Fr. Aug./Sept. 2012

afrika 4. –/Euro 4 .– Von der Befreiungsbewegung zur Regierungspartei - bulletin

Nummer 147 Editorial

Bei seiner Gründung im Jahr 1975 verstand sich das Af- rika-Komitee als Teil einer Solidaritätsbewegung gegen Kolonialismus, Rassismus und Ausbeutung. Die Unter- stützung von Befreiungsbewegungen – in Angola, Mo- çambique, Guinea-Bissau und Cabo Verde, in Zimbab- we, Namibia, Eritrea, in der Westsahara und natürlich auch in Südafrika – waren damals ein zentrales Anlie- gen der Organisation. Wenn in jener Zeit die Mainstream- Medien Afrika überhaupt behandelten, begnügten sie sich damit, die Informationen der Kolonialmächte oder Siedlerregime wieder zu geben, über die Befreiungsbe- wegungen wurde hingegen kaum informiert. Diese Lü- 2 Barbara Müller ist langjähriges cke versuchte das Afrika-Bulletin zu füllen: mit Inter- Mitglied des Afrika-Komitees views mit ExponentInnen der Befreiungsbewegungen, und Koordinatorin der Kampagne für Entschuldung Analysen über die militärische Lage, über interne Rich- und Entschädigung tungskämpfe, Parteiprogramme, über die befreiten Ge- im südlichen Afrika KEESA. biete, über den Aufbau einer neuen Gesellschaft, über Sie ist Initiantin und Mit- organisatorin der erwähnten die Rolle der Frauen . . . Tagung. Kontakt: coordination@ 2012 begeht mit dem African National Congress apartheid-reparations.ch. (ANC) die älteste dieser Bewegungen ihr 100jähriges Bestehen. Ein Anlass, um sich Gedanken zu machen über den oft missglückten Übergang von einer Befrei- ungsbewegung zur politischen Partei, zur staatstragen- den Partei. Im vorliegenden Bulletin messen wir den ak- tuellen Puls der südafrikanischen Demokratie, die in diesem Jahr gewissermassen die Volljährigkeit erreicht. 18 Jahre nach dem viel gelobten Transfer der politischen Impressum Macht an die erste demokratisch gewählte Regierung gärt es heute in der Bevölkerung, deren Erwartungen auf ein besseres Leben nicht erfüllt wurden. Stattdes- Ausgabe 147 | August/September 2012 sen herrschen Misswirtschaft und Korruption vor, und ISSN 1661-5603 eine immer grössere Kluft zwischen Arm und Reich tut sich auf. In seinem Beitrag beschreibt Trevor Ngwane, Das «Afrika-Bulletin» erscheint vierteljährlich im 37. Jahrgang. ein ehemaliger Kämpfer gegen die Apartheid und heu- Herausgeber: Afrika-Komitee, Basel, und Zentrum für Afrikastudien Basel tiger Aktivist, der aus dem ANC ausgeschlossen wurde, Redaktionskommission: Veit Arlt, Susy Greuter, Elísio Macamo, Barbara Müller und Hans-Ulrich Stauffer die sozialen Bewegungen und Proteste in den Town- Das Afrika-Komitee im Internet: www.afrikakomitee.ch ships. Eine öffentliche Debatte über die aktuellen Ent- Das Zentrum für Afrikastudien im Internet: www.zasb.unibas.ch wicklungen, die miserable Situation im Erziehungswe- Redaktionssekretariat: Beatrice Felber Rochat sen und die sich verschlechternden Lebensbedingun- Afrika-Komitee: Postfach 1072, 4001 Basel, Schweiz gen der Bevölkerung hat Dr. Mamphela Ramphele los- Telefon (+41) 61·692 51 88 | Fax (+41) 61·269 80 50 E-Mail Redaktionelles: [email protected] getreten, eine Gründerin des Black Consciousness Mo- E-Mail Abonnemente und Bestellungen: [email protected] vement. Weitere Beiträge zeichnen die Geschichte des Postcheck-Konto Basel: 40 -17754-3 ANC bzw. seine Genderpolitik nach. Dass es auch an- Für Überweisungen aus dem Ausland: ders geht illustriert ein Bericht über Cabo Verde – eine in CHF: MigrosBank, IBAN CH95 0840 1016 1437 3770 7 in Euro: Postkonto, IBAN CH40 0900 0000 9139 8667 9 eigentliche Erfolgsgeschichte. (Bic SwiftCode: POFICHBEXXX; Swiss Post, PostFinance, CH-3000 Bern) Diesem Afrika-Bulletin liegt ein Flyer für eine Ta-

E-Mail-Adresse: [email protected] gung zur aktuellen Situation von Südafrika aus Anlass MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Veit Arlt (Red.), Beatrice Felber, Pius Frey, des ANC-Jubiläums bei, die wir Ihnen herzlich empfeh- Susy Greuter (Red.), Christoph Marx, Daniel V. Moser, Barbara Müller (Red.), len möchten. Sie findet am 21. und 22. September in Trevor Ngwane, Rita Schäfer, Hans-Ulrich Stauffer Basel statt und wird gemeinsam organisiert vom Zen- Gestaltungskonzept: trum für Afrikastudien (ZASB), der Kampagne für Ent- Layout: Wernlis, grafische Gestalter, Basel Druck: Rumzeis-Druck, Basel schuldung und Entschädigung im südlichen Afrika Inserate: Gemäss Tarif 5/99, Beilagen auf Anfrage (KEESA) sowie vom Afrika-Komitee. Trevor Ngwane wird Jahresabonnement: Fr. 25.–/Euro 25.– dort ebenso zu hören sein wie Dr. Mamphela Ramphele. Unterstützungsabonnement: Fr. 50.–/Euro 50.– Barbara Müller Im Mitgliederbeitrag von Fr. 60.–/Euro 40.– ist das Abonnement enthalten.

Redaktionsschluss Nummer 148: 30. September 2012. Schwerpunktthema: Von der Befreiungsbewegung zur politischen Partei. Schwerpunktthemen nächster Ausgaben: Ernährungssicherheit, Repräsentation und Wahrnehmung Afrikas, Politische Partizipation und Demokratie, Verkehr. Interessenten an einer Mitarbeit sind eingeladen, mit der Redaktion Kontakt aufzunehmen. Unser Titelbild: Marsch der Anti-Pass Kampagne zum Union Building in Pretoria. Drum Fotograf 1956 (Baileys Archive, africamediaonline). 100 Jahre African National Congress Eine kritische Würdigung

Am 12. Januar 2012 feierte die südafrikanische Re- fortan ein alternatives ideologisches Angebot zum gierungspartei ANC mit grossem Pomp ihr 100-jäh- Gleichheitsprinzip der Freedom Charter dar und kam etwa in der Amtszeit von Präsident Thabo Mbeki zu riges Bestehen. Christoph Marx zeichnet die Trans- neuen Ehren. formationen der ältesten noch existierenden Na- Mit dem Verbot des ANC nach dem Sharpeville-Mas- tionalbewegung auf dem afrikanischen Kontinent saker im Jahr 1960 verwandelte er sich unter den pre- kären Bedingungen einer Untergrundorganisation und in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit nach. nach 1963 im Exil in eine Kaderpartei von Berufsrevo- lutionärInnen. Die frühere Kooperation mit der Kom-

Mit der Gründung der Union von Südafrika schlos- munistischen Partei entwickelte sich nun zu einer Sym- 100 Jahre ANC sen sich die Gruppierungen in den verschiedenen süd- biose, wobei die KommunistInnen über ihre strenge afrikanischen Kolonien 1912 zum South African Nati- interne Disziplin die ANC-Führung weitgehend kont- ve National Congress (SANNC) zusammen, 1923 um- rollieren konnten. In Südafrika selbst entstanden in den 3 benannt in African National Congress (ANC). Für län- 1970er Jahren neue Formen des Widerstands zunächst gere Zeit blieb dieser eine Organisation, die Vertreter- ganz ausserhalb der Kontrolle und des Einflusses der Innen der kleinen Bildungselite versammelte, die aus Exilorganisation: Die Black Consciousness-Bewegung Missionsschulen hervorgegangen war und meist im um Steve Biko griff afrikanistisches Gedankengut der Bildungswesen tätig wurde. Trotz mehrfacher Versu- 1950er Jahre wieder auf, während in den 1980er Jahren che gelang es ihr nie, ihre Isolierung zu durchbrechen. die United Democractic Front (UDF) als nicht-rassische Als in den 1920er Jahren mit der Industrial and Com- Massenbewegung die Freedom Charter zu ihrem ideo- mercial Workers Union (ICU) eine erste Massenbewe- logischen Orientierungspunkt wählte. Die UDF löste gung entstand, die ländliche Bevölkerung und Arbei- sich 1991 nach der Relegalisierung des ANC auf, wobei terschaft zusammenfasste, blieb dies ohne spürbare viele ihrer Mitglieder diesem beitraten. Dennoch konn- Wirkung auf den ANC. Ein Versuch der Annäherung an te sich die Tradition basisdemokratischer Massenbewe- die politische Linke, wie ihn ANC-Präsident Josiah Gu- gungen auf Dauer nicht halten. Insbesondere die rasch mede Ende der 1920er Jahre anstrebte, wurde von der wachsende Kontrolle von Thabo Mbeki über das Natio- alten Garde verhindert, die ihn abwählen liess. Erst in nale Exekutivkomitee des ANC stellte sicher, dass die den 1940er Jahren vollzog sich ein grundlegender Wan- leninistischen Strukturen des Exil-ANC sich durchsetz- del, der mit dem Erfahrungshintergrund einer jünge- ten, wobei paradoxerweise die ideologische Anlehnung ren Generation zu tun hatte. Denn die jungen Vertre- an sozialistische Konzepte zugunsten einer neolibera- terInnen der Bildungselite lebten nun in städtischen Ge- len Wirtschaftspolitik aufgegeben wurde. Dabei verlor bieten, wo sie denselben Diskriminierungen ausgesetzt die Politik des Präsidenten an demokratischer Transpa- waren wie die urbane schwarze Bevölkerung generell. renz. Hinzu kam eine neue Ideologie in Gestalt des Afrika- nismus, der von dem jungen Anwalt Anton Lembede Innerparteiliches Machtgeschacher artikuliert wurde, und der die schwarze Mehrheit als und Missstände das eigentliche Volk Südafrikas postulierte. Die ANC- Nach Mbekis Sturz durch innerparteiliche Gegner Jugendliga, die von Anhängern Lembedes wie Walter im Jahr 2008 kam eine Allianz verschiedener, teilwei- Sisulu, Nelson Mandela und Oliver Tambo gegründet se einander bekämpfender Kräfte ans Ruder, die nur wurde, strebte nicht mehr eine blosse Teilhabe am be- die gemeinsame Gegnerschaft zu Mbeki vorüberge- stehenden politischen System an, sondern einen Sys- hend geeint hatte. Der von ihnen zum Präsidenten ge- temwechsel zu einer Massendemokratie, an der die ge- kürte Jacob Zuma ist ein ausgesprochen schwacher Prä- samte Bevölkerung partizipieren sollte, allerdings mit sident, da er von zu vielen divergenten Kräften abhän- einer gewissen Führungsrolle für die afrikanische Kul- gig ist und über kein eigenes politisch-programmati- tur. sches Konzept verfügt. In den bald 20 Jahren seit der neuen politischen Ordnung hat sich eine neue Staats- Aufstieg zur Massenbewegung klasse gebildet, die vor allem durch innerparteiliches Aufgrund der politisch-ideologischen Radikalisie- Machtgeschacher und ständig neue Korruptionsfälle rung, die das herrschende System herausforderte, und auf allen Ebenen der Administration Schlagzeilen macht, der organisatorischen Erneuerung in den 1940er Jah- nicht jedoch durch neue politische Zielsetzungen oder ren war der ANC imstande, in der folgenden ersten De- programmatische Innovationen. Stattdessen greift sie kade des Apartheidstaates zur Massenbewegung auf- auf Traditionen der Apartheid zurück, wie sich an der zusteigen. Dies geschah in Gestalt spektakulärer Kam- derzeit in Vorbereitung befindlichen «Traditional Courts pagnen, die sich am Vorbild Mahatma Gandhis orien- Bill» zeigt, ein Gesetz, das die Chiefs massiv stärken tierten. Der Höhepunkt dieses Jahrzehnts, in dem der wird, auf Kosten der Rechte von Frauen und jüngeren ANC zur unbestritten führenden Organisation der Op- Menschen. Statt pompöser Jubelfeiern zum 100. Ge- position gegen die Apartheid wurde, war die Verab- burtstag wäre dem ANC etwas Selbstreflexion gut an- schiedung der «Freedom Charter» des ANC mit einem gestanden. • Bekenntnis zu Gleichheit und Demokratie für alle Süd- afrikanerInnen. Gleichwohl blieb der Afrikanismus als Strömung erhalten, selbst nach der Abspaltung der ra- Christoph Marx ist Professor für Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. Sein Forschungsschwerpunkt ist das südliche Afrika. dikalen AfrikanistInnen um Robert Sobukwe, die 1958 2012 erschien sein Buch «Südafrika. Geschichte und Gegenwart» den Panafricanist Congress (PAC) gründeten. Er stellte (siehe Seite 14). Kontakt: [email protected]. Der ANC heute Vom Organisator zur Zielscheibe von Protesten

Der ANC ist nach nunmehr 18 Jahren an der Spitze der Macht für viele einfache SüdafrikanerInnen von einer Quelle der Inspiration zu einer Enttäuschung geworden. Mit der Anti-Apartheid-Bewegung inspi- rierte der ANC eine der grössten internationalen Solidaritätsbewegungen der Geschichte. Heute ist er selbst zur Zielscheibe von Protesten geworden. Trevor Ngwane, ein Aktivist damals wie heute, kommen- tiert den Zustand des ANC und die Situation in den Townships aus seiner Sicht. 100 Jahre ANC Es war schon entmutigend zu sehen, wie schnell der Südafrika: Kapitale des Weltprotests ANC – einmal an der Macht – seine auf Umverteilung Die Apartheid wurde zum Teil durch weit verbrei- orientierte Wirtschaftspolitik über Bord warf und statt- tete Proteste im In- und Ausland zu Fall gebracht, aber 4 dessen für Steuereinsparungen und eine unternehmer- nur wenige erwarteten, dass die Protestbewegung in freundliche Politik optierte. Als Folge davon sahen wir der neuen demokratischen Ordnung weitergehen wür- die Reichen reicher und die Armen ärmer werden, und de. Auf die ersten demokratischen Wahlen 1994 folg- Südafrika wurde zur Gesellschaft mit der weltweit te eine kurze Pause des Protestes, die jedoch bald durch grössten sozialen Ungleichheit. Die oberste Führung erstes Donnergrollen in den Townships erstetzt wurde, des ANC anerkennt allerdings die potentiell verheeren- als sich zeigte, dass die Erwartungen auf «ein besse- den Konsequenzen der erschreckend hohen Raten von res Leben für alle» nicht mit der Realität der ANC-Po- Arbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit im Land. litik und -Regierung übereinstimmten. Die organisier- Manche sagen, dass der ANC angesichts der Zwän- te Arbeiterbewegung war die erste Kraft, die sich mit ge der Globalisierung seine Wirtschaftspolitik nicht einem jährlichen eintägigen Generalstreik gegen die wählen konnte. Aber dieses Argument verfängt bei den Politik der ANC-Regierung wandte, als diese das Wie- gewöhnlichen SüdafrikanerInnen nicht, die mit ihren deraufbau- und Entwicklungs-Programm (RDP) fallen Toyi-Toyi Protesten zum Ausdruck bringen, dass sie ei- liess, welches eine milde Umverteilung angestrebt und ne völlig andere Politik von ihrer Regierung erwarte- dem ANC als Wahlplattform gedient hatte, und statt- ten und diese heute auch einfordern. Die 100-Jahr-Fei- dessen das neoliberale Programm für Wachstum, Ar- ern des ANC finden zu einem Zeitpunkt statt, der durch beitsplätze und Umverteilung (GEAR) verabschiedete. eindeutige Anzeichen einer massiven Unzufriedenheit Im Jahr 2000 riefen die Gewerkschaften der Gemein- geprägt ist. Gleichzeitg sieht sich der ANC mit einer deangestellten zu Protestmärschen und Streiks gegen schwerwiegenden organisatorischen Krise sowie – auf- die Privatisierungspolitik der neuen Regierung auf. Die grund von Korruption und Misswirtschaft – mit gros- Gemeinden hatten begonnen, finanzielle Sanierungs- sen Problemen in der Staatsführung konfrontiert. Un- programme in den Arbeiterquartieren durchzuführen. ter den verschiedenen Strömungen von Sozialdemo- Als die BewohnerInnen der Townships erleben mussten, kratInnen, freien MarktwirtschaftlerInnen und Kommu- dass ihre Wasser- und Elektrizitätsversorgung als eine nistInnen im ANC gibt es keinen Konsens darüber, wie Art Kreditkontrolle gekappt wurde, provozierte dies die wirtschaftlichen und politischen Probleme ange- Protestaktionen, die seither für die Postapartheid-Ära packt werden sollen, die den Protesten zugrunde lie- charakterisierend sind. gen, und wie die Beute der nationalen Befreiung unter Die «neuen sozialen Bewegungen» entstanden um der sich entwickelnden (schwarzen) Elite aufgeteilt wer- die Jahrtausendwende; diese Organisationen versuch- den soll. ten, die verschiedenen Gemeinschaften und Sektoren um ein Thema oder eine Gruppe von Themen zu ver- einigen. Sie benutzten gewaltfreie Taktiken, um Druck auf die Regierung auszuüben, damit ihren Forderun- gen stattgegeben wird. Die Namen von einigen dieser Organisationen sprechen für sich selbst: Soweto Elec- tricity Crisis Committee, Orange Farm Water Crisis Committee, Western Cape Anti-Eviction Campaign, Treatment Action Campaign, Anti-Privatisation Forum, etc. Einen Höhepunkt erreichten diese Bewegungen 2002 während des UN-Weltgipfels für nachhaltige Ent- wicklung, als sie einen Demonstrationszug von 25 000 Menschen von Alexandra nach Sandton orga- nisierten – von einem der ärmsten Townships zur Mi- lionärsmeile von Johannesburg. In der Folge erlebten Seit 2004 ist die Zahl von Protestaktionen dramatisch gestiegen. viele dieser Bewegungen einen Rückgang. Der Stab wur- Grafik: Trevor Ngwane. de aber im September 2004 in Diepsloot, 30 km nörd- lich von Johannesburg, und in Harrismith im Free State wieder aufgehoben. Weitere Städte im Free State führ- ten die Proteste in den folgenden Monaten weiter, und bald breiteten sie sich über das ganze Land aus. Sie wurden jetzt «service delivery protests» (Dienstleis- tungserbringungs-Proteste) genannt. Es ist nicht klar, wieviele solcher Proteste es gibt. Die offizielle Polizeistatistik zeigt eine abnormal hohe Zahl von Versammlungen und Protestaktivitäten im Land. Dies hat einige Forschende dazu gebracht, Süd- afrika zum Rekordhalter im Protestieren zu erklären. Unabhängige Forschende haben auf der Basis von Me- dienberichten Zahlen zusammengestellt, die den all- gemeinen Trend und ebenfalls einen anhaltenden An- stieg dokumentieren. Die Zahlen für 2012 legen nahe, dass dieses Jahr die höchste Zahl von Protesten seit dem Fall der Apartheid aufweisen wird. Gegenwärtig sind die Proteste meistens fragmen- tiert, episodisch und örtlich begrenzt, da es keine lan- desweite Bewegung gibt, welche die Proteste zusam- menfasst – aber dies könnte sich ändern. Die Beteili- gung der Jugend an diesen Protesten ist sehr hoch, Proteste in Thembelihle wahrscheinlich wegen der Tatsache, dass 70 Prozent etwa 15 Kilometer südlich von Johannesburg der Jungen arbeitslos ist. Ein kürzlicher Streik in den von Korruption und Misswirtschaft in der Mitte des im September 2011. Platinminen zeigte eine aktive Solidarität zwischen den Schuljahres immer noch keine Schulbücher erhalten Bild: Trevor Ngwane. Streikenden und den SlumbewohnerInnen. hatten, erhielt der ANC einen weiteren Schlag ins Ge- sicht. Während die oberste Führungsschicht sich mit Die Antwort des ANC auf die Proteste diesen Herausforderungen befasste, wurde angekün- Anfänglich nahm die ANC-Regierung eine intoleran- digt, dass auch dringende Untersuchungen bezüglich te Haltung ein. Die Führer der Harrismith Proteste von politischer Morde innerhalb des ANC veranlasst wur- 2004 wurden des Hochverrats, der Aufwiegelung, der den, wie beim kürzlichen Fall eines Bürgermeisters, der Brandstiftung und der öffentlichen Gewalt angeklagt. die Ermordung eines Stadtrates in Auftrag gegeben Später entwickelte der ANC eine etwas nuanciertere Re- hatte, um einen Korruptionsfall mit Gemeindegeldern aktion, besonders angesichts eines Berichts des Ge- zu vertuschen. heimdienstes, der zu verstehen gab, dass sich ANC-Mit- glieder an den Protesten beteiligten. In Ergänzung zu Schlussfolgerung den Polizeieinsätzen wurden Konzessionen gemacht, Es ist offenkundig, dass die Proteste den Hinter- und es wurde versucht die Führer der Proteste zu koop- grund abgeben für die tragische Geschichte eines ent- tieren. Es wurden Schritte unternommen, die Lokalbe- täuschten Volkes, eines krisengeschüttelten Staates hörden zu stärken, die Dienstleistungen zu verbessern und einer ehemaligen nationalen Befreiungsbwegung und die Partizipation der BürgerInnen in staatlichen Pro- in Schwierigkeiten. Die Proteste, die zwar mit der Zer- zessen auszuweiten. Gleichwohl fand eine zum Thema störung von Staatseigentum und fremdenfeindlichen Protest gebildete parlamentarische Kommission kein Übergriffen in einigen Fällen auch eine «dunkle Seite» Problem an der (neoliberalen) Politik der Regierung aufweisen, stellen den Kampf einer Bevölkerung dar, und empfahl stattdessen lediglich, dass die Kommuni- die sich weigert, sich mit dem elenden Leben zufrieden kation zwischen dem Volk und dem Staat verbessert zu geben, das die Wirtschaftskrise den einfachen Men- werden sollte. schen heute weltweit vorgibt. Bei vielen dieser Protes- Als Jacob Zuma 2007 Thabo Mbeki als ANC-Präsi- te spielt ein Element der Verzweiflung mit und es fehlt denten ablöste, wurde ein «neuer ANC» deklariert. eine alternative Vision; trotzdem handelt es sich dabei Aber der von Zuma angeführte Sieg bei den nationalen um eine aktive Antwort, eine Form des Widerstands und Wahlen löste eine Serie von Protesten aus. Der neue nicht um Aufgeben. Ich argumentiere, dass in diesen Minister für die lokale Verwaltung reiste kreuz und quer Protesten die Basis für eine kollektive Lösung der Pro- durchs Land, um die Feuer auszutreten. Er entwickelte bleme liegt, die heute alle bedrängen, die versuchen, eine politische Antwort, welche die echten Sorgen und den krisengeschüttelten Kapitalismus des 21. Jahrhun- Nöte der Menschen anerkannte und gleichzeitig die An- derts zu überleben – eine Basis für eine andere Zu- wendung von Gewalt durch die Protestierenden ver- kunft. • urteilte. Er entwickelte Pläne für eine Umkehrstrategie der Lokalbehörden. Diese haben sich jedoch durch den Tod des Ministers und die weitverbreitete Korruption in den Lokalbehörden in Nichts aufgelöst. Trevor Ngwane kämpft als Aktivist für soziale und wirtschaftliche Im Vorfeld des Nationalen Kongresses von Man- Gerechtigkeit in Südafrika. Er ist Mitglied des Soweto Electricity Crisis gaung vom kommenden Dezember herrscht grosse Un- Committee und der Bewegung Operation Khanyisa (www. operationkhanyisa.co.za). Kontakt: [email protected]. gewissheit im ANC, da es aussieht, als müsse Präsident Zuma um sein politisches Überleben kämpfen. Ein kürz- Weiterführende Informationen: lich veröffentlichter Bericht der staatlichen Finanzkon- Peter Alexander: Rebellion of the Poor. South Africa’s service delivery protests – a preliminary analysis. In: Review of African Political trolle stellt weit verbreitete Korruption und Inkompe- Economy, Band 37, No. 123, 2010. Seiten 25–40. tenz sowie Milliardenverluste in den Lokalverwaltun- Patrick Bond: Elite Transition. From Apartheid to Neoliberalism in South Africa. London 2000 (Pluto Press). gen fest. Anlässlich eines Riesenskandals im Januar CCS (Centre for Civil Society) Protest Monitor. Durban 2011. 2012, bei dem es um Schulkinder ging, die aufgrund www.ukzn.ac.za/ccs. «Schlimmer als während der Apartheid» Mamphela Ramphele über das südafrikanische Schulsystem

Mit Mamphela Ramphele übt eine profilierte und glaubwürdige Persönlichkeit öffentlich scharfe Kritik an der ANC-Regierung. Eine Kritik auf Augenhöhe, die nicht ohne weiteres auf die Seite geschoben werden kann. Ramphele fordert zwar Empathie mit den Armen und Marginalisierten, wendet sich jedoch an die Mittelklasse, die sie aus ihrer Lethargie aufrütteln will. Barbara Müller stellt die Argumentation der en- gagierten Kämpferin vor.

Sie ist eine Ikone des Befreiungskampfes, obwohl In ihrer von der Zeitung publizierten Replik schreibt sie nie dem ANC angehörte. Die Ärztin Dr. Mamphela Ramphele: «Die Generation derjenigen, die für ihre Ide- Ramphele, eine der Mitbegründerinnen des Black Con- ale das Leben gegeben haben, müssen sich im Grab sciousness Movement, das 1976 zu den Schüleraufstän- umdrehen. Diejenigen von uns, die überlebt haben, dre- 6 den von Soweto führte, kann auf eine beispiellose Kar- hen und wenden sich des nachts im Bett.» Erklärend riere zurückblicken. Als sie aufgrund ihres Engage- führt sie weiter aus: «Wir haben den Umfang der vor ments in ihre Heimatprovinz Limpopo verbannt wur- uns liegenden Aufgabe unterschätzt, ein dermassen de, baute sie dort einen basismedizinischen Hilfsdienst verabscheuungswürdiges System zu transformieren... auf. Später studierte sie Sozialanthropologie und führte Und wir haben die Auswirkungen der autoritären Herr- viel beachtete Forschungen über die Situation von Kin- schaft unterschätzt. Sie beeinträchtigen alle Südafri- dern und Jugendlichen unter der Apartheid durch. Sie kanerInnen in ihrer Fähigkeit, die ihnen in einer kons- war die erste schwarze Frau in der Funktion einer Rek- titutionellen Demokratie zustehende Macht wahrzu- torin der Universität von Kapstadt. Von dort wurde sie nehmen und die PolitikerInnen zur Verantwortung zu – wiederum als erste schwarze Frau – zu einer der Vi- ziehen.» Sie fügt an, dass sich die Massenbewegungen zepräsidentInnen der Weltbank nach Washington be- in den 1980er Jahren darauf konzentrierten, das Sys- rufen. Zurück in Südafrika hatte sie verschiedene Ver- tem unregierbar zu machen, und wenig Zeit und Ener- waltungsratsmandate inne. gie verblieb, sich Gedanken über das Funktionieren ei- ner demokratischen Ordnung zu machen. Die Kultur, Scharfe Kritik die es brauche, um ein demokratisches System zum Wenn eine Persönlichkeit von Rampheles Rang und Funktionieren zu bringen, sei eine radikal andere als Hintergrund dazu übergeht, scharfe Kritik an den Zu- diejenige, welche sowohl die Befreiungsbewegung wie ständen zu üben und auf offensichtliche Missstände auch das Apartheidsystem prägte. hinzuweisen, ist ihr die allgemeine Aufmerksamkeit Auf Tshabalalas Frage antwortet sie eindeutig. Sie gewiss. Besonders, wenn die Argumentation so sach- hebt die Anfang der 1990er Jahre geschaffenen Errun- lich, gut begründet und vor allem zutreffend ist. Ram- genschaften des neuen Südafrikas hervor, welche ei- phele bringt zum Ausdruck was viele denken, aber nicht ne gute Grundlage für den Aufbau von demokratischen zu äussern wagen. In ihren Verlautbarungen prangert Institutionen darstellten. Dazu gehörten unter ande- sie das Versagen des Staates in den vier Kernbereichen rem die Verfassung, das Rechtssystem mit einer unab- Erziehung, Gesundheit, öffentliche Sicherheit und Ar- hängigen Justiz, das Finanz- und Steuersystem sowie beitsplatzbeschaffung an. Es sei nicht zu verstehen, das Wahlrecht. Es brauche heute niemand mehr zu weshalb sich mündige BürgerInnen von ihrer Regierung sterben, um den Traum eines freien Volkes zu realisie- eine so jämmerliche Leistung bieten liessen. In jedem ren. Was es jedoch brauche seien BürgerInnen, die sich anderen demokratischen Land hätte ein Skandal wie für das Land verantwortlich fühlten und seine Form der kürzlich enthüllte Fall von nicht ausgelieferten mitgestalteten wollten. Schulbüchern zur Demission der verantwortlichen Mi- Besonders alarmierend sind für Ramphele die Ini- nisterin geführt. Nicht so in Südafrika, wo die Öffent- tiativen der Regierung von Jacob Zuma, die in der Ver- lichkeit dies einfach hinnehme. fassung verankerten Freiheitsrechte zu beschränken, Ramphele hat vor kurzem eine «BürgerInnenbewe- wozu eine Zweidrittelsmehrheit im Parlament nötig gung für sozialen Wandel» gegründet. Mit diesem In- ist. Sie ruft eindringlich dazu auf, die Verfassung in ih- strument will sie das aktive Engagement ihrer Lands- rer gegenwärtigen Form zu verteidigen. Ihr Appell rich- leute für öffentliche Anliegen stärken. Dieses Engage- tet sich explizit an mittelständische Kreise, die sich in ment hält sie für unerlässlich, um die Errungenschaften eine apolitische Selbstzentriertheit zurück gezogen ha- der demokratischen Transformation zu bewahren. Ge- ben. genwärtig führt Ramphele im Sunday Independent ei- ne öffentliche Debatte mit Rorisang Tshabalala, einem Eine verletzte Gesellschaft jungen Mann, der sie als Exponentin jener Generation Ramphele erklärt sich die Duldsamkeit ihrer Lands- anspricht, die in ihrer Jugend bereit war ihr Leben für leute gegenüber denjenigen, die sie regieren, damit, die Zukunft des Landes zu opfern. Er will wissen, ob dass alle SüdafrikanerInnen, Schwarze und Weisse, – angesichts der verzweifelten Lage, in der sich viele durch die dreihundertjährige Hinterlassenschaft von junge Menschen heute befinden – der Zeitpunkt gekom- Rassismus, Sexismus und orchestrierter Ungleichheit men sei, wo man wieder zum Freiheitskämpfer werden wie gelähmt seien. Die südafrikanische Gesellschaft tra- müsse. Er fragt: «Was sollen wir tun, um unsere demo- ge tiefe Wunden, und in den 18 Jahren seit dem Ende kratische und freie Gesellschaft vor denjenigen zu der Apartheid sei die zum Heilen dieser Wunden erfor- schützen, die versuchen diese Errungenschaften zu derliche Transformation ausgeblieben. Als Konsequenz zerstören?» litten die meisten schwarzen SüdafrikanerInnen an ei- Mamphela Ramphele «Schlimmer als während der Apartheid» veröffentlichte ihre Argumente 2008 in Buchform beim Mamphela Ramphele über das südafrikanische Schulsystem Verlag Tafelberg (Pietermaritzburg).

zu tragen hätten. Obwohl 236 Milliarden Rand (ein Fünf- tel der Regierungsausgaben) in die Erziehung flössen, seien die Resultate schlechter als in einigen der ärmsten Länder Afrikas wie Malawi oder Swaziland. Die verhee- renden Auswirkungen dieses Versagens auf das Hu- mankapital Südafrikas habe zur Folge, dass Südafrika in der heutigen wirtschaftlichen Umwelt nicht mehr konkurrenzfähig sei. Die niedrigen Wachstumsraten der südafrikanischen Wirtschaft und die untragbar hohe Ar-

beitslosigkeit besonders unter den Jungen (sie wird auf 100 Jahre ANC mehr als 60 Prozent geschätzt) seien eine direkte Fol- ge des Scheiterns der Regierung im Erziehungswesen. Mit Empörung hat Mamphela Ramphele reagiert, 7 als kürzlich bekannt wurde, dass wegen Schlamperei des Erziehungsministeriums die Primarschulen in der Provinz Limpopo keine Schulbücher erhielten, und Prä- sident Zuma dafür dem Apartheidregime die Schuld in die Schuhe schieben wollte. Nicht die Apartheid son- dern die gegenwärtige Regierung sei schuld an dem Durcheinander in den Schulen. Und sie fügt bei, dass Kinder unter dem drittklassigen Apartheid-Erziehungs- system besseren Unterricht genossen als heute. «We- nigstens konnten sie schreiben und lesen. Und viele von ihnen verstanden etwas von Geschichte und Geo- graphie», sagte sie während einer Rede, die sie anläss- lich einer Konferenz an der Universität von KwaZulu- Natal hielt. Es sei der Regierung nicht gelungen, eine kompe- tente öffentliche Verwaltung aufzubauen, was die Qua- lität der Regierungsführung schwer beeinträchtige. Vor nem tief verwurzelten Minderwertigkeitskomplex, der allem führe dies dazu, dass die notwendigen Verän- Reiche wie Arme betreffe. Es sei demütigend, wenn ei- derungen im Leben der Ärmsten weiter hinausgezögert nem immer wieder gesagt werde, dass man minderwer- würden. Eine gute und professionelle Regierungsfüh- tig sei – und es mache wütend. Der daraus resultieren- rung und das Nichttolerieren von Inkompetenz und de Mangel an Selbstachtung führe zu einer nach innen Korruption seien unerlässlich, um die erforderlichen gerichteten Wut – in der Form von häuslicher Gewalt, Veränderungen zu realisieren. Weltweit hätten Studien Selbstjustiz, öffentlicher Gewalt und anderem selbst- gezeigt, dass Korruption eine Art Armensteuer sei. Be- schädigenden Verhalten. Ein weiteres Charakteristikum stechungsgelder und das Nicht-zur-Verfügung-Stehen solcher seelischer Wunden sei die Unfähigkeit eigenes von Dienstleistungen beträfen die Armen in besonde- Verschulden oder Versagen zu anerkennen. Verletzte rem Masse. • Menschen neigten auch dazu, sich autoritären Füh- rungspersönlichkeiten zu unterwerfen. Auf der anderen Seite litten weisse SüdafrikanerIn- Barbara Müller ist langjähriges Mitglied des afrika-komitees und Koordinatorin der Kampagne für Entschuldung und Entschädigung nen immer noch an einem Überlegenheitskomplex; sie im südlichen Afrika KEESA. Sie ist Initiantin und Mitorganisatorin der seien der Meinung, dass ihnen aufgrund ihrer überle- erwähnten Tagung. Kontakt: [email protected]. genen Qualitäten und ihrer harten Arbeit ein höherer materieller Wohlstand zustehe als ihren schwarzen Mit- bürgerInnen. Andere seien durch Schuldgefühle ge- lähmt. Sie meinten nicht berechtigt zu sein, ihre Bürger- rechte und -pflichten wahrzunehmen und eine schwar- ze Mehrheitsregierung zu kritisieren. Auch unter der weissen Bevölkerung gebe es eine tief verwurzelte Ten- denz, sich Autoritäten zu unterordnen. Weder ein Über- legenheitskomplex noch Schuldgefühle seien hilfreich, wenn es darum gehe Südafrika zu transformieren.

Erziehungswesen als Schlüsselbereich Wenn es um die Zustände im Erziehungswesen geht, kann sich Ramphele nicht scharf genug äussern. Die eklatanten Missstände in diesem Bereich bedrohten die Zukunft des Landes, weil sie Armut und Ungleichheit schafften. Ungleichheit sei eine Bedrohung für jede Ge- sellschaft, wobei Reiche wie Arme die Konsequenzen Frauen- und Gender-Politik im ANC Zwischen Hilfstruppe und eigenständiger Interessenvertretun g

Im Befreiungskampf Südafrikas spielten Frauen gang zu Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung eine wichtige Rolle. Welche Stellung kam ihnen da- – beinhaltete und in die Freedom Charter einging. Die Women’s Charter forderte die Überwindung der Dis- bei intern zu, und welchen Stellenwert hatten Frau- kriminierung von Frauen und verlangte politische und enforderungen in der Politik des ANC? Mit diesen gesellschaftliche Strukturveränderungen. Die Aktivis- Fragen setzt sich der Beitrag von Rita Schäfer aus- tinnen betonten, dass daran auch Männer mitwirken müssten, allerdings ordneten sie diese Forderung dem einander. Kampf für die Rechte der Schwarzen unter. Innerhalb der FEDSAW organisierte die ANCWL 1956 1943 fand eine wichtige Zäsur in der Geschichte des Massenproteste von Frauen gegen ein Gesetz, das im African National Congress (ANC) statt. Einunddreissig Kontext der 1948 eingeführten Apartheid die Einfüh- Jahre nach seiner Gründung erhielten Frauen die Mög- rung von Pässen für Afrikanerinnen vorsah. Am 9. Au- 8 lichkeit, vollwertige Mitglieder zu werden. In grosser gust 1956 marschierten über 20 000 Frauen unter- Zahl schlossen sich Afrikanerinnen, die als Arbeitskräf- schiedlicher Herkunft in einer friedlichen Demonstra- te in die Städte gekommen waren, der Organisation an. tion vor das Parlamentsgebäude in Pretoria. Es war die Der ANC beanspruchte fortan, den Status der Frauen zu grösste Massendemonstration in der Geschichte des verbessern. Dennoch sollte die extra gegründete ANC politischen Widerstands. Nach dem eindrucksvollen Women’s League (ANCWL) vor allem neue Mitglieder für Marsch von Frauen aller Hautfarben, die sich mit den den ANC rekrutieren. So wurde die Frauenliga zur un- Afrikanerinnen solidarisch erklärten, wurden ihre Lei- tergeordneten Hilfsorganisation, die der politischen Lei- terinnen gebannt und zahlreiche Frauen verhaftet. tung des ANC unterstand. Das Vorhaben der ANCWL, eigene Lokalgruppen aufzubauen, lehnte die ANC-Lei- Entwicklungen seit den 1960er Jahren tung 1946 ab. Sie wollte die Eigenständigkeit der Frau- Das Verbot der Befreiungsbewegungen nach dem enorganisation verhindern. Dennoch bot die ANCWL Massaker in Sharpeville 1960 betraf auch die ANCWL Frauen die Möglichkeit, partiell in die politische Arbeit und erschwerte den politischen Protest von Frauen zu- einbezogen zu werden. sätzlich. Während der folgenden Jahrzehnte gründeten Frauen Basisorganisationen, um familiäre Grundbedürf- nisse zu sichern. Diese Gruppen waren keineswegs apolitisch, vielmehr boten sie eine basisdemokratische Basis für eine gemeinsame Interessenvertretung. Etli- che dieser Gruppen bildeten Anfang der 1980er Jahre regionale Netzwerke und schlossen sich 1983 der Uni- ted Democratic Front (UDF) an, die zahlreiche zivilge- sellschaftliche Organisationen einte. Einzelne Aktivis- tinnen wurden in das UDF-Führungsgremium einbezo- gen. Sie hatten jedoch grosse Schwierigkeiten, ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Tenor der männlich dominierten UDF Führung war, dass man den politi- schen Widerstand nicht durch separate Forderungen spalten wollte.

Frauen- und Gender-Politik des Exil-ANC Diese Position vertrat auch die ANC-Führungsriege im Exil. Während in den regimekritischen Basisorgani- sationen innerhalb Südafrikas demokratische und de- zentrale Mitsprache und Entscheidungsprozesse an- satzweise praktiziert wurden, die Frauen politische Partizipationsmöglichkeiten eröffneten, waren im Exil- Frauendemonstration ANC autoritäre Kaderstrukturen prägend. Ideologische in Kapstadt 2009. Hardliner betrachteten Frauen als Hilfskräfte, die ihre Bild: Rita Schäfer. Von Passprotesten zur Freedom Charter Geschlechtsgenossinnen für die nationale Befreiung Afrikanerinnen hatten bereits zuvor eigene Protes- mobilisieren sollten. Zwar wurde Frauen in der dafür te organisiert. Erfolgreich wehrten sich Ehefrauen von eingerichteten ANC Women’s Section eine aktive Rolle Lehrern und anderen Notabeln der urbanen schwarzen im politischen Kampf zugewiesen, doch war diese noch Gesellschaft 1913 in Bloemfontein gegen die Einführung stärker an die männliche ANC-Spitze gebunden als die von Pässen für Frauen. Die Proteste boten die Basis für im Exil abgeschaffte ANC-Frauenliga. Die ANC Women’s die Gründung der Bantu Women’s League, die als Vor- Section unterstützte die ExilantInnen in Sambia und läuferin der ANC Women’s League gilt. 1952 wirkte die Tansania sozial und psychologisch, zudem engagierte ANCWL an der Defiance Campaign mit, in den Folgejah- sie sich in der Kinderversorgung von Exilantinnen. ren war sie die treibende Kraft zur Gründung der Fede- Auch die Schlichtung von Beziehungsproblemen und ration of South African Women (FEDSAW). Sie konzipier- Hilfe bei geschlechtsspezifischer Gewalt zählten zum te die Women’s Charter, die konkrete frauen- und gesell- Aufgabenspektrum der ANC Women’s Section. Zentra- schaftspolitische Forderungen – wie den gleichen Zu- les Ziel war der Zusammenhalt in den Exilgemeinden. Frauen- und Gender-Politik im ANC Zwischen Hilfstruppe und eigenständiger Interessenvertretun g

Die Frauen hatten jedoch kaum Einfluss auf politische Debatten im Exil-ANC. Dieser nutzte seine emanzipa- torische Rhetorik vorrangig gegenüber Anti-Apartheid- gruppen in Europa und in den USA, um deren Unterstüt- zung sicher zu stellen. Dennoch waren diese Frauen wichtig, um internationale frauenpolitische Entwick- lungen in den ANC zu tragen. Konkret nutzten sie die Abschlusskonferenz der Frauendekade der Vereinten Nationen (1975 –1985) in Nairobi 1985, um ihre Forde-

rungen international bekannt zu machen. Sie erreich- 100 Jahre ANC ten, dass die KonferenzteilnehmerInnen gegen den massiven Widerstand der US-Delegierten die Apartheid verurteilten. 9 1987 fand in Angola eine ANC-Frauenkonferenz statt, auf der beschlossen wurde, dass Geschlechter- gleichheit nicht allein durch die Repräsentanz von Frauen in politischen Ämtern durchzusetzen sei, viel- mehr müsse die politische Bildung für Männer die Über- Frauendemonstration windung patriarchaler Einstellungen beinhalten. In den in Kapstadt 2009. ein Jahr später vom ANC beschlossenen Verfassungs- Bild: Rita Schäfer. richtlinien für ein neues Südafrika wurde an einer Stelle Geschlechtergleichheit erwähnt, ansonsten wur- den die Forderungen der ANC Women’s Section zur derung der WNC – in der neuen Verfassung berücksich- Überwindung der familiären Vormachtstellung von tigt werden sollte. Intensive politische Lobbyarbeit war Männern nicht übernommen. Die ausschliessliche Fixie- notwendig, um zu verhindern, dass der Congress of rung auf die nationale Befreiung charakterisierte auch Traditional Leaders (CONTRALESA) Sonderrechte in den Umkhonto we Sizwe, den bewaffneten Arm des ANC. früheren Homelands erhielt. Die Chiefs wollten die In dessen Ausbildungslagern beispielsweise in Ango- Rechtsgleichheit der in diesen Gebieten lebenden und la absolvierten Mädchen und junge Frauen eine mili- nach traditionellem Recht verheirateten Afrikanerinnen tärische Ausbildung, dennoch wurden sie vor allem für verhindern. Kurierdienste eingesetzt. Entgegen der offiziellen Nachdem die Gleichheitsklauseln und Frauenrech- Gleichheitsgrundsätze in Umkhonto we Sizwe hatten te in der neuen Verfassung verankert waren, löste sich die Kämpferinnen keine Chance in der Führungsstruk- die WNC auf. Es bildeten sich unabhängige Frauennetz- tur aufzusteigen; diese blieb eine extrem hierarchische werke, die themenzentriert arbeiteten und beispiels- und autoritär strukturierte Männerdomäne. weise gegen häusliche Gewalt vorgingen. Die ANCWL wurde unter der Leitung von Winnie Mandela ab 1993 ANC Frauenliga nach 1990 wieder der ANC-Führung untergeordnet; Mandela trat Im Januar 1990 fand die Malibongwe Konferenz in nach zahlreichen Korruptionsskandalen 2003 zurück. Amsterdam statt, die erstmals Aktivistinnen aus Süd- Seitdem positionierte sich die ANC-Frauenliga als Un- afrika und aus dem Exil vereinigte. Als kurz darauf die terstützerin der Regierungspartei und der männlichen südafrikanische Regierung politische Organisationen Führungsriege. ANC-Parlamentarierinnen, die während wie den ANC wieder zuliess, ergaben sich neue Hand- der Präsidentschaft Thabo Mbekis (1999 – 2008) immer lungsspielräume für frauenpolitische Aktivistinnen. Am stärker der Parteidisziplin unterstellt wurden, konnten 2. Mai 1990 gab der ANC ein Positionspapier zur Frau- in den 1990er Jahren noch etliche Gesetzes- und Rechts- enemanzipation heraus, das die Verantwortung der ge- reformen durchsetzen, deren Anwendung in der Rechts- samten Organisation für Geschlechtergleichheit un- praxis jedoch häufig problematisch ist. terstrich. Die ANC Women’s Section, die sich wiederum Diese Probleme werden dramatisch eskalieren, falls ANC Women’s League nannte, verlangte eine Frauen- der vorliegende Gesetzesentwurf für die Traditional quote von 25 bis 30 Prozent auf der Führungsebene Courts Bill verabschiedet werden sollte. Dann würden und hatte damit teilweise Erfolg. über zehn Millionen Bewohnerinnen der früheren Home- Nach heftigen Auseinandersetzungen entschieden lands wieder unter das Diktat der Chiefs fallen und ih- etliche lokale und regionale Frauenorganisationen in ren eigenständigen Rechtsstatus verlieren. Inzwischen Südafrika, sich der ANC-Frauenliga anzuschliessen. Für haben sich die ANCWL und die Frauenministerin gegen andere hatte die Aufrechterhaltung autonomer Orga- den Gesetzesentwurf ausgesprochen. Ob ihre Kritik nisationsstrukturen Priorität. 1991 beteiligte sich die erfolgreich ist, bleibt fraglich, denn der als Traditiona- ANCWL an der Gründung der Women’s National Coali- list bekannte Präsident Jacob Zuma will die Chiefs für tion (WNC), einem nationalen Dachverband vieler Frau- seinen eigenen Machterhalt nutzen. • enorganisationen, der in Kooperation mit südafrikani- schen Wissenschaftlerinnen eine landesweite Studie über die Ziele und Probleme von Frauen durchführte. Über zwei Millionen Stadt- und Landbewohnerinnen Rita Schäfer ist freischaffende Ethnologin. Sie publizierte zahlreiche Bücher u.a. im Schatten der Apartheid (2. Auflage 2008), Frauen und wurden befragt. Auf dieser Erhebung basierte die Wo- Kriege in Afrika (2008), Gender und ländliche Entwicklung (3. aktua- men’s Charter for Effective Equality, die – so die For- lisierte Auflage 2012). Kontakt: [email protected]. Afrika in Kürze

Westsahara Côte d’Ivoire Namibia

«Marokkanische» Tomaten Noch keine Ruhe Unterirdische Wasserreserven Per 1. Juli 2012 trat ein erweitertes Die Grenzregion von Côte d’Ivoire Im nördlichen Namibia ist durch Handelsabkommen zwischen Marokko zum Nachbarland Liberia wird noch ein deutsches Forscherteam der und der EU in Kraft, welches den immer beunruhigt durch Angriffe von Zugang zu einem Grundwassersee Import von Agrarprodukten «aus Milizen, die das vormalige Regime entdeckt worden, der die Zukunftsaus- diesem Land» erheblich ausweitet. unter Präsident Gbagbo verteidigten. sichten für dieses Trockengebiet In Wirklichkeit dürfte es sich dabei in Nach Liberia geflohen, greifen sie seit grundlegend verändert. Das in ge- nicht unerheblichem Masse auch um einem Jahr Dörfer, respektive dort schätzten 10 000 Jahren angesammelte 10 Produkte aus dem Territorium West- anwesende Sicherheitstruppen des Süsswasser ist von bester Qualität Sahara handeln, das von der UNO als neuen Regimes an, scheinbar teilweise und könnte den Bedarf der jetzigen «kolonisiertes Land» deklariert ist: verstärkt durch liberianische Söldner. Bevölkerung – unter der Annahme, Das von ihr geforderte Plebiszit über Ihre Überfälle sollen bereits an die dass ihre Wassernutzung auf dem die Zugehörigkeit zu Marokko (versus 40 Todesopfer gefordert haben. An- bisherigen Niveau bleibt – für die Unabhängigkeit) wird von Marokko griffsziel sind auch die UN-Truppen, die kommenden 400 Jahre decken. Das seit 37 Jahren verhindert. Land der zu seit 2004 in Côte d’Ivoire stationiert scheint kaum wahrscheinlich, denn grossen Teilen noch immer in Flücht- sind, um das Umsichgreifen eines mit Bewässerung aus dieser Reserve lingslagern lebenden saharauischen Bürgerkrieges zu verhindern. Kürzlich könnten riesige Flächen für den Bevölkerung scheint inzwischen wurden sieben nigrische UN-Soldaten Ackerbau gewonnen werden, während französischen Agrarunternehmen und in einen Hinterhalt gelockt und getötet. die ansässigen Himba und Nama den «Domaines royales» des marokka- Die Position der Regionalbevölkerung bislang ihre Herden in diesem Trocken- nischen Königs zugeschlagen worden gegenüber den angreifenden Milizen gebiet durch Wanderungen versorgten. zu sein. Darauf wurden Gemüse- ist nicht geklärt. Im August kam es nun Als früheres «Homeland» diesen und Fruchtplantagen angelegt, deren auch zu tödlichen Angriffen und Gruppen durch die südafrikanischen Produkte nachgewiesenermassen Waffenraub aus einer Militärkaserne in Mandatsverwalter zugewiesen, ist es bereits auf den europäischen Markt der Hauptstadt Abidjan. • zwar recht dicht besiedelt, doch kommen. Eine klare Bezeichnung existieren bislang keine Siedlerfarmen. der Herkunft konnte bislang nicht Das dürfte sich mit dem Wasserfund durchgesetzt werden. Der Grossteil ändern. Selbst wenn in der Folge der der über 6000 Landarbeiter auf elf von den Himba bekämpfte Dammbau Plantagen um die Stadt Dakhla sind am Kunene-Fluss nun überflüssig marokkanischer Herkunft. • werden dürfte, ist ungewiss, ob sie auch weiter die Herren dieses Land- striches bleiben und ihre Lebensweise beibehalten können. Mehr als eine Einwanderung von landhungrigen Bauern aus dem Süden, die den dortigen Bevölkerungsdruck mildern könnte, ist das globale Wettrennen nach fruchtbarem Ackerland zu fürchten, dem die Regierung statt- geben könnte. Ein neues Eldorado des «land- (and water-)grabbings» dürfte der ansässigen Bevölkerung kaum viel Glück bringen und die Wasserreserve in weit kürzerer Zeit aufzehren. • «Landgrabbing» Nigeria Zimbabwe

Richtlinien der UNO Subventions-Abzocke aufgedeckt Projekt für Wassertransfer Unter der Ägide der FAO sind Die Benzin-Subventionen in Nigeria Wasser für den Bedarf der Bevöl- erweiterte Richtlinien für eine «ver- haben 2011 den Staat das Zehnfache kerung und für Bewässerung vom antwortliche Handhabung der Land-, des Betrags für das Jahr 2006 gekostet. Zambesi in die Trockengebiete Mata- Wald- und Fischerei-Rechte» entstan- Die Abschaffung der Subventionen, belelands und zur Regionalhauptstadt

den, die nun von der UNO angenom- die die neue Regierung unter Präsident Bulawayo zu bringen, war schon 1912 Afrika in Kürze men wurden. Es sind «freiwillige Jonathan Ende 2011 durchsetzen ein Traum britischer Siedler. Der Richtlinien» und dies, nachdem über wollte, musste aufgrund der heftigen Sambesi bringt aus tropischer Zone nie das letzte Jahrzehnt bereits Land- Strassenproteste ausgesetzt werden. versiegende Wassermengen an den 11 verkäufe und -verpachtungen an Der Bericht einer parlamentarischen Rand der Savanne. Weniger technische Investment-Banken, Agrarkonsortien Kommission, die in der Folge ein- denn finanzielle Gründe verhinderten und teilweise direkt an Drittstaaten gesetzt wurde, zeigt nun auf, dass bislang die Realisierung. Nun stellt im geschätzten Ausmass von 200 weniger die kleinen Leute von der China Zimbabwe einen Kredit von Millionen Hektaren getätigt wurden. Subvention profitierten, als ein Netz 1,2 Milliarden USD, seine Expertise und Sie liegen zumeist in afrikanischen von Persönlichkeiten, die der vor- Bautrupps zur Verfügung, um das und lateinamerikanischen Nationen, herigen Regierung unter Präsident Projekt zu realisieren. Nur drei Jahre denen die Weltbank über Jahre zu Jar’Adua nahestanden, aber noch soll die Bauzeit betragen, die das solchen Geschäften riet . . . mit Re- immer in Amt und Würden stehen. Gesicht und die Nutzung der Land- gierungen, die häufig wenig Federlesen Zwischen 2009 und 2011 sollen so schaft entlang der 400 km langen mit den traditionellen, titellosen Unterschlagungen in der geschätzten Wasserführung komplett verändern, Landrechten der einheimischen Klein- Höhe von 6,8 Milliarden USD die und die Wassernöte Bulawayos bauern machen (siehe auch AB Nr. 137 Staatskassen belastet haben. Der beheben soll. • vom März 2009). Ihnen wird hier Bericht wurde zusätzlich abgestützt Transparenz, Achtung für die Rechte durch entsprechende Aussagen der Indigenen und der Frauen nahe- der parlamentarischen Aufsichts- gelegt, die Anerkennung und Registrie- kommission über die Erdöl-Einkünfte. Darfur rung traditioneller Landrechte, die Öffentlich gemacht, zeitigten diese Prävention von Korruption, die Informationen neue Proteste von Sicherung der Wohlfahrt von Beschäf- BürgerInnen, die auf die Ausmerzung Kämpfe ohne Ende tigten und die generelle umwelt- des notorischen, politischen Klientel- Der versteckte Waffenhandel bewusste Planung der Landressourcen. wesens und auf die Bestrafung scheint auch im Sudan die Oberhand Eher peripher und schüchtern fallen der Profiteure drängen. • über das strikte UN-Embargo zu dagegen Ermahnungen zuhanden behalten. Bei den erneut aufflammen- der privaten oder staatlichen Akteure den Angriffen gegen die Bevölkerung des Landerwerbs und jener Staaten in Darfur wurden Armeematerial aus, unter deren Flagge erstere wirken. aus chinesischer, weissrussischer und An zwei gut versteckten Orten wird armenischer Produktion identifiziert – allerdings suggeriert, dass die Akteure deren Regierungen stellen natürlich zur Verantwortung gezogen werden jede Verantwortung in Abrede und die könnten, wenn sie den nationalen Angaben in Frage. Hauptgrund der und internationalen Verpflichtungen erneuten Kämpfe dürfte der Zusammen- oder ethischen Standards im Zusam- schluss der Darfur-Rebellen mit den menhang mit Landerwerb zuwider im Norden verbliebenen Kämpfern der handelten. Und: Staaten – damit sind einstigen Armee des süd-sudanesi- für einmal nicht die schwachen Staaten schen Aufstandes, der SPLMA, sein. des Südens gemeint, die mit grösst- Dabei setzt die Regierung von Khartum möglichen Konzessionen an Investoren neuerdings nicht mehr auf die arabi- im Wettbewerb stehen, sondern die schen Janjaweed-Kämpfer, sondern Staaten, welche die transnationalen auf nicht-arabische Milizen. 2011 Agrarunternehmen und Investoren mussten erneut an die 70 000 Menschen behausen – sollten die Einrichtung aus Darfur fliehen. • administrativer und juristischer Revisionsstellen für Landerwerb vorsehen. •

Zusammengestellt von Susy Greuter. Cabo Verde und Guinea-Bissau Gemeinsame Befreiung – unterschiedliche Entwicklung

Die Entwicklung der antikolonialen und antirassistischen Befreiungsbewegungen Afrikas, die an ihr Ziel gelangten und die Macht übernahmen, hat in vielen Fällen sehr realpolitische Wendungen genommen. Ein besonders interessantes Beispiel ist hierfür der PAIGC, der die Entwicklung der Kapverden und Guinea Bissaus anführte. Daniel V. Moser umreisst diese Entwicklung von der ursprünglichen Programmatik und Umsetzung über die Spaltung bis zu den schliesslich sehr unterschiedlichen Resultaten ihres Agierens.

Die Geschichte des «Partido Africano do Indepen- mit der Vorbereitung des militärischen Widerstandes. dência da Guiné e Cabo Verde» (PAIGC) ist untrennbar Neben der Volksrepublik China unterstützen Marokko, mit dem Wirken von Amilcar Cabral (1924 –1973) ver- Algerien, Guinea-Conakry, Kuba und osteuropäische 12 knüpft. Während seiner Studienzeit in Lissabon mach- Staaten die Befreiungsbewegung militärisch, Schweden te Cabral Bekanntschaft mit Studierenden aus anderen und die Niederlande im Gesundheits- und Schulwesen. portugiesischen Kolonien, so mit Agostinho Neto und Mário de Andrade aus Angola. Gemeinsam diskutier- Politisches Programm ten und planten sie den nationalen Befreiungskampf Ein erstes politisches Programm des PAIGC erschien gegen Kolonialismus und Imperialismus. 1950 kehrte 1962 in Conakry. In neun Kapiteln wurden die wichtigs- Cabral nach Guinea-Bissau zurück, wo er an einer Ag- ten Anliegen der Partei zusammengefasst: Sofortige rarstatistik arbeitete und bei seiner Feldforschung das Unabhängigkeit von Portugal, Einheit von Guinea und Vom 3. bis 6. Oktober 1965 Land sehr gut kennen lernte. Gleichzeitig baute er ein den Kapverden, eine demokratische und republikani- fand in Dar-Es-Salaam politisches Netzwerk mit dem Ziel der Unabhängigkeit sche Regierung, freie Wahlen, garantierte Freiheitsrech- die zweite Konferenz der Conferência das Organi- von Guinea-Bissau und den Kapverden auf. te, gleiche Rechte für Männer und Frauen. Es nennt zações Nacionalistas das Am 19. September 1956 gründeten Amilcar Cabral, ferner vier Träger von Eigentum: Der Staat soll über die Colónias Portuguesas (CONCP) statt. Von rechts sein Halbbruder Luís Cabral (Präsident von Guinea- wichtigsten Produktionsmittel und die Kommunikati- nach links: Marcelino Bissau 1974 –1980), Aristides Pereira (Präsident der Re- onsmittel verfügen, Genossenschaften die landwirt- dos Santos (Mozambique), publik Kapverde 1975 –1991) und andere den «Partido schaftliche Produktion fördern, private Unternehmen Aquino de Bragança (Mozambique), Amílcar Africano de Independência da Guiné e Cabo Verde» müssen zur raschen Entwicklung beitragen, das Privat- Cabral (Guinea-Bissau), (PAIGC). Der PAIGC trat für die Unabhängigkeit und eine eigentum an Konsumgütern und Häusern ist unverletz- Maria Amália Lopes Union von Guinea-Bissau und den Kapverden ein. Im lich. Für Kapverde wird eine Agrarreform in Aussicht Fonseca (Cabo Verde) und Tomás Medeiros. Bild: Dezember 1956 nahm Amilcar Cabral auch an der Grün- gestellt, wobei Grossgrundbesitz beschränkt und Klein- Ausstellungskatalog dung des Movimento Popular de Libertação de Angola besitz vergrössert werden soll. Besonderen Wert legt Amilcar Cabral – sou um simples africano. Lissabon (MPLA) in Luanda teil. die Partei auf die Bildung und die Förderung der afrika- 2000. nischen Sprachen und des Kreols. Cabral selbst wehrte sich gegen eine Etikettierung des PAIGC als marxistische Partei; er verstand ihn als afrikanische nationale Befreiungsbewegung, die sich mehrheitlich auf Bauern und Kleinbürger abstützte. Ge- wiss erhielt der Staat eine starke Stellung zugeordnet, aber privates Unternehmertum blieb möglich. Cabrals Analysen der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnis- se gingen von materialistischen Theorien aus, blieben aber nahe an den afrikanischen Realitäten. Patrick Cha- bal nennt Cabral in seiner Biografie einen Nationalisten, Humanisten, Sozialisten und vor allem Pragmatiker.

Die Befreiungsbewegung an der Macht Am 20. Januar 1973 wurde Amilcar Cabral in Cona- kry ermordet; die Täterschaft ist bis heute nicht rest- los geklärt. Noch im gleichen Jahr erfolgte die Unabhän- gigkeitserklärung Guinea-Bissaus, doch brachte erst die «Nelkenrevolution» in Portugal am 25. April 1974 die Die Politik der PAIGC zielte vorerst nicht auf gewalt- entscheidende Wende. Am 10. September 1974 aner- same Auseinandersetzung mit der Kolonialmacht, son- kannte Portugal die Unabhängigkeit Guinea-Bissaus, dern versuchte mit passivem Widerstand die Grund- am 5. Juli 1975 folgten die Kapverden. In beiden Län- rechte der Menschen einzufordern. Am 3. Mai 1959 er- dern stellte der PAIGC die neuen Regierungen: In Gui- schossen im Hafen von Pidjiguiti in Guinea-Bissau por- nea-Bissau wurde Luís Cabral Staatspräsident und tugiesische Soldaten 50 streikende Arbeiter und verletz- blieb es bis zum Putsch von João Vieira 1980; in der ten über 100, was die Spannungen zwischen der PAIGC Republik Kapverde übernahm Aristide Pereira dieses und den Kolonialbehörden wesentlich verschärfte. Ab Amt bis zu seiner Abwahl 1991. In den ersten Parla- 1961 wechselte die Partei zur Strategie der «direkten mentswahlen auf den Kapverdischen Inseln im Juli 1975 Aktion» und zerstörte Brücken, elektrische Installatio- nahmen auch fünf Parteien teil, die sich gegen die Un- nen und Telefonverbindungen. Gleichzeitig begann sie abhängigkeit stellten, doch der PAIGC gewann sämtli- Cabo Verde und Guinea-Bissau Gemeinsame Befreiung – unterschiedliche Entwicklung

che Sitze. Vorerst bestand in beiden Ländern ein Ein- ensystem mit relativ knappen Mehrheitsverhältnissen parteienystem, das mit der nationalen Einheit und der herausgebildet. Der PAICV gehört heute der Sozialis- Priorität des «nation building» begründet wurde. In der tischen Internationalen an. Verfassung von 1981 wurde der PAICV als die «führen- Am 10. Kongress des PAICV 2003 verabschiedete de politische Kraft» des Landes bezeichnet. Die Partei die Partei eine Grundsatzerklärung. In zehn Punkten schlug zwar eine Einheitsliste vor, doch ging diesem wurden die Grundlinien ihrer Politik neu skizziert: Der Akt ein längerer Auswahlprozess mit öffentlichen Dis- PAICV sei eine Partei der Freiheit, der Gleichheit und kussionen in den Dörfern und den Quartieren voraus. der Solidarität. Sie bekennt sich zum «demokratischen Überhaupt versuchte die Partei durch breite Konsulta- Sozialismus» und zur sozialen Demokratie. In der Wirt-

tionen der Bevölkerung den Konsens zu finden. Nach schaftspolitik setzt der PAICV nun auf die Privatwirt- Cabo Verde, Guinea dem Putsch von 1980 in Guinea-Bissau beschlossen die schaft und erst an zweiter Stelle auf Staatswirtschaft. kapverdischen Mitglieder den Alleingang und der PAIGC In Guinea-Bissau regierte von 1974 bis 1998 der wurde zu «Partido Africano de Independência de Cabo PAIGC. In den ersten pluralistischen Parlamentswahlen 13 Verde» (PAICV) umbenannt. Damit wurde die ursprüng- 1994 hatte sie noch die absolute Mehrheit behalten. liche Idee einer Vereinigung von Cabo Verde mit Gui- Forrest sieht in der Politik von Luís Cabral (1974 –1980) nea-Bissau aufgegeben. und Nino Vieira (1980 –1998) einen der Hauptgründe für Ein heikler Punkt in der kapverdischen Innenpolitik die fehlgeleitete Entwicklung des Landes. Luís Cabral war die im Parteiprogramm des PAIGC geforderte Ag- gab überdimensionierten Industrialisierungsprojekten rarreform. Ziel dieser Reform war es, einerseits den den Vorzug gegenüber der Landwirtschaft. In den Par- Grossgrundbesitz auf den Inseln Santiago und Santo lamentswahlen von 1998 siegte die Oppositionspartei Antão zu beschränken, andererseits Kleinbesitz wie auf «Partido de Renovação Social» (PRS) von Kumba Yala, den Inseln Brava und Fogo zu vergrössern, um eine ra- während der PAIGC eine Niederlage erlitt. Dafür verant- tionelle Betriebsführung zu ermöglichen. Bei Enteig- wortlich machte man die herrschende Korruption, die nungen waren Entschädigungen vorgesehen. Um die Missachtung der Menschenrechte, die Straflosigkeit für Reform zu erklären sandte die Regierung Mitglieder der Rebellionen und Meutereien der Armee. Diese Probleme zuständigen Kommission auf die Inseln. Trotzdem kam bleiben bis heute bestehen, wie sich dies im erneuten es zu Tumulten und auf Santo Antão schoss ein junger Militärputsch von April 2012 zeigte. Soldat in die aufgeputschte Menge, ein Mann wurde getötet. Dies blieb jedoch der einzige schwere, politisch Gleicher Start – andere Entwicklung bedingte Zwischenfall in der jungen Republik. Colm Foy Die Entwicklung der beiden ursprünglich von der schrieb über den PAICV: «The fact that there are no PAIGC regierten Länder Cabo Verde und Guinea-Bissau political prisoners . . . indicates a remarkable degree of bis heute könnte nicht unterschiedlicher sein: Cabo Ver- freedom of speech in a country described as a ‹Marxist de erfreut sich seit seiner Unabhängigkeit 1975 grosser regime›.» Ähnlich stellte auch die «Neue Zürcher Zei- politischer und sozialer Stabilität. Der Übergang zum tung» fest: «Man kann freimütig mit Caboverdianos re- Mehrparteiensystem gelang ohne gravierende Schwie- den und gewinnt dabei den Eindruck, dass die Einheits- rigkeiten, ebenso wie zwei demokratische Regierungs- partei . . . die Konkurrenz anderer Parteien ebenso we- wechsel. Wirtschaftlich schaffte die kleine Republik den nig zu fürchten braucht wie die menschenrechtlichen Sprung von der Gruppe der ärmsten in die Gruppe der Ermittlungen von Amnesty International.» (23. Juni mittleren Entwicklungsländer. Cabo Verde erreichte in 1986). Aussenpolitisch hatten die Regierungen des einem Ranking zur «Good Governance» den zweiten PAIGC bzw. des PAICV konsequent eine Politik der Block- Rang aller afrikanischen Länder. freiheit verfolgt und sowohl mit dem Ost- wie dem West- In der Politik Guinea-Bissaus spielen verschiedene block Verträge zur entwicklungspolitischen Zusammen- Faktoren eine Rolle, die wir in Cabo Verde nicht finden: arbeit geschlossen. Konflikte zwischen Ethnien, zwischen verschiedenen Teilen der Armee und den Parteiflügeln sowie Waffen- Der Übergang zum Mehrparteiensystem und Drogenhandel. Das Land wurde auf Rang 47 von Im Zusammenhang mit der Forderung nach wirt- 53 afrikanischen Staaten platziert. Ob Guinea-Bissau schafts- und parteipolitischer Öffnung durch jüngere nach dem letzten Militärputsch den Weg zurück zur Parteimitglieder und der Auflösung des Sowjetblocks Demokratie findet und welche Rolle der PAIGC dann änderte der PAICV die Verfassung und liess auch ande- spielen wird, ist ungewiss.  • re Parteien zu. In den Wahlen zur Nationalversamm- lung von 1991 erreichte der liberale «Movimento para Democracia» (MpD) unter dem Stichwort «mudança» 56 von 72 Sitzen und stellte überraschend den Staats- präsidenten. 1995 konnte der MpD die gleiche Sitzzahl bewahren. In den zehn Jahren der MpD-Regierung wur- de das Personal des Staates praktisch vollständig aus- gewechselt, zahlreiche Staatsfirmen privatisiert und die Staatsverschuldung nahm deutlich zu. In den Wah- len von 2000 eroberte der PAICV die Parlamentsmehr- heit mit 40 von 72 Sitzen zurück, was auch 2006 (41 Der Historiker Daniel V. Moser war Geschichtslehrer und Fachhochschuldozent. Mit Cabo Verde ist er seit 1988 über Sitze) und 2011 (38 Sitze) gelang. Trotz Proporzwahl- Projekte im Schulbereich verbunden (siehe www.bildungafrika.ch). recht hat sich auf Cabo Verde faktisch ein Zweipartei- Kontakt: [email protected]. Literatur

Buchbesprechungen

Als Augenärztin in Südafrika heid. Es zeigt die beharrliche Jubeln auch die bm. 120 Seiten umfasst die Hartnäckigkeit, mit der die LeiharbeiterInnen und mit zahlreichen fotografischen Augenärztin ihre Ziele verfolgt die Vertriebenen? Abbildungen versehene sorgfältig und dabei sich gegenseitig sg. Holcim, die einstige gestaltete Lebensgeschichte verstärkende Hindernisse wie Holderbank-Zement AG, ist in den der Basler Augenärztin Erika Rassismus, Frauenfeindlichkeit, gerade 100 Jahren seines Be- Sutter, die für ihre Verdienste zur schulmedizinische Borniertheit stehens zum weltweit grössten Prävention der Blindheit und zu überwinden hat. Einige dieser Konzern der Baustoffindustrie Förderung der Basisgesundheit Hindernisse müssen zwischen geworden mit Tochterunterneh- in Südafrika zahlreiche inter- den Zeilen erahnt werden – wie men auf allen Kontinenten – in nationale Ehrungen erfahren hat. es sich für eine zurückhaltend über 70 Ländern. Da ist man Das Buch ist in einem dialogi- erzählte baslerische Biografie und frau als SchweizerIn fast ein schen Prozess zwischen der geziemt. • wenig stolz, vor allem weil heute 95jährigen Protagonistin Gertrud Stiehle: Erika Sutter. Mit anderen Holcim sorgfältig ein Image der Augen gesehen – Erinnerungen einer und der Autorin entstanden. Schweizer Augenärztin. Basel 2011 (Basler Nachhaltigkeit sowohl in öko- Anschaulich wird das Heran- Afrika Bibliographien). logischer, wirtschaftlicher wie wachsen der jungen Frau in einer sozialer Hinsicht pflegt. Die Basler Familie der Zwischen- Neues Spitzenposition im Dow Jones kriegszeit, das Studium in der Südafrika-Geschichtsbuch Index für Nachhaltigkeit und die geistigen Enge der Kriegsjahre bm. Zur südafrikanischen freiwillige Selbstverpflichtung und die Auflehnung gegen die Geschichte gab es bisher keine des «global compact» auf der vorgegebene Geschlechterrolle umfangreiche Literatur in Fahne sind auch für Börsen- beschrieben. Internationale deutscher Sprache und keines der geschäfte höchst relevante Kontakte über ImmigrantInnen bestehenden Werke zeichnet die Marken des Konzerns. und Reisen geben wesentliche Zeit nach dem Ende der Apartheid An der Peripherie der Welt- Impulse für die schwierige nach. Diese Lücke hat der in Essen öffentlichkeit, wo schwache Berufswahl. Schliesslich folgt der lehrende Historiker Christoph Staaten zur Privatisierung und Entschluss, sich für eine Stelle als Marx jetzt in verdienstvoller zum Ausverkauf ihrer Ressourcen Laborfachfrau im Missionsspital Weise geschlossen. Sein detail- gezwungen werden, kann aller- Elim im Norden Südafrikas zu reiches, anschauliches Buch dings ein anderer Wind wehen – bewerben. 1952 trifft Erika Sutter beschreibt auf knappem Raum die Nichteinhaltung von Selbst- in Elim ein, wo sie bis zu ihrer die Geschichte Südafrikas – der verpflichtungen wird hier kaum Pensionierung 1984 leben und Wiege der Menschheit – von geahndet. Das Buch berichtet wirken wird. Betroffen durch die prähistorischer Zeit bis in die über die zahlreichen Scharten vielen Fälle von Blindheit lässt unmittelbare Gegenwart. und Risse im menschen- und sie sich in Südafrika zur Augen- Spannend ist die Lektüre, weil umweltfreundlichen Mäntelchen ärztin ausbilden und verlässt der Autor für seine Darstellung auch dieser multinationalen bald die engen Pfade der auf ein breites Register von Firma. Der Herausgeber Multi kurativen Medizin. Sie erkennt historiographischen Ansätzen Watch ist ein Verein zur Doku- die Bedeutung der Prävention zurückgreift und sich keineswegs mentation von Menschenrechts- und die Notwendigkeit, die auf Ereignisgeschichte be- verletzungen und Umwelt- Bevölkerung, insbesondere die schränkt. Seine Erklärungsmuster zerstörung durch internationale Mütter, aktiv in diese Arbeit umfassen Wirtschaftspolitik, Konzerne mit Sitz in der einzubeziehen. Zusammen mit Kriegstechnik, soziopolitische, Schweiz. • der Hilfspflegerin Selina Mapho- kulturelle, ideelle und ethno- Multi Watch (Hrsg.): Zementierte Profite – verwässerte Nachhaltigkeit. Ein Blick auf rogo setzt sie das basismedi- logische Deutungen ebenso wie den Schweizer Konzern Holcim. Zürich 2012 zinische Konzept der Care Groups technologische und institutionel- (Edition 8). in die Praxis um. Ihre Arbeit le Entwicklungen. Die lokalen findet fortan vor allem in den Ereignisse setzt er in den Neubeginn Dörfern statt. Und der Erfolg gibt jeweiligen globalen Zusammen- bfr. Die beiden Freunde den beiden Frauen Recht: die für hang. Dabei ist sein Blick auf die Dumisani und Doogal alias die Erblindung verantwortliche verschiedenen AkteurInnen «Doo-Dudes» besuchen die vierte Infektionskrankheit Trachom geprägt von einer kritischen Klasse einer typischen südafrika- kann über die Mobilisierung der Äquidistanz, welche mit ihren nischen Primarschule. Jedes Kind Afrikanerinnen besiegt werden. prägnant formulierten Einschät- hat einen passenden Spitznamen. Das Buch gibt konkrete Einblicke zungen die Lektüre besonders Und so erstaunt es nicht, dass in die Verhältnisse in einem lohnenswert macht. • auch für Tommy, der mitten im Missionsspital im ländlichen Christoph Marx: Südafrika. Geschichte Schuljahr neu in die Klasse kommt, und Gegenwart. Stuttgart 2012 (Verlag Südafrika im Kontext der Apart- Kohlhammer). schnell ein Name gefunden wird: Musik

Buchbesprechungen Neue CDs

Tommy Mütze. Denn der Neue trägt eine Skimütze, die nur die Augen frei lässt und diese trägt er immer. Sogar beim Essen nimmt er sie nicht ab. Natürlich

versuchen die MitschülerInnen Bücher und Musik hinter das Geheimnis zu kommen. Als SchülerInnen aus der fünften Klasse versuchen Tommy die 15 Mütze mit Gewalt zu entreissen, führt dies zu einer Solidaritäts- welle in seiner Klasse . . . Die Autorin, aufgewachsen unter der Apartheid, zeichnet über eine Schulklasse mit Schüler- Shangaan Electro durch. Shangaan Electro verbin- Shangaan Electro. New Wave Innen verschiedener Hautfarbe Wie ein Lauffeuer verbreiten det mühelos Subversion, Under- Dance Music from South Africa. CD und Vinyl. Honest und unterschiedlichem kulturel- sich verschiedene neue Stile ground-Kultur und Tradition mit Jon’s Records. lem Hintergrund ein sehr har- elektronischer afrikanischer Tanz- moderner minimaler Elektronik. monisches Bild des heutigen musik. So erobern aus Angola Das alles wirkt nicht aufgesetzt, Shangaan Shake. Compilation. Remixes. 2 CDs. Südafrikas. Erzählt werden die , und Artver- sondern ganz natürlich. So ist Honest Jon’s Records. Ereignisse aus Dumisanis Sicht. wandtes die tanzende Welt. Aus Shangaan Electro nicht einfach Jagwa Music. Bongo Entstanden ist eine lustige Südafrika, besonders aus dem Untergrundmusik, sondern Pop Hotheads. CD inkl. Bonus Geschichte über Vorurteile, Johannesburger Stadtteil Soweto, für die ganze Familie. • Videos. Crammed Discs. Toleranz, Solidarität und über die kommt nun über zahlreiche Zu Kuduro und Schwierigkeit eines Neubeginns. Mixes und Maxi-Singles die ultra- Jagwa Music artverwandter Musik gibt Baobab Books produziert in schnelle Tanzmusik Shangaan. Aus Tansanias Hauptstadt es verschiedene, leider Zusammenarbeit mit erfahrenen Und die Band Shangaan Electro Dar es Salaam kommt die Gruppe manchmal gar kommerzielle, Sampler. Hier zwei empfeh- Pädagogen anschauliches tourt erfolgreich durch Europa. Jagwa Music. Einige ihrer Mit- lenswerte Kuduro-Projekte: Begleitmaterial für den Unterricht, Ihr frischer Stil zwischen traditio- glieder sind als illegale Minibus- Batida. Electronic Kuduro dieses steht auf der Webseite neller südafrikanischer Musik, fahrer tätig. Doch ihre Haupt- meets Vintage 70s Angolan www.baobabbooks.ch kostenlos Gesang und Rhythmik verbindet tätigkeit ist das Tüfteln an ihrem . CD und Vinyl. zur Verfügung. • sich mit minimaler Elektronik. eigenen Sound. Sie sind so etwas Soundway Records. Jenny Robson: Tommy Mütze. Basel 2012 Ihr Tempo bringt die Tanzenden wie die Congotronics (z.B. die Buraka Som Sistema. Black (Baobab Books). richtig zum Schwitzen und Strassenband Konono No. 1) Diamond (2008) und Komba FreundInnen elektronischer Musik Ostafrikas. Mit einfachen Mitteln (2011). Fabric Records. Handgepäck zum Schwärmen und Staunen. produzieren Jagwa Music einen bfr. Verschiedene Autoren Als eigentlicher Entwickler und minimalistischen Sound aus Casio- und Autorinnen zeichnen ein Bild Produzent dieser faszinierenden Keyboard, übersteuerten Ver- von Land und Leuten, lassen uns Musik gilt Richard Hlungwani stärkern und schnellen Trommel- in die Vergangenheit eintauchen genannt Nozinja. Im Gegensatz schlägen. Eine Art Trance-Musik, und die Gegenwart Namibias zur bekannten südafrikanischen begleitet von einem Gesang, und Südafrikas erkunden. Keine Musikrichtung baut welcher sich zum Alltag und zum Reiseführer und doch zwei Führer Shangaan radikal auf die traditio- aktuellen Befinden äussert. für die Reise. Ideale Reisebe- nelle Musik der Tsonga, auch Verstärkt wird die Show durch gleiter, die nicht nur die schönen Shangaan genannt. Keyboards, einen lasziven Tanz, ähnlich wie Landschaften beschreiben, Marimba-Klänge, Gesang und beim Kuduro aus Angola oder sondern uns Geschichten er- Tempo (180 Beats pro Minute!) dem Mapouka aus der Elfenbein- zählen und so die Geschichte kreieren etwas Neues. Dazu gibt küste. In Tansania selber gilt näher bringen. • es irrwitzige Tänze. Die skurril Jagwa Music bei vielen Menschen Die Besprechung verfasste Manfred Loimeier: Südafrika fürs maskierten und unheimlich als subversiv, punkig oder anar- Pius Frey. Handgepäck. Zürich 2011 (Unionsverlag); Hans-Ulrich Stauffer: Namibia fürs wirkenden Tshetsha Boys bringen chistisch – vielleicht weil sie live Bezugsadresse für CDs: Handgepäck. Zürich 2012 (Unionsverlag). ihren Shangaan-Tanz. Weitere mit Lebensfreude und Tänzen Buchhandlung Comedia, TänzerInnen begeistern mit ansteckt. Zu uns kam Jagwa Katharinengasse 20, fantastischer Hüft- und Fussakro- Music dank dem umtriebigen 9004 St. Gallen. batik. SängerInnen geben ihr Musikethnologen Werner Graebner. [email protected]. Bestes. Live ein grossartiges, an- Dieser engagiert sich seit Jahr- www.comedia-sg.ch, mit steckendes Erlebnis. Auch beim zehnten für die ostafrikanische umfassendem Hören der Platte kommt diese Küsten- und Inselmusik, besonders Angebot aktueller CDs mit positive Dringlichkeit bestens für den betörenden . • Musik aus Afrika. Tagung: 100 Jahre ANC

Zwischen Befreiungsbewegung und Regierungspartei

21. und 22. September 2012 Filmprogramm zum Thema 100 Jahre African National Congress bietet An- 1. September: Skoonheid (Spielfilm). Südafrika/ lass zu einer Reflexion über das heutige Südafrika. Frankreich 2011, afrikaans/englisch (dt. UT), Südafrikanische Akteure unterschiedlichen Hin- Regie: Oliver Hermanus tergrunds debattieren mit dem Publikum über 8. September: Im Schatten des Tafelberges Fragen, die sich hinsichtlich des Jubiläums und (Dokumentarfilm). Südafrika/Deutschland der Zukunftsperspektiven des Landes stellen. 2009, englisch/afrikaans (dt. UT), Die Tagung wird am Freitag um 18.15 Uhr mit Regie: Alexander Kleider und Daniela Michel einem öffentlichen Vortrag (Carl Schlettwein Lec- 22. September: Story of a Beautiful Country ture 2012) von Dr. Mamphela Ramphele eröffnet. (Dokumentarfilm), Südafrika 2004, englisch, Sie spricht zum Thema: The Status of Socio-econo- Regie: Khalo Matabane mic Equity and Democratic Freedom in South Af- 29. September: Cry Freedom (Spielfilm), rica Today. Grossbritannien, 1987, englisch (dt. UT), Regie: Richard Attendborough Ort: Basler Afrika Bibliographien, Klosterberg 23, 4051 Basel Ort: Neues Kino Basel, Klybeckstrasse 247, Anmeldung: [email protected] 4057 Basel, Filmbeginn 21 Uhr, Barbetrieb ab www.zasb.unibas.ch/events 20 Uhr, Eintritt CHF 13.– www.apartheid-reparations.ch www.neueskinobasel.ch

www.klett-cotta.de

Die ergreifende Lebensgeschichte der großen Friedensaktivistin und

1,– Euro Frauenrechtlerin pro Buch geht an Women Peace and Security Network In entwaffnender Offenheit erzählt die Friedens nobelpreisträgerin Leymah R. Africa Gbowee, wie sie zur Frauen- und Friedensaktivistin wurde: Als der 14 Jahre währende Bürgerkrieg in Liberia ausbricht, will die 17-Jährige Kinderärztin werden. Stattdessen schlittert sie im Bürgerkriegschaos in eine von sexueller Gewalt geprägte Beziehung und hat sechs Jahre später vier Kinder, keine Ausbildung und keine Ziele mehr. Über ein Praktikum als Streetworkerin mit Kindersoldaten erwacht sie endlich aus ihrer Lethargie und nimmt ihr Leben selbst in die Hand. Nun wird sie im Wortsinn zur Powerfrau, die sich und anderen die Befreiung aus den Gewaltstrukturen lehrt und die Beteiligung von Frauen am politischen Leben einfordert. Leymah Roberta Gbowee, unter Mitarbeit von Carol Mithers Wir sind die Macht Die Autobiographie der Friedensnobelpreisträgerin Aus dem Amerikanischen von Susanne Held 319 Seiten, gebunden mit SU, € 21,95 (D) / sFr 29,90

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