Die Gedenkstätte Vulkan in Haslach Von Sören Fuß

Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten Wissenschaftler der Universität am „Urenkopf“, wenige Kilometer von Haslach entfernt, eine für den Schotter der Eisenbahndämme besonders geeignete Gesteinsart, den Amphibolit. 1902 begann eine Firma mit dem Fantasienamen „Hartsteinwerke Vulkan“ mit dem Abbau dieses festen und zähen Gesteins. Von 1911 bis 1938 entstanden hier große Bergwerkstollen. Sie waren schließlich der Grund, in Haslach während der Zeit des Nationalsozialismus Lager einzurichten. Die seit 1944 zunehmenden Luftangriffe der Alliierten wirkten sich verheerend auf die Rüstungsindustrie in Deutschland aus. Aufgrund des verstärkten Bedarfs an Soldaten für die Front mangelte es gleichzeitig aber auch an Arbeitskräften für die auf Hochtouren laufende Rüstungsproduktion. Andererseits führte die unaufhörliche Deportation von Bewohnern aus den besetzten Gebieten zu völlig überfüllten Lagern. Diese Faktoren brachten die in der Rüstungsindustrie Verantwortlichen, das Rüstungsministerium und die SS auf den Gedanken, Zwangsarbeiter und „arbeitsfähige Häftlinge“ sowohl bei der Herstellung neuer Produktionsstätten als auch bei der Produktion selbst einzusetzen. Haslach erfüllte mit seiner Lage und mit den Stollen die Vorbedingungen und die Ziele des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion, Albert Speer: Dezentralisierung und Untertageverlagerung. Es wurde dabei bewusst in Kauf genommen, dass die unmenschlichen Unterbringungs- und Arbeitsbedingungen in der Praxis die „Vernichtung durch Arbeit“ der eingesetzten Zwangsarbeiter bedeuteten konnte. Bereits seit dem Jahr 1943 war in Untersuchungen des Reichsamtes für Bodenforschung der Zustand der Haslacher Stollen überprüft worden. Im April 1944 wurde dann ein Gutachten mit dem Ergebnis erstellt, dass die Firma Mannesmann Stahlblechbau Teile der Produktion nach Haslach verlagern sollte. Gleichzeitig war die Firma Perpetuum Ebner aus St. Georgen als Nutzer der Stollen vorgesehen. Schließlich entschied man sich aber am 12. Oktober 1944 für die Firma Daimler-Benz, nachdem deren Werke in kurz zuvor nahezu vollständig zerstört worden waren.

Das Lager „Sportplatz“

Am 16. September 1944 wurde das erste Lager in einer Wehrmachtsbaracke eingerichtet, das Lager „Sportplatz“ als Außenlager des inzwischen evakuierten KZ Natzweiler-Struthof im Elsass, von wo aus 399 Häftlinge über Dachau und Allach nach Haslach transportiert wurden. Später kamen weitere 251 Gefangene des Lagers Flossenbürg hinzu. Sie mussten unter Anleitung der „Organisation Todt“ Straßen bauen, die Stollen erweitern, Entwässerungskanäle graben und den Stollenboden betonieren. Die Häftlinge dieses Lagers, überwiegend Angehörige der Résistance und „NN-Häftlinge“ (NN: „Nacht und Nebel“), kamen vor allem aus Frankreich und Russland. Täglich marschierten sie durch die Stadt zu den fünf Kilometer entfernt liegenden Stollen am „Vulkan“. Miserable medizinische Versorgung, unzureichende Ernährung und Kleidung sowie häufige Misshandlungen schwächten die Arbeitskraft der abgemagerten Häftlinge und führten täglich zu Todesfällen. Die Bedingungen verschlimmerten sich Ende 1944 durch ausbrechende Seuchen zusätzlich. Bis Mitte Februar 1945 wurden die Häftlinge in mehreren Transporten, abhängig vom Grad ihres körperlichen Verfalls, in das Lager Vaihingen und in die Lager Dautmergen-Schömberg überführt.

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Das Lager „Vulkan“

Da die Arbeiten für die Produktionsstätten nur schleppend vorankamen, wurden Anfang Dezember 1944 zusätzlich mehr als 700 Häftlinge aus in einer dreitägigen Zugfahrt nach Haslach transportiert und hier in einem Bergwerkstollen, dem Lager „Vulkan“ als Außenlager des Sicherungslagers Schirmeck (Elsass), völlig unzureichend untergebracht. Viele der Häftlinge sahen während der folgenden vier Monate kein Tageslicht. Katastrophale hygienische Verhältnisse, Nässe, Kälte, Hunger und Krankheiten, ständige Misshandlungen und Erschießungen machten dieses Lager zur „Hölle Vulkan“. Die Häftlinge dieses Lagers kamen ebenfalls vorwiegend aus Frankreich und Russland. Mindestens 285 von ihnen stammten aus dem Elsass. Sie waren verhaftet worden, weil sie sich geweigert hatten, in die deutsche Wehrmacht oder in die SS einzutreten. In diesem Zusammenhang wurden auch viele Männer und Jugendliche als Fluchthelfer oder Geiseln deportiert.

Das Lager „Kinzigdamm“

Am 10. Dezember 1944 kamen weitere rund 300 Häftlinge mit dem Zug aus Niederbühl bei Rastatt nach Haslach. Sie wurden je zur Hälfte in den Baracken am Kinzigdamm und in einer leerstehenden Fabrikhalle im Erdgeschoss der Firma Bob am Gewerbekanal untergebracht. Diese Häftlinge im Lager „Kinzigdamm“, ein weiteres Außenlager des Sicherungslagers Schirmeck, waren ebenfalls wegen „Deutschfeindlichkeit“ verhaftet worden und kamen aus verschiedenen Gefängnissen, vor allem aus dem Elsass. Von den insgesamt 1700 Häftlingen aus 21 Ländern starben in den drei Haslacher Lagern nachweislich 223 Männer, die vor der Friedhofsmauer vergraben wurden. Weitere Tote sind am Berg selbst verscharrt worden. Hunderte starben noch vor Kriegsende in anderen Lagern oder überlebten das Kriegsende nur für kurze Zeit.

Die Gedenkstätte Vulkan

Der Geschichte der Lager folgte die Geschichte der Aufarbeitung. Außer einem Ehrengrab für 75 nicht identifizierbare Opfer erinnerte lange Zeit nichts mehr an diese Ereignisse. Die Stollen am Vulkan waren von der französischen Besatzungsarmee im Jahre 1948 gesprengt worden; auf dem Gelände wurde später eine Mülldeponie eingerichtet. In den ersten 25 Jahren nach Kriegsende waren es nur die Häftlinge selbst, die sich mit Unterstützung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) um das Gedenken an jene Schreckenszeit bemühten. Im Jahr 1970 wurde schließlich unter Mitwirkung der Stadt Haslach an der ehemaligen KZ-Baracke eine Gedenktafel angebracht. Einige Jahre später begann der Geschichtslehrer und Heimatforscher Manfred Hildenbrand, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Als „Einzelkämpfer“ erforschte er 25 Jahre lang die Geschichte der Haslacher Lager. Im Jahr 1997 stieß dann eine Gruppe von auswärtigen Höhlenforschern eher zufällig auf die Lagergeschichte am „Vulkan“. Im Zuge der sich daraus ergebenden Diskussion bildete sich aus den Reihen des Haslacher Stadtrates eine Initiativgruppe, die es sich zur Aufgabe machte, in Haslach einen Ort der Erinnerung an die Geschehnisse in den drei Lagern zu schaffen. Stadtrat, Bürgermeister und Stadtverwaltung unterstützten das Vorhaben, so dass diese neue Seite der Vergangenheitsbewältigung aufgeschlagen werden konnte. Innerhalb weniger Monate wurde die Gedenkstätte geplant und realisiert. Als Ort wurde der Berg gewählt, wo so viele Menschen leiden und sterben mussten. Die Gedenkstätte umfasst die Überreste eines Steinbrechwerkes und einer Seilbahnstation. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich als einziger sichtbarer Rest des Höhlensystems der Eingang eines Entwässerungsstollens. Zwölf Dokumentationstafeln informieren

mit Text und Bild über die Haslacher Lager. Das Zentrum der Anlage ist das Mahnmal, das von Frieder Haser, einem Haslacher Künstler, gestaltet wurde. Es besteht aus einem schweren Eisenkreuz, das auf massiven Steinbrocken liegt. Um das Denkmal herum sind Sitzgelegenheiten für 35 Personen gruppiert. Sie erlauben auch längere Aufenthalte für Diskussionen und Unterricht vor Ort. Der inzwischen idyllische Platz mit der bedrückenden Vergangenheit schafft eine Atmosphäre, die Aufmerksamkeit und Interesse erweckt. Am 25. Juli 1998 wurde die „Gedenkstätte Vulkan“ eingeweiht. 200 ehemalige Häftlinge oder Familienangehörige aus Frankreich, aus den Niederlanden, Luxemburg und der Ukraine nahmen an der Feier teil. Bürgermeister Heinz Winkler bat die Überlebenden um Verzeihung und um Vergebung für das, was ihnen auf Haslacher Boden im Namen der nationalsozialistischen Diktatur widerfahren ist. „Wir reichen Ihnen die Hand zur Aussöhnung mit dieser Stadt“, so seine Worte.

Die ehemaligen Häftlinge von Haslach

Gleichzeitig mit der Planung der Gedenkstätte begann 1997 auch die Suche nach überlebenden Häftlingen. Es waren bewegende Augenblicke, wenn sich am Telefon, oft nach unzähligen Fehlversuchen, plötzlich der Gesprächspartner als ehemaliger Häftling zu erkennen gab. Die meisten hatten in den mehr als fünfzig Jahren den Kontakt zu den Kameraden verloren, ein großer Teil hatte den Ort der ehemaligen Leidenszeit nie mehr aufgesucht. Ein Vergessen oder Verdrängen dieser Schreckenszeit gelang aber nie. Die Reaktionen der ehemaligen Häftlinge reichten von herzlicher Freude, nicht vergessen worden zu sein, über Misstrauen und Ungläubigkeit bis hin zu Schmerzausbrüchen, die durch die Erinnerung spontan hochkamen. Oft mündeten diese Telefongespräche unverzüglich in persönliche Treffen. Überraschend an diesen Besuchen war die Herzlichkeit, mit der die in Haslach Geschundenen der örtlichen Bevölkerung gegenübertraten. Hunderte von Briefen enthalten Sätze wie den von Pierre Prud’homme: „Vielen Dank an Haslach, wo ich die schlimmsten Augenblicke erlebt habe, aber dank gewisser Einwohner dieser kleinen Stadt und einiger Äpfel oder Brotstücke habe ich überlebt. Ich möchte mich dafür zutiefst bedanken.“ Solche Aussagen von Betroffenen zeigen, dass bei der Aufarbeitung der Geschichte Begriffe wie Völkerverständigung und Aussöhnung auch heute noch eine große Bedeutung haben. Auch nach diesen ersten Begegnungen wurde die Arbeit mit den Zeitzeugen intensiviert und weitere Überlebende ermittelt. Einzelschicksale bestätigten die besondere Tragik der Häftlinge aus dem Osten. Der Ukrainer Wassil Sliptschuk zum Beispiel wurde 1945 auf seiner Reise von Haslach zurück in die Heimat abgefangen und musste weitere vier Jahre in einem stalinistischen Lager verbringen. In den Jahren 2000, 2002 und 2004 organisierte die „Initiative Vulkan“ zusammen mit der Stadt Haslach und mit Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg weitere Häftlingstreffen. Es waren jeweils zweihundert Personen, die noch ungezwungener als beim ersten Mal der Stadt ihre Freundlichkeit anboten. Darunter waren Gefangene, die das erste Mal seit 1945 ihren Fuß auf deutschen Boden setzten. Gleichzeitig hat die Gedenkstättenarbeit aber auch in Haslach ihre Wirkung hinterlassen und mehr und mehr Einheimische dazu gebracht, sich zu öffnen. Bisher unbekannte Vorkommnisse kamen ans Tageslicht. Einerseits bestätigte sich die damalige Hilfsbereitschaft vieler Bürger, die sogar Häftlinge versteckt hatten, andererseits war Haslach selbstverständlich keine Insel im NS-Deutschland. Unterdrückung und Übergriffe der örtlichen Nationalsozialisten bis hin zum Erhängen eines polnischen Zwangsarbeiters gehören ebenfalls zur Geschichte der Stadt.

Inzwischen wird die Gedenkstätte regelmäßig auch von Schulklassen besucht. Dabei wird besonderer Wert darauf gelegt, Anzeichen von Intoleranz, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in Beziehung zu den Strukturen und der Entstehungsgeschichte des nationalsozialistischen Regimes zu setzen. Ziel dieser Bemühungen ist die Verinnerlichung des Ausspruches von Bundespräsident Roman Herzog auf dem Mahnmal der Haslacher Gedenkstätte: „Man ist nicht nur verantwortlich für das, was man tut, sondern auch für das, was man geschehen lässt.“

Sören Fuß war Realschullehrer, einer der Initiatoren und Leiter der Gedenkstätte Vulkan in Haslach.

Publikationen

 Sören Fuß: Gedenkstätte Vulkan (Broschüre) 1998.  Sören Fuß: Gedenkstätte Vulkan – , in: Die Ortenau, 81. Jg. 2001, S. 533–544.  Manfred Hildenbrand: Die „Hölle“ von Haslach: Die beiden Konzentrationslager „Kinzigdamm“ und „Vulkan“, in: Die Ortenau, 73. Jg. 1993, S. 456–479.