Die Staufer im Elsass

Bruchstücke einer Forschungsgeschichte zwischenVereinnahmung und Distanzierung

Jürgen Dendorfer

Am 30. Januar 1942 ergriff in Straßburg, im Lichthofder erst zwei Monate zuvor errichteten Reichsuniversität, der neu berufene ordentliche Professor der Mitt- leren und Neueren Geschichte Hermann Heimpel das Wort.1 Der akademische Festakt, dessenHauptvortrag er hielt, sollte sowohl an die Reichsgründung vom 18. Januar 1871 als auch an den Tagder „Nationalen Erhebung“ vom30. Januar 1933, die Machtergreifung der Nationalsozialisten, erinnern. Als Themawählte der 40jährige Historiker für diesen Anlass „Kaiser Friedrich Barbarossa und die Wende der staufischen Zeit“.Ein Vortrag zur staufischen Geschichteindiesem Zusammenhang mag heute erklärungsbedürftig sein, für die Zeitgenossen war er das nicht. Denn mit wenigen einleitenden Sätzenkonnteder Festredner sein scheinbar fernliegendes Sujet mühelos in Bezug zu den Anlässen des Gedenk- tages setzen: „Wirfeiernam30. Januar das Reich aller Deutschen, das Adolf Hitler schuf und für das auch in dieser Stunde unsere Freunde fechten. Wirgedenken des 18. Januar 1871, der Gründung des Reiches durch Otto von Bismarck, das unserer in Jahrhundertenzerteilten Nation wieder Macht und Stolzgab. Im Bewußtsein der Einheit unserer Geschichte aber erinnern wir uns des ersten Reiches, in dem das deutsche Volk entstand, in dem die Taten seiner Könige seine Größe begründeten, in dem adeliges Leben und erste Anspannung des Geistes das Bild des Deutschenformte, das als Verpflichtung in uns lebt.“2

1Die im Folgenden interpretierte Rede Heimpels ist gedruckt in: Kaiser Friedrich Barbarossa und die Wende der staufischen Zeit (Strassburger Universitätsreden, Heft 5), Straßburg 1942. Die Angaben zu Ort und Anlass finden sich auf S. 2: „Rede des ordentlichen Professors der Mittleren und Neueren Geschichte Dr.phil. Hermann Heimpel gehalten beim Akademischen Festakt zur Erinnerungandie Reichsgründung vom 18. Januar 1871 und den Tagder nationalen Erhebung vom 30. Januar 1933 im Lichthof der Universität am 30. Januar 1942.“ Eine gestraffteund durch getilgte Bezüge auf die Forschung erkennbar an ein breiteres Publikum gerichtete Version des Vortrags erschien ebenfalls 1942 in den StraßburgerMonatsheften: Hermann Heimpel, Kaiser Friedrich Barbarossa und die Wende der staufischen Zeit, in: StraßburgerMonatshefte. Zeit- schrift für das deutscheVolkstum am Oberrhein 6(1942), S. 413–425. 2Heimpel,Kaiser Friedrich(wie Anm. 1), S. 3. 156 Jürgen Dendorfer

In drei markantenAbsätzen gelangt Hermann Heimpel vom „Dritten Reich“ seiner Tage über das zweite Reich, das Kaiserreich Wilhelms I. und Ottos von Bismarck, zumersten Reich des Mittelalters. In ihm aber komme der Stauferzeit im Elsass besondere Bedeutung zu, denn, so fährt Heimpel fort: „Wervom deutschen Mittelalter weiß, denkt, zumal im Elsass, zuerst an die staufische Zeit“.3 Damit sind wir mit dem Redner des Jahres 1942 beim Thema unseres Beitrags, der Geschichte der Staufer im Elsass. In der Tatkönnte sich diese Assoziation zur mittelalterlichen Geschichte des Elsass noch heute bei Historikern im deutschsprachigen Raum einstellen. Für die französischsprachige Mittelalterforschung liegt sie dagegenziemlich fern. Zwar hat sie wahrnehmbare Forschungen zur staufischen Herrschaft im Elsass aus regional- oder lokalgeschichtlicher Sicht beigebracht, eine jüngere umfassende Deutung der Stauferzeitaber fehlt.4 Als ich Ende 2015 elsässische Kollegen nach Erinnerungsortenandas Mittelalter am Oberrhein befragte, die über die heuti- gen staatlichen Grenzen und die nationalen Geschichtskulturen hinaus verbin- denden Charakter hätten, und dafür die „Staufer“ anbot, waren die Antworten zurückhaltend.5 Das ist bemerkenswert, denn für deutsche Historiker,die sich mit der politischen Geschichte des hohen Mittelalters beschäftigen, ist das Elsass in vielfacher Hinsicht mit der staufischen Geschichte verwoben. In Schlettstadt, um das vonHildegard,der Mutter Herzog Friedrichs I. von Schwaben (1079–1105) gegründete Priorat St. Fides werden die Staufer in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts besonders früh und deutlich greifbar.6 Im Norden des Elsass erwarb Herzog FriedrichI.die Vogtei über das Kloster Wei- ßenburg und durch die Heirat mit einer Tochter König Heinrichs IV., der Salierin Agnes, Rechte am Heiligen Forst.7 Diese Besitz- und Herrschaftsrechte dienten seinem Sohn Herzog Friedrich II. (1105–1147) als Ausgangspunkt für eine ex- pansive Territorialpolitik.8 In den erstenJahrzehnten des 12. Jahrhunderts er- richtete er nach Otto vonFreising Burg um Burg am Oberrhein,9 gründete Ha-

3Ebd., S. 3. 4InÜberblickswerken wird die Stauferzeit aber bis in die jüngste Zeit als „glänzendes Jahrhun- dert“ der elsässischen Geschichte bezeichnet, so etwaBernard Vogler,Geschichte des Elsass (Kohlhammer Urban Taschenbücher,Bd. 791), Stuttgart 2012, S. 50–57. 5Die Anfrage diente der Planung der Vortragsreihe „Erinnerungsorte des Mittelalters am Ober- rhein“,deren Beiträge im Druck erschienen sind: Jürgen Dendorfer (Hrsg.), Erinnerungsorte des MittelaltersamOberrhein (Schlaglichter regionaler Geschichte, Bd. 4), Freiburg2017. 6Eduard Hlawitschka, Zu den Grundlagen der staufischen Stellung im Elsaß. Die Herkunft Hildegards vonSchlettstadt(Sitzungsberichte der Sudetendeutschen Akademie der Wissen- schaften und Künste, Geisteswissenschaftliche Klasse 1991, Heft 9), München 1991;Frank Legl, Territorial- und Machtpolitik der StauferimElsaß bis zum Todvon Herzog FriedrichI., in: Friedrich I. (1079–1105). Der erste Herzog von Schwaben, Göppingen 2007, S. 52–65. 7Thomas Seiler,Die frühstaufische Territorialpolitik im Elsaß, Hamburg1995, S. 37–58. 8Ebd., S. 121–143. 9Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. Imperatoris, hg. vonGeorg Waitz (MGH SS Rer.Germ. [46]), Hannover 1912, I, c. 12, S. 28; dazu: Thomas Biller/Bernhard Metz, Anfänge der Adelsburg im Elsaß in ottonischer, salischer und frühstaufischer Zeit, in: Horst-Wolfgang Böhme (Hrsg.), Burgen der Salierzeit, Bd. 2: In den südlichen Landschaftendes Reiches (Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Monographien, Bd. 26), Sigmaringen 1991, S. 245–284, hier S. 262; Thomas Die Staufer im Elsass 157 genau10 und setzte eine Reihe vonKlöstern ins Werk, darunter das unweit von Hagenau gelegene St. Walburg im Heiligen Forst, das er zu seiner Grablege wählte.11 Der Vater FriedrichBarbarossas ließ sich somit nicht im Kernland der Staufer um den Hohenstaufen und Göppingen,etwaimKloster Lorch, beisetzen, sondern im Elsass. Dasist ein deutliches Zeichender Bedeutung dieses Raums für seineFamilie in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Friedrich Barbarossa (1152–1190)wiederum intensivierte nach seiner Königswahl den Zugriff auf diese für ihn durch den Erwerb der Grafschaft Burgund noch zentraler werdende Landschaft. Er sammelte nun auch Besitzungen und Herrschaftsrechte im Oberelsass.InColmar und Mulhousehielt sich der königliche Hof wiederholt auf,12 beide Itinerarorte sollten noch in der Stauferzeit, unter Kaiser Friedrich II. (1212–1250), städtische Qualitäten gewinnen.13 Im Unterelsass erfolgte der Ausbau Hagenaus zur repräsentativen staufischen Pfalz mit Kapelle und Bi- bliothek.14 Nicht nur durch seine Stellung im Itinerar,15 sondern auch durch die aufwendige bauliche Ausgestaltung der Pfalz, in der die Reichsinsignien ver-

Biller/Bernhard Metz, Der Burgenbau der Staufer im Elsaß, in: Volker Herzner/Jürgen Krüger (Hrsg.), Burg und Kirche zur Stauferzeit. Akten der 1. Landauer Staufertagung 1997, Regens- burg 2001, S. 76–110, hier S. 80–83 zur (mangelnden) archäologischen Nachweisbarkeit. 10 Bernhard Metz, Hagenau als staufische Stadtgründung, in: Eugen Reinhard/Peter Rückert (Hrsg.), Staufische Stadtgründungen am Oberrhein (Oberrheinische Studien, Bd. 15), Sigma- ringen 1998, S. 213–234; Gabriel Zeilinger,Alte Städte – Neue Städte. Urbane Kontinuitätenund Neuanfänge am Oberrhein im Früh- und Hochmittelalter,in: Gerhard Fouquet/Gabriel Zeilinger (Hrsg.), Die Urbanisierung Europas von der Antike bis in die Moderne (Kieler Werkstücke, Reihe E: Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 7), Frankfurt a. Main 2009, S. 101–120, hier S. 109 f. 11 Thomas Seiler,Das Zisterzienserinnenkloster Königsbruck im 12. und 13. Jahrhundert.Ein Beitrag zur staufischen Territorialpolitik im Unterelsaß, in: Wolfgang Haubrichs/Reinhard Schneider (Hrsg.), Grenzen erkennen – Begrenzungen überwinden. Festschrift für Reinhard Schneider zur Vollendung seines 65. Lebensjahrs, Sigmaringen 1999, S. 163–176; Michael Ob- erweis, „Anostris progenitoribus fundata“.Die Staufer als fiktiveGründer der Zisterzen Neu- burg im Elsaß und Eußerthal in der Pfalz, in: Ebd., S. 177–190; zur St. Walburg: René Bornert, AbbayeSaint-Philippe-et-Saint-Jacques de Walbourg, in: Ders. (Hrsg.), Les Monastères d’Alsace, Bd. II/2: Abbayes de Bénédictines, Straßburg 2009, S. 327–384, hier S. 328–332. 12 Ferdinand Oppl, Das Itinerar Kaiser Friedrich Barbarossas (1152–1190) (Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, Bd. 1), Wien/Köln/Graz1978, S. 126, 142. 13 Gabriel Zeilinger,Urbane Entwicklung abseits der Kathedralstadt. Die Stadtwerdung Colmars und die Urbanisierung des Oberelsass vom 12. bis zum 14. Jahrhundert, in: Susanne Ehrich/Jörg Oberste (Hrsg.), StädtischeRäume im Mittelalter (Forum Mittelalterstudien, Bd. 5), 2009, S. 123–136. 14 André-Marcel Burg, Haguenau et la dynastie des Hohenstaufen, in: Etudes haguenoviennes 5 (1965–1970), S. 29–78; Walter Schlesinger,Bischofssitze, Pfalzen und Städte im deutschen Itinerar Friedrich Barbarossas, in: Aus Stadt- und Wirtschaftsgeschichte Südwestdeutschlands. Fest- schrift für Erich Maschke zum 75. Geburtstag (Veröffentlichungen der Kommission für ge- schichtlicheLandeskunde in Baden-WürttembergB,Bd. 85), Stuttgart 1975, S. 1–56, wieder in: Ders., Ausgewählte Aufsätze von Walter Schlesinger1965–1979 (Vorträge und Forschungen, Bd. 34), Sigmaringen 1987, S. 347–401, hier S. 373–375; Metz, Hagenau (wie Anm. 10), S. 224 f. 15 Für die Zeit Friedrichs I. vgl. Opll, Itinerar (wie Anm. 12), S. 133; ders., Stadt und Reich im 12. Jahrhundert (1125–1190) (Beihefte zu J.F.Böhmer,Regesta Imperii, Bd. 6), Köln/Wien/Graz 1986, S. 83–89. 158 Jürgen Dendorfer wahrt wurden,16 sowie die Präsenz dem Hof nahestehender,gebildeter Geistli- cher,17 kam Hagenau für die späten Staufer eine residenzartigeFunktion zu. An keinem anderen Ort im Reich sollte sich Friedrich II. länger aufhalten.18 Doch auch an diesem einst so herausgehobenen Pfalzort verblasste die Er- innerung an die Staufer.Nach dem Ende der staufischen Dynastie wurde Ha- genau zur Reichsstadt, der im Elsass als Sitz einer Reichslandvogtei und im Rahmen des elsässischenZehnstädtebundes, der Dekapolis, durchaus noch Bedeutung zukam. In der Frühen Neuzeit schwand die Erinnerung an die schwäbische Königs- und Kaiserdynastie zusehends.19 Als das Elsass 1648 nach dem WestfälischenFriedenanLudwig XIV.fiel, wurde die Pfalz 1677 nach zwei Bränden abgetragen, ihre Reste dienten dem Festungsbau. Aufdem Gelände der ehemaligen Pfalz entstand im 18. Jahrhundert ein Jesuitenkonvent.20 Heute be- findet sich an diesem Ort ein Altenheim, in seinem Innenhof steht eine von rührigen Stauferfreunden aus dem Stuttgarter Raum errichtete Stele.Sie wirkt dort etwas verloren. Man könnte versucht sein, den Hagenauer Befund als Symbol für den Umgang mit der staufischen Geschichte im Elsass anzusehen. Die Erinnerung vorOrt ist nur noch lokalgeschichtlich motiviert. Tiefergehendes Interesse wird dem Thema vorallem in Deutschland entgegengebracht. Versu- che, die Erinnerung an die Staufer wachzuhalten, die in anderen Regionen er- folgreich sind, wie die erwähnten Stauferstelen,wirken im Elsass mitseiner seit 1648 vielfach gebrochenen Geschichte merkwürdig, sie stehen unverbunden im Raum, stoßen sich an anderen, konkurrierenden geschichtskulturellen Rah- mungen. Dieses Paradoxon des Desinteresses an den Staufern bzw.des Schweigens überdiese Zeit, in der das Elsass einer der kulturellenund politi-

16 Robert Will, Le château dit „Burg“ de Haguenau. Nouvelles données archéologiques et histo- riques, in: Etudes haguenoviennes 1(1950/55), S. 41–125; ders., Notes complémentaires sur le château impérial disparu de Haguenau, in: Ebd. 5(1965/70), S. 79–99; Thomas Biller,Die Pfalzkapelle zu Hagenau. Neue Überlegungen zu ihrer Rekonstruktion, in: Châteaux forts dʹAlsace 10 (2009), S. 19–34. 17 Volkhard Huth, Staufische „Reichshistoriographie“ und scholastische Intellektualität. Das el- sässischeAugustinerchorherrenstift Marbach im Spannungsfeld vonregionaler Überlieferung und universalem Horizont (Mittelalter-Forschungen 14), Ostfildern2004, S. 41 f. 18 Wolfgang Stürner,Friedrich II. Teil 1: Die Königsherrschaft in Sizilien und Deutschland (1194– 1220) (Gestalten des Mittelaltersund der Renaissance), Darmstadt 1992, S. 196; Thomas Zotz, Herrschaft und Repräsentation des reisenden Königs vorOrt. Zur Geschichte und Erforschung der Pfalzen im Südwesten des Reiches (9.–13. Jahrhundert), in: Dieter R. Bauer/Dieter Mertens/ Wilfried Setzler (Hrsg.), Netzwerk Landesgeschichte. Gedenkschrift für Sönke Lorenz (Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte, Bd. 21), Ostfildern2013, S. 31–54, hier S. 51 f. 19 Zu dieser Entwicklung, die sich am Fehlen der Reichszeichen in der Stadt, trotz ihrer vormaligen Bedeutung für die Staufer und das Reich, verdeutlichen lässt, vgl. Laurence Buchholzer-Rémy, Die Burg oder die Rose? Das Schicksal der Reichssymbole in Hagenau, in: Helge Wittmann/ Laurence Buchholzer-Rémy (Hrsg.), Reichszeichen. Darstellungen und Symbole des Reichs in Reichsstädten, Mühlhausen 3. bis 5. März 2014, Petersberg 2015, S. 219–244. 20 Bernadette Schnitzler,LaPfalz de Haguenau et les projets de Gottfried Schlag: des fouilles archéologiques inédites réalisées en 1941, in: Châteaux forts d’Alsace 6(2004), S. 37–44, hier S. 37; Biller,Pfalzkapelle (wie Anm. 16), S. 20. Die Staufer im Elsass 159 schen Zentralräume des Reicheswar,ist bemerkenswert. Sie ist nicht nur ein Phänomen der Geschichtskultur,sondern auch der historischen Forschung.

Deutschsprachige Forschungen zum staufischen Elsass nach 1945

Hermann Heimpels Straßburger Rede von1942 stellt in Bezug auf das Interesse der deutschsprachigen Forschung zum staufischen Elsass für längere Zeit einen gewissen Endpunkt dar.Nach 1945 hielt sich die deutschsprachige Forschung zum Elsass betont zurück, auch hier ist eine bemerkenswerte Asymmetriezu konstatieren, zwischen der offenkundigen Bedeutungdes Elsass für die staufi- sche Königszeit und seiner trotz intensiver Forschungen zur Stauferzeit und seiner politischen Kultur allenfalls marginalen Behandlung. Die Forschungsgeschichte zumElsass der Stauferzeitöstlich des Rheins nach 1945 ist dann auch mit wenigen Strichen zu skizzieren. Auffälligerweise wagten es deutsche Forscher erst wieder in den Jahren um 1990, nach der fortschrei- tenden deutsch-französischen Aussöhnung und der Wiedervereinigung, sich stärker der elsässischen Geschichte des Mittelalters im Allgemeinen und der staufischen im Besonderen zuzuwenden.21 Eduard Hlawitschka widmete den genealogisch-besitzgeschichtlichen Anfängen der Staufer im Elsass im Jahr 1991 eine grundlegendeStudie; 22 eine Frage, die er später,imZuge einer kleinen Debatte um deren räumliche Herkunft, wieder aufgreifen sollte.23 Im Jahr 1995 folgte Thomas Seilers Saarbrückener Qualifikationsschrift zur „frühstaufischen Territorialpolitik im Elsass“,die an den Forschungsstand der ersten Jahrhun- derthälfteanknüpfte.24 Tiefschürfender erarbeitete Frank Legl, ein Schüler Hla- witschkas, in seiner 1998 publizierten Münchner Dissertation die Genealogie und Besitzgeschichte der Grafen von Dagsburg-Egisheim, des bedeutendsten stauferzeitlichen Adelsgeschlechts im Elsass.25 Hans-Peter Sütterleberührte in seiner 1997 abgeschlossenenFreiburger Dissertation „Die Salier und das Elsass“

21 Thomas Zotz, Recherchesallemandes récentes sur l’histoire médiévale de l’Alsace: un aperçu sur la période 1990 à2012, in: Revue d’Alsace 138 (2012), S. 241–263, hier S. 250 f. 22 Hlawitschka, Grundlagen (wie Anm. 6). 23 Ausgangspunkt war: DanielZiemann, Die Staufer ein elsässisches Adelsgeschlecht?, in: Hubert Seibert/Jürgen Dendorfer (Hrsg.), Grafen, Herzöge, Könige. Der Aufstieg der frühen Staufer und das Reich (1079–1152) (Mittelalter-Forschungen, Bd. 18), Ostfildern2005, S. 99–133; dazu: Eduard Hlawitschka,Die Staufer – kein schwäbisches, sondern ein elsässisches Adelsge- schlecht?,in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 66 (2007), S. 63–80; vgl. dazu auch Legl, Territorial- und Machtpolitik (wie Anm. 6), S. 52 f., mit Anm. 7; zusammenfassend. Eduard Hlawitschka, Die Ahnen der hochmittelalterlichen deutschenKönige, Kaiser und ihre Gemahlinnen. Ein kommentiertes Tafelwerk, Bd. 2: 1138–1197 (MGH Hilfsmittel, Bd. 26), Hannover 2009, hier S. 14 f., 24–34. 24 Seiler,Frühstaufische Territorialpolitik (wie Anm. 7). 25 Frank Legl, Studien zur Geschichte der Grafen von Dagsburg-Egisheim (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, Bd. 31), Saarbrücken 1998. 160 Jürgen Dendorfer zumindest die Anfänge der staufischen Zeit.26 Bemerkenswert ist das Projektdes elsässischenHistorikers Bernhard Metz und des deutschen Burgenforschers Thomas Biller,die mittelalterlichen Burgen des Elsass aus historischer und ar- chitektur- bzw.baugeschichtlicher Perspektive zu erfassen. Vonden zwei bereits erschienenen Bänden behandelt derjenige zum spätromanischen Burgenbau (1200–1250)eine zentrale Phase der staufischen Geschichte des Elsass,27 ein an- derer,der jetzt erschienen ist, nimmt den frühen Burgenbau des 12. Jahrhunderts in den Blick.28 Einen Markstein stellte dann die 2004 erschienene Freiburger Habilitati- onsschrift Volkhard Huths, „Staufische Reichshistoriographie und scholastische Intellektualität“,dar,die sich mit den erstaunlich ausgeprägten Wissenskulturen im Umfeld des staufischen Königshofes in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhun- derts beschäftigte und dabei vorallem das Stift Marbach in den Blick nahm.29 Die vorKurzem erschienene Dissertation Tobie Walthers zu den Straßburger Bi- schöfen im Investiturstreit bringt auch wichtige Hinweise für die frühe Ge- schichte der Staufer im Elsass,dasie Bischof Otto von Straßburg (1084–1100), den Bruder Herzog Friedrichs I., behandelt.30 Hervorzuheben ist, dass Thomas Zotz in seinen Studien zur Geschichte des Königtums und des Adels am Oberrhein das Elsass immer wieder mit einbezog.31 Seine Arbeiten sind ein verlässlicher Anker in einer brüchigen Forschungsgeschichte, in der sicherer Boden weitzu- rückreicht: mitunter bis ins die Zeitvor 1945, in die Zwischenkriegszeitoder sogar erstaunlich häufig bis ins Kaiserreich. Auch auf dem Feld der deutsch- sprachigen Forschung ist somitdiese erstaunliche Diskrepanz festzustellen, zwischen einer an objektivenParametern wie der Stellung im königlichen Iti- nerar,der Urkundenvergabe, der Nähe einzelner Großer sowie von Klöstern und Stiften zum Hof erkennbaren Bedeutung des Elsass als Königslandschaft des

26 Sie wurde allerdingserst im Jahr 2009 gedruckt: Hans-Peter Sütterle, Die Salier und das Elsass. Studien zu den Herrschaftsverhältnissen und zu den politischen Kräften in einer „Randregion“ des Reiches (1002–1125) (Europäische Hochschulschriften III, Bd. 1058), Frankfurt a. M. 2009, etwaS.123–154. 27 Thomas Biller/Bernhard Metz, Der spätromanische Burgenbau im Elsaß (1200–1250) (Die Bur- gen des Elsaß. Architektur und Geschichte, Bd. 2), München/ 2007;Thomas Biller,Der frühe gotische Burgenbau im Elsaß (1250–1300). Mit einem Beitrag vonBernhard Metz (Die Burgen des Elsaß. Architektur und Geschichte, Bd. 3), München 1995. 28 Thomas Biller/Bernhard Metz, Die Anfänge des Burgenbaus im Elsaß (bis 1200) (Die Burgen des Elsaß, Bd. 1), Berlin/München 2018. 29 Huth, Reichshistoriographie(wie Anm. 17). 30 Tobie Walther,Zwischen Polemik und Rekonziliation. Die Bischöfe von Straßburg im Investi- turstreit bis 1100 und ihre Gegner (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-WürttembergB,Bd. 210), 2017, S. 184–282. 31 Thomas Zotz, Die frühen Staufer,Breisach und das Zähringerland, in: Franz J. Felten/Stephanie Irrgang/Kurt Wesoly (Hrsg.), Ein gefüllter Willkomm. Festschrift für Knut Schulz zum 65. Ge- burtstag, Aachen 2002, S. 53–72; ders., Der Südwesten auf dem Wegzur staufischen Königs- landschaft,in: Caspar Ehlers (Hrsg.), Orte der Herrschaft. Mittelalterliche Königspfalzen, Göt- tingen 2002, S. 85–105; ders., Konflikt – Kompensation – Kooperation. Zähringer und Staufer in Region und Reich, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 160 (2012), S. 105–129; ders., Herrschaft und Repräsentation (wie Anm. 18). Die Staufer im Elsass 161 hohen Mittelalters und einem Forschungsstand, der in wesentlichen Punkten eingefroren zu sein scheint. Wielässt sich das erklären? Wissenschaftsimmanent, der disziplinären Ei- genlogik der Geschichtsforschung folgend,wäre zum einen auf eine prekäre Editionslage wichtiger Quellen vor allem im Bereich nichtköniglicherUrkunden, der Privaturkunden, hinzuweisen; zudem waren bis 1990 auch die Diplome FriedrichBarbarossas nicht kritisch ediert. Zum anderen erklärt sich das Des- interessegeradeder französischsprachigen Mediävistik aus anderen themati- schen und methodischen Schwerpunktsetzungen. Die Beschäftigung mit der politischen Geschichte der Könige des hohen Mittelalters warimdeutschspra- chigen Raum vom 19. bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts das Leitthema einer national sinnstiftenden Legitimationswissenschaft. Das galt für die fran- zösische Geschichtsschreibung und -forschung nie in diesem Umfang, in ihr wurde die politikgeschichtliche Ausrichtung früher und umfassender durch ein breiteresPanorama an Fragestellungenund Zugängen abgelöst.32 Es genügt an dieser Stelle, die Annales zu erwähnen, die nach der 1929 zuerst erschienen Zeitschrift Annales d’histoire économique et sociale benannte „Schule“,die sich dezidiert gegen die klassische Politik- und Staatengeschichte wandte und den Blick auf gesellschaftliche, ökonomische, nicht zuletzt auch geographische und kulturelle Voraussetzungen historischer Entwicklungen richtete.33 Die Begrün- der und ersten Herausgeber der Zeitschrift, Marc Blochund Lucien Febvre, wirkten in den 1920er und 1930er Jahren in Straßburg.34 Könige und Kaiser des Mittelalters interessierten sie wieihre Nachfolgerauf andere Weise und standen nicht im Mittelpunkt der Diskussion.35 Doch das lange ostentative Schweigen zu den Staufern im Elsass links wie rechts des Rheins dürfte noch andere, tiefer liegende Gründe haben, so will ich als These formulieren, denn es geht über die verständliche Zurückhaltung deutscher Mittelalterforschung gegenüberelsässischen Themen nach 1945 hin- aus. Sie lässt sich nicht allein mit einer mangelnden Einsicht in die Bedeutungdes Themas erklären, sondern aus seiner Stellung und Vereinnahmung in den na- tionalgeschichtlichen Narrativen des 19. und 20. Jahrhunderts, der Erzählungen vom „deutschen Mittelalter“,von dem Hermann Heimpel im Jahr 1942 sprach. Der Beschäftigung mit den „Staufern im Elsass“ wohnte eine eminente politische Bedeutung inne, da dieses deutsche Königs- und Kaisergeschlecht vor1945 vereinnahmt wurde, um die deutsche Geschichte des Elsass hervorzukehren. Die

32 Zu den Anfängen der Annales und den Beziehungen zwischen der deutschen und französischen Geschichtswissenschaft vgl. Peter Schöttler,Die „Annales“-Historiker und die deutscheGe- schichtswissenschaft, Tübingen 2015; Steffen Kaudelka, Rezeption im Zeitalter der Konfronta- tion. Französische Geschichtswissenschaft und Geschichte in Deutschland 1920–1940 (Veröf- fentlichungen des Max-Planck-Institutsfür Geschichte, Bd. 186), Göttingen 2003. 33 Schöttler, „Annales“-Historiker (wie Anm. 32), S. 23–28. 34 Charles-Olivier Carbonell/Georges Livet (Hrsg.), Au berceau des annales. Le milieu strasbour- geois. L’histoire en France au début du XXe siècle. Actes du colloque de Strasbourg (11–13 octobre 1979), Toulouse 1983. 35 Lutz Raphael, Die Erben vonBloch und Febvre. Annales-Geschichtsschreibung und nouvelle histoire in Frankreich 1945–1980, Stuttgart 1994. 162 Jürgen Dendorfer

Beschäftigung mit den Staufern wargerade in den 1940er Jahren der de facto Annexiondes Elsasses dermaßen ideologisch aufgeladen, dass es auch aus der Perspektive deutscher Forscher offenbar über Jahrzehnte geraten schien, das belasteteThema, trotz seiner offenkundigen Bedeutung, nicht mehr zu behan- deln. Ziel meines Beitrags ist es, ausgehend von dem skizzierten Forschungsstand, die impliziten und expliziten Narrative zu beschreiben, die Forschungsinteres- sen und Darstellungen vor1945 prägten, wenn über die Staufer im Elsass ge- schrieben und gesprochen wurde. Dazu soll vorallem die NS-Zeit, mit einem Ausblickauf die Reichslandzeit (1871–1918) behandelt werden. Zu verorten sein wird die einschlägige Geschichtsforschung wie Geschichtsschreibung mit ihren jeweiligen Eigengesetzlichkeiten36 zwischen allgemeiner Geschichtskultur und offiziöser politischer Indienstnahme.Ein Zugang, der bei diesem Thema nicht nur auf leise Zwischen- und Obertöne hören muss, sondern häufig genug nur dem Basso continuo zu folgen braucht, weshalb im Rahmen dieses Beitrags nur erste Beobachtungen festzuhalten sind.

Hermann Heimpel und Friedrich Barbarossa im Jahr 1942

Hermann Heimpels Rede im Lichthof der Straßburger Universität im Januar 1942 ist Ausdruck einer solchen politischen Indienstnahmedes Sprechens über die Staufer.Den Rahmen, in dem der junge Ordinarius für Geschichte seineRede hielt, kann man sich kaum plastisch genug vor Augen führen. Erst zwei Monate zuvor waram23. November1941 die Reichsuniversität mitgroßem Aufwand eröffnet worden.37 Den Gedenktag an die Reichsgründung und die nationale Erhebung beging die dem Regime aufs Engste verbundene Hochschule sicher ebenfalls mit großemAufwand.38 Für eine Feier in einem solchen Rahmen wurde weder die Auswahl des Redners noch des Themas dem Zufall überlassen.

36 Vgl. zu dieser Unterscheidung: Frank Rexroth, Geschichte schreiben im Zeitalter der Extreme. Die GöttingerHistoriker Percy Ernst Schramm, Hermann Heimpel und Alfred Heuß, in: Christian Starck/Kurt Schönhammer (Hrsg.), Die Geschichte der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen,NF, Bd. 28), Berlin 2013, S. 265–99, hier S. 270. 37 Dazu: Tania Elias, La Cérémonie inauguraledelaReichsuniversität de Strasbourg (1941). L’expression du nazisme triomphant en Alsace annexée, in: Maurer,Une université nazie (wie Anm. 38), S. 341–361. Die Eröffnungsfeier ist in den Reden bei der Eröffnung und program- matischen Abhandlungen in den StraßburgerMonatsheften dokumentiert: StraßburgerMo- natshefte 5(1941), S. 681–755, vgl. die Fotos der Eröffnungsfeier S. 829 f. 38 Christian Baechler/Francois Igersheim/Pierre Racine (Hrsg.), Les Reichsuniversitäten de Stras- bourg et de Poznan et les résistances universitaires.1941–1944 (Les mondes germaniques, Bd. 12), Straßburg 2005; Catherine Maurer (Hrsg.), Une université nazie sur le sol français. Nouvelles recherches sur la Reichsuniversität Strasbourg, in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 43 (2011), S. 323–454; Frank-Rutger Hausmann, Wissenschaftsplanung und Wissenschaftslenkungander Reichsuniversität Straßburg (1940–1944), in: Christof Dipper/ Detlev Mares/Noyan Dinçkal (Hrsg.), Selbstmobilisierung der Wissenschaft. Technische Hoch- Die Staufer im Elsass 163

Es ist nicht möglich, an dieser Stelle auf die Diskussionen um Hermann Heimpels Verstrickungen in der NS-Zeit eingehen.39 Heimpel, nach dem Krieg in Göttingen wirkend, wareiner der wirkmächtigstenWissenschaftsorganisatoren der Mittelalterforschung in der Nachkriegszeit. Vondem Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Geschichte gingen wichtige Impulse für die Spät- mittelalterforschung aus.40 Akademisch sozialisiert wurde Heimpel in Freiburg als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter Heinrich Finkes und Schüler Georg von Be- lows. In Freiburg erhielt er 1931 auch den ersten Lehrstuhl, es folgte Leipzig, und dann, mit 40 Jahren, im Jahr 1941 der dritte Ruf an die im geradeannektierten Elsass neu begründete Reichsuniversität Straßburg.41 Ob er mit der Annahme

schulen im „Dritten Reich“ (Edition Universität der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft und der TU Darmstadtmit der Carlo und Karin Giersch-Stiftung), Darmstadt 2010, S. 187–230; ders., Wissenschaftslenkungander Reichsuniversität Straßburg: Ernst Anrich, Hans Bender und das „Grenzwissenschaftliche Institut“,in: Konrad Krimm (Hrsg.), NS-Kulturpolitik und Gesell- schaft am Oberrhein 1940–1945 (Oberrheinische Studien, Bd. 27), Ostfildern 2013, S. 131–143; Rainer Möhler,Zweierlei Erinnerung an einem „HistorischenOrt“–Das bedrückende Erbe der „Reichsuniversität Straßburg“ und die „Université de Strasbourg“ 1945 bis heute, in: Joachim Bauer/StefanGerber/Jürgen John/Gottfried Meinhold (Hrsg.), Ambivalente Orte der Erinnerung an deutschen Hochschulen (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Jena, Bd. 13), Stuttgart 2016, S. 255–280. 39 Zur Diskussion über HermannHeimpel in der NS-Zeit, bei der der StraßburgerZeit zentrale Bedeutung zukommt,die Aufsätze vonRacine (wie unten Anm. 41); Michael Matthiesen, Ver- lorene Identität. Der Historiker Arnold Berney und seine Freiburger Kollegen 1923–1938, Göt- tingen 1998, S. 47–59; Klaus P. Sommer, Eine Frage der Perspektive? Hermann Heimpel und der Nationalsozialismus, in: Tobias Kaiser (Hrsg.), Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel. Studien zur Geschichtswissenschaft zwischen Kaiserreich und deutscher Zweistaat- lichkeit. Berlin 2004, S. 199–223; Anne Christine Nagel, Im Schatten des Dritten Reiches. Mit- telalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970 (Formen der Erinnerung, Bd. 24), Göttingen 2005, S. 92–104; Johannes Piepenbrink,Das Seminar für mittelalterliche Ge- schichte des Historischen Instituts 1933–1945, in: Ulrich vonHehl (Hrsg.), Sachsens Landes- universität in Monarchie, Republik und Diktatur.Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig vomKaiserreich bis zur Auflösung des LandesSachsen 1952, Leipzig 2005, S. 363–383, hier S. 366–377;Peter Herde, Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Übergang vom National- sozialismuszum demokratischen Neubeginn.Die gescheiterten Berufungen von Hermann Heimpel nach München (1944–1946) und von Franz Schnabel nach (1946–1947) (Hefte zur bayerischen Landesgeschichte, Bd. 5), München 2007, hier S. 10–23. 40 Zur Würdigung Heimpels: Arnold Esch, „Denken und doch Schauen, Schauen und doch Denken“.Zum Tode von Hermann Heimpel,in: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Jahrbuch 1988, S. 153–158; In memoriam Hermann Heimpel. Gedenkfeieram23. Juni 1989 in der Aula der Georg-August-Universität (Göttinger Universitätsreden,Bd. 87), Göttingen 1989; Hartmut Boockmann, Der Historiker Hermann Heimpel,Göttingen 1990; Ernst Schulin, Her- mann Heimpel und die deutsche Nationalgeschichtsschreibung, vorgetragen am 14. Februar 1997 (Schriften der Philosophisch-Historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wis- senschaften, Bd. 9), Heidelberg 1998. 41 Zu Heimpel in Straßburg vgl. Pierre Racine, HermannHeimpel àStrasbourg,in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hrsg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus,Frankfurt 1999, S. 142–158; Pierre Racine, L’histoire àlaReichsuniversität de Strasbourg,autemps où les historiens dérapaient, in: Baechler,Les Reichsuniversitäten (wie Anm. 38), S. 167–177;Herde, Kontinuitäten (wie Anm. 39), S. 15–17;Alexander Pinwinkler,Konstruktionen des Volkstums in 164 Jürgen Dendorfer des Rufes an diese politisch und weltanschaulich eindeutig ausgerichtete Uni- versität nichtSchuld auf sich geladen habe, sollte Hermann Heimpel bis an sein Lebensende beschäftigen.42 Dieser Blickauf die persönlicheSchuld und das wissenschaftliche Profil Hermann Heimpels in den 1930er und 1940er Jahren, das seit dem Frankfurter Historikertag 1998 Teil der intensiven Diskussionen um die Belastung vonMe- diävisten in der NS-Zeit war, kann uns hier nur als kontextualisierendeInfor- mation dienen.43 Abschließende Urteile werden erst möglich sein, wenn Heim- pels bis Ende 2018 gesperrter Nachlass der wissenschaftlichen Forschung zu- gänglich wird. Für die Deutung des Auftritts des Historikers im Januar 1942 bleibt festzuhalten, dass sich in seiner Biographiedurchaus Hinweise finden, die erklären könnten, wieso er bei diesem Festakt das Wort ergriff. Anstelle persönliche Verstrickung zu erörtern,soll in diesem Zusammen- hang der Frage nachgegangen werden, welche zeitgebundenen Deutungen und Wertungen in HeimpelsBild von Friedrich Barbarossaund der Stauferzeit im Elsass einflossen. In welchen argumentativen Traditionen stand dieses Bild, und dauerte es nach 1945 fort? DerTitel von HeimpelsVortrag „Friedrich Barbarossa und die Wende der staufischen Zeit“ ist konventionell und hätte so oder so ähnlich auch schon im Kaiserreich angekündigt werden können. Auch Heimpels Barbarossabild ist in vielen Zügen erstaunlich erwartbar.EinenBarbarossa im engeren Sinne einer NS-Geschichtswissenschaft, der völkischen oder gar rassi- schen Kriterien genügte,stellte er seinen Hörern nicht vorAugen, insofern kann auf einen erstenBlick Entwarnung gegeben werden.44 Nebenden zitierten ein- leitenden Bemerkungen und einer affirmativenSchlussvolte bleibt wenig of- fensichtlich durch die Zeitumstände Geprägtes. Die Darlegungen Heimpels leitet die im 19. Jahrhundert geprägte Meistererzählung vom vergeblichen, he- roischen Kampf der deutschen Könige und Kaiser gegen Fürsten und Kirche, in dem Barbarossas erster Anlauf zur „deutschen Größe“ hervorsteche. Aktuelle Züge weist sein Barbarossa-Bild zudem dadurch auf, dass er in seine im genus sublime gehaltene Rede die damalige Forschung geschickt ein- flicht und sich durchaus kritisch mit ihr auseinandersetzt.45 Mit Ausnahme der

historisch-landeskundlichen Forschungen an der „Reichsuniversität Straßburg“,in: Krimm, NS- Kulturpolitik (wie Anm. 38), S. 145–160, hier S. 155–159. 42 Lothar Perlitt, Ansprache zur Trauerfeier für Hermann Heimpel am 3. Januar 1989 in der Uni- versitätskirche zu St. Nikolai in Göttingen,in: In Memoriam Hermann Heimpel (wie Anm. 40), S. 47–60, hier S. 49; Arnold Esch, Über Hermann Heimpel, in: Deutsche Historiker im Natio- nalsozialismus (wie Anm. 41), S. 159 f. 43 Zur Dokumentation der einschlägigen Sektion des FrankfurterHistorikertags: Schulze/Oexle, Deutsche Historiker (wie Anm. 41). 44 Mit ähnlicher Einschätzung zur StraßburgerRede: Herde, Kontinuitäten (wie Anm. 39), S. 16, Anm. 68: „… mit leichten Anleihen an die Blut- und Bodenideologie …,aber sonst, etwas emphatisch, den damaligen Forschungsstand wiedergebend.“ 45 Heimpel,Kaiser Friedrich(wie Anm. 1), S. 4: „Die Forschung unserer Tage aber,die neuen Arbeiten vonHirsch, Rassow,Erler,Stach, Mitteis, Brackmann und besonders die großzügige Monographie des jungen LeipzigerHistorikersOtto hat sich Barbarossa unter neuen Gesichts- punkten zugewandt und mag in ihren Ergebnissen und Aufgaben auch in dieser Feierstunde eines andeutenden Berichtes wertsein.“ Die Staufer im Elsass 165 vonHeimpel besonders herausgestellten Barbarossa-Biographie seines Schülers Eberhard Otto, eines SS-Mannes, nennt er dafür unverdächtige Forschungen, die auch nach 1945 zitierfähig waren.46 Etwadie Studien eines Heinrich Mitteis aus den 1930er Jahren zumLehnswesen und zum vorgeblichen Leihezwang, der Notwendigkeit des Königs Fürstenlehen immer wieder aufs Neue auszugeben, für ihn die Ursacheder schwächeren Entwicklung der Zentralgewalt im Reich im Unterschied zu Westeuropa.47 Im Gegensatz zu Mitteis verneinte Heimpel einen Leihezwang schon für die Zeit Friedrich Barbarossas.48 Wenn Heimpel Barba- rossas Wirken an anderer Stelle im Übergang von „personalen Herrschaftsfor- men“ hin zum „gebietsherrschaftlichen Gedanken“ sieht,49 klingt damit die Auffassung der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ vonStaatlichkeit an, die Theodor Mayer 1935 in Freiburg auf die Formel vom „Personenverbands- staat“ zum „institutionellen Flächenstaat“ gebracht hatte.50 Überhaupt ist Heimpel darangelegen, Barbarossa zu verteidigen, ihn gegenüber dem ersten Ottonen Heinrich I., der eine weitaus prominentere Stellung im NS-Ge- schichtsbild hatte, aufzuwerten,51 und den „Anlauf zur Größe und Macht un- seres Reiches“ unter ihm zu betonen. Im Zentrum steht der Kaiser selbst, der in seiner Person und durch seinen „Zauber“,wir würden sagen sein Charisma,das Reich zusammenhielt: „Gewiss beschleicht uns noch heute eine späte Angst vor dem Schicksal, welches das Glück unseres Volkes allein in den Zauber der Männer,nichtindie Haltbarkeit der Institutionen gelegt hat …“.52

46 Eberhard Otto, Friedrich Barbarossa, Potsdam 1930, 2. Aufl. Potsdam 1943; Zu Eberhard Otto: Joachim Lerchenmüller,Die Geschichtswissenschaft in den Planungen des Sicherheitsdienstes der SS. Der SD-Historiker Hermann Löffler und seine Denkschrift „Entwicklung und Aufgaben der Geschichtswissenschaft in Deutschland“ (Archiv für Sozialgeschichte, Beiheft 21), 2001, S. 47 f., S. 219 f.; Piepenbrink, Seminarfür MittlereGeschichte (wie Anm. 39), S. 369–371. 47 Heinrich Mitteis, Lehnrechtund Staatsgewalt. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfas- sungsgeschichte, Weimar 1933, bes. S. 685–704; ders., Der Staat des Hohen Mittelalters. Grundlinieneiner vergleichenden Verfassungsgeschichte des Lehnszeitalters, 3. Aufl., Weimar 1948, S. 299–308, 392–295; zur Kritik daran: Herbert Gunia, Der Leihezwang. Ein angeblicher Grundsatz des Reichsstaatsrechts im Mittelalter,Düsseldorf1938; Werner Goez, Der Leihe- zwang. Eine Untersuchung zur Geschichte des deutschen Lehenrechts, Tübingen 1962. 48 Heimpel,Friedrich Barbarossa(wie Anm. 1), S. 19–24. 49 Ebd., S. 24: „Ließ Barbarossadas fürstliche Deutschland in seinen personalen Herrschaftsformen bestehen, so ergänzte er seine Planung durch den gebietsherrschaftlichen Gedanken.“ 50 Theodor Mayer,Der Staat der Herzoge von Zähringen (Freiburger Universitätsreden,Bd. 20), Freiburg i. Breisgau 1935, hier S. 6f.Eine ähnliche Formulierunghatte Mayer schon in einem Gießener Vortrag über die „Grundlagen der deutschenVerfassung“ gebraucht: Ders., Ge- schichtlicheGrundlagen der deutschen Verfassung (Schriften der hessischen Hochschulen – Universität Gießen,Bd. 1), Gießen 1933, S. 17: „Wirwissen, dass der frühmittelalterliche Staat als Verband von Personen zu bezeichnenist, bei dem die Herrschaft über das Land sekundärist.“; vgl. dazu und zu dem sich vonhier aus unzweifelhaft entwickelnden Grenzgang Mayers zwi- schen „wissenschaftlicher und politischer Sprache“:Reto Heinzel, Theodor Mayer.Ein Mittel- alterhistoriker im Banne des „Volkstums“ 1920–1960, Paderborn2016, S. 94 f., ferner S. 106–108, zur Wirkung von „Der Staat der Herzoge von Zähringen“,S.114 f. 51 Heimpel,Friedrich Barbarossa(wie Anm. 1), S. 4. 52 Ebd., S. 24. 166 Jürgen Dendorfer

Trotz dieser offensichtlichen Aktualisierungen warHeimpels Barbarossa aber kein Nazi-Barbarossa; er stand in der Tradition des Denkstils, der die his- torische Beschäftigungmit der deutschen Kaiserzeit seit dem 19. Jahrhundert prägte, und für den die Vorstellung von deutscher Machtentfaltung im hohen Mittelalter,von einer Einheit des Volkes in einem Reich, das es bis zum 1871 begründeten zweitenReich nicht mehr gegeben habe, maßgeblich war. Friedrich Barbarossakam in diesem Zusammenhang ein besonderer Rang zu. Die Sage vomimKyffhäuser schlafenden Kaiser,der auf die Wiederkehr des Reiches wartet, wurde im 19. Jahrhundert zumNationalmythos. Der Staufer warinder Folge „selbstverständlicher Bezugspunkt des nationalen Reichs- und Einheits- gedankens,“53 das neue Reich von1871 wurde geradezu „gründungsmythisch“ an Barbarossa gekoppelt, wie Knut Görich formuliert hat.54 Auch ausdieser Sicht ist die Wahl der Behandlung Friedrich Barbarossa zum Reichsgründungstag durchaus vielsagend. Heimpel erwähnt diesen Bezug sogar explizit: „Und doch wäre es falsch, den Kaiser der deutschen Einheitssehnsucht Friedrich Barbarossa als den Helden des neunzehnten Jahrhunderts etwavon Heinrich I., dem Heros des zwanzigsten Jahrhunderts abzusetzen.“55 Das Geschichtsbild, das Hermann Heimpel,imJanuar 1942 aufrief, war somit lange vor der NS-Zeit verbreitet und sollte es noch Jahrzehnte danach bleiben.56 Heimpel publizierte seine seit 1933 gehaltenen Vorträge zu reichsge- schichtlichen Themen, beginnend mit dem berüchtigtem Freiburger Vortrag von 1933 „Deutschlands Mittelalter – Deutschlands Schicksal“,57 mitAusnahmeder

53 Vgl. dazu mit älterer Literatur: Knut Görich, Erbe und Erblast – FriedrichBarbarossa, ein deutscher Nationalmythos, in: Andrea Schindler/Andrea Stieldorf (Hrsg.), WeltkulturerbeN. Formen, Funktionenund Objekte kulturellen Erinnerns im und an das Mittelalter (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien, Vorträge und Vorlesungen, Bd. 6), Bamberg 2015, S. 9–33; ders., Friedrich Barbarossa in den deutschen Erinnerungskulturen, in: Ders../Martin Wihoda (Hrsg.), FriedrichBarbarossa in den Nationalgeschichten Deutschlands und Ostmitteleuropas (19.–20. Jh.), Köln/Weimar/Wien 2017, S. 105–130, hier vor allem S. 119–127. 54 Görich, Erbe und Erblast (wie Anm. 53), S. 10. 55 Heimpel,Friedrich Barbarossa(wie Anm. 1), S. 3f. 56 Dazu: Karl Ferdinand Werner,Das NS-Geschichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft, Stuttgart u.a. 1967, S. 70–95; zur Kontinuität nach 1945: Gerd Althoff, Das Mittelalterbild der Deutschen vor und nach 1945. Eine Skizze, in: Joachim Heinig (Hrsg.), Reich, Regionenund Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (Historische Forschungen, Bd. 67), Berlin 2000, S. 731–749; Stephanie Kluge, Kontinuität oder Wandel? Zur Bewertung hochmittelalterlicher Königsherrschaft durch die frühe bundesrepublikanischeMediävistik, in: Frühmittelalterliche Studien 48 (2014), S. 39–120. 57 Hermann Heimpel, Deutschlands Mittelalter – Deutschlands Schicksal (Freiburger Universi- tätsreden,Bd. 12), Freiburg i. Br.1933; an den zumindestzweideutigen Ausführungen des Vortrags hat sich die Diskussion um Hermann Heimpels Stellung zum Nationalsozialismus immer wieder gestoßen. Vgl die durchaus kontroversen Bewertungen von Otto Gerhard Oexle und Ernst Schulin:Otto Gerhard Oexle, „Staat“–„Kultur“–„Volk“.Deutsche Mittelalterhis- toriker auf der Suche nach der historischen Wirklichkeit 1918–1945, in: Peter Moraw/Rudolf Schieffer (Hrsg.), Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert (Vorträge und For- schungen, Bd. 62), Ostfildern 2005, S. 63–101, wieder in: Ders., Andrea vonHülsen-Esch/Bern- hard Jussen/Frank Rexroth (Hrsg.), Die Wirklichkeit und das Wissen. Mittelalterforschung – Historische Kulturwissenschaft – Geschichte und Theorie der kritischen Erkenntnis, Göttingen Die Staufer im Elsass 167 diskussionswürdigen Vorreden,58 1941 in einem weit verbreiteten Band „Deut- sches Mittelalter“,der auch in einer Frontbuchhandels-Ausgabe für die Wehr- macht herauskam.59 Im Spiegeldes mittelalterlichen Reichesfindet sich dort das Großmachtdenken der eigenen Zeit, das dennoch fast nahtlos an die ältere Ge- schichtsschreibung anknüpfenkonnte. Nach 1945 wird manches in nur leicht veränderter Form wiederkehren.60

2011, S. 743–785, zu Heimpel S. 760 f., hier S. 761: „[…]woersein Bekenntnis zum sogenannten Dritten Reich, zur ‚Herrschaft des Führers‘ und ‚zur abendländischen Sendung‘ des neuen Reiches ‚nach außen‘ aussprach und historisch legitimierte und dabei einerseits die Wendung vom Staats-Paradigma zum völkischen Paradigma andeutete, andererseits alle jene Denkmuster vorführte, die Jahre später der nationalsozialistische Historiker Richard Karl Ganzer […]pro- pagierte […].“ In den Kontinuitätslinien des deutschnationalen Geschichtsbildes des 19. Jahr- hunderts, das „den geistigen Boden bereitete für eine Politik, die Deutschland wieder die Macht bescherensollte, die ihm nach dem Vermächtnis des Mittelaltersangeblich zustand“,liest auch Althoff, Mittelalterbild (wie Anm. 56), S. 734–736, hier S. 736 die Rede Heimpels. Dagegen sieht Ernst Schulin,Hermann Heimpel (wie Anm. 40), S. 35, den Vortrag als ein „deutliches Plädoyer gegen eine einseitig germanisch-völkische Mittelalterauffassung[…]“. 58 An diesen unpublizierten Vorreden für Freunde, die die neu anbrechende Zeit vorbehaltlos begrüßten, entzündete sich die Diskussion um die Haltung Heimpelszum Nationalsozialismus. Auf sie machte Johannes Fried bei der Eröffnung des Frankfurter Historikertags 1998 eine größere Öffentlichkeit aufmerksam(Johannes Fried, Eröffnungsrede zum 42. Deutschen His- torikertag am 8. September 1998 in FrankfurtamMain, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 10 [1998], S. 869–874); hingewiesen hatte auf sie zuvorbereits Michael Matthiesen, Verlorene Identität (wie Anm. 39), S. 50–57;eine zu glättende Deutung findet sich bei Schulin,Hermann Heimpel (wie Anm. 40), S. 31–34; wichtig: Klaus Peter Sommer,Rezension zu: Michael Mat- thiesen, VerloreneIdentität.Der Historiker Arnold Berney und seine FreiburgerKollegen 1923– 1938, Göttingen 1998 /Ernst Schulin, Hermann Heimpel und die deutsche Nationalge- schichtsschreibung,Heidelberg 1998 /Hermann Heimpel,Aspekte. Alte und neue Texte, Göt- tingen 1995 /Heinz Duchhardt, Arnold Berney (1897–1943). Das Schicksal eines jüdischen Historikers, Köln 1993, in: H-Soz-Kult,19.02.1999, . 59 Hermann Heimpel,Deutsches Mittelalter,Leipzig 1941, darin: Deutschlands Mittelalter – Deutschlands Schicksal,S.10–32. 60 Das lässt sich für viele mediävistische Publikationen der 1930er und beginnenden 1940er Jahre konstatieren, die nach dem Krieg wieder aufgelegt wurden, vgl. Klaus Schreiner,Wissenschaft von der Geschichte des Mittelaltersnach 1945. Kontinuitätenund Diskontinuitäten der Mittel- alterforschung im geteilten Deutschland, in: Ernst Schulin (Hrsg.), Deutsche Geschichtswis- senschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945–1965) (Schriften des historischen Kollegs. Kollo- quien, Bd. 18), München 1989, S. 87–146, hier S. 101 f.; die Übersicht bei Nagel, Im Schatten (wie Anm. 39), S. 51–53; auch Hermann Heimpelsschrieb über die vor1945 behandeltenThemen später wieder,indieser Hinsicht wäre etwasein umfangreicher Beitrag zur Neuen Deutschen Biographie über Friedrich Barbarossa mit der StraßburgerRede zu vergleichen: Hermann Heimpel,Friedrich I. Barbarossa, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 5, Berlin 1961, S. 459–479; vgl. diesen Hinweis bei Pierre Racine, Frédéric Barberousse(1152–1190), Paris 2009, S. 14. 168 Jürgen Dendorfer

Forschenüber das deutsche Mittelalter in Straßburg – Hermann Heimpels „Programm“

Bemerkenswert ist also weniger,wie Hermann Heimpel sein Thema behandelte, sondern dass er Anfang 1942 gerade in Straßburg über „Kaiser Friedrich Bar- barossa und die Wende der staufischen Zeit“ sprach.Ineinem programmati- schen Aufsatz hatte er kurz zuvor1941 in den „Straßburger Monatsheften. Zeitschrift für das deutsche Volkstum am Oberrhein“ die geplante Beschäftigung mit dem Mittelalter auf seinem Lehrstuhl in Straßburg skizziert:61 „Daß die Geschichte des Elsaß deutsch ist, dies von den Kathedern vorzutragen, bedarf keines Argumentierens und keiner Anstrengung. Das Mittelalter verkündet es besonders deutlich und rein. Diese Ge- schichte haben wir nichtnur innerlich gemeinsam,sondern ohne Stö- rung haben im ersten Reiche die Elsässer und die Schwaben, die Bayern und die Niedersachsen, die Hansen an der Ostsee bis Nowgorod die gleiche, gemeinsame Geschichte…“62 Sein Ziel sei es, so Heimpel, „der Geschichte des Reiches eine sorgfältige Pflege zu[teil] werden“ zu lassen. Die Denomination seines Lehrstuhls lautete dann auch „Geschichte des Mittelalters unter dem Gesichtspunkt des Reiches“.63 Dieses Lehren und Forschen über das „Reich“ hatte an der neu gegründeten Reichsuniversität Straßburg im Jahre 1942 in mehrfacher Hinsicht einen politi- schen Aktualitätsbezug, und es sollte diesen auch haben, denn „Geschichtliche Erkenntnis“,soHeimpel, „dientder Gegenwart. Aber es gilt auch umgekehrt, daß die Gegenwart der Erkenntnis der Geschichte dient. Der Wille und die Tat werfen Licht in die Vergangenheit.“64 Neben einer in gewisser Weise zu erwar- tenden Affirmation des Deutschtums im Elsass durch das Hervorkehren seiner „deutschen“ Geschichte im Mittelalter,war es auch das Raunen vom mittelal- terlichen „Reich“ als Ordnungsideefür das neue nationalsozialistische Europa, das weitüber den engeren Kreis der Historiker hinaus publizistische Wellen schlug.65 Hermann Heimpel trug nicht nur im Straßburger Programm von1941

61 Hermann Heimpel, Die Erforschung des deutschen Mittelalters im deutschen Elsaß, in: Straß- burger Monatshefte 5(1941), S. 738–743. 62 Ebd., S. 740. 63 Schulin, Heimpel (wie Anm. 40), S. 38f. 64 Heimpel,Erforschung (wie Anm. 61), S. 740. 65 Klaus Ganzer,Das Reich als europäische Ordnungsmacht, Hamburg1941;zum Thema „Reich“ im Nationalsozialismus vgl. aus einer Fülle von Literatur:Werner,NS-Geschichtsbild (wie Anm. 56), S. 88–93; Klaus Schreiner,Führertum, Rasse, Reich. Wissenschaft von der Geschichte und nach der Machtergreifung, in: Peter Lundgreen (Hrsg.), Wissenschaft im Dritten Reich (Edition Suhrkamp,Bd. 1306), Frankfurt a. M. 1985, S. 163–252, hier S. 190–204; Karen Schönwälder, Historiker und Politik. Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus (Historische Studien, Bd. 9), Frankfurt/New York 1992, S. 208–237;Nagel, Im Schatten (wie Anm. 39), S. 65–81;Hagen Keller,Gerd Tellenbachs Arbeiten zur „mittelalterlichen Reichsgeschichte“ im historischen Diskurs ihrer Entstehungszeit, in: Dieter Mertens/Hubert Mordek/Thomas Zotz (Hrsg.), Gerd Die Staufer im Elsass 169 zur akademischen Legitimation dieses Gedankens bei, aber in diesem waren die Formulierungen wieder unzweideutig distanzlos: Das erste „Reich“ sei „nicht tot“: „Sein bleibender Sinn verwirklicht und erneuert sich vor unseren Augen. Das moderne System eines scheinbaren Gleichgewichts, in dem sich die Ränder Europas auf Kosten der deutschen Mitte ver- banden, weicht einer europäischen Ordnung aus der volkreichen willensstarkenMitte, wie sie einst von Heinrich I. begründet, von unsern Kaisern verwirklicht war.“66 Doch Heimpel ging es noch um weit mehr,das geplante „Umschreiben“ der Geschichte sollte nicht nur das Ergebnis politischer Perspektivwechsel sein, sondern „ein Schritt auf dem Wege zurWahrheit“.67 Die „Epochen“ der Ge- schichte sind nicht nur „neue Lagen, denen man gerecht werden muss“,sondern „Stöße, in denen ein Volk zu sich selbst kommt.“: „Das Volk in seinem Kern immer dasselbe, durchlebt verschiedene Stufen seines Bewußtseins und jeder dieser Stufen entspricht eine neue Geschichtsschreibung.“68 Das „erste Reich“ ist eine dieser Stufen, ebenso wie die Reformation, die „deutsche Bewegung“ oder die Erfahrung des Weltkriegs, die dazu führte, dass das Volk „fähig“ wurde, „dem zu folgen, der es zu sich selbst führt. Ihm ist dabei der Blick geöffnet für die durch allen Wechsel der Gestaltungenbleibenden, tragenden, erhaltenden Kräfte des Blutes, ihm ist die germanische Herkunft als geschichtliche Macht vonneuem freigelegt, die das Ge- schichtlich-Deutsche trägt und zugleich übergreift.“69 Vornehmste Aufgabe des Historikers sei es, sich von „den gewordenen, nach außen sichtbaren Bildungen“ zu lösen, und „nach den verborgenen Adern der nordischen und germanischen Art in der deutschen Geschichte“ zu graben; eine weitere Aufgabe bestünde in der „Erkenntnis des tatsächlich Verwirklichten“, der Taten und Ereignisse, und drittens in der Beantwortung der „Frage nach der Geschichte des deutschen Selbstbewußtseins“.70 Diesen deutlich über anpas- sungswillige Vorwortrhetorik hinausgehenden Äußerungen entspricht das Programm, das Heimpel entwirft. DieGeschichte des Elsasses sei deutsch, die Geschichte des Mittelalters solle in Straßburg deshalb unter dem „Geschichts- punkt des Reiches“ betrieben werden; eine Spannung ergebe sich aus der

Tellenbach (1903–1999). Ein Mediävist des 20. Jahrhunderts. Vorträge aus Anlaß seines 100. Geburtstags in Freiburg i. Br.am24. Oktober 2003, Berlin 2005, S. 25–38, hier S. 27 f.; Althoff, Mittelalterbild (wie Anm. 56); ders., Die Deutschen und ihr Mittelalterliches Reich, in: Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter(Hrsg.), Heilig – Römisch – Deutsch. Das Reich im mittelal- terlichen Europa, Dresden 2006, S. 119–132; Kluge, Kontinuität oder Wandel (wie Anm. 56), S. 56–67. 66 Heimpel,Erforschung (wie Anm. 61), S. 742. 67 Ebd., S. 738. 68 Ebd., S. 738. 69 Ebd., S. 739. 70 Ebd., S. 739. 170 Jürgen Dendorfer

„Umzeichnung“ des Bildes des Mittelalters durch aktuelle Forschungen. „We- sentliche Beiträge“ sieht Heimpel durch eine Reihe vonAutoren gelegt, deren ideologische Prägungen historiographiegeschichtliche Forschungen aufgezeigt haben:71 zu den „germanischen und besonders germanisch-sakralen Wurzeln des Königtums“ Otto Höfler72 oder Otto Brunners Ausführungen zurStaatlich- keit, die das mittelalterliche Verhältnis von „Politik und Recht“,von „Friede und Fehde auf uralte germanische Grundlagen“ zurückverweise,73 und nicht zuletzt die Forschungen seines Schülers Eberhard Otto zum Adel.74 Kann man, wenn Heimpel anschließt, „Wieweit ist die mittelalterliche Welt christlich, wie weit ist sie kirchlich bestimmt?“,davon sprechen, dass der eigentliche Sinn dieser Ausführungen darin besteht, die christlichen Voraussetzungen des Mittelalters zu betonen? Die Darstellung der „verwirklichten Geschichte des Mittelalters“, die an die Seite des Grabens nach den Wurzeln treten soll, sieht er wieder aus einer Verbindung von „Volksgeschichte und Reichsgeschichte“ entspringen. Wenn er abschließend Editionsprojekte wie die „Staatsschriften des späten Mittelalters“ und die „Älteren Deutschen Reichstagsakten“ sowie einen Schwerpunkt im Spätmittelalter für den Straßburger Lehrstuhl nennt,75 dann lässt sich nur mit großem Wohlwollen konstatieren, hierin liege das Ziel und das

71 Ebd., S. 740 f. Die Charakterisierung dieser Forschungen durch Heimpel ist an sich sprechend. Er hebt gerade jene Aspekte hervor,die in der Nachkriegsmediävistik in der Rezeption gerne ausgeblendet wurden. 72 Dazu: Harm-Peer Zimmermann, VomSchlaf der Vernunft. Deutsche Volkskunde an der Kieler Universität 1933–1945, in: Hans-Werner Prahl (Hrsg.), Uni-formierung des Geistes. Universität Kiel im Nationalsozialismus (Veröffentlichung des Beirats für Geschichte der Arbeiterbewegung und Demokratie,Bd. 16), Brodersdorf 1995, S. 171–274, hier S. 201–223; Esther Gajek, Germa- nenkunde und Nationalsozialismus. Zur Verflechtung vonWissenschaft und Politik am Beispiel Otto Höflers, in: Walter Schmitz/Clemens Vollnhals (Hrsg.), VölkischeBewegung – Konserva- tive Revolution – Nationalsozialismus. Aspekte einer politisierten Kultur (Kulturstudien, Bd. 2), Dresden 2005, S. 325–357;Birgit Aschmann, „Deutsche Art in Sprache und Dichtung“.Die Germanistik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Nationalsozialismus, in: Chris- toph Cornelißen/Carsten Mish (Hrsg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus (Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Bd. 86), Essen 2009, S. 197–227, hier S. 205–215. 73 Heimpel,Erforschung (wie Anm. 61), S. 740 f. Bezeichnend ist die Charakterisierung des Werks von Otto Brunner durch Heimpel: „… oder an die neuen Erkenntnisse, mit denen Otto Brunner die aus den Voraussetzungen des 19. Jahrhundertsgestellte Frage nach dem mittelalterlichen Staat durch das Aufspürenjener Vorstellungen erweitert, die den alten Zeiten selbst den Staat als Ordnung des Volkes ausmachten, nach dem „Land“,nach der „Herrschaft“,wobei in neuartiger Weise das besondere mittelalterliche Verhältnis von Politik und Recht, von Friede und Fehde auf uralte germanische Grundlagen zurückverweist.“ Zu Otto Brunner (mit älterer Literatur): Hans- Henning Kortüm,Otto Brunner über Otto den Großen.Aus den letzten Tagen der reichsdeut- schen Mediävistik, in: HistorischeZeitschrift 299 (2014), S. 297–333; ders., „Wissenschaft im Doppelpaß“?Carl Schmitt,Otto Brunner und die Konstruktion der Fehde, in: Historische Zeitschrift 282 (2006), S. 585–617. 74 Eberhard Otto, Adel und Freiheit im deutschen Staat des frühen Mittelalters. Studien über nobiles und Ministerialen (Neue deutscheForschungen, Bd. 130), Berlin 1937;zuEberhard Otto vgl. die Literatur oben Anm. 46, zu seiner Habilitationsschrift: Piepenbrink, Seminar für Mittlere Geschichte (wie Anm. 39), S. 369 f. 75 Heimpel,Erforschung (wie Anm. 61), S. 742. Die Staufer im Elsass 171 eigentlicheInteresse des Autors.76 Selbst wenn das so gewesen wäre, gehen die Ausführungen Heimpels weit über ein opportunistisches Werben für die eigenen Projekte unter den politischen Vorzeichendes Nationalsozialismus hinaus. Hermann Heimpels Sprechen über das Reich und die Staufer in Straßburg und im Elsass des Jahres 1942 warnicht unschuldig. Bei ihm zeigt sich vielmehr eine erstaunliche Affinität zur Wahl von Themen, die im Zuge der nationalso- zialistischen Expansionspolitik und der sie vorbereitenden und flankierenden Überlegungen zu Annexionen vonGebieten bzw.zur Umsiedlung ihrer Be- wohner in den 1940er Jahren virulent waren. Neben den Staufern und Friedrich BarbarossaimElsass, wardas vorallem „Burgund“,das Heimpel im Spätmit- telalter zur ZeitKarls des Kühnen behandelte. Mitanderen Straßburger Pro- fessoren trug Heimpel zu dem vomFreiburgerNS-Oberbürgermeister 1942 herausgegebenen Burgundbuch bei,77 das zwar nicht lautstark, aber doch ver- nehmbar Argumente für eine Expansion des Reiches nach Burgund bieten wollte.78 Wieder ist außer einigen deutlich gegen Frankreich gerichteten Sottisen wissenschaftlich am BeitragHeimpels wenig zu bestanden, und wieder ist es seine Mitwirkung an diesem politisch mit einer Intentionversehenen Sammel- band, die aufhorchen lässt. Dem BeitragimFreiburger Burgundbuch sind flan- kierend Aufsätze an die Seite zu stellen, in denen Heimpels Zielrichtung bei der Behandlung von Fragen aus der Zeit Karls des Kühnen noch deutlicher durch- schlägt.79 Den Fluchtpunkt dieser Äußerungen Heimpels bildete das Ziel, das auch die „Westforschung“ hatte,mit wissenschaftlichen Argumentendie Stellung des Reiches im OstenFrankreichs zu begründen, und in der Folge die Eingliederung weiterer Gebiete ins Reich zu legitimieren.80 Es ist zwar nicht sicher,obsich

76 Vgl. dazu die Interpretation von Boockmann, Historiker Hermann Heimpel (wie Anm. 40), S. 19–22 zum StraßburgerProgramm. 77 Franz Kerber (Hrsg.), Burgund. Das Land zwischen Rhein und Rhone (Jahrbuch der Stadt Freiburg,Bd. 5), Straßburg 1942, hierin: Hermann Heimpel, Peter vonHagenbach und die Herrschaft BurgundsamOberrhein (1469–1474), S. 139–154. 78 Vgl. dazu in diesem Band den Beitrag von Wolfgang Freund, „… aus politischen Gründen eine heikle Angelegenheit“.Das Burgundbuch der Stadt Freiburg im Breisgau 1941/42, S. ###–###. 79 Dazu: Heribert Müller, „Vonwelschem Zwang und welschen Ketten des Reiches Westmark zu erretten“.Burgund und der Neusser Krieg 1474/1475 im Spiegel der deutschen Geschichts- schreibungvon der Weimarer Zeit bis in die der frühen Bundesrepublik, in: Ders., Frankreich, Burgund und das Reich im späten Mittelalter.Ausgewählte Aufsätze, hrsg. vonGabriele Annas/ Peter Gorzolla/Christian Kleinert/Jessika Nowak (Spätmittelalter,Humanismus, Reformation, Bd. 56), Tübingen 2011, S. 72–125, hier S. 110–120. 80 Peter Schöttler,Die historische „Westforschung“ zwischen „Abwehrkampf“ und territorialer Offensive, in: Ders. (Hrsg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft, Bd. 1333), Frankfurt a. M. 1997, S. 204–261, hier S. 221, zum Burgund-Thema als einem „Praxisfeld“ der Westforschung; zur Westforschung ferner (in Auswahl): Michael Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ von 1931 bis 1945, Baden-Baden 1999, hier S. 350– 440 (zur Westdeutschen Forschungsgemeinschaft); Burkhard Dietz/Helmut Gabel/Ulrich Tie- dau (Hrsg.), Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissen- schaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919–1960) (Studien zur Geschichte und Kultur 172 Jürgen Dendorfer

Hermann Heimpel an den Sitzungen der organisierten Westforschung beteilig- te,81 der Blick der Reichsuniversität Straßburg und die Aufgabe der dort tätigen Historiker waraber eindeutig „gegen Westen“ gerichtet. Durch seine auf Frankreich und Burgund bezogenen Publikationen trug Hermann Heimpel dazu gerade durch seinen spezifischen Blick auf die große Reichsgeschichte bei. Seine Straßburger Kollegen Günther Franz und Ernst Anrich sollten flankierend im landeskundlichen Zugriff die Frage nach dem deutschen Kultur- und Sied- lungsraum im Westen wesentlich eindeutigerbeantworten,82 mit in der Zwi- schenkriegszeit entwickelten Argumentationsgängen, die Heimpel durchaus kannte und die er schon 1939 in einem Vortrag zustimmend zitiert hatte.83 Auch wenn sich seine Geschichtsschreibung in Straßburg konventioneller,inden Traditionen deutscher Königs- und Kaisergeschichte bewegte, zeigt die nicht zufällige Wahl der Themen seiner Vorträge und Aufsätze in diesen Jahren, dass er zumindest im gedanklichen Rahmen der NS-Westforschung zu verorten ist. Nach dem Sieg über Frankreich kam die „Stunde der Experten“,die Grenzre- visionen oder sogar neue Annexionen begründen sollte; der Universität in Straßburg warindieser Hinsicht eine besondere Stellung zugedacht.

„Deutsche Größe“ am Oberrhein

In den zwei Jahren ihres Bestehens trat die Reichsuniversität für eine größere Öffentlichkeit durch die Beteiligung an den kulturpolitischen Bemühungen hervor,den Elsässern ihre Zugehörigkeit zum Reich vor Augen zu stellen. Auch dies warein Rahmen des Sprechens und Schreibens über die Staufer im Jahr 1942. Schon zwei Wochen nach HeimpelsVortrag zur Reichsgründungsfeier hielt der Gründungsdekanihrer philosophischen Fakultät, der Historiker Ernst Anrich, wieder im Lichthof der Universität einen Vortrag zu einem mittelalter- lichen Thema: „Die Straßburger Eide vom 14. Februar 842 als Markstein der deutschen Geschichte“.84 Anrichs Vortrag warBestandteil der vonGauleiter Wagner angeordnetenAktivitäten zum „Jahr der Geschichte“ im Elsass.85 Ihr

Nordwesteuropas, Bd. 6), 2Bde., Münster u.a. 2003; Thomas Müller,Imaginierter Westen. Das Konzept des „deutschen Westraums“ im völkischen Diskurs zwischen Politischer Romantik und Nationalsozialismus, Bielefeld 2009; Mario Seiler,Uneindeutige Grenzen und die Idee der Ordnung.Der Grenzlanddiskurs an der Universität FreiburgimZeitalter der beiden Weltkriege, Freiburg u.a. 2015. 81 Müller,Von welschem Zwang (wie Anm. 79), S. 118 Anm. 142. 82 Hausmann, Wissenschaftsplanung (wie Anm. 38), S. 220 f. 83 Gedruckt:Hermann Heimpel,Frankreich und das Reich, in: HZ 161 (1940), S. 229–243, dazu: Nagel, Im Schatten (wie Anm. 39), S. 67–74. 84 Ernst Anrich, Die Strassburger Eide vom14. Februar 842 als Markstein der deutschen Geschichte (Strassburger Universitätsreden, Bd. 4), Straßburg 1943. 85 Vgl. dazu BernardetteSchnitzler,1942. Elsässische Geschichte im Dienste der Nazipropaganda: Die Geschichtserziehungsaktion und die Ausstellung 2000 JahreKampf am Rhein, in: Krimm, NS- Kulturpolitik (wie 38), S. 261–289, hier S. 262–269, zur InstruktionWagners vom 5. Dezember Die Staufer im Elsass 173

Ziel wares, die „deutsche“ Geschichte des Elsasses vor der französischen Zeit zu betonen. Das Mittelalter und Teile der frühen Neuzeit wurdendeshalb besonders herausgestellt. Diese „Kulturpropaganda“,ein Teil der Germanisierungspolitik unter Gauleiter Wagner,86 bediente sich einer Vielzahl von Medien, um das neue Geschichtsbild zu vermitteln: der Wanderausstellung „Deutsche Größe“,die um die regionale Komponente „2000 Jahre Kampf am Rhein“ ergänzt wurde,87 einer in hoher Auflage gedruckten Begleitbroschüre „Das Elsass. Herzland und Schildmauerdes Reiches“ mit einem reich bebilderten Abriss zur deutschen Geschichte des Elsass,88 einer Serie von fünf Heften der „Oberrheinischen Ju- gendbücherei“89 oder auch der im Führerverlag gedruckten und kostenlos an Funktionäre verteilten „Deutschen Geschichte am Oberrhein“ von Alfred Rapp.90 Sowohl in der Ausstellung als auch in den Publikationen bekam die mittel- alterliche Geschichte des Elsass breiten Raum zugestanden. In der Ausstellung wurden von neun Sälen drei dem Altertum und der Vorgeschichte gewidmet, drei dem Mittelalter und weitere drei der Zeit bis 1940.91 Die Mittelaltersäle setzten die Schwerpunkte, die auch die akademischen Vorträge an der Univer- sität Straßburg hatten: im frühen Mittelalter widmen sie sich Karl dem Großen und den Straßburger Eiden, im hohen Mittelalter der Kaiserzeit unter den Ot- tonen, Saliern und Staufern, und im späten Mittelalter der Zeit der Burgundi- schen Kriege und der Feldzüge der Armagnaken.92 Das sind drei Schwerpunkte, zu denen die zwei Professoren für Mittlere und Neuere Geschichte der Reichs- universität Ernst Anrich und Hermann Heimpel im Januar und Februar vor- trugen bzw.imFall der Burgunderkriege im Jahr 1942 publizierten. Die Themen, die die Professoren an der Reichsuniversität behandelten und die in der Propa- gandaausstellung ins Licht gerückt wurden, stimmen so deutlich überein, dass dies kein Zufall sein kann.93 Auch in der zur Ausstellung publizierten Broschüre

1941, zu den Aktivitäten am 14. Februar 1942 vgl. S. 263, neben Anrichs Vortrags fand auch eine politische Veranstaltung in Straßburg statt sowie feierliche Sitzungen des Stadtrats in allen Kommunen des Elsass. 86 Lothar Kettenacker, Nationalsozialistische Volkstumspolitik im Elsaß, Stuttgart 1973, hier bes. S. 174–194. 87 Schnitzler,1942 (wie Anm. 85), S. 273–289. 88 Das Elsass: Herzland und Schildmauer des Reiches. 2000 Jahre deutscher Kampf am Oberrhein, Straßburg 1942, zur Entstehung Schnitzler,1942 (wie Anm. 85), S. 269–273. 89 Schnitzler,1942 (wie Anm. 85), S. 265 f. 90 Alfred Rapp, Deutsche Geschichte am Oberrhein, Karlsruhe 1937, in drei Auflagen 1937. 91 Neben Schnitzler,1942 (wie Anm. 87), S. 287 f. vgl. auch Dies./Isabelle Bardiès/Jean-Pierre Legendre,Bedeutende Propaganda-Ausstellungen im Elsaß und im Département Moselle, in: Hans-Peter Kuhnen(Hrsg.), Propaganda. Macht. Geschichte. ArchäologieanRhein und Mosel im Dienst des Nationalsozialismus (Schriftenreihe des Rheinischen Landesmuseums Trier, Bd. 24), Trier 2002, S. 81–92, hier S. 84–87. 92 Nach Schnitzler,1942 (wie Anm. 85), S. 288. 93 Die Beteiligung der StraßburgerProfessoren an der „Geschichtsaktion“ steht außer Frage, auch wennderen Planmäßigkeit und ihr Umfangnoch weiterer,archivalischer Klärung bedarf. Ein Hinweis darauf findet sich in einem Entschuldigungsschreiben Hermann HeimpelsanTheodor Mayer als Leiter des „Kriegseinsatzes der Historiker“ im Mai 1942, wonach er nicht zur nächsten 174 Jürgen Dendorfer wird dem Mittelalter ein Drittel der Seiten gewidmet, es kehrendieselbenThe- men wieder: Die Karolingerzeit und die Straßburger Eide sowie die Stauferzeit als „Glanzzeit des Reiches – Blütezeit des Elsass“: „Als Friedrich Barbarossa die Krone trägt, schlägt das Herz Deutschlands im Elsass. In Hagenau entstehtdie große Kaiserpfalz Barbarossas und auf den Hängen der Vogesen zieht sich der Kranz der Burgen der Stauferritter,der Schwertgarde des Reiches …“. „Es ist die größte Zeit der elsässischen Geschichte, dieses Jahrhundert, in dem Reich und Elsaß eins sind“.94 Vereinfacht für ein breiteres Publikum finden sich dieselben Wertungen, wie sie sich auch in dem an den Universitäten gelehrten Geschichtsbild zeigen, das Hermann Heimpel in seinem Straßburger Programm von 1941 und in seinem Vortrag zu FriedrichBarbarossa im Januar 1942 ebenfalls bemühte: die Stau- ferzeit nicht nur als ein Höhepunkt der deutschen Geschichte, sondern auch und vorallem der deutschen Geschichte im Elsass.Die Tragweite dieser historischen Bezugnahme im Jahr 1942 im Elsass wird man nur dann richtig verstehen, wenn man sowohl den zeitlichen Rahmen,das in erheblichemUmfang zunehmende Sprechen und Schreiben über das mittelalterliche Reich am Ende der 30er und am Beginn der 40er Jahre, als auch dessen spezifisch elsässische Vorgeschichte beachtet.

Konjunkturen der Forschungen zur Geschichte der Staufer und des Reichs um 1940

Am Ende der 1930er und am Beginn der 1940er Jahre entstanden, als Teil der Konjunktur der Forschungen zum mittelalterlichen Reich, neu akzentuierte Studien zur staufischen Kaiserzeit in erstaunlicher Fülle. Das Geschichtsbild der Ideologen nahm Barbarossa als geschichtsmächtige „Führerpersönlichkeit“ des Reiches in Anspruch, der „mittelalterliche Reichsgedankenährte und legiti- mierte nationalsozialistische Pläne eines großgermanischen Reiches“,soKlaus Schreiner.95 Auffällig ist, wie intensiv parallel dazu in der Geschichtsschreibung

Tagung in Weimar kommen könne, denn er habe „eine öffentliche Vorlesung für das Stadtpu- blikum über ‚Das erste Reich in Gestalten seiner Könige‘ übernommen, für die er u.k. gestellt worden sei und die er als seinen persönlichen „Kriegseinsatz“ auffassen müsse“.Zitat und Nachweis aus Frank-Rutger Hausmann, „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (1940–1945) (Studien zur Verfassungs- und Universitätsgeschichte, Bd. 12), 3. Aufl., Heidelberg 2007, S. 181 mit Anm 236. 94 Elsaß. Herzland und Schildmauer (wie Anm. 88), S. 6f. 95 Klaus Schreiner,Friedrich Barbarossa – Herrscher,Held und Hoffnungsträger.Formen und Funktionenstaufischer Erinnerungskultur im 19. und 20. Jahrhundert, in: VonPalermo zum Kyffhäuser.Staufische Erinnerungsorte und Staufermythos (Schriften zur staufischen Ge- schichte und Kunst, Bd. 31), Göppingen 2012, S. 97–128, Zitat S. 126; zuvor schon ders., Friedrich Barbarossa – Herr der Welt, Zeuge der Wahrheit, die Verkörperung nationaler Macht und Herrlichkeit, in: Die Zeit der Staufer.Geschichte – Kunst – Kultur,Bd. 5: Vorträge und For- schungen, Stuttgart 1979, S. 521–579, hier S. 551–560. Die Staufer im Elsass 175 wie in der Forschung das hochmittelalterliche Reich und hier vorallem die Stauferzeitbehandelt wurde.96 1940 entstand Peter Rassows auch nach dem Krieg noch lange gelesene Studie zum honor imperii,97 um dieselbe Zeit schrieb Eberhard Otto eine Biographie Friedrich Barbarossas98 – beide Arbeiten erwähnt Heimpel als Referenzwerke. Flankiert waren diese größeren Entwürfe von einer intensiven Detailforschung zu den Quellen der Stauferzeit, zu den Urkunden Barbarossas, zur staufischen Kanzlei, zu Briefsammlungen und zur Historio- graphie.99 In diesem Zusammenhang gehören etwaauch die Projekte von Hans- Walter Klewitz, Lehrstuhlinhaber in Freiburg und erster Leiter der 1941 ge- gründeten Abteilung Landesgeschichte am Historischen Seminar.100 Klewitz plante eine Editionder Barbarossa-Diplomeund sogar eine Biographie des Kaisers.101 In einem Beitrag in der Colmarer Zeitung ausdem Jahr 1942 sah auch er solideItinerarforschung, die Barbarossas Aufenthalten links des Rheins nachgeht, als Argument dafür,das Elsass als Teil des deutschen Volksbodens zu betrachten.102 Betrieben Heimpel und Klewitz Geschichtswissenschaft, die auch nach 1945 mit wenigen terminologischen Abstrichen als weiterhin gültig angesehen wer- den konnte, so galt das für andere Deutungen staufischer Geschichte nicht. Deutlich eine Grenze überschritt in dieser Hinsicht das 1943 erschienene Buch Erich Maschkes, „Das Geschlecht der Staufer.“103 Maschke, der 1942 Hermann Heimpel nach dem Wechsel nach Straßburg in Leipzig nachfolgte, warweitaus enger in das NS-Wissenschaftssystem eingebunden.104 Schon seit 1933 Mitglied

96 Vgl. dazu die Literatur in Anm. 45. 97 Peter Rassow,Honor imperii. Die neue Politik Friedrich Barbarossas, München 1940. 98 Otto, FriedrichBarbarossa (wie Anm. 46). 99 Eine Übersicht darübererlauben der Rezensionsteil und der Jahresbericht des Präsidenten in der Zeitschrift des „Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde“ (der vormaligen MGH) von 1937 bis 1944. 100 Zu ihm: Andre Gutmann, Zwischen Barbarossa, Gauforschung und Wehrmachtsvorträgen – Hans-Walter Klewitz als Vertreter der Freiburger Mediävistik1940–1943, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 161 (2013), S. 377–426; ders., Das Institut für geschichtliche Lan- deskunde an der Universität Freiburg im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 163 (2015), S. 301–341. 101 Gutmann, Zwischen Barbarossa (wie Anm. 100), S. 419–421. 102 Hans-Walter Klewitz, FriedrichBarbarossa in Kolmar.Ein Beitrag zur Geschichte des staufi- schen Königtums, in: KolmarerKurier.Amtliche Tageszeitung der NSDAP für das Mittel-Elsass, Ausgabe vom17. Oktober 1942, S. 3. 103 Erich Maschke, Das Geschlechtder Staufer,München 1943. 104 Zur Biographie Maschkes:Lerchenmüller,Geschichtswissenschaft (wie Anm. 46), S. 42, 219 f.; Michael Schröders, „Eine Revolution unseres gesamten Geschichtsbildes“?Erich Maschke, die NS-Geschichtsideologie und die politischeSchulung in Ordensburgen der NSDAP,in: Natio- nalsozialismus im Kreis Euskirchen. Kultur – Wirtschaft – Tourismus, Bd. 3(GeschichteimKreis Euskirchen,Bd. 25), Euskirchen 2011, S. 341–415; Barbara Schneider,Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus – Das Wirken Erich Maschkes in Jena, in: Tobias Kaiser/Steffen Kaudelka/ Matthias Steinbach (Hrsg.), Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel. Studien zur Geschichtswissenschaft zwischen Kaiserreich und deutscherZweistaatlichkeit, Berlin 2004, S. 91–114; Dies., Erich Maschke, in: Ingo Haar/Michael Fahlbusch(Hrsg.), Handbuch der völ- kischen Wissenschaften,München 2008, S. 402–406; Dies., Erich Maschke. Im Beziehungsge- 176 Jürgen Dendorfer der SA, seit 1935 Lehrstuhlinhaber in Jena, stellvertretender NS-Dozenten- bundführer an der Universität Leipzig, in verschiedenen Parteigremien und Ämtern,etwadem Amt Rosenberg aktiv und am Entwurf der Lehrpläne für die Schulung in den NS-Ordensburgen beteiligt,105 warMaschke nichtnur verstrickt, er warf gleichsam selbst Netze aus. Seine zweite Karriere nach 1945 als in Hei- delberg lehrender Sozial- und Wirtschaftshistoriker setzte erst nach langer Kriegsgefangenschaft ab 1956 ein. Maschke gilt heute als einer der Doyen einer sozialgeschichtlichen Stadtgeschichtsforschung.106 Wieviele andere ausseiner Generationpublizierte er nach 1945 mit gutem Grund nur noch vereinzelt zur hochmittelalterlichen Geschichte. Maschkes „Geschlecht der Staufer“ aus dem Jahr 1943 trieft geradezu von Anklängen an eine Blut- und Boden-Wissenschaft.107 Schon in der Einleitung entwickelt Maschke nach einem kurzen Abriss der staufischen Geschichte von Konrad III. bis zu Konradin, der in durchaus gewohnten Bahnen den Kampf mit dem Papsttum herausstellt, einen bemerkenswert biologistischen Erklärungs- ansatz, weshalbdie staufische Geschichtetrotz ihrer „inneren Einheit“ sich den verändernden „Aufgaben und Möglichkeiten ihrer Zeit“ anpassen konnte.108 Im „Verlauf dieses Ringens“ mit den Päpsten, das für Maschkedie Einheit der staufischen Geschichte darstellt, „wandelten sich Anlagen und Begabungen des Königshauses mit jeder Frau, die sich ein Staufer in Ehe oder in freierForm verband.“109 „Wesentliche Züge“ seien dem staufischen Haus „durch alle Ge- schlechterreihen zu eigen“ gewesen. Doch trug das „Blut der Mütter auch jeder nachkommenden Generation Neues hinzu,“ das er erkennen wollte.Wesentlich waresdas germanische Blut der Staufer zu erweisen, möglicher Erklärungsbe- darf wurde in diesem Sinne umgedeutet; doch auch wenn Heiraten mit „Ro- manen“ festzustellen sind,sosei doch der germanische Ursprung erhalten ge- blieben, da „der hohe Adel der romanischen Länder“ seine germanische Ab- stammung nicht verloren hatte. In diesem kaum erträglichen Sinne wird Gene- ration für Generation der Staufer behandelt.110

flecht vonPolitik und Geschichtswissenschaft (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 90), Göttingen 2016. 105 Schröders, Revolution (wie Anm. 104), S. 346–362. 106 Zur Würdigung vgl. Schreiner,Wissenschaft von der Geschichte (wie Anm. 60), S. 134 f. 107 Neben Maschke, Geschlecht der Staufer (wie Anm. 103), sind zwei Aufsätze in ähnlichem Duktus verfasst: Ders., Das staufischeHaus, in: Vergangenheit und Gegenwart 33 (1943), S. 73– 88; ders., Das Geschlechtder Staufer,in: FamiliengeschichtlicheBlätter 42 (1944), Sp. 97–110. 108 Maschke, Geschlecht der Staufer(wie Anm. 103), S. 13 f., paraphrasiertePassage S. 14. 109 Ebd., S. 14. 110 Vgl. als Beispiel für andere Fälle Maschke, Geschlechtder Staufer (wie Anm. 103), S. 19 f., in der die Wirkungen der Ehe Herzog Friedrichs I. mit der Salierin Agnes bewertet werden: „Durch Agnes kam aber auch in das staufische Geschlecht, das bisher mit Ausnahmedes byzantinischen Blutsanteils der Hildegard von ihrer Urgroßmutter,Kaiserin Theophanu, und des burgundi- schen vonAdelheid, der zweiten Gattin Ottos des Großen,deutscher,schwäbisch-fränkischer Herkunft gewesen war, ein Zustrom nichtdeutschen Blutes aus den italienischen und südfran- zösischen Vorfahren Berthas, der Gattin Heinrichs IV., und des Kaisers selbst. Welche Einflüsse von hier auf das Erbbild der älteren Staufer ausgingen,wissen wir nicht. Die rassischen Die Staufer im Elsass 177

Zu Beginn aber kommt Maschke auch auf die Schlettstadter und somitdie elsässischenAnfänge der Staufer zu sprechen. 1892 wurde bei Umbauarbeiten, die einer romanischen Renovierung der unter Barbarossa errichtetenKirche St. Fides vorausgingen, unter der Kirche eine Krypta des 11. Jahrhunderts ent- deckt.111 In ihr fanden sich in einem gemauerten Grab die Überreste einer Frau, deren Leiche offenbar mit Kalk und Mörtel übergossen wurde, vielleicht weil sie ein Opfer der Pest war. Erhalten hat sich dadurch ein Abguss ihres Gesichtes, der die Rekonstruktion einer Büste erlaubt. Die Ergebnisse der aufsehenerregenden Rekonstruktion wurdenschon 1893 publiziert.112 Ob hier nun Hildegard von Schlettstadt-Egisheim, die Mutter Herzog Friedrich I. von Schwaben, zu sehen ist, oder,daessich um eine jüngere Frau handelte, ihre Tochter Adelheid, oder wiederum eine ganz andere Person, ist nichtmehr eindeutig zu klären. Erich Maschke hielt dies nicht davon ab dem Gesichtsabguss rassekundlich-anthro- pologisch zu Leibe zu rücken. Hildegard vonSchlettstadt und ihre Tochter Adelheid seien erbgeschichtlich ein besonders interessanterFall, „kurzschädlig und schmalgesichtig zeige der Kopf der Toten, (allerdings), dass unter den äl- testen Staufern keineswegs mit allen nordischen Körpermerkmalen gerechnet werden darf“,auch wenn „der Kopf mit dem mittleren Kopf-Index der aktuellen Bevölkerung im Elsaß ungefähr übereinstimme“.113 So weitwie Maschke gingen wenige an den Universitäten wirkende Mittelalterhistoriker.Der Blickauf sein Machwerk zum „Geschlecht der Staufer“,das Karl Jordan 1944 in einer Rezen- sion als vordem Hintergrund der hochmittelalterlichen Quellenlage methodisch vorbildliche „erb- und rassengeschichtliche“ Untersuchungbewertete, hebt Heimpels Stauferbildein Jahr zuvor deutlich davon ab.114 Beide aber zeigen, ebenso wie Hans-Walter Klewitzʼ Anstrengungen, wiestark das Thema der staufischen Königsherrschaft gerade in den 1940er Jahren für das deutsche Mittelalter stand, oder,umHermann HeimpelsFormulierung aufzugreifen, für die „Erforschung des deutschen Mittelalters im deutschen Elsass“.

Friedrich Barbarossa und die StauferimReichsland Elsaß-Lothringen

Die spezifischelsässische Traditionslinie dieser Bezugnahme kann hier nur noch angedeutetwerden. Sie reicht in die Zeit des Reichslands Elsass-Lothringen zurück, in der ebenfalls Quelleneditionen, Regestenwerke und Studien zur

Grundzüge dürften wegen der wesentlich germanischen Herkunft des hohen Adels der roma- nischen Länder,auch wenn sie für die Savoyer nicht gilt, kaum gewandelt worden sein.“ 111 Hlawitschka, Grundlagen (wie Anm. 6), S. 95–101, mit älterer Literatur. 112 C. Winkler,Bericht über die bei der Restaurierung der St.-Fides-Kirche zu SchlettstadtimJahre 1892 gemachten Funde, in: Mitteilungen der Gesellschaftfür die Erhaltung der geschichtlichen Denkmäler im Elsaß, 2. Folge 16 (1893), S. 8–10. 113 Maschke, Geschlecht der Staufer(wie Anm. 103), S. 18 f. 114 Karl Jordan, Rezension zu Erich Maschke, Das Geschlechtder Staufer,München 1943, in: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters7(1944), S. 339 f. 178 Jürgen Dendorfer staufischen Geschichte in erheblichem Umfang entstanden, häufig sind sie bis heute Grundlagefür die Forschung zu dieser Zeit.115 Öffentlich sichtbarer als diese vor allem an der Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg betriebenen Forschungen wardie vom Reich propagierte Denkmalkultur im Reichsland. Elsässische Neubauten, die in Straßburg in der Kaiserzeit bekanntlich in erheb- lichem Umfang entstanden, wurden in das ikonographische Programm der kaiserlichen Nachfolge vonBarbarossa zu Barbablanca, dem weissbärtigen Kaiser WihelmI., einbezogen.116 So zum Beispiel in den Fresken am neuen Straßburger Hauptbahnhof, in dem ein Einzug Barbarossas in Hagenau der Begrüßung Kaiser Wilhelm I. durch die elsässische Bevölkerung gegenüberge- stellt wurde,117 oder in den Kaiserfiguren am neuen Reichspostgebäude mit je drei Figuren des alten (Friedrich Barbarossa, Rudolf von Habsburg und Maxi- milian I.) und des neuen Reichs (Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II.).118 Nicht zuletzt aber steht der Wiederaufbaueiner staufischen Burg durch den Hohenzollernkaiser für den historisch, mit Rückgriff aufdas Mittelalter legiti- mierten Herrschaftsanspruch auf das Elsass. Die innerhalb weniger Jahre von 1900 bis 1908 von Wilhelm II. und seinem Baumeister Bodo Ebhardt wieder errichtete Hohkönigsburg sollte eine steingewordene, weithin sichtbare Mani- festation der Dauerhaftigkeit deutscher Herrschaft über das Elsass sein.119 Schon vor1918 diente der Bezug auf die staufischen Kaiser dazu, deutsche Herrschaft über das Elsass historisch zu legitimieren. Nur zehn Jahre nach der Einweihung endete diese. Kaiser Wilhelms Burg warnun ein Zeugnis vergangener Herrschaft und vergeblicher Anstrengungen der Deutschen diese über das Elsass zu er- halten. Die Geschichte der Staufer bot im 19. und 20. Jahrhundert allerdingsnicht nur im Elsass einen Resonanzbodenfür vielfältige Anklänge. Sie wareine Pro-

115 So z.B. das Urkundenbuch der Stadt Straßburg, 7Bde., Straßburg 1879–1900, oder die Regesten der Bischöfe von Straßburg, 2Bde., 1908 und 1928. 116 Camilla G. Kaul, FriedrichBarbarossa im Kyffhäuser.Bilder eines nationalen Mythos im 19. Jahrhundert (Atlas. Bonner Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. 4/1), 2Bde., Köln u.a. 2007, S. 441–752, zur bildlichen Darstellung Barbarossas im Kaiserreich, zum Elsass bes. S. 521–526; zu den Bauten: Klaus Nohlen, Baupolitik im ReichslandElsaß-Lothringen 1871–1918. Die reprä- sentativen Staatsbauten um den ehemaligen Kaiserplatz in Straßburg (Kunst, Kultur und Politik im Deutschen Kaiserreich, Bd. 5), Berlin 1982, zusammenfassend S. 196 f. 117 Nohlen, Baupolitik (wie Anm. 116), S. 196 f.; Kaul, Friedrich Barbarossa(wie Anm. 116), S. 522– 524. 118 Nohlen, Baupolitik (wie Anm. 116), S. 182–196; Kaul, FriedrichBarbarossa (wie Anm. 116), S. 525 f. 119 Winfried Speitkamp, Vondeutschen Nationaldenkmal zum französischen Erinnerungsort: Die Hohkönigsburg im Elsaß, in: Etienne Francois/Marie-Claire Hoock-Demarle/Reinhart Meyer- Kalkus/Philipp Despoix (Hrsg.), Marianne – Germania. Deutsch-französischer Kulturtransfer im europäischen Kontext/Les transferts culturels France-Allemagne et leur contexte européen 1789– 1945, 2Bde., Leipzig 1998, hier Bd. 1, S. 207–229; Elisabeth Castellani Zahir,Die Wiederher- stellung vonSchloss Vaduz 1904 bis 1914. Burgendenkmalpflege zwischen Historismusund Moderne, 2Bde., Liechtenstein 1993, S. 103–129 zur Hohkönigsburg; jüngst: Heinrich Schwendemann,Die Hohkönigsburg, in: Jürgen Dendorfer (Hrsg.), Erinnerungsorte des Mit- telalters am Oberrhein (Schlaglichter Regionaler Geschichte, Bd. 4), Freiburg 2017, S. 11–40. Die Staufer im Elsass 179 jektionsfläche für die verlorene und wieder zu verwirklichende Einheit eines deutschen Reichesvor 1871, das dann ins Leben getreten sei, oder sie bot nach der Reichsgründung historische Denkmodelle für die Zuordnung vonKaiser und Fürsten sowie die neuerliche Betonung eines monarchischen, kaiserlichen Vorrangs. Nach dem Ende der Monarchie wiederum hielt sie Erwartungenandie Wiederkunft eines starken Kaisers wach, ein Passepartout, in den eine Führer- gestalt einrücken konnte, und das mitzuderen Akzeptanz mitbeitrug.Nicht zuletzt botdie Geschichte des Mittelalters in der NS-Zeit vielfältige Möglich- keiten für Historiker,ihr Fach als Legitimationswissenschaft anzudienen. Das gilt aus heutiger Sicht auf durchaus überraschende Weise gerade für diejenige Geschichtsforschung zum Mittelalter,die sich fast ausnahmslos mit politischer Geschichte, mit dem Reich der großendeutschen Kaiser und Könige beschäf- tigte. Sie ließ sich nicht nur in Dienst nehmen, sondern bot sich geradezu will- fährig an, wie die bemerkenswerte Konjunktur an Staufer- und Reichsfor- schungen in den letzten Jahren des Nationalsozialismus zeigt. Diese Form einer Geschichtsschreibung und -forschung, die eine kaum verhohlene Agenda ver- folgte, warnach 1945 ebenso gründlich diskreditiert wie lange Zeit das Thema die „Staufer im Elsass“.Das Aufzeigen dieser Prägungen des Blicks aufdie Geschichte der Staufer im Elsass könnte ein erster Schritt sein, um in Abgrenzung vonvergangenen Vereinnahmungen neu auf die Geschichte des Elsass im hohen Mittelalter zu blicken;eine Geschichte, zu der auch die Staufer gehören.