DIE DRITTE SEITE 3 MITTWOCH, 21. APRIL 2021 – REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER

KOMMENTARE Parteien – Die Nervenprobe in der Union hat ein Ende. CDU-Chef Laschet setzt sich durch und muss nun liefern Kanzlerkandidatur der Union Die Chance des Brückenbauers Kanzlerkandidat im Krisenmodus VON MARCO HADEM UND JÖRG BLANK Machtkampf vor einer Herkulesaufgabe steht. In den fünf Monaten bis zur Bun- BERLIN. Am Tag der Kür von Armin destagswahl am 26. September muss der VON Laschet zum Kanzlerkandidaten der 60-Jährige nicht nur einen Wahlkampf DAVOR CVRLJE Union ist die Kluft des CDU-Chefs zur samt Programmatik auf die Beine stellen, Schwesterpartei mehr als 500 Kilometer um das politische Erbe von Kanzlerin atürlich hat Armin Laschet Feh- breit. So weit sind nämlich er und CSU- zu verteidigen. ler gemacht. Er hätte die Frage Chef Markus Söder Luftlinie voneinander Dies alleine ist nach der 16-jährigen N der Kanzlerkandidatur viel frü- entfernt. In München und Berlin versu- Kanzlerschaft Merkels schon eine immen- her und schneller mit Söder regeln müs- chen die beiden Unions-Größen, bei se Aufgabe mit offenem Ausgang. Nach sen. Er hat die Loyalität des bayerischen glanzlosen Auftritten einen Schlussstrich dem Machtkampf kommt für Laschet hin- Ministerpräsidenten gegenüber der gro- unter einen Machtkampf zu ziehen, der zu, dass er sich – jedenfalls derzeit – nicht ßen Schwesterpartei überschätzt. Auch die Union und das Land neun Tagelang in auf seine eigene Parteibasis verlassen bei der Stimmung in der CDU-Fraktion Atem gehalten hat. Der aber plötzlich kann. Denn diese hätte sich in nicht uner- und vor allem an der Basis hat sich der doch keiner mehr gewesen sein soll. heblichen Teilen den in Umfragen weit Rheinländer ordentlich verschätzt. Doch So sehr sich erst Söder und kurze Zeit vorne liegenden Söder als Kandidaten als Laschet mit dem Rücken zur Wand später Laschet bemühen, die Gemeinsam- gewünscht. Laschet verspricht, sich bei- stand, hat er Führungsqualitäten bewie- keit und Zusammenarbeit zu betonen – zeiten mit der Gemütslage auf Kreisebene sen. Er hat das Heft des Handelns in die immer wieder fällt das Wort Verantwor- zu befassen. Wann und wie, das lässt er Hand genommen und seine eigene Partei tung -, schon die räumliche Trennung offen. Zu viel Zeit dürfte er dafür kaum zu einer Entscheidung über die K-Frage zeigt ein anderes Bild. Zur Erinnerung: übrig haben. Denn auf Laschet warten mit gezwungen. Das ist kein glänzender Als der Machtkampf am Sonntag in einer Grünen-Chefin und Sieg. Dennoch ist es zu einfach, alle Sackgasse steckte, waren beide Kontra- SPD-Bewerber Olaf Scholz im Wahlkampf Schuld bei Armin Laschet abzuladen. henten kurzerhand per Flugzeug für ein gleich zwei Kanzlerkandidaten, die ihrer- Bei der holprigen Kür des Kanzlerkan- Treffen nach Berlin gereist. seits auf großen Rückhalt in ihren Partei- didaten hat sich wieder einmal gezeigt, en setzen können. wie tief die Gräben bei den Konservati- Abstimmung im Vorstand ven sind. Die enttäuschten Anhänger Warnung der Jungen Union von Friedrich Merz fühlen sich in der Nach den Marathonverhandlungen in CDU immer noch heimatlos und vom der Nacht zum Montag schien der Eklat So sucht Laschet erst mal sein Heil im jovialen Laschet nicht ausreichend perfekt – die Rivalen gingen ohne Ergeb- Angriff: »Es ist eine Richtungsentschei- repräsentiert. Ihr Herz schlägt für Söder. nis auseinander. Zurück in München dung für Deutschland, über die wir hier In dem Bayer sehen sie einen Macher, erklärte Söder dann plötzlich, alle Fakten reden. Wenn ein rot-rot-grünes Bündnis einen politischen Anführer. Die Sehn- lägen auf dem Tisch. Er werde jede Ent- zusammenkommen würde, ist das eine sucht danach ist so groß, dass sich viele scheidung der CDU akzeptieren, egal, wie andere Republik. Das weiß jeder in Bay- Abgeordnete sogar trauten, das Votum sie ausfalle. In einer von Laschet kurzfris- ern und das weiß jeder in den 15 deut- des Parteivorstands für Laschet in den tig einberufenen Sondersitzung des CDU- schen Landesverbänden der CDU.« Wind zu schlagen. Aus der Personalkrise Vorstands kommen dann in der Nacht Doch wie tief die Gräben sind, zeigt wurde so eine Vertrauenskrise zwischen zum Dienstag die Argumente der Söder- sich in der Reaktion der Jungen Union Parteiführung und Basis. Anhänger wie die der Laschet-Freunde (JU) auf Laschets Kür: Statt einer Gratula- In den fast sechzehn Jahren der Mer- auf den Tisch. Auf Druck des Parteichefs tion für den Sieger dankt der Bundesvor- kel-Kanzlerschaft musste sich die Partei stimmt die CDU-Spitze dann kurz nach sitzende Tilman Kuban in seiner Stellung- immer wieder den Erfordernissen des Mitternacht ab. Und das Ergebnis ist ein- Antrittsrede: Armin Laschet spricht als Kanzlerkandidat. FOTO: KAPPELER/DPA nahme Söder für dessen Angebot einer Regierungshandelns beugen. Immer wie- deutig: Laschet kommt auf 31 Stimmen, Kandidatur. Die JU werde nun für Laschet der wurden zentrale Überzeugungen der Söder auf 9, es gibt 6 Enthaltungen. einer sehr persönlichen Entscheidung«, dem Spiel steht.« Das ist der CSU um ihren in den Wahlkampf ziehen. Dennoch Konservativen dem Machterhalt geop- Am Dienstag geht dann plötzlich alles sagt Laschet. Er wird nicht müde, von sei- »Kandidaten der Herzen«, wie Generalse- klingt Kubans Ansage auch wie eine War- fert, vom Atomausstieg bis zur Homo- ganz schnell. Mittags tritt Söder in Mün- nem guten persönlichen Verhältnis zu kretär Markus Blume Söder bezeichnet, nung an Laschet: »Er muss jetzt beweisen, Ehe. Nun gilt es Profil zu gewinnen, ohne chen vor die Kameras. Gleich am Anfang Söder zu schwärmen. Guter, fairer natürlich auch bewusst. dass er zusammenführen kann und es kei- die Regierungsfähigkeit zu verlieren. Das verkündet er: »Die Würfel sind gefallen. Umgang? Wer die vergangene Woche ver- Dennoch sitzt der Stachel zunächst ne Verlierer in der Union gibt.« ist ein Job für einen Brückenbauer wie Armin Laschet wird Kanzlerkandidat der folgt hat, weiß: Da haben sich zwei Uni- schmerzend im Fleisch der Christsozia- Bleibt noch die Frage, wie es weiter Armin Laschet. Union.« Das sind die Worte, auf die der oft onspolitiker in einem knallharten Macht- len, wie zwischen den Zeilen auch aus geht im Verhältnis von Laschet und Söder. [email protected] unterschätzte Nordrhein-Westfale mehr kampf nichts geschenkt. Söders Worten herauszulesen ist: Er dan- Laschet betont, Söder werde eine zentrale als eine Woche lang hingearbeitet hat. Die Doch nun ist Laschet hörbar bemüht, ke seinen Unterstützern, gerade auch aus Rolle für die Union und die Zukunft Kür des Kandidaten. den Blick nach vorne zu richten: »Ab jetzt der CDU, sagt Söder und erwähnt aus- Deutschlands spielen. Er werde sich wei- Pressefreiheit Zwei Stunden nach Söder geht auch zählt: Welche Partei hat die besten Kon- drücklich auch die »mutigen Abgeordne- terhin »täglich, zweitäglich, wöchentlich Laschet an die Öffentlichkeit. Er macht zepte für die Zukunft unseres Landes. Wer ten«, die Jungen und die Modernen, die in und wann immer es nötig ist«, mit Söder erste Versuche, die Risse zwischen den formiert das beste Team, um die Heraus- der CDU für ihn das Wort ergriffen hätten. abstimmen. Abgesehen vom verbalen Die Gefahren der schwarzen Unionsschwestern zu kitten. forderungen zu bewältigen.« Nur wenn Die Modernen für ihn – eine neue Spitze Schulterschluss lässt Laschet offen, ob es »Wir sind in der CDU der CSU dankbar für CDU und CSU gemeinsam als Teamin den gegen Laschet? bald einen gemeinsamen Auftritt zur Prä- Parallelwelten den guten, fairen Umgang in einer sehr Wahlkampf gingen, könne die Wahl In der Union und darüber hinaus wis- sentation des Unions-Kanzlerkandidaten weitreichenden Entscheidung, auch in gewonnen werden. »Alle wissen, was auf sen alle, dass Laschet nach seinem Sieg im geben wird. (dpa)

VON Reaktionen – BRIGITTE GISEL Erleichterung und Enttäuschung eng beieinander. Jetzt heißt es Gräben überwinden und vorauszublicken

ournalisten müssen hierzulande nicht befürchten, in die Luft Entscheidungsfindung war kein Ruhmesblatt J gesprengt oder Opfer kaltblütiger Auftragskiller zu werden. Auch staatli- VON JÜRGEN RAHMIG Entscheidung und Söders Einlenken nicht chen und sich die Entscheidung nicht mit einem integrierenden und teamorien- che Repressionen gegen Berichterstatter mehr notwendig geworden. »Ich habe leicht gemacht. »Diesen Beschluss akzep- tierten Führungsstil vereint. Ich schätze liegen nicht in der DNA der Bundesrepu- BERLIN. Die Entscheidungsfindung sei ohnehin immer dafür plädiert, darüber tiert Markus Söder – er hält damit Wort. diese Stärken besonders in der persönli- blik. Dennoch ist Deutschland auf der kein Ruhmesblatt gewesen, sagt Thorsten nicht in der Fraktion abzustimmen, weil Und auch wir sind gut beraten, diesen kla- chen Zusammenarbeit mit Armin Rangliste der Journalistenorganisation Frei (CDU). Er ist stellvertretender Frakti- das so viel Sprengstoff gehabt hätte und ren Beschluss des Bundesvorstandes zu Laschet.« Darüber hinaus habe Laschet Reporter ohne Grenzen aus der Spitzen- onsvorsitzender der Union im . tiefe Keile in die Fraktionsgemeinschaft akzeptieren, damit die Personaldebatte auch bewiesen, dass er Wahlen gewinnen gruppe herausgefallen und muss sich Der Bundestagsabgeordnete aus dem hineingeschoben hätte«, sagt Frei. ein Ende hat.« kann. Vor der persönlichen Entscheidung mit Platz 13 begnügen – hinter Ländern Schwarzwald-Baar-Kreis sagt, »die bei- Für einen Vorsitzenden, der erst vor Donth gehörte zu einer Gruppe von von Markus Söder und seinem Schulter- wie Costa Rica (5), Jamaika (7) oder den Vorsitzenden hätten durchaus einen wenigen Wochen gewählt wurde, wäre es Südwest-Abgeordneten, die in einem schluss mit Armin Laschet habe sie gro- Irland (12). Fahrplan entwickeln können. Umso mehr schon problematisch gewesen, nicht Brief öffentlich für Söder geworben hat- ßen Respekt, sagt die Politikerin. Jetzt Zur Bedrohung der Pressefreiheit sind kommt es jetzt darauf an, dass möglicher- Kanzlerkandidat zu werden. Frei hat aber ten. Donth spricht nach dem Entscheid gehe es darum, »mit diesem Geist der hierzulande gewalttätige Übergriffe auf weise aufgeworfene Gräben schnell wie- beide für sehr gute Bewerber gehalten. von einer »gewissen Enttäuschung«. Er Geschlossenheit gemeinsam in einen Journalisten geworden. In 65 Fällen – der zugeworfen werden und wir geschlos- Gerade an der Basis in Baden-Württem- werde nun aber nicht drei Wochen den engagierten Wahlkampf zu starten – für fünfmal häufiger als im Vorjahr – wur- sen in den Wahlkampf gehen. Jetzt geht es berg habe auch Söder viele Unterstützer Kopf in den Sand stecken und in Depres- Deutschland und die Union.« den Journalisten geschlagen, getreten darum, den Blick nach vorne zu richten.« gehabt. »Man muss ihnen allen nun auch sion verfallen. Nun gelte es, sich vereint, Mit Armit Laschet habe die Union oder bespuckt, weil sie ihrer Arbeit nach- etwas Zeit geben.« Schließlich hätten sich einen sehr guten Kandidaten, sagt auch gingen. In der Mehrzahl der Fälle pas- einige Kollegen, aber auch Funktionsträ- der Parlamentarische Staatssekretär und sierte dies auf Demonstrationen gegen ger der Partei öffentlich auf die eine wie CDU-Bezirksvorsitzende Württemberg- Corona-Maßnahmen. Die Häufung lässt die andere Seite geschlagen. Hohenzollern, Thomas Bareiß. »Er hat den Schluss zu, dass auch die Polizei nicht immer deutlich genug einschritt. Bundesjustizministerin Christine (CDU), stellvertre- Staatsministerin Lambrecht zeigt sich zurecht alarmiert. tender Vorsitzender Annette Widmann- Gefahr für die Pressefreiheit besteht nicht der Unionsfraktion Mauz (CDU). erst, wenn Journalisten tätlich angegrif- im Bundestag. FOTO: KARMANN/ fen werden. Schon wer »Lügenpresse« FOTO: KIENZLER Der Reutlinger DPA brüllt, ist dabei, sich von diesem Grund- CDU-Bundestags- Staatssekretär recht zu verabschieden. Berichterstatter Eine kontroverse Debatte für sich abgeordnete CDU und CSU, in den Dienst der gemein- Thomas Bareiß werden häufig nicht nur kritisiert, son- genommen sei im Übrigen nichts Proble- Michael Donth. samen Sache zu stellen und »zusammen (CDU). dern auch beschimpft und verunglimpft. matisches. »Wir haben die besondere FOTO: NIETHAMMER und geschlossen für unsere Politik und FOTO: DPA Ein Grund dafür ist, dass in den soge- Herausforderung, dass die Union aus unsere Ziele zu kämpfen«. Denn der Geg- nannten sozialen Medien Parallelwelten zwei Parteien besteht. Das sind zwei Par- Zu ihnen gehört der Reutlinger Bun- ner stehe nicht innerhalb der Union, son- Erfahrung und kann regieren. Er ist ein entstanden sind. Wenn aber nicht mehr teien, die gemeinsam zur Wahl antreten destagsabgeordnete Michael Donth dern außerhalb. Teamspieler, das finde ich eine wichtige zwischen Fakten und Meinungen unter- und die müssen sich natürlich immer (CDU). »Wir haben jetzt ein Ergebnis und Staatsministerin Annette Widmann- Eigenschaft.« Der Balinger Abgeordnete schieden wird, wird das auch zum Risiko abstimmen. Die Frage ist, ob es ein das ist gut so, auch wenn ich mir Markus Mauz (CDU), Wahlkreis Tübingen- nennt Laschet einen verlässlichen und für die Demokratie. Sie lebt davon, dass ordentliches, transparentes und faires Söder als Kanzlerkandidaten gewünscht Hechingen, freut sich, »dass wir im re- vertrauenswürdigen Politiker mit einem man Tatsachenals solche anerkennt und Verfahren ist, bei dem sich letztlich auch und aus Überzeugung unterstützt habe«, spektvollen Umgang miteinander zu einer klaren Wertekompass. »Seine Fähigkeiten die Auseinandersetzung um die Bewer- die Basis ernstgenommen und mitgenom- sagt Michael Donth. Er bedauert, »dass gemeinsamen Entscheidung von CDU und Kompetenz, die er als Ministerpräsi- tung führt. men fühlt.« Da habe man nicht das aller- wir, die Union, dieses gute Angebot nicht und CSU gelangt sind.« Die Union habe dent im bevölkerungsreichsten Bundes- [email protected] beste Bild abgegeben. Eine Abstimmung genutzt haben.« Der Bundesvorstand sich mit Laschet für einen Kanzlerkandi- land Nordrhein-Westfalen unter Beweis in der Fraktion war nach der nächtlichen habe sich erneut für Laschet ausgespro- daten entschieden, »der feste Grundsätze gestellt hat, sind unbestritten.« (GEA)