Preisträger

Max-Planck-Medaille

Neurodynamik in Echtzeit Auf dem Weg zu einem Verständnis der Okulomotorik und der neuronalen Grundlagen des Sehens Klaus Hepp

ochgeehrte DPG, meine Damen und Herren! Echtzeitprozesse auch der „visuelle Greifreflex“ durch Herzlichst danken möchte ich Ihnen für die schnelle Augenbewegungen und das „Sehen auf einen HVerleihung der Max-Planck-Medaille und für Blick“. Auf Prozesse mit langen Zeitskalen, die komple- Ihr Kommen zu diesem Anlass. Ich weiß, dass ich auf xe Funktionen kognitiver Strategien, Gedächtnis und den Schultern von Giganten stehe [1]. Meine Anwesen- Lernen einbeziehen, kann ich nicht eingehen. heit hier ist etwa zur Hälfte dem Erbgut und der Erzie- Kant, Helmholtz und Mach schufen die Grundlagen hung durch meine Eltern, den Medizinern Liselotte und für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Philosophie, Oskar Hepp, zu danken und zur Hälfte der Weisheit Medizin und Physik. Ich möchte mit Fragestellungen meiner Lehrer , Rudolf Haag, , dieser großen Männer Themen vorstellen, die ich dann Arthur Wightman und meinen wissenschaftlichen Weg- mit interessanten Beispielen aus der Hirnforschung or- gefährten Huzihiro Araki, Jürg Fröhlich, Walter Hunzi- chestriere, an denen ich selber etwas Anteil hatte und ker, Elliott Lieb, David Ruelle und Othmar Steinmann. die sehr rasch auf wissenschaftliches Neuland führen. Doch auch viel Glück habe ich gehabt, z. B. dass ich Kant ist unter anderem ein bedeutender Vorläufer dank meiner Frau Marie-Claude Hepp-Reymond noch der kognitiven Neurowissenschaften, der wichtige während meiner aktiven Jahre mit der Neurobiologie Einsichten über die Funktionsweise des Gehirns durch in Kontakt kam und mich der Neurologe Volker Henn Introspektion gewonnen hat. Der Raum wurde von ihm zusammen mit John Van Opstal als „Post-Doc“ in das „a priori“ als „Form des äußeren Sinnes“ eingeführt, „Henn-Lab“, sein vestibulo-okulomotorisches Labora- in einer anderen Sicht als der Newtonsche Raum, aber torium, aufnahm. Über die Logik der Forschung in die- wie dieser mit euklidischer Geometrie versehen. Für ser Zeit und aus dem Institut für Neuroinformatik, mit mich ist die „synthetische Apperzeption“ durch das Ge- Rodney Douglas und Paul Verschure, möchte ich hier hirn als Echtzeitprozess wichtig, die in dem folgenden berichten, und ich hoffe, Ihnen einige Hinweise zum Zitat [4, S. B137] treffend charakterisiert ist: Weiterdenken mitzugeben. So ist die bloße Form der äußeren sinnlichen Anschau- Struktur mit Funktion zu verknüpfen ist in beiden ung, der Raum, noch gar keine Erkenntnis; er gibt nur das Richtungen eine mehrdeutige Abbildung, sowohl in Mannigfaltige der Anschauung a priori zu einem möglichen der Biologie als auch in der Technik. In der Genomik Erkenntnis. Um aber irgend etwas im Raume zu erkennen, bringt man die sequentielle Struktur der DNS in den z. B. eine Linie, muss ich sie ziehen, und also eine bestimm- te Verbindung des gegebenen Mannigfaltigen synthetisch zu Chromosomen mit der Funktion von Proteinen in der Stande bringen, so, dass die Einheit dieser Handlung zu- Zelle in Verbindung und strebt danach, einen Orga- gleich die Einheit des Bewusstseins (im Begriffe einer Linie) nismus wie eine Fliege (Drosophila) aus ihrem Genom ist, und dadurch allererst ein Objekt (ein bestimmter Raum) und realistischen Rand- und Anfangsbedingungen zu erkannt wird. Die synthetische Einheit des Bewusstseins ist berechnen. Das menschliche Gehirn ist auf unserem also eine objektive Bedingung aller Erkenntnis, nicht deren Planeten das komplexeste System, das in einem Volu- ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern men von weniger als zwei Litern Platz findet. Es ist un- unter der jede Anschauung stehen muss, um für mich Ob- jekt zu werden, weil auf andere Art, und ohne diese Syn- möglich, vom aktiven Gehirn eine kompakte Beschrei- thesis, das Mannigfaltige sich nicht in einem Bewusstsein bung zu geben, denn zu viele räumliche und zeitliche vereinigen würde. Prof. Dr. Klaus Skalen müssen in dem Struktur-Funktion-Zusammen- Hepp, Institut für hang nichttrivial berücksichtigt werden [2]. Helmholtz untersuchte die Denkform „Raum“ em- Theoretische Physik, „Neurodynamik“ in meinem Titel bedeutet, dass ich pirisch mit „psychophysikalischen“ Experimenten. Ein ETH, Hönggerberg, Neuronen (Nervenzellen) und ihre Wechselwirkun- wichtiger Teil seiner „Grundlagen der physiologischen CH-8093 Zürich – Vortrag anlässlich gen im Gehirn und die Kopplung an die Außenwelt Optik“ [5] ist den Prinzipien der Wahrnehmung gewid- der Verleihung der durch Sensoren und Effektoren als Struktur vorgebe met, wo er über Kant hinaus einen empirischen Zugang Max-Planck-Medail- und daraus makroskopische Funktionen des Gehirns zu den Gehirnfunktionen zu finden hoffte. So findet le 2004 auf der 68. wie Sehen und motorische Kontrolle erklären möchte. man in [5] nach dem grundlegenden Kapitel 26 „Von Physikertagung in München. „Echtzeit“ bedeutet, dass ich hoch optimierte Prozesse den Wahrnehmungen im allgemeinen“ das schwerge- beschreibe, bei denen wie in der Informationstechnolo- wichtige Kapitel „Die Augenbewegungen“. Denn durch gie die Erfolgskriterien in einem engen Zeitrahmen er- die koordinierte Bewegung von Auge und Hand, durch füllt sein müssen. Zu diesen „Reflexen“ [3] gehören als Sehen und Tasten, wird nach Helmholtz’ Auffassung

Physik Journal © 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 1617-9439/04/0808-55 3 (2004) Nr. 8/9 55 Preisträger die Raumvorstellung erlernt, und diese entsteht nicht überstreichen mehr als 60 Grad und die torsionellen wie bei Kant durch die apriorische Einprogrammierung Abweichungen von der Ebene haben nur eine Stan- der euklidischen Geometrie in das Denken. dardabweichung von etwa einem Grad (Abb. 1). Das Auge ist in guter Näherung eine Kugel mit festem Helmholtz [5] versuchte, das Listingsche Gesetz mit Drehpunkt und drei Muskelpaaren für die drei Freiheits- dem scharfen Sehen in der Umgebung der Fovea in grade der Rotation. Die Richtung des Sehstrahls durch Verbindung zu bringen. Er schreibt: das Zentrum der Pupille auf das der Fovea, dem Fleck Es wird also am leichtesten sein, die Veränderung der Emp- (von etwa zwei Grad Durchmesser) höchster Sehschärfe findung bei der Bewegung des Augapfels als Ausdruck einer auf der „Netzhaut“ (Retina), ist leicht messbar und heute solchen Bewegung und nicht als einer Bewegung der Ob- auch die „Raddrehung“ (Torsion) um die Blickrichtung. jecte zu erkennen, wenn der Uebergang des Blicks auf den Um mit festem Kopf einen Punkt im Unendlichen zu dem Netzhautpunkte entsprechenden Punkt des Gesichts- feldes immer mit derselben Verrückung des Netzhautbildes fixieren, braucht es den Torsionsfreiheitsgrad nicht. Da auf der Retina begleitet ist, unabhängig davon, welche An- keine Fernkräfte auf den Augapfel wirken und die Au- fangslage der Augapfel hat. genbewegungen hoch optimiert sind, sollte ein einfaches Prinzip der Kontrolltheorie redundanter Manipulatoren Helmholtz erkannte durch Selbstversuche mit Nach- erfüllt sein, das Gesetz von Donders, dass bei Fixation bildern, dass bei peripherischer Stellung des Auges die mit festem Kopf die Torsion eine glatte Funktion der Lage von Objekten im Gesichtsfeld nicht fest ist und Blickrichtung ist. Da jede Augenposition im Kopf durch in einem ausgedehnten Gesichtsfeld Raddrehungen der die Rotation zwischen je einem vorgegebenen augenfes- Augen, die solche Inkonsequenzen hervorrufen, nicht ten und kopffesten Koordinatensystem charakterisiert ganz vermieden werden können. So fordert er das ist, ist der Konfigurationsraum des Auges die dreidi- Prinzip der leichtesten Orientierung: Die Raddrehungen des mensionale (3D) Rotationsgruppe SO(3). Von dem Auges bei verschiedenen Stellungen der Gesichtslinie sind Göttinger mathematischen Physiker Listing stammt das so, dass die Summe der Fehlerquadrate für alle vorkommen- Gesetz, dass bei Fixation mit raumfestem Kopf alle Au- den unendlich kleinen Bewegungen des Auges ein Minimum genpositionen ihre Rotationsachse in einer kopffesten wird. Ebene, der „Listingschen Ebene“ haben. Diese Bezie- In einem geometrisch komplizierten Sinne ist bei hung ist experimentell sehr gut beim Primaten erfüllt: Helmholtz der Fehler die Differenz einer visuellen und Die Horizontal- und Vertikalwinkel des Sehstrahles einer okulomotorischen Komponente. Sein Beweis des Listingschen Gesetzes (unter Voraussetzung des Geset- Das Listingsche Gesetz und die Mechanik des Auges zes von Donders in einem kreisförmigen Blickfeld) war für die damalige Biologie ungewöhnlich mathematisch Wir parametrisieren Rotationen durch Gleichgewichts, dass die Summe der ihren sog. Euler-Rodrigues-Vektor r = Muskeldrehmomente T(I,L(r))·m(r) [6]. Aber es ist unphysiologisch, das Listingsche Ge- tan(a/2) · e , mit Rotationswinkel a und der sechs Muskeln gleich dem passiven setz allein mit dem Sehen in Verbindung zu bringen, Einheitsvektor e der Rotationsachse. elastischen Drehmoment des Augapfels denn wenn man mit frei beweglichen Kopf in die Ferne Ist s = (u, v, w) mit u = (1–v2–w2)1/2 die auf den Kopf ist, die Spannungen und schaut, gilt zwar das Listingsche Gesetz für die Positio- Richtung eines Zielpunktes, dann sind Innervationen jedes der sechs Muskeln nen des Auges im Kopf, aber nur eine der Biomechanik die Rotationen des Auge, die den Blick berechnen. Dazu setzte er voraus, das des Kopfes angepasste Form des Gesetzes von Donders nach s richten, parametrisiert durch r(s) die beiden horizontalen Rectusmuskeln = (x, y+x«z, z–x«y), mit y = –w/(1+u), (LR, MR), die vertikalen Rectusmuskeln für die visuell relevanten Positionen des Auges im Raum. z = v/(1+u). Das Gesetz von Donders (SR, IR) und die vertikalen Obliquus- Das Studium von Augenbewegungen (Okulomoto- fordert nur, dass zu jeder Blickrichtung muskeln (SO, IO) drei Paare bilden, rik) ist sowohl für Mediziner als auch für Naturwissen- s das Auge in einer eindeutigen Position deren Innervationen sich gegenseitig schaftler wichtig. Für Neurologen und Ophthalmologen r(s) ist, wodurch das Sehen bei wieder- „reziprok“ bestimmen, wobei er die können okulomotorische Fehlleistungen manchmal holter Fixation des gleichen Punktes Form der Reziprozität durch Messun- eine rationale Erklärung eines Krankheitsbildes geben und die motorische Kontrolle des Auges gen bei Augenoperationen erschlossen erleichtert wird. Dies definiert eine Flä- hatte. Setzt man die heute plausiblen [7]. Dem Neurobiologen zeigt die Kontrolle der Augen- che der Torsion x(u,v) zu jedem (u,v). Längenfunktionen L(r) in die Robinson- bewegungen mit ihrer engen Kopplung an den mächti- Die Listingsche Augenposition r'(s) er- schen Gleichungen ein, so findet man, gen Seh- und Bewegungssinn, wie Funktionsprinzipien füllt speziell x = 0. Wegen |r(s)|2 = x2 + dass die zwei horizontalen Muskeln in des Gehirns implementiert werden [8]. (1+x2)·|r'(s)|2 hat von allen Augenposi- der Listingschen Ebene vertikale und Verschiedene neuronale „Programme“ sind durch tionen r(s) die Listingsche Position r'(s) die vier vertikalen Muskeln nahezu ho- ihren Beitrag zum Sehen klar charakterisiert [7]. Nor- den kleinsten Rotationswinkel a(s). Die rizontale Linien konstanter Innervation male Augenbewegungen sind für scharfes, stabiles und Minimierung von a(s) könnte eine Fol- haben [9]. Man erhält daraus ein einfa- ge der Augenmuskelmechanik sein. ches Kontrollgesetz für das Auge in der doppelbildfreies Sehen notwendig. Zum Lesen dieses Um von dieser einfachen mathe- Listingschen Ebene, denn das Gehirn Textes müssen die Worte auf die Fovea abgebildet wer- matischen Formel zu einer rationalen braucht zur Fixation von r = (0,y,z) als den und dort mit einem Drift von weniger als 5 Grad/s Erklärung von Sehstörungen zu kom- Kommando für das horizontale Muskel- gehalten werden. Die Sehstrahlen beider Augen sind in men, muss man die Muskelphysiologie paar nur eine Funktion Ih(z) und für die den „konjugierten“ Bewegungen parallel. Vestibuläre und berücksichtigen. Statisch ist die Span- vertikalen Paare nur zwei Funktionen optokinetische Reflexe (VOR) stabilisieren ein Bild auf nung T eines Augenmuskels eine Funk- Iv(y) und Io(y) je einer Variablen. Diese tion seiner Innervation I, der Summe theoretische Vorhersage ist verifizierbar, der Fovea, auch wenn der Kopf bewegt wird. „Sakkaden“ der Feuerraten seiner Motoneurone, da man die Feuerraten F(r) einzelner (schnelle diskrete Augenbewegungen), glatte Folgebewe- und seiner Länge L(r). Diese ist eine Motoneurone messen kann, die den gungen und Konvergenz arbeiten zusammen, um Bilder Funktion der Augenposition r, ebenso Verlauf der I(r) bestimmen. In linearer von interessanten Objekten in die Fovea zu bringen und wie der Einheitsvektor m(r) des Mus- Approximation stimmt die Theorie mit sie dort zu halten. Durch diese Form des aktiven Sehens keldrehmoments. Dabei muss zu jedem dem Experiment überein [10], und man wird unwesentliche Information unterdrückt, besonders r der Verlauf des Muskels von seinem ist auf dem richtigen Weg, die vielen Ursprung hinter dem Auge zu seinem Unbekannten des Modells festzulegen. wenn man die Dinge im Augenwinkel auch ohne Augen- Ansatzpunkt am Augapfel bekannt Das ambitiöse Ziel ist die Entwicklung bewegungen mit räumlicher visueller Aufmerksamkeit sein. Robinson, der „Helmholtz der einer Software [11], die bei Korrektur- analysieren kann. Hier werde ich mich meist auf konju- Neuro-Ophthalmologie“, konnte aus operationen der Muskelgeometrie dem gierte Augenbewegungen beschränken: Fixationen, Sak- den drei Gleichungen des statischen Operateur zur Seite steht. kaden und den rotatorischen VOR bei bewegtem Kopf.

Physik Journal 56 3 (2004) Nr. 8/9 © 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Preisträger Der Augapfel als dynamisches System Lab“ im Hirnstamm verschiedene Kerne für horizontale Es gibt eine triviale Erklärung des Listingschen und vertikal-torsionelle Integratoren und Burst-Gene- Gesetzes [6], die auch seine geometrische Bedeutung ratoren untersucht, deren Vorzugsrichtungen denen der veranschaulicht (s. Infokasten). Jedoch spricht vieles Motoneurone entsprechen. Viele klinische Tests in der dagegen, das Listingsche Gesetz allein aus der Me- Neuro-Ophthalmologie beruhen auf einem Verständnis chanik des Auges zu erklären. Zum Beispiel bricht im der komplizierten geometrischen Verbindungen zwi- leichten Schlaf die neuronale Kontrolle zusammen, und schen diesen Kernen und deren Beitrag zur 3D-Echt- die Augen „rollen“ um Achsen, die einen Kompromiss zeitdynamik von Sakkaden und VOR [7]. zwischen denen der willkürlichen Augenbewegungen und denen des kompensatorischen VOR machen [12]. 0,4 Mach [13] war zusammen mit Breuer und Brown ab der erste, der die Bogengänge im Labyrinth des rechten 0,2 und linken Innerohrs als zwei zueinander spiegelbild- lich angeordnete 3D-Koordinatensysteme von Be- schleunigungsmessern der Kopfrotation erkannt hatte. 0,0 Flourens hatte früher gefunden, dass die Reizung eines Bogengangs Augen- und Kopfbewegungen in der Ebene horizont. Komp. des untersuchten Kanals hervorriefen. Mach baute mit –0,2 einfachen Mitteln 3D-Drehstühle, in denen er Ver- suchspersonen passiv oder die visuelle Umwelt um sie –0,4 rotierte, und interpretierte quantitativ die Bewegungs- –0,2 0,0 0,2 0,4 0,6 –0,4 –0,2 0,0 0,2 0,4 empfindungen (unseren sechsten Sinn) mit Hilfe der vertikale Komp. torsionelle Komp. klassischen Mechanik [13, S.124]: 0,6 ê c d z Es gibt besondere Bewegungsempfindungen der Progressiv- bewegung und Drehung des Körpers und wahrscheinlich auch besondere Empfindungen der Lage ... Die Progressiv- 0,4 rz und Winkelbeschleunigung wirkt als Reiz dieser Empfin- r dungen ... Je zwei dieser Empfindungen stehen im Gegen-

satz ... Die Annahme, dass ein Theil des Labyrinths Organ 0,2 r der Bewegungsempfindung sei,... namentlich dass die sechs r z êy Ampullen der Bogengänge den sechs paarweise entgegen- vertikale Komp. gesetzten Grundempfindungen der Drehung entsprechen, 0,0 rx erklärt alle hier beschriebenen und auch die Flourens’schen Versuche bis ins Detail. –0,2 Machs Entdeckung ist bemerkenswert, weil er eine ê –0,4 –0,2 0,0 0,2 0,4 x sensorische Funktion, die Messung der sechs Freiheits- torsionelle Komp. grade der Kopfbewegung im Raume, mit der anatomi- schen Struktur des Labyrinths und mit optokinetischen Abb. 1: Flussmustern richtig verbinden und durch sorgfältige Listingsche Ebene beim Affen wäh- vertikal-torsionellen Komponente des psychophysikalische Experimente erhärten konnte. In- rend Fixationen, Sakkaden und glatten Rotationsvektors r = (rx, ry, rz) = (x, y, direkt konnte er vorhersagen, dass visuelle und vestibu- Folgebewegungen. Die Augenposition z) in einem Bezugssystem, in dem die läre Informationen zentral im Bewegungssinn integriert wurde alle 60 ms während 90 Sekunden Listingsche Ebene {r : rx = 0} ist. In (d) aufgenommen. Jeder Punkt entspricht in bestimmt r eine Rotation nach der Rech- werden, der sich im VOR äußert. (a) der horizontal-vertikalen, in (b) der te-Hand Regel, die wegen rx > 0 nicht in Man stößt auf viele interessante Probleme, wenn horizontal-torsionellen und in (c) der der Listingschen Ebene liegt. man von der Muskeldynamik des Auges ins Innere des Gehirns vorstößt. Die Feuerrate eines Motoneurons Biophysikalisch realistische Neurone generieren Akti- ist für ein bewegtes Auge in guter Approximation eine onspotentiale, die durch die nichtlinearen Membranglei- lineare Funktion von Augenposition und Geschwindig- chungen von Hodgkin und Huxley beschrieben werden keit auf der Trajektorie r(t) des Auges [14]. Von Robin- [8]. Seung und Mitarbeiter [16] konnten die Dynamik son stammt die fruchtbare Idee [15], dass die verschie- eines 1D neuronalen Integrators in einem rekurrenten denen okulomotorischen Programme, wie Sakkaden Netzwerk von realistischen Neuronen analysieren und und der VOR, vom Gehirn durch Geschwindigkeitssi- mit zellulären Experimenten am Goldfisch testen. Da- gnale an die Motoneurone kodiert werden, die dann mit der Integrator, der im Dunklen eine Zeitkonstante durch einen neuronalen „Integrator“ noch das notwen- von 20 Sekunden hat, diese lebenslang behält, ist eine dige Positionssignal bekommen. So wäre bei Fixation präzise Adaptation der Kopplungsstärken der einzelnen das Geschwindigkeitssignal Null, und der Integrator Neurone erforderlich, deren Mechanismus heute noch gibt über die Motoneurone den Muskeln die richtige unbekannt ist. Wir sehen, wie sich die Helmholtzsche Innervation. Normale Sakkaden bewegen das Auge Hypothese über das Erlernen der Raumanschauung in geradlinig vom Anfangspunkt a zum Ziel z mit einem modernsten Untersuchungen konkretisiert. stereotypen Geschwindigkeitsprofil, das nur vom Be- trag des Sakkadenvektors d = z – a abhängt, wobei die Sakkaden als raumzeitliche Trans formationen Dauer linear mit der Amplitude zunimmt. Das Gehirn Mathematisch kann man beweisen, dass eine Menge kontrolliert eine Sakkade durch einen neuronalen Ent- von Augenpositionen in SO(3) eine Listingsche Ebene ladungspuls („Burst“), der im Integrator das neue Po- bildet, wenn alle Positionen durch Sakkaden verbun- sitionssignal erzeugt. Mit Funktionsuntersuchungen an den sind, deren Trajektorien in SO(3) Geodäten sind Gesunden und Patienten und mit Einzelzellableitungen und auf denen unterwegs das Gesetz von Donders gilt am Affen und lokalen Inaktivationen von anatomisch [17]. Die physiologische Begründung der Voraussetzung definierten neuronalen Populationen hat das „Henn- ist, dass Geodäten auf der SO(3) Rotationen mit fester

Physik Journal © 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 3 (2004) Nr. 8/9 57 Preisträger Drehachse (und daher Geraden in Rotationsvektorkoor- und seinem Bewegungsfeld (Konturfläche im Raume der dinaten) sind, und dass die Mehrzahl von Sakkaden von d-Vektoren, parametrisiert durch die Burst-Stärke des Startpunkt a zum Ziel z geradlinig verlaufen. In Listing- Neurons) abhängigen Beitrag zur geplanten Sakkade schen Koordinaten ist der Sakkaden-Vektor d = z – a gibt und durch ein lineares Feedback-Modell ausgelesen zweidimensional und kodiert gleichzeitig den Seh-Vek- wird, das aus horizontalen und vertikalen Burst-, Inte- tor des Zielpunktes auf der 2D-Retina relativ zur Fovea. grator- und Motoneuronenpopulationen besteht. Nach Auf der „vorderen Vierhügelplatte“ (englisch „su- Festlegung einiger Kopplungskonstanten erzeugt dieses perior colliculus“, mit „SC“ abgekürzt im gleichen Stil Netzwerk normale Sakkaden mit realistischen Trajekto- wie im Folgenden alle anatomischen Strukturen [8]) rien, wo die Dauer linear mit der Amplitude zunimmt. im Hirnstamm gibt es eine Schicht von motorischen Es ist bemerkenswert, dass in diesem Modell auch das Neuronen, die topologisch eine Karte mit Koordinate d Entladungsmuster der Neurone im motorischen SC bei bilden, da bei Mikrostimulation an der Stelle d normale durch Lidschlag gestörten Sakkaden festgelegt ist [19]. Sakkaden des Vektors d erzeugt werden [18]. Darüber Dieses Modell zeigt sehr schön, wie man nichtlinea- liegt eine Karte von visuellen Neuronen, die auf ein re Eigenschaften des sakkadischen Systems aus einem Ziel mit Seh-Vektor d präferentiell ansprechen. Wenn einfachen neuronalen Netzwerkmodell erhalten kann. aus potentiellen Zielen d', d'',... das Gehirn einen Seh- Jedoch erklärt dieses Modell nicht, wie für ein Sakka- Vektor d im Raume ausgewählt hat, dann könnte der denziel d das Aktivationsmuster im motorischen SC visuelle SC durch Stimulation an der Stelle d im moto- erzeugt wird, durch welchen Rückkopplungsmechanis- rischen SC eine Sakkade auslösen, die die Raumrich- mus das Auge bei vorgegebenen d trotz Störungen sein tung mit der zeitlichen Trajektorie einer ausgelösten Ziel erreicht und wie man dieses 2D-Sakkadenmodell Sakkade „ergreift“. Diese raumzeitliche Transformation auf 3D-Sakkaden mit freiem Kopf verallgemeinern ist mathematisch nichts mehr, als dass der d-Vektor das kann. Bei einer Augen-Kopf-Sakkade zwischen zwei Zeitintegral der Augengeschwindigkeit dr/dt ist. Man Fixationen startet und endet das Auge in der kopffesten sucht heute intensiv nach dem realistischen neuronalen Listingschen Ebene und der Kopf auf seiner Donders- Netzwerk, das diese Transformation zwischen dem SC Fläche relativ zum Rumpf. Das Auge macht zum Errei- und den Motoneuronen dynamisch implementiert. chen des Ziels eine komplizierte Folge von raschen und Goossens und van Opstal [19] nehmen an, dass bei kompensatorischen Augenbewegungen. Tweed [20] hat normalen Sakkaden jedes Aktionspotential von jedem einen plausiblen dynamischen Regelkreis entworfen, in Neuron im motorischen SC einen nur vom d-Vektor den die zielgerichtete Forderung, dass das Auge nach der Sakkade wieder in der Listingschen Ebene landet, wesentlich eingeht. Damit können die komplexen Trajektorien von Auge und Kopf befriedigend erklärt werden. In Verallgemeinerung zu [18] löst jetzt Mi- krostimulation im motorischen SC natürliche Augen- Kopf-Sakkaden aus, bei denen das Auge transient die Listingsche Ebene verlässt [21]. Ein plausibles neuronales Netzwerkmodell zu kons- truieren, das die vielen nichtlinearen Funktionen des Abb. 2: sakkadischen Systems mit freiem Kopf, der als starrer Horizontale Augenbewegungen (oben, rechts: aufwärts) und Körper im Raum sechs Freiheitsgrade hat, mit einem horizontale Drehstuhlposition (unten) als Funktion der Zeit bei einem Patienten mit Hirnstammläsion in der linken Formatio entsprechenden rotatorischen und translatorischen 6D reticularis der Pons (PPRF). Die durch Rechtsdrehung ausge- VOR und mit einer realistischen Muskeldynamik beider lösten raschen Augenbewegungen sind normal, während sie bei Augen verbindet, ist ein hochgestecktes Ziel der Echt- Linksdrehung fehlen. zeit-Neurodynamik für die nächste Dekade. Das volle „Standard-Modell“ der Okulomotorik sollte außerdem

R die Dynamik von Konvergenz- und glatten Folgebewe- 30° L gungen erklären. 190° R Raumkonstanz 0 Obwohl wir im Wachzustand in jeder Minute etwa 190° L hundert sakkadische Augenbewegungen machen, erle- ben wir eine stabile visuelle Welt. Helmholtz hatte vor- U geschlagen, dass, wenn das Gehirn das Kommando für 30° D eine Sakkade an das okulomotorische System schickt, eine Kopie davon an die Zentren der stabilen Raumper- zeption geht und dort den Beitrag der Augenbewegung 190° R kompensiert. Raumkonstanz ist z. B. wichtig, wenn ein 0 komplexes Bild mit der Fovea abgetastet wird und nach 190° L 5s jeder Sakkade das nächste Ziel auf der Retina sofort wiedergefunden werden muss. Visuelle Neurone im mo- Abb. 3: torischen SC, in den Augenfeldern der frontalen (FEF) Horizontale Augenbewegungen bei horizontaler Drehung und parietalen (LIP) „Grosshirnrinde“ (Kortex) und und vertikale Augenbewegungen bei vertikaler Drehung eines in kleinerem Anteil schon in der okzipitalen Sehrinde Versuchstieres nach Läsion der rechten PPRF. Rasche Augen- (V1, V2, V3A) zeigen ein Verhalten, das verschiedene bewegungen nach links, oben und unten sind normal. Bei Rechtsdrehung treiben die kompensatorischen Bewegungen die Aspekte der Raumkonstanz erklärt. In diesen Arealen Augen in Extremstellung, weil die Rückstellung durch Rechts- haben die Neurone retinozentrische rezeptive Felder sakkaden nicht mehr möglich ist. (Konturfläche auf der Retina, parametrisiert durch die

Physik Journal 58 3 (2004) Nr. 8/9 © 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Preisträger Reizantwort des Neurons), die man auch in räumlichen korrekter Ausführung der Aufgabe verstärkte Aktivität, Koordinaten beschreiben kann, wenn man den Vektor wenn das rezeptive Feld des Neurons auf der Zielkurve der Fovea f im raumfesten Kopf hinzuaddiert. Wenn der und nicht auf der Störkurve liegt. Die Latenz dieses Affe eine Sakkade von f nach f' macht, kann man einen Aufmerksamkeitseffekts ist eng mit der Zeit korreliert, Stimulus in das alte oder das neue rezeptive Feld eines die es braucht, die Linie zu durchlaufen. Bei Fehlern untersuchten Neurons zu verschiedenen Zeiten blitzen. jenseits der kritischen Stelle geht die Verstärkung auf Man findet bei vielen Neuronen, dass das neue rezeptive die Störkurve. Feld schon vor Ausführung der Sakkade antwortet und Im Kantschen Sinne definiert die Einheit der Hand- die Antwort im alten schon vor der Sakkade schwächer lung, hier die Vorbereitung und Ausführung der Sak- wird [22, 23]. Diese Bildverschiebung ist also prädiktiv, kade zum Endpunkt der verfolgten Kurve, das Objekt. und das zeitabhängige rezeptive Feld des Neurons wird Die Verstärkung auf der Linie durch visuelle Aufmerk- durch die Planung der Sakkade induziert. samkeit könnte vom Frontalkortex (FEF) kommen. Mathematisch ist das Listingsche Gesetz in quadrati- Denn dort unterscheiden visuelle Neurone das Ziel von scher Approximation die einfachste Linearisierung der Störern, und andere Neurone programmieren Sakkaden 3D-Transformationen zwischen Sehen und Sakkaden, [22]. Zu jedem Neuron gehört ein rezeptives Feld auf die diesen Aspekt der Raumkonstanz auf eine 2D-Vek- einer Karte von d-Vektoren, sodass wie im SC Mikrosti- toraddition reduziert [17]. Dies könnte einen adaptiven mulation in d eine d-Vektor-Sakkade auslöst. Stimuliert Prozess steuern, durch den das Listingsche Gesetz ge- man dagegen unterschwellig, so wird nur die visuelle lernt werden kann. Aufmerksamkeit für visuelle Details auf der Retina in Gibt es eine plausible neuronale Implementation d erhöht [34]. In einem anderen visuellen Areal, V4, dieser Operation? Die Gruppen von Zipser [24] und das reziprok monosynaptisch mit V1 und FEF verbun- Andersen [25] haben eine Methode der „neuronalen den ist und in Einzelzellableitungen das notwendige System-Identifikation“ entwickelt, in der einem rekur- visuomotorische Verhalten zeigt [35], erhöht die unter- renten neuronalen Netzwerk eine Folge von Input- und schwellige FEF-Stimulation in dem Kartenpunkt d die Output-Trajektorien für eine gegebene Aufgabe ange- visuelle Aktivation von formerkennenden Neuronen boten wird und diese Transformation durch Anpassung mit rezeptiven Feld am Kartenpunkt d in V4 [34]. Un- der synaptischen Gewichte optimiert wird. Nach dem ter den Millionen in Kants Beispiel aktivierten Neuro- Lernen werden die neuronalen Entladungsmuster im nen kann man also ein ganzes Netzwerk zwischen dem Netzwerk mit denen bei Einzelzellableitungen im Affen hochauflösenden primären visuellen Kortex V1 und der gefundenen verglichen. Für die Aufgabe, den Ort von prämotorischen und kognitiven Area FEF identifizie- mehreren Zielen und ihre Priorität zu speichern und ren, in denen sich der Wille ausdrückt, das Objekt in dann nacheinander dahin zu sakkadieren, liefert diese einer Handlung zu vereinigen. Methode experimentell gefundene Entladungsmuster Ob diese Handlung beim Affen bewusst ist, wissen [26] und testbare Vorhersagen. Aufgaben dieser Art ge- wir nicht, aber sie verlangt höchste Aufmerksamkeit. hören zur Untersuchung des Arbeitsspeichers im Fron- Man unterscheidet zwischen „endogener“ und „exo- talkortex, wo heute erfolgreich plausible Modelle von gener“ Aufmerksamkeit. Letztere wird z. B. reflexartig Neuronen mit Aktionspotentialen und Neurotransmit- durch einen Reiz in der visuellen Peripherie hervorge- toren eingesetzt werden [27, 28]. Wie weit der Weg ist, rufen und verbessert an diesem Ort die Sehleistung, je- Echtzeitfunktionen des Kortex, wie zum Beispiel das doch nur, wenn man eine rasche Augenbewegung zum Sehen auf einen Blick, das für kategorische Fragen wie Reiz planen kann. Dieser Befund an einem Patienten „Tier oder nicht“ nur etwa 150 ms braucht [29], mit re- mit angeborener Blicklähmung [36], wo die okulomo- alistischen Neuronen zu verstehen, ist nicht abzusehen. torische Prämotorik nicht mehr funktioniert, ist kon- sistent mit neuronalen Entladungsmustern in den FEF Synthetische Apperzeption [33] und im SC [37]. Es sieht mir vielversprechend aus, Man kann mit Methoden der funktionellen Mag- in den nächsten zehn Jahren die Echtzeit-Dynamik der netresonanzspektroskopie (fMRI) abschätzen, dass bei exogenen visuellen Aufmerksamkeit von der okulomo- der Präsentation eines Bildes mindestens 200 Millionen torischen Seite her bis zur Retina zu verstehen. Neurone in den visuellen Arealen des Großhirns akti- viert werden [30]. Jede dieser kortikalen Pyramidenzel- Ignorabimus? len ist anatomisch mit Tausenden von anderen Neuro- Robinson, dessen Beiträge zur dynamischen Erklä- nen verbunden. So ist es hoffnungslos, in einem realisti- rung der peripheren und zentralen Wechselwirkungen schen neuronalen Netzwerk genau zu verfolgen, was in zwischen Sehen, Bewegungssinn und Augenmotorik die dem oben zitierten Kantschen Sinne bei dem bewussten Neuro-Ophthalmologie geprägt haben [7], glaubt nicht, Ziehen einer Linie passiert. Denn das Bewusstsein ist dass man auf neuronaler Ebene höhere Gehirnfunktio- eine globale Operation, die nach Meinung der Experten nen erklären kann. Er schreibt [38]: [31] in einem langsamen Prozess von Hunderten von The main message of neural networks for the neurophy- Millisekunden ein distributives System von kortikalen siologist is that the study of single neurons or neuron Arealen involviert. Und doch geben neuere Experimente ensembles is unlikely to reveal the task in which they are Anlass zum Nachdenken und zum Modellieren: participating or the contribution they are making to it. Con- Bei Roelfsema und Spekreijse [32] sind es Affen, versely, even if one knows the function of a neural system, recording from single units is not likely to disclose how die den Anfang einer Linie fixieren und dafür belohnt that function is being fulfilled by the signal processing of werden, diese aufmerksam bis zum Ende zu verfolgen, the neurons. A corollary is that being able to describe that zu dem sie eine Sakkade machen sollen. Dabei dürfen function mathematically tells little about what to expect sie sich nicht von einer anderen Linie in der Umge- when recording from single neurons. bung ablenken lassen, die der ersten an einer kritischen Stelle nahe kommt. Die Forscher leiten von Neuronen Robinson schlägt vor, dass Ingenieure komplexe Sys- im primären visuellen Kortex (V1) ab und finden bei teme mit neuronaler Intelligenz synthetisieren und zu

Physik Journal © 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 3 (2004) Nr. 8/9 59 Preisträger verstehen lernen und Biologen sich auf die Erforschung [4] I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl. (1787), des synaptischen Lernens konzentrieren, und folgert: neu bei Suhrkamp, Frankfurt (1974) [5] H. von Helmholtz, Handbuch der physiologischen Unable to understand real neural networks at a synaptic or Optik, Voss, Leipzig (1867) cellular level, we may be forced to wave our hands and say: [6] K. Hepp, Vision Res. 35, 3237 (1995) “Well, we do not know how it works in detail, but we do [7] R. J. Leigh und D. S. Zee, The Neurology of Eye know that such and such a learning mechanism is at work Movements, 3. Aufl., Oxford Univ. Press, NY (1999) here to allow synaptic weight changes that are compatible [8] E. Kandel et al., Principles of Neural Science, 4. with observed learning, verified with models, and that’s it.” Aufl., Mc Graw Hill, NY (2000) This might be as close as we are ever going to get to explai- [9] J. Porrill et al., Vision Res. 40, 3743 (2000) ning how a network does its thing. As a result, if we know [10] K. Hepp und V. Henn, Vision Res. 25, 493 (1985) the learning rules, we may have to accept the inexplicable [11] H. Buchberger et al., SEE++ User’s Manual, Upper nature of mature networks. Austrian Research GmbH (Hagenberg) 2003 [12] J. H. Cabungcal et al., Vision Res. 42, 89 (2002) Ada – der intelligente Raum [13] E. Mach, Grundlinien der Lehre von den Bewe- Prinzipiell hat Robinson Recht mit seinem „Igno- gungsempfindungen (1875), engl.: L. R. Young u. a. rabimus“, aber ich habe durch ausführliche Litera- (Hrsg.), Kluwer, New York (2001) [14] D. L. Sparks, Nature Rev. Neurosci. 3, 952 (2002) turzitate in meinem Vortrag zeigen wollen, wie viele [15] D. A. Robinson, Annu. Rev. Neurosci. 4, 463 (1981) interessante Mosaiksteine in den letzten Jahren in der [16] H. S. Seung et al., Neuron 26, 259 (2000) System-Neurophysiologie zu „letzten Fragen“ gefunden [17] K. Hepp et al., in: M. Fetter et al. (Hrsg.), Three- wurden. Auch ich erwarte, dass analytische Untersu- Dimensional Kinematics of Eye, Head and Limb chungen der molekularen Implementation von Lern- Movements, Harwood, Amsterdam (1997) und Reparaturmechanismen in der nächsten Dekade [18] A. J. Van Opstal et al., Science 252, 1313 (1991) die wichtigsten Anwendungen in der Neurologie und [19] H. H. L. M. Goossens und A. J. Van Opstal, J. Neu- rophysiol. 83, 3430 (2000) und private Mitteilung im Kindergarten bringen werden. Doch auch eine syn- [20] D. Tweed, J. Neurophysiol. 77, 654 (1997) thetische Neurobiologie, die Gehirne baut, um sie zu [21] E. M. Klier et al., J. Neurophysiol. 83, 2839 (2002) verstehen, wird sich dank der Informationstechnologie [22] C. L. Colby, Annu. Rev. Neurosci. 22, 319 (1999) in der nächsten Dekade stark entwickeln. [23] K. Nakamura und C. L. Colby, PNAS 99, 4026 Wir am Institut für Neuroinformatik haben für die (2002) Schweizerische Landesausstellung „Expo.02“ an einer [24] J. F. Mitchell und D. Zipser, Vision Res. 43, 2669 (2003) solchen Synthese gearbeitet [39]. „Ada“1), unser „intelli- [25] J. Xing und R. A. Andersen, J. Neurophysiol. 84, genter Raum“, war ein Ausstellungspavillon, der wie ein 651 (2000) von außen nach innen gestülpter Roboter simultan mit [26] J. Tian et al., Exp. Brain Res. 130, 133 (2000) 20 bis 30 Besuchern in seinem Innersten („AdaSelf“) [27] N. Brunel und X.-J. Wang, J. Comput. Neurosci. 11, auf sehr individuelle Weise wechselwirken konnte. Ada 63 (2001) hatte eine dem Menschen abgeschaute „Intelligenz“. Ih- [28] G. Deco und E. T. Rolls, Eur. J. Neurosci. 18, 2374 re wesentliche Komponente war ein Fußboden von etwa (2003) [29] S. Thorpe et al., Nature 381, 520 (1996) 1) www.ada-exhibition.ch 150 Quadratmetern mit großer Computerunterstützung, [30] I. Levy et al., Current Biology 14, 996 (2004) der die Besucher taktil erkannte und sie mit Lichteffek- 2) Auf Grund der kurzen [31] C. Koch, The Quest for Consciousness: a Neurobio- Entwicklungszeit ließen ten verführte, umspielte und gruppierte. Der gleiche, logical Approach, Roberts (2004) sich viele der vorge- im Fußboden implementierte taktile Folgealgorithmus [32] P. R. Roelfsema und H. Spekreijse, Neuron 31, 853 sehenen Prozesse (wie (2001) sensorische Fusion des steuerte ein aktives visuelles System von „Gazern“, das [33] K. G. Thompson und J. D. Schall, Vision Res. 40, visuellen Systems der ausgewählte Personen mit beweglichen und zoomenden Gazer mit dem somato- Videokamera-Augen sakkadisch erfasste und verfolgte. 1523 (2000) sensorischen System des [34] T. Moore et al., Neuron 40, 671 (2003) Fußbodens, Lernen und In der Disko-Atmosphäre von AdaSelf wurden die von [35] J. A. Mazer und J. L. Gallant, Neuron 40, 1241 Selbstkalibration und ihr Erwählten durch Lichtfinger grell beleuchtet, sodass (2003) eine Echtzeit-Kontrolle sie ihre Bilder auf einer Rundum-Projektionswand er- [36] D. T. Smith et al., Current Biology 14, 792 (2004) durch ein neuronales Betriebssystem) an der kennen und sich in Adas Augen spiegeln konnten. Ada [37] A. Ignashchenkova et al., Nature Neuroscience. 7, Expo.02 nicht imple- lief fast ohne Zusammenbruch während eines halben 56 (2004) mentieren. Jahres und hatte mehr als 500000 Besucher.2) [38] D. A. Robinson, Behavioral and Brain Sciences 15, 644 (1992) Unsere wichtigste Erfahrung war, dass ein Feedfor- [39] K. Eng et al., Reviews in the Neurosciences 14, 145 ward-Kontrollsystem mit einem großen Repertoire von (2003) Sensoren und Effektoren in Wechselwirkung mit einer [40] A. Erlande-Brandenburg, La Dame à la Licorne, Ed. spielfreudigen Schar von Besuchern ein reiches nichtde- de la Réunion des musées nationaux, (1989) terministisches Verhalten generieren kann. Trotz einer [41] J. M. Murray, Hamlet on the Holodeck, MIT Press, aktiven Kameraüberwachung durch die zehn Gazer gab Cambridge (1997) es keine „Big Brother“-Effekte, da jeder auserwählte Be- Der Autor sucher vor den Augen der anderen mit seinem Ebenbild spielen konnte ([40], La Vue). Ada war kein Computer- Klaus Hepp studierte an der Uni- spiel, in dem ein Mensch mit einer großen Anzahl von versität Münster Mathematik und virtuellen Ungeheuern kämpft, sondern ein verkörperter Physik und diplomierte an der ETH Zürich, wo er auch promovierte. künstlicher Organismus in einer realen Vielpersonen- Anschließend forschte er zwei Jahre welt. Leider fehlte das Genie eines Shakespeare zu einer am Institute for Advanced Study. Seit neuromorphen Revolution des Theaters [41]. 1966 ist er Professor für allgemeine theoretische Physik an der ETH. Literatur Klaus Hepp lieferte wichtige Beiträge [1] A. Einstein, Forsch. und Fortschr. 5, 248 (1929) zur Quantenfeldtheorie und trug auch [2] C. F. Stevens, Current Biology R51 (2004) zur Quantenstatistik des Lasers und zur Neurobiologie der [3] A. Prochazka et al., Exp. Brain Res. 130, 417 (2000) Augenbewegungen bei.

Physik Journal 60 3 (2004) Nr. 8/9 © 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim