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Sendung vom 28.12.2007, 20.15 Uhr

Prof. Angelika Kirchschlager Kammersängerin im Gespräch mit Dr. Wolf-Dieter Peter

Peter: Das heutige alpha-forum muss mit einer silbernen Rose beginnen. Ich werde mich aber hüten, dazu irgendetwas zu singen, denn das kann mein Gast sehr viel besser: willkommen bei alpha-forum, Kammersängerin Angelika Kirchschlager. Kirchschlager: Grüß Gott. Peter: Jetzt müssen wir den Nicht-Opernfreunden unter unseren Zuschauern erklären, was es mit der silbernen Rose auf sich hat und was Sie damit zu tun haben. Erzählen Sie mal. Kirchschlager: Die silberne Rose stammt natürlich aus dem "Rosenkavalier" von Richard Strauss. Die Gesangspartie aus dem "Rosenkavalier" ist das Stück, das ich bisher wahrscheinlich am häufigsten gesungen habe. Peter: Sie überreichen die silberne Rose im zweiten Akt als Symbol einer großartig inszenierten Szene innerhalb des Stücks. Welche Bedeutung hat diese silberne Rose? Kirchschlager: Die silberne Rose ist ein Zeichen der Liebe und der Ehre. Ich bin und übergebe die silberne Rose an Sophie, die heiraten soll. Bei dieser Szene ist alles noch einigermaßen in Ordnung, es wird sich aber bald herausstellen, dass alles ganz anders ist. Peter: Das ist richtig. Sie schauen nämlich über die silberne Rose, die mit Rosenöl parfümiert ist, hinweg, und dabei passiert etwas, das ein Minidrama auslöst. Dabei handelt es sich um eine Partie für den sogenannten Mezzosopran, auf den wir näher eingehen sollten und der ja ein halber Sopran ist. Sind Sie ein halber Sopran? Können Sie diese Bezeichnung einem Opernlaien erklären? Kirchschlager: Man kann "Mezzo" auch als Mitte interpretieren. Das heißt also, dass sich der Mezzosopran in der Mitte zwischen dem Alt und dem Sopran befindet. Ich finde diese Stimmlage eigentlich sehr angenehm zu singen, weil man sowohl Alt als auch Sopran singen kann. Man kann sich die Partien also aussuchen und singt aber auch sehr oft Mezzosopran. Peter: Es ist aber doch ein Stimmfach, das in seiner öffentlichen Anerkennung immer etwas im Schatten der anderen Fächer steht, des Soprans oder des Tenors. Der Held ist der Tenor, die wunderschöne Liebhaberin ist der Sopran. Daneben gibt es auch den Mezzosopran, den Bariton und den Bass. Wie ist es für Sie als engagierte junge Künstlerin, wenn man als Mezzosopran immer etwas im Schatten des Soprans steht? Kirchschlager: Ich hatte noch nie das Gefühl, im Schatten eines Soprans zu stehen. Ich bin ehrlich gesagt sogar froh, dass ich nicht immer an der vordersten Front kämpfen muss. Sie werden es nicht glauben, aber auch wir haben unsere Fans: Es gibt Menschen, die den Mezzosopran lieber als den Sopran mögen und andere, denen der Bariton lieber als der Tenor ist. Peter: Im Moment sitzt Ihnen so einer gegenüber, weshalb er sich auch besonders freut, mit Ihnen dieses Gespräch zu führen. Aber ich möchte bei Ihnen an dieser Stelle etwas nachhaken, weil es in der Opernwelt doch eine Tatsache ist, dass viele Mezzosopranistinnen nach dem Sopran gieren und im Laufe ihrer Entwicklung sagen: "So. Jetzt will ich nach vorne und wechsle ins Sopranfach. Das will ich nicht nur wegen der Gage und der Anerkennung, sondern auch wegen der Rollen." Können Sie das nachvollziehen? Kirchschlager: Ich glaube nicht, dass solche Entscheidungen möglich sind. Für mich kann es jedenfalls keine Entscheidung darüber geben Sopran zu werden, weil ich einfach ein Mezzosopran bin. Ich könnte mir hundert Jahre lang wünschen, die Tosca zu singen, aber es wird nie passieren. Leider. Peter: Sehen Sie das definitiv so? Kirchschlager: Ja. Das hängt von der Länge und der Beschaffenheit der Stimmbänder ab. Meine Stimmbänder sind eben so wie sie sind, was auch der Grund dafür ist, dass ich mein Leben lang ein Mezzosopran bleiben werde. Das schließt nicht aus, dass sich manche Mezzosoprane auch in die Höhe entwickeln. Dem liegt aber eine körperliche Entwicklung zugrunde, die nicht jeder vollzieht, weil die Menschen einfach unterschiedlich sind. Ich persönlich sehe mein Stimmfach den Sopranen gegenüber überhaupt nicht zurückgestellt. Wenn Sie sagen, dass die Mezzosoprane an die vorderste Front wollen, müssen Sie dabei unterscheiden, ob Sie von einer künstlerischen Entwicklung sprechen oder ob Sie eher das hysterische Showgebaren meinen, das ja im Moment sehr angesagt ist. Peter: Deshalb frage ich Sie auch. Kirchschlager: Wenn ich so etwas mitbekomme, ziehe ich mich sofort zurück. Dann bin ich sehr vorsichtig und will auf keinen Fall mitmachen. Peter: Glamour, PR-Show und Werbung für kunstferne Dinge kommen für Sie also nicht in Frage. Kirchschlager: Hin und wieder ist so etwas lustig, wenn man es einmal im Jahr macht. Es heißt ja: "Die Frau Kirchschlager ist eine seriöse Künstlerin und kann singen." Man kann ab und zu etwas ganz anderes machen, vielleicht eine Operettengala im ZDF. Das würde ich aber nicht alle zwei Wochen tun, weil das einfach nicht mein komplettes Repertoire reflektiert. Peter: Darauf können wir gleich eingehen. Genau das verbindet man bei uns ja speziell mit österreichischen Künstlern, die oft sagen: "Wir machen zwar ernste Kunst, aber wir haben auch ein Herz für ganz andere Dinge." Sie haben sich etwa mit Ihrem vertrauten und geschätzten Freund , einem Bariton, auf die Operette gestürzt. So etwas wird bei uns gelegentlich mit einem Naserümpfen quittiert. Könnte es hingegen aus österreichischer Sicht nicht vielleicht ganz anders beurteilt werden? Kirchschlager: (lacht) Jetzt muss ich was Gescheites sagen, oder? Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist. Für mich als Österreicherin ist es tatsächlich normal, dass man die Operette hin und wieder hört und dass sie ein Teil unserer Kultur ist. Es ist ja nicht so, dass wir – wie man sich das vielleicht im Ausland vorstellt – jedes Wochenende zu Hause sitzen und im Radio Operetten hören. Wir wachsen aber in der Tat mehr damit auf und haben diese ganzen alten Filme. Ich weiß nicht, ob man diese Filme in Deutschland auch kennt. Peter: Solche alten österreichischen Filme werden auch in Deutschland immer wieder gezeigt. Kirchschlager: Es war ein Wunsch von mir, einmal etwas einfach Schönes zu machen: Irgendetwas fürs Herz, das Spaß macht und das ich vielleicht auch besser mache als irgendwelche Kolleginnen aus Spanien, Amerika oder Deutschland. Simon Keenlyside hat – obwohl er Engländer ist – bereits seit Jahren eine sehr große Affinität zur Operette. Peter: Ich möchte hier die Stichworte Humor und Ironie einwerfen. Sind das nicht Dinge, die bei der Operette dabei sein müssen, weil nicht immer alles tragisch, bitter ernst und zum Scheitern verurteilt sein kann, sondern weil man auch etwas Schmäh – also ein wenig Augenzwinkern – braucht? Kirchschlager: Das ist ja in den Operetten bereits vorhanden. Da muss man gar nicht so viel dazugeben, sondern es reicht, das Stück nachzuempfinden und den Text zu hören und zu transportieren. Dann ergibt sich das mit dem Augenzwinkern und der Ironie von ganz allein. Peter: Ich denke, dass wir schlicht und einfach auch einmal feststellen müssen, das die Stücke von Léhar und Kálmán wunderbar komponiert sind. Kirchschlager: Es sind auf ihrem Gebiet sehr gute und großartige Kompositionen. Dabei handelt es sich ganz eindeutig um Musik, die einem – ob man will oder nicht – direkt ins Herz schießt, wenn man wirklich zuhört und dafür offen ist. Peter: Die Operette hat also jetzt einen festen Platz in Ihrem Repertoire und in Ihrer Karriere gefunden. Jetzt würde ich gerne einmal zurück zu Ihren Anfängen gehen: Sie sind in Salzburg geboren. Was hatten Sie für ein Elternhaus? Kirchschlager: Es war ein schönes, geborgenes Elternhaus, in dem es ein Klavier gab. Meine Mutter hat im Chor gesungen, mein Vater hat hobbymäßig gemalt und meine Großmutter wollte Sängerin werden. Es war ein ganz normales Elternhaus. Peter: Musik war aber von Anfang an da. Kirchschlager: Musik war da: Wir haben an Weihnachten zu Blockflöte und Gitarre gesungen. Das war immer so gewesen. Peter: Bei Ihnen gab es keine Musikkonserven, sondern Sie machten selber Musik, auch wenn das vielleicht unvollkommen war. Kirchschlager: Wir haben noch sehr viel zusammen gesungen. Peter: Sie sind also bereits als Kind mit Musik "infiziert" worden. Kirchschlager: Das ergab sich ganz selbstverständlich, weil wir eigentlich immer gesungen haben, ob wir im Auto saßen oder beim Wandern waren. So etwas gibt es heute nur noch sehr selten. Wo singt man etwa zu Weihnachten noch selber? Das machen nur noch sehr wenige Leute. Peter: Dann kamen Sie an ein musisches Gymnasium. War das die Entscheidung Ihrer Eltern, oder wollten Sie das selber? Kirchschlager: Das musische Gymnasium war bereits damals eine sehr gute Schule, die mittlerweile sogar noch besser geworden ist: Es ist eigentlich die künstlerischste Schule, die ich kenne. Deswegen bin ich ohne Absichten dorthin gegangen. Die Musik stand damals an dieser Schule nicht so sehr im Mittelpunkt. Es war wünschenswert, dass wir unter anderem auch etwas mit Musik machen sollten. Aber die Musik war damals nie eine berufliche Option und es gab keinen Drill, sondern wir machten die Musik zum Spaß. Peter: Wann kam Ihnen die Idee, die Musik als Karrieremöglichkeit zu sehen? Wann setzte Ihre Begeisterung dafür ein? Kirchschlager: Spät. Das begann erst nach der Matura, also dem österreichischen Abitur: Wir führten damals in der Schule eine Kinderoper auf, für die ich sogar auf die Maturareise verzichtet habe. So stand ich zum ersten Mal als Solostimme auf der Bühne. Dabei beeindruckte mich eigentlich am meisten das Orchester in seinem Orchestergraben, aber auch die Garderobe, die ich für mich allein hatte. Damit stand fest, dass ich etwas mit Musik machen wollte, wobei ich die Bandbreite meiner Möglichkeiten sehr weit gespannt sah: Von Musiktherapeut über Musikjournalist bis hin zum aktiven Musiker war alles möglich. Weil ich mir dann dachte, dass ich es mit dem Singen doch einmal probieren könnte, ging ich nach Wien. Peter: Sie hatten aber zuvor bereits richtig Klavierspielen gelernt. Kirchschlager: Ja, das Klavierspielen habe ich bereits als Kind gelernt. Ich war dafür zwei Jahre ans Mozarteum in Salzburg gegangen. Peter: Sie haben aber noch etwas anderes gelernt, und zwar etwas, das Sie uns jetzt bitte nicht an Ihrem Stuhl oder an anderen Dingen vorführen: Sie haben Schlagzeugspielen gelernt. Kirchschlager: Das kam erst nach dem Singen. Ich bin zuvor nach Wien gegangen und habe dort ein Jahr Gesang studiert. Es hat sich dann zufällig ergeben, dass ich zur Aufnahmeprüfung für die Musikhochschule gegangen bin. Man musste damals – ich weiß nicht, wie es heute ist – noch keine Aufnahmeprüfung am Schlagwerk machen, sondern ich konnte etwas am Klavier vorspielen. Ich habe also ein Intermezzo von Brahms vorgespielt, wodurch die Prüfer sahen, dass ich ein Rhythmusgefühl habe und harmonisch denken kann. So habe ich mit dem Schlagwerk begonnen, das ich drei Jahre lang studierte. Ich machte dabei dann noch die erste Prüfung und habe daraufhin sogar unter der Leitung von Claudio Abbado ein Konzert gespielt. Ich war also eine Zeit lang als Schlagwerkerin aktiv. Peter: Sie durften also nicht das Triangel mit seinem "Bing" machen, sondern etwas mehr. Kirchschlager: Es war die große Trommel! Mir wurde auch die Pauke angeboten, aber nach einem Jahr Studium war es mir doch etwas zu riskant, unter Abbado den "Feuervogel" von Strawinsky zu pauken. Peter: Dafür, dass Sie auf einmal im "Champions-League-Bereich" mitstürmen durften, reichte Ihnen wohl auch die große Trommel. Kirchschlager: Und die war spannend genug. Peter: Hat Ihnen die Schulung Ihres Rhythmusgefühls beispielsweise für moderne Partien auch später noch etwas gebracht? Kirchschlager: Auch für Mozart hat es mir geholfen. Bei Mozart ist es sehr gut, wenn man zählen kann. Diese Zeit war sehr wichtig für mich, wie ich im Nachhinein festgestellt habe, weil wir Sänger das Orchester immer von oben hören. Abgesehen davon stehen wir in der Oper auch oben. Unsere Schlüsselnoten – also die Noten, an denen wir uns orientieren, wenn wir unsere Einsätze haben – kommen immer von den hohen Instrumenten wie den Flöten und Geigen sowie hin und wieder von einer Klarinette oder Oboe. Wenn man Schlagwerk spielt, kommen die Stichnoten, die in der Partitur stehen, von den tiefen Instrumenten, also den Instrumenten, die um das Schlagwerk herum sitzen. Das sind die Trompete, der Bass, das Horn und die Posaune. Weil ich damals auch im Orchester spielen musste, habe ich gelernt, auch auf die tiefen Instrumente zu hören. Als Pauke ist man selber ja das allertiefste Instrument. So habe ich das Orchester von verschiedenen Seiten durchdrungen, was natürlich für das Verständnis der Musik sehr vorteilhaft ist. Peter: Klavier, Schlagzeug, Gesang: Wie ist bei Ihnen dann die Entscheidung für das Singen gefallen, wenn Sie auch den Blick zurück in Ihr Elternhaus mit einbeziehen? Kirchschlager: Meine Eltern haben immer hinter mir gestanden, auch wenn sie nicht besonders begeistert waren. Ich habe am Anfang aus Alibigründen Musikwissenschaft und Kunstgeschichte studiert. Das machte ich aber nur zwei Semester lang, weil ich dann mit dem Schlagwerk begann. Ich weiß, dass Freunde meiner Eltern mit großen Augen fragten: "Was wird man denn, wenn man Gesang studiert?" Das lag für sie bis dahin also gar nicht im Bereich des Möglichen. Meine Eltern antworteten: "Sänger. Ob das was Gescheites ist …" Mittlerweile sind sie aber ganz glücklich. Peter: Das kann man jetzt durch Ihre Weltkarriere auch leicht nachvollziehen. Haben Sie sich wirklich selber dazu entschieden, Sängerin zu werden, weil Sie sich sagten: "Das klingt so gut und das ist so schön. Ich will statt einem Instrument, dem Journalismus oder der Musiktherapie lieber selber singen!"? Ab wann traut man sich an solche Entscheidungen heran? Kirchschlager: Das war nach der Matura. Ich kann mich noch an das Schlüsselerlebnis erinnern, aber ich weiß nicht, warum ich die Entscheidung dann traf. Ich bin in Salzburg aus dem Bus gestiegen und weiß noch genau, dass ich auf die Stieglbrauerei blickte. Währenddessen dachte ich mir: "Vielleicht sollte ich es mit dem Singen einfach versuchen. Ich muss es echt einmal probieren. Wenn ich es nicht mache, wird mir wahrscheinlich immer etwas fehlen." Meine Gedanken in diesem Moment waren eine richtige Erleuchtung für mich. Daraufhin beschloss ich, nach Wien zu gehen und dort die Aufnahmeprüfung zu machen. Dann kam eines zum anderen: Ich bin gerade noch durchgerutscht. Hätte ich eine Stimme weniger gehabt, wäre ich dort überhaupt nicht genommen worden und in diesem Fall hätte ich es auch nicht mehr weiter versucht. Peter: Damals waren Sie noch kein strahlender Mezzosopran. Kirchschlager: Gar nicht. Ich hatte eher eine Kinderstimme und habe ganz nett das Lied "Du junges Grün, du frisches Gras" von Schumann vorgesungen. Nach einem Jahr habe ich dann bereits "Samson und Dalila" gesungen (lacht). Peter: Das war bereits die große und schwere Verführerin. Kirchschlager: Es schwankt bei mir immer zwischen beiden Richtungen, aber jetzt habe ich mich in der Mitte eingependelt. Peter: So begannen Sie also Ihr Studium. Bei einem Gesangsstudium ist es sehr entscheidend, wen man als Lehrer bekommt. Es gibt ja Lehrer, die einen verderben oder auf eine falsche Schiene bringen. Da haben Sie wohl Glück gehabt. Kirchschlager: Da hatte ich sehr großes Glück. Ich habe mein Gesangsstudium bei Rolf Sartorius begonnen, bei dem ich fünf Jahre war. Dann bin ich zu Gerhard Kahry, der auch an der Hochschule in Wien lehrte, gewechselt und habe bereits nebenbei auch bei Walter Berry gelernt. Ich habe wirklich Glück gehabt, weil es eine Tatsache ist, dass ganz fantastische Stimmen an die Hochschule kommen, die nach einem Jahr bei einem falschen Lehrer erledigt sein können. Dann fragt man sich, wo die Stimme hingekommen ist. So etwas kann ganz schnell gehen. Ich bin aber sehr dankbar, dass ich damit nie ein Problem hatte. Ich hatte auch immer ein gutes Gespür dafür, was für mich richtig ist und was nicht. Wenn man merkt, dass man weitergehen oder zu einem anderen Lehrer wechseln muss, dann sollte man das auch tun. Wenn es ein guter Lehrer ist, lässt er einen auch gehen. Peter: Was lernt man als Sänger? Zuerst geht es natürlich hauptsächlich um die Verfeinerung der Technik. Kann man sich daraufhin bereits mit der Interpretation von Stücken oder mit den verschiedenen Gesangsfächern befassen? Ich meine das in dem Sinne, dass der Lehrer sagt: "Sie singen dieses in den ersten fünf Jahren und jenes erst später!" Kirchschlager: Ich versuche mich zu erinnern. Man beginnt natürlich mit der Technik und mit sehr einfachen Dingen. Der Körper muss sich ja erst darauf einrichten und entsprechend trainiert werden, weil das Singen ein Muskeltraining ist. Ein Sänger ist zum Beispiel viel mehr ein Sportler, als es ein Maler ist. Der Sänger arbeitet mit seinem Körper und nicht nur mit der Stimme. So sind am Singen auch das Zwerchfell und eine Vielzahl anderer kleiner Muskeln, die man nicht sehen kann, beteiligt. Peter: Diese Muskeln werden von uns Normalmenschen oft nicht benützt. Kirchschlager: Deshalb müssen diese Muskeln beim Sänger trainiert werden. Natürlich kann man bereits am Anfang sehen, ob die jeweilige Stimme hoch oder tief ist. Ich hatte aber Kolleginnen, die eigentlich eine leichte Sopranstimme hatten, die dann aber "Turandot" gesungen haben. Es ist für einen Sänger sehr wichtig, dass er nicht nur eine gute Stimme und einen robusten Körper hat, sondern dass er auch über einen Verstand verfügt. Wenn eine Sängerin, die eigentlich die Barbarina im "Figaro" singen sollte, die "Turandot" singt, dann fehlt es ihr schlicht und einfach am Verstand. Peter: Das ist, um es anschaulicher zu machen, genauso, als ob ein Leichtathlet plötzlich Gewichtheber werden wollte. Kirchschlager: Genau. Daran scheitern dann auch viele Karrieren. Peter: Auch da haben Sie also Glück gehabt. Wenn man sich ansieht, wie Ihr weiterer Karriereweg verlief, kann man dabei eher eine Bestätigung des klassischen Weges beobachten. Sie waren mal an der Kammeroper, mal im Schloss Schönbrunn, mal in , und dann kamen Sie erst an ein großes Opernhaus. Wenn Sie jetzt zurückschauen: War es auch ein Glück, dass Sie Ihre Karriere so schön schrittweise aufbauen konnten? Kirchschlager: Es ist eher alles ziemlich schnell gegangen: Als Studentin habe ich noch an der Kammeroper gesungen und bekam meinen ersten Vertrag in Graz noch während meines letzten Studienjahres. Ich kam aus der Hochschule und habe dann als erste Partie sofort den "Rosenkavalier" gesungen. Beim "Rosenkavalier" bekam ich mein Engagement für die Staatsoper. Schneller wäre es also fast nicht gegangen, weil ich eigentlich an jedem Haus nur für einen Vertrag war. Immer, wenn ein Vertrag beendet war, konnte ich gleich einen neuen unterschreiben. Das war ein großes Glück für mich. Peter: Dennoch konnten Sie sich langsam eingewöhnen, weil Sie erst einmal auf kleinen Bühnen mit kleinen Orchestern gestanden haben. Ein solcher Karrierebeginn tut einem sicher gut. Kirchschlager: Meine Zeit an der Kammeroper war sehr schön und auch in Graz war es sehr familiär und heimelig. Ich war auch dort wieder von wunderbaren Menschen umgeben, die mich getragen und mir in jeder Beziehung geholfen haben. Das war tatsächlich wichtig. Peter: In einem Sängerleben – und noch dazu in dem einer Österreicherin – ist natürlich die Wiener Staatsoper etwas ganz besonderes. Geht man eigentlich etwas in die Knie, wenn man dort zum ersten Mal auf die Bühne geht? Kirchschlager: Das war sicher ein Meilenstein für mich. Ich bin während meiner Studienzeit natürlich hin und wieder in die Wiener Staatsoper gegangen, weil ich eine Freundin hatte, deren Mutter dort gesungen hat. Durch sie bin ich auf die Hinterbühne gekommen. Ich kann mich erinnern, wie ich auf der Seitenbühne in der ersten Gasse stand, während Brigitte Fassbänder den "Rosenkavalier" sang. Wir waren dort, als sie im zweiten Akt mit der silbernen Rose kam. Ich war fassungslos, weil ich so nah an der Sängerin dran war und spürte, wie viel Energie es erfordert, um dort zu singen. Die Sänger singen nicht leise und säuselnd, sondern sie müssen wirklich laut singen. Ich war überwältigt. Ich darf im Nachhinein gar nicht so viel darüber nachdenken, wie es war, als ich selber meinen ersten "Rosenkavalier" in der Wiener Staatsoper gesungen habe, denn sonst … (lacht). Peter: Heute haben Sie die Gelegenheit, darüber etwas zu erzählen. Kirchschlager: Da bekommt man wirklich weiche Knie. Man darf sich in dem Moment nicht vor Augen führen, wo man jetzt in Wirklichkeit steht und was man gerade macht: dass man nämlich gerade die Rosenüberreichung singt. Das kostet einen so viele Nerven und in diesem Moment ist man fast wie in Trance. Man wird sich der Dramatik der Situation gar nicht so richtig bewusst, weil man sonst wahrscheinlich sofort zitternd zusammenbrechen würde. Peter: Darauf folgten für Sie Auftritte an vielen großen Bühnen wie dem Münchner Nationaltheater, an dem Sie ebenfalls den "Rosenkavalier" und andere Mozartpartien gesungen haben. Sie sangen aber auch in London und an der Met in New York. Kommt es dabei immer wieder auf die Konzentrationsfähigkeit an, also darauf, dass man alles andere ausblenden kann, um für die riesige Bühne im Moment seine ganze Kraft bündeln zu können? Kirchschlager: Mir ist es egal, auf welcher Bühne ich stehe. Meine Konzentration ist immer gleich groß – ob ich bei einem Liederabend vor 400 Leuten stehe oder in der Metropolitan vor 4000 Leuten singe. Ich passe mich dem jeweiligen Event nicht extra an, weil ich immer das Gleiche geben möchte. Ich versuche es auch wirklich zu relativieren, damit ich eben nicht nervös werde. Als ich zum ersten Mal für einen Liederabend zusammen mit Simon Keenlyside und einem Klavier in der großen Carnegie Hall stand – also nur wir zwei kleinen Zwerge in der riesigen Halle –, war das für mich wirklich ein ganz eigenartiges Gefühl. Das ist natürlich auch ein unglaublich geschichtsträchtiger Ort, an dem bereits viele berühmte Menschen allein neben einem Klavier gestanden haben. Es ist ein riesiger Raum mit einer fantastischen Akustik und mit einer großen Vergangenheit. Ansonsten lassen mich die Räume zwar nicht kalt, weil sie von ihrer Ausstrahlung her immer wunderschön sind, aber das beeinflusst meine Arbeit nicht so sehr. Peter: Wie kommen Sie von der Konzentration und der Anspannung nach einem Auftritt wieder herunter? Fühlen Sie sich danach leer? Kirchschlager: Nein! Man hat zwar keine Körperenergie mehr, dafür ist der Akku aber voll geladen: Nach einer Vorstellung ist man emotional und geistig übervoll geladen, weil es immer einen Austausch mit dem Publikum gibt. Es ist wie eine Autobatterie, die sich einfach auflädt, während das Auto fährt. Das passiert auch bei unseren Vorstellungen. Wenn das nicht passieren würde, wäre ich wahrscheinlich nach einem Monat so leer, dass ich mich danach fünf Monate lang aufladen müsste. Peter: Wie kommt man wieder herunter? Ist man nach einer Vorstellung, die bis zwei Uhr nachts gedauert hat, noch wach und trinkt ein Glas … Kirchschlager: … oder mehrere … Peter: … oder isst man etwas zu viel? Kirchschlager: Ich persönlich bin meistens zu erschöpft, um zu essen. Ich habe es dann immer ganz gern still und setze mich in die Ecke. Wenn die Kollegen oder eine Kollegin auf der gleichen Wellenlänge sind, dann setzt man sich einfach irgendwohin, bestellt sich eine schöne Flasche Rotwein und wird langsam müde. Peter: Wir sollten einen wichtigen Punkt erwähnen. Es gibt auch noch eine ganz andere Seite von Ihnen, die Sie vielleicht erdet und mit deren Hilfe Sie wieder zurück auf den Boden kommen: Sie haben, als Sie bereits Sängerin waren, geheiratet und sind Mutter eines inzwischen zwölfjährigen Sohnes. Wie ist das Leben einer Mutter mit dem Sängerleben vereinbar? Kirchschlager: Es ist sehr schwer vereinbar. Meinen Beruf kann ich sicher nur deswegen ausüben, weil mir sehr viele Menschen dabei helfen. Damit meine ich ganz besonders meinen Sohn, der meiner Arbeit sehr positiv gegenübersteht. Ich habe ihn immer mit einbezogen und nie gesagt: "Das hier ist meine Arbeit und das dort ist mein Kind." Ich habe ihn die ersten Jahre natürlich mitgenommen. So hat er alle meine Kollegen kennengelernt. Wenn ich ihm heute sage, in welchem Hotel ich gerade bin, kennt er es bereits von früher und weiß deshalb, wo ich bin. Er liebt meine Arbeit, was für mich ein großes Geschenk ist. Peter: Es gab also keine Eifersucht und er sagte auch nicht: "Ich will meine Mami haben!" Das hätte Sie in einen Zwiespalt gebracht. Kirchschlager: Er möchte natürlich lieber, dass ich zu Hause bin, weil es dann schöner ist. Er gibt aber nicht meiner Arbeit die Schuld daran, sondern er versteht – genau wie ich –, dass es einfach meine Arbeit ist. Die einzige Alternative wäre für mich gewesen, kein Kind zu haben, was für mich überhaupt nicht in Frage gekommen wäre. Wenn ich mir meinen Sohn heute ansehe, muss ich auch sagen, dass er wirklich sehr gut geraten ist, weil es wenige Kinder gibt, die so fröhlich, offen, umgänglich, zufrieden, kreativ und lustig wie er sind. Deshalb lasse ich mir jetzt von niemandem einreden, dass Kinder, deren Mütter Berufe wie meinen haben, immer unglücklich sind. Meiner Meinung nach sind andere Faktoren dafür verantwortlich, dass Kinder unglücklich sind. Der Beruf, der eine Mutter ausfüllt, kann nicht alleine dafür verantwortlich sein. Vor allem in meinem Beruf bekommt man sehr viel Lebensqualität in allen Bereichen zurück. Dann gibt es natürlich meinen ehemaligen Mann, bei dem Felix oft ist, wenn sie nicht gerade beide in unserer Wohnung leben. Wir sind wahnsinnig gut befreundet und er ist ein "Lebensmensch" für mich geblieben, auch wenn wir nicht mehr zusammenleben. Wir bilden ein sehr harmonisches Team, weil wir alle an einem Strang ziehen und viel Spaß miteinander haben. Peter: Das Kind ist also glücklicherweise nicht nur auf Sie fixiert. Die Mutter wird nicht einfach während ihrer Abwesenheit durch Kindermädchen oder Verwandte ersetzt. Ihr Sohn wächst letztlich in einer normalen Familie auf. Kirchschlager: Ich würde es nicht übers Herz bringen, ihn einfach irgendwo unterzubringen. Peter: Diese Situation ist für Sie natürlich insofern entspannend, als Sie nicht dauernd im Hinterkopf haben, dass Ihr Kind etwa gerade allein oder beim Kindermädchen ist. Kirchschlager: Ich weiß, dass mein Sohn in den besten Händen ist: Er ist bei seinem wunderbaren Vater. Außerdem haben wir fantastische Freunde und meine Eltern sind auch jederzeit zur Stelle. Er hat also ein dichtes soziales Netz. Aber ich bin ja auch nicht zehn Monate im Jahr weg. Peter: Wie lange sind Sie im Jahr unterwegs? Kirchschlager: Wenn ich die Reisetage mit einrechne, sind es etwa sechs Monate im Jahr, in denen ich nicht zu Hause bin. Ich bin aber nie sechs Monate am Stück weg und oft bin ich auch in den Schulferien unterwegs, sodass mein Sohn dann mitkommen kann. Im nächsten Jahr werde ich zum Beispiel neun Monate zu Hause sein, weil ich sehr viel in Wien arbeiten werde. So werde ich zwei Opernproduktionen machen und viele Konzerte in Wien geben. So geht die Zeit vorbei. Man muss aber einfach akzeptieren, dass es keine Lösung für immer und ewig gibt. Man sucht vielmehr immer nach der besten Lösung für das Problem "singende Mutter plus Kind". Ein Jahr nach dem anderen vergeht, und man versucht das Beste daraus zu machen. Es ist aber vor allem für die singenden Mütter schwer, während die singenden Väter eher bemitleidet werden, dass sie nicht bei der Familie sein können. Die singenden Mütter bekommen dagegen Vorwürfe zu hören, wenn etwa zu ihnen gesagt wird: "Du Arme, wie machst du das? Und was macht der Felix, dieses arme Kind, ohne dich?" Das hat sich bei uns aber mittlerweile erledigt, weil jeder sieht, dass er ein toller Bursche ist. Peter: Ihr Sohn ist nun wirklich von Anfang an der Musik begegnet. Er hat Sie ja bereits als Schwangere singen hören. Wie steht er zur Musik? Kirchschlager: Er singt fantastisch, er hat eine unglaubliche Stimme und intoniert seit seinem vierten Lebensjahr perfekt. Er weigert sich aber, in einen Chor zu gehen. Das muss er auch überhaupt nicht. Wir haben versucht, ihn Klavier oder Geige lernen zu lassen, aber er wollte nicht üben. So haben wir es nach drei Jahren einfach gelassen und haben überall verlautbart, dass er sowieso genug Musik in seinem Leben hat. Ich verstehe es schon, dass er nicht auch noch Klavier lernen will. Und siehe da: Seit dieser Saison hat er sich freiwillig dazu entschlossen, Klavier zu lernen und sitzt jetzt begeistert daran. Er hat aber auch noch sehr viele andere Talente. Dabei gibt es eher das Problem, dass wir diese Talente auch noch fördern: Er ist sportlich und er ist technisch begabt. Wir wollen eben nicht, dass so etwas neben der ganzen Musik unter den Tisch fällt. Peter: Was wünschen Sie sich für die weitere Karriere, die vor Ihnen liegt? Kirchschlager: Das einzige, das ich mir wünsche, ist, mehr Zeit für alles zu haben. Ich bin daraufgekommen, dass ich jetzt, wo ich auf einem schönen Niveau angelangt bin, etwas Neues anfangen will. Ich habe die ganzen Opernhäuser abgeklappert … Peter: … und Sie können ab und zu CDs aufnehmen … Kirchschlager: Ich bin bei einer Plattenfirma, die mir die Möglichkeit dazu gibt. Ich möchte jetzt einfach mehr Zeit für jedes einzelne Stück haben, um eine höhere Qualität zu erreichen. Die Sturm-und-Drang-Jahre sind vorbei, was eben auch das Reisen betrifft. Früher konnte ich locker acht Monate am Stück reisen, was mir gar nichts ausgemacht hat. Ich merke nun, dass so etwas jetzt nicht mehr geht. Mich zieht es sehr oft nach Hause. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt alt werde und wie eine alte Frau zu Hause sein möchte. Ich hasse zum Beispiel das Kofferpacken und hasse es eigentlich genauso, den Koffer wieder auszupacken. Ich habe Gott sei Dank genug Koffer, weil manchmal der Koffer von der Amerikareise noch unausgepackt dasteht, wenn der unausgepackte Koffer aus Deutschland gerade ankommt. Wenn dann irgendwann zwei oder drei Koffer herumstehen, muss ich sie halt wieder einmal auspacken, weil ich ja auch wieder etwas zum Einpacken brauche. Solche Dinge gehen mir furchtbar auf die Nerven. Ich bin so wahnsinnig gerne zu Hause. Ich wünsche mir also mehr Ruhezeiten zwischen meinen Reisen, um zu Hause zu sein und wieder aufzutanken. Peter: Ist es eigentlich auch gesangstechnisch gesehen so, dass man in den ersten zehn oder 15 Jahren mit Elan, Temperament und Kraft aus dem Vollen schöpfen kann, danach aber in eine Phase kommt, in der die Vertiefung der Technik und die Ernsthaftigkeit wichtiger werden? Kirchschlager: Genau so ist es. Sie haben es eigentlich bereits recht gut beschrieben. Wenn man jung ist, hat man Kraft. Mit der Kraft kann man viele Fehler kompensieren, die einem dann noch passieren. Die Balance ändert sich später: Die Kraft verlässt einen und ich merke – obwohl ich noch nicht ganz alt bin –, dass man mit 40 eine andere Kraft hat als mit 25. Man muss dieses Defizit also mit Technik kompensieren, was bedeutet, dass die Arbeit weitergeht. Der Körper eines Sängers verändert sich von Tag zu Tag, wie das auch bei jedem anderen menschlichen Körper passiert. Seine Gesangstechnik muss man an diese Veränderung anpassen. Man muss lernen, seine schwindende Kraft mit einer gewissen Leichtigkeit anders zu produzieren. Das Singen ist eine ewige Suche. Ich würde sagen, dass es im Leben eines Sängers oder einer Sängerin nur wenige Jahre gibt, in denen sich die Erfahrung und die Kraft überlappen. Ich habe jetzt noch Kraft, verfüge aber auch bereits über Erfahrung. Es sind vielleicht fünf Jahre, in denen der Körper noch kraftvoll ist, aber auch die Erfahrung von 15 Jahren Sängerleben vorhanden ist. Wenn man einmal 45, 50 oder 55 Jahre alt ist, lassen die Muskeln natürlich irgendwann nach. Nachdem wir ja "Sportler" sind, zeigt sich dieser Prozess an der Stimme: Die Stimme verliert einfach an Glanz. Da kann man machen, was man will. Es ist auch wirklich nicht besonders lustig zu merken, dass sich das nicht vermeiden lässt. Wenn man diese Erkenntnis dann durch Weisheit kompensieren kann, hat man Glück gehabt. Peter: Haben Sie denn einen neuen Lehrer oder neben Ihrem alten Lehrer einen neuen, von dem Sie sich korrigieren lassen? Kirchschlager: Ich hatte viele Jahre lang keinen Lehrer, weil es einfach gut gegangen ist. Ich bin aber jetzt wieder zu meinem Lehrer Gerhard Kahry zurückgegangen. Immer wenn ich in Wien bin und wenn er auch da ist – er unterrichtet auch viel im Ausland –, dann gehe ich für eine oder zwei Stunden zu ihm, um meine Stimme aufzupolieren. Im Grunde stimmt mein System ja noch und so zieht er dann bei mir einfach die eine oder andere Schraube nach. Es ist erstaunlich, was dieses Training für Wirkungen hat. Das Singen ist so anstrengend, dass sich leicht Schlampereien einschleichen. Wer strengt sich schon freiwillig an? Man wird schnell bequem und singt dann, ohne sich genügend anzustrengen. Auf diese Weise geht es gleich bergab. Peter: Sie haben etwas begonnen, das andere Sänger erst in späteren Jahren tun: Sie haben angefangen in Salzburg zu unterrichten. Was ist das für eine Erfahrung? Kirchschlager: Es war ein kleiner Schock für mich, weil ich innerhalb einer Woche Kammersängerin und Professorin geworden bin. Es war entsetzlich, weil ich in dieser Woche um Jahre gealtert bin: In Wien sagte jeder "Frau Kammersängerin" zu mir und in Salzburg wurde ich "Frau Professor" genannt. Ich habe mich dabei wirklich nicht gut gefühlt. Jetzt bin ich aber darüber hinweggekommen und habe es ehrlich gesagt wieder vergessen, dass ich Frau Kammersängerin und Frau Professor bin. Ich fühle mich einfach noch nicht so altehrwürdig. Ich bin jetzt Gastprofessorin am Salzburger Mozarteum und würde es mich noch nicht trauen, eine ganze Klasse zu übernehmen, weil das eine große Verantwortung ist. Peter: Wie viele junge Sänger sind in einer solchen Klasse? Kirchschlager: In einer Klasse sind ungefähr zehn oder zwölf Leute, aber manchmal sind es auch etwas weniger. Es kommt dabei auf die jeweilige Stundenanzahl an. Diese etwa zehn Leute betreut man dann während ihres ganzen Studiums und man ist verantwortlich für deren Leben. Das würde ich noch nicht auf mich nehmen wollen. Peter: Es wäre wahrscheinlich vorläufig zeitlich auch nicht mit Ihren sonstigen Tätigkeiten vereinbar. Was reizt Sie an der Tätigkeit als Gastprofessorin am Mozarteum? Warum haben Sie dort zugesagt? Kirchschlager: Ich habe dort zugesagt, weil ich finde, dass es etwas Wichtiges gibt, das bislang aber gar nicht richtig unterrichtet wurde: seine Persönlichkeit mit auf die Bühne zu nehmen. Es gibt natürlich Naturtalente, die das von Haus aus tun. Das sind auch die Leute, die gleich Erfolg haben. Ich habe aber gesehen, dass es so viele Sängerinnen und Sänger mit tollen Stimmen und mit einem großen Willen gibt, die nur einen kleinen Hinweis brauchen, denen aber überhaupt nicht bewusst ist, was fehlt. Sie werkeln oft an ganz anderen Stellen herum und versuchen so, ihre Defizite zu beseitigen. In Wirklichkeit muss man ihnen nur die einfache Tatsache klarmachen: "Stell dich auf die Bühne, schau geradeaus, sei mutig und sag, was du zu sagen hast!" Ich hasse nämlich Sänger, die nur schön singen und die sich von dem, was sie tun, distanzieren, um zu gefallen. Ich bin eine Art "Ganzheitsberater". Ich versuche immer, den eigentlichen Menschen sichtbar zu machen. Peter: Der Sänger muss also auch Darsteller sein. Damit kommen wir zu einem Gebiet, auf dem wir uns jetzt heillos zerstreiten können: Wo ist denn für die Österreicherin – aber auch für die junge Sängerin – die Grenze bezüglich der modernen Musiktheaterregie? Das ist ja immer das große Streitthema. Fangen Sie jetzt bitte Ihre Antwort nicht folgendermaßen an: "Ich bin schon für das Moderne, aber …" Kirchschlager: (lacht) Ich persönlich finde, dass es keine moderne oder traditionelle Regie gibt. Es gibt nur gute und schlechte Regie. Peter: Es ist aber eine Tatsache, dass sehr viele Rosenkavalierinszenierungen probieren, mit Pappmaché oder mit teuersten Stoffen das Wien des Jahres 1780 zu rekonstruieren. Da sitze ich dann als Kritiker sehr böse da, wenn etwa der Kratzfuss oder die Verbeugung, also das ganze Zeremoniell beim Lever der Marschallin einfach nicht stimmt, weil der Regisseur keine Ahnung davon hat und die Sänger amerikanische Lackeln sind, die meinen, dass es reicht, wenn sie schön singen. Da werde ich bitterböse. Ich bin dagegen begeistert, wenn ich sehe, dass ein Stück um wirklich 1900 spielt, wenn das die Zeit ist, in der das Stück in etwa geschrieben wurde. Das baut mir Brücken zum heutigen Leben. So etwas hat beispielsweise Götz Friedrich in Stuttgart probiert. Wo sind für Sie dabei die Grenzen? Kirchschlager: Wenn es für mich nachvollziehbar ist, gibt es für mich keine Grenzen. Ich bin aber immer dafür, dass das Stück erhalten bleibt. Beim "Rosenkavalier" finde ich es sehr schwer, weil das ein Stück ist, das man nicht ohne weiteres in irgendeine Zeit transportieren kann. Ich habe aber zum Beispiel in Paris eine moderne Inszenierung mit Willy Decker von "" gemacht. Bei diesem Stück muss es nicht unbedingt um den Kaiser Titus gehen, weil es dort um etwas anderes geht: Es geht bei dieser Oper von Mozart um etwas größeres, es geht nämlich um den Menschen, der hinter dem römischen Kaiser Titus steckt. Das ist etwas sehr Allgemeingültiges. Peter: "Wenn ein hartes Herz verlangt wird, kann ich nicht Kaiser sein." Das ist die ganz demokratische Botschaft, die Tito am Schluss der Oper in seiner Arie singt. Kirchschlager: Es war eine sehr moderne Inszenierung und das Pariser Publikum war begeistert. Es waren amerikanische Freunde von mir dabei, die zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt eine Oper gesehen haben. Sie haben sich "La clemenza di Tito" angesehen, was nun wirklich keine Oper für Anfänger ist. Diese Leute waren ebenfalls begeistert. In diesem Fall ist es passiert, dass der Regisseur durch eine – wenn wir diese beiden Worte verwenden wollen – moderne Inszenierung den Leuten das Stück nähergebracht hat. Ich glaube, dass es sehr wohl Opern gibt, die man Menschen auf moderne Weise näher bringen kann. Mir gefällt es aber auch nicht, wenn die Leute sich bequem hinsetzen, nur das Alte sehen wollen, weil es bequem ist und weil sie bei vielen Opern einfach über das Wesentliche hinwegsehen. Peter: "Ist die vielleicht schön gestorben!" Das darf es eigentlich nicht sein: Ein schöner Tod sollte kein Anlass sein, in die Oper zu gehen. Es darf bei Stücken wie "La Bohème" und "La Traviata" nicht sein, dass die Leute von einer falschen Rührseligkeit angesteckt werden, sondern es muss als eine menschliche, moderne Wahrheit verstanden werden. Kirchschlager: Ich mag aber auch keinen "Rosenkavalier", der vor Gags nur so strotzt. Es gibt Inszenierungen, bei denen alle lachen und sich blendend unterhalten. In Wirklichkeit wird jedoch dabei das Wesentliche durch hunderttausend Kleinigkeiten zugedeckt. Viele Leute verwechseln sowieso die Inszenierung mit dem Bühnenbild. Peter: Oder sie verwechseln sie mit den Kostümen oder anderem äußeren Aufwand. Nun noch ein kurzes Schlaglicht auf Ihren Kontakt zur Moderne. Sie haben eine Uraufführung in London gesungen, die auch als Film und als Buch weltweit verbreitet ist: "Sophie's Choice". Das ist eine schreckliche KZ-Geschichte, in der eine Mutter bei der Selektion ihrer zwei Kinder durch die Nazis nur ein Kind mitnehmen darf. Wie ist Ihr Kontakt zur Moderne? Kirchschlager: Gut. Ich singe gerne moderne Musik. Ich habe kürzlich auch eine Uraufführung von Julian Anderson gesungen. Die Musik von Stücken wie "Sophie's Choice" ist ja überhaupt nicht atonal, obwohl sie modern ist. Ich bin für alles offen. Das Traurige an der modernen Musik ist, dass man sie, wenn sie wirklich atonal ist, nur sehr schwer lernen kann und dann meistens nur einmal aufgeführt wird. Das wäre aber hier ein eigenes Gesprächsthema. Die meiste moderne Musik macht mich nicht besonders glücklich. Es gibt sehr viel "Weltraummusik". Peter: Die moderne Musik ist auch dramatisch oft nicht ganz nachvollziehbar. Ich tue mich sehr schwer mit vielen modernen Musiktheaterwerken. Kirchschlager: Ich fühle mich von moderner Musik selten erhoben. Es muss nicht immer glücklich sein, aber es muss bei guter Musik in mir etwas zu schwingen beginnen. Dabei ist es mir einerlei, ob diese Musik dann modern oder traditionell ist. Peter: Ihre Karriere wird sich weiter hervorragend entwickeln, dennoch frage ich Sie zum Schluss: Könnten Sie sich vorstellen, etwas ganz anderes zu machen? Kirchschlager: Ja. Ich wäre zum Beispiel wahnsinnig gerne Buchbinder, Gärtner oder Tischler. Wenn ich noch einmal ganz von vorne beginnen würde, würde ich wahrscheinlich Tischler werden. Peter: Sie würden also etwas Handwerkliches mit Naturmaterialien machen. Kirchschlager: Dazu hätte ich viele Ideen. Es müsste nur wieder etwas sein, mit dem ich mich ausdrücken kann und bei dem ich mein eigener Herr bin. Wenn ich mich nicht ausdrücken könnte, würde ich wahrscheinlich ersticken. Peter: Es war heute auch zu merken, dass Sie sich ausdrücken wollen und Sie haben das auch getan. Ich wünsche Ihnen noch viele gute Jahre "da oben" auf der Bühne, damit wir "da unten" im Publikum das, was Sie ausdrücken, weiterhin genießen können. Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihren Besuch bei alpha-forum. Ihnen, meine Damen und Herren zu Hause, wünsche ich weiterhin anregende Sendungen bei BR-alpha.

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