© Tobias Kube, Erfurt (www.tobias-kube.tk) Thüringer „KaffeeFahrten“

„...MIT BURGGEKRÖNTEN HÖH‘N UND KREUZFIDELEN SASSEN...“

Eine „Kaffeefahrt“ durch das (katholische) im nordwestlichen Thüringen

Ländlich, hügelig, (verkehrs)arm, mit viel DDR-BRD-Grenzgeschichte lädt die Eichsfeldgegend zum kurvigen, schaltintensiven Biken ein und bietet reichlich Gelegenheit der Grenzüberschreitung auf 330km.

Mit der Eichsfeldhymne im Ohr tanzen die Knatter-Jule und ich im Vierertakt der zwei Sondmachines von Erfurt aus in nordwestliche Richtung auf Bad Langensalza zu. Trotz Land- straße hat der Schalthebel auf diesen knapp 30km kaum was zu tun und der Rhythmus bleibt konstant, schlafen zu so früher Stunde doch sowohl Sonntagsfahrer als auch Blitzer. Drum verlockt es, die Geschwindigkeitsgrenzen großzügig auszulegen, was folgenfrei möglich ist.

Ab Langensalza wird’s schaltintensiver und geschwindig- keitsbegrenzter, denn es geht Richtung Baumkronenpfad im Nationalpark Hainich. Dieses Ziel bleibt allerdings unbeach- tet, denn es gelüstet weder nach einem Spaziergang in den Baumkronen, noch nach dem mit „die Legende lebt“ ange- priesenen Trabimuseum in Weberstedt (ist nicht wirklich sein Eintrittsgeld wert!). Um so mehr lebt die Lust, unter Bäumen zu cruisen. Also geht es über Nieder- und Oberdorla auf baum- Grenzhaus Heyerode gesäumten Straßen nach Heyerode ins Eichsfeld. Das in der erhaltenen Bausubstanz aus dem beginnenden 17.Jh. stam- mende Grenzhaus markiert den eigentlichen Tourstart.

Ein grenztypischer Stopp ist nicht nötig, höchstens um dem bergan kommenden Verkehr ordnungsgemäß Vorfahrt durch’s enge Grenzhaustor zu gewähren. Allerdings ist das in der verkehrsarmen Gegend und zu bereits erwähnt früher Stun- de nicht nötig. So ist der Stopp fotomachbedingt und schon geht’s weiter: hinab ins Heyerode-Dorf, um anschließend durch Diedorf hindurch und nach Katharinenberg hinauf zu fahren: schaltintensiv, denn es ist durch fantastische Kurven zu wedeln.

Katharinenberg liegt auf der Höhe und war den DDR-Grenz- truppen ein idealer, da die Grenze überwachungstauglicher Ausguckpunkt. Überwacht wird auch heute noch, nicht Domizil einstiger Grenzwächter Klassenfeind oder Republikfl üchtling, sondern um Gesund- heute Domizil der Berufsretter heit und Leben zu retten. Das scheint besonders nötig, den

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Berufsrettern im Zeichen des roten Kreuzes aber nicht immer möglich. Viele Kreuze im katholischen Eichsfeld sind nämlich nicht Zeugnis tiefer Gläubigkeit, sondern grenzüberschrei- tender Unvernunft auf motorisierten zwei oder vier Rädern.

Wenige Meter in Richtung Mühlhausen fahrend, geht’s in Katharinenberg links ab nach Faulungen und . Klein und eng und transalp führt der asphaltierte Untergrund berg- ab und bergauf, rechtsrum und linksrum, bis kurz vor Geismar ein kleines Schild den Hinweis zum Wallfahrtsort Hülfensberg gibt. Es geht auf noch kleinere Straßen nach Döringsdorf und Bebendorf. Quasi zwischen beiden Dörfern verlief ehemals die innerdeutsche Grenze, geht es auf einem Asphaltstreifen Kreuz(e) - Zeichen von hinauf zum Hülfensberg bis direkt vor Wallfahrtskirche und Frömmigkeit oder Unvernunft Franziskanerkloster - sofern das runde weiße Schild mit dem roten Rand im Schatten der Baumkronen als Durchfahrts- begrenzung ignoriert wird.

Der Hülfensberg ist längst nicht mehr so verlassen wie Ende der 1980er Jahre, als nach 600jähriger Tradition noch einem einzigen Franziskanermönch der direkte Blick hinab in den „Westen“ vergönnt und ein 40 DDR-Jahre dauernder Todeskampf fast beendet war. Besagter Franziskanermönch hat die DDR überlebt und der Hülfensberg ist heute wieder von mehreren Franziskanern bevölkert. Ruhig und einsam ist’s trotzdem noch auf dem Klosterhügel, sofern sich nicht (Auto)Touristen lautstark darüber aufregen, dass ich die rot-weiß gekennzeichnete Grenzmarkierung überwunden Wallfahrts- und Klosterkirche habe und sie nicht. auf dem Hülfensberg

Mit dieser erfolgreichen Grenzfl uchterfahrung knattere ich über Bebendorf nach Geismar, überquere die nach der Grenzöffnung (aus)gebaute West-Ost-Straße, fahre Rich- tung Sickerode und immer der Hauptstraße entlang durch viele Nester. Auch im Jahr 20 der Wiedervereinigung fühle ich mich hier wie im „Zonenrandgebiet“. Recht ist’s, denn es geht vergnüglich einsam auf den inzwischen ziemlich aufgemotzten Straßen voran. Allerdings ist ständige Auf- merksamkeit angesagt, weil Pedalritter die Strecke nutzen oder weil manchmal straßenbelagstechnisch die Geschichte Gegenwart wird - etwa in . Im weniger als 100- Seelen-Nest scheinen die Uhren stehen geblieben zu sein. Gleichzeitig hat allerdings die Welt Einzug gehalten: die französische Welt. Ich mache Rast an der Nest-Attraktion, dem Restaurant „Sankt Georg“. Gasthaus „Sankt Georg“ eine (verführerische) Pause wert Der Wirt lädt freundlich ein, ich lehne nicht unfreundlich, aber entschieden ab, denn Wasser habe ich selber dabei und französischer Wein ist out weil don’t drink and drive.

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Stattdessen geht es nach kurzer Dampfpause weiter in Richtung Bad Soden-Alledorf am Werra-Fluß entlang durch und Werleshausen nach . Was heute mit meiner „Transe“ problemlos möglich ist, war es zu Zeiten meiner „ETZe“ vor mittlerweile 20 Jahren nicht mal im Traum. Damals konnte ich in echt weder die Burg Ludwigstein sehen, weil sie im „Westen“ stand, noch die Burg Hanstein, die zwar im „Osten“ thronte, allerdings quasi direkt auf Blick auf die Jugendburg: der DDR-BRD-Grenze. „Westen“ und „Osten“ gilt heute als Burg Ludwigstein Beschreibung der tourorientierungsdienlichen Himmels- richtung und „Grenze“ bezeichnet eine durchlässige, kaum spürbare Unterscheidung zweier Bundesländern. Optisch ist davon nix zu merken beim auch bei schlechterem Wetter problemlosen Blick von der einen zur anderen Burg.

Burg Ludwigstein ist die geschichtlich jüngere Burg und seit 1920 eine bündische Jugendburg, die auch bikende (Jugend)Gäste ggf. länger beherbergt. Jugendlich war die geschichtlich ältere Burg Hanstein stattdessen wohl eher, weil die auf ihr im historischen Flair Dienst tuenden DDR-Grenzer jugendlichen Alters waren. Blick auf die DDR-Grenzburg: Burg Hanstein Burg Hanstein ist die schönere Burg von beiden - fi nde ich, behaupten Reiseführer oder lässt die Anzahl der Sonntags- ausfl ügler vermuten. Ungeachtet dieser Empfi ndungen, Behauptungen, Vermutungen oder gar Fakten erfreue ich mich der Anblicke aus gewisser Entfernung und mache direkt mal bissl Strecke. Gut 50km lege ich ziemlich fl ott und nonstopp zurück - auf der Bundesstraße mit Nummer 88 über , Heiligenstadt und nach Worbis zur Burg Bodenstein. Die Burg Bodenstein soll die im Eichsfeld am besten erhalten Burg sein. Auf jeden Fall lädt sie ein zum Residieren und ist bemüht, als Familienstätte das Burgfl air zu einigermaßen familienfreundlichen Preise anzubieten.

Familienburg: Vor der Brücke zum Burgtor verweile ich kurz, bringe die Burg Bodenstein Familienjüngsten weder in Gefahr noch in Versuchung und knattere weitere, diesmal nur 30 nonstopp-km Richtung Holungen, davor rechts ab zu einem traumhaftem Schlenker auf kleinsten Straßen zwischen Kaltohmfeld und nach . Weiter geht’s über Gernrode, Leinefelde und Dingelstädt in Richtung Heiligenstadt bis in Kreuzebra das Schild „Burg Scharfenstein“ die Richtung markiert ein 2km-Abstecher lockt. Leider lohnt sich dieser derzeit wenig, denn die 1209 erstmals urkundlich erwähnte Burg wurde nach 1945 „Volkseigentum“, als Betriebsferienlager genutzt, aber kaum erhalten. Seit Jahren ist die Burg Baustelle und nur teilweise sowie zu bestimmten Zeiten zugänglich. Langzeitbaustellenburg: Burg Scharfenstein

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Keine Chance, mit meinen 50 Pferden unbemerkt Einlass zu kriegen, also zieh’ ich die Zügel an, wende, drehe am Gashahn und erhöhe den Viertaktrhythmus. Es geht zurück nach Kreuzebra, Richtung Dingelstädt aus dem Ort raus, um gleich nach dem Ortsausgang rechter Hand Kefferhausen anzusteuern und die Unstrutquelle. Nun gilt: Augen auf, denn schon die bescheidenen Hinweisschilder zur Quelle ma- chen deutlich: der kleine Ort protzt nicht damit, dass hier ein sehr schöner, 190 km langer Fluss beginnt, der sich quer durch Thüringen schlängelt, bis er bei Naumburg im Burgen- landkreis in die Saale mündet.

Mit kühlen Quellwasservorräten ausgestattet, verlasse ich Quellbeginn der Unstrut die Quelle der Unstrut, aber auch den weiteren Flussverlauf in die Richtung von wo aus die Schatten inzwischen länger werden. Es geht auf die letzte Tourschleife: , Flinsberg, Martinfeld, Wachstedt.

Zwischen Wachstedt und Flinsberg führt auf der Höhe eine Straße links ab zur Burg Gleichenstein, die hier seit dem 13.Jh. gut versteckt steht, in der DDR Ferienburg der Trabant-Schrauber aus Zwickau war und ab 1994 einer Falk- nerei Herberge bot. Zum Greifen nah geht’s nicht an die Greifvögel ran, zumal es rund um die Burg insgesamt nicht danach aussieht, als herrsche hier reges Burgleben. Aber vielleicht sind die Falken gerade auf Wanderschaft, hoch oben im Turm,... oder auf der Jagd.

Burg der Im Burgschatten der Gleichenstein befi ndet sich das Klüschen Falken(Vögel): Hagis, der wohl bekannteste Wallfahrtsort in Thüringen, zu Burg Greifenstein dem Jahr für Jahr zigtausend Männer an Himmelfahrt in das Tal wallfahren. Die kleine Wallfahrtskirche, in der Form aus dem 18.Jh. erhalten, bietet den Massen lediglich Platz im Freien, was aber ganz praktisch sein kann, wenn die Männer Wallfahrts- und Vatertagstradition miteinander verbinden.

Am Klüschen verweile ich eine letzte Pause auf ehrwürdi- gem Boden. Dann hämmert der Vau Zwo die 16%ige Steigung hinauf nach Wachstedt, um über Küllstedt, Mühlhausen und Bad Langensalza im Vierertakt der zwei Sondmachines mit mir vom Eichsfeldland „...mit seinen burggekrönten Höh’n und kreuzfi delen Sassen...“ nach Erfurt zu tanzen - und gut 330km wohlbehalten absolviert zu haben.

legendär(st)er (Männer)Wallfahrtsort: Klüschen Hagis

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Streckenverlauf: Erfurt - Bad Langensalza - Weberstedt - Heyerode - Katharinenberg - Faulungen - Geismar (Hülfensberg) - Sickerode - Dieterode - Lindewerra (Burg Ludwigstein) - Werleshausen - Bornhagen (Burg Hanstein) - Arenshausen - Heiligenstadt - Teistungen - Worbis (Burg Bodenstein/ Richtung Holungen) - Kaltohmfeld - Breitenworbis - Gernrode - Leinefelde - Dingelstädt (Richtung Heiligenstadt) - Kreuzebra (Burg Scharfenstein) - K efferhausen (Unstrutquelle) - Wachstedt (Burg Gleichenstein) - Flinsberg - Martinfeld - Wachstedt - Küllstedt - Mühlhausen - Bad Langensalza - Erfurt

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