Plenarprotokoll 14/56

Deutscher

Stenographischer Bericht

56. Sitzung

Berlin, Freitag, den 17. September 1999

I n h a l t :

Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): Christian Simmert BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN...... 5016 D a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Dr. Ilja Seifert PDS...... 5017 D zes über die Feststellung des Bundeshaus- haltsplans für das Haushaltsjahr 2000 Klaus Holetschek CDU/CSU...... 5018 C (Haushaltsgesetz 2000) (Drucksache Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5020 D 14/1400) ...... 4999 A Klaus Holetschek CDU/CSU...... 5021 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1999 bis 2003 Dieter Dzewas SPD ...... 5021 C (Drucksache 14/1401) ...... 4999 B Manfred Kolbe CDU/CSU ...... 5023 D c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Sanierung des Bundeshaushalts – Einzelplan 15 Haushaltssanierungsgesetz (Drucksache Bundesministerium für Gesundheit 14/1523) ...... 4999 B , Bundesministerin BMG...... 5024 D Manfred Kolbe CDU/CSU ...... 5028 B Einzelplan 17 SPD ...... 5030 A Bundesministerium für Familien, Se- nioren, Frauen und Jugend Manfred Kolbe CDU/CSU ...... 5031 A Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin Dr. Ilja Seifert PDS...... 5032 A BMFSFJ...... 4999 C Eckhart Lewering SPD ...... 5032 B Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 5003 A Detlef Parr F.D.P...... 5034 A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE Dr. PDS ...... 5036 C GRÜNEN...... 5005 A Helga Kühn-Mengel SPD...... 5037 D Ina Lenke F.D.P...... 5006 B Wolfgang Zöller CDU/CSU ...... 5039 C Klaus Haupt F.D.P...... 5007 A Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE Sabine Jünger PDS...... 5009 D GRÜNEN ...... 5041 B Hildegard Wester SPD...... 5011 B Dr. Ilja Seifert PDS...... 5041 D Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 5014 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ Hildegard Wester SPD...... 5014 C CSU ...... 5042 C Thomas Dörflinger CDU/CSU ...... 5015 D Rudolf Dreßler SPD...... 5043 D II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Dr. Martin Pfaff SPD...... 5045 B Hans Georg Wagner SPD ...... 5065 C Jürgen Koppelin F.D.P...... 5046 B Dr. PDS ...... 5057 C Wolfgang Zöller CDU/CSU ...... 5047 C Bartholomäus Kalb CDU/CSU...... 5068 A

Hans Eichel, Bundesminister BMF...... 5048 B Nächste Sitzung ...... 5069 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS...... 5049 D Anlage 1 Dr. CDU/CSU...... 5052 B Liste der entschuldigten Abgeordneten ...... 5071 A Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5057 D Jürgen Koppelin F.D.P...... 5061 A Anlage 2 Dr. Uwe-Jens Rössel PDS...... 5063 D Amtliche Mitteilungen...... 5071 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 4999

(A) (C)

56. Sitzung

Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Guten Morgen, liebe Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa- Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. milie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den letzten Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-Tagen ist an dieser Stelle schon manches über die unter- nungspunkt 1 a bis 1 c – fort: schiedlichen Aspekte des Zukunftsprogrammes 2000 ge- sagt worden. Trotzdem denke ich, daß es notwendig ist, a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- noch ein paar grundlegende Punkte anzusprechen, da ja gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die– vor allen Dingen gestern – von der Opposition zum Feststellung des Bundeshaushaltsplans für dasTeil einige abenteuerliche Behauptungen aufgestellt Haushaltsjahr 2000 (Haushaltsgesetz 2000)worden sind. – Drucksache 14/1400 – Als Ministerin, die sich in ihrem Aufgabenbereich für Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß alle gesellschaftlichen Gruppen – für Jung und Alt – ver- (B) antwortlich fühlt, halte ich es für unsere wichtigste Auf-(D) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- gabe, eine Politik zu betreiben, diesoziale Gerechtigkeit gierung Finanzplan des Bundes 1999 bis 2003: zwischen den Generationen herstellt und die eben nicht – Drucksache 14/1401 – zu Lasten der kommenden Generationen geht. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Haushaltsausschuß DIE GRÜNEN) c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und Deshalb kann man nicht oft genug wiederholen: Eine BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachtenPolitik, die die finanziellen Lasten in die Zukunft ver- Entwurfs eines Gesetzes zur Sanierung desschiebt, ist eine unsoziale Politik. Sie ist unsozial ge- Bundeshaushalts – Haushaltssanierungsgesetz genüber unseren Kindern und Enkelkindern, denen sie (HSanG) – Drucksache 14/1523 – ihre Zukunftschancen verbaut. Angesichts des Schul- Überweisungsvorschlag: denberges, den die alte Regierung aufgetürmt hat, ist Haushaltsausschuß (federführend) Sparen geradezu eine Zukunftsinvestition zugunsten der Innenausschuß jungen Generation. Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung DIE GRÜNEN) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Lassen Sie mich noch auf einige Punkte eingehen, die Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen deutlich machen, wo diese Bundesregierung Schwer- Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder punkte setzt und wo – trotz aller Sparnotwendigkeiten – Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Ich erinnere daran, daß wir am Mittwoch für die Wenn Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU, heutige Aussprache eine Debattenzeit von insgesamtdie Familienpolitik ins Zentrum Ihrer Politik rücken 4,5 Stunden beschlossen haben. wollen, dann kann ich das nur begrüßen; das ist sehr lo- benswert. Wir kommen jetzt zumGeschäftsbereich des Bun- desministeriums für Familien, Senioren, Frauen und (Zuruf von der CDU/CSU: Haben wir schon Jugend. Das Wort hat die Ministerin Christine Berg- immer gemacht! – Maria Eichhorn [CDU/ mann. CSU]: Das ist nichts Neues!) 5000 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Bundesministerin Dr. Christine Bergmann (A) Ihre Schwerpunktsetzung zeigt natürlich aber auch, daß Ich möchte ganz kurz auflisten, was wir sonst noch(C) Sie begriffen haben, daß es offensichtlich beträchtliche für die Familien tun. Die Senkung des Eingangssteuer- Versäumnisse in der Zeit gab, in der Sie regiert haben. satzes im Rahmen unseres Steuerentlastungsgesetzes kommt besonders Familien zugute, genauso wie die Er- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ höhung der Grundfreibeträge. Ich möchte auch die DIE GRÜNEN) Zahlen nennen, um sie noch einmal zu vergegenwärti- Einsicht ist zwar immer der erste Weg zur Besserung.gen: Die Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern wird im Aber dennoch muß ich sagen, daß die Versäumnisse in nächsten Jahr um etwa 2 200 DM entlastet. diesem Bereich, die Ihnen anzulasten sind, wirklich ganz (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Und mit der erheblich sind. Von den Familien hört man – man Ökosteuer belastet!) braucht dazu gar nicht das Bundesverfassungsgericht zu bemühen –, daß Versäumnisse bei der finanziellen För- – Diese Zahlen hören Sie nicht gerne. Trotzdem stim- derung der Familien an allen Ecken und Enden zu finden men sie. Sie können auf eine solche Leistung in Ihrer sind. Legislaturperiode nicht zurückblicken. Aber darüber hinaus gibt es noch Versäumnisse an Im Jahre 2002 werden die Familien um etwa 3 000 anderen Stellen. Familienpolitik hat nämlich nicht nur DM entlastet. Dies zeigt doch sehr deutlich: Wir reden etwas mit Finanzen zu tun. Familienpolitik hat auch et- nicht dauernd davon, wie wichtig die Familien sind, was mit dem Bild der Familie in der Gesellschaft und sondern wir tun wirklich etwas für sie. damit zu tun, welche Rahmenbedingungen geschaffen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ werden, die die Familien brauchen, um ihr Leben nach DIE GRÜNEN – Joachim Hörster ihren Vorstellungen gestalten zu können. In diesem Be- [CDU/CSU]: Das werden wir sehen!) reich haben Sie durch Ihre Politik in den letzten Jahren sehr viel versäumt. Dies hat etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun, mit ei- ner Gerechtigkeit, die Sie, meine Damen und Herren (Ina Lenke [F.D.P.]: Das stimmt nicht!) von der CDU/CSU, während Ihrer Regierungszeit sträf- lich vernachlässigt haben. Mit dem Regierungswechsel haben wir begonnen, die Situation von Familien grundlegend zu verbessern. Wenn ich in dieser Woche lese, daß der CDU- Sozialminister von Baden-Württemberg, Herr Repnik, (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wo denn? sagt: „Wir müssen jetzt endlich das Kindergeld erhö- Durch die Ökosteuer vielleicht?) hen“, dann kann ich darauf nur erwidern: Das ist etwas – Keine Sorge, ich gebe Ihnen jetzt die Antwort: Zumzu spät. Wir haben es ja gerade erhöht. Seine Forderung (B) einen – das wissen Sie genau – haben wir das Kinder-wäre in den letzten 16 Jahren sicherlich eher angebracht (D) geld sofort um 30 DM erhöht. Ich erinnere in diesemgewesen. Aber mit dem Gedächtnis haben Sie ja so Ihre Zusammenhang noch daran: Die letzte Kindergelderhö- Probleme. hung – man kann diese Tatsache nicht oft genug erwäh- (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wenn Sie so nen – viel tun wollen, wie wir getan haben, dann müssen Sie die Leistungen verdreifachen!) (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Ja, wann war denn das?) Mein oberstes Ziel bei der Aufstellung des Haushalts 2000 war es, die familienpolitischen Leistungen in mei- ist in der letzten Legislaturperiode gegen Ihren Willen nem Ressort nicht anzutasten. Das bedeutet: Von den zustande gekommen, und zwar auf Betreiben der sozial- 11 Milliarden DM meines Haushalts sind 8 Milliarden demokratisch regierten Länder im Bundesrat. Auch das DM für familienpolitische Leistungen gebunden, über- gehört zur Wahrheit. wiegend für das Erziehungsgeld. (Beifall bei der SPD und der PDS) (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das ist aber Zum anderen werden wir im Zusammenhang mit den nicht Ihre Leistung! Das war die Leistung der Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichtes zum 1. Ja- Vorgängerregierung!) nuar das Kindergeld nochmals um 20 DM erhöhen. Die Mittel für familienpolitische Leistungen machen al- so 73 Prozent des Gesamtetats aus. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Stimmt! Und das hat zu dem Schuldenberg beigetragen, den (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Sie uns ständig vorwerfen!) Das sind doch gesetzliche Leistungen, Frau Bergmann! Das kam doch von uns!) Sie wissen, daß dies eine soziale Komponente ist; denn die Kinderfreibetragsregelung, mit der wir demWenn ich hier keine Kürzungen vornehme, dann heißt Beschluß des Bundesverfassungsgerichts Folge leisten, das natürlich, daß in anderen Bereichen gespart werden ist allein eben nicht sozial gerecht, weil durch sie diemuß. Darauf werde ich noch eingehen. Wir setzen trotz Familien, die viele Steuern zahlen und sich deshalb die aller Sparnotwendigkeiten, von denen alle Ressorts be- Freibeträge voll anrechnen lassen können, begünstigttroffen sind und denen sich folglich auch mein Ressort werden, während Familien, die nur wenige oder gar kei- nicht entziehen konnte – mein Ministerium muß Einspa- ne Steuern zahlen, dies nicht tun können. Wir erbringen rungen in Höhe von 880 Millionen DM erbringen –, ein hier also eine zusätzliche Leistung für Familien. ganz deutliches familienpolitisches Signal. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5001

Bundesministerin Dr. Christine Bergmann (A) Ich möchte auch darauf hinweisen: Familienpolitik schaft. Sie sind eine Bereicherung. Ich sage das in allem (C) erstreckt sich nicht nur auf finanzielle Aspekte. Bei der Ernst. Anpassung der Rahmenbedingungen für junge Familien (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten an die veränderten Lebenswirklichkeiten befinden wir des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) uns auf einem guten Weg. Wir werden demnächst eine Neuregelung des Erziehungsurlaubs einbringen, um Be- Ein Großteil der Menschen, die in den Ruhestand gehen dingungen zu schaffen, die es den jungen Familien er- – viele gehen häufig nicht ganz freiwillig mit 55 Jahren möglichen, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es wollen. sehr früh in den Ruhestand – , ist aktiv und vital, bringt sich in die Gesellschaft ein, arbeitet ehrenamtlich und tut (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sehr viel, zum Beispiel für die junge Generation. Wir DIE GRÜNEN – Hannelore Rönsch [Wiesba- haben uns auf die Fahnen geschrieben, die Rahmenbe- den] [CDU/CSU]: Was hat diese Regierung dingungen für dieses Engagement weiter zu verbessern, damit zu tun? Das sind doch Gesetze, die Sie um deutlich zu machen, daß es sich um Ressourcen in vorgefunden haben!) unserer Gesellschaft handelt, die wir nutzen wollen. Die In bezug auf die Familienstrukturen gibt es einen großen älteren Menschen sind uns viel wert. Wir betrachten sie Nachholbedarf. als eine Bereicherung in der Gesellschaft. Ich denke, das Ziel einer verbesserten Vereinbarkeit (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ von Beruf und Familie, sowohl für Mütter als auch für DIE GRÜNEN) Väter – die Vereinbarkeit ist nicht nur ein Problem der Wir dürfen auf der anderen Seite aber auch die hilfs- Mütter; das kann man gar nicht oft genug sagen –, ge- und pflegebedürftigen alten Menschen nicht vergessen. hört auch zu einer modernen Gleichstellungspolitik. Un- Trotz der bekannten Qualitätsmängel sowohl in Heimen ser Ziel ist es, gleiche Lebenschancen für Frauen undals auch bei den ambulanten Diensten ist die alte Bun- Männer in allen Lebensbereichen zu schaffen. Wir ha- desregierung sehr untätig geblieben. Wir arbeiten einen ben einen Eckpfeiler mit demProgramm „Frau und kräftigen Reformstau ab. Beruf“ gesetzt, das zum Teil schon umgesetzt worden ist. Wir haben für dieses Programm die notwendigen (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Sie haben bis- Mittel bereitgestellt. her nur geredet und nichts getan! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Ich möchte an dieser Stelle auch darauf aufmerksam machen, daß wir in dieses Programm mit den – IT-Wenn Sie mit dem Kopf schütteln, dann frage ich Sie: Berufen einen neuen Punkt aufgenommen haben. MitWo sind denn die Gesetze? der Initiative „D 21“ und dem Aktionsprogramm „Inno- (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (D) vation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) im 21. Jahrhundert“ fördern wir Maßnahmen, durch die Frauen in die neuen IT-Berufe gelangen, damit dieserWir sind diejenigen, die die bundeseinheitliche Alten- zukunftsträchtige Arbeitsmarkt Frauen genauso offen- pflegeausbildung auf den Weg gebracht haben; wir sind steht wie Männern. diejenigen, die jetzt das Heimgesetz novellieren. Wenn Sie so empört sind, dann kann ich Sie nur auffordern: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Beteiligen Sie sich! Machen Sie Ernst mit einer kon- DIE GRÜNEN) struktiven Arbeit! Ich möchte an dieser Stelle nicht mehr darüber sagen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir haben ja vorige Woche über das Programm „Frau DIE GRÜNEN) und Beruf“ diskutiert. Das werden wir auch noch an Gerade wenn es darum geht, bei der Pflege Qualitätssi- vielen anderen Stellen tun. cherung durchzusetzen, die Heimaufsicht zu verbessern (Zuruf von der F.D.P.: Nichts ist das, nur hei- und die Mitwirkung der Heimbewohner zu verstärken, ße Luft!) dann handelt es sich nicht um ein Thema, über das man sich parteipolitisch streiten muß. Ich lade Sie zu einer Wir haben in den letzten Tagen sehr viel über die Zu- konstruktiven Mitarbeit ein, damit wir den rechtlichen kunft unserer Alterssicherungssysteme gesprochen, ein Rahmen für eine Verbesserung der Situation schnell Punkt, der uns in zweierlei Hinsicht sehr am Herzenschaffen können. liegt. Es geht um Alt und Jung. Es geht zum einen dar- um, die Renten der Älteren zu stabilisieren und zu si- Wir haben in den letzten Tagen schon mehrfach über chern. Es geht zum anderen darum, den Jungen klarzu- das Thema „Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit“ machen, daß ihre Beiträge nicht ins Unendliche steigen gesprochen. Als Jugendministerin liegt mir dieses The- werden und daß die Alterssicherungssysteme für sie at- ma sehr am Herzen. Wir haben über das Sofortpro- traktiv bleiben werden. gramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ge- sprochen. Wir haben mit diesem Programm vielen Ju- Mir ist ein Aspekt, den ich hier gerne ansprechengendlichen wieder Hoffnung gegeben. Es geht uns um möchte, etwas zu kurz gekommen. Wenn wir über ältere alle Jugendlichen. Wir haben mit diesem Programm er- Menschen reden, dann dürfen wir nicht nur von Fi-reicht, daß 25 Prozent der Teilnehmerinnen und Teil- nanzen sprechen. Seniorinnen und Senioren in unse-nehmer – gerade als Berlinerin weiß ich, wovon ich rem Land sind keine Belastung für unsere Gesell-spreche – junge Leute waren, die schon aufgegeben 5002 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Bundesministerin Dr. Christine Bergmann (A) hatten, die in keiner Statistik mehr geführt wurden und dafür, daß alle Jugendlichen, auch die schwierigen, eine (C) die in keinem Arbeitsamt mehr aufgetaucht sind. WirChance bekommen. haben diese jungen Menschen erreicht. Ich halte das für einen großen Erfolg. (Zuruf von der CDU/CSU: Was machen Sie mit den Leistungsträgern?) (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Wie weit sind Sie von Ihrem Wahlkreis ent- Mit diesen lokalen Bündnissen wollen wir erreichen, fernt!) daß sich jeder in seiner Wohnungsbaugesellschaft oder in seinem Krankenhaus, in seinem Kiez oder in seinem Ihr Fraktionsvorsitzender hat vor einigen Monatensonstigen Umfeld danach umsieht, wo er noch etwas tun das böse Wort von der Ruhigstellung der Jugendlichen kann, um Jugendliche aufzufangen. Es ist uns ein Her- geprägt. Das stimmt mich bitter. zensanliegen, allen Jugendlichen eine Chance zu geben. Das, was wir in diesem Bereich machen, kann sich also (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: schon sehen lassen. Es ist ja auch bitter, was Sie machen!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Es war kein Ausrutscher. Das wird dadurch belegt, daß DIE GRÜNEN) Frau Merkel vor einigen Tagen in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ erklärt hat – ich war wie vom Meine Damen und Herren, mein Ziel war es, die er- Donner gerührt –, dieses Programm sei überflüssig und forderlichen Einsparungen im Haushalt meines Ministe- sie würde es am liebsten streichen. riums zu erreichen, ohne die familienpolitischen Lei- stungen wie das Erziehungsgeld zu kürzen, (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Es bringt ja nichts! Was hat es denn gebracht? Nichts! Lä- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das läßt sich cherlich!) beschleunigen, indem Sie das Ministerium auflösen!) – Reden Sie einmal mit den Jugendlichen, die durch die- ses Programm eine Chance bekommen haben und dieohne den Kinder- und Jugendplan zu beschneiden, ohne froh sind, einen Ausbildungsplatz, ein Trainingspro-den Altenplan zu beschneiden und ohne die Frauenpro- gramm oder einen Arbeitsplatz zu haben. Wenn Sie das jekte einzuschränken. Das haben wir erreicht. getan haben, sprechen wir wieder miteinander. Natürlich müssen wir unseren Konsolidierungsbeitrag (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ leisten. Wir werden das in erster Linie durch die Um- DIE GRÜNEN – Hannelore Rönsch [Wiesba- strukturierung des Zivildienstes erreichen. Damit rea- den] [CDU/CSU]: Auf welchem Stern sind Sie gieren wir aber nicht nur auf Haushaltsnotwendigkeiten. (B) (D) eigentlich, Frau Bergmann!) Vielmehr liegt seit langem die berechtigte Forderung auf dem Tisch, in bezug auf die Dauer zu einer stärkeren Es ist erfreulich, wenn von Ihrer Seite überhaupt ein Angleichung des Zivildienstes an den Wehrdienst zu Vorschlag kommt, wo man selber zu sparen gedenkt.kommen. Das schaffen wir damit auch. Wir werden aber Aber an dieser Stelle werden wir Ihren Vorschlag nicht auf jeden Fall – hierzu gibt es ja die eine oder andere aufgreifen. Dieses Programm wird mit weiteren 2 Milli- Debatte – immer absichern können – auch wenn in Zu- arden DM fortgesetzt. kunft 15 000 Zivildienststellen weniger besetzt werden können –, daß die Dienste im Sozialbereich, bei der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Pflege von Kranken und Behinderten, über eine ausrei- DIE GRÜNEN) chende Zahl von Zivildienstleistenden verfügen. Wir werden dieses Sofortprogramm aus dem Bereich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Jugendhilfe flankieren, weil es uns wirklich um je- DIE GRÜNEN) den Jugendlichen geht. Es geht uns vor allem um die Ju- gendlichen in densozialen Brennpunkten, die sehr Wir haben jetzt 140 000 Zivildienstleistende. In Zu- schlechte Startbedingungen haben. Wenn wir mit einem kunft werden es 124 000 sein. Gegenwärtig leisten zusätzlichen kleinen Programm – es handelt sich nicht 90 000 junge Männer ihren Zivildienst im sozialen Be- um ein 2-Milliarden-DM-Programm, aber um ein 15-reich. Wir sind natürlich im Gespräch mit den Wohl- Millionen-DM-Programm; auch das ist etwas – in den fahrtsverbänden. Wir werden es hinbekommen, daß in sozialen Brennpunkten versuchen, Jugendliche, die die diesem Bereich alle Leistungen abgedeckt werden kön- Schule abgebrochen haben, die die Ausbildung abge-nen. Hier habe ich durchaus ein gutes Gewissen, wenn brochen haben, die wirklich ein Stück weit wegge-wir in diesem Bereich unsere Vorgaben umsetzen. rutscht sind, dadurch in den Arbeitsmarkt zu integrie- ren, daß wir vor Ort lokale Bündnisse bilden und Schu- Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß len, Arbeitsämter, Betriebe, Krankenhäuser und jeden, noch einmal darauf hinweisen, daß schon der englische der in der Lage ist, einen solchen Jugendlichen auf-Philosoph und Politiker Edmund Burke im 18. Jahrhun- zunehmen, zusammenbringen, dann schließen wir eine dert festgestellt hat, daß der Staat eine Gemeinschaft ist weitere Lücke. „zwischen denen, welche leben, denen, welche gelebt haben, und denen, welche noch leben sollen“. Das ist ein Uns geht es bei unseren Bemühungen um die Inte-bißchen in Vergessenheit geraten; aber wir haben uns gration von Jugendlichen, aber auch darum, deutlich zu diese alte Weisheit wieder auf die Fahnen geschrieben. machen: Alle in der Gesellschaft sind mitverantwortlich Der Haushalt für das Jahr 2000, den wir hier vorlegen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5003

Bundesministerin Dr. Christine Bergmann (A) wird auch in meinem Einzelplan der Forderung gerecht, Wenn man dann noch bedenkt, daß Sie die Familien mit (C) Solidarität zwischen den Generationen zu schaffen. zwei und mehr Kindern von angemessener Förderung komplett abgekoppelt haben Danke schön. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Zuruf von der SPD) DIE GRÜNEN) – ich kann verstehen, Herr Kollege, daß auch Ihnen das weh tut –, empfinde ich das Ganze als ausgesprochen Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile nun der empörend. Kollegin Hannelore Rönsch, CDU/CSU-Fraktion, das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wort. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie Sie haben sich beim Unterhaltsvorschuß für die al- spricht jetzt über die Versäumnisse ihrer frü- leinerziehenden Mütter, der bisher hälftig vom Bund fi- heren Amtszeit!) nanziert wurde, insoweit aus der Förderung zurückgezo- gen, als daß der Bund nun nur noch ein Drittel zahlt. Alles andere können dann die Kommunen bezahlen. Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE verehrte Frau Ministerin, Ihre Rede hat ebenso wie Ihre GRÜNEN]: Nicht alles, aber auch etwas!) Arbeit in diesem Jahr deutlich gemacht, daß Ihr Ministe- rium zu einer Unterabteilung des FinanzministeriumsAber dann müssen die Kommunen andere Sozialleistun- gen kürzen. Wen trifft das wieder? Wieder dieselbe Per- verkommen ist. sonengruppe, nämlich die alleinerziehenden Mütter und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Väter. Lachen bei der SPD) Das Thema Ökosteuer sprechen Sie gar nicht mehr Ich hätte mir gewünscht, daß Sie heute, da Sie schonan. Sie wissen, wie bitter die Einführung dieser Energie- keine Mark mehr in der Tasche haben und auch vom Fi- steuer für Familien ist, weil sie in jedem Lebensbereich nanzminister nichts mehr bekommen, wenigstens einige davon betroffen sind. Gedanken vorgetragen hätten, wie Sie die Ihnen anver- trauten Personengruppen, die Familien, die Senioren, die (Zuruf von der SPD: Filzrede!) Frauen, die Jugendlichen, ideell stützen wollen. Familien sind die Leistungsträger unserer Gesell- Sie sind seinerzeit in der Koalitionsvereinbarung mit schaft. Sie hatten in Ihrer Rede eben einen ganz guten dem Anspruch „Aufbruch und Erneuerung“ angetreten. Ansatz, bei dem ich gedacht habe: Jetzt kommt etwas (B) (D) (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Oh ja, das war zur ideellen Stützung der Familien. schön!) (Zuruf von der SPD: Daran hätten Sie einmal Es stimmt, Sie haben an einigen Stellen Wort gehalten: vor sechs Jahren denken sollen!) Bewährte Strukturen sind aufgebrochen worden. Famili- Aber Sie haben kein Wort dazu gesagt, daß das pau- enförderung und Stützung der Familie findet nicht mehr schalierte Wohngeld um 20 Prozent gekürzt und auch statt. das auf die Kommunen übertragen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zuruf von der SPD: Auf die Bundesländer, In der Jugendpolitik gibt es keine innovativen Ideen. In nicht auf die Kommunen!) der Seniorenpolitik, Ministerin Bergmann, sind Sie komplett abgetaucht. Wir haben jetzt das Internationale Auch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben Jahr der Senioren. Was hat dieses Ministerium in dem Sie kein Wort gesagt. Hier hätten wir uns schon ge- von der UN ausgerufenen Jahr für die Senioren ge-wünscht, daß neue, innovative Ideen gerade für die jun- macht? gen Frauen und Männer, die Beruf und Familie verein- baren wollen, von Ihnen vorgetragen werden. (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Nichts!) Der Seniorenpolitik, Frau Ministerin, haben Sie gan- Ich komme nachher noch darauf zu sprechen. Auch ha- ze drei Minuten gewidmet. Ich verstehe das. Sie müssen ben Sie an keiner Stelle die Interessen der Frauen, die ein ausgesprochen schlechtes Gewissen haben. Sie ha- Ihr Ministerium wahrnehmen sollte, vertreten. ben Anfang des Jahres etwa 500 Senioren aus ganz Es ist ein Gesetzentwurf zurFamilienförderung Deutschland zu einem Kongreß nach Bonn eingeladen. vorgelegt worden, den Sie hier auch angesprochen ha- Man muß sich das vorstellen: Die älteren Menschen ben. Aber was tun Sie denn? Sie tun nur das, was daswollten dort zusammenkommen und die sie bedrängen- Bundesverfassungsgericht Ihnen zwingend vorschreibt, den Fragen mit Ihnen diskutieren. Aber Sie haben drei (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Tage vorher diesen Kongreß ganz einfach abgesagt; DIE GRÜNEN) manchen hat die Absage noch nicht einmal erreicht. keine Mark mehr. Familienförderung findet nicht mehr (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) statt. Wie gehen Sie mit alten Menschen um? Sie haben (Beifall bei der CDU/CSU) den Kongreß abgesagt, weil Ihr Kanzler wieder einmal 5004 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (A) ein Machtwort sprechen wollte. Sie haben alte Men-Kreativität und Durchsetzungskraft in diesem Kabinett (C) schen wegen Parteipolitik ausgeladen. zeigten. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) Wo waren Sie im Kabinett, als es um die Rente ging? Sie haben an Ihrer Seite eine Kabinettskollegin, die sich Jeder Minister – Sie eben auch – hat das Programm in Briefen an Rentner immer wieder für die nettolohnbe- für 100 000 neue Arbeits- und Ausbildungsplätze für zogene Rente eingesetzt hat, junge Leute angesprochen. Jeder meint wohl, er müsse dies noch einmal betonen, weil Sie sonst in der Jugend- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Ja, das hat sie politik nichts vorzuweisen haben. auch vergessen!) und zwar nicht nur in einem computergeschriebenen (Zuruf von der SPD: Typisch Rönsch! – Wei- Brief. Nein, mir liegt vor, daß man da noch ein Kreuz- tere Zurufe von der SPD) chen macht und mit der Hand darunterschreibt: „IchMeine Damen und Herren Kollegen, ich würde Ihnen verbürge mich selbst für die nettolohnbezogene Rente.“ empfehlen, zu Hause in Ihren Wahlkreisen Das war vor der Wahl. Nach der Wahl will man davon nichts mehr wissen. (Dieter Dzewas [SPD]: Das tun wir! Das un- terscheidet uns von Ihnen, daß wir das ma- ( [F.D.P.]: Wer war denn das?) chen!) Frau Ministerin, wo sind Sie? Was unternehmen Sie, – dann können Sie eigentlich gar nicht so reden – mal um die Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren mit den Jugendlichen, mit den Kreishandwerkerschaften, zu verbessern, um ihnen die Angst vor dem Alter zumit den Handwerkskammern, den Industrie- und Han- nehmen, die durch die leidvolle Diskussion, die Sie los- delskammern und den Arbeitsämtern zu reden. Dann er- getreten haben, entstanden ist? fahren Sie sehr schnell, was hier passiert: (Beifall bei der CDU/CSU) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dazu Frauenpolitik hat in Ihrem Ministerium überhaupt brauchen wir nicht Ihre Belehrungen, Frau keinen Stellenwert mehr, schon gar nicht unter dieser Rönsch!) Bundesregierung. Ich hatte gehofft, daß es Ihnen gelingt, Mit 2 Milliarden DM wird eine Bilanz gereinigt; Ju- in diesem Jahr das häßliche Kanzlerwort vom „Ministe- gendliche werden vorübergehend in Maßnahmen ge- rium für Gedöns“ endlich aus der Welt zu schaffen und parkt. Es handelt sich nicht um Ausbildungsplätze. durch Ihre Politik möglich zu machen, daß dieses Wort (B) vergessen wird. Aber was passiert? Sie haben ein heiß- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (D) beschworenes, effektives Gleichstellungsgesetz auf den Dieter Dzewas [SPD]: Das ist eine Unver- Weg bringen wollen. Doch wo ist es? schämtheit! Das sind junge Leute und keine Autos, die man irgendwo parkt! – Weitere (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Ja, wo ist es lebhafte Zurufe von der SPD) denn?) – Wenn Sie an dieser Stelle so laut werden, dann bitte Besonders schlimm finde ich, daß man jetzt in derich Sie, sich nächste Woche einfach einmal zu Hause Zeitung lesen konnte, diese Bundesregierung habe die schlau zu machen bei den Jugendlichen, den Auszubil- Absicht, die besondere Prüfung von frauenpolitischendenden, den Ausbildern und denjenigen, die die Ausbil- Themen in den anderen Ministerien und bei den Kabi- dungsplätze zur Verfügung stellen. nettsvorlagen ganz klammheimlich abzuschaffen. (Zuruf von der SPD: So etwas Arrogantes!) (Christel Hanewinckel [SPD]: Das ist doch nicht wahr! – Irmingard Schewe-Gerigk Mein Kollege Thomas Dörflinger wird nachher noch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind auf auf die Zivildienstleistenden eingehen. Auch hier vertei- eine Ente hereingefallen!) digen Sie, Frau Ministerin, etwas, obwohl Sie genau wissen, daß gerade alte Menschen und Pflegebedürftige, Ich empfinde es als unerträglich, daß so etwas passiert. die Ihnen anvertraut sind, darunter leiden, daß die Zeit (Beifall bei der CDU/CSU) von 13 Monaten auf 11 Monate gekürzt werden soll. Es reicht nicht aus, daß Sie jetzt darüber diskutieren, Ich fordere Sie auf, Frau Ministerin: Nehmen Sie daß Prostituierte eine Anerkennung in der Gesellschaft endlich Ihre Aufgaben wahr, und vertreten Sie die Ihnen haben sollen. Daß hier Diskussionsbedarf besteht, Frau anvertrauten Personengruppen – es sind oft die beson- Ministerin, bestreiten wir von der CDU/CSU-ders Schutzbedürftigen – endlich einmal in diesem Ka- Bundestagsfraktion nicht. binett! (Christel Hanewinckel [SPD]: Oh, toll! Joa- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Noch besser chim Hörster [CDU/CSU]: Das ist ein neues ist, sie geht in den Vorruhestand!) Berufsbild!) Es kann nicht sein, daß Familien-, Senioren-, Jugend- Aber dies reicht für die Frauenpolitik nicht aus. Ichund Frauenpolitik zu einem Nichts verkommt bzw. von würde mir schon wünschen, daß Sie ein wenig mehranderen Ministerien wahrgenommen wird, während Sie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5005

Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (A) nur noch als Ministerin eines Ministeriums für Gedöns werden wir darauf achten, daß keine Einsparungen zu(C) vorne stehen. Lasten wichtiger Projekte erfolgen. Kürzungen dürfen nämlich nicht an die Substanz einer sinnvollen Politik (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gehen. ordneten der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD) Nun zu den Maßnahmen im einzelnen. Einsparungen wurden insbesondere in zwei Bereichen vorgenommen: im Zivildienst – dazu wird gleich mein Kollege Christi- Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun an Simmert etwas sagen – und beim Unterhaltsvorschuß. Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Durch die Einbeziehung der Kommunen ist es uns ge- Grünen. lungen, die Finanzierung des Unterhaltsvorschusses zwischen Bund, Ländern und Kommunen gerechter zu Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIEverteilen. GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Rönsch, ich hatte immer gedacht, Haus- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Die Kosten auf haltsberatungen seien die Sternstunde der Opposition. die Kommunen abzuwälzen! – Ina Lenke [F.D.P.]: Das ist Ihre Gerechtigkeit! Das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Verschiebebahnhof!) und bei der SPD) Dadurch wird ein Anreiz für eine höhere Rückzah- Aber Sie haben heute kein Wort zum Haushalt gesagt, lungsquote geschaffen; sondern haben uns erzählt, bei welcher Veranstaltung die Ministerin war und wo sie nicht war. Sie haben Ihre (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Eine tolle Lei- Chance hier verpaßt. stung!) Wir sprechen heute über einen Haushaltsentwurf, der denn durch die finanzielle Beteiligung haben die Kom- keine Zuwächse, sondern massive Kürzungen vorsieht. munen nun auch ein eigenes Interesse daran, den Vor- Ich gestehe, für mich als Fachpolitikerin ist das zunächst schuß bei den säumigen Vätern zurückzuholen. Dabei einmal bitter. Gerade die Grünen hatten gehofft, bei ei- wollen wir ihnen helfen. ner Regierungsbeteiligung mehr für Frauen und Famili- (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ en, für junge und für alte Menschen tun zu können. Die CSU: So einfach macht man es sich da!) Kohlsche Erblast wiegt aber schwer. Es darf nicht länger – wie bei Ihnen – ein Kavaliersde- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und likt sein, wenn Väter ihren Kindern den Unterhalt vor- bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU) (B) enthalten. (D) – Ich erläutere das. – Sie, meine Damen und Herren von (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das war nie ein der Opposition, haben es zu verantworten, daß im letz- Kavaliersdelikt!) ten Jahr jedes Neugeborene mit einer Schuldenlast in Höhe von 30 000 DM auf die Welt gekommen ist. Eine Rückholquote von 30 bis 40 Prozent ist realistisch. Mit den derzeitigen 13 Prozent sind wir davon weit ent- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sind Sie bei fernt. Ich sehe mit großem Interesse, daß die Justizmini- der GEMA registriert, weil Sie alles wieder- sterin das Sanktionenrecht erweitern will. Ich deute das holen?) hier nur einmal vorsichtig an. Für diesen Zustand tragen Sie die Verantwortung; wir Familienpolitisch hat die rotgrüne Koalition schon werden ihn beenden. viel geleistet, auch wenn sich das in diesem Haushalts- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN plan nicht widerspiegelt. Familien mit zwei Kindern er- sowie bei Abgeordneten der SPD – Klaus halten ab dem 1. Januar 1999 jährlich 1200 DMKin- Haupt [F.D.P.]: Das hat sich für den Osten dergeld mehr als während der Ära Kohl. Das hilft nicht gelohnt: 17 Millionen DM!) nur den Familien, sondern wird auch den Konsum an- kurbeln und sich letztendlich in Arbeitsplätze umwan- „Wir haben diese Welt nur von unseren Kindern ge- deln. borgt“ – das war ein Slogan der Grünen aus früheren Jahren. Das meinten wir nicht nur ökologisch. Wir dür- Im Haushalt 2000 – Frau Rönsch, Sie haben gefragt, fen auch finanziell nicht länger auf Kosten der nächsten wo die ideelle Unterstützung bleibt – gibt es gerade in Generation leben. Nur darum akzeptieren wir die Ein- der Familienpolitik neue Schwerpunkte. Sie haben viel- sparungen in Höhe von 863 Millionen DM. Daß dieleicht den Plan gelesen. Aktionsprogramme wie „Ar- Kürzungen nicht an Stellen erfolgt sind, die die Kernbe- mutsprophylaxe in Familien“, „Mann und Familie“ und reiche der Frauen-, Familien-, Jugend- und Seniorenpo- „gewaltfreie Erziehung“ sind die Stichworte. litik ausmachen, verdanken wir Ihnen, Frau Ministerin Die Zahl der wirtschaftlich schwachen Familien steigt Bergmann. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. kontinuierlich: Immer mehr beziehen Sozialhilfe. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nicht zuletzt der 10. Kinder- und Jugendbericht ge- und bei der SPD) zeigt. Diesen Familien ist es nur schwer möglich, ihren Alltag wirtschaftlich zu bewältigen. Die Ursachen hier- Wir gehen davon aus, daß die Haushaltsansätze fürfür werden wir herausfinden; sie sind zahlreich. Deshalb eine zielgerechte Politik ausreichen werden. Allerdings legen wir einen Schwerpunkt auf dieArmutsprophy- 5006 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Irmingard Schewe-Gerigk (A) laxe. Wir werden ganz besonders die Selbsthilfe dieser Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE(C) Familien stärken, zum Beispiel durch eine Schuldnerbe- GRÜNEN): Frau Lenke, ich habe von der letzten Le- ratung. gislaturperiode gesprochen. Da hat sich die F.D.P. ver- weigert und keinen Gesetzentwurf eingebracht. Ich Ein weiterer Schwerpunkt ist das Thema „Mann und weiß, daß es jetzt eine Vorlage von Ihnen gibt. Ich muß Familie“. Dies ist mir – wie Sie wahrscheinlich allesagen: Ich bin absolut enttäuscht darüber, wie dieser Ge- wissen – ein besonderes Anliegen. Dieses Programmsetzentwurf von Ihnen aussieht, wie wenig er regelt. soll aufzeigen, wie Männer und Väter für die Familien- Gleichgeschlechtliche Paare sollen zwar Pflichten, aber arbeit gewonnen werden können. Es muß doch endlich nicht die entsprechenden Rechte bekommen. Wir wer- deutlich werden, welchen Nutzen alle Beteiligten vonden uns in den parlamentarischen Beratungen natürlich einer gleichberechtigten Aufgabenteilung in der Familie auch mit Ihrem Entwurf auseinandersetzen. Aber ich und in der Berufsarbeit haben. muß sagen: Das ist wirklich sehr wenig. Das dritte große Thema in der Familienpolitik ist die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewaltfreie Erziehung. Ende des Jahres wird es dazu und bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: einen Gesetzentwurf geben, wonach körperliche Bestra- Nichts auf der Pfanne!) fung, seelische Verletzung und andere entwürdigende Maßnahmen unzulässig sind. Auch hier wird ein Ak-– Wir haben eine Menge auf der Pfanne. tionsprogramm die parlamentarischen Beratungen be- Ich fahre fort: Wir kehren aber auch vor der eigenen gleiten und ein Signal setzen für einen Paradigmen-Tür. „Gender mainstreaming“, in der EU seit Jahren er- wechsel bei der Erziehung von Kindern. folgreich praktiziert, soll endlich Einzug in die Bundes- Innerhalb des Haushaltsplans 2000 werden außerdem verwaltung halten. Ich finde, es ist höchste Zeit, umzu- gezielt Maßnahmen zum Abbau der Diskriminierung setzen, daß in allen Ressorts – nicht nur im Frauenmini- gleichgeschlechtlicher Paare gefördert. Dieser schwu- sterium – frauenpolitische Maßnahmen durchgesetzt len- und lesbenpolitische Aspekt liegt uns Bündnisgrü- werden. nen besonders am Herzen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Ja, ja! – Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das ist bekannt!) Ich komme nun zurSeniorenpolitik . Frau Rönsch, Sie hatten in bezug auf das Internationale Jahr der Se- – Ihnen auch, Frau Kollegin Lemke; ich weiß –, zumal nioren Forderungen gestellt. Dafür sind im letzten Jahr es künftig endlich auch in der Bundesrepublik eine ge- 6 Millionen DM bereitgestellt worden. setzliche Gleichstellung geben wird. (B) (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: (D) (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das trägt mas- Das hat doch nichts mit Geld zu tun!) siv zur Sicherung der Renten bei!) Es hat viele Veranstaltungen gegeben. Ich denke, das Eine Mehrheit in der Bevölkerung für dieses Gesetz gibt kann sich sehen lassen. es schon lange. Sie haben das hier im Parlament bisher verhindert, meine Damen und Herren. Um der demographischen Entwicklung unserer Ge- sellschaft Rechnung zu tragen, ist in der Seniorenpolitik (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – da gebe ich Ihnen recht – ein Bewußtseinswandel not- und bei der SPD) wendig. Die Unterstützung, Betreuung und Pflege älte- rer Menschen muß endlich verbessert werden. Darum Damit das Programm „Frau und Beruf“ zu einem Er- haben wir im Haushaltsplan Maßnahmen vorgesehen – folgsmodell wird, sind auch hier entsprechende unter-die haben Sie offensichtlich überlesen –, mit denen die stützende Initiativen im Haushalt vorgesehen. dringend notwendigen Gesetzesänderungen gesell- schaftlich unterstützt werden. Dies betrifft insbesondere das Altenpflegegesetz, das in der nächsten Sitzungswo- Präsident Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, ge- statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke? che auf der Tagesordnung steht. (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Schauen wir mal, wie es weitergeht!) Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, bitte schön. – Auch hier ist von Ihnen die Mär verkündet worden, wir täten in diesem Bereich nichts. – Außerdem betrifft dies das Heimgesetz. Auch eine Weiterentwicklung der Ina Lenke (F.D.P.): Frau Schewe-Gerigk, Sie haben Altenhilfestruktur, die den Bedürfnissen der zunehmen- auch der F.D.P. vorgeworfen, sie habe den Gesetzent- den Zahl Demenzkranker Rechnung trägt, steht an, und wurf zur Gleichstellung gleichge schlechtlicher Partner- zwar zum Beispiel durch neue Wohn- und Betreuungs- schaften verhindert. Ich meine, der Wahrheit wegenformen für Demenzkranke. sollten Sie dann auch sagen, daß unser Gesetzentwurf hier im Plenum schon auf den Weg gebracht worden ist. Aber nicht nur die kranken Menschen brauchen unse- Ich frage Sie, wann Ihr Gesetzentwurf nun kommt. re Unterstützung. Viele ältere Menschen erfreuen sich trotz ihres hohen Alters guter Gesundheit. Sie wollen ihr (Lachen bei der SPD) soziales, kulturelles und politisches Potential in die Ge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5007

Irmingard Schewe-Gerigk (A) sellschaft einbringen. Wir werden dafür eine ausrei-aufgegeben, und die ohnehin geringen Einflußmöglich- (C) chende Infrastruktur zur Verfügung stellen. Aktivitätkeiten der Frauenministerin werden enorm beschnitten. und Engagement beugen Isolation im Alter vor und tra- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – gen in hohem Maße zum Miteinander zwischen Jung Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE und Alt bei. Die Chancen eines längeren Lebens können GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!) so genutzt werden. Offenbar setzt der Bundeskanzler auf Frau ohne Power, Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich hoffe, meine statt auf Frauenpower. Ausführungen haben deutlich gemacht, daß die Politik trotz gekürzter Haushaltsansätze nicht handlungsunfähig (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- geworden ist. Schaffen wir neue Spielräume, damit in ten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: So den kommenden Jahren wieder strukturelle Verbesse- ein Quatsch!) rungen möglich sind! Ihr Programm „Frau und Beruf“ verkaufen Sie als Ich danke Ihnen. Aufbruch in der Gleichstellungspolitik und als umfas- sendes gleichstellungspolitisches Arbeitsprogramm. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber angesichts eines Zuwachses von gerade 2 Millio- und bei der SPD) nen DM gegenüber dem laufenden Jahr ist dies schlicht heiße Luft. Ausgaben in Höhe von ein paar tausend Präsident Wolfgang Thierse: Für die F.D.P.-Mark mehr für den Frauenrat bzw. für Pro Familia ist Fraktion erhält nun Kollege Klaus Haupt das Wort. lediglich Klientelpflege, aber kein gestalterisches Kon- zept für eine neue Politik. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der neue familienpoliti- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – sche Sprecher! – Irmingard Schewe-Gerigk Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, der GRÜNEN]: Die liberalen Frauen sind auch im frauenpolitische Sprecher!) Frauenrat!) – Frau Schewe-Gerigk, wir Liberale unterstützen das Klaus Haupt (F.D.P.): Es ist doch ein gutes Zeichen, Ziel, Frauen zu wirklicher Gleichberechtigung in Füh- wenn in diesem Zusammenhang ein Mann spricht. rungsstrukturen – von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe zu verhelfen. Dieses Ziel ist aber nicht durch solche Frau Ministerin, elf Monate nach Amtsantritt dieser Re- rhetorischen Blasen zu erreichen, sondern nur durch ein gierung zeigt sich für viele Bürger deutlich: Sie haben gesellschaftliches Konzept, das den Realitäten Rech- (B) viel versprochen und wenig gehalten. nung trägt. (D) (Zuruf von der SPD: In dem einen Jahr ist (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- mehr passiert als bei Ihnen in vier Jahren!) ten der CDU/CSU) Auch im Etat des Ministeriums für Familie, Senioren, Frau Ministerin, Sie haben die schwere Aufgabe, zu Frauen und Jugend ist das leider nicht anders. Der von sparen. Wir Liberale erkennen das an. Wir haben im Rotgrün groß angekündigte sozialpolitische Quanten-Gegensatz zur SPD schon vor der Wahl gesagt, daß man sprung ist einfach nicht zu erkennen. sparen muß. Wir unterstützen Sie, wenn Sie sich jetzt der unvermeindlichen Tatsache stellen, daß wir leider (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- auch im Bereich der sozialen Leistungen Einschnitte ten der CDU/CSU) vornehmen müssen. Frau Ministerin, im Gegensatz zu den in Sie gesetzten Den Großteil der in Ihrem Etat eingesparten 800 Mil- Erwartungen hat zum Beispiel die Frauenpolitik für Sie lionen DM erreichen Sie durch die stärkere finanzielle offenbar nicht den Stellenwert, wie er großartig Beteiligung in der Zivildienststellen sowie durch die Ver- Glanzbroschüren prophezeit wird. Wenn das stimmt,kürzung des Zivildienstes. Auch wir unterstützen die was der „Focus“ diese Woche berichtet, nämlich daß in Verkürzung des Zivildienstes. Zukunft in Fragen von frauenpolitischer Bedeutung kein Einvernehmen mehr mit dem Frauenministerium erzielt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) werden muß Was wir nicht unterstützen, ist, daß Sie aus rein fiskali- (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ schen Zwängen Zivildienstplätze wegrationalisieren, DIE GRÜNEN]: Sie müssen doch nicht immer ohne den davon betroffenen sozialen Einrichtungen ir- den Zeitungsenten glauben!) gendeine Hilfe zur Bewältigung der dadurch entstehen- den Belastungen zukommen zu lassen. und daß in Kabinettsvorlagen auch die obligatorische Auflistung der Folgen für Frauen entfällt, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Es ( [Aachen] [SPD]: Das stimmt wird bei den sozialen Einrichtungen nicht ge- nicht! Sie können Ihre Rede ändern!) kürzt!) dann wird die bisherige Auffassung von Frauenpolitik Sie lassen Altenheime, Behindertenanstalten oder am- als Querschnittsaufgabe, als Aufgabe aller Ressorts,bulante Pflegedienste mit diesen Problemen allein. Hier 5008 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Klaus Haupt (A) fehlt ein Konzept. Sparen muß verbunden sein mit Ge- Versprechungen für die finanzielle Besserstellung der(C) stalten. Familie begrüßt. Auch diese Maßnahmen sind offenbar dem Sparzwang zum Opfer gefallen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Nicht (Zuruf von der SPD: Das ist doch gar nicht zugehört!) wahr!) Sie aber gestalten nicht, sondern verunsichern die Men- Sie haben auf Anfrage selbst zugegeben, Frau Ministe- schen, die sich dem Dienst an der Gesellschaft widmen. rin, daß es durch IhreNeuregelung des Familienla- stenausgleichs zu Benachteiligungen Alleinerziehender Auch die Senioren werden von dieser Regierung ver- kommen kann. Alleinerziehende mit einem Jahresein- unsichert. Vor der Wahl brandmarkte die SPD dieAb- kommen von 60 000 DM und zwei Kindern haben durch senkung des Rentenniveausals unsozial, verteufelte Ihre Neuregelung monatlich 100 DM weniger in der den demographischen Faktor, beschwor, es werde bei Haushaltskasse. den Renten keine Abkopplung von der Nettolohnent- wicklung geben. Jetzt machen Sie trotz Versprechen des (Zuruf von der SPD: Das glauben Sie ja selber Bundeskanzlers genau das Gegenteil. Bereits in zwei nicht!) Jahren soll das Rentenniveau auf einen Beitrag abge- senkt werden, den wir in der alten Bundesregierung im So sieht sozialdemokratische „Familienentlastung“ aus. Laufe von 15 Jahren moderat und für alle Betroffenen (Lachen bei Abgeordneten der SPD) kalkulierbar und berechenbar erreichen wollten. – Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Joachim Hörster (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Weil Sie nicht [CDU/CSU]: Genauso ist es!) rechnen können! An Stelle der bisherigen Berechenbarkeit tritt Willkür. aber jeder lacht an seiner Stelle. Mit dieser üblen Wählertäuschung verunsichern Sie aber (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- nicht nur Rentner, sondern auch junge Menschen. ten der CDU/CSU) (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das ist wahr!) Das Verfassungsgericht wollte Verheiratete mit Kin- Wo war Ihr Protest, Frau Ministerin? dern den Alleinerziehenden gleichstellen, nicht aber die Alleinerziehenden benachteiligen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- (B) ten der CDU/CSU) (D) Ich sage als einer aus dem Osten: Die Senioren in den neuen Bundesländern werden durch diese Rentenkür- Auch Ein-Kind-Familien werden von Ihnen benach- zung nach Kassenlage besonders benachteiligt. Erstens: teiligt, indem Sie von der Möglichkeit, für das erste Sie werden schon bei der Ökosteuer überverhältnismä- Kind einen höherenKinderbetreuungsbetrag einzu- ßig geschröpft, weil sie von der damit einhergehenden räumen, keinen Gebrauch gemacht haben. Warum füh- Senkung der Lohnnebenkosten nicht profitieren können. ren Sie einen undifferenzierten Kinderbetreuungsfreibe- Zweitens: Mit dieser Willkürmaßnahme wird die Anpas- trag von 3 024 DM ein, anstatt die Mehrkosten beim er- sung der Ostrenten an das Westniveau unterbrochen.sten Kind einfach angemessen zu berücksichtigen? Drittens: In der ehemaligen DDR gab es im Unterschied (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- zum Westen kaum eine Möglichkeit, durch Betriebs- ten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: War- renten und Vermögenseinkünfte zusätzliche private Al- um haben Sie 16 Jahre lang keinen Freibetrag tersvorsorge zu betreiben. eingeräumt?) (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das stimmt!) – Das ist doch eine alte Melodie Deshalb muß statt über Rentenkürzung eigentlich über eine schnellere Anpassung der Bezüge der Rentner im (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Osten an das Westniveau nachgedacht werden. – Ich war 16 Jahre lang nicht da, ich bin neu hier. Die Rentner müssen jetzt befürchten, zur Verfü- Beim Unterhaltsvorschußgesetz sparen Sie über 200 gungsmasse rotgrüner Haushaltspolitik zu werden. Ne- Millionen DM ein, nicht, weil ein geringerer Bedarf ben der Gerechtigkeitslücke, meine Damen und Herren vorhanden wäre, sondern weil Sie die Kosten einfach von der SPD, haben Sie eine Glaubwürdigkeitslückeauf die Kommunen abwälzen. Sie entziehen sich Ihren aufgerissen, indem Sie feste Wahlversprechen nach der Verpflichtungen, indem Sie andere zur Kasse bitten. Das Wahl ungeniert wieder einkassiert haben. ist kein Sparen, das ist ein Verschieben. Das ist kein (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Sparpaket, das ist ein Verschiebebahnhof. ten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Lä- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) cherlich!) Ihre abermalige Kindergelderhöhung in Ehren: Sie Scheinheilig ist auch die Familienpolitik der Bundes- wird doch durch die Ökosteuer kompensiert. regierung. Die SPD hat das Urteil des Bundesverfas- sungsgerichtes zur Besteuerung der Familien mit großen (Zustimmung bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5009

Klaus Haupt (A) Zudem kommt bei den sozial besonders Schwachen, den Die beste Politik für Ausbildungsplätze und gegen Ju-(C) Sozialhilfeempfängern, gar nichts an, weil das Kinder- gendarbeitslosigkeit ist eine gezielte Mittelstandspolitik, geld mit der Sozialhilfe verrechnet wird. die wir bis jetzt vermissen.

(Zuruf von der SPD: Ach, das ist ja was ganz (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Neues! Was haben Sie denn 16 Jahre lang ge- Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ha- macht?) ben Sie denn die letzten 16 Jahre getan?) Diese Bundesregierung hat die Chance vertan, die ihr Sie stecken den Bürgern Wahlgeschenke von ein paardas Bundesverfassungsgericht und vor allem der Wäh- Mark in die eine Tasche, nehmen nach der Wahl einlerauftrag vor knapp einem Jahr eröffnet hat. Es gibt Vielfaches aus der anderen Tasche wieder heraus: Das heute keine nachhaltige Entlastung der Familien, son- ist unredlich. Familien brauchen keine unredlichen Ver- dern zusätzliche Belastungen. sprechungen, sondern wirklich nachhaltige Entlastun- gen. Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Haupt, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – gestatten Sie eine Zwischenfrage? Zuruf von der SPD: Genau das ist es, und was habt ihr 16 Jahre lang gemacht?) Klaus Haupt (F.D.P.): Nein, ich komme jetzt zum Für bedenklich halte ich auch, Frau Ministerin, daß Schluß. Sie schon wieder für eineKürzung des Jugendetats (Zuruf von der SPD: Angst vor Fragen!) verantwortlich zeichnen. Es gibt keine nachhaltige Förderung der Jugend, son- (Zuruf von der SPD: Das ist doch nicht wahr, dern nach wie vor eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und Herr Haupt!) einen Mangel an Ausbildungsplätzen. Es gibt keine be- rechenbare Rentenentwicklung mehr, nur noch die Der Etat für den Bereich Jugend wurde schon für dasAngst vor dem nächsten Bundeshaushalt. Auch in der laufende Haushaltsjahr um über 5 Millionen DM ge-Frauenpolitik klafft, wie ich eingangs sagte, zwischen kürzt, und das bei einer Steigerung des Gesamtetats. Die Anspruch und Wirklichkeit eine große Lücke. Nein, einzige neue jugendpolitische Maßnahme, die Rot-politische Ankündigungen sind eben noch lange keine grün zustande gebracht hat, war dasSofortprogramm politische Gestaltung. gegen Jugendarbeitslosigkeit. Ich finde es folgerich- tig, daß Sie ihr Sofortprogramm fortschreiben, nachdem Danke. (B) Sie dadurch hohe Erwartungen geweckt haben; denn es (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (D) wäre unverantwortlich gewesen, Hoffnungen zu wecken, die Jugendlichen dann aber in eine Warteschleife zu schicken. Zur Wahrheit gehört aber auch, daß dieses Präsident Wolfgang Thierse: Nun hat das Wort Programm selbst bei einem hundertprozentigen Erfolg Kollegin Sabine Jünger, PDS-Fraktion. zirka 400 000 unge j Menschen ohne Ausbildung und Beschäftigung läßt. Sabine Jünger (PDS): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Herr Haupt, ich bin zwar auch neu (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ hier, aber daß CDU/CSU und F.D.P. an der Regierung DIE GRÜNEN]: Woran liegt das denn?) waren, hätten vielleicht auch Sie mitbekommen können. Wir haben unsere Unterstützung angeboten und (Beifall bei der PDS, der SPD und dem bereits im vergangenen Jahr ein eigenes 9-Punk- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) te-Programm vorgelegt. Es ist zwar liberal und für manchen deshalb vielleicht suspekt, aber ebenso rich- Ich finde es schon erstaunlich, wie schnell einige – ganz tig und ehrlich: Immer neue Staatsprogramme hel-besonders Frau Rönsch – vergessen, wer hier in den fen nicht, der Jugendarbeitslosigkeit auf Dauerletzten Jahren die Mehrheit hatte und wie viele tolle Herr zu werden. Ein nachhaltiger Abbau der Vorschläge Ju- sie vielleicht in den letzten 16 Jahren hätten gendarbeitslosigkeit ist nur zu erreichen, wenn diemachen sollen. Rahmenbedingungen im Standort Deutschland wieder (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: stimmen. Kollektiver Gedächtnisverlust! – Joachim Hörster [CDU/CSU]: Da haben wir eine ganze (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Menge gemacht!) Durch ein vereinfachtes Steuersystem, einen umfassen- Dennoch: Frau Ministerin Bergmann hat es ja nicht den Bürokratieabbau und eine mutige Bildungsreform ganz leicht. Von vornherein hat Bundeskanzler Gerhard wollen wir das erreichen. Schröder – auch ich will es noch einmal sagen – ihr Mi- nisterium als „Ministerium für Gedöns“ abqualifiziert. (Widerspruch bei der SPD – Wilhelm Schmidt Das Bündnis für Arbeit sollte dann als exklusive Herren- [Salzgitter] [SPD]: Diese Bedingungen haben runde stattfinden. Zugleich wurde der groß angekündigte Sie dann verhunzt!) Aufbruch in der Gleichstellungspolitik zur „Prüfaufga- 5010 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Sabine Jünger (A) be“ geschrumpft. Jetzt sollte eine neue Geschäftsord-dungsplatz. Meine Damen und Herren von den Regie-(C) nung mal eben mit der Zumutung Schluß machen, inrungsfraktionen, sehen doch auch Sie angesichts dieser frauenpolitisch relevanten Fragen das Frauenministe-Zahlen endlich ein, daß Ihr Kuschelkurs gegenüber der rium hinzuzuziehen. Das, Frau Bergmann, konnten Sie Wirtschaft den Jugendlichen nicht hilft. Die Arbeitgeber scheinbar durch Ihren Protest noch einmal abwenden.versprechen seit Jahren, mehr Ausbildungsplätze zu Der nächste Versuch, die Rede vom Gedöns in die Tat schaffen, und demonstrieren regelmäßig ihre Unwillig- umzusetzen, wird jedoch nicht lange auf sich warten las- keit. sen, wenn diese Regierung an ihrem politischen Kurs Immerhin scheinen das einige Kolleginnen und Kol- festhält. legen von SPD und Bündnisgrünen genauso zu sehen. Weil hier immer so viel von Zukunft geredet wird,Ich freue mich schon jetzt auf den Oktober, wenn Kolle- beginne ich mit der Jugendpolitik. Hier dominiert allem ge Simmert und Kollegin Nahles ihren angekündigten Anschein nach die Vorstellung, daß das Jugendministe- Antrag zur Einführung einerUmlagefinanzierung ein- rium gegen die politischen und sozialen Versäumnisse bringen werden. lediglich Pflästerchen in Form des Kinder- und Jugend- Führen Sie endlich einen Lastenausgleich für nicht plans bereitzuhalten hat. Sei es die Arbeitsmarktpolitik, ausbildende Betriebe ein! Wer nicht ausbildet, soll zah- die Stadtentwicklung oder die Bildungspolitik: Wenn es len. Dann könnten Sie die 2 Milliarden DM aus dem brennt, gibt es ein Aktionsprogramm. Es ist gut, daß die- JUMP-Programm dazu verwenden, jungen Leuten nach ser Bereich von Sparmaßnahmen ausgenommen ist; je- Abschluß ihrer Ausbildung zumindest für ein Jahr einen denfalls scheint es so. Arbeitsplatz zu finanzieren. Berufseinsteigerinnen und Bei näherem Hinsehen verflüchtigt sich dieser Ein- Berufseinsteiger könnten so Berufserfahrung sammeln druck jedoch. Auch dieses Jahr hat die rotgrüne Regie- und würden nicht wie bisher so oft nach der Ausbildung rung kein Problem damit, den Jugendetat der Jahre 1992 auf der Straße stehen. Damit würden Sie Jugendlichen bis 1996 deutlich zu unterbieten. Außerdem ist bei ei-tatsächlich eine Perspektive geben! nem Etat von 192 Millionen DM auch schlecht zu kür- In Ihren jugendpolitischen Schwerpunkten für das zen, sonst geht da irgendwann gar nichts mehr. Die Si- Haushaltsjahr 2000 wird als Schwerpunktaufgabe die tuation ist immer die gleiche: Werden neue Schwer-wirksame Bekämpfung von Extremismus, Rassismus punkte eingeführt, gehen diese zu Lasten anderer – auch und Fremdenfeindlichkeit unter Jugendlichen genannt. nicht gerade üppig ausgestatteter – Bereiche. Da stimme ich Ihnen sofort zu. Was ich nicht teilen Faktisch reduziert sich die Jugendpolitik der Regie- kann, ist Ihre Auffassung von wirksamer Bekämpfung. rung mittlerweile fast ausschließlich auf den Bereich Nehmen Sie doch endlich zur Kenntnis, daß wir in (B) Arbeit und hier wiederum auf das bis jetzt ununterbro- unserer Gesellschaft ein ernstes Problem haben, das(D) chen schöngeredete Sofortprogramm JUMP. Meine Rassismus heißt. Da helfen weder Ausbildungsplätze Damen und Herren, wir erkennen sehr wohl, daß dieallein noch Sonntagsreden. Dagegen könnten aber zum Regierung als Soforthilfe gegen die Jugendarbeitslosig- Beispiel verstärkte Bemühungen zur politischen und keit zwei Milliarden DM zur Verfügung gestellt hat. Es kulturellen Bildung und die Förderung sozialer und wäre aber im Interesse der Sache, wenn Sie sich auchkommunikativer Fähigkeiten helfen. Kurzfristig muß auf einmal der Kritik an dem Programm stellen würden, statt alle Fälle ein Aktionsprogramm zur Förderung antirassi- ohne Unterlaß vom grandiosen Erfolg zu schwadronie- stischer Kultur und zum Aufbau emanzipatorischer ren. Strukturen in der Jugendarbeit her. JUMP ist mit hohen Ansprüchen gestartet, die aber Stellen Sie deutsche und nichtdeutsche Kinder und leider meist in der Praxis nicht umgesetzt werden konn- Jugendliche endlich gleich, indem Sie zum Beispiel um- ten. Die meisten Maßnahmen waren nur kurzzeitigegehend den Zusatz zur Ratifizierung der UN- Trainingskurse. Benachteiligte Jugendliche bleiben auch Kinderrechtskonvention zurücknehmen. Stellen Sie wie- bei JUMP entgegen den postulierten Absichten oft au- der mehr Mittel zur Integration junger Menschen nicht- ßen vor. Für sie mußten zusätzlich 10 Millionen DM im deutscher Herkunft bereit und verbessern Sie die Le- Hause Bergmann bereitgestellt werden. Betrieblichebenslage junger Migrantenfamilien. Ausbildungsplätze wurden nur in geringem Maß ge- schaffen. Die Tendenz, Ausbildung staatlich zu subven- Ein Wort zum Zivildienst: Wenn finanzielle Zwänge tionieren, ist noch verstärkt worden. dazu führen, Wehr- und Zivildienstleistende gleichzu- stellen, dann begrüßen wir das natürlich. Insgesamt be- Verstehen Sie mich nicht falsch: Eine Ausbildung ist trachtet sind Kinder und Jugendliche aber die Leidtra- allemal besser als keine. Aber Sie entlassen die Wirt-genden der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation. schaft ohne Grund aus ihrer Verantwortung, Ausbil- dungsplätze zu schaffen. Abschließend möchte ich kurz auf zwei Ihrer famili- enpolitischen Schwerpunkte eingehen. Das Aktionspro- (Beifall bei der PDS) gramm mit dem schönen Titel„Mann und Familie“ klingt ganz nett und müßte Männern auch sehr entge- Im „Bündnis für Arbeit“ wurde jedem und jeder Ju- genkommen. Schließlich holt es die Männer scheinbar gendlichen ein Ausbildungsplatz versprochen. Die ak- dort ab, wo sie stehen: auf dem Sportplatz. tuellen Zahlen sprechen eine andere Sprache. Vor zwei Wochen hat das neue Ausbildungsjahr begonnen, und (Beifall bei der PDS – Dirk Niebel [F.D.P.]: mehr als 170 000 Jugendliche sind noch ohne Ausbil- Das ist ja diskriminierend!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5011

Sabine Jünger (A) – Das steht im Programm, Herr Niebel; aber Spaß bei- Zusätzlich gibt es einen wichtigen Unterschied, näm- (C) seite. – Wir haben nichts gegen dieses Aktionspro-lich daß damals die Kritik berechtigt war. An das einzi- gramm. Wir finden es aber sehr bedauerlich, daß es bei ge, an das ich mich aus Ihrer Regierungszeit noch erin- gutgemeinten Appellen und beim Sensibilisieren dernere, ist, daß Sie sich jahrelang darauf gestützt haben, Männer bleiben soll. Wir vermissen nach wie vor ver-daß Sie Seniorenbüros eingerichtet haben, was eine löb- bindliche Festlegungen und gesetzliche Regelungen.liche Angelegenheit war, aber sicherlich nicht voll das Meine Damen und Herren, hinsichtlich der Vereinbar- Maß dessen erfüllte, was man von einer Familienmini- keit von Beruf und Familie für Frauen und für Männer sterin erwartet. haben Sie noch einiges zu tun. (Beifall bei der SPD) Auch der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zur Ächtung der Gewalt in der Erziehungist be- Ich sehe, daß das, was Frau Bergmann in einem knappen Jahr vorgelegt hat und in Kürze vorlegen wird – ich kanntlich hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben. werde nachher noch darauf eingehen –, bei weitem das Deshalb bin ich sehr überrascht darüber, daß das Famili- enministerium begleitend ein so umfangreiches Akti-übertrifft, was Sie nur ansatzweise auf den Weg ge- bracht haben. onsprogramm starten will. Ein Gesetz allein ändert an der gängigen Erziehungspraxis weiter Teile der Bevöl- (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: kerung sicherlich noch gar nichts, Lesen Sie doch einfach einmal nach und be- reiten Sie sich auf eine solche Rede vor! An- (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ erkennung der Erziehungszeiten in der Rente! DIE GRÜNEN]: Deshalb haben wir auch das Aktionsprogramm dazugenommen!) Erziehungsgeld! Erziehungsurlaub!) Noch ein Wort an Herrn Haupt sowie an einige ande- zumal der vorgelegte Entwurf bewußt auf Sanktionen re Rednerinnen und Redner, die hier offensichtlich im- verzichtet. Mit dem Aktionsprogramm wächst allerdings die Wahrscheinlichkeit, daß die Anwendung von Gewalt mer wieder der Versuchung erliegen, den Medien – ich glaube, in diesem Fall den Printmedien – zu verfallen. in der Erziehung zurückgedrängt werden kann. Das ist gut so, denn an dieser Gewalt sind einfach schon zu (Ina Lenke [F.D.P.]: Klären Sie uns einmal viele Kinder zerbrochen. auf, Frau Wester!) Abschließend gestatten Sie auch mir noch ein Wort Die Mitteilung, die Geschäftsordnung sei dahin gehend zur Rente. Wer jetzt behauptet, man müsse bei dengeändert worden, daß man den „gender mainstream“ nicht Rentnerinnen und Rentnern sparen, damit die jungenmehr berücksichtige, ist schlicht und ergreifend falsch. Es Leute von heute später auch noch etwas bekämen, macht wäre sinnvoll gewesen, daß Sie, als Sie diese Mitteilung (B) nichts anderes, als Jung und Alt gegeneinander auszu- gelesen haben, im Ministerium angerufen oder (D) eine spielen. schriftliche Anfrage an die Bundesregierung gerichtet hätten. Dann hätten wir es uns sparen können, uns das (Beifall bei der PDS) ständig wieder anzuhören und darüber reden zu müssen. Was wir brauchen, sind neue, langfristige Rentenmo- delle, die die politischen und sozialen Veränderungen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) angemessen einbeziehen, nicht aber kurzfristige Ein- schnitte ins soziale Netz unter dem Vorwand der Gene- Es gibt noch viele von meinen Vorrednern angespro- rationengerechtigkeit. chene Punkte, auf die ich an sich gerne eingehen möch- te. Ich möchte jetzt aber versuchen, meine vorbereitete Danke schön. Rede zu halten; und werde dabei auf die Rente sowie ei- (Beifall bei der PDS) nige weitere Punkte noch zu sprechen kommen. Ich hof- fe, daß meine Redezeit dafür reicht. Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun die Kollegin Hildegard Wester, SPD-Fraktion. Präsident Wolfgang Thierse: Frau Wester, gestat- ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rönsch? Hildegard Wester (SPD): Herr Präsident! Meine (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Damen und Herren! Zunächst gestatten Sie mir ein Wort Nein, eine Intervention, Herr Präsident!) zu Ihnen, Frau Rönsch. Als ich Ihre Rede vorhin gehört habe, habe ich gedacht: So ähnlich hast du in der Oppo- sition auch geredet, als wir eine Familienministerin na- Präsident Wolfgang Thierse: Das müssen Sie an- ders anmelden. mens Hannelore Rönsch hatten. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Dafür gibt es (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Zum Erziehungsgeld und zum Erziehungs- die Geschäftsführer!) urlaub?) Ich möchte aber betonen: nur inhaltlich ähnlich, im Stil Hildegard Wester (SPD): In dieser Haushaltsdebatte hoffentlich nicht. reden wir auf der einen Seite über den Haushalt 2000; auf der anderen Seite steht die Debatte über das Haus- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) haltssanierungsgesetz stark im Vordergrund. Wir haben 5012 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Hildegard Wester (A) uns in der Tat vorgenommen, den Haushalt zu sanieren, Davon werden wir 2 Milliarden DM für das 100 000-(C) und uns die Aufgabe auferlegt, bei den Einzelplänen zu Jobs-Programm ausgeben, das im laufenden Jahr so er- kürzen. Dies ist eine ungewöhnliche Ausgangssituation folgreich durchgeführt wird. Ich kann Ihnen sagen, Frau für eine Haushaltsberatung. Normalerweise kümmertRönsch: In meiner Stadt, die kohlrabenschwarz ist, lo- man sich ja darum, die Ansätze in dem jeweiligen Ein- ben selbst der Sozialdezernent und der Vorsitzende der zelplan zu erhöhen. Kreishandwerkerschaft, ein CDU-MdL, unser Pro- gramm über den grünen Klee, Nun haben wir uns aber verabredet, bei verminderten Ausgaben eine effektivere und gerechtere Politik zu ma- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ chen. Auch unser Haushalt muß dazu einen Beitrag lei- DIE GRÜNEN – Lachen der Abg. Hannelore sten. Ich würde nun lügen, wenn ich sagen würde, daß Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]) mir Sparen Spaß macht und daß Sparen ein Ziel an sich ganz zu schweigen von den Jugendlichen, mit denen ich ist. Aber wenn die Einsicht gereift ist, daß ein „Weiter gesprochen habe, die dankbar und froh sind. so!“ in eine aussichtslose Situation führen würde, dann geht man zumindest mit einer gewissen Zuversicht an Natürlich müssen wir auf Kontinuität achten. Mit notwendige Sparaktionen. dem Neuansatz von 2 Milliarden DM haben wir einen ersten Schritt dazu getan. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Arne Fuhrmann [SPD]: Frau Rönsch kennt Jugendzentren nur von außen!) Der Bereich FSFJ hat in meinen Augen ein besonde- res Interesse daran, den Staat wieder in die Lage zu ver- Dieses Programm ist in meinen Augen dringend not- setzen, eine gezielte und zukunftssichere Politik zu ma- wendig, weil es den Jugendlichen, die nicht so ohne chen. Diese Möglichkeit haben Sie von der Opposition weiteres Anschluß an die Arbeitsgesellschaft finden, ei- uns fast verbaut. Ihre Schulden- und Kostentreibungs- ne gute Chance gibt. Hier investiertes Geld ist gut an- politik hat zu dieser prekären finanziellen Situation ge- gelegtes Geld. führt, in der wir heute stecken. Gott sei Dank haben die Besonders freue ich mich, daß es eine der ersten Wählerinnen und Wähler Sie im letzten September ab- Maßnahmen der Bundesregierung war, dasKindergeld gewählt, um 30 DM zu erhöhen, und zwar ohne Druck durch das (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Gott sei Dank Bundesverfassungsgericht. Das entsprechende Urteil haben Sie am Sonntag so viel verloren!) war uns, wie Sie genau wissen, zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Wir haben erkannt, daß Familien nicht Ihnen diesen verhängnisvollen Weg erspart und es uns von schönen Worten in Sonntagsreden leben können. ermöglicht, nun eine Politik zu machen, die in die Zu- (B) kunft weist. Dazu muß zunächst einmal gespart werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS (D) 90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD] – Klaus Haupt [F.D.P.]: Jetzt sind Sie dran! So Trotz dieser schon erfolgten Erhöhung werden wir das ist das Leben!) Kindergeld im Jahr 2000 um weitere 20 DM für das er- ste und das zweite Kind erhöhen. Auch dafür lohnt es – Ja, jetzt sind wir dran. – Wir nehmen den Auftrag an, sich zu sparen. und zwar, wie ich eben sagte, zuversichtlich. Denn wir haben vernünftige Schwerpunkte gesetzt, über die wir Sehr erfreulich ist auch, daß es uns gelungen ist, wie- gleich reden werden. der ein Teilkindergeld für erwachsene Behinderte in Heimen zu zahlen. (Beifall bei der SPD) (Monika Ganseforth [SPD]: Sehr gut!) Bei dem Setzen von Schwerpunkten hat die Bekämp- fung der hohen Arbeitslosigkeit nach wie vor die erste Dadurch wird endlich wieder anerkannt, welch große Priorität. Dieses Ziel zu erreichen erfordert große Kraft- Leistung Familien in solchen Lebenssituationen erbrin- anstrengungen und rechtfertigt auch, von den Menschen gen, oft lebenslang. Diese Leistung muß auch finanziell Einschränkungen abzuverlangen. Denn niemand hierihre Anerkennung finden. würde wohl bestreiten, daß der Besitz eines Arbeitsplat- (Beifall bei der SPD) zes in gravierender Weise über das Schicksal von Men- schen und ganzen Familien entscheidet. Auch die gesell- Es ist die Unwahrheit, wenn behauptet wird, daß wir schaftlichen Auswirkungen der hohen Arbeitslosigkeit den Alleinerziehenden durch die Reduzierung des Frei- können uns in der Politik nicht ruhen lassen. Wir sindbetrages für Kinderbetreuungskosten Geld – ich glaube, also bereit, im Interesse der Zukunftsaussichten voneben wurde von 100 DM gesprochen – vorenthalten. Sie Kindern und Jugendlichen, der Sicherheit der Renten,haben wohl noch nicht verstanden, daß Alleinerziehende der Ausbildung und Bildung unseren Beitrag zu leisten. die Kosten für Betreuung nicht mehr nachzuweisen Nur unter diesem Aspekt macht Sparen Sinn. brauchen, also pauschal den Freibetrag von zirka 3 000 DM in Anspruch nehmen können, Ich begrüße ausdrücklich, daß für den Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik wieder 6 Milliarden DM in (Dr. Ilja Seifert [PDS]: Wie großzügig! Mir den Haushalt eingestellt worden sind. kommen die Tränen!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und auch 20 DM mehr Kindergeld erhalten, während bis DIE GRÜNEN) jetzt lediglich die Alleinerziehenden, die ihre Betreu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5013

Hildegard Wester (A) ungskosten nachweisen konnten, von dem Steuerfreibe- bereitet uns erhebliche Schwierigkeiten, unsere politi-(C) trag Gebrauch machen konnten. schen Schwerpunkte durchzusetzen. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das waren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten relativ wenige!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ina Lenke [F.D.P.]: Und die deutsche Einheit!) – Nur ungefähr 5 Prozent konnten Betreuungskosten von mehr als 3 000 DM nachweisen. Wir als Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker haben dafür gesorgt, daß die Umsetzung des Verfas- Die genannten Schwerpunkte zeigen einen richtigen sungsgerichtsurteils nicht nur über den Steuerfreibetrag Weg auf. Dafür hatten wir in unserem Haushalt einenerfolgt, sondern daß 20 DM für das erste und zweite Beitrag zu leisten: 863 Millionen DM hatten wir aufzu- Kind sowie 30 DM für die behinderten Erwachsenen in bringen, aus einem Gesamthaushalt, der rund 10,9 Milli- Heimen gezahlt werden. Damit sind wir aber noch nicht arden DM beträgt. Davon sind alleine 7,1 Milliardenzufrieden. Wir werden Vorschläge machen, wie wir trotz DM für das Erziehungsgeld festgelegt. Die engen Spiel- Ihrer Hinterlassenschaft mit dem Erziehungsgeld wieder räume, die sich durch diese Zahlen aufzeigen lassen, er- eine breitere Gruppe von Familien erreichen. In diesem leichtern nicht gerade die Aufgabe, das gesteckte Spar- Zusammenhang werden wir auch dafür sorgen, daß der ziel zu erreichen. Erziehungsurlaub keinen Ausstieg aus dem Erwerbsle- Knapp 200 000 Kinder erhalten Leistungen nach dem ben bedeuten muß, sondern ein echtes Angebot an Väter Unterhaltsvorschußgesetz. Dafür brachte der Bund im und Mütter ist, sich Erwerbs- und Familienarbeit zu tei- vergangenen Jahr 834 Millionen DM auf. Dem standen len. Rückflüsse aus den Kommunen in Höhe von 128 Mil- In der vergangenen Woche hat Frau Ministerin lionen DM entgegen. Das sind im Schnitt 15 Prozent.Bergmann das Programm „Frau und Beruf“ vorgestellt. Das ist ein Ergebnis, mit dem man nicht zufrieden sein Darin ist ein zentraler Punkt und ein zentrales Anliegen, kann. Natürlich lassen sich die Rückforderungen nicht endlich ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirt- bis auf 100 Prozent steigern, denn es gibt allein zirka 65 schaft und den öffentlichen Dienst zu verabschieden, das 000 Kinder mit Unterhaltsansprüchen, bei denen manseinen Namen verdient. Für den öffentlichen Dienst von vornherein weiß, daß sie nicht zu realisieren sind.können wir recht bald mit einem Gesetzentwurf rechnen, Jedoch ist es durchaus möglich, die Rückflußquoteder längst überfällig ist und der Regelungen enthalten deutlich zu erhöhen. Ein Mittel dazu ist es, die Kommu- wird, die es Frauen erleichtern, ihren Kompetenzen und nen mit in die finanzielle Verantwortung zu nehmen. So Fähigkeiten entsprechend in berufliche Positionen zu ist deren Ansporn, die Rückforderungen durchzusetzen, gelangen. erheblich größer. Schließlich werden sie durch die (B) Rückforderungen im gleichen Verhältnis entlastet, wie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) sie an der Finanzierung beteiligt sind. DIE GRÜNEN) (Ina Lenke [F.D.P.]: Das stimmt überhaupt gar Auch in der Privatwirtschaft werden wir zu Regelungen nicht!) kommen, die zum einen effektiv das Ziel verfolgen, Frauen ihrem Leistungsvermögen nach an Positionen zu Natürlich ist nicht nur eine finanzpolitische Sicht der beteiligen, und zum anderen die unterschiedlichen Be- Dinge angebracht. Selbstverständlich besteht aus Sicht lange der unterschiedlichen Wirtschafts- und Betriebs- der Familienpolitik ein sehr hohes Interesse daran, die strukturen berücksichtigen. Das wird ein interessanter, Menschen, die Kinder haben, dazu zu bringen, zumin- aber auch mühsamer Prozeß. Am Ende wird und muß es dest ihren finanziellen Verpflichtungen für diese Kinder aber verbindliche Regelungen geben. nachzukommen. Denn Kindern und ihren Familien sollte es soweit wie möglich erspart bleiben, zu Sozialhilfe- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ empfängern zu werden. Die zukünftige Drittelung der DIE GRÜNEN) Kosten entlastet den Bundeshaushalt um 218 Millionen Nun ist es erfreulich, daß der Titel „Verwirklichung DM und trägt darüber hinaus dazu bei, politisch Wün- der Gleichstellung von Frau und Mann in der Gesell- schenwertes eher zu erreichen. schaft“ in unserem Haushalt angewachsen ist. Beim Erziehungsgeld sind die Ansätze für das Jahr Ich sehe, daß sich meine Redezeit dem Ende nähert 2000 gleichgeblieben. Das ist angesichts der dringenden oder sogar schon überschritten ist. Ich möchte aber noch Notwendigkeit, die Einkommensgrenzen zu erhöhen, zwei Sätze zurSeniorenpolitik sagen. Ich habe eben nicht zu bejubeln. Dies zu tun bleibt nach wie vor eines schon gesagt, daß das, was von der früheren Senioren- unserer familienpolitischen Ziele. Es müssen wieder ministerin übergeblieben ist, die Seniorenbüros sind. mehr Familien in den Genuß des ungeschmälerten Er- Was die Vereinheitlichung der Altenpflegehilfe angeht, ziehungsgeldes kommen. Nur noch die Hälfte der Fami- haben wir eine unendliche Geschichte durchgemacht. lien erhält nach den ersten sechs Lebensmonaten des Jedes Jahr wurde neu angekündigt, daß es nun endlich Kindes ungekürztes Erziehungsgeld. Auch in diesem soweit sei. Frau Ministerin Rönsch legte ein Gesetz vor, Punkt muß ich noch einmal deutlich machen: Es ist das wir am 1. Oktober in erster Lesung – – wirklich so, daß Familienpolitikerinnen und Familien- politiker stolz darauf sein können, diesen Ansatz von 7,1 (Zurufe von der SPD: Frau Bergmann! Nicht Milliarden DM erhalten zu haben. Denn die Haushalts- Rönsch! – Klaus Haupt [F.D.P.]: Soweit ist es lage, die Sie von der Opposition uns hinterlassen haben, noch nicht!) 5014 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Hildegard Wester (A) – Um Gottes Willen, so weit sollte meine Auseinander- Eines bitte ich nicht zu vergessen: Es gab in dieser(C) setzung mit Ihrer Person eigentlich nicht gehen. Ich ent- Zeit auch die Wiedervereinigung. Sie kam in der Rede schuldige mich. des Herrn Bundeskanzlers mit keinem Wort vor. Das zog sich nahtlos auch durch die Reden der Mitglieder seines Kabinetts. Uns stellten sich besonders schwere, Präsident Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie aber auch besonders schöne Aufgaben gerade für die müssen zum Schluß kommen. älteren und alten Menschen, die unter dem lange wäh- renden DDR-System gelitten hatten. Hildegard Wester (SPD): Auch das Heimgesetz Denken Sie, Frau Wester, bitte an diese Dinge; er- wird in nächster Zeit im Interesse der Senioren, die inkundigen Sie sich. Dann sind Sie nicht so unvorbereitet, diesen Heimen leben, novelliert. wenn Sie hier reden. Noch ein Satz zur Rente. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Präsident Wolfgang Thierse: Nein, bitte kein neu- Präsident Wolfgang Thierse: Kollegin Wester, es Thema mehr. wollen Sie erwidern? (Heiterkeit) Hildegard Wester (SPD): Frau Ministerin, – – Hildegard Wester (SPD): Ich bedanke mich für Ihre (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Aufmerksamkeit. – Ich meine: Frau Kollegin Rönsch Sie sehen, daß die (Beifall bei der SPD) Zeit, in der Sie Ministerin waren, mich sehr geprägt hat; ich habe sehr darunter gelitten.

Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Frau Rönsch, Sie wissen genauso gut wie ich, daß wir Kurzintervention hat Kollegin Rönsch. ein Gesetz hatten, bevor Sie an die Regierung kamen; es hieß: Gesetz zur Einführung eines Mutterschaftsurlaubs. Es hatte andere Schwerpunkte, und es sah sogar höhere Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Frau Leistungen vor. Die Zielgruppe war eine andere. Aber es Kollegin Wester, ich habe eben im „Kürschner“ nachge- hatte genau das Ziel, über das wir sprechen, nämlich die schaut und habe bei Ihrem Eintrag drei Sternchen gese- Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen zu ge- (B) hen. Das sagt mir, daß Sie jetzt in der dritten Legislatur- währleisten. (D) periode im Bundestag sind. Da kann man es Ihnen nicht mehr so ganz nachsehen, daß Sie sich an das eine oder (Beifall bei der SPD) andere nicht mehr erinnern. Deshalb will ich es IhnenSie haben es, glaube ich, 1985 kassiert heute noch einmal sagen. (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Während der Amtszeit der alten Regierung wurden Das war ein schlichter Mutterschutz! Mehr Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub eingeführt. war es nicht!) (Monika Ganseforth [SPD]: Nein, Sie haben und haben dann das jetzt existierende Gesetz verab- es abgeschafft!) schiedet, das zwischenzeitlich häufiger novelliert wurde. Dieses Gesetz bringt uns in meinen Augen bei weitem Das sind Dinge, die bei Ihnen in der Schublade waren, nicht das, was Sie uns versprochen haben. die aber in Ihrer Regierungszeit und in der Zeit Ihrer letzten Familienministerin nicht auf den (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Weg gebracht wurden. Anke Fuchs zeichnete sich da- Sie sind doch an der Regierung!) durch aus, daß sie vor einer Wahl das Kindergeld erhö- hen durfte. Als die Wahl gewonnen war, wurde dieseWir sind dabei es, zu verändern. Erhöhung des Kindergeldes sofort wieder zurückge- Wir sind ein knappes Jahr an der Regierung, und ich nommen. finde es unverantwortlich, uns für die Versäumnisse Ih- (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: So ist es!) rer 16 Jahre hier permanent vorzuführen. Das sage ich Ihnen nur zur Erinnerung. (Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU) Ich will auch daran erinnern, daß die Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der Rente von der alten Sie werden sich diesen Vorwurf so lange anhören müs- Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde. sen, solange Sie nicht zu einer redlichen Zusammenar- beit und zu einer redlichen Geschichtsbetrachtung zu- (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: 1986!) rückfinden. Als Maßnahmen der Seniorenpolitik kann ich nennen: (Dr. Uwe Küster [SPD], zur CDU/CSU ge- Es wurden die Seniorenbüros eingerichtet, und es wurde richtet: Jetzt kommen Ihre guten Ideen! 16 ein Bundesaltenplan gemacht. Jahre waren Sie stumm!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5015

Hildegard Wester (A) Ich komme zu denKosten der deutschen Einheit. Bund, Länder, Gemeinden und die Sozialversicherungs- (C) Es ist hier in Debatten oft genug angesprochen worden, systeme. Die Ausgaben der öffentlichen Hand insgesamt daß sich auch schon vor der deutschen Einheit die Ko- müssen also zurückgefahren werden, damit volkswirt- sten, die Ihr Haushalt zu tragen hatte, dramatisch erhöht schaftlich eine Entlastung entsteht und damit die Staats- hatten. Das Entscheidende ist doch, daß wir nicht soquote sinkt. borniert sind, zu sagen, daß die deutsche Einheit etwa Sie tun aber genau das nicht. Sie haben es sich ver- kein Geld kostet. Wir meinen ja auch, daß dieses Geld dammt einfach gemacht. Sie sparen nur bei sich selbst, gut angelegt ist. Entscheidend ist ferner, daß Sie ver- bürden aber die entstehenden Lasten anderen auf. Für sucht haben, den Bürgern Sand in bezug auf die Frage, Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum bringt das letzt- was die deutsche Einheit kostet, in die Augen zu streuen. lich überhaupt nichts. Aber rein optisch sind die Zahlen (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Maria des Bundeshaushalts 2000 etwas niedriger als die des Eichhorn [CDU/CSU]: Hätten Sie es besser Haushalts 1999. So erweckt man den Eindruck, als sei gewußt? – Gegenruf des Abg. Dr. Uwe Küster etwas gespart worden. Aber Sie sparen nicht; Sie schie- [SPD]: Ja! Unsere Vorschläge haben Sie ja ben Rechnungen durch die Republik. nicht umgesetzt!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie haben dadurch verschuldet, Frau Eichhorn, daß die Lassen Sie mich das an Hand von drei Beispielen Bereitschaft der Bürger, zu sparen und Geld auch für die nachweisen: innere Einheit zu geben, fast verschüttet worden wäre. Erstens. Die Änderungen beim Zivildienst. Die Dau- (Beifall bei der SPD) er des Zivildienstes wird von 13 auf 11 Monate verkürzt. Die Zahl der Stellen sinkt von 140 000 auf 110 000 im Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Jahr 2003. Die Unionsfraktion hatte vor wenigen Tagen Kollege Thomas Dörflinger, CDU/CSU-Fraktion. die Fachverbände zu einer Anhörung eingeladen. Das Ergebnis war: Unisono rechnen die Verbände durch die Pläne der Bundesregierung mit Mehrkosten; schließlich Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Herr Präsident! müssen die Personalpläne neu geordnet werden. So weit, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle- so schlecht. Jetzt erhebt sich die Frage, wie diese Mehr- ginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat uns ei- kosten bei den Verbänden kompensiert werden sollen. nen „Sparhaushalt“ auf den Tisch gelegt. In der Tat: Sie Nehmen Sie beispielsweise ein Krankenhaus, in wel- haben wirklich gespart: an Kreativität, an Konsequenz cher Trägerschaft auch immer. Angesichts der gedek- und letztlich auch an Klugheit. kelten Kosten im Gesundheitswesen – über diesen Punkt (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sprechen wir nachher – wird die Lösung wohl nur in ei- ner Ausdünnung der Leistungen liegen können. Nehmen Nach den gebetsmühlenartigen Vorträgen dieser Tage Sie beispielsweise ein Alten- und Pflegeheim. Ich habe von der Erblast möchte ich in diesem Zusammenhangvor zwei Wochen eines besucht. Dort gehen die Mehr- ein Zitat in Erinnerung rufen, das mir sehr bemerkens- kosten zu Lasten der Patienten, zu Lasten der Pflegever- wert erscheint. Vor einem knappen Jahr hörte sich das in sicherung oder zu Lasten der Kommunen als Sozialhil- der Regierungserklärung vom 10. November 1998 noch feträger. Das heißt: Ihre vermeintlichen Sparerfolge, so an. Ich zitiere Gerhard Schröder: Frau Ministerin, lassen Sie sich von den Landkreisen, Unsere Gesellschaft erwirtschaftet genug, um sich Städten und Gemeinden und von der Sozialversicherung den Sozialstaat leisten zu können. ... Wir brauchen bezahlen. So einfach ist das. die Menschen in Deutschland nicht auf „Blut, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Schweiß und Tränen einzustimmen“. Vermutlich war das der Teil seiner Rede, für den Oskar Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Dörflinger, Lafontaine die Ghostwriter-Rolle übernommen hatte. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert? Vor einem guten Jahr waren die Schulden fast genau- so hoch wie heute. Damals war man auf der Regie- (CDU/CSU): Nein, ich möchte rungsbank offensichtlich noch der Meinung, man müsse Thomas Dörflinger im Zusammenhang vortragen. nur richtig verteilen, dann wäre alles in Ordnung. Aber jetzt, da Sie in dieser irrigen Annahme im Etat 1999 (Dr. Uwe Küster [SPD]: Nicht besonders mu- schon viel Geld ausgegeben haben, müssen Sie es wie- tig! – Hans Georg Wagner [SPD]: Feige!) der einsammeln. So einfach ist der Sachverhalt. Aber das ist ja noch nicht alles. Der Bundeszuschuß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) für den Sold und der Fahrtkostenzuschuß werden um jeweils 5 Prozent gekürzt. Vom Entlassungsgeld der Zi- Dabei legen Sie die Meßlatte recht unterschiedlich an. vis dürfen die Verbände zukünftig auch ein Drittel über- In der Rangliste der Einzelpläne, die am meisten bluten müssen, liegt der Einzelplan 17 auf Platz vier. Dies ist nehmen. In der Erläuterung des Ministeriums zum Ein- zelplan 17 findet sich gleich mehrmals der Satz: „Diese ein ziemlich unrühmlicher Spitzenplatz, Frau Ministerin. Änderung ist vertretbar.“ Das mag für jede einzelne Es ist unbestritten, daß sich der Staat in puncto Aus- Maßnahme durchaus gelten. In der Summe aber gilt dies gaben zurücknehmen muß. Aber der Begriff Staat meint nicht; denn dies führt in der Konsequenz zu einer deutli- 5016 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Thomas Dörflinger (A) chen Kostensteigerung bei den Trägern und in der Folge regierung formuliert in eben dieser Pressemitteilung(C) vermutlich auch zu einer Verschlechterung der Versor- deswegen sehr vorsichtig: gung. Deshalb kann davon ausgegangen werden, daß die Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf Zahl der Spätaussiedler gegenüber der des Vorjah- einen weiteren Punkt aufmerksam machen, der in der res nicht überschritten wird. Diskussion bisher ein bißchen zu kurz kam. – Von einem Rückgang ist schon nicht mehr die Rede. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Dörflinger im Man geht von Konstanz aus. – Er fährt fort: Gespensterwald!) Trotz der Zuzugszahlen auf niedrigem Niveau ist Es besteht ja ein direkter Zusammenhang – das ist nicht die Eingliederung der Spätaussiedler schwieriger zu leugnen – zwischen Zivildienst undWehrdienst . geworden. Deshalb muß insbesondere die Integra- Nach § 24 Abs. 2 des Zivildienstgesetzes dauert der Zi- tion der jungen Generation weiter verbessert wer- vildienst drei Monate länger als der Wehrdienst. Wenn den. Sie also beim Zivildienst Änderungen hinsichtlich der Dauer vornehmen, haben Sie zwei Möglichkeiten: Ent- Aber Sie, Frau Ministerin, fahren den entsprechenden weder Sie ändern den entsprechenden Passus des Zivil- Haushaltsansatz, seit Sie im Amt sind, zurück. Das paßt dienstgesetzes, oder aber Sie nehmen die Korrektureneinfach nicht zusammen. bei der Wehrpflicht vor. Wenn Sie aber die Dauer ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kürzen, stellt sich irgendwann generell die Frage nach der Wehrpflicht. Da diese Frage in Koalitionskreisen Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuß. immer wieder ganz gerne diskutiert wird, würde ichVielleicht kann man mich dort über folgende Merkwür- mich freuen, wenn Sie möglichst bald klarstellen könn- digkeiten aufklären: Warum steigen beim Bundesamt für ten, wie Sie dieses neue Ungleichgewicht zwischen Zi- den Zivildienst die Personalausgaben für Beamte um vil- und Wehrdienst auflösen wollen. Sollten Sie dies2,2 Prozent, aber die für die Angestellten nur um 1,8 nicht tun, setzen Sie sich selbstverständlich dem Ver-Prozent, obwohl der Stellenplan in beiden Fällen kon- dacht aus, über das Vehikel Zivildienst quasi nebenbei stant bleibt? Warum sinken bei den Zivildienstschulen auch einen Anschlag auf die Wehrpflicht zu organisie- die Vergütungen der Angestellten um 4,4 Prozent, ob- ren. wohl auch hier der Stellenplan unverändert bleibt? Rechnen Sie mit unterschiedlichen Tarifabschlüssen? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Oder rechnen Sie sich die Haushaltsstellen einfach so Dieter Dzewas [SPD]: So ein Unsinn!) zurecht, damit unter dem Strich das, was Sie sich vorge- Zweitens zur Neuregelung beimUnterhaltsvor- stellt haben, herauskommt? (B) (D) schuß. Zukünftig dürfen sich Länder und Gemeinden Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung mit 280 Millionen DM jährlich an diesen Zahlungenmachen: Mich erinnert das, was hier nicht nur familien- beteiligen, einmal abgesehen davon, daß dies auch noch politisch, sondern generell veranstaltet wird, fatal an die das Plazet des Bundesrates finden muß. Ich prognosti- Zeichentrickserie „Peanuts“, die ich mir als Kind ganz ziere heute, daß die kommunalen Spitzenverbände für gerne angesehen habe. In dieser Serie spielte auch einer diese Verlagerung der Kosten einen Ausgleich fordern namens Schröder mit. Er spielte sich gerne in den Vor- werden, und zwar zu Recht. Diesen Ausgleich wird die dergrund. Dieser Schröder war auch stets auf sein Outfit Bundesregierung zunächst verweigern. In den anschlie- bedacht und hatte meist einen großen Mund. Aber wenn ßenden Verhandlungen wird ein Kompromiß erzieltetwas schieflief, dann war er auch meistens daran werden, der in der Erfüllung eines Teils dieser Forde-schuld. rungen besteht. Der Effekt wird sein: Sie haben die Ko- sten von oben nach unten verlagert und Verwaltungs- Vielen Dank. aufwand produziert. Durch den zu zahlenden Teilaus- gleich stehen unter dem Strich nicht weniger, sondern (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und mehr Kosten. Das wäre ein toller Sparerfolg. der F.D.P.) Drittens zur Betreuung von Spätaussiedlern. Nicht zum erstenmal werden die Ansätze für die Betreuung Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort von jugendlichen Spätaussiedlern zurückgefahren. Die- dem Kollegen Christian Simmert, Bündnis 90/Die Grü- ser Posten wurde im Etat 1999 schon einmal gekürzt,nen. und zwar um 25 Millionen DM. Jetzt werden in diesem Etat weitere 14 Millionen DM gestrichen. Begründet wird das mit der angeblich deutlich sinkenden Zahl der Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Spätaussiedler. Ich möchte auf eine Pressemitteilung des Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Bundesministeriums des Innern vom 3. September die- Kollegen! Das war ein schöner Abgang, Kollege Dörf- ses Jahres – das ist also noch nicht allzulange her – ver- linger. Aber ich habe den Eindruck, daß bei der weisen. In dieser Mitteilung wird die Zahl der Antrags- CDU/CSU und auch bei der F.D.P. allmählich ein kol- steller im August 1999 mit 9 548 angegeben. Im glei-lektiver Gedächtnisverlust eingesetzt hat. Sie wollen hier chen Monat des Vorjahres waren es 6 531. Das bedeutet die Wirkungen Ihrer Politik in den letzten 16 Jahren zu- also eine Steigerung um etwa 3 000 Personen, aber kei- kleistern. Das ist angesichts des Einzelplans 17 und des nen Rückgang. Der Aussiedlerbeauftragte der Bundes- Gesamthaushalts nicht sonderlich angebracht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5017

Christian Simmert (A) Gerade in unserem Einzelplan werden die Rahmen- Aber nicht nur Toleranz, sondern vor allem auchIn- (C) bedingungen für die Kinder- und Jugendpolitik gesetzt. tegration ist angesagt. Im Gegensatz zur alten Bundes- Immer mehr muß, Frau Rönsch, Jugendpolitik heuteregierung setzen wir hier deutlichere Akzente. Projekte auch mit arbeitsmarktpolitischen Aufgaben verknüpftwie das „Interkulturelle Netzwerk der Jugendsozialarbeit sein, ohne daß dadurch neue Warteschleifen produziert im Sozialraum“ ist nur ein Beispiel. Migrantinnen und werden. Auch ich erwähne das Sofortprogramm derMigranten, Flüchtlinge sowie Spätaussiedlerinnen und Bundesregierung, das ein wesentlicher Bestandteil zur Spätaussiedler gemeinsam anzusprechen leistet einen Bekämpfung der Jugenderwerbslosigkeit ist. Dieseswichtigen Beitrag zur Integration dieser jungen Men- Programm wird durch verschiedene Maßnahmen flan- schen in unsere Gesellschaft. kiert. Das ist richtig, und das ist gut so. Frau Rönsch, Herr Dörflinger, Anträge sind keine realen Zahlen. wenn Sie das ignorieren, dann tut es mir leid. Jugendli- Wir müssen uns einmal anschauen, ob die Zahlen in den chen hilft dieses Programm. Kursen steigen oder sinken. Auch eine Pressemitteilung Das neue Modellprogramm für junge Menschen indes BMI ist keine ausreichende empirische Darstellung, sozialen Brennpunkten vernetzt deshalb gezielt beschäf- um uns zu unterstellen, wir arbeiteten nicht sauber. tigungsfördernde Maßnahmen mit nachgehender Ju- Ich stelle also fest: Die Bundesregierung ist in der Ju- gendsozialarbeit vor Ort. Das soziale Trainingsjahrgendarbeit auf dem richtigen Weg. spricht die jungen Menschen in ihrer Umgebung an und motiviert sie, sich in ihrer Umgebung, in ihrem Stadtteil Einen Punkt will ich nicht verschweigen, der mir be- für ihr direktes Lebensumfeld einzusetzen. Das ist kon- sonders am Herzen liegt: Die Koalition ist bei der zeptionelle Jugendpolitik, und es ist alles andere als das, Gleichberechtigung von Zivildienst und Wehrdienst was wir von Frau Nolte gewohnt waren. erneut einen großen Schritt weitergekommen. Ein, zwei oder drei Programme machen noch keinen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sommer, vor allem dann nicht, wenn ich mir die Ent- und bei der SPD) wicklung auf dem Arbeitsmarkt ansehe. Herr Haupt hat Das mag Sie von der Opposition stören. Mich stört es es gerade erwähnt: mehr Bewerberinnen, noch immer zu nicht. Anfang dieses Jahres haben wir die Besoldung für wenig Ausbildungsplätze. Nicht nur die Bundesregie- Zivildienstleistende angeglichen. Jetzt verkürzen wir rung, sondern vor allen Dingen auch Unternehmerinnen den Zivildienst auf elf Monate. und Unternehmer mit Ausbildungsplätzen sind gefragt, hiergegen etwas zu tun. (Ina Lenke [F.D.P.]: Da haben wir als F.D.P.- Fraktion mitgestimmt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) und bei der SPD) Für mich ist das nicht nur ein Beitrag zur Haushaltskon- (D) solidierung. Ich bin in dieser Sache Überzeugungstäter. Ich appelliere an dieser Stelle an die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, diese Ausbildungsplätze bereitzustel- (Ina Lenke [F.D.P.]: Wir auch!) len. Die Lippenbekenntnisse, die im „Rüttgers-Klub“ in Ich betone, daß wir von einem Schritt in Richtung An- den letzten Jahren während Ihrer Regierungszeit verab- gleichung der Dienstzeiten reden. Eine Angleichung der redet wurden, reichen nicht mehr. Dienstzeit wäre – das sage ich für meine Fraktion – eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verkürzung des Zivildienstes auf zehn Monate. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Trotz aller Anstrengungen wachsen noch immerBündnis 90/Die Grünen werden sich darüber hinaus 1 Million Kinder in Sozialhilfeverhältnissen auf. Knapp mit Nachdruck dafür einsetzen, daß es für Zivildienstlei- 150 000 Jugendliche sind noch immer ohne Ausbil-stende zu keinen Verschlechterungen mehr kommt. dungsplatz. Es handelt sich um Herausforderungen, de- nen sich die Bundesregierung immer neu stellen wird. Es handelt sich um Herausforderungen vor allem an die Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Simmert, Kinder- und Jugendpolitik. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert? Leider sind noch immer zu viele junge Menschen oh- ne Perspektive. Perspektivlosigkeit läßt Resignation ent- Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stehen. Perspektivlosigkeit schürt aber auch Haß undJa, gerne. Gewalt. Gerade das Abschneiden der DVU in Branden- burg und die Situation speziell in diesem Bundesland Dr. Ilja Seifert (PDS): Herr Kollege Überzeugungs- machen deutlich, was braune Rattenfänger aus Perspek- täter, ich kann Ihre Einstellung durchaus verstehen, und tivlosigkeit machen. Die Bekämpfung rechter Gewalt in weiten Bereichen teile ich sie sogar. Haben Sie als und das Vermitteln von Toleranz sind nicht nur Aufgabe Überzeugungstäter neben der Haushaltskonsolidierung der Bundesregierung, sondern eine Herausforderung für wenigstens drei inhaltliche Punkte, mit denen Sie mir uns alle. Wir sollten uns dieser Herausforderung jeden erklären können, wie das, was Zivildienstleistende im Tag aufs neue, immer und immer wieder stellen. sozialen, im kulturellen und im ökologischen Bereich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute tun, auf eine menschengerechte Weise ersetzt und bei der SPD) werden kann? 5018 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Dr. Ilja Seifert (A) Wie soll beispielsweise individuelle Schwerbehin-Menschen endlich wieder die Chance haben, ihr Recht (C) dertenbetreuung zukünftig aussehen? Wie soll in Kran- auf gesellschaftliche Teilhabe zu verwirklichen. kenhäusern überhaupt nocht gearbeitet werden, wenn Vielen Dank. etwa in Berlin 4000 Stellen vorwiegend im Personalbe- reich abgebaut werden? Wie sollen kulturelle und öko- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN logische Projekte funktionieren, wenn es noch weniger und bei der SPD) Zivildienstleistende gibt? Ich bitte Sie um drei inhaltli- che Vorschläge. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kol- legen Klaus Holetschek, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kollege Seifert, ich beschränke mich da nicht auf drei Klaus Holetschek (CDU/CSU): Herr Präsident! inhaltliche Vorschläge, sondern ich sage Ihnen folgen- Meine Damen und Herren! Große Sprüche, nichts da- des: Wir haben im Bereich der Zivildienstleistenden die hinter – auf diese Formel lassen sich die Leistungen der Zahl der Stellen überwiegend dort reduziert, wo es nicht rotgrünen Bundesregierung im Bereich der Familienpo- den Pflegebereich betrifft. Wir werden konzeptionell – litik reduzieren. darauf wäre ich auch noch zu sprechen gekommen – die Reaktion der Betroffenen und der Träger ernst nehmen (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ram- und uns der Herausforderung stellen. Ich weiß, daß das sauer [CDU/CSU]: Leider wahr!) schwierig ist. Meine Fraktion wird sich dazu Gedanken Die Damen und Herren hier oben auf den Tribünen und machen. draußen im Land an den Fernsehschirmen wollen nicht mehr Ihre Mär von der Erblast hören. Vor allen Dingen werden wir darüber reden, welche arbeitsmarktpolitischen Impulse die ersatzlose Strei- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Fensterrede! Ich den- chung des Zivildienstes perspektivisch auslöst. Ich bin ke, Sie debattieren mit uns!) davon überzeugt, daß es dort Möglichkeiten gibt, denn Sie sind gewählt worden, damit Sie Konzepte vorlegen. es ist ein offenes Geheimnis, daß beim Einsatz von Zi- vildienstleistenden die geforderte arbeitsmarktpolitische (Zurufe von der SPD) Neutralität nicht vorhanden ist. – Ja, ich verstehe Sie ja. Am Sonntag sind wieder Wah- len. Ihre Nerven liegen blank; das ist ganz klar. Aber Es gilt also, die bisher von Zivildienstleistenden aus- gefüllten Stellen in reguläre und tariflich entlohnte Ar- deswegen wird es ja nicht besser. beitsplätze umzuwandeln, so schwierig das auch ist. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Schwätzer!) Dennoch werden wir Grünen uns der Herausforderung, (B) Wir wollen Konzepte von Ihnen hören – dafür sind Sie (D) den Zivildienst perspektivisch ersatzlos zu streichen, gewählt worden –, und nicht nur das, was auf dem stellen. Sprechzettel des Bundeskanzleramtes für die Minister Meine Damen und Herren, mir geht es besonders um steht. Das können die Leute draußen nicht mehr hören. die soziale Ausgewogenheit für die junge Generation. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der Mit dem Familienentlastungsgesetz und der Steuerre- SPD: Das kennen Sie von früher!) form haben wir die Familien mit Einkommen spürbar entlastet. Die nächste große Herausforderung ist, Fami- Die Realität zeigt, daß wir 16 Jahre lang eine erfolg- lien ohne Einkommen in den Mittelpunkt unserer Politik reiche Familienpolitik der CDU/CSU gemacht haben zu stellen. Gerade Familien, besonders aber alleinerzie- (Lachen bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: hende Frauen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, müs- Der „stoibert“ ja schon wieder!) sen noch stärker unterstützt werden, als es in den 16 Jahren Kohl-Regierung der Fall gewesen ist. Wirund daß wir in diesen 16 Jahren die familienpolitischen müssen hier eine Grundlage schaffen, damit alle jungen Leistungen von 27 auf 77 Milliarden DM im Jahr erhöht Menschen bei der Gestaltung der Zukunft gleiche Chan- haben. cen haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Mini-Stoiber) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Meine Damen und Herren, Impulse und Anstöße für ein nachhaltiges und schlüssiges Gesamtkonzept zur fi- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die einzelnen ju-nanziellen Entlastung von Familien kommen aus der gendpolitischen Projekte, der Kinder- und Jugendplan, Union und nicht von Ihnen. die Änderungen beim Zivildienst und die Verknüpfung von Jugendarbeit und Arbeitsmarktpolitik zeigen, daß (Beifall bei der CDU/CSU) die Bundesregierung in der Kinder- und Jugendpolitik auf dem richtigen Wege ist. Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Holetschek, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nickels? und bei der SPD) (CDU/CSU): Nein, danke. Wir werden den eingeschlagenen Kurs fortsetzen – egal, Klaus Holetschek ob die Opposition laut schreit oder nicht –, damit junge (Dr. Uwe Küster [SPD]: Mangelnder Mut!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5019

Klaus Holetschek (A) Derzeit stehen verschiedene Vorschläge in der Dis- Das konterkariert geradezu Ihre Maßnahmen. Da hätten (C) kussion, durch welche die wirtschaftliche Situation von Sie sich zu Wort melden müssen. Familien verbessert und gleichzeitig die Familien- und (Beifall bei der CDU/CSU – Irmingard Sche- Erziehungsarbeit von Vätern und Müttern finanziell ho- we-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: noriert werden soll. Konzepte wieFamiliengeld oder Sie haben sie verunsichert!) Erziehungsgehalt haben zum einen eine höhere Aner- kennung der Erziehungsleistung von Eltern und zum an- Mich beunruhigt auch, daß Sie in der Familienpolitik deren eine Verbesserung der Wahlfreiheit von Familie langsam einen Grundkonsens der Wertorientierung ver- und Beruf zum Ziel. lassen. Wir fordern Ihr Ministerium auf, ein schlüssiges Ge- (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: So ist es! – Zu- samtkonzept und nicht nur Stückwerk und Minimallö- rufe von der SPD: Hui!) sungen vorzulegen. Echte Familienförderung heißt nicht, Die Familie als Keimzelle der Gesellschaft ist und bleibt gezwungen durch das Bundesverfassungsgericht steuer- unser wesentliches Fundament. liche Benachteiligungen auszugleichen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Peter Dreßen [SPD]: Sie haben das Die CDU/CSU ist und bleibt der Anwalt der Familien Urteil bekommen, nicht wir!) und der Kinder. Das werden die Leute auch sehr schnell merken. Das kann keine echte Familienförderung sein. Darüber täuscht auch eine grundsätzlich zu begrüßende leichte (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der Erhöhung des Kindergelds nicht hinweg. SPD: 16 Jahre lang! – Das sah das Bundesver- fassungsgericht aber anders!) (Zurufe von der SPD) Ehe und Familie sind auch in Zeiten sich wandeln- – Es wird doch nicht besser, Herr Kollege. Die Leuteder gesellschaftlicher Bedingungen die Lebensformen draußen sehen doch, was Sie damit anrichten. der Zukunft. Wir wenden uns auch gegen eine Gleich- stellung nichtehelicher und gleichgeschlechtlicher Le- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Jeder blamiert sich, bensgemeinschaften, wie es Art. 6 des Grundgesetzes so gut er kann!) entspricht. Über das Thema Diskriminierungen kann man diskutieren. Aber das darf nicht in wertneutralen Übrigens berücksichtigen Sie dabei in keinster Weise Beliebigkeiten enden, wie diese Diskussion bei Ihnen Familien mit mehr als zwei Kindern. geführt wird. Die Familie vermittelt wichtige Werte, die (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ihnen vielleicht unbekannt sind, die aber für die Ge- der F.D.P.) meinschaft immens wichtig sind. Daran kratzen Sie. (Arne Fuhrmann [SPD]: Weihnachten kommt Es ist bekannt – machen wir uns doch nichts vor, auch das Christkind, und wir stellen einen Tannen- die Leute wissen das –: Was Sie in die eine Tasche stek- baum auf! – Weitere Zurufe von der SPD: Wir ken, holen Sie aus der anderen wieder raus. Frauen sind geduldig, und die Männer machen (Zuruf von der CDU/CSU: Verschiebebahn- Karriere – Kampf den berufstätigen Frauen!) hof!) Was Sie wirklich machen sollten: Sie sollten Netz- Die Ökosteuer ist das beste Beispiel – da wird es aufwerke, Bündnisse für Familien initiieren, und zwar auf einmal bei Ihnen ruhig; das ist schön – für Verschiebun- allen Ebenen, von den Kommunen über die Länder bis gen von Lasten und Verschiebebahnhöfe – der Kollege zum Bund. Dörflinger hat es angesprochen. Oder derUnterhalts- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Warum haben Sie das vorschuß: Sie belasten die Kommunen, die Sie sowieso in den vergangenen 16 Jahren nicht gemacht? schon zur Ader lassen, auch hier wieder. Ich bin selber – Gegenruf des Abg. Dr. Hermann Kues Stadtrat und Kreisrat und weiß, welche verheerenden [CDU/CSU]: Was ist denn in den SPD- Auswirkungen Ihre Politik auf die Kommunen hat. geführten Ländern gelaufen? Nichts!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie sollten eine nachhaltige Familienpolitik machen. Aber die machen Sie nicht. Aber Sie setzen hier ja eine Tradition Ihrer Fehllei- stungen fort, die Sie in anderen Gesetzesvorlagen be- (Beifall bei der CDU/CSU) gonnen haben, zum Beispiel beim 630-Mark-Gesetz und Die familienpolitischen Leitlinien müssen kontinu- bei der Gesundheitspolitik. Da stehen Sie mit Ihrer Fa- ierlich an die sich verändernden gesellschaftlichen milienpolitik in bester Tradition. Rahmenbedingungen angepaßt und modernisiert wer- (Beifall bei der CDU/CSU) den. Aufgabe und Ziel der Familienpolitik muß es wei- terhin sein, die Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten Frau Ministerin, Sie wollen Senioren und Jugendliche für Familien zu verbessern. Hierzu zählen für uns auch fördern. Warum haben Sie im Kabinett nicht Ihremdie Bedürfnisse von Familien mit unterschiedlichen Le- Kollegen Riester gesagt, daß Millionen von Rentnernbensrealitäten und von Alleinerziehenden. Dazu gehört verunsichert sind, daß Alt gegen Jung ausgespielt wird? beispielsweise auch die Schaffung eines größtmöglichen 5020 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Klaus Holetschek (A) Handlungsspielraums, damit beide Elternteile Familie Meine Damen und Herren, all dies zeigt, daß dieses(C) und Beruf miteinander vereinbaren können. Programm keine nachhaltige Wirkung besitzt und Sie auch hier nur an der Oberfläche kratzen und nicht wirk- Gestatten Sie mir noch zwei, drei Sätze zurJugend- lich Substanz in Ihre Politik bringen. politik. Ich möchte jetzt gar nicht auf das unsägliche Thema der Drogenpolitik eingehen; das ist beim näch- (Beifall bei der CDU/CSU) sten Einzelplan anzusprechen. Aber was Sie hier mit Ih- Wenn Sie, Frau Ministerin, wirklich ein Gesamtkon- ren Ansätzen zu denFixerstuben vollführen, ist keine Jugendpolitik. Wir brauchen im Ausschuß gar nichtzept mit schlüssigen Ansätzen vorlegen, das sich am Wohl der Familien orientiert, dann werden Sie in uns mehr über Prävention zu sprechen, wenn aus dem Ge- konstruktive Ansprechpartner finden. Solange hier aber sundheitsministerium diese Ansätze kommen. nur Stückwerk vorgeführt wird, werden wir Ihnen auf- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zeigen, wie richtige Familienpolitik gemacht werden muß. Kollege Simmert, Sie waren doch bei dem Gespräch mit dem Jugendverband unlängst dabei. Da wurde doch (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deutlich: Den Jugendverbänden fehlt die Linie in der Ju- DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Herr, gendpolitik. Sie haben Angst, daß die strukturelle Förde- bewahre dieses Land vor einem solchen An- rung zugunsten einer Projektförderung gestrichen wird. gebot!) So kann man Ehrenamt nicht fördern. Da nützen auch Die CDU/CSU wird dafür sorgen, daß die Familienpoli- keine Enquete-Kommissionen etwas. So schließt man tik wieder in den Mittelpunkt der Politik rückt. Jugendliche von der Partizipation an der Jugendarbeit aus. (Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie 16 Jahre gezeigt!) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Anspruch und Wirklich- Dort gehört sie nämlich hin. keit!) Herzlichen Dank. Auch das 100 000-Job-Programm – ich kann Ihnen das nicht ersparen – ist eine kurzfristige Maßnahme. Ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- freue mich natürlich über jeden, der einen Arbeits- oder ordneten der F.D.P.) Ausbildungsplatz hat. Hierbei handelt es sich aber um eine kurzfristige Überbrückungsmaßnahme, die die Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer strukturellen Bedingungen nicht ändert. Machen SieKurzintervention hat Kollegin Christa Nickels. endlich eine vernünftige Wirtschaftspolitik! Sorgen Sie (B) (D) dafür, daß die Konjunktur funktioniert, und machen Sie vor allen Dingen in den von Rotgrün regierten Ländern Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): eine vernünftige Bildungspolitik! Dann würden wir die- Herzlichen Dank, Herr Präsident, für die Erteilung des ses Problem sehr schnell und viel besser in den Griff be- Wortes zu einer Kurzintervention. kommen. Herr Kollege Holetschek, es ist natürlich richtig, daß (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dieses Parlament der Ort ist, an dem man um das Beste ordneten der F.D.P.) in der Familien-, Jugend- und Drogenpolitik – auch das haben Sie ja angesprochen – streitet. Ich möchte aber Einige Zahlen, die der Präsident des Zentralverbandes bemerken, daß Maulheldentum nicht den Streit in der des Deutschen Handwerks, Dieter Philipp, Anfang die- Sache ersetzt. ser Woche vorgelegt hat, unterstreichen diese Einschät- zung: Von den 52 900 Jugendlichen, die eine Ausbil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dungsmaßnahme beendet haben, seien, so Philipp, wie- und bei der SPD) der 15 600 arbeitslos; von rund 14 000 Teilnehmern Außerdem möchte ich anmerken, daß ein Mitglied wisse man nicht, wo sie abgeblieben seien. Nur 8 500 einer früheren Regierungskoalition, die es neun Jahre junge Leute hätten laut Aussagen des ZDH-Präsidenten nicht geschafft hat, ein Verfassungsgerichtsurteil zur tatsächlich einen Arbeitsplatz bekommen, lediglich Gleichstellung der Familien umzusetzen, 1 700 hätten einen betrieblichen Ausbildungsplatz ge- funden, 7 500 Jugendliche hätten die Ausbildung schon (Zuruf von der SPD: So ist es!) wieder abgebrochen, während 55 000 Angefragte gar nicht erst angetreten seien. kein Recht hat, eine Regierung, die seit zehn Monaten an der Macht ist und eine ganze Menge von dem, was das Verfassungsgericht Ihnen damals auferlegt hat, um- Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Holetschek, gesetzt hat, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn? (Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Gar nichts!) zu kritisieren, und sich besser in Bescheidenheit üben Klaus Holetschek (CDU/CSU): Nein. Ich komme und konstruktive Vorschläge machen sollte. sofort zum Ende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zurufe von der SPD) und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5021

Christa Nickels (A) Auch zu Ihrem kurzen Schwenk auf die Drogenpoli- Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort (C) tik möchte ich eine Anmerkung machen: Wenn einedem Kollegen Dieter Dzewas, SPD-Fraktion. vernünftige Drogen- und Suchtpolitik gemacht und jungen Leuten die Informationen und das Rüstzeug ge- geben werden soll, um nicht in die Sucht abzugleiten, Dieter Dzewas (SPD): Sehr geehrter Herr Bundes- dann hilft es nicht, daß man den moralischen Zeigefin- tagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Oppo- ger so hoch reckt, daß er fast von der Hand abfällt. Essition tut gut, Herr Haupt und Frau Rönsch. hilft auch nicht, Worte und Thesen zu benutzen, die bei (Zuruf von der F.D.P.: Macht auch Spaß!) jungen Leuten nicht ankommen. Auch Kampagnen, die zwar 70 Prozent der Bevölkerung kennen, aber bei jun- Ich habe den Eindruck, daß Ihr Engagement für So- gen Leuten dazu führen, daß sie sich T-Shirts anziehen, zialhilfe und Wohlfahrtsverbände ausgesprochen gut ist. auf denen „Keine Macht den Doofen!“ steht, helfen we- Ich hätte mir das allerdings auch unter Ihrer Regie- nig. Das zeigt nämlich, daß die Botschaft überhauptrungsverantwortung gewünscht. Angesichts dieses neu- nicht ankommt. en sozialen Engagements sollte man Ihnen noch lange (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Oppositionszeiten wünschen. und bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Man muß sich in der Drogenpolitik stocknüchtern DIE GRÜNEN – Hannelore Rönsch [Wiesba- darum bemühen, die Sprache der jungen Leute zu spre- den] [CDU/CSU]: Die Zeit des Hochmuts ist chen und dort zu sein, wo sie sind, um mit den Informa- vorbei!) tionen auch wirklich überzukommen. Dazu haben wir in Tatsache ist, daß Kinder- und Jugendpolitik unter Ih- den letzten zehn Monaten schon eine ganze Menge vor- rer Regierungsverantwortung kontinuierlich vernachläs- zuweisen. Ich bin froh, daß das fraktionsübergreifendsigt worden ist. auch mit denjenigen, die in der Praxis und vor Ort in den Kommunen arbeiten, gut geschieht. (Ina Lenke [F.D.P.]: Das müssen Sie sagen, weil Sie so wenig machen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Die Versäumnisse sind so gravierend, daß viele Struktu- Das machen wir doch schon in den Kommu- ren reformbedürftig sind. Herr Holetschek, auch wenn nen!) Ihnen das Thema mit der Erblast nicht paßt, kann ich es Ihnen nicht ersparen: 1,5 Billionen DM Bundesschuld und 82 Milliarden DM für Zinsen allein in diesem Jahr Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Holetschek, (B) Sie haben Gelegenheit zu antworten. (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: (D) Sagen Sie doch einmal was zur Wiederverei- nigung!) Klaus Holetschek (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, ich denke, daß der Begriff Maulhel-versetzen Kinder und Jugendliche in eine unglückliche dentum in unserem Parlament nicht angebracht ist. Ausgangsposition; denn sie müssen diese Schulden be- zahlen. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: Das war noch sehr (Beifall bei der SPD) zurückhaltend!) Wir wollen, daß die 25 Millionen jungen Menschen Wir sollten durchaus sachlich streiten. Die Leute verste- unter 25 Jahren, die in Deutschland leben, wieder Licht hen es zwar auch, wenn man sich emotinonal darüberam Ende des Tunnels sehen und daß wir Ihnen sagen auseinandersetzt, aber in der parlamentarischen Praxis können: Ihr müßt nicht euer ganzes Arbeitsleben lang sollten wir doch bei den richtigen Begriffen bleiben.die Schulden der Vorgängergeneration abtragen. Das Persönlich habe ich Sie auch gar nicht angesprochen. Umsteuern ist an dieser Stelle unbedingt erforderlich. Der Kinderfreibetrag wurde übrigens von der SPD (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ abgeschafft. DIE GRÜNEN) In der Drogenpolitik haben Sie, sehr geehrte Frau Bereits im Haushalt für das Jahr 1999 haben wir die Staatssekretärin, einen fatalen Weg eingeschlagen. Ich Ausgaben für denKinder- und Jugendplanum 20 bin wirklich gerne bereit, mich sachlich mit diesemMillionen DM erhöht. Er bleibt trotz der notwendigen Thema auseinanderzusetzen. Aber die Errichtung vonKonsolidierungsmaßnahmen für das Zukunftsprogramm Fixerstuben und die Freigabe von Heroin setzen die2000 auch in diesem Jahr auf diesem hohen Niveau. Hemmschwellen herab. Wir werden Probleme bekom- men. So macht man keine richtige und sinnvolle Dro- Präventive Angebote in der Jugendarbeit und der Ju- genbekämpfungspolitik. Wir sollten uns viel stärker des gendsozialarbeit werden flankierend zur elterlichen Er- präventiven Bereichs annehmen. ziehungsverantwortung eingesetzt, um jungen Menschen das Hineinwachsen in unsere Gesellschaft zu erleichtern. Ich bin gerne bereit, diese Diskussion sachlich fortzu- führen, aber natürlich nur, wenn Sie nicht solche Worte Meine Damen und Herren von der ehemaligen Regie- wählen, wie Sie es in Ihrem Eingangssatz getan haben. rungsbank, als Folge Ihrer langjährig versäumten Sozial- und Arbeitsmarktpolitik und auch auf Grund falscher (Beifall bei der CDU/CSU) Prioritätensetzung im Bundeshaushalt gibt es in vielen 5022 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Klaus Holetschek (A) Städten und Gemeinden unseres Landes Wohngebiete, brauchen wir eine starke Lobby für Jugendliche, und(C) in denen sich Kinder und Jugendliche massiv mit sozia- zwar gerade für diejenigen, die sozial und wirtschaftlich len Problemen wie Arbeitslosigkeit, Wohnungsmangel, benachteiligt sind. Diesen Anforderungen wird der Drogen und ähnlichem auseinandersetzen müssen. Wer Richtungswechsel in unserer Kinder- und Jugendpolitik hier groß wird, hat andere Probleme als die in den besse- gerecht. ren Vierteln. Denken Sie an das Jahr zuvor, als derZehnte Kin- (Beifall bei der SPD) der- und Jugendbericht eine vernichtende Bilanz über 16 Jahre konservativ-liberaler Regierungspolitik gezo- Um diesen jungen Menschen gezielt Chancen zu er- gen hat. möglichen, haben wir die Mittel für das Programm „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen (Beifall bei der SPD) Brennpunkten“ bereits um weitere 5 Millionen DM er- höht und es mit einem Gesamtvolumen von 15 Millio- Der Bericht hat uns wichtige Einblicke in die Lebens- nen DM ausgestattet. Übrigens werden auch junge Mi- wirklichkeit der Kinder in unserem Lande gegeben. In granten mit in dieses Programm einbezogen. Bei ihnen seinen Verbesserungsvorschlägen hat er verdeutlicht, kommt häufig das Problem fehlender deutscher Sprach- wie wichtig die Zusammenarbeit von Bund, Ländern kenntnisse und das Vorhandensein einer anderen Kultur und Gemeinden in dieser Frage ist. Wir stellen uns mit hinzu. Wir planen die Einrichtung interkultureller Netz- dem vorliegenden Haushalt der Verantwortung des werke. Bundes für diesen Bereich. Ich möchte einen besonderen Appell an die Damen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und Herren von der CDU/CSU richten, die im Frühjahr Lassen Sie mich jetzt zumZivildienst kommen. Die dieses Jahres so fleißig Unterschriften für die Integration Einsparungen, die wir dort vorgesehen haben, sind not- ausländischer Mitbürger gesammelt haben. Helfen Sie wendig. Sie sind auch strukturell verträglich. Die zu- an dieser Stelle mit, das mit Inhalt zu füllen. sätzliche Beteiligung der Träger sowohl an den Sold- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und Fahrtkosten als auch an den Entlassungskosten halte DIE GRÜNEN – Maria Eichhorn [CDU/ ich deshalb für vertretbar, weil Träger dadurch, daß sie CSU]: Wir tun genug in den Ländern, in denen Zivildienstleistende einsetzen können, durchaus wirt- wir regieren!) schaftlich arbeiten. Auch die Senkung der Erstattungs- pauschale im Rahmen der Rentenversicherung ist ver- Benachteiligte Jugendliche und die, die bisher noch träglich, da sie analog zur Höhe des Einkommens von keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, sind tatsäch- Wehrpflichtigen und analog zur Höhe des Realeinkom- lich auf zusätzliche Programme angewiesen. Schon die (B) mens vergleichbarer junger Menschen erfolgt. (D) Begriffe „Parken“ und „Beruhigung“ machen aus mei- ner Sicht deutlich, mit welcher unglaublichen Ignoranz Ich möchte an dieser Stelle auf zwei Punkte eingehen, und Arroganz Sie an dieses Thema herangehen, meine die in der vergangenen Zeit immer wieder zu erhebli- Damen und Herren von der CDU/CSU. chen öffentlichen Diskussionen geführt haben. Da geht es zum einen um die Verkürzung der Dauer des Zivil- (Beifall bei der SPD) dienstes – sie soll ab 1. Juli nächsten Jahres von 13 auf Wer vor Ort mit den Praktikern der Arbeitsverwaltung 11 Monate verkürzt werden – und zum anderen um die spricht – bei mir wird übrigens auch mit der Kreishand- Verringerung der Zahl der Zivildienstplätze. Die zeit- werkerschaft kooperiert –, liche Angleichung der Dauer von Wehr- und Zivildienst ist ein längst überfälliger Beitrag zur Gleichbehandlung (Ina Lenke [F.D.P.]: Glauben Sie, bei uns ist beider Dienste. das anders?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stellt fest, daß es dort hervorragende Ergebnisse gibt, DIE GRÜNEN) Frau Lenke. Deshalb wird dieses Programm fortgeführt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Dzewas, ge- statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert, Herr Dörflinger, zur Identität von Antragstellern und PDS-Fraktion? zu den realen Zahlen beim Zuzug von Aussiedlern hat Herr Simmert schon das ein oder andere gesagt. Ich ge- he davon aus, daß sowohl die Qualität als auch die Kon- Dieter Dzewas (SPD): Auf das, was Sie, so glaube tinuität der Arbeit im Bereich desGarantiefonds ge- ich, fragen wollen, werde ich gleich noch eingehen. In- währleistet ist. Im übrigen sollten Sie sich einmal bei Ih- sofern sollten Sie mir gestatten, daß ich jetzt keine Zwi- ren Kollegen erkundigen, wie Kürzungen beim Garan- schenfrage von Ihnen zulasse. Außerdem ist dies meine tiefonds in der Vergangenheit gehandhabt worden sind. erste Rede im Bundestag. Da habe ich das Privileg, Zwi- (Beifall bei der SPD) schenfragen nicht zuzulassen. Jugend ist im Zuge des demographischen Wandels si- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des cherlich nicht mehr in dem Umfang gefragt. Wir glau- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der ben aber, daß Jugend Chancen haben muß. Deshalb CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5023

Dieter Dzewas (A) Es geht übrigens in keinster Weise um einen An- Ich möchte zum Schluß auf diejenigen Dinge einge-(C) schlag auf die Wehrpflicht. Damit würde das Pferd von hen, die uns – auch aus der Sicht des Ministeriums für einer völlig anderen Seite aufgezogen. Der Zivildienst Familie, Senioren, Frauen und Jugend – besonders entwickelte sich aus der Wehrpflicht – und nicht umge- wichtig erscheinen. Der Beitrag, den wir zur Konsolidie- kehrt. Insofern ist es völlig aberwitzig, zu behaupten,rung des Haushalts 2000 leisten, ist dringend erforder- man wolle über den Zivildienst eine Entscheidung über lich, damit die Erblast für die junge Generation abgebaut die Struktur der Wehrpflicht herbeiführen, Herr Fischer. wird und neue Zukunftsperspektiven eröffnet werden können. – Herr Holetschek, hören Sie bitte genau zu. – Bei der vorgesehenen Gleichbehandlung der beiden Junge Menschen, die künftig zu Steuerzahler werden, Dienste geht es in erster Linie um das soziale Engage- haben das gleiche Recht wie die Generationen zuvor, ment von Zivildienstleistenden in Pflege- und Betreu-daß ihre Steuern in erster Linie für ihre Zukunft, für ihre ungsdiensten. Sie wissen, wie psychisch und physisch Perspektiven, für Infrastruktur und für Dienstleistungen belastend gerade der Dienst in der individuellenausgegeben werden, und nicht in erster Linie zum Ab- Schwerstbehindertenbetreuung ist. Dieser Dienst hat er- tragen von Lasten aus der Vergangenheit. Es muß heblich zum Imagegewinn von ZivildienstleistendenSchluß sein mit Hypotheken auf die Zukunft. Es muß beigetragen. Schluß sein mit Wechseln, die die nächste Generation Die Sorgen um die Verringerung der Zahl der Dienst- und die Enkel bezahlen müssen. plätze, die in der Vergangenheit gerade von Ihnen aus (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU auf aus meiner Sicht unverantwortliche Weise geschürt worden sind, sind völlig unbegründet. Ein weiterer Punkt: Wir leisten den längst überfälli- Zivildienststellen werden doch nicht im Bereich dergen gerechten Familienlastenausgleich – übrigens ohne Pflege- und Betreuungsdienste eingespart, sondern dort Pump à la Waigel. Wir tun das solide finanziert. Wenn konzentriert. Gestrichen wird im handwerklichen, kauf- bei Ihnen alles in Ordnung gewesen wäre, dann müßten männischen und Verwaltungsbereich. Es geschieht das wir uns jetzt nicht mit dem Urteil des Bundesverfas- genaue Gegenteil von dem, was Sie behaupten. sungsgerichts beschäftigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das sind lange vernachlässigte Pflichten, die Sie nicht Jetzt möchte ich doch einmal an ein paar Zahlen aus erfüllt haben, meine Damen und Herren von der Oppo- dem Jahre 1990 erinnern, in dem ja offensichtlich andere sition. Ich denke, Sie sollten jetzt mitwirken, daß wir Regierungsverhältnisse geherrscht haben. Da wurde die gemeinsam vorankommen, um die Erblast abzubauen Dauer des Zivildienstes von 20 Monaten auf 15 Monate und Familienleistungsausgleich solide und anständig (B) verkürzt. Zwischen Ankündigung und Vollzug dieserfinanzieren zu können. (D) Maßnahme lagen gerade einmal drei Monate. Die Zahl der Stellen wurde unter Ihrer Regierungsverantwortung Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. von 96 000 auf 75 000 reduziert. Von irgendwelchen Notständen in den Pflegediensten zur damaligen Zeit ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nichts bekannt. Auch von einer zivildienstbedingten so- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zialen Verelendung ist nichts bekannt. Die Doppelzün- gigkeit Ihrer Argumentation wird an dieser Stelle beson- ders deutlich. Präsident Wolfgang Thierse: Lieber Kollege Dzewas, Sie haben es ja schon verraten: Dies war Ihre (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten erste Rede. Unsere herzliche Gratulation. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall) Durch das Streichen der Maßnahmen im handwerkli- chen, kaufmännischen und verwaltungstechnischen Be- Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Manfred reich wird deutlich, daß die Kürzungen nicht zu Lasten Kolbe, CDU/CSU-Fraktion. der Hilfebedürftigen in unserer Gesellschaft gehen, auch wenn das von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, immer wieder behauptet wird. Das ist übri- Manfred Kolbe (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr gens ein gutes Beispiel dafür, daß die ständige Wieder- Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge- holung von Behauptungen deren Wahrheitsgehalt inehrte Frau Bundesministerin Bergmann! – Ich begrüße keiner Weise erhöht. Sie noch einmal ausdrücklich als Bundesministerin, da- mit auch die Kolleginnen der SPD merken, daß Sie im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Amt sind; es hat sich ja offenbar noch nicht überall des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) herumgesprochen. Teilweise haben Sie Frau Rönsch Mit dem Abbau der Zahl der Dienststellen in diesem noch als Ministerin bezeichnet. Das wundert aber auch Bereich rücken wir übrigens wieder viel näher an dienicht; denn damals ist in der Familienpolitik etwas pas- Einhaltung des Zivildienstgesetzes. In § 4 Abs. 1 wird siert, was man jetzt nicht mehr unbedingt sagen kann. ganz deutlich von einer Konzentration des Zivildienstes (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – auf den sozialen Bereich und auf den Dienst im Um- Dr. Uwe Küster [SPD]: Aber nur Schlechtes! – weltschutz gesprochen. Deswegen ist alles in Karlsruhe gelandet!) 5024 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Manfred Kolbe (A) Frau Ministerin, auch Sie waren sich nicht zu schade, bildlich darstellen, was Sie da machen. Wenn meine(C) wieder von Kohls Erblastschuld zu reden, angeblich 1,5 Bank zu mir kommt und sagt: Herr Kolbe, Sie geben Billionen DM. Frau Bergmann, wir kommen beide aus monatlich zu viel Geld aus, Sie müssen einmal sparen, Sachsen und wissen doch, wofür rund ein Drittel dieses dann sage ich: Schauen wir einmal die Ausgabeposi- Geldes seit 1990 eingesetzt worden ist, nämlich weil 40 tion durch. Meine Miete zahlt in Zukunft Frau Jahre lang Dinge versäumt worden sind. Sachsen warChristine Bergmann. Dann habe ich hier einen Aus- einmal das reichste Land Deutschlands. Das war es 1990 gabeposten weniger. Genauso gehen Sie vor. Sie verla- nicht mehr, weil die SED 40 Jahre lang das Land her-gern eine Ausgabeposition auf Dritte und nennen das untergewirtschaftet hat. Sparen. Wir tun uns als demokratische Parteien doch allen Dies tun Sie auch noch ohne Absprache. Man hätte keinen Gefallen, wenn wir die Dinge vermengen. doch durchaus darüber reden können, daß es beim Un- terhaltsvorschuß eine Diskrepanz gibt, daß diejenigen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die das Geld verwalten, nicht diejenigen sind, die das Wir sind ganz klar der Auffassung, daß es sich um ge- Ganze bezahlen. Das ist in der Tat eine unglückliche samtdeutsche Schulden handelt, die von allen Deutschen Konstruktion. Sie aber haben jedes vernünftige Ge- zu tragen sind. Es war doch eine vernünftige Lösung,spräch darüber vermieden und dies einseitig diktiert. Die diese Schulden im Erblastungstilgenfonds gesondert zu Kommunen haben davon erst aus der Zeitung erfahren; verankern, damit die Verantwortung der Genossen auf und die werden sich wehren. Sie werden das nicht der linken Seite klar dargestellt ist. durchbekommen. – So weit zum Haushalt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Abschließend noch zur Familien-, Frauen- und Senio- renpolitik. Frau Bergmann, wieder nichts gehört habe Daran müssen wir doch alle als demokratische Partei- ich von Ihrem früheren Lieblingsthema„Frauen in en ein Interesse haben, Herr Diller. Überlegen Sie sich Führungspositionen“. Früher nahm dieser Bereich gro- einmal, ob Sie sich mit dieser angeblichen Kohlschenße Blöcke Ihrer Redezeit ein. Warum haben wir davon Erblast von 1,5 Billionen selber einen Gefallen getannichts gehört? Weil wir seit dem 23. Mai dieses Jahres haben. eine Situation haben, die es in der Bundesrepublik Herr Diller – wenn ich Sie kurz in Ihrer Lektüre un- Deutschland viele Jahrzehnte nicht gegeben hat: Zum terbrechen darf –, Ihr Erblastgerede ist besonders ärger- ersten Mal haben wir in den drei obersten Staatsämtern lich mit Blick auf die ständigen Erhöhungsanträge der keine Frau, liebe Kolleginnen von der SPD. Das ist das SPD im Haushaltsausschuß zum Einzelplan 17, Familie Ergebnis Ihrer Politik. Ich bedaure das. und Senioren. Sie waren vier Jahre lang Arbeitsgrup- (B) penleiter dort. Sie haben diese Erhöhungsanträge zu ver- (D) antworten. Einen ganzen Packen Anträge – ein Pfund Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Kolbe, schwer – haben Sie in den letzten vier Jahren im Aus-Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten. schuß allein zu diesem Einzelplan gestellt. Wenn wir allen Ihren Erhöhungsanträgen gefolgt wären, hätten wir jetzt eine Erblast von 100 Milliarden DM seit 1990 mehr Manfred Kolbe (CDU/CSU): Damit bin ich am Ende im Bundeshaushalt. Das wäre eine wirkliche Erblast,meiner Rede: aber nicht das, was Sie als solche bezeichnen. (V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje (Beifall bei der CDU/CSU) Vollmer) Zugeben muß man allerdings, daß das Familien-Sie haben in der Familienpolitik unsere Unterstützung, ministerium von diesem Sparpaket besonders getroffen aber Sie müssen auch dafür kämpfen, Frau Bergmann. ist. Warum? Sie haben einen Etat von 11,8 Milliar-Danke. den DM. Davon haben Sie als festen Ausgabenblock 7,1 Milliarden DM Erziehungsgeld. Das ist eine gesetz- (Beifall bei der CDU/CSU) liche Leistung, die Sie nicht verändern können. Sie müs- sen also auf die restliche Etatsumme von 4,7 Milliarden DM den gesamten Sparbeitrag in Höhe von 7,4 Prozent Vizepräsidentin Dr. : Weitere erbringen. Sie müssen also den dreifachen Sparbeitrag Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen erbringen wie andere Ressorts, die nicht diese festennicht vor. Ausgabenblöcke haben. Wir kommen also zum Geschäftsbereich des Bun- Was zeigt das? Das Familienministerium hat keinedesministeriums für Gesundheit. Das Wort hat zunächst Lobby. Sie werden überobligationsmäßig herangezogen. die Frau Bundesministerin Andrea Fischer. Frau Rönsch hat das schön formuliert: Unterabteilung des Finanzministeriums. Das ist leider so. Das bedauern wir, Frau Bergmann. Andrea Fischer, Bundesministerin für Gesundheit: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erle- Deshalb sind Sie zu teilweise abenteuerlichen Einspa- ben seit Wochen und Monaten einen heftig und mit allen rungen gezwungen, etwa beimUnterhaltsvorschuß: Mitteln geführten Streit um die Gesundheitsreform. So- 242 Millionen DM. Da sparen Sie angeblich ein, indem fern sich die jetzige Opposition noch an die Situation Sie Ausgaben auf Dritte verlagern. Ich darf Ihnen einmal erinnern kann, die wir bis vor einem Jahr hatten, weiß Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5025

Bundesministerin Andrea Fischer (A) sie, daß ein solcher Streit bis zu einem gewissen GradLeistungserbringer schlägt, jede ihrer Forderungen mit- (C) unvermeidlich ist. Dafür ist das Thema – – trägt und sich nicht die Frage stellt, wie das mit anderen Positionen zu vereinbaren ist. (Zurufe von der SPD und der PDS: Lauter!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ich glaube, daß ist eine Frage der Technik. Es kann und bei der SPD) nicht sein, daß ich hier brüllen muß. So einfach kann man es sich nicht machen. (Hans Georg Wagner [SPD]: Sie könnten, wenn Sie wollten!) Im Zentrum der Auseinandersetzung, in der wir uns zur Zeit befinden, steht der Begriff desGlobalbudgets, der zugegebenermaßen nicht das ist, was man ein war- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich finde auch, mes Wort nennt. Trotzdem möchte ich das Ganze gern daß der Ton etwas leise ist. Ich kann dies aber leiderauseinandernehmen, um zu prüfen, ob die Aufregung, nicht von hier oben regeln. Ich bitte also darum, den Ton die darum entfaltet wird, wirklich berechtigt ist. etwas lauter zu stellen. Es geht doch darum, daß wir eine gesellschaftliche Verabredung treffen, die besagt, wieviel Geld wir für ei- Andrea Fischer, Bundesministerin für Gesundheit: ne kollektive solidarische Gesundheitsversorgung auf- Ich hoffe, daß dies jemand, der dafür zuständig ist, mit- wenden wollen. Wenn ich mich bei all dem, was ich in bekommen hat. Ich glaube nämlich, ich halte es nichtGesprächen sowohl in Familie und im Freundeskreis als durch, wenn ich die ganze Zeit schreien muß. Ehrlichauch mit Bürgerinnen und Bürgern, mit denen ich auf gesagt, will ich das auch gar nicht; von Können soll hier politischen Veranstaltungen geredet habe, erfahren habe, nicht die Rede sein. nicht völlig täusche, dann ist es so, daß die Menschen (Beifall der Abg. Susanne Kastner [SPD]) bei uns den Eindruck haben, ihre Belastungen mit Sozi- alversicherungsbeiträgen sei an einer kritischen Schall- Noch einmal zur Kritik an der Gesundheitsreform: mauer angekommen, die sie nicht überschreiten wollen. Ich will hier ganz deutlich zum Ausdruck bringen, daß ich es mir nicht so einfach mache, zu sagen: Viel Feind, Daß dies die Leute umtreibt, sieht man, nebenbei be- viel Ehr – das allein ist schon ein Beweis für die Rich- merkt, daran, daß sich gerade die jüngeren Versicherten tigkeit. Ich glaube aber auch nicht, daß dies ein Beweis sehr stark dafür interessieren, wie sie durch einen Kas- für die Falschheit ist. Natürlich gibt es in der Gesund-senwechsel weniger Beiträge bezahlen können. Das heitspolitik eine bestimmte politische Folklore, daß alle heißt, dieser Bereich übt erheblichen Druck auf die Ge- Seiten jede Form der Veränderung zunächst einmal mit sundheitspolitik aus. Deswegen meine ich: Wer die Zu- (B) Katastrophenszenarien belegen. Es ist daher nicht ganz kunft der gesetzlichen Krankenversicherung sichern(D) einfach, Kurs zu halten. will, wer sichern will, daß die Menschen auch auf Dauer zustimmen, die großen Risiken solidarisch abzusichern, Natürlich gibt es richtige, zutreffende Kritik, die uns darf sie gleichzeitig nicht mit zu hohen Beitragssätzen überzeugt und die mit Sicherheit dazu führen wird, daß überfordern. Deswegen bekenne ich mich dazu, daß die- der Gesetzentwurf im Laufe der parlamentarischen Be- se Gesundheitsreform mit dem Ziel gemacht wird, die ratungen noch Änderungen erfährt. Manche Kritik ent- Beitragsstabilität dauerhaft zu sichern. springt einer Verunsicherung, die eine lange Geschichte hat, auch der Verunsicherung auf Grund der Art und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weise, wie in den letzten Monaten über die Gesund- und bei der SPD) heitsreform gesprochen wurde, wobei nicht alles, was Wir sagen: Wenn man die Ausgaben im Gesund- gesagt wurde, der Wahrheit entsprach – um es einmalheitswesen so steigen läßt, wie die Löhne steigen, dann sehr vorsichtig auszudrücken. Wir werden uns bemühen, hat man das Ziel erreicht, sie an eine formale Größe an- diejenigen, die verunsichert sind, durch Werben, Über- zubinden. Das ist genau das, was in der Kritik steht, die zeugen und die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen, besagt, das sei zu wenig, das würde angesichts des me- für diese Reform zu gewinnen. dizinischen Fortschritts und des demographischen Wan- Es gibt aber auch Kritik, die der ungebremsten Ver- dels nicht ausreichen. Ich bekenne mich dazu, daß das tretung von Eigeninteressen entspringt. Hier geht es um eine politische Verabredung ist. Die Sicherung der Bei- die Eigeninteressen einzelner Gruppen. Es ist wirklich tragsstabilität ist eine politische Entscheidung und dem- auffällig, daß die Kritik seitens der Patienten und Versi- entsprechend wäre die Anbindung an die Lohnentwick- cherten nicht annähernd mit dem mithalten kann, waslung ebenfalls eine politische Entscheidung. die Leistungserbringer machen. Sie sind nämlich dieje- Die Gegner der Reform sagen aber, der medizinische nigen, die die Reform heftig kritisieren. Es ist legitim, Fortschritt sei zwangsläufig so teuer, daß er mit dem daß jeder seine Interessen vertritt und versucht, sie Anstieg der Löhne nicht aufgefangen werden könnte. durchzusetzen. Ich meine aber, daß die Aufgabe der Ge- Die Gegner sagen, daß die Kosten zwangsläufig stärker sundheitspolitik sowohl von mir als Ministerin als auch steigen. Sie müssen sich dann aber auch fragen lassen: vom gesetzgebenden Parlament darin besteht, eine Ver- Woher nehmen Sie diese Behauptung? Woher wissen mittlung zwischen den verschiedenen Positionen herbei- Sie, daß das so ist? Woher wissen Sie, daß medizini- zuführen. scher Fortschritt, wenn wir nicht immer nur Neues An diesem Punkt macht es sich die Opposition wirk- draufsatteln, sondern etwas anderes dadurch ersetzen, lich zu leicht, indem sie sich bruchlos auf die Seite der zwangsläufig zu exponentiellen Ausgabensteigerungen 5026 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Bundesministerin Andrea Fischer (A) führt? Ich finde auch, daß sich diejenigen, die das kriti- Aktionsprogramm zwischen Kassen und Ärzteschaft, (C) sieren, die Frage gefallen lassen müssen, ob sie wirklich das wir vermittelt und gestern gemeinsam vorgestellt davon überzeugt sind, daß in unserem Gesundheitswe- haben, in dem wir noch einmal deutlich gemacht haben, sen nur das Notwendige getan wird. wofür die Solidargemeinschaft nicht einsteht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich verlange von allen, und zwar sowohl von den sowie bei Abgeordneten der SPD) Versicherten, von den Patientinnen und Patienten, als auch von denjenigen, die professionell im Gesundheits- Mich macht es sehr wütend, wenn in der Öffentlich- wesen arbeiten, daß sie anerkennen, daß ein solidari- keit zum Teil in einer Art und Weise über die Reformsches System Grenzen hat, daß man die Solidarität nicht geredet wird, als würde jetzt eine Katastrophe drohen. überstrapazieren darf und daß von allen die nötige Wir haben ein sehr hohes Niveau der gesundheitlichen Selbstbeschränkung erforderlich ist, damit wir dieses Versorgung, wofür wir international gesehen System in nicht durch Überforderung zerstören. Dies ist Deutschland, gemessen an der Bevölkerungszahl, dender Hintersinn unserer Reform. zweithöchsten Betrag ausgeben. Das heißt, wenn wir die Ausgaben in den nächsten Jahren entsprechend der Löh- Ich glaube allerdings, es würde uns allen helfen, die ne steigern, kann es nicht sein, daß wir damit in eineDiskussionen über die Frage, was eigentlich genug Zwei-Klassen-Medizin, in eine Barfuß-Medizin oderund was zuviel ist, in Zukunft etwas vernünftiger und was auch immer zurückfallen. Das ist einfach völlig un- besonnener zu führen, wenn wir das tatsächlich ma- realistisch. Das ist etwas, was Panik verursachen soll,chen, was jetzt schon von verschiedenen Seiten ins Ge- aber mit der Realität nichts zu tun hat. spräch gebracht wurde, nämlich den Sachverständigen- rat oder gegebenenfalls ein anderes Gremium zu beauf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tragen. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wenn man ratlos Ich spreche diejenigen an, die das kritisieren – mein ist, braucht man immer neue Gremien!) Vorgänger im Amt hat das gestern getan – und mit star- ken Worten belegen, indem sie sagen: Das langt nicht, – Wenn Sie mir sagen könnten, was zuviel ist, was Sie wir brauchen mehr Eigenverantwortung. Dann soll man brauchen und was nicht, wären Sie erstaunlich schlau. doch nicht von Eigenverantwortung reden, sondern sa- Aber ich habe von Ihnen noch keine sachliche Äußerung gen: Wir wollen mehr Geld von den Patientinnen undund nicht nur eine irgendwie geartete Behauptung dazu Patienten. Das ist offenkundig die Lösung, die Sie dafür gehört, was zuviel und was zuwenig ist und was sich än- vorschlagen. dern muß. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (D) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) und bei der SPD – Detlef Parr [F.D.P.]: Jeden- falls zuviel Bürokratie!) Im Rahmen der Gesundheitspolitik und auch der Gesundheitsökonomie wird schon lange darüber geredet, Das ist der Grund, warum ich glaube, daß es Sinn macht, ob mehr Zuzahlungen irgendeine Lenkungswirkung zu versuchen, sich des Sachverstandes zu bedienen. haben. Das ist hier aber nicht die Frage. Fakt ist, daß diese Politik im letzten Jahr abgewählt worden ist. Mit Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Ministe- dieser Realität muß man sich auseinandersetzen. rin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. (Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Aufpassen! Seifert? – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Ihre Politik findet auch nicht die große Zustimmung!) Andrea Fischer, Bundesministerin für Gesundheit: Ganz offenkundig ist die ständige Erhöhung der Zuzah- Ich würde gern erst noch die Ausführungen zu diesem lungen nicht mehrheitsfähig gewesen. Es ist schon eine Punkt zu Ende führen. Frage des Respekts vor dieser Entscheidung der Bürge- Ich glaube schon, daß es Sinn macht, darüber eine ra- rinnen und Bürger, nicht einfach zu sagen: Das kümmert tionale Debatte zu führen. Welche Schlußfolgerungen uns nicht. man dann daraus zieht, bleibt immer noch dem Parla- (Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Sie sind ment und der Regierung doch bei der Zuzahlung geblieben!) (Detlef Parr [F.D.P.]: Auch dem Wähler! – Dr. Ich bekenne mich dazu – um das ganz deutlich zu sa- Hermann Kues [CDU/CSU]: Dem Wähler!) gen –, daß wir die Ausgaben der gesetzlichen Kranken- – das ist zweifelsohne richtig – sowie dem Wähler versicherung beschränken müssen, daß wir sie nicht ein- überlassen. Dieser hat letztes Jahr die Schlußfolgerung fach steigen lassen können, Stichwort Beitragssatzstabi- aus Ihrer Politik gezogen. lität. Ich bekenne mich auch dazu, daß das natürlich er- fordert, daß wir das in der Gesundheitsversorgung Not- (Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Der hat in wendige, Ausreichende, Zweckmäßige und Wirtschaftli- diesem Jahr auch entschieden! – Detlef Parr che machen, wie es schon lange vorgeschrieben ist. [F.D.P.]: Jetzt sieht das ganz anders aus!) Ausdruck dieses Bekenntnisses und auch des unange- Ich will noch einmal deutlich machen: Zur Zeit fin- nehmen, zu diesem Bekenntnis gehörenden Teils ist das den Anhörungen im Gesundheitsausschuß statt. Parallel Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5027

Bundesministerin Andrea Fischer (A) dazu gibt es vielfältige Gespräche seitens der Fraktionen für uns, Verantwortung für die eigene Gesundheit und(C) und auch seitens des Ministeriums zu der Frage, wasdas Leben mit einer Krankheit zu übernehmen. sich noch ändern muß. Wir werden nach Wegen suchen, (Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Die müssen wie wir auf die Befürchtungen eingehen, daß die Pflege alles selbst zahlen bei Ihnen! 30 Prozent der bei den Veränderungen nicht genügend Berücksichti- Medikamente!) gung findet. Das ist der Grund, warum wir Gesundheitsförderung, (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] Selbsthilfe und Prävention wieder wesentlich stärker be- [CDU/CSU]: Wann denn?) rücksichtigen wollen. Wir werden nach Wegen suchen, wie wir den Befürch- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tungen der Krankenhäuser entgegenkommen, daß sie zu und bei der SPD) stark betroffen würden, und trotzdem den notwendigen Strukturwandel einleiten. Ich appelliere deswegen an alle, keine Angstkampa- gne zu führen. Wir werden uns über das Ganze zu strei- Wir haben mit der Ärzteschaft über ihre Befürchtun- ten haben und am Ende feststellen, daß es bei aller gen gesprochen, daß sie denSicherstellungsauftrag Kompromißbereitschaft Differenzen gibt, die nicht zu verliert. Wir suchen dort nach einem Kompromiß, wie überwinden sind. Aber ich meine schon, daß alle so viel man den Sicherstellungsauftrag erhält und trotzdem den Verantwortung zeigen müssen, daß die Leute nicht un- innovativen Charakter der Integrationsversorgung und nötig in Angst und Schrecken versetzt werden. Damit ist der Modellverträge nicht behindert. Bei unseren Gesprä- niemandem gedient, damit vergrößert man die Probleme chen mit dem Datenschutzbeauftragten über die Kritik nur. an den Regelungen, die wir hier vorgesehen haben, sind Ich möchte gerne noch – in gebotener Kürze – auf ei- wir auf einem sehr guten Weg. nige andere Punkte eingehen. Wir haben schon letzte (Detlef Parr [F.D.P.]: Sehr spät!) Woche eine Debatte über diePflegeversicherung ge- führt. Dort ist schon viel über den Zusammenhang von Meine Damen und Herren, Kompromisse gehörenHaushalt und Pflegeversicherung gesagt worden. Wir zum politischen Geschäft. Wir sind dazu ausdrücklich wissen alle, daß wir in der Pflegeversicherung noch gro- bereit. Das schließt alle ein: die Opposition hier imße Aufgaben vor uns haben, insbesondere was die Frage Haus, aber selbstverständlich auch den Bundesrat. Auf der Abgrenzung der verschiedenen Leistungsbereiche der anderen Seite muß klar sein, daß wir dabei die Linie anbelangt. halten, weswegen wir diese Gesundheitsreform machen, Ich finde, Sie sollten nicht immer so tun, als hätte ich (B) nämlich daß wir dem Gemeinwohl verpflichtet sind und die Pflegeversicherung geschaffen. Mit Verlaub: Im Ge- (D) wir uns nicht nur auf eine Seite schlagen und nur deren gensatz zu den meisten, die hier vor mir sitzen, habe ich Interessen vertreten. der Pflegeversicherung nicht zugestimmt. Aber ich wer- Diese Linie heißt: Wir wollen ein Gesundheitswesen, de jetzt alles dafür tun, sie weiterzuentwickeln und sie das sich an den Bedürfnissen von Patientinnen und Pati- voranzubringen. enten orientiert und diese in den Mittelpunkt stellt. (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wie wollen Sie das ohne Geld tun? – Dr. Hermann Kues (Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das ist rich- [CDU/CSU]: Wie denn?) tig!) Gerade diejenigen, die die Grundsatzentscheidungen Diese Linie heißt auch: Wir wollen ein Gesundheitswe- getroffen haben, gerade diejenigen, die für die heutige sen, in dem wirtschaftlich gearbeitet wird, in dem Un- Konstruktion waren, nötiges vermieden wird. Das ist übrigens auch im Inter- esse von Patientinnen und Patienten. Hier geht es nicht (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie entnehmen nur um das Sparen von Geld, sondern auch darum, un- doch Geld! Das ist eine Frechheit!) nötige Eingriffe zu vermeiden. Wir haben es schließlich sollten nicht so tun, als könnte man in diesem System immer mit der körperlichen Unversehrtheit von Men-eine Wünsch-dir-was-Politik betreiben. schen zu tun. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN) und bei der SPD – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wie in der Pflegeversicherung!) Sie wissen ganz genau, daß auch das jetzt anstehende Sparpaket die eigentlichen Probleme nicht lösen kann. Wir wollen bei der Gesundheitsversorgung Innova- Das ist eine ganz andere Dimension. Ich appelliere an tionen einbringen – Innovationen, die vor allen Dingen Sie, die Pflegeversicherung auch weiterhin als Ihr Kind darauf setzen, daß alle Beteiligten mehr und intensiver zu begreifen zusammenarbeiten, als das bislang der Fall war. Die (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist unser heute bestehenden Barrieren wollen wir abbauen. Und Kind! Deshalb hüten wir es so!) wir wollen Gesundheitspolitik nicht nur als heilend, sondern auch als vorbeugend begreifen. Wir buchstabie- und sich dabei mit uns zusammen darum zu bemühen, ren Eigenverantwortung nicht so, daß immer höhere daß die schwierigen Fragen, die noch anzugehen sind, Zuzahlungen nötig werden. Eigenverantwortung heißt bewältigt werden. 5028 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Bundesministerin Andrea Fischer (A) Ich appelliere auch an Sie, im Bereich derDrogen- Es bleibt völlig im dunkeln, was Bezugsgröße Ihrer(C) politik nicht hinter Erkenntnissen in den eigenen Reihen angeblichen Einsparungen ist. Herr Staatssekretär Diller, zurückzufallen. Es kann überhaupt kein Zweifel daran vielleicht können Sie einmal nach vorne treten und das bestehen, daß die Bundesregierung auf eine Politik setzt, dem Hohen Hause erklären. Wir rätseln nämlich noch, die dem Grundsatz folgt: Wir wollen, daß Menschen ein was die Bezugsgröße für Ihr 30-Milliarden-DM- Leben ohne Drogen führen. Deshalb machen wir dieEinsparvolumen ist. Der Vorjahreshaushalt kann es nicht Kampagne „Kinder stark machen“, deswegen werbensein; der noch gültige Finanzplan kann es auch nicht wir für ein drogenfreies Leben. Aber: Wer drogenab-sein, weil wir auch insofern 12,9 Milliarden DM höher- hängig ist, ist krank und bedarf unserer Hilfe. Wir su-liegen. Wenn Sie dieses Rätsel heute aufklären könnten, chen nach Wegen, zum Teil auch nach neuen Wegen.dann hätten Sie sich große Verdienste erworben. Wir wissen, daß sie zum Teil durchaus erfolgverspre- chend sind. Besonders schwierig ist es, die Einsparungen im Ein- zelplan 15 nachzuvollziehen. Schauen wir doch einmal Weil wir wissen, daß das heikle Fragen berührt, star- die Zahlen an! 1999 gab es Ausgaben von 1,607 Milli- ten wir einen Modellversuch. Dafür gibt es, so meinearden DM, im Jahre 2000 haben wir Ausgaben von ich, gute Gründe. Wir haben gehört, daß längst auch in 1,809 Milliarden DM. Alle, die in diesem Hause rechnen Ihren Reihen ein Nachdenken darüber eingesetzt hat.können, stellen fest: Es sind 202 Millionen DM an Gerade auf kommunaler Ebene erleben wir immer wie- Mehrausgaben. Wo wird denn da eingespart? Ihr Haus der, daß diese Art einer helfenden Drogenpolitik längst bemüht sich, das zu erklären. Angeblich lägen drei Son- über alle Parteigrenzen hinweg verfolgt wird, weil siedersachverhalte vor: 130 Millionen DM an Nachveran- die erfolgreichere ist. Dagegen, daß man Drogenabhän- schlagung für Pflegeeinrichtungen, 50 Millionen DM für gigen hilft, sollte man nicht seine grundsätzliche Linie in den Neubau eines Instituts in Bonn und 26 Millionen der Drogenpolitik ausspielen und behaupten, das sageDM für Personalausgaben. Die Sonderbelastungen sind etwas über die Haltung zur Drogenproblematik allge-schon ein Ding! Wenn ich als Privatmann beschließen mein aus. würde, im kommenden Jahr jeden Monat 500 DM weni- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ger auszugeben, dann aber zu dem Ergebnis kommen und bei der SPD) würde, noch in den Urlaub fahren zu müssen – das macht 1 000 DM –, ein neues Auto zu brauchen – das Ich möchte alle Beteiligten um eine konstruktive Zu- sind 10 000 DM – und daß ein neues Bad auch noch an- sammenarbeit bei der Beratung des Haushalts bitten, die genehm wäre, diese Ausgaben entsprechend veranschla- sicherlich nicht einfach werden wird, weil auch dergen und dann von Einsparungen sprechen würde, die Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit vom wegen der Sonderbelastungen aber leider nicht eintreten Sparpaket nicht unberührt bleibt. Ich hoffe aber, daß wir können, dann würden wir alle anfangen zu lachen. So (B) (D) gemeinsam zu einer guten Beratung kommen. sieht es aber doch mit Ihrem Sparpaket aus: Sie sparen Ich danke Ihnen. gar nicht. Das ist ein großer Sparbluff, eine große Spar- legende, die Sie in die Welt setzen. Das werden wir auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zeigen. und bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Kolbe. Genauso verhält es sich mit der„Erblast“. Seit Mo- naten rennen Sie durch das Land und sagen, Sie hätten 1,5 Billionen DM Schulden von geerbt. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Prä- Das muß in dieser Woche jeder Minister von seinem sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Mini- Sprechzettel ablesen. Obwohl ich es schon zum Famili- sterin, wir sind in der Haushaltsdebatte, aber außer in Ih- enhaushalt gesagt habe, sage ich es noch einmal – es rem Schlußsatz haben Sie leider nichts zum Haushaltkann auch nicht oft genug gesagt werden –: Von diesen gesagt, obwohl das doch ganz interessant gewesen wäre. 1,5 Billionen DM resultiert ein knappes Drittel aus der Angeblich hat die Bundesregierung ein 30-Milliar-Folgelast der DDR. Meine Damen und Herren von der den-DM-Sparprogramm aufgelegt. Das ist aber schlicht Sozialdemokratie, für diesen Bereich haben wir doch und ergreifend falsch. Wahrscheinlich haben Sie deswe- gemeinsam gewaltige Aufbauleistungen erbracht. Wir gen nichts dazu gesagt. Wenn Sie das einmal mit demalle sind sicher der Meinung, daß das gesamtdeutsche Haushalt 1999 vergleichen, dann können Sie feststellen, Schulden sind, die deswegen auch von allen Deutschen daß wir gerade einmal 7,5 Milliarden DM einsparen.zu tragen sind. Aber es machte doch Sinn, sie gesondert Aber auch die sparen wir nicht wirklich ein, weil derin einem Erblastentilgungsfonds zu veranschlagen, da- Vorgänger von Herrn Eichel, , denmit die Verantwortung der SED/PDS-Genossen auf der Haushalt um 30 Milliarden DM erhöht hat. Eichelsextrem linken Seite ganz deutlich klargestellt ist. Diese „Sparhaushalt“ liegt – das müssen wir immer wieder Verantwortung verwaschen Sie jetzt. Das kann nicht im nach außen tragen – um 21 Milliarden DM höher als der Sinne der demokratischen Parteien in der Bundesrepu- letzte Waigel-Haushalt. Wenn Eichel angeblich spart,blik Deutschland liegen. dann hat der Waigel super gespart! (Rolf Kutzmutz [PDS]: Man ist nicht einfach (Beifall bei der CDU/CSU) Demokrat, nur weil man in der CDU ist!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5029

Manfred Kolbe (A) Und Herr Diller, Sie wissen es doch: Auch die gutPflegeeinrichtungen bis 1990 vergegenwärtigt, der weiß, (C) 1 Milliarde DM, die dann noch übrigbleibt, ist im we-daß diese Milliarden dort notwendig sind. Es ist sinnvoll sentlichen unter der sozialliberalen Koalition entstanden. – die CDU/CSU hat das eingeleitet; Sie setzen dieses Dort ist mit der Verschuldung begonnen worden. Hel- Programm fort –, mut Schmidt – angeblich der größte Weltökonom aller (Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]) Zeiten! – war es, der sich kreditfinanzierte Ausgaben- spielräume verschafft hat. Die Regierung Helmut Kohl daß wir diese Aufbauleistung vollbringen, Herr Seifert. hatte kaum kreditfinanzierte Ausgabenspielräume. Sie hätten sich bis 1990 einmal darum bemühen sollen, da etwas zu verbessern. (Widerspruch des Parl. Staatssekretärs Karl Diller) (Dr. Ilja Seifert [PDS]: Haben wir ja auch!) In der ersten Zeit der Ära Kohl, also unter Stolten-Sie waren ja dort 40 Jahre an der Regierung. berg, lagen die neuen Kredite unter den Zinsen der Schmidtschen Altschulden. Selbst nach der deutschen (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Sie sind langsam ein Einheit, als wir die großen Aufbauleistungen Ost zu Witzbold! Wirklich!) vollbringen hatten, lagen die neu aufgenommenen Kre- Ebenso erfreulich ist, daß wir jetzt endlich Mittel zur dite mal knapp über, mal unter den Beträgen für dieEntschädigung der Hepatitis-C-Opfer in der ehemali- Zinszahlungen. Der einzige in der Geschichte der Bun- gen DDR in den Bundeshaushalt einstellen. Dies begrü- desrepublik Deutschland, der sich langfristig kredit-ßen wir ausdrücklich. finanzierte Ausgabespielräume verschafft hat, war Hel- mut Schmidt. Alle anderen haben nur mit neuen Kredi- Was wir aber nicht begrüßen, Frau Ministerin, sind ten die alten Zinsen gezahlt. Sie haben dadurch natürlich zahlreiche Kürzungen bei allgemeinen Bewilligungen. auch die Bundesschuld erhöht, aber sie haben sich kaum (Gudrun Schaich-Walch [SPD]: Ich denke, es neuen kreditfinanzierten Ausgabespielraum verschafft. wird nirgendwo gekürzt!) Es ist eine echte Legende, die Sie hier auftischen. Aber diese Legende wird in sich zusammenbrechen; damitSie stocken teilweise auf, wo der Bereich Ihres Ministe- kommen Sie nicht durch. riums betroffen ist. Ich nenne etwa den Erwerb von Fahrzeugen. Dieser Titel steigt um fast das Doppelte. Besonders ärgerlich ist Ihre Erblastlegende auchSie kürzen aber bei den Programmen: Zuschüsse zur dann, wenn wir uns einmal anschauen, was Sie in denEinrichtung, Erweiterung, Ausstattung und Modernisie- vergangenen vier Jahren im Haushaltsausschuß gemacht rung von Pflegeeinrichtungen: von 68 Millionen DM auf haben. Ich habe mir die Mühe gemacht, Ihre Anträge55 Millionen DM; Zuschuß zu den Kosten für Erhebun- zum Einzelplan 15 – Gesundheit – des Bundeshaushalts (B) gen auf dem Gebiet der Krebskrankheiten: von 3,3 Mil- (D) herauszusuchen – Herr Diller, Sie waren ja Arbeitsgrup- lionen auf 2,8 Millionen DM; Aufklärungsmaßnahmen penvorsitzender –: Auch dort nur Erhöhungsanträge!gegen den Drogenmißbrauch: um 1 Million DM gekürzt; Vier Jahre lang haben Sie keinen einzigen Sparbeitrag Forschungseinrichtungen und Aufklärungsmaßnahmen geliefert. Dann werfen Sie uns vor, die Ausgaben in die im Bereich von Aids. Höhe getrieben zu haben. Das ist doch widersprüchlich; das hält doch nicht. Ich erinnere mich an viele in der letzten Legislaturpe- riode vehement vorgetragene Anträge zurAidsaufklä- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rung. Sie Frau Ministerin, haben vor kurzem auf dem ordneten der F.D.P. – Dr. Konstanze Wegner Rathausvorplatz in Wuppertal-Barmen die Wanderaus- [SPD]: Das wissen Sie als Haushälter besser!) stellung „Liebesleben“ zur Aidsprävention eröffnet und – Es waren nur Erhöhungsanträge. dort verkündet: Aids ist nach wie vor eine große Heraus- forderung; die Aidsbekämpfung liegt mir am Herzen. – (Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Nein! Wir ha- Frau Ministerin, leider findet sich das nicht im Haushalt ben immer Deckungsvorschläge gemacht!) wieder. Der Haushalt ist doch angeblich in Zahlen ge- – Dann zeigen Sie mir die. gossene Politik. Ich halte fest: Die Aidsansätze gehen zurück. Dies ist bedauerlich. Wir werden versuchen, hier (Zurufe von der SPD) im Haushaltsausschuß noch nachzubessern. – Jäger 90: Das war Ihr Deckungsvorschlag in all den Lassen Sie mich abschließend noch einen Satz zur Jahren. Gesundheitspolitik sagen. Die Redner, die mir folgen werden, werden dazu wesentlich vertiefter sprechen (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Dr. Hermann können. Ich will nur folgendes sagen: Was wir ablehnen, Kues [CDU/CSU]: Den suchen wir auch ist der Systemwechsel von der eigenverantwortlichen noch!) Medizin zur Einheits- und Staatsmedizin. Den vollzie- Lassen Sie mich jetzt zu einzelnen Positionen des Ge- hen Sie mit dem Globalbudget. sundheitshaushalts kommen. Der größte Ausgabenpo- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sten sind mit 926 Millionen DM die Finanzhilfen zur Fi- der F.D.P. – Zurufe von der SPD: Nein! nanzierung von Investitionsmaßnahmen beiPflegeein- Nein!) richtungen. Diese Ausgabe, die wir hier leisten, ist gut. Wir leisten hier eine wichtige Ausgabe für den Aufbau Ich darf hier einen bildlichen Vergleich anführen, den in den östlichen Ländern. Wer sich den Zustand derich jüngst gelesen habe: Es drängt sich der Vergleich mit 5030 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Manfred Kolbe (A) der Feuerwehr auf. Die Kassenärzte sind dazu ver-weil er damit zeigt, daß er entweder die Situation nicht (C) dammt, alle Krankheiten zu heilen – so wie die Feuer- begreift oder daß man ihm unterstellen muß, daß er be- wehren alle Brände löschen sollen. Den Feuerwehrenwußt die Unwahrheit sagt. Herr Kolbe hat behauptet, steht dafür jedoch nur ein festes Budget für das Lösch- daß wir die 30 Milliarden DM, die der Haushalt 1999 wasser zur Verfügung. Natürlich können sie alles tun, gegenüber dem Haushalt 1998 aufwächst, jetzt mit unse- um möglichst sorgsam damit umzugehen. Aber sie ha- rem Sparpaket sozusagen einsammeln würden. Dies ben Einfluß weder auf die Zahl der Brände noch auf die ist absolut falsch. Es sind beim Ist/Soll-Vergleich nur Schwere der Brände, noch auf den Preis des Löschwas- 28,5 Milliarden DM, die der Haushalt 1999 gegenüber sers. So sieht die Gesundheitspolitik aus, die Sie betrei- dem Haushalt 1998 aufwächst. ben, und sie wird unser medizinisches System gefähr- den. Deshalb hoffe ich, daß Sie in diesem Bereich zu ei- Der Haushalt 1999 wächst deshalb auf, weil in ihm ner Umkehr kommen. erstmals die Einnahmen und Ausgaben für diePostun- terstützungskassen in Höhe von 8 Milliarden DM ent- Abschließend wünsche ich uns, daß wir zu einerhalten sind und nicht mehr als Sonderposten geführt sachlichen Beratung im Haushaltsausschuß kommen und werden. Er wächst um weitere 15 Milliarden DM auf, daß wir in dem einen oder anderen Punkt Veränderun- weil für 12 Monate, und nicht wie im Vorjahr nur für gen erreichen. neun Monate, IhreMehrwertsteuererhöhung zur (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dämpfung des Anstieges des Beitragssatzes in der Ren- tenversicherung etatisiert werden mußte und weil die Einnahmen und die Ausgaben der Ökosteuer zugunsten Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurz- der Beitragssatzsenkung in der Rentenversicherung eta- intervention erteile ich jetzt dem Abgeordneten Dillertisiert werden mußten. das Wort. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mit Gesund- (Zuruf von der CDU/CSU: Diller langweilt heitspolitik hat dies nur noch wenig zu tun!) schon wieder!) 23 Milliarden DM der 28 Milliarden DM erklären sich Karl Diller (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ge- auf diese Weise. ehrten Damen und Herren! Da ich mehrfach angespro- (Beifall bei der SPD) chen worden bin, möchte ich darauf eingehen. Auf Ihre Frage, was wir eigentlich sparen, will ich Der Vorredner hat in der Zeit seiner Zugehörigkeit Ihnen antworten: Wir haben die Waigelsche Finanzpla- zum Deutschen Bundestag dafür gesorgt, daß die Schul- nung zugrunde gelegt und festgestellt, daß in ihr für das den, die aus der Ära Helmut Schmidt übernommen wer- (B) Jahr 2000, über das wir jetzt reden, 20 Milliarden DM(D) den mußten, in den ersten acht Jahren Ihrer Regierungs- nicht veranschlagt sind, die eigentlich hätten veran- zeit verdoppelt wurden. Diese Schulden wurden in den schlagt werden müssen. zweiten acht Jahren Ihrer Regierungszeit noch einmal verdoppelt. In Ihrer gesamten Regierungszeit haben sich (Beifall bei der SPD) also die Schulden des Bundes vervierfacht. Sie sind die größten Schuldenmacher aller Zeiten! Wir haben außerdem noch Mittel in Höhe von 5 Milliar- den DM für Maßnahmen vorgesehen, die dem politi- (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ schen Willen der neuen Regierung entsprechen. Nur CSU: Sie wollten die Wiedervereinigung doch weil Sie im Rahmen der Waigelschen Finanzplanung nicht haben!) weit über 50 Milliarden DM neue Schulden machen Diese Debatte wird von der Opposition mit einem un- wollten, sind wir bei 80 Milliarden DM Schulden ange- auflösbaren Widerspruch gestaltet. Zum einen sagtelangt. Weil wir aber weniger als 50 Milliarden DM auch der Kollege Kolbe, es werde überhaupt nicht ge- Schulden machen wollen, müssen wir 30 Milliarden DM spart. Zum anderen wird aber bei allen Einzelplänen ge- einsammeln. sagt, daß da nicht gespart werden dürfe. Was sollen wir nach Ihrer Meinung also tun? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege (Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Intelligent Diller, eine Kurzintervention dauert nur drei Minuten. sparen!) Sie sprechen nicht als Mitglied der Bundesregierung. Es kann nur ein Vorwurf zutreffen: Entweder wird über- (Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Dies ist eine haupt nicht oder aber an den falschen Stellen gespart. Ergänzungsrede der Bundesregierung!) Wir haben von Ihnen jedenfalls überhaupt nichts darüber von Ihnen gehört, wo denn alternativ gespart werden soll. Ihre Anträge beziehen sich auf Mehrausgaben und Karl Diller (SPD): Ich bedanke mich für den Hin- nicht auf Einsparungen. weis, Frau Präsidentin. Darf ich eine letzte Bemerkung machen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) Für einen Haushälter – Herr Kollege Kolbe ist ein Haushälter – ist der vorgebrachte Vorwurf eine Schande, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5031

(A) Karl Diller (SPD): 1996 haben Sie auf verfassungs- eingespart. Damit kommen Sie weder bei uns noch in(C) widrige Weise 78 Milliarden DM Schulden in einemder Öffentlichkeit durch, auch wenn Sie es noch so oft einzigen Haushaltsjahr gemacht. 1997 mußten Sie den wiederholen. Deutschen Bundestag bitten, die von der Verfassung Zu den Schulden als Erblast: Angeblich hat die Kohl- vorgegebene Grenze für die Neuverschuldung über- Regierung 1,5 Billionen DM Schulden gemacht. Dies ist schreiten zu können. blanker Unsinn. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mit dem The- (Beifall bei der CDU/CSU) ma hat dies überhaupt nichts zu tun!) Ich habe heute schon darauf hingewiesen: Es liegt im 1998 haben Sie 20 Milliarden DM aus dem Verkaufser- Interesse unserer demokratischen Parteien, klarzustellen, lös der Telekom-Aktien, die für die Finanzierung derdaß ein Drittel dieser SchuldenFolgelasten der ehema- Postunterstützungkassen vorgesehen waren, genutzt, um ligen DDR und der SED-Diktatur sind. Diese Klarstel- die Löcher in Ihrem Haushalt zu schließen. lung muß doch auch im Interesse der SPD liegen. Diese entsetzliche Politik darf nicht fortgesetzt wer- (Zurufe von der SPD: Nein! Nein!) den. Deswegen mußten wir dieses Sparpaket schnüren. Oder sehen Sie und die PDS sich schon als Einheit? – (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das tun Sie doch nicht! DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Das ist eine Ungeheuerlichkeit!) Es war vernünftig, die rund 400 Millionen DM Fol- geschulden der ehemaligen DDR im Erblastentilgungs- fonds zusammenzufassen. Ich weise ausdrücklich darauf Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es erwidert hin, daß es sich hier um gesamtdeutsche Schulden han- jetzt der Kollege Kolbe. delt, denn die sowjetische Besatzung und die DDR wa- ren Folgen des zweiten Weltkriegs. Folglich müssen die daraus resultierenden finanziellen Belastungen von allen Manfred Kolbe (CDU/CSU): Herr Kollege Diller, es Deutschen getragen werden. Es war aber sinnvoll, diese ist ja erfreulich, daß Sie im Rahmen dieser Debatte end- gesondert auszuweisen, um die Verantwortung der lich gezwungen sind, sich zu den Bezugsgrößen IhrerSED/PDS-Genossen auf der linken Seite des Hauses angeblichen Einsparungen zu äußern; denn schriftlichherauszustellen. liegt darüber bisher nichts vor. Wenn Sie landauf, land- (Beifall bei der CDU/CSU) ab behaupten, 30 Milliarden DM einzusparen, dann hat das deutsche Parlament doch wohl Anspruch darauf, Herr Kollege Diller, es war auch sinnvoll, diese Schulden innerhalb einer Generation tilgen zu wollen. (B) schriftlich zu erfahren, in welchen Positionen Sie diese (D) Einsparungen vornehmen wollen. Sie haben zwar jetzt Nach unserem Konzept wäre das möglich gewesen. Die- ein paar Ausführungen dazu gemacht, aber schriftlich – se Tilgung haben Sie, Herr Diller, beendet. Wir haben das möchte ich festhalten – liegt diesem Hause nichtsbis zum Ende der Regierungszeit Kohl 46,5 Milliarden vor. DM dieser Erblastschulden getilgt. Durch die Abschaf- fung dieses Tilgungsanteils haben Sie sich einen zusätz- Auch im Rahmen der Einzelplanberatungen habenlichen Ausgabespielraum von 9 Milliarden DM im Bun- wir die Vertreter der Ministerien gefragt: Wo spart ihr deshaushalt 1999 verschafft. eigentlich ein? Die Damen und Herren waren nicht zu einer Auskunft fähig. Es bleibt völlig im dunkeln, auf Sie reden zwar vom Sparen, aber tatsächlich haben welche Bezugsgrößen Sie sich bei Ihren Einsparungen Sie die einzige Tilgung, die effektiv im Rahmen des stützen. Legen Sie bitte endlich etwas Schriftliches vor, Bundeshaushalts geleistet wurde, abgeschafft. Dies ist so daß jeder nachvollziehen kann, gegenüber welchem widersprüchlich. Ansatz die 30 Milliarden DM angeblich eingespart wer- den sollen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich weise Sie Bezugsgröße kann jedenfalls nicht der Vorjahres-darauf hin, daß Sie Ihre Redezeit überziehen. Das darf haushalt sein. Darüber sind wir uns einig. Das sind nur nicht Schule machen. minus 7,5 Milliarden DM. Bezugsgröße kann auch kaum die Waigelsche Finanzplanung sein; denn auch Manfred Kolbe (CDU/CSU): Ich möchte nur noch gegenüber dieser steigt Ihr Bundeshaushalt 2 000 umeinen Satz sagen. 12,9 Milliarden DM. Sie müßten also irgendwo anders 42,9 Milliarden DM einsparen. Listen Sie bitte einmal Wichtig für eine erfolgreiche Finanzpolitik sind eine auf, wo diese 42,9 Milliarden DM eingespart werdenerfolgreiche Wirtschaftspolitik, eine echte Steuerreform, sollen. Die Beträge, die Sie genannt haben, ergeben in die Senkung der Lohnnebenkosten und der Abbau von der Addition nicht diese Summe. Bürokratie. Weil Sie daran scheitern, geraten Sie mit Ihrem Haushalt in Schwierigkeiten. Legen Sie also bitte in der ersten Sitzung des Haus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haltsausschusses eine saubere schriftliche Berechnung vor, durch die deutlich wird, auf welche Bezugsgrößen Sie sich bei der Einsparung von 30 Milliarden DM stüt- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es liegt noch zen. Wenn Sie das tun, können wir seriös darüber disku- eine Meldung zu einer Kurzintervention vor. Bitte, Herr tieren. Wahrscheinlich haben Sie nur LuftbuchungenAbgeordneter Dr. Seifert. 5032 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

(A) Dr. Ilja Seifert (PDS): Da mich der Kollege Kolbe beitsmarkt machen es unabdingbar, daß wir zu einem ef- (C) persönlich angesprochen hat, erlaube ich mir, ihm zufizienteren und qualitätsbewußteren Gesundheitswesen erwidern. Ich werde versuchen, mich dabei an die Drei- finden. Hierzu müssen die Leistungserbringer entschei- Minuten-Regelung zu halten. dend beitragen. Daß sich auch die Leistungsempfänger dabei auf das „medizinisch Notwendige“ einstellen, ist Erstens. Herr Kolbe, Sie haben nicht in der DDR ge- ebenfalls selbstverständlich. lebt. Die Einbeziehung in die sozialistische Demokratie ging nicht so weit, daß man schon zwei Jahre vor seiner Die rotgrüne Koalition setzt Akzente für eine Ge- Geburt in die Regierung aufgenommen wurde. Insofern sundheitspolitik, die zum Ziel hat, vermeidbare Kosten ist Ihre Aussage über die 40 Jahre meiner Regierungs- schon in ihrer Entstehung zu bekämpfen. Aus diesem beteiligung nicht ganz zutreffend. Ich bitte um Ent-Grund wird mit der Gesundheitsreform 2000 Prävention schuldigung, daß ich nicht die ganze Verantwortungwieder zu einem zentralen Bestandteil der Gesundheits- persönlich übernehmen kann. politik werden. Zweitens, zur Sache: Sie begrüßen es außerordent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich, daß sehr viele Investitionen inPflegeeinrichtun- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gen fließen, weil alles aufgebaut werden muß. Verehrter Der Grundsatz „Rehabilitation vor Pflege und Rente“ Herr Kollege Kolbe, ich glaube, wir sind auf einem ge- waltigen Irrweg, und die Regierung geht ihn leider wei- wird in Zukunft konsequent umgesetzt werden, weil das im Interesse der Menschen ist und weil es auch aus ter. Viel wichtiger wäre es, in ambulante Assistenz- volkswirtschaftlicher Sicht vernünftig ist. strukturen zu investieren und keine neuen Sonderein- richtungen zu bauen, die zu „Aussonderburgen“ oder – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wenn es ganz schlimm kommt – zu „Aussondergettos“ werden. Die Haushaltskonsolidierung ist, so wie die Verringe- rung des Anstiegs der Kosten im Gesundheitswesen ins- Das ist etwas anderes, als bestehende Mängel in be- gesamt, eine bedeutende Aufgabe. In den letzten Jahren stehenden Einrichtungen zu beseitigen und dort zu mo- sind die Ausgaben im Gesundheitswesen stark gestie- dernisieren. Ich halte es für einen Irrweg, in neue Son- gen. Zwar hat die heutige Opposition dieses Problem er- dereinrichtungen zu investieren, weil dadurch die Mög- kannt, doch fehlte ihr wahrscheinlich der Mut, die Ursa- lichkeiten der ambulanten und selbstbestimmten Assi- chen wirksam und dauerhaft zu bekämpfen. Das holen stenz eingeschränkt und nicht ausgebaut werden. wir jetzt nach. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

(B) Es ist unser erklärtes Ziel, die Beitragssätze in der ge- (D) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kolbe, setzlichen Krankenversicherung stabil zu halten, Lohn- möchten Sie antworten? nebenkosten zu senken und mit der Schaffung neuer Ar- beitsplätze die Zahl der Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung, die in der Lage sind, aus eigener Manfred Kolbe (CDU/CSU): Herr Seifert, Sie be- Kraft Beiträge zu leisten, dauerhaft zu erhöhen. haupten Falsches. Ich bin in Naunhof in Sachsen gebo- Die Finanzierung des Gesundheitswesens ist über- ren. Daß mein Vater ab einem gewissen Zeitpunkt nicht wiegend Angelegenheit der Länder und der gesetzlichen in der DDR gelebt hat, liegt an Ihrer Vorgängerpartei. Krankenversicherung. Der Einzelplan 15 gehört deshalb zu den kleineren Einzelplänen des Gesamthaushalts. Der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Entwurf des Gesundheitshaushalts für das Jahr 2000 jetzt der Abgeordnete Eckhart Lewering. Er hält seine weist Ausgaben von rund 1,8 Milliarden DM aus. Dies erste Rede hier. Deswegen bitte ich Sie, besonders auf- bedeutet einen Ausgabenanstieg von mehr als 202 Mil- merksam zuzuhören. lionen DM gegenüber dem Vorjahr. Dies steht, zumin- dest auf den ersten Blick, im Widerspruch zu den eben genannten Zielen. Eckhart Lewering (SPD): Sehr geehrte Frau Präsi- Dieser Ausgabenanstieg beruht indes auf besonderen dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! DieUmständen: Erstens. Für Pflegefinanzhilfen müssen in Probleme, mit denen sich das Gesundheitswesen heute diesem Jahr Mittel aus früheren Haushaltsjahren nach- konfrontriert sieht, sind nicht neu. In 16 Jahren Regie- veranschlagt werden. Zweitens. Die Verlagerung des rungszeit hat es die heutige Opposition nicht vermocht, Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte das deutsche Gesundheitswesen auf eine zukunftsfähige von Berlin nach Bonn erfordert in diesem Jahr erhöhte Grundlage zu stellen. Aufwendungen in Höhe von 49,2 Millionen DM. Drit- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tens. Die Personalausgaben für Zulassungsaufgaben im selben Institut erhöhen in gleichem Maße die Ausgaben- Leistungskürzungen auf der einen Seite bei gleich-wie die Einnahmenseite. zeitig steigenden Beitragssätzen und Belastungen für Patienten auf der anderen Seite waren das Kennzeichen Läßt man diese Besonderheiten außer acht, so ergibt konservativ-liberaler Gesundheitspolitik. Der medizi-sich ein tatsächlicher Ausgabenrückgang von 7,4 Pro- nisch-technische Fortschritt, die demographische Ent- zent gegenüber dem bisherigen Finanzplan. Der Ge- wicklung in unserem Land und die Entwicklung am Ar- sundheitsetat leistet im vorliegenden Entwurf somit den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5033

Eckhart Lewering (A) von der Bundesregierung geforderten und angekündig- kommende Jahr veranschlagte Rate für diesen Bau be-(C) ten und auch von uns gewollten Beitrag zur langfristigen trägt 57 Millionen DM. Kürzungen Haushaltskonsolidierung. Die vorgesehenen Mit 53,5 Millionen DM werden wissenschaftliche betreffen vor allen Dingen den Bereich des Bundes-Forschungsinstitutionen finanziert, die der Bund ge- ministeriums für Gesundheit und weniger den der nach- meinsam mit den Ländern fördert. geordneten Behörden. Für die Erstattung von Krankenkassenaufwendungen Im einzelnen ergibt sich folgendes Bild – ich nenne für Aussiedler und Leistungen nach dem Mutterschutz nun einige Zahlen –: Für gesundheitspolitisch relevante stehen 16,5 Millionen DM zur Verfügung. Maßnahmen werden rund 84 Millionen DM vorgesehen. Modellprogramme der Pflegeversicherung werden mit Wie im vergangenen Jahr so trägt die Bundesrepublik 63 Millionen DM gefördert. Insgesamt liegt mit der ihrem WHO-Beitrag auch im kommenden Jahr zum Schwerpunkt bei den Modellprogrammen in der Krebs- Auf- und Ausbau des internationalen Gesundheitswe- bekämpfung, bei Maßnahmen gegen Drogen- undsens bei. Der Ansatz beläuft sich im kommenden Jahr Suchtmittelmißbrauch sowie bei Vorhaben zur medizini- auf 64,5 Millionen DM. schen Qualitätssicherung. Im Bereich der gesundheitli- Weitere Ausgabenschwerpunkte liegen bei denPer- chen Aufklärung werden vor allem Maßnahmen zursonalkosten. Hier sind zirka 308 Millionen DM veran- Drogen- und Aidsprävention finanziert. schlagt. Da seit mehreren Jahren Stellen abgebaut wer- Insgesamt gehen die Aufwendungen für disponibleden, ist ein Stagnieren dieser Ausgaben festzustellen. Ausgaben weiterhin zurück. Diese Einsparungen sindVorgesehen ist unter anderem ein Wegfall von 39 Stel- vertretbar, da Ausgaben für Modellprogramme vielfach len und Planstellen im Ministerium und in den Institu- in die Regelversorgung übernommen wurden und damit ten. Die Sachausgaben in diesem Bereich betragen zirka in Zukunft durch die Länder oder die gesetzliche Kran- 129 Millionen DM und stehen naturgemäß in einem en- kenversicherung finanziert werden. gen Zusammenhang mit den Personalausgaben. Die Ein- sparpotentiale im Bereich der Personal- und Sachausga- Positiv zu bewerten ist, daß es gelungen ist, Einspa- ben belaufen sich auf 8,4 Millionen DM und liegen so- rungen in wichtigen Bereichen, denen eine wachsende mit um 2,3 Millionen DM über dem Betrag von 1999. gesundheitspolitische Bedeutung zukommt, zu vermei- den. So werden Modellmaßnahmen zur Qualitätssiche- Insgesamt muß festgehalten werden, daß der Bundes- rung und solche zur Verbesserung der Selbstversorgung regierung bei den Ausgaben im Gesundheitshaushalt nur mit Blut und Blutprodukten sowie für die Bekämpfung ein eingeschränkter Gestaltungsspielraum verbleibt, da des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs mit höherendie Vergabe der Mittel zu einem großen Teil entweder Ansätzen als im Vorjahr fortgeführt. Die Modellpro-gesetzlich vorgeschrieben ist oder langfristige Finanzie- (B) gramme im Bereich Drogen werden 1,8 Millionen DM rungsverpflichtungen bestehen. So sind mehr als 50 Pro- (D) mehr erhalten. Dem stehen Einsparungen im Bereich der zent der disponiblen Ausgaben durch Festlegungen aus gesundheitlichen Aufklärung gegenüber. Insgesamt ste- den Vorjahren bereits gebunden. hen jedoch für den Drogenbereich 800 000 DM mehr Die Einnahmeseite des Haushalts weist eine kontinu- bereit. ierliche Steigerung auf. Die Einnahmen werden im we- Größter Ausgabenposten sind auch weiterhin diesentlichen von dem Gesundheitsministerium nachgeord- Finanzhilfen zur Förderung von Investitionen inPflege- neten Behörden aus der Zulassung von Arzneimitteln er- einrichtungen in Ostdeutschland. Die eigentlich ge- zielt. setzlich vorgesehene Rate von 800 Millionen DM jähr- Abschließend bleibt festzustellen, daß der Einzelplan lich wird in diesem Jahr um etwa 126 Millionen DM15 in der vorliegenden Fassung eine solide Basis für die übertroffen werden. Dies ist notwendig geworden, daErfüllung der Aufgaben des Geschäftsbereichs des Bun- sich der Bedarf in den neuen Ländern zunächst sehr un- desministeriums für Gesundheit bildet. gleichmäßig entwickelte und nun nachveranschlagt wer- den muß. Insgesamt umfaßt das Programm zur Förde- (Beifall bei der SPD) rung der Pflegeeinrichtungen in Ostdeutschland ein Das Gesundheitsressort ist, wie bereits gesagt, in er- Volumen von 6,4 Milliarden DM, verteilt auf den Zeit- ster Linie ein Gesetzgebungsressort. Dennoch trägt auch raum von acht Jahren. Im kommenden Jahr wird einder Gesundheitshaushalt im Rahmen seiner Möglich- Drittel der Minderausgaben aus dem Jahre 1997 in Höhe keiten seinen Anteil an der Haushaltskonsolidierung und von 230 Millionen DM nachgeholt. Hinzu kommen 5leistet damit einen Beitrag zur solidarischen Konsolidie- Millionen DM aus dem vergangenen Jahr. Abzüglichrung unseres Gemeinwesens. des Beitrages zum Zukunftsprogramm der Bundesregie- Die Menschen in unserem Lande wollen ein Gesund- rung ergibt sich die erwähnte Erhöhung um knapp 126 heitswesen, das auf der Solidarität der Bürger unterein- Millionen DM für das Jahr 2000. ander basiert. Für Investitionen sind im Regierungsentwurf 1,122 (Beifall bei der SPD) Milliarden DM veranschlagt. Die Bauinvestitionen für nachgeordnete Behörden belaufen sich auf 113 Millio- Der vorliegende Haushaltsentwurf ist dabei ein weiterer nen DM und liegen damit um 42 Millionen DM überSchritt in die richtige Richtung. dem Betrag von 1999. Diese Kosten entstehen haupt- Ich danke Ihnen. sächlich durch den erwähnten Neubau des Bundesinsti- tuts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Die für das (Beifall bei der SPD) 5034 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

(A) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön Weil Sie das letztendlich auch ganz genau wissen,(C) und Gratulation zur ersten Rede! schieben Sie die Verantwortung auf die Ärzte, die Zahn- ärzte und die Krankenhäuser ab. Sie sollen an Ihrer (Beifall) Stelle die Rationierungsentscheidungen bei der täglichen Das Wort hat der Abgeordnete Detlef Parr. Arbeit treffen und für die damit verbundenen Qualitäts- einbußen einstehen.

Detlef Parr (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Da- Zudem setzen Sie noch das DruckmittelRegreßfor- men und Herren! Der Haushalt des Bundesgesundheits- derungen beim Überschreiten des Arzneimittelbudgets ministeriums läuft in den Diagrammen lediglich unterein. Mit dieser Maßnahme – egal, ob eine Individual- „Sonstiges“. Daraus könnte man schließen, es handleoder eine Kollektivhaftung, die völlig uneinsichtig wäre, sich um eine Marginalie. Doch dieser Haushalt hat er- vorgesehen wird – sind Sie dabei, viele Praxen, insbe- hebliche Auswirkungen auf andere Haushalte – auf die sondere in den neuen Bundesländern, in die Pleite zu ja- Haushalte der Krankenkassen und Krankenhäuser sowie gen. So wurde es gestern abend bei einer Veranstaltung auf die Haushalte der in den Gesundheitsberufen Tätigen in Chemnitz formuliert. – und auch auf die Beiträge der Versicherten. In all die- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!) sen Bereichen ergeben sich durch die von der Bundesre- gierung auf den Weg gebrachte Reform 2000 einschnei- Wie war es denn am Anfang der Legislaturperiode, dende Veränderungen. Herr Finanzminister und Frau Ministerin? Wollten Sie nicht Arbeitsplätze schaffen? Wollten Sie sich nicht dar- Wie negativ diese Folgen sind, hat der erste Teil der an messen lassen? Das Gegenteil ist durch diese Ge- Anhörung des Gesundheitsausschusses in der letzten sundheitspolitik der Fall. Woche gezeigt. Diese Anhörung kann Ihnen, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, nur wenig An einer Neubestimmung des Verhältnisses von Sub- Freude gemacht haben. Vielleicht haben es die Spitzen- sidiarität und Solidarität führt auch im Gesundheitswe- beamten des Ministeriums auch deshalb vorgezogen, zur sen kein Weg vorbei. Abgesehen von manchen Sozial- einführenden Sitzung des Ausschusses nicht zu erschei- romantikern der SPD und manchen Staatsgläubigen nen. bei den Grünen ist diese Erkenntnis längst politisches Für uns ist jedenfalls ein weiteres Mal klargeworden, Allgemeingut geworden. Man werfe nur einen Blick in daß Ihr Weg geradewegs in die Zwangsrationierung von das Schröder-Blair-Papier. Wir brauchen einfach mehr Gesundheitsleistungen führt. Die Budgetierung ist kein Eigenverantwortung und mehr Wettbewerb. Die in den probates Steuerungsmittel. Das hat die Vergangenheitletzten Jahren im Gesundheitswesen durchgeführten Re- gezeigt, und aus Erfahrungen sollte man lernen. formen, waren, auch wenn Sie sie, Herr Dreßler, kritisch (B) gesehen haben, Ausdruck dieser Erkenntnis und Schritte (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) in die richtige Richtung. Jeder Mensch ist anders. Ein und dasselbe Gesundheits- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- problem kann sich bei verschiedenen Menschen völlig ten der CDU/CSU) unterschiedlich darstellen. Die erforderlichen Maßnah- men lassen sich nicht in ein finanzielles Korsett zwän- Auch die Beweggründe der Befürworter einerPosi- gen. Wenn Sie Ihre Berechnungen dann auch noch auf tivliste, also der Aufstellung erstattungsfähiger Arznei- falschen Grundlagen aufbauen – etwa die Morbidität der mittel, sind vordergründig und wenig überzeugend. Die Menschen im Osten nicht richtig einordnen, die Integra- Koalition und mit ihr die Krankenkassen hoffen auf tionsversorgung aus dem Budget der niedergelassenen einen Rückgang der Arzneimittelausgaben und verken- Ärzte finanzieren lassen, Modellversuche zukünftig so- nen dabei die Gefahr teurer Substitutionseffekte. Sie er- gar ohne Zustimmung der Kassenärztlichen Vereinigun- richten ein Gefängnis eingeschränkter Therapiefreiheit, gen aus dem gleichen Geldbeutel bezahlen lassen, unge- wobei die Umstellung vieler Patientinnen und Patienten deckte Schecks in Höhe von 2 Milliarden DM aus dem auf wirkungsgleiche Billigmedikamente mit Problemen sogenannten Solidaritätsstärkungsgesetz nicht berück- verbunden ist und in vielen Fällen teuer bezahlt werden sichtigen –, dann wird es für die Betroffenen besonders wird. Das ist jedenfalls unsere Prognose. schmerzlich. Eine falsche Aussage wird auch durch Daß Patienten in Zukunft bestimmte Mittel aus eige- noch so häufiges Wiederholen nicht richtiger. ner Tasche bezahlen müssen, erwähnen Sie in Ihren Wann also werden Sie endlich zugeben, daß Ihre ge- Lobliedern über die Stärkung der Patientenrechte nicht. betsmühlenartig wiederholte Behauptung, auch in Zu- Auch auf die Forschung, die Wirtschaftskraft und die kunft würden den Patientinnen und Patienten alle Lei- weit über 100 000 Arbeitsplätze des Pharmastandorts stungen uneingeschränkt zur Verfügung stehen, irrealDeutschland wirkt sich diese weitere Innovationshürde ist? negativ aus. Medizinischer Fortschritt und demographische Ent- (Zuruf von der SPD: Für welchen Verband wicklung galoppieren in eine ganz andere Richtung und sprechen Sie?) werden sich auch durch die allerschönsten Budgetkon- Letztendlich bringt das ganze Unterfangen einen struktionen nicht im Zaum halten lassen, Frau Ministe- enormen bürokratischen Aufwand mit sich; der von rin. Bundeskanzler Schröder gewohnt medienwirksam pro- (Beifall bei der F.D.P.) pagierte Bürokratieabbau wird im Gesundheitswesen mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5035

Detlef Parr (A) der Schaffung gleich zweier neuer Behörden eindrucks- Wir werden in der Debatte immer wieder nach Alter- (C) voll dokumentiert. Das wäre ein weiterer geeigneter Ge- nativen gefragt. Ich will einmal an Hand von vier Bei- genstand für eine Satire, diesmal allerdings eine anstän- spielen aufzeigen, wie wir uns – im Gegensatz zu den dige. starren Regularien, die Sie einführen wollen – eine Öff- nung des Gesundheitswesens vorstellen. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Mit dem Daten- schutz fallen sie auch auf die Schnauze!) Erstens. Sagen Sie den Versicherten doch endlich die Wahrheit! Die Entwicklung der Ausgaben im Gesund- Ein anderes Thema – danke für den Hinweis, Dieter heitswesen ist geprägt durch eine zunehmende Anzahl Thomae –, das der F.D.P. besonders am Herzen liegt,älterer Menschen, durch einen rasanten medizinischen lassen Sie mich ansprechen: Das ist der Datenschutz im Fortschritt und durch steigende Ansprüche. Die gesetzli- Gesundheitswesen. Die Pläne der Bundesregierung sto- che Krankenversicherung kann einfach nicht grenzenlos ßen zu Recht auf massive und breite Kritik. Uns liegt ja alle wünschenswerten Leistungen finanzieren. Wir brau- eine Resolution aller Datenschutzbeauftragten der Län- chen eine Begrenzung der Leistungen auf das medizi- der und des Datenschutzbeauftragten des Bundes vor,nisch Notwendige. Nicht alles, was zu unserem Wohlbe- mit der Sie sich offensichtlich zur Zeit beschäftigen. Wir finden beiträgt, ist Sache der Pflichtversicherung und sind gespannt, Frau Ministerin, was dabei herauskommt. schon gar nicht der Solidargemeinschaft. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Da knicken Sie (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ein!) ten der CDU/CSU) Besorgniserregend ist nicht nur die Beeinträchtigung Zweitens: Wenn wir es mit der Eigenverantwortung des informationellen Selbstbestimmungsrechtes des ein- wirklich ernst meinen, dann zahlen wir dem Versicher- zelnen. Die Brisanz des Vorhabens geht aus unsererten doch den Arbeitgeberbeitrag aus. Lassen wir ihn Sicht weit über den datenschutzrechtlichen Bereichselbst bestimmen, wo er sich in welchem Umfang gegen hinaus. Der Gesetzentwurf bricht mit der bisherigendas Krankheitsrisiko absichern will. Er muß seine Praxis der Datenerhebung im Gesundheitsbereich, der- Grundversorgung – gemeint sind existenz-, lebenser- zufolge die Krankenkassen nur in Ausnahmefällen Zu- haltende und notwendige Leistungen – nach seinen eige- gang zu personenbezogenen medizinischen Daten hat- nen Wünschen aufstocken und ergänzen können. Ledig- ten. In Zukunft sollen diese Daten nun an zentrale Da- lich angenehme und individuell nützliche Leistungen tensammelstellen gemeldet werden, und zwar generell sollten zusatzversichert werden oder individuellen Ver- fall- und patientenbezogen. Dies hat aus unserer Sicht trägen zwischen Arzt und Patienten unterliegen können. zur Folge, daß bei den gesetzlichen Krankenkassen um- fassende Dateien über jeden einzelnen Versicherten ent- Drittens. Stärken Sie wirklich diePatientenrechte! (B) stehen, Räumen Sie den Pflichtversicherten die Möglichkeit ein, (D) zum Beispiel eine Krankenkasse mit Selbstbehalttarif (Gudrun Schaich-Walch [SPD]: Das ist schon bei entsprechend niedrigem Beitragssatz zu wählen oder jetzt so!) aber eine Krankenkasse, die bei nicht in Anspruch ge- nommenen Leistungen einen Teil der Beiträge zurück- die lückenlos Aufschluß über seine ureigenste Privat- zahlt – warum eigentlich nicht? sphäre geben können, nämlich über Körper und Seele. Die Vorstellung, Frau Schaich-Walch, daß sich Patien- (Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]) tenprofile aller Art ohne Schwierigkeiten erstellen lassen und auch sensibelste Diagnosen wie Aids-InfektionenLassen Sie eine individuelle Entscheidung für eine oder psychiatrische Befunde aus den Datenbanken ab- Krankenkasse zu, Herr Seifert, die erweiterte Leistungen rufbar sind, ist für mich und sicher auch für Sie – ich bin etwa der Prävention anbietet. sicher, daß wir in den Beratungen darüber noch reden (Beifall bei der F.D.P.) werden – ein Alptraum, der auf keinen Fall Realität werden sollte. Viertens. Sorgen Sie für mehrKostentransparenz! Die Menschen müssen wissen, was ein Arztbesuch ko- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- stet. Das können sie nur, indem Sie das Sachleistungs- wie bei Abgeordneten der SPD) prinzip durch das Kostenerstattungsprinzip ersetzen. Allein vor dem Hintergrund Europa ist das dringend er- Das Anliegen, die Effizienz des Gesundheitswesens forderlich. zu steigern und damit Kosten zu sparen, ist lobenswert und findet zu Recht breite Zustimmung und Unterstüt- (Beifall bei der F.D.P.) zung. Das ist ja schon in den vergangenen Jahren so ge- wesen. Es bleibt allerdings völlig unklar, welchen zu-Dann kommen wir zu mehr Markt und zu weniger Diri- sätzlichen Erkenntnisgewinn das massenhafte personen- gismus. Das ist der Weg, den wir beschreiten wollen. bezogene Sammeln von Daten für dieses erstrebens- Reinhard Mohn hat in einer Schrift der Bertelsmann- werte Ziel hat. Im Gegenteil: Die Bürokratie wird weiter Stiftung gesagt – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsiden- aufgebläht. Kontrolle und Mißtrauen bestimmen dentin –: Weg, statt Vertrauen in ein freiheitliches System zu set- zen, die Selbstverwaltung zu stärken und Marktmecha- Der Verlust eines auf gemeinsamen Überzeugun- nismen breiteren Raum zuzugestehen. gen basierenden Grundkonsenses macht es heute fast unmöglich, in Politik und Wirtschaft zu weiter- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) führenden Konzepten zu gelangen. Es stellt sich 5036 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Detlef Parr (A) uns entsprechend die Frage, ob die Misere des Dr. Ruth Fuchs (PDS): Frau Präsidentin! Meine(C) Standorts Deutschland nicht möglicherweise aufDamen und Herren! Lieber Kollege Parr, ich bin schon einer Krise unseres Zielverständnisses beruht. Ord- der Meinung, daß es zu den Konzeptionen von Herrn nungssysteme haben auf Dauer nur Bestand, wenn Schröder Alternativen gibt. Aber Ihre Alternative wäre sie den Aufgabenstellungen ihrer Zeit entsprechend nicht die meine. Das wollte ich einmal feststellen. und von der Zustimmung der Menschen getragen (Beifall bei der PDS) werden. Der heute zur Debatte stehende Haushalt des Bun- Ihre Vorstellungen, meine Damen und Herren vondesministeriums für Gesundheit ist unübersehbar von SPD und Grünen, entsprechen nicht den Aufgaben- der generellen Spar- und Kürzungspolitik der Regie- stellungen unserer Zeit im Gesundheitsbereich. Sie ver- rung Schröder geprägt. Erfreulich ist, daß an den mit suchen, mit Spielregeln der Vergangenheit die Zukunft dem Pflegeversicherungsgesetz auf den Weg gebrachten zu gestalten. Sie haben auch nicht die breite Zustim- erheblichen Finanzhilfen des Bundes zur Förderung von mung der Menschen, wie die jüngsten Wahlergebnisse Investitionen in Pflegeeinrichtungen der neuen Länder zeigen. festgehalten werden soll. Das ist für den Bauzustand und (Gudrun Schaich-Walch [SPD]: Sie aber auch für die materielle Ausstattung dieser Einrichtungen von nicht!) nicht zu unterschätzender Bedeutung. – Frau Schaich-Walch, auch wir haben unsere Probleme; Um so bedauerlicher ist jedoch, daß in diesem Haus- das gebe ich zu. Aber das wird sich ändern, und diehalt die Ausgaben für dringend notwendige Verbesse- Menschen werden erkennen, wo die richtigen politi-rungen bei den unmittelbaren Betreuungs- und Versor- schen Konzepte zu finden sind, nämlich bei uns Libera- gungsleistungen für pflegebedürftige Menschen weiter len. reduziert werden. Positiv zu nennen ist meines Erach- tens, daß die Aufwendungen auf dem Gebiet der Sucht- (Beifall bei der F.D.P.) bekämpfung – und hier insbesondere für Modellmaß- nahmen – erhöht werden sollen. Wir sollten die Chance der veränderten Mehrheits- verhältnisse im Bundesrat für einen Neuanfang bei den Da aber der Großteil der Leistungen in der Kranken- Reformüberlegungen nutzen, und Pflegeversicherung nicht im Bundeshaushalt, son- dern von den entsprechenden Trägern der Sozialversi- (Beifall des Abg. Dr. Hermann Kues cherungen bereitgestellt wird, sind die negativen Aus- [CDU/CSU]) wirkungen von Sparpaket, Rentenplänen und Gesund- statt im Vermittlungsausschuß Stück um Stück einenheitsreform auf die allgemeine Finanzbasis wesentlich (B) Gesetzentwurf nachzubessern, der ordnungspolitisch in bedeutsamer als die Kürzungen im Haushalt des Bun-(D) die Irre führt, voller Widersprüche steckt und Folgendesministeriums für Gesundheit. Immerhin führen allein hat, die wir gegenwärtig in ihren Dimensionen nur erah- das Sparpaket und die Rentenkürzungen zu Einnahme- nen können. Meine Damen und Herren, wenn Sie anverlusten der Krankenversicherung in Höhe von zirka 3 Flickwerk herumbasteln, dann führt das nur zu weiterem Milliarden DM und zu Einnahmeverlusten der Pflege- Flickwerk mit noch kleineren Karos. Das ist der falsche versicherung von etwa 1,6 Milliarden DM. Außerdem Weg. stehen der Pflegeversicherung durch die Senkung der Beiträge von Arbeitslosenhilfebeziehern weitere Ein- Am 22. September wird das Bündnis Gesundheitnahmeverluste in Höhe von 400 Millionen DM jährlich 2000 – – ins Haus. Von diesen Entwicklungen müssen schwer- wiegende Auswirkungen auf die Lebenssituation von älteren, chronisch kranken und behinderten Menschen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, befürchtet werden. das wäre jetzt ein schöner Schlußsatz gewesen. Ihre Re- dezeit ist nämlich abgelaufen. Völlig unklar ist, wie all dies mit dem einschneiden- den Sparkurs im Gesundheitswesen zusammengehen soll, den die Regierung mit der Gesundheitsreform 2000 Detlef Parr (F.D.P.): Dann lassen Sie mich noch ei- eingeschlagen hat. Bekanntlich soll die Erschließung nen Satz sagen, was die Frage angeht, wie wir zukünftig von Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitswesen weiter verfahren wollen. Der Kanzler hat gesagt, es gebe nicht primär der Verbesserung der medizinischen Ver- keine Alternativen, weder zu ihm noch zu seinen Sach- sorgung dienen, sondern eine rigorose Sparpolitik in aussagen. Ich will ein Wort von Benjamin Disraeli da- Form von Budgetierung begründen, die die jährliche gegenhalten: Das Wort „endgültig“ gibt es nicht in der Mittelanhebung lediglich an den Anstieg der Grund- Sprache der Politik. – Lassen Sie uns so gemeinsamlohnsumme bindet. weiter streiten. Diese Grundentscheidung, die das Gesundheitswesen Danke schön. zugleich von der Entwicklung der wirtschaftlichen Lei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) stungskraft abkoppelt, berücksichtigt in keiner Weise den jeweils gegebenen Versorgungsbedarf und die sach- lichen Notwendigkeiten dieses Bereiches. Sie ist direkt Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat aus dem – zunehmend wirtschaftsliberalen – Gesamt- die Abgeordnete Ruth Fuchs. konzept der Regierung abgeleitet und damit in erster Li- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5037

Dr. Ruth Fuchs (A) nie eine wirtschaftspolitisch determinierte Vorgabe. Da- Bereich, nach wie vor nur etwa 75 Prozent der Erlöse ih- (C) bei setzt die Regierung – inzwischen ebenso einseitigrer jeweiligen westdeutschen Berufskollegen erzielen. wie ihre Amtsvorgänger – auf die Stärkung der Ange- Auch diese Gerechtigkeitslücke sollte endlich zielstrebig botskräfte, um Wirtschaftswachstum und die Senkung geschlossen werden. der Arbeitslosigkeit zu erreichen. (Beifall bei der PDS) Folgerichtig heißt die übergreifende Vorgabe für das Im Gegensatz zum vorliegenden Reformentwurf der Gesundheitswesen und damit das oberste Ziel dieser Re- Koalition vertreten wir die Auffassung, daß sich Ge- form: Beitragsstabilität. Allerdings wird von Voraus- sundheitspolitik auch in ihren Prämissen und Zielen kei- setzungen ausgegangen, deren Eintreten nach allen Er- neswegs in der Übertragung wirtschafts- und finanzpo- fahrungen eher unwahrscheinlich ist. Das möchte ich litischer Strategien auf den Bereich des Gesundheitswe- begründen: sens erschöpfen darf. Sie verlangt ein eigenständiges Erstens. Weder von der Stärkung der Position derGesamtkonzept, welches es ermöglicht, soziale Gerech- Hausärzte noch von integrierten Versorgungsformentigkeit mit hoher fachlicher Qualität und wirtschaftli- noch von einer Positivliste, die wir übrigens begrüßen, chem Einsatz der Mittel zu verbinden. können kurzfristig Einsparungen erwartet werden. (Beifall bei der PDS) Zweitens. Rationalisierungsreserven sind bestenfalls Natürlich ist es richtig – ich glaube, niemand in die- schrittweise in einem Reformprozeß, der über mehrere sem Haus bestreitet das; egal, von welcher Seite –, daß Jahre angesetzt werden muß, zu erschließen. Hinzudas Gesundheitswesen Strukturreformen braucht, um kommt, daß es sich im Erfolgsfall um einen gut gesteu- die vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven zu er- erten, durch wirksame Einzelschritte unterlegten Prozeß schließen. Dies allein genügt aber nicht. Ebenso dring- handeln muß, dessen Sinnhaftigkeit zumindest von ei- lich ist eine schrittweise Erweiterung seiner Finanzie- nem großen Teil der Leistungserbringer verstanden und rungsbasis. Dafür tun Sie aus meiner Sicht nichts oder vor allen Dingen mitgetragen wird. sehr wenig. Die Sachverständigenanhörung hat diesbe- Der jetzt vorgesehene blanke Einsparungsdruck läßt züglich deutlich gemacht, daß der Wachstumssektor Ge- erfahrungsgemäß den fragwürdigen Einsatz von Mitteln sundheitswesen Entwicklungsspielräume – mindestens – ebenso weiterlaufen wie eine bestehende Unterversor- parallel zur Steigerung des Bruttoinlandsproduktes be- gung – dies alles natürlich auf einem deutlich abge-nötigt. senkten Niveau. Die Verlierer solcher Art von Reformen Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. sind stets die sozial Schwächeren und insgesamt all jene, die sich am wenigsten wehren können. Soziale Gerech- (Beifall bei der PDS) (B) tigkeit und Chancengleichheit in der gesundheitlichen (D) Versorgung können auch auf solche Weise erheblich untergraben werden. Es kann kaum verwundern, wenn Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die zweite ein so wenig durchdachtes und überstürztes Herangehen Runde beginnen wir jetzt mit dem Beitrag der Abgeord- an ein anspruchsvolles Reformvorhaben im Gesund-neten Helga Kühn-Mengel. heitswesen von den Leistungserbringern vor allem als Druck in Richtung Qualitätsminderung und Rationie- Helga Kühn-Mengel (SPD): Frau Präsidentin! Im rung empfunden wird. Im übrigen treffen die vorgesehe- Rahmen einer Haushaltsdebatte ist es auch notwendig, nen Restriktionen vor allem jene Ärzte und andere Lei- neue Perspektiven aufzuzeigen. Das Gesetz zur Reform stungserbringer am härtesten, die ihre Arbeit vorwie-der GKV ab dem Jahr 2000 unterstreicht die Bedeutung gend an den Interessen ihrer Patienten und weniger an von Prävention, Gesundheitsförderung, Selbsthilfe und betriebswirtschaftlichen Überlegungen orientieren. Patientenschutz; Bereiche, die von der Wissenschaft als (Beifall bei der PDS) – zumindest in Deutschland – hoch defizitär beschrieben und von der letzten Regierung stiefmütterlich behandelt Vor diesem Hintergrund verstärkt sich verständli-worden sind. cherweise die Sorge, daß die bereits im laufenden Jahr akut aufgebrochenen Finanzprobleme der gesetzli- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja chen Krankenversicherung in Ostdeutschland weiter Seifert [PDS]) zunehmen. Rasche – noch 1999 wirksame – Abhilfe,Der alte § 20 nahm bei der alten Bundesregierung nach wie sie vor der Sommerpause angekündigt wurde, läßt einer nur sieben Jahre dauernden Existenz im SGB V am bisher auf sich warten. Vor allem bedarf die prekäre13. September 1996 ein trauriges Ende. Wir haben die- Einnahmesituation der ostdeutschen Krankenkassen, be- sen Paragraphen reanimiert. Wir schaffen mit diesem dingt vor allem durch höhere Arbeitslosigkeit und nied- Gesetz den Einstieg in das bedeutsame Politikfeld der rigere Einkommen, dauerhaft stabiler und tragfähigerKrankheitsverhütung und der Gesundheitssicherung. Lösungen. Sie sollten entsprechend ihrer Dringlichkeit Wir fühlen uns hier im Einklang mit allen namhaften noch Bestandteil des gegenwärtigen Reformvorhabens Verbänden, mit der Wissenschaft und vor allem mit den sein. Patienten und Patientinnen, den Versicherten, die wir darin unterstützen wollen, sich im Gesundheitswesen zu Lassen Sie mich im übrigen an dieser Stelle erneut orientieren und ihre Rechte wahrzunehmen. darauf hinweisen, daß die Leistungserbringer in den neuen Bundesländern, beispielsweise im ambulanten (Beifall bei der SPD) 5038 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Helga Kühn-Mengel (A) Durch die Maßnahmen zurGesundheitsförderung Süchte eine immer größere Rolle spielen, daß in der(C) und Prävention werden die Eigenverantwortung und die Gruppe der 12- bis 13jährigen jeder vierte gelegentlich Souveränität der Bürgerinnen und Bürger im Umgang oder regelmäßig Wein oder Bier trinkt – Herr Parr, die mit ihrer Gesundheit gestärkt. Wir haben die gesetzli-Betrunkenen werden immer jünger –, jeder zehnte chen Aufgaben der Krankenkassen um ebendiese Maß- Schnaps oder Weinbrand, daß 16 Prozent der 12- bis nahmen zur Prävention erweitert. Solche Maßnahmen 17jährigen rauchen und 8 Prozent mit Drogen Kontakt werden also künftig wieder im Leistungskatalog derhatten. Angesichts dieser Zahlen wird die Notwendigkeit Krankenkassen angeboten werden können. Angebote der präventiver Maßnahmen überdeutlich. Selbsthilfe mit präventiver oder rehabilitativer Zielset- zung werden gefördert. Dies hat unser Gesetz ausdrück- (Beifall bei der SPD) lich klargestellt. Wenn wir durch Vorbeugung Krank- Das Ziel einer verbesserten Prävention verfolgen wir heiten gar nicht erst entstehen lassen, haben wir mehrzum Beispiel auch dadurch, daß wir im Gesundheitsre- geleistet, als wenn wir das Gesundheitssystem zum rei- formgesetz in § 21 eine erweiterte Gruppenprophylaxe nen Reparaturbetrieb für bereits entstandene Krankhei- bei Jugendlichen zur Verhütung von Zahnerkrankungen ten verkommen ließen. festschreiben. Wir haben die Gruppenprophylaxe für be- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja sondere Risikogruppen bis zum 16. Lebensjahr erweitert Seifert [PDS]) – eine klare Verbesserung für unser Gesundheitssystem, auch wenn sich dies vielleicht erst in einigen Jahren ko- Auch die Experten bestätigen uns seit vielen Jahren, daß stensparend bemerkbar machen wird. konsequente Gesundheitsförderung und Prävention nicht nur Behandlungskosten senken und Produktivkraft er- Die Spitzenverbände der Krankenkassen werden ent- halten, sondern langfristig auch Berufs- und Erwerbsun- sprechend ihrer Verpflichtung zur Wirksamkeit und fähigkeit vorbeugen und damit die Rentenkassen entla- Wirtschaftlichkeit einen Katalog geeigneter Maßnahmen sten. zur Prävention vereinbaren. Dieser Katalog hat sich an der jeweiligen Zielgruppe und an dem Versorgungsbe- Es ist vernünftig, daß durch diesen Gesetzentwurf den darf der Versicherten zu orientieren. Der Gewinn für die Kassen Aufgaben der Prävention zuwachsen, zumal die Versicherten soll im Mittelpunkt stehen, nicht der Wett- Erfahrungen aus den Jahren 1989 bis 1996 gezeigt ha- bewerb der Krankenkassen. ben, daß sie auf diesem Feld engagiert und effizient ge- arbeitet haben. Vielleicht konnten diese Maßnahmen im (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Einzelfall zum Wettbewerb um „gute Risiken“ genutzt DIE GRÜNEN) werden. Der immer wieder als Totschlagsargument ge- gen § 20 SGB V herangezogene Bauchtanzkurs oder das Solche Maßnahmen der Prävention sind jedoch nur (B) angeblich mitfinanzierte Indoor-Climbing kann diedann sinnvoll und für die Versicherten zweckmäßig,(D) Qualität sinnvoller Maßnahmen nicht diskreditieren. wenn die Leistungen in Kooperation mit den bereits vorhandenen Strukturen stattfinden. Hier meine ich ins- Wir betonen deshalb zum einen, daß die Kinder und besondere die Sportverbände, die Bildungseinrichtungen Jugendlichen eine Zielgruppe darstellen, die es beson- und die Landesvereinigungen für Gesundheit. ders zu berücksichtigen gilt, werden doch bereits in den frühen Lebensphasen zahlreiche gesundheitsrelevante Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Krankenkassen Einstellungen und Verhaltensweisen geprägt. werden stärker in die betriebliche Gesundheitsförderung einbezogen. Im Rahmen dieser Gesundheitsförderung (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja können sie Maßnahmen durchführen, die den Arbeits- Seifert [PDS]) schutz ergänzen; sie sollen auch bei der Verhütung ar- Zum anderen war es uns wichtig, daß die präventivenbeitsbedingter Gesundheitsgefahren mitwirken – ein Aufgaben sowohl verhaltens- als auch verhältnispräven- förderlicher Beitrag zur menschengerechten Gestaltung tive Maßnahmen umfassen. Mit dieser Akzentuierung der Arbeit. stellen wir klar, daß die Präventionsangebote nicht nur (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mittelschichtorientiert sind, sondern vor allem jene Be- DIE GRÜNEN) völkerungsgruppen erreichen sollen, die auf Grund psy- chosozialer Defizite in ihrer gesundheitlichen Entwick- Es ist für uns selbstverständlich, die Qualität der Prä- lung in besonderem Maße beeinträchtigt und gefährdet ventionsleistungen zu sichern, zum Beispiel durch aus- sind. schließlich nachweisgestützte Interventionen. Das heißt, daß mit der Aufgabenzuweisung eine Verpflichtung der (Beifall bei der SPD) Krankenkassen zur regelmäßigen Qualitätssicherung Sehen wir uns nur einen kleinen Ausschnitt aus den und Evaluation verbunden wird. Dazu werden die Spit- Morbiditäts- und Risikostatistiken für das Jugendalter zenverbände der Krankenkassen in Kooperation mit an- an! Repräsentative Studien kommen zu dem Ergebnis, deren Akteuren der Gesundheitsförderung und unabhän- daß im Durchschnitt etwa 10 bis 12 Prozent der Kinder gigem Sachverstand Qualitätskriterien erarbeiten. Dies im Grundschulalter an Störungen der Leistungsfähigkeit, ist sinnvoll, da so dem Gedanken einer evidenzbasierten der Wahrnehmung und des Kontaktes leiden, daß dasMedizin der wirksamen und notwendigen Prävention Asthma bronchiale im Spektrum der psychovegetativen entsprochen wird, und dies ist für die Bürgerinnen und Beeinträchtigungen auf 5 bis 7 Prozent geschätzt wird, Bürger in doppeltem Sinne interessant: Als Nutzer sind daß neben den bekannten Zivilisationskrankheitensie an einer qualitativ hochwertigen Angebotspalette in- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5039

Helga Kühn-Mengel (A) teressiert, als Beitragszahler an einer möglichst effi-ist in der Lage, Eigenverantwortung zu übernehmen und (C) zienten Verwendung der finanziellen Mittel. die Angebote im System sinnvoller und kostensparender zu nutzen. Selbsthilfe – ein weiterer wichtiger Baustein unseres Gesundheits- und Sozialsystems – bedeutet eigenver- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christa antwortliches und gemeinschaftliches Handeln, bessere Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bewältigung einer Krankheit, bedeutet Hilfe nicht nur für den Kranken, sondern auch für die Menschen in sei- ner näheren Umgebung. Darüber hinaus ist es wichtig, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat daß chronisch kranke und behinderte Menschen anders jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zöller. eingebunden werden. Sie lehnen es ab, von den Reprä- sentanten eines professionellen Versorgungssystems als Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Objekt betrachtet zu werden. Sie stellen die berechtigte Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frau Mini- Forderung, als Experten in eigener Sache bei der Pla-sterin hat uns unterschwellig vorgeworfen, wir würden nung und Durchführung aller sie betreffenden Maßnah- auf der Seite der Leistungserbringer stehen. Ich frage men eingebunden zu werden. Sie: Ist es unredlich, sich für berechtigte Belange von (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christa Krankenschwestern, Ärzten und Pflegepersonal einzu- Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) setzen? Wir stärken der Selbsthilfe den Rücken, wir integrieren (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sie in das Gesundheitswesen. Das ist ein wichtigerWie weit Sie wieder einmal von Ihren Worten ent- Punkt. fernt sind, zeigt sich daran, daß wir mehr auf der Seite Patientenrechte und Patientenschutz wurden bereits der Patienten stehen. Wir haben den Antrag eingebracht, angesprochen. Die Verbesserung auch dieser Rechte500 Millionen DM mehr für Demenzkranke auszugeben. bzw. dieses Schutzes verfolgt unser Gesundheitsreform- Mit der Begründung, das sei nicht finanzierbar, wurde er projekt 2000. Bisher hat das Recht den Patientinnen und im Gesundheitsausschuß mit Ihrer Mehrheit abgelehnt. Patienten nur dann geholfen, wenn es bereits zu einem Im gleichen Jahr nehmen Sie aber 400 Millionen DM Behandlungsfehler gekommen war. Unsere Vision rich- aus der Pflegeversicherung heraus und verbuchen sie bei tet sich darauf, daß die Patientinnen und Patienten von der Bundesanstalt an einer anderen Stelle. Das ist kein vornherein aktiv in den Behandlungsprozeß einbezogen Einsatz für Patienten. werden. Dazu brauchen sie verbesserte Informationen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Die im Arztrecht schon seit langem verankerte Pflicht Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Unverschämt- (B) (D) des Arztes, seinen Patienten aufzuklären, bevor dieser heit!) seine Einwilligung zu einer ärztlichen Maßnahme gibt, Wir werden, ob Sie es wollen oder nicht, leider dazu reicht oft nicht aus. Wir stärken diesen Bereich. Dazu kommen, daß das Ergebnis Ihrer rotgrünen Gesund- werden zum Beispiel Einrichtungen der Verbraucher-heitspolitik sein wird: je reicher, desto gesünder, je är- und Patientenberatung gezielt gefördert. Die Kranken- mer, desto kränker. kassen erhalten die Möglichkeit, Modellprojekte zu fi- nanzieren. Unabhängige Stellen sollen diese Arbeit Ich will Ihnen das an Beispielen belegen. IhrePosi- übernehmen. Auch das ist ein wichtiger Punkt in unse- tivliste wird zur Zwei-Klassen-Medizin führen. Für rem Reformvorhaben. viele chronische Erkrankungen gibt es nämlich noch keine Arzneimittel, die eine ursächliche Therapie er- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) möglichen. Es gibt aber sehr viele Präparate, die den Patienten substantiell und subjektiv helfen. Mit Ihrer Ich möchte Sie abschließend darauf aufmerksam ma- Positivliste grenzen Sie also solche Mittel aus der Lei- chen, daß sich die Rolle der Patienten und Patientinnen stungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen aus, und in unserer Gesundheitsreform verändert hat. Sie waren die Patienten müssen sie zu 100 Prozent selbst zahlen. bisher eher Objekte der Fürsorge. Wir rücken sie wieder Ich frage Sie: Ist es patientengerecht, die Zuzahlung um als Handelnde, als gleichberechtigte Partner in den Mit- 1 DM zu senken, aber dafür 30 Prozent der Arzneimittel telpunkt und unternehmen dafür die richtigen Schritte. vollständig von den Patienten bezahlen zu lassen? Sie wissen, daß wir an der Erstellung einer Patienten- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Charta arbeiten. Da sind bereits wichtige Akzente ge- setzt worden. Auch dies bedeutet wieder: Vermögende Patienten wer- den sich bewährte Präparate leisten können; für chro- Die These unbegrenzter Nachfrage im Gesundheits- nisch Kranke und ältere Menschen ist es ein Nachteil. system setzt einen uninformierten Patienten voraus. Wenn wir lesen, daß jede zweite der jährlich rundDie Positivliste ist auch medizinisch der verkehrte 100 Millionen Röntgenuntersuchungen nach AussageAnsatz. Es besteht nämlich die Gefahr, daß nach der der Deutschen Röntgengesellschaft überflüssig ist, daß Ausgrenzung von etwa einem Drittel der Verordnungen nach einem Bericht des BMG mindestens 25 Prozent der ein Ausweichen auf stärker wirksame Präparate stattfin- durchgeführten Eierstock- und Eileiteroperationen ver- det. Aber stärker wirksame Präparate haben nun leider meidbar wären, wissen wir, worauf es ankommt: Nurauch stärkere Nebenwirkungen. Dies kann wiederum der gut informierte Patient, die gut informierte Patientin nicht sinnvoll für Patienten sein. 5040 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Wolfgang Zöller (A) Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu Ihrem Auch wird der Arzt künftig nicht mehr wissen, wel-(C) sogenannten „Benchmarking-Modell“ möchte ich fol- ches Arzneimittel der Patient wirklich bekommen hat, gendes sagen: Ich verstehe darunter Orientierung amweil der Apotheker ihm ein anderes als das verordnete Besseren, am Sinnvolleren. Sie verstehen daruntergeben kann. Herr Kollege Dreßler, in diesem Fall wäre scheinbar Orientierung am Billigsten. eine prozentuale Zuzahlung die intelligentere und ziel- führendere Lösung. Über diese Lösung sollten wir uns (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) unterhalten. Sie ist auf jeden Fall besser als eine staatli- Das bestätigt auch wieder, daß Sie Gesundheitspolitikche Überreglementierung. AproposÜberreglementie- zur Zeit rein fiskalisch und nicht bedarfsorientiert ge-rung: Sie gründen jetzt ein neues Institut, das die Zulas- stalten. sungen der Zulassungsbehörde darauf überprüfen soll, ob deren Zulassungen als zugelassen gelten. Es tut mir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) leid, aber ich verstehe nicht, was das mit Entbürokrati- Wie widersprüchlich dieses Modell ist, kann ich Ih- sierung zu tun haben soll. nen auch beweisen: In einer Region, in der sehr viele (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Patienten statt stationär ambulant versorgt werden – was wir übrigens alle wollen –, fallen automatisch höhere Wie konzeptlos und unausgegoren Ihr Gesetz ist, Arzneimittelkosten an. Nach Ihrem System werden für sieht man auch an der Regelung fürZahnersatz. Wir eine solche Region im kommenden Jahr die Mittel mit hatten ein Festzuschußsystem für Zahnersatz einge- dem Ergebnis gekürzt, daß man wieder ins Krankenhaus führt. Das bedeutete, daß der Patient für eine zahntech- einweisen wird. Sie sparen also einige hundert Mark für nische Lösung, zum Beispiel eine Brücke, einen einheit- Arzneimittel, geben aber einige tausend Mark mehr für lichen Betrag von seiner Kasse erhielt. Dabei spielte es Krankenhausaufenthalte aus. Das kann nicht sinnvollkeine Rolle, für welche Versorgungsform er sich ent- sein. schied. Sie haben diese Regelung zu Beginn dieses Jah- res gekippt und eine prozentuale Bezuschussung einge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) führt. Ein weiteres Beispiel, das die Widersinnigkeit dieses Modells belegt: In einer Region mit einer sehr hohen Gestern lese ich, daß der Kollege Dreßler zurück zum Arbeitslosenquote sind auf Grund der großen Zahl von Festzuschuß will, da dies – so bestätigte Dreßler – sozial Patienten, die von der Zuzahlung befreit sind, die Aus- gerechter ist als ein prozentualer Zuschuß. gaben der gesetzlichen Krankenversicherungen für Arz- (Rudolf Dreßler [SPD]: Das ist nicht neu! Die- neimittel höher. Aber gerade hier nehmen Sie dann im se Meinung habe ich schon immer vertreten!) Folgejahr Kürzungen vor. Sie kürzen also bei Arbeitslo- (B) sen. Es tut mir leid: Mit sozial hat das nichts zu tun.Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Re- (D) Dieses Gesetz ist wirklich Pfusch. gierung, wissen Sie eigentlich noch, was Sie wollen? Sie legen ein Gesetz vor, sagen aber, das andere sei sinn- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) voller. Vielleicht sollte man sich da einigen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit Argu- Lassen Sie mich noch ein weiteres Beispiel Ihrer In- menten, die vor zehn Jahren noch Gültigkeit gehabt ha- konsequenz ansprechen. Ich zitiere aus einer Pressemit- ben mögen, aber heute nicht mehr zutreffen, propagieren teilung des Bundesministeriums für Gesundheit vom Sie die Abgabe von Reimportarzneimitteln. Durch Ihre April diesen Jahres: Regelung werden die Apotheker verpflichtet, preisgün- stige reimportierte Arzneimittel abzugeben. Die Bundesregierung wird die Gebühren für tier- ärztliche Leistungen der aktuellen Entwicklung an- (Zuruf von der F.D.P.: Bürokratismus!) passen. Die derzeitige Fassung der Gebührenord- Nun könnte man sagen: Das ist sinnvoll. Aber die Muß- nung für Tierärzte ist seit dem 1. April 1988 in Vorschrift, die Sie jetzt geschaffen haben, bedeutet in Kraft. In den vergangenen 11 Jahren sind die Pra- letzter Konsequenz, daß die Apotheker alle deutschen xiskosten, vor allem auch die Personalkosten, er- Arzneimittel aus ihrem Regal herausnehmen heblich gestiegen, so daß eine Anpassung überfällig war. (Zuruf von der F.D.P.: So ist es!) (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hochinteres- und die Versorgung mit reimportierten Arzneimitteln sant!) sicherstellen konnten. (Zuruf von der SPD: Wenn sie doch preis- Frau Ministerin, Sie hatten Recht. Nur, die Gebühren- werter sind!) ordnung für Zahnärzte ist noch länger nicht mehr ange- paßt worden. – Wenn Sie auch den nächsten Satz hören, werden Sie merken, daß Ihr Zwischenruf nicht sinnvoll war. Wenn (Gudrun Schaich-Walch [SPD]: Tierärzte ver- man nämlich weiß, daß die Arzneimittelpreise im Aus- dienen 100 000 und Zahnärzte 200 000 land staatlich reguliert oder sogar staatlich bezuschußt brutto!) werden, weiß man, daß dies ein Vernichtungsprogramm Was für Hunde gilt, sollte für Patienten schon längst für deutsche Arbeitsplätze ist. gelten. So kommt es nämlich zu der sehr seltsamen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Regelung, daß für eine Zahnfüllung bei einem Hund Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5041

Wolfgang Zöller (A) 135 DM gezahlt wird, für eine Zahnfüllung bei einemim Dialog machen läßt – auch im Dialog mit der Lei-(C) Kassenpatienten aber nur 30,75 DM. stungserbringerseite – und daß bei dieser Regierung endlich die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist ein stehen und nicht zweifelhafter Lobbyismus. Witz!) (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Dafür werden sie Meine Befürchtung, daß wir mit dieser Regierung auf budgetiert! Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie den Hund kommen, hat sich leider bewahrheitet. waren bei dem Gespräch gar nicht dabei!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Das müssen Sie sich ins Stammbuch schreiben lassen. der F.D.P.) Lassen Sie mich noch etwas zum Globalbudget sa- Ich darf noch eine gute Äußerung Ihres Kollegengen. Wir stehen ja heute eigentlich in Beratungen über Dreßler zitieren, und zwar: den Haushalt. Die Tatsache, daß Qualität vor Schnelligkeit geht, hätten wir schon früher berücksichtigen sollen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, Das unterstreiche ich voll. Deshalb mein Vorschlag: Mit es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage des unserem Gesundheitsgesetz hatten wir 1997 und 1998 Kollegen Seifert. einen Überschuß in der gesetzlichen Krankenversiche- rung. Jetzt sagt Frau Fischer, auch 1999 gebe es kein Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Defizit. Wenn dem so ist, dann lassen Sie doch unserNEN): Im Moment nicht, Herr Seifert. Ich komme Reformgesetz so lange wirken, bis wir gemeinsam ein gleich auf Sie zurück, möchte jetzt aber kurz auf das sinnvolleres Gesetz mit den Beteiligten erarbeitet haben. Globalbudget eingehen. – Wir befinden uns in der Be- Wir bieten hierzu unsere Mitarbeit an. ratung über einen Sparhaushalt. Wir müssen sparen, weil (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) es durch die Ergebnisse Ihrer Regierung nötig geworden ist.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat (Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt. und F.D.P. – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: In der Krankenversicherung haben wir einen Überschuß!) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Katrin Göring-Eckardt Wir stehen aber bei der Gesundheitsstrukturreform mit NEN): Herr Zöller, wir wissen ja, daß gerade die Zahn- dem Globalbudget vor einem Programm, mit dem mehr (B) ärztinnen und Zahnärzte in Deutschland eine besonders (D) Geld ins System soll und das Regulierung und nicht Re- benachteiligte Gruppe sind. Deswegen kann ich gut ver- glementierung will. Genau das ist die Art von Politik, stehen, daß Sie sagen, Sie wollen sich nicht auf die Seite die uns weiter führen wird – als das, was Sie uns ge- derer stellen, die die Leistungserbringer vertreten. Sie bracht haben. sagen, das seien alles berechtigte Ansprüche, die da ge- stellt werden. Aber daß Sie ausgerechnet die Zahnärzte (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Über als Beispiel für jene anführen, die berechtigte Ansprüche 2 Milliarden DM Überschuß!) haben, macht mich stutzig. Das ist nämlich Abgrundpolitik gewesen, und Sie waren Ich will Ihnen eines sagen: Der Unterschied zwischen ganz verwundert, als Sie runtergeschaut haben. Ihnen und uns ist, daß Sie mit Ihren Gesundheitsgeset- (Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zen der Vergangenheit immer, insbesondere in der letz- ten Legislaturperiode, als Tiger gesprungen und als und der SPD) Bettvorleger gelandet sind. Und warum? Weil Sie sich Wir machen gerade im Gesundheitssystem eine Politik, nicht getraut haben, mit den Leuten ins Gesprächdie uns weiterführen wird zu kommen, weil Sie einseitige Lobbypolitik betrieben haben, (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist die Rolle rückwärts!) (Beifall bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So viel Unsinn um die Mittagszeit und die es uns schaffen lassen wird, das solidarische Sy- kann man nicht ertragen!) stem zu erhalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und weil Sie sich nicht getraut haben, in einen Dialog einzutreten, sondern schon bei der ersten Kritik von Jetzt zu Ihnen, Herr Kollege Seifert. seiten der Leistungserbringer den Schwanz eingezogen haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Die vergibt auch schon die Redebeiträge!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Dr. Ilja Seifert (PDS): Vielen Dank, Frau Kollegin Herr Zöller, schauen Sie sich einmal an, was jetzt – Da Sie wie auch die Ministerin immer betonen, daß passiert: Gestern ist einAktionsprogramm vorgestellt die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt Ihrer worden, das ein gutes Beispiel dafür ist, daß sich Politik Politik stehen, sagen Sie mir doch bitte einmal eines: 5042 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Dr. Ilja Seifert (A) Wie können Sie das mit der Praxis vereinbaren, die wir meinschaftlichen Kompetenz von Ärzten, Patienten und (C) zum Beispiel in Berlin erleben? Dort sollen im Gesund- Pflegepersonal zu schaffen. Ich glaube, daß wir insofern heitsbereich jetzt 4 000 Stellen abgebaut werden, undauf dem richtigen Weg sind und daß es uns auch von zwar vorwiegend im pflegerischen Bereich. Wo sind da außen bestätigt wird. die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt? Wie Vielen Dank. können Sie es mit Ihrer Politik – ich kaufe sie Ihnen ja grundsätzlich ab –, bei der es darum geht, die Patientin- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nen und Patienten und nicht irgendwelche anderen DIE GRÜNEN – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Gruppen in den Mittelpunkt zu rücken, vereinbaren, daß Sehen wir an den Wahlergebnissen, wie gut!) beispielsweise in Ost-Sachsen zuerst pflegerisches Personal entlassen wird und erst dann eventuell andere Einsparmaßnahmen ins Auge gefaßt werden? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich erteile jetzt dem Abgeordneten Wolfgang Lohmann das Wort.

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Herr Seifert, diese Diskussion werden wir auch Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): noch in den Ausschüssen zu führen haben. Es muß tat- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her- sächlich zu denken geben, daß ausgerechnet beimren! Liebe noch in Berlin gebliebene Kolleginnen und Pflegepersonal eingespart wird. Das hat aber nichts mit Kollegen! Ich weiß, daß Sie nur meinetwegen hierge- der Politik der Regierung zu tun. Das wissen Sie auch. blieben sind; denn Sie erwarten Ausführungen, die nicht an der Sache vorbeigehen. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Mit wem denn sonst?) Frau Ministerin, zunächst habe ich eine Bitte – ich beschwöre Sie fast –: Hören Sie doch bitte damit auf, Das hat vielmehr mit der Frage zu tun, wo das Geldden Menschen mit schönen Überschriften – darin sind denn im System bleibt. Sie Meister; das haben Sie wahrscheinlich vom Bundes- kanzler übernommen – einzureden, (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Vorschaltge- setz!) (Jörg Tauss [SPD]: Machen wir überhaupt nicht!) Wenn man mit Pflegekräften spricht, dann erfährt man, daß in der Gesundheitspolitik etwas geschieht, was den (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Vorschaltge- setz!) Menschen und Patienten dient, während Sie die Konse- quenzen Ihrer Politik verschweigen! Ich nenne einmal (B) daß diese Menschen eine ganze Reihe von sehr sinnvol- ein paar Beispiele: Verbesserung von Qualität und Wirt- (D) len Vorschlägen machen, wie man im System etwas än- schaftlichkeit im Gesundheitswesen, Sicherung der Bei- dern kann. tragsstabilität durch Globalbudgets, Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung, stärkere Orien- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie wissen nicht, tierung an der Prävention oder bedarfsgerechte Investi- was Sie im Vorschaltgesetz gemacht haben!) tionen im stationären Bereich – das klingt alles großar- Ich glaube, darauf müssen wir eingehen. Das ist abertig. nicht die Aufgabe der Politik von oben. Das muß viel- (Zuruf von der SPD: Ist es auch!) mehr – das wissen Sie alle – innerhalb des Systems ge- schehen. Dort, wo wir etwas beitragen können, daß diese In den ersten öffentlichen Anhörungen ist ja auch bestä- Vorschläge gehört werden, werden wir das auch tun. tigt worden, daß das großartig klingt; nur kann es nicht zur Durchführung kommen. Das haben übrigens alle (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Im Vorschaltge- Beteiligten so gesagt. setz haben Sie genau das Gegenteil gemacht!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Dazu gibt es auch eine ganze Reihe sinnvoller Vor- wie des Abg. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]) schläge aus den Anhörungen. Sagen Sie doch den Menschen, daß sich die medizini- Lassen Sie mich, da meine Redezeit schon so gut wie sche und gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung um ist, noch eines sagen: Sie haben doch alle in den An- in Deutschland bei Inkrafttreten dieser Reform negativ hörungen gesessen. Dort haben Sie erlebt, daß das, was entwickeln wird, weil den Menschen die notwendige Sie an ziemlich unsachlicher Argumentation angestiftet Versorgung zum Teil radikal, zum Teil aber auch nur haben, durch eine sehr sachliche Argumentation und schleichend vorenthalten werden wird! insbesondere viel Lob für diesen Gesetzentwurf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Bitte? Wo waren Ihr Staatssekretär hat mir neulich bei einer Podiums- Sie denn?) diskussion, an der ich beteiligt war, gesagt, er könne dieses Gerede von Rationierung nicht mehr hören, es abgelöst worden ist – gerade dort, wo es um die Rechte gehe ihm auf den Geist. von Patientinnen und Patienten geht, ihre Möglichkeiten eigenverantwortlich und selbstbestimmt wahrzunehmen, (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Was meinen Sie, und dort, wo man die Chance hat, ein System der ge- was mir das auf den Geist geht!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5043

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (A) Den Leuten, denen demnächst die medizinischen Lei-Jetzt ist mir auch klar, warum § 20 SGB V fröhliche Ur- (C) stungen vorenthalten werden, geht das nicht nur auf den ständ feiert. Das heißt, demnächst sollen über § 20 die Geist; denen geht es auf den Körper. Dinge, die im Rahmen des Globalbudgets verhindert werden müssen, möglich gemacht werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) Frau Kühn-Mengel, Sie haben das ja in den Mittel- punkt Ihrer Rede gestellt. Als wenn ich es geahnt hätte, Sie waren vielleicht in einem Akt vorauseilenden Ge- habe ich eines dieser sagenumwobenen Hefte in Kopie horsams bereit, durch Beteiligung an dem „Aktionspro- mitgebracht. Denn Sie oder die Kollegin Freitag, die gramm zur Einhaltung der Arznei- und Heilmittel- sich ja besonders auf dem Gebiet des Sports betätigt, budgets 1999“ die Verantwortung dafür wenigstensoder auch die Kassen selbst sagen: Der Mißbrauch, den mitzuübernehmen. Mir ist gesagt worden, dieses Akti- es seinerzeit gab, war eine leichte Ausfallerscheinung; in onsprogramm unterscheide sich von dem Notprogramm, größerem Umfang hat es das nicht gegeben. das drei Wochen lang in der Diskussion war, nur da- durch, daß es erstens nicht „Notprogramm“ heißt, son- Das Heft, das ich mitgebracht habe, ist von der AOK. dern „Aktionsprogramm“, und daß zweitens das Wort Ich will nicht all die Stellen vorlesen, in denen ich ein Warteliste dort nicht vorkommt. In der Tat: Das WortLesezeichen stecken habe. Gesundheitswochen würden Warteliste steht nicht mehr drin. ja noch in Ordnung gehen. Dann kommt die Ernäh- rungsberatung. Hier wird gesagt: „Pfund um Pfund we- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber es ist die niger“. Ferner geht es um Aerobic-Unterricht und um Realität!) Bewegung und Tanz im Vorschulalter. Weiterhin wird Ich habe ein Exemplar dieses Blattes mitgebracht und Partnermassage angeboten. Ein anderer Kurs heißt: „Das es vergrößert, damit Sie es auf die Entfernung auch le- wundersame Nichts – wassergestützte Entspannung und sen können. Dort ist als Zusammenfassung von zig Sei- Meditation für Frauen“. Was das auch immer heißen ten aufgeführt, was den Menschen demnächst nichtmag: Das alles wurde durch Pflichtbeiträge zur gesetzli- mehr verordnet werden darf. Dort steht zum Beispiel: Es chen Krankenversicherung finanziert. Das haben wir ab- werden Originalpräparate durch preiswertere, aber wir- geschafft, und nun wird versucht, dort wieder einzustei- kungsgleiche Produkte mit gleicher Substanz ersetzt. gen. Sie haben hoch und heilig versprochen, daß Sie darauf achten wollen, daß solch ein Mißbrauch nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des mehr passiert, und daß diesmal die entsprechenden Si- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) cherungen eingebaut werden. Wir haben aber Zweifel, Das ist also fast ein Veränderungsverbot. Die forschende ob das so kommt. (B) Industrie in Deutschland mit ihren Arbeitsplätzen wird Sie wollen das Programm umsetzen. Jeder in der Re- (D) sich sehr darüber freuen, gierung – auch Sie – sagt: Wir ziehen das jetzt durch. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die SPD Nach den Wahlen sagten Herr Clement oder Herr Mün- klatscht auch noch!) tefering im Fernsehen: Nun reicht es aber auch mit den Ohrfeigen; wir haben jetzt verstanden. Anschließend trat wenn Sie so weit gehen, daß diese Originalpräparateder Bundeskanzler auf und sagte: Das ziehen wir jetzt nicht mehr verordnet werden dürfen. durch. Das heißt also, er hat es immer noch nicht ver- standen. Deswegen müssen die Wahlen in den nächsten (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Chronisch Kran- Wochen zu ähnlichen Ergebnissen führen wie die, die ke auch! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: De- schon stattgefunden haben. menzkranke!) Das gleiche gilt für altbewährte Medikamente und für Arzneimittel bei geringfügigen Gesundheitsstörungen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege In Deutschland ist es ja so, daß man, wenn zwei Profes- Lohmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- soren über ein Arzneimittel unterschiedlicher Meinung gen Dreßler? sind, sofort sagt: Das sind umstrittene Arzneimittel. Bei diesen Medikamenten wird der therapeutische Nutzen infrage gestellt. Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Ja, natürlich. Schließlich heißt es zu Massagen und Krankengym- nastik: … werden bei Störungen des Befindens Rudolf Dreßler (SPD): Herr Kollege Lohmann, wä- ren Sie so freundlich, dem Hohen Hause noch einmal – da würde ich sagen, das ist in Ordnung – vorzulesen, welcher Mißbrauch während Ihrer Regie- und bloßen Verspannungen rungszeit von den deutschen Krankenkassen zugelassen wurde? Ich habe das nicht alles verstanden, was Sie ge- – denken wir in diesem Zusammenhang an Behinderte – rade vorgelesen haben. Das ereignete sich ja während Ihrer Regierungszeit. nicht verordnet. Ihr Arzt wird Sie aber zu eigen- ständigen Übungen anleiten und auf geeignete (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] Schulungen hinweisen! [CDU/CSU]: Ja, natürlich!) 5044 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Rudolf Dreßler (A) Würden Sie dem Hohen Hause bitte noch einmal vorle- – Was nun stimmt, konnten wir ja inzwischen erfahren. (C) sen, welcher Mißbrauch während Ihrer Regierungszeit – Unsere Fraktion hält die Grundkonzeption dieses Ge- von deutschen Krankenkassen zugelassen wurde? sundheitsreformgesetzes ab dem Jahr 2000 für verfehlt. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Deswegen ha- Ich möchte noch das zitieren, was Professor Arnold ben wir es ja abgeschafft!) auf der letzten Anhörung vor wenigen Tagen gesagt hat: Zusammenfassend: Die Höhe der mit dem Global- Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): budget verfügbaren Mittel ergibt sich nicht aus Lieber Herr Dreßler, Sie müssen sich schon bessere Versorgungsnotwendigkeiten. Die für die eigentli- Tricks einfallen lassen, um mich auf diese Weise aufs che Versorgung verfügbaren Anteile des Budgets Kreuz zu legen. werden durch die Kosten einer überbordenden Bü- rokratie und zusätzliche Aufgaben gemindert. ... (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Die Knappheit macht es unmöglich, alle – wie un- Entsprechende Anderungen sind in unserer Regierungs- scharf auch immer zu definierenden – notwendigen zeit umgesetzt worden. Nach 1992 haben wir gemein- Leistungen zu erbringen. sam Anstrengungen unternommen. Die so unvermeidliche Rationierung wird, da auf (Zuruf von der SPD: Sie haben aber allein re- eine offene Diskussion über verträgliche Rationie- giert!) rungsansätze im Glauben an die Mobilisierbarkeit von Wirtschaftlichkeitsreserven verzichtet wird, Wir haben die Konsequenzen gezogen und § 20 SGB V verdeckt erfolgen und zur Zweiklassenmedizin füh- stark verändert, um nicht zu sagen: abgeschafft. Diese ren. Maßnahme haben Sie gegeißelt, obwohl die Mißstände, die Sie erwähnt haben, nicht mehr vorkamen. Nun will Soweit Professor Arnold. Ihre Regierung aber zu einer Finanzierung im Rahmen (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Der Mann hat des § 20 SGB V zurückkehren. Das ist die Wahrheit. recht!) (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben bisher kein Wort über die fehlenden Ein- nahmen gesagt. Sie haben immer nur über die überbor- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie denden Ausgaben gesprochen, obwohl wir alle wissen, eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Dreßler? daß das Problem auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit in einem erheblichen Maße in den geringen Einnahmen steckt. Dazu wird in dem Gesetzentwurf nichts gesagt. (B) Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Sie geben keine Antworten auf die Folgen der demogra- (D) Ja, bitte schön, obwohl ich aus der Vergangenheit noch phischen Entwicklung. Es findet sich kein Wort zum weiß, daß Herr Dreßler meine zweite Zwischenfrage nie medizinisch-technischen Fortschritt. Sie stellen auch zugelassen hat. Ich will mich aber anders verhalten. nicht die Frage, ob der Leistungskatalog der gesetzli- chen Krankenversicherung angesichts geänderter Rah- menbedingungen überprüft werden muß. Rudolf Dreßler (SPD): Herr Kollege Lohmann, ich werde mich in Zukunft bei Zwischenfragen von Ihnen Ich möchte in diesem Zusammenhang zitieren, was bessern. Professor Wille auf der eben schon erwähnten Anhörung gesagt hat. Professor Wille ist auf allen Seiten des Hau- Ich möchte nachfragen: Habe ich Sie richtig ver-ses als einer der wenigen neutralen Sachverständigen standen, daß sich die Kritik, die Sie geäußert haben,anerkannt. Er sagte folgendes: nicht gegen das von uns geänderte Gesetz richtet, son- dern daß Sie mit dieser Kritik unterstellen, Absicht Es erfolgt per saldo keine Weiterentwicklung der des Gesetzes ist es, den alten, von Ihnen in Ihrer dama- Wettbewerbsorientierung; der Gesetzentwurf setzt ligen Regierungszeit korrigierten Zustand wiederher- vielmehr in weiten Teilen auf Regulierung, Zentra- zustellen? Das heißt, Sie haben nicht gesagt, es ist so, lisierung und Kontrolle. Besonders deutlich zeigt Sie haben vielmehr behauptet, es würde so sein. Ist das sich dies beim Globalbudget, dessen Einhaltung ei- korrekt? ne fünfstufige vertikale Kontrollkaskade (Kasse, Kassenverband auf Landesebene, Kassenverband auf Bundesebene, Schiedsämter und -stellen sowie Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Aufsichtbehörden) sicherstellen soll. Dabei mündet Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Ge- diese „Kontrollorgie“ dann in eine rechtlich schwa- fahr angesichts Ihrer Versprechungen groß ist. che Sollvorschrift ... (Lachen bei der SPD) Wenn Sie uns schon nicht glauben, nehmen Sie sich doch wenigstens die Äußerungen dieser Sachverständi- Zunächst einmal muß man Ihre Vorschläge so, wie sie gen zu Herzen und denken über den Gesetzentwurf noch sind, zur Kenntnis nehmen. einmal nach. Mit ihm wird das Gesundheitswesen zu ei- (Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nem Brennpunkt dauernder Diskussionen, die wir alle NEN]: Das stimmt überhaupt nicht, Herr gemeinsam nicht mehr wollen. Das Ergebnis wäre aus Lohmann!) meiner Sicht – ich habe am Anfang Ihre Ziele zitiert –: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5045

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (A) Beitragssatzsteigerungen ab Mitte 2000, schleichendezu Ihnen von der heutigen Opposition haben wir den(C) Beeinträchtigung der freien Arztwahl, Abbau der Thera- damaligen Gesundheitsminister nicht piefreiheit durch Listenmedizin – Stichwort Positivliste –, allein im Regen stehen lassen. wozu sich schon der Kollege Zöller geäußert hat. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Die Investitionen in denKrankenhausbereich wer- den auf den Stand vor 1972 zurückgeworfen. Wie sah es Wir haben Konsensverhandlungen angeboten. In Lahn- denn aus, Herr Dreßler – dies müßten Sie eigentlichstein haben wir Verantwortung für das Ganze übernom- doch noch wissen –, als die Krankenkassen über die In- men. Eine solche Haltung haben Sie in Ihren heutigen vestitionen in die Krankenhäuser bestimmt haben? – Die Beiträgen leider vermissen lassen. Substanz ging vor die Hunde. 1972 wurde deshalb be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wußt die Monistik abgeschafft und die Finanzierung und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Planung in die Hand der Länder gelegt. Sie haben im Gefolge von Lahnstein das Gesund- Tausende von Arbeitsplätzen werden verlorengehen. heitsstrukturgesetz ausgehöhlt. Sie haben vor Wahlen Deswegen die Bitte: Ziehen Sie Ihren Gesetzentwurfaus Gründen kurzfristiger politischer Opportunität endlich zurück! Lassen Sie den Beteiligten ein Jahr mehr Zeit, um eine vernünftige Reform zu erarbeiten. (Jörg Tauss [SPD]: Aus Feigheit!) Nachbessern – das Wort des Jahres 1998 – ist keine Lö- sung. Wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallenund der Befriedigung von Klientelinteressen vor der ist, wenn es lange Wartelisten gibt und wenn die Ar-Pharmaindustrie und vor den Ärzteverbänden den Knie- beitsplätze bereits vernichtet sind, dann sind Nachbesse- fall geübt. Sie haben damit die Bremsen gegen die Aus- rungen nur ein schwacher Trost. Wenn Sie Ihre Planun- gabendynamik entfernt. Anschließend waren Sie immer gen so, wie von Herrn Schröder beabsichtigt, durchzie- wieder erstaunt darüber, daß die Beitragssätze unter hen, dann legen Sie die Axt an das System einer ge-enormen Druck geraten sind. Sie wußten sich dann nicht sundheitlichen Versorgung, die nach wie vor und aner- anders zu helfen, als die Zuzahlungen zu erhöhen und kanntermaßen in Deutschland an der Spitze liegt. Dasdie Leistungen zu privatisieren. Dies war Gift für die haben weder die Beitragszahler noch die Patienten ver- Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und für unsere dient. Auch unser Land hat dies nicht verdient. Arbeitsplätze. Danke. Die Beitragssatzstabilität konnten Sie auch nicht über längere Zeit aufrechterhalten. Die zweijährige Bei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tragssatzstabilität, auf die Sie hingewiesen haben, haben Sie nur deshalb erreicht, weil Sie den Patientinnen und (B) Patienten Zuzahlungen in Milliardenhöhe aufgebürdet(D) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat haben. Das ist die Kunst der Primitiven in der Gesund- jetzt der Abgeordnete Martin Pfaff. heitspolitik. Das kann jeder. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dr. Martin Pfaff (SPD): Frau Präsidentin! Liebe DIE GRÜNEN) Kolleginnen und Kollegen! Natürlich sind Haushaltsde- batten auch Anlaß, um über den gesundheitspolitischen Wir lehnen es ab, diesen Weg weiterzugehen. Wir Kurs zu sprechen; denn sie geben uns Gelegenheit, uns wissen, daß wir den Weg immer höherer Zuzahlungen nicht nur mit der Vergangenheit, sondern auch mit Per- nicht gehen können und wollen; denn er ist unsozial. Mit spektiven auseinanderzusetzen. Wir haben dies getan. Hilfe von Zuzahlungen kann die Entwicklung im Ge- sundheitswesen nicht gesteuert werden. Die Zuzahlun- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen belasten die Schwachen, die Alten und die Kranken. Auch in diesem Bereich gilt die Erkenntnis: Wer (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jetzt sollen die notwendige Strukturreformen aus Angst vor mächti- Leute alles bezahlen!) gen Lobbyinteressen und aus Angst davor, Klientelinter- essen zu verprellen, verweigert, genießt vielleicht eine Auch den Weg steigender Beitragssätze können und kurzfristige Atempause, aber er verspielt die Zukunft.wollen wir nicht gehen; den Männern und Frauen, die Dies wollen wir alle nicht. über Jahre erwerbstätig waren und stagnierende oder so- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gar sinkende Realeinkommen hinnehmen mußten, kann DIE GRÜNEN) man keine höheren Beiträge zumuten. Schon einmal in der jüngeren Vergangenheit standen Was uns bleibt, ist nichts anderes als die Politik der wir vor einer ähnlichen Situation. Auch damals warenStrukturreformen, um über Rationalisierungen Wirt- Strukturreformen notwendig, um Qualität und Wirt-schaftlichkeitsreserven zu aktivieren. Auch Sie wissen: schaftlichkeit sowie Stabilität der Beiträge zu gewährlei- Eine solche Strategie kostet Zeit. Das ist das schwere sten. Schon einmal in der Vergangenheit war wirklich Vermächtnis Ihrer Regierungszeit für die Gesundheits- entschlossenes, konzertiertes Handeln gefordert. Schon politik dieser Regierung. einmal geriet der zuständige Gesundheitsminister unter (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des den erbarmungslosen Druck organisierter Klientelinter- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) essen. Sie werden sich daran erinnern. Aber damit sind die Parallelen leider schon zu Ende; denn im Gegensatz Das Problem ist, daß Sie dazu nicht stehen. 5046 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Dr. Martin Pfaff (A) Trotz dieser Erblast haben wir schon einige der zen- Dr. Martin Pfaff (SPD): Ich habe diese Zeitung heute (C) tralen Wahlversprechen umgesetzt. Wir haben nicht nur noch nicht gelesen. Ich kann Ihnen nicht zustimmen, daß die Privatisierung des Zahnersatzes für Jüngere gestoppt. man auf der einen Seite eine Verbesserung der Finanzie- Wir haben das Krankenhausnotopfer, diese absurde fi- rungsgrundlage einfordert und es dann verteufelt, wenn nanzpolitische Konstruktion, gekippt. Wir haben diedie Regierung handelt. Das ist unredlich und wider- Koppelung von Beitragssatzanhebung und Zuzahlungsprüchlich. ebenfalls gekippt, und wir haben die Zuzahlung, aus fi- nanziellen Gründen leider nur moderat, senken können. (Zuruf von der F.D.P.: Das sagt doch eine von Die chronisch Kranken haben wir ganz entlastet. Ihnen!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Richtig ist, daß in diesem Bereich kein Anlaß zur BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Entwarnung besteht; denn dieAusgaben der gesetzli- chen Krankenversicherung werden im Jahr 1999 im Wir haben auch unter schwierigen finanziellen Bedin- Westen wahrscheinlich um 2,3 Prozent steigen, während gungen Wort gehalten. die Grundlöhne nur um 2,0 Prozent steigen werden. In Sie haben in der Diskussion beklagt, daß wir zurOstdeutschland ist diese Lücke noch sehr viel bedrohli- Finanzierung der Umsetzung des630-Mark-Gesetzes cher. Einer Ausgabenentwicklung von voraussichtlich 3 nicht genügend gesagt haben. In diesem Bereich haben Prozent im Jahr 1999 stehen Grundlohnzuwächse von wir sehr schnell gehandelt. Wie haben Sie dieses Gesetz nur 1 Prozent gegenüber. Das Dilemma der Finanzie- verteufelt, lächerlich gemacht und heruntergeredet! Jetzt rung der gesetzlichen Krankenversicherung im Osten zeigt sich, daß die Einnahmeschätzungen nicht nur er- besteht darin, daß sich das Ausgabenniveau sehr viel reicht, sondern sogar übertroffen werden. Schon in die- schneller an das Westniveau annähert, teilweise viel- sem Jahr werden die Ansätze von 1,3 Milliarden DMleicht sogar überschritten hat, daß aber die Einnahmen allein von den Hauptbeschäftigten erreicht. Die Neben- angesichts der hohen Arbeitslosigkeit zurückbleiben. beschäftigten werden diesen Betrag erhöhen. Im JahrDas ist eine Herausforderung für die Solidarität in unse- 2000 wird dieser Betrag noch sehr viel höher sein. rem Land. (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das haben Sie nur Was wäre denn geschehen, wenn wir in diesem gemacht, um die Leute abzukassieren! Am Jahr keine Budgetbremsen eingebaut hätten? Wie wäre Arbeitsmarkt sieht man nichts davon!) die Defizitentwicklung dann verlaufen? Auch wenn wir in diesem Jahr keine Strukturmaßnahmen durchfüh- Das absurde Theater, das wir in diesen Tagen von Ihnen ren, wird das Defizit des nächsten Jahres enorm sein. und auch von den Interessenverbänden erleben, ist ex- Auch deshalb sind wir alle gefordert. Wir müssen mehr trem unglaubwürdig. (B) tun, um die Beitragssätze längerfristig zu stabilisieren,(D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ um Qualität und Wirtschaftlichkeit längerfristig zu DIE GRÜNEN) sichern. Dies alles ist leider noch kein Anlaß zur Entwarnung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Um Wirtschaftlichkeitsreserven zu mobilisieren, müssen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, die Rahmenbedingungen verändert werden. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppe- lin? Es gibt Schwachstellen, die eigentlich unstreitig sein sollten: die mangelnde Verzahnung und Integration, die fehlsteuernden Anreize im Vergütungssystem, die man- Dr. Martin Pfaff (SPD): Natürlich, mit Vergnügen. gelnde Transparenz bei den Kostenstrukturen beispiels- Vom Gesundheitsexperten Koppelin nehme ich immer weise im Krankenhaus, die unzureichende Förderung gern Fragen entgegen. von Gesundheit, Prävention und Rehabilitation, die Überkapazitäten im ambulanten und im stationären Be- reich, die unbefriedigende Stärkung der Eigenkompe- (F.D.P.): Danke schön. Jürgen Koppelin tenz und des Patientenschutzes. Die Kollegin Helga Herr Kollege, da Sie das 630-Mark-Gesetz angespro- Kühn-Mengel hat darüber schon einiges gesagt. chen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie heute die „taz“ gelesen haben, in der Ihre Kollegin von Renesse Ich kann mir wirklich nicht ernsthaft vorstellen, daß interviewt wird. Sie nimmt Stellung zum 630-Mark-Sie diese Ziele, die Sie selbst in der Vergangenheit Gesetz. Ich darf zitieren: mehrfach bejaht haben, nur deshalb in Frage stellen, weil Sie jetzt in der Opposition sind. Wir haben eine Reihe von Dingen tun müssen, die bei den kleinen Leuten schlecht angekommen sind. (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Die Ziele stellen Stichwort 630-Mark-Gesetz. Bei diesen Entschei- wir nicht in Frage, aber den Weg dahin!) dungen hatten die Verantwortlichen nicht die Men- – Dann laßt uns doch über die Wege reden! Davon habe schen vor Augen, um die es geht. ich heute relativ wenig gehört, und das, was ich gehört (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der habe, war widersprüchlich. CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Was sagen Sie dazu? BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5047

Dr. Martin Pfaff (A) Selbst die Wege oder die Instrumente – Sie haben sich Dr. Martin Pfaff (SPD): Sehr gerne. (C) vielfach auf die Anhörung bezogen – wurden ganz an- ders dargestellt. Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Herr Kollege Profes- Herr Kollege Parr, Sie haben behauptet, wir hättensor Pfaff, Sie haben angesprochen, daß wir auch eine mit den Anhörungen keine Freude gehabt. Ich sehe das Budgetierung im Bereich des Krankenhauses hatten. überhaupt nicht so. Ich zitiere einen von mir sehr ge-Möchten Sie bitte eingestehen, daß es einen gravieren- schätzten früheren Kollegen aus dem Sachverständigen- den Unterschied zwischen Ihrem Budget und unserem rat, Herrn Professor Arnold, der sicherlich nicht im Ver- Budget gibt? Ihr Budget enthält eine Vorgabe plus eine dacht steht, rotgrüne Gedanken zu vertreten: von der Regierung festgelegte Steigerungsrate – in die- Ich halte die Vorgabe einer Obergrenze nicht per se sem Jahr beträgt sie 1,6 Prozent, obwohl die Löhne um für schlecht. Ich bin da ganz derselben Meinung3,1 Prozent gestiegen sind –, ist also von vornherein wie, glaube ich, alle, die hier am Tisch sitzen. schon mit einem Defizit versehen, während wir in unse- rem Budget einen BAT-Ausgleich und Fallzahlregulie- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und dann? Le- rungen vorsahen, also Ausnahmen, die krankenhaus- sen Sie auch einmal den nächsten Satz vor!) spezifisch waren, in unsere Budgetüberlegungen einge- Also nicht die Idee einer globalen Begrenzung wird be- schlossen hatten? Sehen Sie diesen Unterschied? zweifelt, allenfalls die Mechanismen. (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Dr. Martin Pfaff (SPD): Herr Kollege Zöller, wir sind uns also einig, daß Sie auch ein Budget vorgesehen – Wie war es denn mit Ihren Krankenhausbudgets aufhatten. Sie reden nur über die Art der Ausnahmen in die- Landesebene? Wie war es denn mit densektoralen sem Bereich. Die Frau Bundesministerin hat heute schon Budgets, die Sie während Ihrer Regierungszeit einge-im Zusammenhang mit dem GKV-Strukturreformgesetz führt haben? auf Gespräche mit Ärzten und anderen hingewiesen und (Zustimmung bei der SPD sowie bei Abgeord- gesagt, daß – darüber werden wir im Ausschuß diskutie- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren – unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen in Zukunft möglich sein werden. Die waren in Ordnung, aber wenn wir jetzt von Budget- grenzen sprechen, dann ist das nicht in Ordnung. Ich (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) halte das nicht für redlich. – Ja, das hat sie in Ihrer Anwesenheit gesagt. ( [CDU/CSU]: Wir sind (Zuruf von der CDU/CSU: Schon wieder schlauer geworden – im Gegensatz zu Ihnen!) (B) nachbessern!) (D) Wo ist denn der Unterschied zwischen der ForderungIch halte aber fest: Ich nehme mit Befriedigung zur nach Beitragssatzstabilität und einem Globalbudget, das Kenntnis, daß Sie, Herr Zöller, sich endlich als erster zur mit den Grundlöhnen wächst? Das ist doch im Endeffekt Tatsache bekannt haben, daß auch Sie budgetiert und dasselbe. Das sollte man auch eingestehen. damit Ausgabenbegrenzungen vorgenommen haben. (Vorsitz: Vizepräsident ) (Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ Das Mittel des Regresses, das hier ebenfalls kritisiert CSU]: Hatten! Wir haben 1996 die Budgets wurde, haben Sie eingeführt. Herr Kollege Parr, Sie abgeschafft!) haben heute auch wieder in beispielhafter Widersprüch- Ein zweiter Bereich, die Monistik, wurde hier eben- lichkeit gesagt, wir bräuchten eine Begrenzung der Leistungen auf das medizinisch Notwendige. Wie sollen falls moniert. In Lahnstein gab es dazu eine andere Mei- nung. Wer wirklich leistungsbezogene Vergütungen im wir denn die Begrenzung umsetzen, wenn wir nicht ir- Krankenhaus will, wer chancengleiche, faire Bedingun- gendeine Form der Budgetierung vorsehen? Sind Sie nun für oder gegen das Globalbudget? gen des Wettbewerbs der Krankenhäuser untereinander will, muß für die Finanzierung der Investitionen und lau- Ich kann mir angesichts dieser Diskussion nichtfenden Ausgaben aus einer Hand sein. Ich verstehe ernsthaft vorstellen, daß kein Weg, der zu einer Begren- nicht, daß das, was damals richtig war, heute falsch sein zung führt, gefunden werden kann; denn die internatio- soll, nur weil Sie in der Opposition sind. Dies ist einfach nale Erfahrung zeigt, daß in all den Ländern, in denennicht nachvollziehbar; es ist für mich, liebe Kolleginnen Budgetierungen und Begrenzungen nicht umgesetztund Kollegen, in höchstem Maße unredlich. werden, Sie haben noch mehrere andere Argumente gebracht, (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die Altersgrenze die ich aus Zeitgründen jetzt leider nicht im Detail ent- kommt!) kräften kann. Nur auf eines möchte ich zu sprechen die Ausgabendynamik ein Ausmaß erreicht, die niemand kommen: Datenschutz. Sie haben mehr Kostentranspa- in diesem Hohen Hause wünschen oder akzeptierenrenz gefordert und sich auch für integrierte Versor- kann. gungsformen ausgesprochen. Wie soll denn mehr Kostentransparenz erreicht werden? Wie soll der Haus- arzt beispielsweise über die Patientenkarriere entschei- Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege, ge- den können, wenn er nicht weiß, was in anderen Lei- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zöller? stungsbereichen verordnet und in Anspruch genommen 5048 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Dr. Martin Pfaff (A) wird? Ohne Daten, ohne Informationen sind eine ratio- den –, sind Ihre Positionen, weil Sie aus dem schlichten (C) nale Ausübung der Gesundheitsberufe und eine rationale Gegensatz von „Es muß gespart werden“ und der an- Gesundheitspolitik leider nicht möglich. schließenden Feststellung, an welchen Ecken unsere Sparmaßnahmen nicht erfolgen dürften, nicht heraus- Ich appelliere an Sie: Geben Sie doch nicht allegekommen sind. Überzeugungen auf, die Sie in Ihrer Regierungsperiode vertreten haben! Die Vorstellungen zur Strukturreform, ( [CDU/CSU]: Was halten die Sie vor einigen Jahren vertreten haben, waren – das Sie denn von Wachstum?) sagen alle Sachkenner – in vielen Bereichen sehr nahe an den Positionen, die wir mit dem Gesundheitsstruktur- Zweitens haben Sie überall erklärt, es würde gar nicht gesetz II dargelegt hatten. Das war alles vor Ihrem Sün- oder wenig gespart. Auf der anderen Seite stellen Sie denfall, bevor Sie nach den zwei Landtagswahlensich aber bei allen möglichen Interessengruppen hin und glaubten, durch eine Politik der Privatisierung und der sagen, genau diesen Bereich würden wir kaputtmachen. Bedienung einer neoliberalen Klientel Wahlerfolge er- Sie müssen sich einmal entscheiden, ob Sie uns vor- zielen zu können. werfen, daß wir sparen, oder ob Sie selber meinen, daß (Beifall bei der SPD – gespart werden muß. [CDU/CSU]: Ach, Herr Kollege!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vorher waren wir sehr, sehr nah beieinander. DIE GRÜNEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Sprüche!) Entweder wird gespart – dann geht es auch jemandem ans Leder, das ist ganz unvermeidlich –, oder es wird Auch in Zukunft muß unser Gesundheitssystemnicht gespart, dann geht es niemandem ans Leder, und finanzierbar bleiben, muß es eine hoheQualität der Sie brauchen sich nicht zu empören. Auch aus dieser Versorgung gewährleisten, müssen auch Junge und Ge- Falle sind Sie nicht herausgekommen. sunde Vertrauen haben können, daß sie, wenn sie alt und krank sind, eine Versorgung auf sehr hohem Niveau er- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des halten. Damit wir diese soziale Krankenversicherung BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans Mi- auch in Zukunft erhalten können, müssen jetztStruk- chelbach [CDU/CSU]: In der Falle sitzen Sie!) turreformen durchgeführt werden. Dies ist eine Nagel- Verharmlost haben Sie, worum es wirklich geht. Sie probe, nicht nur für die Regierung, sondern auch für die tun so, als würde es nur darum gehen, daß der Finanz- Opposition. Ich hoffe, Sie sind sich Ihrer Verantwortung minister Eichel im Haushalt 2000 das zurücknimmt, was bewußt. der Finanzminister Lafontaine im Haushalt 1999 drauf- (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gelegt hat. (D) DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) Das ist, wie Sie wissen, grundfalsch. Vizepräsident Rudolf Seiters: Weitere Wortmel- dungen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeri- Es ist übrigens, Herr Kollege Schäuble, schon traurig, ums für Gesundheit liegen nicht vor. wenn ein Oppositionsführer, der selber nichts an Kon- zeptionen, nicht einmal an einzelnen Vorschlägen, an- Wir kommen damit zur Schlußrunde. Ich gebe daszubieten hat, Wort dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel. (Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Wo sind Sie denn die letzten Tage gewesen?) Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die seine ganze Strategie auf Fakten aufbaut, die nicht Haushaltsdebatte in dieser Woche war jedenfalls in ei- stimmen. nem Punkte erhellend: Die Opposition hat kein eigenes Konzept. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ Das ist ein solches Drama für die Opposition, wie man CSU) es sich in der Tat schlimmer nicht vorstellen kann. Die Positionen, die Sie hier aufgebaut haben, waren Sie wissen das. Sie wissen ganz genau, daß im Haus- Positionen, die widersprüchlich blieben, die verharmlost haltsentwurf des Jahres 1999, den der Kollege Waigel haben – das müssen sie angesichts Ihrer eigenen Ver-vorgelegt hat, eine Fülle von Dingen, die veranschlagt gangenheit offenbar auch – werden mußten, nicht veranschlagt sind. Das haben wir Ihnen oft genug gesagt, und das ist Ihnen auch alles be- (Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben Wahr- kannt. Ihre Strategie wird Ihnen also nicht weiterhelfen, nehmungsstörungen!) vielleicht noch am nächsten Sonntag und bei ein paar und die der wirklichen Lage nicht ins Auge sehen. anderen Wahlen; das mag wohl sein, und das müssen wir leider mit einkalkulieren. Sie werden aber nicht Widersprüchlich, Herr Kollege Schäuble – das ist üb- glauben, daß Sie damit zum Beispiel die Beratungen im rigens auch von allen Kommentatoren bemerkt wor-Bundesrat, wenn Sie denn darauf überhaupt Einfluß Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5049

Bundesminister Hans Eichel (A) nehmen und es nicht ganz den Ländern überlassen wol- umlauftheoretisch kann ich mir auch einen hochver-(C) len, überstehen. schuldeten Staat vorstellen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wie Hessen!) DIE GRÜNEN) – Seien Sie da ganz vorsichtig! – Ökonomisch funktio- Das wäre dann auch ganz falsch, weil das zeigen würde, niert das alles, nur wird der Staat dann nicht mehr ernst- daß Sie die Größe des Problems überhaupt nicht begrif- genommen, da es sich nicht mehr lohnt, wählen zu ge- fen haben. hen, wenn überhaupt nichts mehr zu entscheiden ist. So ein Staat ist dann auch kein demokratischer Staat mehr. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dieser fundamentale Fehler wird häufig von Linksaußen DIE GRÜNEN) gemacht. Das ist nämlich nicht eine einmalige Aufblähung des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Haushalts, die man zurücknehmen müßte – so falsch die DIE GRÜNEN) These ist. Die 82 Milliarden DM Zinsen, die wir ausge- ben müssen, resultieren aus den 1,5 Billionen DM Staatsverschuldung. Das ist das Problem, das uns noch Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Bundesfinanz- lange beschäftigen wird. Wir stehen nicht vor einer ein- minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? maligen Aktion, sondern vor einerlangfristigen Kon- solidierungspolitik. Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Nein, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ich möchte sie jetzt nicht zulassen, um das Ganze DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ schneller zu Ende zu bringen. CSU) Eine Zins-Steuer-Quote von 22 Prozent schränkt uns Weil Sie nicht einmal die Basis analysieren, von derheute schon direkt ein; das ist in der Tat das Schlimmste, man ausgehen muß, sind Sie auch nicht in der Lage, eine was man sich vorstellen kann. Es bedeutet nämlich – politische Strategie aufzubauen, die auch nur ansatzwei- genau das befürchten wir –, daß nicht nur Lasten in die se eine Alternative zu dem darstellt, was wir hier prä-Zukunft geschoben werden. Nein, schon heute erreicht sentiert haben. uns diese Last, so daß wir schon jetzt unsere Aufgaben nicht mehr erfüllen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt können Sie eine Zwischenfrage stellen. Ich war eben im Eifer des Gefechts. Ich entschuldige mich dafür. Sie haben sich eine zweite Verharmlosung zuschul- Ich wollte die Frage gar nicht verhindern. (B) den kommen lassen. Es ist sehr bedenklich, daß dieses (D) Eingeständnis erst zehn Jahre nach der Wiedervereini- gung kommt. Jetzt erklären Sie, daß Klarheit darüber Vizepräsident Rudolf Seiters: Also, bitte schön. bestand, daß die Kosten dafür noch von einer ganzen (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber späteren Generation getragen werden müßten. Hätten wir haben wirklich drei Tage debattiert, und da Sie das einmal 1990 erklärt! Dann wären Sie wenigstens hat er es immer noch nicht kapiert!) ehrlich gewesen. Statt dessen taten Sie damals so, als ginge es um gar nichts; dabei ging und geht es um sehr viel. Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Herr Bundesfinanz- minister, Sie haben eben von der Aushöhlung der demo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kratischen Instanzen gesprochen. Stehen Sie auch ange- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sichts der Tatsache zu Ihrer Aussage, daß Sie große Ich habe übrigens zu keinem Zeitpunkt – ich wieder- Teile der Einsparungen im Bundeshaushalt finanzieren, hole das, weil auch das zu den Märchen gehört, die Sie indem Sie die Bundeslasten wie auf einem Verschiebe- erzählen – die Kosten der deutschen Einheit in Frage bahnhof auf die Städte, Gemeinden und Landkreise gestellt. Ich habe nur Ihr Vorgehen kritisiert – das haben umwälzen? Sie ja auch zugegeben, Herr Kollege Schäuble –, die (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Darüber Kosten in die Zukunft zu verlagern, statt sie zu dem haben wir uns tausendmal ausgetauscht!) Zeitpunkt solide zu finanzieren, als sie anfielen. Darin liegt das Problem. Haben Sie angesichts der Auswirkungen überhaupt die Gesamtsicht auf die öffentlichen Haushalte gewahrt, da (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ja der Bund entlastet, die Gemeinden aber ohne Aus- DIE GRÜNEN) gleich belastet werden? Jetzt haben wir die Möglichkeit, so weiterzumachen (Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt und alles unsere Kinder zahlen zu lassen. Dann stellt [Salzgitter] [SPD]: Drei Tage – und immer sich aber die Frage, welcheGestaltungsmöglichkeiten noch nichts kapiert!) diese dann noch haben. Ich verstehe übrigens nicht, daß den Kritikern von ganz links außen – oder von woher auch immer – überhaupt nichts an der Frage zu liegen Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Sehr scheint, welche Rolle der demokratische Staat in dieser verehrter Herr Kollege, Sie sind als Abgeordneter des Gesellschaft überhaupt noch spielt. Verteilungs- oderDeutschen Bundestages gewählt, das heißt, daß Sie hier 5050 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Bundesminister Hans Eichel (A) unter Berücksichtigung der Interessen aller Staatsebenen während Ihrer Regierungszeit die Interessen des Bundes (C) darauf zu achten haben, daß auch die Bundesebene innicht richtig vertreten haben. dem Gesamtgefüge von Bund, Ländern und Gemein- den zu ihrem Recht kommt. (Zuruf von der SPD: Auch die der Gemeinden nicht!) (Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das machen wir anders. – Natürlich ist es so, das ist eines Ihrer Probleme. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie verleug- nen Ihre eigene Herkunft!) Der Bund muß seine Konsolidierungspolitik konse- quent machen können. – Ich habe das Amt eines Ministerpräsidenten innege- habt, aber seien Sie vorsichtig: Einem Bundesfinanzmi- (Zuruf von der CDU/CSU) nister, der zugleich Vorsitzender einer Regionalpartei ist, sind erst recht die Hände gebunden, wenn es darum – Es gibt auch eine Fülle von Entlastungen. Das ist ty- geht, die Interessen des Bundes zu vertreten. Das warpisch und zeigt, daß Sie aus dem Wahlkampf immer doch Ihr Problem. noch nicht herausgekommen sind. Den Belastungen ste- hen auch Entlastungen gegenüber. (Beifall bei der SPD) Es ist beispielsweise völlig falsch, wie es heute läuft, Wie solidarisch sich der Bund verhält, sehen Sie dar- daß etwa beim pauschaliertenWohngeld die Kommu- an, daß der gesamte Solidarpakt, alle wesentlichen In- nen die Rechnungen schreiben, Bund und Länder aber vestitionen und sogar zusätzliche Programme für denbezahlen. Ich bin mir mit fast allen Länderfinanz- Aufbau Ost vom Bund auf den Weg gebracht wor-ministern darin einig, daß derjenige, der über die Höhe den sind und er alleine für die Haushaltsnotlagen derder Rechnung entscheidet, ein erhebliches materielles Länder Saarland und Bremen einsteht, obwohl seineInteresse daran haben muß zu erfahren, wie hoch die Haushaltslage schlechter ist als zum Beispiel die desRechnung tatsächlich ist. Da muß man dann auch ent- Saarlandes. Deswegen müssen der Bund und jede Ebene sprechend verfahren. Wenn Sie nämlich ein effizientes im gemeinsamen Geflecht je nach eigener Leistungs-und sparsames Staatswesen wollen, dann muß derjenige, fähigkeit für die Erhaltung der Leistungsfähigkeit derder die Entscheidungen trifft, auch die wirtschaftlichen anderen Ebenen Sorge tragen. Dabei darf es aber nicht Konsequenzen seiner Entscheidungen tragen. zu so einer Schieflage kommen, wie wir sie mittlerweile haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (B) DIE GRÜNEN) (D) Sie werden noch darüber nachdenken müssen, was Sie eigentlich vertreten. Denn angesichts einer Zins- Wir sparen zuallererst, damit unsere Kinder nicht die Steuer-Quote von 22 Prozent beim Bund und von 11Lasten unseres Konsums zu bezahlen haben. Prozent bei Ländern und Gemeinden sieht doch jeder, daß das so nicht weitergehen kann. Diese Erkenntnis (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten müssen Sie auch einmal gegenüber Ihren Parteien, Ihren des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Landes- und Kommunalpolitikern vertreten. Wir sparen aber auch um der Erhaltung bzw. Wiederher- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Unglaublich!) stellung der Leistungsfähigkeit des Bundes wegen, für den Aufbau Ost. Bundestreue ist nämlich eine Veranstaltung auf Gegen- seitigkeit, nicht nur Treue des Bundes gegenüber den (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Sie sparen auf Ländern, sondern auch Treue der Länder gegenüber dem Kosten von Wachstum und Beschäftigung!) Bund. – Hören Sie mal, irgendwann müssen die Schulden doch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bezahlt werden. Diese wunderbaren Konstruktionen DIE GRÜNEN) kenne ich alle. Damit schieben Sie es immer weiter in die Zukunft. Sie werden sehen, wann Sie endgültig vor Wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, wenigstens der Wand sitzen. das zu sehen, dann tun Sie mir allerdings leid. Dann sage ich Ihnen: Sie schädigen in Wahrheit das Ganze; (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN) denn nur dann, wenn alle drei Ebenen – Bund, Länder Was den Aufbau Ost betrifft, sehr verehrter Herr und Gemeinden – vernünftig funktionieren und wennKollege, so setzt die Tatsache, daß der Bund seine Auf- sich alle drei Ebenen wechselseitig aufeinander ver-gaben erfüllen kann, voraus, daß er einen konsolidierten lassen können, funktioniert die ganze Veranstaltung. Haushalt hat. (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) – Ich werfe keinem Land vor, daß es seine Interessen vertritt. Ich werfe auch keiner Kommune vor, daß sie ih- Deswegen machen wir das nämlich. Ich will einen re Interessen vertritt. Aber ich werfe Ihnen vor, daß Sie Bund, der sein Wort hält. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5051

Bundesminister Hans Eichel (A) Die 6,5 Milliarden DM, die wir bei Arbeits- der Schließlich ist eine Verbesserung der Investitionsbe- (C) marktpolitik noch draufgelegt haben, kommen zumdingungen durch eine Unternehmenssteuerreform zu größten Teil den ostdeutschen Ländern zugute. Das hätte nennen, die die kleinen und mittleren Betriebe entlastet es bei einer anderen Regierung gar nicht gegeben. und uns europaweit ein konkurrenzfähiges Steuersystem und konkurrenzfähige Steuersätze bringt. All das packen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des wir in kurzer Zeit an. Sie haben das gar nicht zuwege BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gebracht. Daß wir ein Zwei-Milliarden-Programm für die Aus- bildung und Arbeit von jungen Leuten auflegen, das zu 40 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Prozent in die neuen Länder geht, hilft der Jugend insge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) samt, aber vor allem der Jugend dort. Ferner stocken wir Daß Sie im übrigen Pech haben, sehen Sie, wenn Sie die Zukunftsinvestitionen im Bereich Forschung auf. heute das „Handelsblatt“ lesen: In den Vorstandsetagen Das alles ist nur möglich, weil wir auf der anderender Unternehmen und in den Unternehmen insgesamt ist Seite die notwendigen Konsolidierungsschritte tun. Das angekommen, daß derStandort Deutschland besser alles ist eingebettet in ein Konzept zur Verbesserung der wird. Es herrscht Optimismus, und es wird wesentlich Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäfti- mehr investiert. gung. (Zuruf von der CDU/CSU: Das schon, aber Haushaltskonsolidierung ist vor diesem Hintergrund der Kanzler stürzt ab!) auch notwendig, um unseren Beitrag dazu zu leisten,Auch das ist eine Konsequenz unserer Politik. daß das Zinsniveau möglichst weit unten bleibt. Das ist wichtig für die Beschäftigung und für die Investitionen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf Zweitens. Stärkung der Kaufkraft der großen Masse von der PDS) der Bevölkerung durch dasSteuerentlastungsgesetz. Ich will das jetzt nicht im einzelnen wiederholen. Eine – Verehrter Herr Kollege, die Kaufkraft, die wir schon Entscheidung wie die bezüglich des Steuerentlastungs- Anfang dieses Jahres, als der Export lahmte, angekurbelt gesetzes hat es noch in keiner Wahlperiode des Deut-haben, hat uns am Absturz gehindert und hat wenigstens schen Bundestages gegeben. über die Inlandsnachfrage die Konjunktur gestützt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Nun zum Thema soziale Gerechtigkeit. Das, was ich DIE GRÜNEN – Bartholomäus Kalb [CDU/ von Herrn Gysi dazu gehört habe, war reine Demagogie. CSU]: Reden Sie doch nicht solchen Unfug, Herr Minister!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. (D) Bereits in diesem Jahr erhalten normalverdienende Fa- Ruth Fuchs [PDS]: Wenn Sie das so sehen! milien mit zwei Kindern 1 200 DM mehr. Dieser Betrag Andere sehen es anders! Gott sei Dank!) wird im Jahre 2002 auf 3 000 DM ansteigen. Sie sollten sich einmal mit der Frage beschäftigen, was Ich nenne ferner dieSenkung der Lohnnebenko- Staatsverschuldung sozialpolitisch bedeutet. Dann soll- sten, um den Rationalisierungsdruck ein Stück weit he- ten Sie sich damit beschäftigen, welches Maß an rauszunehmen. Während Ihrer Regierungszeit sind die Schlupflöchern wir bereits geschlossen haben. Die offe- Lohnnebenkosten immer nur gestiegen und die Mineral- nen Scheunentore sind zu großen Teilen geschlossen. In ölsteuer auch. dem Kampf, der in diesem Frühjahr auch in diesem (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie sind ein Hause geführt worden ist und der sehr konkret war, politischer Halbwaise!) wollten Sie plötzlich all die Schlupflöcher, bei denen Sie vorher so heldenhaft gewesen sind, nicht mehr schlie- Reden Sie in dem Zusammenhang nur nicht über die ßen. Dies nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen – das Rentnerinnen und Rentner! Haben Sie etwa 1990 undsage ich an die ganz linke Seite dieses Hauses – ist reine 1994, als Sie dieMineralölsteuer um insgesamt 50 Demagogie. Pfennig erhöht haben, gefragt, was das für die Rentne- rinnen und Rentner bedeutet? Kein Wort davon! (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie einmal, was Sie Herrn Lafontaine erzählt haben, als (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie noch Ministerpräsident waren!) DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluß. Wir sind mit dieser Konzep- Drittens. Von der bewußt langfristig und systematisch tion auf dem richtigen Wege. Das ist nicht einfach. Wir angelegten und verträglichenVerteuerung des Res- werden in diesem Lande sehr viel diskutieren und um sourcenverbrauchs wird auch ein Innovationsschub für Vertrauen werben müssen. Das wird dauern. Da mache unsere Wirtschaft ausgehen. Nachhaltiges Wirtschaf- ich mir keine Illusionen. Selbstverständlich ist es auch ten ist die Frage, um die es in der Zukunft genauso geht möglich, dieses Konzept zu ändern. Ich glaube aller- wie um nachhaltiges Produzieren und eine nachhaltige dings nicht – davon habe ich bis heute nichts gehört –, Finanzpolitik. daß die Leitplanken dieses Konzepts in Frage gestellt (Beifall bei der SPD – Bartholomäus Kalb werden. Das hat bisher niemand getan. Wenn man aus [CDU/CSU]: Nachhaltiges Abwürgen betrei- der Staatsverschuldung herauskommen will, kann man ben Sie!) dies auch nicht tun. 5052 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Bundesminister Hans Eichel (A) Was mich mehr besorgt macht – es muß zwar nicht Lassen wir uns das noch einmal auf der Zunge zergehen: (C) unbedingt besorgt machen; aber ich finde es schade –: 456,9 Milliarden DM, das waren die Ausgaben 1998. Im Wir haben nicht einmal im einzelnen konkrete Gegen- Jahre 2000 werden es 478,2 Milliarden DM sein. vorschläge gehört. (Peter Dreßen [SPD]: Da haben wir aber etwas (Beifall bei der SPD – Dr. Uwe-Jens Rössel hereingenommen, was Sie draußengelassen [PDS]: Doch, doch! Herr Eichel, die haben Sie hatten!) nicht zur Kenntnis genommen! – Jürgen Kop- Was ich Ihnen zugute halte, ist: Nach Ihren Plänen spa- pelin [F.D.P.]: Sie hören ja überhaupt nicht ren Sie im nächsten Jahr im Vergleich zum Jahre 1999 zu!) 7,5 Milliarden DM. Herr Eichel, das ist sicherlich kein Es ist zu billig, zu einzelnen Elementen nein zu sagenschlechter Schritt. Aber es ist alles andere als eine Hel- und sich nicht der Mühe zu unterziehen, vorzuschlagen, dentat. Sie steigern sich hier in eine Heldenpose hinein, was statt dessen getan werden sollte. als hätte es Ähnliches in Deutschland noch nie gegeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das kann möglicherweise noch geschehen. Dazu lade ich Sie herzlich ein. Nach wie vor sind Sie eingeladen, Dabei haben Sie, Herr Eichel, mit dem Haushalt 2000 entweder ein gänzlich alternatives Konzept vorzulegen – noch Glück im Unglück. Denn Ihr Vorgänger hat die davon war überhaupt nichts zu hören – oder im Rahmen Szene beizeiten verlassen und Ihnen einen aufgeblähten dieses Konzeptes Alternativvorschläge zu machen. Über Haushalt hinterlassen. diese kann man dann, wenn sie vernünftig sind und wenn sie dieselben finanzpolitischen Konsequenzen ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ben, in aller Ruhe reden. Ich habe mir aus dem Finanzausschuß erzählen las- sen, daß Sie den Kolleginnen und Kollegen dort bis Die erste Lesung des Haushaltsgesetzes 2000 hat lei- heute nicht gesagt haben, woraus genau die Deckungs- der nicht erbracht, daß es ein Konzept der Opposition lücke von 30 Milliarden DM besteht, die Sie immer gibt. wieder in Abrede stellen. Es ist doch völlig unstrittig – (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Das stimmt darüber brauchen Sie sich gar nicht aufzuregen –, daß nicht!) eine solide Finanzpolitik zu einer vernünftigen Politik dazugehört. Infolgedessen steht unser Konzept. Sie sind eingeladen – vielleicht gelingt dies ja nach den Wahlen –, in der Es ist im übrigen auch nicht verwunderlich, Herr zweiten und dritten Lesung endlich eigene Vorschläge Eichel, daß die Mehrheit der Bevölkerung – das wissen (B) zu machen. wir genauso wie Sie – das Sparen im Grundsatz für(D) richtig hält. Dieser Ansatz, weil er von der Mehrheit der (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem Bevölkerung geteilt wird, muß Sie doch zu der Frage BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Uwe-Jens veranlassen, warum Sie trotz allem, obwohl Sie angeb- Rössel [PDS]: Wir haben Vorschläge ge- lich das Richtige tun, Wahl für Wahl verlieren und im- macht!) mer wieder Niederlagen einkassieren. Was mag der Grund für diese Tatsache sein? Sie müssen sich einfach einmal fragen, ob denn nun Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die CDU/CSU- Ihre Politik die richtige ist. Hier ist Ihre erste Erklärung: Fraktion spricht nunmehr die Kollegin Dr. AngelaWir „vermitteln“ es nicht richtig, wir haben es noch Merkel. nicht geschafft, wir müssen es den Leuten nur lange ge- (Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Versteht die nug erklären. Ich habe die Vermutung, Herr Eichel und was vom Geld? – Weiterer Zuruf von der Herr Bundeskanzler, daß hinter Ihrem Bild des Wählers SPD: Jetzt kommen die konkreten Vorschlä- etwas steht, was dem Wähler in der Bundesrepublik ge!) Deutschland längst nicht mehr Genüge tut. Dieser Wähler ist mündig, nicht dumm und nicht blöd. (Zuruf von der SPD: Ja, das hat er letztes Jahr Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Herr Präsident! gezeigt!) Meine Damen und Herren! Wir haben in dieser Woche Dieser Wähler läßt sich nicht verschaukeln. über den Haushalt 2000 debattiert. Herr Eichel, wenn das Maß der Erregung ein Maß für die Güte Ihres Haus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- halts wäre, dann hätten Sie die Chance, gut dabei weg- ordneten der F.D.P.) zukommen. Das ist es aber nicht. Die Ursache, daß Sie trotz der grundsätzlichen Zu- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) stimmung zu einer Politik der soliden Haushaltsführung Wahlen verlieren, besteht darin, daß Sie unentwegt Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß das DatumWillkür, Chaos und Wortbruch zur Grundlage Ihrer 2000 uns besonders dazu anregen sollte, daß wir unsPolitik gemacht haben. über diesen Haushalt Gedanken machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (Jörg Tauss [SPD]: Fangen Sie einmal an!) Zuruf von der SPD: Unsinn!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5053

Dr. Angela Merkel (A) Wir werden doch auch von unseren Wählerinnen und Da schaue ich einmal den Kollegen Schulz und noch ein (C) Wählern gefragt: Was ist denn nun an diesenSchulden paar andere an. Ich würde sagen, daß sie und ich aus der dran? Es ist doch vollkommen klar, daß die Zahlen, die früheren DDR einen vergleichsweise guten Überblick Sie immer wieder aufgeführt haben, nämlich 1,5 Billio- hatten. Die meisten im Westen hatten darüber keinen nen DM, der Wahrheit entsprechen. Überblick. (Zurufe von der SPD) (Zurufe von der SPD) Aber es ist auch klar – Sie haben erst zu einem ganz– Auch jetzt brauchen Sie nicht zu schreien. Es ist so. späten Zeitpunkt damit begonnen, dies in die Debatte einzuführen –, wie sich diese verschiedenen Schulden Daraus entstanden doch die legendären Protokollnoti- zusammensetzen. Hier muß man erst einmal sagen: 1969 zen im Vertrag zur deutschen Einheit, was man denn war die Verschuldung bei nahezu Null. Das ist hieralles mit dem Vermögen machen und wie man es etwa schon gesagt worden. Sie ist dann auf 308 Milliardenzur Hälfte auf die Länder verteilen werde. Das ist doch DM bis zum Jahre 1982 angewachsen. Es gibt hier übri- die Realität. Nun stehen Sie doch dazu! gens eine Partei im Hause, die das nicht länger mit an- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – sehen konnte. Dann ist die Verschuldung von uns mit Zurufe von der SPD) einem sehr viel langsameren Wachstum der Neuver- schuldung – aber immer noch einer Neuverschuldung – Wenn man das in der vollen Dimension nicht wissen in eine sehr solide Finanzpolitik weitergeführt worden. konnte oder nicht gewußt hat, dann, lieber Herr Eichel, kann man uns heute nicht vorwerfen, wir wollten das auf Herr Eichel, wenn Sie Vertrauen gewinnen wollen,mehrere Generationen verteilen. Wir haben pro Jahr un- dann sagen Sie den Menschen die Wahrheit. Damals gab gefähr 100 Milliarden DM an Transferleistungen in die es einen Finanzminister Stoltenberg, an dem Sie sich ein neuen Bundesländer gebracht. Was hätten Sie denn ma- Beispiel nehmen können, wie man Steuerreformenchen wollen, um dies in der gleichen Generation zu be- macht, Unternehmen entlastet und mehr Einnahmen in zahlen? Wollten Sie die Mehrwertsteuer um 6 Prozent die Kasse bringt. erhöhen, oder welchen Vorschlag hatten Sie? Es ist doch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- absurd, zu glauben, man hätte eine solch gigantische, hi- ordneten der F.D.P. – Zurufe von der SPD) storische Leistung bereits zum gleichen Zeitpunkt be- gleichen können. Das ist doch völlig ausgeschlossen. Herr Eichel, ich finde bei Ihren Plänen in Ordnung, daß Sie in den nächsten Jahren dieNeuverschuldung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) herunterfahren wollen. Aber dann sagen Sie doch der Es gab eine lange Debatte, bei der sich die Länder Redlichkeit halber, daß es auch unter der Regierung von (B) auch nicht besonders rühmlich hervorgetan haben, (D) Helmut Kohl gelungen ist, von 1982 bis 1989 die Netto- neuverschuldung beim Haushalt genau zu halbieren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Jörg Tauss [SPD]: Verdoppelt haben sich die nämlich die Debatte um die Einführung des Euro. Ich Schulden in dem Zeitraum!) erinnere mich daran, daß es Länder gab – darunter auch einige von unserer Seite regierte –, die nicht glauben Auch das gehört mit zur historischen Wahrheit. Warum wollten, daß wir die Stabilitätskriterien für den Euro, sagen Sie nicht, daß im Jahre 1989 die Neuverschuldung insbesondere was die Nettoneuverschuldung anbelangt, 19,7 Milliarden DM betrug, während sie bei Regie-einhalten. Es gehört auch zur Redlichkeit, Herr Eichel, rungsübernahme nach der sozialliberalen Koalition noch zu sagen, daß wir es geschafft haben – gegen alle Augu- bei 37 Milliarden DM lag? Das ist eine Leistung, dieren –, die Inflationsrate niedrig zu halten und die Netto- man würdigen muß. Sie können sie nachmachen. Bitte neuverschuldungsgrenze von 3,0 Prozent einzuhalten. schön, nur zu! (Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Tricks und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Täuschung! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] ordneten der F.D.P. – Zurufe von der SPD) [SPD]: Aber doch nicht Sie! – Weitere Zurufe Was mir persönlich wirklich weh tut – auch das muß von der SPD: Aber wie?) ich ganz klar sagen –, ist die Tatsache, wie Sie mit der – Was heißt hier „Aber wie“? deutschen Einheit und ihrer Finanzierung umgehen. (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Die Einführung (Zurufe von der SPD: Sie haben die Unwahr- des Euro war kein Ruhmesblatt!) heit gesagt!) – Daß die PDS glaubt, die Einführung des Euro sei kein – Da brauchen Sie doch gar nicht zu schreien. Wer hat Ruhmesblatt gewesen, weiß ich. Sie machen nach wie denn gelogen? vor Wahlkampf gegen den Euro. (Jörg Tauss [SPD]: Eine Ihrer Hetzkampag- (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Nicht nur wir! – nen!) Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wie die Ich frage Sie einmal in diesem Hause: Wer hat denn ge- DVU! PDS und DVU!) wußt, wie es in der früheren DDR aussah? Aber daß Sie, obwohl Sie heute Vertrauen in die euro- (Zuruf von der SPD: Alle!) päischen Institutionen haben, hier einfach sagen, die 5054 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Dr. Angela Merkel (A) Kriterien seien quasi nicht erfüllt worden, ist schon ein Ich habe schon gemerkt, daß Sie immer dann, wenn (C) starkes Stück. man vom hessischen Haushalt spricht, unruhig werden. Ich kenne ihn nicht so gut wie Sie. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie ha- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Er kennt ihn auch ben Sie es geschafft?) nicht!) Meine Damen und Herren, die Einführung des Euro Aber ich habe gehört, daß die Zinsausgaben während Ih- war eines der besten Stabilitätsprogramme für alle euro- rer Regierungszeit um 60 Prozent gestiegen sein sollen. päischen Währungen; das werden auch Sie sicherlich ir- Relativ sicher aber weiß ich, daß die Schulden in Nie- gendwann einsehen. Wir haben die Kriterien erfüllt und dersachsen während der Amtszeit von Ministerpräsident damit einen wichtigen Beitrag zu einer soliden Haus-Schröder von 37 Milliarden DM im Jahr 1990 auf halts- und Finanzpolitik für die nächsten Jahre geleistet. 65 Milliarden DM in 1998 angewachsen sind. Auch das gehört zur historischen Wahrheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dies ein Grund, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – apodiktisch zu sagen, wir hätten von Finanzen keine Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Was wird aus Ahnung? Wir haben die deutsche Einheit gemeistert. Si- dem Rubel?) cher, Sie haben in den Ländern Ihren Beitrag dazu gelei- Ihr Problem ist nicht die Vermittlung. Ihr Problem ist stet, die Glaubwürdigkeit Ihrer Regierung, insbesondere die (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das des Herrn Bundeskanzlers. Er hat am 4. Oktober 1998 in wollte ich gerade sagen! Tun Sie doch nicht der „Bild am Sonntag“, einer nicht am wenigsten gele- so!) senen Zeitung, gesagt: „Ich habe nichts versprochen, was ich nicht halten werde. Mein Wort gilt.“ Herraber ungerne. Sie haben mehrmals erklärt, Sie wollten es Schröder, wir wollen es mit der Ehrlichkeit nicht zu weit nicht tun. Ich vermute, durch den Bund-Länder- treiben, aber wir können sagen: Was Sie in diesemFinanzausgleich sind Sie nicht aus dieser Pflicht entlas- knappen Jahr schon alles versprochen und nicht gehalten sen worden. Sich aber nun hier hinzustellen, über solide haben, das geht wirklich auf keine Kuhhaut. Haushaltsführung zu reden und zu sagen, wir hätten al- les falsch gemacht, ist schon ein starkes Stück. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Beispiel!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben es unsIch sage Ihnen: Glaubwürdigkeit hat auch etwas damit immer wieder im Fernsehen anschauen dürfen – Vilsho- zu tun, mit wem man politisch kooperiert und wie man (B) fen, Februar 1999 –: „Ich stehe dafür, daß die Renteauf die Menschen zugeht. Sie müssen sich das schon(D) weiter entsprechend der Nettolohnentwicklung angepaßt überlegen, wenn sie mit einer Partei wie der PDS, die wird. Das tasten wir nicht an“, haben Sie noch hinzu-überall in den neuen Bundesländern gefügt, damit es besonders glaubwürdig wird. – Herr (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Hohe Wählerzu- Eichel, Sie werden zugeben, daß damals alle Fakten auf stimmung hat!) dem Tisch lagen. Gestern aber stand der Bundeskanzler an dieser Stelle und hat gesagt: Ich würde das so gerne das Geld mit offenen Händen und großen Scheffeln aus- tun, wenn ich nur könnte, aber ich kann es nicht. gibt, ohne sich darüber Gedanken zu machen, woher es kommt, zusammenarbeiten wollen. Wie wollen Sie den Was hat denn stattgefunden zwischen Februar und Menschen in den neuen Bundesländern klarmachen, daß dem gestrigen Tag? Es gibt keine neue Erkenntnis, kein das ausgerechnet sie Menschen sind, die eine soziale Fi- neues Faktum. Es gibt nur gebrochene Worte. Verspro- nanzpolitik betreiben? chen, gebrochen – das ist Ihr Motto. Deshalb nehmen Ihnen die Leute nichts mehr ab. (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Nehmen Sie Wahlentscheidungen zur Kenntnis, Frau Mer- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kel!) Herr Eichel, es geht um Wahrhaftigkeit, Redlichkeit und Glaubwürdigkeit. Sie sind nun seit wenigen Mona- Für die Bürgerinnen und Bürger paßt das nicht zusam- ten Bundesfinanzminister. Vorher waren Sie Minister- men. präsident eines Landes. Hier halten Sie plötzlich Reden, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – die inhaltlich weit von denen entfernt sind, die Sie frü- Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: In Mecklenburg her gehalten haben. Jetzt reden Sie von Bundestreue; gibt es eine klare Mehrheit für Rot und PDS! damals hatten Sie mit dem Bund nichts zu tun. Was ist Sie sind abgewählt worden! Herr Seite ist in denn das für ein Verfassungs- und Staatsverständnis? Urlaub geschickt worden!) Wenn nicht alle für alles verantwortlich sind, kann die- ser Staat nicht funktionieren. Mit ihrer heutigen Rede– Würden Sie entweder um eine Fragestellung bitten tragen Sie hierzu bei. oder den Mund halten. Ich weiß sonst nicht, was hier los ist, wer hier spricht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – er gerade eben erklärt! Sie haben nicht zuge- Abg. Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS] meldet sich hört!) zu einer Zwischenfrage) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5055

Dr. Angela Merkel (A) – Ich möchte jetzt aber keine Zwischenfrage zulassen, cherungsbeiträge aber auf 80 Prozent des letzten ver-(C) Herr Präsident. dienten Bruttoentgelds beruhen. Können Sie den Men- schen in Deutschland erklären – Ich kann es nicht, viel- (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und leicht können Sie es –, warum Sie in dem einen sozialen der F.D.P. – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Versicherungssystem so und in dem anderen anders ver- Klasse!) fahren? Es ist nur damit zu erklären, daß Frau Fischer in Ich kann Ihnen genau sagen, warum ich keine Frage zu- einer anderen Partei ist als Herr Riester und daß Sie es lasse. Ich bin gerade mit den Sozialdemokraten beschäf- dem einen aus Koalitionsgründen aufdrücken können tigt konkret damit, daß die Sozialdemokraten eine völlig und dem anderen nicht. So einfach ist die Logik. widersprüchliche Politik einerseits der Konsolidierung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und andererseits der Kooperation mit Leuten betreiben, die sich über den Haushalt wenig Gedanken machen, Ich nenne Ihnen einen weiteren Fehler. Das ist die (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Wen meinen Sie Ökosteuer. Wir haben alle miteinander, wahrscheinlich damit?) sogar parteiübergreifend, in diesem Haus den Grundge- danken vertreten – dabei gibt es immer Ausnahmen –, und daß das zu einem massiven Glaubwürdigkeitspro- blem führen wird. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Weil Sie sie wollen, bekämpfen Sie sie! Soweit zum Ich sage Ihnen voraus, daß Sie am Sonntag abend Thema Widerspruch!) wieder erleben werden – die Gefahr besteht –, daß Sie zwischen CDU und PDS zerrieben werden, weil Sie in den Faktor natürliche Ressourcen zu verteuern und den den neuen Bundesländern für nichts glaubwürdig gera- Faktor Arbeit zu entlasten. Das ist ein neuer Gedanke, destehen. Das ist die Konsequenz; so war es in Thürin- und seine Einführung in die Politik bedarf besonderer gen. Sorgfalt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ich sage Ihnen zur Ökosteuer folgendes. Daß sie ge- Zuruf von der SPD: Jetzt bringen Sie mal Ihre gen die Rentner gerichtet ist, wissen wir. Wir haben ge- Vorschläge! – Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: sagt, okay, das ist ein Sonderopfer. Deshalb hat der Herr Lassen Sie einmal die Wähler entscheiden!) Bundeskanzler damals gesagt: Wir wollen die Netto- lohnbezogenheit der Rente erhalten, weil wir die Rent- Es ist mit Sicherheit so, daß ein solider Haushalt eine ner mit der Ökosteuer nicht entlasten. Daß es für die wichtige Größe in einer modernen, vernünftigen und zu- neuen Bundesländer besonders schwer ist, ist auch klar; kunftsorientierten Politik ist. Es ist aber mit Sicherheit denn 0,5 Prozent Entlastung im Rentensystem bedeuten (B) auch so, daß ein solider Haushalt nicht die gesamtebei weniger Lohn und weniger Beiträgen weniger Entla- (D) Politik ist. Wir stehen an der Schwelle zum 21. Jahr-stung bei gleicher Ökosteuerbelastung. Das ist ein fal- hundert. sches Signal in die falsche Richtung, aber ich will das (Jörg Tauss [SPD]: Nichts als Geblubber!) hier nicht vertiefen. Wir haben die Frage zu beantworten, wie wir im 21. Daß die Ökosteuer aber auch familienfeindlich ist, hat Jahrhundert unter international offenen Bedingungen,Ihnen Ihre Familienministerin bisher offensichtlich noch die wir mit„Globalisierung“ beschreiben, dennicht gesagt. Nehmen wir einmal eine Familie mit drei Wohlstand in unserem Land sichern wollen. Kindern, in der eine Person erwerbstätig ist. Dann wird einer davon entlastet, aber fünf zahlen Ökosteuer. (Zuruf von der SPD: Wo sind denn die Vor- schläge?) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ist – Warum schreien Sie immer? – Wir haben neue Fragen mit der Steuerentlastung und dem Kinder- von hohem Interesse miteinander zu diskutieren. geld?) Herr Eichel, ich sage ihnen folgendes: Ich glaube, daß Die in sich familienfeindliche Ökosteuer frist die Erhö- sie im Finanzministerium inzwischen der Meinung sind, hung des Kindergeldes sofort wieder auf. Sie könnten alle Politikbereiche fast vollständig beherr- schen. Man kann Ihnen angesichts der Säumnisse in den ( [BÜNDNIS 90/DIE Ministerien auch nicht verübeln, daß Sie etwas tun. Ih- GRÜNEN]: Jedes Kind fährt Auto, hat einen nen unterlaufen dabei aber grobe logische Fehler, mit extra Kühlschrank, hat ein extra Haus!) denen Sie in der Zukunft nur ganz schwer werden klar kommen können. Nun, meine Damen und Herren, kommt der eigentli- che Höhepunkt. Sie müssen sich einmal genau anschau- (Zuruf von der SPD: Nennen Sie einmal ei- en, wie Sie mit demBundeszuschuß für die Renten- nen!) versicherung herumhantieren, um verschiedene Posten – Ich nenne Ihnen jetzt einen, aber ich könnte viele nen- verschieben zu können. Seit dem 1. Juni 1999 haben Sie nen. statt des bisherigen Bundeszuschusses in Höhe von 7 Milliarden DM für die zu leistenden Rentenzahlungen Ein Fehler ist, daß Sie jetzt dieRentenbeiträge für an die heutigen Rentnerinnen einen Zuschuß von 17 die Arbeitslosenhilfeempfänger nach dem ausgezahl- Milliarden DM für die späteren Zahlungen an die heuti- ten Arbeitslosenentgeld berechnen, die Krankenversi-gen Mütter mit kleinen Kindern eingebucht. Dieser 5056 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Dr. Angela Merkel (A) fließt in die Rentenversicherung, obwohl die heute be- form zu spät angefangen. Wir hätten dieSteuerreform (C) stehenden Rentenansprüche viel geringer sind. gleich 1994 machen sollen. Ich glaube, das wäre besser gewesen. Sie senken zwar jetzt die Beiträge, werden aber eines Tages nicht das Geld haben, um die dann bestehenden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Rentenansprüche wirklich bedienen zu können. Damit der F.D.P.) haben Sie mit der Ökosteuer schon den nächsten struktu- rellen Fehler gemacht. Dann hatten wir auch nicht Oskar Lafontaine die Mög- lichkeit gegeben, das zusammen mit Ihnen, Herr Schrö- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der und allen anderen SPD-Ministerpräsidenten, die Zu der schon in sich familienfeindlichen Ökosteuer heute, im Gegensatz zu Lafontaine, noch aktiv politisch kommt noch hinzu, daß sie dazu benutzt wird, tätig die sind, zu blockieren. Rentenansprüche für Kindererziehungszeiten tatsäch- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Lafontaine kommt lich noch zu erhöhen. Das halte ich für einen groben wieder!) Fehler. Aber dann, meine Damen und Herren, war es 1998. Jetzt haben Sie wegen dieser Obstruktionspolitik – Herr Vizepräsident Rudolf Seiters: Frau Kollegin Mer- Schröder würde das „schnöde Parteipolitik“ nennen, die kel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten dann aber zu einem Wahlerfolg auf tönernen Füßen ge- Metzger? führt hat – die Verantwortung, endlich eine Unterneh- menssteuerreform zu machen. Dann war es 1998. Dann ist der Finanzminister weggerannt. Dann haben Sie die Reform bis zum Jahre 2000 nicht geschafft. Nun stellen (CDU/CSU): Nein, jetzt nicht. Dr. Angela Merkel Sie uns für 2001 etwas in Aussicht. Von 1994 bis 2001 Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren:gehen zwei Jahre auf uns, aber auf Ihre Kappe gehen Sie verwischen die Grenzen in dem sozialen Sicherungs- fünf Jahre, in denen die Bundesrepublik Deutschland system. Sie werden an der letzten Stufe Ihrer Ökosteuer- anständige Einnahmen verloren hat. reform im Rentensystem einen Bundeszuschuß in Höhe von 160 Milliarden DM haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Eichel, bitte beantworten Sie mir einmal – mei- Es ist mit Sicherheit wichtig, daß wir gemeinsam netwegen unter vier Augen; was Herr Riester sagt, istdarüber diskutieren, wie wir auf die neuenHerausfor- relativ egal – eine Frage: Wohin möchten Sie mit dem derungen des 21. Jahrhunderts reagieren. Dabei ist der Haushalt eine Sache. Die an uns alle gerichtete Fra- (B) Rentensystem? Möchten Sie bei der leistungsbezogenen (D) Rente bleiben? Wollen Sie eine steuerfinanzierte Grund- ge heißt: Wie können wir die Mechanismen der sozialen sicherung? Wollen Sie eine beitragsfinanzierte Grundsi- Marktwirtschaft in dieser veränderten Welt durchsetzen, cherung? Wir kennen Ihre Richtung nicht. Der Bürger in der auf den Finanz- und Wirtschaftsmärkten interna- kennt sie nicht. Das ist ein ziemlich schwieriger Zustand tional agiert wird und die sozialen Ausgleichsmecha- in Deutschland. nismen national organisiert werden müssen? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Jörg Tauss [SPD]: Dann macht Vorschläge!) Es ist nicht so, daß wir hierzu keine Vorschläge oder – Ich mache Ihnen einen Vorschlag und sage Ihnen als Ideen hätten. Ein Mann wie Peter Müller hat im Saar-erstes: Ich wäre im Traum nicht darauf gekommen, daß land mit außerordentlich unbequemen Botschaften ge- der von Rotgrün am zweitstärksten geschröpfte Haushalt wonnen, nämlich unter anderem mit der Botschaft, daß der Haushalt des Entwicklungsministeriums ist. dort der Steinkohlebergbau beendet wird. Herr Eichel, in (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Eine Ihrem Bundesland gibt es keine Steinkohle. Ich erinnere Schande!) mich aber noch sehr genau daran, wie es war, als wir die Subventionen für den Steinkohlebergbau gekürzt ha- Wenn die internationalen Probleme der Zukunft nicht ben. Vorreiter war Herr Scharping mit flammenden Re- mehr die Probleme der klassischen Sicherheitspolitik den gegen jede Subventionskürzung. sind, sondern die Probleme von Umweltverschmutzung und Überbevölkerung – Sie halten demnächst große (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Veranstaltungen zum Thema „6 Milliarden Menschen Fischer!) dieser Erde“ ab –, die Probleme der globalen Erhaltung Gleich nebenan war Herr Fischer. Beide haben geschrie- unserer Ressourcen, dann muß ich Sie doch fragen: Was en, was das Zeug hielt, daß wir die Steinkohlesubven- reitet Sie, in diesem Einzelplan an vielen Stellen, bei In- tionen ja nicht in irgendeiner Weise antasten. Sie leben stitutionen und bei privaten Initiativen, derart zu strei- heute davon und sind glücklich, daß der Plafond wenig- chen? Ich verstehe es nicht, und Sie haben es auch noch stens einigermaßen abgesenkt wird. Das muß ganz klar nicht erklären können. gesagt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie wollen private Initiative stärken, Sie wollen das Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir haben auch Fehler Eigenengagement fördern – und Sie treten allen privaten gemacht. Meiner Meinung nach haben wir manche Re- Organisationen in diesem Lande, die sich mit Ent- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5057

Dr. Angela Merkel (A) wicklungs- und Umwelthilfe beschäftigen, vor dasHerr Bundeskanzler, mit dieser Einstellung werden Sie(C) Schienbein. keine Mehrheiten gewinnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt Jürgen Koppelin [F.D.P.] – Wilhelm Schmidt meinen Sie aber die Zeit von Kanzler Kohl!) [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch Unsinn! Das Es ist bedauerlich, wie Sie auf dem Bauerntag in ist doch Demagogie!) Cottbus aufgetreten sind. Sie haben nur für die Kameras – Genau so ist es. Unterhalten Sie sich doch mit den ent- gesprochen und sich überhaupt nicht dafür interessiert, sprechenden Stellen! Wenn man in der Verantwor-welche Probleme die einzelnen Bauern – die kleinen aus tung war, soll man sich bei der Beurteilung seines Nach- dem Allgäu und die großen aus den neuen Bundeslän- folgers zunächst ein ganzes Jahr zurückhalten. Das Jahr dern – haben. Sie wollten einfach nur zeigen, daß Sie ist fast herum, nun wollen wir mal nicht so scharf agie- gegen die sogenannten Partikularinteressen in diesem ren. Lande vorgehen. So schafft man – das sage ich Ihnen voraus – keinen Interessenausgleich. Was ich aber über die internationale Umweltpolitik der Bundesrepublik Deutschland höre, spricht nun für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) alles andere als dafür, daß man sich überhaupt für diesen Deshalb: Niemand hat behauptet, daß das Gemein- Bereich interessiert. wohl die „Summe“ aller Einzelinteressen ist, wie der (Beifall bei der F.D.P. – Wilhelm Schmidt Bundeskanzler gestern unterstellt hat. Das war es noch [Salzgitter] [SPD]: Was haben Sie uns denn nie, das wird es nie sein. Trotzdem sind die Einzel- hinterlassen?) interessen wichtig. Es wird darauf ankommen – ich sage Ihnen zu: wir werden uns beteiligen –, Herr Trittin interessiert sich für die Abschaltung von (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das zwei – am besten noch mehr – nationalen Kernkraftwer- klang jetzt aber gerade die ganze Zeit nicht ken. Er interessiert sich vielleicht marginal noch für die so!) Ökosteuer – aber auch das machen andere für ihn –, und ansonsten interessiert ihn das alles überhaupt nicht. So in einem vernünftigen Ausgleichsmechanismus nach den hinterläßt man ein fürchterliches Bild, wenn es um Kli- Maßstäben der Gerechtigkeit eben diesen Ausgleich der maschutz, Naturschutz und Ressourcenschutz in derInteressen im Lande zu finden. Das war der Charme der Welt geht. sozialen Marktwirtschaft zu Zeiten Ludwig Erhards, und das muß wieder so werden in einer Welt, die offen und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – globalisiert ist. Wir werden uns dieser Herausforderung (B) Zuruf von der SPD) stellen. (D) – Ich kenne meine Schwächen, ich kenne meine Stärken. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich weiß nur, daß Deutschland in diesen Fragen im Pro- zeß der internationalen Verhandlungen eine absolut Ich sage Ihnen: Weder die Regelung für die 630- wichtige Rolle spielt. Mark-Jobs noch die Regelung zur Scheinselbständigkeit haben dazu beigetragen, genauso wenig die Verschie- (Jörg Tauss [SPD]: Kohl und Rio!) bung der Unternehmensteuerreform und die Tatsache, Alle, die schon einmal dabei waren, wissen, wie wichtig daß Sie erst den Mittelstand belastet haben, auch wenn es wäre, daß dies auch weiter der Fall ist. Sie jetzt sagen, er werde irgendwann entlastet. Das ko- stet uns über Jahre hinweg Arbeitsplätze. All dies waren (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sagen keine sinnvollen Beiträge. Aber ich verspreche Ihnen: Sie doch einmal etwas zum Konsolidierungs- Sollten Sie sich besinnen, programm!) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Wir brauchen also internationales Engagement. so arrogant wie nur was!) Aber natürlich brauchen wir auch nationale Verände- sollten Sie neben all dem Addieren und Subtrahieren rungen. Deshalb zu einem weiteren Punkt, den ich für versuchen, vor den wirklichen Herausforderungen der außerordentlich wichtig halte: Wie organisieren wirZukunft zu bestehen, dann werden wir Sie tatkräftig un- Mehrheiten für Reformen, für Veränderungen in die- terstützen, dort wo wir gefragt sind. sem Lande? Ohne Glaubwürdigkeit wird es auf keinen (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und Fall gehen. Dafür ist es ganz wichtig, sich noch einmal der F.D.P.) darüber klar zu werden, was wir in diesem Lande unter „Gemeinwohl“ verstehen. Herr Bundeskanzler, Sie ste- hen für ein Bild, das den Eindruck vermittelt: Der Staat Vizepräsident Rudolf Seiters: Für Bündnis 90/Die bin ich, der Rest sind Partikularinteressen – „schnödeGrünen gebe ich jetzt der Kollegin Antje Hermenau das Parteipolitik“. Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): müssen Sie nun gerade sagen! Ausgerechnet Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen Sie!) und Kollegen! Frau Merkel, man merkt Ihnen richtig an, 5058 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Antje Hermenau (A) wie erleichtert Sie sind, daß Ihre Partei in der Opposi- Herr Merz hat sich vor zwei Tagen darin gefallen,(C) tion jetzt die Chance hat, sich zu erneuern. darzustellen, wie eisern gespart worden sei. Für die Ära Stoltenberg ist das auch richtig. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Wolf- gang Zöller [CDU/CSU]: Wir haben die (Zuruf von der SPD: Na ja!) Chance wahrgenommen!) Ich gebe dem Kollegen Merz ausdrücklich recht: Unter Ich gönne Ihnen das und wünsche Ihnen die nötigeStoltenberg wurde versucht, den Haushalt zu konsolidie- Kraft, um das all den alten Männern in Ihrer Partei bei- ren. Im Sommer 1989 kam dann die Wende, aber nicht zubringen. die ostdeutsche und gemeinsame, sondern die Wende in der christlich-liberalen Finanzpolitik. Im Sommer 1989, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- also vor der deutschen Einheit, hat Herr Waigel die SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Wende in der Finanzpolitik vorgenommen. Damals sind Die Schulden müssen runter. In den letzten Tagenin der mittelfristigen Finanzplanung, bei der Nettokre- wurde viel gestritten. CDU und SPD führten einenditaufnahme und bei der Verschuldung deutliche Erhö- Schlagabtausch darüber, wer die ganzenSchulden ver- hungen vorgesehen worden. Das wurde ein Jahr vor der ursacht hat und wer dafür zuständig ist. Dann wurdeBundestagswahl 1990 und vor der deutschen Einheit ge- noch etwas über die sozialliberale Koalition – die war plant, um – panem et circenses – die Bundestagswahl zu schon fast vor meiner Zeit – erzählt; dann wurde etwas gewinnen. von einer christlichliberalen Koalition erzählt, die noch mehr Schulden angehäuft hat. Das alles ist richtig. Übri- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gens waren wir Ossis an den ungefähr 750 Milliarden und bei der SPD) DM Schulden, die in der Regierungszeit Kohl angehäuft Als Ossi lasse ich es deshalb nicht auf mir sitzen, wir sind, nicht beteiligt; das ist nicht unsere Erblast. Aberseien schuld daran, daß die Schulden nach der Wende so dazu kommen wir später noch, um die Zahl von 1,5 Bil- stark angestiegen sind. Die Folgen der Wiedervereini- lionen DM vollzumachen. Egal, wie man das bewertet: gung kommen hinzu; das stimmt. Sie haben die Schulden nicht gesenkt, und Sie haben auch nicht die Nettokreditaufnahme gesenkt. Diese bei- Kommen wir zu dem Tafelsilber! Wir müssen uns den Schritte haben Sie nicht vollzogen. beim Einsparen heute sehr hart anstrengen, weil – so leid mir das auch manchmal tut – das ganze Tafelsilber Mir ist noch etwas aufgefallen. Es ist eindeutig und bereits verjuxt ist. Sie haben das 1997 und 1998 aufge- auch historisch belegt, wer beim Schuldenmachen ambraucht. Deswegen haben wir gar keine Alternative: Wir besten gewesen ist. Die F.D.P. war – einmal mit dermüssen richtig einsparen, denn wir haben nichts mehr zu (B) SPD, einmal mit der CDU – seit 1969 immer an der Re- verkaufen. Sie wissen ganz genau, wie hoch die Risiken (D) gierung. sind: Wenn die Zinsen um einen Prozentpunkt steigen, (Zuruf des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) dann haben wir im Jahr darauf über 3 Milliarden DM mehr an Zinsen zu zahlen. Das müssen Sie sich einmal Es sind auf jeden Fall liberale Schulden, Herr Koppelin. überlegen. Deswegen ist es genau richtig, jetzt die Not- bremse zu ziehen, bevor wir in die Zahlungsunfähigkeit (Beifall und Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ kommen. DIE GRÜNEN und bei der SPD) Jetzt sage ich etwas als jemand, der 25 Jahre in dem Es sind auf gar keinen Fall grüne Schulden. Auch das anderen Teil Deutschlands aufgewachsen ist. Ich habe steht fest, denn wir sind das erste Mal an der Regierung. einmal erlebt, wie das ist, wenn ein Staat zusammen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bricht und nicht mehr handlungsfähig ist. Ich bitte Sie sowie bei Abgeordneten der SPD) herzlich: Tun Sie mir das nicht ein zweites Mal an! In der ganzen Debatte wurde immer behauptet, an (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Staatsschulden könne man nicht mit der Denkweise ei- und bei der SPD) nes privaten Schuldners herangehen. Das sei kindisch, der Staat sei ganz anders. Sinn macht diese Argumenta- Es kommt hinzu, daß ich auch noch ein junger Mensch tion dann, wenn man auf die Einflüsse der Wirtschaftbin und eigentlich vorhabe, dieses Land nicht zu verlas- schaut. Aber die Grundprinzipien gelten trotzdem, egal sen. Auch da sollten wir uns Chancen erarbeiten. ob private oder staatliche Schuldnerschaft. Diese (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Angst ist Grundprinzipien besagen, daß man einen Kredit nur aber ein schlechter Ratgeber!) dann aufnehmen darf, wenn man etwas erwirbt, von des- sen Nutzung man länger etwas hat, als man Zinsen zah- Nun machen Sie es für mich attraktiv, hier als Rentnerin len muß. Das macht doch die Debatte aus, die wir füh- zu leben, hier mehrere Kinder zu bekommen, so daß ich ren. Wir reden doch davon, daß es nicht mehr angeht,mich hier wohlfühlen kann! jeden Tag einen Kredit für die Bedürfnisse des täglichen Lebens aufzunehmen. Doch das ist das, was wir gerade (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN machen. Wir leben über unsere Verhältnisse. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie haben das nicht geschafft; ich bin sehr stolz dar- und bei der SPD) auf, daß wir in der Koalition genau diese Fragen, die die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5059

Antje Hermenau (A) Zukunft betreffen – sie beschäftigen mich auch politisch lassen Sie über keine einzige globale Minderausgabe im (C) – wirklich anpacken. unklaren. Ich selber habe gestern im Auswärtigen Amt ein Berichterstattergespräch gehabt. Wir haben alles he- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- runtergebrochen, bis auf die letzte müde Mark. Sie wis- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) sen ganz genau, daß das schmerzhafte Prozesse sind. Ich habe hier in den letzten zwei, drei Tagen von Ihnen Aber es wird jede einzelne Sparmaßnahme ständig nur Radio Jerewan gehört: „Im Prinzip sind wir (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das stimmt doch dafür, aber…“ Sie haben im Bundesrat die Möglichkeit, gar nicht!) Ihr gesamtes Aber in kleinen Anträgen vorzulegen. Wir werden uns jeden einzelnen anschauen und bewerten.in dem Haushalt, den wir als Gesetz verabschieden, Wenn vernünftige Vorschläge dabei sind, glaube ich so- deutlich belegt und ausgewiesen. So muß es auch sein. gar, daß sie eine Chance haben, durchzukommen. Denn es ist wichtig, daß die Leute ganz genau einschät- zen können, was auf uns alle zukommt. (Zuruf von der SPD: Das ist nicht zu erwar- ten!) (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Dann gucken wir uns mal bei Verteidigung um!) Die Lage ist verzweifelt, das gebe ich gerne zu. Sich hinzustellen und nach dem Sankt-Florians-Prinzip zu Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, sagen: „Zünde bitte die andere Hütte an“, das halte ich werfe ich, ehrlich gesagt, einen gewissen Opportunis- nicht für redlich. Sie haben in den letzten Jahren selber mus vor. Auch Sie haben eine demokratische Verant- eigene Einsparvorschläge gemacht; gegen sie hatten wir wortung. Ich werde abwarten, wie Sie sie im Bundesrat politisch zum Teil etwas. Das war alles der normalewahrnehmen werden. Eigentlich stehen Sie im Moment Schlagabtausch in der Politik. Aber jetzt unterstellen Sie daneben und reiben sich die Hände. Sie diffamieren die etwas. Sie unterstellen, daß wir nicht wirklich sparenUmbruchstimmung auch als Chaos, was ich nicht red- wollen. Das ist falsch; das stimmt nicht. Wir meinen es lich finde. Sie schämen sich auch nicht für diese zum ernst, und es ist das Grundprinzip unseres Handelns. Wir Teil etwas billig errungenen Wahlsiege. wollen wirklich sparen, weil wir darin die einzige Mög- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist ja lichkeit sehen, diesen Staat handlungsfähig zu erhalten. Wählerbeleidigung, was Sie betreiben!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie würden doch nur weniges anders machen. Viel- und bei der SPD) leicht haben Sie es nicht immer ehrlich gemeint, wenn Sie haben auch – das finde ich ebenfalls unredlich – Sie sagten, daß Sie jetzt gleich an die Macht zurückkeh- in der Debatte immer wieder darauf hingewiesen, daßren wollen. Denn Sie müßten dann mit jenen Maßstäben (B) das ja eigentlich nur die 30 Milliarden DM aus dem La- in der Politik weiter operieren, die wir in diesem Jahr(D) fontaine-Haushalt seien. Das ist zumindest die Auffas- setzen. Daran können Sie sich nicht vorbeimogeln; das sung, die Sie draußen verbreiten; intern wissen es diewissen Sie auch. Deswegen glaube ich, daß es sehr in- meisten von Ihnen besser. Es ist unredlich, die Auf-teressant sein wird, zu sehen, was Sie im Bundesrat an- wüchse aus dem Haushalt 1999 jetzt mit dem Sparpaket zubieten haben. und dem Haushalt 2000 zu vergleichen. Was wollen Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN denn wieder zurücknehmen? Die Bundesergänzungszu- und bei der SPD) weisungen an das Saarland, die Sie nicht ordentlich in den Haushalt eingestellt hatten? Nach dem Machtwech- Ich werde mir dann genausoviel Zeit nehmen wie heute sel wahrscheinlich nicht mehr. Wollen Sie die Kinder- und werde in Ruhe auf Ihre Argumente eingehen. gelderhöhung zurücknehmen? Da ist das BVG davor. Wollen Sie die Postunterstützungskassen verschweigen? (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]:Wenn Sie Die Leute haben einen Rechtsanspruch auf ihr Geld. die Redezeit bekommen!) Es wäre eventuell denkbar, daß Sie beim Zuschuß an Denn Sie werden dann offenlegen müssen, was substan- die Bundesanstalt für Arbeit kürzen. Aber dann fieletielle und tragfähige Vorschläge sind und was nicht. zum Beispiel das JUMP-Programm weg, das gerade Ich komme noch einmal auf denGenerationenkon- jungen Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarktflikt zu sprechen, der manchmal ein wenig unglücklich geben soll. Das fände ich völlig falsch. Wir stehen dazu, aufgebaut wird. Wenn wir uns einmal anschauen, wie daß wir uns für die Zukunft der jungen Leute verschul- hoch die Jugendarbeitslosigkeit in den anderen europäi- den. Das ist ordentlich; das ist vernünftig. schen Ländern ist, dann muß ich sagen, daß wir in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschland sehr gut dastehen. Das hat nicht zuletzt und bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/ damit etwas zu tun, daß wir uns erkühnt haben, Kredite CSU]: Dafür streichen Sie 30 000 Zivildienst- dafür aufzunehmen, um den jungen Leuten zusätzliche stellen! Sind das keine Jugendlichen?) Chancen auf dem Arbeitsmarkt geben zu können. Dieses JUMP-Programm für junge Leute ist steuerfinanziert. Wir können jetzt auch jene Nebelkerzen wegräumen, Das stimmt; das steckt im Zuschuß der Bundesanstalt die Sie werfen, wenn Sie sagen, wir würden unsere Ein- für Arbeit. Aber ich finde das völlig in Ordnung – was sparmaßnahmen nicht richtig benennen und die Men-für eine Familie gilt, kann auch in einem Gemeinwesen schen darüber im dunkeln lassen. Ich meine die globalen gelten –, wenn die Oma Hilde nun dabei hilft – das ge- Minderausgaben, von denen immer die Rede ist. Wir schieht dadurch, daß wir ihre Rente nur um einen Infla- 5060 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Antje Hermenau (A) tionsausgleich erhöhen –, daß ihrem Enkel Mirko nunsprechen, die wir mit diesem Zukunftsprogramm verfol- (C) doch noch eine Lehrstelle angeboten werden kann. gen. Wir haben im Osten lange – Herr Gysi hat dies in etwas populistischer Art gemacht – über die Ungerech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tigkeit im Zusammenhang mit dem Einkommensgefälle und bei der SPD) gesprochen. Es ist schon schwierig, sich damit abfinden Sie wissen ganz genau, wovon ich rede: Es geht um zu müssen, in fast allen Branchen nur 60 bis 75 Prozent Machtpolitik. Die Anzahl der Personen über 65 Le-des Westgehaltes zu beziehen. Dies ist eine schwierige bensjahre beträgt rund 13 Millionen in Deutschland; das Lebenslage, zumal sie noch Auswirkungen auf die Ren- sind zirka 16 Prozent der Bevölkerung; die Anzahl der tenansprüche hat. Personen zwischen 18 und 25 Jahren beträgt 6 Millio- Es ist aber, glaube ich, nicht möglich, einen ganz ge- nen; das sind rund 7,5 Prozent. Und wir wissen ganz ge- nauen Zeitplan festzulegen, wann man die Angleichung nau, wovon wir reden; wir reden von Wählerstimmen. der Einkommensverhältnisse in Deutschland erreichen Das ist eine ganz einfache Sache. Wir sagen: Hinsicht- kann – obwohl dieser Wunsch existiert. Aber eines ist lich des Generationenkonfliktes muß man sich über die- möglich: Man kann sich anstrengen, die Wirtschafts- se Bedenken hinwegsetzen. Es ist wichtig, jungen Leu- struktur zu verbessern. Das ist genau das, was wir vor- ten eine Zukunft zu geben. geschlagen haben, nämlich die Investitionen für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wirtschaftsnahe Forschung und für die Infrastruktur im und bei der SPD) Osten zu erhöhen. Ich will nun – das ist eine wirklich neue Leistung der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesregierung – darüber sprechen, wie wir uns über und bei der SPD) den Aufbau Ost unterhalten. Herr Kollege Schwanitz Wenn man durch diese Maßnahmen die wirtschaftliche hat es in bemerkenswerter Weise geschafft – das ist in Situation verbessert, dann haben wir die Chance, die den letzten zwei Tagen vielleicht untergegangen; aber es Einkommen zu erhöhen. ist sehr wichtig, dies herauszustellen –, die überzogene Darstellung der Transfers zu beerdigen. Das haben Sie In Richtung PDS sage ich: Sie lagen schon einmal über Jahre nicht geschafft. Das ist eine hervorragendedaneben, die Produktivität nicht als entscheidenden Leistung, für die wir uns beim Kollegen Schwanitz be- Faktor für Lohnzuwächse zugrunde zu legen. Ich danken müssen. möchte dies kein zweites Mal erleben. Ich denke, wir sind gut beraten, die Wirtschaftskraft der ostdeutschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Länder deutlich zu stärken und darauf unser Hauptau- und bei der SPD) genmerk zu legen. Sie wissen selbst, wie heikel Zeitplä- (B) Ich weiß, daß Herr Biedenkopf, der von allen Seiten ne sind. Die blühenden Landschaften haben sich auch(D) viel gelobt wird, seit mehreren Jahren durchs Land zieht nur sehr verzögert eingestellt. und sagt, man müsse die Kosten redlich berechnen und Ich komme nun auf den zweiten Punkt, der der Län- man dürfe die Transfers bei der Rente und beim Ar-dergruppe Ost von Bündnis 90/Die Grünen sehr am beitslosengeld nicht hineinrechnen. Dieses Geld stehtHerzen liegt. Es geht darum, die Diskussion über den den Menschen doch zu. Wir sollten nur über die wirkli- Länderfinanzausgleich von der Diskussion über den chen Investitionen zum Beispiel in den Infrastrukturbe- Aufbau Ost zu entkoppeln. Die Vermischung bei der reich und in den Forschungsbereich reden. Dann kommt Diskussion hindert uns an unserer Arbeit. Die erste Dis- man nur auf eine Summe von 38 Milliarden DM für die kussion wurde von Herrn Stoiber und Herrn Teufel an- Aufbauhilfe Ost. Das ist also mitnichten dieser riesige gefangen. Sie sagten, daß man den Ostländern nicht so- Bruttotransfer, der immer als Popanz aufgebaut worden viel bezahlen könne und daß über den Länderfinanzaus- ist. gleich – die Neuregelung steht 2004 an – verhandelt Herr Schwanitz hat damit der Diskussion an denwerden müsse. Die Angst in den ostdeutschen Ländern Stammtischen den Nährboden entzogen. Das ist eineist natürlich groß. Ich finde es auch nicht in Ordnung, wirklich große Leistung. Herr Biedenkopf, der sächsi- daß man schon Jahre vorher mit dem Teufelaustreiben sche Finanzminister Milbradt, selbst Kollegen aus der beginnt. CDU/CSU-Fraktion wie Herr Kolbe haben für diese Mein Vorschlag ist, daß wir im nächsten Jahr eine Sichtweise gekämpft, konnten sich aber nicht durchset- Konferenz abhalten, zu der wir die Landesfinanzminister zen. Herr Schwanitz hat es aber in einem Dreivierteljahr und die Landeswirtschaftsminister der ostdeutschen geschafft, Redlichkeit einzuführen. Herr Schröder, ich Länder zusammen mit dem Bundesfinanzminister und bin froh darüber. Ich hatte nämlich befürchtet, daß wir dem Bundeswirtschaftsminister einladen. Auf dieser so weitermachen wie bisher, weil es sich gut verkaufen Konferenz soll über die Aufbauhilfe Ost gesprochen läßt zu sagen, der Osten komme uns so furchtbar teuer. werden; man könnte dann über vier bis fünf Jahre festle- Ich bin dankbar für die Redlichkeit, für die wir hier ste- gen, wie sie verlaufen soll. Damit würde die Diskussion hen. zum Länderfinanzausgleich vom Aufbau Ost entkoppelt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden. Damit schaffen wir einen gewissen psychologi- und bei der SPD) schen Rahmen, weil dann die ostdeutschen Bundeslän- der damit rechnen können, wie ihnen der Bund zur Seite Ich komme auf die Anregungen der Ländergruppesteht. Man könnte dann entspannt in die Diskussion zum Ost in der Grünen-Fraktion und auf die Erwartungen zu Länderfinanzausgleich gehen. Wir können uns im näch- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5061

Antje Hermenau (A) sten Sommer große Meriten verdienen, indem wir den also, daß unsere Haushaltspolitik gar nicht so schlecht(C) ostdeutschen Bundesländern auf die Beine helfen. war. Ein dritter Punkt ist mir wichtig; ich kämpfe schon (Beifall bei der F.D.P.) seit Jahren dafür. Der Haushalt für das Jahr 2000 soll endlich ein Haushalt sein, bei dem auch die westdeut- Sie, Herr Minister, haben vor einiger Zeit gesagt – in- sche Steinkohle ihren Sparbeitrag leisten muß. zwischen haben Sie es mehrfach wiederholt –: „Durch- mogeln hilft nicht mehr.“ Wenn ich mir jetzt Ihren (Dirk Niebel [F.D.P.]: Hört, hört!) Haushalt anschaue, kann ich Ihnen den Vorwurf nicht Es ist schon fast ein persönliches Anliegen von mir. Wir ersparen: Sie mogeln und tricksen! Es gibt Einsparungen Ostdeutschen erwarten von dem Zukunftspaket, daßin Milliardenhöhe, die nur eine Verlagerung vom Bund auch bei der Förderung der westdeutschen Steinkohleauf andere öffentliche Haushalte bedeuten. Es werden mindestens ein dreistelliger Millionenbetrag eingespart mehr als 5 Milliarden DM den Sozialversicherungen wird. Es kann nicht sein, daß die Steinkohlesubventio- aufgebürdet. Beim Wohngeld wird ein Milliardenbetrag nen entgegen den Entwicklungen in anderen Bereichen gestrichen. Dies alles geht zu Lasten der Kommunen. aufrechterhalten werden. Als diese Subventionen damals Dies ist wirklich nicht die feine Art, Herr Finanz- ausgehandelt wurden, herrschten andere Verhältnisse als minister. heute. Den Rentnern und Sozialhilfeempfängern sagen Weil Sie denken, daß Ihnen keiner auf die Schliche wir: Heute sind die Verhältnisse anders. Dies müssenkommt, machen Sie im bisherigen Stil munter weiter. wir jetzt auch den Bergleuten mitteilen. Da hilft nun al- Ich nenne das Stichwort globale Minderausgaben. Die les nichts. Kollegin Hermenau verwaltet ja nicht die ganz großen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sondern nur die kleineren Etats. Man wird in zwei Monaten, wenn die abschließende (Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beratung des Haushalts 2000 beginnt, sehen, ob sich die NEN]: Arbeit und Soziales hat sie!) Erwartungen von Bündnis 90/Die Grünen an diesenDa ist es möglich, daß sie – wie sie gesagt hat – alles bis Haushalt erfüllt haben. Auf jeden Fall bin ich schon jetzt auf die letzte müde Mark herunterrechnen kann. Aber sehr zufrieden und stolz darauf, daß es uns gelungen ist, ich bin gespannt, wie das im Verteidigungshaushalt und einen redlichen Haushalt aufzustellen. Das ist das erste in den anderen Etats aussehen soll. Mal, daß ich dies erlebe, obwohl ich schon seit fünf Jah- ren Bundestagsabgeordnete bin. Ich sage Ihnen folgendes: Im Sozialetat liegt die globale Minderausgabe bei 2,4 Milliarden DM. Beim Ich bedanke mich bei Ihnen. Verteidigungsetat ist es fast genauso viel. Das sind (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN große Positionen. Zählt man alle zusammen, betragen und bei der SPD) die globalen Minderausgaben 5,8 Milliarden DM. „Glo- bale Minderausgaben“ bedeutet doch wohl – wenn ich Sie in der bisherigen Haushaltsberatung richtig verstan- Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die F.D.P.den habe –: Eichel weiß noch gar nicht, wo er sparen spricht der Kollege Jürgen Koppelin. will. Das ist die Botschaft, die von diesen großen glo- balen Minderausgaben ausgeht. Sie paßt zu Ihrem Spar- paket. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Woche (Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. Dr. An- zum ersten Mal über den von Hans Eichel vorgelegten gela Merkel [CDU/CSU]) Haushalt beraten. Im Gegensatz zum „Zahlenkünstler“ Lafontaine haben wir es bei Herrn Eichel mit einem Mi- Ich möchte Sie auch daran erinnern, was Sie vor der nister zu tun, der sparen möchte. Das ist nichts Schlech- Wahl alles den Bürgern versprochen haben, nämlich tes. Das ist ehrenwert und eigentlich auch die Aufgabe soziale Sicherheit und Gerechtigkeit, den Abbau der des Finanzministers. Es ist richtig, wenn Herr EichelArbeitslosigkeit – dazu habe ich von Ihnen bisher wenig sagt, daß Einsparungen vorgenommen werden müssen gehört – und die Erhöhung der Renten. Das waren Ihre und der Haushalt entlastet werden muß, damit wir zu-Hauptversprechen. Den Bürgern wurde das Gefühl ver- künftig Entscheidungsspielräume haben und zukünftige mittelt, für all diese Wohltaten sei genug Geld vorhan- Generationen nicht belasten. So weit, so gut. den. Haben Sie mit Ihren Haushältern vorher nie gespro- chen? Gerechtigkeitslücken wurden von der SPD aus- Sie, Herr Finanzminister, haben dann aber etwas ge- gemacht. Diese Lücken wollten Sie durch Ihre Umver- sagt – darauf ist auch schon Frau Merkel eingegangen –, teilungspolitik schließen. So waren Ihre Aussagen vor das ich nicht akzeptieren kann: Wie können Sie der alten der Wahl. Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. Vorwürfe über de- ren Haushaltspolitik machen? Ich glaube, daß diese Nun spricht der Bundesfinanzminister von Eigenver- Politik gar nicht so schlecht gewesen sein kann. Sie ha- antwortung, Risikobereitschaft und Selbstvorsorge. Dies ben nach der Regierungsübernahme ja alle politischen muß man loben; denn das sind alles Begriffe, Herr Beamten – das kritisiere ich nicht – ausgewechselt. Aber Finanzminister, die den Liberalen nicht fremd sind. Aber den Staatssekretär, der Herrn Waigel bei der Aufstellung als wir damals von diesen Dingen gesprochen haben, seiner Haushalte beraten hat, haben Sie behalten. Da-wurden wir von der SPD-Fraktion mit Begriffen wie für müssen Sie doch Gründe gehabt haben. Ich vermute „Neoliberalismus“ und „soziale Kälte“ bedacht. Dies 5062 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Jürgen Koppelin (A) waren Ihre Schlagworte. Trotz dieser Vorwürfe haben Einen weiteren Satz von Herrn Struck will ich Ihnen(C) wir nie eine Politik der sozialen Kälte verfolgt. Sie ver- nicht vorenthalten, auch wenn sie ihn kennen: folgen eine solche Politik. Was die F.D.P. in der Steuerpolitik vorschlägt, ist (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- doch völlig richtig. ten der CDU/CSU – Widerspruch bei der (Beifall bei der F.D.P. – SPD) [F.D.P.]: Hört! Hört!) Herr Struck hat recht. Ich kann ihn nur auffordern, seine Der Bundeskanzler hat auch in dieser Debatte das Anstrengungen in diese Richtung fortzuführen. Wir, die Sparpaket, aber auch sogenannte Reformen seiner Re- Freien Demokraten, werden ihn dabei selbstverständlich gierung als „von historischer Tragweite“ bezeichnet. gern unterstützen. Welche Reformen meint er denn? Spricht er von der verkorksten Reform zur Scheinselbständigkeit? Spricht Mit unserem Konzept wird etwas für Deutschland ge- er von der verkorksten Reform zu den 630-Mark-Jobs? schaffen, was von enormer Bedeutung ist. Das hat Herr Spricht er von der verkorksten Ökosteuer, die überhaupt Struck erkannt. Mit unserem Konzept werden die Bürger keine Ökosteuer ist? Spricht er von den rotgrünen Ren- entlastet, es werden Arbeitsplätze geschaffen – ich finde, tenplänen? Hat all dies historische Tragweite? – Ja, in in dieser Haushaltsdebatte haben wir darüber viel zuwe- dem Punkt hat er recht: Das hat historische Tragweite. nig gesprochen – und unser Steuerrecht wird vereinfacht. Es sind allesamt Anschläge auf die Bürger und Hinzu ihr kommt etwas, was Sie uns vielleicht gar nicht zu- schwerverdientes Geld. Das hat es in dieser Form bisher trauen: Auch wir wollen den Abbau von Vergünstigungen nicht gegeben; insofern ist es historisch. und den Abbau von Subventionen betreiben. Würde un- ser Steuerkonzept umgesetzt, dann wäre das gerecht. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der F.D.P.) ten der CDU/CSU) Die Umsetzung eines solchen Steuerkonzepts würde Dazu paßt die Diskussion in der SPD-Fraktion zu die- dazu führen, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie nicht sem sogenannten Sparpaket, die wir in der Sommer- so stark streichen müßten, weil die Einnahmen kräftig pause erlebt haben. Bei einem so unausgewogenen, teil- sprudelten, ohne daß Sie Steuererhöhungen vornehmen weise richtig chaotischen Paket des Finanzministers ver- müßten. Das ist der entscheidende Punkt. Durch dieses stehe ich das. Ein vielstimmiger Chor von sozialdemo- Konzept würde die Abgabenlast der Bürger reduziert, kratischen Überzeugungstätern versucht sich in Forde- und die Unternehmen würden entlastet. Für die Unter- rungen, Vorschlägen, Rücknahmen dieser Vorschlägenehmen würden Anreize geschaffen, mehr Menschen in und Dementis. Lohn und Brot zu bringen. In Ihrem Haushalt besteht (B) das Problem, daß Sie unglaublich viel Geld wegen der(D) Wenn der Bundeskanzler im Plenum des Bundestages großen Zahl an Arbeitslosen ausgeben müssen. Wir erklärt, die Koalition stehe hinter dem Sparpaket – ich müssen die Zahl der Arbeitslosen senken, damit es die nehme einmal an, das ist so –, dann sagen Sie doch bitte entsprechenden Einsparungen gibt. den Kolleginnen und Kollegen vor allem der SPD- (Beifall bei der F.D.P.) Fraktion, daß sie auch in den Wahlkreisen dazu stehen sollen. Bis jetzt mußte ich jede Woche in irgendeinem Entscheidend ist: Wenn Sie die Steuern radikal sen- Wahlkreis von irgendeinem SPD-Abgeordneten lesen, ken, dann werden Menschen eingestellt und dann haben daß er gegen dieses Paket und deshalb gegen die Politik die Unternehmen die Möglichkeit, Gewinne zu erzielen des Bundeskanzlers sei. Ihre Kollegen sollen in denund wieder zu investieren. Vor allem sprudelt dann die Wahlkreisen dazu stehen. Wenn das geschieht, dannSteuerquelle. Andere Länder haben uns das vorgemacht. wird unser Geschäft als Opposition, mit diesen Abge- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ordneten über das Sparpaket zu diskutieren, etwas einfa- ten der CDU/CSU) cher. Wenn wir während der Debatte der letzten Tage ge- sagt haben, die Grünen und vor allem die SPD hätten in (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- der letzten Legislatur jede Möglichkeit eines Steuer- ten der CDU/CSU) kompromisses verhindert, dann haben Sie das immer Während des Sommertheaters hatte ein richtigerbestritten. Die Kollegin Hermenau hat eben vom Berg- Knüller Uraufführung. Ich meine die Äußerungen desbau gesprochen. Ich möchte Ihnen ein Zitat des damali- SPD-Fraktionsvorsitzenden Struck. Er hat laut über das gen SPD-Fraktionsvorsitzenden aus Steuersystem nachgedacht. Herr Finanzminister, diedem Jahre 1997 vorlesen – es ist gerade zwei Jahre alt; Diskussion um das Sparpaket allein reicht nicht. Diees gibt bergeweise Aussagen von Sozialdemokraten, Diskussion um die steuerlichen Rahmenbedingungen warum sie die Steuerreform verhindert haben –: kam dazu. Herr Struck ist zu ganz tollen Erkenntnissen Für meine Partei gibt es derzeit Wichtigeres als die gekommen. Ich zitiere ihn wörtlich: Steuerverhandlungen mit der Koalition. – Das waren damals wir. – Ich glaube nicht, daß die alte Position einer Arbei- terpartei, von den Reichen nehmen, um es den Ar- Eine Fortsetzung der Steuergespräche kommt erst men zu geben, die Politik in unserer modernen Ge- in Frage, wenn die Zukunft des Bergbaus ohne be- sellschaft ist. triebsbedingte Kündigungen gesichert ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5063

Jürgen Koppelin (A) Man muß sich einmal vorstellen, auf welchem NiveauIhnen das, falls Sie nicht wissen, wovon ich rede – das(C) damals gesprochen wurde. Solche Vermischungen ha- Schröder-Blair-Papier beinhaltet. Das sind die richti- ben Sie vorgenommen. gen Rahmenbedingungen. Warum ist die Koalition nicht bereit, über das Papier, das von Ihrem Bundeskanzler Der Bundeskanzler hat in der Debatte gesagt: Wirkommt, und, was Sie ja zugeben, in großen Teilen von ziehen unser Programm jetzt so durch, und die Koalition der F.D.P. abgeschrieben ist, auch mit uns, der F.D.P., steht dazu. Herr Bundesfinanzminister, ich frage mich, zu diskutieren? Wir sind dazu bereit; denn das, was in was Ihr Wort überhaupt wert ist, wenn Sie der Oppositi- diesem Papier steht, ist vollkommen in Ordnung. on Gespräche anbieten. Was stimmt denn? Ziehen Sie Ihr Vorhaben durch, oder wollen Sie mit uns wirklich (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Gespräche führen? Wir sind zu Gesprächen bereit. ein Papier für die Parteiarbeit und nicht für den Bundestag! Typisch Koppelinscher Un- Herr Finanzminister, Ihre heutige Rede hat ebenso sinn!) wie Ihre Einbringungsrede gezeigt, daß Sie Ehrenmit- glied des PEN-Clubs werden sollten: Ich habe lang nicht – Wir werden es in die Diskussion um den Haushalt ein- mehr so viel Lyrik in Reden gehört wie bei Ihnen. bringen. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das Ich freue mich auf die Haushaltsberatungen. Aber, müssen gerade Sie sagen! Ausgerechnet aus Herr Eichel, kommen Sie nicht nur mit Ihrem Konzept. Ihrem Munde!) Wenn Sie wirklich gesprächsbereit sind, dann lassen Sie uns beispielsweise über die Steuerreform und auch ein- Sie sind nicht konkret geworden, Sie sind nicht auf die mal über das Schröder-Blair-Papier reden. Ich bin ge- Fakten eingegangen. Warum sagen Sie nicht, das Kon- spannt, was Sie zu diesem Papier sagen und ob Sie unse- zept sei ganz furchtbar, aber als Finanzminister müßten rem Antrag, dem Schröder-Blair-Papier, dazu zustim- Sie Einschnitte machen, auch wenn es Ihnen leid tue?men werden. Dann könnten Sie auch in aller Deutlichkeit sagen, wen Sie schröpfen und wo Sie abkassieren. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Sie bedienen sich bei der Landwirtschaft, womit Sie es sich sehr einfach machen, weil die Landwirte keine (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Chance haben, ihre Produkte zu ändern oder ins Ausland zu gehen. Die Landwirtschaft können sie kräftig schröp- fen. Sie schröpfen die Bundeswehr, Sie kassieren beim Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die PDS spricht Meister-BAföG, Sie kassieren beim Wohngeld. Sie kas- der Kollege Uwe-Jens Rössel. sieren sogar bei den sozialen Verbänden in Deutschland, (B) (D) weil Sie sich von denen den Zivildienst künftig bezahlen lassen. Das muß man sich einmal vorstellen: Manchmal Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Herr Präsident! Liebe waren wir doch froh, daß überhaupt ZivildienststellenKolleginnen, liebe Kollegen! Im Koalitionsvertrag heißt von den Sozialverbänden geschaffen wurden. Ich bines: fest davon überzeugt, daß es da einen Rückgang geben wird. Der Schlüssel zur Konsolidierung der Staatsfinan- zen ist die erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslo- Sie streichen bei der Forschung. sigkeit sowie eine sparsame Haushaltspolitik, die Spielräume erst für Zukunftsinvestitionen eröffnen (Jörg Tauss [SPD]: Was?) kann. Sie nehmen das BaföG aus dem Bundeshaushalt heraus. (Zuruf von der SPD: So ist es!) Das tollste Ding ist, daß derBGS als Bahnpolizei künf- tig von der Bahn AG bezahlt werden soll. Ich will jetzt Wie hat die Bundesregierung diesen selbstgestellten nicht sagen, daß der BGS zu einer Söldnertruppe wird. Anspruch beim Haushaltsentwurf 2000 erfüllt? Gewiß, Aber eines frage ich mich wirklich, Herr Eichel: Warum manches ist positiv und wird auch von der PDS unter- lassen sie sich dann nicht auch von den Bundesligaver- stützt. Ich nenne beispielhaft das fortgeführte Programm einen den BGS-Einsatz bezahlen? für 100 000 Lehrstellen, das neu initiierte Programm für die Förderung regionaler Investitionen. Auch die Anhe- (Beifall bei der F.D.P.) bung des Kindergeldes ist ein Schritt in die richtige Sie wälzen Milliardenbeträge auf die Kommunen ab. Richtung. Damit rede ich gar nicht einmal von dem Verkauf der Herr Finanzminister, wenn Sie aber behaupten, die Eisenbahnerwohnungen; in diesem Zusammenhang gibt PDS erkenne nicht die Notwendigkeit vonHaushalts- es ja noch ein Loch in Ihrem Haushalt. Dies alles zeigt, konsolidierung an, dann sprechen Sie nicht die Wahr- daß Sie sich nur durchmogeln. Ihr Etat ist wirklich nicht heit. Selbstverständlich erkennen wir diese Notwendig- seriös. keit angesichts von Zinszahlungen auf die Bundesschuld Nun möchte ich darauf zurückkommen, daß Sie uns in Höhe von jährlich 82 Milliarden DM aus Steuergel- aufgefordert haben, unsere Alternativen vorzulegen. Wir dern an; das ist unbestritten. Aber über das Wie dieser haben unsere Alternativen vorgelegt, und zwar nicht nur Haushaltskonsolidierung müssen wir heute sprechen; ein Steuerkonzept. Wir von der F.D.P. haben auf Druck- das ist unser Kritikpunkt. Darauf muß sich die Debatte sache 14/1132 einen Antrag eingereicht, der – ich sage konzentrieren. 5064 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Dr. Uwe-Jens Rössel (A) Sie setzen an die Stelle einer dringend notwendigen Wählerinnen und Wähler können sich tagtäglich davon (C) gesamtwirtschaftlichen Perspektive für mehr Beschäfti- überzeugen. gung, für soziale Gerechtigkeit, für einen ökologischen Umbau, für die Stärkung des Mittelstandes sowie der (Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Finanzkraft der Kommunen in vieler Hinsicht schädliche Wir geben aber das Geld!) Sparwut. Sie brechen damit in hohem Maße Wahlver- Staatsminister Schwanitz, der heute von den eigenen sprechungen Ihrer Partei. Reihen gelobt worden ist, führt, so meinen wir, im Bun- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: deskanzleramt nicht nur räumlich, sondern auch, was Quatsch!) sein Budget und seine Kompetenzen betrifft, ein Mauer- blümchendasein. Bundesfinanzminister Eichel beeinträchtigt mit seiner Sparbesessenheit Wachstum und Beschäftigung. Für ihn (Beifall bei der PDS) ist nicht mehr der Abbau der Massenarbeitslosigkeit das Die PDS-Fraktion wiederholt den Vorschlag, daß die größte gesellschaftliche Problem, sondern der Abbau der Bundesregierung zehn Jahre nach dem Mauerfall end- Staatsverschuldung. lich einen Plan zur Angleichung der Lebensverhältnisse Dem namhaften Ökonomen Hickel ist zuzustimmen, in Ost und West vorlegen soll. wenn er heute im „Handelsblatt“ schreibt, daß staatliche (Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schulden von Hans Eichel als Erblast für Kinder und NEN]: Einen Fünfjahresplan!) Enkel stigmatisiert würden, dabei aber völlig vergessen werde, daß Haushaltskonsolidierung ausschließlich über Zehn Jahre sind verstrichen, und dieser Plan gehört auf Ausgabenreduzierung insbesondere die sozial und finan- den Tisch der Öffentlichkeit. ziell Schwachen treffe. (Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: (Beifall bei der PDS) Zehn Jahre gehen nicht auf unser Konto!) Ausgerechnet Zukunftsbereiche wie Infrastruktur, Um- Auch wenn Kanzler Schröder von großzügiger Mit- welt, Forschung und Entwicklung, aber auch Kultur und telstandförderung spricht, ist dabei viel heiße Luft. Die Entwicklungshilfe kommen im Budget viel zu kurz. für das Jahr 2001 angekündigteKörperschaftsteuerre- form kommt bekanntlich Kapitalgesellschaften zugute. Der Haushaltsentwurf von Hans Eichel zementiertIn Deutschland sind aber rund 85 Prozent der Unter- soziale Ungerechtigkeiten, anstatt sie abzubauen. nehmen davon nicht betroffen, weil sie Einzelunterneh- men bzw. Personengesellschaften sind. Wem also dient (Zuruf von der SPD: Das ist ja Quatsch! Das (B) die Steuersenkung? (D) ist völlig dummes Zeug!) Die PDS, Herr Bundesfinanzminister Eichel, hat eben Er ist nicht nur eine Fortsetzung neoliberaler Politik in nicht nur den Bundeshaushalt, sondern alle öffentlichen den Farben von Rotgrün – wenn auch mit anderer Rhe- Haushalte, Bund, Länder und Gemeinden, gleicherma- torik, das erkennen wir an –, sondern er leitet einen Sy- ßen im Blickfeld. Diesen Blick habe ich bei Ihnen – stembruch in der Finanzierung der sozialen Sicherungs- trotz rhetorischer Beteuerungen – vermißt. systeme ein, der für uns nicht hinnehmbar ist. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Drei Tage haben wir uns Im Rahmen des sogenannten Sparpakets sollen – dar- bemüht, und Sie haben nichts kapiert!) über ist gesprochen worden – im nächsten Jahr minde- stens 3,5 Milliarden DM Ausgaben vom Bund auf die Auch die Rentenreform, nach der die Entwicklung Kommunen verlagert werden, nach dem Motto: Seht, der Renten zumindest für zwei Jahre nicht mehr an die wie ihr damit zurechtkommt. Denn es gibt keinen fairen der Nettolöhne, sondern an die Preissteigerungsrate ge- Ausgleich. Das belegen Sie auch heute in dieser Debat- koppelt wird, stellt einen eindeutigen Bruch von Wahl- te. versprechen dar. Die Rentenzahlung nach Kassenlage, wie sie die Herren Riester und Eichel jetzt praktizieren Ein Beispiel. Die ohnehin von argen Finanzsorgen wollen, nimmt zugleich den heutigen und den künftigen geplagte Viertelmillionenstadt Halle an der Saale müßte, Rentnerinnen und Rentnern in Ostdeutschland die Chan- würde Ihr Sparpaket so angenommen – was wir alle ce auf eine Angleichung ihrer Altersbezüge an das Ni- nicht wollen –, im nächsten Jahr mit Zusatzbelastungen veau im Altbundesgebiet. in einer Höhe von 25 Millionen DM rechnen. Darunter zu leiden hätten viele von der Stadt Halle zu erfüllende Oder nehmen wir dieWohngeldreform. Sie ist soziale Projekte, soziale Vereine und selbstverständlich längst überfällig, wurde aber von CDU/CSU und F.D.P. auch die städtischen Investitionen. über Jahre hinaus verschleppt und wird nun von der jet- zigen Regierung erneut in das nächste Jahr verschoben. Notwendig ist eine sofortige umfassende Reform der Kommunalfinanzierung, für die die PDS einen Antrag Der Haushaltsentwurf der Regierung gibt in Zahlen eingebracht hat, der in der nächsten Sitzungswoche be- unbestechlich wieder, daß Bundeskanzler Schröder den raten wird. Aufbau Ost eben doch nicht zur Chefsache macht. In der PDS ist der Aufbau Ost tatsächlich Chefsache. Die (Beifall bei der PDS) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5065

Dr. Uwe-Jens Rössel (A) Erforderlich sind vor allem dauerhaft sprudelnde Steuer- dienen der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost(C) einnahmen, die Ausreichung einer kommunalen Investi- und West. Wir bitten, auch in eine Debatte zu diesen tionspauschale sowie die Entlastung der Kommunen von Fragen einzutreten. Ausgaben, für die sie nicht verantwortlich sind, zum Beispiel für die Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit. Danke schön und schönes Wochenende. (Beifall bei der PDS) Die PDS hat selbstverständlich Alternativen. Ich nen- ne nur stichpunktartig einige: Verabschieden Sie sich sofort von Prestigeobjekten, Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die SPD- die Milliardengräber werden, wie demEurofighter. Er Fraktion spricht nun der Kollege Hans Georg Wagner. soll bis zum Jahre 2014 immerhin Steuergelder in Höhe von 20 Milliarden DM verschlingen; dieser Betrag liegt Hans Georg Wagner (SPD): Herr Präsident! Meine um das 20fache höher, als der Haushalt des Bundesum- sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Restverbliebe- weltministers 2000 umfaßt. Verabschieden Sie sich vom ne hier im Raum! Milliardengrab Transrapid konsequenter, als es Franz Müntefering heute nacht in der Debatte gemacht hat, in- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Immer noch dem er ein abgespecktes Projekt ankündigte. besser Restverbliebene als Hinterbliebene!) Nutzen Sie die gesetzlich verbrieften Möglichkeiten, Die anderen haben das schöne Wochenende, das Jürgen um von Zinslasten zumindest teilweise herunterzu- Koppelin uns gewünscht hat, schon; wir haben es noch kommen. Warum wurde das Niedrigzinsniveau der Ver- nicht, werden es aber auch noch bekommen. Nachdem gangenheit nicht auch über Zins-Swapgeschäfte festge- ich die Debatte über drei Tage meistens hier im Saal schrieben? Da offenkundig am Kapitalmarkt die Zinsen verfolgt habe, ist mir in Anlehnung an das Neue Testa- weiter im Steigen begriffen sind, dürfte es jetzt erhebli- ment ein Wort dazu eingefallen: Herr, vergib ihnen, che zusätzliche Belastungen für den Bundeshaushalt ge- denn sie wissen immer noch nicht, was sie angerichet ben. Hans Eichel schweigt sich darüber aus. haben. Die Wiedereinführung einer Vermögensteuer auf re- (Beifall bei der SPD) formierter Bemessungsgrundlage könnte mehr als 9 Etwas weiteres möchte ich feststellen, Herr Präsident: Milliarden DM in die Haushaltskassen spülen. Wir hof- Die Klimaanlage im Plenarsaal funktioniert; denn die fen immer noch, daß sich in der SPD-Fraktion diejeni- ganze heiße Luft, die die Opposition in den letzten drei gen durchsetzen, die sich schon in der Vergangenheit für Tagen produzierte, hat nicht zu einer spürbaren Anhe- eine Wiedereinführung der Vermögensteuer stark ge-bung der Raumtemperatur geführt. Das ist wenigstens (B) macht haben. etwas Erfreuliches. (D) (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der SPD – Dr. Uwe-Jens Rössel Auch die Reformierung der Erbschaftsteuer steht auf [PDS]: Haben Sie nachgemessen?) der Tagesordnung; genauso die seit Jahren überfällige Nun zu den Punkten, die genannt wurden; Alternati- Abschaffung der noch auf Franz Josef Strauß zurückge- ven sind ja keine aufgezeigt worden: henden Steuerbefreiung für Flugbenzin. Deutliche Mehreinnahmen wären dadurch erzielbar; Finanzmi- Frau Merkel brachte den obskuren Vorschlag, die nister Eichel schweigt sich auch darüber aus. Steinkohlesubventionen abzubauen, obwohl das die einzige Subvention ist, die vertraglich geregelt im Laufe Zum Schluß frage ich, warum nicht Banken, Versi- der Jahre zurückgeführt wird. cherungen und Industriekonzerne, die mit zweistelligen Gewinnzuwächsen aufwarten und sich immer stärker (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Bartho- dem Shareholder Value verpflichtet fühlen, durch eine lomäus Kalb [CDU/CSU]: Die Kollegin Her- Vermögensabgabe zur Finanzierung von Aufgaben des menau von Ihrem Oppositionspartner fordert Gemeinwohls beitragen sollten. Wir meinen, daß dafür das auch!) die Zeit längst reift ist. – Sie kenne ich ja. Ihre Forderungen werden nicht (Beifall bei der PDS) Wirklichkeit werden. Ich habe mit ihr ja schon des öfte- ren darüber Diskussionen geführt. All das und weiteres zeigt, daß es realistische Alter- nativen und einen anderen Weg zur Haushaltskonsoli- Die Kollegin Hermenau hat jedoch recht, daß Herr dierung in diesem Hause gibt, Herr Finanzminister. Bitte Eichel, wenn man alle Subventionen in der Form wie nehmen Sie dies von der PDS zumindest zur Kenntnis. bei der deutschen Steinkohle abbauen würde, im Jahr 170 Milliarden DM mehr in seiner Kasse hätte. Das ist die Wahrheit. Vielleicht kann man auch einmal Ihren Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege, ich Oberbefehlshaber aus München einladen, herzukommen bitte Sie, zum Schluß zu kommen. und sich nicht vor den Debatten zu drücken. Dann könnte er hier verkünden, daß er in der Landwirtschaft die Subventionen in ähnlicher Weise abbaut wie im Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Diese PDS-Alterna- Steinkohlebergbau. tiven – das ist mein letzter Satz – fühlen sich der Förde- rung von Wachstum und Beschäftigung verpflichtet. Sie (Beifall bei der SPD) 5066 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

Hans Georg Wagner (A) Ich habe übrigens heute morgen, Herr Kollege Kalb, – Frau Schwaetzer, schwätzen Sie mal nicht so viel und (C) dem bayerischen Ministerpräsidenten etwas Entlastung hören Sie besser zu! verschafft. Ich habe nämlich einen Brief an den Bundes- rechnungshof mit der Bitte unterschrieben, daß er ein- Die Hälfte der Panzer, die im Kosovo standen, mußte mal den Verkauf der Bundesanteile an der bayerischen ausgeschlachtet werden, damit die andere Hälfte über- Wohnungsbaugesellschaft LWS untersuchen soll. Beihaupt fahren konnte. Als sie fahrtüchtig war, hat man diesem Störverkauf ist ja auch der Kollege Waigel be- gemerkt, daß gar keine Munition bestellt worden war. teiligt gewesen. Auch der Kollege Oswald, der erst drei Beim Beschaffungswesen der Bundeswehr herrscht ein Tage Bauminister war, hat dabei mitgemacht. Wir wol- absolutes Chaos. Das muß auf gesunde, neue Füße ge- len jetzt einmal die Stellungnahme des Bundesrech-stellt werden. nungshofes dazu abwarten: Vielleicht wird der bayeri- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sche Ministerpräsident dadurch ja etwas entlastet. Diese DIE GRÜNEN) Sache wurde jetzt auf einen guten Weg gebracht. Herr Glos hat hier gestern erklärt, wir seien Gefange- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Bartho- ne von Interessenkartellen. lomäus Kalb [CDU/CSU]: Das interessiert ihn sicher!) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ausge- rechnet! – Weiterer Zuruf von der SPD: Da Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen machen. kennt er sich aus!) Das Stichwort Verkehrspolitik wurde eben genannt. Der Kollege Eichel hat es schon einmal gesagt: DasIch sage: Wir sind einem Interessenkartell sehr verbun- größte Lügenbuch der Nation ist der von Ihnen verab-den. Wir versuchen nämlich, das Sozialprogramm der schiedete Bundesverkehrswegeplan. Das ist das größte beiden großen deutschen Kirchen umzusetzen. Sie haben Lügenbuch in Deutschland. Ihnen ja ins Stammbuch geschrieben, wie vernichtend Ihre Familienpolitik und Ihre Arbeitsmarktpolitik war. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Nicht nur das Bundesverfassungsgericht – auch ein In- DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Dr. Irmgard teressenkartell – hat sich dazu geäußert. Das, was das Schwaetzer [F.D.P.]) Gericht zum Familienlastenausgleich gesagt hat, setzen Sie – auch Sie, Frau Schwaetzer – haben den Leuten wir um. Auch dem Interessenkartell Bundesverfas- in den neuen und in den alten Ländern permanent er-sungsgericht versuchen wir gerecht zu werden. Ich weiß zählt: Die Straße wird gebaut. Die Ortsumgehung wird nicht, was Sie wollen und wen Sie meinen, meine Da- entstehen. Dies und jenes wird passieren. – Passiert ist men und Herren jedoch gar nichts, weil das alles hoffnungslos, nämlich (Beifall bei der SPD) (B) um 70 Milliarden DM, unterfinanziert ist. (D) Also, die großen Kirchen sind nach Auffassung von (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herrn Glos Interessenkartelle. Wir wollen sie unterstüt- Es dauert bis zum Jahre 2050, bis die letzte Ortsumge- zen. hung gebaut werden kann. Vorhin sind die 30 Milliarden DM genannt worden, (Dr. [F.D.P.]: Das sagt ihr die Lafontaine draufgelegt und Eichel wieder herunter- doch nur, weil ihr Probleme mit den Grünen genommen hat. Ich will das einmal aufschlüsseln, damit habt!) Sie es kontrollieren können und es auch glauben, meine – Überhaupt nicht. Wenn Sie wüßten, wie eng wir mit- Damen und Herren. einander befreundet sind, dann würden Sie so etwas Die Steuereinnahmen waren auf Grund der Wachs- nicht sagen. – Ich sage nur eines: Sie haben den Leuten tumsraten mit 3 Milliarden DM zu hoch angesetzt. in den neuen Ländern vorgegaukelt, Sie würden etwas realisieren, was einfach nicht realisierbar ist. Das ist nun (Zuruf von der CDU/CSU: Das schlechte Ge- einmal die Wahrheit. Ich bin froh, daß die jetzige Bun- wissen!) desregierung dabei ist, den Bundesverkehrswegeplan an Die Ausgaben für den Arbeitsmarkt waren mit die Realität anzupassen. 7 Milliarden DM zu niedrig angesetzt. Die Gewährlei- (Beifall bei der SPD) stungsrisiken – diese sind, insbesondere was osteuropäi- sche Staaten angeht, nicht zu leugnen – wurden völlig Thema Bundeswehr. Ich verstehe die Welt nichtignoriert: 3 Milliarden DM. mehr, muß ich Ihnen sagen. Eben hat Frau Merkel ge- sagt, daß die klassische Sicherheitspolitik nicht mehr Für die Haushaltsnotlage des Saarlandes und Bre- benötigt werde. Dafür bräuchte man mehr Entwick-mens wurden nicht 3 Milliarden DM angesetzt, obwohl lungshilfepolitik. Gestern wurde Herr Scharping be-dazu nach einem Gerichtsurteil eine Verpflichtung be- schimpft, er mache die Bundeswehr kaputt. Tatsache ist, stand. Der gesetzlichen Verpflichtung, zum Beispiel den daß die Ausstattung der Bundeswehr unter aller Kanone Kohlekompromiß oder den Zuschuß zum Bundeseisen- ist. Das ist Ihre Schuld und nicht die Schuld der jetzigen bahnvermögen mit 2 Milliarden DM zu berücksichtigen, Regierung. Hier müssen wir einen Scherbenhaufen be- wurde nicht Rechnung getragen. seitigen. Zwangsläufig nicht berücksichtigt – das konnten Sie (Zuruf der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer nicht wissen – waren die Belastungen durch den Koso- [F.D.P.]) vo-Einsatz in Höhe von 2 Milliarden DM und durch das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5067

Hans Georg Wagner (A) Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Familienla- was Sie letztes Jahr getan haben. Angesichts dessen(C) stenausgleich in Höhe von 1,5 Milliarden DM. sprechen Sie noch von Kürzungen! Letztlich sind Sie dann mit den 10 Millionen DM, die (Beifall bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer ohnehin als Defizit im Haushalt von Herrn Waigel vor- [F.D.P.]: Sie kennen ja den Mechanismus gar handen waren, exakt bei den 30 Millionen DM. nicht!) (Zurufe von der SPD: Milliarden!) Sie sollten sich schämen, die Menschen so zu belügen. Sie haben zwar Erfolge. – Dies gilt nicht für die F.D.P. – Milliarden. Wenn es Millionen wären, dann wäre das Deutschland ist mittlerweile fast F.D.P.-frei. Es wird so herrlich, das wäre ein Taschengeld. – Das sind die 30weitergehen, daß sie aus den Parlamenten ausscheidet. – Milliarden DM, die wir im Haushalt 1999 drauflegenDie Frage aber ist, warum Sie die Menschen in dieser mußten. Form belogen haben. Jetzt kommt der echteSparhaushalt in einer Grö- ßenordnung von 30 Milliarden DM, weil wir unsere Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege Wag- Handlungsfähigkeit zurückgewinnen wollen, damit un- ner, es ist außerordentlich schwierig, Sie zu unterbre- sere Jugend, unsere Kinder und Enkelkinder eine Bil- chen. Es gibt zwei Kollegen, die einen Fragewunsch ha- dung erfahren, die Sie fit macht für die künftig globali- ben. Ich frage Sie, ob Sie Fragen zulassen. sierte Welt. (Beifall bei der SPD) Hans Georg Wagner (SPD): Nachdem man mich Wir müssen Handlungsspielraum zurückgewinnen. gebeten hat, nicht so lange zu reden, wie mir Redezeit Die 30 Milliarden DM sind keine einmalige Veranstal- eingeräumt wurde, verstehe ich nicht, warum jetzt noch tung. Das geht beim nächsten Haushalt weiter so, bis zu Fragen gestellt werden. Aber wir können das gerne tun. den 50 Milliarden DM im Jahre 2003. Da müssen wir hinkommen, weil die Nettokreditaufnahme dann bei 30 Vizepräsident Rudolf Seiters: Als erstes, Frau Milliarden DM liegen soll. Sie soll in der nächsten Le- Christa Luft, bitte. gislaturperiode auf Null zurückgeführt werden, denn nur dann, wenn erreicht ist, daß Investitionen aus den Steu- ereinnahmen finanziert werden können und nicht mehr Dr. Christa Luft (PDS): Herr Kollege Wagner, ich über Kredite finanziert werden müssen, entspricht derfrage, und Sie können Ihr Herz jetzt einen Moment aus- Haushalt dem Grundsatz der Klarheit und Wahrheit. ruhen lassen. – Ich bin vorhin, als der Bundesfinanzmi- nister gesprochen hat, leider verhindert gewesen. Ent- (Beifall bei der SPD) (B) schuldigen Sie bitte, daß ich jetzt dem haushaltspoliti-(D) Ich möchte einmal einige Zahlen nennen – sie sindschen Sprecher der SPD-Fraktion diese Frage stelle. für die Zuschauer und Zuschauerinnen vielleicht interes- Herr Kollege Wagner, können Sie ausschließen, daß sant –: Mit dem Ende der heutigen Sitzung hat Hans zur Senkung der Zinslast – ich wollte Sie zu dem Stich- Eichel für die letzten drei Tage 660 Millionen DM für wort Zinslast fragen; mittlerweile sind Sie schon bei ei- Zinsen an die Banken überwiesen. Diese Zahl und die nem weiteren Punkt angekommen – alle seriösen Mög- Gesamtverschuldung in Höhe von 82 Milliarden DM lichkeiten ausgeschöpft worden sind, um zum Beispiel verdeutlichen, daß wir das Ruder dringend herumwerfen durch Zinsswapgeschäfte Erleichterungen zu bewirken? müssen. Ich persönlich bin keine euphorische Verfechterin von Stichwort Renten. Ich habe mich gewundert, wie hier Zinsswapgeschäften. Aber angesichts der Tatsache, daß die Menschen belogen und – das füge ich heute hinzu – wir jetzt, um die Zinslast zu senken, tiefe Sozialein- um ihre Rente betrogen worden sind. Im Jahre 1995schnitte vornehmen müssen, fange ich an, zu überlegen, stieg die Preissteigerungsrate um 1,7 Prozent. Sie haben ob man dieses Instrument nicht tatsächlich einführen die Renten nur um 0,5 Prozent erhöht, den Rentnerinnen sollte. Im Fonds Deutsche Einheit sind Kredite zusam- und Rentnern also 1,2 Prozent vorenthalten. mengefaßt worden, die in einer Hochzinsphase, nämlich 1990 bis 1992, aufgenommen worden sind. Mit 8 bis (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Weil die 9 Prozent stehen sie heute noch in den Büchern. Arbeitnehmereinkommen auch nicht höher ge- stiegen sind! – Bartholomäus Kalb [CDU/ (Zurufe: Frage!) CSU]: Das ist doch Rabulistik!) – Ich habe gefragt, ob er ausschließen kann, daß diese Im Jahre 1996 betrug die Preissteigerungsrate 1,4 Pro- Möglichkeiten genutzt worden sind. Dazu will ich noch zent. Ihre Rentenanpassungen betrugen 0,95 Prozent. Im eine Erklärung geben. Jahre 1997 betrug die Preissteigerungsrate 1,9 Prozent. 1990 bis 1992 bestand ein Hochzinsniveau. Mittler- Ihre Rentenerhöhungen betrugen 1,65 Prozent. Im Jahre weile haben wir ein dauerhaftes Niedrigzinsniveau. Hof- 1998 betrug die Preissteigerungsrate 1 Prozent. Ihre An- fentlich bleibt es noch eine Weile dabei; eine Änderung passungen betrugen 0,44 Prozent. ist nicht abzusehen. Können Sie das also ausschließen, Durch Aussetzung Ihrer Kürzungsmaßnahmen haben oder gibt es nicht noch weitere Möglichkeiten, zum Bei- wir erreicht, daß die Renten nicht, wie bei Ihnen vor-spiel über Butterfly-Geschäfte, also über Geschäfte, bei gesehen, um 0,79 Prozent erhöht werden, sondern umdenen man keine Verträge kündigen muß, um solches zu 1,34 Prozent. Wir haben das Dreifache dessen gemacht, tun? 5068 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999

(A) Vizepräsident Rudolf Seiters: Frau Kollegin Luft, schaftspolitik, daß wir unterhalb des Durchschnitts der (C) ich glaube, Ihre Frage ist verstanden worden. Europäischen Union liegen. Also spielen Sie sich nicht so auf; denn es hat wirklich keinen Sinn. Hans Georg Wagner (SPD): Das war zwar keine Was Frau Merkel zurSteinkohle gesagt hat, ist ein Frage; aber ich sage: Ich schließe nichts aus. Es standAufruf zum Vertragsbruch. Das kann man nicht hin- alles auf dem Prüfstand. Warum dies nicht auch? nehmen. Es gibt zwischen Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und der Bundesregierung einen Vertrag, der noch von Ihnen abgeschlossen wurde. Bis zum Jahre Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege Kalb. 2005 tritt eine Halbierung der Subventionen für den Steinkohlenbergbau ein. Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Herr Kollege Ich muß Ihnen –, weil Sie eben so technologie- Wagner, würden Sie bestätigen, daß wir 1992 die Ren- freundlich geklungen haben, sagen: Wer gegen die tenreform mit Zustimmung der SPD beschlossen haben Steinkohle so wettert wie Sie – ich bin gespannt, was der und daß damals die Rentenformel so festgelegt worden werdende Ministerpräsident im Saarland demnächst ma- ist, daß sich der Rentenanstieg nach dem Anstieg derchen wird –, der sollte bedenken, daß daran Tausende Nettolöhne der Arbeitnehmer richtete? von Arbeitsplätzen im Zuliefererbereich hängen. Die Hochtechnologie Steinkohlenbergbau, Bergbautechnik Hans Georg Wagner (SPD): Das kann ich aus-und Steinkohlenkraftwerkstechnik, ist weltweit nachge- drücklich bestätigen. fragt und ein Wachstumsmarkt. Diesen wollen Sie ver- nichten, indem Sie sagen: Wir müssen den Steinkohlen- (Marita Sehn [F.D.P.]: Warum sagen Sie dann bergbau dichtmachen. – Ich sage das an die Adresse von so etwas?) Frau Merkel, damit Sie darüber nachdenken können. – Wenn wir aber in den nächsten beiden Jahren im Hin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) blick auf die Renten einen Inflationsausgleich zusagen, dann dürfen Sie nicht von Rentenkürzungen sprechen. Noch ein letzter Punkt: Es ist wieder behauptet wor- Was wir tun, ist ein Erhalt der Kaufkraft. Das sollten Sie den, daß der Titel für Forschung keine Zuwächse auf- wissen. wiese. Das ist falsch. Sie müssen sich nun wirklich ein- mal die Mühe machen, die mittelfristige Finanzplanung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ anzusehen. Das ist doch nicht so schlimm: Es ist ge- DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ druckt und kann in einer Minute gelesen werden. Im CSU und der F.D.P.) nächsten Jahr sind es allein bei Frau Bulmahn 735 Mil- (B) Im Zusammenhang mit diesen Dingen möchte ichlionen DM mehr. Hinzu kommt noch etwas für den(D) noch etwas sagen. Wie war das mit der Mineralölsteuer, Wirtschaftsminister, wie Sie wissen. die Sie um 50 Pfennig erhöht haben? Diese Beträge steigen ständig an, und zwar bis über (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sie lassen 1 Milliarde DM. Im Jahre 2002 werden es etwa 1,3 Mil- die Rentner nicht am Zuwachs der Arbeitneh- liarden DM sein. Das sind Steigerungsraten; das kann mer teilhaben!) ich erkennen. Aber Sie sagen: Nein, da ist wiederum nichts. – Deshalb müssen wir abwarten, was sich in den Wir haben das Kindergeld um 50 DM erhöht. Das haben Beratungen ergibt. Sie hier abgelehnt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Martia Sehn [F.D.P.]: Warum?) und bei der SPD) – Weil Sie es nicht wollten. Sonst hätten Sie ja zuge- Wir wünschen, daß wir im Haushaltsausschuß wie stimmt. immer sehr sachlich beraten. (Heiterkeit bei der SPD) (Marita Sehn [F.D.P.]: Wie immer!) Wir haben die steuerliche Freistellung des Existenz- – Sie waren doch noch nie im Haushaltsausschuß gewe- minimums angehoben. Wir haben den Eingangssteuer- sen, vielleicht einmal als Gast. Sie haben aber nicht ver- satz gesenkt. Dies alles ist ein Ausgleich für die Öko-standen, um was es da ging. Der Kollege Kalb oder der steuer. Sie haben damals die Mineralölsteuer eine um oder andere könnte es Ihnen sicherlich bestätigen, 50 Pfennig erhöht und haben keiner Rentnerin unddaß es dort wirklich sehr sachlich zugeht. keinem Rentner sowie keiner Familie auch nur einen Pfennig entgegengebracht. Das war Ihre Politik. Die Ich lade Sie zur Mitarbeit ein. Arbeiten Sie mit uns! haben wir beendet. Das ist jetzt vorbei. Dann werden wir sehen, daß dabei ein guter Haushalt für das Jahr 2000 verabschiedet wird. Möglicherweise (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ geschieht dies sogar mit Ihren Stimmen, damit auch die DIE GRÜNEN) Investitionen in einer Größenordnung von 58 Milliarden Wenn Sie hier jetzt eine erfolgreiche Wirtschaftspoli- DM zur Arbeitsplatzsicherung und zur Schaffung neuer tik anmahnen, dann sollten Sie sich einmal die Wachs- Arbeitsplätze erhalten bleiben. tumsraten in der Europäischen Union ansehen. Seit fünf Glück auf und ein schönes Wochenende! Jahren liegen wir unter dem Durchschnitt der Europäi- schen Union. Es liegt an Ihrer erfolgreichen Wirt- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5069

(A) Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich schließe die Wir sind damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, am (C) Aussprache. Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise in Ihre Wahlkreise. Ich wünsche Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auch den anwesenden Zuhörern und Zuhörerinnen ein auf den Drucksachen 14/1400, 14/1401 und 14/1523 an gutes Wochenende. die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- geschlagen, wobei der Entwurf des Haushaltssanie- (Beifall) rungsgesetzes auf Drucksache 14/1523 zusätzlich an den Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Ausschuß für Wirtschaft und Technologie und an dentages auf Mittwoch, den 29. September 1999, 13 Uhr ein. Verteidigungsausschuß überwiesen werden soll. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind Die Sitzung ist geschlossen. die Überweisungen so beschlossen. (Schluß: 14.43 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 1999 5071

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C)

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Ost, Friedhelm CDU/CSU 17.9.99 entschuldigt bis Abgeordnete(r) Pützhofen, Dieter CDU/CSU 17.9.99 einschließlich Rossmanith, Kurt J. CDU/CSU 17.9.99 Bachmaier, Hermann SPD 17.9.99 Rühe, Volker CDU/CSU 17.9.99 Bernhardt, Otto CDU/CSU 17.9.99 Schily, Otto SPD 17.9.99 Bertl, Hans-Werner SPD 17.9.99 Schmidt-Zadel, Regina SPD 17.9.99 Bläss, Petra PDS 17.9.99 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 17.9.99 Blank, Renate CDU/CSU 17.9.99 Hans Peter Brudlewsky, Monika CDU/CSU 17.9.99 Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 17.9.99 Andreas Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 17.9.99 Schuhmann (Delitzsch), SPD 17.9.99 Bulmahn, Edelgard SPD 17.9.99 Richard Dr. Däubler-Gmelin, SPD 17.9.99 Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 17.9.99 Herta Schultz (Köln), Volkmar SPD 17.9.99 Dautzenberg, Leo CDU/CSU 17.9.99 Dr. Stadler, Max F.D.P. 17.9.99 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 17.9.99 DIE GRÜNEN Dr. Frhr. von Stetten, CDU/CSU 17.9.99 Wolfgang Ernstberger, Petra SPD 17.9.99 Teuchner, Jella SPD 17.9.99 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 17.9.99 Dr. Thalheim, Gerald SPD 17.9.99 Fritz, Erich G. CDU/CSU 17.9.99 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 17.9.99 Gebhardt, Fred PDS 17.9.99 Wiefelspütz, Dieter SPD 17.9.99 (B) Goldmann, Hans-Michael F.D.P. 17.9.99 (D) Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 17.9.99 Grasedieck, Dieter SPD 17.9.99 Dr. Zöpel, Christoph SPD 17.9.99 Gröhe, Hermann CDU/CSU 17.9.99 ————— Dr. Gysi, Gregor PDS 17.9.99 *) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versamm- lung Hartnagel, Anke SPD 17.9.99 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 17.9.99 Hiller (Lübeck), Reinhold SPD 17.9.99 Hovermann, Eike SPD 17.9.99 Anlage 2 Jacoby, Peter CDU/CSU 17.9.99 Amtliche Mitteilungen Jelpke, Ulla PDS 17.9.99 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 17.9.99 Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Dr. Knake-Werner, Heidi PDS 17.9.99 Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Dr. Lamers (Heidelberg), CDU/CSU 17.9.99 * Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Be- Karl A. ratung abgesehen hat.

Lennartz, Klaus SPD 17.9.99 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Müller (Kiel), BÜNDNIS 90/ 17.9.99 Drucksache 14/342 Nr. 1.14 Klaus Wolfgang DIE GRÜNEN Drucksache 14/595 Nr. 2.3