Vf. 63-VIII-98 Verkündet am: 18. Juni 1999 gez. Israel als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

DER VERFASSUNGSGERICHTSHOF

DES FREISTAATES SACHSEN

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Verfahren der Normenkontrolle auf kommunalen Antrag

der Gemeinde Oberrothenbach, vertreten durch den Bürgermeister Dr. Carsten Schick, Lindenplatz 1, 08129 Oberrothenbach

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. B.

hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen durch den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Thomas Pfeiffer, die Richter Klaus Budewig, Christoph Degenhart, Ulrich Hagenloch, Alfred Graf von Keyserlingk, Hans Diet- rich Knoth, Hans v. Mangoldt, Siegfried Reich und Hans-Peter Schneider auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 1999 für Recht erkannt:

Der Antrag wird 2

z u r ü c k g e w i e s e n.

G r ü n d e:

A.

Die Gemeinde Oberrothenbach wendet sich mit ihrem Antrag auf kommunale Nor- menkontrolle gegen das Gesetz zur Eingliederung von Gemeinden und Gemein- deteilen in die Stadt vom 24. August 1998 (Eingliederungsgesetz Zwickau; SächsGVBl. S. 468, geändert durch § 58 des Gemeindegebietsre- formgesetzes Oberlausitz-Niederschlesien vom 28.10.1998 [SächsGVBl. S. 553]), durch das sie zum 01. Januar 1999 in die Stadt Zwickau eingegliedert worden ist.

I.

Die Antragstellerin liegt nördlich der Kreisfreien Stadt Zwickau im Landkreis Zwickauer Land. Sie ist in den letzten Jahren nicht unerheblich gewachsen und hat nunmehr rund 640 Einwohner. Im Westen, Osten und Süden grenzt sie an die Kreisfreie Stadt Zwickau und im Norden an die Gemeinde Lauenhain sowie an die Gemeinde Mosel. Auf der Gemarkung der Antragstellerin liegen Uran- schlammbecken der Wismut GmbH.

Bei einer im Februar und März 1997 durchgeführten Anhörung haben sich von den 476 stimmberechtigten Einwohnern der Antragstellerin fünf für und 419 ge- gen deren Eingliederung in die Kreisfreie Stadt Zwickau ausgesprochen.

1. Der Sächsische Landtag hat auf seiner Sitzung vom 23. Juli 1998 das Eingliederungsgesetz Zwickau beschlossen, durch das zum 01. Januar 1999 unter anderem die Antragstellerin sowie die Gemeinden Mosel, Cainsdorf und Schlunzig in die Kreisfreie Stadt Zwickau eingegliedert und der Verwaltungs- verband Mosel, dem die Antragstellerin angehört, aufgelöst wurden. Auszugs- weise lautet dieses Gesetz wie folgt:

§ 1

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Eingliederung

In die Stadt Zwickau werden eingegliedert:

1. die Gemeinde Cainsdorf, 2. die Gemeinde Mosel, 3. die Gemeinde Oberrothenbach, 4. die Gemeinde Schlunzig, 5. aus der Gemeinde Wulm von der Gemarkung Berthelsdorf die Flurstücke ... 6. aus der Gemeinde a) von der Gemarkung Niederschindmaas die Flurstücke ... b) von der Gemarkung Oberschindmaas die Flurstücke ... 7. aus der Gemeinde a) von der Gemarkung Ebersbrunn die Flurstücke ... b) von der Gemarkung Lichtentanne die Flurstücke ... c) von der Gemarkung Stenn die Flurstücke ... 8. aus der Gemeinde Niedermülsen die Flurstücke ... 9. aus der Gemeinde Thurm die Flurstücke ... 10. aus der Gemeinde Stangendorf die Flurstücke ... 11. aus der Gemeinde Mülsen St. Micheln die Flurstücke ... 12. aus der Gemeinde Mülsen St. Jacob die Flurstücke ... 13. aus der Gemeinde Lauenhain von der Gemarkung Harthau die Flurstücke ...

§ 2

Auflösung des Verwaltungsverbandes "Mosel"

(1) Der Verwaltungsverband "Mosel" wird aufgelöst. (2) Für die Abwicklung des Verbandes und die Haftung der Mitgliedsgemeinden gelten die §§ 29 und 30 des Sächsischen Gesetzes über kommunale Zusam- menarbeit (SächsKomZG) vom 19. August 1993 (SächsGVBl. S. 815, 1103), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 22. Juli 1996 (SächsGVBl. S. 281).

§ 3

Bestätigung von Eingliederungen

...

§ 4

Rechtsnachfolge

Die Stadt Zwickau ist Rechtsnachfolger der gemäß § 1 Nr. 1 bis 4 eingeglie- derten Gemeinden.

§ 5

4

Auseinandersetzung

(1) Die Stadt Zwickau und der Landkreis Zwickauer Land regeln, soweit erfor- derlich, bis zu einem durch die obere Rechtsaufsichtsbehörde zu bestim- menden Zeitpunkt, bis grundsätzlich spätestens 30. April 1999, die Rechts- folgen der Änderung ihrer Grenzen und die Auseinandersetzung durch Ver- einbarung, die der Genehmigung der oberen Rechtsaufsichtsbehörde bedarf. Die Vereinbarung soll insbesondere Regelungen enthalten über: 1. den Übergang oder die Verwendung von im Umgliederungsgebiet gelegenem Kreisvermögen. 2. die Übernahme der auf das Umgliederungsgebiet entfallenden anteiligen Verschuldung des Landkreises durch die Stadt Zwickau, 3. die Aufteilung von Beteiligungen des Landkreises an Unternehmen, 4. die Auseinandersetzung hinsichtlich der Rechte und Pflichten des Landkreises aus Zweckvereinbarungen oder seiner Mitgliedschaft in Zweckverbänden, soweit sie sich auch auf das Umgliederungsgebiet beziehen, 5. die Auseinandersetzung hinsichtlich der Rechte und Pflichten des Landkreises aus Verträgen mit Dritten, soweit sie sich auch auf das Umgliederungsgebiet beziehen, 6. die Behandlung des auf das Umgliederungsgebiet bezogenen Archiv- und Schriftgutes, 7. die anteilige Übernahme von Personal des Landkreises durch die Stadt Zwickau. Enthält diese Vereinbarung keine hinreichende Regelung oder kann we- gen einzelner Bestimmungen die Genehmigung nicht erteilt werden, er- sucht die obere Rechtsaufsichtsbehörde die Beteiligten, die Mängel binnen angemessener Frist zu beseitigen. Kommen die Beteiligten einem solchen Ersuchen nicht nach, trifft die obere Rechtsaufsichtsbehörde nach Anhö- rung der Beteiligten die im Interesse des öffentlichen Wohls erforderlichen Bestimmungen; dasselbe gilt, wenn die Vereinbarung nicht bis zu einem von der oberen Rechtsaufsichtsbehörde gemäß Satz 1 bestimmten Zeitpunkt zu Stande kommt.

...

(3) Weitere Folgen der Gemeindeeingliederung gemäß § 1 Nr. 1 bis 4 re- geln, soweit erforderlich, die beteiligten Gemeinden und die Stadt Zwickau durch Vereinbarung, soweit sie durch dieses Gesetz nicht oder nicht ab- schließend geregelt werden. Gegenstand der Vereinbarung soll insbesondere sein: 1. der Erhalt der Gemeindefeuerwehr als Ortsfeuerwehr der Stadt Zwickau, 2. die Behandlung des Archivgutes der eingegliederten Gemeinde, 3. die Fortführung der Aufstellung von Bebauungsplänen, Vorhaben- und Erschließungsplänen sowie Abrundungssatzungen, 4. die Erhaltung, Schaffung und Unterhaltung von Infrastruktureinrichtun- gen sowie die Weiterführung von in der Planung befindlichen oder bereits begonnenen Infrastruktureinrichtungen. Kommt eine Vereinbarung gemäß den Sätzen 1 und 2 zu Stande, so hat diese auch Bestimmungen über die befristete Vertretung der eingeglieder- ten Gemeinde bei Streitigkeiten über die Vereinbarung zu enthalten. Die Vereinbarung bedarf der Genehmigung der oberen Rechtsaufsichtsbe- hörde. Kommt eine erforderliche Vereinbarung bis zum 01. Januar 1999 nicht zu Stande oder enthält sie keine hinreichende Regelung, trifft die obere Rechtsaufsichtsbehörde nach Anhörung der Stadt Zwickau und des Ortschaftsrates der eingegliederten Gemeinde die im Interesse des öffentlichen Wohls erforderlichen Bestimmungen bis grundsätzlich späte- stens zum 30. April 1999; Satz 2 gilt entsprechend.

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(4) Für Verfahren über die Wirksamkeit der Eingliederung nach § 1 Nr. 1 bis 4 und zur Wahrnehmung der Rechte hinsichtlich Vereinbarungen oder rechtsaufsichtlicher Bestimmungen nach Absatz 3 gelten die Gemeinden solange als fortbestehend, bis eine Entscheidung über die Wirksamkeit der Eingliederung oder über die Wahrnehmung der Rechte hinsichtlich Verein- barungen oder rechtsaufsichtlicher Bestimmungen nach Absatz 3 unan- fechtbar wird, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2010.

§ 6

Wohnsitz und Aufenthalt

Die Wohn- oder Aufenthaltsdauer der Bürger und Einwohner in den gemäß § 1 eingegliederten Gemeinden und Gemeindeteilen gilt als Wohn- oder Aufenthaltsdauer in der Stadt Zwickau.

§ 7

Ortsrecht

Das zum Zeitpunkt der Eingliederung der Gemeinden und Gemeindeteile gemäß § 1 in diesen geltende Ortsrecht gilt fort, bis es durch neues Ortsrecht ersetzt wird oder aus anderen Gründen außer Kraft tritt.

§ 8

Ortsteilname

(1) Die Gemeindenamen der gemäß § 1 Nr. 1 bis 4 einzugliedernden Ge- meinden werden Ortsteilnamen der Stadt Zwickau. (2) Verfügt eine gemäß § 1 Nr. 1 bis 4 einzugliedernde Gemeinde über meh- rere benannte Ortsteile, so werden abweichend von Absatz 1 die Ortsteilna- men der einzugliedernden Gemeinde Ortsteilnamen der Stadt Zwickau. ... (4) Das Benennungsrecht der Stadt Zwickau gemäß § 5 Abs. 4 der Ge- meindeordnung für den Freistaat Sachsen (SächsGemO) vom 21. April 1993 (SächsGVBl. S. 301, 445), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Februar 1997 (SächsGVBl. S. 105), bleibt unberührt.

§ 9

Ortschaftsverfassung

(1) Für das Gebiet jeder gemäß § 1 Nr. 1 bis 4 einzugliedernden Gemeinde ist eine Ortschaftsverfassung einzuführen, wenn nicht die jeweilige Gemein- de innerhalb von drei Monaten nach Verkündung dieses Gesetzes gegen- über der Stadt Zwickau darauf verzichtet. Die Hauptsatzung der Stadt Zwic- kau ist bis zum 01. Januar 1999 entsprechend zu ändern. (2) Für die Dauer der laufenden Wahlperiode bilden die Gemeinderäte der gemäß § 1 Nr. 1 bis 4 einzugliedernden Gemeinden die Ortschaftsräte. (3) Gemäß Absatz 1 eingeführte Ortschaftsverfassungen können mit Zustim- mung des Ortschaftsrates frühestens zur übernächsten regelmäßigen Wahl des Stadtrates aufgehoben werden. (4) Der Gemeinderat einer gemäß § 1 Nr. 1 bis 4 einzugliedernden Ge- meinde kann beschließen, dass dem Bürgermeister mit Wirksamwerden der Gebietsänderung bis zum Ablauf seiner Amtszeit das Amt des Ortsvorstehers übertragen wird; mit der Übertragung des Amtes ist er stimmberechtigtes

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Mitglied des Ortschaftsrates. Wird von der Befugnis gemäß Satz 1 Gebrauch gemacht, kann der Gemeinderat mit Zustimmung des Bürgermeisters auch bestimmen, dass dieser als Ortsvorsteher hauptamtlicher Beamter auf Zeit ist, wenn er dies bisher als Bürgermeister war. Endet die Amtszeit gemäß Satz 1 während der Wahlperiode des Ortschaftsrates, kann der Ortschafts- rat den Amtsinhaber für die verbleibende Wahlperiode als Ortsvorsteher wiederwählen. Die Wiederwahl findet frühestens zwei Monate vor Ablauf der Amtszeit, spätestens am Tage vor Ablauf der Amtszeit statt. In diesem Falle bleibt der Ortsvorsteher stimmberechtigtes Mitglied des Ortschaftsra- tes. Er ist zum Ehrenbeamten auf Zeit zu ernennen.

§ 10

Erweiterung des Stadtrates

(1) Die Gemeinderäte der gemäß § 1 Nr. 1 bis 4 einzugliedernden Gemein- den sowie der Gemeinderat der Gemeinde Lichtentanne wählen unverzüg- lich nach Verkündung dieses Gesetzes jeweils eine Person, die mit Wirk- samwerden der Gebietsänderung in den Stadtrat der Stadt Zwickau übertritt. Die Zahl der Stadträte erhöht sich entsprechend. (2) Wählbar gemäß Absatz 1 Satz 1 sind die Mitglieder des Gemeindera- tes sowie der Bürgermeister. (3) Für die Gewählten sind jeweils zwei Ersatzpersonen zu wählen, deren Reihenfolge festzulegen ist.

§ 11

Rechtsstellung der Bediensteten

(1) Für die Überleitung der Beamten und Versorgungsempfänger gelten die §§ 128 bis 132 des Rahmengesetzes zur Vereinheitlichung des Beamten- rechts (Beamtenrechtsrahmengesetz - BRRG) in der Fassung der Bekannt- machung vom 27. Februar 1985 (BGBl. I S. 462), zuletzt geändert durch Arti- kel 1 des Gesetzes vom 09. September 1997 (BGBl. I S. 2294). (2) Die Angestellten, Arbeiter sowie die in einem Ausbildungsverhältnis stehenden Personen werden in entsprechender Anwendung von § 128 und § 129 Abs. 2 bis 4 BRRG übergeleitet. Dabei tritt in § 128 Abs. 2 Satz 2 BRRG an Stelle der Frist von sechs Monaten eine Frist von vier Monaten. Treten die in Satz 1 genannten Personen in den Dienst der Stadt Zwickau über, wird das Arbeitsverhältnis oder das Ausbildungsverhältnis mit der Stadt Zwickau fortgesetzt. (3) Soweit Bedienstete gemäß den Absätzen 1 und 2 übergeleitet werden, sind deren zurückgelegte Dienstzeiten so zu behandeln, als ob sie bei der Stadt Zwickau verbracht worden wären. (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend für die Überleitung von Bedien- steten des Landkreises Zwickauer Land auf die Stadt Zwickau. (5) Für die Bediensteten des gemäß § 2 aufgelösten Verwaltungsverban- des nimmt bis zur gemäß den Absätzen 1 und 2 in Verbindung mit den Bestimmungen des Beamtenrechtsrahmengesetzes zu treffenden Vereinba- rung über ihre Aufteilung die Stadt Zwickau die Aufgaben des Dienstherren wahr.

§ 12

Entscheidung über die Übernahme des Personals

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(1) Kommt innerhalb von vier Monaten nach In-Kraft-Treten der Neugliede- rung zwischen den beteiligten Körperschaften keine oder keine vollständige Einigung gemäß § 11 zu Stande, entscheidet die obere Rechtsaufsichtsbe- hörde. (2) Vor der Entscheidung hat die obere Rechtsaufsichtsbehörde den Über- nahmeausschuss anzuhören; dieser wird bei jeder oberen Rechtsaufsichts- behörde gebildet. Der Ausschuss besteht aus 1. drei auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der beteiligten Gewerk- schaften, 2. zwei auf Vorschlag des Sächsischen Landkreistages, 3. zwei auf Vorschlag des Sächsischen Städte- und Gemeindetages berufe- nen Mitgliedern sowie 4. der Gleichstellungsbeauftragten bei der oberen Rechtsaufsichtsbehörde. Für jedes Mitglied gemäß Satz 2 Nr. 1 bis 3 ist ein Vertreter vorzuschlagen. Die Mitglieder des Ausschusses und deren Vertreter werden durch das Staatsministerium des Innern berufen. Der Vorsitzende des Ausschusses wird vom Ausschuss aus seiner Mitte gewählt. (3) ...

(4) ...

§ 13

Haushaltswirtschaft der einzugliedernden Gemeinden

...

§ 14

Stellenbewirtschaftung

...

§ 15

Freistellung von Abgaben

...

§ 16

Stichtag

...

§ 17

Freiwillige Eingliederungen

...

§ 18

Künftige Gebietsänderungen

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...

§ 19

In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten

Die §§ 3, 5, 9, 10, 12 bis 15 und 17 treten am Tage nach der Verkündung dieses Gesetzes in Kraft. Im Übrigen tritt dieses Gesetz am 01. Januar 1999 in Kraft; * (gleichzeitig treten Artikel 2 und Artikel 3 Nr. 1 bis 4 und 6 Kom- RÄndG im Gebiet der gemäß § 1 einzugliedernden Gemeinden und Ge- meindeteile sowie in der Stadt Zwickau in Kraft). § 18 Abs. 1 Satz 2 und 3 tritt am 01. Januar 2004 außer Kraft.

* Hinweis: Durch § 58 des Gemeindegebietsreformgesetzes Oberlausitz-Nie- derschlesien aufgehoben.

Der Gesetzentwurf zum Eingliederungsgesetz Zwickau enthält unter anderem folgende Leitsätze (DS 2/6729 S. 96 ff.), die sich inhaltsgleich auch in anderen Gesetzentwürfen zur kommunalen Neugliederung im Umland Kreisfreier Städte finden:

I. Ziel der kommunalen Gebietsreform ist es, leistungsfähige kommuna- le Selbstverwaltungskörperschaften zu schaffen und deren Entwick- lungsmöglichkeiten zu sichern. ...

I.1. Die Leistungsfähigkeit einer kommunalen Selbstverwaltungskör- perschaft ist eine wesentliche Voraussetzung für die nachhaltige Be- friedigung der Bedürfnisse der Einwohner, die langfristige Sicherung der Entwicklungsmöglichkeiten einer Gemeinde und die Entwicklung der Region. ... I.2. Die Leistungsfähigkeit ist mit Bezug auf den gesamten Aufgabenbe- stand zu definieren. Sie ist daher nicht nur an den Aufgaben der klas- sischen Daseinsvorsorge, sondern ebenfalls daran zu orientieren, dass die Gemeinde den Belangen des Umweltschutzes angemessen Rechnung tragen kann. ... I.3. Die Leistungsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltungskörper- schaft wird wesentlich durch die Verwaltungskraft, die vorhandene Infrastruktur, die Planungsfähigkeit und die Finanzkraft bestimmt. ... I.4. Einwohnerzahl und Größe des Verwaltungsraumes sind wichtige In- dikatoren der Leistungsfähigkeit kommunaler Selbstverwaltungskör- perschaften. ... Die Wahl der Richtzahl der Gemeindeeinwohner dient der Si- cherung einer hinreichenden Finanz- und Verwaltungskraft zur funk- tionsgerechten, qualifizierten und wirtschaftlichen Erfüllung der Aufga- ben. Dies kann nur durch ein ausreichendes Finanzvolumen und eine ausreichende Zahl von Verwaltungsvorgängen im jeweiligen Aufga- bengebiet gewährleistet werden, was wiederum nur bei einer ent- sprechenden Bevölkerungszahl regelmäßig sichergestellt ist. Dabei wird in Effizienzuntersuchungen im Rahmen der Gebietsreform in den alten Ländern regelmäßig von einer Effizienz erst ab 5.000 bis 8.000

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Einwohner ausgegangen. Auch die vorhandenen Erkenntnisse aus den alten Bundesländern, die neueren Erfahrungen in Sachsen und in den anderen neuen Bundesländern sowie die Verwaltungswissen- schaft bestätigen die fortbestehende Relevanz dieser Daten. ... Allerdings müssen die Richtzahlen auch differenziert angewendet werden. Verdichtete Räume stellen erheblich größere Anforderungen an die Verwaltung als ländliche Bereiche. Im Verdichteten Raum, der unmittelbar an die Oberzentren angrenzt, sind daher örtliche Verwal- tungseinheiten mit ca. 8.000 Einwohnern anzustreben, da dort die vielfältigen starken Verflechtungen sowie die stärkeren Belastungen von Infrastruktur und Umwelt ein höheres Maß an Koordination und Kooperation erfordern, das nur durch besonders starke Verwal- tungs-, Planungs- und Finanzkraft der Gemeinde bewältigt werden kann. Unterschreitungen der angestrebten Regelmindesteinwohner- zahl von 8.000 sind nur bei der Wahl der effektivsten Form kommu- naler Zusammenarbeit, der Einheitsgemeinde, im besonderen Aus- nahmefall zulässig. In Gebieten mit Verdichtungsansätzen im Ländlichen Raum - also um die kleineren sächsischen Oberzentren - gilt eine Regelmindestgröße von 5.000 Einwohnern ...

I.5. Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Kernstädte und der Um- landgemeinden sind die spezifischen Bedingungen der ostdeut- schen Gemeinden im Übergang zu berücksichtigen. ...

I.6. Die Umland-Gemeinden der Kernstädte sollen umso leistungsfähiger sein, je größer die Kernstadt und je verstädterter das Umland ist. ... Angesichts der vorhandenen Aufgabenverflechtungen und den gestei- gerten Anforderungen an eine Verwaltung im Stadt-Umland-Bereich in puncto Aufgabenkoordinierung, Kooperation, Planung und Infra- strukturausstattung zur Entlastung der Kernstadt müssen die Um- landgemeinden verwaltungsstärker als Gemeinden im Ländlichen Raum sein. Nur so kann eine ausgewogene Verwaltung des Verdich- tungsraumes gesichert werden, in denen die Umlandgemeinden auch in der Lage sind, Entlastungsfunktionen für die Kernstädte wahrzunehmen und eine geordnete Entwicklung des Gesamtraumes sicherzustellen... Ziel ist es, die Stadt-Umland-Beziehungen nach Maßgabe der ausge- wogenen Leistungsfähigkeit zu ordnen, um ein Gefälle in der Lei- stungskraft zu vermeiden und um Gegengewichte zur Stadt bilden zu können. ... Nicht zuletzt angesichts des heterogenen Verhältnisses in den zu be- urteilenden Räumen ist eine Differenzierung der Einwohnerzahl als Indikator der Leistungsfähigkeit nach dem Grad der Verdichtung und der Größe der Kernstadt erforderlich. Im Verdichteten Raum um die Oberzentren sollen sich die Gemeindegrößen daher an der Regelmin- destgröße von 8.000 Einwohnern, im Ländlichen Raum an der Regel- mindestgröße von 5.000 Einwohnern orientieren. ...

I.7. Die Leistungsfähigkeit einer Gemeinde wird nicht allein durch die betriebswirtschaftliche Effizienz, sondern zugleich durch die Bürgernä- he der Gemeindeverwaltung und durch die Fähigkeit zur Erhaltung und Entwicklung einer lokalen Identität bestimmt. ...

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I.8. Bei der Neugliederung sind die historisch gewachsenen Strukturen und Beziehungen sowie ethnischen und landsmannschaftlichen Bin- dungen zu berücksichtigen. ...

I.9. Dort, wo zwischen Kernstadt und Umlandgemeinden freiwillige Lö- sungen zustandekommen, sollen diese in der Regel akzeptiert wer- den.

II. Ziel der Neugliederung im Bereich der Kreisfreien Städte und ihres Umlandes ist die Schaffung einer effizienten Verwaltungsstruktur zur Bewältigung der Aufgaben und Probleme des Stadt-Umland-Berei- ches. ...

II.1. Die Herstellung der Kongruenz von Aufgaben- und Verwaltungsraum ist ein wichtiges Mittel - wenngleich nicht das einzige - der Problem- lösung. ...

II.2. Die Abgrenzung der Verwaltungsräume im Stadt-Umland-Bereich ist davon abhängig, inwieweit die einheitliche Aufgabenwahrnehmung im Interesse effizienter Aufgabenerledigung erforderlich ist. Dabei sollte die zu erwartende Problemverarbeitungskapazität der Kernstadt in Rechnung gestellt werden, aber auch dafür Sorge getragen werden, dass sich der Verwaltungsraum der Kernstadt nicht über eine ange- messene Raumtiefe hinaus vergrößert. Teileingliederungen und Flä- chenabtretungen sind, wo möglich, zur Problembewältigung heranzu- ziehen. ...

II.3. Der Gefahr von Konkurrenzplanungen und Fehlentwicklungen kann durch eine Zusammenfassung des Planungsraumes entgegenge- wirkt werden. Einheitliche Aufgabenräume (z.B. im Hinblick auf Sied- lung, Infrastruktur, Verkehr) sollten auch nach einem Gesamtkonzept geplant und entwickelt werden können. ...

II.4. Der Tendenz zur Abwanderung von der Kernstadt in die Umlandge- meinden kann durch Eingliederung entgegengewirkt werden, um einer dysfunktionalen Entwicklung der Kernstädte und des Umlandes zu begegnen. ...

II.5. Großvorhaben (wie etwa Flughäfen, Messen, Gewerbeparks, Güter- verkehrszentren und Einkaufszentren) können Ordnungsprobleme auf- werfen, die nur mit einer hinreichend großen effizienten und flexiblen Verwaltung zu bewältigen sind. ...

II.6. Die Begrenzung der Zahl der Verwaltungsebenen ist ein legitimes Ziel der Neugliederung zur Erhaltung der Übersichtlichkeit der Ver- waltungsstruktur. Im Stadt-Umland-Bereich hat die Schaffung von leistungsfähigen Einheitsgemeinden den Vorrang vor der Schaffung von Verwaltungs- gemeinschaften, Verwaltungsverbänden und sonstigen institutionellen Strukturen der zwischengemeindlichen Kooperation, die weniger effi- zient sind.

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...

III. Starke Verflechtungsbeziehungen zwischen Kernstädten und Um- landgemeinden sowie die zwischen Umlandgemeinden indizieren einen einheitlichen Aufgabenraum. Sie sind wichtige Kriterien für eine Abgrenzung der Verwaltungsräume. ...

III.1. Starke Pendlerbeziehungen zwischen Kernstadt und Umland kön- nen Anzeichen für eine dysfunktionale Entwicklung sein. ...

III.2. Ein weiterer Indikator für enge räumliche Verflechtungen einer Kern- stadt und ihres Umlandes ist der enge bauliche Zusammenhang. Er kann die Schaffung eines einheitlichen Verwaltungsraumes nahele- gen. ...

IV. Die Neugliederung muss den Belangen des Umweltschutzes und der Raumordnung und Landesplanung Rechnung tragen. ...

IV.6. Die Verhinderung des baulichen Zusammenwachsens von Kernstäd- ten und ihren Umlandgemeinden kann aus Gründen des Umwelt- und Naturschutzes sinnvoll sein. Dies spricht nicht gegen eine Eingliede- rung von Umlandgemeinden in die Kernstädte, wenn sie baulich mit diesen nicht verbunden sind. Landschaftliche Barrieren sind dabei al- lerdings zu beachten. ...

IV.7. Die Neugliederung soll die zentralörtlichen Funktionen berücksichti- gen. ...

IV.9. Der Gesetzgeber kann der raumordnerisch nicht gewollten Entwick- lung von Gemeinden durch Eingliederung entgegenwirken. ...

V. Der Flächenbedarf als solches rechtfertigt keine Eingliederung in die Kernstädte, sondern nur dann, wenn sich aus öffentlichen Interessen ein Flächenbedarf ergibt. ...

V.1. Der Flächenbedarf der Kernstädte ist verfassungsrechtlich nicht schwerer zu gewichten als das Bestandsinteresse der Umlandge- meinden. ...

V.2. Die zentralörtlichen Funktionen der Kernstädte sind Ausdruck des All- gemeinwohls. Sie repräsentieren das öffentliche Interesse an der Versorgung und Entwicklung einer Region und können daher einen Flächenbedarf legitimieren. ...

VI. Der Finanzbedarf der Kernstädte rechtfertigt für sich allein keine Ein- gliederungen. Allerdings können unausgewogene Verteilungen der Fi- nanzkraft Indizien einer dysfunktionalen Entwicklung im Stadt-Um- land-Bereich sein.

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...

2. Dem Eingliederungsgesetz Zwickau ist ein im Jahre 1991 gefasster Be- schluss der Sächsischen Staatsregierung über eine kommunale Gebietsre- form vorausgegangen, welche die seit dem Jahre 1952 unveränderte Gemeindegliederung den Erfordernissen einer modernen Kommunalverwal- tung anpassen sollte. Die Sächsische Staatsregierung und der Sächsische Landtag entschieden sich in Folge dafür, die Landkreise und die Gemeinden nicht gleichzeitig anders zu gliedern, sondern in der ersten Legislaturperiode des Sächsischen Landtages die Landkreise neu zu ordnen und die Gemein- degebietsreform der nächsten Legislaturperiode vorzubehalten. Hierdurch sollte unter anderem Gelegenheit gegeben werden, durch freiwillige Zu- sammenschlüsse die Stadt-Umland-Struktur neu zu regeln. Die dazu beschlossenen „Grundsätze über die kommunale Zielplanung im Freistaat Sachsen“ wurden im Januar 1994 bekannt gegeben (SächsABl. S. 48).

Zur Vorbereitung der Gemeindegebietsreform im Randbereich der Kreisfreien Städte erstellten die Professoren M. und T. von der Technischen Universität D. für das Sächsische Staatsministerium des Innern im Novem- ber 1995 ein Gutachten unter dem Titel "Institutionelle Möglichkeiten zur Lösung von Stadt-Umland-Problemen Kreisfreier Städte im Zug der Ge- bietsreform in Sachsen". Auf dessen Grundlage wurde im Sächsischen Staatsministerium des Innern unter anderem der Entwurf eines Gesetzes zur Eingliederung von Gemeinden und Gemeindeteilen in die Kreisfreie Stadt Zwickau erarbeitet, der im Oktober 1996 vorlag und vorsah, die An- tragstellerin und weitere Gemeinden oder Gemeindeteile der Stadt Zwickau zuzuordnen. Die betroffenen Gemeinden und deren Einwohner sowie die Gemeindeverbände, die Landkreise und sonstiger Träger öffentlicher Belan- ge wurden vom 07. Januar bis 04. April 1997 angehört. Die Stadt Zwickau stimmte der Eingliederung der Antragstellerin zu.

II.

Die Antragstellerin beantragt,

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das Gesetz zur Eingliederung von Gemeinden und Gemeindeteilen in die Stadt Zwickau (SächsGVBl. 1998 S. 468) für nichtig zu erklä- ren, soweit es die Antragstellerin betrifft.

Sie meint, das Eingliederungsgesetz Zwickau verletze sie aus formellen und ma- teriellen Gründen in ihren Rechten aus Artikel 82 Abs. 2, Artikel 84, 85 und 88 der Sächsischen Verfassung.

1. Das Gesetzgebungsverfahren sei fehlerhaft gewesen, da der allgemeine Teil der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (DS 2/9277) den Abgeordneten bei der Abstimmung nicht vorgelegen hätten.

2. Ihr Anhörungsrecht sieht die Antragstellerin dadurch verletzt, dass die Er- gebnisse des Gutachtens der Professoren M. und T. ohne ihre Beteiligung gewonnen worden seien und sich das Gutachten einer dem Bürger unver- ständlichen verwissenschaftlichten Sprache bediene.

3. Der Ergebnisoffenheit des Abwägungsprozesses ist nach Meinung der An- tragstellerin nicht Rechnung getragen.

Der Sächsische Landtag habe das von den Professoren M. und T. erstellte Gutachten, das sich einseitig an den Interessen der Kernstädte orientiere, un- kritisch übernommen. Zudem habe der Inhalt des Gutachtens in die Geset- zesbegründung teils unzutreffend, teils gar nicht Eingang gefunden. Bei- spielsweise sei unterdrückt worden, dass für einen Verwaltungsraum ein Radius von zehn Kilometern als noch zumutbar gelte und dieser bei ihrer Eingliederung überschritten werde. Ebenso sei unerwähnt geblieben, dass bei ihrer Eingemeindung auch andere Gemeinden der Stadt Zwickau zu- geordnet werden müssten. Auch werde im Gesetzentwurf nicht wiedergege- ben, dass ihre Eingemeindung im Gutachten nicht als zwingend, sondern als naheliegend erachtet werde.

4. Einen weiteren Verfahrensfehler leitet die Antragstellerin daraus ab, dass der Landtag den abwägungserheblichen Sachverhalt unzureichend ermittelt habe.

Der Referentenentwurf habe sich darauf beschränkt, die Begründungen des Gutachtens wörtlich zu übernehmen. Der Gesetzentwurf der Staatsregierung

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habe darüber hinaus nur die Stellungnahmen der angehörten Körperschaf- ten verarbeitet. Ähnlich sei der Innenausschuss des Sächsischen Landtages verfahren, der lediglich ergänzend zu den Ausführungen im Anhörungsver- fahren Stellung bezogen, nicht aber die Erkenntnisse des Gutachtens über- prüft habe. Zudem habe weder der Sächsische Landtag die im Gutachten gefundenen Ergebnisse überprüft noch der federführende Ausschuss die Region nördlich von Zwickau bereist.

Die Antragstellerin rügt weiterhin, dass der Gesetzgeber nicht sämtliche Er- kenntnisquellen ausgeschöpft habe. Der Gesetzentwurf verhalte sich weder zu ihrer Geschichte oder zum Recht auf die Heimat (Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf) ihrer Einwohner, noch zu den von ihr unterhaltenen kulturellen Einrichtungen, zu ihrem Personal, zu ihren Verflechtungen mit dem Ver- waltungsverband Mosel und zu ihrer Finanzkraft. Insbesondere erscheine die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Verwaltungsverbandes Mosel nur als dessen Vortrag, obwohl die Haushaltslage der Mitgliedsgemeinden des Ver- waltungsverbandes für die Leistungsfähigkeit der von ihr angestrebten Ein- heitsgemeinde Mosel erheblich sei. Es fehlten Angaben zur Bürgernähe ihrer Verwaltung, zu ihrer funktionsfähigen Infrastruktur und ihrer landschaftlichen Abgrenzung zur Stadt Zwickau sowie zum Umweltschutz und zur Größe des entstehenden Verwaltungsraumes. Unzutreffend werde von einer Entwick- lungsachse entlang der B 93/B 175 ausgegangen. Unerwähnt sei, dass ihre Versorgung durch die Städtischen Verkehrsbetriebe Zwickau GmbH nicht ge- plant sei.

Die geplante Entwicklung der Kreisfreien Stadt Zwickau sei im Gesetzent- wurf nicht klar beschrieben. Da eine Funktionsbeeinträchtigung der Kern- stadt nicht festgestellt sei, bleibe offen, wie ihre Eingliederung die zentralörtliche Funktion von Zwickau fördere. Der Handlungs- und Rege- lungsbedarf, der sich aus dem auf dem Gebiet der Gemeinde Mosel angesie- delten Werk der Volkswagen AG ergebe, beschränke sich auf den Einpendler- überschuss und könne durch den Verwaltungsverband Mosel befriedigt wer- den. Schließlich sei die Bedeutung der Industrieansiedlung für die Wirtschafts- kraft des Landkreises Zwickauer Land vom Gesetzgeber nicht beachtet wor- den.

5. Die Antragstellerin verweist ergänzend darauf, dass die gesetzgeberischen Prognosen teilweise fehlerhaft seien. Die vom Sächsischen Landtag nur ver- mutete Stärkung der Finanzkraft der - von ihr angestrebten - Einheitsge-

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meinde Mosel sei infolge der Ansiedelung des Werks der Volkswagen AG si- cher. Dagegen stehe nicht fest, dass sich bei ihrer Eingemeindung die Verflechtungen zur Stadt Zwickau intensivierten, zumal die Abwanderung aus Zwickau auf den Verhältnissen am Arbeitsmarkt beruhte.

Die Antragstellerin stellt schließlich die Geeignetheit der Neugliederung in Frage, da der Gesetzgeber selbst einräume, dass auch nach Verabschie- dung des Eingliederungsgesetzes Zwickau ein Ordnungsbedarf verbleibe.

6. Die Ziele des Eingliederungsgesetzes Zwickau hält die Antragstellerin für nicht verfassungskonform.

Ein verwaltungswissenschaftliches Gutachten, wie es die Professoren M. und T. gefertigt hätten, könne nicht zur Begründung eines Gebietsreformgeset- zes dienen. Eine Eingliederung löse die im Gesetzentwurf aufgezeigten Pro- bleme nicht, da diese nicht auf spezifischen Stadt-Umland-Beziehungen beruhten, sondern für einen Verdichtungsraum, dem Mosel und die Antrag- stellerin nach dem Landesentwicklungsplan Sachsen vom 16. August 1994 (SächsGVBl. S. 1489) angehörten, typisch seien. Die Stärkung des Ober- zentrums werde entgegen Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 GG, der auf eine Dezen- tralität der kommunalen Selbstverwaltung gerichtet sei, überbetont. Den er- weiterten Aufgaben des Oberzentrums werde durch den Finanzausgleich hinreichend Rechnung getragen.

7. Die dem Eingliederungsgesetz Zwickau zu Grunde gelegten Leitbilder erach- tet die Antragstellerin für verfassungswidrig. Der Sächsische Landtag habe die Kriterien für den Zuschnitt einer Gemeinde, insbesondere die anzustreben- de Mindestgröße von 5.000 Einwohnern, nicht plausibel begründet und die Kernstadt bevorzugt. Außerdem seien die gesetzlichen Leitbilder mit dem Bestimmtheitsgebot unvereinbar.

8. Weiterhin bringt die Antragstellerin vor, dass sich der Gesetzgeber bei ihrer Eingliederung nicht an die von ihm aufgestellten Leitbilder gehalten habe.

Abgesehen von ihrer Einwohnerzahl sei sie leitsatzgerecht. Zumindest aber erfülle die von ihr bevorzugte Einheitsgemeinde auf Grund der besonderen Stärke der Gemeinde Mosel alle Voraussetzungen, die nach den Leitsätzen an eine selbstständige Gemeinde gestellt seien.

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Die Errichtung des Werks der Volkswagen AG sei von der Sächsischen Staatsregierung gewollt gewesen, sodass die mit der Industrieansiedlung ein- hergehenden Entwicklungen nunmehr nicht als raumordnerisch unerwünscht eingestuft werden könnten. Jedenfalls aber sei der Gesetzgeber der er- höhten Begründungslast, die ihm bei einer früheren Zielsetzungen widerspre- chenden Gebietsneugliederung treffe, nicht nachgekommen. Über den - im Übrigen widersprüchlich wiedergegebenen - Flächenbedarf der Stadt Zwickau hinaus seien keine für ihre Eingliederung sprechenden Gemeinwohlinteres- sen erkennbar.

Ihre Eingliederung verstoße überdies gegen Nr. I.9 der Leitsätze. Sie habe zu einer freiwilligen Lösung der Stadt-Umland-Beziehungen beigetragen, in- dem sie gemeinsam mit anderen Umlandgemeinden der Stadt Zwickau den Verwaltungsverband Mosel gegründet habe. Ihre Eingemeindung nach Zwic- kau schaffe unter Missachtung von Nr. II.2 der Leitsätze eine zu große Tiefe des Verwaltungsraumes, was dessen Leistungsfähigkeit beeinträchtige.

Ihre Eingliederung werde der besonderen Situation der neuen Bundeslän- der, die von einer Abneigung gegen Zentralismus gekennzeichnet sei, nicht gerecht. Außerdem werde so der zweite Ring um die Stadt Zwickau aufgelöst und ein nach den Leitsätzen der Kreisgebietsreform unerwünschter Kragen- kreis geschaffen.

Schließlich ignoriere das Eingliederungsgesetz Zwickau den Bürgerwillen.

Ebenso könne die von ihr betriebene Baulandausweisung nicht im Sinne ei- ner raumordnerisch unerwünschten Entwicklung betrachtet werden, da auch eine Eingemeindung nichts am Ansiedlungsdruck im Umkreis des Werks der Volkswagen AG ändere. Zudem wolle sie sich ihren ländlichen Charakter erhalten.

9. Die Antragstellerin hält dafür, dass der Sächsische Landtag in verfassungs- widriger Weise Alternativen zu ihrer Eingliederung ohne zulängliche Begrün- dung verworfen habe.

Eine aus ihr sowie den Gemeinden Mosel, Dennheritz, Wulm und Schlun- zig zu bildende Einheitsgemeinde wäre leitbildgerecht, da sie 5.540 Ein- wohner aufwiese und entgegen dem Landesentwicklungsplan tatsächlich nicht in einem Verdichtungsraum, sondern in dessen Randzone läge. Jeden-

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falls wäre aber eine solche Einheitsgemeinde leistungsfähig, sodass die in Nr. I.4 und 6 der Leitsätze für Verdichtungsräume vorgesehene Mindestein- wohnerzahl von 8.000 unterschritten werden könne. Dies gelte umso mehr, als die Einheitsgemeinde nicht unmittelbar an das Oberzentrum angrenze, sondern landschaftlich von diesem abgetrennt sei. Eine Einwohnerzahl von 8.000 wäre erreicht, wenn es zu einem Zusammenschluss der Mitgliedsge- meinden des Verwaltungsverbandes Mosel mit den im unteren Mülsengrund liegenden Gemeinden Thurm, Stangendorf und Niedermülsen oder aber al- len anderen Gemeinden des Verwaltungsverbandes Mülsengrund käme.

Selbst der letztgenannte Verwaltungsraum sei noch kleiner als der durch das Eingliederungsgesetz Zwickau entstehende. Unabhängig hiervon hätte der Sächsische Landtag ihrer Orientierung auf den Ländlichen Raum hin Rech- nung tragen müssen.

10. Im Übrigen gibt die Antragstellerin zu bedenken, dass ihre Eingliederung nicht systemgerecht sei. Hätte der Sächsische Landtag konsequent gehan- delt, wären auch die Gemeinden Reinsdorf, Vielau, Friedrichsgrün und evtl. Wilkau-Hasslau in die Stadt Zwickau einzugemeinden gewesen. Statt des- sen blieben nach den Gemeindegebietsreformgesetzen sogar Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern selbstständig.

11. Ein besonderer Vertrauensschutz erwachse der Antragstellerin dadurch, dass ihr der damalige Innenminister des Freistaates Sachsen am 06. Mai 1993 die Wahrung ihrer Selbstständigkeit zugesagt habe.

III.

Die Sächsische Staatsregierung hält das Eingliederungsgesetz Zwickau in den die Antragstellerin betreffenden Teilen für verfassungsgemäß. Im Übrigen erachtet sie den Antrag für unzulässig.

18

Der Sächsische Landtag hat von einer Äußerung abgesehen. Die Kreisfreie Stadt Zwickau hat zum Verfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung genommen.

B.

Der Antrag ist zwar zulässig, aber offensichtlich unbegründet.

I.

Die Antragstellerin ist beteiligtenfähig und antragsbefugt.

1. Die Zulässigkeit des Antrags scheitert nicht daran, dass das Eingliederungsge- setz Zwickau zum 01. Januar 1999 in Kraft getreten und die Antragstellerin da- durch aufgelöst ist. Deren Beteiligtenfähigkeit wird für das Verfahren um die Verfassungsmäßigkeit ihrer Eingliederung gemäß § 5 Abs. 4 des Eingliede- rungsgesetzes Zwickau, im Übrigen aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (vgl. SächsVerfGH SächsVBl. 1997, 79) als fortbestehend fin- giert.

2. Die Antragstellerin hat substantiiert vorgetragen, durch die von ihr beanstan- dete Eingemeindung möglicherweise unmittelbar in ihrem Recht aus Artikel 88 Abs. 1 und 2 SächsVerf verletzt zu sein (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 22.10.1998 - Vf. 37-VIII-98 -). Die Antragstellerin genügt den an die Antragsbe- fugnis zu stellenden Anforderungen auch insoweit, als sie die Auflösung des Verwaltungsverbandes Mosel angreift. Die Antragstellerin hat in Ausübung ihres in Artikel 82 Abs. 2, 84 SächsVerf verbürgten Selbstorganisationsrechts zusammen mit anderen Gemeinden den Verwaltungsverband Mosel gegründet und wird daher durch § 2 des Eingliederungsgesetzes Zwickau möglicherweise in ihrer verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie verletzt.

II.

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Die von der Antragstellerin angegriffenen Regelungen des Eingliederungsgeset- zes Zwickau sind mit der Sächsischen Verfassung offensichtlich vereinbar.

1. Das Eingliederungsgesetz Zwickau ist an folgenden materiellen und formellen Vorgaben der Sächsischen Verfassung zu messen:

a) Gemeinden können auch gegen ihren Willen aufgelöst werden (Art. 88 Abs. 1 i.V.m. Art. 88 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf).

Die einzelnen Gemeinden sind gegenüber Eingriffen in ihren Bestand aber nicht ohne Schutz, da Artikel 88 Abs. 1 SächsVerf - das herkömmliche verfassungsrechtliche Verständnis vom Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung in sich aufnehmend - Veränderungen des Gebietszuschnitts und des Bestandes nur aus Gründen des Wohls der All- gemeinheit zulässt (vgl. SächsVerfGH SächsVBl. 1997, 79 [80]).

b) Der kommunalen Neugliederungsentscheidung des Gesetzgebers hat eine Anhörung der betroffenen Gemeinden und der Bevölkerung der unmittelbar betroffenen Gebiete vorauszugehen.

aa) Eine verfassungsgemäße Beteiligung der Träger kommunaler Selbst- verwaltung erfordert, dass diese rechtzeitig vom wesentlichen Inhalt des Neugliederungsvorhabens und der dafür gegebenen Begrün- dung Kenntnis erlangen. Um dem Zweck der Anhörung zu genü- gen, müssen das Gesetzgebungsvorhaben ergebnisoffen geführt werden und die Stellungnahmen der Gebietskörperschaften in die Entscheidungsfindung eingehen (vgl. SächsVerfGH JbSächsOVG 2, 110 [119 f.]).

(1) Das Anhörungsrecht soll es den kommunalen Trägern der Selbstverwaltung ermöglichen, ihre Sicht in einer für sie existenziel- len Frage zur Geltung zu bringen. Darüber hinaus dient es der Infor- mation des Gesetzgebers, der hierdurch sicherstellt, dass er eine umfassende und zuverlässige Kenntnis von allen abwägungserhebli- chen Belangen rechtlicher und tatsächlicher Art erlangt (vgl. Sächs- VerfGH JbSächsOVG 2, 61 [72]; SächsVerfGH JbSächsOVG 2, 110 [120]).

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(2) Angesichts dieser Zielsetzung sind die an eine Beteiligung der betroffenen Träger kommunaler Selbstverwaltung zu stellenden ver- fassungsrechtlichen Anforderungen nur gewahrt, wenn das Gesetz- gebungsverfahren in jedem Stadium so ergebnisoffen wie möglich geführt und in den endgültigen Abwägungsvorgang erst nach Ab- schluss der Anhörung eingetreten wird.

(3) Darüber hinaus ist geboten, dass die Anhörungsberechtigten über den wesentlichen Inhalt eines Neugliederungsvorhabens und die - für den Abwägungsprozess unverzichtbare - Begründung infor- miert werden. Eine gegenteilige Handhabung vereitelte den Trä- gern der kommunalen Selbstverwaltung, sachgerecht Stellung zu nehmen und dem Gesetzgeber mögliche Alternativen zu unterbrei- ten (SächsVerfGH JbSächsOVG 2, 61 [73]).

bb) Neben den Gemeinden ist vor der Gebietsänderung gemäß Artikel 88 Abs. 2 Satz 3 SächsVerf die Bevölkerung der unmittelbar betrof- fenen Gebiete zu hören. Hierdurch soll der Wille der Bevölkerung er- forscht werden, um ihn bei der Abwägung berücksichtigen zu können (vgl. StGH Baden-Württemberg ESVGH 25, 1 [25]; ders. DÖV 1975, 500 [501]). Dieser Zweck der Anhörung setzt voraus, dass hinrei- chende Informationsmöglichkeiten bestehen (vgl. § 8 Abs. 4 Sächs- GemO i.V.m. Artikel 88 Abs. 4 SächsVerf). c) Der Gesetzgeber hat den - die Bestands- oder Gebietsveränderung ver- fassungsrechtlich legitimierenden - unbestimmten Begriff des Wohls der Allgemeinheit im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu kon- kretisieren. Daher sind zunächst die vom Gesetzgeber verfolgten Gemeinwohlziele an der verfassungsrechtlichen Garantie der kommuna- len Selbstverwaltung zu messen; sodann ist zu prüfen, ob die aus diesem Reformziel gewonnenen Leitsätze eine Neugliederung überhaupt zu recht- fertigen vermögen und ob die einzelne erwogene Maßnahme den verfas- sungsrechtlichen Anforderungen genügt (SächsVerfGH SächsVBl. 1997, 79 [80]). d) Diesen dem Sächsischen Landtag gesetzten verfassungsrechtlichen Vor- gaben korrespondiert die Kontrollkompetenz des Sächsischen Verfas- sungsgerichtshofes, der die Entscheidungsräume des Sächsischen Land- tages zu respektieren hat.

21

aa) Das allgemeine Ziel, welches der Gesetzgeber mit der Neuregelung verfolgt, muss das Gemeinwohl fördern (Art. 88 Abs. 1 SächsVerf). Dabei prüft der Verfassungsgerichtshof nur, ob - im Lichte der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie betrachtet - verfassungsrechtlich legitime Reformziele verwirklicht werden sollen (vgl. SächsVerfGH JbSächsOVG 3, 107 [116]). bb) Die vom Sächsischen Landtag als Ordnungsrahmen aufgestellten Leitsätze (Leitbilder und Leitlinien) hat der Verfassungsgerichtshof daran zu messen, ob der Gesetzgeber sich aufdrängende Gemein- wohlaspekte übersehen hat, ob die den Leitsätzen zugrundeliegen- den Erkenntnisse offensichtlich unzutreffend sind und ob die Leitsät- ze offensichtlich ungeeignet sind, um das Reformziel zu verwirkli- chen. cc) Bei der einzelnen Neugliederungsmaßnahme hat der Verfassungs- gerichtshof zu beurteilen, ob der Sächsische Landtag den für seine Regelung erheblichen Sachverhalt ermittelt und berücksichtigt so- wie die Gemeinwohlgründe und die Vor- und Nachteile der Alternati- ven in die Abwägung eingestellt und das Gebot der kommunalen Gleichbehandlung beachtet hat.

Hingegen ist es grundsätzlich allein Sache des demokratisch legiti- mierten Gesetzgebers, die relevanten Belange im Einzelnen zu ge- wichten und zu bewerten. Insoweit hat der Verfassungsgerichtshof zunächst darüber zu befinden, ob Ziele, Wertungen und Prognosen des Gesetzgebers offensichtlich und eindeutig widerlegbar sind oder den Prinzipien der verfassungsrechtlichen Ordnung widersprechen (SächsVerfGH SächsVBl. 1997, 79 [80]; vgl. BVerfGE 86, 90 [109]). Sodann ist darüber zu erkennen, ob der Gesetzgeber das von ihm geschaffene Konzept in einer dem verfassungsrechtlichen Gebot der Systemgerechtigkeit genügenden Weise umgesetzt hat (vgl. SächsVerfGH JbSächsOVG 3, 107 [119]), ob das Abwägungsergeb- nis zu den verfolgten Zielen deutlich außer Verhältnis steht oder von willkürlichen Gesichtspunkten oder Differenzierungen beeinflusst ist (vgl. BVerfGE 86, 90 [109]). Für diese Prüfung ist es unabdingbar, dass der Sächsische Landtag seiner Entscheidung eine Begründung

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beigegeben hat, aus der die für den Abwägungsprozess und sein Ergebnis relevanten Gesichtspunkte erkennbar werden.

2. Von diesen Maßstäben ausgehend sind die mit der kommunalen Normenkon- trolle angegriffenen Regelungen des Eingliederungsgesetzes Zwickau mit Ar- tikel 82 Abs. 2, Artikel 84 Abs. 1 Satz 2, Artikel 86, 88 Abs. 1 SächsVerf of- fensichtlich vereinbar.

a) Die Antragstellerin wurde im Gesetzgebungsverfahren verfassungsge- mäß angehört.

aa) Sie hatte vom 07. Januar bis zum 04. April 1997 - und damit ausreichend - Gelegenheit, zu dem Entwurf des Sächsischen Staatsministeriums des Innern, der ihre Eingemeindung in die Stadt Zwickau vorsah, Stellung zu nehmen. Das Ergebnis dieser Anhö- rung wurde in der Sitzung des Innenausschusses des Sächsischen Landtages am 15. Dezember 1997 im Rahmen einer öffentlichen An- hörung erörtert und war Gegenstand der Debatte in der 83. Sitzung des Sächsischen Landtages am 22. Juli 1998 (Plenarprotokolle S. 6037 ff.).

Die von der Antragstellerin für erforderlich erachtete Beteiligung bei der Erstellung des Gutachtens der Professoren M. und T. ist in der Sächsischen Verfassung nicht vorgesehen.

bb) Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber von vornherein auf die Ergebnisse des Gutachtens der Professoren M. und T. festgelegt war und die Anhörung nicht ergebnisoffen durchgeführt hat.

Eine vorzeitige Entscheidungsfindung lässt sich insbesondere nicht daraus ableiten, dass der Sächsische Landtag letztlich weitgehend den Vorschlägen des Gutachtens gefolgt ist. Dies kann vielmehr un- schwer damit erklärt werden, dass der Gesetzgeber die von den Professoren M. und T. angeregte Eingliederung der Antragstellerin auch unter Berücksichtigung der von dieser vorgetragenen Ge- sichtspunkte als optimale Lösung erachtet hat. Gegen eine unkriti- sche Übernahme des Gutachtens spricht zudem, dass von dessen Empfehlungen in anderen Gegenden abgewichen wurde.

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Ebenso wenig wird eine fehlende Ergebnisoffenheit des Gesetzge- bers dadurch indiziert, dass er die Belange von Kernstadt und Um- land in gleicher Weise wie das Gutachten gewichtet hat.

cc) Die vom Sächsischen Staatsministerium des Innern erarbeitete Be- gründung des Gesetzentwurfs ist aus verfassungsrechtlicher Sicht jedenfalls insoweit nicht zu beanstanden, als sie die Antragstellerin betrifft. Die von der Antragstellerin gerügte Kürze und Oberflächlich- keit der sie betreffenden Ausführungen vermag der Verfassungsge- richtshof nicht zu erkennen.

Anders als die Antragstellerin meint, war es nicht erforderlich, den Inhalt des von den Professoren M. und T. erstellten Gutachtens im Gesetzentwurf insgesamt zu referieren. Vielmehr genügte es, die abwägungsrelevanten Gesichtspunkte sowie die im Gesetzge- bungsverfahren von den Anhörungsberechtigten abgegebenen Stel- lungnahmen im Gesetzentwurf anzusprechen. Hierdurch wurde es jedem einzelnen Abgeordneten möglich, bei seiner von ihm zu tref- fenden Entscheidung das Für und Wider der vorgeschlagenen Ein- gliederung der Antragstellerin zu erkennen und sich ein eigenes Bild von Alternativen zu verschaffen.

Die Wahrnehmung ihrer Rechte wurde der Antragstellerin auch nicht durch die von ihr monierte Sprache von Gutachten und Ge- setzesbegründung erschwert. b) Die Anhörung der Bevölkerung wurde zulässigerweise bereits vor Einrei- chung des Gesetzentwurfs durchgeführt und genügt auch ansonsten den Anforderungen von Artikel 88 Abs. 2 Satz 3 SächsVerf. c) Im Gesetzgebungsverfahren vermag der Verfassungsgerichtshof keine verfassungsrechtlich relevanten Säumnisse erkennen.

aa) Eine Verfassungswidrigkeit des Eingliederungsgesetzes Zwickau folgt nicht daraus, dass den Abgeordneten des Sächsischen Land- tages nach Darstellung der Antragstellerin bei der Beschlussfassung die "Begründung allgemeiner Teil" der Beschlussempfehlung des Innenausschusses (DS 2/9277) nicht vorgelegen haben soll.

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Zum einen wird angesichts der förmlichen Ausgestaltung des Ge- setzgebungsverfahrens die Wirksamkeit eines Gesetzes nicht da- von berührt, welche objektiv vorhandenen Erkenntnisquellen der ein- zelne Abgeordnete tatsächlich ausgeschöpft hat. Zum anderen wur- de in der Drucksache, in welche die Beschlussempfehlung und der Bericht des Innenausschusses zum Eingliederungsgesetz Zwickau (DS 2/9277) aufgenommen waren, durch den Hinweis "Teile 2 und 3 siehe DS 2/9275" die Drucksache zum Gesetz zur Eingliederung von Gemeinden und Gemeindeteilen in die Stadt Dresden in Bezug genommen, der einen im Kern kongruenten allgemeinen Teil ent- hält. Über die generelle Zielsetzung aller Neugliederungsgesetze im Stadt-Umland-Bereich wurde zudem vor der zweiten und dritten Lesung des Eingliederungsgesetzes Zwickau im Rahmen einer all- gemeinen Aussprache auf der 83. Sitzung des Sächsischen Land- tages vom 22. Juli 1998 debattiert (vgl. Plenarprotokolle S. 6017 ff.). bb) Ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Einsichtnahme in die Pro- tokolle der nichtöffentlichen Ausschusssitzungen des Sächsischen Landtages besteht nicht.

Der dargelegte Zweck der Beteiligung der Träger kommunaler Selbstverwaltung gebietet lediglich, dass diese Kenntnis der im Gesetzgebungsverfahren vorgetragenen Gesichtspunkte erhalten und zu diesen Stellung nehmen können. Hingegen bedürfen sie zur Wahrnehmung ihrer berechtigten Belange nicht das Wissen um den Verlauf von Ausschusssitzungen, die der Verfassungsgeber aus Gründen ihrer Vertraulichkeit bewusst als nichtöffentlich ausgestaltet hat (Artikel 52 Abs. 3 SächsVerf). Dies gilt umso mehr, als sämtli- che abwägungsrelevanten Gesichtspunkte im Anhörungsverfahren und in der Gesetzesbegründung Niederschlag finden müssen und damit von vornherein nicht zu besorgen ist, dass in Ausschusssitzun- gen ansonsten nicht vorgetragene Umstände tatsächlicher Art erör- tert werden und dann in die Beschlussfassung des Sächsischen Landtages eingehen.

Die von der Antragstellerin beanspruchte Befugnis zur Einsicht in die Akten der Staatsregierung während eines laufenden Gesetzge- bungsverfahrens ist aus der Sächsischen Verfassung nicht ersicht-

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lich. Ein etwaiger - nicht willkürlicher - Verstoß gegen einfaches Recht könnte aus den dargelegten Erwägungen die Verfassungs- mäßigkeit des Gesetzes nicht berühren. d) Die Auflösung der Antragstellerin genügt den Gemeinwohlerfordernissen des Artikel 88 Abs. 1 SächsVerf. Der Sächsische Landtag hat das allgemeine Ziel und die Leitsätze des Eingliederungsgesetzes Zwickau verfassungsgemäß entwickelt (unten aa) und sich an diese bei seiner Entscheidung, die Antragstellerin in die Kreisfreie Stadt Zwickau einzugliedern, gehalten (unten bb).

aa) Dem Gesetzgebungsverfahren liegt ein verfassungsmäßiges Ziel zu Grunde [unten (1)]. Die Gemeinwohlaspekte sind im Lichte von Artikel 88 Abs. 1 SächsVerf hergeleitet und abgewogen [unten (2)]. Der für die Leitsatzbildung relevante Sachverhalt ist verfassungsgemäß erhoben [unten (3)]. Die Interessen zwischen der Kernstadt und den Umlandgemeinden sind ohne Verfassungsverstoß gewichtet [unten (4)].

(1) Die Sächsischen Gemeinden entsprachen in ihrer bisherigen Ge- staltung zu einem erheblichen Teil den an eine moderne Verwal- tung zu stellenden Anforderungen nicht, sodass das den einzelnen Leitsätzen vorangestellte Ziel des Eingliederungsgesetzes Zwickau durch hinreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigt ist.

(2) Gleichermaßen sind die aus dieser Zielsetzung abgeleiteten Leitsätze, die eine grundlegende Gebietsumgestaltung auf Gemeindeebene zur Folge haben, mit der Sächsischen Verfassung vereinbar.

(2.1) Verfassungsrechtlich unbedenklich ist der mit dem Einglie- derungsgesetz Zwickau sowie den sonstigen Gemeindegebietsre- formgesetzen verfolgte Zweck, die Leistungs- und Verwaltungskraft der Gemeinden zu stärken, die Entwicklungsmöglichkeiten der kom- munalen Selbstverwaltung zu fördern und die Effizienz der staatli- chen Aufgabenerledigung zu erhöhen (vgl. die einzelnen Leitsätze zu I). Gleichermaßen hält verfassungsgerichtlicher Überprüfung Stand, dass die kommunale Gebietsneugliederung im Umland Kreisfreier Städte nach den Leitsätzen II in besonderer Weise

26 darauf abzielt, den Gebietszuschnitt der Verwaltungsträger mit dem tatsächlichen Aufgabenraum abzustimmen und hierdurch dys- funktionalen Entwicklungen entgegenzuwirken (vgl. ThürVerfGH NVwZ-RR 1997, 639 [642]).

(2.2) Der Gesetzgeber hat sich in seinen Leitsätzen auch einen Ordnungsrahmen vorgegeben, der geeignet ist, dem öffentlichen Wohl zu dienen.

(2.2.1) Das mit dem Eingliederungsgesetz Zwickau verwirklichte Ge- bietsreformsystem steht mit der Sächsischen Verfassung in Ein- klang.

Offenkundig von Gemeinwohlgründen getragen ist, dass das Ein- gliederungsgesetz Zwickau die Verwaltungseinheiten dem Aufga- benraum anpassen soll (Leitsatz III). Eine solche Kongruenz ist er- kennbar geeignet, die örtliche Verwaltung - auch aus der Sicht des Bürgers - übersichtlicher, unkomplizierter und reibungsloser zu ge- stalten und wirtschaftlicher zu organisieren. Außer Frage steht wei- terhin, dass Eingemeindungen ein geeignetes Mittel darstellen, um die Leistungskraft der Kernstadt zu stärken und den Stadt-Umland- Bereich - auch zum Wohle der Bürger der einzugliedernden Ge- meinden - sinnvoll neu zu ordnen (vgl. ThürVerfGH NVwZ-RR 1997, 639 [643]).

(2.2.2) Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die Zahl der Verwaltungsebenen begrenzen wollte und daher als leit- satzgerechte Organisationsform die Einheitsgemeinde gewählt hat (Leitsatz II.6).

Die Einschätzung des Sächsischen Landtages, die Einheitsge- meinde vermeide den Aufwand für die Verwaltung selbstständig bleibender Gemeinden und sei damit effizienter als eine Verwal- tungsgemeinschaft, ist im Lichte der Verfassung ebenso hinnehm- bar wie die Annahme, sie erleichtere durch den Verzicht auf zusätzli- che Verwaltungsebenen die Kooperation im Stadt-Umland-Bereich. Gleiches gilt, soweit der Gesetzgeber davon ausgeht, die Einheits- gemeinden böten günstigere Möglichkeiten für die bürgerschaftliche

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Teilnahme an der Selbstverwaltung und hielten die politischen Ent- scheidungen transparenter.

(3) Der Sächsische Landtag hat die für die Leitsatzbildung notwendigen Sachverhaltselemente vollständig und sorgfältig erho- ben.

Ihm lagen die umfangreiche Begründung der Staatsregierung zum Gesetzentwurf, die erschöpfenden Stellungnahmen der Träger kom- munaler Selbstverwaltung sowie der Landesentwicklungsplan vor. Hierdurch konnte sich jeder einzelne Abgeordnete ein verlässliches eigenes Bild von den tatsächlichen Verhältnissen und den Entschei- dungsalternativen verschaffen.

(4) Weiterhin hat der Sächsische Landtag in seinen Leitsätzen die Belange zwischen Kernstadt und den Umlandgemeinden verfassungsgemäß abgewogen.

(4.1) Im Gesetzentwurf und im Gutachten sind vielfältige Entwicklun- gen aufgezeigt, die im Bereich der Kreisfreien Stadt Zwickau und ih- res Umlandes einen erheblichen Koordinierungsbedarf auslösen. Insbesondere ist von einer legitimen Zielsetzung getragen, dass der Gesetzgeber die Kommunikations- und Kooperationsbarrieren zwi- schen der Stadt Zwickau und deren Umlandgemeinden beseitigen wollte, um deren Rolle im interregionalen Wettbewerb nicht nachhal- tig zu gefährden.

Die ohne Bewältigung der Stadt-Umland-Probleme erwarteten Pro- zesse sind im Gesetzentwurf nachvollziehbar wiedergegeben und durch Tatsachengrundlagen belegt. So wird etwa hervorgehoben, dass sich die Region Zwickau mit knapp 180.000 Einwohnern (Kernstadt: 102.752 Einwohner; Umland: über 77.000 Einwohner) deutlich von den übrigen großstädtischen Bereichen im Freistaat Sachsen abhebe und in Verbindung mit dem polyzentrischen Ver- dichtungsraum Chemnitz-Zwickau das flächengrößte Ballungsgebiet in Sachsen darstelle. Von Verfassungs wegen ist auch nichts gegen die Feststellung zu erinnern, dass die Umlandgemeinden im Raum Zwickau den Tälern des Naturraumes folgen und diese historisch ge- prägten Siedlungsachsen nicht mehr der zwischenzeitlich ausgebil-

28 deten Linieninfrastruktur entsprechen. Der hierdurch aus der Sicht des Gesetzentwurfs ausgelöste Abstimmungs- und Koordinie- rungsaufwand wird dadurch untermauert, dass einerseits im Umland der Stadt Zwickau mit einem Durchschnittswert von 347 Einwohnern je km 2 eine relativ starke Verdichtung zu beobachten ist, anderer- seits aber die Siedlungsstruktur primär von ehemals ländlichen Gemeinden - teilweise mit vorstädtischem Charakter - geprägt ist, die nunmehr eine starke Überformung durch Wohnungsbau und Ge- werbeansiedlung erfahren.

Plausibel wird weiterhin darauf abgestellt, dass traditionelle Indu- striezweige, die einst das wirtschaftliche Rückgrat der Stadt Zwickau darstellten, wesentlich an Bedeutung verloren haben und der aus dieser Situation erwachsende Flächenbedarf zur Ansiede- lung von Industrie und Gewerbe von der Stadt Zwickau nicht befrie- digt werden könne. Diese Einschätzung wird dadurch bestärkt, dass die Stadt Zwickau - nach Abzug der durch Neuausweisung und Re- vitalisierung von Industriebrachen zu schaffenden Gewerbeflächen - bis zum Jahre 2004 für Gewerbeansiedlungen rd. 80 ha Land benö- tigt und dieser Bedarf innerhalb der bisherigen Stadtgrenzen nicht zu decken ist.

In gleicher Weise nachvollziehbar wird im Gesetzentwurf davon ausgegangen, dass die Stadt Zwickau einer Bevölkerungsabwande- rung in das Umland nur wirksam begegnen könne, wenn auf ihrem Gebiet rd. 4.000 Wohneinheiten im Eigenheimbereich entstehen. Ab- gerundet werden diese Prognosen mit dem Hinweis auf drei Ent- wicklungsachsen bei der Gewerbeentwicklung und den von diesen ausgehenden Einpendlerüberschuss.

(4.2) Der Verfassungsgerichtshof hat davon auszugehen, dass Ein- gliederungen geeignet sind, die im Umland der Kreisfreien Stadt Zwickau anstehenden Strukturfragen zu bewältigen.

(4.2.1) Die Antragstellerin kann nicht damit durchdringen, dass die Eingliederung von Umlandgemeinden die mit der Suburbanisie- rung verbundenen Problemlagen an die neuen Stadtgrenzen verla- gere. Sie beanstandet mit diesem Vortrag die gesetzgeberische Pro- gnose, ohne dass diese offensichtlich verfehlt ist.

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(4.2.2) Soweit die Antragstellerin die Ursachen für die im Gesetz- entwurf aufgezeigten Problemlagen nicht in der Gebietsstruktur, sondern auf dem Arbeitsmarkt ansiedelt, versucht sie vergebens, ihre eigene Einschätzung an die Stelle der hierfür maßgebenden des Gesetzgebers zu setzen. Dieser hat seine Sicht auf eine zutref- fende Tatsachengrundlage gestützt und in widerspruchsfreier Wei- se dargelegt.

(4.2.3) Der Gesetzgeber hat die Kriterien für den Zuschnitt des Ge- meindegebiets, insbesondere für die anzustrebende Mindestgröße von 5.000 Einwohnern in Bereichen mit Verdichtungsansätzen im Ländlichen Raum und von 8.000 Einwohnern im unmittelbar an die Oberzentren angrenzenden Verdichteten Raum, plausibel begrün- det.

Er hat sich auf Effizienzuntersuchungen bezogen (Gutachten M./T., S. 196), die unter anderem auf den Erfahrungen der alten Bundes- länder beruhen und deren Richtigkeit weder von der Antragstellerin im Einzelnen in Abrede gestellt noch widerlegbar ist. Der Sächsische Landtag hat auch in Betracht gezogen, dass die Aufgaben in den neuen Bundesländern nach wie vor umfangreicher und komplexer sind (Begründung zu Leitsatz I.5, S. 105 der Begründung des Gesetzentwurfs) und dass im unmittelbar an ein Oberzentrum an- grenzenden Verdichteten Raum eine stärkere Verwaltungs-, Pla- nungs- und Finanzkraft erforderlich ist als im Ländlichen Raum (S. 103 der Begründung des Gesetzentwurfs).

(4.3) Das Eingliederungsgesetz Zwickau geht über die Verfolgung dieser verfassungsmäßigen Ziele nicht hinaus und misst den Belan- gen der Kernstädte entgegen den Erwägungen der Antragstellerin kein zu großes Gewicht bei.

Selbst wenn das Eingliederungsgesetz Zwickau nicht nur die spezifi- schen Strukturprobleme im Stadt-Umland-Bereich bewältigen, son- dern darüber hinaus die gesamte Region stärken sollte, wären solche Wirkungen, von denen jede Gemeinde und jeder ihrer Bürger Vorteile zöge, unzweifelhaft von Gründen des Gemeinwohls getra- gen.

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bb) Bei seiner Entscheidung, die Antragstellerin in die Kreisfreie Stadt Zwickau einzugliedern, hat der Sächsische Landtag seine Leitsätze ohne Verfassungsverstoß umgesetzt.

Er hat den relevanten Sachverhalt erhoben [unten (1)] und bei der Abwägung der Interessen das Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin gewahrt [unten (2)].

(1) Der Verabschiedung des Eingliederungsgesetzes Zwickau ist eine hinreichende Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes vorausgegangen.

Dem Sächsischen Landtag standen die erschöpfende Begründung des Gesetzentwurfs, die Stellungnahmen der Träger kommunaler Selbstverwaltung, darunter der Antragstellerin und des Landkreises Zwickauer Land, sowie der Landesentwicklungsplan und die Stel- lungnahme der Gemeinde Mosel zu deren Eingliederung nach Zwickau zur Verfügung. Zudem haben im Innenausschuss des Sächsischen Landtages umfassende Anhörungen und Erörterungen stattgefunden, in deren Verlauf ein umfangreiches Tatsachen- und Argumentationsmaterial verarbeitet worden ist.

(1.1) Von einer Erhebung der von der Antragstellerin zusätzlich an- gemahnten Daten war der Sächsische Landtag entbunden, da nach seiner vertretbaren Sicht aus diesen keine weiteren abwä- gungsrelevanten Umstände zu gewinnen waren.

Der Gesetzgeber ging erkennbar davon aus, dass die Antragstel- lerin die ihr im lokalen Bereich zugekommenen Aufgaben sachge- recht erfüllt habe und hatte schon deshalb keinen Anlass, dies durch weitergehende Feststellung zur Verwaltungskraft der Antragstellerin sowie zu deren Ausstattung mit Infrastruktur und Einrichtungen der Daseinsvorsorge zu unterstützen.

(1.2) Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Sächsische Landtag den von der Stadt Zwickau ermittelten Flächenbedarf in verfassungswidriger Weise seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat.

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In der Begründung des Gesetzentwurfs (S. 160 f.) ist dargelegt, wie die Stadt Zwickau die Nachfrage nach Bauland für Wohn- und Ge- werbezwecke erhoben hat. Zweifel an der Vertretbarkeit dieser Ein- schätzung bestehen nicht. Sie basiert auf einer von der Stadt Zwickau im Jahre 1995 in Auftrag gegebenen Gewerbe- und Indu- striebedarfsflächenprognose und berücksichtigt das Entwicklungspo- tential innerhalb der bisherigen Stadtgrenzen ebenso wie die spürbar unterdurchschnittliche Ausstattung mit Ein- und Zweifamilienhäusern und die Defizite bei der bisherigen Ausstattung mit oberzentralen Einrichtungen.

(1.3) Der Sächsische Landtag hatte die künftigen Entwicklungen der Antragstellerin, der Stadt Zwickau, der Gemeinde Mosel und des Werks der Volkswagen AG nicht weitergehend zu erheben, als dies im Gesetzgebungsverfahren geschehen ist.

Bereits auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen kann nicht in Frage stehen, dass das Werk der Volkswagen AG mit mehreren tausend Beschäftigten spezifische Ordnungsprobleme im Sinne von Nr. II.5 der Leitsätze auslöst, etwa atypische Verkehrs- ströme mit sich bringt. Offen bleiben kann deshalb, ob die von der Antragstellerin vermisste Entwicklungsachse tatsächlich existiert.

(1.4) Vergebens beanstandet die Antragstellerin, dass die Sach- verhaltselemente auf einem verfassungswidrigen Weg in das Ge- setzgebungsverfahren Eingang gefunden hätten.

(1.4.1) Es ist unbedenklich, dass die in den Abwägungsprozess eingegangenen Tatsachen überwiegend auf den im Gutachten der Professoren M. und T. getroffenen Feststellungen basieren. Für die Ausgewogenheit und Vollständigkeit der erhobenen Umstände kann nicht nachteilig sein, dass sie - teilweise unter Verwertung des durch Dritte erhobenen Materials - von Wissenschaftlern gesam- melt wurden.

Im Rahmen der gesetzgeberischen Verantwortung hält sich auch, dass einzelne Daten, welche in das Gutachten Eingang gefunden haben und vom Sächsischen Landtag übernommen wurden, von

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Erhebungen von privatrechtlich organisierten juristischen Personen stammen.

Für die von der Antragstellerin für notwendig erachtete Ausschreibung des Gutachtensauftrages besteht von Verfassungs wegen kein Anlass.

(1.4.2.) Entgegen den Erwägungen der Antragstellerin waren weder die Staatsregierung noch Mitglieder des federführenden Innen- ausschusses des Sächsischen Landtages gehalten, die im Raum Zwickau neu geordneten Gebiete zu bereisen, um ihre Entschei- dungsfindung auf verlässlichere Grundlagen zu stellen. Die dörfli- chen Strukturen, die landschaftlichen Gegebenheiten und die Ent- fernungsverhältnisse sind aus der Gesetzesbegründung und den beigefügten Karten widerspruchsfrei zu entnehmen, sodass nicht er- kennbar ist, welche zusätzlichen Erkenntnisse vor Ort hätten ge- wonnen werden können.

(1.5) Weitergehende Recherchen durfte der Sächsische Landtag für entbehrlich halten. Er hat innerhalb der ihm durch die Verfassung und die eigene Handhabung gesetzten Schranken grundsätzlich ei- genverantwortlich darüber zu befinden, wie er den Zugang zum er- forderlichen Tatsachenmaterial sucht.

(2) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat sich der Ge- setzgeber bei der Umsetzung seiner Leitsätze an diesen orientiert und das Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin nicht durch eine fehlerhafte Abwägung verletzt.

(2.1) Die Einwohnerzahl der Antragstellerin wird nicht den Anforde- rungen gerecht, welche die Leitsätze an eine leistungsfähige Ge- meinde im Verdichteten Raum stellen.

Die Antragstellerin erreicht mit rd. 600 Einwohnern die nach Leit- satz I.4 gebotene Mindestgröße von 8.000 Einwohnern bei Weitem nicht. Von dieser Richtzahl hat der Verfassungsgerichtshof auch un- abhängig davon auszugehen, ob er angehalten ist, derzeit zu un- terstellen, dass die Antragstellerin der Randzone des im Landesent- wicklungsplan Sachsen (SächsGVBl. 1994 S. 1489) ausgewiese-

33 nen Verdichtungsraumes zugeordnet ist (Anhang 2 unter 1.3). Selbst wenn der Verfassungsgerichtshof im Folgenden die Antrag- stellerin zu deren Gunsten als in der Randzone des Verdichtungs- raums angesiedelt erachtet, verbleibt es dabei, dass nach Leitsatz I.4 eine geringere Einwohnerzahl als 8.000 nur für Gemeinden mit Gebieten mit Verdichtungsansätzen im Ländlichen Raum hinzuneh- men ist.

Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die von der Antragstel- lerin erstrebte Einheitsgemeinde Mosel eine Einwohnerzahl von rund 5.500, mithin nicht annähernd die in den Leitsätzen vorgege- bene Mindestgröße von 8.000, erreicht hätte.

(2.2) Mit der Sächsischen Verfassung steht in Einklang, dass der Sächsische Landtag keinen Anlass sah, bei der Neugliederung im Umland von Zwickau von der im Leitsatz I.4 niedergelegten Einwoh- nerzahl abzuweichen.

Die gesetzgeberische Auffassung, wonach die auf dem Gebiet der Antragstellerin vorhandenen Umweltschäden, vor allem der größte sächsische Uranschlammteich, am leichtesten behoben werden könnten, wenn in Zukunft mit der Kreisfreien Stadt Zwickau nur noch einem Entscheidungsträger die Verantwortlichkeit für die Sanierung zukomme, ist verfassungsrechtlich hinnehmbar (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 03.12.1998 - Vf. 56-VIII-98 -). Der Verfassungsgerichtshof ist insoweit nicht dazu berufen, an Stel- le des demokratisch legitimierten Gesetzgebers das Für und Wider bei der Bewältigung der Altlastenproblematik selbst abzuwägen. Sei- ne Überprüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob die Gewichtung und Bewertung der Gemeinwohlaspekte deutlich außer Verhältnis zu dem ihnen objektiv zukommenden Gewicht steht.

Der vom Sächsischen Landtag befürchtete Ansiedelungsdruck und die aus diesem folgende Gefahr einer gegenüber der Stadt Zwickau unabgestimmten Entwicklung wird durch den außerge- wöhnlichen Bevölkerungszuwachs, den die Antragstellerin in den letzten Jahren erfahren hat, bestärkt.

34

Aus der geographischen Lage der Antragstellerin folgt zudem, dass vom Gebiet der Gemeinde Mosel, deren Eingliederung in die Stadt Zwickau vom Verfassungsgerichtshof mit Urteil vom heutigen Tage (Vf. 54-VIII-98) bestätigt worden ist, Planungsbedürfnisse und Entwicklungsmöglichkeiten auf das Gebiet der Antragstellerin aus- strahlen. Erst recht erscheint die Auffassung, dass die von Mosel und Zwickau weitgehend umschlossene Antragstellerin nach der Eingliederung der Gemeinde Mosel in die Stadt Zwickau nicht fort- bestehen könne, zwingend.

Die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative wird auch nicht da- durch überschritten, dass der Sächsische Landtag annahm, ausge- wogene Strukturen im Norden von Zwickau am besten durch einen einheitlichen Planungs- und Entscheidungsraum schaffen zu können.

(2.3) Vor der Verfassung hält ebenso Stand, dass der Gesetzgeber den Steuereinnahmen der Gemeinden des Verwaltungsverbandes Mosel, an denen die Antragstellerin bei Bildung einer Einheitsge- meinde partizipiert hätte, keine maßgebende Bedeutung beigemes- sen hat.

Die atypische Finanzkraft der Gemeinde Mosel ist im Gegenteil ein Anzeichen dafür, dass sich im Stadt-Umland-Bereich von Zwickau keine homogenen wirtschaftlichen Verhältnisse eingestellt haben. Dem Gemeinwohl dient, wenn den hieraus folgenden Diskrepanzen beim gemeindlichen Steueraufkommen durch größere Verwal- tungsräume, die eine sachgerechte Verwendung und Verteilung der von allen Bürgern aufgebrachten Steuermittel begünstigen, begegnet wird.

(2.4) Das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung ist nicht geeignet, die Eingliederung der Antragstellerin in Frage zu stellen. Der Verfassungsgerichtshof verkennt dabei nicht, dass die geringe Akzeptanz einer Neugliederungsentscheidung gegen eine anson- sten angezeigte Gemeindegebietsreform sprechen kann (vgl. BVerfGE 86, 90 [111]). Die innere Ablehnung der Bevölkerung und die damit verbundenen Erschwernisse bei der Verwirklichung des Neugliederungsvorhabens sind aber nur ein Umstand unter vielen,

35 den der Gesetzgeber bei der Ermittlung des Gemeinwohls zu be- denken hat (vgl. StGH Baden-Württemberg ESVGH 25, 1 [25]).

Weitergehende Bedeutung kommt der Anhörung der Bevölkerung nicht zu. Dies folgt im Ausgangspunkt bereits daraus, dass Artikel 88 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf die Auflösung einer Gemeinde gegen deren Willen - und damit auch jenen ihrer Einwohner - zulässt und diese Wertentscheidung nicht durch eine Überbetonung des Bür- gerwillens unterlaufen werden darf (vgl. StGH Baden-Württemberg ESVGH 25, 1 [20 f.]). Vor allem aber steht einem ausgeprägte- ren Einfluss des Ergebnisses der Anhörung der Bevölkerung entge- gen, dass sich der Gesetzgeber bei seiner Abwägungsentschei- dung nicht isoliert an örtlichen Belangen ausrichten darf, sondern al- lein das Wohl der Allgemeinheit - als dessen Teil sich die Akzep- tanz der Einwohner darstellt - im Auge zu behalten hat.

Hiervon ausgehend hat sich der Sächsische Landtag offenkundig im Rahmen seiner Entscheidungsfreiheit gehalten, als er bei seiner Ab- wägungsentscheidung das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung hinter den für die Eingliederung der Antragstellerin sprechenden Umstände zurücktreten ließ.

(2.5) Der Sächsische Landtag hat die sonstigen abwägungsrele- vanten Gesichtspunkte weder eindeutig fehlerhaft gewichtet noch in einer Weise zum Ausgleich gebracht, welche die Eingliederung der Antragstellerin als offenkundig fehlerhaft erscheinen lassen.

(2.5.1) Der Gesetzgeber durfte auf Grund des aus der zentralörtli- chen Funktion der Kreisfreien Stadt Zwickau folgenden Flächen- bedarfs einerseits und der fehlenden Leitsatzgerechtigkeit der An- tragstellerin andererseits verfassungsrechtlich zulässig davon aus- gehen, dass diese aufzulösen sei. Im Rahmen seines Beurtei- lungsspielraums liegt die Erwartung, dass sowohl die Stadt Zwickau als auch die Antragstellerin und die Gemeinde Mosel ohne deren Eingliederung Entwicklungen nähmen, die komplexe Ordnungspro- bleme auslösten. Innerhalb der ihm zu gewährenden Gestaltungs- befugnis hat sich der Sächsische Landtag auch mit der Erwägung gehalten, dass alle radioaktiv belasteten Bereiche im Norden

36

Zwickaus einer möglichst leistungsstarken Verwaltungseinheit zugeordnet werden sollten.

(2.5.2) Den ihm von der Sächsischen Verfassung eröffneten Ent- scheidungsrahmen hat der Sächsische Landtag nicht dadurch überschritten, dass er davon ausging, die stärksten überörtlichen Verflechtungen der Antragstellerin bestünden zur Kreisfreien Stadt Zwickau. Es ist auch nichts dagegen zu erinnern, dass sich der Sächsische Landtag von einer Eingliederung der Antragstellerin ei- ne Intensivierung der Beziehungen innerhalb des neuen Stadtgebietes verspricht. Die derzeitigen Planungen der Städtischen Verkehrsbetriebe Zwickau GmbH können dies nicht in Frage stellen.

(2.5.3) Der Verfassungsgerichtshof vermag der Antragstellerin nicht darin beizutreten, dass die mit der Ansiedlung des Werkes der Volkswagen AG verbundenen Ordnungsprobleme nicht die Ge- meinde Mosel treffen, da die Ursachen für die dysfunktionalen Ent- wicklungen auf deren Gebiet liegen.

(2.5.4) Der fehlende bauliche Zusammenhang und die verschiede- nen historischen Wurzeln hindern die Eingemeindung der Antrag- stellerin in die Kreisfreie Stadt Zwickau ebenso wenig wie die un- terschiedlichen Strukturen beider Kommunen und das abweichende Identitätsgefühl ihrer Bürger.

Diese Umstände mögen zwar tendenziell für die Bewahrung der rechtlichen Selbstständigkeit der Antragstellerin sprechen, stellen aber bloße Einzelelemente im Gesamtabwägungsvorgang dar und stehen in Wechselwirkungen mit anderen Leitsätzen der Gebietsre- form. Hiervon ausgehend ist es offensichtlich weder unverhältnismä- ßig noch willkürlich, wenn sie der Sächsische Landtag gegenüber den anderen nach den Leitsätzen der Gemeindegebietsreform rele- vanten Zielsetzungen zurücktreten ließ.

(2.5.5) Ob es dem Wohl der Allgemeinheit widerspräche und in die Rechte der Antragstellerin eingriffe, falls durch die Eingliederung der nördlich von Zwickau gelegenen Gemeinden der Landkreis Zwickau- er Land eine mit den Leitsätzen der Kreisgebietsreform unvereinba- re Gestaltung erlangte, kann dahinstehen.

37

Selbst wenn unterstellt wird, dass die Kreisgebietsreform im Um- land Kreisfreier Städte die Bildung von Sektoralkreisen bevorzugt haben sollte, verschöbe die Eingliederung der Antragstellerin und der anderen in § 1 des Eingliederungsgesetzes Zwickau genannten Gemeinden die Struktur des Landkreises Zwickauer Land nicht gegenläufig zur Tendenz der Kreisgebietsreform. Der Landkreis Zwickauer Land ist seit der Kreisgebietsreform als ein die Stadt Zwickau voll umschließender Kragenkreis ausgestaltet und erfährt durch die Zuweisung der Gemeinden Mosel, Oberrothenbach und Schlunzig erstmals eine - wenn auch marginale - Durchbrechung seiner Ringform.

Inwieweit die mit der Eingemeindung der Antragstellerin verbunde- ne Beeinträchtigung der Wirtschaftskraft des Landkreises Zwickauer Land auf die Verfassungsmäßigkeit der Gemeindeneu- gliederungsentscheidung ausstrahlen könnte, bedarf keiner Erörte- rung, da der Gesetzgeber diese Auswirkungen gesehen und be- rücksichtigt hat (vgl. S. 170 der Begründung des Gesetzentwurfs). Seine Auffassung, bei einer Gesamtbilanz überwögen die mit der Stärkung des Oberzentrums verbundenen Vorteile die mit der Schwächung des Landkreises einhergehenden Nachteile, stimmt mit den Vorgaben der Sächsischen Verfassung überein.

(2.5.6.) Die Eingliederung der Antragstellerin scheitert nicht an der geschaffenen Raumtiefe.

Der Antragstellerin ist zwar zuzugeben, dass die Stadt Zwickau durch die Eingemeindung der in § 1 des Eingliederungsgesetzes Zwickau genannten Kommunen eine räumliche Ausdehnung erfährt, welche den im Leitsatz I.4 des Gutachtens der Professoren M. und T. angeregten Radius von maximal sieben bis zehn Kilometer über- schreitet. Zum einen ist aber diese Empfehlung vom Sächsischen Landtag entsprechend dem Gesetzentwurf der Staatsregierung nicht uneingeschränkt übernommen, sondern durch die in Leitsatz II.2 genannte Angemessenheitsschwelle ersetzt worden. Zum anderen beruht die durch das Eingliederungsgesetz Zwickau entstehende räumliche Ausdehnung der Kreisfreien Stadt Zwickau ersichtlich auf verfassungsgemäßen Überlegungen, da die neuen Verwaltungsräu-

38 me weniger an der regionalen Größe oder an Entfernungskilome- tern als an Problemverflechtungen und Flächenbedarf auszurichten sind (vgl. Leitsatz II.2).

(2.6) Der Gesetzgeber hat hinreichend mögliche Alternativen, wie die Bildung einer Einheitsgemeinde Mosel mit ca. 5.500 Einwoh- nern, eine erweiterte Einheitsgemeinde unter Einschluss von Kom- munen des unteren Mülsengrundes oder den Zusammenschluss der Verwaltungsverbände Mosel und Mülsengrund zu einer neuen Ein- heitsgemeinde, erwogen.

(2.6.1) Im Gesetzentwurf sind zwar nicht alle theoretisch denkbaren Neugestaltungsformen ausführlich behandelt. Die nachhaltige Erör- terung anderer Lösungsmodelle ist verfassungsrechtlich aber nur zu fordern, wenn sie gemessen an den Leitsätzen der Neugliede- rung ernsthaft in Betracht gezogen werden können. Es bliebe rei- ner Formalismus, wenn sich der Sächsische Landtag mit offen- sichtlich ungünstigeren oder gar evident leitsatzwidrigen Gestal- tungsvarianten intensiv zu befassen und sie dann im Einzelnen an den Leitsätzen der Gebietsreform durchzuspielen hätte.

(2.6.2) Als derart fernliegend sind die von der Antragstellerin vorgetragenen Neugliederungsalternativen zu erachten, da die von ihr bevorzugte Einheitsgemeinde Mosel den Einwohnermindestwert im Verdichteten Raum bei Weitem nicht erreicht und zu den Ge- meinden im Mülsengrund - wie von der Antragstellerin zugestanden - keine nennenswerten Verflechtungen bestehen. Die Vereinigung aller Gemeinden der Verwaltungsverbände Mosel und Mülsengrund hätte den Leitsätzen II.1 und III. widersprochen, da der dann ge- schaffene Verwaltungsraum Bereiche ohne spürbare innere Bezie- hungen eingeschlossen hätte und damit über den bestehenden Aufgabenraum hinaus gegangen wäre.

(2.6.3) Der Gesetzgeber war auch nicht durch den Leitsatz I.6 gehalten, den von der Antragstellerin aufgezeigten Neugliederungs- alternativen den Vorrang einzuräumen.

Zwar ist die Stärkung des Umlandes einer Kernstadt ein legitimes Ziel, um die Effektivität der Verwaltung im Stadt-Umland-Bereich zu

39 steigern. Innerhalb des durch die Leitsätze vorgegebenen Handlungs- spielraums hält sich aber auch, dass der Sächsische Landtag im Nor- den von Zwickau davon Abstand nahm, ein Gegengewicht zur Kern- stadt zu bilden. Die von ihm bevorzugte Eingliederung der Antragstel- lerin nach Zwickau verwirklicht nämlich andere Postulate der Leitsät- ze, etwa jene zur Einwohnermindestzahl, und ist damit bei einer Ge- samtschau des gesetzgeberischen Ordnungsrahmens zu dessen Realisierung nicht offenkundig ungeeigneter als eine das Umland fes- tigende Einheitsgemeinde.

Dies gilt umso mehr, als das Verhältnis zwischen der Kreisfreien Stadt Zwickau einerseits sowie der Antragstellerin und den anderen nördlich von Zwickau gelegenen Umlandgemeinden andererseits nach den vom Gesetzgeber dargelegten Verflechtungsbeziehungen nicht so gestaltet ist, dass es erforderlich wäre, dem Randbereich der Kern- stadt noch zusätzliches Gewicht zu verleihen.

(2.7) Der Sächsische Landtag hat bei der Eingliederung der Antrag- stellerin weder das Gebot der Systemgerechtigkeit noch den kommunalen Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.

(2.7.1) Der Verfassungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, dass sich der Sächsische Landtag im Umland Kreisfreier Städte bei sei- nen vielfältigen Entscheidungen zur Gemeindegebietsreform von den von ihm selbst aufgestellten Leitsätzen in einer Weise gelöst hätte, die es erforderte, die Systemgerechtigkeit nicht mehr am Wortlaut der Leitsätze, sondern an den geschaffenen Fakten zu messen.

Zwar muss es der Sächsische Landtag hinnehmen, dass seine Ge- bietsreformentscheidungen vom Verfassungsgerichtshof nicht allein nach Wortlaut, Sinn und Zweck der Leitsätze, sondern auch nach der Konsequenz ihrer Umsetzung beurteilt werden (SächsVerfGH JbSächsOVG 3, 107 [119]). Für den Verfassungsgerichtshof ist je- doch nicht ersichtlich, dass der Sächsische Landtag seinen eigenen Leitsätzen untreu geworden wäre und hierdurch gegen das Konsequenzgebot verstoßen hätte.

Dazu kann sich die Antragstellerin nicht auf im Ländlichen Raum lie- gende Gemeinden berufen, da das Verhältnis zwischen der Antrag-

40 stellerin und der Stadt Zwickau durch spezifische Stadt-Umland-Pro- bleme geprägt ist. Im gegenständlichen Regelungsbereich des Ein- gliederungsgesetzes Zwickau und anderer das Umland Kreisfreier Städte betreffender Gebietsreformgesetze kann der Verfassungsge- richtshof keinen Systembruch erkennen, aus dem die Antragstellerin Rechte herzuleiten im Stande wäre. Die von dieser herangezogene Gemeinde Wilkau-Haßlau weist über 10.000 Einwohner auf und kommt daher für eine Eingliederung nicht primär in Frage (vgl. S. 165 der Begründung des Gesetzentwurfs). Die Gemeinden Reinsdorf, Vielau und Friedrichsgrün werden durch § 24 des Gemeindegebiets- reformgesetzes Südwestsachsen zur neuen Gemeinde Reinsdorf vereinigt und überschreiten damit den Richtwert von 8.000 Einwoh- nern.

Auf eine verfassungsrechtlich relevante Inkonsequenz des Sächsi- schen Landtages ist auch nicht daraus zu schließen, dass er da- von Abstand genommen hat, die Gemeinden Lichtentanne, Reins- dorf, Vielau, Friedrichsgrün und Wulm in die Kreisfreie Stadt Zwickau einzugliedern. Diese Entscheidung hat der Gesetzgeber im Anschluss an den Gesetzentwurf der Staatsregierung - in einer dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs vertretbar Rechnung tragen- den Weise - damit begründet, dass ansonsten eine nicht erstrebte Kreisneugliederung erforderlich geworden wäre.

(2.7.2) Nicht zu beanstanden ist, dass der Sächsische Landtag nicht Willens war, in Abweichung von den Leitsätzen eine Einheits- gemeinde Mosel mit 5.540 Einwohnern zu bilden.

Der konsequenten Umsetzung der Leitsätze kommt beim Abwä- gungsvorgang besonderes Gewicht zu, sodass ein Festhalten an der leitsatzgerechten Einwohnerzahl von 8.000 allenfalls dann gegen den Anspruch auf kommunale Gleichbehandlung verstieße, wenn der Einwohnerzahl wegen besonderer Verhältnisse kein Eigen- wert zukäme und die Leitsätze hierdurch von keinem einleuchtenden Grund mehr getragen wären (vgl. StGH Baden-Württemberg ESVGH 25, 1 [23]). Solche Besonderheiten sind aber weder von der Antragstellerin vorgetragen noch sonstwie erkennbar.

41

(2.8) Der Sächsische Landtag war auch nicht gehalten, von einer Eingemeindung der Antragstellerin wegen des von dieser mit ande- ren Gemeinden gebildeten Verwaltungsverbandes Mosel abzusehen.

Der im Leitsatz I.9 postulierte Vorrang freiwilliger Lösungen bezieht sich nur auf Kommunalgebietsreformen, die ihrerseits leitsatzge- recht sind. Dies ist aber beim Verwaltungsverband Mosel nicht der Fall, da Leitsatz I.9 auf die Vereinigung von Gemeinden und nicht auf sonstige - im Stadt-Umland-Bereich in Leitsatz II.6 als nachran- gig eingestufte - Zusammenschlüsse nach dem Sächsischen Ge- setz über kommunale Zusammenarbeit vom 19. August 1993 (SächsKomZG) abstellt. Im Übrigen erreichen die Mitgliedsgemein- den des Verwaltungsverbandes Mosel noch nicht einmal jene Ein- wohnerzahl, die nach Leitsatz I.4 für eine Einheitsgemeinde erfor- derlich wäre.

(2.9) Aus der vom damaligen Innenminister des Freistaates Sach- sen im Jahre 1993 der Antragstellerin nach deren Behauptung ge- gebenen Zusage erwächst dieser kein Vertrauensschutz.

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Verfahren der einst- weiligen Anordnung ausgeführt hat (Beschluss vom 22.10.1998 - Vf. 44-VIII-98 -), kann die Eingliederung von Gemeinden gegen de- ren Willen allein durch Gesetz beschlossen werden, sodass es sich bei etwaigen Äußerungen eines Ministers ausschließlich um politi- sche Absichtserklärungen gehandelt haben könnte, die - der An- tragstellerin erkennbar - von vornherein ohne rechtliche Bedeutung hätten bleiben müssen.

3. Der durch § 2 des Eingliederungsgesetzes Zwickau mit der Auflösung des Verwaltungsverbandes Mosel bewirkte Eingriff in das Selbstorganisations- recht der Antragstellerin ist als Folge ihrer - mit dem Wohl der Allgemeinheit zu begründenden - Eingliederung verfassungsgemäß.

Selbst wenn der Verfassungsgerichtshof außer Betracht zu lassen hätte, dass im Zusammenwirken der Gebietsneuregelungen des Eingliederungsge- setzes Zwickau und des Gemeindegebietsreformgesetzes Südwestsachsen fast alle Mitgliedsgemeinden des Verwaltungsverbandes Mosel Gemeinden außerhalb seines bisherigen Gebietes zugewiesen werden, wäre seine

42

Auflösung allein durch die Eingliederung der Gemeinde Mosel, die vom Ver- fassungsgerichtshof durch Urteil vom heutigen Tage (Vf. 54-VIII-98) als ver- fassungsgemäß erachtet wurde, zu rechtfertigen. Hierdurch verlöre der Ver- waltungsverband Mosel nicht nur die einwohnerstärkste Gemeinde seines Gebietes und seinen Sitz, sondern nähme auch eine ringförmige Ausgestal- tung an, die zur Bewältigung der ihm gemäß § 7 SächsKomZG übertragenen Aufgaben ersichtlich wenig geeignet wäre.

4. Bei §§ 3 bis 18 des Eingliederungsgesetzes Zwickau handelt es sich, soweit die Antragstellerin betroffen ist, um Folgeregelungen von § 1 Nr. 3 des Ein- gliederungsgesetzes Zwickau, gegen die verfassungsrechtliche Bedenken nicht ersichtlich sind.

C.

Die Entscheidung ergeht kostenfrei (§ 16 Abs. 1 Satz 1 SächsVerfGHG).

gez. Pfeiffer gez. Budewig gez. Degenhart

gez. Hagenloch gez. Graf von Keyserlingk gez. Knoth

gez. v. Mangoldt gez. Reich gez. Schneider