geprägt ist. Die Verfasser beziehen auch weit sich eine trotzkistische Gruppe innerhalb Stellung zu den bisherigen Papieren. Über die einer eher antideutsch ausgerichteten Szene Notwendigkeit der Anwendung von Gewalt war dauerhaft etablieren kann, bleibt abzuwarten. man sich mit den anderen Autoren einig. Jedoch Darüber hinaus muss – sollten die formulierten stellten sie fest, dass es jenen an Perspektive Ansprüche umgesetzt werden – auch mit neuen fehle. Formen von Anschlägen gerechnet werden, die Für die Verfasser liegt der Ursprung der Gewalt sich unter Umständen gezielt gegen Firmen in der Ausbeutung der Arbeit und der Spaltung bzw. gegen deren Inhaber richten. der Klasse, um die kapitalistische Herrschaft zu Die Gruppe „REVOLUTION Leipzig” war auch in sichern. Deshalb erhoben die Autoren die For- der Öffentlichkeit präsent: derung, den bürgerlichen Staat zu zerschlagen ❙❙ Am 19. Oktober 2015 beteiligte sich die und an dessen Stelle eine Jugendinternationale Gruppe in Dresden an den Protesten gegen und ein Rätesystem aufzubauen. Es hieß: eine Versammlung der PEGIDA. Begin- nend am Bahnhof Dresden-Mitte nahm „Sofern mensch sich als revolutionär verstehen die Gruppe an einem von Linksextremisten sollte, so ist das strategische Ziel, die Zerschla- unterstützten Aufzug teil und führte ein gung des bürgerlichen Staates bzw. den Aufbau Fronttransparent mit sich (vgl. hierzu Bei- einer neuen Jugendinternationale (…)“ 304 trag „Autonome“ in Dresden“). ❙❙ Außerdem war die Gruppe am 12. Dezember Darüber hinaus wurde auch die Zielrichtung 2015 in Leipzig an den erwähnten massiven „revolutionärer Gewalt“ vorgegeben. Es heißt: Ausschreitungen beteiligt, die im Zusam- „Unsere Gewalt muss ins Herz dieses Systems menhang mit einer Demonstration von treffen, das Privateigentum an Produktionsmit- Rechtsextremisten erfolgten. Auf ihrem teln.“ und wird unter dem Slogan „militant, mas- Facebook-Profil positionierte sie sich zu senhaft, organisiert“ zusammengefasst. den Ausschreitungen wie folgt: Mit der Entstehung der Gruppe „REVOLUTION Leipzig” zeigte sich nicht nur eine Struktur- „Es war ein Tag der Wut. Leipzigs ArbeiterInnen- entwicklung, sondern auch eine neue Qualität klasse – insbesondere die Jugend – hat gezeigt, innerhalb der linksextremistischen Szene in dass sie auf diese vom Staat organisierten Leipzig. Erstmalig wurde eine trotzkistisch/ Zustände keine Lust mehr hat!“ 305

304 linksunten.indymedia.org (Stand: 19. Januar 2015) 305 linksunten.indymedia.org (Stand: 12. Juni 2015)

304 www.onesolutionrevolution.de (Stand: 25. August 2015) 305 www.facebook.com/RevoLeipzig/posts/1509030336059987 (Stand: 14. Dezember 2015)

226 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Straftaten

linksextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 582 821 977 162 154 283

Leipzig (Stadt) 186 227 439 42 67 180

2.3.2 „Autonome“ in Dresden

Die rückläufige Entwicklung des Personenpotenzi- Aktionen durchzuführen und sich wirksam in als im Vorjahr stagnierte im Jahr 2015. Im Vergleich der Öffentlichkeit zu artikulieren. zu 2014 blieb die Stärke der autonomen Szene Dresdens nunmehr konstant bei ca. 70 Personen. Aktionsniveau Ebenso stagnierte die strukturelle Entwicklung. So existierte mit der „Undogmatischen Radika- In diesem Zusammenhang muss auch die Ent- len Antifa Dresden” („URA Dresden”) weiterhin wicklung des Aktionsniveaus gesehen werden, nur eine autonome Gruppe, die aktiv in der welches seit 2012 kontinuierlich angestiegen ist. Öffentlichkeit agierte. Gleichzeitig wuchs im Laufe des Jahres die Bedeutung des – in sei- Demonstrationen/Aufzüge/Gegenproteste ner Gesamtheit nichtextremistischen – Bünd- von bzw. mit Beteiligung von Autonomen nisses Nazifrei – Dresden stellt sich quer als in Dresden Organisator öffentlichkeitswirksamer Veran- 60 staltungen auch für „Autonome“. „Autonome“ 44 beteiligten sich ebenfalls zunehmend an den 40 35 Aktionen anderer nichtextremistischer Bünd- 21 18 nisse. Eigenständige demonstrative Aktionen 20 gingen von ihnen, bis auf eine Ausnahme, nicht aus. Insofern erweist sich die seit Jahren von 0 Extremisten praktizierte Bündnispolitik mit 2012 2013 2014 2015 nichtextremistischen Gruppen als eine verläss- liche Größe, die die Durchführung öffentlicher Die Dresdner Szene zeigte, wie in den bei- Aktionen ermöglicht. Darüber hinaus zeigte den Vorjahren, eine gestiegene öffentliche sich auch, dass die örtliche autonome Szene Präsenz, ohne dass jedoch ihr Personenpo- auf Grund ihrer personellen und strukturel- tenzial anwuchs. Allerdings agierte die Szene len Schwächen kaum in der Lage ist, eigene nicht unabhängig und selbstständig, sondern

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 227 vorrangig im Rahmen von Veranstaltungen erkennbaren Bezug zur „URA Dresden”. So nah- des Bündnisses Nazifrei–Dresden stellt sich men am 26. Mai 2015 etwa 50 teilweise ver- quer. So beteiligten sich in Dresden an Gegen- mummte Personen an einem Protestzug durch protesten oft nur wenige „Autonome“, die die Dresdner Neustadt teil und führten ein zudem nur beschränkt Außenwirkung erzeu- Fronttransparent mit der Aufschrift „STOPG7“ gen konnten. Die Teilnahme Dresdner und aus- mit sich (siehe Abschnitt „Unangemeldete wärtiger „Autonomer” blieb in der Regel auf Aktionen“ in diesem Beitrag). 100 Personen beschränkt. Die erhöhte Zahl der Mit ihrer Strategie gelang es der „URA Dres- Demonstrationen wirkte sich somit nicht auf den” – als derzeit einziger mobilisierungswirk- die Anzahl der linksextremistischen Teilnehmer samer Gruppe der autonomen Szene – nicht, aus. Vielmehr war die Szene mit der Vielzahl das in Dresden zweifellos vorhandene auto- der Ereignisse zeitweise überfordert und ab nome Kernpotenzial verstärkt zu Aktionen zu April des Berichtsjahres nicht mehr in der Lage, mobilisieren. Bis etwa April des Berichtsjahres auf jeden Anlass zu reagieren. waren noch bis zu 100 „Autonome“ mobilisier- bar, danach meist nur noch 50 bis 60. Eine stär- Für den Anstieg des Aktionsniveaus lassen sich kere Beteiligung von Linksextremisten zeigte zwei Ursachen ausmachen: sich nur nach überregionaler Mobilisierung. ❙❙ die seit Oktober 2014 durchgeführten Akti- onen gegen PEGIDA306 sowie Der Anteil der nicht angemeldeten Aktionen ❙❙ die Aktivitäten im Zusammenhang mit der an allen öffentlichen Veranstaltungen erhöhte aktuellen Flüchtlings- und Asylthematik, sich im Jahr 2015 auf ca. 41 % (2014: 23 %) die im Sommer 2015 einsetzten und „Auto- und bewegte sich damit auf dem Niveau von nome“ zu Reaktionen veranlasst haben. 2013 (ca. 38 %).

Eine Stärkung der Szene blieb dennoch aus. Art der öffentlichen Veranstaltung Ihre Anziehungskraft und Mobilisierungsfä- 50 higkeit stagnierten auf dem relativ niedrigen angemeldet unangemeldet Niveau des Vorjahres. Damit verlor die Dresd- 40 ner Szene weiter an Relevanz gegenüber der 30 27 26 nochmals aktiver gewordenen Szene in Leipzig. 18 20 Eine Ursache ist die 2015 nochmals verstärkte 14 13 8 8 Konzentration der „URA Dresden” auf Bünd- 10 4 nisse mit Nichtextremisten. Diese Bündnisori- 0 entierung hatte auch zur Folge, dass Dresdner 2012 2013 2014 2015 „Autonome“ bei öffentlichkeitswirksamen Aktionen kaum selbstständig auftraten, son- Unangemeldete Aktionen stellen einen Grad- dern nahezu ausnahmslos gemeinsam mit messer für die Handlungsfähigkeit der Szene Nichtextremisten. So gab es im Jahr 2015 dar. Sie spiegeln ihren Anspruch auf Selbstbe- nur noch eine Aktion, die ausschließlich von stimmung und Autonomie wider und können der autonomen Szene ausging, jedoch ohne ihre Ablehnung staatlicher Autorität besonders

306 „Patriotische Europäer„Patriotische gegen Europäer gegen die Islamisierung die des Abendlandes“ Islamisierung des Abendlandes“

228 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen gut symbolisieren. Allerdings trugen die unan- Linksextremisten versuchten auch im Berichts- gemeldeten Aktivitäten fast ausschließlich jahr, die eigene Klientel wieder stärker zu mobi- reaktiven Charakter und richteten sich gegen lisieren. Die Kampagne „No Excuses!” richtete Veranstaltungen des politischen Gegners. Von sich mit einem eigenen Aufruf an die linksex- der unangemeldeten Demonstration ohne tremistische Szene, ohne damit nennenswerte reaktiven Charakter am 26. Mai 2015 abge- Resonanz zu erzielen. Lediglich die weitgehend sehen, war bei den übrigen Aktionen ein nur inaktive „Antifaschistische „Aktionsgruppe äußerst geringes Personenpotenzial beteiligt, Dresden” (AFA Dresden) unterstützte den welches – im Gegensatz zur den Leipziger Aufruf und das Facebook-Profil „Antifaschisti- Akteuren – keine Akzente in der Öffentlich- sches Nachrichtenportal Sachsen“ teilte einen keit zu setzen vermochte. Die Entwicklung der Link. unangemeldeten Veranstaltungen zeigte zwar das Bemühen, kurzfristig zu mobilisieren, eine Wirkung konnte allerdings nicht erzielt werden.

Angemeldete öffentliche Aktionen

Die Dresdner Szene sucht im Rahmen angemel- deter öffentlicher Aktionen schon seit Jahren das Bündnis mit bürgerlichen Kräften.

Aktionen am 13. Februar Quelle: noexcuses.noblogs.org (Stand: 14. Februar 2015) Dresdner „Autonome“ setzten für ihre Aktivi- täten am 13. Februar die aus ihrer Sicht seit Die Absicht, Potenzial aus den eigenen Reihen 2010 bewährte Bündnispolitik fort und unter- zu motivieren, zeigte sich auch am Inhalt des stützten mit ihren Aktionen erneut das in sei- Aufrufes. Denn im Unterschied zum Aufruf ner Gesamtheit nichtextremistische Bündnis des Bündnisses Nazifrei – Dresden stellt sich Nazifrei – Dresden stellt sich quer. Auch die quer, das ausschließlich Blockaden ankündigte, „URA Dresden” gehörte diesem Bündnis an. forderte No Excuses! weitergehend: „Naziauf- So erklärte ein Gruppenmitglied gegenüber marsch verhindern!“. In einem späteren Text einem Radiosender: „Wir sind ja in dem Bünd- erneuerte die Kampagne diese Forderung und nis aktiv. Die gehören ja zu unseren Partnern, ließ die damit verbundenen Absichten durch sozusagen.“307 Allerdings besitzen die Aktionen den vielsagenden Hinweis „Es liegt an uns anlässlich des 13. Februar nur noch regionale was morgen passieren wird!“308 durchblicken. Bedeutung. Damit setzte sich der Abwärtstrend Denselben Text veröffentlichte auch die „URA der letzten Jahre fort, was mit einem weiteren Dresden”, was auf Verflechtungen zwischen ihr Bedeutungsverlust der Dresdner autonomen und der Kampagne schließen lässt. Szene einherging.

307 www.freie-radios.net, Interview „Pegida – Rassist*innen aller Couleur demonstrieren Montags in Dresden“ (Stand: 24. November 2015) 307308 Schreibweise wie im Originalwww.freie-radios.net, Interview „Pegida – Rassist*innen aller Couleur demonstrieren Montags in Dresden“ (Stand: 24. November 2015) 308 Schreibweise wie im Original

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 229 Schließlich richtete sich No Excuses! im Unter- Daher beteiligten sich nur ca. 150 teils gewal- schied zum Bündnis Nazifrei – Dresden stellt torientierte Linksextremisten an den verschie- sich quer erneut nicht nur gegen den geplan- denen Aktionen. Am 13. Februar – auf den die ten Aufzug von Rechtsextremisten, sondern Mobilisierung der Linksextremisten in Unkennt- zugleich gegen das bürgerliche Gedenken nis des tatsächlichen Demonstrationstermins an die Opfer der Luftangriffe. So erhob die der Rechtsextremisten zunächst ausgerichtet Kampagne Forderungen, wie „Menschen- war – nahmen 50 bis 100 „Autonome“ an einer kette abschaffen“, und kritisierte ein angeb- Kundgebung „Statt Opfermythos: Verantwor- lich „unerschütterliche(s) Beharren auf dem tung übernehmen – gestern, heute, morgen“ geschichtsrevisionistischen Gedenken an die am Neumarkt teil. Dort skandierten sie „Wir Opfer der Bombardierung Dresdens“. Dement- sind hier aus purer Feindschaft gegen eure sprechend rief sie auf, „sich am 13. Februar Volksgemeinschaft“ sowie „Bomber-Harris, do 2015 vielfältig an gedenkkritischen Aktionen it again“. Einige von ihnen holten zuvor ver- zu beteiligen und eigene kreative Aktionen deckt getragene als Schlagwerkzeug geeignete umzusetzen“. Insofern war die Zielstellung die- sogenannte Knüppelfahnen hervor. ser Kampagne weiter gefasst, denn der Bünd- niskonsens von Nazifrei – Dresden stellt sich Nach dem Bekanntwerden des tatsächlichen quer umfasste nicht die Störung des bürger- Termins des rechtsextremistischen Aufzuges lichen Gedenkens, sondern war ausschließlich am 15. Februar riefen No Excuses! und „URA auf die Verhinderung rechtsextremistischer Dresden” kurzfristig dazu auf, sich den „(Neo-) Aktivitäten gerichtet. Nazis entschlossen und kreativ entgegen“ zu stellen und deren Aufzug „unmöglich zu Die Mobilisierung zu diesem Ereignis weist zwei machen“. Auch das Bündnis Nazifrei – Dresden Tendenzen auf, die sich auf die Teilnahmebe- stellt sich quer veröffentlichte einen Aufruf. reitschaft und letztlich auf das Teilnehmerpo- Die linksextremistische Internetseite „Auto- tenzial auswirkten: nome Gruppe Dresden“ forderte „Bleibt sport- 1. Linksextremisten bemühten sich nicht ziel- lich und stört wo ihr könnt!“309. Unter den etwa gerichtet, die Interessen der eigenen Klien- 1.000 Demonstranten, die gegen den Aufzug tel zu bedienen und diese zu mobilisieren. der Rechtsextremisten protestierten, befanden Die waren Aufrufe wenig konkret und wirk- sich nur etwa 150 Linksextremisten, so dass ten insbesondere bei gewaltorientierten das Kernziel, den „Nazi-Aufmarsch“ zu verhin- „Autonomen” wenig authentisch. dern, nicht erreicht werden konnte. Der rechts- 2. Die Bündnisorientierung der Dresdner extremistische Aufzug wurde durch mehrere „Autonomen” wirkte dämpfend auf das Sitzblockaden aufgehalten, musste deswegen Aktionsniveau der „Autonomen”. Bei sol- seine Route ändern oder wurde umgeleitet. In chen Bündnisdemonstrationen spielt der einer teilweise aggressionsgeladenen Atmo- Gewaltaspekt für Linksextremisten eine sphäre kam es zu einer Reihe szenetypischer geringere Rolle. Straf- und Gewalttaten.

309 Schreibweise wie im Original 309 Schreibweise wie im Original

230 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Die linksextremistischen Teilnehmerzahlen kapitalistischen Krise und ihrer autoritären und vom 15. Februar entsprachen etwa dem Mobi- neoliberalen Verwaltung“. Als solche gehört sie lisierungspotenzial der Dresdner Szene. Damit zu den Feindbildern der „Autonomen”. wurde deutlich, dass der 13. Februar derzeit kaum noch Bedeutung für die autonome Szene „PEGIDA mag ein Aufstand gegen bestimmte außerhalb Dresdens besitzt. regierende Personen sein, sie ist aber keine Auf- lehnung gegen die Herrschaft. Sie ist eine kon- Anzahl der gewaltbereiten linksextremisti- formistische Revolte für den kapitalistischen, schen Teilnehmer an den Aktionen zu den patriarchalen und rassistischen Normalbetrieb Jahrestagen der Bombardierung Dresdens und gegen emanzipatorische Veränderung. im Zweiten Weltkrieg PEGIDA ist zutiefst reaktionär.“310

4.000 3.500 Zwar knüpften die „Autonomen” im Jahr 2015 nahtlos an die Protestaktionen des Vorjah- res an und handelten stets im Rahmen ihres 2.000 1.400 Bündnisses mit Nichtextremisten von Nazi- frei – Dresden stellt sich quer. Allerdings war 800 400 das linksextremistische Teilnehmerpotenzial 150 0 gleichzeitig stark rückläufig und umfasste in 2011 2012 2013 2014 2015 der Regel lediglich 100 Personen.

Die Linksextremisten nahmen anschließend Die Ursache für diesen Rückgang bestand zum nicht öffentlich zu den Ereignissen Stellung und einen in dem gescheiterten Versuch der „URA signalisierten damit, dass sie mit dem Ergebnis Dresden”, Unterstützung von Nichtextremisten unzufrieden waren, aber damals keine alter- außerhalb des Bündniszusammenhanges von nativen Handlungsmöglichkeiten aufzeigen Nazifrei – Dresden stellt sich quer für ihre Akti- konnten. Andererseits stellten auch rechtsext- onsformen zu erlangen. Zum anderen konnten remistische Aufzüge zum 13. Februar nur noch Leipziger „Autonome“ wegen der beginnenden Ereignisse von regionaler Bedeutung dar. Demonstrationen gegen LEGIDA nicht mehr dieselbe personelle Unterstützung leisten wie Aktionen gegen Versammlungen der PEGIDA zuvor. im Spiegel autonomer Bündnispolitik Die Mobilisierungen erfolgten im Wesentlichen Dresdner „Autonome“ sehen in der PEGIDA- durch die „URA Dresden” und das von Herbst Bewegung derzeit einen ihrer wichtigsten 2014 bis Oktober 2015 aktive linksextremisti- Gegner. Die „URA Dresden” begreift sie als sche Internetprofil „Antifaschistisches Nach- „Sammelbecken neu-rechter bis faschistischer richtenportal Sachsen“. Die Aufrufe verbanden Bewegungen und ganz normaler Rassist*innen“, sich mit Forderungen wie, aber gleichzeitig als Ausdruck „der aktuellen

310 uradresden.noblogs.org, Text „Aufruf zur Demonstration Solidarity with Refugees – for a better life together“ am

28. Februar 14 Uhr Theaterplatz” (Stand: 20. Februar 2015) 310 uradresden.noblogs.org, Text “Aufruf zur Demonstration ´Solidarity with Refugees – for a better life together“ am 28. Februar 14 Uhr Theaterplatz” (Stand: 20. Februar 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 231 „MIT ALLEN MÖGLICHEN MITTELN DAFÜR ZU antifaschistischen, antirassistischen Positi- SORGEN, DASS (…) NICHT EINFACH 20.000 RAS- onen UND Aktionen.“ 312 SIST_INNEN IN RUHE DURCH UNSERE STÄDTE LAUFEN KÖNNEN“.311 Es gab zudem zu erkennen, künftig wieder eigenständig agieren zu wollen. Ergänzend Dabei zeigte sich das Bemühen der Linksext- bilanzierte später die „URA Dresden“: remisten, in der Öffentlichkeit eigene Akzente gegen PEGIDA zu setzen: „Wir haben keinen Masterplan wie wir gegen ❙❙ So beteiligten sich am 5. Januar 2015 etwa das rassistische Klima und deren Auswuchs 100 Linksextremisten an mehreren Gegen- PEGIDA am Besten vorgehen sollten (…).“ 313 veranstaltungen. Ein Großteil agierte als eigener Block an einem Spontanaufzug, zu ❙❙ Am 12. Januar 2015 verzichteten das Bünd- dessen Startpunkt zuvor die „URA Dres- nis Nazifrei – Dresden stellt sich quer und den“ mobilisiert hatte. Die Demonstranten die darin vertretenen „Autonomen” in liefen zum Sammelpunkt eines nichtext- Bezug auf die Proteste gegen die PEGIDA- remistischen Aufzugs und versuchten, die Versammlung gänzlich auf gemeinsame Teilnehmer mit Rufen, wie „Gebt den Nazis Aktionen mit dem nichtextremistischen die Straße zurück! Stein für Stein, Stück für Bündnis Dresden für alle. Grund war, dass Stück!“ und „Nie, nie nie wieder Deutsch- dessen Aktionen bis dahin nicht darauf aus- land!“, für Aktionen gegen PEGIDA zu ani- gelegt gewesen waren, „aktiv auf PEGIDA mieren. Das gelang jedoch nicht. einzuwirken“. Demgegenüber habe Nazi- Dieser neuerliche Versuch „Autonomer”, frei – Dresden stellt sich quer einen anderen nichtextremistische Akteure im Sinne eigener Aktionsanspruch und wolle „Rassist_innen Ziele zu radikalisieren und zu instrumentali- nicht ungehindert die Straße überlassen“. sieren und deren hohes Personenpotenzial Diese Absichtserklärungen bewirkten vor- für ihre Zwecke zu nutzen, blieb ohne Erfolg. übergehend einen signifikant stärkeren Das Bündnis Nazifrei – Dresden stellt sich Zulauf zu linksextremistisch motivierten quer distanzierte sich schließlich von allen Aktionen. Zunächst nahmen nur etwa 90 bürgerlichen Protestformen anderer nicht- Linksextremisten an einer friedlichen Spon- extremistischer Protestbündnisse, da diese tanversammlung teil, die auf dahinter lie- keine Konfrontation mit dem politischen gende Blockadeabsichten des Bündnisses Gegner anstrebten und nicht blockadeorien- Nazifrei – Dresden stellt sich quer schließen tiert aufträten. Hierzu das Bündnis Nazifrei – ließ. Später versuchten an anderer Stelle Dresden stellt sich quer: 300 bis 400 PEGIDA-Gegner, organisiert und teils gewalttätig auf die Route des „Es fehlt schlicht an einem, dann auch PEGIDA-Aufzugs zu gelangen, um sie zu durch Taten belegten, Bekenntnis zahl- blockieren. Dabei gingen sie mit Flaschen- reicher Akteur_innen in dieser Stadt zu und Steinwürfen gegen ein Geschäft vor,

311 www.facebook.com/pages/Antifaschistisches-Nachrichtenportal-Sachsen (Stand: 6. Januar 2015); Hervorhebungen im Original 312 www.facebook.com/dresden.stellt.sich.quer (Stand: 7. Januar 3122015) https:/www.facebook.com/dresden.stellt.sich.quer (Stand: 7. Januar 2015) 311313 uradresden.noblogs.org www.facebook.com/pages/Antifaschistisches-Nachrichtenportal-Sachsen (Stand: 6. Januar (Stand: 2015); Hervorhebungen im Original 22. Januar 2015), Schreibweise313 wie im Original uradresden.noblogs.org (Stand: 22. Januar 2015), Schreibweise wie im Original

232 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen in dem eine bei Rechtsextremisten beliebte Öffentlichkeit aufzuzeigen, dass Rassismus Bekleidungsmarke angeboten wird, und und dieses kapitalistische System tötet. Es griffen Polizeibeamte – auch mit soge- liegt an uns, jeden Tag diesem rassistischen nannten „Knüppelfahnen“ – tätlich an. Das Staat und seinen Behörden zu zeigen, dass eigentliche Ziel der Be- und Verhinderung sie das Problem sind!“ 316 des gegnerischen Aufzugs misslang jedoch. Auch auswärtige Linksextremisten riefen zu ❙❙ In dieser Situation versuchten Linksex- Gegenaktionen auf. Dennoch kam es auf- tremisten, den gewaltsamen Tod eines grund dieser Straftat nicht zu gewalttätigen Asylbewerbers aus Eritrea am Abend des Aktionen in Dresden. Allerdings versuchten 12. Januar 2015 in Dresden für eine „anti- Linksextremisten, Asylbewerber und Mig- rassistische“ Kampagne zu instrumentali- ranten zu instrumentalisieren. Teilnehmer, sieren, wozu sie PEGIDA als Stichwortgeber die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild und treibende Kraft hinter dem Verbrechen dieser Gruppe zuzuordnen sein könnten, anprangerten. Die durch die Tat ausgelöste führten bei einer nichtextremistischen massive öffentliche Empörungswelle woll- Demonstration zum Gedenken an den Getö- ten sie in einen Mobilisierungsschub für ihre teten am 17. Januar 2015 ein Transparent der Aktionen gegen PEGIDA wandeln. Zugleich „URA Dresden“ mit der Aufschrift „Kampf nutzten sie die Straftat, um ihre Gewalt den Rassistischen Zuständen! Nie wieder gegen den demokratischen Rechtsstaat zu Deutschland“ mit sich. Die Aufklärung des rechtfertigen. Das Facebook-Profil „Anti- Verbrechens bereits nach etwa zehn Tagen, faschistisches Nachrichtenportal Sachsen“ die später zur Verurteilung eines anderen schrieb dazu: Asylbewerbers führte, entzog den mit dem Ereignis verbundenen Absichten von Links- „Wut! Hass! Trauer! Der rassistische Mob extremisten noch vor der nächsten PEGIDA- tobt und wächst von Woche zu Woche. (…) Versammlung die Grundlage. Folge war ein Wehrt euch gegen Pegida und alle anderen weiterer Rückgang der Teilnehmerzahlen. rassistischen Idioten! (…) Rassistenschweine verpisst euch!“ 314 ❙❙ Der Rückgang der Teilnehmerzahlen von „Autonomen” liegt im Unvermögen der Eine Stellungnahme auf der Internetseite Akteure, eine effektive Strategie zur Ver- „Autonome Gruppe Dresden“ richtete sich hinderung der PEGIDA-Demonstrationen deutlich gegen den demokratischen Rechts- zu entwickeln. So misslang am 13. April staat: 2015 ein erneuter Versuch, effektiv gegen PEGIDA vorzugehen, obwohl die „Auto- „(…) unser Hass (ist) bei all jenen Rassis- nomen” diesem Datum wegen des damals ten und Deutschen die jeden Montag auf bevorstehenden Auftritts des rechtspopu- den Beinen sind“ 315 und: „Es liegt an uns der listischen niederländischen Politikers Geert

314 www.facebook.com/pages/Antifaschistisches-Nachrichtenportal-Sachsen (Stand: 15. Januar 2015) 315 314agdd.blogsport.de (Stand:www.facebook.com/pages/Antifaschistisches-Nachrichtenportal-Sachsen 15. Januar (Stand: 15. Januar 2015)2015), Schreibweise wie im Original 315316 agdd.blogsport.de (Stand:agdd.blogsport.de (Stand: 15. Januar23. Januar 2015), Schreibweise wie im Original 2015), Schreibweise wie316 im Original agdd.blogsport.de (Stand: 23. Januar 2015), Schreibweise wie im Original

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 233 Wilders bei PEGIDA besondere Bedeutung blieben weitgehend erfolglos. Nur etwa 50 beigemessen hatten. Das Bündnis Nazi- Störer versuchten vergeblich, zur gegneri- frei – Dresden stellt sich quer wollte die schen Aufzugsroute zu gelangen. gegnerische Versammlung verhindern und hatte eine eigene, von der „URA Dresden“ ❙❙ Die mangelnde Distanz zu Gewalt und die unterstützte Demonstration ausgerich- Nähe des Bündnisses Nazifrei – Dresden tet. Letztlich waren unter den insgesamt stellt sich quer zur autonomen Szene zeigte etwa 3.000 Gegendemonstranten nur 100 sich bei den Mobilisierungen zu Gegenpro- Linksextremisten, denen wegen ihrer relativ testen anlässlich des ersten Jahrestages des geringen Anzahl und aufgrund ausbleiben- Aktivwerdens der PEGIDA-Bewegung am der Unterstützung durch nichtextremisti- 19. Oktober 2015. sche Blockierer keine wirksamen Aktionen Das Bündnis hatte die Planungen der gelangen. Proteste initiiert. Außerdem zählte es Das Bündnis stellte daher – und stellver- selbst – und somit indirekt auch die ihm tretend auch für die daran beteiligten angehörende „URA Dresden“ – zu den „Autonomen” – fest, dass es sein Ziel „einer Unterstützern eines hinter den Demonst- Blockade oder signifikanten Störung der rationen stehenden bürgerlichen Protest- PEGIDA-Veranstaltung“ nicht habe errei- bündnisses. Seine Verbindungen zur „URA chen können und erklärte, vorerst nicht Dresden“ verdeutlichte Nazifrei – Dresden mehr gegen PEGIDA vorgehen zu wollen: stellt sich quer, indem es einen Aufruf der „URA Dresden“ „Den PEGIDA-Geburtstag „Inzwischen ist ein Zustand erreicht, bei zum Desaster machen“ unterstützte, dem dem weiterer wöchentlicher Protest bei uns eine Leitfunktion für die linksextremistische eher zum Verschleiß unserer Kräfte und bei Szene zukam. Das Bündnis selbst beantwor- PEGIDA zu einem Maß an Aufmerksamkeit tete die Frage auf seinem Facebookprofil führen würde, das sie aus eigener Kraft nicht „Warum distanziert ihr euch nicht von der (mehr) zu generieren fähig wären. Wir von extremen Antifa?“ wie folgt: Dresden Nazifrei werden uns daher vorran- gig auf den 17. Juni und mögliche Naziakti- „Weil wir ein spektrenübergreifendes Bünd- vitäten (…) konzentrieren und unsere Kräfte nis sind und radikale Antifagruppen ein Teil dahingehend bündeln.“ 317 von uns sind. (…)“ 318

❙❙ Diese Ankündigung konnte nicht umgesetzt Dieses Ereignis verhalf den „Autonomen” werden. Die Aktionen gegen einen alljähr- aufgrund der damit verbundenen Symbol- lichen Aufzug von Rechtsextremisten am wirkung zu einem vorübergehenden Mobili- 17. Juni 2015, zu denen „URA Dresden“ und sierungsschub. Resonanz erzielte der Aufruf Nazifrei – Dresden stellt sich quer aufge- der „URA Dresden“ auch bei Linksextremis- rufen hatten, wirkten unorganisiert und ten in Berlin und Leipzig, so u. a. bei der

317 dresden-nazifrei.com, Text „FAZIT DER AKTIONEN VOM 13.04. GEGEN GEERT WILDERS-BESUCH BEI PEGIDA (Stand: 21. April 2015)

317 dresden-nazifrei.com, Text „FAZIT DER AKTIONEN VOM 13.04. GEGEN GEERT WILDERS-BESUCH BEI PEGIDA (Stand: 21. April 2015) 318 www.facebook.com/dresden.stellt.sich.quer (Stand: 19.Oktober 2015) 318 www.facebook.com/dresden.stellt.sich.quer (Stand: 19.Oktober 2015)

234 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Gruppe „the future is unwritten” (Leipzig) Brand. In der Nacht wurden am Leipziger und der Berliner Gruppe des bundesweiten Hauptbahnhof rückkehrende PEGIDA-Teil- Netzwerks „Interventionistische Linke“ (IL). nehmer angegriffen. An Gegendemonstrationen und Protesten In der Gesamtschau handelte es sich am von etwa 22.000 Menschen gegen eine 19. Oktober 2015 um die wohl gewalttä- Kundgebung von etwa 23.000 PEGIDA- tigsten Aktionen von Linksextremisten Anhängern beteiligten sich schätzungs- in Dresden seit dem 13. Februar 2013. Sie weise 400 teils gewaltorientierte Linksex- verdeutlichten, dass größere Ausschreitun- tremisten. Durch die Teilnahme der Gewalt gen gewaltorientierter Linksextremisten befürwortenden trotzkistischen Gruppe in Dresden regelmäßig eine überregionale „REVOLUTION Leipzig“ sowie der auslän- Mobilisierung von Linksextremisten zu derextremistischen Gruppe „Ciwanên Azad Protesten gegen politische Gegner voraus- Dresden”319 bekam diese Veranstaltung eine setzen. Gleichzeitig gewinnen die Aktionen neue Qualität. So rief – einem Pressebericht gewaltorientierter Linksextremisten dann zufolge – ein Sprecher der „Ciwanen Azad” an Relevanz, wenn ihre Träger aus einer dabei zur Bildung „militant-revolutionärer Bündnisposition heraus agieren können und Jugendgruppen“ auf320. Linksextremisten sich gleichzeitig eine möglichst große Zahl konnten einen Aufzug nichtextremistischer von Nichtextremisten an den Gegenprotes- Veranstalter zu ihrer Selbstdarstellung ten beteiligt. nutzen und gleichzeitig in größerer Anzahl zum Veranstaltungsraum ihrer politischen Aktionen zur Thematik „Flüchtlinge und Gegner gelangen. Anschließend störten Asyl“ mehrere Hundert PEGIDA-Gegner teils gewaltsam die Anreise ihrer politischen Darüber hinaus war das Themenfeld „Flüchtlinge/ Gegner und verletzten dabei mindestens Asyl“ ein Schwerpunkt linksextremistischer Akti- zwei PEGIDA-Anhänger schwer. Weiter ver- vitäten in Dresden (siehe Beitrag „Im Fokus – Ins- suchten sie, in den polizeilich abgesicherten trumentalisierung der Asylthematik durch Links- Veranstaltungsraum vorzudringen und lie- extremisten“ im vorliegenden Bericht). ferten sich während und nach Abschluss der gegnerischen Versammlung Auseinander- Unangemeldete Aktionen setzungen mit PEGIDA-Demonstranten und der Polizei. Dabei warfen sie mit Steinen, Bei den 17 unangemeldeten Aktionen im Jahr 2015 Böllern und Absperrmaterialen, versuchten handelte es sich um Protestaktionen gegen öffent- Straßensperren zu errichten und beschä- liche Versammlungen politischer Gegner. Die digten Fahrzeuge. Verschiedentlich wurden linksextremistischen Teilnehmerzahlen bewegten Rufe wie „Nie, nie, nie wieder Deutschland!“ sich dabei in Einzelfällen in denselben Dimensio- laut. Außerdem setzten Unbekannte vier nen, wie bei angemeldeten Veranstaltungen, lagen geparkte Kfz von PEGIDA-Teilnehmern in überwiegend aber noch darunter.

319 „Ciwanên Azad“ („Freie Jugend“) ist die Bezeichnung der europäischen Dachorganisation der „Arbeiterpartei Kurdistans“

319(PKK) nahestehender Jugendorganisationen„Ciwanên Azad“ („Freie Jugend“) ist die Bezeichnung der europäischen Dachorganisation der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) nahestehender Jugendorganisationen

320 Internetseite der SächsischenInternetseite der Sächsischen Zeitung: www.sz-online.de Zeitung: (Stand: 26. Oktober 2015) www.sz-online.de (Stand: 26. Oktober 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 235 Im Berichtsjahr gab es darüber hinaus nur Die Demonstration wies keine Verbindungen eine einzige nicht angemeldete Demonstration zur „URA Dresden“ auf, die sonst hinter sämt- in Dresden. Am 26. Mai 2015 nahmen etwa lichen Aktionen Dresdner „Autonomer” steht. 50 teilweise vermummte Personen an einem Das weist auf ein weiteres aktionistisches Protestzug durch die Dresdner Neustadt teil Potenzial innerhalb der Dresdner Szene hin, und führten ein Fronttransparent mit der Auf- das sich nicht durch diese stark bündnisorien- schrift „STOPG7“ mit sich. tierte und daher auch Bündniszwängen unter- Beim Eintreffen der Polizeikräfte zündeten sie liegende Gruppe vertreten sieht. Dass es nicht Feuerwerkskörper und stürmten zunächst auf häufiger in Erscheinung trat, lässt seine derzeit die Einsatzkräfte zu, wobei es zu Tätlichkeiten fehlende strukturelle Einbindung in die Dresd- gegenüber den Beamten kam. Anschließend ner Szene erkennen. flüchtete der Großteil der teils vermummten Demonstranten. Die Polizei nahm sieben Per- Klandestine (konspirativ vorbereitete) sonen wegen Landfriedensbruchs, Widerstands Gewalt gegen Vollzugsbeamte und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz in Gewahrsam. Die Auch für die Dresdner autonome Szene spielt Aktion fand am Vorabend eines Treffens der bei klandestinen Aktionen die Gewalt eine G7-Finanzminister in Dresden und im Vorfeld bestimmende Rolle in der politischen Ausei- des G7-Gipfels im bayerischen Schloss Elmau nandersetzung. 2014 gab es drei umfassend statt. Während die linksextremistische Szene begründete Brandanschläge auf Fahrzeuge, in Sachsen nur verhalten auf die G7-Treffen 2015 lediglich einen und ideologisch nur ober- reagierte und keine der hier aktiven autonomen flächlich begründeten Brandanschlag. Gruppierungen zu Aktionen aufrief, machten ❙❙ In der Nacht zum 13. März 2015 setzten Dresdner „Autonome“ mit der Aktion symbo- Unbekannte ein als solches erkennbares lisch ihren Anspruch auch auf gewaltorientier- Fahrzeug der Deutschen Bahn AG in Brand, ten Widerstand zu Themen wie „Antiglobalisie- das infolgedessen stark beschädigt wurde. rung“ und „Antiimperialismus“ sichtbar. Auf dem von Linksextremisten genutzten Internetportal „linksunten.indymedia.org“ veröffentlichten unbekannte Verfasser ein Selbstbezichtigungsschreiben321. Darin begründeten sie die Tat mit einem angeblich „menschenunwürdigen Verhalten“ der Deut- schen Bahn und deren Personal gegenüber „Menschen, welche sich kein Ticket leisten können, oder die jährlich erhöhten Preise nicht bezahlen wollen“, und dem Verhalten gegenüber Obdachlosen, die von Bahnhö- Demonstration am 26. Mai 2015 in Dresden fen vertrieben würden. Denselben Vorwurf Quelle: mopo24/S. Ulmen (Stand: 27. Mai 2015) erhoben sie auch gegenüber angeblich „rassistische(n) Kontrollen“.

321 linksunten.indymedia.org/de, Text „Dresden: DB-Auto den Flammen übergeben“ (Stand: 16. März 2015) 321 linksunten.indymedia.org/de, Text „Dresden: DB-Auto den Flammen übergeben“ (Stand: 16. März 2015)

236 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen ❙❙ Zudem bewarfen unbekannte Täter in der der SLpB ermöglicht. Seitdem stand er in Nacht zum 26. März 2015 das Gebäude der der Kritik von PEGIDA-Gegnern, darunter Sächsischen Landeszentrale für politische Linksextremisten. Die Tat entspricht dem Bildung (SLpB) mit Farbe und beschädigten Handlungsmuster „Autonomer”, die durch durch Steinwürfe die Sicherheitsverglasung Gewaltanwendung politische Gegner sowie dreier Fenster. Der Direktor der SLpB hatte missliebige Personen und Institutionen ein- sich zuvor für einen Dialog mit Anhängern schüchtern und damit zu einem Verhalten der PEGIDA eingesetzt und der Organisa- entsprechend ihren eigenen Vorstellungen tion eine Pressekonferenz in den Räumen nötigen wollen.

Straftaten

linksextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 582 821 977 162 154 283

Dresden (Stadt) 187 226 168 87 38 69

2.3.3 „Autonome“ außerhalb der Städte Leipzig und Dresden

In allen Regionen außerhalb der beiden sächsi- des aktionsorientierten Linksextremismus ent- schen autonomen Zentren Leipzig und Dresden wickelt hat. existierte ein deutlich geringeres linksext- remistisches Personenpotenzial im unteren Demonstrationen/Aufzüge/Gegenproteste zweistelligen Bereich. Dementsprechend waren von oder mit Beteiligung von Linksextre- auch die Strukturen sowie das Aktivitätsniveau misten außerhalb von Leipzig und Dresden weit weniger ausgeprägt. Dennoch setzte sich 4.000 3.500 dort der bereits im Jahr 2014 zu verzeichnende deutliche Anstieg der Aktivitäten von Linksex- tremisten im Jahr 2015 fort. Mit insgesamt 80 2.000 Aktionen verdreifachte sich die Anzahl nahezu 1.400 gegenüber 2014 (31). Dabei gab es die meisten 800 Aktionen in Chemnitz, so dass sich dieser Ort 400 150 hinter Leipzig und Dresden aufgrund des Akti- 0 onsniveaus zu einem weiteren Schwerpunkt 2011 2012 2013 2014 2015

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 237 Region Westsachsen der PEGIDA Chemnitz/Erzgebirge. Zwar ini- tiierten sie teilweise Sitzblockaden, konnten Die Region Westsachsen umfasst die Stadt aber die PEGIDA-Aufzüge nicht entscheidend Chemnitz, den Vogtlandkreis, den Landkreis stören. Zwickau sowie den Erzgebirgskreis. Dies lag auch an der anhaltenden personellen und strukturellen Schwäche der Chemnitzer Dort existierten lediglich kleine, weitgehend autonomen Szene. Ihre bereits in den Vorjah- unstrukturierte autonome Szenen mit wenigen ren gering ausgeprägte Mobilisierungsfähig- Personen, die sich in den Städten Chemnitz keit sank weiter, da sie im Berichtsjahr das und Plauen konzentrierten. Anders als in Leip- über Jahre hinweg wichtigste Ereignis, mit zig und Dresden gab es keine namentlich agie- dem sie bei ihren Gegenaktivitäten auswärtige renden autonomen Gruppierungen. Allerdings Linksextremisten zumindest einmal im Jahr bestanden mit dem „Kompott“ und dem „Alter- mobilisieren konnte, verlor. Der bislang jährlich nativen Jugendzentrum“ (AJZ) in Chemnitz am 5. März stattfindende Aufzug von Rechts- Anlaufstellen für Linksextremisten, in denen extremisten anlässlich des Jahrestages der im Berichtsjahr folgende Veranstaltungen mit Bombardierung der Stadt Chemnitz im Zweiten linksextremistischen Bezügen stattfanden: Weltkrieg fand im Jahr 2015 nicht statt. ❙❙ 1. im „Kompott“ am 2. Februar 2015 eine Vortragsveranstaltung „Antifaschisti- Bei mehreren Veranstaltungen kam es zur sche Aktion – Geschichte einer linksra- gemeinsamen Beteiligung mit Angehörigen dikalen Bewegung” sowie der anarchistischen „Freien Arbeiterinnen- und ❙❙ 2. im AJZ am 21. November 2015 ein „Soli- Arbeiterunion“ (FAU). Einen Rückhalt für Links- daritätsfestival“ des „Rote Hilfe e. V.“ extremisten bot auch die in Chemnitz ansäs- sige neue Regionalgruppe Südwestsachsen des Darüber hinaus diente das „Kompott“ als Kon- „Rote Hilfe e. V.“ (RH), welche linksextremisti- taktanschrift der Regionalgruppe Südwest- schen Straftätern finanzielle und politische sachsen des linksextremistischen „Rote Hilfe Unterstützung in Aussicht stellt (vgl. Beitrag e. V.“322: Diese führt dort nach eigenen Angaben „Rote Hilfe e. V.“ in diesem Bericht). Beratungen durch. Die Linksextremisten dieser Region können Kernthemen der Szene blieben im Berichtsjahr zwar auf Grund des geringen Personenpotenzi- der „Antifaschismuskampf“, „Antirassismus“ als und schwacher Strukturen bei öffentlichen sowie die Asylthematik. Die öffentlichen Akti- Aktionen wenig eigene Akzente setzen. Dies vitäten von Linksextremisten beschränkten hat jedoch keinen Einfluss auf die Gewaltbe- sich überwiegend auf die Teilnahme an von reitschaft der Akteure, denn ihre Aktionen sind Nichtextremisten organisierten Veranstaltun- trotz geringer personeller Stärke konfrontativ gen mit demonstrativem Charakter. ausgerichtet.

Insbesondere in Chemnitz beteiligten sich Für die Durchführung klandestiner (konspi- Linksextremisten regelmäßig in geringer rativ vorbereiteter) Aktionen sind nur wenige Anzahl an Protesten gegen Veranstaltungen Personen notwendig, denn diese werden in der

322 DIE ROTE HILFE, AusgabeDIE ROTE HILFE, Ausgabe01/2015, 01/2015, S. 66 S. 66

238 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Regel von Kleingruppen mit 5 – 10 Teilnehmern im Jahr 2012 eröffnete Geschäft waren bereits durchgeführt. Das zeigte sich im Berichtszeit- zuvor mehrere Farbanschläge verübt worden. raum vor allem in Chemnitz und Plauen. Kontinuität zeigte sich in den Kontakten In Chemnitz wurden im Dezember 2015 meh- zwischen Protagonisten aus Plauen und aus rere Straftaten gegen Einrichtungen der AfD Leipzig – dem regionalen Schwerpunkt links- durchgeführt, bei denen die Tatbegehungen extremistischer Gewalt in Sachsen. Nach- auf einen linksextremistischen Hintergrund dem Leipziger Linksextremisten bereits im schließen ließen. So wurden am 6./7. Dezember Jahr 2014 maßgeblich an der Organisation und 2015 Schaufensterscheibe und Tür des Büros Durchführung einer Demonstration anlässlich durch Knallkörper beschädigt und mit Farbe des 1. Mai in Plauen beteiligt gewesen waren, besprüht. nahmen sie am 7. November 2015, dem Tag des Angriffs auf das Geschäft, an Protesten gegen In Plauen verübten Linksextremisten Sachbe- einen Aufzug von Rechtsextremisten in Plauen schädigungen und griffen tatsächliche oder teil und führten kurzfristig eine eigene Ver- vermeintliche Rechtsextremisten direkt an. sammlung durch. Am 7. November 2015 drangen offensicht- lich „Autonome“ gewaltsam in ein Plauener Bekleidungsgeschäft ein, welches auch in der rechten Szene beliebte Marken vertreibt. Dabei setzten die Täter Pfefferspray gegen Personen ein und zerstörten die Warenauslage. Auf das

Straftaten

linksextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 582 821 977 162 154 283

Chemnitz (Stadt) 30 35 45 6 5 10

Vogtlandkreis 3 135 15 0 24 3

Landkreis Zwickau 13 15 2 2 1 0

Erzgebirgskreis 30 23 17 3 1 3

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 239 Region Mittelsachsen

Zur Region Mittelsachsen gehören der Land- kreis Mittelsachsen, der Landkreis Meißen sowie der Landkreis Sächsische Schweiz- Osterzgebirge.

Das Aktionsniveau der linksextremistischen autonomen Szene im Landkreis Mittel- Quelle: facebook.com/pages/Antifaschistisches- sachsen wurde im Berichtsjahr stark von der Nachrichtenportal-Sachsen (Stand: 3. Juni 2015) Zunahme asylkritischer und asylfeindlicher Veranstaltungen dominiert. Die Beteiligung In den Landkreisen Meißen und Sächsi- an bzw. die Mobilisierung zu entsprechenden sche Schweiz-Osterzgebirge gab es auch Gegenaktivitäten der Zivilgesellschaft wurde 2015 keine aktive linksextremistische Szene, der Organisation eigener Aktionen vorge- sondern lediglich einzelne Linksextremisten. zogen. Gab es in den Jahren 2013 und 2014 Aktionen, wie die nachfolgend genannten, noch jeweils eine von der linksextremistischen basierten vor allem auf Aktivitäten auswärtiger Szene initiierte Demonstration in Döbeln, die Linksextremisten. als Reaktion auf Veranstaltungen von Rechts- Im Zusammenhang mit dem G6-Treffen der extremisten durchgeführt und überregional Innenminister vom 1. bis 2. Juni 2015 in Moritz- beworben wurde, unterblieb dies im Jahr 2015. burg kam es zu zwei kleinen Protestaktionen Mit der „Antifa RDL” (Roßwein-Döbeln-Leisnig) mit Beteiligung von Linksextremisten. trat im Berichtsjahr nur noch eine autonome Gruppe in Erscheinung. Aktivitäten der auto- Ab Mai 2015 kam es im Landkreis Sächsische nomen Gruppen „N-RDL-Nazifrei” (N-RDL steht Schweiz-Osterzgebirge zu mehreren Aktio- für Nossen, Roßwein, Döbeln und Leisnig) und nen im Zusammenhang mit dem Themenfeld „Antifa RGB” (Rochlitz-Geringswalde-Burgstädt) „Antirassismus“/Asyl. Linksextremisten betei- waren nicht mehr zu verzeichnen. Mit Aufrufen ligten sich an zahlreichen „Pro-Asyl-Aktionen“ auf der ihr zuzuordnenden Internetseite nrdlna- vor den Erstaufnahmeeinrichtungen in Freital zifrei.blogsport.de mobilisierte die „Antifa RDL” und Heidenau mit z. T. überregionaler oder zu Gegenaktivitäten anlässlich rechtsextremis- sogar bundesweiter Mobilisierung und Beteili- tischer bzw. asylkritischer Demonstrationen im gung (vgl. auch Beitrag „Im Fokus – Instrumen- Landkreis. Schwerpunkt dieser Gegenaktivitäten talisierung der Asylthematik durch Linksextre- waren die Städte Döbeln und Roßwein. Das misten“ im vorliegenden Bericht). Allerdings Ziel der „Antifa RDL”, „sich jederzeit und über- muss dabei berücksichtigt werden, dass diese all gegen Nazis und Staat entgegenzustellen“323 Region im Einflussbereich der Dresdner Szene zeigt, dass sich auch diese autonome Gruppe liegt und die Aktionen von dieser zumeist auch besonders den Themenfeldern „Antifaschismus“ initiiert wurden. in Verbindung mit „Antirassismus“ und „Antire- Während ein Großteil der Aktionen störungsfrei pression“ widmet. verlief, kam es am 23. August 2015 in Heidenau

323 linksunten.indymedia.org/de/, Text „Nazi-Mahnwache Döbeln & Gegenaktionen“ (Stand: 21. Dezember 2015) 323 linksunten.indymedia.org/de/, Text „Nazi-Mahnwache Döbeln & Gegenaktionen“ (Stand: 21. Dezember 2015)

240 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen bei einer Aktion von Linksextremisten nach einer bundesweiten Mobilisierung zu gewalttä- tigen Ausschreitungen. Im Rahmen eines Face- book-Beitrags324 signalisierten Linksextremisten ihre Bereitschaft, Gewalt anwenden zu wollen. Vermummt und teils mit Stöcken und Latten bewaffnet beschädigten sie schließlich auf dem Weg vom Bahnhof zu einer Versammlung ein Polizeiauto. Später wurden drei Personen 23. August 2015 Heidenau angegriffen und verletzt. Quelle: picture alliance/AP Photo/A. Burgi

Im Nachgang wurde die Aktion als „antifa- schistische Strafexpedition“ bezeichnet.325 Es sei „notwendig, richtig und gerechtfertigt [gewesen], aggressiv, feindlich und militant aufzutreten (…)“.

Straftaten

linksextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 582 821 977 162 154 283

Landkreis Mittel- 39 43 31 8 3 3 sachsen

Landkreis Meißen 19 24 8 0 1 0

Landkreis Sächs. Schweiz-Osterzge- 20 15 43 0 2 9 birge

324 „(…) Nazis jagen!“; facebook.com/pages/Antifaschistisches-Nachrichtenportal-Sachsen (Stand: 24. August 2015). 325 324linksunten. indymedia.org/de,„(…) Nazis jagen!“; facebook.com/pages/Antifaschistisches-Nachrichtenportal-Sachsen Beitrag (Stand: „[B] 24. August 2015). Über deutsche Pogrome, antifaschistische Strafexpeditionen und sinnentleerte

325 linksunten.indymedia.org/de, Beitrag „[B] Über deutsche Pogrome, antifaschistische Strafexpeditionen und sinnentleerte Eventpolitik“ (Stand: 28. August 2015); Autor des Beitrages war eine dem gewaltbereiten Berliner autonomen Spektrum zuzurechnendeEventpolitik“ „Antifaschistische Koordination 36“ (Stand: 28. August 2015); Autor des Beitrages war eine dem gewaltbereiten Berliner autonomen Spektrum zuzurechnende „Antifaschistische Koordination 36“

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 241 Region Ostsachsen Diese Inaktivität autonomer Strukturen kor- respondiert mit einem Rückgang öffentlicher Die Region Ostsachsen umfasst die Landkreise Aktivitäten von Linksextremisten. Bereits in Bautzen und Görlitz. den Vorjahren hatten an den Aktivitäten nur wenige Teilnehmer teilgenommen. Im Berichts- Im Landkreis Bautzen existieren bereits seit jahr ging in Ostsachsen darüber hinaus auch Jahren keine linksextremistischen Strukturen. die Zahl der Aktionen insgesamt zurück, Während im Landkreis Görlitz in den vergan- wohingegen diese in anderen Regionen Sach- genen Jahren – trotz personeller Schwäche – sens deutlich anstiegen. noch linksextremistische Strukturen vorhan- Am 3. Oktober 2015 beteiligten sich Links- den gewesen waren, zeigte im Berichtsjahr extremisten in Görlitz an Protestaktivitäten nur noch die „Antifaschistische Aktion Görlitz“ gegen eine asylkritische Demonstration. sporadisch Präsenz im Internet. Sowohl der Gegendemonstranten versuchten, den Aufzug „Autonomal-Versand“ in Zittau als auch die zu blockieren, was von der Polizei verhindert „Antifa Lausitz“ entfalteten keine öffentli- wurde. Zudem wurden aus dem Kreis der chen Aktivitäten mehr. Noch im Vorjahr war Gegendemonstranten zwei Böller in Richtung die „Antifa Lausitz“ eine feste Struktur mit der Demonstration geworfen, durch die Poli- überregionalen Aktivitäten gewesen, die über zeibeamte verletzt wurden. Weitere Übergriffe intensive Kontakte in die Tschechische Repub- konnten durch die Polizei verhindert werden. lik verfügt hatte.

Straftaten

linksextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 582 821 977 162 154 283

Landkreis Bautzen 9 31 23 0 5 0

Landkreis Görlitz 14 13 21 2 1 2

242 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Region Nordsachsen Teilnehmerzahl mit etwa 120 Personen, darunter auch Linksextremisten, in Taucha überschaubar. In den Landkreisen Leipzig und Nordsach- sen gab es auch im Berichtsjahr keine aktive Im Landkreis Nordsachsen wurden keine Aktivi- linksextremistische Szene. Aktionen, wie die täten zur Asylthematik bekannt. Anders im Land- nachfolgend genannten, basierten – auf Grund kreis Leipzig: Dort befanden sich am 29. Juni 2015 der örtlichen Nähe zu Leipzig – vor allem auf in Borna auch Linksextremisten unter den etwa Aktivitäten dortiger linksextremistischer Grup- 120 Teilnehmern der angemeldeten Demons- pierungen und Einzelpersonen. tration „Borna ohne Grenzen – No Legida“. Diese Demonstration richtete sich gegen eine So wurde die Demonstration „Kamal K. von Demonstration des damals in Gründung befind- Rassisten ermordet! – Nazis keine Ruhe las- lich gewesenen Vereins GIDA Regional. Während sen! – Nichts wird vergessen, nichts ist verge- dieser Demonstration versuchten Teilnehmer der ben!“ am 28. März 2015 in Taucha (Landkreis „No-Legida-Demonstration“, deren Tribünenwa- Nordsachsen) von der nichtextremistischen gen zu stürmen. Im Anschluss an die Demonst- Initiative Rassismus tötet! – Leipzig initiiert. ration erfolgte in Leipzig ein tätlicher Angriff von Während frühere Demonstrationen zum Jahres- mindestens drei vermummten Personen auf zwei tag des am 24. Oktober 2010 in Leipzig aus ras- GIDA Regional-Teilnehmer, als diese den Tribü- sistischer Motivation heraus ermordeten Kamal nenanhänger zur Verleih-Firma zurückbrachten. K. in Leipzig stattfanden, erfolgte im Jahr 2015 Bereits im Vorfeld war auf dem von Linksextre- eine Verlegung nach Taucha, da dort zu diesem misten genutzten Internetportal „left-action“ zu Zeitpunkt einer der am Mord Beteiligten nach dieser Demonstration aufgerufen worden326. Ziel seiner Haftentlassung wohnte. Während sich in war es, sich gegen die GIDA-Bewegung zu positi- Leipzig jährlich mehrere Hundert Personen an onieren, da in diesem Zusammenhang ein Erstar- den Gedenkdemonstrationen beteiligten, war die ken „rechter Strukturen und die Entwicklung eines Selbstbewusstseins von Neonazis“ erfolge.

Straftaten

linksextremistische davon Gewalttaten Straftaten

2013 2014 2015 2013 2014 2015

Freistaat Sachsen 582 821 977 162 154 283

Landkreis Leipzig 9 16 138 2 4 2

Landkreis Nord- 23 18 27 10 2 2 sachsen

326 www.left-action.de, Beitrag „Gemeinsam und solidarisch gegen326 Legida und Co.“ (Stand:www.left-action.de, 25. Juni Beitrag „Gemeinsam und solidarisch gegen Legida2015) und Co.“ (Stand: 25. Juni 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 243 2.4 Anarchistische Gruppierungen

Der Anarchismus ist eine politische Bewegung Der Staat soll zerschlagen werden und an und Weltanschauung, die in ihrem Kern die dessen Stelle eine Föderation der Syndikate Herrschaft von Menschen über Menschen sowie treten. Das Syndikat wird als tragende Orga- jede Art von Hierarchie als Form der Unterdrü- nisationseinheit des revolutionären Kampfes ckung von Freiheit ablehnt. Das Ziel besteht in wie auch der Zukunftsgesellschaft erachtet. der Errichtung einer herrschaftsfreien Gesell- Diese Form des Anarchismus weist somit eine schaft im Sinne einer Gesellschaftsordnung deutlich andere Qualität auf als jene der „Auto- ohne Staat, Militär und Justiz. Der Anarchismus nomen”. Zwar favorisieren auch „Autonome“ besitzt eine lange historische Tradition, deren ihrem Selbstverständnis entsprechend eine Wurzeln bis in die frühe europäische Arbei- herrschafts- und gesetzlose Ordnung, jedoch terbewegung zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist es ihnen bislang nicht gelungen, eine feste zurückreichen. Im Laufe seiner Geschichte hat theoretische Basis zu entwickeln. er eine Vielzahl von Strömungen hervorgebracht und verschiedene Facetten entwickelt, die eine Die anarchosyndikalistischen Gruppen sind unterschiedliche Qualität aufweisen und bis in in ein föderales Netzwerk integriert. Die ört- die Gegenwart hineinreichen. lichen/regionalen Lokalföderationen bilden die bundesweite „Freie Arbeiterinnen- und Die anarchistischen Gruppierungen in Sachsen Arbeiter-Union” (FAU), welche ihrerseits als vertreten Positionen des Anarchosyndikalismus. deutsche Sektion der „Internationalen Arbeiter Dabei sind fließende Übergänge in ähnliche Assoziation” (IAA) angeschlossen ist.327 oder verwandte Bewegungen oder Gruppen – Auch hier zeigt sich ein Unterschied zur auto- wie den „Autonomen” – feststellbar. Dennoch nomen Szene, die in verschiedene örtliche weist der Anarchosyndikalismus einige spezielle Strukturen und Kleingruppen zersplittert ist. Merkmale auf, durch die sich entsprechende Den verschiedenen Versuchen der Bildung einer Gruppen auch deutlich von den „Autonomen” überregionalen Organisation oder zumindest unterscheiden. Diese wesentlichen Unterschei- einer dauerhaften Vernetzung untereinander dungsmerkmale lassen sich vor allem anhand standen stets die den „Autonomen” eigene von Kriterien für die Bereiche Ideologie, Organi- Organisationsfeindlichkeit sowie ideologische sation und Strategie herausarbeiten. Differenzen entgegen.

Der Anarchosyndikalismus ist eine Form des Das Handeln der Anarchosyndikalisten richtet sich Anarchismus, der auf die Übernahme der Pro- nach strategischen Prinzipien, die in der „Prinzipie- duktionsmittel durch „Arbeiterassoziationen“ nerklärung der FAU-IAA“ formuliert sind. abzielt. Das beinhaltet die Idee einer gewerk- In der bis Mitte 2015 gültigen Fassung hieß es, schaftlichen Berufsgenossenschaft, die eine sie sind bestrebt, „(…) schrittweise eine neue Kollektivierung der Produktionsmittel anstrebt. Welt in der Schale der alten zu entwickeln.“ 328

327 Internetseite der FAU-Dresden dresden.fau.org (Stand: 29. Oktober327 2015) Internetseite der FAU-Dresden dresden.fau.org (Stand: 29. Oktober 2015)

328 „Prinzipienerklärung der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion“, verfasst 1989/1990, geändert 2003, S. 7 328 „Prinzipienerklärung der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion“, verfasst 1989/1990, geändert 2003, S. 7

244 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Die Frage der Anwendung von Gewalt bei der In Sachsen sind es die anarchosyndikalistischen Umsetzung ihrer Ziele wurde offen gelassen. Kleingruppen FAU Dresden und Leipzig sowie Dazu hieß es: die „Anarchosyndikalistische Jugend Leipzig“ (ASJL), die fest in das bundesweite föderale „In unserem Vorgehen legen wir uns weder auf Netzwerk integriert sind. Gemessen an ihrer Gewaltlosigkeit noch auf Gewalt fest! Die Wahl geringen personellen Stärke sind diese Grup- unserer Mittel ergibt sich aus den konkreten pierungen sehr aktiv. Besonders im Rahmen Situationen und Zielen!“ 329. öffentlicher Aktionen versuchen die Akteure, ihre extremistischen Zielsetzungen zu verbrei- Im Jahr 2015 formulierte die FAU eine neue ten und so neue Anhänger zu gewinnen. Indem „Prinzipienerklärung“. Im Gegensatz zur Vor- sich die FAU vordergründig als gewerkschafts- gängerfassung ist die aktuelle Prinzipienerklä- ähnliche Organisation darstellt, wird verschlei- rung gemäßigter abgefasst. Das Ziel wird nach ert, dass sie die Abschaffung der freiheitlichen wie vor in der „Überwindung des Kapitalismus“ demokratischen Grundordnung anstrebt. gesehen, da er „auf der Ausbeutung durch die- Die ASJL wiederum zeigt eine Nähe und Affini- jenigen beruht, die über die Produktionsmittel tät zur gewaltbereiten autonomen Szene. verfügen“. Zwar wird die Rolle der Gewalt für die Umsetzung dieser Ziele nicht mehr thema- tisiert. Eine explizite Abgrenzung erfolgt jedoch nicht. Stattdessen wird eher ein reformreicher Weg in Erwägung gezogen. So heißt es:

„Politische Reformen lehnen wir nicht ab, wenn sie reale Verbesserungen der Lebenssituation beinhalten oder unsere Rechte stärken und nicht im Widerspruch zu unseren Zielen ste- hen. Wir lehnen jedoch Reformismus als eine Haltung ab, die nicht versucht, die bestehenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse grundlegend zu ändern, sondern sie stattdes- sen stabilisiert.“ 330

Die neue „Prinzipienerklärung“ hat vor allem das taktische Ziel der Gewinnung neuer Mit- glieder. Erwartet wird, dass die meisten poten- ziellen Anhänger eher mittels Reformen zur Änderung der Gesellschaft zu gewinnen sein werden als auf revolutionärem Weg.

329 „Prinzipienerklärung“ der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion, verfasst 1989/1990, geändert 2003, S. 11

329 „Prinzipienerklärung“ der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion, verfasst 1989/1990, geändert 2003, S. 11 330 „Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU)“, fau.org/texte/ (Stand: 330 „Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU)“, fau.org/texte/ (Stand: 29. Oktober 2015) 29. Oktober 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 245 „Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union – Mitglieder bilden örtliche Syndikate (lokale Internationale Arbeiter Assoziation“ (FAU- basisdemokratische Gewerkschaften) und IAA) Lokalföderationen (alle Syndikate an einem Ort) in den Städten Leipzig und Dresden. Extremismusbereich: Linksextremismus Mitgliedern der im Jahr 2014 aufgelösten „FAU-Initiative Chemnitz” gelang es nicht, Gründung: 1977 besondere Akzente für eine organisatorische Sitz: Frankfurt am Main Neugründung zu setzen. Zwar wurde mit der (Hessen) FAU–Sektion Chemnitz eine neue Struktur auf- Mitglieder 2015 in ca. 45 gebaut, jedoch wurden die Anforderungen für Sachsen: die Errichtung eines eigenständigen Syndikats nicht erreicht. Mitglieder 2014 in ca. 45 Sachsen: Ideologie/Politische Zielsetzung Teil-, Nebenorgani- Syndikate, Lokal- sationen: föderationen: „All- Die FAU-IAA ist anarchistisch und antikapitalis- gemeines Syndikat Dresden der FAU”, tisch. Ihr Ziel ist es, die bestehende Staats- und „FAU Leipzig”, „FAU Gesellschaftsordnung zu beseitigen. In ihrem Sektion Chemnitz”, als „revolutionäre Gewerkschaftszeitung“ „Anarchosyndika- bezeichneten Kampfblatt DIREKTE AKTION, das listische Jugend sich nach eigenen Angaben „auf die Grundlage Leipzig“ (ASJL) des Klassenkampfes stützt“, heißt es dazu Publikation: DIREKTE AKTION unmissverständlich:

Kennzeichen: „Wir Anarcho-SyndikalistInnen haben die herr- schaftslose, ausbeutungsfreie, auf Selbstver- Historie und Strukturentwicklung waltung begründete Gesellschaft zum Ziel. Die Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen ist die Die FAU-IAA ist die mitgliederstärkste anar- grundlegende Idee des Anarcho-Syndikalismus. chistische Gruppierung in Deutschland und ist (…) Zur Durchsetzung unserer Ziele und Forde- in Sachsen spätestens seit Mitte der 1990er rungen dienen uns sämtliche Mittel der Direkten Jahre aktiv. Sie bezeichnet sich selbst als Aktion, wie z. B. Besetzungen, Boykotts, Streiks „Anarchistische Gewerkschaft“, die der „Inter- etc. Im Gegensatz dazu lehnen wir die parlamen- nationalen Arbeiter Assoziation” (IAA) ange- tarische Tätigkeit in jeglicher Form ab.“ 331 schlossen ist. Ihre Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeiträge. Mit diesem Selbstverständnis, welches die Anwendung sämtlicher Mittel zur Beseitigung Wie bereits im Jahr 2014 stagniert die Mit- der parlamentarischen Demokratie propagiert, gliederzahl bei etwa 45 aktiven Mitgliedern. steht die FAU-IAA in klarem Widerspruch zur Die organisatorische Basis der sächsischen freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

331 DIREKTE AKTION anarchosyndikalistische Zeitung, Ausgabe 230 (Juli/ August 2015), S. 16 331 DIREKTE AKTION anarchosyndikalistische Zeitung, Ausgabe 230 (Juli/ August 2015), S. 16

246 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Aktivitäten nahmen etwa 80 Personen teil. Es wurden u. a. ein Fronttransparent sowie mehrere Fahnen Wie schon im Jahr 2014 traten anarchosyndi- der FAU gezeigt und Flyer verteilt. Mithilfe kalistische Gruppen im Freistaat Sachsen auch eines Transparents „07.06.2015 – Auf zum im Berichtsjahr mit eigenen Aktionen öffent- Gipfelsturm nach Schloss Elmau!“ der linksex- lich in Erscheinung. Dabei zeigten sich jedoch tremistischen „Föderation deutschsprachiger teils deutliche Unterschiede zwischen den in Anarchist*innen“ (FDA) wurde zu Störungen Dresden, Leipzig und Chemnitz ansässigen des G7-Gipfels aufgerufen. FAU-Akteuren nicht nur in Umfang und Inten- sität, sondern auch in der Wahl der Mittel. Im zweiten Halbjahr griff auch die FAU die Asylthematik auf und versuchte, diese für ihre Dresden Zwecke politisch zu nutzen. Im Gegensatz zu den Akteuren der autonomen Szene besitzt die FAU Aktivste Gruppe blieb das „Allgemeine Syndikat klare Vorstellungen davon, inwieweit Asylbe- Dresden” der FAU-IAA. Insbesondere durch die werber in eine anarchosyndikalistische Gewerk- Verteilung von Flugblättern, die Organisation schaft integriert werden könnten. Am 1. August von Demonstrationen oder über die Beteili- 2015 veröffentlichte das „Allgemeine Syndikat gung an sozialkritischen, nichtextremistischen Dresden der FAU-IAA” auf der von Linksextre- Protestdemonstrationen versuchte die „FAU misten genutzten Internetplattform „linksunten. Dresden”, ihren Bekanntheitsgrad und ihre indymedia.org“ unter dem Titel „Arbeitskämpfe, Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Erwerbslosigkeit, Beratung, Bildung und Kultur in der FAU Dresden“ einen Beitrag, in dem eine Strategie für die Einbindung von Asylbewerbern in die Organisation der FAU skizziert wird332. Diese basiert im Wesentlichen auf zwei Säulen: ❙❙ der Unterstützung von Arbeitsmigranten bei Lohnkämpfen mit perspektivischer Ein- bindung in die FAU sowie ❙❙ dem Abbau von Sprachbarrieren verbunden mit einer wöchentlichen Beratung durch Mitglieder der FAU. 1. Mai Dresden Quelle: fau.dresden.org (Stand: 4. Mai 2015) Die beabsichtigte Unterstützung von Asylbe- werbern in Dresden durch die FAU basierte Da es der FAU als anarchosyndikalistischer auf einer objektiven Einschätzung der Lage. Gruppierung vorrangig um Arbeitskampf und So stellten die Verfasser fest, „(…) dass in der Gewerkschaftsarbeit aus linksextremistischer rassistischen Pogrom-Stimmung ein Kampf um Perspektive geht, nehmen Aktionen anlässlich die Straßenpräsenz aktuell nicht zu gewinnen des 1. Mai einen zentralen Raum ein. Bei ihrer ist.“ Daraus leiteten sie sowohl kurz- als auch Demonstration am 1. Mai 2015 in Dresden längerfristige Maßnahmen ab. Die Kurzfristigen

332 linksunten.indymedia.org/de/node/149879 (Stand: 14. August332 2015) linksunten.indymedia.org/de/node/149879 (Stand: 14. August 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 247 sollten darin bestehen, „(…) die Lebenssituation beteiligten sich an Protesten gegen asylkriti- der Flüchtlinge nach Möglichkeit zu verbessern sche Demonstrationen in Chemnitz und Dres- und den Schutz vor Faschist_innen und Ras- den. Dort führten sie FAU-Fahnen mit sich. sist_innen zu leisten, den die sächsische Polizei Traditionell am 1. Mai führte die FAU–Initiative den Betroffenen verwehrt.“ Längerfristig sind zur Gründung eines Syndikates in Chemnitz die Autoren der Ansicht, „(…) dass es eine grund- einen Informationsstand in Chemnitz durch. sätzliche Darstellung sozialer und systemischer Die Aktion diente dem Verbreiten anarchisti- Alternativen und eine antirassistische wie anti- scher Positionen, der Spendensammlung sowie kapitalistische Grundbildung an den Schulen, in der eigenen Mitgliederwerbung. Rückblickend den Betrieben, Nachbarschaften und Erwerbs- schätzte die FAU in einem Internetbeitrag ihre loseninitiativen braucht, um langfristig aus dem Bilanz als positiv ein: „(…) wir konnten uns als Rechtsschwenk der Gesellschaft heraus zu kom- kleiner schwarzer Fleck inmitten der Etablierten men.“ Deshalb – so die Schlussfolgerung – will behaupten und erreichten damit mehr Auf- man versuchen, „Bildungsarbeit (…) wo immer merksamkeit als das Jahr zuvor.“ 335 möglich zu leisten.“ Perspektivisch zielte man Die Region Chemnitz ist durch ein sehr nied- darauf ab, Asylbewerber in öffentliche Aktionen riges linksextremistisches Personenpotenzial der FAU einzubinden. So hieß es dazu: geprägt, das nur schwach strukturiert ist. So ergaben sich für die „FAU Chemnitz” kaum „Gleichzeitig wollen wir mit gemeinsamen Anschlussmöglichkeiten. Aber auch andere Kämpfen von deutschen, ausländischen und örtlich ansässige Linksextremisten suchten migrantischen Kolleg_innen in der Praxis Res- offenbar nicht die Zusammenarbeit mit der sentiments auflösen und ein greifbares Solida- „FAU Chemnitz”. Eine nennenswerte struktu- ritätsgefühl wecken.“ 333 relle Entwicklung wird deshalb bis auf Weiteres nicht zu erwarten sein. Chemnitz Leipzig Seit Ende Oktober 2015 bezeichnet sich die ehemalige „FAU–Initiative” zur Gründung eines Die „Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union Syndikates in Chemnitz auf ihrer Internetseite Leipzig“ (FAU Leipzig) trat im Vergleich zum als „Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion Vorjahr kaum mit eigenständigen Veranstal- Sektion Chemnitz”, die organisatorisch dem tungen in der Öffentlichkeit auf. Einzig im April „Syndikat Dresden” angehört. Ihr Zielvorhaben, führte sie eine Kundgebung zum Thema „Pflege ein Syndikat der FAU in Chemnitz zu etablieren, und bessere Arbeitsbedingungen“ in Leipzig wurde mit der Sektionsgründung nur teilweise durch. Im Rahmen der Aktion propagierte sie erreicht.334 ihre extremistischen Ziele, indem sie die ihrer Eigenständige Aktivitäten beschränkten sich Ansicht nach schlechten Arbeitsbedingungen auf wenige Vortragsveranstaltungen. Die im instrumentalisierte. Damit versuchte sie ihre Internet angekündigten Treffen fanden nur im Oktober 2014 begonnene „Pflegeoffensive“ mit geringer Beteiligung statt. Mitglieder fortzusetzen.

333 linksunten.indymedia.org/de/node/149879 (Stand: 14. August 2015) 334 333fauchemnitz.blogsport.de ebenda (Stand: 29. Oktober 2015) 335334 Ebenda (Stand: 2. Juni fauchemnitz.blogsport.de2015) (Stand: 29. Oktober 2015) 335 ebenda (Stand: 2. Juni 2015)

248 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen „Anarchosyndikalistische Jugend Leipzig“ gemeinschaftliche Verwaltung der Produkti- (ASJL) onsmittel entscheidend notwendig ist“, wird eine Grundforderung des Anarchosyndika- Historie und Strukturentwicklung lismus bedient. Darüber hinaus grenzte sich die ASJL – zumindest indirekt – deutlich vom Eigenen Angaben zufolge gründete sich die Freiheitsbegriff der Autonomen ab, da aus ihrer ASJL im November 2010. Sie gehört als Orts- Sicht „Freiheit nicht das Ausleben egoistischer verein zu der im Mai 2011 gegründeten Regio- Vorstellungen auf Kosten Anderer“ bedeute.337 nalföderation Ost der ASJ. Ab Mitte 2007 entwickelte sich innerhalb der Außerdem ist sie der Meinung, dass FAU-IAA eine Jugendvertretung, die auf dem FAU-Kongress 2008 eine AG-Jugend konstitu- „(…) man über sein Zusammenleben mit ande- ierte. Aus dieser heraus bildeten sich schließ- ren Menschen selbst entscheiden kann, ohne lich regionale ASJ-Gruppen. Die Separierung durch soziale, politische oder sonstige Hierar- der ASJL von der „FAU-Leipzig“ im Jahr 2010 chien unterdrückt zu werden.“ 338 markierte keine Abgrenzung im inhaltlich- weltanschaulichen Sinn, sondern war Folge Sie hält es für unmöglich, diesen Grundsatz in der einer bundesweiten strukturellen Entwicklung. Demokratie zu verwirklichen. Weiterhin nimmt sie zum Zwecke der Beseitigung jeder staatlichen Ideologie/Politische Zielsetzung und nichtstaatlichen Ordnung auch die Anwen- dung von Gewalt in Kauf und äußerte dazu: Ihrem Selbstverständnis entsprechend ist die ASJL „ein bundesweit organisierter, außer- „Nichts wäre wünschenswerter, als dass dieser parlamentarischer Jugendverband“, der „den Konflikt friedlich ausgetragen werden könnte. Parlamentarismus nicht für das richtige Mittel Die Lehren aus der Geschichte und das Gebären [hält], um die gesellschaftlichen Bedingungen der aktuell Machthabenden lässt uns diesen zu verbessern.“ Sie strebt eine „Welt ohne Nati- Wunsch leider als unrealistisch erscheinen.“ 339 onen und Staaten [an], in der alle individuell nach ihren Bedürfnissen leben können […].“336 Die ASJL lehnt jede Form der Herrschaft als Damit forciert sie eine anarchistisch geprägte Synonym der Ungleichheit und Unfreiheit ab. Gesellschaft, welche die Abwesenheit staat- Das gilt auch für die von Marxisten angestrebte licher Strukturen beinhaltet und damit der „Diktatur des Proletariats“ nach erfolgreichem freiheitlichen demokratischen Grundordnung Klassenkampf. Unter Klassenkampf versteht diametral entgegengesetzt ist. die ASJL den „unmittelbaren Kampf gegen das Bestehen von Klassen, als Ausdruck von Unter- Mit der Formulierung, dass „(…) für die Ver- drückung“. Dieser sei nur zu verwirklichen, wirklichung von Freiheit und Gleichheit eine „indem die Bereitschaft aller zur Überwindung

336 Selbstdarstellung, Flyer der ASJL, Oktober 2015 337 asjl.blogsport.de, Rubrik „Grundsatz“ (Stand: 28. Oktober 2015) 337 asjl.blogsport.de, Rubrik „Grundsatz“ (Stand: 28. Oktober 2015) 338 Ebenda 338 ebenda 336339 Ebenda, Schreibweise wieSelbstdarstellung, Flyerim der ASJL, Oktober Original 2015 339 ebenda, Schreibweise wie im Original

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 249 des Systems durch Aufklärung und Emanzipa- für Deutschland“ am 26. September 2015 tion gefördert wird.“ 340 in Leipzig, bei der es sich aus der Sicht von Linksextremisten um eine Veranstaltung von Aktivitäten Rechtsextremisten handelte. Im Verlauf kam es zu zahlreichen Stein- und Flaschenwürfen auf So wie die „FAU-Leipzig“ spielte auch die ASJL, den Demonstrationszug und auf die Polizeibe- wenn auch als eigenständige Organisation, amten. eine nur untergeordnete Rolle im linksextre- mistischen Spektrum von Leipzig. Im Unter- Die ASJL führte eine Reihe von Veranstaltungen schied zur Mutterorganisation FAU zeigt sich durch. Dazu lud sie im Berichtsjahr regelmäßig bei deren Jugendvertretung in Leipzig jedoch zu offenen Plenen und Vortragsveranstaltun- eine enge Verzahnung mit der örtlichen auto- gen zur Thematik Anarchosyndikalismus ein. nomen Szene. So rief die ASJL zur Teilnahme an So war die ASJL als Referent für eine Veran- Demonstrationen in Leipzig auf, an denen sich staltung am 8. Oktober 2015 unter dem Titel auch „Autonome“ beteiligten. Beispielsweise „Anarchismus und Anarchosyndikalismus“ im mobilisierte die ASJL im Internet zu Aktivitä- Rahmen der „Kritische[n] Einführungswochen“ ten gegen die Demonstration der „Offensive an der Universität Leipzig benannt341.

340 ebenda 341 asjl.blogsport.de, Rubrik „Termine“ (Stand: 4. Dezember 2015)

2.5 „Rote Hilfe e. V.“ (RH) 342 343 344

342Extremismusbereich: Linksextremismus Teil-, Nebenorgani- – 343 sationen: 344Gründung: 1975 Publikation: DIE ROTE HILFE Sitz: Bundesgeschäfts- (vierteljährlich) stelle in Göttingen (Niedersachsen) Kennzeichen:

Mitglieder 2015 in ca. 280342 Sachsen:

Mitglieder 2014 in ca. 200343 Sachsen: Historie und Strukturentwicklung

344 Mitglieder 2014 ca. 6.779 Die „Rote Hilfe” war ursprünglich eine 1921 von bundesweit: der „Kommunistischen Partei Deutschlands“ Vorsitz Bund: keine Angabe (KPD) gegründete Gefangenenhilfsorganisa- tion. Ihre Aufgabe bestand darin, Geld- und

340 asjl.blogsport.de, Rubrik „Grundsatz“ (Stand: 28. Oktober 2015) 341 asjl.blogsport.de, Rubrik „Termine“ (Stand: 4. Dezember 2015) 342 Die Mitgliederzahlen für das Jahr 2015 sind geschätzt, mit Mehrfachmitgliedschaften 343 Die Mitgliederzahlen für das Jahr 2014 beruhen auf Eigenangaben der RH, mit Mehrfachmitgliedschaften 344 Die Mitgliederzahlen beruhen auf Eigenangaben der RH in: DIE ROTE HILFE, Ausgabe 01/2015, Beilage „Mitgliederrund- brief 01/2015“, mit Mehrfachmitgliedschaften

250 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Lebensmittelsammlungen „für die Opfer des Aufgrund steigender Mitgliederzahlen konnte proletarischen Befreiungskampfes zu organi- die RH im Berichtsjahr ihre Strukturen aus- sieren“. Sie war eine der mitgliederstärksten bauen. Zu den seit mehreren Jahren fest KPD-nahen Massenorganisationen. etablierten RH-Ortsgruppen in Leipzig und Dresden kam die Regionalgruppe Westsach- Nachdem sich Anfang der 1970er Jahre in sen mit Sitz in Chemnitz hinzu, die aus einer verschiedenen Städten „Rote-Hilfe”-Grup- Kontaktadresse in eine Regionalgruppe umge- pen gebildet hatten, wurde die „Rote Hilfe wandelt wurde. Die neue Organisationseinheit Deutschlands” (RHD) unter Bezugnahme auf trat erstmals zu Beginn des Jahres öffentlich den gleichnamigen Vorläufer im Jahr 1975 neu in Erscheinung und soll als dritte selbstständig gegründet. Seit 1986 ist die Organisation ein arbeitende Struktur die Region im Südwesten eingetragener Verein. des Freistaates abdecken.346 Nach der Wiedervereinigung Deutschlands ging der Aufbau erster Strukturen der RH Bundesweit gliedert sich die RH in einen zwei in Sachsen nur sehr schleppend voran. Neu Personen umfassenden Bundesvorstand sowie gegründete Ortsgruppen lösten sich häufig in selbstständig arbeitende Ortsgruppen bzw. bald wieder auf. Regionalgruppen. Dennoch zählt die RH zu den mitgliederstärks- Die Bundesdelegiertenversammlung legt ten linksextremistischen Gruppierungen in mindestens alle zwei Jahre die Grundsätze Sachsen. Nachdem die hiesige Mitgliederzahl und Schwerpunkte der Arbeit fest. Die dabei von 2012 an zunächst stagniert hatte, konnte gefassten Beschlüsse setzen die Ortsgruppen die RH ihre Mitgliederzahl im Jahr 2015 deut- eigenverantwortlich um. Sie sind gegenüber lich ausbauen und erreichte mit ca. 280 Per- dem Bundesvorstand rechenschaftspflichtig. sonen für Sachsen einen neuen Höchststand. Ein Zusammenhang könnte mit der bereits im Die RH finanziert sich größtenteils über Mit- Vorjahr festgestellten Vielzahl von demonst- glieds- und „Solibeiträge“, durch den Verkauf rativen Ereignissen mit linksextremistischen ihrer vierteljährlich erscheinenden überregio- Bezügen bestehen, bei denen häufig Teilneh- nalen linksextremistischen Zeitung DIE ROTE mer von polizeilichen Maßnahmen betroffen HILFE sowie von Broschüren. Auch werden waren. Die RH selbst spricht davon, dass es in anlassbezogen themenspezifische Spenden- Leipzig hohen Beratungsbedarf durch die Pro- aktionen wie die Kampagne „Mehr Solidarität teste gegen LEGIDA gebe345. Auch bundesweit gegen mehr Repression“ oder anlässlich des im konnte die RH Mitglieder gewinnen. Jahr 2015 im bayrischen Schloss Elmau statt- Der Anstieg der Mitgliederzahlen der RH wirkt gefundenen „G7-Gipfels“ durchgeführt.347 sich jedoch nicht auf die Gesamtzahl der sächsischen Linksextremisten aus. Zahlreiche Mitglieder der RH sind zugleich Mitglieder in anderen linksextremistischen Bestrebungen.

345 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 3/2015, Beilage „Mitgliederrundbrief 3/2015“, S. 10 346 Der erste Eintrag auf der Internetseite der Regionalgruppe rotehilfesws.blogsport.eu stammt vom 19. Dezember 2014 und 346 Der erste Eintrag auf der Internetseite der Regionalgruppe rotehilfesws.blogsport.eu stammt vom 19. Dezember 2014 und lässt auf den Gründungsmonat Dezember 2014 schließen (Stand: 23. Februar 2015) lässt auf den Gründungsmonat Dezember 2014 schließen (Stand: 23. Februar 2015) 345 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 3/2015, Beilage „Mitgliederrundbrief 3/2015“, S. 10 347 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 2/2015, S. 6 und S. 52 347 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 2/2015, S. 6 und S. 52

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 251 Ideologie/politische Zielsetzung Unter „Repression“ versteht die RH judikative und exekutive Maßnahmen – hier vor allem Die RH wird von Linksextremisten unterschied- der Polizei, die sich gegen Angehörige des „lin- licher ideologisch-politischer Ausrichtung ken“ Spektrums richten353. Besonders in dieser getragen. Sie versteht sich als „parteiun- Auffassung zeigen sich für den Linksextre- abhängige, strömungsübergreifende linke mismus typische Positionen. Die RH versteht Schutz- und Solidaritätsorganisation“348, die Polizei, Justiz und Strafvollzug als Mittel der sich im „Kampf gegen die staatliche Repres- Machthaber zur Herrschaftssicherung. Deren sion“ und „die politische Justiz“349 engagiert. Handeln sei rein politisch motiviert, willkürlich Ihr vordergründiges Anliegen ist die finanzielle sowie grund- und menschenrechtswidrig. Wie und politische Unterstützung von Straf- und die gewaltbereiten „Autonomen” lehnt die RH Gewalttätern des „linken“ Spektrums, „die in damit das staatliche Gewaltmonopol und die der Bundesrepublik Deutschland aufgrund Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung ihrer politischen Betätigung verfolgt werden“ 350. als sogenannte „strukturelle Gewalt“ ab und Diese unterstützt sie im Strafverfahren und zielt damit auf eine Abschaffung des demokra- mit Geldbeträgen. So hatte ein Straftäter im tischen Rechtsstaats. Zusammenhang mit einer Aktion am 13. Feb- ruar 2015 in Dresden einen Bußgeldbescheid So deutet sie z. B. die der Bekämpfung des erhalten, den die RH anschließend zur Hälfte Terrorismus dienenden Anti-Terror-Gesetze übernahm351. Bezeichnenderweise unterstützt als „Feindstrafrecht, (…) das für Gegner*innen die RH einen politischen Straftäter nur dann, der bürgerlichen Ordnung geschaffen wurde, wenn er auch weiterhin zu seiner Tat steht. Wer für die die Regeln einer ,normalen‘ Prozess- hingegen dem Staat und seinen Repräsentan- führung und Ermittlung nicht mehr gelten“ ten entgegenkommt, um etwa das Strafmaß zu würden.354 Nach ihrer Auffassung dienten diese mildern, wird nicht weiter bedacht. Eine solche Gesetze vornehmlich dazu, jegliche „Politische Zusammenarbeit mit Behörden des demokra- Aktivität[en] gegen die herrschenden Zustände tischen Rechtsstaates wertet die RH als Preis- unmöglich zu machen“. Die als Repression ver- gabe der politischen Positionen und als Verrat standenen Gesetze seien demnach nicht nur an der gemeinsamen Sache. So wurde das zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten Bestreiten eines Tatvorwurfes vom Bundesvor- beschlossen worden, sondern würden durch stand „(…) als Distanzierung von der politischen „die Verbreitung von Angst und Schrecken Aktion bewertet und die beantragte Unterstüt- durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt [dazu zung nicht bewilligt.“ 352 benutzt], um Menschen gefügig zu machen.“ 355

348 Satzung des „Rote Hilfe e. V.“, § 2 Abs. 1, (Stand: November 2010) 349 „Vorwärts und nicht vergessen – 70/20 Jahre Rote Hilfe“, S. 58 f., Göttingen 1996 350 Satzung des „Rote Hilfe e. V.“, § 2 Abs. 2 Satz 1, (Stand: November 2010) 351 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 3/2015, S. 4 f. 352 348Ebenda, S. 6 Satzung des „Rote Hilfe e. V.“, § 2 Abs. 1, (Stand: November 2010)

349353 „Vorwärts und nicht vergessen –„Vorwärts und nicht vergessen – 70/20 Jahre Rote Hilfe“, S. 58 f., 70/20 JahreGöttingen 1996 Rote Hilfe“, S. 58353 f., Göttingen 1996; „Aussageverweigerung„Vorwärts und nicht vergessen – 70/20 Jahre Rote Hilfe“, S. 58 f., Göttingen 1996; und Verhörme- 350thoden“, September 2007,Satzung des „Rote Hilfe e.S. 17 V.“, § 2 Abs. 2 Satz 1, (Stand: Novemberf. 2010)und S. 45 f. „Aussageverweigerung und Verhörmethoden“, September 2007, S. 17 f. und S. 45 f. 351 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 3/2015, S. 4 f. 354 DIE ROTE HILFE, Sonderausgabe zum „18.03.2014 Tag der politischen Gefangenen“, Beilage in der Tageszeitung „JUNGE WELT“ vom 15. März 2014, S. 1 354

352DIE ROTE HILFE, Sonderausgabeebenda, S. 6 zum „18.03.2014 Tag der politischen355 Gefangenen“, Beilageebenda in der Tageszeitung „JUNGE WELT“ vom 15. März 2014, S. 1

252 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Das Ziel der RH besteht darin, den inneren verschiedener Broschüren, so z. B. zum Thema Zusammenhalt im Linksextremismus zu stär- „Aussageverweigerung gegenüber der Polizei“. ken und seine Strukturen aktionsfähig zu halten. Dazu betreut sie „politische Häftlinge“, Die RH stellt für konfliktgeneigte Veranstal- um deren Bindung an die linksextremistische tungen, wie Demonstrationen des „linken“ Szene zu erhalten. Sie unterstützt dabei haupt- Spektrums, häufig so genannte Ermittlungs- sächlich Personen, die aus Sicht der RH Opfer ausschüsse (EA) zur Verfügung357, welche den „staatlicher Repression“ geworden sind. Betroffenen als Ansprechpartner dienen und ihnen Anwälte vermitteln. Aktivitäten War noch in den letzten Jahren ein Rückgang Die RH vermittelt den Betroffenen Anwälte öffentlicher Aktivitäten der mitgliederstärksten und gewährt ihnen Beihilfen zu Prozesskosten. sächsischen Ortsgruppe Leipzig feststellbar, so Die Unterstützung erfolgt jedoch nicht bedin- zeichnete sich ab dem Beginn des Berichtsjah- gungslos. Nach Einzelfallprüfung durch den res ein klarer Anstieg der als „Antirepressions- Bundesvorstand werden nur solche Personen Tresen“ angekündigten Veranstaltungen ab. Die unterstützt, die auf Grund ihres „politischen Entwicklung ist vor allem auf die zahlreichen Handelns“ vor Gericht gestellt oder verurteilt linksextremistischen Aktivitäten in Leipzig werden. Diese müssen dort zudem den „poli- zurückzuführen, bei denen die Polizei Tat- tischen Hintergrund des eigenen Handelns“ verdächtige namentlich feststellte und deren verteidigen und ihr Aussageverhalten nach den mitgeführte Gegenstände beschlagnahmte. in der linksextremistischen Szene verbreiteten In diesem Zusammenhang fanden mehrere Hinweisen zur Aussageverweigerung richten.356 Informationsveranstaltungen für Betroffene in Leipzig statt, bei denen rechtliche Tipps gegeben In ihren Ortsgruppen führt die RH regelmäßig und Verhaltensweisen erklärt wurden, die eine Rechtsberatungen zu Themen wie „Umgang strafrechtliche Aufklärung erschweren sollen. mit Staatspost, Polizeiübergriffen und ander- Die Ortsgruppe Leipzig betreibt gemeinsam mit weitiger Repression“ durch. Mit Hinweisen zum dem EA-Leipzig eine Internetseite, auf der sie Schutz vor Strafverfolgung sowie dem Inaus- regelmäßig so genannte Sprechstunden und sichtstellen politischer und materieller Hilfe Vortragsveranstaltungen des EA ankündigt.358 mindert sie auch die abschreckende Wirkung Neben Ratschlägen zu Verhaltensweisen wer- strafrechtlicher Sanktionen. Sie flankiert die den rechtliche Hinweise veröffentlicht, die sich von ihr als besonders spektakulär empfunde- beispielsweise auf die Ausschreitungen „Auto- nen Fälle von „Repression“ durch Kampagnen, nomer” am 15. Januar 2015 in Leipzig beziehen, Presseerklärungen oder Solidaritätskundge- als die Polizei Mobiltelefone verdächtiger Täter bungen. Zudem vertreibt die RH eine Vielzahl beschlagnahmte.

355 DIE ROTE HILFE, Sonderausgabe zum „18.03.2014 Tag der politischen Gefangenen“, Beilage in der Tageszeitung „JUNGE WELT“ vom 15. März 2014, S. 1 356 „Ja was denn nu? Wir bereuen nicht!“, DIE ROTE HILFE, Ausgabe 02/2012, S. 7 357 Interview mit einem Mitglied des Bundesvorstandes der RH,357 Artikel „die Rote Hilfe-einInterview mit einem Mitglied des BundesvorstandesInterview“, der RH, Artikel „die Rote Hilfe-ein Interview“, plastic-bomb.eu plastic-bomb.eu (Stand: 3. Juli 2014) 358 Die Internetseite www.antirepression.noblogs.org bezeichnet sich selbst als Plattform des Leipziger Ermittlungsausschusses, „der sich mit staatlicher Repression gegen linke Politik“ befasst und Betroffene 356(Stand: 3. Juli 2014) „Ja was denn nu? Wir bereuen nicht!“, DIE ROTE HILFE, Ausgabe 02/2012, S. 7 unterstützt.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 253 pasaran“ aufgeführt, bei dem die Teilnehmer unter Anleitung „einen Überblick erarbeiten über Möglichkeiten Aktionen gut vorzubereiten [und] aktionsfähige Strukturen zu schaffen.“361

Exemplarisch für die kontinuierliche Zusam- menarbeit der Ortsgruppe Dresden mit der sächsischen autonomen Szene im Jahr 2015 war eine gemeinsame Veranstaltung mit der linksextremistischen „Undogmatischen Radi- kalen Antifa Dresden“ („URA-Dresden”) zum Thema: „Goldene Morgenröte – Neofaschismus am Olymp“. Weiterhin gehören zum Repertoire sogenannte Solidaritätsveranstaltungen, bei denen in erster Linie Geldspenden für die „von Repression Betroffenen“ gesammelt werden. So lud die RH im September 2015 zu einem Solidaritätskonzert zugunsten eines Tatver- dächtigen ein, der im März 2015 im Rahmen der Fahndung nach einem verübten Farban- Quelle: rotehilfedresden.noblogs.org (Stand: 14. Juli schlag auf die Sächsische Landeszentrale für 2015) politische Bildung in Dresden durch die Poli- zei festgestellt wurde. Die RH Dresden führt Die Aktivitäten der Dresdner Ortsgruppe blie- regelmäßig Sprechstunden im „AZ Conni“ in ben auf dem Niveau der Vorjahre. Seit dem Dresden durch, die auch als „Rote Hilfe Tresen“ ersten Quartal 2015 verfügt die Dresdner bezeichnet werden. Auch ist sie weiterhin im Ortsgruppe über eine neue Internetseite, auf Rahmen der Gefangenbetreuung aktiv. der sie eigene Materialien und Veranstaltungs- hinweise publiziert.359 So ist das in Zusammen- Die neu gegründete Regionalgruppe Südwest- arbeit mit dem Bundesvorstand der RH seit sachsen der RH362 deckt nun – neben den beiden Januar 2015 in unregelmäßigen Abständen großen Ortsgruppen in Dresden und Leipzig – herausgegebene „Zine“ abrufbar.360 Als Termine als dritte selbstständig arbeitende Struktur werden Vortragsveranstaltungen wie bei- die Region im Südwesten des Freistaates ab. spielsweise zur Historie der RH oder auch das Sie nutzte im Februar 2015 im Rahmen von aktionsorientierte „Demotraining: NO! NO! No Protesten gegen Versammlungen der PEGIDA

358 Die Internetseite www.antirepression.noblogs.org bezeichnet sich selbst als Plattform des Leipziger Ermittlungsaus- schusses, „der sich mit staatlicher Repression gegen linke Politik“ befasst und Betroffene unterstützt. 359 rotehilfedresden.noblogs.org (Stand: 26. Mai 2015) 360 Rote Hilfe Dresden ZINE Januar, rotehilfedresden.noblogs.org/material (Stand: 26. Mai 2015) 361 linksunten.indymedia.org/de/node/147983 (Stand: 14. Juli 2015)

362 359Als Kontaktanschrift derrotehilfedresden.noblogs.org „Roten (Stand: 26. Mai 2015) Hilfe” Regionalgruppe Südwestsachsen361 dient das „Kompott“linksunten.indymedia.org/de/node/147983 (Stand: 14. Juli 2015) in Chemnitz, DIE ROTE 360HILFE, Ausgabe 01/2015,Rote Hilfe DresdenS. 66 ZINE Januar, rotehilfedresden.noblogs.org/material (Stand: 26. Mai 2015) 362 Als Kontaktanschrift der Roten Hilfe Regionalgruppe Südwestsachsen dient das „Kompott“ in Chemnitz, DIE ROTE HILFE, Ausgabe 01/2015, S. 66

254 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen in Chemnitz einen „Twitter“-Dienst.363 Neben wurde auf die neue Organisation sowie den Kurzinformationen zum Veranstaltungsablauf Ermittlungsausschuss (EA) hingewiesen.

363 twitter.com/no_cegida (Stand: 23. Februar 2015)

2.6 Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen

Unter diesem Oberbegriff werden jene Bestre- die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutsch- bungen zusammengefasst, die sich zu den lands“ (MLPD). Auch das „Kommunistische Theorien von Marx, Engels und Lenin, der Aktionsbündnis Dresden” (KAD) stellt eine These vom Klassenkampf sowie zur Dikta- orthodox-kommunistische Bestrebung dar. tur des Proletariats bekennen. Gemeinsamer weltanschaulich-politischer Nenner dieser Ideologie und politische Zielsetzung orthodox-kommunistischen Gruppierungen ist die Negierung der Regeln und Wertvorstellun- Die Gruppierungen unterscheiden sich jedoch gen des demokratischen Verfassungsstaates, in ihrer ideologischen Ausrichtung. Die DKP, wobei die Institutionen der parlamentarischen die KPD und die KPF – letztere als linksext- und rechtsstaatlichen Demokratie aufgehoben remistische Strömung innerhalb der Partei werden sollen. DIE LINKE. – bekennen sich zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin und lehnen einen Diese Gruppierungen weisen zwar unter allen reformerischen Ansatz zugunsten eines revo- linksextremistischen Bestrebungen das präg- lutionären Weges zum Sozialismus ab. So heißt nanteste weltanschauliche und theoretische es beispielsweise im nach wie vor aktuellen Fundament auf, welches zudem mit einer Programm der DKP: deutlichen Programmatik und klar konturierten Zielvorstellungen verbunden ist. Ihre Bedeu- „Der Sozialismus kann nicht auf dem Weg von tung innerhalb des Linksextremismus in Sach- Reformen, sondern nur durch tief greifende sen ist mit einem Potenzial von ca. 250 Perso- Umgestaltungen und die revolutionäre Über- nen jedoch marginal. windung der kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse erreicht werden.“ 364 Nach wie vor ist die „Kommunistische Platt- form der Partei DIE LINKE“. (KPF) mit ca. Die aktuelle Gesellschaftsordnung kann nach 160 Mitgliedern die stärkste Gruppierung. dieser Sichtweise nur auf revolutionärem Wege Weitere derartige Strukturen sind die „Kom- beseitigt werden. Verbunden damit wäre die munistische Partei Deutschlands“ (KPD), die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP) und Grundordnung.

363 twitter.com/no_cegida (Stand: 23. Februar 2015) 364 Programm der DKP, 2006, S. 9 364 Programm der DKP, 2006, S. 9

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 255 Die Präambel der MLPD weist in dieselbe Richtung: isoliert und befördert damit dessen weitere Zersplitterung. „Die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD) versteht sich als poli- Aktivitäten tische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland. Ihr grundlegendes Ziel ist der Auf Grund ihres geringen Personenpotenzials, revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopol- aber auch wegen ihrer strukturellen Schwä- kapitals und die Errichtung der Diktatur des chen, beschränken sich Aktionen dieser Grup- Proletariats für den Aufbau einer klassenlosen pierungen überwiegend auf interne Treffen kommunistischen Gesellschaft.“ 365 und Vortragsveranstaltungen. Sie beteiligen sich aber auch anlassbezogen an Demonstra- Im Unterschied zu anderen orthodox-kom- tionen nichtextremistischer Organisationen munistischen Gruppierungen, die sich kaum bzw. unterstützen diese, wie beispielsweise noch offen zu Stalin oder Mao Tsetung beken- zum Jahrestag der alliierten Luftangriffe auf nen, kann bei der MLPD ein deutlich offenes Dresden im Februar oder zum 1. Mai. Bekenntnis zu diesen kommunistischen Dikta- toren ausgemacht werden. Das unterstreicht, Gelegentlich treten orthodoxe linksextremis- dass die MLPD im Gegensatz zu DKP oder KPF tische Organisationen aber auch mit eigenen nicht nur marxistisch-leninistisch, sondern Kundgebungen oder Informationsständen in auch stalinistisch und maoistisch ausgerichtet die Öffentlichkeit. So war die DKP am 1. Mai ist. Diese politische Ausrichtung lässt sich an 2015 in Leipzig präsent. ihrer ideengeschichtlichen Selbstverortung ablesen. In der Präambel ihrer Grundsatzerklä- Die MLPD beteiligte sich im Berichtszeitraum rung heißt es: bundesweit an zahlreichen – insbesondere von PKK366-nahen Strukturen organisierten – Pro- „Die Lehren von Marx, Engels und Lenin, Sta- testaktionen und Demonstrationen gegen die lin und Mao Tsetung bilden die entscheidende Organisation „Islamischer Staat” (IS). Grundlage für den Kampf für den Sozialismus.“ Die DKP gründete im Mai 2015 einen sächsi- Mit ihrem ausgeprägten ideologischen Dogma- schen Landesverband; zuvor hatten lediglich tismus und dem exklusiven Anspruch auf den Gruppen in Dresden, Leipzig, Chemnitz und „wahren Sozialismus“ stößt die MLPD jedoch – Zwickau existiert. Zudem wurde ein Koordinie- ebenso wie die eng am orthodoxen Marxismus rungsrat gegründet, der die Aufgabe hat, die orientierten Gruppierungen DKP und KPF – Gruppen miteinander zu vernetzen. Diese Ent- nicht nur in der Bevölkerung auf eine geringe wicklung resultiert allerdings nicht aus einem Akzeptanz. Sie ist deswegen sogar innerhalb Zuwachs des Personenpotenzials, der in der des orthodox-kommunistischen Spektrums Regel zu solchen Strukturänderungen führt, sondern aus der Umsetzung einer Anweisung

365 Präambel der Organisationspolitischen Grundsätze der MLPD, abrufbar unter www.mlpd.de, Rubrik Grundsätze/Präambel (Stand: 10. September 2015) 366 Die PKK (kurdisch: „Partîya Karkerén Kurdîstan”), „Arbeiterpartei Kurdistans“, ist eine sozialistisch ausgerichtete Unter- 365grundorganisation mitPr äambelUrsprung der Organisationspolitischen Grundsätze der MLPD, abrufbar in unter www.mlpd.de, den Rubrik Grundsätze/Präambel kurdischen (Stand: 10. September 2015) Siedlungsgebieten366 innerhalb der Türkei.Die PKK (kurdisch: Partîya Karkerén Kurdîstan), „Arbeiterpartei Kurdistans“, ist eine sozialistisch ausgerichtete Untergrundorganisation mit Ursprung in den kurdischen Siedlungsgebieten innerhalb der Türkei.

256 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen des Bundesvorstandes der Partei. So wurden festigen und die einzelnen Gruppen im Bun- damit nach eigenen Angaben Beschlüsse des desland zu verknüpfen.367

Bundesvorstandes umgesetzt, Strukturen zu 367 LEIPZIGER LERCHE, Mitteilungsblatt der DKP-Leipzig, Ausgabe 3, Jahr 2015, S. 2

2.7 Wege linksextremistischer Agitation

Vor allem die autonome Szene nutzt für ihre DIE ROTE HILFE Agitation und Kommunikation seit jeher eigene Medien, wie Szenepublikationen. Die Bedeu- Herausgeber/ „Rote Hilfe e. V.“ (RH), tung von Printmedien ging jedoch in den Verantwortlicher: Bundesvorstand vergangenen Jahren auch für die linksextre- Erscheinungsturnus: alle drei Monate mistische Szene zurück. Die Nutzung moderner elektronischer Kommunikationsmittel nahm Auflage: 8.050 (Eigenangabe) deutlich zu. Dennoch erschienen im Berichts- Verbreitung: bundesweit jahr insbesondere bundesweite Publikationen weiterhin noch mit vergleichsweise hoher Auf- lagenzahl. DA Direkte aktion anarchosyndikalistische Zeitung Linksextremistische Publikationen (Auswahl) Herausgeber/ „Freie Arbeiterinnen- Die Rote Fahne Verantwortlicher: und Arbeiter-Union – Internationale ArbeiterInnen Asso- Herausgeber/ „Kommunistische ziation” (FAU-IAA) Verantwortlicher: Partei Deutschlands“ (KPD), Zentralko- Erscheinungsturnus: alle zwei Monate mitee Auflage: unbekannt Erscheinungsturnus: monatlich Verbreitung: bundesweit Auflage: unbekannt

Verbreitung: bundesweit INTERIM

Herausgeber/ „INTERIM e. V.”, Verantwortlicher: Berlin

Erscheinungsturnus: alle zwei Wochen

Auflage: unbekannt

Verbreitung: bundesweit

367 LEIPZIGER LERCHE, Mitteilungsblatt der DKP-Leipzig, Ausgabe 3, Jahr 2015, S. 2

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 257 Junge welt PHASE 2

Herausgeber/ „Linke Presse Ver- Herausgeber/ ein in Leipzig ansäs- Verantwortlicher: lags-, Förderungs- Verantwortlicher: siger Verein und Beteiligungsge- nossenschaft junge Erscheinungsturnus: alle drei Monate Welt e. G.” Auflage: unbekannt

Erscheinungsturnus: werktäglich Verbreitung: bundesweit Auflage: 19.000 (Eigenangabe) Rote Fahne Verbreitung: bundesweit Herausgeber/ „Marxistisch- Marxistisches Forum Verantwortlicher: Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD) Herausgeber/ „Marxistisches Verantwortlicher: Forum” (MF) Erscheinungsturnus: wöchentlich

Erscheinungsturnus: unregelmäßig Auflage: ca. 8.000

Auflage: 1.000 Verbreitung: bundesweit Verbreitung: bundesweit Unsere Zeit (uZ)

Mitteilungen der Kommunistischen Herausgeber/ „Deutsche Kom- Plattform der Partei Die linke. Verantwortlicher: munistische Partei“ (DKP), Parteivor- stand Herausgeber/ „Kommunistische Verantwortlicher: Plattform der Partei Erscheinungsturnus: wöchentlich DIE LINKE“ (KPF), Bundeskoordinie- Auflage: ca. 6.000 rungsrat Verbreitung: bundesweit Erscheinungsturnus: monatlich

Auflage: ca. 1.700 Nutzung moderner elektronischer (Eigenangabe) Kommunikationsmittel (Auswahl)

Verbreitung: bundesweit „Autonome“ nutzen das Internet vor allem zur politischen Agitation, d. h., um zeitnah Aufrufe, Ereignisberichte und Bildmaterial zu verbreiten und Recherchen über den politischen Gegner zu veröffentlichen. Daneben werden Beiträge und Publikationen archiviert und Chroni- ken angelegt. Einen weiteren Schwerpunkt

258 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen autonomer Internetpräsenz stellen Terminka- lender mit aktuellen Ankündigungen über regi- onale und bundesweite Veranstaltungen dar. Es gibt folgende Nutzungsformen:

Quelle: www.uradresden.noblogs.org/ (Stand: 4. Novem- ber 2015)

❙❙ Überregionale Internetportale Darüber hinaus nutzen sächsische Linksex- Quelle: www.inventati.org/leipzig (Stand: 4. Novem- tremisten auch die bundesweit ausgerichte- ber 2015) ten Internetportale „linksunten.indymedia. org“ bzw. „de.indymedia.org“ zur Veröffent- ❙❙ Lokale Internetseiten/-plattformen lichung von Aufrufen, Beiträgen, Bildern Mit der Internetplattform www.inventati. und Recherchen. Diese beinhalten auch eine org/leipzig existiert ein Kommunikations- Kommentarfunktion medium der autonomen Szene Leipzigs. Sie trägt die Bezeichnung „Antifa in Leipzig“ und beinhaltet auch ein Diskussionsforum. Die Plattform ist gedacht für Gruppen und Redaktionen, die „gegen Nazis, Rassismus und andere Zumutungen streiten wollen und dabei auf aktuelle Informationen und linksunten.indymedia.org/de (Stand: 13. Mai 2015) politische Analysen setzen“. In Dresden nutzt die „Undogmatische Radi- ❙❙ Nutzung mobiler Dienste kale Antifa Dresden” („URA Dresden”) vor Neben reinen Internetpräsentationen wer- allem ihre Internetseite regelmäßig für Auf- den seit einigen Jahren – der allgemeinen rufe und Statements. Entwicklung folgend – auch mobile Dienste genutzt. Dazu gehören z. B. Chat-Dienste, bei denen ein direkter und schneller Aus- tausch von Nachrichten oder Dateien zwi- schen einzelnen Personen oder Gruppen per Mobilgerät (Handy) möglich ist. Ein Beispiel für die Nutzung des sozialen Netzwerks Facebook war das – bis Oktober 2015 online geschaltete – linksextremistische „Anti- faschistische Nachrichtenportal Sachsen“

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 259 (AFNP). Ereignisbezogen wird zudem der ❙❙ Geschlossene Foren Kurznachrichtendienst Twitter genutzt. Neben offenen Systemen, in denen Infor- Sogenannte Weblogs, d. h. öffentlich ein- mationen für jeden Nutzer abrufbar sind, sehbare Tagebuchseiten im Internet, haben existieren geschlossene Foren, die mit demgegenüber an Bedeutung verloren. Zugangskriterien verbunden sind. Diese können sowohl anlassbezogen im Vorfeld eines Ereignisses als auch gruppenbezogen nur für Mitglieder einer Gruppe eingerichtet sein.

2.8 Ausblick zum Linksextremismus

Im Jahr 2015 wurden im Freistaat Sachsen ca. Die seit 2013 signifikant gestiegene Aktionsbe- 780 Personen linksextremistischen Bestrebun- reitschaft betrifft in erster Linie die autonome gen zugerechnet. In den vergangenen Jahren Szene. Sie hat sich in den vergangenen Jahren ist das Personenpotenzial relativ stabil geblie- zur aktivsten Kraft innerhalb des Linksextre- ben und unterlag nur geringen Schwankungen. mismus entwickelt. Der erneute hohe Anstieg im Berichtsjahr weist auf die Bedeutung hin, Die autonome Szene kann bereits seit 2012 die öffentliche Aktionen für die „Autonomen” einen – wenn auch bescheidenen – Zuwachs besitzen. Vor allem zur Asylthematik setzte verzeichnen. Die „Autonomen” stellen mit ca. sie maßgeblich die politischen Akzente in der 370 Personen unverändert die größte Gruppe Öffentlichkeit und artikulierte dort ihre welt- innerhalb der linksextremistischen Bestrebun- anschaulichen Standpunkte. gen im Freistaat Sachsen dar. Deren Potenzial nahm gegenüber dem Vorjahr (ca. 360 Perso- Die Beteiligung von Personen aus den Reihen nen) leicht zu, was auf einen Zuwachs bei der orthodoxer Parteien und Organisationen an autonomen Szene Leipzigs zurückzuführen ist. linksextremistischen öffentlichkeitswirksamen Aktionen ist dagegen äußerst gering. Darüber hinaus zeigte sich im Vergleich zum Vorjahr ein deutlicher Anstieg des Aktionsni- Die anarchosyndikalistische „Freie Arbeiterin- veaus sächsischer Linksextremisten. Mit 182 nen- und Arbeiterunion – Internationale Arbei- öffentlichen Aktionen stieg diese Zahl gegen- terassoziation” (FAU-IAA) orientiert sich als über dem Vorjahr (102) um fast 78 % an. Damit gewerkschaftlich ausgerichtete Organisation wurde ein neuer Höchststand erreicht. Dieser vorrangig auf Themenfelder wie Lohn- und deutliche Anstieg steht in engem Zusammen- Tarifpolitik, Arbeitskampf oder Gewerkschafts- hang mit der Asylsituation und -politik. So arbeit aus linksextremistischer Perspektive. wurden ca. 80 % der Aktionen zum Thema Aktionen anlässlich des 1. Mai nehmen deshalb Asyl/„Antirassismus“ durchgeführt. einen zentralen Platz ein. Allerdings gelang es ihr – wie schon in den vorangegangenen

260 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Jahren – nicht, ein nennenswertes Teilnehmer- In ihrem Song „Deutschland“ vertritt die Band potenzial für diese Aktion zu mobilisieren. So Positionen, die im Kern die Abschaffung der nahmen an der Demonstration der FAU zum Bundesrepublik Deutschland und damit der 1. Mai 2015 in Dresden lediglich rund 80 Per- freiheitlichen demokratischen Grundordnung sonen teil. Die Teilnehmerzahl umfasst weitest- fordern. gehend die eigenen Mitglieder und eine weitere kleine Anhängerschaft. Perspektivisch dürfte „Deutschland, Deutschland hör mal her: sich daran kaum etwas ändern, da das Ereignis Dich zu hassen fällt nicht schwer. „1. Mai“ bereits durch die großen Massenge- Statt Hand auf dem Herzen – balle ich die Faust. werkschaften mit entsprechenden Forderun- Deutschland bald ist‘s mit Dir aus.“ gen abgedeckt ist. Darüber hinaus wird in einem weiteren Lied die Schon seit Jahren nutzen Extremisten das Anwendung von Gewalt in der Auseinanderset- Medium Musik für die Vermittlung ihrer poli- zung mit dem politischen Gegner als legitimes tischen Anschauungen. Allerdings besitzen Mittel propagiert. So heißt es beispielsweise in linksextremistische Musikveranstaltungen im dem Lied „Opi war okay“: Unterschied zu rechtsextremistischen Kon- zerten einen grundlegend anderen Charakter. „Nazis sollen endlich wieder Pflastersteine Linksextremistische Musiker müssen kaum mit fressen. gesellschaftlicher Ausgrenzung rechnen. Veran- Und wär er heute bei den Demos dabei, staltungen, bei denen Linksextremisten auftre- schlägt er sicher Nazinasen zu Brei.“ ten oder für diese mobilisieren, finden deshalb häufig in öffentlichen Einrichtungen oder als Mit dieser unverhohlenen Aufforderung zu Musikfestivals unter freiem Himmel statt. Gewalt beziehen die Interpreten Positionen, Linksextremistischen Bands bietet sich dadurch wie sie vor allem für „Autonome“ charakte- die Möglichkeit, vor allem öffentliche Veran- ristisch sind, ist doch die Befürwortung von staltungen für die Vermittlung ihrer politischen Gewalt in der Auseinandersetzung mit dem Ideen zu nutzen, sich dort zu präsentieren und politischen Gegner ein konstitutives Merkmal gesellschaftliche Akzeptanz zu finden, um der autonomen Szene. schließlich im Kontext ihrer extremistischen Ideologie auf Nichtextremisten einzuwirken. Die Textpassagen unterstreichen den Stellen- So nutzten linksextremistische Musiker öffent- wert, den das Medium der Musik für Linksext- liche (nichtextremistische) Veranstaltungen für remisten besitzt. Zu erwarten ist deshalb seine ihre Auftritte. Hierbei trat beispielsweise die verstärkte Nutzung im Rahmen von Rekrutie- aus Mecklenburg-Vorpommern stammende rungs- und Mobilisierungsveranstaltungen linksextremistische Band „Feine Sahne Fischfi- linksextremistischer Bestrebungen. let“ im Berichtsjahr mehrfach in Dresden und Es ist weiterhin damit zu rechnen, dass Auf- Leipzig im Rahmen öffentlicher Veranstaltun- tritte bei nichtextremistischen Veranstaltungen gen auf. verstärkt dazu genutzt werden, um – vor allem unter dem Deckmantel des „Antifaschismus“ – Bezeichnend hierfür ist der Liedtext der sächsi- linksextremistische Inhalte zu verbreiten und schen Band „Sozialer Fehltritt”:

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 261 sich so auch im nichtextremistischen Milieu Durch das Zusammenwirken dieser Einfluss- neue Personenpotenziale zu erschließen. größen wird die gegenwärtige Lage in Leipzig maßgeblich beeinflusst und geprägt. „Autonome“ Der in den Vorjahren zu beobachtende Pro- Mit einem Potenzial von 370 Personen stellen zess der Verschiebung des Schwerpunkts von die „Autonomen” personell die stärkste Strö- Dresden nach Leipzig ist nun abgeschlossen. mung innerhalb des Linksextremismus dar. Der Künftig ist von einem weiteren Ausbau des Zuwachs seit dem Jahr 2013 weist auf deren Schwerpunktes Leipzig auszugehen. gestiegene Bedeutung hin. Jedoch zeigen Besonders gravierende Unterschiede zwischen sich erhebliche regionale Unterschiede. Einen der Leipziger und Dresdner Szene zeigen sich Zuwachs hat ausschließlich die autonome Szene vor allem: in Leipzig zu verzeichnen. Ihr gehört mittler- ❙❙ in der Entwicklung des Aktionsniveaus weile über die Hälfte der sächsischen „Autono- sowie men” an. ❙❙ in der Stärke des Personen- und Mobilisie- rungspotenzials; der Dresdner autonomen Leipzig ist die Schwerpunktregion der sächsi- Szene gehören mittlerweile weniger als halb schen autonomen Szene. Die Stadt entwickelte so viele „Autonome“ an wie jener in Leipzig. sich im Berichtsjahr zudem – mit quantitativem und qualitativem Abstand – neben Berlin und Im Jahr 2015 haben sich vor allem die Unter- Hamburg auch bundesweit zu einem weiteren schiede in der Aktionsfähigkeit und Gewalt- Schwerpunkt linksextremistischer Gewalt. bereitschaft der Akteure weiter vergrößert. Folgende Faktoren beeinflussten diese Ent- Zwar fanden in den beiden Städten etwa gleich wicklung: viele öffentliche Aktionen der autonomen ❙❙ Mehr als die Hälfte der sächsischen „Auto- Szene statt (Leipzig: 58, Dresden: 44). Dennoch nomen” gehört der Leipziger Szene an. existieren deutliche Unterschiede hinsichtlich Insofern konzentriert sich dort ein starkes Aktionsfähigkeit und Gewaltbereitschaft der gewaltbereites Potenzial. Akteure. Dies lässt sich exemplarisch am Bei- ❙❙ Die personelle Stärke wirkt sich auf die Bege- spiel der Aktionen gegen PEGIDA (Dresden) hung von Straf- und Gewalttaten aus, die im bzw. gegen LEGIDA (Leipzig) belegen. Berichtsjahr sehr stark angestiegen sind. ❙❙ Die Aktionen gegen PEGIDA trugen in Dres- ❙❙ Die personelle Stärke, verbunden mit einem den stets reaktiven Charakter. Eine Aus- hohen Mobilisierungspotenzial sowie einem nahme bildete die Aktion am 19. Oktober hinreichenden Unterstützerumfeld, sind 2015, welche mit der Teilnahme auswär- grundlegende Voraussetzungen für ein tiger gewaltorientierter Linksextremisten hohes Aktionsniveau und bilden das Reser- zu erklären ist. Die relativ geringen links- voir für militante Kleingruppen und deren extremistischen Teilnehmerzahlen sanken Aktionen. gegenüber 2014 im Frühjahr 2015 nochmals ❙❙ Große Teile der autonomen Szene haben sich nachhaltig, sofern keine überregionale in ausgesprochenen Szenevierteln fest eta- Mobilisierung voran ging. Wirkungsvolle bliert. Dort befinden sich die für ihre Aktio- Blockaden konnten Linksextremisten in nen wichtige Logistik und Rückzugsräume. Dresden nicht mehr für sich verbuchen.

262 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen ❙❙ Demgegenüber zeigte die Leipziger Szene Städtebau- und Immobilienfirmen sowie wei- Präsenz, wenn LEGIDA Veranstaltungen tere Unternehmen. Die Wirkung, die dieser Auf- durchführte. Zahlreiche Gegenaktionen ruf auf die Zielrichtung der Gewalthandlungen waren von dem Ziel geprägt, die LEGIDA- in Leipzig hatte, war erheblich: Zwischen Januar Aufzüge zu verhindern. Die gewaltbereite und Dezember 2015 wurden über zwei Dutzend autonome Leipziger Antifa beteiligte sich Aktionen gegen Unternehmen und Einrichtun- seit Ende Januar/Anfang Februar 2015 nicht gen des demokratischen Rechtsstaates durch- mehr an den eigentlichen bürgerlichen Pro- geführt, die offenkundig im Zusammenhang testen, jedoch setzte sie nunmehr massiv mit dem Gewaltaufruf standen. eigene Akzente gegen LEGIDA. Diese zahl- reichen Aktionen waren durch eine hohe Geht man von der gegenwärtigen Entwicklung Gewaltbereitschaft geprägt. In Kleingrup- in Leipzig aus, so muss mit einem weiteren pen agierende Linksextremisten setzten so Anwachsen des gewaltbereiten Potenzials die Strategie des dezentralen Konzepts um. sowie einer Zunahme von klandestinen Akti- onen und von Anschlägen gerechnet werden. Darüber hinaus zeigte sich im Jahr 2015 fol- gende neue Tendenz: Bei Aktionen gewannen „Anarchisten” und sonstige klandestin (konspirativ) agierende Kleingrup- linksextremistische Gruppierungen pen gegenüber großen Menschengruppen – wie bei Demonstrationen – an Relevanz. Es Wie im Vorjahr traten anarchosyndikalisti- kam vor allem zu Straftaten, wie Körperverlet- sche Gruppen im Freistaat Sachsen auch im zungen und Brandstiftungen. Insofern wurden Berichtsjahr mit eigenen Aktionen öffent- körperliche Schäden oder Zerstörung fremden lich auf. Mit ihrer inhaltlichen Orientierung Eigentums gezielt beabsichtigt. an gewerkschaftlichen Themen versuchten Auch diesbezüglich war Leipzig der Schwer- sie, ihr Profil als linksextremistische Gewerk- punkt. Dagegen standen Anzahl und Schwere schaftsorganisation zu schärfen. Damit stellen der wenigen klandestinen Aktionen in Dresden sie innerhalb des Linksextremismus sowohl in keinem Verhältnis zu denen in Leipzig. inhaltlich als auch organisatorisch eine eigene Die hohe Anzahl in Leipzig steht in engem Ausprägung dar. Zusammenhang mit dem Aufruf „Leipzig: Ein Aufruf zur Gewalt – gegen jene, die diese Die nachdrückliche Betonung von Arbeits- und gewalttätige Welt wollen“368 vom 17. Dezember Lohnkämpfen zeigte sich auch in der Asylthe- 2014. Die dort genannten Angriffsziele bezie- matik, die die FAU in der zweiten Jahreshälfte hen sich auf staatliche Institutionen, Parteien aufgriff. Inwieweit Asylbewerber in eine anar- und Wirtschaftseinrichtungen. Angegriffen chosyndikalistische Gewerkschaft integriert wurden in der Folgezeit Büros der Parteien werden könnten, war dabei die Kernfrage. Am von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und CDU, 1. August 2015 veröffentlichte das „Allgemeine Arbeitsämter, Banken, Versicherungen, Polizei- Syndikat Dresden der FAU-IAA” einen Bei- reviere, Gerichtsvollzieher, das Amtsgericht, trag, in dem eine Strategie für die Einbindung

368 linksunten.indymedia.org (Stand: 18. Dezember 2014), nähere Angaben siehe Beitrag „Autonome in Leipzig“ im vorlie- 368 linksunten.indymedia.org (Stand: 18. Dezember 2014), nähere Angaben siehe Beitrag «Autonome“ in Leipzig“ im vorliegenden Bericht genden Bericht

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 263 von Asylbewerbern in die Organisation der Linksextremistische Parteien FAU skizziert wurde369. Diese stützte sich im Wesentlichen auf zwei Säulen: Linksextremistische Parteien haben ihr Per- 1. Unterstützung von Arbeitsmigranten bei sonenpotenzial von etwa 250 Personen im Lohnkämpfen mit perspektivischer Einbin- Berichtsjahr beibehalten. Im Vergleich zu den dung in die FAU sowie anderen linksextremistischen Strömungen 2. Abbau von Sprachbarrieren verbunden mit besitzen sie jedoch nur marginale Bedeutung. einer wöchentlichen Beratung durch Mit- Ihre bisweilen eng am orthodoxen Marxismus glieder der FAU. orientierte Programmatik ist nicht geeignet, auf Akzeptanz in breiten Kreisen der Bevöl- Das Vorhaben der FAU-Protagonisten, Asyl- kerung zu stoßen. Vor allem aufgrund ihres bewerber in die Gewerkschaftsarbeit einzu- ideologischen Dogmatismus und ihres Abso- binden, erscheint realistisch. Vor allem mit der lutheitsanspruchs stehen ihnen sowohl die angestrebten Einbindung von Asylbewerbern in Autonomen als auch die „Anarchisten“ skep- den Arbeitsmarkt dürften diese für eine anar- tisch gegenüber. In diesem Bereich linksext- chosyndikalistisch ausgerichtete Gewerkschaft remistischer Bestrebungen sind demzufolge eine nicht unbedeutende Zielgruppe darstellen. keine personellen Zuwächse zu erwarten.

369 linksunten.indymedia.org, Titel „Arbeitskämpfe, Erwerbslosigkeit, Beratung, Bildung und Kultur in der FAU Dresden“ 369 linksunten.indymedia.org, Titel „Arbeitskämpfe, Erwerbslosigkeit, Beratung, Bildung und Kultur in der FAU Dresden“ (Stand: 3. August 2015) (Stand: 3. August 2015)

264 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 3. Islamismus und Ausländerextremismus

3.1 Personenpotenzial

Im Freistaat Sachsen bewegt sich das islamis- Den national-extremistischen Organisationen tische und sonstige ausländerextremistische wurden in Sachsen lediglich einzelne Personen Personenpotenzial im Vergleich zu anderen zugerechnet. Bundesländern seit Jahren auf niedrigem Angesichts der aktuellen Zuwanderungs- Niveau. Mit 450 Personen verzeichnete es bewegungen nach Deutschland kann nicht jedoch gegenüber dem Vorjahr einen deutli- ausgeschlossen werden, dass sich unter den chen Anstieg (2014: 360). Dieser geht auf die Migranten auch Mitglieder terroristischer Steigerung des Personenpotenzials im Phäno- Organisationen oder Einzelpersonen mit ext- menbereich der islamistischen Bestrebungen remistischer Gesinnung befinden. So wurde im Freistaat Sachsen zurück. Gegenüber dem zwischenzeitlich bekannt, dass zwei Attentä- Vorjahr stieg es um rund 43 % auf 300 Perso- ter der Anschläge in Paris vom 13. November nen an (2014: 210). In den kommenden Jahren 2015 im Flüchtlingsstrom unter Nutzung von dürfte sich dieser auch bundesweit seit Jahren Falschpersonalien nach Europa einreisten. Die zu beobachtende Trend fortsetzen. Sicherheitsbehörden des Bundes und der Län- Das ausländerextremistische Personenpoten- der gehen im Rahmen ihrer Zuständigkeit allen zial im linksextremistischen Spektrum lag im sicherheitsrelevanten Hinweisen konsequent Jahr 2015, wie im Vorjahr, bei ca. 150 Perso- nach. nen. Es setzte sich lediglich aus Mitgliedern und Anhängern der Nachfolge- und Nebenor- ganisationen der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) zusammen. Ab Sommer 2014 traten diese wieder vermehrt mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen im Freistaat in Erscheinung. Protest- gegenstand ist hauptsächlich der Vormarsch des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) und dessen vermeintliche Unterstützung durch die türkische Regierung. Das Mobilisierungspotenzial der PKK kann deren Anhängerzahl teilweise um ein Vielfaches über- schreiten. Hierzu zählen regelmäßig auch Perso- nen aus benachbarten Bundesländern.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 265 Islamistisches und ausländerextremistisches Personenpotenzial im Freistaat Sachsen

600

450

400 380 370 370 350 360

200

0 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Zusammensetzung des ausländerextremistischen Personenpotenzials im Freistaat Sachsen 2015: ca. 450 2014: ca. 360 (bundesweit 2014: ca. 73.220)

Linksextremistische bzw. Nationalistische bzw. Islamistische linksextremistisch geprägte nationalistisch geprägte Bestrebungen Gruppen Gruppen

ca. 150 Einzelpersonen ca. 300 (2014 ca. 150) (2014: ebenso) (2014: ca. 210)

davon u. a.:

„Arbeiterpartei Kurdistans“ Salafistische (PKK) bzw. Nachfolge­ Bestrebungen organisationen ca. 170 ca. 150 (2014: ca. 130) (2014: ca. 150) Sonstige Gruppen Einzelpersonen (2014: ebenso)

266 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 3.2 Islamismus – Salafistische Bestrebungen in Deutschland und in Sachsen

Der Salafismus ist die dynamischste und am Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaat schnellsten wachsende islamistische Bewe- gung in Deutschland. Er orientiert sich am Salafisten lehnen die Demokratie und die Leben der ersten drei muslimischen Generati- rechtsstaatliche Ordnung in Deutschland ab. onen nach dem Propheten Muhammad vom 7. Grundlage der staatlichen Herrschaftsordnung bis 9. Jahrhundert. Diese werden auch als „Alt- ist nicht die Selbstbestimmung des Volkes, vordere“ (arab. „as-salaf as-salih“) bezeichnet. sondern der Wille Gottes. Gott allein ist Sou- Nach Ansicht der Salafisten führten nur diese verän, nicht das Volk. Gesetze und Normen, die Generationen ein gottgefälliges Leben, da sie Ergebnisse demokratischer Prozesse sind, sind dieses ausschließlich nach dem Koran und dem nach salafistischem Verständnis per se illegi- Leben des Propheten Muhammad (Sunna) aus- tim und „unislamisch“, denn sie gelten als Ver- richteten. letzung der Souveränität Gottes. Repräsentan- ten der Demokratie werden folglich abgelehnt. Salafisten orientieren sich nicht nur inhalt- Die gewählten Vertreter des Volkes werden von lich an den Vorstellungen der ersten Muslime Salafisten als Götzen (taghut) diffamiert, die und der islamischen Frühzeit, sondern auch sich den Platz Gottes als absoluter Herrscher an der Werteordnung jener Zeit. Sie streben und Gesetzgeber widerrechtlich angeeig- eine Rechtsordnung an, die ausschließlich auf net hätten. Die Ablehnung der Teilnahme am Koran und Sunna basiert. Die Einführung einer demokratischen Willensbildungsprozess geht solchen Ordnung wird auch in westlichen Län- in weiten Teilen des salafistischen Milieus so dern, in denen Muslime leben, angestrebt. weit, dass viele Salafisten selbst religiös inspi- rierte Parteien ablehnen. Die Verfassungsschutzbehörden beobachten zwei Varianten des Salafismus, zwischen denen fließende Übergänge bestehen, den politischen und den gewalttätigen jihadistischen Salafis- mus. Auch wenn salafistische Bestrebungen insgesamt verschiedene Nuancen aufweisen, haben sie letztlich gleiche Ziele. Sie unter- scheiden sich jedoch in der Wahl ihrer Mittel, um diese zu erreichen.

Folgende Aspekte sind u. a. für die salafistische Ideologie kennzeichnend:

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 267 Quelle: facebook.com/islamisches.erwachen.return Die Ablehnung der Gleichberechtigung von (Stand: 30. November 2015) Mann und Frau

Absoluter Geltungsanspruch der In den Aussagen von Salafisten wird oftmals salafistischen Rechtsordnung („Scharia“) die Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau thematisiert. Dies widerspricht Als Basis ihrer religiös begründeten rechtli- dem in Art. 3 Abs. 2 GG garantierten Grundsatz chen, sozialen und politischen Ordnungs- und der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Herrschaftsvorstellungen wird die „Scharia“ Hierbei wird von einer gegebenen Benachtei- von Salafisten als Ausdruck des göttlichen ligung der Frau ausgegangen, die durch zwei Willens herangezogen. Der Begriff „Scharia“ Argumentationsstränge begründet wird. Zum bezeichnet dabei sämtliche nach salafisti- einen wird diese Ungleichheit mit physischen schem Verständnis aus Koran und Propheten- Unterschieden gerechtfertigt, wodurch der überlieferung (Sunna) abgeleitete religiöse und Frau ein bestimmtes als traditionell und ehren- weltliche Rechtsvorschriften. Jeder Muslim haft gedeutetes Rollenbild zugewiesen wird. hat nach salafistischem Verständnis in sei- Dieses Rollenbild sieht die Frau auf ihre häus- nen Handlungen die Normen dieser „Scharia“ lichen Aufgaben beschränkt, jede öffentliche als notwendig und gottgewollt zu befolgen. Betätigung der Frau (wie z. B. ein politisches Andere politische und rechtliche Modelle wer- Engagement) wird abgelehnt. den entweder als zweitrangig verstanden oder grundsätzlich abgelehnt. „Frauen in autoritären Positionen wie Führer, Minister, Botschafter und Mitglied der gesetzge- „Das islamische Gesetz (Schari’a) betrachtet benden Körperschaft. (...) In der Tat kann sie die den Herrscher im islamischen Staat als Verant- meisten der genannten Rollen keinesfalls erfüllen. wortlichen für die Durchführung der göttlichen Befehle […]. So darf kein Mensch, so hoch er sein Die Muslime heutzutage, die versuchen, die mag, diesen Regelungen entgegenwirken, oder Wahl von Frauen zu Führern der muslimischen ein Gesetz erlassen, das gegen sie verstoßen Länder zu rechtfertigen, sind in klarem Wider- kann.“ 370 spruch zu den Lehren des Islam.“

„Die natürliche und vorrangige Aufgabe der Frau ist ihr zu Hause, ihre Familie und ihre Kinder.“ 371

Zum anderen leitet sich die Ungleichheit von Salafistischer Buchtitel Normen des islamischen Rechts ab, die als durch Koran und Prophetenüberlieferung

370 Abd al-Rahman Al-Sheha: Botschaft des Islam; über salafistische Internetseiten ist das Werk, welches 2013 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert wurde, weiterhin abrufbar, siehe www.d1.islamhouse. com/data/de/ih_books/single/de_islam_message_sheha.pdf (Stand: 9. Dezember 2015) 371 Abdul Ghaffar Hasan: Die Rechte und Pflichten der Frau im Islam, S. 15, siehe www.way-to-allah.com/dokument/recht- 370 Abd al-Rahman Al-Sheha: Botschaft des Islam; über salafistische Internetseiten ist das Werk, welches 2013 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert wurde, weiterhin abrufbar, siehe www.d1.islamhouse.com/data/de/ih_books/single/de_islam_message_sheha.pdf (Stand: 9. Dezember 2015) 371 Abdul Ghaffar Hasan: „DIE RECHTE“ und Pflichten der Frau im Islam, S. 15, siehe www.way-to-allah.com/dokument/rechteundplichtenderfrau.pdf (Stand: 30. November 2015), Schreibweise wie im Original eundplichtenderfrau.pdf (Stand: 30. November 2015), Schreibweise wie im Original

268 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen (Sunna) belegt gelten. Diese Normen sind im Ungleichheit und ein fragwürdiges Verständnis „Recht der zwischenmenschlichen Beziehun- von Ehre geprägte Rollenbild der Frau bestimmt gen“ verortet und schreiben beispielsweise im auch die Wahrnehmung von Nicht-Muslimin- Erbrecht oder im Eherecht eine Ungleichheit zu nen. So wird ihr Verhalten in der Öffentlichkeit Lasten der Frau fest. Diese Normen werden von als „schmutzig“ und „ungläubig“ diffamiert, da Salafisten auch nicht als rein religiöse Werteo- es der Vorstellung einer strikten Geschlechter- rientierungen verstanden, sondern sollen nach trennung in der Öffentlichkeit widerspreche. ihrem Verständnis ordentliches staatliches Recht sein bzw. werden.

Darüber hinaus besitzt der Ehemann gegenüber seiner Ehefrau ein Züchtigungsrecht zur Erzie- hung und Disziplinierung. Salafisten berufen sich dabei zur Rechtfertigung auf den Koran. Die Forderung nach Körperstrafen gegenüber Ehefrauen verstößt gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG. Quelle: picture alliance/dpa/B. Roessler „Obwohl das Schlagen verboten ist, erlaubt es der Islam in eingeschränkten und begrenzten Weiterhin treten Salafisten offen für die Mehr- Gelegenheiten (...). ehe in Deutschland ein. Hiesigen Gesetzen wird in diesem Zusammenhang nur eine unterge- Das Schlagen ist (...) als endgültig letztes Sta- ordnete Bedeutung beigemessen. dium der Schulung, Disziplinierung und Erzie- hung aufgezählt (...). Die Frau darf nur in abso- Feindbilder: Juden, Christen und andere luter Privatsphäre geschlagen werden. (...) Ungläubige

Dritte und letzte Stufe: Schlagen ohne zu verlet- Von besonderer Bedeutung für Salafisten ist zen, Knochen zu brechen, blaue oder schwarze das Feindbild in Bezug auf Zionisten und Juden, Flecken auf dem Körper zu hinterlassen und das als religiös legitimierter Antisemitismus unter allen Umständen vermeiden, ins Gesicht und Kampf gegen den Staat Israel hohe Brisanz zu treffen.“ 372 erfährt. Heraufbeschworen wird die Bedro- hung einer weltweiten jüdischen Verschwö- Von Frauen wird allgemein ein ehrenvolles rung und eines israelischen Staatsterrorismus, und keusches Auftreten in der Öffentlichkeit welche angeblich auf den Untergang und die erwartet, was sich in der Pflicht zur Vollver- Vernichtung der Muslime abzielen. Figuren und schleierung äußert und die verpflichtende Argumentationen aus der islamischen Heils- Begleitung durch einen männlichen Verwand- geschichte, wie das Verhalten des Propheten ten in der Öffentlichkeit vorsieht. Dieses durch Muhammad gegen jüdische Stämme, werden

372 Abdul Rahman Al-Sheha: Frauen im Schutze des Islam; über salafistische Internetseiten ist das Werk, welches 2009 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert wurde, weiterhin abrufbar, siehe www.womeninis- 372 Abdul Rahman Al-Sheha: Frauen im Schutze des Islam; über salafistische Internetseiten ist das Werk, welches 2009 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert wurde, weiterhin lam.ws/de/schlagen_der_frauen.aspxabrufbar, siehe www.womeninislam.ws/de/schlagen_der_frauen.aspx (Stand: 30. November 2015) (Stand: 30. November 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 269 als Präzedenzfälle zur Legitimierung eines kon- „Die Juden haben unterschiedliche Wege der stanten jüdischen Feindbilds herangezogen. Begehung von Verbrechen und Massakern in Die Rechtfertigung von Gewalt gegen Juden ihrer schandbefleckten Geschichte. (...) Viel- als sogenannter defensiver Jihad ist bezüglich mehr ziehen sie es vor, in ihrem Verrat und in Palästina weit verbreitet und schließt oftmals ihren abscheulichen Verbrechen hartnäckig zu auch Gewalt gegen Zivilisten und Selbstmor- sein. (...) Sie haben sich auf der Erde aggressiv dattentate im Rahmen einer asymmetrischen verhalten und das Blut zahlreicher unschuldi- Kriegsführung mit ein. Auffällig an den Aus- ger Kinder, alter Menschen und armer Frauen führungen der salafistischen Multiplikatoren vergossen. (...) Die jüdische Hochmütigkeit ist die Gleichsetzung von „jüdisch“ und „israe- überschritt alle Grenzen; sie töten unschuldige lisch“, die zwischen Israel, das ausnahmslos des Seelen ohne irgendein Gewissen.“ 373 „Staatsterrorismus“ bezichtigt wird, und Juden nicht unterscheidet. Die salafistische Ideologie ist insbesondere durch zahlreiche Abgrenzungsmechanismen geprägt. Salafisten verbreiten aktiv Bilder von muslimischen wie nicht-muslimischen Feinden, die zur Stärkung einer eindeutigen, salafis- tischen Identität beitragen sollen. Sie werten Andersdenkende mit diffamierenden Begriffen wie Kuffar („Ungläubige“) ab und fordern bei- spielsweise, dass Muslime ausschließlich mit Muslimen zu verkehren und sämtliche Bezie- hungen zu den „Ungläubigen“ abzubrechen haben.

„Er [der Muslim] sollte sich gaenzlich von den Gewohnheiten und Praktiken der Kuffar tren- nen und ablehnen, von ihnen beeinflusst zu sein, sowohl in weltlichen als auch in religioe- sen Angelegenheiten.“ 374

Charakteristisch ist die eigene Darstellung als Opfer der nichtmuslimischen Mehrheitsgesell- schaft. Dazu werden Szenarien von Bedrohun- gen, beständigen Angriffen und Verschwörun- Quelle: u. a. www.twitter.com, www.facebook.com, gen gegen den Islam und die Muslime kreiert, Profile sächsischer Salafisten (Stand: 30. November die weltpolitische Ereignisse, wie die Konflikte 2015) in Syrien, Irak oder Afghanistan etc., aber auch

373 www.home.arcor.de/bisi.f/khutba/khutba_filistin.pdf, S. 4 (Stand:373 30. November 2015) www.home.arcor.de/bisi.f/khutba/khutba_filistin.pdf, S. 4 (Stand: 30. November 2015) 374 www.salaf.de, Rubrik Nichtmuslime, Wie man Muslim wird, S. 5374 (Stand: 30. November 2015),www.salaf.de, Rubrik Nichtmuslime, Schreibweise Wie man Muslim wird, S. 5 (Stand: 30. November 2015), Schreibweise wie im Originalwie im Original

270 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen vermeintliche Diskriminierungen in westlichen Veranlassung der Generalbundesanwaltschaft Ländern verarbeiten. Sie bilden ein hohes festgenommen. Gegen ihn besteht der Ver- Mobilisierungspotenzial für die Rekrutierung dacht, mit vorgetäuschter humanitärer Hil- von Anhängern. Die muslimischen Feinde sind feleistung eine terroristische Vereinigung im zum einen Muslime, die eine vom Salafismus Ausland unterstützt zu haben. Internetvideos abweichende Interpretation und Deutung des zeigten LAU schon 2013 in Bürgerkriegsgebie- Islam verfolgen. Zum anderen werden die Prak- ten in Syrien. Seine dorthin zum Kämpfen aus- tiken der Regierungen muslimischer Länder als gereisten Freunde bezeichnete er als „Märtyrer „unislamisch“ und „unmoralisch“ deklariert und im Glauben“. so zum Feind erklärt. Der Westen und Christen im Allgemeinen werden als Kreuzfahrer ver- Jihadisten befürworten den bewaffneten standen, die die muslimischen Länder besetzen Kampf in der nichtislamischen Welt ebenso und ausbeuten. wie den Kampf gegen die Machthaber in isla- mischen Ländern. Sie werfen ihnen vor, vom „Jeder Gläubige sollte feste daran glauben, dass Islam abgefallen und Handlanger des verhass- Juden und Christen Kuffar [Ungläubige] und ten Westens zu sein. Feinde Allahs (...) und der Mu’minuun [Gläubi- gen] sind.“ 375 In den vergangenen Jahren hat die Komplexi- tät der islamistisch-terroristischen Strukturen Jihadistischer Salafismus – Terror im Namen weltweit immer weiter zugenommen. Der isla- des Islam mistische Terrorismus hat sich sowohl globali- siert als auch individualisiert. Islamistische Ter- Im Gegensatz zum politischen Salafismus roristen erzeugen durch ihre Anschläge – wie scheuen Vertreter des jihadistischen Salafis- in Paris im Januar und besonders im November mus auch vor Tötungsdelikten nicht zurück, 2015 geschehen – mit einer großen Anzahl an um ihre Ziele durchzusetzen. Die Übergänge beliebigen Opfern ein Höchstmaß an Angst vom politischen Salafismus zum Terrorismus und Schrecken. Das willkürliche Töten soll zei- sind fließend. Das zeigt sich beispielhaft an der gen, dass jeder Mensch Opfer eines Anschlags salafistischen Karriere von Sven LAU. Stand werden kann. Dieses Gefühl zu vermitteln, ist er zunächst im Schatten anderer charismati- integraler Bestandteil dieser terroristischen scher salafistischer Prediger wie Pierre VOGEL, Strategie. Für Sicherheitsbehörden sind radi- entwickelte sich der aus Nordrhein-Westfalen kalisierte Einzeltäter besonders schwer in ihren stammende Konvertit zu einem überregiona- Tatvorbereitungen zu erkennen. Die Tatmittel len und führenden Multiplikator der salafisti- reichen potenziell vom Messer über Schuss- schen Szene. Jahrelang war er für verschiedene waffen bis hin zur „schmutzigen Bombe“. salafistische Organisationen deutschlandweit aktiv, darunter auch für das Koran-Verteiler- Neben bekannten Terrororganisationen wie Netzwerk „Lies!“, und lockte viele junge Leute al-Qaida oder dem sogenannten „Islamischen in den Extremismus. Ende 2015 wurde er auf Staat“ (IS) gibt es verschiedenste Netzwerke, die

375 www.salaf.de, Rubrik Manhadsch, Der Ruf zur Einheit der Religionen, S. 11 (Stand: 30. November 2015), Schreibweise wie 375im Original www.salaf.de, Rubrik Manhadsch, Der Ruf zur Einheit der Religionen, S. 11 (Stand: 30. November 2015), Schreibweise wie im Original

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 271 in Verbindung mit den Terrororganisationen ste- Leipzig.376 Darüber hinaus setzte DABBAGH hen. Insbesondere die jahrelangen bewaffneten auch 2015 seine Referententätigkeit im Rah- Konflikte, z. B. in Syrien, Irak und Afghanistan, men seiner „Mobilen Islamischen Akademie” haben es jihadistischen Organisationen, wie dem (Eigenbezeichnung) in vielen Moscheen zu IS, ermöglicht, ihre Positionen zu festigen und salafistischen Themen fort, z. B. in der As- auszubauen. Darüber hinaus hat sich durch den Sahaba-die Gefährten e. V. und Moschee Ber- Konflikt ein erhebliches Radikalisierungspoten- lin, der El-Salam-Moschee München. Diese zial entwickelt. Derzeit liegen den Sicherheits- Vorträge wurden auch im Internet beworben.377 behörden Hinweise zu mehr als 760 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, Zahlreiche salafistische Aktivitäten und Aus- die in Richtung Syrien/Irak gereist sind, um dort sagen DABBAGHs lassen sich weiterhin insbe- auf Seiten des IS und anderer terroristischer sondere über soziale Netzwerke, z. B. Facebook, Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzuneh- sowie über Internetportale, wie YouTube, ver- men oder diese in sonstiger Weise zu unterstüt- folgen. zen. Auch aus Sachsen sind hierzu Einzelfälle bekannt geworden. DABBAGH forderte dazu auf, die persönliche Lebensführung ausschließlich an Koran und Lage in Sachsen authentischer Sunna auszurichten. Er warnte vor Anpassungen an die pluralistisch-demo- Dem gesamten Phänomen salafistischer kratische Gesellschaft. Seiner Meinung nach Bestrebungen werden deutschlandweit etwa dürfe nicht von der salafistischen Lebensweise 8.350 Personen zugeordnet (2014: 7.000), abgewichen werden. Mit dem Hinweis auf die davon lassen sich ca. 170 Anhänger in Sachsen vermeintlich mindere Rechtsstellung der Frau (2014: 130) ausmachen, was einen Anstieg um gegenüber dem Mann, die Salafisten aus den knapp 20 % (bundesweit) bzw. um 30 % (in islamischen Quellentexten ableiten, wird Män- Sachsen) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nern auch ein Züchtigungsrecht gegenüber darstellt. „ungehorsamen“ Frauen eingeräumt378.

Schwerpunkt salafistischer Bestrebungen in Auf einer deutschsprachigen salafistischen Sachsen ist weiterhin das Umfeld der Leipziger Internetseite, für die der Leipziger Imam Has- Al-Rahman-Moschee. Dort können die meisten san DABBAGH als Ansprechpartner für „Islami- Anhänger dieser Ideologie festgestellt werden. sche Fragen“ fungierte, wurde eheliche Gewalt Imam dieser Einrichtung ist Hassan DABBAGH, religiös legitimiert. Dort heißt es u. a.: ein überregional agierender Vertreter des poli- tischen Salafismus in Deutschland. „Sollte sich ihr Ungehorsam durch eine Hand- lung, die zwar vereinzelt ist, aber keinen Zwei- Seit Jahren veranstaltet DABBAGH sogenannte fel an ihrer Absicht lässt, manifestieren, sollte Islamseminare bzw. Islam-Bildungstreffs in er seine Ermahnungen wiederholen und sie im

376 u. a. www.alrahman-moschee.de (Stand: 9. September 2015) 376 u. a. www.alrahman-moschee.de (Stand: 9. September 2015) 377

u. a. www.facebook.com/Daiyah Mohamed Benshain 377 u. a. www.facebook.com/Daiyah Mohamed Benshain 378 siehe oben 378 siehe oben

272 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Haus einsperren, aber nicht schlagen. Erst wenn Im Jahr 2015 trugen neben dem anhaltenden sie in wiederholter Weise ungehorsam ist, kann Bürgerkrieg in Syrien insbesondere die Terror- der Ehemann seine Frau hauen.“ 379 anschläge in Paris im Januar und November zur starken Emotionalisierung von Salafisten Salafisten wie DABBAGH ist bewusst, dass aus dem Umfeld der Al-Rahman-Mosche Leip- derartige Werte und gesellschaftspolitische zig bei. Es konnten zwar keine befürwortenden Vorstellungen der deutschen Rechtsordnung Reaktionen festgestellt werden, allerdings fundamental widersprechen. In ihrer Propa- relativierte und banalisierte das salafisti- ganda betonen sie den zeitlosen und überlege- sche Milieu die Anschläge in Frankreich. So nen Charakter solch göttlicher Bestimmungen. wurde beispielsweise die Anzahl der Opfer der Die Rezipienten der salafistischen Ideologie Anschläge in Paris mit durch den „Westen“ begreifen das salafistische Regelwerk als anzu- bzw. Frankreich getöteten Muslimen in Paläs- strebenden Idealzustand und setzen es in allen tina, Afghanistan, Algerien etc. aufgerechnet. Lebensbereichen, in denen dies möglch ist, um. Salafisten beschuldigten ferner „Geheim- Der Festigung und Verbreitung der salafisti- dienste“, hinter den Anschlägen zu stecken. schen Ideologie wird auf diese Weise weiterer Ihnen wird unterstellt, Muslime bzw. den Islam Vorschub geleistet. Zugleich erschweren Sala- in Europa zu kriminalisieren und so innen- und fisten erheblich die Integration von muslimi- außenpolitische Maßnahmen gegen Muslime schen Migranten in unsere Gesellschaft. zu legitimieren.

Durch zielgerichtete Missionierungsaktivitäten und Öffentlichkeitsarbeit versuchen politische Salafisten auch in Sachsen, stärker Einfluss auf die hier lebenden Muslime und unsere Gesellschaft zu nehmen. Aufgrund der hohen Migration von Muslimen nach Deutschland dürfte sich diese Problematik verschärfen. Salafisten sehen hier ein Rekrutierungspoten- zial insbesondere dann, wenn sich die Integra- tionshoffnungen der Migranten nicht erfüllen. Moscheevereine stehen deshalb vor der Her- Quelle: www.facebook.com/anti illuminati (Stand: ausforderung, sich den Einflussversuchen von 15. Dezember 2015) Salafisten zu entziehen und zu erwehren.

379 www.familie.dwih.info/familie-ehe/985-fiqh-der-ehe-8-rechte-und-plichten (Stand: 2. Dezember 2015) 379 www.familie.dwih.info/familie-ehe/985-fiqh-der-ehe-8-rechte-und-plichten (Stand: 2. Dezember 2015)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 273 Quelle: www.facebook.com/islamisches.erwachen. return (Stand: 15. Dezember 2015) Quelle: www.facebook.com/islamisches.erwachen. return (Stand: 15. Dezember 2015)

3.3 Wege salafistischer und jihadistischer Agitation

Charakteristisch für Salafisten sind ihre inten- Prediger und Multiplikatoren ihre Ideologie siven Missions- und Propagandaaktivitäten durchaus „jugendgerecht“ darzustellen, um (da’wa-Arbeit). Da’wa bedeutet ursprünglich für Jugendliche attraktiv zu erscheinen. Sie „Ruf zum Islam“, aber auch „Missionierung“. präsentieren den Salafismus als Popkultur und Salafisten verengen dies auf eine Werbung Protestbewegung gegen die „Dekadenz“ und für den nach ihrer Auffassung einzig „wahren“ ein angeblich falsches Islambild in der westli- und authentischen Islam salafistischer Lesart. chen Welt. Strafbare Aussagen vermeiden sie. Im Hinblick auf die Adressaten der „da’wa“- Aktivitäten ist zwischen einer „Missionierung“ In der Öffentlichkeit wird die „Missionierungs- nach innen und nach außen zu unterscheiden. arbeit“ insbesondere durch Informationsstände Zielgruppen sind zum einen Muslime, die nach in Fußgängerzonen und Einkaufszentren deut- salafistischer Überzeugung vom „rechten Pfad“ scher Großstädte sichtbar. Bekanntestes Bei- abgewichen sind, zum anderen Nichtmuslime, spiel hierfür ist die salafistische Kampagne die zum Übertritt zum Islam salafistischer Prä- „LIES“, bei der kostenlos Korane an Interessen- gung bewegt werden sollen. ten verteilt und Kontakte geknüpft werden.

Dass der politische Salafismus im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundord- nung steht, ist auf den ersten Blick nicht immer gleich zu erkennen. Zudem wissen salafistische

274 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen die Vermittlung religiöser Inhalte. Tatsächlich sollen jedoch salafistische Netzwerke gebildet und die Teilnehmer indoktriniert werden.

Eine weitere Agitationsform sind die soge- nannten Islamvorträge und -seminare, die häufig in Moscheegemeinden, größeren Ver- anstaltungshallen oder auch auf öffentlichen Plätzen stattfinden. Im Rahmen solcher Ver- anstaltungen werden salafistisch geprägte Vorträge gehalten und kostenloses Informati- onsmaterial in Form von Flyern, Büchern oder CDs verteilt. Während die „Infostände“ meist nur lokale Bezüge haben, reisen für die Vor- träge Prediger durch ganz Deutschland, um die Fundamente des salafistischen Islams zu Tägliches Unterrichtsangebot der Leipziger Al-Rah- vermitteln. Oftmals ohne selbst über eine fun- man-Moschee dierte islamisch-theologische Ausbildung zu Quelle: www.alrahman-moschee.de (Stand: 9. Sep- verfügen, versuchen die Prediger, ihr Publikum tember 2015) zum „einzig wahren Islam“ zu bekehren oder es in ihrem bestehenden Glauben zu stärken. Der Seine Breitenwirkung entfaltet der Salafismus Besuch solcher Vorträge und Seminare trägt insbesondere über das Internet. Auch dort ver- bei vielen angesprochenen Personen dazu bei, breiten salafistische Prediger und Multiplikato- weiter in eine salafistische Parallelwelt abzu- ren ihre Ideologie in sozialen Netzwerken, auf gleiten. Nur vordergründig geht es dabei um Webseiten und Internetportalen und stellen

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 275 zahlreiche Videos und Audiodateien zum Her- „al-Hayat Media Center“ eine international unterladen zur Verfügung. ausgerichtete Medienstelle, die Propaganda des IS in vielen unterschiedlichen Sprachen verbreitet. Das professionell gestaltete Online- magazin „DABIQ“ etwa richtet sich an die „Mujahidin“ weltweit und damit auch an eine Leserschaft außerhalb der islamischen Welt. Maßgebliche salafistische Prediger wie Pierre Vogel, „DABIQ“ stellt die angeblichen militärischen Hassan Dabbagh, Abu Nagie und zivilen Erfolge des IS dar, erläutert sein Quelle: www.youtube.com/user/habibiflo2 (Stand: Handeln, dokumentiert die vermeintliche Eta- 14. Dezember 2015) blierung und Ausbreitung des IS und liefert ideologische Argumente und Legitimation. Jihadistische Terrororganisationen nutzen das Mithilfe dieser Propaganda wird der Eindruck Internet ebenfalls sehr intensiv zur Verbrei- eines „normalen“ Staatsgefüges des soge- tung ihrer Propaganda. Die Gewinnung von nannten IS erweckt. Weitere Unterstützer und Nachwuchs wird zielgerichtet durch Veröf- Kämpfer sollen somit auch aus Deutschland fentlichungen in der jeweiligen Landessprache und anderen europäischen Staaten zum Auf- vorangetrieben. Deshalb gibt es z. B. auch eine bau des Islamischen Staates in die Bürger- Vielzahl von Videobotschaften in deutscher kriegsregionen gelockt werden. Sprache. Die audiovisuelle stilistische Auf- machung ist ebenfalls zielgruppenorientiert und erinnert z. T. an moderne Videospiele und Actionfilmplakate.

Das seit 2010 erscheinende englischsprachige Online-Magazin der Al-Qaida „INSPIRE“ veröf- fentlicht Aufrufe und Anleitungen, wie mit ein- fachen Mitteln Anschläge in westlichen, nicht- muslimischen Ländern verübt werden können.

Auch der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) verfügt über professionelle Medienstellen für die Produktion und Verbreitung mehrsprachi- Terrorverherrlichung durch den IS nach den Anschlä- ger Propaganda (Video- und Audiobotschaf- gen von Paris im November 2015 ten, Fotoreihen, Texte). Darüber hinaus ist das

276 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen 3.4 „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK)

Extremismusbereich: Linksextremistischer sie den bewaffneten Kampf gegen den türki- Ausländerextremismus schen Staat auf. Diesen Auseinandersetzungen fielen bislang rund 45.000382 Menschen zum Gründung: 1978 Opfer. Seit dem Jahr 2002 werden die PKK und Sitz: Nordirak/Kandilge- später auch deren Nachfolgeorganisationen als birge terroristische Organisationen gelistet. Vorsitz Abdullah ÖCALAN380 Die PKK firmiert seit 2007 offiziell unter dem Teil-, Nebenorganisa- u. a. „Koordination Namen „Vereinigte Gemeinschaften Kurdis- tionen: der kurdischen tans“ (KCK). demokratischen Gesellschaft in Europa“ (CDK) Ab Mitte der 1990er Jahre verfolgte die PKK- Führung eine Doppelstrategie. Während sie Publikation: Serxwebun, Yeni sich in Westeuropa bemühte, friedlich in Özgür Politika Erscheinung zu treten, agierte sie in der Tür- Kennzeichen381: kei weiterhin auch mit militärischen und ter- roristischen Mitteln. Die Guerillaeinheiten, die sogenannten „Volksverteidigungskräfte“ (HPG), griffen sowohl türkische Sicherheitskräfte als auch die Infrastruktur an. Um der HPG ein vermeintlich reguläres militärisches Antlitz zu Historie und Strukturentwicklung in der verleihen und sie vom Terrorismusvorwurf zu

Türkei 380 381 bewahren, wurden die „Freiheitsfalken Kurdis- tans“ (TAK) ins Leben gerufen. Den TAK schlos- Die PKK wurde im Jahr 1978 gegründet. Ziel sen sich überwiegend jugendliche Kämpfer der war die Schaffung eines autonomen Kurden- HPG an, die ab 2004 Sprengstoff- und Brand- staates unter ihrer Führung. Zu den Gründern anschläge verübten. gehörte Abdullah ÖCALAN. Er übte von Beginn Im Frühjahr 2013 schien sich eine neue Entwick- an die Funktion des Generalsekretärs aus. lung anzubahnen, nachdem bekannt geworden Seine bis heute unumstrittene Führungsposi- war, dass die türkische Regierung Verhand- tion setzte er gegen interne Widerstände durch lungen mit Abdullah ÖCALAN geführt hatte. und behielt diese auch nach seiner Inhaftie- ÖCALAN, der erstmalig als Verhandlungspart- rung und Verurteilung im Jahr 1999. ner akzeptiert wurde, präsentierte dabei eine Die PKK entwickelte sich sowohl in der Türkei eigene „Roadmap“. Nach dieser sollten sich als auch in Europa zur anhängerstärksten und in einem ersten Schritt die PKK-Kämpfer aus militantesten Kurdenorganisation. 1984 nahm der Türkei zurückziehen. Das Fernziel sei die

380 Trotz Inhaftierung hat er faktisch die Führung inne. 380381 rechts: Fahne der „Volksverteidigungskräfte“ (HPG) 381382 www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54641/kurdenkonflikt 382 (Stand:www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54641/kurdenkonflikt 29. Januar (Stand: 29. Januar 2016) 2016)

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 277 Waffenniederlegung und der Gewaltverzicht. Demokratischen Union“ (PYD), setzte sich mit Im Gegenzug erwartete die PKK-Führung die ihrem im Juli 2012 gegründeten militärischen Erfüllung ihrer Forderungen nach Verankerung Arm, den „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG), politischer und kultureller Rechte für die Kur- für den Schutz dieses Gebietes ein und nahm den in einer neuen Verfassung der Türkei. den Kampf gegen den IS auf. Sie wurde dabei von den HPG unterstützt. Sie agieren in einem Seit Sommer 2014 überlagerten die Angriffe politisch fragilen Umfeld, in dem geopoliti- des so genannten Islamischen Staates (IS) sche Interessen und die Interessen der lokalen auf das Gebiet Westkurdistans (Nordsyrien) Akteure äußerst unübersichtlich und von hoher die kurdisch-türkische Auseinandersetzung. Dynamik geprägt sind. Der syrische Zweig der PKK, die „Partei der

Quelle: picture-alliance/dpa-Grafik (Stand: 28. Dezember 2015)

278 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Aktuelle Entwicklung in der Türkei Die PKK und linke türkische Organisationen, deren Anhänger hauptsächlich zu den Opfern Das Jahr 2015 war in der Türkei durch zwei zählten, gaben der AKP jedoch zumindest eine Parlamentswahlen und zwei verheerende Bom- Mitschuld, da nach deren Meinung die AKP benattentate geprägt. die Anschläge hätte verhindern können. Als Im Ergebnis der Parlamentswahlen am 7. Juni Racheaktion auf den ersten Anschlag tötete ein 2015 verlor die türkische Regierungspartei „apoistisches384 Rebellenteam“ am 22. Juli 2015 AKP383 ihre absolute Mehrheit. Die kurdisch- zwei türkische Polizisten mit Kopfschüssen. türkische Partei Demokratische Partei der Völ- Es folgte eine Spirale der Gewalt. Sowohl die ker (HDP) konnte mit gut 13 % in das türkische türkische Regierung als auch die PKK kündig- Parlament einziehen. Die HDP war damit die ten die seit langem zwischen ihnen laufenden erste kurdische Partei, der es gelang, die Zehn- Friedensverhandlungen. Das türkische Militär prozent-Hürde, die den Einzug ins Parlament in geht aktuell sowohl gegen Stellungen des IS der Türkei regelt, zu überspringen. Tatsächlich als auch gegen das Rückzugsgebiet der PKK im wird der HDP eine Nähe zur PKK zugeschrieben. Nordirak vor. In Europa will die PKK weiterhin Dieses Ergebnis war nicht zuletzt der intensi- auf Gewalt verzichten und ihre Forderungen ven Wahlpropaganda der PKK zu verdanken. publik machen. Sie mobilisierte ihre Anhängerschaft nicht nur in der Türkei, sondern auch in ganz Europa mit Historie und Strukturentwicklung in dem Argument, dass die HDP die Interessen der der Bundesrepublik Deutschland und Kurden im Parlament vertrete. Westeuropa Mit nur knapp 41 % der Wählerstimmen war die AKP gezwungen, eine Regierungskoalition Aufgrund der Kampfhandlungen in ihren Sied- zu bilden. Dies gelang nicht, weshalb der AKP- lungsgebieten seit den 1980er Jahren flüchte- Vorsitzende und Staatspräsident Recep Tayyip ten hunderttausende Kurden. Ihr Hauptziel war Erdoğan für den 1. November 2015 Neuwahlen Westeuropa, insbesondere die Bundesrepublik ansetzten. Deutschland. Mitglieder und Anhänger der PKK setzten hier In der Zwischenzeit kam es am 20. Juli 2015 in den Kampf fort und gründeten 1985 die „Nati- der türkischen Stadt Suruç nahe der türkisch- onale Befreiungsfront Kurdistans“ (ERNK). Sie syrischen Grenze zu einem Bombenanschlag. Er verübten terroristische Anschläge auf türki- richtete sich gegen ein Camp linksgerichteter sche Einrichtungen und Gewerbe. Ohne Rück- und prokurdischer Jugendlicher. Ein weiterer sicht auf Leib und Leben griffen sie ebenfalls Terroranschlag ereignete sich am 10. Oktober deutsche Polizisten an. Dies führte im Novem- 2015 während einer Friedensdemonstration ber 1993 zu einem Betätigungsverbot der PKK in Ankara. Diese Gewaltakte forderten jeweils und ihr angeschlossener Nebenorganisationen mehr als hundert Tote und zahlreiche Verletzte. in der Bundesrepublik. Das Verbot umfasst Die Anschläge wurden zwar der Terrororgani- auch die daraufhin gegründeten Nachfolgeor- sation „Islamischer Staat“ (IS) zugeschrieben. ganisationen der ERNK, nämlich die seit dem

383 Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei 384 383Apo („Onkel”) ist das SynonymGerechtigkeits- und Entwicklungspartei der PKK-Anhänger für den PKK-Führer384 Abdullah ÖCALAN.Apo („Onkel“) ist das Synonym der PKK-Anhänger für den PKK-Führer Abdullah ÖCALAN.

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 279 Jahr 2000 verbotene „Kurdische Demokratische anlässlich ihres Volksunion“ (YDK) und die seit 2004 verbotene 19. Kongresses in „Koordination der kurdischen demokratischen Kurdischer demo- Gesellschaft in Europa“ (CDK). kratischer Gesell- Das Territorium der Bundesrepublik Deutschland schaftskongress in ist in vier „Saha“ (Gebiete) untergliedert. Diese Europa (KCD-E) um. setzen sich wiederum aus „Bölge“ (Gebiete/Zone) Aufgabe des KCD-E zusammen. Aktuell gibt es knapp 30 Bölge, die sei es, sich für das aus mehreren Teilgebieten bestehen. soziale und kulturelle Wohl der Kurden in Europa einzusetzen und dafür zu sorgen, dass In der Bundesrepublik befindet sich mit ca. die Identität der Kurden der Herkunftsländer 800.000385 Personen die größte Gruppe der Türkei, Iran, Irak und Syrien per Grundgesetz kurdischen Diaspora. Weniger als 2 % dieses anerkannt werde. Zu diesem Zweck wolle Personenkreises hängen der PKK, ihren Nach- man in ganz Europa demokratische Gesell- folge- bzw. Nebenorganisationen an. Das schaftszentren für Kurden eröffnen. Die KCD-E Mobilisierungspotenzial kann allerdings das stellt nunmehr die PKK-Europaführung, in die Mehrfache betragen. Die streng hierarchisch auch die CDK integriert ist.386 und territorial gegliederten Organisations- strukturen sichern der PKK den ideologischen Infolgedessen wurde im Juni 2014 anlässlich Einfluss und bilden die Grundlage für die des 20. Kongresses der „Föderation kurdischer erfolgreiche Durchführung jährlicher Spenden- Vereine in Deutschland e. V.“ („YEK“-KOM)387 kampagnen. Letztere sind eine unverzichtbare das Demokratische Gesellschaftszentrum Grundlage für die Finanzierung des gesamten der KurdInnen in Deutschland (NAV-DEM)388 Parteiapparates und seiner Aktivitäten. Dar- gegründet. Das neue Organisationsmodell soll über hinaus wird hier der Nachwuchs für den alle kurdischen Einrichtungen unter einem Guerillakampf rekrutiert. Dach vereinen. Den Namenswechsel vollzogen danach auch die bisher in der YEK-KOM organi- Der PKK sind zielgruppenorientierte Massenor- sierten örtlichen Vereine. Sie gaben jeweils die ganisationen für Frauen und Jugendliche sowie „Gründung“ des Demokratischen kurdischen Berufs- oder religiöse Gruppen zuzuordnen. In Gesellschaftszentrums (DKTM)389 bekannt. den jeweiligen westeuropäischen Staaten exis- tieren Föderationen örtlicher kurdischer Ver- eine, die wiederum in einer europäischen Kon- föderation zusammengeschlossen sind. Bereits im Juli 2013 benannte sich die Konföderation der kurdischen Vereine in Europa (KON-KURD)

385 Die Zahl stellt nur einen Schätzwert dar. Es gibt keine offizielle Statistik zu Kurden. Personen kurdischer Volkszugehörig- keit werden gemäß ihrer Staatsangehörigkeit als Türken, Iraner, Iraker oder Syrer geführt. 386 Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern 2014, S. 129 386 Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern 2014, S. 129 387 Bisherige Dachorganisation für Vereine in Deutschland, in denen387 sich Mitglieder und AnhängerBisherige Dachorganisation für Vereine in Deutschland, in denen sichder Mitglieder und Anhänger PKK der PKK organisierten organisierten 388 Navenda Civaka Demokratîk ya Kurdên li Almanyayê 388 Navenda Civaka Demokratîk ya Kurdên li Almanyayê

385 Die Zahl stellt nur einen Schätzwert dar. Es gibt keine offizielle Statistik zu Kurden. Personen kurdischer Volkszugehörigkeit werden gemäß ihrer Staatsangehörigkeit als Türken, Iraner, Iraker oder Syrer geführt. 389 Demokratik Kürt Toplum Merkezi 389 Demokratik Kürt Toplum Merkezi

280 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Struktur der PKK 390

Basis: Mititärischer Arm unterhält Zentrale Führung Nordirak „Volksverteidigungskräfte“ Generalversammlung Türkei HPG Präsidium Exekutive

steuert

390 Politischer Arm Verdeckte Ülke-Büro unterstützt CDK Struktur in Schleusungen Koordinierung der Deutschland Passfälschungen Öffentlichkeitsarbeit

beeinflusst

Massenorganisationen Offenen Medien Vereine „YJA“ (Frauen), Komalen Ciwanen (Jugend), Struktur in Stêrk TV Dachverband „YXK“ (Studenten), „YMK“ (Lehrer), „YRK“ (Jour- Deutschland und und NAV-DEM nalisten), „YHK“ (Juristen), „YNK“ (Schriftstel- z. T. in Sachsen Printmedien ler), „CIK“, „YEK“, „KAB“ (religöse Gruppen) 390 Historie und aktuelle Situation im Freistaat betroffen. In mehreren Fällen wurden im Frei- Sachsen staat Sachsen tätige Aktive der PKK wegen Verstoßes gegen § 20 Vereinsgesetz (Zuwider- Das PKK-Gebiet Sachsen besteht hauptsäch- handlung gegen Verbote) verurteilt, zuletzt im lich aus den „Teilgebieten“ Leipzig, Dresden und Jahr 2011. Chemnitz. Darüber hinaus gehören angren- Die Entwicklungen um die umkämpfte Stadt zende Teile umliegender Bundesländer und der Kobane wirkten sich auch auf die sächsischen Nachbarstaaten Polen und Tschechien dazu. In PKK-Anhänger aus. Ab Herbst 2014 begannen den Teilgebieten gründeten sich in den 1990er diese, in sächsischen Städten an einer Vielzahl Jahren bis in die ersten Jahre des Folgejahr- örtlicher Demonstrationen teilzunehmen. zehnts Vereine, die dem Dachverband YEK- Im Februar 2015 wurde die Gründung des KOM zuzuordnen waren. Zwischen 2009 und Dresdner Vereins Deutsch Kurdische Begeg- 2015 kam das der PKK zuzurechnende Vereins- nungen e. V. bekannt. Seitdem wurden durch leben vollständig zum Erliegen. Die Mitglieder diesen fast monatlich örtliche Demonstrati- und Sympathisanten beteiligten sich lediglich onen und Kundgebungen organisiert, die sich an PKK-initiierten überregionalen Kampagnen auf Ereignisse in der Türkei und den kurdischen und Großveranstaltungen. Dies dürfte nicht Siedlungsgebieten bezogen. zuletzt auf den starken Verfolgungsdruck durch die Sicherheitsbehörden des Freistaates zurückzuführen sein. Die Vereinslokale waren mehrfach von Exekutivmaßnahmen der Polizei

390 Das türkische Wort Ülke bedeutet „Land“ (politisch).

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 281 1. August 2015, Dresden, Prager Straße, Quelle: LfV Sachsen

Informationsstand „gegen die Politik von Erdoğan“ nahe dem Sächsischen Landtag, 14. bis 19. Septem- ber 2015 Quelle: LfV Sachsen

KJK391 PYD KCK

Das Mitglieder- und Anhängerpotenzial der PKK hat sich in den letzten Jahren in Sachsen nicht verändert und liegt seit 2010 konstant bei ca. 150 Personen.

391 Komalen Jinen Kurdistan (Gemeinschaft der Frauen Kurdistans)391

282 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Am 21. Oktober 2015 nahmen Beamte des LKA Die CA Dresden ist im Internet mit einem Face- Niedersachsen mit Unterstützung des LKA book-Profil präsent. Hier wurden zahlreiche Sachsen den Leiter des PKK-Gebietes Sachsen Fotos von Demonstrationen in Dresden, ange- in Dresden fest. Gegen den PKK-Kader richtet meldet durch den Dresdner Verein Deutsch sich ein Ermittlungsverfahren der General- Kurdische Begegnungen e. V., gepostet, die staatsanwaltschaft Niedersachsen, in deren jugendliche Akteure mit PKK-Fahnen und dem Zuständigkeitsbereich der Funktionär zuvor CA-Logo auf den T-Shirts zeigen. Die CA Dres- tätig war. Von den Exekutivmaßnahmen war den kooperiert auch mit linksextremistischen auch das Lokal des Dresdner Vereins Deutsch Organisationen wie der REVOLUTION Leipzig Kurdische Begegnungen e. V. betroffen. (siehe Abschnitt „„Autonome“ in Leipzig“). Neben dem Thema Antikapitalismus vereint Im Berichtsjahr wurde auch die Existenz der beide auch das Thema Antifaschismus. Auf Gruppe „Ciwanen Azad“ Dresden (Freie Jugend der Demonstration setzten CA-Anhänger auf Dresden) bekannt. einem Transparent die Terrororganisation IS mit PEGIDA392 gleich.

Freie Jugend Dresden, Quelle: www.facebook.com/ ciwanenazaddresden/ (Stand: 21. Oktober 2015)

Die europäische Jugenddachorganisation der PKK, „Ciwanen Azad“ (CA), verfügt über örtliche Vertretungen, so z. B. auch die „Ciwanen Azad“ Teilnahme von PKK-Anhängern an einer Anti- Dresden. CA publiziert Mobilisierungsvideos, in PEGIDA-Demonstration unter dem Motto am dem der gewaltsame Kampf verherrlicht wird. 19. Oktober 2015 in Dresden, Quelle: www.youtube. com/watch?v=L4LXsyX2wI (Stand: 22. Oktober 2015)

392 Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes392

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 283 4. Politisch motivierte Kriminalität – Straftaten mit extremistischem Hintergrund

Extremistisch motivierte Straftaten bilden gibt, dass sie darauf abzielen, bestimmte Ver- eine Teilmenge der Politisch motivierten Kri- fassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer minalität. Es handelt sich dabei um diejenigen Geltung zu setzen, die für die freiheitliche Straftaten, bei denen es Anhaltspunkte dafür demokratische Grundordnung prägend sind.

4.1 Politisch motivierte Kriminalität „rechts“ – Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund

Im Freistaat Sachsen wurden im Jahr 2015 So wurden 201 rechtsextremistisch motivierte 2.234 rechtsextremistische Straftaten regis- Gewaltstraftaten im Jahr 2015 registriert (83 triert (2014: 1.710). Damit stiegen die Straf- im Jahr 2014). Dies entspricht einer Steigerung tatenzahlen bereits im dritten Jahr in Folge. gegenüber dem Vorjahr von 142 %. Waren es 2013 ca. 2 %, betrug der Anstieg Der Anteil der Gewalttaten an den rechtsextremis- 2014 bereits 4,6 % und nunmehr 30,6 %. tischen Straftaten hat sich mit etwa 9 % im Ver- gleich zu 2014 nahezu verdoppelt (2014: ca. 4,8 %). Ein ähnlicher Anstieg war auch bei den rechts- extremistischen Gewaltdelikten zu verzeichnen.

Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund 3.000

2.234 rechtsextre- 1.808 mistische 2.000 1.710 1.692 1.602 1.635 Straftaten insgesamt

davon 1.000 784 Gewalttaten

235 davon 131 146 201 98 119 84 115 54 67 83 fremden- 0 feindlich 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Die gegen den politischen Gegner gerichte- rechtsextremistisch motivierten Straftaten ins- ten Gewalttaten sind im Jahr 2015 ebenfalls gesamt. Dieser fiel auf etwa 7,6 % (2014: 15 %, stark angestiegen (169 Fälle, 2014: 93). Erneut 2013: ca. 33%, 2012: ca. 43 %, 2011: 54 %, gesunken ist jedoch deren Anteil an den 2010: 58 %).

284 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Dagegen ist die Anzahl der fremdenfeindlichen Gewaltdelikte an den rechtsextremistischen Gewaltdelikte im Jahr 2015 auf 121 abermals Gewaltdelikten insgesamt betrug damit ca. deutlich gestiegen und hat sich gegenüber 60% (2014: 76 %; 2013: ca. 54 %, 2012: 41 %, 2014 fast verdoppelt (2014: 63, 2013: 36, 2011: 27 %, 2010: 28 %). 2012: 22). Der Anteil fremdenfeindlicher

Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund

250

201 rechtsextre- 200 mistische Gewaltstraftaten insgesamt 150 121 davon gegen 98 den polit. Gegner 100 84 83 67 63 57 54 davon 45 44 50 36 fremden- 27 23 23 22 22 14 feindlich

0 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Im Vergleich zum Jahr 2014 gab es hinsichtlich Hier zeigte sich deutlich eine vor allem durch der regionalen Verteilung der rechtsextremis- die asylbezogenen Straftaten gegen Asylbe- tisch motivierten Straftaten bemerkenswerte werberaufnahmeeinrichtungen und deren Ein- Verschiebungen. So blieb die Stadt Dresden wohner begründete Verschiebung des Straf- zwar weiterhin Schwerpunkt; im Jahr 2015 tatengeschehens in die Fläche. Insbesondere war sie die Stadt, mit den meisten rechtsex- bei den fremdenfeindlichen Straftaten hatten tremistisch motivierten Straftaten (407 Fälle). Dresden und der Landkreis sächsische Schweiz Danach rangierte jedoch, anders als in den einen Anteil von 35,6 % an allen Fällen. Im Vorjahren, keine weitere sächsische Großstadt, Landkreis Sächsische Schweiz-Ost führte das sondern der Landkreis Sächsische Schweiz-Ost asylbezogene Straftatengeschehen zu einer (281 Fälle). Erst dann folgen die Stadt Leipzig sehr deutlichen Trendumkehr im Vergleich zu (224 Fälle), die Landkreise Mittelsachsen (177 den vorherigen Jahren: Fälle), Bautzen (165 Fälle), Zwickau (156 Fälle) und schließlich mit Chemnitz die letzte sächsi- sche Großstadt (144 Fälle).

Straftaten Sächsische Schweiz-Ost

300 281

250 225 190 200 169 142 127 128 150 114 100

50

0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 285 Hier sind als Hintergrund vor allem die asylbe- und im Landkreis Sächsische Schweiz-Ost zogenen Auseinandersetzungen in Freital seit (37 Fälle = 18,4 %) zu verzeichnen. Es folgte Sommer 2015 sowie das NPD-dominierte asylbe- der Landkreis Mittelsachsen (24 Fälle = 11,9 %). zogene Veranstaltungsgeschehen in der Sächsi- schen Schweiz zu berücksichtigen. Zu letzterem Bei den Körperverletzungen wurde der Anteil gehörten auch die Auseinandersetzungen am der Stadt Dresden und des Landkreises Säch- dritten Augustwochenende 2015 in Heidenau. sische Schweiz Ost noch deutlicher. Beide Einen ähnlichen, ebenfalls durch das asylbezo- zusammen hatten hier einen Anteil von 46 % gene Straftatengeschehen ausgelösten Trend gab an allen rechtsextremistisch motivierten Kör- es im Landkreis Meißen. Dort verdoppelten sich perverletzungsdelikten. die rechtsextremistisch motivierten Straftaten (108 Fälle) gegenüber 2014 (58 Fälle). Dem stand Betrachtet man die Entwicklungen der Gewalt- im Berichtsjahr jedoch kein Erstarken der regio- taten, fällt auf, dass vor allem, in den Land- nalen rechtsextremistischen Szene gegenüber.393 kreisen Sächsische-Schweiz-Ost, Mittelsach- sen und Zwickau eine Trendumkehr stattfand. Das asylbezogene Straftatenaufkommen Diese Landkreise hatten in den vergangenen prägte ebenfalls die Anstiege der rechtsextre- Jahren ein abnehmendes Niveau an rechtsex- mistischen Gewalttaten. Auch hier waren die tremistisch motivierten Gewaltstraftaten und höchsten Werte in Dresden (56 Fälle = 27,9 %) wiesen im Jahr 2015 überproportionale Steige-

393 rungen auf:

Rechtextremistisch motivierte Gewaltstraftaten

40 37

35

30 24 25

20

15 12

10 7 5 6 6 5 4 3 4 5 1 0 2012 2013 2014 2015

Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge Landkreis Zwickau Landkreis Mittelsachsen

Hintergrund war hier insbesondere der durch Dresdner Akteure wiederum wirkten auch ins die Asylthematik ausgelöste Politisierungs- Dresdner Umland hinein.394 prozess innerhalb der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene, der in der Stadt Sowohl die Gesamtzahl aller fremdenfeindli- Dresden besonders weit fortgeschritten ist. Die chen Vorfälle, als auch die fremdenfeindlichen

393 Vgl. den Beitrag „Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen“, „Landkreis Meißen“ 394 Vgl. die Beiträge „Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen“, „Dresden (Stadt)“, „Landkreis Meißen“, „Landkreis Sächsische Schweiz-Ost“, „Subkulturell geprägte Rechtsextremisten“ sowie „Im Fokus – Aktivitäten von Rechts- 394 extremisten in der aktuellen Asyldebatte und ihre Folgen – Beobachtungen des Verfassungsschutzes in Sachsen“

286 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Gewaltdelikte verdeutlichen, dass die Verschie- deutlichem Abstand zu den anderen Landkrei- bung der Zielrichtung von Rechtsextremisten sen und Städten – in Dresden und im Land- hin zu Agitation gegen und Angriffen auf Per- kreis Sächsische Schweiz-Ost festgestellt. Das sonen mit tatsächlichem und vermeintlichem entspricht einem Anteil von ca. 16,85 % bzw. Migrationshintergrund sich im Jahr 2015 wei- 10,37 %. Es folgten die Stadt Leipzig mit 95 ter fortgesetzt hat. Aufgrund des Gesamtauf- (8,2 %), der Landkreis Bautzen mit 94 (8,1 %) kommens ist auch ein Aktivwerden von bisher sowie der Landkreis Görlitz mit 92 Propagand- inaktiv gebliebenen Teilen der rechtsextremisti- adelikten (7,95 %). schen Szene vor dem Hintergrund der Asylthe- matik zu konstatieren. Diese Entwicklung Ein Blick auf die Straftaten im Zusammenhang schlug sich in einem sachsenweiten Anstieg mit Demonstrationen bestätigt das bisherige des rechtsextremistischen Personenpotenzials Bild: Von den 212 festgestellten Straftaten im nieder. 395 Der gleichzeitige Anstieg von Strafta- Jahr 2015 entfielen allein 55 auf den Landkreis ten gegen den politischen Gegner zeigt jedoch, Sächsische Schweiz-Ost, 53 auf die Stadt Leipzig dass Rechtsextremisten trotz der Dominanz und 42 auf die Stadt Dresden. Dreiviertel aller in des asylbezogenen Geschehens auch ihre wei- diesem Zusammenhang registrierten Straftaten teren Feindbilder auslebten. entfielen somit auf diese drei Regionen. In allen Fällen erklärt sich dieser Befund mit dem sehr Entsprechend den vorherigen Feststellungen intensiven asylbezogenen Demonstrationsge- lagen bei den rechtsextremistischen Propa- schehen, das entweder von Rechtsextremisten gandadelikten ebenfalls die Stadt Dresden organisiert oder von diesen zur Begehung von und der Landkreis Sächsische Schweiz-Ost an Straftaten genutzt wurde. der Spitze. Die meisten der im Jahr 2015 im Freistaat Sachsen registrierten 1.157 rechts- In diesem Zusammenhang ordnet sich auch extremistischen Propagandadelikte (2014: das rechtsextremistische Straftatengeschehen 1.250) wurden mit 195 bzw. 120 Fällen – mit gegen die Polizei ein. 395 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund gegen die Polizei

150 138

125

100 92 Straftaten insgesamt 75 56 51 52 50 36 31 Gewalttaten insgesamt 25 19 9 5 4 4 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015

395 Vgl. den Beitrag „Rechtsextremismus“, „Personenpotential“

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 287 Die Zahlen belegen deutlich, dass es sich ins- bekämpfender politischer Gegner verstan- besondere bei der in Heidenau im August 2015 den. Dies wird auch daran deutlich, dass im offen sichtbar gewordenen neuen Qualität Jahr 2015 seitens der rechtsextremistischen der Gewaltanwendung von Rechtsextremis- Szene in ähnlicher Größenordnung Gewaltta- ten gegen die eingesetzten Polizisten um ein ten gegen Polizeibeamte (36), wie gegen den sich schon länger andeutendes Phänomen politischen Gegner (44), begangen wurden. In und nicht um ein vorrübergehendes Ereignis den Jahren zuvor lag das Verhältnis konstant handelt. Hintergrund des Anstiegs der Gewalt- bei 1:4 bzw. im Jahr 2013 sogar bei 1:5. taten, wie auch der Straftaten, sind vor allem die Auseinandersetzungen im Demonstrati- Die Anzahl der antisemitischen Straftaten stieg onsgeschehen. Auch wenn dieses Niveau mit gegenüber dem Jahr 2014 um einen Fall auf 97 dem Rückgang des Demonstrationsgeschehens (2014: 96) Straftaten. Schwerpunkt dieser Straf- wieder nachlassen dürfte, so wird die dahin- taten war die Stadt Leipzig (14 Fälle) gefolgt von terstehende Haltung weiterhin Bestand haben. Dresden (12 Fälle) und den Landkreisen Mittel- In dieser werden Polizeibeamte als aktiv zu sachsen und Zwickau (jeweils 11 Fälle).

4.2 Politisch motivierte Kriminalität „links“ – Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund

Die Anzahl der linksextremistischen Straftaten sich der Anteil der Gewalttaten an den gesam- ist im Freistaat Sachsen im Berichtsjahr erneut ten linksextremistischen Straftaten auf 29 % stark angestiegen. So erhöhte sich die Zahl der (2014: 19 %). Sowohl die Gesamtzahl der links- linksextremistischen Straftaten insgesamt um extremistischen Straftaten als auch die der 19 % auf 977 Delikte (2014: 821). Gewalttaten übertraf damit das hohe Niveau des Jahres 2011 (869 bzw. 202). Die Anzahl der Gewaltdelikte stieg deutlich um 84 % auf 283 an (2014: 154). Damit erhöhte

Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund

977 1.000 869 821

582 linksextre- mistische 500 396 Straftaten insgesamt 283 202 162 154 82 davon Gewalttaten 0 2011 2012 2013 2014 2015

288 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen Der Anteil der linksextremistisch motivierten festgestellt gegenüber 79 im Jahr 2014. Der Gewalttaten, die sich in konfrontativer Absicht Anteil dieser Delikte an den gesamten linksex- gegen den politischen Gegner (rechts) richte- tremistisch motivierten Gewalttaten betrug im ten, erhöhte sich im Jahr 2015 erheblich (um Berichtsjahr 73 % (2014: 51 %). ca. 162 %). Es wurden 207 solcher Straftaten

Anzahl der gegen den politischen Gegner (rechts) gerichteten Gewalttaten396

250 207 200

153 150

104 100 79

50 36

0 2011 2012 2013 2014 2015

396 Die Entwicklung der Straf- und Gewalttaten Rückgang um ca. 26 % festzustellen: 168 Straf- wies in den einzelnen Regionen und Schwer- taten waren im Berichtsjahr zu verzeichnen punkten der autonomen Szene deutliche gegenüber 226 Straftaten im Jahr 2014. Unterschiede auf. Lediglich in Leipzig ent- sprach sowohl die Entwicklung der Straf- als Damit wurden in diesen beiden Städten im auch die der Gewalttaten dem sachsenweiten Jahr 2015 62 % aller linksextremistischen Trend; in Dresden hingegen lediglich die Ent- Straftaten in Sachsen registriert (2014: 55 %). wicklung der Gewalttaten. Mit deutlichem Abstand folgen der Landkreis Leipzig mit 138, die Stadt Chemnitz mit 45 Wie im Vorjahr wurden auch im Jahr 2015 und der Landkreis Sächsische Schweiz-Ost mit die meisten der linksextremistisch motivier- 43 Vorfällen. ten Straftaten (einschließlich Gewalttaten) in Sachsen in den Städten Leipzig und Dresden – Noch deutlicher fielen die regionalen Unter- und somit in den regionalen Schwerpunkten schiede bei der Entwicklung der Gewalttaten der autonomen Szene – begangen. aus. Sowohl in Leipzig als auch in Dresden ist ein deutlicher Anstieg der Gewalttaten zu ver- In Leipzig hat sich die Zahl fast verdoppelt zeichnen. In Leipzig stiegen sie um 169% von (Anstieg um ca. 93%): die Straftaten stiegen 67 (2014) auf 180 (2015) an, in Dresden ist ein auf 439 Fälle im Berichtsjahr gegenüber 227 im Anstieg um 82 % von 38 (2014) auf 69 (2015) Jahr 2014. In Dresden ist hingegen ein deutlicher zu verzeichnen.

396 Quelle: LKA Sachsen, „Politisch motivierte Kriminalität im Freistaat Sachsen“ jeweils für die Jahre 2011 bis 2015

II. Extremismus im Freistaat Sachsen | 289 4.3 Politisch motivierte Ausländerkriminalität – Straftaten mit ausländerextremistischem Hintergrund

Die „Politisch motivierte Kriminalität (PMK) sich auch in den Aktivitäten der PKK-Mitglieder Ausländer“ ist seit Jahren im Vergleich zu den und -Anhänger in Deutschland wider. Vor- anderen Phänomenbereichen äußerst niedrig. nehmlich kam es zu Propagandadelikten. Der Anteil der ausländerextremistisch moti- vierten Fälle betrug im Jahr 2015 weniger als Andererseits verursachten die kriegerischen ein Prozent der Gesamt-PMK. Auseinandersetzungen im Nahen Osten, spe- ziell in Syrien, massive Fluchtbewegungen Im Jahr 2015 stellte die Polizei 32 (2014: 20) in Richtung Westeuropa, vorwiegend nach Straftaten mit ausländerextremistischem Hin- Deutschland. Das Aufeinandertreffen Ange- tergrund fest. Gegenüber 2014 ist damit ein höriger verschiedener Religionen oder eine Anstieg zu verzeichnen. Die Anzahl der Gewalt- vermeintlich ungerechte Behandlung durch taten blieb mit sieben (2014: acht) fast gleich. deutsche Behörden waren häufig der Auslöser für Straftaten. Die seit zwei Jahren steigende Tendenz der Straftaten steht einerseits im Zusammen- Der Erkenntnisstand zum jeweiligen Tather- hang mit der Eskalation der Lage in der Türkei. gang ließ in den meisten Fällen jedoch keine Dort wurde der Friedensprozess zwischen der konkrete Zuordnung zu Beobachtungsobjekten „„Arbeiterpartei Kurdistans““ (PKK) und der des Verfassungsschutzes zu. türkischen Regierung beendet. Es folgten ver- schärfte Auseinandersetzungen zwischen der Eine Gewalttat wies Bezüge zum sogenannten PKK und dem türkischen Militär. Dies spiegelte „Islamischen Staat“ (IS) auf.

290 | II. Extremismus im Freistaat Sachsen III. Spionage in Politik und Wirtschaft

1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten

Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Wirtschaft unter anderem durch empfindliche Tätigkeiten gegnerischer Nachrichtendienste im Forschungs- und/oder Auftragsverluste äußern. Geltungsbereich des Grundgesetzes haben im Vertreter der deutschen Wirtschaft gehen mitt- Jahr 2015 erneut eine bedeutende Rolle gespielt lerweile von einem durch Wirtschaftsspionage und in der Öffentlichkeit zum Teil erhebliche verursachten jährlichen Schaden in Höhe von Aufmerksamkeit erregt. Von zentraler Bedeutung etwa 50 Milliarden Euro und einem Schaden- war erneut die staatlich gelenkte Spionage, also spotential von etwa 100 Milliarden Euro aus. die nachrichtendienstlich organisierte Beschaf- Das kann auf Dauer spürbare Auswirkungen auf fung von Informationen. Die spionagerelevanten Staat und Wirtschaft haben. Ein funktionieren- Aufklärungsinteressen gegnerischer Nachrichten- des Staatswesen und eine funktionierende Wirt- dienste sind vielfältig und betreffen unter anderem schaft aber sind eine wichtige Grundlage für die das aktuelle politische Geschehen (Politikspionage) innere Stabilität von Staat und Gesellschaft. Die oder aktuelle Erkenntnisse und Entwicklungen in Abwehr von hiergegen gerichteten Spionageak- Wirtschaft und Wissenschaft (Wirtschaftsspi- tivitäten ist deshalb ein wichtiges Aufgabenfeld onage). Als Spezialfall der Wirtschaftsspionage der Verfassungsschutzbehörden des Bundes lässt sich die Proliferation einordnen, die neben der und der Länder. Aufklärung der Technologie auch die vollständige oder teilweise Beschaffung von atomaren, biologi- Mögliche Adressaten von Politikspionage sind in schen oder chemischen Massenvernichtungswaf- erster Linie Staat und Verwaltung sowie Man- fen mit deren Trägersystemen umfasst. datsträger politischer Parteien. Darüber hinaus können auch Mitglieder von Oppositionsbewe- Die stetig wachsende politische Bedeutung gungen aus dem Ausland, die in Deutschland sowie die wirtschaftliche und wissenschaftliche leben, von den Maßnahmen des Nachrichten- Leistungs- und Innovationskraft Deutschlands dienstes des jeweiligen Herkunftslandes betrof- begründen ein nach wie vor intensives Aufklä- fen sein. Adressaten der Wirtschaftsspionage rungsinteresse fremder Nachrichtendienste. Das sind in erster Linie Wirtschaftsunternehmen hat Folgen auch für den Freistaat Sachsen, der und Forschungseinrichtungen. Staat und Ver- mit den hier ansässigen innovativen Unterneh- waltung können ebenfalls betroffen sein, soweit men und als Forschungsstandort vor allem als etwa durch finanzielle Förderung Verbindungen Ziel von Wirtschaftsspionage in Betracht kommt. zu diesen Unternehmen und Einrichtungen bestehen. In jedem Fall gilt, dass kein Informati- Die aufgrund von Spionage drohenden Schäden onsträger „zu klein“ ist, um nicht doch Adressat sind immens. Sie können sich im Bereich der einer Spionagemaßnahme werden zu können.

III. Spionage in Politik und Wirtschaft | 291 Neben Spionageaktivitäten hat die von fremden der öffentlichen Meinung wieder an Bedeu- Nachrichtendiensten gesteuerte Beeinflussung tung gewonnen.

2. Akteure, Aufklärungsschwerpunkte und Methoden

2.1 Akteure und Aufklärungsschwerpunkte

In Deutschland sind zahlreiche ausländische ihrer Länder, die in Deutschland leben. In wirt- Nachrichtendienste mit ganz unterschiedlichen schaftlicher und militärischer Hinsicht ent- Aufklärungsschwerpunkten aktiv, was auch wickeln die Nachrichtendienste dieser Länder Auswirkungen auf den Freistaat Sachsen hat. vor allem proliferationsrelevante Aktivitäten. Nachrichtendienste hoch entwickelter Staaten Als Hauptakteure im Freistaat Sachsen gelten wollen durch Spionage vor allem im politischen weiterhin die Nachrichtendienste Russlands und wirtschaftlichen Wettbewerb weiter Schritt und Chinas. Daneben stehen arabische, nord- halten oder sogar Wettbewerbsvorteile erzielen. afrikanische und weitere asiatische Nachrich- Nachrichtendiensten von Krisenländern geht es tendienste im Verdacht, Spionageaktivitäten in politischer Hinsicht vor allem um die Aufklä- zu entfalten. Aber auch der Einsatz westlicher rung und Unterwanderung von Oppositionellen Nachrichtendienste kommt in Betracht.

2.1.1 Russische Föderation

Die Nachrichtendienste der Russischen Föde- im Internetverkehr künftig nur noch auf rus- ration waren für die russische Staatsführung sischen Servern gespeichert und verarbei- im Jahr 2015 erneut von großer Wichtigkeit. tet werden. Das gilt selbst dann, wenn diese Sie genießen dort nach wie vor ein hohes Personen Kunden oder Angestellte ausländi- Ansehen, unter anderem wegen ihrer Bemü- scher Unternehmen sind, unabhängig davon, hungen zur Aufklärung oder Beeinflussung ob diese Unternehmen eine Niederlassung in politischer, wirtschaftlicher und wissen- Russland haben oder nicht. Damit ist eine noch schaftlicher Entwicklungen im Ausland. Der bessere Überwachung des Informationsflusses russische Gesetzgeber hat diesen Trend weiter mit dem Westen gewährleistet. begünstigt, etwa durch erneute Restriktionen im Bereich des Datenschutzes. So dürfen per- Gegen deutsche und damit auch sächsische sonenbezogene Daten russischer Staatsbürger Sicherheitsinteressen entwickelten insbesondere

292 | III. Spionage in Politik und Wirtschaft der russische zivile Auslandsnachrichtendienst397 den Westen in die Verantwortung für die ange- der militärische Auslandsnachrichtendienst398 spannte politische Situation in Osteuropa und und der Inlandsnachrichtendienst399 Aktivitä- dem Nahen Osten zu stellen. Für die flankierende ten. Diese Aktivitäten gingen einher mit einer politische Aufklärung von Interesse waren etwa sehr offensiven russischen Außenpolitik, die in die deutsche Haltung zu Fragen der Außen- und der Annexion der Krim, der Verschärfung des Sicherheitspolitik sowie der Finanz- und Ener- Ukraine-Konfliktes und dem militärischen Ein- giepolitik, aber auch die Rolle Deutschlands in greifen in den Syrien-Konflikt ihre Höhepunkte der NATO. In wirtschaftlicher Hinsicht ging es fand. Die daraus folgenden internationalen vor allem darum, die angeschlagene russische Reaktionen setzten sowohl die russische Politik Wirtschaft mit neuem Know-how zu versorgen. als auch die russische Wirtschaft unter erhebli- chen Druck und führten zum Versuch nachrich- Vor diesem Hintergrund bildet der Freistaat tendienstlicher Entlastungsmaßnahmen. Dafür Sachsen als bedeutsamer Bestandteil der deut- boten die russischen Nachrichtendienste ein schen Politiklandschaft und als innovativer breites Spektrum an Aktivitäten auf, bei denen und leistungsstarker Forschungs- und Wirt- es unter anderem darum ging, die Politik der schaftsstandort in Deutschland ein lukratives russischen Staatsführung zu rechtfertigen und Ziel russischer Nachrichtendienste. 397 398 399 2.1.2 Volksrepublik China

Auch die Volksrepublik China hat 2015 wieder nachrichtendienstlichen Maßnahmen organisiert erhebliches Gewicht auf die Aktivitäten ihrer in erster Linie das Ministerium für Staatssicher- Nachrichtendienste gelegt. Die chinesische heit400, das als In- und Auslandsdienst struktu- Staatsführung nutzt ihre Nachrichtendienste riert ist. Angehörige sind an den amtlichen oder gezielt zur Informationsgewinnung in Politik, halbamtlichen Vertretungen in der Bundesrepu- Militär, Wirtschaft und Wissenschaft, um sich blik Deutschland (sogenannte Legalresidenturen) strategische Vorteile zu verschaffen und die präsent und dabei oft als Diplomaten oder Jour- eigenen wirtschaftlichen Interessen zu fördern. nalisten getarnt. Auch der militärische Nachrich- Dafür haben die chinesischen Nachrichtendienste tendienst401 und das Ministerium für öffentliche eine starke Personalausstattung und umfang- Sicherheit402 als Leitungsebene der Polizei sind mit reiche Befugnisse erhalten. Die verschiedenen Aufklärungsmaßnahmen gegen Deutschland aktiv.

397 Служба Внешней Pазведки Российской Федерации (СВР)/Sluschba Wneschnei Raswedki Rossijskoj Federazii (SWR); Übersetzung: Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation 398 Главное разведывательное управление Генерального штаба ВС (ГРУ)/Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije Generalnowo Staba WS (GRU); Übersetzung: Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation 399 Федеральная Cлужба Безопасности Российской Федерации (ФCБ)/Federalnaja Sluschba Besopasnosti Rossijskoj Federazii (FSB); Übersetzung: Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation 400 Ministry of State Security (MSS) 400 401 401 Military Intelligence Department (MID) 402 402 Ministry of Public Security (MPS)

III. Spionage in Politik und Wirtschaft | 293 Nach wie vor stehen innovative deutsche und die Unterwanderung von in Deutschland Unternehmen und Hochschuleinrichtungen im lebenden oppositionellen Kräften, die von der Blickfeld chinesischer Nachrichtendienste, was chinesischen Regierung zu den sogenannten auch den Freistaat Sachsen für diese Dienste „Fünf Giften“403 gezählt werden. Da sich auch im interessant macht. Das gilt umso mehr, als Freistaat Sachsen Angehörige der chinesischen die chinesische Wirtschaft in den vergange- Opposition aufhalten, ist davon auszugehen, nen Jahren an Prosperität verloren hat und dass der Freistaat auch aus diesem Grunde ein doch weiterhin ambitionierte Ziele verfolgt. lohnendes Ziel der chinesischen Nachrichten- Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit chinesi- dienste ist. scher Nachrichtendienste ist das Ausspähen 403

2.1.3 Arabische, nordafrikanische und weitere asiatische Nachrichtendienste

Arabische und nordafrikanische Nachrichten- Repression gegen spätere Rückkehrer oder dienste führen in Deutschland in erster Linie gegen in der Heimat verbliebene Verwandte Maßnahmen gegen hier lebende Oppositionelle genutzt werden. Als Agenten können ver- aus ihren Heimatländern durch. Die politischen meintliche Flüchtlinge oder seit längerem in Veränderungen der letzten Jahre im arabischen Deutschland lebende Landsleute zum Einsatz und nordafrikanischen Raum haben daran nichts kommen. Vergleichbare Aktivitäten zeigen geändert. Damit dürften die in Sachsen lebenden andere arabische, nordafrikanische und asiati- Einwanderer und Flüchtlinge aus den einschlä- sche Nachrichtendienste. So ließ die Bundes- gigen Krisenregionen nach wie vor als Ziel der anwaltschaft im Oktober 2015 einen iranischen jeweiligen Nachrichtendienste gelten, insbeson- Staatsangehörigen festnehmen, der dringend dere, wenn sie sich oppositionell betätigt haben. verdächtig ist, Angehörige der militanten ira- nischen Oppositionsbewegung „Volksmodjahe- Insbesondere die syrischen Nachrichten- din Iran-Organisation“ (MEK) gegen Bezahlung dienste dürften starkes Interesse am Verbleib ausgeforscht und die Informationen an seine bekannter Oppositioneller und deren Rolle nachrichtendienstlichen Auftraggeber weiter- im syrischen Bürgerkrieg haben. Die Ausfor- gegeben zu haben. Nordkorea und Indien ste- schung persönlicher Umstände kann dann zur hen im Verdacht ähnlicher Vorgehensweisen.

403 Unter der diffamierenden Bezeichnung „Fünf Gifte“ werden von der Kommunistischen Partei Chinas Mitglieder der Ver- einigung der Uiguren, Anhänger einer Eigenständigkeit Tibets, Praktizierende der Falun Gong-Bewegung, Anhänger einer Eigenstaatlichkeit Taiwans und Angehörige der Demokratiebewegung zusammengefasst.

294 | III. Spionage in Politik und Wirtschaft 2.1.4 Westliche Dienste

Die Spionageabwehr der Verfassungsschutzbe- dem Oberlandesgericht München Anklage gegen hörden des Bundes und der Länder bearbeiten einen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes. auch nachrichtendienstliche Aktivitäten westlicher Dieser Mitarbeiter soll Anfang 2008 mit dem US- Staaten gegen Deutschland. Insbesondere die amerikanischen Nachrichtendienst „Central Intel- fortwährenden Veröffentlichungen interner Doku- ligence Agency“ (CIA) in Kontakt gekommen sein mente haben das mögliche breite Spektrum von und sich zu einer nachrichtendienstlichen Zusam- Spionageaktivitäten amerikanischer Nachrichten- menarbeit bereit erklärt haben. Im Rahmen dieser dienste und anderer westlicher Dienste verdeut- Zusammenarbeit soll er der CIA gegen insgesamt licht. In erster Linie aus den Snowden-Enthüllun- 95.000 Euro zahlreiche dienstliche Dokumente gen folgt der Verdacht, westliche Dienste nutzten und interne Informationen über die Aufklärungs- ihre technischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, um tätigkeit und die Organisation des Bundesnach- weltweit Kommunikationsdaten abzuschöpfen. richtendienstes (BND) zugespielt haben. Vor allem die amerikanische NSA soll ihre Mög- lichkeiten in enger Zusammenarbeit mit dem bri- Der Verfassungsschutz geht in Erfüllung sei- tischen „Government Communications Headquar- nes gesetzlichen Auftrages jedem Anfangs- ters“ (GCHQ) auch gegen Deutschland einsetzen. verdacht von Spionageaktivitäten westlicher Im August 2015 erhob die Bundesanwaltschaft vor Dienste nach.

2.2 Methoden und Arbeitsweisen der ausländischen Nachrichtendienste

2.2.1 Beschaffung offener Informationen

Ausländische Nachrichtendienste können einen Habilitationsschriften, für die im Regelfall sogar großen Teil ihrer Informationen bereits aus offen eine Veröffentlichungspflicht besteht. Nicht zuletzt zugänglichen Quellen gewinnen. Sie ergeben sich erweitert die rasante technische Entwicklung beispielsweise bei dem Besuch öffentlicher Tagun- im Bereich der modernen Medien das Spektrum gen, Vortragsveranstaltungen oder Messen, ebenso frei zugänglicher Informationen in einem stetig wie bei der Lektüre von Werbebroschüren oder wachsenden Ausmaß. Das reguläre Informations- Tageszeitungen sowie aus Funk und Fernsehen. angebot der öffentlichen Medien bietet fremden Selbst brisante Informationen sind oft ohne Wei- Nachrichtendiensten zahlreiche Informationen, die teres und völlig legal zugänglich, etwa über Fach- als Grundlage und Ausgangspunkt für weitere Spi- zeitschriften und -bücher, über Bachelor-, Master- onageaktivitäten von erheblicher Bedeutung sein oder Diplomarbeiten oder über Dissertations- oder können.

III. Spionage in Politik und Wirtschaft | 295 2.2.2 Beschaffung nicht öffentlich zugänglicher Informationen

Neben der Beschaffung offener Informationen Studenten oder Praktikanten leben und in ihren gehört auch die konspirative Beschaffung von Arbeitsbereichen über ein erhebliches Wissens­ nicht öffentlich zugänglichen Informationen potenzial verfügen. Wann immer die Agenten zu den Zielen der ausländischen Nachrichten- fremder Nachrichtendienste mit potentiellen dienste. Die konspirative Informationsbeschaf- Informanten Kontakt aufnehmen, greifen sie fung erfolgt in erster Linie über den Einsatz zurück auf die Möglichkeiten zwischenmensch- menschlicher Quellen, durch technische Mittel licher Beeinflussung, um Informationen zu oder durch eine Kombination beider. erhalten. Dabei werden oft menschliche Eigen- schaften, wie zum Beispiel Dankbarkeit, Hilfs- Einsatz menschlicher Quellen bereitschaft, Habgier, Autoritätshörigkeit, Gel- tungssucht, Unsicherheit oder Bequemlichkeit, Der Einsatz menschlicher Quellen kann unter ausgenutzt, um auf diesem Weg Zugang zu sen- anderem durch den Aufbau langjähriger per- siblen Daten zu erhalten (sogenanntes „Social sönlicher Kontakte oder durch die unmittelbare Engineering“). Auf eine solche Vorgehensweise Einschleusung in relevante Bereiche geschehen. deutet auch der bereits im Beitrag „Westliche Der in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit Dienste“ erwähnte Spionagefall hin, in dem der prominent gewordene Fall „Anschlag“404, der US-amerikanische Nachrichtendienst CIA einen in Deutschland zu einem der bedeutendsten Spion beim BND installiert haben soll. Strafverfahren in Spionagesachen führte, belegt das nach wie vor eindrucksvoll. Die erlangten Informationen werden auf unter- schiedlichste Art und Weise weitergegeben. Nur Nicht in jedem Fall betreiben Nachrichten- exemplarisch sei auf die sogenannten Legalre- dienste einen solchen Aufwand. Je nach Einzel- sidenturen der Nachrichtendienste in Deutsch- fall kommen auch kleiner angelegte Spionage- land verwiesen. Solche Legalresidenturen sind aktionen in Betracht. So treten etwa Mitarbeiter regelmäßig in Botschaften und Konsulaten russischer und chinesischer Nachrichtendienste angesiedelt, wo Mitarbeiter von Nachrichten- als Diplomaten, Journalisten oder als Mitglieder diensten als reguläre Mitarbeiter auftreten. von Wirtschaftsdelegationen auf, die mögli- che Informanten unter anderem auf Tagungen, Einsatz technischer Mittel, insbesondere Fachmessen oder diplomatischen Empfängen „Elektronische Angriffe“ zunächst in scheinbar unverfängliche Gespräche verwickeln. Insbesondere chinesische Nachrich- Die Informationsbeschaffung durch den Ein- tendienste bedienen sich dabei ihrer Landsleute, satz technischer Mittel, insbesondere über die im jeweiligen Ausland als Wissenschaftler, moderne Kommunikationsmedien, wird in

404 Der Fall zeigt besonders deutlich eine übliche Vorgehensweise russischer Nachrichtendienste. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte ein unter dem Namen Andreas und Heidrun ANSCHLAG auftretendes Agentenpaar unter anderem zu mehrjährigen Haftstrafen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland in einem besonders schweren Fall. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten für den russischen Auslandsnachrich- 404 tendienst SWR in Deutschland tätig waren.

296 | III. Spionage in Politik und Wirtschaft Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Das schnell erfolgen, sie sind kostengünstig und gilt umso mehr, als auch öffentlich nicht weitgehend risikofrei, auch wenn eine Iden- zugängliche Informationen im neuen digitalen tifizierung der Urheber durchaus möglich ist. Zeitalter oft leicht und ohne größere Risiken Im Rahmen solcher Angriffe werden klassische erlangt werden können. Fremde Nachrichten- Trojaner-E-Mails405, Wasserloch-Angriffe406 mit dienste können diese Möglichkeiten nutzen Drive-By-Infektionen407 und vieles mehr einge- und Kommunikationsverbindungen vor allem setzt. Ausgangspunkt ist auch hier oft ein aus- über Internetknoten und Server im Ausland gefeiltes „Social Engineering“. Das Sächsische abhören. Darauf deuten die Erkenntnisse um Verwaltungsnetz ist seit 2012 nachweislich Ziel die Abhörpraktiken der US-amerikanischen „Elektronischer Angriffe“, die auch einen nach- NSA und des britischen GCHQ hin. In dieselbe richtendienstlichen Hintergrund haben können. Richtung weist die Entwicklung in Russland, Chinesische Nachrichtendienste stehen im wo die Nachrichtendienste immer mehr Mög- Verdacht, die überwiegende Zahl „Elektroni- lichkeiten zur Überwachung und Beeinflussung scher Angriffe“ mit einem möglichen nachrich- des Internetverkehrs erhalten, etwa durch tendienstlichen Hintergrund auf Deutschland Zugriffsmöglichkeiten auf IP- und E-Mail- initiiert zu haben. Diese Angriffe richteten Adressen, Telefonnummern und Daten aus sich sowohl gegen staatliche Einrichtungen als sozialen Netzwerken oder durch die bereits auch gegen Wirtschaftsunternehmen vor allem erwähnten datenschutzrechtlichen Restriktio- aus dem Bereich Rüstung, Satellitentechnik, nen im Internet aus dem Jahr 2015. Maschinen- und Anlagenbau sowie Chemie- und Pharmaindustrie. Daneben führten vor Neben Abhörmaßnahmen sind „Elektronische allem russische Nachrichtendienste derartige Angriffe“, also gezielte Maßnahmen mit und Angriffe durch. Der Anfang 2015 mutmaßlich gegen IT-Infrastrukturen, ein probates und von russischen Nachrichtendiensten initiierte wichtiges Mittel der Informationsgewinnung „Elektronische Angriff“ auf den Deutschen und -beeinträchtigung geworden. Die Mög- Bundestag belegt diese Einschätzung ein- lichkeiten „Elektronischer Angriffe“ reichen drucksvoll. In diesem Zusammenhang hat vom Ausspähen, Kopieren oder Verändern von sich besonders deutlich gezeigt, dass sich ein Daten (z. B. von Kundenlisten oder Strategie- „Elektronischer Angriff“ keineswegs in einer papieren) über den Missbrauch von Identitä- einmaligen punktuellen Maßnahme erschöpfen ten bis hin zur Übernahme und Sabotage von muss, sondern zu einer länger andauernden, Produktions- und Steuerungseinrichtungen. komplexen und herausfordernden Bedrohung Derartige technische Maßnahmen können heranwachsen kann, die mit großem Aufwand

405 Als Trojaner-E-Mails gelten hier E-Mails, die zumeist im Anhang eine Schadsoftware enthalten. Diese als nützliche Datei getarnte Schadsoftware wird beim Öffnen der Datei aktiviert, um den betroffenen Rechner dann im Hintergrund zu manipulieren. 406 Bei Wasserloch-Angriffen (Watering-Hole-Attacs) manipuliert der Angreifer bestimmte Webseiten, bei denen er mit einem Aufruf durch das Opfer rechnen darf. Die Manipulation entfaltet im Regelfall erst dann ihre Wirkung, wenn das Opfer die Seite aufruft. 407 Eine Drive-By-Infektion ist die Infektion eines Rechners mit Schadsoftware allein durch das Aufrufen einer mit Schad- software manipulierten Webseite. Die Manipulation kann ohne405 Wissen und Wollen des Betreibers geschehen sein. Drive- By-Infektionen sollen in den letzten Jahren weiter an Bedeutung406 gewonnen und die E-Mail als Hauptverbreitungsweg 407 für Schadsoftware abgelöst haben.

III. Spionage in Politik und Wirtschaft | 297 betrieben wird (sogenannter „Advanced Persis- Politik ihrer Heimatländer zu unterstützen. Die tent Threat“ [APT]). Bevölkerung soll annehmen, dass „Experten“ im Besondere Brisanz erhalten „Elektronische Ausland die eigene Regierungspolitik befürworten. Angriffe“ letztendlich dadurch, dass sie selbst bei ausgeprägtem Sicherheitsbewusstsein der Der Einsatz von Einflussagenten kann aber Betroffenen und trotz der Benutzung aktueller auch der Einflussnahme auf relevante Entwick- Schutzprogramme gegen Schadsoftware oft lungen in Deutschland und Sachsen dienen. über längere Zeit nicht erkannt werden. Solche Aktivitäten haben aufgrund der aktu- ellen politischen Entwicklung insbesondere für Beeinflussung der öffentlichen Meinung die russischen und die chinesischen Nachrich- tendienste wieder an Bedeutung gewonnen. Fremde Nachrichtendienste haben 2015 neben der Beschaffung von Informationen erneut ver- Die erstmals im Jahr 2015 in solcher Intensi- sucht, die öffentliche Meinung in Deutschland tät feststellbaren Propagandaoffensiven im und damit auch im Freistaat Sachsen zu beein- Internet hatten vor allem einen russischen flussen. Das Portfolio der dafür eingesetzten Mit- Hintergrund und dürften der prekären außen- tel hat sich verbreitert und reicht von dem bereits politischen und wirtschaftlichen Lage der aus der Vergangenheit bekannten Einsatz von Russischen Föderation geschuldet gewesen Einflussagenten über den zielgerichteten Aufbau sein. Zum Einsatz kamen sogenannte „Inter- und die Pflege von Kontakten zu Multiplikatoren nettrolle“, Personen, die sich gegen Bezahlung in Politik und Wirtschaft bis hin zu regelrechten in sozialen Netzwerken, in Kommentaren auf Propagandaoffensiven im Internet. Internetseiten und Blogs positiv zur Politik der Staatsführung positionieren und gleichzeitig Der vor allem aus dem Kalten Krieg bekannte deren Gegner verunglimpfen. Nach der offen- Einsatz von Einflussagenten dient zum einen sichtlich professionellen Analyse von Ran- der Desinformation der Bevölkerung in den Hei- kingregeln im Internet gelang es etwa, durch matländern. Die hierbei von den Einflussagenten massenhafte Posts eine russlandfreundliche bevorzugt in Presse, Rund- und Fernsehfunk Sichtweise auf die vorderen Plätze bei den abgegebenen Erklärungen haben das Ziel, die meistdiskutierten Themen zu lancieren.

3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheits­ partnerschaft

Die wichtigste Abwehrmaßnahme gegen Verwaltung als auch Wirtschaft und Wissen- sicherheitsgefährdende oder geheimdienst- schaft sind aufgerufen, sich und ihre Umge- liche Tätigkeiten gegnerischer Nachrichten- bung bereits im Vorfeld von Spionageaktivitä- dienste ist die Prävention. Sowohl Staat und ten hinreichend zu schützen.

298 | III. Spionage in Politik und Wirtschaft Prävention heißt vor diesem Hintergrund: und viele andere mehr. Unabhängig davon ❙❙ sich gegenüber Angriffsmethoden und engagiert sich das LfV Sachsen gemeinsam mit -zielen fremder Nachrichtendienste sensi- der Sächsischen Polizei und dem Sächsischen bilisieren, Verband für Sicherheit in der Wirtschaft in ❙❙ die eigenen Einrichtungen und deren Umge- dem Präventionsangebot „Sicheres Unterneh- bung auf spionagerelevante Schwachstellen men“, einem ebenfalls kostenlosen Beratungs- systematisch analysieren, angebot zum Schutz der äußeren und inneren ❙❙ passgenaue Abwehrlösungen entwickeln, Sicherheit in Unternehmen. Unternehmen mit ❙❙ die Entwicklungen auf dem „Spionage- geheimhaltungsbedürftigen Aufträgen betreut markt“ fortlaufend beobachten und das LfV Sachsen außerdem mit Unterstüt- ❙❙ Verdachtsfällen nachgehen. zung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und des Sächsischen Zur Bewältigung dieser anspruchsvollen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Herausforderungen bietet das LfV Sachsen Verkehr (SMWA).409 insbesondere allen sächsischen Behörden, Verbänden, Vereinigungen, Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen eine Sicherheitspartnerschaft an.

Dafür geht das LfV Sachsen aktiv auf poten- tielle Ansprechpartner zu. Bestandteil einer solchen Sicherheitspartnerschaft können Vorträge, Individualberatungen, Onlineange- bote408 und Broschüren sein. Darüber hinaus unterstützt das LfV Sachsen alle Interessenten bei der Analyse von deren Einrichtungen auf spionagerelevante Schwachstellen, bei der Ent- wicklung passgenauer Abwehrlösungen und bei der Aufklärung von Verdachtsfällen. Dabei gewährleistet das LfV Sachsen Vertraulichkeit.

Bei alldem kann das LfV Sachsen auf starke Partner zurückgreifen. Dazu gehören das Bundesamt (BfV) und die weiteren 15 Lan- desbehörden für Verfassungsschutz, der Bun- Im Jahr 2015 konnte das LfV Sachsen durch desnachrichtendienst (BND), der Militärische Presse- und Rundfunkveröffentlichungen, Abschirmdienst (MAD), das Bundesamt für Vorträge und Individualberatungen eine Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das erhebliche Zahl an Interessenten und Multipli- Nationale Cyber-Abwehrzentrum, die Polizei katoren unmittelbar erreichen. Die vielfältigen

408 Siehe u. a. www.verfassungschutz.sachsen.de 408409 Siehe dazu auch Abschnitt IV. 409

III. Spionage in Politik und Wirtschaft | 299 Sicherheitslücke Mensch – Der Innentäter als größte Bedrohung für die Unternehmen Verfassungsschutz Wissenschaftsspionage – gegen Gefahren für Forschung und Lehre Wirtschaftsspionage Schrankenlose Offenheit – „soziale Netzwerke“ im Web

Wirtschaftsspionage durch Diebstahl und Einbruchdiebstahl

Verfassungsschutz – Ihr Ansprechpartner für Wirtschaftsschutz

Besuchermanagement – Umgang mit Besuchern und Fremdpersonal

Personalauswahl – Sicherheitsaspekt im Unternehmen

Publikationen Geschäftsreisen – Schützen Sie Ihr Know-how! der Verfassungs- schutzbehörden Elektronische Attacken auf Informations- und Kommunikationstechnik

Sicherheit im Know-how-Transfer

Präventionsmaßnahmen zeigten Wirkung. Kontakt zur Spionageabwehr des Landes- Auch im Jahr 2015 gab es mehrfach Hinweise amtes für Verfassungsschutz Sachsen: auf mögliche spionagerelevante Sachverhalte, Landesamt für Verfassungsschutz denen das LfV Sachsen nachging. Darüber hin- Neuländer Str. 60, 01129 Dresden aus konnte das LfV Sachsen zahlreiche poten- Telefon: 0351 85 85 0 tielle Adressaten auf die Möglichkeit von „Elek- Fax: 0351 85 85 500 tronischen Angriffen“ hinweisen und so beim E-Mail: [email protected] Schließen von Sicherheitslücken unterstützen.

300 | III. Spionage in Politik und Wirtschaft IV. Geheim- und Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben

Allgemein GEHEIM, VS-VERTRAULICH und VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestuft. Ihre Bear- Der Geheimschutz gewährleistet, dass geheim- beitung wird als sicherheitsempfindliche Tätig- haltungsbedürftige Informationen aus Ver- keit bezeichnet. schlusssachen geheim bleiben und nicht an Unbefugte gelangen. Verschlusssachen sind Der Zugang zu Verschlusssachen und der im öffentlichen Interesse geheimhaltungs- Umgang mit ihnen sowie die Ausübung einer bedürftige Tatsachen, Gegenstände oder sicherheitsempfindlichen Tätigkeit sind im Erkenntnisse. Die Einstufung als Verschluss- Gesetz über die Voraussetzungen und das sache ist unabhängig von der Form, in der Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen im die geheimhaltungsbedürftige Information Freistaat Sachsen (Sächsisches Sicherheits- vorliegt. Das Spektrum der Verschlusssachen überprüfungsgesetz – SächsSÜG) vom 19. Feb- reicht vom gesprochenen Wort über Schrift- ruar 2004 und in der Verwaltungsvorschrift der stücke und Zeichnungen bis zu elektronischen Sächsischen Staatsregierung über die Behand- Datenträgern und technischen Einrichtungen. lung von Verschlusssachen (Verschlusssachen- Sie werden je nach dem erforderlichen Schutz anweisung – VSA) vom 4. Januar 2008 geregelt. in die Geheimhaltungsgrade STRENG GEHEIM,

1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz) und Sabotageschutzüber­ prüfungen

1.1 Sicherheitsüberprüfungen

Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätig- bzw. der Ausübung einer sicherheitsempfindli- keit ausüben sollen, müssen sich vorher einer chen Tätigkeit entgegensteht. Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung wird ermittelt, ob Nach der gesetzlichen Regelung (§ 5 Abs. 1 bei der betreffenden Person ein Sicherheitsrisiko SächsSÜG) liegt ein Sicherheitsrisiko vor, wenn vorliegt, das dem Zugang zu Verschlusssachen tatsächliche Anhaltspunkte

IV. Geheim- und Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben | 301 1. Zweifel an der Zuverlässigkeit der betrof- Zuständig für die Durchführung der Sicher- fenen Person bei der Wahrnehmung einer heitsüberprüfung ist die Behörde, bei der die sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt 2. eine besondere Gefährdung durch Anbah- wird. Auch für Personen in Wirtschaftsun- nungs- und Werbungsversuche fremder ternehmen, die im Rahmen von staatlichen Nachrichtendienste oder Aufträgen sächsischer Behörden mit Ver- 3. Zweifel am Bekenntnis der betroffenen schlusssachen umgehen, werden Sicherheits- Person zur freiheitlichen demokratischen überprüfungen durchgeführt. In diesen Fällen Grundordnung oder am jederzeitigen Ein- ist die Landesdirektion Sachsen zuständig. Die treten für deren Erhaltung Sicherheitsüberprüfung wird erst nach schrift- begründen. In diesem Sinne kann ein Sicher- licher Zustimmung des Betroffenen eingeleitet. heitsrisiko auch aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte in Bezug auf andere Personen, Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt im insbesondere Ehegatten, Lebenspartner oder Auftrag der zuständigen Stelle bei der Sicher- Lebensgefährten, vorliegen. heitsüberprüfung mit. Es überprüft die Per- sonen und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko Werden bei einer Sicherheitsüberprüfung vorliegt. In Abhängigkeit von der auszuüben- sicherheitserhebliche Erkenntnisse – z. B. den sicherheitsempfindlichen Tätigkeit gibt es Straftaten, Hinweise auf übermäßigen Alko- verschiedene Stufen der Sicherheitsüberprü- holgenuss, Hinweise auf Gegnerschaft zur fung (Ü 1 bis Ü 3). freiheitlichen demokratischen Grundordnung – bekannt, wird geprüft, ob sich daraus ein Anhaltspunkt für ein Sicherheitsrisiko ergibt.

1.2 Sabotageschutzüberprüfungen

Der Sabotageschutz dient dem Schutz der für Personen, die an einer sicherheitsempfind- das Gemeinwesen lebenswichtigen Einrich- lichen Stelle in einer lebenswichtigen Ein- tungen. In der Verordnung der Sächsischen richtung beschäftigt werden, üben nach dem Staatsregierung zur Feststellung lebenswichti- SächsSÜG eine sicherheitsempfindliche Tätig- ger Einrichtungen im Freistaat Sachsen (Säch- keit aus und müssen sich daher einer einfachen sische Sicherheitsüberprüfungsfeststellungs- Sicherheitsüberprüfung Ü1 unterziehen. verordnung) vom 22. September 2010 werden lebenswichtige Einrichtungen im Sinne des Sabotageschutzes benannt.

302 | IV. Geheim- und Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben 2. Materieller Geheimschutz

Der materielle Geheimschutz umfasst tech- Geheimschutzes, damit Verschlusssachen nische und organisatorische Maßnahmen sicher erstellt, bearbeitet und aufbewahrt wer- gegen die unbefugte Kenntnisnahme von den können. Verschlusssachen und gewährleistet die Ein- haltung der Bestimmungen der Verschlusssa- Bei Wirtschaftsunternehmen, die im Auftrag chenanweisung. Dazu zählen beispielsweise sächsischer Landesbehörden tätig sind und die rechtlichen Maßgaben zur Herstellung, dabei Zugriff auf Verschlusssachen haben, führt Kennzeichnung und Vervielfältigung von die Landesdirektion Sachsen als zuständige Verschlusssachen sowie Regelungen zur Stelle mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Aufbewahrung, Verwaltung, Transport und als mitwirkende Behörde ein Geheimschutzver- Vernichtung von Verschlusssachen. Wird ein fahren durch. Es sollen Sicherheitsstandards Geheimnisverrat bekannt, ist das Landesamt geschaffen werden, um die Kenntnisnahme von für Verfassungsschutz Sachsen zu beteiligen. Verschlusssachen durch Unbefugte zu verhin- dern. Im Rahmen dieser Geheimschutzbetreu- Das Landesamt für Verfassungsschutz Sach- ung berät das Landesamt für Verfassungsschutz sen berät und unterstützt die Behörden des die Unternehmen. Freistaates Sachsen in Fragen des materiellen

3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagens- oder Ausschlussgründen

Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzbehörden Erkenntnisse zu Verfassungsschutzes den angefragten Personen vorliegen und diese gemäß den gesetzlichen Regelungen mitgeteilt Zum Schutz der freiheitlichen demokrati- werden dürfen. Im Einzelnen unterstützte das schen Grundordnung und der Sicherheit des LfV Sachsen die Behörden im Jahr 2014 bei fol- Bundes und der Länder nimmt der Verfas- genden Überprüfungen: sungsschutz neben seinem Beobachtungs- und Aufklärungsauftrag auch gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten gegenüber anderen Behörden wahr. Auf Anfrage der zuständigen Behörden wird geprüft, ob den

IV. Geheim- und Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben | 303 ❙❙ Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach ❙❙ Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) für dem Waffengesetz (WaffG) für Personen, Personen, die im sicherheitsempfindlichen die Umgang mit Waffen oder Munition Bereich des Luftverkehrs Zutritt haben sollen haben 9.232 Anfragen 17 Anfragen

❙❙ Beteiligung vor der Erteilung oder Ver- ❙❙ Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach der längerung von Aufenthaltstiteln nach Verordnung über das Bewachungsge- dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) werbe Bewachungsverordnung (BewachV), 13.050 Anfragen für Wachpersonen, die mit Schutzaufgaben im befriedeten Besitztum bei Objekten, von ❙❙ Beteiligung bei Einbürgerungen nach denen im Falle eines kriminellen Eingriffs dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit 1.768 Anfragen ausgehen kann, beauftragt werden sollen 3.284 Anfragen ❙❙ Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Gesetz über explosionsgefährli- Im Jahr 2015 wurden insgesamt 27.814 solcher che Stoffe Sprengstoffgesetz (SprengG) Mitwirkungsanfragen überprüft. Damit wurden für Personen, die gewerbsmäßig, selbst- 6.127 Abfragen mehr als im Vorjahr bearbeitet. ständig im Rahmen einer wirtschaftlichen Ein signifikanter Anstieg der Fallzahlen war im Unternehmung oder eines land- oder Jahr 2015 bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen forstwirtschaftlichen Betriebes oder bei nach der Bewachungsverordnung zu verzeich- der Beschäftigung von Arbeitnehmern mit nen. Aufgrund des zunehmenden Bedarfs an explosionsgefährlichen Stoffen umgehen Bewachungspersonal für Asylbewerberunter- wollen oder den Verkehr mit explosionsge- künfte und Erstaufnahmeeinrichtungen hat fährlichen Stoffen betreiben wollen sich die Anzahl dieser Zuverlässigkeitsüberprü- 361 Anfragen fungen mehr als verdoppelt.

❙❙ Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Gesetz über die friedliche Verwen- dung von Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren Atomgesetz (AtG), für Personen, die beim Umgang mit radio- aktiven Stoffen oder bei der Beförderung von radioaktiven Stoffen, oder bei der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen tätig sind 102 Anfragen

304 | IV. Geheim- und Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben V. Verfassungsschutz

1. Verfassungsschutz auf einen Blick

Welche Aufgaben hat das Landesamt für Verfassungsgrundsätze benannt. Der Ver- Verfassungsschutz (LfV) Sachsen? fassungsschutz dient somit dem Schutz des Kernbestandes der verfassungsmäßigen Der Verfassungsschutz ist Garant der wehr- Ordnung. haften Demokratie. Aufgabe des Verfassungs- Zudem beobachtet das LfV Sachsen Bestre- schutzes ist es, rechtzeitig vor Gefahren zu bungen im Geltungsbereich des Grundge- warnen, die unserem freiheitlichen Rechts- setzes, die durch Anwendung von Gewalt staat – insbesondere durch Extremisten, Terro- oder darauf gerichtete Vorbereitungshand- risten oder Spione – drohen. lungen auswärtige Belange der Bundesre- publik Deutschland gefährden, sowie solche Die konkreten Aufgaben ergeben sich aus dem Bestrebungen, die gegen den Gedanken „Gesetz über den Verfassungsschutz im Frei- der Völkerverständigung, insbesondere staat Sachsen“ (SächsVSG)410 . Dem LfV Sachsen das friedliche Zusammenleben der Völker, obliegt demnach die Sammlung und Aus- gerichtet sind. wertung von Informationen zum Schutz der Soweit extremistische Bestrebungen darauf freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen, ihre Ziele mittels Anschlägen auf sowie des Bestandes und der Sicherheit des Leib, Leben und Eigentum Anderer, insbe- Bundes und der Länder. In diesem Zusammen- sondere durch schwere Straftaten nach hang beobachtet das LfV Sachsen Bestrebun- § 129a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB), zu gen aus den nachfolgend genannten Bereichen. erreichen, haben sie einen terroristischen Charakter. ❙❙ Extremistische Bestrebungen Eine Bestrebung ist extremistisch, wenn ❙❙ Spionageabwehr tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, Die Spionageabwehr hat die Aufgabe, dass durch politisch bestimmte Verhaltens- sicherheitsgefährdende oder geheimdienst- weisen Elemente der freiheitlichen demo- liche Tätigkeiten von Nachrichtendiensten kratischen Grundordnung beeinträchtigt fremder Staaten in der Bundesrepublik oder beseitigt werden sollen. Deutschland zu erkennen und aufzuklären. Bestrebungen dieser Art gehen insbeson- Auch die Beobachtung fortwirkender Struk- dere von rechts-, links- oder ausländer- turen und Tätigkeiten der Aufklärungs- und extremistischen Gruppierungen aus. In Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen § 3 Absatz 2 SächsVSG sind die obersten Demokratischen Republik (DDR) sowie die

410 Das SächsVSG ist abrufbar unter www.verfassungsschutz.sachsen.de. 410 Das SächsVSG ist abrufbar unter www.verfassungsschutz.sachsen.de.

V. Verfassungsschutz | 305 mögliche Reaktivierung nachrichtendienst- öffentlichen Interesse geheimhaltungsbe- licher Verbindungen zu fremden Nach- dürftigen Tatsachen, Gegenständen oder richtendiensten durch deren ehemalige Erkenntnissen. Mitarbeiter und Helfer ist Bestandteil der Spionageabwehr. Ebenso wirkt das LfV Sachsen auf Ersuchen mit bei: Zudem ist die Aufklärung von Proliferation411 ❙❙ der Überprüfung von Personen, die sich Teil der Spionageabwehr. um die Einstellung im öffentlichen Dienst bewerben, sowie bei der Überprüfung von ❙❙ Wirtschaftsschutz Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Der Wirtschaftsschutz umfasst staatliche wenn der Verdacht besteht, dass sie gegen Maßnahmen, die dem Schutz deutscher die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen, Unternehmen und Forschungseinrichtun- ❙❙ der sicherheitsmäßigen Überprüfung von gen vor einem durch Spionage betriebenen Einbürgerungsbewerbern und Know-how-Abfluss sowie vor Bedrohungen ❙❙ Überprüfungen, soweit diese gesetzlich durch Rechts- und Linksextremisten, durch vorgesehen sind, z. B. nach dem Aufent- ausländische Extremisten sowie durch isla- halts-, dem Atom-, dem Sprengstoff- und mistische Terroristen dienen. dem Luftsicherheitsgesetz, sowie der Gewerbeordnung i. V. m. der Bewachungs- Neben diesen Aufgaben nimmt das LfV Sach- verordnung. sen sogenannte Mitwirkungsaufgaben wahr. Es ist u. a. beteiligt an: Wie ist das LfV Sachsen organisiert? ❙❙ Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Das LfV Sachsen wurde am 3. November 1992 Tätigkeit betraut werden sollen, durch die Sächsische Staatsregierung im ❙❙ der Durchführung von technischen Sicher- Geschäftsbereich des Sächsischen Staatsmi- heitsmaßnahmen zum Schutz von im nisteriums des Innern (SMI) errichtet.

411 Als Proliferation wird die illegale Herstellung und Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Trägertechnologie sowie Mitteln und Know-how zu deren Entwicklung und Herstellung bezeichnet. Die Organisation stellt sich wie folgt dar:

Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit Präsident Innenrevision Gremienarbeit

Abteilung 1 Abteilung 2 Abteilung 3 Zentralabteilung Auswertung Beschaffung, Observation

411 Als Proliferation wird die illegale Herstellung und Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Trägertechno- logie sowie Mitteln und Know-how zu deren Entwicklung und Herstellung bezeichnet.

306 | V. Verfassungsschutz Wie sammelt der Verfassungsschutz seine ❙❙ die Überwachung des Brief-, Post- und Informationen? Fernmeldeverkehrs sowie ❙❙ die Wohnraumüberwachung. Der Verfassungsschutz sammelt seine Infor- mationen überwiegend aus für jedermann Die Überwachung des Brief-, Post- und Fern- zugänglichen Quellen. Um verfassungswidrige meldeverkehrs ist ein sehr bedeutender Eingriff Bestrebungen feststellen zu können, wertet in das als Grundrecht geschützte Brief-, Post- der Verfassungsschutz u. a. Parteiprogramme, und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Grundge- Satzungen, Publikationen, Flugblätter und setz [GG] und Art. 27 Sächsische Verfassung Internetseiten, die Reden von Funktionären [SächsVerf]). Diese Maßnahme ist deshalb und anderes öffentliches Material aus. Außer- in einem besonderen Gesetz geregelt, dem dem bezieht er seine Informationen aus öffent- Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und lichen Veranstaltungen oder holt sie von ande- Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz – ren Behörden ein, soweit das SächsVSG oder G 10)412. Demnach darf u. a. der Telekommu- andere Gesetze dies zulassen. nikationsverkehr aufgezeichnet, Briefe nur geöffnet und gelesen werden, wenn tatsächli- Bei im Verborgenen stattfindenden Aktivitäten che Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, ist der Verfassungsschutz gesetzlich ermäch- dass bestimmte schwere Straftaten, wie z. B. tigt, sogenannte nachrichtendienstliche Mittel Straftaten der Gefährdung des demokratischen bei der Informationsgewinnung einzusetzen. Rechtsstaats, Betätigung in einer terroristi- Dabei ist er insbesondere an den Grundsatz der schen Vereinigung, Hoch-/Landesverrat oder Verhältnismäßigkeit gebunden. Zu den nach- geheimdienstliche Agententätigkeit, geplant richtendienstlichen Mitteln zählen: oder begangen werden bzw. wurden. ❙❙ der Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Per- Der Präsident des LfV Sachsen muss einen ent- sonen), Informanten und Gewährspersonen, sprechenden Antrag beim SMI stellen. Nur der d. h. von Personen, die für den Verfassungs- Staatsminister des Innern oder sein Stellver- schutz Informationen aus verfassungs- treter können einen solchen Eingriff anordnen. feindlichen Organisationen beschaffen oder Über die vorgesehenen Beschränkungsmaß- logistische bzw. sonstige Hilfe leisten, ohne nahmen wird die vom Sächsischen Landtag ihre Zusammenarbeit mit dem Verfassungs- gewählte G 10-Kommission unterrichtet, die schutz zu erkennen zu geben, über Zulässigkeit und Notwendigkeit der Maß- ❙❙ die Observation, d. h. das verdeckte Beob- nahmen entscheidet. achten von Personen und Objekten, ❙❙ die Anwendung technischer Hilfsmittel wie Das SächsVSG lässt in besonderen Fällen Bild- und Tonaufzeichnungen, ebenfalls einen Eingriff in das Grundrecht auf ❙❙ die Nutzung von Tarnmitteln, mit denen Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG verborgen werden soll, dass der Verfas- und Art. 30 SächsVerf) zu. Zum Schutz die- sungsschutz beobachtet, wie z. B. Tarnkenn- ses Grundrechtes sind die Voraussetzungen zeichen, für eine Wohnraumüberwachung in einem

412 Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses sowie das Gesetz zur Ausführung des Arti- 412 Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses sowie das Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes im Freistaat Sachsen sind unter www.verfassungsschutz.sachsen.de abrufbar. kel 10-Gesetzes im Freistaat Sachsen sind unter www.verfassungsschutz.sachsen.de abrufbar.

V. Verfassungsschutz | 307 gesonderten Paragraphen (§ 5a) des SächsVSG Erkenntnisse sind Grundlage für die Berichter- geregelt worden. Danach dürfen technische stattung des LfV Sachsen gegenüber: Mittel zur Informationsgewinnung in Wohn- ❙❙ dem SMI, räumen nur dann verdeckt eingesetzt werden, ❙❙ anderen Verfassungsschutzbehörden von wenn die Voraussetzungen für einen Eingriff Bund und Ländern, in das Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis ❙❙ dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), nach dem G 10 vorliegen und darüber hinaus der die Aufgaben des Verfassungsschutzes der verdeckte Einsatz zur Abwehr einer drin- auf dem Gebiet der Bundeswehr wahr- genden Gefahr für die freiheitliche demokra- nimmt, und dem Bundesnachrichtendienst tische Grundordnung oder den Bestand oder (BND), der Auslandsaufklärung betreibt, die Sicherheit des Bundes oder eines Landes ❙❙ Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwalt- oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer schaften und Polizei), Person oder für bedeutende fremde Sach- oder ❙❙ Behörden, die die Informationen zur Abwehr Vermögenswerte erforderlich ist und die Erfor- von Gefahren für die öffentliche Sicherheit schung des Sachverhalts auf andere Weise und Ordnung benötigen (z. B. für Versamm- aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. lungsverbote), Zusätzlich wurden zur Gewährleistung der ❙❙ der Öffentlichkeit. Grundrechte besondere Vorkehrungen zum ❙❙ Die Informationen des Verfassungsschutzes Schutz des Kernbereichs privater Lebensge- werden vor allem benötigt staltung (Intimsphäre) und von Berufsgeheim- ❙❙ zur Einschätzung der Sicherheitslage, nisträgern (z. B. Geistliche, Strafverteidiger) ❙❙ zur Verhinderung bzw. Verfolgung von getroffen. Ebenso wurden zum Schutz der durch Extremisten, Terroristen und Spione aus einer Wohnraumüberwachung gewonne- begangenen Straftaten, nen Daten besonders restriktive Vorschriften ❙❙ zur Information der Öffentlichkeit über ver- zu deren Löschung und Übermittlung in das fassungsfeindliche und sicherheitsgefähr- SächsVSG eingefügt. dende Aktivitäten. ❙❙ zur Vorbereitung von Vereins- oder Partei- Über die Anordnung einer Wohnraumüberwa- verboten, chung entscheidet auf Antrag des LfV Sachsen eine besondere Kammer des Landgerichtes. Verfassungsschutz und Polizei Zusätzlich ist die Parlamentarische Kontroll- kommission des Sächsischen Landtages (PKK) Verfassungsschutz und Polizei sind getrennt über angeordnete Wohnraumüberwachungen organisiert und mit unterschiedlichen Befug- zu unterrichten. nissen ausgestattet. Dieses Trennungsgebot ist in Artikel 83 Absatz 3 der Sächsischen Ver- Was geschieht mit den Informationen, die fassung wie auch im § 1 Absatz 4 des Sächs- das LfV Sachsen sammelt? VSG verankert. Es besagt insbesondere, dass der Verfassungsschutz keiner Polizeibehörde Die Informationen, die der Verfassungsschutz angegliedert werden darf. Zudem gibt es kei- auf Grund seines gesetzlichen Auftrages sam- nen unbeschränkten Informationsaustausch melt, werden analysiert, d. h. sie werden gesich- untereinander. Auch stehen dem Verfassungs- tet, geprüft und bewertet. Die gewonnenen schutz Zwangsbefugnisse, wie sie der Polizei

308 | V. Verfassungsschutz eingeräumt sind, nicht zu. Er darf also weder ❙❙ die Durchführung von Vortrags- und Personen festnehmen, durchsuchen, vorladen, Diskussionsveranstaltungen vernehmen noch Wohnungen durchsuchen In Vorträgen und öffentlichen Diskussions- oder Gegenstände beschlagnahmen. Er darf runden informiert das LfV Sachsen – auch in auch keine Verbote oder Auflagen ausspre- Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen chen. Der Verfassungsschutz hat vielmehr wie z. B. der Sächsischen Landeszentrale für reine Beobachtungsbefugnisse. Unabhängig politische Bildung – über politischen Extre- davon sind Verfassungsschutz und Polizei – mismus allgemein und speziell über dessen neben anderen Sicherheitsbehörden und Jus- Erscheinungsformen im Freistaat Sachsen tiz – gefordert, die freiheitliche demokratische sowie über die Aufgaben und Befugnisse Grundordnung in der Bundesrepublik Deutsch- des Verfassungsschutzes. Solche Veran- land zu schützen und die innere Sicherheit zu staltungen werden vor allem an Schulen, gewährleisten. Dies erfordert eine enge und Einrichtungen der politischen Bildung, der bestmögliche Zusammenarbeit auf der Grund- Verwaltung, der Justiz und der Bundeswehr lage der bestehenden gesetzlichen Regelungen. durchgeführt. Darüber hinaus werden zum Dabei steht das Trennungsgebot einer engen Schutz von Forschung und Wirtschaft vor informationellen und frühzeitigen Zusammen- Spionage durch fremde Nachrichtendienste arbeit von Polizei und Verfassungsschutz nicht Firmen, Verbände und Forschungseinrich- entgegen. tungen in Vorträgen über die Gefahren der Wirtschaftsspionage und Proliferation Welche Maßnahmen führt das LfV informiert und Handlungsempfehlungen Sachsen im Rahmen seiner öffentlichen gegeben. Berichterstattung durch? ❙❙ die Information kommunaler Verant- Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über wortungsträger verfassungsfeindliche Bestrebungen und In Beratungsgesprächen informiert das LfV Tätigkeiten gehört zu den gesetzlichen Aufga- Sachsen kommunale Entscheidungsträger ben des Verfassungsschutzes. Sie stellt einen über regionale extremistische Bestrebun- wichtigen Präventionsbeitrag dar und soll die gen und Aktivitäten, damit Gegenstrategien gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem entwickelt werden können. Extremismus fördern. Denn nur informierte Bürgerinnen und Bürger können sich aktiv für ❙❙ das „Forum starke Demokratie“ Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Ziel des organisatorisch beim LfV angesie- einsetzen. delten Forums ist die Unterstützung vor Die breite Öffentlichkeitsarbeit des LfV Sach- allem örtlicher staatlicher und kommunaler sen umfasst deshalb vielfältige Maßnahmen, Entscheidungsträger bei der Bekämpfung die für die Bedarfsträger kostenfrei sind. Dazu des Extremismus. Sie sollen in die Lage ver- zählen: setzt werden, extremistische Bestrebungen frühzeitig und möglichst sicher zu erkennen und die rechtlich und tatsächlich möglichen und gebotenen Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Zudem will das Forum die engere

V. Verfassungsschutz | 309 Zusammenarbeit von staatlichen bzw. kom- ❙❙ die Internetpräsentation munalen und nichtstaatlichen Trägern der Das Web-Angebot des LfV Sachsen unter Extremismusprävention fördern. der Adresse www.verfassungsschutz.sach- sen.de beinhaltet Informationen über die ❙❙ Fachtagungen Aufgaben und Befugnisse des Verfassungs- Das LfV Sachsen führt gemeinsam mit der schutzes sowie Mitteilungen zu aktuellen Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachverhalten aus den Beobachtungsfel- Brandenburg Fachtagungen zum Extremis- dern. Querverweise ermöglichen die Verbin- mus durch. Die Themen der beiden bisheri- dung zu Homepages anderer Verfassungs- gen Fachtagungen im August 2012 und im schutzbehörden. Außerdem können vom Januar 2013 lauteten: LfV Sachsen herausgegebene Broschüren – „Verfassungsfeinde und das Kapital – heruntergeladen oder online bestellt wer- Finanzströme im Rechtsextremismus“ den. Zudem besteht die Möglichkeit, per und E-Mail über [email protected]. – „Rechtsextremismus zwischen ,Mitte der sachsen.de Kontakt mit dem LfV Sachsen Gesellschaft‘ und Gegenkultur“. aufzunehmen. Referenten aus Sicherheitsbehörden, Wis- senschaft und Medien diskutierten diese ❙❙ die Pressearbeit Themen mit jeweils über 170 Gästen aus Die Information der Öffentlichkeit über Politik und Landesverwaltungen, Ver- extremistische Bestrebungen erfolgt zudem fassungsschutz, Polizei, Vertretern der über die Medien. Kommunen und Landkreise sowie zivilge- sellschaftlichen Institutionen. Die Fach- ❙❙ die Ausstellung „In guter Verfassung“413 tagungen dienen darüber hinaus auch der Die gemeinsam mit der Sächsischen Lan- weiteren Vernetzung der maßgeblichen deszentrale für politische Bildung erarbei- Akteure. tete interaktive Wanderausstellung richtet sich insbesondere an Jugendliche und an ❙❙ die Herausgabe von Broschüren Lehrpersonal. Sie beantwortet u. a. folgende Die präventive Aufklärung der Öffentlich- Fragen: Was bedeutet eigentlich „freiheitli- keit über den Extremismus erfolgt auch che demokratische Grundordnung? Was durch die Herausgabe entsprechender Pub- macht unsere Demokratie konkret aus.“ likationen, die teilweise in Zusammenarbeit Welche grundlegenden Elemente beinhaltet mit Verfassungsschutzbehörden anderer sie und wie schützt sie sich gegenüber den- Länder erstellt wurden. Die Publikationen jenigen, die sie beseitigen wollen? Die Aus- sind für Interessenten kostenlos. Sie kön- stellung bietet Lehrenden die Möglichkeit, nen als Broschüre bestellt oder im Internet Gemeinschaftskunde oder Politikunterricht heruntergeladen werden. erlebnisorientiert außerhalb von Klassen- oder Seminarräumen stattfinden zu lassen.

413 Die Inhalte der Ausstellung können auf der Internetseite www.verfassungsschutz.sachsen.de/igv.html abgerufen werden. 413 Die Inhalte der Ausstellung können auf der Internetseite www.verfassungsschutz.sachsen.de/igv.html abgerufen werden.

310 | V. Verfassungsschutz Wer kontrolliert das LfV Sachsen und rechtmäßig erhebt, verarbeitet oder über- welche Rechte haben Betroffene? mittelt. Jeder Bürger kann sich an den Datenschutz- Das Staatsministerium des Innern kontrol- beauftragten wenden, wenn er der Ansicht liert als Fachaufsichtsbehörde die Recht- und ist, das LfV Sachsen habe bei der Erhebung Zweckmäßigkeit der Aufgabenwahrnehmung und Verarbeitung seiner personenbezoge- durch das LfV Sachsen. Als Dienstaufsichtsbe- nen Daten seine Rechte verletzt. hörde wacht es zudem über den ordnungsge- mäßen Dienstbetrieb. ❙❙ den Sächsischen Rechnungshof Er kontrolliert die Verwendung der Haus- Darüber hinaus finden Kontrollen statt durch: haltsmittel des LfV Sachsen.

❙❙ die Parlamentarische Kontrollkommis- ❙❙ die Gerichte sion des Sächsischen Landtages Jeder Bürger hat das Recht, gegen Maßnah- Sie kontrolliert die Sächsische Staatsregie- men des LfV Sachsen bei Gericht zu klagen, rung hinsichtlich der Aufsicht des SMI über wenn er geltend macht, in seinen Rechten das LfV Sachsen und hinsichtlich dessen verletzt zu sein. Außerdem prüft ein Gericht Tätigkeit. die Zulässigkeit von Wohnraumüberwa- chungsmaßnahmen. ❙❙ die Kommission nach § 3 SächsAG G 10 (G 10-Kommission) des Sächsischen ❙❙ die Öffentlichkeit Landtages Durch die Medienberichterstattung wird die Diese Kommission prüft die Zulässigkeit und Tätigkeit des LfV Sachsen der Öffentlichkeit Notwendigkeit von Maßnahmen nach dem zugänglich gemacht und erfährt damit auch G 10, d. h. Maßnahmen der Brief-, Post- und deren Kontrolle. Telekommunikationsüberwachung. ❙❙ interne Prüfungen ❙❙ den Sächsischen Datenschutzbeauf- Auch im LfV Sachsen intern finden Kont- tragten rollen statt, so z. B. durch die Revision, den Er kontrolliert die Einhaltung der Vorschrif- behördlichen Datenschutzbeauftragten, ten über den Datenschutz. Er prüft, ob den G 10-Aufsichtsbeamten sowie den das LfV Sachsen personenbezogene Daten Behördlichen Beauftragten für den Haus- halt.

V. Verfassungsschutz | 311 2. Glossar der Verfassungsschutzbehörden

Anti-Antifa Antisemitismusvorwürfe gegen rivalisierende linksextremistische Gruppierungen hervor. Unter dem Begriff Anti-Antifa verfolgen Neo- nazis in Anlehnung an Terminologie und Vor- Antifa, „Autonome“ gehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten Der antifaschistische Kampf ist ein Hauptagita- über politische Gegner. Mit der Begriffswahl tionsfeld von „Autonomen”. Aus ihrer Sicht ist wollen sie verdeutlichen, dass ihr Handeln eine es geboten, den Kampf gegen Faschisten und Reaktion auf linksextremistische Aktivitäten Rassisten in die eigenen Hände zu nehmen. In darstellt und als solche auch militante Aktions- autonomen Publikationen und Stellungnahmen formen umfassen kann. Ihre Aktivitäten weisen wird für Gegenveranstaltungen zu rechtsex- bisher in der Regel einen propagandistischen tremistischen Kundgebungen geworben. Die Charakter auf und zielen vornehmlich auf die Agitation richtet sich auch gegen bestimmte Verunsicherung des Gegners ab. Als Gegner staatliche Einrichtungen oder ihre Repräsen- werden dabei auch Angehörige der Sicher- tanten. Darüber hinaus werden Adressen und heitsbehörden angesehen. Steckbriefe von politischen Gegnern veröffent- licht, die nicht selten mit der Aufforderung ver- Antideutsche bunden sind, diese Personen auch anzugreifen. Im Rahmen der antifaschistischen Selbsthilfe Anhänger einer antideutschen Ideologie bilden werden auch militante Aktionen befürwortet, eine Besonderheit innerhalb der gewaltbe- die sich in erster Linie gegen den politischen reiten linksextremistischen Szene und tragen Gegner, insbesondere tatsächliche oder ver- zu einer deutlichen Polarisierung im linksex- meintliche Nazis richten. Dadurch kommt es tremistischen Gefüge bei. Hauptbestandteil regelmäßig zu hohen Sachschäden, teilweise antideutscher Ideologie ist die bedingungslose aber auch zu Personenschäden. Solidarität mit der Politik des Staates Israels und dem jüdischen Volk. Antideutsche spre- Antifaschismus chen sich in Befürchtung eines neuerlichen, von Deutschland ausgehenden Holocaust für Antifaschismus als Begriff wird auch von eine massive Unterstützung des Staates Israels Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung und des Judentums aus und stehen oft positiv des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu zu den USA als deren Schutzmacht. Antideut- bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksex- sche befürchten ein Erstarken des deutschen tremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Nationalismus und ein großdeutsches „Viertes Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat Reich“, sie lehnen daher einen deutschen Natio- den Faschismus hervorbringe, zumindest aber nalstaat insgesamt ab. Im linksextremistischen toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus Umfeld treten Antideutsche verstärkt durch nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintli- che Rechtsextremisten, sondern immer auch

312 | V. Verfassungsschutz gegen den Staat und seine Vertreter, insbeson- Beziehungen der Bundesrepublik Deutsch- dere Angehörige der Sicherheitsbehörden. land zu diesen Staaten gefährden, ❙❙ sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Ausländerextremismus Völkerverständigung, insbesondere das fried- liche Zusammenleben der Völker, richten. Extremistische Ausländerorganisationen ver- folgen in Deutschland Ziele, die häufig durch „Autonome“ aktuelle Ereignisse und politische Entwicklun- gen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Kennzeichnend für die Bewegung der „Autono- men”, die über kein einheitliches ideologisches Dabei handelt es sich um linksextremistische Konzept verfügt, ist die Ablehnung staatlicher Organisationen, soweit sie in ihren Heimat- und gesellschaftlicher Normen und Zwänge, ländern ein sozialistisches bzw. kommunis- die Suche nach einem freien, selbstbestimmten tisches Herrschaftssystem anstreben oder Leben in herrschaftsfreien Räumen und der um nationalistische Organisationen, die ein Widerstand gegen den demokratischen Staat überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen und seine Institutionen, wobei Gewalt von Nation haben und die Rechte anderer Völker „Autonomen” grundsätzlich als Aktionsmittel missachten. Daneben gibt es separatistische (militante Politik) akzeptiert ist. „Autonome“ Organisationen, die eine Loslösung ihres Her- bilden den weitaus größten Anteil des gewalt- kunftsgebietes aus einem bereits bestehenden bereiten linksextremistischen Personenpoten- Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen zials. Staates verfolgen. Die größte von den Verfas- sungsschutzbehörden beobachtete ausländer- Das Selbstverständnis der heterogenen auto- extremistische Organisation in Deutschland ist nomen Bewegung ist geprägt von Anti-Ein- nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK stellungen (antikapitalistisch, antifaschistisch, bekannte „Arbeiterpartei Kurdistans“. antipatriarchal). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente (Klas- Derartige Organisationen unterliegen der senkampf, Revolution oder Imperialismus) Beobachtung durch die Verfassungsschutzbe- bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen hörden, wenn: Aktivitäten. Eine klassische Form autonomer ❙❙ sie sich gegen die freiheitliche demokra- Gewalt ist die so genannte Massenmilitanz. tische Grundordnung der Bundesrepublik Das sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen Deutschland richten, indem sie hier z. B. von Demonstrationen oder im Anschluss daran versuchen, eine ihren Grundsätzen entspre- entwickeln. Hierbei kommt es regelmäßig auch chende Parallelgesellschaft zu errichten, zu Gewaltexzessen. ❙❙ sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, Mit den Autonomen Nationalisten trat in den ❙❙ sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktio- letzten Jahren eine Strömung innerhalb des nen in anderen Staaten durchführen oder deutschen Neonationalsozialismus öffentlich- unterstützen und dadurch auswärtige keitswirksam in Erscheinung. Angehörige der

V. Verfassungsschutz | 313 Autonomen Nationalisten traten oft mit einem Verhaltensweisen in einem oder für einen Per- hohen Maß an Gewaltbereitschaft gegen Poli- sonenzusammenschluss, der darauf gerichtet zeibeamte und politische Gegner auf, dies ins- ist, die Freiheit des Bundes oder eines Lan- besondere bei öffentlichen Veranstaltungen, des von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre wo sich Autonome Nationalisten bisweilen staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm vermummt zu so genannten Schwarzen Blö- gehörendes Gebiet abzutrennen. cken zusammenschlossen. Zudem übernahmen sie in Teilen Stilelemente anderer Jugendsub- Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bun- kulturen und traten ähnlich gekleidet auf wie des oder eines Landes sind solche politisch militante Linksextremisten („Autonome“). bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Ver- Innerhalb der Neonazi-Szene waren Autonome haltensweisen in einem oder für einen Perso- Nationalisten vor allem wegen ihres öffentli- nenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, chen Erscheinungsbildes und ihrer Gewalt- den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in bereitschaft umstritten. In Sachsen traten ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beein- Autonome Nationalisten hauptsächlich als trächtigen. Aktionsform auf. In jüngerer Vergangenheit ist ein öffentlichkeitswirksames Auftreten von Bestrebungen gegen die freiheitliche demo- Autonomen Nationalisten im Freistaat Sachsen kratische Grundordnung sind solche politisch nicht mehr zu beobachten. bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Ver- haltensweisen in einem oder für einen Perso- Bestrebungen, extremistische nenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der zur freiheitlichen demokratischen Nach allgemeinem Sprachgebrauch sind Grundordnung zu zählenden Verfassungs- Bestrebungen alle auf ein Ziel gerichtete Akti- grundsätze zu beseitigen oder außer Geltung vitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne zu setzen. des Verfassungsschutzgesetzes sind Aktivitä- ten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Dazu in einem oder für einen Personenzusammen- gehören Vorbereitungshandlungen, Agitation schluss handeln, sind Bestrebungen, wenn sie und Gewaltakte. auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, Es ist zu unterscheiden zwischen ein Schutzgut des Bundesverfassungsschutz- ❙❙ Bestrebungen gegen den Bestand des Bun- gesetzes oder eines Landesverfassungsschutz- des oder eines Landes, gesetzes erheblich zu beschädigen. ❙❙ Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, Extremismus/Radikalismus ❙❙ Bestrebungen gegen die freiheitliche demo- kratische Grundordnung. Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen „Extremismus“ und „Radikalismus“, Bestrebungen gegen den Bestand des Bun- obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht des oder eines Landes sind solche politisch werden. Bei „Radikalismus“ handelt es sich bestimmten, ziel- und zweckgerichteten zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen

314 | V. Verfassungsschutz neigende Denk- und Handlungsweise, die „Freie Nationalisten/Freie Kräfte“ gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits von der Wurzel (lat. radix) her anpacken Das Konzept der „Freien Nationalisten” (bzw. will. Im Unterschied zum Extremismus sollen „Freie Kräfte“) wurde Mitte der 1990er Jahre jedoch weder der demokratische Verfassungs- von Neonazis als Reaktion auf die zahlrei- staat noch die damit verbundenen Grundprin- chen Vereinsverbote entwickelt. Ziel war es, zipien unserer Verfassungsordnung beseitigt die zersplitterte neonazistische Szene unter werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die Verzicht auf vereinsmäßige Strukturen (Orga- grundsätzliche Zweifel an der Struktur unse- nisierung ohne Organisation) zu bündeln, ihre rer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung Aktionsfähigkeit zu erhöhen und gleichzeitig äußern und sie von Grund auf verändern wol- Verbotsmaßnahmen zu verhindern. Ein Groß- len, noch keine Extremisten. Radikale politische teil der „Freien Nationalisten” sammelte sich Auffassungen haben in unserer pluralistischen in rechtsextremistischen Kameradschaften. Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Ab Mitte der 2000er Jahre setzte ein erneuter Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen Strukturwandel in der Kameradschaftsszene realisieren will, muss nicht befürchten, dass ein, der von einer weiteren Lockerung der er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, Organisationsstrukturen gekennzeichnet war. jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien Damit wurde das Ziel verfolgt, dem Staat noch unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als weniger Angriffsfläche zu bieten. So existieren extremistisch werden dagegen die Aktivitäten in Sachsen nur noch vereinzelt organisierte bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte und lediglich eine Struktur aufweisende „Freie der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Kräfte“.

Fanzine Freiheitliche demokratische Grundordnung

Der Begriff setzt sich aus den Worten Fan Damit ist nicht die Verfassung bzw. das Grund- und Magazine zusammen und bezeichnet in gesetz in seiner Gesamtheit gemeint, sondern der Regel subkulturelle Publikationen. In der die unabänderlichen obersten Wertprinzipien rechtsextremistischen Szene informieren diese als Kernbestand der Demokratie. Diese fun- Publikationen über Musikgruppen, Tonträger, damentalen Wertprinzipien bestimmen die Konzerte sowie sonstige Szeneveranstaltun- Gesetzgebung des Bundes und der Länder, so gen. Einzelpersonen und rechtsextremistische auch die Verfassungsschutzgesetze. Gruppierungen erhalten in Interviews Gele- genheit zur Selbstdarstellung und zur Ver- Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Ver- breitung ihres Gedankengutes. Das Medium fassungsprinzipien: verlor mit der Verlagerung der Kommunikation ❙❙ das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in in das Internet sehr stark an Bedeutung. Zwar Wahlen und Abstimmungen und durch erscheinen weiterhin Fanzines, herausgegeben Organe der Gesetzgebung und der Recht- von zumeist langjährigen Szeneangehörigen, sprechung auszuüben und die Volksvertre- diese Publikationen haben jedoch eher tradi- tung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, tionellen, nostalgischen Charakter, als dass sie gleicher und geheimer Wahl zu wählen, der Information breiter Szenekreise dienen.

V. Verfassungsschutz | 315 ❙❙ die Bindung der Gesetzgebung an die ver- aus. Dabei soll die Fachexpertise der Sicher- fassungsmäßige Ordnung und die Bindung heitsbehörden gebündelt und ein möglichst der vollziehenden Gewalt und der Recht- lückenloser Informationsfluss gewährleitet sprechung an Gesetz und Recht, werden. ❙❙ das Mehrparteienprinzip sowie das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamen- Gemeinsames Internetzentrum (GIZ) tarischen Opposition, ❙❙ die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Im GIZ beobachten seit 2007 sprachkundige Verantwortlichkeit gegenüber der Volksver- Experten der Sicherheitsbehörden des Bun- tretung, des und der Länder das Internet hinsichtlich ❙❙ die Unabhängigkeit der Gerichte, islamistischer und islamistisch-terroristischer ❙❙ der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkür- Inhalte. herrschaft, ❙❙ die Achtung der im Grundgesetz konkreti- Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum sierten Menschenrechte. (GTAZ)

Fremdenfeindlichkeit Das 2004 eingerichtete Gemeinsame Terroris- musabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin-Treptow Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen Men- mit einer Nachrichtendienstlichen Informa- schen, die sich durch Herkunft, Nationalität, tions- und Analysestelle (NIAS) sowie einer Religion oder Hautfarbe von der als „normal“ Polizeilichen Informations- und Analysestelle erachteten Umwelt unterscheiden. (PIAS) konzentriert die Experten für Terro- Die mit dieser Zuweisung typischerweise rismusabwehr der deutschen Sicherheits- verbundenen vermeintlich minderwertigen behörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Eigenschaften werden als Rechtfertigung für Verfassungsschutzbehörden des Bundes und einschlägige Straftaten missbraucht. Insbe- der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die sondere das rechtsextremistische Weltbild ist Landeskriminalämter und der Bundesnach- geprägt von einer Überbewertung ethnischer richtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teil- Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlich- nehmer sind Bundespolizei, Zollkriminalamt, keit resultiert. Militärischer Abschirmdienst (MAD), Bundes- amt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Gemeinsames Extremismus- und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) Abstimmung von Bewertungen und Maßnah- men bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten Das GETZ wurde im November 2012 zur mit Terrorismusbezug wird durch die dortige Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terro- Zusammenarbeit erleichtert und beschleunigt. rismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des Ausländerextremismus-terrorismus, der Islamismus Spionage sowie der Proliferation eingerichtet. Im Rahmen des Gremiums tauschen Sicher- Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine heitsbehörden von Bund und Ländern Informa- religiös motivierte Form des politischen Ext- tionen zu den genannten Phänomenbereichen remismus. Islamisten sehen in den Schriften

316 | V. Verfassungsschutz und Geboten des Islam nicht nur Regeln für Islamistischer Terrorismus die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamisti- Islamistischer Terrorismus ist der nachhaltig sche Staats- und Gesellschaftsordnung. Ein geführte Kampf für islamistische Ziele, die Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne Eigentum anderer Menschen durchgesetzt ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. werden sollen, insbesondere durch schwere Damit richten sich islamistische Bestrebungen Straftaten, wie sie in § 129 a Abs. 1 Strafge- gegen die Wertvorstellungen des Grundgeset- setzbuch (StGB) genannt sind, oder durch zes (GG), insbesondere gegen die freiheitliche andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher demokratische Grundordnung. Islamisten hal- Straftaten dienen. ten die Etablierung einer islamischen Gesell- schaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ord- Unter „Homegrown“-Terrorismus sind islamis- nung sollen letztlich sowohl Muslime als auch tische Strukturen oder Strukturansätze zu ver- Nicht-Muslime unterworfen werden. stehen, die sich aus radikalisierten Personen ab der zweiten Einwanderergeneration sowie radi- Islamistische Organisationen – mit Ausnahme kalisierten Konvertiten zusammensetzen. Die islamistisch-terroristischer Organisationen – Personen sind zumeist in europäischen Län- lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: dern geboren und/oder aufgewachsen, stehen ❙❙ Organisationen, die in ihren Herkunftslän- jedoch aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, dern die konsequente Umgestaltung der kultureller oder psychologischer Faktoren dem bestehenden Staats- und Gesellschaftsord- hiesigen Wertesystem ablehnend gegenüber nungen nach ihrem Verständnis der islami- und erachten die Errichtung einer islamisti- schen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. schen Gesellschaftsordnung für erstrebens- In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf wert. Gemeinsames Kennzeichen dieses Perso- propagandistischen Aktivitäten sowie der nenkreises ist, dass er von der pan-islamischen Sammlung von Spendengeldern, um die „al-Qaida“-Ideologie beeinflusst wird. Mutterorganisationen in den Herkunftslän- dern zu unterstützen. Lediglich ein sehr kleiner Teil zum Islam kon- ❙❙ Andere islamistische Gruppierungen in vertierter Personen macht sich islamistisches Deutschland verfolgen eine umfassendere, Gedankengut zu eigen und engagiert sich für auch politisch motivierte Strategie. Auch islamistische Ziele. Die Rolle von Konvertiten in sie streben eine Änderung der Staats- und islamistischen/islamistisch-terroristischen Struk- Gesellschaftsordnung in ihren Herkunfts- turen erklärt sich u. a. aus der Motivation, sich ländern zugunsten eines islamischen gegenüber Glaubensbrüdern als besonders gute Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch Muslime (hier: Islamisten) beweisen zu wollen. Sie im Rahmen einer legalistischen Strategie, weisen zudem aufgrund ihrer Kenntnis der west- ihren Anhängern in Deutschland größere lichen Gegebenheiten strategische Vorteile auf. Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen.

V. Verfassungsschutz | 317 Jihad auf die Teilnahme an rechtsextremistischen Konzerten. Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist ❙❙ Neonationalsozialistische „Kameradschaften” „Anstrengung“ oder „Bemühung“. Es gibt zwei Diese weisen klar erkennbare Führungs- Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemü- strukturen auf und sind stark politisch hung des Gläubigen um das richtige religiöse ausgerichtet. In ihren weltanschaulichen und moralische Verhalten gegenüber Gott Grundpositionen werden zunehmend anti- und den Mitmenschen (sogenannter großer kapitalistische Elemente sichtbar. Gefordert Jihad) oder der kämpferische Einsatz zur Ver- werden ein Nationaler Sozialismus und die teidigung oder Ausdehnung des islamischen Volksgemeinschaft. Darüber hinaus beste- Herrschaftsgebiets (so genannter kleiner hen auch kameradschaftsähnliche Struktu- Jihad). Von militanten Gruppen wird der Jihad ren, die in Sachsen u. a. unter wechselnden häufig als religiöse Legitimation für Terroran- Bezeichnungen wie „Freie Kräfte“, „Natio- schläge verwendet. Islamistische Terroristen nale Sozialisten” etc. in Erscheinung treten. führen unter dem Leitprinzip dieses Jihad ihren Dabei verwenden sie oft einen auf einen Ort gewalttätigen Kampf/„heiligen Krieg“ gegen oder eine Region hinweisenden Namenszu- die angeblichen Feinde des Islam. satz.

„Kameradschaften”, rechtsextremistische Linksextremismus (im Freistaat Sachsen) Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von Bei „Kameradschaften” handelt sich um Grup- Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für pierungen, die die alle oder einige der folgenden Merkmale ❙❙ einen abgegrenzten Aktivistenstamm mit charakteristisch sind: beabsichtigter geringer Fluktuation besitzen, ❙❙ Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als ❙❙ eine lediglich lokale oder maximal regionale wissenschaftliche Anleitung zum Handeln; Ausdehnung aufweisen, daneben, je nach Ausprägung der Partei ❙❙ eine zumindest rudimentäre Struktur besit- oder Gruppierung, Rückgriff auch auf The- zen und orien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, ❙❙ die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Mao und andere, Arbeit auf Basis einer rechtsextremisti- ❙❙ Bekenntnis zur sozialistischen oder kommu- schen, insbesondere neonationalsozialisti- nistischen Transformation der Gesellschaft schen Grundorientierung haben. mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Verände- Die „Kameradschaften” sind im Wesentlichen rungen, von zwei Formen bestimmt: ❙❙ Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats ❙❙ Subkulturell geprägte „Kameradschaften” oder zu einer herrschaftsfreien (anarchisti- Diese besitzen keine festen Führungs- schen) Gesellschaft, strukturen und sind von Spontaneität und ❙❙ Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als Aktionismus geprägt. Dementsprechend bevorzugte oder – je nach den konkreten beschränken sich ihre Aktivitäten haupt- Bedingungen – taktisch einzusetzende sächlich auf den regionalen Bereich und oft Kampfform.

318 | V. Verfassungsschutz Linksextremistische Parteien und Gruppierun- die Forderung nach einem autoritären „Füh- gen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen rerstaat“ unter Ausschaltung wesentlicher einteilen: Elemente demokratischer Gewaltenteilung. ❙❙ Dogmatische Marxisten-Leninisten und Abgrenzungskriterien zum subkulturell gepräg- sonstige revolutionäre Marxisten: In Par- ten Rechtsextremismus sind bei Neonational- teien oder anderen festgefügten Verei- sozialisten der stärker ausgeprägte Wille zur nigungen organisiert, verfolgen sie die politischen Arbeit sowie eine intensivere Aus- erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. einandersetzung mit inhaltlichen Aspekten des kommunistische Gesellschaftsordnung zu Weltbildes der „Neonationalsozialisten”. errichten, ❙❙ „Autonome“, „Anarchisten“ und sonstige Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Sozialrevolutionäre: In losen Zusammen- hängen, seltener in Parteien oder formalen Das Definitionssystem „Politisch motivierte Vereinigungen agierend, streben sie ein Kriminalität“ wurde zum 1. Januar 2001 einge- herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben führt. Erfasst werden alle Straftaten, die einen frei von jeglicher staatlicher Autorität an. oder mehrere Straftatbestände der sogenann- ten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen Mujahid sowie Straftaten, bei denen Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind. Die Als Mujahidin (Plural für: Kämpfer im Jihad) Daten werden im Polizeibereich erhoben und werden Islamisten bezeichnet, bei denen tat- zentral durch das Bundeskriminalamt unter sächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass verschiedenen Gesichtspunkten differenziert sie sich dargestellt. ❙❙ am „gewaltsamen Jihad“ selbst beteiligen oder beteiligt haben oder Die Straftaten werden folgenden Phänomen- ❙❙ für die Teilnahme am „gewaltsamen Jihad“ bereichen zugeordnet: ausbilden lassen oder bereits haben ausbil- ❙❙ Politisch motivierte Kriminalität – rechts, den lassen oder ❙❙ Politisch motivierte Kriminalität – links, ❙❙ am „gewaltsamen Jihad“ beteiligen werden, ❙❙ Politisch motivierte Ausländerkriminalität, z. B. auf Grund entsprechender Äußerungen. ❙❙ Sonstige politisch motivierte Straftaten mit Arabische Muslime verschiedener Nationalität extremistischem Hintergrund. stellen einen überproportional großen Teil der Mujahidin. Proliferation

Neonazismus/Neonationalsozialismus Als Proliferation bezeichnet man die Weiter- verbreitung von atomaren, biologischen oder Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf chemischen Massenvernichtungswaffen und die Weltanschauung des „Dritten Reiches” und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. macht diese zur Grundlage seiner politischen der zu deren Herstellung verwendeten Pro- Zielvorstellungen. Elementare Bestandteile dukte, einschließlich des dazu erforderlichen der neonationalsozialistischen Weltanschau- Know-how. ung sind Nationalismus und Rassismus sowie

V. Verfassungsschutz | 319 Rechtsextremismus Ziel einer ethnisch und politisch homogenen Gesellschaft durchzusetzen. Unter Rechtsextremismus werden Bestrebun- gen verstanden, die sich gegen die im Grund- Salafismus gesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Gel- Die salafistische Bewegung strebt eine Rück- tung der Menschenrechte ablehnen. Rechts- kehr zum Vorbild der „lauteren Vorfahren” extremisten sind Feinde des demokratischen (as-Salaf as-salih) und damit zu einem fiktiven Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres „Urislam” an. Zentrale Merkmale dieser Religi- Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung onsinterpretation sind die strikte Konzentra- nach einem nach dem Führerprinzip aufgebau- tion auf Koran und Prophetentradition (Sunna) ten Staatswesen ausgeprägt ist. Das rechts- als handlungsweisende Texte, die Ablehnung extremistische Weltbild ist geprägt von einer aller Neuerungen, die als unvereinbar mit dem Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus „wahren islamischen Geist” gelten, das unbe- der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei dingte Bekenntnis zur Einheit Gottes (Tauhid), herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit die Durchsetzung des religiösen Gesetzes zu einer Ethnie, Nation oder Rasse bestimme (Scharia) sowie eine Vielzahl an Kleidungs- und den Wert eines Menschen. Offener oder imma- Verhaltensvorschriften. nenter Bestandteil aller rechtsextremistischen Viele der dabei vertretenen Ansichten kolli- Bestrebungen ist zudem der Antisemitismus. dieren mit der freiheitlichen demokratischen Individuelle Rechte und gesellschaftliche Inte- Grundordnung. ressenvertretungen treten zugunsten kollekti- vistischer volksgemeinschaftlicher Konstrukte „Skinheads”, rechtsextremistische zurück (Antipluralismus). Rechtsextremistische „Skinheads” sind heute s. a. Autonome Nationalisten, Fanzine, „Kame- nur noch marginal Bestandteil des rechtsex- radschaften”, „Freie Nationalisten”/„Freie tremistischen Spektrums in Deutschland, ihr Kräfte“, Neonazismus/Neonationalsozialismus, Anteil und ihre Bedeutung sind im Vergleich „Skinheads” zu den 1990er Jahren deutlich zurückgegan- gen. Ihr Lebensstil ist subkulturell geprägt (s. Rechtsterrorismus auch Subkulturelle Rechtsextremisten). Das Erscheinungsbild der rechtsextremistischen Rechtsterrorismus ist die rechtsextremistisch „Skinheads” entspricht heute nicht mehr dem motivierte Form der Gewaltkriminalität, die eines typischen „Skinheads” in den 1980er und durch Androhung und Anwendung von Gewalt 1990er Jahren. gegen staatliche oder gesellschaftliche Funk- tionsträger oder durch Angriffe auf das Leben Spionage Unbeteiligter im Rahmen längerfristiger Stra- tegien das Ziel verfolgt, mit der Verbreitung Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nach- von Furcht und Schrecken bestehende Herr- richtendienst einer fremden Macht bezeich- schaftsverhältnisse zu erschüttern oder das net, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen

320 | V. Verfassungsschutz gerichtet ist. Die Beschaffung von Informa- mit dem Schlagwort „white power“ zusam- tionen, vor allem aus den Bereichen Politik, mengefasst. Die subkulturell geprägte rechts- Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt extremistische Szene zeichnet sich größtenteils zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und durch eine erhöhte Gewaltbereitschaft aus, Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundes- die maßgeblich zu den rechtsextremistischen republik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Straf- und Gewalttaten beiträgt. Strafbarkeit gemäß §§ 93 ff. StGB in Betracht. Jugendliche finden auch über die Zugehörig- keit zur rechtsextremistischen Subkultur und Spionageabwehr insbesondere über die für die Szene wich- tige rechtsextremistische Musik Zugang zu Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der einer nationalistischen, fremdenfeindlichen Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung und antisemitischen Gedankenwelt. Musik von Spionageaktivitäten fremder Nachrichten- spielt nicht nur für die subkulturell geprägte dienste. Dazu sammelt sie Informationen über rechtsextremistische Bewegung eine wichtige sicherheitsgefährdende oder geheimdienstli- identitätsstiftende Rolle. Texte von rechtsex- che Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in tremistischen Musikgruppen prägen weltan- der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie schauliche Vorstellungen, Konzerte haben eine aus, mit dem Ziel, Erkenntnisse über Struktur, bedeutende Rolle für den Zusammenhalt und Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichten- das Gemeinschaftsgefühl der Szene. Oft sind dienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nach- Musik und Konzerte Anknüpfungspunkte für richtendienste zu gewinnen. rechtsextremistische Parteien oder Neonazis, Die Spionageabwehr gehört gemäß § 3 Abs. 1 die hierüber versuchen, Jugendliche an ihre Nr. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerf- politischen Vorstellungen heranzuführen. SchG) zu den Aufgaben der Verfassungs- Weltweite Strömungen innerhalb der subkultu- schutzbehörden des Bundes und der Länder. rell geprägten rechtsextremistischen Szene mit einer szeneinternen Bedeutung sind Blood & Subkulturelle Rechtsextremisten Honour und die „“, beides rassis- tische Bewegungen, die ein elitäres Selbstver- Ihr Lebensstil ist subkulturell geprägt und ständnis pflegen. Vor allem Blood & Honour, häufig mehr auf Freizeitgestaltung als auf dessen deutscher Zweig, die Blood & Honour- politische Arbeit ausgerichtet. Auch verfügen Division Deutschland, im Jahr 2000 durch den die meisten subkulturell geprägten Rechtsex- Bundesinnenminister verboten wurde, trat in tremisten nicht über ein gefestigtes rechts- der Vergangenheit immer wieder durch die extremistisches Weltbild. Sie vertreten jedoch Organisation von rechtsextremistischen Kon- rechtsextremistische Anschauungen, die sich zerten in Erscheinung. in Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus zei- Terrorismus gen. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten stellen ihre Zugehörigkeit zur „weißen Rasse“ Terrorismus ist nach der Definition der Verfas- und deren angebliche Überlegenheit in den sungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Mittelpunkt und definieren ihre Feindbilder auf Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von diese Weise. Die rassistische Einstellung wird Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum

V. Verfassungsschutz | 321 anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten in § 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher freiheitliche demokratische Grundordnung Straftaten dienen. zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland Verfassungsfeindlich zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Par- tei die freiheitliche demokratische Ordnung Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere politische Aktivitäten, die gegen die verfas- Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr sungsmäßige Ordnung gerichtet sind und dar- eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung auf abzielen, die freiheitliche demokratische gegenüber der bestehenden verfassungsmäßi- Grundordnung zu beseitigen. gen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser s. a. verfassungswidrig Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Ver- lauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Verfassungsschutzbehörden Wirtschaftsschutz Das BVerfSchG verpflichtet Bund und Länder, eigene Verfassungsschutzbehörden aufzu- Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maß- bauen. Der Bund kam dieser Pflicht durch nahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Errichtung des BfV am 7. November 1950 nach. Unternehmen und Forschungseinrichtungen Die Länder folgten alsbald. Auch in den neuen vor einem durch Spionage betriebenen Know- Bundesländern wurden nach der Wiederver- how-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch einigung Deutschlands schrittweise Behörden Rechts- und Linksextremisten, durch auslän- für Verfassungsschutz aufgebaut, so dass es dische Extremisten sowie durch islamistische nun 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz Terroristen dienen. in Deutschland gibt. Einige Länder errichteten eigenständige Verfassungsschutzbehörden, Wirtschaftsspionage andere wiesen die Aufgabe des nachrich- tendienstlichen Verfassungsschutzes einer Wirtschaftsspionage ist Teil der Spionage, Abteilung ihres Innenministeriums/-senats der die staatlich gelenkte oder gestützte, von zu. Hierfür gelten die jeweiligen Verfassungs- fremden Nachrichtendiensten ausgehende schutzgesetze der Länder. Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen beinhaltet. Verfassungswidrig Betreibt hingegen ein konkurrierendes Unter- nehmen eine private Ausforschung, handelt Umgangssprachlich häufig synonym mit „ver- es sich um Konkurrenzausspähung, die häufig fassungsfeindlich“ zu finden. auch Industriespionage genannt wird. In den Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutz- Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht behörden fällt ausschließlich die Wirtschafts- (Art. 21 Abs. 2 GG; §§ 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). spionage.

322 | V. Verfassungsschutz 3. Gesetze

Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen (Sächsisches Verfassungsschutzgesetz – SächsVSG)

Vom 16. Oktober 1992 Rechtsbereinigt mit Stand vom 31. Dezember 2013

Inhaltsübersicht § 11 Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an das Landesamt Erster Abschnitt: für Verfassungsschutz auf Ersuchen Organisation, Aufgaben und Befugnisse § 11a Informationsübermittlung durch des Verfassungsschutzes nicht-öffentliche Stellen an das Lan- § 1 Organisation, Zuständigkeit desamt für Verfassungsschutz auf § 2 Aufgaben Ersuchen § 3 Begriffsbestimmungen § 11b Weitere Informationsübermittlun- § 4 Allgemeine Befugnisse gen durch nicht-öffentliche Stellen § 5 Anwendung nachrichtendienstlicher an das Landesamt für Verfassungs- Mittel schutz auf Ersuchen § 5a Besondere Befugnisse § 12 Übermittlung personenbezogener Daten durch das Landesamt für Ver- Zweiter Abschnitt: fassungsschutz Datenschutzrechtliche Bestimmungen § 12a Übermittlung von nach § 5a erhobe- § 6 Speicherung, Veränderung und Nut- nen personenbezogenen Daten zung personenbezogener Daten § 13 Übermittlungsverbote § 7 Berichtigung, Löschung und Sper- § 14 Besondere Pflichten des Landesam- rung personenbezogener Daten tes für Verfassungsschutz § 7a Löschung von nach § 5a erhobenen § 15 Unterrichtung der Öffentlichkeit personenbezogenen Daten § 8 Errichtungsanordnung Vierter Abschnitt: § 9 Auskunft an Betroffene Parlamentarische Kontrolle, Einschränkung von Grundrechten Dritter Abschnitt: § 16 Parlamentarische Kontrollkommis- Übermittlungsvorschriften sion § 10 Informationsübermittlung an das § 17 Rechte der Parlamentarischen Kont- Landesamt für Verfassungsschutz rollkommission ohne Ersuchen § 18 Einschränkung von Grundrechten

V. Verfassungsschutz | 323 Fünfter Abschnitt: § 2 Schlussbestimmung Aufgaben § 19 Inkrafttreten (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungs- Der Sächsische Landtag hat am 17. Septem- schutz ist die Sammlung und Auswertung von ber 1992 das folgende Gesetz beschlossen: Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten Erster Abschnitt und Unterlagen über Organisation, Aufgaben und Befugnisse 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche des Verfassungsschutzes demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines § 1 Landes gerichtet sind oder eine ungesetz- Organisation, Zuständigkeit liche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder (1) Zum Schutz der freiheitlichen demokrati- eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele schen Grundordnung, des Bestandes und der haben, Sicherheit des Bundes und der Länder wird ein 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienst- Landesamt für Verfassungsschutz errichtet. Es liche Tätigkeiten im Geltungsbereich des untersteht als obere Landesbehörde unmittel- Grundgesetzes für eine fremde Macht, bar dem Staatsministerium des Innern. 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist Gewalt oder darauf gerichtete Vorberei- zuständig für tungshandlungen auswärtige Belange der 1. die Erfüllung der Aufgaben nach § 2 und Bundesrepublik Deutschland gefährden, 2. die Zusammenarbeit mit den anderen Län- 3a. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der dern und dem Bund in Angelegenheiten der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Nummer 1. Grundgesetzes), insbesondere das friedli- che Zusammenleben der Völker (Artikel 26 (3) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind, dürfen im Freistaat Sachsen nur im Einverneh- 4. fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der men, das Bundesamt für Verfassungsschutz Aufklärungs- und Abwehrdienste der ehe- nur im Benehmen mit dem Landesamt für Ver- maligen Deutschen Demokratischen Repu- fassungsschutz tätig werden. blik im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Sammlung und Auswertung von Informationen (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz und nach Satz 1 setzen im Einzelfall voraus, dass für Polizeibehörden oder Polizeidienststellen dür- Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Satz 1 Nrn. 1 fen einander nicht angegliedert werden. bis 4 tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.

(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Per- sonen, denen im öffentlichen Interesse

324 | V. Verfassungsschutz geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, (3) Die Mitwirkung des Landesamtes für Ver- Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut fassungsschutz nach Absatz 2 setzt voraus, werden, die Zugang dazu erhalten sollen dass Betroffene und andere in die Überprü- oder ihn sich verschaffen können, fung einbezogene Personen über Zweck und 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Perso- Verfahren der Überprüfung einschließlich der nen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen Verarbeitung der erhobenen Daten durch die von lebens- oder verteidigungswichtigen beteiligten Dienststellen unterrichtet werden. Einrichtungen beschäftigt sind oder werden Darüber hinaus ist im Falle der Einbeziehung sollen, anderer Personen in die Überprüfung deren 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen Einwilligung und im Falle weitergehender zum Schutz von im öffentlichen Interesse Ermittlungen die Einwilligung von Betroffe- geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, nen erforderlich. Die Sätze 1 und 2 gelten nur, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 4. auf Ersuchen der Einstellungsbehörden bei (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz der Überprüfung von Personen, die sich unterrichtet das Staatsministerium des Innern um Einstellung in den öffentlichen Dienst über seine Tätigkeit. bewerben, sowie auf Anforderung der Beschäftigungsbehörde bei der Überprü- § 3 fung von Beschäftigten im öffentlichen Begriffsbestimmungen Dienst, wenn der auf Tatsachen beruhende Verdacht besteht, dass sie gegen die Pflicht (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind zur Verfassungstreue verstoßen, 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bun- 5. auf Ersuchen der für Einbürgerung zustän- des oder eines Landes politisch bestimmte, digen Behörden bei der sicherheitsmäßigen ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen Überprüfung von Einbürgerungsbewerbern in einem oder für einen Personenzusam- sowie menschluss, der darauf gerichtet ist, die 6. bei Überprüfungen, soweit dies gesetzlich Freiheit des Bundes oder eines Landes von vorgesehen ist. fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staat- Die Mitwirkung des Landesamtes für Verfas- liche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm sungsschutz nach Satz 1 erfolgt in der Weise, gehörendes Gebiet abzutrennen; dass es eigenes Wissen oder bereits vorhande- 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bun- nes Wissen der für die Überprüfung zuständi- des oder eines Landes politisch bestimmte, gen Behörde oder sonstiger öffentlicher Stellen ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen auswertet. Die Befugnisse des Landesamtes für in einem oder für einen Personenzusammen- Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach schluss, der darauf gerichtet ist, Bund, Län- den Nummern 1 und 2 sind im Gesetz über die der oder deren Einrichtungen in ihrer Funkti- Voraussetzungen und das Verfahren von Sicher- onsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; heitsüberprüfungen im Freistaat Sachsen (Säch- 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche sisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz – Sächs- demokratische Grundordnung politisch SÜG) vom 19. Februar 2004 (SächsGVBl. S. 44), bestimmte, ziel- und zweckgerichtete in der jeweils geltenden Fassung, geregelt. Verhaltensweisen in einem oder für einen

V. Verfassungsschutz | 325 Personenzusammenschluss, der darauf § 4 gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genann- Allgemeine Befugnisse ten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Für einen Personenzusammenschluss handelt, die zur Erfüllung seiner Aufgaben nach § 2 wer ihn in seinen Bestrebungen aktiv sowie erforderlichen Informationen einschließlich ziel- und zweckgerichtet unterstützt. Verhal- personenbezogener Daten verarbeiten. Die tensweisen von Einzelpersonen, die nicht in Verarbeitung personenbezogener Daten rich- einem oder für einen Personenzusammen- tet sich nach den Vorschriften dieses Geset- schluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne zes und, soweit keine besonderen Regelungen dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von getroffen sind, nach den Vorschriften des Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wir- Gesetzes zum Schutz der informationellen kungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Selbstbestimmung im Freistaat Sachsen (Säch- Gesetzes erheblich zu beschädigen. sisches Datenschutzgesetz – SächsDSG) vom 25. August 2003 (SächsGVBl. S. 330), in der (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grund- jeweils geltenden Fassung. ordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in (2) Werden personenbezogene Daten bei Wahlen und Abstimmungen und durch Betroffenen mit ihrer Kenntnis erhoben, so ist besondere Organe der Gesetzgebung, der der Erhebungszweck anzugeben. Betroffene vollziehenden Gewalt und der Rechtspre- sind auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben und bei chung auszuüben und die Volksvertretun- einer Sicherheitsüberprüfung nach § 2 Abs. 2 gen in allgemeiner, unmittelbarer, freier, Nrn. 1, 2 und 4 auf eine dienst-, arbeitsrecht- gleicher und geheimer Wahl zu wählen; liche oder sonstige vertragliche Mitwirkungs- 2. die Bindung der Gesetzgebung an die ver- pflicht hinzuweisen. fassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Recht- (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbe- sprechung an Gesetz und Recht; fugnisse gegenüber anderen Behörden und 3. das Mehrparteienprinzip sowie das Recht Dienststellen stehen dem Landesamt für Ver- auf Bildung und Ausübung einer parlamen- fassungsschutz nicht zu. Es darf die Polizei tarischen Opposition; auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maß- 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre nahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht Verantwortlichkeit gegenüber der Volksver- befugt ist. tretung; 5. die Unabhängigkeit der Gerichte; (4) Von mehreren geeigneten Maßnahmen hat 6. der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkür- das Landesamt für Verfassungsschutz dieje- herrschaft und nige zu wählen, die Betroffene voraussichtlich 7. die im Grundgesetz konkretisierten Men- am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme schenrechte. darf keinen Nachteil herbeiführen, der erkenn- bar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.

326 | V. Verfassungsschutz § 5 Anwendung eines nachrichtendienstlichen Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel Mittels darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachver- (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, halts stehen. Die Maßnahme ist unverzüglich insbesondere unter Beachtung des § 4 Abs. 4, zu beenden, wenn der Zweck erreicht ist oder Methoden, Gegenstände und Instrumente zur sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er heimlichen Informationsbeschaffung, wie den nicht oder nicht auf diese Weise erreicht wer- Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährs- den kann. personen, Observationen, Bild- und Tonauf- zeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen (3) Wird der verdeckte Einsatz technischer (nachrichtendienstliche Mittel) anwenden. Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen Diese sind in einer Dienstvorschrift zu benen- oder -aufzeichnungen oder zum Abhören und nen, die auch die Zuständigkeit für die Anord- Aufzeichnen des gesprochenen Wortes oder nung solcher Informationsbeschaffungen der Einsatz eines Verfassungsschutzbedienste- regelt. Die Dienstvorschrift bedarf der Zustim- ten, der unter einer ihm verliehenen, auf Dauer mung des Staatsministeriums des Innern und angelegten, veränderten Identität ermittelt, der Parlamentarischen Kontrollkommission. zur Erfüllung von Aufgaben nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 länger als 72 Stunden dauern, ist (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf dies unverzüglich der Parlamentarischen Kont- personenbezogene Daten und sonstige Infor- rollkommission anzuzeigen. mationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte (4) Die Zulässigkeit von Maßnahmen nach dem dafür vorhanden sind, dass Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestre- Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz – bungen oder Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1 G 10) vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), oder die zur Erforschung solcher Erkennt- zuletzt geändert durch Artikel 3 Abs. 1 des nisse erforderlichen Quellen gewonnen Gesetzes vom 11. Februar 2005 (BGBl. I S. 239, werden können oder 241), in der jeweils geltenden Fassung, bleibt 2. dies zum Schutz oder zur Abschirmung von unberührt. Mitarbeitern, Einrichtungen, Gegenständen und Quellen des Landesamtes für Verfas- (5) aufgehoben sungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erfor- . derlich ist. . Die Erhebung nach Satz 1 ist unzulässig, wenn (11) aufgehoben die Erforschung des Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende (12) Nachrichtendienstliche Mittel, die sich Weise möglich ist. Eine geringere Beeinträch- gezielt gegen einen Abgeordneten des Säch- tigung ist insbesondere dann anzunehmen, sischen Landtages richten, dürfen nur ange- wenn die Information aus allgemein zugäng- wandt werden, wenn sie zuvor vom Präsiden- lichen Quellen oder durch Auskünfte nach ten des Landtages genehmigt worden sind. §§ 11 oder 11a gewonnen werden kann. Die

V. Verfassungsschutz | 327 § 5a Regel nicht dem Kernbereich privater Lebens- Besondere Befugnisse gestaltung zuzurechnen.

(1) Der verdeckte Einsatz technischer Mittel (4) Die Maßnahme ist unverzüglich abzubre- zur Informationsgewinnung im Schutzbereich chen, wenn sich während der Überwachung des Artikels 13 des Grundgesetzes und des erste Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Äuße- Artikels 30 der Verfassung des Freistaates rungen oder Handlungen, die dem Kernbereich Sachsen> ist nur zulässig, wenn die materiel- privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, len Voraussetzungen für einen Eingriff in das erfasst werden. Im Zweifel ist unverzüg- Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nach lich eine gerichtliche Entscheidung über den § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 G 10 vorliegen und Abbruch der Maßnahme und eine Löschung der der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur bisher erhobenen Daten herbeizuführen. Das Abwehr einer dringenden Gefahr für die frei- anordnende Gericht ist über den Verlauf und heitliche demokratische Grundordnung oder die Ergebnisse der Maßnahme zu unterrichten. den Bestand oder die Sicherheit des Bundes Liegen die Voraussetzungen der Anordnung oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit nicht mehr vor, so hat das Gericht den Abbruch oder Freiheit einer Person oder für bedeutende der Maßnahme unverzüglich anzuordnen, fremde Sach- oder Vermögenswerte erforder- sofern das Landesamt für Verfassungsschutz lich ist und die Erforschung des Sachverhalts die Maßnahme nicht bereits abgebrochen hat. auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. (5) Erkenntnisse über Äußerungen oder Hand- lungen, die dem Kernbereich privater Lebens- (2) Die Maßnahme darf sich nur gegen den gestaltung zuzurechnen sind, dürfen nicht Betroffenen richten und nur in Wohnungen verwertet werden. Soweit ein Verwertungs- des Betroffenen durchgeführt werden. In Woh- verbot in Betracht kommt, hat das Landes- nungen anderer Personen ist die Maßnahme amt für Verfassungsschutz unverzüglich eine nur zulässig, wenn aufgrund tatsächlicher Entscheidung des anordnenden Gerichts über Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sich der die Verwertbarkeit der erlangten Erkenntnisse Betroffene dort aufhält und die Maßnahme in herbeizuführen. Wohnungen des Betroffenen allein nicht zur Erforschung des Sachverhalts führen würde. (6) Die durch Maßnahmen nach Absatz 1 erho- benen Daten sind dergestalt zu kennzeichnen, (3) Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, dass jederzeit erkennbar bleibt, aus welchen wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte, Eingriffen sie stammen. Sie dürfen durch das insbesondere zu der Art der zu überwachen- Landesamt für Verfassungsschutz zu keinen den Räume und dem Verhältnis der zu über- anderen Zwecken als der Sammlung und Aus- wachenden Personen zueinander, anzunehmen wertung von Informationen über Bestrebungen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen und Tätigkeiten, auf die Absatz 1 Anwendung oder Handlungen, die dem Kernbereich priva- findet, weiter verarbeitet werden. Eine Über- ter Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht mittlung darf nur unter den Voraussetzungen erfasst werden. Gespräche oder Handlungen von § 12a erfolgen. in Betriebs- oder Geschäftsräumen sind in der

328 | V. Verfassungsschutz (7) In den Fällen des § 53 StPO ist eine Maß- (9) In der schriftlichen Anordnung sind anzu- nahme nach Absatz 1 unzulässig. Ergibt sich geben: während oder nach der Durchführung einer 1. soweit bekannt, der Name und die Anschrift Maßnahme nach Absatz 1, dass ein Fall des des Betroffenen, gegen den sich die Maß- § 53 StPO vorliegt, gelten Absatz 4 Satz 1, nahme richtet, Absatz 5 Satz 1 und § 7a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 2. die tatsächlichen Anhaltspunkte für entsprechend. In den Fällen der §§ 52 und 53a Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 2 StPO dürfen aus einer Maßnahme nach Abs. 1, aufgrund derer die Maßnahme nach Absatz 1 gewonnene Erkenntnisse nur ver- Absatz 1 angeordnet wird, wendet werden, wenn dies unter Berücksich- 3. die zu überwachende Wohnung oder die zu tigung der Bedeutung des zugrunde liegenden überwachenden Wohnräume, Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis 4. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme, zum Interesse an der Erforschung des Sachver- 5. die Erwartungen an die zu erhebenden halts steht. Informationen. In der Begründung der Anordnung oder Ver- (8) Auf Antrag des Landesamtes für Ver- längerung sind deren Voraussetzungen und die fassungsschutz trifft die in § 74a Abs. 4 des wesentlichen Abwägungsgesichtspunkte dar- Gerichtsverfassungsgesetzes genannte Kam- zulegen. Insbesondere sind anzugeben: mer des Landgerichts, in dessen Bezirk das 1. die tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestre- Landesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz bungen oder Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1, hat, die Entscheidung über die Anordnung der 2. die wesentlichen Erwägungen zur Erforder- Maßnahme nach Absatz 1. Die Maßnahme ist lichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maß- auf höchstens drei Monate zu befristen und nahme, kann um jeweils nicht mehr als drei Monate 3. die tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne verlängert werden. Für das Verfahren gelten des Absatzes 3 Satz 1. die Vorschriften des Gesetzes über die Ange- legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in (10) Die Betroffenen sind von den nach der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungs- Absatz 1 durchgeführten Maßnahmen zu nummer 315-1, veröffentlichten bereinigten unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 4c des Zwecks der Maßnahme, im Fall des Absatzes 11 Gesetzes vom 22. September 2005 (BGBl. I ohne Gefährdung der für den Verfassungs- S. 2809, 2819), in der jeweils geltenden Fas- schutz tätigen Person, geschehen kann. Die sung, entsprechend. Die Entscheidung des Mitteilung obliegt dem Landesamt für Verfas- Gerichts ergeht ohne vorherige Anhörung des sungsschutz. Sind Daten aus Maßnahmen nach Betroffenen und bedarf zu ihrer Wirksamkeit Absatz 1 an Dritte übermittelt worden, erfolgt nicht der Bekanntmachung an ihn. Gegen die die Mitteilung im Benehmen mit dem Empfän- Entscheidung ist die sofortige Beschwerde ger. Betroffene im Sinne des Satzes 1 sind: statthaft. Bei Gefahr im Verzug kann die 1. Betroffene, gegen die sich die Maßnahme Anordnung auch durch den Vorsitzenden nach § 5a richtet, getroffen werden. Dessen Anordnung tritt 2. Inhaber und Bewohner der Wohnung, in der außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen die Maßnahmen durchgeführt worden sind, von der Kammer bestätigt wird. 3. sonstige überwachte Personen.

V. Verfassungsschutz | 329 Eine Unterrichtung von Betroffenen nach Zweiter Abschnitt Satz 4 Nr. 2 und 3 unterbleibt, wenn überwie- Datenschutzrechtliche Bestimmungen gende schutzwürdige Belange anderer Betrof- fener entgegenstehen oder die Identität von § 6 Betroffenen nach Satz 4 Nr. 2 und 3 nur mit Speicherung, Veränderung und unverhältnismäßigem Aufwand ermittelt wer- Nutzung personenbezogener Daten den könnte. Erfolgt die Benachrichtigung nicht binnen sechs Monaten nach Beendigung der (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Maßnahme, bedarf die weitere Zurückstellung zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezo- der gerichtlichen Zustimmung. Die gerichtliche gene Daten speichern, verändern und nutzen, Entscheidung ist vorbehaltlich einer anderen wenn gerichtlichen Anordnung jeweils nach einem 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen Jahr erneut einzuholen. oder Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung (11) Das Landesamt für Verfassungsschutz von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 2 darf den verdeckten Einsatz technischer Mittel Abs. 1 erforderlich ist oder nach Absatz 1 ausschließlich zur Abwehr von 3. das Landesamt für Verfassungsschutz nach Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit § 2 Abs. 2 tätig werden wird. der bei einem Einsatz in Wohnungen für den Verfassungsschutz tätigen Person anordnen. (2) Zur Aufgabenerfüllung nach § 2 Abs. 2 Eine weitere Verarbeitung der hierbei erhobe- dürfen vorbehaltlich des Satzes 2 in automa- nen Daten, insbesondere eine Übermittlung tisierten Dateien nur Daten über die Personen nach § 12a, ist nur zulässig, wenn die Recht- gespeichert werden, die der Sicherheitsüber- mäßigkeit der Maßnahme nach Maßgabe von prüfung unterliegen oder in die Sicherheits- Satz 1 und Absatz 1 zuvor gerichtlich festge- überprüfung einbezogen werden. Zur Erledi- stellt worden ist; bei Gefahr im Verzug ist die gung von Aufgaben nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 und 5 gerichtliche Entscheidung unverzüglich nach- dürfen in automatisierten Dateien nur Daten zuholen. In diesen Fällen gelten die Absätze 5 solcher Personen erfasst werden, über die bis 7 und 10 entsprechend. bereits Erkenntnisse nach § 2 Abs. 1 vorliegen. Bei der Speicherung in Dateien muss erkennbar (12) Auch nach Erledigung einer in den Absät- sein, welcher der in § 2 Abs. 1 und 2 genannten zen 1 und 11 genannten Maßnahme können Personengruppe Betroffene zuzuordnen sind. Betroffene binnen vier Wochen nach ihrer Benachrichtigung die Überprüfung der Recht- (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz mäßigkeit der Anordnung sowie der Art und hat die Speicherungsdauer auf das für seine Weise des Vollzugs beantragen. Über den Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu Antrag entscheidet das Gericht, das über die beschränken. Anordnung der Maßnahme entschieden hat. Gegen die Entscheidung ist die sofortige (4) Personenbezogene Daten über das Ver- Beschwerde statthaft. halten einer Person vor Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen nicht gespeichert werden. Personenbezogene Daten über das

330 | V. Verfassungsschutz Verhalten einer Person nach Vollendung des ob in Dateien gespeicherte personenbezogene 14. und vor Vollendung des 16. Lebensjahres Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. sind zwei Jahre nach dem Verhalten zu löschen, Gespeicherte personenbezogene Daten über es sei denn, dass weitere Erkenntnisse im Sinne Bestrebungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 sind spä- des § 2 Abs. 1 Nr. 1 angefallen sind. Perso- testens 10 Jahre, über Bestrebungen nach § 2 nenbezogene Daten über das Verhalten einer Abs. 1 Nr. 3 und 3a spätestens 15 Jahre nach Person nach Vollendung des 16. und vor Voll- dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten rele- endung des 18. Lebensjahres sind zwei Jahre vanten Information zu löschen, es sei denn, der nach dem Verhalten auf die Erforderlichkeit Präsident des Landesamtes für Verfassungs- der Speicherung in Dateien zu überprüfen und schutz oder sein Vertreter stellt fest, dass die spätestens fünf Jahre nach dem Verhalten zu weitere Speicherung zur Aufgabenerfüllung löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse oder aus den in Absatz 2 Satz 2 genannten im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 über ein Verhalten Gründen erforderlich ist. nach Eintritt der Volljährigkeit angefallen sind. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat § 7 die nicht in Dateien gespeicherten personen- Berichtigung, Löschung und bezogenen Daten gemäß Absatz 2 zu löschen. Sperrung personenbezogener Daten Die Löschung ist zu dokumentieren. Die Daten sind zu sperren, wenn die Löschung wegen der (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat besonderen Art der Speicherung nicht oder nur die in Akten oder Dateien gespeicherten perso- mit unverhältnismäßig hohem Aufwand mög- nenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie lich ist. Gesperrte Daten sind mit einem entspre- unrichtig sind; in Akten ist dies zu vermerken. chenden Vermerk zu versehen. Sie dürfen nicht Wird die Richtigkeit der Daten von Betroffenen mehr genutzt oder übermittelt werden. Eine bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre oder auf sonstige Weise festzuhalten. Voraussetzungen nachträglich entfallen.

(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat (5) Für die Archivierung gelten die Vorschriften die in Dateien gespeicherten personenbezo- des Archivgesetzes für den Freistaat Sachsen genen Daten zu löschen, wenn ihre Speiche- vom 17. Mai 1993 (SächsGVBl. S. 449), zuletzt rung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. 25. Juni 1999 (SächsGVBl. S. 398), in der jeweils Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der geltenden Fassung. Annahme besteht, dass durch sie schutzwür- dige Belange der Betroffenen beeinträchtigt § 7a würden. In diesem Fall sind die Daten zu sper- Löschung von nach § 5a ren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der erhobenen personenbezogenen Daten Betroffenen übermittelt werden. (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft personenbezogene Daten, die durch eine Maß- bei der Einzelfallbearbeitung und nach festge- nahme nach § 5a erhoben wurden, unverzüg- setzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, lich zu löschen,

V. Verfassungsschutz | 331 1. wenn Äußerungen oder Handlungen, die 3. Voraussetzungen der Speicherung, Über- dem Kernbereich privater Lebensgestaltung mittlung und Nutzung (betroffener Perso- zuzurechnen sind, erfasst wurden, nenkreis, Art der Daten), 2. wenn die Daten für die in § 5a Abs. 6 Satz 2 4. Anlieferung oder Eingabe, genannten Zwecke nicht mehr erforderlich 5. Zugangsberechtigung, sind; soweit die Daten für eine gerichtliche 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer Überprüfung nach § 5a Abs. 12 von Bedeu- und tung sein können, ist die Löschung der 7. Protokollierung. Daten zurückzustellen, sie sind zu sperren Die Zugangsberechtigung nach Satz 1 Nr. 5 ist und dürfen nur zu diesem Zweck verwendet auf Personen zu beschränken, die die Daten zur werden. Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz Im Falle von Satz 1 Nr. 2 hat die Prüfung der benötigen. Die Errichtungsanordnung bedarf Erforderlichkeit der Datenspeicherung unver- der Zustimmung des Staatsministeriums des züglich nach ihrer Erhebung und sodann in Innern. Abständen von höchstens sechs Monaten zu erfolgen. Die Erhebung und Löschung der (2) Vor Erlass und vor wesentlichen Änderun- Daten ist zu dokumentieren. gen der Errichtungsanordnung ist der Sächsi- sche Datenschutzbeauftragte zu hören. (2) Im Falle der Datenübermittlung nach § 12a prüft der Empfänger unverzüglich und sodann (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in Abständen von höchstens sechs Monaten, in angemessenen Abständen die Erforderlich- ob die Daten für die Zwecke, zu deren Erfüllung keit der Weiterführung oder Änderung der sie ihm übermittelt worden sind, noch erfor- Dateien zu überprüfen. derlich sind. Sind die Daten für die bestimmten Zwecke nicht mehr erforderlich, gilt Absatz 1 § 9 Satz 1 Nr. 2 entsprechend. Die Löschung ist zu Auskunft an Betroffene dokumentieren. Der Empfänger unterrichtet das Landesamt für Verfassungsschutz unver- (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz züglich über die erfolgte Löschung. erteilt Betroffenen über die zu ihrer Person gespeicherten Daten auf Antrag unentgelt- § 8 lich Auskunft. Die Auskunftsverpflichtung Errichtungsanordnung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. (1) Für jede beim Landesamt für Verfassungs- schutz zur Erfüllung seiner in § 2 genannten (1a) Auskunft aus Akten, die nicht zur Person Aufgaben einzurichtende automatisierte Datei, des Betroffenen geführt werden, wird erteilt, in der personenbezogene Daten verarbeitet soweit der Betroffene Angaben macht, die werden, sind in einer Errichtungsanordnung das Auffinden der Akten ermöglichen und festzulegen: der für die Erteilung der Auskunft erforderli- 1. Bezeichnung der Datei, che Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem 2. Zweck der Datei, vom Betroffenen geltend gemachten Infor- mationsinteresse steht. Satz 1 findet auf

332 | V. Verfassungsschutz personenbezogene Daten in nicht-automati- zulassen, sofern dieses nicht einer weiterge- sierten Dateien, die nicht zur Übermittlung an henden Auskunft zustimmt. Dritte bestimmt sind, entsprechende Anwen- dung. Dritter Abschnitt Übermittlungsvorschriften (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung § 10 durch die Auskunftserteilung zu besorgen Informationsübermittlung an das ist, Landesamt für Verfassungsschutz ohne 2. durch die Auskunftserteilung nachrichten- Ersuchen dienstliche Zugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstan- (1) Die Behörden und Gerichte des Freistaa- des oder der Arbeitsweise des Landesamtes tes Sachsen, die Gemeinden, Landkreise und für Verfassungsschutz zu befürchten ist, sonstigen der Aufsicht des Freistaates Sach- 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit sen unterstehenden juristischen Personen des gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes öffentlichen Rechts übermitteln von sich aus oder eines Landes Nachteile bereiten würde dem Landesamt für Verfassungsschutz die oder ihnen bekannt gewordenen personenbezoge- 4. die Daten oder die Tatsache der Speiche- nen Daten und sonstigen Informationen, wenn rung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, Wesen nach, insbesondere wegen der über- dass die Informationen zur Wahrnehmung von wiegenden berechtigten Interessen eines Aufgaben nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 oder zur Beob- Dritten, geheimgehalten werden müssen. achtung von Bestrebungen erforderlich sind, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der in § 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 3a genannten Schutz- Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet güter gerichtet sind. würde. Die Gründe für die Auskunftsverwei- gerung sind aktenkundig zu machen. Wird die (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbe- Auskunftserteilung abgelehnt, sind Betroffene haltlich der staatsanwaltschaftlichen Sach- auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der leitungsbefugnis, die Polizeidienststellen Begründung und darauf hinzuweisen, dass sie übermitteln darüber hinaus von sich aus dem sich an den Sächsischen Datenschutzbeauf- Landesamt für Verfassungsschutz auch alle tragten wenden können. Dem Datenschutz- anderen ihnen bekannt gewordenen personen- beauftragten ist auf sein Verlangen Auskunft bezogenen Daten und sonstigen Informatio- zu erteilen, soweit nicht das Staatsministerium nen über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach des Innern im Einzelfall feststellt, dass dadurch § 2 Abs. 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Sicherheit des Bundes oder eines Landes dafür bestehen, dass die Übermittlung für die gefährdet würde. Mitteilungen des Sächsi- Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für schen Datenschutzbeauftragten an Betroffene Verfassungsschutz erforderlich ist. dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnis- stand des Landesamtes für Verfassungsschutz

V. Verfassungsschutz | 333 § 11 einer Maßnahme nach § 100a der Strafpro- Informationsübermittlung durch zessordnung bekannt geworden sind, ist nur öffentliche Stellen an das Landesamt für zulässig, wenn tatsächlich Anhaltspunkte Verfassungsschutz auf Ersuchen dafür bestehen, dass jemand eine der in § 3 G 10 genannten Straftaten plant, begeht oder (1) Die in § 10 genannten öffentlichen Stellen begangen hat. Auf die dem Landesamt für haben dem Landesamt für Verfassungsschutz Verfassungsschutz nach Satz 1 übermittelten auf dessen Ersuchen die ihnen bei der Erfül- Unterlagen findet § 4 Abs. 1 und 2 Satz 3 G 10 lung ihrer Aufgaben bekannt gewordenen per- entsprechende Anwendung. sonenbezogenen Daten und Informationen zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte § 11a dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Informationsübermittlung durch nicht- Erfüllung der Aufgaben nach § 2 Abs. 1 oder öffentliche Stellen an das Landesamt für Abs. 2 erforderlich ist. Das Landesamt für Ver- Verfassungsschutz auf Ersuchen fassungsschutz hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. (1) Ein Ersuchen des Landesamtes für Verfas- sungsschutz um Übermittlung personenbezo- (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz gener Daten darf nur diejenigen personenbe- darf Akten anderer öffentlicher Stellen und zogenen Daten enthalten, die für die Erteilung amtliche Register unter den Voraussetzungen der Auskunft unerlässlich sind. Schutzwürdige des Absatzes 1 und vorbehaltlich der in § 13 Interessen des Betroffenen dürfen nur in unver- getroffenen Regelung einsehen, soweit dies zur meidbarem Umfang beeinträchtigt werden. Erfüllung von Aufgaben nach § 2 Abs. 1 und 2 oder zum Schutz von Mitarbeitern und Quellen (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen im Einzelfall bei Kreditinstituten, Finanzdienst- Gefahren für Leib und Leben erforderlich ist leistungsinstituten und Finanzunternehmen und die sonstige Übermittlung von Informa- unentgeltlich Auskünfte zu Konten, Kontenin- tionen aus den Akten oder den Registern den habern und sonstigen Berechtigten sowie wei- Zweck der Maßnahmen gefährden oder das teren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Persönlichkeitsrecht von Betroffenen unver- Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, hältnismäßig beeinträchtigen würde. Über die wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben nach Einsichtnahme nach Satz 1 hat das Landesamt § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3a erforderlich ist für Verfassungsschutz einen Nachweis zu füh- und tatsächliche Anhaltspunkte für schwer- ren, aus dem der Zweck und die Veranlassung, wiegende Gefahren für die dort genannten die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle Schutzgüter vorliegen. hervorgehen. Die Nachweise sind fünf Jahre gesondert aufzubewahren und gegen unge- (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz rechtfertigten Zugriff zu sichern und anschlie- darf im Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufga- ßend zu vernichten. ben nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3a unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 G 10 bei (3) Die Übermittlung personenbezogener Daten Personen und Unternehmen, die geschäfts- und sonstige Informationen, die aufgrund mäßig Postdienstleistungen erbringen, sowie

334 | V. Verfassungsschutz bei denjenigen, die an der Erbringung dieser 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindun- Dienstleistungen mitwirken, unentgeltlich gen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum Auskünfte zu Namen, Anschriften, Postfächern und Uhrzeit. und sonstigen Umständen des Postverkehrs einholen. (6) Auskünfte nach den Absätzen 2 bis 5 dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf ist durch den Präsidenten des Landesamtes im Einzelfall bei Luftfahrtunternehmen unent- für Verfassungsschutz, im Falle seiner Ver- geltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften und hinderung durch seinen Vertreter, schriftlich zur Inanspruchnahme von Transportleistungen zu stellen und zu begründen. Über den Antrag und sonstigen Umständen des Luftverkehrs entscheidet der Staatsminister des Innern, im einholen, wenn dies zur Erfüllung seiner Auf- Falle seiner Verhinderung sein Vertreter. gaben nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3a erfor- derlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte (7) Das Staatsministerium des Innern unterrichtet für schwerwiegende Gefahren für die dort die Kommission nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur genannten Schutzgüter vorliegen. Ausführung des Artikel 10-Gesetzes im Freistaat Sachsen (SächsAG G 10) vom 16. Oktober 1992 (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz (SächsGVBl. S. 464), geändert durch Artikel 2 darf im Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufga- des Gesetzes vom 15. August 2003 (SächsGVBl. ben nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3a unter S. 313, 317), über die gemäß Absatz 6 beschie- den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 G 10 bei denen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr im denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommu- Verzug darf das Staatsministerium des Innern nikationsdienste und Teledienste erbringen den Vollzug der Entscheidung bereits vor Unter- oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte richtung der Kommission anordnen. In diesen über Telekommunikationsverbindungsdaten Fällen ist die Unterrichtung innerhalb von zehn und Teledienstnutzungsdaten einholen. Die Tagen nachzuholen. Die Kommission prüft von Auskunft kann auch in Bezug auf zukünftige Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden Telekommunikation und zukünftige Nutzung die Zulässigkeit der Einholung von Auskünften. von Telediensten verlangt werden. Telekommu- Entscheidungen über Auskünfte, die die Kom- nikationsverbindungsdaten und Teledienstnut- mission für unzulässig oder für nicht notwendig zungsdaten sind: erklärt, hat das Staatsministerium des Innern 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, unverzüglich aufzuheben. Standortkennung sowie Rufnummern oder Kennung des anrufenden und angerufenen (8) § 2 Abs. 2 SächsAG G 10 ist mit der Maß- Anschlusses oder der Endeinrichtung, gabe entsprechend anzuwenden, dass die 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die Datum und Uhrzeit, gesamte Verarbeitung der nach Absatz 1 erho- 3. Angaben über die Art der vom Kunden in benen Daten erstreckt. Anspruch genommenen Telekommunika- tions- und Teledienst-Dienste, (9) Für die Verarbeitung der nach Absatz 1 erhobenen Daten ist § 4 G 10 entsprechend anzuwenden. Das Auskunftsersuchen und die

V. Verfassungsschutz | 335 übermittelten Daten dürfen dem Betroffenen gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung oder Dritten vom Auskunftsgeber nicht mitge- der geschützten Daten vorliegen. teilt werden. Für die Mitteilungen an Betrof- fene findet § 12 Abs. 1 und 3 G 10 entspre- (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch chende Anwendung. anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse ver- (10) Das Staatsministerium des Innern unter- langt werden (§ 113 Abs. 1 Satz 3 TKG). Für richtet die Parlamentarische Kontrollkommis- Auskunftsverlangen nach Satz 1 und Absatz 1 sion (§ 16) und das Parlamentarische Kon- Satz 2 gilt § 11a Abs. 6 Satz 1 und 2 sowie trollgremium des Bundes in Abständen von Abs. 7 bis 9 Satz 1 entsprechend mit der Maß- höchstens sechs Monaten über die nach den gabe, dass über den Antrag das Staatsministe- Absätzen 2 bis 5 durchgeführten Maßnah- rium des Innern entscheidet. men; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten (3) Die betroffene Person ist in den Fällen des der im Berichtszeitraum durchgeführten Maß- Absatzes 1 Satz 2 und des Absatzes 2 Satz 1 nahmen zu geben. durch das Landesamt für Verfassungsschutz von der Beauskunftung zu benachrichtigen. Die § 11b Benachrichtigung erfolgt, soweit und sobald Weitere Informationsübermittlungen eine Gefährdung des Zwecks der Auskunft und durch nicht-öffentliche Stellen an das der Eintritt übergreifender Nachteile für das Landesamt für Verfassungsschutz auf Wohl des Bundes oder eines Landes ausge- Ersuchen schlossen werden können. Wurden personenbe- zogene Daten an eine andere Stelle übermittelt, (1) Soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben erfolgt die Benachrichtigung im Benehmen mit des Landesamtes für Verfassungsschutz im dieser. Die Benachrichtigung unterbleibt, sofern Einzelfall erforderlich ist, darf von demje- einer der Hinderungsgründe in Satz 2 auch nach nigen, der geschäftsmäßig Telekommunika- fünf Jahren nach Beauskunftung nicht ausge- tionsdienste erbringt oder daran mitwirkt schlossen werden kann, er mit an Sicherheit (Diensteanbieter), Auskunft über die nach den grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft §§ 95 und 111 des Telekommunikationsgeset- nicht ausgeschlossen werden kann, und die zes (TKG) vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), Voraussetzungen für eine Löschung sowohl bei das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom der erhebenden Stelle als auch beim Empfänger 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154, 3200) geändert vorliegen. Die Benachrichtigung unterbleibt worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, auch, wenn ihr überwiegende schutzwürdige erhobenen Daten verlangt werden (§ 113 Abs. 1 Belange Dritter oder der betroffenen Person Satz 1 TKG). Bezieht sich das Auskunftsver- selbst entgegenstehen. Wird die Benachrich- langen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer tigung nach Satz 2 zurückgestellt oder nach der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speicher- Satz 4 oder Satz 5 von ihr abgesehen, sind die einrichtungen, die in diesen Endgeräten oder Gründe aktenkundig zu machen. hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 2 TKG), darf (4) Aufgrund eines Auskunftsverlangens nach die Auskunft nur verlangt werden, wenn die Absatz 1 oder 2 hat der Diensteanbieter die zur

336 | V. Verfassungsschutz Auskunftserteilung erforderlichen Daten unver- (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat züglich, vollständig und richtig zu übermitteln. der Staatsanwaltschaft und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefug- (5) Der Diensteanbieter erhält für Auskünfte nis, den Polizeidienststellen die ihm bekannt nach den Absätzen 1 und 2 eine Entschädigung, gewordenen personenbezogenen Daten zu deren Umfang sich nach § 23 und Anlage 3 des übermitteln, wenn im Rahmen seiner Aufga- Gesetzes über die Vergütung von Sachver- benerfüllung nach § 2 zureichende tatsächli- ständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, che Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die zur Verhinderung oder Verfolgung folgender Entschädigung von ehrenamtlichen Richterin- Straftaten erforderlich ist: nen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeu- 1. von Staatsschutzdelikten nach §§ 74a gen und Dritten (Justizvergütungs- und -ent- und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes schädigungsgesetz – JVEG) vom 5. Mai 2004 sowie von Straftaten, bei denen auf Grund (BGBl. I S. 718, 776), zuletzt geändert durch ihrer Zielsetzung, der Motive der Täter oder Artikel 7 des Gesetzes vom 23. Juli 2013 deren Verbindungen zu einer Organisation (BGBl. I S. 2586, 2681), in der jeweils gelten- zureichende tatsächliche Anhaltspunkte den Fassung, bemisst; die Vorschriften über dafür vorliegen, dass sie gegen die in Arti- die Verjährung in § 2 Abs. 1 und 4 JVEG finden kel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grund- entsprechende Anwendung. gesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind, und § 12 2. von Straftaten, die gegen das Leben oder Übermittlung personenbezogener in erheblichem Maße gegen die körperliche Daten durch das Landesamt für Unversehrtheit oder gegen Sach- und Ver- Verfassungsschutz mögenswerte von erheblicher Bedeutung gerichtet sind. (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Soweit die Daten Verwendungsbeschränkun- personenbezogene Daten an Behörden sowie gen unterliegen, hat das Landesamt für Ver- andere öffentliche Stellen übermitteln, wenn fassungsschutz die Daten zu kennzeichnen. dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforder- Die Kennzeichnung ist durch den Empfänger lich ist oder Empfänger die Daten zum Schutz aufrechtzuerhalten. der freiheitlichen demokratischen Grundord- nung oder sonst für Zwecke der öffentlichen (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz Sicherheit benötigen. Soweit die Daten Ver- darf personenbezogene Daten an andere als wendungsbeschränkungen unterliegen, hat das öffentliche Stellen nicht übermitteln, es sei Landesamt für Verfassungsschutz die Daten zu denn, dass dies zum Schutz der freiheitlichen kennzeichnen. Die Kennzeichnung ist durch den demokratischen Grundordnung, des Bestandes Empfänger aufrechtzuerhalten. Empfänger dür- oder der Sicherheit des Bundes oder eines Lan- fen die übermittelten Daten, soweit gesetzlich des, zur Abwehr sicherheitsgefährdender oder nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck geheimdienstlicher Tätigkeit für eine fremde verwenden, zu dem sie übermittelt wurden. Macht oder zur Gewährleistung der Sicherheit einer lebens- oder verteidigungswichtigen Ein- richtung nach § 1 Abs. 4 des Gesetzes über die

V. Verfassungsschutz | 337 Voraussetzungen und das Verfahren von Sicher- vorgenommene Verwendung der Daten zu heitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheits- bitten. überprüfungsgesetz – SÜG) vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867), zuletzt geändert durch Artikel 7 (5) Der Empfänger prüft, ob die übermittelten des Gesetzes vom 21. August 2002 (BGBl. I personenbezogenen Daten für die Erfüllung S. 3322, 3329), in der jeweils geltenden Fas- seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die sung, oder nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 SächsSÜG in Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, hat der jeweils geltenden Fassung erforderlich ist er die Unterlagen zu vernichten. Die Vernich- und der Staatsminister des Innern oder sein tung kann unterbleiben, wenn die Trennung Vertreter zugestimmt hat. Die Zustimmung kann von anderen Informationen, die zur Erfüllung auch für eine Mehrzahl gleichartiger, sachlich der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur zusammenhängender Fälle vorweg erteilt wer- mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in den. Sie ist nicht erforderlich für den Einsatz diesem Fall sind die Daten zu sperren. von Vertrauensleuten und Gewährspersonen. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die § 12a Übermittlung aktenkundig zu machen. Der Übermittlung von nach § 5a erhobenen Empfänger darf die übermittelten Daten nur zu personenbezogenen Daten dem Zweck verwenden, zu dem sie übermittelt wurden. Er ist verpflichtet, dem Landesamt für (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Verfassungsschutz auf Verlangen Auskunft über unter den Voraussetzungen des § 5a erhobene die vorgenommene Verwendung zu geben. Der personenbezogene Daten den in § 12 genann- Empfänger ist auf die Verpflichtungen nach den ten Behörden nur zur Abwehr einer im Einzelfall Sätzen 5 und 6 hinzuweisen. bestehenden Lebensgefahr oder einer dringen- den Gefahr für die freiheitliche demokratische (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit darf personenbezogene Daten an öffentliche des Bundes oder eines Landes, für Gesundheit Stellen außerhalb des Geltungsbereiches des oder Freiheit einer Person oder für herausra- Grundgesetzes sowie an über- und zwischen- gende Sach- oder Vermögenswerte übermitteln. staatliche Stellen übermitteln, wenn die Über- Für personenbezogene Daten nach § 5a Abs. 7 mittlung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder Satz 2 gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass es sich zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen um Gegenstände von bedeutendem Wert, die der des Empfängers erforderlich ist. Die Übermitt- Versorgung der Bevölkerung dienen, um Gegen- lung unterbleibt, wenn auswärtige Belange stände von kulturell herausragendem Wert oder der Bundesrepublik Deutschland, Belange der um die in § 305 StGB genannten Bauwerke han- Länder oder überwiegende schutzwürdige deln muss. Interessen von Betroffenen entgegenstehen. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. (2) Zur Verfolgung von Straftaten darf das Empfänger sind darauf hinzuweisen, dass die Landesamt für Verfassungsschutz unter den übermittelten Daten nur zu dem Zweck ver- Voraussetzungen des § 5a erhobene perso- wendet werden dürfen, zu dem sie übermittelt nenbezogene Daten den Staatsanwaltschaf- wurden, und das Landesamt für Verfassungs- ten und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen schutz sich vorbehält, um Auskunft über die Sachleitungsbefugnis, den Polizeidienststellen

338 | V. Verfassungsschutz nur übermitteln, soweit die Voraussetzungen (2) Informationen über Minderjährige vor des § 100c StPO vorliegen und für die Straftat Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen nach eine Höchststrafe von mehr als fünf Jahren den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an aus- Freiheitsstrafe angedroht wird. ländische oder über- oder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. (3) Die Übermittlung nach den Absätzen 1 und 2 ist nur zulässig, soweit § 14 1. sie zur Erfüllung der Aufgaben des Empfän- Besondere Pflichten des Landesamtes für gers erforderlich ist, Verfassungsschutz 2. nach eigenen Erkenntnissen des Landesam- tes für Verfassungsschutz ausgeschlossen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft werden kann, dass der Empfänger die Daten unverzüglich, ob die ihm nach den Vorschriften für andere Zwecke nutzt, dieses Gesetzes übermittelten personenbezo- 3. die bisherige Kennzeichnung der Daten auf- genen Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben rechterhalten bleibt, erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie 4. sichergestellt ist, dass der Empfänger § 7a nicht erforderlich sind, hat es die Unterlagen Abs. 2 entsprechend anwendet, und zu vernichten. Die Vernichtung kann unterblei- 5. die Übermittlung an ausländische Behörden ben, wenn die Trennung von anderen Informa- nur im Einvernehmen mit dem Bundesamt tionen, die zur Erfüllung der Aufgaben erfor- für Verfassungsschutz erfolgt. derlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist. In diesem Fall sind die § 13 Daten zu sperren. Übermittlungsverbote (2) Erweisen sich personenbezogene Daten, (1) Die Übermittlung von Informationen nach nachdem sie durch das Landesamt für Ver- den §§ 10, 11, 12 und 12a unterbleibt, wenn fassungsschutz übermittelt worden sind, als 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar unrichtig oder unvollständig, sind sie unver- ist, dass unter Berücksichtigung der Art züglich gegenüber dem Empfänger zu berich- der Informationen und ihrer Erhebung die tigen oder zu ergänzen, es sei denn, dass dies schutzwürdigen Interessen von Betroffenen für die Beurteilung eines Sachverhalts ohne das Allgemeininteresse an der Übermittlung Bedeutung ist. überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen oder § 15 überwiegende Belange der Strafverfolgung Unterrichtung der Öffentlichkeit dies erfordern oder 3. besondere gesetzliche Übermittlungsrege- Das Staatsministerium des Innern und das Lan- lungen entgegenstehen. desamt für Verfassungsschutz unterrichten die Die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkei- Geheimhaltungspflichten oder von Berufs- ten nach § 2 Abs. 1. Dabei dürfen personenbe- oder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht zogene Daten bekannt gegeben werden, wenn auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt dies für die Unterrichtung erforderlich ist und unberührt. die Informationsinteressen der Allgemeinheit

V. Verfassungsschutz | 339 das schutzwürdige Interesse des Betroffenen soweit personenbezogene Daten Gegenstand überwiegen. der Beratung sind, beteiligt werden; die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend. Satz 1 gilt nicht für Vierter Abschnitt die Bewertung aktueller Vorgänge, wenn die Parlamentarische Kontrolle, Einschränkung Mehrheit der Mitglieder der Parlamentarischen von Grundrechten Kontrollkommission ihre vorherige Zustim- mung erteilt hat. § 16 Parlamentarische Kontrollkommission (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus oder wird es Mitglied der (1) Die Sächsische Staatsregierung unterliegt Staatsregierung, endet auch seine Mitglied- hinsichtlich der Aufsicht des Staatsministeri- schaft in der Parlamentarischen Kontrollkom- ums des Innern über das Landesamt für Ver- mission. Für ein ausgeschiedenes Mitglied ist fassungsschutz und hinsichtlich der Tätigkeit unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen. des Landesamtes für Verfassungsschutz der Kontrolle durch die Parlamentarische Kontroll- (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission kommission des Sächsischen Landtages. „DIE übt ihre Tätigkeit auch nach Ablauf der Wahl- RECHTE“ des Landtages und seiner Ausschüsse periode des Landtages so lange aus, bis der bleiben unberührt. nachfolgende Landtag eine neue Parlamentari- sche Kontrollkommission gewählt hat. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn § 17 jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Rechte der Parlamentarischen Mitte einzeln mit der Mehrheit seiner Mitglie- Kontrollkommission der gewählt werden. Zwei Mitglieder müssen der parlamentarischen Opposition angehö- (1) Das Staatsministerium des Innern unter- ren. Die Parlamentarische Kontrollkommis- richtet die Parlamentarische Kontrollkommis- sion wählt einen Vorsitzenden und gibt sich sion umfassend über die allgemeine Tätigkeit eine Geschäftsordnung. Sie tritt mindestens des Landesamtes für Verfassungsschutz und zweimal jährlich zusammen. Die Einberufung über die Vorgänge von besonderer Bedeutung. und die Unterrichtung der Parlamentarischen Hierzu gehört auch die Unterrichtung über Kontrollkommission kann von mindestens zwei die nach § 5 Abs. 3 und § 5a Abs. 1 und 10 Mitgliedern verlangt werden. angeordneten Maßnahmen und die nach § 5a Abs. 9 getroffenen Entscheidungen. Ebenso (3) Die Beratungen der Parlamentarischen umfasst die Unterrichtung auch das Tätig- Kontrollkommission sind geheim. Die Mit- werden von Verfassungsschutzbehörden glieder sind zur Geheimhaltung der Angele- anderer Bundesländer sowie das Herstellen genheiten verpflichtet, die ihnen im Rahmen des Benehmens für das Tätigwerden des Bun- ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kon- desamtes für Verfassungsschutz nach § 5 trollkommission bekannt geworden sind. Dies Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. des Bundes und der Länder in Angelegenhei- Der Sächsische Datenschutzbeauftragte kann, ten des Verfassungsschutzes und über das

340 | V. Verfassungsschutz Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundes- Grundgesetzes, Artikel 33 der Verfassung des verfassungsschutzgesetz – BVerfSchG) vom Freistaates Sachsen) eingeschränkt werden. 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes Fünfter Abschnitt vom 16. August 2002 (BGBl. I S. 3202, 3217), in Schlussbestimmung der jeweils geltenden Fassung. Auf Verlangen der Parlamentarischen Kontrollkommission § 19 berichtet das Staatsministerium des Innern zu Inkrafttreten konkreten Themen aus dem Aufgabenbereich des Landesamtes für Verfassungsschutz. Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkün- dung in Kraft. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission hat das Recht auf Erteilung von Auskünften. Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefer- Der Staatsminister des Innern kann einem tigt und ist zu verkünden. Kontrollbegehren widersprechen, wenn es im Einzelfall die Erfüllung der Aufgaben des Dresden, den 16. Oktober 1992 Landesamtes für Verfassungsschutz oder den notwendigen Schutz des Nachrichtenzugangs gefährden würde; er hat dies zu begründen. Entfallen die Gründe für Satz 2, so ist die Aus- kunftserteilung unverzüglich nachzuholen.

(3) Die Unterrichtung umfasst nicht Angele- genheiten, über die das Staatsministerium des Innern die Kommission nach Artikel 10 des Grundgesetzes zu unterrichten hat.

§ 18 Einschränkung von Grundrechten

Durch dieses Gesetz können im Rahmen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Frei- staates Sachsen das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes, Artikel 27 der Verfassung des Freistaates Sachsen), das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes, Artikel 30 der Verfassung des Freistaates Sachsen) und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 des

V. Verfassungsschutz | 341 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz)

Vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 17. November 2015 (BGBl I S. 1938)

Abschnitt 1 Parlamentarische Kontrollgremium und durch Allgemeine Bestimmungen eine besondere Kommission (G 10-Kommission).

§ 1 § 2 Gegenstand des Gesetzes Pflichten der Anbieter von Post- und Telekommunikationsdiensten (1) Es sind 1. die Verfassungsschutzbehörden des Bundes (1) Wer geschäftsmäßig Postdienste erbringt und der Länder, der Militärische Abschirm- oder an der Erbringung solcher Dienste mit- dienst und der Bundesnachrichtendienst wirkt, hat der berechtigten Stelle auf Anord- zur Abwehr von drohenden Gefahren für die nung Auskunft über die näheren Umstände freiheitliche demokratische Grundordnung des Postverkehrs zu erteilen und Sendungen, oder den Bestand oder die Sicherheit des die ihm zum Einsammeln, Weiterleiten oder Bundes oder eines Landes einschließlich Ausliefern anvertraut sind, auszuhändigen. Der der Sicherheit der in der Bundesrepublik nach Satz 1 Verpflichtete hat der berechtig- Deutschland stationierten Truppen der ten Stelle auf Verlangen die zur Vorbereitung nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nord- einer Anordnung erforderlichen Auskünfte zu atlantikvertrages, Postfächern zu erteilen, ohne dass es hierzu 2. der Bundesnachrichtendienst im Rahmen einer gesonderten Anordnung bedarf. Wer seiner Aufgaben nach § 1 Abs. 2 des BND- geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste Gesetzes auch zu den in § 5 Abs. 1 Satz 3 erbringt oder an der Erbringung solcher Nr. 2 bis 8 und § 8 Abs. 1 Satz 1 bestimmten Dienste mitwirkt, hat der berechtigten Stelle Zwecken auf Anordnung Auskunft über die näheren berechtigt, die Telekommunikation zu über- Umstände der nach Wirksamwerden der Anord- wachen und aufzuzeichnen, in den Fällen der nung durchgeführten Telekommunikation zu Nummer 1 auch die dem Brief- oder Postge- erteilen, Sendungen, die ihm zur Übermittlung heimnis unterliegenden Sendungen zu öffnen auf dem Telekommunikationsweg anvertraut und einzusehen. sind, auszuhändigen sowie die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation zu (2) Soweit Maßnahmen nach Absatz 1 von ermöglichen. § 8a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 Behörden des Bundes durchgeführt wer- des Bundesverfassungsschutzgesetzes, § 4a den, unterliegen sie der Kontrolle durch das des MAD-Gesetzes und § 2a des BND-Gesetzes bleiben unberührt. Ob und in welchem Umfang

342 | V. Verfassungsschutz der nach Satz 3 Verpflichtete Vorkehrungen für Sicherheitsüberprüfungsgesetz durchzuführen. die technische und organisatorische Umset- Für Beschränkungsmaßnahmen einer Landesbe- zung der Überwachungsmaßnahme zu treffen hörde gilt dies nicht, soweit Rechtsvorschriften hat, bestimmt sich nach § 110 des Telekom- des Landes vergleichbare Bestimmungen enthal- munikationsgesetzes und der dazu erlassenen ten; in diesem Fall sind die Rechtsvorschriften Rechtsverordnung. des Landes entsprechend anzuwenden. Zustän- dig ist bei Beschränkungsmaßnahmen von (2) Der nach Absatz 1 Satz 1 oder 3 Verpflich- Bundesbehörden das Bundesministerium des tete hat vor Durchführung einer beabsichtigten Innern; im Übrigen sind die nach Landesrecht Beschränkungsmaßnahme unverzüglich die bestimmten Behörden zuständig. Soll mit der Personen, die mit der Durchführung der Maß- Durchführung einer Beschränkungsmaßnahme nahme betraut werden sollen, eine Person betraut werden, für die innerhalb 1. auszuwählen, der letzten fünf Jahre bereits eine gleich- oder 2. einer einfachen Sicherheitsüberprüfung höherwertige Sicherheitsüberprüfung nach unterziehen zu lassen und Bundes- oder Landesrecht durchgeführt wor- 3. über Mitteilungsverbote nach § 17 sowie den ist, soll von einer erneuten Sicherheitsüber- die Strafbarkeit eines Verstoßes nach § 18 prüfung abgesehen werden. zu belehren; die Belehrung ist aktenkundig zu machen. Abschnitt 2 Mit der Durchführung einer Beschränkungs- Beschränkungen in Einzelfällen maßnahme dürfen nur Personen betraut werden, die nach Maßgabe des Satzes 1 über- § 3 prüft und belehrt worden sind. Nach Zustim- Voraussetzungen mung des Bundesministeriums des Innern, bei Beschränkungsmaßnahmen einer Landesbe- (1) Beschränkungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 dür- hörde des zuständigen Landesministeriums, fen unter den dort bezeichneten Vorausset- kann der Behördenleiter der berechtigten Stelle zungen angeordnet werden, wenn tatsächliche oder dessen Stellvertreter die nach Absatz 1 Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass Satz 1 oder 3 Verpflichteten schriftlich auffor- jemand dern, die Beschränkungsmaßnahme bereits vor 1. Straftaten des Friedensverrats oder des Abschluss der Sicherheitsüberprüfung durch- Hochverrats (§§ 80 bis 83 des Strafgesetz- zuführen. Der nach Absatz 1 Satz 1 oder 3 Ver- buches), pflichtete hat sicherzustellen, dass die Geheim- 2. Straftaten der Gefährdung des demokrati- schutzmaßnahmen nach den Abschnitten 1.1 schen Rechtsstaates (§§ 84 bis 86, 87 bis bis 1.4, 1.6, 2.1 und 2.3 bis 2.5 der Anlage 7 89b, 89c Absatz 1 bis 4 des Strafgesetzbu- zur Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum ches, § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 des Vereinsge- materiellen und organisatorischen Schutz von setzes), Verschlusssachen vom 29. April 1994 (GMBl 3. Straftaten des Landesverrats und der S. 674) getroffen werden. Gefährdung der äußeren Sicherheit (§§ 94 bis 96, 97a bis 100a des Strafgesetzbuches), (3) Die Sicherheitsüberprüfung nach 4. Straftaten gegen die Landesverteidigung Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 ist entsprechend dem (§§ 109e bis 109g des Strafgesetzbuches),

V. Verfassungsschutz | 343 5. Straftaten gegen die Sicherheit der in der werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte Bundesrepublik Deutschland stationierten bestehen, dass jemand eine der in § 23a Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaa- Abs. 1 und 3 des Zollfahndungsdienstgeset- ten des Nordatlantikvertrages (§§ 87, 89, zes genannten Straftaten plant, begeht oder 94 bis 96, 98 bis 100, 109e bis 109g des begangen hat. Strafgesetzbuches in Verbindung mit § 1 des NATO-Truppen-Schutzgesetzes), (2) Die Anordnung ist nur zulässig, wenn die 6. Straftaten nach Erforschung des Sachverhalts auf andere a) den §§ 129a bis 130 des Strafgesetzbu- Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert ches sowie wäre. Sie darf sich nur gegen den Verdächti- b) den §§ 211, 212, 239a, 239b, 306 bis gen oder gegen Personen richten, von denen 306c, 308 Abs. 1 bis 3, § 315 Abs. 3, auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen § 316b Abs. 3 und § 316c Abs. 1 und 3 des ist, dass sie für den Verdächtigen bestimmte Strafgesetzbuches, soweit diese sich gegen oder von ihm herrührende Mitteilungen ent- die freiheitliche demokratische Grundord- gegennehmen oder weitergeben oder dass der nung, den Bestand oder die Sicherheit des Verdächtige ihren Anschluss benutzt. Maßnah- Bundes oder eines Landes richten, men, die sich auf Sendungen beziehen, sind nur 7. Straftaten nach § 95 Abs. 1 Nr. 8 des Auf- hinsichtlich solcher Sendungen zulässig, bei enthaltsgesetzes oder denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, 8. Straftaten nach den §§ 202a, 202b und dass sie von dem, gegen den sich die Anord- 303a, 303b des Strafgesetzbuches, soweit nung richtet, herrühren oder für ihn bestimmt sich die Straftat gegen die innere oder sind. Abgeordnetenpost von Mitgliedern des äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschen Bundestages und der Parlamente Deutschland, insbesondere gegen sicher- der Länder darf nicht in eine Maßnahme ein- heitsempfindliche Stellen von lebenswich- bezogen werden, die sich gegen einen Dritten tigen Einrichtungen richtet, richtet. plant, begeht oder begangen hat. Gleiches gilt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für § 3a den Verdacht bestehen, dass jemand Mitglied Schutz des Kernbereichs privater einer Vereinigung ist, deren Zwecke oder deren Lebensgestaltung Tätigkeit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, die gegen die freiheitliche demo- Beschränkungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 sind kratische Grundordnung, den Bestand oder unzulässig, soweit tatsächliche Anhaltspunkte die Sicherheit des Bundes oder eines Landes für die Annahme vorliegen, dass durch sie allein gerichtet sind. Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst würden. Soweit im (1a) Beschränkungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 dür- Rahmen von Beschränkungen nach § 1 Abs. 1 fen unter den dort bezeichneten Vorausset- Nr. 1 neben einer automatischen Aufzeichnung zungen für den Bundesnachrichtendienst auch eine unmittelbare Kenntnisnahme erfolgt, ist für Telekommunikationsanschlüsse, die sich die Maßnahme unverzüglich zu unterbrechen, an Bord deutscher Schiffe außerhalb deut- soweit sich während der Überwachung tat- scher Hoheitsgewässer befinden, angeordnet sächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass

344 | V. Verfassungsschutz Inhalte, die dem Kernbereich privater Lebens- sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache gestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. ihrer Erlangung und Löschung ist zu dokumen- Bestehen insoweit Zweifel, darf nur eine auto- tieren. Die Sätze 2 bis 3 gelten entsprechend, matische Aufzeichnung fortgesetzt werden. wenn durch eine Maßnahme, die sich nicht Automatische Aufzeichnungen nach Satz 3 gegen eine in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder sind unverzüglich einem bestimmten Mitglied Nr. 4 der Strafprozessordnung genannte Per- der G10-Kommission oder seinem Stellver- son richtet, von einer dort genannten Person treter zur Entscheidung über die Verwert- Erkenntnisse erlangt werden, über die sie das barkeit oder Löschung der Daten vorzulegen. Zeugnis verweigern dürfte. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung. Die Entscheidung des Mitglieds der Kommission, (2) Soweit durch eine Beschränkung eine in dass eine Verwertung erfolgen darf, ist unver- § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder Nr. 5 der züglich durch die Kommission zu bestätigen. Strafprozessordnung genannte Person betrof- Ist die Maßnahme nach Satz 2 unterbrochen fen wäre und dadurch voraussichtlich Erkennt- worden, so darf sie für den Fall, dass sie nicht nisse erlangt würden, über die diese Person nach Satz 1 unzulässig ist, fortgeführt werden. das Zeugnis verweigern dürfte, ist dies im Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit Lebensgestaltung, die durch eine Beschrän- unter Würdigung des öffentlichen Interesses kung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 erlangt worden sind, an den von dieser Person wahrgenommenen dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnun- Aufgaben und des Interesses an der Geheim- gen hierüber sind unverzüglich zu löschen. haltung der dieser Person anvertrauten oder Die Tatsachen der Erfassung der Daten und bekannt gewordenen Tatsachen besonders zu der Löschung sind zu dokumentieren. Die berücksichtigen. Soweit hiernach geboten, ist Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke die Maßnahme zu unterlassen oder, soweit dies der Datenschutzkontrolle verwendet werden. nach der Art der Maßnahme möglich ist, zu Sie ist zu löschen, wenn sie für diese Zwecke beschränken. nicht mehr erforderlich ist, spätestens jedoch am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der (3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, Dokumentation folgt. soweit die in § 53a der Strafprozessordnung Genannten das Zeugnis verweigern dürften. § 3b Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht, sofern Personen die zeugnisverweigerungsberechtigte Person Verdächtiger im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 2 (1) Maßnahmen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, die sich ist oder tatsächliche Anhaltspunkte den Ver- gegen eine in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder dacht begründen, dass sie dessen in § 3 Abs. 1 Nr. 4 der Strafprozessordnung genannte Per- bezeichnete Bestrebungen durch Entgegen- son richten und voraussichtlich Erkenntnisse nahme oder Weitergabe von Mitteilungen erbringen würden, über die diese Person das bewusst unterstützt. Zeugnis verweigern dürfte, sind unzulässig. Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber

V. Verfassungsschutz | 345 § 4 gefährden, und die G 10-Kommission oder, Prüf-, Kennzeichnungs- und soweit es sich um die Übermittlung durch eine Löschungspflichten, Übermittlungen, Landesbehörde handelt, die nach Landesrecht Zweckbindung zuständige Stelle zugestimmt hat. Bei Gefahr im Verzuge kann die Anordnung bereits vor (1) Die erhebende Stelle prüft unverzüglich der Zustimmung getroffen werden. Wird die und sodann in Abständen von höchstens sechs Zustimmung versagt, ist die Kennzeichnung Monaten, ob die erhobenen personenbezoge- durch den Übermittlungsempfänger unverzüg- nen Daten im Rahmen ihrer Aufgaben allein lich nachzuholen; die übermittelnde Behörde oder zusammen mit bereits vorliegenden Daten hat ihn hiervon zu unterrichten. für die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 bestimmten Zwecke erforderlich sind. Soweit die Daten für diese (4) Die Daten dürfen nur übermittelt werden Zwecke nicht erforderlich sind und nicht für 1. zur Verhinderung oder Aufklärung von eine Übermittlung an andere Stellen benötigt Straftaten, wenn werden, sind sie unverzüglich unter Aufsicht a) tatsächliche Anhaltspunkte für den Ver- eines Bediensteten, der die Befähigung zum dacht bestehen, dass jemand eine der in Richteramt hat, zu löschen. Die Löschung ist § 3 Abs. 1 und 1a genannten Straftaten zu protokollieren. Die Protokolldaten dürfen plant oder begeht, ausschließlich zur Durchführung der Daten- b) bestimmte Tatsachen den Verdacht schutzkontrolle verwendet werden. Die Proto- begründen, dass jemand eine sonstige in kolldaten sind am Ende des Kalenderjahres, das § 7 Abs. 4 Satz 1 genannte Straftat plant dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen. oder begeht, Die Löschung der Daten unterbleibt, soweit die 2. zur Verfolgung von Straftaten, wenn Daten für eine Mitteilung nach § 12 Abs. 1 oder bestimmte Tatsachen den Verdacht für eine gerichtliche Nachprüfung der Recht- begründen, dass jemand eine in Nummer 1 mäßigkeit der Beschränkungsmaßnahme von bezeichnete Straftat begeht oder begangen Bedeutung sein können. In diesem Fall sind hat, oder die Daten zu sperren; sie dürfen nur zu diesen 3. zur Vorbereitung und Durchführung eines Zwecken verwendet werden. Verfahrens nach Artikel 21 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes oder einer Maßnahme nach (2) Die verbleibenden Daten sind zu kennzeich- § 3 Abs. 1 Satz 1 des Vereinsgesetzes, nen. Nach einer Übermittlung ist die Kenn- soweit sie zur Erfüllung der Aufgaben des Emp- zeichnung durch den Empfänger aufrechtzu- fängers erforderlich sind. erhalten. Die Daten dürfen nur zu den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und den in Absatz 4 genannten (5) Sind mit personenbezogenen Daten, die Zwecken verwendet werden. übermittelt werden dürfen, weitere Daten des Betroffenen oder eines Dritten in Akten so ver- (3) Der Behördenleiter oder sein Stellvertreter bunden, dass eine Trennung nicht oder nur mit kann anordnen, dass bei der Übermittlung unvertretbarem Aufwand möglich ist, ist die auf die Kennzeichnung verzichtet wird, wenn Übermittlung auch dieser Daten zulässig; eine dies unerlässlich ist, um die Geheimhaltung Verwendung dieser Daten ist unzulässig. Über einer Beschränkungsmaßnahme nicht zu die Übermittlung entscheidet ein Bediensteter

346 | V. Verfassungsschutz der übermittelnden Stelle, der die Befähigung und Technologien in Fällen von erheblicher zum Richteramt hat. Die Übermittlung ist zu Bedeutung, protokollieren. 4. der unbefugten gewerbs- oder banden- mäßig organisierten Verbringung von (6) Der Empfänger darf die übermittelten Betäubungsmitteln in das Gebiet der Euro- Daten nur für die Zwecke verwenden, zu deren päischen Union in Fällen von erheblicher Erfüllung sie ihm übermittelt worden sind. Er Bedeutung mit Bezug zur Bundesrepublik prüft unverzüglich und sodann in Abständen Deutschland, von höchstens sechs Monaten, ob die über- 5. der Beeinträchtigung der Geldwertstabilität mittelten Daten für diese Zwecke erforderlich im Euro-Währungsraum durch im Ausland sind. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. begangene Geldfälschungen, Der Empfänger unterrichtet die übermittelnde 6. der international organisierten Geldwäsche Stelle unverzüglich über die erfolgte Löschung. in Fällen von erheblicher Bedeutung, 7. des gewerbs- oder bandenmäßig organi- Abschnitt 3 sierten Einschleusens von ausländischen Strategische Beschränkungen Personen in das Gebiet der Europäischen Union in Fällen von erheblicher Bedeutung § 5 mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland Voraussetzungen a) bei unmittelbarem Bezug zu den Gefah- renbereichen nach Nr. 1 bis 3 oder (1) Auf Antrag des Bundesnachrichtendienstes b) in Fällen, in denen eine erhebliche dürfen Beschränkungen nach § 1 für inter- Anzahl geschleuster Personen betroffen nationale Telekommunikationsbeziehungen, ist, insbesondere wenn durch die Art der soweit eine gebündelte Übertragung erfolgt, Schleusung von einer Gefahr für ihr Leib angeordnet werden. Die jeweiligen Telekom- oder Leben auszugehen ist, oder munikationsbeziehungen werden von dem c) in Fällen von unmittelbarer oder mit- nach § 10 Abs. 1 zuständigen Bundesministe- telbarer Unterstützung oder Duldung rium mit Zustimmung des Parlamentarischen durch ausländische öffentliche Stellen Kontrollgremiums bestimmt. Beschränkungen oder nach Satz 1 sind nur zulässig zur Sammlung 8. des internationalen kriminellen, terroris- von Informationen über Sachverhalte, deren tischen oder staatlichen Angriffs mittels Kenntnis notwendig ist, um die Gefahr Schadprogrammen oder vergleichbaren 1. eines bewaffneten Angriffs auf die Bundes- schädlich wirkenden informationstechni- republik Deutschland, schen Mitteln auf die Vertraulichkeit, Integ- 2. der Begehung internationaler terroristi- rität oder Verfügbarkeit von IT-Systemen in scher Anschläge mit unmittelbarem Bezug Fällen von erheblicher Bedeutung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland, zur Bundesrepublik Deutschland 3. der internationalen Verbreitung von rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Kriegswaffen im Sinne des Gesetzes über Gefahr zu begegnen. In den Fällen von Satz 3 die Kontrolle von Kriegswaffen sowie des Nr. 1 dürfen Beschränkungen auch für Post- unerlaubten Außenwirtschaftsverkehrs mit verkehrsbeziehungen angeordnet werden; Waren, Datenverarbeitungsprogrammen Satz 2 gilt entsprechend.

V. Verfassungsschutz | 347 (2) Bei Beschränkungen von Telekommunika- löschen, wenn sie für diese Zwecke nicht mehr tionsbeziehungen darf der Bundesnachrich- erforderlich sind, spätestens jedoch am Ende tendienst nur Suchbegriffe verwenden, die des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokol- zur Aufklärung von Sachverhalten über den in lierung folgt. der Anordnung bezeichneten Gefahrenbereich bestimmt und geeignet sind. Es dürfen keine § 6 Suchbegriffe verwendet werden, die Prüf-, Kennzeichnungs- und 1. Identifizierungsmerkmale enthalten, die zu Löschungspflichten, Zweckbindung einer gezielten Erfassung bestimmter Tele- kommunikationsanschlüsse führen, oder (1) Der Bundesnachrichtendienst prüft unver- 2. den Kernbereich der privaten Lebensgestal- züglich und sodann in Abständen von höchs- tung betreffen. tens sechs Monaten, ob die erhobenen per- Dies gilt nicht für Telekommunikationsan- sonenbezogenen Daten im Rahmen seiner schlüsse im Ausland, sofern ausgeschlossen Aufgaben allein oder zusammen mit bereits werden kann, dass Anschlüsse, deren Inhaber vorliegenden Daten für die in § 5 Abs. 1 Satz 3 oder regelmäßige Nutzer deutsche Staats- bestimmten Zwecke erforderlich sind. Soweit angehörige sind, gezielt erfasst werden. Die die Daten für diese Zwecke nicht erforder- Durchführung ist zu protokollieren. Die Proto- lich sind und nicht für eine Übermittlung an kolldaten dürfen ausschließlich zu Zwecken der andere Stellen benötigt werden, sind sie unver- Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie züglich unter Aufsicht eines Bediensteten, sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der die Befähigung zum Richteramt hat, zu der Protokollierung folgt, zu löschen. löschen. Die Löschung ist zu protokollieren. Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zur § 5a Durchführung der Datenschutzkontrolle ver- Schutz des Kernbereichs privater wendet werden. Die Protokolldaten sind am Lebensgestaltung Ende des Kalenderjahres zu löschen, das dem Jahr der Protokollierung folgt. Außer in den Durch Beschränkungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Fällen der erstmaligen Prüfung nach Satz 1 dürfen keine Kommunikationsinhalte aus dem unterbleibt die Löschung, soweit die Daten für Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst eine Mitteilung nach § 12 Abs. 2 oder für eine werden. Sind durch eine Beschränkung nach gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit § 1 Abs. 1 Nr. 2 Kommunikationsinhalte aus der Beschränkungsmaßnahme von Bedeutung dem Kernbereich privater Lebensgestaltung sein können. In diesem Fall sind die Daten zu erfasst worden, dürfen diese nicht verwertet sperren; sie dürfen nur zu diesen Zwecken ver- werden. Sie sind unverzüglich unter Aufsicht wendet werden. eines Bediensteten, der die Befähigung zum Richteramt hat, zu löschen. § 3a Satz 2 bis 7 (2) Die verbleibenden Daten sind zu kenn- gilt entsprechend. Die Tatsache der Erfassung zeichnen. Nach einer Übermittlung ist die der Daten und ihrer Löschung ist zu protokol- Kennzeichnung durch den Empfänger auf- lieren. Die Protokolldaten dürfen ausschließlich rechtzuerhalten. Die Daten dürfen nur zu den zum Zwecke der Durchführung der Daten- in § 5 Abs. 1 Satz 3 genannten Zwecken und schutzkontrolle verwendet werden. Sie sind zu

348 | V. Verfassungsschutz für Übermittlungen nach § 7 Abs. 1 bis 4a und die Verfassungsschutzbehörden des Bundes § 7a verwendet werden. und der Länder sowie an den Militärischen Abschirmdienst übermittelt werden, wenn (3) Auf Antrag des Bundesnachrichtendiens- 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, tes dürfen zur Prüfung der Relevanz erfasster dass die Daten erforderlich sind zur Samm- Telekommunikationsverkehre auf Anordnung lung und Auswertung von Informationen des nach § 10 Abs. 1 zuständigen Bundes- über Bestrebungen in der Bundesrepublik ministeriums die erhobenen Daten in einem Deutschland, die durch Anwendung von automatisierten Verfahren mit bereits vorlie- Gewalt oder darauf gerichtete Vorberei- genden Rufnummern oder anderen Kennungen tungshandlungen gegen die in § 3 Abs. 1 bestimmter Telekommunikationsanschlüsse Nr. 1, 3 und 4 des Bundesverfassungs- abgeglichen werden, bei denen tatsächliche schutzgesetzes genannten Schutzgüter Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie in gerichtet sind, einem Zusammenhang mit dem Gefahrenbe- 2. bestimmte Tatsachen den Verdacht sicher- reich stehen, für den die Überwachungsmaß- heitsgefährdender oder geheimdienstlicher nahme angeordnet wurde. Zu diesem Abgleich Tätigkeiten für eine fremde Macht begrün- darf der Bundesnachrichtendienst auch Ruf- den oder nummern oder andere Kennungen bestimm- 3. im Falle des § 5 Absatz 1 Satz 1 in Verbin- ter Telekommunikationsanschlüsse im Inland dung mit Satz 3 Nummer 8 tatsächliche verwenden. Die zu diesem Abgleich genutzten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Daten dürfen nicht als Suchbegriffe im Sinne Angriffe von Bestrebungen oder Tätigkeiten des § 5 Abs. 2 Satz 1 verwendet werden. Der nach § 3 Absatz 1 des Bundesverfassungs- Abgleich und die Gründe für die Verwendung schutzgesetzes ausgehen. der für den Abgleich genutzten Daten sind zu protokollieren. Die Protokolldaten dürfen aus- (3) Durch Beschränkungen nach § 5 Abs. 1 schließlich zu Zwecken der Datenschutzkont- Satz 1 in Verbindung mit Satz 3 Nr. 3 erhobene rolle verwendet werden. Sie sind am Ende des personenbezogene Daten dürfen an das Bun- Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollie- desamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle rung folgt, zu vernichten. (BAFA) übermittelt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Kennt- § 7 nis dieser Daten erforderlich ist Übermittlungen durch den 1. zur Aufklärung von Teilnehmern am Außen- Bundesnachrichtendienst wirtschaftsverkehr über Umstände, die für die Einhaltung von Beschränkungen des (1) Durch Beschränkungen nach § 5 erhobene Außenwirtschaftsverkehrs von Bedeutung personenbezogene Daten dürfen nach § 12 des sind, oder BND-Gesetzes zur Unterrichtung über die in 2. im Rahmen eines Verfahrens zur Erteilung § 5 Abs. 1 Satz 3 genannten Gefahren über- einer ausfuhrrechtlichen Genehmigung mittelt werden. oder zur Unterrichtung von Teilnehmern am Außenwirtschaftsverkehr, soweit hierdurch (2) Durch Beschränkungen nach § 5 erho- eine Genehmigungspflicht für die Ausfuhr bene personenbezogene Daten dürfen an von Gütern begründet wird.

V. Verfassungsschutz | 349 (4) Durch Beschränkungen nach § 5 erhobene (5) Die Übermittlung ist nur zulässig, soweit personenbezogene Daten dürfen zur Verhin- sie zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers derung von Straftaten an die mit polizeilichen erforderlich ist. Sind mit personenbezogenen Aufgaben betrauten Behörden übermittelt Daten, die übermittelt werden dürfen, weitere werden, wenn Daten des Betroffenen oder eines Dritten in 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Ver- Akten so verbunden, dass eine Trennung nicht dacht bestehen, dass jemand oder nur mit unvertretbarem Aufwand mög- a) Straftaten nach den §§ 89a, 89b, 89c lich ist, ist die Übermittlung auch dieser Daten Absatz 1 bis 4 oder § 129a, auch in Ver- zulässig; eine Verwendung dieser Daten ist bindung mit § 129b Abs. 1, sowie den unzulässig. Über die Übermittlung entscheidet §§ 146, 151 bis 152a oder § 261 des ein Bediensteter des Bundesnachrichtendiens- Strafgesetzbuches, tes, der die Befähigung zum Richteramt hat. b) vorsätzliche Straftaten nach den §§ 17 Die Übermittlung ist zu protokollieren. und 18 des Außenwirtschaftsgesetzes, §§ 19 bis 21 oder § 22a Abs. 1 Nr. 4, 5 (6) Der Empfänger darf die Daten nur für die und 7 des Gesetzes über die Kontrolle Zwecke verwenden, zu deren Erfüllung sie ihm von Kriegswaffen oder übermittelt worden sind. Er prüft unverzüglich c) Straftaten nach § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 und sodann in Abständen von höchstens sechs Abs. 1 Nr. 1, 4 oder § 30a des Betäu- Monaten, ob die übermittelten Daten für diese bungsmittelgesetzes plant oder begeht Zwecke erforderlich sind. § 4 Abs. 6 Satz 4 und oder § 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 gelten entsprechend. 2. bestimmte Tatsachen den Verdacht begrün- den, dass jemand eine der in § 3 Absatz 1 § 7a Satz 1 Nummer 1, 2, 5 und 7, Satz 2 oder Übermittlungen durch den Absatz 1a dieses Gesetzes oder eine sons- Bundesnachrichtendienst an ausländische tige der in § 100a Absatz 2 der Strafpro- öffentliche Stellen zessordnung genannten Straftaten plant oder begeht. (1) Der Bundesnachrichtendienst darf durch Beschränkungen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, (4a) Durch Beschränkungen nach § 5 Absatz 1 3, 7 und 8 erhobene personenbezogene Daten Satz 1 in Verbindung mit Satz 3 Nummer 8 an die mit nachrichtendienstlichen Aufgaben erhobene personenbezogene Daten dürfen an betrauten ausländischen öffentlichen Stellen das Bundesamt für Sicherheit in der Informati- übermitteln, soweit onstechnik übermittelt werden, wenn tatsäch- 1. die Übermittlung zur Wahrung außen- oder liche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die sicherheitspolitischer Belange der Bun- Daten erforderlich sind zur Abwehr von Gefah- desrepublik Deutschland oder erheblicher ren für die Sicherheit der Informationstechnik Sicherheitsinteressen des ausländischen des Bundes oder zur Sammlung und Auswer- Staates erforderlich ist, tung von Informationen über Sicherheitsrisi- 2. überwiegende schutzwürdige Interessen ken auch für andere Stellen und Dritte. des Betroffenen nicht entgegenstehen, insbesondere in dem ausländischen Staat ein angemessenes Datenschutzniveau

350 | V. Verfassungsschutz gewährleistet ist sowie davon auszugehen 2. eine angebrachte Kennzeichnung beizube- ist, dass die Verwendung der Daten durch halten und den Empfänger in Einklang mit grundlegen- 3. dem Bundesnachrichtendienst auf Ersuchen den rechtsstaatlichen Prinzipien erfolgt, Auskunft über die Verwendung zu erteilen. und 3. das Prinzip der Gegenseitigkeit gewahrt ist. (5) Das zuständige Bundesministerium unter- Die Übermittlung bedarf der Zustimmung des richtet monatlich die G10-Kommission über Bundeskanzleramtes. Übermittlungen nach Absatz 1 und 2.

(2) Der Bundesnachrichtendienst darf unter (6) Das Parlamentarische Kontrollgremium ist den Voraussetzungen des Absatzes 1 durch in Abständen von höchstens sechs Monaten Beschränkungen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, über die vorgenommenen Übermittlungen 3, 7 und 8 erhobene personenbezogene Daten nach Absatz 1 und 2 zu unterrichten. ferner im Rahmen von Artikel 3 des Zusatz- abkommens zu dem Abkommen zwischen den § 8 Parteien des Nordatlantikvertrages über die Gefahr für Leib oder Leben einer Person Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der im Ausland in der Bundesrepublik Deutschland stationier- ten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (1) Auf Antrag des Bundesnachrichtendienstes (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) an Dienststellen dürfen Beschränkungen nach § 1 für interna- der Stationierungsstreitkräfte übermitteln, tionale Telekommunikationsbeziehungen im soweit dies zur Erfüllung der in deren Zustän- Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 angeordnet werden, digkeit liegenden Aufgaben erforderlich ist. wenn dies erforderlich ist, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für Leib oder Leben einer (3) Über die Übermittlung entscheidet ein Person im Ausland rechtzeitig zu erkennen Bediensteter des Bundesnachrichtendienstes, oder ihr zu begegnen und dadurch Belange der der die Befähigung zum Richteramt hat. Die Bundesrepublik Deutschland unmittelbar in Übermittlung ist zu protokollieren. Der Bun- besonderer Weise berührt sind. desnachrichtendienst führt einen Nachweis über den Zweck, die Veranlassung, die Akten- (2) Die jeweiligen Telekommunikationsbezie- fundstelle und die Empfänger der Übermittlun- hungen werden von dem nach § 10 Abs. 1 gen nach Absatz 1 und 2. Die Nachweise sind zuständigen Bundesministerium mit Zustim- gesondert aufzubewahren, gegen unberechtig- mung des Parlamentarischen Kontrollgremi- ten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalen- ums bestimmt. Die Zustimmung bedarf der derjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder. zu vernichten. Die Bestimmung tritt spätestens nach zwei Monaten außer Kraft. Eine erneute Bestim- (4) Der Empfänger ist zu verpflichten, mung ist zulässig, soweit ihre Voraussetzungen 1. die übermittelten Daten nur zu dem Zweck fortbestehen. zu verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden, (3) Die Anordnung ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere

V. Verfassungsschutz | 351 Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert Entstehung oder Aufrechterhaltung der in wäre. Der Bundesnachrichtendienst darf nur Absatz 1 bezeichneten Gefahr beizutragen. Suchbegriffe verwenden, die zur Erlangung Die Daten dürfen zur Verfolgung von Strafta- von Informationen über die in der Anordnung ten an die zuständigen Behörden übermittelt bezeichnete Gefahr bestimmt und geeignet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Ver- sind. § 5 Abs. 2 Satz 2 bis 6 gilt entsprechend. dacht begründen, dass jemand eine in Satz 1 Ist die Überwachungsmaßnahme erforderlich, bezeichnete Straftat begeht oder begangen um einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für hat. § 7 Abs. 5 und 6 sowie § 7a Abs. 1 und 3 Leib oder Leben einer Person zu begegnen, bis 6 gelten entsprechend. dürfen die Suchbegriffe auch Identifizierungs- merkmale enthalten, die zu einer gezielten Abschnitt 4 Erfassung der Rufnummer oder einer anderen Verfahren Kennung des Telekommunikationsanschlusses dieser Person im Ausland führen. § 9 Antrag (4) Der Bundesnachrichtendienst prüft unverzüglich und sodann in Abständen von (1) Beschränkungsmaßnahmen nach diesem höchstens sechs Monaten, ob die erhobe- Gesetz dürfen nur auf Antrag angeordnet werden. nen personenbezogenen Daten im Rahmen seiner Aufgaben allein oder zusammen mit (2) Antragsberechtigt sind im Rahmen ihres bereits vorliegenden Daten zu dem in Absatz 1 Geschäftsbereichs bestimmten Zweck erforderlich sind. Soweit 1. das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Daten für diesen Zweck nicht erforderlich 2. die Verfassungsschutzbehörden der Länder, sind, sind sie unverzüglich unter Aufsicht eines 3. der Militärische Abschirmdienst und Bediensteten, der die Befähigung zum Richter- 4. der Bundesnachrichtendienst amt hat, zu löschen. Die Löschung ist zu proto- durch den Behördenleiter oder seinen Stellver- kollieren. § 6 Abs. 1 Satz 4 und 5, Abs. 2 Satz 1 treter. und 2 gilt entsprechend. Die Daten dürfen nur zu den in den Absätzen 1, 5 und 6 genannten (3) Der Antrag ist schriftlich zu stellen und zu Zwecken verwendet werden. begründen. Er muss alle für die Anordnung erforderlichen Angaben enthalten. In den Fäl- (5) Die erhobenen personenbezogenen Daten len der §§ 3 und 8 hat der Antragsteller darzu- dürfen nach § 12 des BND-Gesetzes zur Unter- legen, dass die Erforschung des Sachverhalts richtung über die in Absatz 1 genannte Gefahr auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich übermittelt werden. erschwert wäre.

(6) Die erhobenen personenbezogenen Daten § 10 dürfen zur Verhinderung von Straftaten an Anordnung die zuständigen Behörden übermittelt wer- den, wenn tatsächliche Anhaltspunkte den (1) Zuständig für die Anordnung von Beschrän- Verdacht begründen, dass jemand eine Straf- kungsmaßnahmen ist bei Anträgen der Ver- tat plant oder begeht, die geeignet ist, zu der fassungsschutzbehörden der Länder die

352 | V. Verfassungsschutz zuständige oberste Landesbehörde, im Übrigen ohne seine Mitwirkung ausgeführt werden das Bundesministerium des Innern. kann.

(2) Die Anordnung ergeht schriftlich. In ihr sind (7) Das Bundesamt für Verfassungsschutz der Grund der Anordnung und die zur Überwa- unterrichtet die jeweilige Landesbehörde für chung berechtigte Stelle anzugeben sowie Art, Verfassungsschutz über die in deren Bereich Umfang und Dauer der Beschränkungsmaß- getroffenen Beschränkungsanordnungen. Die nahme zu bestimmen. Landesbehörden für Verfassungsschutz teilen dem Bundesamt für Verfassungsschutz die in (3) In den Fällen des § 3 muss die Anordnung ihrem Bereich getroffenen Beschränkungsan- denjenigen bezeichnen, gegen den sich die ordnungen mit. Beschränkungsmaßnahme richtet. Bei einer Überwachung der Telekommunikation ist auch § 11 die Rufnummer oder eine andere Kennung des Durchführung Telekommunikationsanschlusses oder die Ken- nung des Endgerätes, wenn diese allein diesem (1) Die aus der Anordnung sich ergebenden Endgerät zuzuordnen ist, anzugeben. Beschränkungsmaßnahmen sind unter Ver- antwortung der Behörde, auf deren Antrag die (4) In den Fällen der §§ 5 und 8 sind die Such- Anordnung ergangen ist, und unter Aufsicht begriffe in der Anordnung zu benennen. Fer- eines Bediensteten vorzunehmen, der die Befä- ner sind das Gebiet, über das Informationen higung zum Richteramt hat. gesammelt werden sollen, und die Übertra- gungswege, die der Beschränkung unterliegen, (2) Die Maßnahmen sind unverzüglich zu zu bezeichnen. Weiterhin ist festzulegen, wel- beenden, wenn sie nicht mehr erforderlich cher Anteil der auf diesen Übertragungswegen sind oder die Voraussetzungen der Anordnung zur Verfügung stehenden Übertragungska- nicht mehr vorliegen. Die Beendigung ist der pazität überwacht werden darf. In den Fällen Stelle, die die Anordnung getroffen hat, und des § 5 darf dieser Anteil höchstens 20 vom dem nach § 2 Abs. 1 Satz 1 oder 3 Verpflichte- Hundert betragen. ten, dem die Anordnung mitgeteilt worden ist, anzuzeigen. Die Anzeige an den Verpflichteten (5) In den Fällen der §§ 3 und 5 ist die Anord- entfällt, wenn die Anordnung ohne seine Mit- nung auf höchstens drei Monate zu befristen. wirkung ausgeführt wurde. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als drei weitere Monate sind auf Antrag zulässig, (3) Postsendungen, die zur Öffnung und Ein- soweit die Voraussetzungen der Anordnung sichtnahme ausgehändigt worden sind, sind fortbestehen. dem Postverkehr unverzüglich wieder zuzu- führen. Telegramme dürfen dem Postverkehr (6) Die Anordnung ist dem nach § 2 Abs. 1 nicht entzogen werden. Der zur Einsichtnahme Satz 1 oder 3 Verpflichteten insoweit mitzutei- berechtigten Stelle ist eine Abschrift des Tele- len, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfül- gramms zu übergeben. lung seiner Verpflichtungen zu ermöglichen. Die Mitteilung entfällt, wenn die Anordnung

V. Verfassungsschutz | 353 § 12 § 13 Mitteilungen an Betroffene Rechtsweg

(1) Beschränkungsmaßnahmen nach § 3 sind Gegen die Anordnung von Beschränkungsmaß- dem Betroffenen nach ihrer Einstellung mit- nahmen nach den §§ 3 und 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 zuteilen. Die Mitteilung unterbleibt, solange und ihren Vollzug ist der Rechtsweg vor der eine Gefährdung des Zwecks der Beschrän- Mitteilung an den Betroffenen nicht zulässig. kung nicht ausgeschlossen werden kann oder solange der Eintritt übergreifender Nachteile Abschnitt 5 für das Wohl des Bundes oder eines Landes Kontrolle absehbar ist. Erfolgt die nach Satz 2 zurück- gestellte Mitteilung nicht binnen zwölf Mona- § 14 ten nach Beendigung der Maßnahme, bedarf Parlamentarisches Kontrollgremium die weitere Zurückstellung der Zustimmung der G10-Kommission. Die G10-Kommission (1) Das nach § 10 Abs. 1 für die Anordnung bestimmt die Dauer der weiteren Zurückstel- von Beschränkungsmaßnahmen zuständige lung. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn Bundesministerium unterrichtet in Abständen die G10-Kommission einstimmig festgestellt von höchstens sechs Monaten das Parlamenta- hat, dass rische Kontrollgremium über die Durchführung 1. eine der Voraussetzungen in Satz 2 auch dieses Gesetzes. Das Gremium erstattet dem nach fünf Jahren nach Beendigung der Deutschen Bundestag jährlich einen Bericht Maßnahme noch vorliegt, über Durchführung sowie Art und Umfang der 2. sie mit an Sicherheit grenzender Wahr- Maßnahmen nach den §§ 3, 5, 7a und 8; dabei scheinlichkeit auch in Zukunft vorliegt und sind die Grundsätze des § 10 Absatz 1 des Kon- 3. die Voraussetzungen für eine Löschung trollgremiumgesetzes zu beachten. sowohl bei der erhebenden Stelle als auch beim Empfänger vorliegen. (2) Bei Gefahr im Verzug kann das zuständige Bundesministerium die Bestimmungen nach (2) Absatz 1 gilt entsprechend für Beschrän- den §§ 5 und 8 vorläufig treffen und das Par- kungsmaßnahmen nach den §§ 5 und 8, sofern lamentarische Kontrollgremium durch seinen die personenbezogenen Daten nicht unverzüg- Vorsitzenden und dessen Stellvertreter vorläu- lich gelöscht wurden. Die Frist von fünf Jahren fig zustimmen. Die Zustimmung des Parlamen- beginnt mit der Erhebung der personenbezo- tarischen Kontrollgremiums ist unverzüglich genen Daten. einzuholen. Die Bestimmung tritt außer Kraft, wenn die vorläufige Zustimmung nicht binnen (3) Die Mitteilung obliegt der Behörde, auf drei Tagen und die Zustimmung nicht binnen deren Antrag die Anordnung ergangen ist. zwei Wochen erfolgt. Wurden personenbezogene Daten übermittelt, erfolgt die Mitteilung im Benehmen mit dem Empfänger.

354 | V. Verfassungsschutz § 15 Vor der Zustimmung ist die Bundesregierung G 10-Kommission zu hören.

(1) Die G 10-Kommission besteht aus dem Vor- (5) Die G 10-Kommission entscheidet von sitzenden, der die Befähigung zum Richteramt Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden besitzen muss, und drei Beisitzern sowie vier über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von stellvertretenden Mitgliedern, die an den Sit- Beschränkungsmaßnahmen. Die Kontrollbe- zungen mit Rede- und Fragerecht teilnehmen fugnis der Kommission erstreckt sich auf die können. Bei Stimmengleichheit entscheidet die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung Stimme des Vorsitzenden. Die Mitglieder der der nach diesem Gesetz erlangten personenbe- G 10-Kommission sind in ihrer Amtsführung zogenen Daten durch Nachrichtendienste des unabhängig und Weisungen nicht unterwor- Bundes einschließlich der Entscheidung über fen. Sie nehmen ein öffentliches Ehrenamt die Mitteilung an Betroffene. Der Kommission wahr und werden von dem Parlamentarischen und ihren Mitarbeitern ist dabei insbesondere Kontrollgremium nach Anhörung der Bun- 1. Auskunft zu ihren Fragen zu erteilen, desregierung für die Dauer einer Wahlperiode 2. Einsicht in alle Unterlagen, insbesondere in des Deutschen Bundestages mit der Maßgabe die gespeicherten Daten und in die Daten- bestellt, dass ihre Amtszeit erst mit der Neu- verarbeitungsprogramme, zu gewähren, die bestimmung der Mitglieder der Kommission, im Zusammenhang mit der Beschränkungs- spätestens jedoch drei Monate nach Ablauf der maßnahme stehen, und Wahlperiode endet. 3. jederzeit Zutritt in alle Diensträume zu gewähren. (2) Die Beratungen der G 10-Kommission sind Die Kommission kann dem Bundesbeauf- geheim. Die Mitglieder der Kommission sind tragten für den Datenschutz Gelegenheit zur zur Geheimhaltung der Angelegenheiten ver- Stellungnahme in Fragen des Datenschutzes pflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der geben. Kommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus (6) Das zuständige Bundesministerium unter- der Kommission. richtet monatlich die G 10-Kommission über die von ihm angeordneten Beschränkungs- (3) Der G 10-Kommission ist die für die Erfül- maßnahmen vor deren Vollzug. Bei Gefahr im lung ihrer Aufgaben notwendige Personal- und Verzuge kann es den Vollzug der Beschrän- Sachausstattung zur Verfügung zu stellen; sie kungsmaßnahmen auch bereits vor der Unter- ist im Einzelplan des Deutschen Bundestages richtung der Kommission anordnen. Anordnun- gesondert auszuweisen. Der Kommission sind gen, die die Kommission für unzulässig oder Mitarbeiter mit technischem Sachverstand zur nicht notwendig erklärt, hat das zuständige Verfügung zu stellen. Bundesministerium unverzüglich aufzuheben. In den Fällen des § 8 tritt die Anordnung außer (4) Die G 10-Kommission tritt mindestens ein- Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen vom mal im Monat zusammen. Sie gibt sich eine Vorsitzenden oder seinem Stellvertreter bestä- Geschäftsordnung, die der Zustimmung des tigt wird. Die Bestätigung der Kommission ist Parlamentarischen Kontrollgremiums bedarf. unverzüglich nachzuholen.

V. Verfassungsschutz | 355 (7) Das zuständige Bundesministerium unter- Sendungsübermittlung betraut sind oder hie- richtet monatlich die G 10-Kommission über ran mitwirken, anderen nicht mitgeteilt wer- Mitteilungen von Bundesbehörden nach § 12 den. Abs. 1 und 2 oder über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen. Hält die Kom- (3) Erfolgt ein Auskunftsersuchen oder eine mission eine Mitteilung für geboten, ist diese Auskunftserteilung nach § 2 Abs. 1, darf diese unverzüglich vorzunehmen. § 12 Abs. 3 Satz 2 Tatsache oder der Inhalt des Ersuchens oder bleibt unberührt, soweit das Benehmen einer der erteilten Auskunft von Personen, die zur Landesbehörde erforderlich ist. Beantwortung verpflichtet oder mit der Beant- wortung betraut sind oder hieran mitwirken, § 16 anderen nicht mitgeteilt werden. Parlamentarische Kontrolle in den Ländern § 18 Durch den Landesgesetzgeber wird die parla- Straftaten mentarische Kontrolle der nach § 10 Abs. 1 für die Anordnung von Beschränkungsmaßnah- Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit men zuständigen obersten Landesbehörden Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen § 17 und die Überprüfung der von ihnen angeord- eine Mitteilung macht. neten Beschränkungsmaßnahmen geregelt. Personenbezogene Daten dürfen nur dann an § 19 Landesbehörden übermittelt werden, wenn Ordnungswidrigkeiten die Kontrolle ihrer Verarbeitung und Nutzung durch den Landesgesetzgeber geregelt ist. (1) Ordnungswidrig handelt, wer 1. einer vollziehbaren Anordnung nach § 2 Abschnitt 6 Abs. 1 Satz 1 oder 3 zuwiderhandelt, Straf- und Bußgeldvorschriften 2. entgegen § 2 Abs. 2 Satz 2 eine Person betraut oder § 17 3. entgegen § 2 Abs. 2 Satz 3 nicht sicherstellt, Mitteilungsverbote dass eine Geheimschutzmaßnahme getrof- fen wird. (1) Wird die Telekommunikation nach die- sem Gesetz oder nach den §§ 100a, 100b der (2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Strafprozessordnung überwacht, darf diese Geldbuße bis zu fünfzehntausend Euro geahn- Tatsache von Personen, die Telekommunikati- det werden. onsdienste erbringen oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirken, anderen nicht mit- (3) Bußgeldbehörde im Sinne des § 36 Abs. 1 geteilt werden. Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist die nach § 10 Abs. 1 zuständige Stelle. (2) Wird die Aushändigung von Sendun- gen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 oder 3 angeord- net, darf diese Tatsache von Personen, die zur Aushändigung verpflichtet oder mit der

356 | V. Verfassungsschutz Abschnitt 7 § 21 Schlussvorschriften Einschränkung von Grundrechten

§ 20 Das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmel- Entschädigung degeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird durch dieses Gesetz eingeschränkt. Die nach § 1 Abs. 1 berechtigten Stellen haben für die Leistungen nach § 2 Abs. 1 eine Ent- schädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach § 23 des Justizvergütungs- und -ent- schädigungsgesetzes bemisst. In den Fällen der §§ 5 und 8 ist eine Entschädigung zu vereinba- ren, deren Höhe sich an den nachgewiesenen tatsächlichen Kosten orientiert.

V. Verfassungsschutz | 357 VI. Verzeichnis der extremistischen Organisationen

Rechtsextremismus „Freidenker“ (ST) „Freie Aktivisten Dresden“ „2nd Class Citizen“ (BR/Band) „Freie Kameradschaft Dresden“ „A3stus“ (Band) „Freie Kräfte“ „Abtrimo“ (HH/Band) „Freie Kräfte Bautzen“ „Aktionsgruppe Dresden“ „Freie Kräfte Dresden“ (FKD) „Ansgar Aryan“ (Kleidermarke) „Freie Nationalisten Hof“ „ Eastside“ „Freies Netz Süd“ (FNS/verboten am 23. Juli „Bildungswerk für Heimat und Nationale 2014) Identität e. V.“ „Front Records“ „Blitzkrieg“ (Band) „Frontalkraft“ (MV/Band) „Blutzeugen“ (Band) „GefangenenHilfe“ (GH) „Bound for Glory“ (USA) „Hammerskins“ „Brainwash“ (Band) „Hate machine“ (USA/Band) „Brenner“ „Hausmannskost“ (BB/Band) „Bronson“ (I/Band) „Hermannsland“ (Versand) „Brigade 8“ „Heiliger Krieg“ (SN, BW, TH/Band) „Carpe Diem“ (BW/Band) „Heiliges Reich“ (Band) „Chrysi Avgi“ (Goldene Morgendämmerung – „Hilfsorganisation für nationale und politische griechische Partei) Gefangene und deren Angehörige e. V.” (HNG) „Confident of Victory“ (BB/Band) „Hope for the Weak“ (Band) „Deathfeud“ (BB/Band) „Junge Nationaldemokraten“ (JN) „Der Clou“ (Versand) „Kameradschaft Aachener Land“ (verboten „Der Dritte Weg“ (III. Weg/Partei) 23. August 2012) „Deutsch Stolz Treu“ (BR/Band) „Kameradschaft Hamm“ (verboten 23. August „Deutsche Stimme-Verlagsgesellschaft mbH“ 2012) „Die Lunikoff-Verschwörung“ (B/Band) „KDF” (BB/Band) „DIE RECHTE“ (Partei) „Killuminati“ (Band) „Diggi und Klampfe“ (TH) „Kommando Skin“ (Band) „Division Germania“ (NRW/Band) „Kraft durch Froide“ (BR/Band) „Dolchstoss“ (BY/Band) „Kraftschlag“ (SH/Band) „DRYVE BY SUIZHYDE“ (Textillabel) „Krátky Proces“ (SK/Band) „Endless Struggle“ (Band) „Landser“ (Band) „Exzess“ (BB/Band) „Legion 84“ „Faust des Ostens“ „Legion of Thor“ (BR/Band) „Fight Tonight“ (ST/Band) „Libergraphix“ (Verlag) „Fränkische Aktionsfront“ (verboten seit 2004) „Manson“ (Band)

358 | VI. Verzeichnis der extremistischen Organisationen „Mistreat“ (FIN/Band) „The Store” „MPU“ (BY/Band) „Thematik 25“ (Band) „Mudhater“ (Design-Studio) „Thrima“ (MV/Band) „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ „Trendkiller“ (Band) (NPD) „Überzeugungstäter Vogtland“ (Band) „Nationale Sozialisten Chemnitz” (NSC/ „Uwocaust” (BB/Band) verboten 28. März 2014) „Verboten“ (Band) „Nationale Sozialisten Döbeln“ (NS-Döbeln/ „Verzerzödes“ (H/Band) verboten 18.Februar 2013) „Volksnah“ (Band) „Nationale Sozialisten Hoyerswerda“/ „Wafflor“/Waffen (S/Band) „Freie Kräfte Hoyerswerda“ „Weisse Wölfe Terrorcrew“ (WWT/ „Nationaler Jugendblock e. V.“ (NJB) verboten seit 16. März 2016) „Nationaler Widerstand Dortmund“ (verboten 23. August 2012) Linksextremismus „Nationales Versandhaus“ „Nation & Wissen“ (Verlag) „Antifaschistische „Aktionsgruppe Dresden“ „New Society“ (NS-Boys/Fußballgruppierung) (AFA Dresden) „NMV-Versand“ „Antifa Klein-Paris“ (AKP) „Nordsachsenversand“ „Allgemeines Syndikat Dresden der FAU-IAA“ „OLDSCHOOL RECORDS“ (BY) (FAU Dresden/Teilorganisation der FAU-IAA) „Oldschool Society“ (OSS) „Anarchisten“ „OPOS-Records“ „Anarchosyndikalistische Jugend Leipzig“ „paranoid“ (Band) (ASJL) „Path of Resistance“ (MV/Band) „Antifa Lausitz“ „PC-Records“ „Antifa Roßwein-Döbeln-Leisnig“ (Antifa RDL) „Pionier“ (Band) „Antifaschistische Aktion Görlitz“ (AfA Görlitz) „Prora“ (ST/Band) „Antifaschistische Aktion Rochlitz-Gerings- „Rac‘n‘Roll” – Teufel (Band) walde-Burgstädt“ (Antifa RGB) „Radikahl“ (TH/Band) „Antifaschistische Offensive Leipzig“ (AOL) „RePro-Medien“ „Autonomal-Versand“ „Revolutionäre Nationale Jugend Vogtland“ (RNJ) „Autonome“ „Ring Nationaler Frauen“ „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP) „Sachsenblut“ (Band) „Feine Sahne Fischfilet“ (Band) „Sachsonia“ (Band) „FAU-Leipzig“ (Teilorganisation der FAU-IAA) „Sarin“ (Band) „FAU-Sektion Chemnitz“ (Teilorganisation der „Scenario Lok“ FAU-IAA) „Selbststeller“ (Band) „Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union – „Sista Bataljen“ (Band) Internationale Arbeiter Assoziation“ „Skalinger“ (MV/Band) (FAU-IAA) „Sleipnir“ (NRW/Band) „Interim e. V.“ „Stahlfront“ (Band) „Interventionistische Linke“ (IL) „Tätervolk“ (MV/Band) „Kampagne 129ev“

VI. Verzeichnis der extremistischen Organisationen | 359 „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD-Ost) „Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskon- „Kommunistische Plattform der Partei gress in Deutschland“ (NAV-DEM) DIE LINKE“ (KPF) „Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskon- „Kommunistisches Aktionsbündnis Dresden“ (KAD) gress in Europa“ (KCD-E) Marxistisches Forum (MF) „Kurdische Demokratische Volksunion“ (YDK) „Marxistisch-Leninistische Partei Deutsch- „Nationale Befreiungsfront Kurdistans“ (ERNK) lands“ (MLPD) „Partei der Demokratischen Union“ (PYD) „N-RDL Nazifrei“ „Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans“ (KCK) „Neue Antikapitalistische Organisation“ (NAO) „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG) „Phase 2“ „Volksverteidigungskräfte“ (HPG) „Prisma – Interventionistische Linke Leipzig” („Prisma“) Darüber hinaus werden die „Revolution Leipzig“ (Revo Leipzig) Massenorganisationen des CDK erwähnt (s. „Rote Hilfe e. V.“ (RH) Strukturkasten zu PKK-Beitrag): „Sozialer Fehltritt“ „the future is unwritten“ (tfiu) „YJA“ (Frauen) „Undogmatische Radikale Antifa Dresden“ „YXK“ (Studenten) (URA Dresden) „YMK“ (Lehrer) „YRK“ (Journalisten) Islamismus/islamistischer Terrorismus „YHK“ (Juristen) „YNK“ (Schriftsteller) „Islamischer Staat“ (IS) „CIK“, „YEK“, „KAB“ (religiöse Gruppen) Salafistische Bestrebungen

Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus)

„Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) „Ciwanen Azad“ (CA) „Ciwanen Azad“ Dresden „Demokratisches Kurdisches Gesellschafts­ zentrum“ (DKTM) „Dresdner Verein deutsch kurdischer Begeg- nungen e. V.“ „Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V.“ („YEK“-KOM) „Freiheitsfalken Kurdistans“ (TAK) „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD) „Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa“ (CDK)

360 | VI. Verzeichnis der extremistischen Organisationen VII. Stichwortverzeichnis

2nd Class Citizen 104 B Barny 99, 125 A BAUR, Jens 20, 45, 50, 118, 129, 130, 131, 156, A3stus 24, 134, 169, 174 160, 165, 171, 172, 177, 178 ABRAHAM, Dirk 20, 171 BEHR, Henry 110 Abtrimo 103, 104 Bildungswerk für Heimat und Nationale AJZ Chemnitz 238 Identität e. V. 36 Aktionsbündnis gegen das Vergessen 59, 82, 127 Blickpunkt Dresden 116 AL-HAYAT Media Center 276 Blickpunkt Sachsen 116 Allgemeines Syndikat Dresden 246 Blitzkrieg 93, 103, 125 Al-Rahman-Moschee 272, 275 Blutzeugen 93, 104, 134 Alternatives Jugendzentrum Chemnitz BÖHM, Enrico 131, 148, 149 (AJZ) 238 Bound of Glory 104 Anarchisten 319 Brainwash 94, 134 Anarchosyndikalistische Jugend Leipzig Brenner 105 (ASJL) 245, 246, 249 Brigade 8 90, 140, 141, 142, 153 Antifa Lausitz 242 Bündnis „Nazifrei – Dresden stellt sich Antifa Roßwein-Döbeln-Leisnig (RDL) 240 quer“ 193, 229, 230, 232, 234 Antifaschistische Aktion Görlitz (AFA Gör- Bürgerwehr Freital/Bürgerwehr 360 Frei- litz) 242 tal 170 Antifaschistische Aktion Rochlitz-Gerings- walde-Burgstädt (Antifa RGB) 240 C Antifaschistische Aktionsgruppe Dresden (AFA Carpe Diem 103 Dresden) 229 Casa Pound 56 Antifaschistischen Offensive Leipzig Chrysi Avgi 108 (AOL) 206 Ciwanen Azad 235, 283 Antifaschistisches Nachrichtenportal Sach- Confident of Victory 104 sen 229, 231, 233 APFEL, Holger 37, 42 D Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 308, 313 DABBAGH, Hassan 272 ARMSTROFF, Klaus 73, 77 DABIQ 276 ARNOLD, Maik 73, 122, 163 Delnicka Mladez 56 As-Sahaba/Die Gefährten e. V. und Moschee Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszent- Berlin 272 rum (DKTM) 280 Autonomal-Versand 242 DER AKTIVIST 51 Autonome 312, 313, 314, 319, 320 Der Clou 107, 179 Autonome Gruppe Dresden 230, 233 Der Dritte Weg (III. Weg) 13, 15, 21, 22, 52, 73, Autonomia Operaia 198 79, 89, 122, 135

VII. Stichwortverzeichnis | 361 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 187, Fränkische Aktionsfront 74 255, 258 FRANZ, Frank 46, 56, 157 Deutsche Stimme 27, 29, 33, 34, 35, 43, 47, 48, Freidenker 105 56, 102, 107, 112, 113, 116, 155, 159 Freie Aktivisten Dresden 23, 81, 127 Deutsche Stimme-Verlagsgesellschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union – mbH 35, 159 Internationale Arbeiter Assoziation Deutsche Volksunion (DVU) 66 (FAU-IAA) 213 Deutsch Stolz Treu 103, 104 Freie Kameradschaft Dresden 81, 127, 129 Die Lunikoff-Verschwörung 70, 105, 178 Freie Kräfte Bautzen 83 DIE RECHTE 22, 28, 67, 181 Freie Kräfte Dresden 127 Diggi und Klampfe 105 Freie Kräfte Sächsische Schweiz Osterzge- DIREKTE AKTION 246 birge 168 Division Brandenburg 82 Freie Nationalisten Hof 73 Division Germania 104 Freies Netz Süd (FNS/verboten) 73 Division Sachsen 82 Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 277 Division Sachsen-Anhalt 82 FreilichFrei 99, 105, 109, 174, 182 Division Thüringen 82 Frontalkraft (MV) 103, 104 DÖHLER, Rico 73, 74, 76, 77, 78, 174, 175, 176, 177 Front Records 91, 108, 110, 148 Dolchstoss 109 FÜR IMMER UND EWIG 112 DORNBRACH, Pierre 56, 157 Dresdner Verein Deutsch Kurdische Begeg- G nungen e. V. 281 GANSEL, Jürgen 20, 37, 41, 43, 48, 49, 50, 162 Dryve by Suizhyde 110, 135 GATTER, Jens 165 DS-TV 29, 35, 36, 113, 155 GEBURTIG, Steve 111 GefangenenHilfe (GH) 88 E GENTSCH, Patrick 180 El-Salam-Moschee München 272 GENTSCH, Tony 73, 74, 76, 77, 78, 163, 175, 176, 177 Endless Struggle 94, 134 GLIEMANN, Hartmut 19, 171 Exzess 103 GÜNTHER, Christian 61

F H „FAU-Sektion Chemnitz“ (Teilorganisation der Hammerskins 321 FAU-IAA) 248 Handschu 100, 141 Faust des Ostens 133 HANTUSCH, Thassilo 61 Federalnaja Sluschba Besopasnosti Rossijskoj HÄNTZSCHEL, Jan 53, 64, 161, 162, 164 Federazii (FSB) 293 HARTUNG, Stefan 19, 28, 49, 136, 137 Feine Sahne Fischfilet 261 HASSELBACH, Phillip 70 Fight Tonight 104 Hate Machine 103 FISCHER, Matthias 163, 176 Hausmannskost 103 FISCHER, Michael 71 Haus Montag 105, 170 Föderation kurdischer Vereine in Deutschland Haus Wieland 36, 104, 156 e. V. (YEK-KOM) 280 Heiliger Krieg 92, 94

362 | VII. Stichwortverzeichnis Heiliges Reich 56, 92, 93, 94, 104, 125, 157, 164 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD- HEIMAT BEWAHREN. FREIHEIT ERKÄMP- Ost) 187 FEN 41, 42 Kommunistisches Aktionsbündnis Dresden Hermannsland 107, 110, 155 (KAD) 255 „Hilfsorganisation für nationale Gefangene Konföderation der Kurdischen Vereine in und deren Angehörige e. V. (HNG)” 87 Europa (KON-KURD) 280 „Hope for the Weak” 95, 97, 103, 134, 158 Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) 277, 280 I KÖTZING, Jürgen 40, 119 indymedia.org 191, 192, 194, 195, 196, 197, 198, Kraft durch Froide 103 202, 203, 204, 205, 206, 208, 209, 210, 212, Kraftschlag 56, 104, 157 213, 214, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, Krátky Proces 104 223, 224, 225, 226, 236, 240, 241, 247, 254, KRIEN, Hartmut 20, 48 259, 263, 264 KRÜGER, Maik 109 INSPIRE 276 KRYPTONIT.CC 62 INTERIM e. V. 257 Kurdische Demokratische Volksunion Interventionistische Linke (IL) 196, 199, 235 (YDK) 280 inventati.org/leipzig 259 Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskongress Islamischer Staat (IS) 279 in Deutschland (NAV-DEM) 280, 281 Kurdischer demokratischer Gesellschaftskon- J gress in Europa (KCD-E) 280 Jugendgedanken (NI/Liedermacher) 105 KURTH, Alexander 22, 65, 68, 69, 70, 71, 72, 151, Junge Nationaldemokraten (JN) 33, 51, 89, 118, 152, 212, 220 122, 129, 132, 135, 139, 143, 145, 148, 155, 157, 159, 162, 165, 170, 177, 180 L LAU, Sven 271 K LAUTER, Thomas 176 Kameradschaft Aachener Land 74, 79 Left-action 243 Kameradschaft Hamm 74, 79 LEGIDA 28, 151, 152, 190, 191, 215, 216, 220, 221, Kampagne 129ev 203, 207, 208, 218 222, 223, 231, 251, 262, 263 Kampagne „Raus in die Zukunft“ 79 Legion of Thor 104 Kampagne „Sag was du denkst“ 61 Libergraphix 159 Kampagne „Tag der deutschen Zukunft“ 79, LIES! 271 92, 142, 145, 151, 182 Linksunten.indymedia.org 191, 192, 194, 195, Kampagne „Weg mit dem Drogendreck“ 61 196, 197, 198, 202, 203, 204, 205, 206, 208, KILLAT, Patrick 24, 169 209, 210, 212, 213, 214, 216, 217, 218, 219, Killuminati 92, 95, 164 220, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 236, 240, KIRSTEN, Jens 22, 23 241, 247, 254, 259, 263, 264 KÖCKERT, David 49, 50, 71, 177 LÖFFLER, Mario 45 Kommando Skin 104 Lunikoff 104, 105, 107, 125, 182 Kommunalpolitische Vereinigung (KPV) 33

VII. Stichwortverzeichnis | 363 M RePro-Medien 111, 121 Manson 92, 95 Revolutionäre Nationale Jugend Vogtland Marxistisches Forum (MF) 258 (RNJ) 79 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands Revolution Leipzig (Revo Leipzig) 225, 226, 235 (MLPD) 187, 255, 256, 258 RICHTER, Karl 29, 43, 46 Medienverbund Blickpunkt Sachsen 116 RICHTER, Sebastian 51, 55, 56, 59, 61, 157 Ministry of State Securitiy (MSS) 293 RICHTER, Simon 20, 22, 23, 118, 119, 121, 169 Mistreat 104 Ring Nationaler Frauen 33, 35 Mititary Intelligence Department (MID) 293 RINK, Beatrix 177, 178 Mitteldeutsche Nationaldemokraten RÖSLER, Silvio 22 (MND) 33 Rote Hilfe Deutschland (RHD) 251 MPU 104 Rote Hilfe e. V. (RH) 186, 187, 208, 250, 257 Mudhater 135 RZEHACZEK, Paul 21, 51, 53, 55, 57, 58, 61, 64, 165 MÜLLER, Maik 52, 131, 133, 157 S N Sachsenblut 96, 164 Nationale Befreiungsfront Kurdistans Sachsonia 70, 96, 104, 134, 178 (ERNK) 279 Salafisten 267, 268, 269, 270, 272, 273, 274 Neonationalsozialisten 319 Sarin 147 Neue Antifaschistische Organisation SATTELBERG, Thomas 19, 170, 171 (NaO) 225 Scenario Lok 153 N-RDL Nazifrei 240 SCHEFFLER, Maik 45, 65 SCHIMMER, Arne 20, 39, 45, 47, 50, 130, 131, 162, O 171, 177, 178 ÖCALAN, Abdullah 277, 279 SCHREIBER, Peter 19, 41 Offensive für Deutschland (OfD) 215 SCHUBINSKI, Stefan Frank 144 Selbststeller 95, 97, 103, 104, 158 P Sista Bataljen 97, 99, 103, 104, 125 Partei der Demokratischen Union (PYD) 278 Skalinger 103 „Path of Resistance“ 103 Sleipnir 104 „PC-Records“ 91, 96, 97, 98, 106, 107, 108, 109, Sozialer Fehltritt 261 111, 125, 126, 158 SPREELICHTER 86, 88 PEGIDA 283 Stahlfront 92, 97 Phase 2 258 STAMM, Daniela 22, 65, 66, 69, 70, 72, 120 Prora 103 SUNIC, Dr. Tomislav 157 SZYMANSKI, Holger 27, 45, 46, 61, 129 R RAACK, Sebastian 111 T Rac‘n‘Roll-Teufel 96 Tätervolk 70, 104, 178 Radikahl 104 The future is unwritten (tfiu) 210 REGENER, Michael 105 Thematik 25 97, 98, 103, 154, 155 RENTZSCH, Rico 21, 48, 114, 171, 172 The Store 174

364 | VII. Stichwortverzeichnis Thrima 103 V TRAUTMANN, Stefan 53, 57, 79, 159, 161, 162 Verboten 74, 79, 82, 92, 98, 103, 104, 138, 139 Trendkiller 92, 98 VOIGT, Udo 56, 157 TRIPP, Manuel 145, 146 Volksnah 98, 154

U W Überzeugungstäter Vogtland 70, 98, 104, 178, 179 Weisse Wölfe Terrorcrew (WWT) 81, 180 Ülke-Büro 281 Widerstand Hoyerswerda 30, 117 UNDERDOG 203, 207, 218 Widerstandsbewegung in Südbranden- Undogmatische Radikale Antifa Dresden (URA burg 79 Dresden) 193 WILDERS, Geert 29, 66, 233 Unsterblichen 133 WORCH, Christian 65 Uwocaust (BB/Liedermacher) 70, 104, 178 WORTGEWANDT 38, 42, 43, 45

VII. Stichwortverzeichnis | 365 VIII. Verzeichnis der Orte, Landkreise, Regionen, Länder

A Connewitz (Stadtteil in Leipzig)  71, 152, 153, Adorf (Vogtlandkreis) 178 154, 195, 205, 209, 216, 223, 224, 225 Altenberg (Sächsische Schweiz-Osterzge- Coswig (Landkreis Meißen)  157 birge) 45 Annaberg-Buchholz (Erzgebirgskreis) 135, 139 D Aue-Schwarzenberg (Erzgebirgskreis) 135 Delitzsch (Landkreis Nordachsen)  165 Deutschland  9, 11, 12, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 36, 37, 38, 39, B 40, 46, 47, 67, 71, 73, 82, 85, 88, 90, 105, 106, 114, Bad Elster (Vogtlandkreis) 70, 178 125, 129, 144, 147, 162, 166, 170, 190, 192, 197, 199, Baden-Württemberg  70, 73, 94, 95, 178 201, 214, 215, 217, 220, 232, 233, 235, 246, 250, 252, Bad Nenndorf (Niedersachsen)  85, 86 256, 261, 265, 267, 269, 272, 273, 275, 276, 279, 280, Bad Schandau (Landkreis Sächsische Schweiz- 281, 290, 291, 292, 293, 294, 295, 296, 297, 298, Osterzgebirge) 170, 174 305, 309, 312, 313, 317, 320, 321, 322, 324, 338, 341, Bautzen (Landkreis Bautzen) 14, 19, 21, 22, 23, 342, 344, 347, 349, 350, 351 24, 30, 40, 43, 47, 51, 58, 65, 68, 69, 70, 79, 83, Dippoldiswalde (Landkreis Sächsische 111, 117, 118, 119, 120, 121, 139, 242, 285, 69 Schweiz-Osterzgebirge) 23, 118, 169, 170 Bayern  29, 30, 33, 40, 52, 54, 69, 70, 73, 74, 77, 78, 79, Döbeln (Landkreis Mittelsachsen)  53, 79, 100, 88, 107, 109, 125, 155, 174, 175, 178, 182, 194, 144, 159, 161, 162, 164, 240 209, 210, 214, 219, 234, 257, 262, 272, 316 Dortmund (Nordrhein-Westfalen)  69 Bischofswerda (Landkreis Bautzen) 30, 51, 117, 118 Dresden 14, 19, 21, 23, 24, 25, 27, 28, 29, 30, 32, 44, 45, Bitterfeld (Sachsen-Anhalt)  69, 153 46, 47, 48, 51, 52, 57, 59, 60, 64, 66, 71, 79, 80, 81, Böhlen (Landkreis Leipzig)  143, 146 82, 83, 86, 88, 90, 93, 94, 95, 96, 102, 103, 104, 106, Borna (Landkreis Leipzig)  24, 52, 58, 59, 105, 114, 110, 111, 116, 119, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 142, 143, 144, 146, 147, 211, 243 130, 131, 132, 133, 134, 135, 138, 139, 144, 154, 155, Brandenburg 60, 70, 73, 77, 82, 83, 84, 85, 107, 126, 157, 159, 161, 162, 164, 166, 167, 171, 176, 181, 183, 141, 142, 145, 151, 155, 159, 163, 166, 175, 176, 188, 189, 193, 194, 195, 200, 205, 206, 207, 210, 212, 178, 310 213, 215, 219, 222, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 232, Brandis (Landkreis Leipzig)  150 233, 234, 235, 236, 237, 238, 244, 245, 246, 247, 248, Burgstädt (Landkreis Mittelsachsen) 159, 240 251, 252, 254, 255, 256, 259, 261, 262, 263, 264, 281, 282, 283, 285, 286, 287, 288, 289, 300, 134 C Chemnitz  14, 28, 44, 52, 53, 61, 65, 71, 74, 79, 80, 90, E 92, 93, 94, 96, 99, 105, 106, 109, 111, 122, 123, Ebersdorf (Stadtteil in Chemnitz) 122 124, 125, 126, 135, 158, 159, 163, 164, 180, 189, Eberswalde (Brandenburg) 107, 126 200, 237, 238, 239, 247, 248, 251, 254, 255, 281, Eilenburg (Landkreis Nordsachsen)  58, 107, 115, 285, 289 164, 165, 166, 174

366 | VIII. Verzeichnis der Orte, Landkreise, Regionen, Länder Einsiedel 122, 124 Halle (Sachsen-Anhalt)  35, 71, 74, 141, 146, 153, Eisenach (Thüringen) 57, 161 155, 195 Erfurt (Thüringen)  33, 76 Hamburg 214, 262 Erzgebirge 28, 44, 49, 74, 95, 97, 136, 137 Hamm (Nordrhein-Westfalen) 145, 151 Erzgebirgskreis 19, 20, 49, 52, 92, 98, 135, 136, 138, Haselbachtal  23, 118 238, 138 Heidelberg (Baden-Württemberg)  73 Heidenau (Landkreis Sächsische Schweiz- F Osterzgebirge) 19, 21, 48, 54, 55, 114, 115, Falkenhain (Landkreis Leipzig) 110, 148 168, 170, 171, 172, 173, 191, 193, 195, 240, 241, Flöha (Landkreis Mittelsachsen) 92, 94, 164 286, 288 Frankenberg (Landkreis Mittelsachsen)  160 Hessen  61, 199, 209, 212, 246 Frankfurt am Main (Hessen) 199, 209, 212, 246 Hildburghausen (Thüringen)  95, 179 Frankreich 273 Hochfranken (Bayern)  73, 74 Freiberg (Landkreis Mittelsachsen) 96, 159, Hof/Saale (Bayern) 73 160, 164 Hoyerswerda (Landkreis Bautzen)  23, 30, 55, 69, Freital (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterz- 82, 117, 118, 120, 121 gebirge) 20, 25, 115, 168, 169, 170, 171, 193, 240, 286 I Frohburg (Landkreis Leipzig) 115 Indien 294 Irak 270, 272, 280, 294 G Israel  269, 270 Geithain (Landkreis Leipzig)  51, 145, 146 Glashütte (Landkreis Sächsische Schweiz- K Osterzgebirge) 47, 171 Kamenz (Landkreis Bautzen)  23, 51, 118, 119 Glauchau (Landkreis Zwickau)  180 Kirchheim (Thüringen)  94 Göda (Landkreis Bautzen)  83, 117 Kobane (Syrien) 281 Gohrisch (Landkreis Sächsische Schweiz- Königstein (Landkreis Sächsische Schweiz- Osterzgebirge) 107, 110 Osterzgebirge) 173 Görlitz (Landkreis Görlitz)  19, 43, 51, 65, 90, 115, Krim  293 119, 139, 140, 141, 142, 153, 200, 242, 141 Gotha (Thüringen)  77, 82, 206, 214 L Göttingen (Niedersachsen) 207, 216 Landkreis Bautzen  21, 22, 23, 30, 31, 47, 51, 58, 111, Greiz (Thüringen) 175 117, 118, 119, 120, 121, 139, 242, 287 Grimma (Landkreis Leipzig)  58, 142, 145, 146, 150 Landkreis Görlitz 19, 51, 65, 90, 139, 140, 141, 142, Gröditz (Landkreis Meißen)  49, 156, 157, 159 153, 200, 242, 141 Großenhain (Landkreis Meißen)  49, 155, 156, 157 Landkreis Leipzig 24, 34, 51, 52, 58, 78, 90, 92, 110, Großröhrsdorf (Landkreis Bautzen)  23, 114, 118 142, 144, 145, 146, 147, 148, 184, 211, 243, 147 Landkreis Meißen 14, 19, 35, 48, 52, 102, 107, 155, H 157, 158, 159, 210, 239, 241, 286, 158 Hagenwerder (Ortsteil von Görlitz) 65 Landkreis Mittelsachsen 22, 78, 159, 163, 164, Halbe (Brandenburg) 83 200, 239, 240, 241, 286 Halberstadt (Sachsen-Anhalt)  82

VIII. Verzeichnis der Orte, Landkreise, Regionen, Länder | 367 Landkreis Nordsachsen  101, 107, 139, 164, 165, Muldental (Landkreis Leipzig)  86, 142, 143, 145 167, 168, 243, 167 München (Bayern)  70, 147, 272, 295 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzge- birge 19, 23, 24, 48, 54, 107, 110, 118, 168, N 170, 173, 174, 239, 240 Naher Osten  66, 290, 293 Landkreis Zwickau 21, 51, 71, 96, 105, 179, 180, 181, Neuensalz OT Zobes (Vogtlandkreis)  96, 98, 104 182, 238, 182 Neuensalz (Vogtlandkreis)  96, 98, 102, 104, 177, 179 Leipzig 7, 22, 24, 25, 34, 35, 39, 44, 51, 52, 58, 61, 63, Neuruppin (Brandenburg)  82, 84, 85, 142, 145, 151 65, 68, 71, 74, 78, 90, 92, 97, 98, 103, 105, 107, Neustadt (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterz- 110, 113, 140, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, gebirge) 48, 170, 171, 209, 210, 228, 236 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 159, 164, 178, Niederkaina (Ortsteil von Bautzen) 83, 117 184, 186, 188, 189, 190, 191, 192, 194, 195, 196, Nordbayern  74 197, 198, 200, 203, 204, 205, 209, 210, 211, 212, Nordirak  277, 279, 281 213, 214, 215, 216, 217, 218, 220, 221, 222, 223, Nordkorea 294 224, 225, 226, 227, 228, 234, 237, 238, 239, 242, Nordrhein-Westfalen  69, 70, 74, 79, 87, 145, 151, 243, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 253, 254, 178, 179, 271 256, 257, 258, 259, 261, 262, 263, 272, 273, 281, Nordsachsen  21, 44, 243, 101, 103, 104, 107, 139, 283, 285, 287, 288, 289, 147 164, 165, 166, 167, 168, 174, 242, 243, 167 Leisnig (Landkreis Mittelsachsen)  159, 162, 240 Nordsyrien 278 Leuben (Stadtteil in Dresden) 23, 48, 133 Liebschützberg (Landkreis Nordsachsen)  165 O Limbach-Oberfrohna 21, 51, 71, 179, 180, 181 Oberlungwitz (Landkreis Zwickau)  105 Löbau (Landkreis Görlitz)  28, 139 Oederan (Landkreis Mittelsachsen)  163 Lübtheen (Mecklenburg-Vorpommern) 51, 55 Oelsnitz (Vogtlandkreis)  107, 179 Lunzenau (Landkreis Mittelsachsen) 115, 159 Oschatz (Landkreis Nordsachsen) 165 Österreich  193, 196 M Osteuropa 293 Magdeburg (Sachsen-Anhalt) 151 Ostsachsen  52, 65, 66, 72, 90, 104, 119, 120, 139, 169, Markersdorf (Stadtteil von Chemnitz) 124 178, 242 Mecklenburg-Vorpommern  51, 55, 70, 178, 261 Ottendorf-Okrilla (Landkreis Bautzen) 23, 118 Meerane (Landkreis Zwickau) 180 Meißen (Landkreis Meißen) 14, 19, 35, 44, 47, 48, P 49, 52, 102, 104, 107, 155, 156, 157, 158, 159, Paris (Frankreich) 63, 64, 265, 271, 273, 276 210, 239, 240, 241, 286, 158 Pirna (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterz- Merseburg (Sachsen-Anhalt) 142, 145, 151 gebirge) 28, 47, 60, 105, 170, 173, 174 Mittelsachsen 22, 43, 48, 51, 54, 73, 74, 78, 80, 122, Plagwitz (Stadtteil von Leipzig)  223 135, 159, 161, 162, 163, 164, 200, 239, 240, 241, Plauen (Vogtlandkreis)  19, 21, 49, 50, 74, 77, 78, 285, 286, 163 176, 177, 178, 238, 239 Mittlerer Erzgebirgskreis 135 Polen  43, 134, 281 Mittweida (Landkreis Mittelsachsen)  22, 159, 160 Moritzburg (Landkreis Meißen)  210, 240 Mügeln (Landkreis Nordsachsen) 167

368 | VIII. Verzeichnis der Orte, Landkreise, Regionen, Länder R T Radeberg (Landkreis Bautzen)  20, 22, 111, 114, Taucha (Landkreis Nordsachsen)  166, 243 117, 118, 121 Thüringen 33, 35, 55, 57, 60, 61, 71, 73, 76, 77, 78, 82, 94, Radebeul (Landkreis Meißen)  157, 210 95, 96, 97, 98, 144, 145, 153, 155, 161, 175, 176, 179 Reinhardtsdorf-Schöna (Landkreis Sächsische Torgau (Landkreis Nordsachsen) 93, 97, 98, 99, Schweiz-Osterzgebirge) 170 101, 102, 103, 104, 125, 158, 167 Rheinland-Pfalz 73 Tschechien 56, 281 Riesa (Landkreis Meißen)  35, 49, 55, 56, 94, 97, Tschechische Republik 242 100, 102, 104, 107, 155, 156, 157, 158, 159, 164 Türkei  256, 277, 278, 279, 280, 281, 290 Roda, Ortsteil von Grimma (Landkreis Leip- zig)  146 U Rödertal (Landkreis Bautzen)  114, 118 Übigau (Stadtteil von Dresden)  132 Rothenburg OT Geheege (Landkreis Gör- Ukraine 293 litz) 141 USA 9, 103, 104, 106, 98 Russland 292, 297 V S Vogtland 15, 44, 49, 52, 65, 73, 74, 77, 78, 98, 114, 174, Saalfeld (Thüringen)  77, 78, 176 175, 176, 178 Sachsen-Anhalt  69, 73, 82, 141, 142, 145, 151, 153, Vogtlandkreis 14, 19, 52, 65, 70, 74, 78, 80, 101, 102, 175, 218 104, 107, 174, 175, 177, 178, 179, 200, 238, 179 Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 19, 21, 23, 24, 48, 49, 54, 107, 110, 115, 118, 168, 170, 173, W 174, 239, 240, 285, 286, 287, 289 Weidenthal (Rheinland-Pfalz)  73 Schmiedeberg (Landkreis Sächsische Schweiz- Weimar (Thüringen)  55, 60, 61 Osterzgebirge) 171 Weinböhla (Landkreis Meißen) 157 Schneeberg (Erzgebirgskreis)  19, 49, 95, 115, 135, Weißwasser (Landkreis Bautzen) 90, 100, 140, 136, 137 141, 142, 153 Schweden  88, 134 Werdau (Landkreis Zwickau) 51 Sebnitz (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterz- Wien (Österreich)  196 gebirge) 28, 48, 114, 170, 171 Wilsdruff (Landkreis Sächsichen Schweiz- Staupitz, Ortsteil von Torgau (Landkreis Osterzgebirge) 23, 118 Nordsachsen)  93, 97, 98, 99, 101, 102, 103, Wittstock (Brandenburg) 77 104, 125, 139, 158, 167, 168 Wunsiedel (Bayern) 77, 78, 175, 176 Stollberg (Erzgebirgskreis) 49, 135, 137 Wurzen (Landkreis Leipzig)  110 Strehla (Landkreis Meißen) 49, 156, 157 Struppen (Landkreis Sächsische Schweiz- Z Osterzgebirge) 173 Zittau (Landkreis Görlitz) 51, 53, 90, 139, 141, 242 Stuttgart (Baden-Württemberg)  296 Zobes, Ortsteil von Neuensalz (Vogtland- Südbrandenburg  79 kreis)  70, 96, 98, 101, 102, 104, 178, 179 Syrien 270, 271, 272, 273, 280, 290, 293 Zwickau (Landkreis Zwickau) 21, 22, 44, 51, 71, 74, 96, 99, 105, 109, 179, 180, 181, 182, 238, 239, 256, 285, 286, 182

VIII. Verzeichnis der Orte, Landkreise, Regionen, Länder | 369 IX. Abkürzungsverzeichnis

A E AOL „Antifaschistische Offensive ERNK „Nationale Befreiungsfront Leipzig“ Kurdistans“ AAK Antifaschistische Aktion Karl- Marx-Stadt F AFA Dresden „Antifaschistische Aktion- FAU-IAA „Freie Arbeiterinnen- und gruppe Dresden” Arbeiter-Union – Internatio- AJZ Alternatives Jugendzentrum nale Arbeiter Assoziation“ Chemnitz FKD „Freie Kräfte Dresden“ Antifa RDL „Antifa Roßwein-Döbeln- FNS „Freies Netz Süd“ Leisnig“ FSB Federalnaja Sluschba Besopas- Antifa RGB „Antifaschistische Aktion nosti Rossijskoj Federazii Rochlitz-Burgstädt-Gerings- walde” G ASJL „Anarchosyndikalistische GCHQ Government Communications Jugend Leipzig“ Headquarters

B H BfV Bundesamt für Verfassungs- HNG „Hilfsorganisation für nati- schutz onale Gefangene und deren BND Bundesnachrichtendienst Angehörige e. V.” BSI Bundesamt für Sicherheit in HPG „Volksverteidigungskräfte“ der Informationstechnik I C IL „Interventionistische Linke“ CA „Ciwanen Azad” IS „Islamischer Staat“ CDK „Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft J in Europa“ JN „Junge Nationaldemokraten“ CIA Central Intelligence Agency (JN)

D K DKP „Deutsche Kommunistische KAD „Kommunistisches Aktions- Partei“ bündnis Dresden“ DKTM „Demokratisches Kurdisches KCD-E „Kurdischer Demokratischer Gesellschaftszentrum” Gesellschaftskongress in Europa”

370 | IX. Abkürzungsverzeichnis KCK „Vereinigte Gemeinschaften PMK Politisch motivierte Kriminalität Kurdistans“ PYD „Partei der Demokratischen KON-KURD „Konföderation der Kurdischen Union“ Vereine in Europa” KPD „Kommunistische Partei R Deutschlands“ RH „Rote Hilfe e. V.“ KPF „Kommunistische Plattform RHD Rote Hilfe Deutschland der Partei DIE LINKE“ RNF „Ring Nationaler Frauen“ KPV Kommunalpolitische Vereinigung RNJ „Revolutionäre Nationale Jugend Vogtland“ M MAD Militärischer Abschirmdienst S MF „Marxistisches Forum” SWR Sluschba Wneschnei Raswedki MID Military Intelligence Department Rossijskoj Federazii MLPD „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ T MND Mitteldeutsche Nationaldemo- TAK „Freiheitsfalken Kurdistans“ kraten TddZ Tag der deutschen Zukunft MSS Ministry of State Security U N URA Dresden „Undogmatische Radikale Antifa Dresden“ NAV-DEM „Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskongress in W Deutschland“ NJB „Nationaler Jugendblock e. V.” WWT „Weisse Wölfe Terrorcrew“ NPD „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ Y NS-Boys „New Society“ YDK „Kurdische Demokratische NSC „Nationale Sozialisten Chemnitz” Volksunion“ NS-Döbeln „Nationale Sozialisten Döbeln“ YEK-KOM „Föderation kurdischer Vereine NS-Hoy „Nationale Sozialisten Hoyers- in Deutschland e. V.“ werda“ YPG „Volksverteidigungseinheiten“

O OSS „Oldschool Society“

P

PKK „Arbeiterpartei Kurdistans“ PKK Parlamentarische Kontroll- kommission

IX. Abkürzungsverzeichnis | 371

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