N° 16 — 20. April 2019

DIE SCHWEIZ AUS DER SICHT EINES BUNDESRATS B E R N , 2 8 . 0 9 . 2 0 1 7 , 1 0 : 5 8 N i c o l e L a m o n , K o m m u n i k a t i o n s c h e fi n b d e u s n D e d p a e r t s e m r e a n t t s d e s I n n e r n , i m N N a a c t i h o t n fl a u l g r a ü t b . e r d e n Z ü r i c h s e e . 3 1 . 0 7 . 2 0 1 7 , 2 3 : 3 3

DA S M AGA ZIN N ° 16 — 2019 DA S M AGA ZIN N ° 16 — 2019 U E B E R S T M O R i c F h , 1 a 3 e . l 0 B 9 . r 2 ä 0 n 1 d 7 , l e 1 1 , : p 5 e 5 r s ö D n o l r i c f v h e e r r s B a m e r m a t e l u r n d g e z s u V m o r B s t u e n h d e e r s s g d e e s s e D t z e ü p b a e r t r e d m i e e R n t e s f o d r e m s I d n e n r e A r n l t , e f r ä s h v r o t r m s o i r t g d e e 2 m 0 2 W 0 a i s m s e G r t a a s x t i h . o f V z E u N m E D S I G c h , 1 l 2 ü . s 0 s 5 e . l 2 . 0 1 7 , 1 7 : 3 1 G E N F , 2 2 . 0 5 . 2 0 1 7 , 1 7 : 0 9 T r e ff e n m i t d e r D e l e g a t i o n d e r c h i n e s i s c h e n G e s u n d h e i t s m i n i s B t e ü r r i o n d a e n s l ä B s u s n l i d c e h s d r a e t r e W s A e l l t a g i e n s B u e n r d s h e e t . i t s B v E e R r s N a , m 2 7 m . 0 l 6 u . n 2 g 0 . 1 7 , 1 0 : 5 3

DA S M AGA ZIN N ° 16 — 2019 DA S M AGA ZIN N ° 16 — 2019 B E R N , 2 6 . 0 4 . 2 0 1 7 , 1 5 : 2 1 J é r ô m e K a p p e s , C h a u ff e u r d e s B u n d S e p s i r t a z t e e n s s . p o r t l e r i n F a n n y C l a v i e n u n d B u n d e s r a t A l a i n B e r s e t . G R Ô N E , 0 1 . 0 6 . 2 0 1 7 , 1 9 : 5 7 MIT DEN AUGEN VON

Der Freiburger Fotograf Nicolas Brodard hat den Bundesrat ein halbes Jahr lang begleitet und exakt aus seiner Perspektive fotografiert.

TexT An diesem gewöhnlichen Morgen hatte sich im Bun- desratszimmer so nebenbei die grösste Sensation in oswald sigg der Geschichte der gemäss Bundesverfassung «obersten leitenden und vollziehenden Behörde» der Schweiz seit 1848 ereignet: Es war die erste Sit- Am Mittwoch, 9. Januar 1985, tagte der Bundesrat zung mit einer Frau im Bundesrat. morgens von neun bis zwölf Uhr im alten Sitzungs- zimmer im ersten Stock des Bundeshauses West, des Das Gedächtnis ist eine Kamera ältesten der im Zentrum von gelegenen Bundes- Leider ist die kleine Szene damals im Bernerhof nir- häuser. Nach der wöchentlichen Sitzung der Landes- gendwo bildhaft festgehalten. Es ist nur meine Erin- regierung fand, wie immer, im Vorzimmer das ge- nerung. Das Gedächtnis, schrieb Walter Benjamin in meinsame Mittagessen statt. seiner «Berliner Chronik», funktioniere als «Platte Derweil warteten um vierzehn Uhr im Bernerhof, des Erinnerns» und gleiche so einer Fotografie mit dem Sitz des Eidgenössischen Finanzdepartements der Lebenszeit als Belichtungsdauer. Mir ist das Bild (EFD), im grossen Büro des Departementschefs der des etwas gereizten Bundesrats Stich um so plasti- Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, der scher in Erinnerung, als er weniger mit Worten denn Generalsekretär EFD, der persönliche Berater und mit Mimik, zuweilen mit Armen und Händen, mit sei- der EFD-Pressechef gespannt auf Bundesrat Otto ner Stimme und immer wieder durch das bedächtige Stich. Ein paar Minuten später ging die Tür leise auf, Handhaben seiner Pfeife kommunzierte. und er trat herein, setzte sich etwas missmutig an sei- Als er später das Rauchen aufgab, ging auch et- 9 nen Platz am oberen ovalen Tischende, nahm die was von seiner Mitteilsamkeit verloren. Denn wenn 9 1 1 0 0 2 Tabakpfeife aus dem Mund und sprach: « Es hat sich er während eines Interviews mehr als fünf Minuten 2 — — 6 alles ein bisschen geändert. Alle sind jetzt so freund- lang mit dem Stopfen und Anzünden seiner Pfeife be- 6 1 1 ° ° N lich miteinander. Keiner erzählt mehr einen Witz. schäftigt war, galt dies als untrügliches Zeichen da- N N N I I Z Und Frau Kopp lächelt andauernd.» für, wie viel er von seinem Gegenüber hielt. Z A A G Stich legte die erloschene Pfeife auf den Aschen- Für das Image einer Politikerin oder eines Politi- G A A M becher amPult, und dann ginges weiterwiegewohnt. kers ist das Porträt von eminenter Bedeutung. Schon M S S A A D Man besprach, ob und wie der Bundesrat bei den die frühe Bundesratsfotografie besteht aus lauter sich D EFD-Geschäften entschieden hatte und welche ernsthaft und verbindlich gebenden Köpfen. Aber die 14 Arbeiten daraus für den Departementsstab anfielen. ersten zwanzig bundesrätlichen Porträts waren noch keine «Photographien», sondern vorwiegend ge- Seit jener Bundesratsreise wird die illustre Wander- zeichnete oder gemalte, schwarz-weisse Konterfeis. gruppe immer von einem zivil gekleideten Armee- Der Aargauer (1825–1899) ist der erste in fotografen begleitet. Meistens gesellt er sich zum sanften Farben erscheinende und zugleich der letzte Pulk der übrigen Medienschaffenden, wobei jedoch gemalte Magistrat in der Reihe der Mitglieder des die «normalen» Fotografen nur in gewissen Ab- Bundesrats seit 1848. In Bezug auf die Anwendung schnitten und Ortschaften der Bundesratsreise ihre neuartiger Bildtechniken war die moderne Schweiz Arbeit verrichten dürfen, während der Armeefoto- ab 1848 noch etwazwanzig Jahre lang leicht rückstän- graf mit seinem exklusiven Auftrag die Bundesrats- dig. Denn damals gab es bereits «Photographen». reise fast 1:1 verfolgen darf. So entstanden während Sie waren «Verfertiger von Lichtbildern», die nach vierzehn Jahren Tausende von Aufnahmen der Mit- einem im Jahr 1839 erfundenen Verfahren des Eng- gliederder Landesregierung, dienochkeinMenschje länders Fox Talbot erzeugt wurden. Es gab aber auch zu Gesicht bekommen hat. «Heliographen», die besonders Porträts nach der weltweit ersten fotografischen Technik des Franzo- Unikat Bundesrat sen Joseph Nicéphore Niépce anfertigten. Erst um Den ganzen Bundesrat vor die Linse zu bekommen, 1870 herum setzte die Bundeskanzlei gezielt die neue ist nur mit einer generalstabsmässig geplanten Ak- Technik der Fotografie ein. tion möglich. In der Altjahrswoche, wenn es gewöhn- lich für die Medien aus der Landesregierung nichts zu Militärisches Fotoshooting berichten gibt, wird das traditionelle Bundesratsfoto Die Bundesratsfotografie ist gewissermassen eine dafür umso ausführlicher kommentiert. Die sarkasti- amtlich bewilligte Kunstgattung. Denn die Gemä- schen, wohlwollenden oder auch ironischen Würdi- cher der Landesregierung im ersten Stock des Bun- gungen in vielen Medien zeigen vor allem eines: Der deshauses West sind nur während zehn Minuten zu Bundesrat ist äusserst populär. Er gibt sich meist we- Beginn der ersten Sitzung im neuen Jahr für akkredi- der magistral noch arrogant, ist respektiert und auf tierteBundeshaus-undnurganzausnahmsweiseund seine Art bescheiden. Mit lediglich sieben Ministern nur mit spezieller Bewilligung für gewöhnliche Profi- gehört er zu den kleinsten Regierungen Europas. Nur fotografen zugänglich. Also ausgesprochen selten. Es das Fürstentum Liechtenstein kommt mit noch weni- ist schon deshalb eine artistische Herausforderung, ger aus, nämlich mit fünf Ministern: Der Regierungs- unter solchen Rahmenbedingungen der Kunst des chef und die vier Regierungsräte werden vom Fürsten Fotografierens nachgehen zu dürfen. ernannt und sind von ihm abhängig. Die monegassi- Seit dem ersten Bundespräsidialjahr Adolf Ogis sche Regierung in Monte Carlo wiederum zählt sechs gibt es eine spezielle Bundesratsfotografie. Während von Seiner Hoheit dem Fürsten Albert II. eingesetzte alle Mitglieder des Bundesrats seit 1848 im Format Minister, die seinen Willen zu vollstrecken haben. mehr oder weniger gelungener Passbilder registriert Politisch betrachtet, ist die aussergewöhnliche wurden, wird seit 1993 der gesamte Bundesrat inklu- Stabilität des schweizerischen Regierungssystems sive Bundeskanzler unter künstlerischer Leitung der das kostbarste Gut. Dieses beruht auf einer ausgeklü- Bundespräsidentschaft jeweils Ende Dezember von gelten Machtteilung. Alle Bundesrätinnen und Bun- einem von ihr ausgewählten Fotografen abgelichtet. desräte sind absolut gleichrangig – auch der Bundes- Die komplette Sammlung der präsidialen Kunstwer- präsident. Jedes Mitglied der Regierung hat dieselbe ke ist ebenso auf der Bundeskanzlei-Webseite verfüg- Chance, für ein Jahr das Amt des Bundespräsidenten bar. Hingegen sind frühere Aufnahmen des gesamten auszuüben. Wer aber einmal Bundespräsident war, Bundesrats weder in der Bundeskanzlei noch im Bun- bedauert es umso mehr, dass für diese wichtige Auf- desarchivalsBeständevorhanden.MeineVermutung, gabe nicht wenigstens zwei oder sogar drei Jahre vor- dass sich vor 1993 jeweils ein Armeefotograf solcher gesehen sind. Es sei doch geradezu peinlich, dass Aufnahmen annahm, liess sich nicht bestätigen. etwa die nachbarlichen Staats- oder Ministerpräsi- Doch im «Zentrum elektronische Medien ZEM», denten sich jedes Jahr an ein neues Gesicht aus der das in einem RUAG-Gebäude im Berner Wankdorf- Schweiz gewöhnen müssten. Kaum jemand unter den quartier untergebracht ist und einen Teil der «Logis- Mächtigen dieser Welt versteht die skurrile Art von tikbasis der Schweizer Armee LBA» darstellt, ent- Zähmung allfälliger Machtgelüste, die de facto einer deckt man im Armeefotodienst noch eine weitere Unterbindung realer Machtausübung gleichkommt. 9 9 Sparte der Bundesratsfotografie. In vierzehn gross- Die nüchterne Architektur der Bundespräsident- 1 1 0 0 2 2 formatigen, dicken Fotoalben finden sich Aufnah- schaft ist das Sinnbild einer kollegialen Regierung, in — — 6 6 men der alljährlich stattfindenden Schulreisen des der sogenannte Alphatiere systematisch in Ketten ge- 1 1 ° ° N N Bundesrats. Auf dem Cover des ersten Albums sieht legt werden. Denn der Bundesrat regiert ja gar nicht. N N I I Z Z man den ganzen Bundesrat knöcheltief im Wasser Die wichtigsten Fragen der schweizerischen Politik A A G G der Sarine bei Fribourg stehen und gelangweilt den werden von den Bürgerinnen und Bürgern an der A A M M Ausführungen von Bundespräsident Urne entschieden. Das Amt des Bundespräsidenten S S A A D D lauschen. Darunter steht: 2004 1-2 Juli/Juillet Bun- wird nur temporär ausgeübt, wie eine vom Arbeit- desratsreise Excursion du conceil fédéral (Druckfehler geber bewilligte Nebenbeschäftigung. Nur achtzehn inbegriffen). Bundesräte von insgesamt hundertsiebzehn beklei- 15 deten nie diesen honorigen Job – die Letzten unter ih­ und Bild festzuhalten. Davon zeugt eine grosse An­ nen waren Ruth Metzler und Christoph Blocher, weil zahl teilweise illustrierter Biografien und bebilderter beide vom Parlament nicht wiedergewählt wurden. Lifestyle­Reportagen im Stil der «Schweizer Illust­ Der «Blick auf die Welt der Macht», wie der Unter­ rierten», von Tausenden von Youtube­Videos und titel zum Bundesratsfotobuch «Conseiller Fédéral» Hunderttausenden von Fotoaufnahmen in öffentli­ von Nicolas Brodard lautet, verspricht nicht zu viel. chen Bibliotheken und Archiven und in privaten Aber die Attribute und Symbole schweizerischer Sammlungen. Die Bundesratspublizistik ist unüber­ Macht sind vergleichsweise leichtgewichtig. Schaut sehbar geworden. Im Buchhandel bringt es zwar man näher hin, leben die Bundesrätinnen und Bun­ meistens keine Bundesrätin, kein Bundesrat in die desräte zwar mit einigen kleineren und grösseren Bestsellerlisten, dennoch werden ihre Bücher als Vorteilen: Lohn: 451417 CHF, Spesen: 30000 CHF/ Neuerscheinungen in den Buchhandlungen promi­ Jahr (Bundespräsident: 12000 CHF zusätzlich), SBB­ nent platziert und in den Medien kommentiert. GA 1. Klasse lebenslänglich. Von einigen weiteren kleinen Privilegien abgesehen: Lohnpolitisch be­ Macht und Glanz in Bildern trachtet, ist der Bund, und damit der Bundesrat, ein In meiner Erinnerung suchte der «Blick»­Reporter sozialer Arbeitgeber. Der geringste Bruttolohn beim Rolf Widmer Mitte November 1981 den Finanzminis­ Bund beträgt 62485 CHF. Somit verdienen die höchs­ ter in dessen Büro im ersten Stock des ten Chefs – die Bundesrätinnen und Bundesräte – nur Bernerhofs auf, um von ihm etwas über die kommen­ gerade gut siebenmal mehr als beispielsweise ein La­ de Volksabstimmung über die Bundesfinanzordnung gerarbeiter beziehungsweise Logistikfachmann in zu erfahren. Widmer und ich sassen vor dem grossen einem Lagerhaus der Armee. In der Bundesratsloge Pult, hinter dem Ritschard wortreich die drei wich­ im Berner Stadttheater – sie gehört ebenfalls zu den tigsten Gründe für ein Ja erklärte. Nach über zehn Mi­ besagten Privilegien – sitzt meistens kein einziges nuten meinte der Journalist, der immer auch eine Ka­ Mitglied der Landesregierung, und das ist begreif­ mera dabeihatte, das sei ja alles sehr interessant, nur lich: die Bühne des Bundeshauses liegt ihnen näher. habe er im Blatt nicht für so viel Platz. Ob Ritschard sich nicht mal neben das Pult stellen und seine leeren Die Politik als Spiel Hosensäcke zeigen könne. Ritschard schaute mich Als sich Bundesrat am 22. Sep­ an: «Was meinst du, Oswald?» Ich fand es daneben tember 2010 im voll besetzten Nationalratssaal von und sagte darum: «Also ich weiss nicht so recht, so der Vereinigten Bundesversammlung, den Bundes­ leer ist die Bundeskasse ja auch wieder nicht.» hausfotografen, den akkreditierten Bundeshausjour­ Aber Ritschard, der den «Blick» auch schon als nalisten sowie dem Publikum auf den Tribünen ver­ «besser weder die ‹Berner Tagwacht› und das ‹Volks­ abschiedete, wählte er zu Beginn und Ende seiner recht› zusammen» gewürdigt hatte, fand den Vor­ Rede dieselben Worte: «Wir treten auf. Wir spielen. schlag gut. Er setzte sich für Widmer in Pose: mit lee­ Wir treten ab.» ren Hosensäcken und einem leicht verzweifelten In solchen Momenten sind die vollzählig anwe­ Ausdruck im Gesicht. Anderntags erschien die Auf­ senden Bundesrätinnen und Bundesräte die Stars. nahme grossformatig im Blatt. Und am Sonntag, 29. Denn im Unterschied zu den Mitgliedern des Parla­ November 1981, wurde die Bundesfinanzordnung mit ments, die während zwölf Sessionswochen pro Jahr 69 Prozent Jastimmen angenommen. in den beiden Ratssälen ihre Arbeit vor der Öffent­ Wie damals Willi Ritschard, so ist heute Adolf lichkeit verrichten, bekommen die Medienleute den Ogi bei Fotografen beliebt. Als er auf Ende 2000 als Bundesrat in corpore nur selten vor die Objektive. Bundesrat demissionierte, widmete ihm die Vereini­ Das Bundesratszimmer, worin die sieben Mit­ gung der Bundeshausfotografinnen und ­fotografen glieder – begleitet von Bundeskanzler, Bundesrats­ ein Bilderbuch mit dem Titel: «. Aus der sprecher und Vizekanzler – tagen, ist eine Blackbox. Sicht der Bundeshausfotografen».Auf 86 Seitensieht Niemand – ausser den Bundesratsweibeln – hat zu man Ogi anlässlich des Schocks von Seoul (das Out dieser Kammer Zutritt. Der Rückzug der Landesre­ für«Sion2006»),mitBotschafterAdnanalMandeel, gierung in einen von der Öffentlichkeit abgeschirm­ mit Juan Antonio Samaranch, beim Abschlagen am ten Raum stärkt den Nimbus des Siebnergremiums. Hornusserfest, mit Christoph Blocher, beim Frühtur­ Hier drin wird Politik nicht gespielt, weil das Publi­ nen, auf einer BLS-Lok, mit François Mitterrand, ver­

kum fehlt. Hier wird sie gemacht. Ohne Handys, Ka­ zweifelt beim Sturmgewehrschiessen und lachend 9 1 0

meras, Mikrofone, Zuhörerinnen und Zuhörer. mit seinem Weibel Philipp Britschgi. Das neue Bun­ 2 —

Ein Bundesrat, eine Bundesrätin: Das sind ge­ desratsfotobuch von Nicolas Brodard trägt keinen 6 1 °

räuschlos wirkende und dem gleissenden Licht ent­ Namen und zeigt schon gar keinen Bundesrat mehr. N N I

rückte Wesen voller Geheimnisse. Nicht von unge­ Z A

fähr haben sich Chronisten, Journalistinnen, Publi­ Nicolas Brodard G A

zisten, Autorinnen, Film­ und Fernsehschaffende In der Bundesverwaltung in Bern zählt man 356 M S A

und insbesondere Fotografinnen und Fotografen der akkreditierte oder zutrittsberechtigte Medienschaf­ D Bundesräte seit 1848 und der Bundesrätinnen seit fende (JournalistInnen, FotografInnen), die ohne 16 1985 angenommen und versucht, ihr Wirken in Wort Weiteres das Parlamentsgebäude, die angrenzenden Bundeshäuser West und Ost sowie das Medienzent­ nungen. Ein doppelt indirektes Porträt einer Funk­ rum Bundeshaus betreten dürfen. Der Fotograf Nico­ tion, das durch semiologische Schichten gleichzeitig las Brodard gehört nicht dazu. Dass einer, der nicht deren Inhaber spiegelt. Brodard macht Tausende von zum «Gratin fédéral» gehört, sich an ein Buchprojekt Aufnahmen und übernimmt gerade mal siebenund­ mit dem Titel «Conseiller Fédéral» wagt, würde man siebzig davon in das Buch. Die Auswahl ist auch dank vielleicht seinem gesunden Selbstbewusstsein zu­ dem französischen Fotografen und künstlerischen schreiben. Tatsächlich war es aber im Fall von Nico­ Leiter Martial Mingam zustande gekommen. lasBrodardeinAktvongehörigemMut,vonAusdauer Doch aller Anfang ist schwer. Den Fotografen im und grossem Respekt gegenüber den politischen In­ Umfeld eines Bundesrats werden die Standorte oft stitutionen und ihren Trägerinnen und Trägern. von Sicherheits­ oder Medienverantwortlichen zu­ «Die Idee war verrückt», sagt er, der sich seit frü­ gewiesen. Alain Berset fragt Brodard nach ein paar her Jugend für den Bundesrat und seine Politik inter­ Wochen bei einem Bier, ob er mit seiner bisherigen essiert. Als Neunjähriger schon kennt er die Namen Arbeit zufrieden sei. Brodard verneint und schlägt der Bundesräte auswendig. Als er 2015 von einer Re­ vor, seine Aufnahmen möglichst nahe bei ihm ma­ portage in der Türkei, Griechenland, dem Kaukasus chen zu dürfen. Berset ist sofort einverstanden und und dem Nahen Osten zurückkehrt, will er sich dem erlöst damit den Fotografen von seinem Stress. Bro­ Bundesrat widmen. Brodard stellt fest, dass die Lan­ dard bestätigt: «Alain Berset hat von Beginn weg an desregierung immer auf dieselbe Weise dargestellt mein Projekt geglaubt.» wird, unter Verwendung der üblichen Klischees und Wäre er selbst ein Bundesrat: Was würde Bro­ Fantasien.Erwillandersvorgehen.MitseinemPresse­ dard ändern? Etwas verlegen antwortet er: «Viel ausweis hat er zwar leichten Zugang zum Bundes­ mehr Zeit investieren, um darüber nachzudenken, ob haus, zum Medienzentrum – und damit zur offiziellen unsere Institutionen zukunftstauglich sind. Wir sind Kommunikation des Bundesrats. Aber gerade gegen­ im 21. Jahrhundert, und die Schweiz hat ihren frü­ über solcher Offizialität ist er skeptisch. heren Mut zum Risiko und die Freude an Verände­ Die Perspektive eines Bundesrats zu überneh­ rungen verloren.» Entsprechend zeigen seine Bilder men, statt diesen selbst im Objektiv zu haben – das ist das Bundeshaus nicht als Machtzentrale – keine Auf­ für ihn die Lösung. Mehr noch: Ein Bundesrat sei eine nahmen von grossartigen Anlässen, politischen Person. «Ich will fotografieren, was diese Person mit Kulturdenkmälern oder Begegnungen auf höchsten wem, wie und in welchem Umfeld tut. Mich interes­ Ebenen. Denn das sind Symbole, welche die Volks­ siert weniger die Person und mehr die Funktion.» weisheit bestätigen mögen: «Die in Bern oben ma­ Pete Souza, der offizielle Fotograf von US-Präsi­ chen ja doch, was sie wollen.» Brodards Bilder zur dent Barack Obama, habe diesen als aussergewöhn­ Rolle eines Bundesrats weisen hingegen sanft auf den lichen Ehemann, mit Hunden im Garten, als vertrau­ noch heute beinahe revolutionären Umstand hin, enswürdigen Kriegsherrn, als guten Basketballspie­ dass der Bundesrat ein Diener von Volk und Ständen ler und hervorragenden Redner abgebildet. François zu sein hat. Und dass Volk und Stände die höchsten Hollande habe Fotografen, die seine Umwelt einbe­ politischen Instanzen sein sollen. zogen hätten, zwar akzeptiert, aber letztlich auch nur den «normalen» Präsidenten illustriert. Solche Ge­ fälligkeitsarbeiten wollte Brodard vermeiden. Aber wie? Über seine Antwort lächelt er selbst: «Ich werde Bundesrat Bersetgarnichtfotografieren.»Nacheiner Weile ist dieser einverstanden. Es entsteht ein Kalei­ doskop von Bersets Aufgaben, von seinen Mitarbei­ OSWALD SIGG ist ehemaliger Bundesratssprecher. tenden, der Anlässe, Sitzungen, Reisen und Begeg­ [email protected]

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